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de
Sachverhalt ab Seite 304 BGE 86 II 303 S. 304 Aus dem Tatbestand: A.- Die Parteien, Bürger von Genf, sind seit dem 16. Juni 1945 verheiratet. Sie nahmen Wohnung in Zürich, wo der Ehemann, Ingenieur von Beruf, für eine Fabrik in G... heim, Württemberg, Deutschland, tätig war und die Ehefrau ihr Berufsbüro in Zürich weiterbetrieb. Im Jahre 1949 bezogen sie eine 6-Zimmerwohnung an der B... strasse in Zürich. Laut einem Vertrag vom 19. Oktober 1953, den der Ehemann mit der Fabrik in G... heim abschloss, hatte er sein Zürcher Ingenieurbüro für die Zwecke jener Fabrik zur Verfügung zu stellen. Er arbeitete abwechselnd in G. .. heim und in Zürich. In einem Nachtrag vom 17. Dezember 1956 zum Anstellungsvertrag wurde als sein Wohnort nach wie vor Zürich angegeben. Die Büroräume befanden sich seit 1. März 1958 im gleichen Haus wie das Büro der Ehefrau. In G. .. heim stand dem Ehepaar eine Fabrik- oder Geschäftswohnung zur Verfügung. Zeitweise lebten sie an jenem Ort und pflogen auch dort gesellschaftliche Beziehungen. Ferner kaufte die Ehefrau in G. .. heim Land, um später einmal darauf ein Haus zu bauen. Indessen blieben beide Eheleute in Zürich als Einwohner gemeldet; hier war die Ehefrau weiterhin beruflich tätig, und hier übte der Ehemann seine politischen Rechte aus, zahlte Steuern und AHV-Beiträge; auch benutzte er ein Automobil mit Zürchernummer. B.- Im Jahre 1959 kam es zu ehelichen Zwistigkeiten und zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes. Die Ehefrau blieb an der B. .. strasse in Zürich wohnen, während der Ehemann auszog, sich in Zürich anders einrichtete, auch das dortige Büro an eine andere Strasse verlegte und der Ehefrau den Zutritt zur Fabrikwohnung in G. .. heim verbieten liess. Am 17. Juli 1959 leitete er BGE 86 II 303 S. 305 beim Friedensrichteramt Zürich 7 Klage auf Scheidung ein, die er am 1. Oktober 1959 beim Bezirksgericht Zürich einreichte. Am 12. Januar 1960, zwei Tage vor dem Hauptverhandlungstermin, zog er die Klage jedoch zurück, und zwar ausdrücklich, um sie in H. bei dem für G. .. heim zuständigen Gericht, neu anzuheben. Das geschah denn auch am 9./11. März 1960, nachdem er sich - und nicht auch die Ehefrau - in Zürich polizeilich ab- und in G. .. heim angemeldet hatte. C.- Inzwischen stellte die Ehefrau am 20. Februar 1960 beim Einzelrichter in Ehesachen des Bezirksgerichts Zürich ein Gesuch um Eheschutzmassnahmen. Sie verlangte namentlich, dass ihr die Wohnung an der B. .. strasse samt dem ehelichen Hausrat zur Benutzung zugewiesen und der Ehemann zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen verpflichtet werde. Mit Entscheid vom 26. März 1960 wies der angerufene Richter das Gesuch von der Hand, da er wegen der in H. angehobenen Scheidungsklage des Ehemannes nicht mehr sachlich zuständig sei. Auf Rekurs der Ehefrau hob aber das Obergericht des Kantons Zürich am 8. Juni 1960 den Entscheid des Einzelrichters auf und erklärte diesen als zur Behandlung des Gesuches zuständig. D.- Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat der Ehemann Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 68 OG erhoben mit der Rüge der Verletzung eidgenössischer Zuständigkeitsnormen.
694
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die örtliche Zuständigkeit zu richterlichen Massnahmen im Sinne der Art. 169 ff. ZGB ist in diesem Gesetz nicht geregelt. Indessen ist nicht anzunehmen, der Bundesgesetzgeber habe die Bestimmung dieses Gerichtsstandes dem kantonalen Recht anheim geben wollen. Man hat es vielmehr mit einer Lücke des ZGB zu tun; sie ist in Anlehnung an Art. 144 ZGB auszufüllen und als zuständig der Richter des Wohnsitzes des gesuchstellenden Ehegatten BGE 86 II 303 S. 306 zu erachten ( BGE 54 I 246 Mitte, BGE 64 II 72 und 176, BGE 68 II 183 ). 2. Dass, wie der Ehemann behauptet, der eheliche Wohnsitz im Jahr 1954 von Zürich nach G. .. heim verlegt worden sei, ist nicht glaubhaft gemacht. Hiefür ist gleichgültig, wie sich die Arbeitszeit des Ehemannes von nun an auf die beiden Orte verteilt haben mag. Denn für den Wohnsitz eines Ehepaars ist in erster Linie der Ort der ehelichen Wohnung bestimmend, und es ist nicht ersichtlich, dass von den beiden Wohnungen, welche die Parteien belegt hatten, derjenigen in Zürich in den betreffenden Jahren nicht mehr der Vorrang vor der kleineren, nach Angabe der Ehefrau zum grössten Teil von der Geschäftsunternehmung eingerichteten "Fabrikwohnung" in G. .. heim zugekommen wäre. Im übrigen kann offen bleiben, ob der Ehemann bei der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes oder wenigstens in den ersten Monaten 1960, als er sich polizeilich in Zürich ab- und in G. .. heim anmeldete, seinen persönlichen Wohnsitz an den letztern Ort verlegt oder aber sich dort nur, um die Scheidungsklage neu in Deutschland anzuheben, also zu einem nicht wohnsitzbegründenden Sonderzweck niedergelassen habe (vgl. BGE 64 II 399 und 403). Sollte sich der Wohnsitz des Ehemannes nunmehr in Deutschland befunden haben, so ist der Ehefrau ein selbständiger Wohnsitz in Zürich zuzuerkennen, wo sie wohnen geblieben ist. Denn spätestens seit der Einreichung der Scheidungsklage des Ehemannes in Zürich war sie berechtigt, getrennt zu leben ( Art. 170 Abs. 2 ZGB ), und zwar gleichgültig ob das mit dieser Klage befasste Gericht zuständig war, einfach deshalb, weil, wie das Obergericht zutreffend bemerkt, "die blosse Tatsache des Scheidungsprozesses das gemeinsame Leben verunmöglicht". An dieser Berechtigung änderte auch der Rückzug der vom Ehemann in Zürich eingereichten Klage nichts, weil sie ausdrücklich in der Absicht erfolgte, in Deutschland einen neuen Scheidungsprozess anzuheben, wie es ja dann geschehen ist. Im übrigen BGE 86 II 303 S. 307 hat der Ehemann durch die Verweigerung des Zusammenlebens und durch das Verbot des Betretens der "Fabrikwohnung" in G. .. heim die Ehefrau geradezu zum Getrenntleben gezwungen, so dass sich ihre Berechtigung dazu auch aus dem Grundgedanken des Art. 170 Abs. 1 ZGB herleiten lässt (vgl. BGE 83 II 498 ). Da sie nach dem Wegzug des Ehemannes in der ehelichen Wohnung an der B. .. strasse in Zürich blieb, hat sie diese Berechtigung zweifellos ausgeübt und sich damit einen selbständigen Wohnsitz geschaffen. Sie bedurfte dafür nach ständiger Rechtsprechung keiner richterlichen Bewilligung (neuestens BGE 85 II 297 ; dazu PIOTET im JdT 1960 I 98ff.). Es ist belanglos, dass sie in einem Briefe die Wohnung in G. .. heim, auf eine dort aufgetretene Nebenbuhlerin anspielend, auch später noch als ihre eheliche Wohnung bezeichnete. Daraus ergibt sich nicht einmal die Absicht, von Zürich dorthin überzusiedeln und die Zürcher Wohnung aufzugeben. Übrigens könnte ein blosser Wunsch, solange er nicht erfüllt wird, keinen Wohnsitz begründen (vgl. BGE 65 II 97 , BGE 69 II 1 ). Für die Frage, ob die Ehefrau in der Schweiz einen selbständigen Wohnsitz habe und somit an diesem Orte den richterlichen Schutz nach Art. 169 ff. ZGB in Anspruch nehmen könne, ist das schweizerische Recht massgebend, gleichgültig, wo sich der Wohnsitz des Ehemannes befindet (vgl. BGE 83 II 496 /97). 3. Ein solches Gesuch ist freilich nicht mehr zulässig bei Rechtshängigkeit einer Scheidungs- oder Trennungsklage des einen oder andern Ehegatten, sofern diese Klage zuständigen Ortes angebracht ist und nun beim Scheidungsgericht vorsorgliche Massnahmen verlangt werden können ( BGE 64 II 176 und 396). In diesem Sinne beruft sich der Ehemann im vorliegenden Falle auf die von ihm am 11. März 1960 beim Landgericht H. eingereichte Scheidungsklage. Nach der insoweit auf Anwendung ausländischen Rechts beruhenden und daher vom Bundesgericht in diesem Punkte nicht nachzuprüfenden BGE 86 II 303 S. 308 Entscheidung des Obergerichts könnten in der Tat bei jenem deutschen Scheidungsgericht (vorausgesetzt, dass dieses sich als zuständig erachten würde) in einer dem Art. 145 ZGB entsprechenden Weise vorsorgliche Massnahmen für die Prozessdauer nachgesucht werden. Mit Recht lehnt es das Obergericht jedoch ab, die Ehefrau auf diesen Weg zu weisen. Denn das vom Ehemann angerufene ausländische Gericht ist für die Scheidungsklage nicht zuständig. Nach Art. 3 des schweizerisch/deutschen Urteilsvollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 sind die in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen Angehörigen eines der beiden Staaten oder beider Staaten ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen der bürgerlichen Gerichte des einen Staates im Gebiete des andern Staates anzuerkennen, "es sei denn, dass an dem Rechtsstreit ein Angehöriger des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, beteiligt war und nach dem Rechte dieses Staates die Zuständigkeit eines Gerichts des andern Staates nicht begründet war." Zur Erläuterung wurde von den beiden Delegationen im Sitzungsprotokoll vermerkt: "Die im Art. 3 enthaltene Zuständigkeitsbestimmung bedeutet, dass der Richter des Staates, in dem das Urteil geltend gemacht wird, nachzuprüfen hat, ob eine der in seinem Rechte für den in Frage kommenden Rechtsstreit aufgestellten Zuständigkeitsvoraussetzungen im Gebiete des andern Staates erfüllt war." (Botschaft des Bundesrates, BBl 1929 III 536 oben). Für schweizerische Ehegatten hängt somit die Anerkennung eines deutschen Scheidungs- oder Trennungsurteils im Gebiete der Schweiz gänzlich von den Zuständigkeitsnormen des intern-schweizerischen Rechtes ab. Wird davon ausgegangen, der Ehemann habe im vorliegenden Fall bei Anhebung des Scheidungsprozesses in H. nicht nur polizeilichen, sondern auch zivilrechtlichen Wohnsitz in Deutschland gehabt, so kommen die von Art. 144 ZGB abweichenden Normen in Betracht, wie sie sich aus Art. 7 g NAG BGE 86 II 303 S. 309 für Auslandschweizer ergeben. Danach steht einem im Ausland wohnenden Schweizerbürger allgemein der Gerichtsstand seines Heimatortes zur Verfügung. Ausserdem wird in der Schweiz "die Scheidung schweizerischer, im Auslande wohnender Ehegatten durch ein nach dortigem Rechte zuständiges Gericht" anerkannt (Abs. 1 und 3 daselbst). Diese letztere Vorschrift hat indessen nach ihrem Wortlaut den Fall im Auge, dass beide Ehegatten im Ausland wohnen. Hat dagegen der eine Ehegatte Wohnsitz in der Schweiz, so kann in der Tat nicht von der Scheidung "im Auslande wohnender Ehegatten" gesprochen werden (vgl. auch den französischen und den italienischen Text: "le divorce d'époux suisses habitant l'étranger"; "il divorzio di coniugi svizzeri domiciliati all'estero"). Nach ständiger Rechtsprechung wird daher ein ausländisches Gericht nur dann als zur Scheidung schweizerischer Ehegatten zuständig erachtet, wenn beide ihren Wohnsitz im Ausland haben ( BGE 56 II 338 , BGE 64 II 78 , BGE 80 II 101 unten/102). An dieser Auslegung ist festzuhalten, entgegen einer Lehrmeinung, wonach Art. 7 g Abs. 3 NAG anwendbar sein soll, wenn auch nur der Kläger im Ausland wohnt (so STAUFFER, N. 3 zu Art. 7 g NAG ; derselbe, Die neuen Verträge der Schweiz über die Vollstreckung von Zivilurteilen, Druckschrift Nr. 31 der Schweizerischen Vereinigung für internationales Recht, S. 12 ff.). Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen der bundesrätlichen Botschaft zum schweizerisch/deutschen Vollstreckungsabkommen (BBl a.a.O. Mitte) die letztere Ansicht zum Ausdruck bringen (so STAUFFER, in der erwähnten Druckschrift S. 13, während BECK N. 105 zu Art. 7 g NAG , jene Ausführungen für die gegenteilige Ansicht in Anspruch nimmt). Jedenfalls hat die Rechtsprechung, wie dargetan, seit dem Erscheinen jener Botschaft die streitige Frage eindeutig im Sinne der engern Auslegung des Art 7 g Abs. 3 NAG beantwortet (vgl im gleichen Sinne, ausser BECK a.a.O.: PILLER, La condition juridique des Suisses à l'étranger, 101/2; GULDENER, Das BGE 86 II 303 S. 310 internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, 66 oben, mit Fussnote 175 b) Der Wortlaut des Gesetzes lässt eine andere Auslegung schwerlich zu. In sachlicher Beziehung ist nicht so sehr das (von STAUFFER in der erwähnten Druckschrift S 13/14 kritisierte) Argument entscheidend, das Gesetz wolle konkurrierende Scheidungsgerichtstände nach Möglichkeit vermeiden, als vielmehr die Rücksichtnahme auf den in der Schweiz wohnhaften Ehegatten schweizerischer Nationalität, dem nicht über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zugemutet werden darf, einer Klage auf Scheidung oder Trennung der Ehe im Ausland ausgesetzt zu werden. Erweist sich somit das vom Ehemann angerufene ausländische Scheidungsgericht nach den schweizerischen Zuständigkeitsnormen als unzuständig, so muss es dabei auch nach Art. 3 des schweizerisch/deutschen Vollstreckungsabkommens sein Bewenden haben. Das von der Ehefrau an ihrem schweizerischen Wohnsitz angehobene Eheschutzverfahren ist daher ungeachtet jenes Scheidungsprozesses durchzuführen (vgl. BGE 80 II 100 /101, BGE 84 II 475 ). Über die Zuständigkeit zur Beurteilung des Gesuches um Eheschutzmassnahmen haben die damit befassten schweizerischen Gerichte selbständig zu entscheiden Es bestand daher für das Obergericht, da es den für die Anwendung der massgebenden Zuständigkeitsnormen wesentlichen Tatbestand als hinreichend abgeklärt erachtete, keine Veranlassung, auf die zur Zeit noch in H. hängige Scheidungsklage des Ehemannes Rücksicht zu nehmen und gemäss dessen Eventualantrag den Entscheid des dortigen Gerichts über die Zuständigkeitsfrage abzuwarten.
2,225
1,779
Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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2,024
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Sachverhalt ab Seite 197 BGE 91 IV 197 S. 197 A.- Bach, Inhaber einer Garage in Wangen a. A., fuhr am Abend des 4. April 1964 in Begleitung seines Angestellten Jordi nach Basel, um mit seinem Personenauto den defekten Personenwagen eines Kunden von Basel nach Wangen abzuschleppen. Obschon Bach wusste, dass Jordi der Führerausweis dauernd entzogen worden war, veranlasste er diesen, das geschleppte Fahrzeug zu lenken, während er selber den Zugwagen führte. Da sie in Liestal in eine Polizeikontrolle gerieten, wurden beide wegen Widerhandlung gegen Art. 95 Ziff. 2 SVG verzeigt. B.- Die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft erklärte Bach mit Strafbefehl vom 17. September 1964 in Anwendung von Art. 100 Ziff. 2 SVG der Widerhandlung gegen Art. 95 Ziff. 2 SVG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 VRV schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Strafe von zehn Tagen Haft und zu einer Busse von Fr. 80.-. Das Polizeigericht Liestal änderte auf Einsprache des Verurteilten am 5. November 1964 den Strafbefehl dahin ab, dass es die Haftstrafe aufhob und nur auf Busse von Fr. 80.- erkannte. Es ging davon aus, der geschleppte Wagen sei zwar als Motorfahrzeug anzusehen, doch habe es Jordi nur gelenkt, nicht im Sinne des Art. 95 Ziff. 2 SVG geführt, so dass bloss eine Widerhandlung gegen Art. 72 Abs. 2 VRV vorliege, die gemäss Art. 96 VRV mit Haft oder mit Busse zu bestrafen sei. Es nahm ferner an, Art. 100 Ziff. 2 SVG sei in Fällen, in denen BGE 91 IV 197 S. 198 dem Haupttäter die Eigenschaft eines Motorfahrzeugführers fehle, nicht anwendbar, weshalb es Bach in Anwendung von Art. 24 StGB als Anstifter zur erwähnten Übertretung bestrafte. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft, an das die Staatsanwaltschaft appellierte, bestätigte am 16. Februar 1965 das Urteil des Polizeigerichts, soweit dieses gestützt auf Art. 72 Abs. 2 und 96 VRV eine Busse von Fr. 80.- gegen Bach verhängte. Es hält jedoch, abweichend von der Begründung des Polizeigerichts, dafür, Jordi habe das geschleppte Fahrzeug geführt, dieses stelle aber kein Motorfahrzeug dar, und es sei statt der allgemeinen Bestimmung des Art. 24 StGB richtigerweise Art. 100 Ziff. 2 SVG anzuwenden. C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese Bach nach Art. 95 Ziff. 2 SVG mit Haft von wenigstens zehn Tagen und mit Busse bestrafe. D.- Bach beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen Der Kassationshof zieht in Erwägung: 1. Nach Art. 100 Ziff. 2 SVG untersteht der Arbeitgeber oder Vorgesetzte der gleichen Strafandrohung wie der Motorfahrzeugführer, den er zur begangenen Widerhandlung veranlasst hat. Bach hiess seinen Arbeitnehmer Jordi, einen geschleppten Personenwagen zu lenken, obschon er wusste, dass Jordi der Führerausweis entzogen worden war. Verstiesse die Tat nur gegen Art. 72 Abs. 2 VRV , wonach ein geschlepptes Fahrzeug von einem Führer mit Ausweis gelenkt werden muss, so wäre sie bloss mit Haft oder mit Busse bedroht ( Art. 96 VRV , vgl. Art. 95 Ziff. 1 SVG ). Nach Art. 95 Ziff. 2 SVG , der den Tatbestand des Führens während der Dauer eines Führerausweisentzuges gegenüber jenem des Fahrens ohne Führerausweis durch erhöhte Strafandrohung auszeichnet, müssten dagegen mindestens zehn Tage Haft und eine Busse ausgefällt werden. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt jedoch voraus, dass das Lenken des geschleppten Wagens als Führen eines Motorfahrzeuges gilt. 2. Motorfahrzeug ist nach Art. 7 Abs. 1 SVG jedes Fahrzeug mit eigenem Antrieb, durch den es auf dem Erdboden unabhängig von Schienen fortbewegt wird. Diese Umschreibung bezieht sich wie schon die frühere des Art. 1 MFV auf das im BGE 91 IV 197 S. 199 Betrieb befindliche Motorfahrzeug. Auszugehen ist jedoch vom technischen Begriff des Motorfahrzeuges, der auch nach allgemeinem Sprachgebrauch den Inhalt des Wortes Motorfahrzeug bestimmt. Danach kommt es nur darauf an, ob ein Fahrzeug als Motorfahrzeug gebaut und eingerichtet, d.h. nach seiner technischen Ausrüstung dazu bestimmt ist, sich durch eigenen Antrieb auf dem Erdboden fortzubewegen, ohne an Schienen gebunden zu sein. Ein derart beschaffenes Fahrzeug bleibt Motorfahrzeug ohne Rücksicht darauf, ob es sich im Betrieb befindet oder nicht und ob es infolge eines technischen Fehlers oder aus einem andern Grunde vorübergehend anstelle der eigenen Motorkraft durch die Schwerkraft oder eine andere Kraft in Bewegung gesetzt wird. Den Charakter eines Motorfahrzeuges verliert es erst, wenn das Fahrzeug die Fähigkeit, sich durch eigenen Antrieb fortzubewegen, dauernd einbüsst (STREBEL, N 23 zu Art. 1 MFG). Die gegenteilige Auffassung, wie sie in BGE 73 IV 38 für das MFG vertreten wurde, hält nicht stand. Es kann nicht der Sinn der Strassenverkehrsvorschriften sein, dass sie immer dann nicht anwendbar sein sollen, wenn sich ein Motorfahrzeug anders als durch den Betrieb seines Motors fortbewegt, wie auch vernünftigerweise nicht gewollt sein kann, die Anwendung des Gesetzes von der momentanen Betriebsfähigkeit des Motors abhängig zu machen mit der Folge, dass z.B. der eine Führer, der mit betriebsbereitem Motor, aber im Leerlauf einen Abhang hinunterrollt, dem Gesetz unterstände, der andere, der die gleiche Strecke mit betriebsunfähigem Motor zurücklegt, dagegen nicht, obschon die mit der Fortbewegung zusammenhängende Gefährlichkeit in beiden Fällen dieselbe sein kann. Dass nicht bloss das durch eigene Motorkraft sich fortbewegende Fahrzeug als Motorfahrzeug zu gelten hat, sondern auch das mit abgestelltem Motor auslaufende oder das unter bewusster Ausnutzung der Schwerkraft abwärts fahrende und unter Umständen sogar das stillstehende Fahrzeug, war im Haftpflichtrecht schon unter der Herrschaft des MFG anerkannt ( BGE 78 II 163 , BGE 63 II 342 ; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, II/2 S. 537, 542 f.). Das SVG hat diese Praxis nicht nur übernommen, sondern noch erweitert, indem es in Art. 58 Abs. 2 allgemein eine verschärfte Haftung der Halter für Verkehrsschäden vorsieht, die durch nicht im Betrieb stehende Motorfahrzeuge veranlasst werden, womit es zu den Motorfahrzeugen ausdrücklich auch solche BGE 91 IV 197 S. 200 zählt, die nicht durch ihren Motor angetrieben werden, wie z.B. dann, wenn sie am Strassenrand abgestellt sind, von Hand gestossen werden oder mit gelöster Bremse auf geneigter Ebene abrollen (OFTINGER, a.a.O. S. 545 f.). Als Motorfahrzeug ist das Fahrzeug daher auch anzusehen, wenn es von einem andern geschleppt oder gestossen wird (vgl. BGE 63 II 198 ). Die VRV bestätigt es, indem sie im Randtitel zu Art. 72 vom Schleppen von Motorfahrzeugen spricht und in dieser Bestimmung wie in Art. 71 das geschleppte oder gestossene Auto als Motorwagen bezeichnet. Es wäre denn auch verfehlt, das Gegenteil daraus ableiten zu wollen, dass Art. 72 Abs. 2 VRV neben der allgemeinen Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 SVG für den Lenker des geschleppten Motorfahrzeugs den Führerausweis verlangt. Abgesehen davon, dass die VRV an zahlreichen Stellen Grundsätze wiederholt, die bereits im SVG enthalten sind, ist die erwähnte Vorschrift in Art. 72 Abs. 2 VRV nicht überflüssig, weil sie der Klärung der Frage dient, ob der Lenker eines geschleppten Motorwagens als Führer zu betrachten sei, was nicht ohne weiteres selbstverständlich ist. Nicht massgebend für die Auslegung des Motorfahrzeugbegriffs ist, dass das Motorfahrzeug, das durch ein anderes im Schlepptau gezogen wird, im Haftpflichtrecht einem Anhänger gleichgestellt wird und der Halter des im Betrieb befindlichen Zugwagens auch für den durch das geschleppte Fahrzeug verursachten Schaden haftet ( Art. 69 Abs. 1 SVG ). Wegen dieser haftpflichtrechtlichen Sonderregelung das geschleppte Fahrzeug von der allgemeinen Ordnung auszunehmen, nach der auch nicht im Betrieb stehende Motorfahrzeuge als solche gelten, wäre nicht gerechtfertigt, dies um so weniger, als die dem Verkehr drohenden Gefahren beim Abschleppen keineswegs geringer sind als z.B. beim Schieben oder Stossen eines Motorfahrzeuges. 3. Der Lenker eines geschleppten Motorwagens trägt im Vergleich zum selbständigen Führer insofern eine geringere Verantwortung, als er sich bei der Befolgung der Verkehrsregeln weitgehend den Entscheidungen des Führers des Zugwagens anzupassen hat. Anderseits erfordern die Einhaltung der Spur und die ständige Anpassung des geschleppten Fahrzeuges an die Bewegungen, Richtungsänderungen und die Geschwindigkeit des Zugwagens eine erhöhte Anspannung und gesteigerte Aufmerksamkeit. Die Aufgabe des Lenkers des geschleppten Wagens wird noch dadurch erschwert, dass er nebst der Beobachtung BGE 91 IV 197 S. 201 der Verkehrsvorgänge und des Zugwagens sowie der Bedienung des Lenkrades und Bremspedals sein Augenmerk dauernd auch auf das Schleppseil richten muss, um zu verhindern, dass es schlapp wird und sich in den Vorderrädern seines Fahrzeuges verwickeln kann oder dass es beim Wiederanziehen eine ruckweise Beschleunigung hervorruft. Die Anforderungen, die an den Lenker des geschleppten Motorwagens gestellt werden, stehen daher jenen, die der selbständige Führer zu erfüllen hat, gesamthaft betrachtet kaum nach. Dass er einem solchen gleichzusetzen ist, folgt auch daraus, dass er nach Art. 72 Abs. 2 VRV im Besitze desFührerausweises seinmuss (ebenso SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG, S. 186). 4. Jordi hat somit als Lenker des geschleppten Personenwagens ein Motorfahrzeug geführt, und er tat dies trotz Führerausweisentzug. Sein Arbeitgeber Bach, der ihn zu dieser Tat veranlasste, ist daher nach Art. 100 Ziff. 2 und Art. 95 Ziff. 2 SVG mit mindestens zehn Tagen Haft und mit Busse zu bestrafen.
1,576
1,259
Dispositiv Demnach erkennt der Kassationshof: Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen; das Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 16. Februar 1965 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
58
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CH_BGE_006
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2,015
de
Sachverhalt ab Seite 242 BGE 141 I 241 S. 242 A. In den Morgenstunden des 28. März 2005 fuhr ein bei der B. Versicherungen AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) versicherter Personenwagen bei einem kleinen Durchgangsweg zwischen den Liegenschaften U. und V. in W. rückwärts, nach rechts abdrehend aus einem Parkfeld. Dabei wurde der sich hinter dem Personenwagen befindliche A. (Gesuchsteller und Beschwerdeführer) übersehen. Dieser wurde vom rückwärtsfahrenden Personenwagen touchiert und kam dadurch zu Fall. Nach eigener Darstellung zog sich der Verunfallte durch diesen Sturz unter anderem ein Schädelhirntrauma zu, an dessen Folgen er seit dem Unfalltag leide. B. B.a Am 23. Mai 2011 gelangte A. an das Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich und stellte ein Begehren um vorsorgliche Beweisabnahme in der Form eines gerichtlichen Gutachtens zu den medizinischen Dauerfolgen des am 28. März 2005 erlittenen Unfalls. In prozessualer Hinsicht beantragte er zudem die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 wies das Einzelgericht Audienz den Antrag von A. auf unentgeltliche Prozessführung und Bewilligung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters im Umfang von Fr. 11'000.- ab, bewilligte es indessen im Mehrumfang und bestellte A. in der Person von Rechtsanwalt Stolkin einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. B.b Mit Urteil 4A_589/2013 vom 16. Januar 2014 erkannte das Bundesgericht in einem Verfahren zwischen anderen Parteien, dass für eine vorsorgliche Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Dieser Grundsatz wurde als Leitentscheid publiziert ( BGE 140 III 12 ). BGE 141 I 241 S. 243 B.c Mit Verfügung vom 30. März 2015 entschied das Einzelgericht Audienz, dass es A. die mit Verfügung vom 3. Oktober 2011 im Fr. 11'000.- übersteigenden Umfang bewilligte unentgeltliche Rechtspflege mit Wirkung ab Datum der Verfügung entziehe, wobei ein Erledigungsentscheid infolge Abstandnahme oder Nichtleistung des Kostenvorschusses noch von der bisherigen Bewilligung erfasst sei. Mit Urteil vom 20. Mai 2015 wies das Obergericht des Kantons Zürich die dagegen eingelegte Beschwerde ab. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt A. dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und das Bezirksgericht sei anzuweisen, ihm die unentgeltliche Rechtspflege im bisherigen Umfang weiterhin zu gewähren. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. (Zusammenfassung)
1,101
430
Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Der Beschwerdeführer macht in sich mehrfach wiederholender Weise geltend, es sei unzulässig, eine rechtskräftig gewordene Verfügung, mit der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt wurde, nachträglich zu widerrufen. Ein solches Vorgehen verstosse gegen den "Grundsatz der Rechtssicherheit", gegen das "Rückwirkungsverbot", das "Vertrauensprinzip" und das "Prinzip der Verfahrensfairness". Zudem habe am 3. Oktober 2011, als dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege vom Einzelgericht Audienz des Bezirksgerichts Zürich erteilt worden sei, noch ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für sämtliche Verfahrensarten bestanden. Die Verfügung vom 3. Oktober 2011 sei also nicht offensichtlich unrichtig gewesen. 3.1 Das Verfahren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gehört zur freiwilligen Gerichtsbarkeit i.S.v. Art. 1 lit. b ZPO (statt aller ALFRED BÜHLER, in: Berner Kommentar, Bd. I, 2012, N. 6 zu Art. 119 ZPO ; vgl. auch BGE 139 III 334 E. 4.2 S. 342 ff. [zur Stellung der Gegenpartei]). Als solches wird es nicht im ordentlichen, sondern im summarischen Verfahren durchgeführt ( Art. 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO und Art. 248 lit. e ZPO ). Summarentscheide sind ordentlichen Entscheiden hinsichtlich der Rechtskraft grundsätzlich BGE 141 I 241 S. 244 gleichgestellt, d.h. sie werden mit Ablauf der Berufungsfrist formell rechtskräftig und damit - unter Vorbehalt einer Revision nach Art. 328 ff. ZPO - unwiderrufbar ( BGE 141 III 43 E. 2.5.2 S. 46). Für Summarentscheide betreffend Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sieht Art. 256 Abs. 2 ZPO hingegen eine Ausnahme vor: Danach kann ein solcher Entscheid von Amtes wegen oder auf Antrag aufgehoben oder abgeändert werden, wenn er sich im Nachhinein als unrichtig erweist, ausser das Gesetz oder die Rechtssicherheit ständen entgegen. Für Entscheide betreffend die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege wiederholt Art. 120 ZPO diese Regel und bestimmt, dass das Gericht die unentgeltliche Rechtspflege entzieht , wenn der Anspruch darauf nicht mehr besteht oder nie bestanden hat. Dieser Entzug erfolgt grundsätzlich nur für die Zukunft (Urteil 5A_305/2013 vom 19. August 2013 E. 3.3 m.H. auf die Botschaft zur ZPO). 3.2 Die Vorinstanz hat sich bei ihrer Beurteilung auf Art. 120 ZPO gestützt und in Anlehnung an BÜHLER (a.a.O., N. 9 zu Art. 120 ZPO ) erwogen, dass sich der Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nach derselben Interessenabwägung richte wie der Widerruf von verwaltungsrechtlichen Verfügungen über Dauerleistungen. Somit sei das Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegenüber zu stellen und je nachdem, welches Interesse überwiegt, die Rechtmässigkeit eines Widerrufs zu bejahen oder nicht. Der Vertrauensschutz verlange, dass ein Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich nur mit Wirkung ex nunc et pro futuro erfolgen könne. Beim Honoraranspruch des unentgeltlichen Rechtsvertreters sei zu beachten, dass dieser sich für die in der Vergangenheit liegenden Aufwendungen auf das gerichtlich erteilte Mandat verlassen könne. Jedoch habe er keinen Anspruch auf Weiterführung des Mandats auf Kosten der Gerichtskasse, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Die Vorinstanz nahm sodann Bezug auf BGE 140 III 12 , in dem das Bundesgericht erkannte, dass in einem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe. Sie kam zum Schluss, dass aufgrund dieses Leitentscheids feststehe, dass der Beschwerdeführer gar nie über einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege verfügt habe und sich deren Bewilligung BGE 141 I 241 S. 245 für ein Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO daher als offensichtlich unrichtig erweise. Es liege damit ein Anwendungsfall von Art. 120 ZPO vor. Dem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege stünden keine Vertrauensinteressen entgegen, da die bisherigen Aufwendungen des unentgeltlichen Rechtsvertreters durch einen Entzug ex nunc nicht tangiert würden. Dem Beschwerdeführer entstünden auch keine Nachteile, da die Gerichtskosten des bisherigen Verfahrens ausser Ansatz fielen. 3.3 Der Beschwerdeführer vermag diese zutreffenden Erwägungen nicht als verfassungswidrig auszuweisen: 3.3.1 In BGE 140 III 12 hat das Bundesgericht erkannt, dass Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozesschancen nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege fallen. Dabei handelt es sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - nicht um eine Praxisänderung, sondern um eine erstmalige Beurteilung der Frage, ob Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO überhaupt in den erwähnten Geltungsbereich fallen. Das Bundesgericht erwog dabei namentlich, dass sich die Aufgabe des Staates darauf beschränkt, den Einzelnen dann (finanziell) zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Da es in einem vorsorglichen Beweisverfahren indessen gerade nicht um die Beurteilung materiellrechtlicher Rechte und Pflichten geht und dem Gesuchsteller damit kein Rechtsverlust droht, fällt die Gewährung unentgeltlicher Rechtspflege für ein vorsorgliches Beweisführungsverfahren ausser Betracht ( BGE 140 III 12 E. 3.3.1 und 3.3.4). Die Rechtsprechung, wonach unentgeltliche Rechtspflege nur in Verfahren gewährt wird, in denen ein Rechtsverlust droht, galt bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 (vgl. BGE 121 I 314 E. 3b S. 317; BGE 135 I 102 E. 3.2.3 S. 105). Da also im Zeitraum vor dem Ergehen von BGE 140 III 12 weder eine andere Praxis geschweige denn eine andere Rechtslage galt, erweist sich nun im Nachhinein, dass auch dem Beschwerdeführer kein unentgeltlicher Rechtsvertreter hätte beigeordnet werden dürfen. Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat bereits im Zeitpunkt der Verfügung des Einzelgerichts Audienz vom 3. Oktober 2011 gar nicht bestanden. Es liegt damit ein Anwendungsfall von Art. 256 Abs. 2 ZPO bzw. Art. 120 ZPO vor. BGE 141 I 241 S. 246 3.3.2 Mit seinen Rügen zielt der Beschwerdeführer an der Sache vorbei. Ein Verstoss gegen das Rückwirkungsverbot, den Vertrauensgrundsatz, das Prinzip der Verfahrensfairness oder den "Grundsatz der Rechtssicherheit" liegt nicht vor, haben doch die Zürcher Instanzen den Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege nicht ex tunc , sondern ex nunc , d.h. pro futuro angeordnet. Dass das Bundesgericht dem Beschwerdeführer im Urteil 4A_322/2012 vom 21. Februar 2013 ein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung zugebilligt hat, steht einem Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege ebenfalls nicht entgegen. Im genannten Urteil wurde zwar entschieden, dass die Voraussetzungen einer vorsorglichen Beweisführung gegeben sind; hingegen wurde dem Beschwerdeführer in keiner Weise zugesichert, dass er diese auch kostenlos, d.h. auf Kosten der Allgemeinheit erhält. Mit der Verfügung 4A_359/2014 vom 16. September 2014 hat das Bundesgericht dem Beschwerdeführer sodann in einem weiteren Beschwerdeverfahren zur vorliegenden Streitsache ausdrücklich beschieden, dass er für eine vorsorgliche Beweisführung nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege habe. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, ein Entzug sei nur bei "offensichtlicher Unrichtigkeit" der Verfügung vom 3. Oktober 2011 möglich, so ist ihm entgegenzuhalten, dass deren Unrichtigkeit nach dem Leitentscheid BGE 140 III 12 klarer gar nicht ins Auge springen könnte. Mit seiner Kritik am Widerruf der unentgeltlichen Rechtspflege scheint der Beschwerdeführer generell übersehen zu wollen, dass der Gesetzgeber mit Art. 120 ZPO bzw. Art. 256 Abs. 2 ZPO nun einmal die Möglichkeit vorgesehen hat, die unentgeltliche Rechtspflege nachträglich zu entziehen, und deren Bewilligung somit nie die Bestandessicherheit formeller Rechtskraft zukommt. 4. Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Verfügung vom 3. Oktober 2011 entspreche den "Vorgaben der Verfassung" und bleibe "somit rechtmässig"; ihr Widerruf sei unzulässig. Damit sowie mit seinen weiteren, sich mehrfach wiederholenden Rügen, die er auf den S. 9-44 seiner Beschwerdeschrift vorträgt, übt der Beschwerdeführer in der Sache weniger Kritik am angefochtenen Entscheid, als vielmehr an der mit BGE 140 III 12 eingeschlagenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, auf die sich die Zürcher Instanzen bei ihren Entscheiden gestützt haben: 4.1 Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV rügt, ist seine Rüge von vornherein BGE 141 I 241 S. 247 erfolglos. Gemäss dem ersten Satz dieser Norm hat zwar jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch eine richterliche Behörde. Das Bundesgericht hat jedoch klargestellt, dass sich daraus gerade kein Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt ( BGE 128 I 237 E. 3 S. 239; Urteil 2C_959/2012 vom 4. Oktober 2012 E. 2). Der Beschwerdeführer geht also fehl, wenn er aus Art. 29a BV einen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren ableiten will, wobei offenbleiben kann, ob dieses Verfahren überhaupt in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 29a BV fällt. 4.2 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Rechtsprechung von BGE 140 III 12 und ihre Anwendung im vorliegenden Fall bedeute eine Verletzung seines Rechts auf Zugang zum Gericht, auf unentgeltliche Rechtspflege und Waffengleichheit gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK . 4.2.1 Art. 6 Ziff. 1 EMRK gibt jedermann ein Recht darauf, in Bezug auf zivilrechtliche Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört zu werden. Gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus dem Recht auf ein Gericht ("right to a court") namentlich ein Recht auf Zugang zu einem Gericht ("right of access"; Urteil des EGMR Golder gegen das Vereinigte Königreich vom 21. Februar 1975 [Nr. 4451/70] § 36).Dieses Recht ist indessen nicht absolut, sondern kann Einschränkungen unterworfen sein, sofern es nicht geradezu in seinem Wesensgehalt ("dans sa substance même") betroffen wird (Urteil des EGMR Moor gegen die Schweiz vom 11. März 2014[Nr. 52067/10 und 41072/11] § 71 m.w.H; vgl. auch Urteil des EGMR Philis gegen Griechenland vom 27. August 1991 [Nr. 12750/87, 13780/88 und 14003/88] § 59 ["very essence ofthe right"]). Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK lässt sich namentlich kein Recht auf ein Verfahren betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen ableiten. Nach der Rechtsprechung des EGMR findet Art. 6 EMRK nämlich grundsätzlich keine Anwendung auf vorsorgliche Massnahmeverfahren, bei denen kein Urteil in der Sache ergeht ("no decision on the merits of the case"; Urteile des EGMR Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich vom 16. Januar 2003 [Nr.62763/00] § 2; Libert gegen Belgien vom 8. Juli 2004 [Nr. 44734/98] § 1b["(...)cette disposition ne s'applique pas à une procédure dans laquelle ne peuvent être prises que des mesures préliminaires ou provisoires qui BGE 141 I 241 S. 248 n'affectent pas le fond de l'affaire ou dans laquelle il n'est pas tranché une contestation"]). Art. 6 Ziff. 1 EMRK findet nur Anwendung auf Verfahren, in denen über zivilrechtliche Ansprüche und Pflichten in verbindlicher Weise abgesprochen wird ("proceedings determining civil rights and obligations"; "procédures portant sur des droits ou obligations de caractère civil"); ausnahmsweise ist Art. 6 Ziff. 1 EMRK daher immerhin auch in jenen Massnahmeverfahren zu beachten, in denen - für eine beschränkte Zeit - über genau jenes Recht in verbindlicher Weise geurteilt wird, über das anschliessend auch im Hauptverfahren zu urteilen ist ("mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu, quelle que soit la durée pendant laquelle elle a été en vigueur"; Urteil des EGMR Micallef gegen Malta vom 15. Oktober 2009 [Nr. 17056/06] § 83 ff.). 4.2.2 Während Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK für Strafverfahren ein Recht auf unentgeltliche Verbeiständung vorsieht, lässt sich aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK für zivilrechtliche Streitigkeiten kein entsprechendes Recht auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten (Urteil des EGMR Airey gegen Irland vom 9. Oktober 1979 [Nr. 6289/73] § 26).Nach der Rechtsprechung des EGMR gibt es einen klaren Unterschied zwischen dem Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK und Art. 6 Ziff. 1 EMRK , welch letzterer gerade keinen Hinweis auf Prozesskostenhilfe enthält (Urteil des EGMR Essaadi gegen Frankreich vom 4. September 2002 [Nr. 49384/99] § 30["La Cour souligne d'emblée que la Convention n'oblige pas à accorder l'aide judiciaire dans toutes les contestations en matière civile. En effet, il y a une nette distinction entre les termes de l'article 6 § 3 c), qui garantit le droit à l'aide judiciaire gratuite sous certaines conditions dans les procédures pénales, et ceux de l'article 6 § 1, qui ne renvoie pas du tout à l'aide judiciaire"]). 4.2.3 Mit dem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO , auf das die Bestimmungen über die vorsorglichen Massnahmen anwendbar sind ( Art. 158 Abs. 2 ZPO ), hat der schweizerische Gesetzgeber den Rechtssuchenden ein Instrument an die Hand gegeben, damit sie ihre Beweischancen in einem allenfalls einzuleitenden Prozess im Voraus abklären können. Im Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO geht es nur um die Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen sollen, ob er das Kostenrisiko eines Hauptprozesses eingehen und einen solchen BGE 141 I 241 S. 249 tatsächlich einleiten will. Es handelt sich mithin um ein Hilfsverfahren im Hinblick auf ein allfälliges Hauptverfahren ( BGE 140 III 12 E. 3.3 S. 12). In diesem Hilfsverfahren stehen noch keine materiellrechtlichen Rechte oder Pflichten zur Beurteilung; das Gericht beurteilt die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klagebegehren nicht und würdigt auch das vorsorglich erhobene Beweismittel nicht. Der gesuchstellenden Partei steht - wenn das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung durchgeführt wurde - lediglich ein gerichtlich erhobenes Beweismittel zur Verfügung, das ihr ermöglichen soll, die Nutzlosigkeit einer Klage zu erkennen, oder beiden Parteien eine vergleichsweise Regelung der Streitsache erleichtern soll ( BGE 140 III 12 E. 3.3.3 S. 13 f.). 4.2.4 Aus der Natur des vorsorglichen Beweisverfahrens ergibt sich, dass es sich dabei um ein Massnahmeverfahren handelt, auf das Art. 6 Ziff. 1 EMRK gemäss der Strassburger Rechtsprechung keine Anwendung findet. Es handelt sich nicht um "proceedings determining civil rights and obligations" und auch nicht um eine (zeitlich beschränkte) "mesure déterminante pour le droit ou l'obligation de caractère civil en jeu" (oben E. 3.2.1); es geht also nicht um die Beurteilung von zivilrechtlichen Ansprüchen und Pflichten, auch nicht um eine bloss vorübergehende, sondern ausschliesslich um die Erhebung von Beweismitteln vor einem allfälligen Hauptverfahren, mit welcher der gesuchstellenden Partei die Entschlussfassung erleichtert werden soll, ob sie das Kostenrisiko des Hauptverfahrens überhaupt eingehen will. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich mithin kein Recht auf Zugang auf das Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO . Ebenso wenig lässt sich aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ein genereller Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ableiten. Der Beschwerdeführer geht damit fehl, wenn er sich gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK einen kostenfreien Zugang zum vorsorglichen Beweisverfahren verschaffen will. Auch seine Hinweise auf den aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Anspruch auf Waffengleichheit zielen ins Leere, da diese Norm auf das vorsorgliche Beweisführungsverfahren gar keine Anwendung findet. 4.2.5 Mit seiner Rüge, der vorliegend zur Beurteilung stehende Entzug der unentgeltlichen Rechtspflege durch die Zürcher Instanzen verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK , scheint der Beschwerdeführer sodann ohnehin den Unterschied zwischen dem vorsorglichen Beweisführungsverfahren und dem eigentlichen Hauptverfahren übersehen BGE 141 I 241 S. 250 zu wollen. Der Zugang zu letzterem, bei dem es um die Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten geht und für das er gestützt auf Art. 116 ff. ZPO bzw. Art. 29 Abs. 3 BV auch die unentgeltliche Rechtspflege beantragen kann, steht dem Beschwerdeführer nämlich ohne Weiteres offen. Die schweizerische Rechtsordnung sieht mithin für die zivilrechtliche Streitigkeit zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin durchaus eine wirksame Möglichkeit vor, Rechtsschutz zu erhalten. Von einem Verstoss gegen Konventionsrecht kann keine Rede sein. 4.3 Der Beschwerdeführer rügt weiter einen Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 BV bzw. Art. 14 EMRK . Er macht geltend, mit dem Ausschluss des Verfahrens nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO aus dem Anwendungsbereich der unentgeltlichen Rechtspflege stehe dieses Instrument nur noch Vermögenden zur Verfügung, während Mittellose hierzu keinen Zugang hätten. Darin liege eine unzulässige Ungleichbehandlung bzw. sogar eine Diskriminierung, da die Ungleichbehandlung an das Merkmal der sozialen Stellung anknüpfe und die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen" vom vorsorglichen Beweisführungsverfahren ausschliesse. 4.3.1 Dem in Art. 14 EMRK verankerten Diskriminierungsverbot kommt kein selbständiger Charakter zu; vielmehr setzt diese Bestimmung die Anwendbarkeit einer anderen Grundrechtsgarantie der EMRK voraus ( BGE 134 I 257 E. 3 S. 260; BGE 130 II 137 E. 4.2 S. 146; je mit Hinweisen). Da Art. 6 Ziff. 1 EMRK keinen kostenlosen Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren verbürgt und der Beschwerdeführer auch keine andere Norm der EMRK nennt, die durch das angefochtene Urteil verletzt worden sein könnte, stösst die Rüge der Verletzung von Art. 14 EMRK von vornherein ins Leere. 4.3.2 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich ( Art. 8 Abs. 1 BV ). Niemand darf diskriminiert werden, namentlich u.a. nicht wegen der sozialen Stellung ( Art. 8 Abs. 2 BV ). Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen ( BGE 135 I 49 E. 4.1). Die Verfassungsbestimmung fällt allgemein in Betracht, wenn eine mehr oder BGE 141 I 241 S. 251 weniger bestimmbare Gruppe von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht ist ( BGE 135 I 49 E. 4.2). Das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise die soziale Stellung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Diese kann indes durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre ( BGE 135 I 49 E. 4.1; BGE 126 II 377 E. 6 S. 392; BGE 134 I 49 E. 3 S. 53; BGE 132 I 49 E. 8.1 S. 65, BGE 129 I 167 E. 3 S. 169; BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 223, BGE 129 I 392 E. 3.2.2 S. 397; BGE 126 V 70 E. 4c/bb S. 73). 4.3.3 Es trifft zu, dass von einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren faktisch ausgeschlossen bleibt, wer die dazu notwendigen Beweisführungskosten nicht vorschiessen kann. Ob dieser Umstand damit das Diskriminierungsverbot nach Art. 8 Abs. 2 BV tangiert, ist jedoch bereits im Ansatz fraglich. Wäre die Gruppe der "Menschen ohne hinreichendes Vermögen", zu denen sich der Beschwerdeführer zählt, nämlich generell als solche i.S.v. Art. 8 Abs. 2 BV zu qualifizieren, hätte dies die fragwürdige Konsequenz, dass nahezu jede entgeltliche staatliche Leistung das Diskriminierungsverbot tangieren könnte. Zu Recht wird in der Lehre denn auch darauf hingewiesen, dass das Diskriminierungsverbot sich nicht auf die Einebnung tatsächlich vorhandener Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet (BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von Art. 8 Abs. 2 BV als besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 756). 4.3.4 Die Frage braucht aber nicht vertieft zu werden. Denn der Beschwerdeführer wird als (angeblich) Mittelloser nicht ungleich behandelt und schon gar nicht diskriminiert, nur weil ihm kein kostenloser Zugang zum vorsorglichen Beweisführungsverfahren gewährt wird. Er und andere Personen in vergleichbarer wirtschaftlicher Situation sind dadurch nicht von gesellschaftlicher Herabwürdigung und Abwertung oder Ausgrenzung nach stereotypen Vorurteilen bedroht. Der Beschwerdeführer wird auch nicht besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre. BGE 141 I 241 S. 252 Denn wie oben ausgeführt, dient das Verfahren nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO nicht der Beurteilung von materiellrechtlichen Rechten und Pflichten, sondern lediglich der Gewinnung von Informationen in Form von potentiellen Beweismitteln, die dem Rechtssuchenden bei seiner Entschlussfassung helfen können, ob er das Kostenrisiko eines Prozesses eingehen und einen solchen tatsächlich einleiten will. Eine Person, deren Vermögen für einen Prozess grundsätzlich ausreicht, ist auf solche Informationen angewiesen, da sie bei einem Misserfolg des Hauptprozesses vollumfänglich für die Prozesskosten aufzukommen hat ( Art. 106 Abs. 1 ZPO ). Demgegenüber ist eine Person, die nicht über die für eine Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt ( Art. 117 lit. a ZPO ), auf diese Informationen gerade viel weniger angewiesen, kann sie doch ohne Risiko, auf den Gerichtskosten sitzen zu bleiben, ein Hauptverfahren einleiten. Wenn ihr Begehren nicht geradezu aussichtslos ist ( Art. 117 lit. b ZPO ), sich also Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese ( BGE 140 V 521 E. 9.1 S. 537), kann eine bedürftige Person ein Klageverfahren einleiten, wobei die Gerichtskosten selbst dann vom Staat getragen werden, wenn die Klage abgewiesen wird. Eine Person, die über die zur Prozessführung erforderlichen Mittel verfügt, ist demgegenüber einem Kostenrisiko ausgesetzt. Mit einem vorsorglichen Beweisführungsverfahren kann ihr deshalb immerhin ermöglicht werden, ihre Prozesschancen besser abzuklären, um ein Verfahren erst dann einzuleiten, wenn sich die Gewinnaussichten und Verlustgefahren nicht nur ungefähr die Waage halten, sondern jene diese klar überwiegen. Der Beschwerdeführer wird nicht diskriminiert, wenn ihm für das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO ein Kostenvorschuss auferlegt wird: Ihm steht offen, sogleich ein Hauptverfahren einzuleiten und hierfür die unentgeltliche Rechtspflege zu beantragen. Soweit der Beschwerdeführer aus einer ganzen Kaskade von völkerrechtlichen Verpflichtungen und Rechten der Schweizerischen Bundesverfassung einen Anspruch auf weitgehend risikoloses Prozessieren auf Kosten der Allgemeinheit ableiten will, kann ihm damit kein Erfolg beschieden sein.
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1,259,193,600,000
2,009
de
Sachverhalt ab Seite 34 BGE 136 V 33 S. 34 A. Der 1964 geborene türkische Staatsangehörige B. reiste 1989 erstmals in die Schweiz ein, wo er von 1990 bis 1994 bei der Firma Z. AG tätig war. 1994 kehrte er nach Ablehnung seines Asylgesuchs in die Türkei zurück, wobei seine geleisteten AHV/IV/EO-Beiträge gemäss Art. 10a Abs. 1 des Abkommens vom 1. Mai 1969 zwischen der Schweiz und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit (SR 0.831.109.763.1) an die türkische Sozialversicherung überwiesen wurden. Am 19. Juli 1999 reiste er erneut in die Schweiz ein. Am BGE 136 V 33 S. 35 22. Juli 2002 wurde er hier als Flüchtling anerkannt und es wurde ihm Asyl gewährt. Er besitzt die Niederlassungsbewilligung C. Am 29. März 2007 meldete sich B. bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Umschulung) an. Nach medizinischen Abklärungen und durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle Bern mit Verfügungen vom 20. November 2008 sowohl einen Anspruch auf berufliche Massnahmen als auch einen Rentenanspruch, da die versicherungsmässigen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. B. Mit Beschwerde vom 22. Dezember 2008 beantragte B., die Verfügungen vom 20. November 2008 seien aufzuheben, und es sei die Angelegenheit zur erneuten Prüfung der gesetzlichen Leistungsansprüche an die IV-Stelle zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 24. April 2009 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Beschwerde ab. C. B. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Sache zur ergänzenden Beurteilung der ihm zustehenden Leistungen an die IV-Stelle zurückzuweisen. Ausserdem beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
415
319
Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beschwerde richtet sich sowohl gegen die vorinstanzliche Verneinung eines Rentenanspruchs als auch gegen die Verweigerung beruflicher Massnahmen (...). Streitig ist, ob Vorinstanz und Verwaltung die versicherungsmässigen Voraussetzungen der genannten Leistungen zu Recht als nicht erfüllt erachtet haben. 3. 3.1 Im kantonalen Entscheid werden die für schweizerische und ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz geltenden versicherungsmässigen und leistungsspezifischen Voraussetzungen des Anspruchs auf (ordentliche und ausserordentliche) Rentenleistungen sowie auf (berufliche) BGE 136 V 33 S. 36 Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung zutreffend dargelegt (vgl. Art. 6 Abs. 1 und - hier interessierend - Art. 6 Abs. 2 Satz 1 IVG in Verbindung mit Art. 13 ATSG [SR 830.1]; Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 IVG [in der bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung]; Art. 39 IVG in Verbindung mit Art. 42 erster Satz AHVG; Art. 8 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 3 IVG ; Art. 8 ATSG ). Darauf wird verwiesen. 3.2 3.2.1 Wie vorinstanzlich ebenfalls richtig dargelegt, ist mit Bezug auf anerkannte Flüchtlinge überdies Art. 24 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention, FK; SR 0.142.30) zu beachten (vgl. auch Art. 58 f. des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]). Dessen Ziff. 1 lautet, soweit hier von Interesse: 1. Die vertragsschliessenden Staaten gewähren den rechtmässig auf ihrem Gebiet sich aufhaltenden Flüchtlingen die gleiche Behandlung wie Einheimischen mit Bezug auf: a) ... b) die soziale Sicherheit (gesetzliche Bestimmungen über Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Mutterschaft, Krankheit, Invalidität, Alter und Todesfall, Arbeitslosigkeit, Familienlasten sowie über alle andern Risiken, die nach der Landesgesetzgebung durch eine umfassende Sozialversicherung gedeckt sind), vorbehältlich: (i) ... (ii) der besondern durch die Landesgesetzgebung des Aufenthaltslandes vorgeschriebenen Bestimmungen, die Leistungen oder Teilleistungen ausschliesslich aus öffentlichen Mitteln vorsehen, sowie Zuwendungen an Personen, die die Bedingungen für die Auszahlung einer normalen Rente nicht erfüllen. Auf diese self-executing-, d.h. innerstaatlich unmittelbar anwendbare Bestimmung können sich Leistungsansprecherinnen und -ansprecher ab dem Datum der Anerkennung als Flüchtling (hier: 22. Juli 2002; vgl. BGE 115 V 4 ), aber nicht rückwirkend, berufen ( BGE 135 V 94 E. 4; siehe auch bereits Urteil des ehemaligen Eidg. Versicherungsgerichts C 162/79 vom 12. November 1980; JÜRG BRECHBÜHL, Die Rechtsstellung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in den schweizerischen Sozialversicherungen, Soziale Sicherheit 1996 S. 143 ff., 146; EDGAR IMHOF, Ausländer/innen von ausserhalb der EU/EFTA und Sozialversicherungen - ein Überblick, SZS 2006 S. 433 ff., 451). BGE 136 V 33 S. 37 3.2.2 Mit Blick auf die Flüchtlingskonvention (E. 3.2.1 hievor) hat der Gesetzgeber gestützt auf Art. 34 quater aBV (heute: Art. 112 BV ) den Bundesbeschluss vom 4. Oktober 1962 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung erlassen (FlüB; SR 831.131.11; hier massgebend in der Fassung gemäss Ziff. 2 Anhang Bundesgesetz vom 7. Oktober 1994 [10. AHV-Revision], in Kraft seit 1. Januar 1997[AS1996 2466, 2488; BBl 1990 II 1]). Art. 1 FlüB sieht vor, dass Flüchtlinge und Staatenlose mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Bürger Anspruch auf eine ordentliche Rente der Alters- und Hinterlassenen- sowie der Invalidenversicherung haben. Gleiches gilt für ausserordentliche Renten, wenn sich die Flüchtlinge unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von welchem an die Rente verlangt wird, ununterbrochen fünf Jahre in der Schweiz aufgehalten haben ( Art. 1 Abs. 2 FlüB ). Bezüglich des Anspruchs auf Eingliederungsmassnahmen bestimmt Art. 2 FlüB : 1 Erwerbstätige Flüchtlinge mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz haben unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Bürger Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung, wenn sie unmittelbar vor dem Eintritt der Invalidität Beiträge an die Invalidenversicherung entrichtet haben. 2 Die Nichterwerbstätigen sowie die minderjährigen Kinder mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz haben als Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Bürger Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung, wenn sie sich unmittelbar vor Eintritt der Invalidität ununterbrochen während mindestens eines Jahres in der Schweiz aufgehalten haben. Den minderjährigen Kindern mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz steht dieser Anspruch überdies zu, wenn sie in der Schweiz invalid geboren sind oder sich seit der Geburt ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten haben. 4. 4.1 Hinsichtlich des umstrittenen Rentenanspruchs hat die Vorinstanz zutreffend geprüft, ob der Beschwerdeführer bei Eintritt der Invalidität während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet hat, wie dies auch für Schweizer Bürger verlangt wird ( Art. 36 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 FlüB ). Dazu stellte sie fest, der Beschwerdeführer sei bereits bei seiner Einreise in die Schweiz in erheblichem Masse arbeitsunfähig gewesen, was mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die zwischen 1995 und 1999 in der Türkei erlebte Folter zurückzuführen sei. Der Invaliditätsfall BGE 136 V 33 S. 38 sei daher bei der Einreise in die Schweiz im Jahre 1999 bereits eingetreten gewesen. Die in den Jahren 1990 bis 1994 geleisteten Beiträge könnten nicht anerkannt werden, da diese bei der Rückkehr im Jahre 1994 rückabgewickelt worden seien. Der Beschwerdeführer habe daher die Voraussetzungen gemäss Art. 36 Abs. 1 IVG nicht erfüllt. 4.2 Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen, wonach er bei der (erneuten) Einreise im Jahre 1999 bereits invalid gewesen sei, und wonach die von ihm in den Jahren 1990 bis 1994 geleisteten Beiträge bei der Rückreise im Jahre 1994 rückabgewickelt worden seien, nach Lage der Akten zu Recht nicht als offensichtlich unrichtig oder als Ergebnis willkürlicher oder sonst rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung. Sie sind daher für das Bundesgericht verbindlich ( Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG ). 4.3 Umstritten ist hingegen die Rechtsfrage, ob die in den Jahren 1990 bis 1994 geleisteten Beiträge trotz Rückvergütung gemäss Art. 10a des schweizerisch-türkischen Sozialversicherungsabkommens als "geleistete Beiträge" im Sinne von Art. 36 Abs. 1 IVG zu verstehen seien, wie der Beschwerdeführer geltend macht. 4.3.1 Nach dem deutschen und italienischen Wortlaut von Art. 36 Abs. 1 IVG ("... Beiträge geleistet haben"; "... hanno pagato i contributi") wäre es nicht ausgeschlossen, die streitigen Beiträge zu berücksichtigen, wurden diese doch seinerzeit "geleistet". Der Sinn der Bestimmung liegt aber offensichtlich darin, dass im Sinne einer Mindestversicherungszeit die Beiträge geleistet und bei der schweizerischen Sozialversicherung noch vorhanden sind; in diese Richtung weist denn auch der französische Wortlaut "compte ... de cotisations". Dafür spricht auch die Analogie zum AHV-Recht, welchem Art. 36 Abs. 1 IVG nachgebildet ist (ULRICH MEYER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 1997, S. 248 f.): Die Rückvergütung von AHV-Beiträgen bewirkt den Ausschluss eines aus diesen Beiträgen abgeleiteten, anwartschaftlich bestehenden Rentenanspruchs ( Art. 18 Abs. 3 AHVG in Verbindung mit Art. 6 der Verordnung vom 29. November 1995 über die Rückvergütung der von Ausländern an die Alters- und Hinterlassenenversicherung bezahlten Beiträge [RV-AHV; SR 831.131.12] ; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 48/05 vom 28. Juni 2005 E. 2.1). Diese Konsequenz ergibt sich schliesslich auch klar aus Art. 10a Abs. 2 des BGE 136 V 33 S. 39 schweizerisch-türkischen Sozialversicherungsabkommens (vgl. vorne lit. A): Danach können türkische Staatsangehörige, deren Beiträge - wie dies beim Beschwerdeführer der Fall war - nach Abs. 1 an die türkische Sozialversicherung überwiesen wurden, gegenüber der schweizerischen AHV und IV aufgrund dieser Beiträge keinerlei Ansprüche mehr geltend machen. Mit der Auszahlung der Beiträge verzichtet der Ausländer definitiv auf entsprechende Leistungen der schweizerischen AHV/IV (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 383/00 vom 12. Juli 2001 E. 3c). Diese Regelung ist auch im Ergebnis nicht unbillig; denn die entsprechenden Beiträge werden gemäss Art. 10a Abs. 3 des Abkommens an den zuständigen türkischen Versicherungsträger weitergeleitet und für den Erwerb des Anspruchs auf eine türkische Rente den türkischen Beiträgen und Zeiten gleichgestellt; ergibt sich aus der Überweisung für den Versicherten kein Vorteil aus der türkischen Rentenversicherung, so zahlt der zuständige Träger dem Berechtigten die überwiesenen Beiträge aus. Diese sind somit für den Beschwerdeführer nicht verloren, sondern werden im Sinne einer völkerrechtlich geregelten und damit für das Bundesgericht verbindlichen ( Art. 190 BV ) internationalen Koordinationsregelung im Rahmen der türkischen, und nicht mehr der schweizerischen Sozialversicherung berücksichtigt. 4.3.2 Zu prüfen ist, ob die streitigen Beiträge aufgrund von Art. 24 FK (E. 3.2.1 hievor) anzurechnen sind. Wäre der Beschwerdeführer 1994, im Zeitpunkt seiner ersten Ausreise aus der Schweiz, Schweizer Bürger gewesen, hätten die Beiträge weder nach Art. 10a des schweizerisch-türkischen Abkommens noch nach Art. 18 Abs. 3 AHVG rückvergütet werden können. Sie würden heute als geleistet gelten, so dass die Voraussetzung von Art. 36 Abs. 1 IVG erfüllt wäre. Indessen unterstand der Beschwerdeführer bis zu seiner Anerkennung als Flüchtling dem schweizerisch-türkischen Abkommen und erst seither der Flüchtlingskonvention, auf die er sich aber nicht rückwirkend berufen kann (E. 3.2.1 hievor). Er ist somit - aufgrund von Art. 24 FK - gleich zu behandeln, wie wenn er im Zeitpunkt des Erwerbs des Flüchtlingsstatus (22. Juli 2002) das Schweizer Bürgerrecht erhalten hätte. In diesem Falle könnten die vorher der türkischen Sozialversicherung zurückerstatteten Beiträge nicht wieder rückwirkend der schweizerischen AHV gutgeschrieben werden, und sie müssten im Lichte von Art. 36 Abs. 1 IVG ausser Betracht bleiben. Würden die Beiträge, wie vom Beschwerdeführer verlangt, berücksichtigt, wäre er (für die Zeit ab seiner Anerkennung als BGE 136 V 33 S. 40 Flüchtling) nicht gleich, sondern besser behandelt als ein Schweizer Bürger in gleicher Lage. 4.3.3 Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer aufgrund von Art. 36 Abs. 1 IVG keinen Anspruch auf eine ordentliche Rente der Invalidenversicherung hat. Dass der negative Asylentscheid, in dessen Folge der Beschwerdeführer 1994 in die Türkei zurückreiste, nach seiner Auffassung falsch war, ändert daran nichts. 4.4 Zutreffend hat die Vorinstanz sodann erkannt, dass auch kein Anspruch auf eine ausserordentliche Rente der Invalidenversicherung besteht, da der Beschwerdeführer nicht - wie (auch) für die Anspruchsberechtigung von Schweizer Bürgern vorausgesetzt - während der gleichen Zahl von Jahren wie sein Jahrgang versichert war ( Art. 39 Abs. 1 IVG [in Verbindung mit Art. 24 FK ] in Verbindung mit Art. 42 Abs. 1 AHVG ). 5. 5.1 Den ebenfalls strittigen Anspruch auf berufliche Massnahmen hat die Vorinstanz gestützt auf Art. 2 FlüB (E. 3.2.2 hievor) geprüft und ihn - analog zum Rentenanspruch (vgl. E. 4.1 hievor) - mit der Begründung verneint, die leistungsspezifische Invalidität sei bereits vor der Einreise in die Schweiz eingetreten; da der Beschwerdeführer somit unmittelbar vor Eintritt der Invalidität keine Beiträge an die Invalidenversicherung geleistet habe, seien die Leistungsvoraussetzungen gemäss Art. 2 Abs. 1 FlüB nicht erfüllt. 5.2 Der Beschwerdeführer bestreitet (auch diesbezüglich, vgl. vorne E. 4.2) nicht, dass die leistungsspezifische Invalidität vor der Einreise in die Schweiz eingetreten ist. Er macht aber geltend, die in Art. 2 Abs. 1 FlüB statuierte Voraussetzung der Beitragsentrichtung (und des ununterbrochenen, einjährigen Aufenthalts in der Schweiz gemäss Art. 2 Abs. 2 FlüB ) unmittelbar vor Invaliditätseintritt stelle eine gegen Art. 24 FK verstossende Ungleichbehandlung von Flüchtlingen gegenüber Schweizer Bürgern dar; die Bestimmung sei daher nicht anwendbar. 5.3 Seit der Aufhebung der Versicherungsklausel in der Invalidenversicherung (Änderung von Art. 6 Abs. 1 IVG gemäss Bundesgesetz vom 23. Juni 2000, in Kraft ab 1. Januar 2001, AS 2000 2677; BBl 1999 4983) ist für den Anspruch von Schweizer Bürgern auf Eingliederungsmassnahmen nicht mehr vorausgesetzt, dass sie im Zeitpunkt des Eintritts der leistungsbegründenden Invalidität versichert waren (SVR 2009 IV Nr. 54 S. 168, 9C_1042/2008 E. 4; SVR BGE 136 V 33 S. 41 2007 IV Nr. 20 S. 70, I 142/04 E. 6.3; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 617/00 vom 19. Juni 2001 E. 3). Zu prüfen ist nachfolgend, ob der Beschwerdeführer als anerkannter Flüchtling unmittelbar aus Art. 24 FK (vgl. E. 3.2.1 hievor) einen Anspruch auf diesbezügliche Gleichbehandlung mit Schweizer Bürgern ableiten kann mit der Folge, dass Art. 2 FlüB im Widerspruch zur Flüchtlingskonvention stünde. 5.4 Art. 24 Ziff. 1 lit. b/ii FK erlaubt den Vertragsstaaten, für zwei Kategorien von Leistungen Ausnahmen vom Grundsatz der Inländergleichbehandlung vorzusehen: Einerseits werden genannt (Teil-) Leistungen "ausschliesslich aus öffentlichen Mitteln". Es handelt sich dabei um Leistungen, die nicht mit Versicherungsbeiträgen, sondern aus allgemeinen Mitteln des Staates finanziert werden, wie etwa die Sozialhilfe- oder Fürsorgeleistungen (vgl. Urteil 2P.298/1999 vom 12. April 2000 E. 3). Darunter fallen die Leistungen der Invalidenversicherung mit Ausnahme der Hilflosenentschädigungen nicht ( Art. 77 IVG ). Andererseits sind vorbehalten "Zuwendungen an Personen, die die Bedingungen für die Auszahlung einer normalen Rente nicht erfüllen". In den massgebenden (vgl. Schlussklausel FK sowie Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 2004 über die Sammlungen des Bundesrechts und das Bundesblatt [Publikationsgesetz, PublG; SR 170.512] ) französischen und englischen Fassungen lautet die Bestimmung "ainsi que les allocations versées aux personnes qui ne réunissent pas les conditions de cotisation exigées pour l'attribution d'une pension normale" bzw. "and concerning allowances paid to persons who do not fulfil the contribution conditions prescribed for the award of a normal pension". Auf diesen Vorbehalt hat sich die Vorinstanz berufen, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichts 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 5, wonach Art. 2 FlüB auf bundesgesetzlicher Ebene nach innerstaatlichem Recht einen (zulässigen) Vorbehalt im Sinne von Art. 24 Ziff. 1 lit. b/ii FK enthalte. Der Beschwerdeführer bestreitet diese Argumentation. 5.5 Der Beschwerdeführer erfüllt die beitragsmässigen Bedingungen für eine ordentliche Rente nicht (E. 4.1-4.3). Die hier umstrittenen Leistungen fallen damit unter den Wortlaut von Art. 24 Ziff. 1 lit. b/ii FK (vgl. den massgebenden französischen und englischen Wortlaut, woraus klar hervorgeht, dass die beitragsmässigen Voraussetzungen gemeint sind; E. 5.4 hievor). Mit den in Art. 24 Ziff. 1 lit. b/ii FK erwähnten "Zuwendungen" sind zwar in erster Linie BGE 136 V 33 S. 42 diejenigen Leistungen gemeint, die in diesem Falle anstelle einer ordentlichen Rente erbracht werden, wie die altrechtlichen ausserordentlichen Renten der AHV/IV (IMHOF, a.a.O., S. 450). Der Wortlaut schliesst aber nicht aus, dass auch für andere Leistungen, namentlich Eingliederungsmassnahmen, an Personen, welche die beitragsmässigen Voraussetzungen nicht erfüllen, die inländische Regelung vorbehalten bleibt. 5.6 Eine den Wortlaut einschränkende Auslegung drängt sich mit Blick auf die Entstehungsgeschichte nicht auf: 5.6.1 Im ursprünglichen Entwurf des Sekretariats des Wirtschafts- und Sozialrats der UNO zur Flüchtlingskonvention war in Art. 16 eine Gleichbehandlung der Flüchtlinge mit den Einheimischen in Bezug auf die Arbeitsgesetzgebung sowie auf die "victims of industrial accidents" vorgesehen gewesen, in Art. 17 eine Gleichbehandlung in Bezug auf soziale Sicherheit, unter Hinweis darauf, dass eine Anzahl internationaler Verträge, namentlich im Rahmen der Internatio-nalen Arbeitsorganisation (IAO), eine Gleichstellung von Auslän-dern und Staatsangehörigen vorsähen (Ad Hoc Committee on Statelessness and Related Problems, Status of Refugees and Stateless Persons - Memorandum by the Secretary-General [3. Januar 1950], Annex - Preliminary Draft Convention Relating to the Status of Refugees [and Stateless People], zit. nach TAKKENBERG/TAHBAZ, The Collected Travaux préparatoires of the 1951 Geneva Convention relating to the Status of Refugees, Amsterdam 1989, Vol. I, S. 118 ff., 136; vgl. auch http://www.unhcr.org/3ae68c280.html ). Die beiden Artikel wurden in der Folge zusammengefasst und in Übereinstimmung mit Art. 6 des am 22. Januar 1952 in Kraft getretenen (von der Schweiz nicht ratifizierten) IAO-Übereinkommens Nr. 97 von 1949 über Wanderarbeiter formuliert (Ad hoc Committee on Statelessness and Related Problems, Summary Record of the Twenty-Third Meeting [3. Februar 1950], zit. nach TAKKENBERG/TAHBAZ, a.a.O., S. 321 ff.; zur Entstehungsgeschichte vgl. auch The Refugee Convention 1951, The Travaux Préparatoires Analysed, with a Commentary by the Late Dr. PAUL WEIS, Cambridge 1995, S. 177 ff.). Damit wurde eine Koordination von Flüchtlings- und allgemeinem Migrationsrecht angestrebt und auf den Umstand Rücksicht genommen, dass viele Staaten gewisse Sozialversicherungsleistungen nicht unterschiedslos den eigenen und ausländischen Staatsangehörigen zukommen lassen. Mit dem Vorbehalt gemäss Art. 24 Ziff. 1 lit. b FK wurde somit bewusst auf eine vollständige Gleichbehandlung BGE 136 V 33 S. 43 der Flüchtlinge mit den Inländern verzichtet. Darüber, welche Leistungen im Einzelnen unter diesen Vorbehalt fallen, geben die Materialien zur Flüchtlingskonvention, soweit ersichtlich, keinen Aufschluss. 5.6.2 Bei der Ratifikation der Flüchtlingskonvention führte der Bundesrat aus, zu Art. 24 müssten Vorbehalte angebracht werden, da das AHVG für Schweizer Bürger praktisch keine Karenzfrist kenne, so dass Flüchtlinge schon nach einem einzigen Beitragsjahr Anspruch auf eine ordentliche Mindestrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung hätten (Botschaft vom 9. Juli 1954 zum Beschlussesentwurf über die Genehmigung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BBl 1954 II 78 f. zu Art. 24 FK ). Die Schweiz fügte deshalb einen (später zurückgezogenen, vgl. ARV 1981 S. 53, C 162/79 E. 2) Vorbehalt zu Art. 24 FK an, wonach der Anspruch auf eine volle ordentliche AHV-Rente eine Mindestaufenthaltsdauer voraussetzte (AS 1955 441 f.). Die später erfolgte Einführung der Invalidenversicherung bot Anlass, das Statut der Flüchtlinge in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zu überprüfen. Resultat dieser Überprüfung war der Erlass des FlüB (vgl. E. 3.2.2 hievor). In der Botschaft dazu führte der Bundesrat aus, eine Ausdehnung des im Bereich der Alters- und Hinterlassenenversicherung angebrachten Vorbehalts auf die Invalidenversicherung sei nicht möglich gewesen, so dass Wege hätten gesucht werden müssen, um eine ungleiche Behandlung der Flüchtlinge in den beiden Versicherungswerken zu vermeiden. In diesem Sinne sei nach Fühlungnahme mit dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und den für Flüchtlingsfragen zuständigen schweizerischen Stellen der FlüB ausgearbeitet worden, der davon ausgehe, dass die Schweiz den Vorbehalt zurückziehe. Damit würden die in der Schweiz wohnhaften Flüchtlinge wenigstens in Bezug auf die normalen Renten den Schweizer Bürgern gleichgestellt. Die Flüchtlingskonvention sei indes nicht umfassend, sondern behalte für Leistungen an Flüchtlinge, die die Bedingungen für die Auszahlung einer normalen Rente nicht erfüllten, die Gesetzgebung des Aufenthaltslandes vor; als solche Leistungen hätten die (beitragslosen) ausserordentlichen Renten sowie die Eingliederungsmassnahmen zu gelten (Botschaft vom 19. Januar 1962 zum Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, BBl 1962 I 238 f. Ziff. II/1). Daher wurden in Art. 2 FlüB die Voraussetzungen für BGE 136 V 33 S. 44 Eingliederungsmassnahmen abweichend von den für Schweizer Bürger geltenden festgesetzt, indem - in Anlehnung an die für ordentliche Renten geltende Regelung - ein Beitragsjahr (bzw. in bestimmten Fällen ein Aufenthaltsjahr) unmittelbar vor Eintritt der Invalidität verlangt wurde. 5.6.3 Daraus ergibt sich, dass mit Art. 2 FlüB nicht etwa eine Abweichung von der Flüchtlingskonvention beabsichtigt war, sondern vielmehr davon ausgegangen wurde, dass die damit eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen voll gewahrt wurden (ZAK 1963 S. 102 ff.). Dabei fällt ins Gewicht, dass gemäss den Ausführungen in der Botschaft der FlüB in Abstimmung mit den für Flüchtlinge zuständigen internationalen und nationalen Stellen ausgearbeitet wurde. Hätten diese einen Widerspruch zwischen der Regelung im FlüB und der Flüchtlingskonvention erblickt, wäre dieser zweifellos thematisiert worden. 5.6.4 Im Rahmen der 10. AHV-Revision wurde Art. 2 FlüB dahingehend revidiert, dass für erwerbstätige Flüchtlinge kein Beitragsjahr mehr verlangt wurde, sondern nur noch, dass sie unmittelbar vor dem Eintritt der Invalidität Beiträge an die Invalidenversicherung entrichtet haben. Für nichterwerbstätige Flüchtlinge wurde die einjährige Karenzfrist beibehalten. Diese Regelung bezweckte, die Rechtsstellung der Flüchtlinge der Entwicklung im Bereich der zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen anzupassen (Botschaft vom 5. März 1990 über die zehnte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1990 II 106 f. Ziff. 54), getreu den Verpflichtungen aus Art. 24 Abs. 3 FK , wonach die Vorteile der zwischen den Staaten geschlossenen Abkommen auf die Flüchtlinge auszudehnen sind, ohne aber deren völlige Gleichstellung mit den Einheimischen herzustellen. Auch hier ist nicht ersichtlich, dass seitens der für Flüchtlinge zuständigen Stellen eine Völkerrechtswidrigkeit moniert worden wäre. 5.7 In der Literatur wird die Regelung des FlüB entweder kommentarlos wiedergegeben (ACHERMANN/HAUSAMMANN, Handbuch des Asylrechts, 1991, S. 395; UELI KIESER, Ausländische Personen und soziale Sicherheit, in: Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, S. 73 ff., 96 f.; WEIS, a.a.O., S. 191) oder bloss rechtspolitisch kritisiert (ELLEN SCHMID-WINTER, Die Rechtsstellung des Flüchtlings, insbesondere in der Sozialversicherung, 1982, S. 124 ff.), aber nicht etwa als unvereinbar mit der Flüchtlingskonvention betrachtet (unklar IMHOF, a.a.O., S. 450 f.). BGE 136 V 33 S. 45 Im Urteil I 551/98 vom 29. Juni 1999 hat denn auch das Eidg. Versicherungsgericht die revidierte Fassung von Art. 2 FlüB angewendet, ohne die Vereinbarkeit mit Art. 24 FK in Frage zu stellen (a.a.O., E. 5 und 6). Auch in dem von der Vorinstanz zitierten Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 hat das Bundesgericht, wenn auch bloss obiter, Art. 2 FlüB als eine in Bezug auf Eingliederungsmassnahmen vorbehaltene Bestimmung des Landesrechts im Sinne von Art. 24 Ziff. 1 lit. b/ii FK bezeichnet. Nach dem Gesagten besteht kein triftiger Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. 5.8 Die Vorinstanz hat somit zu Recht auch den Anspruch des Beschwerdeführers auf berufliche Massnahmen verneint.
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Sachverhalt ab Seite 248 BGE 112 Ia 248 S. 248 Die vietnamesische Staatsangehörige L. gebar im Jahre 1981 die Tochter L. Herr S. anerkannte die Tochter als sein Kind. Die Vaterschaft wurde angefochten. Im Zivilverfahren ordnete das Bezirksgericht Schwyz in den Jahren 1984/85 ein serologisch-erbbiologisches Gutachten an und verpflichtete hierfür u.a. die Tochter L. zur Duldung einer Blutentnahme durch das Gerichtsmedizinische Institut der Universität Zürich. Die Mutter L. widersetzte sich dieser Massnahme an ihrer Tochter. Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz bestätigte auf Beschwerde hin die Pflicht der Tochter L., die Blutentnahme zu dulden. Gegen diesen Entscheid reichte u.a. die Tochter L. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in diesem Punkte ab. BGE 112 Ia 248 S. 249
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Erwägungen Auszug aus den Erwägungen: 3. Eine Blutentnahme zur Erstattung eines serologisch-erbbiologischen Gutachtens stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität der Beschwerdeführerin und damit einen Eingriff in das ungeschriebene Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit dar. Solche Eingriffe sind zulässig, soweit sie auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und dem Gebot der Verhältnismässigkeit entsprechen; zudem darf die persönliche Freiheit weder völlig unterdrückt, noch ihres Gehaltes als Institution der Rechtsordnung entleert werden ( BGE 109 Ia 281 , mit Hinweisen). Von einer Beeinträchtigung des Kerngehalts dieses ungeschriebenen Grundrechts kann bei der streitigen Blutentnahme nicht gesprochen werden. Die gesetzliche Grundlage zur Duldung von Blutentnahmen für die Feststellung der Abstammung findet sich in Art. 254 Ziff. 2 ZGB . Die Mitwirkungspflicht der Parteien und einzubeziehender Dritter ist hier so eindeutig geregelt, das Zweifel an der Tragweite dieser Bestimmung und damit an der gesetzlichen Grundlage ausgeschlossen sind. Das öffentliche Interesse daran, dass ein die Vaterschaftsfrage betreffender Zivilprozess unter Ausschöpfung aller bekannten Beweismittel durchgeführt und abgeschlossen werden kann, bedarf keiner weiteren Begründung. Zur Beurteilung steht somit einzig noch die Frage, ob die Blutentnahme im vorliegenden Falle verhältnismässig sei. Es ist unbestritten, dass die Blutentnahme namentlich bei Kleinkindern nicht ausnahmslos in jedem Falle durchgesetzt werden kann. Indessen sind Ausnahmen nur dann anzuerkennen, wenn eine konkrete Gefahr für die Gesundheit dargetan ist und diese Gefahr nicht durch besondere Modalitäten der Untersuchung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, was heute fast immer möglich ist (vgl. CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar, 4. Auflage 1984, N. 90 zu Art. 254 ZGB ; Bruno Hug, Die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach dem neuen Schweizer Kindesrecht, Freiburger Diss. 1977, S. 175; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 30. April 1984 i.S. Ch.). Im vorliegenden Fall sind entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin solche besonderen Umstände, die eine konkrete Gefährdung von Leben oder Gesundheit befürchten liessen, in keiner Weise dargetan. Insbesondere kann daraus, dass die Mutter der Beschwerdeführerin als Kind anlässlich einer Bluttransfusion ein traumatisches Erlebnis hatte, nichts dafür abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführerin etwas BGE 112 Ia 248 S. 250 Ähnliches drohe; eine Bluttransfusion ist mit einer Blutentnahme nicht gleichzusetzen, und darüber hinaus sind die näheren Umstände jenes Vorfalles, der sich in Asien ereignete, nicht bekannt. Schliesslich kann auch auf die Konfession der Mutter der Beschwerdeführerin nichts ankommen. Liesse man Ausnahmen von der Mitwirkungspflicht bei der Abstammungsfeststellung aus diesem Grunde zu, so ergäbe sich schliesslich für die Angehörigen bestimmter Bekenntnisse ein materiell von den allgemeinen Regeln des ZGB abweichendes Vaterschaftsrecht, was nicht hingenommen werden kann. Die Mutter der Beschwerdeführerin, die in der Schweiz wohnt, hat sich den hier geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu unterziehen. Darüber hinaus können die Verfahrensrechte der Kläger im Zivilprozess nicht von der Konfession der Kindsmutter abhängig gemacht werden (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte - Besonderer Teil, Bern 1985, S. 50, mit Hinweis auf weitere Literatur). Bei dieser Sachlage kann unter diesem Gesichtswinkel nicht gesagt werden, die angeordnete Blutentnahme sei unverhältnismässig. ... Was schliesslich die Rüge anbelangt, die Gerichte des Kantons Schwyz hätten zunächst Zeugen anhören und ein anthropologisch-biologisches Gutachten einholen sollen, so genügt die Feststellung, dass Zeugenvernehmungen in einem Fall der vorliegenden Art, wo es um den negativen Vaterschaftsbeweis geht, abgesehen von ganz besonders gelagerten Fällen ohnehin nutzlos sind und dass das anthropologische Gutachten mit Rücksicht auf seine weit geringere Zuverlässigkeit heute nur noch als Ergänzungsbeweis in Zweifelsfällen angeordnet wird ( BGE 104 II 301 ; BGE 101 II 16 /17; HEGNAUER, a.a.O., N. 194-196 zu Art. 254 ZGB ; HUG, a.a.O., S. 172/173; BERNHARD SAGER, Die Begründung des Kindesverhältnisses zum Vater durch Anerkennung und seine Aufhebung, Zürcher Diss. 1979, S. 172). Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich demnach die Rüge der Unverhältnismässigkeit als unbegründet. Demnach erweist sich die Beschwerde der Tochter L. als unbegründet und ist abzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 327 BGE 140 I 326 S. 327 A. Die H. AG ist Eigentümerin der in der eingeschossigen Wohnzone gelegenen Grundstücke Nrn. 152, 153 und 354 (Grundbuch Vitznau); der G. AG gehören die in der Kur- und Sportzone befindlichen Parzellen Nrn. 353 und 641. Diese Grundstücke erstrecken sich über eine Gesamtfläche von rund 24'000 m 2 am Hang hinter dem Hotel G. Die beiden Grundeigentümerinnen planen auf dem betreffenden Perimeter den Bau eines Campus Hotels und mehrerer Villen. Die G. AG lud dazu im Frühling 2011 acht Architekturbüros zur Erarbeitung einer Volumenstudie ein. Das Preisgericht hatte jenes Projekt auszuwählen, das die Nutzungsmasse und das Raumprogramm der geplanten Überbauung unter siedlungsplanerischen und landschaftlichen Gesichtspunkten am besten umsetzte. Die Jury bestand aus zwei Vertretern der Bauherrschaft, zwei Mitgliedern von Schutzverbänden (Landschafts- und Heimatschutz) sowie dem Gemeindepräsidenten Noldi Küttel und dem Gemeinderat und Bauverwalter Alex Waldis. Die Preisrichter entschieden sich einstimmig für die Volumenstudie des Architekturbüros I. B. Der gestützt auf die ausgewählte Volumenstudie erarbeitete Gestaltungsplan "Panorama Residenz Vitznau" lag ab dem 22. Oktober 2012 öffentlich auf. BGE 140 I 326 S. 328 Gegen den Gestaltungsplan erhoben A. und die Erbengemeinschaft B. als Eigentümerinnen der an den Planperimeter angrenzenden Grundstücke Einsprache. Sie beantragten in formeller Hinsicht, der Gemeindepräsident Noldi Küttel sowie der Gemeinderat und Bauverwalter Alex Waldis seien zu verpflichten, beim Entscheid über die Einsprachen und die Genehmigung des Gestaltungsplans in den Ausstand zu treten. Mit Zwischenentscheid vom 30. April 2013 wies der Gemeinderat Vitznau die Ausstandsbegehren ab. Die von den Einsprecherinnen dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern am 12. November 2013 ab. C. Mit gemeinsamer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A. und die Erbengemeinschaft B., das Urteil der Vorinstanz sei aufzuheben; Gemeindepräsident Noldi Küttel und Gemeinderat Alex Waldis seien zu verpflichten, in den Ausstand zu treten; eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Kantonsgericht oder an den Gemeinderat zurückzuweisen. (...) Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. (Auszug)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 5. 5.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem durch Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn bei einer Gerichtsperson - objektiv betrachtet - Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten der betreffenden Person oder in äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Für den Ausstand wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Mit anderen Worten muss gewährleistet sein, dass der Prozess aus Sicht aller Beteiligten als offen erscheint ( BGE 133 I 1 E. 6.2 S. 6 mit Hinweisen). Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann bei den Parteien immer dann entstehen, BGE 140 I 326 S. 329 wenn einzelne Gerichtspersonen in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst waren. In einem solchen Fall sogenannter Vorbefassung stellt sich die Frage, ob sich ein Richter durch seine Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die ihn nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren nicht mehr offen erscheinen lassen ( BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat zur Beurteilung, ob eine vorbefasste Person im konkreten Fall in den Ausstand treten muss, Kriterien entwickelt. So fällt etwa in Betracht, welche Fragen in den beiden Verfahrensabschnitten zu entscheiden sind und inwiefern sie sich ähnlich sind oder miteinander zusammenhängen. Zu beachten ist ferner der Umfang des Entscheidungsspielraums bei der Beurteilung der sich in den beiden Abschnitten stellenden Rechtsfragen. Massgebend ist schliesslich, mit welcher Bestimmtheit sich der Richter bei seiner ersten Befassung zu den betreffenden Fragen ausgesprochen hat (vgl. BGE 114 Ia 50 E. 3d S. 59; zudem BGE 137 I 227 E. 2.6.2 S. 232 f.; BGE 134 I 238 E. 2.3 und 2.4 S. 241 ff.; BGE 114 Ia 153 E. 3b/cc S. 161 f.). 5.2 Für nichtgerichtliche Behörden - wie hier für Mitglieder des Gemeinderates - kommen Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht zur Anwendung. Hingegen gewährleistet Art. 29 Abs. 1 BV den Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung; das Gebot der Unbefangenheit bildet einen Teilgehalt dieses Grundrechts (vgl. BENJAMIN SCHINDLER, Die Befangenheit der Verwaltung, 2002, S. 237). Im Kern der Garantie der Unbefangenheit steht für Richter wie Verwaltungsbeamte, dass sie sich in Bezug auf die Beurteilung des Sachverhalts nicht bereits festgelegt haben (vgl. MARKUS SCHEFER, Die Kerngehalte von Grundrechten, 2001, S. 535). Die für Gerichte geltenden Anforderungen an die Unbefangenheit (E. 5.1 oben) können allerdings nicht unbesehen auf das Verwaltungsverfahren übertragen werden. Gerade die systembedingten Unzulänglichkeiten des verwaltungsinternen Verfahrens haben zur Schaffung unabhängiger richterlicher Instanzen geführt. Bei Exekutivbehörden ist dabei zu berücksichtigen, dass ihr Amt mit einer sachbedingten Kumulation verschiedener, auch politischer Aufgaben einhergeht (Urteil 1C_278/2010 vom 31. Januar 2011 E. 2.2). Regierungsbehörden sind aufgrund ihres Amtes, anders als ein Gericht, nicht allein zur (neutralen) Rechtsanwendung oder Streitentscheidung berufen. Sie BGE 140 I 326 S. 330 tragen zugleich eine besondere Verantwortung zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Liegt die amtliche Mehrfachbefassung damit im öffentlichen Interesse und ist sie in diesem Sinne systembedingt, so liegt nicht bereits darin eine unzulässige Vorbefassung. Ob eine systembedingt vorbefasste Amtsperson tatsächlich voreingenommen erscheint, entscheidet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (vgl. BGE 125 I 119 E. 3f S. 125; Urteile 1C_150/2009 vom 8. September 2009 E. 3.5, in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.; 1P.48/2007 vom 11. Juni 2007 E. 4.3). Dabei ist vorab je nach Verfahrensart, Funktion oder Streitgegenstand des betreffenden Verfahrens zu unterscheiden (vgl. BGE 137 II 431 E. 5.2 S. 452; BGE 125 I 119 E. 3d und 3f S. 123 ff., BGE 125 I 209 E. 8a S. 217 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 949; GEROLD STEINMANN, Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, Rz. 18 zu Art. 29 BV ). 6. Treten der Gemeindepräsident Noldi Küttel und der Gemeinderat Alex Waldis nicht in den Ausstand, so befassen sie sich etwa mit Fragen der siedlungsgerechten und landschaftsverträglichen Einordnung der geplanten Überbauung zweimal; zunächst bei der Beurteilung der Volumenstudien, dann beim Entscheid über die Einsprachen und die Plangenehmigung (§ 77 Abs. 2 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Luzern vom 7. März 1989 [SRL 735; PBG]). Im Lichte der vorstehenden Grundsätze bleibt somit zu prüfen, ob die Gemeinderatsmitglieder als Preisrichter in einer Weise vorbefasst sind, dass sie im Hinblick auf den Planungsentscheid voreingenommen erscheinen. 6.1 Die Sach- und Rechtslagen sind gerade bei Bau- und Planungssachen oft komplex; die Folgen von Fehlplanungen können schwer wiegen. Das gilt insbesondere für Grossprojekte. Unter diesen Umständen kann es der Prozessökonomie dienen, wenn die Verwaltung und die private Bauherrschaft durch vorprozessuale Abklärungen oder Verhandlungen die Voraussetzungen für einen effizienten und sachgerechten Entscheid schaffen. Zudem liegt es im Interesse der Verfahrenskoordination, wenn sich die zuständigen Behörden als Träger der Planungshoheit möglichst frühzeitig in den Planungsprozess einbringen (vgl. PETER HÖSLI, Möglichkeiten und Grenzen der Verfahrensbeschleunigung durch informell-kooperatives Verwaltungshandeln, 2002, S. 123 f.; SCHINDLER, a.a.O., S. 83 und 136; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und BGE 140 I 326 S. 331 Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 433; vgl. auch BGE 120 Ia 270 E. 6c S. 284; Urteile 1C_150/2009 vom 8. September 2009 E. 3.5.2, in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.; 1A.11/2007 vom 16. Mai 2007 E. 3.5.2). In der Gemeinde Vitznau trägt, in Zusammenarbeit mit den Grundeigentümern, der Gemeinderat die Verantwortung für die Gestaltungsplanung (vgl. § 17 Abs. 1 lit. c und § § 74-77 PBG i.V.m. Art. 37 des Bau- und Zonenreglements der Gemeinde Vitznau vom 6. Januar 1998 [nachfolgend: BZR]). Hier geht es sodann um ein Grossprojekt, bei dem sich komplexe Sachverhalts- und Rechtsfragen stellen. Gründe der Prozessökonomie und der Verfahrenskoordination können es in dieser Situation rechtfertigen, wenn sich der Gemeinderat als Träger der Planungshoheit bereits vor Einleitung des Gestaltungsplanverfahrens mit dem Projekt befasst. Liegt eine Mehrfachbefassung dementsprechend im öffentlichen Interesse, kann nicht jede vorprozessuale Äusserung der Gemeinderatsmitglieder von vornherein einen Ausstandsgrund darstellen. Anders zu entscheiden hiesse, das tatsächliche Verwaltungshandeln als Mittel für eine effiziente und sachgerechte Entscheidfindung bereits im Ansatz zu unterbinden und so die Aufgabenerfüllung der Verwaltung in unverhältnismässiger Weise zu erschweren. 6.2 Jede Äusserung einer Amtsperson im Vorfeld eines förmlichen Verfahrens hat indessen den Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung ( Art. 29 Abs. 1 BV ) zu wahren. So muss der Verwaltungsentscheid nach wie vor in einem Prozess erfolgen, der eine ungestörte und ausgewogene Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen ermöglicht (vgl. SCHINDLER, a.a.O., S. 46). Beim vorliegenden, informell-kooperativen Verwaltungshandeln (vgl. BGE 133 II 120 E. 3 S. 124 ff.) ist die Gefahr besonders gross, dass die Interessen unbeteiligter Dritter oder der Allgemeinheit nicht angemessen berücksichtigt werden. Hat sich ein Privater mit der Verwaltung vor Einleitung des förmlichen Verfahrens über die wesentlichen Inhalte eines Vorhabens informell abgesprochen, wird sich die Behörde beim anschliessenden Entscheid - wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch - in der Regel an die Absprache gebunden fühlen (in Abgrenzung zum verbindlichen Vorentscheid vgl. HÖSLI, a.a.O., S. 64 f.; dazu BGE 120 Ib 48 E. 2b S. 52; Urteil 1P.224/1991 vom 9. September 1992 E. 2c, in: ZBl 95/1994 S. 66 ff.). In dieser Situation haben die unbeteiligten Dritten, so hier die Einsprecher, berechtigten Anlass zu befürchten, dass die vorbefasste Behörde nicht BGE 140 I 326 S. 332 mehr imstande ist, die Einwände gegenüber dem Vorhaben mit hinreichender Offenheit und Unabhängigkeit zu prüfen (vgl. HÖSLI, a.a.O., S. 77 f.; TAMARA NÜSSLE, Demokratie in der Nutzungsplanung und Grenzen für informale Absprachen, 2005, S. 241 f. und 246 ff.). Amtspersonen haben sich bei informellen Äusserungen im Vorfeld eines Verfahrens somit eine besondere Zurückhaltung aufzuerlegen; die Stellungnahme darf in keiner Weise den Anschein erwecken, dass sich die vorbefasste Person in Bezug auf das anstehende Verfahren bereits festgelegt hat (vgl. Urteil 1C_150/2009 vom 8. September 2009 E. 3.5.2, in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.; SCHINDLER, a.a.O., S. 136 f.; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, a.a.O., Rz. 433). Auch mit Blick auf die Funktion des anstehenden Verfahrens rechtfertigt es sich, an die Unbefangenheit der beiden Gemeinderatsmitglieder hohe Anforderungen zu stellen. Als Einsprachebehörde gegen den durch Private aufgestellten Gestaltungsplan trifft den Gemeinderat die Aufgabe eines "echten Mittlers" (vgl. MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 949; SCHINDLER, a.a.O., S. 68 und 155; Urteil 2P.231/1997 vom 19. Mai 1998 E. 2b, in: ZBl 100/1999 S. 74). Das Einspracheverfahren vor Erlass der Verfügung gewährt den Betroffenen das rechtliche Gehör und stellt damit sicher, dass die verschiedenen auf dem Spiel stehenden Interessen noch vor Planerlass berücksichtigt werden. Die Einsprachen erleichtern zudem die Beurteilung, ob das Vorhaben auch aus Sicht der öffentlichen Interessen - etwa im Lichte der raumplanungsrechtlichen Grundsätze ( Art. 75 BV sowie Art. 1 und 3 RPG [SR 700]) - zweckmässig erscheint (vgl. AEMISEGGER/HAAG, Kommentar zum RPG, 2010, Rz. 16, 25 und 36 zu Art. 33 RPG ; MISCHA BERNER, Luzerner Planungs- und Baurecht, 2012, Rz. 215 und 220). Angesichts dieser herausragenden Bedeutung der Einsprache zur Gewährleistung des Gehörsanspruchs Dritter darf informelles Verwaltungshandeln im Vorfeld der öffentlichen Planauflage den Einspracheentscheid in keiner Weise vorwegnehmen. Andernfalls verlöre das bundesrechtlich vorgeschriebene Auflageverfahren ( Art. 33 Abs. 1 RPG ) seine Bedeutung als Mittel für eine sachgerechte Entscheidfindung im Bau- und Planungsrecht (vgl. BGE 111 Ia 67 E. 3c S. 69; NÜSSLE, a.a.O., S. 241 f.). In gesamthafter Würdigung der dargelegten Umstände rechtfertigt es sich vorliegend, die Zulässigkeit der Vorbefassung der Gemeinderatsmitglieder sinngemäss nach denselben Kriterien zu beurteilen, wie sie das Bundesgericht für die Gerichtsverfahren entwickelt hat. BGE 140 I 326 S. 333 6.3 Demnach fällt insbesondere ins Gewicht, mit welcher Bestimmtheit sich der Richter bei seiner ersten Befassung zu den betreffenden Fragen ausgesprochen hat (vgl. E. 5.1 oben). Das Bundesgericht hat dieses Beurteilungskriterium zuletzt im Zusammenhang mit dem sogenannten Referentensystem fortentwickelt. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass sich ein Richter als Referent über die prozessualen und materiellen Fragen einer Streitsache eine erste Meinung bildet und zusammen mit einem Antrag dem Spruchkörper vorträgt. Das Referentensystem hält nach Auffassung des Bundesgerichts dann vor der Verfassung stand, wenn der Ausgang des Verfahrens für die Betroffenen erkennbar nach wie vor offen erscheint. So ist etwa zulässig, wenn der Referent den Rechtsuchenden im Fall einer Anschlussberufung darauf aufmerksam macht, dass der Rechtsmittelentscheid auch zu seinen Ungunsten ausfallen kann. Dem Anschein der Voreingenommenheit kann sich der Referent hingegen dann aussetzen, wenn er auf die rechtsuchende Person zugeht, um ihr seine Einschätzung der Prozessaussichten kundzutun und sie entsprechend zum Rückzug des Rechtsmittels zu bewegen. Bei abstrakter Betrachtung besteht der entscheidende Unterschied zwischen zulässiger und unzulässiger Vorbefassung darin, ob die vorbefasste Person erst ihre vorläufige Einschätzung zur Streitsache zum Ausdruck bringt - oder aber der Eindruck entsteht, sie habe sich über den Ausgang des Verfahrens bereits eine feste Meinung gebildet (vgl. BGE 137 I 227 E. 2.6.2-2.6.4 S. 232 ff.; BGE 134 I 238 E. 2.4-2.6 S. 242 ff.; zudem BGE 114 Ia 153 E. 3b/cc S. 161 f.; REGINA KIENER, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S. 147). Ausgehend von diesen für Gerichtsverfahren entwickelten Grundsätzen ist für Bau- und Planungssachen zu unterscheiden zwischen der unverbindlichen Stellungnahme zu abstrakten Fragen, der Beantwortung konkreter Fragen, der eigentlichen Beratung der Bauherrschaft und dem verbindlichen Vorentscheid. Bei der unverbindlichen Stellungnahme zu abstrakten Rechtsfragen besteht in der Regel keine Gefahr der späteren Befangenheit (vgl. Urteil 1C_150/2009 vom 8. September 2009 E. 3.5.4, in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.). In diesem Sinne verneinte das Bundesgericht im Urteil 1C_100/2012 vom 16. Oktober 2012 bei einer generellen Auskunft des Gemeinderates über die grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit eines Bauvorhabens eine unzulässige Vorbefassung im Hinblick auf den anschliessenden Baubewilligungsentscheid (a.a.O. E. 2.2). BGE 140 I 326 S. 334 Dagegen kann bei einer umfangreichen und detaillierten Beantwortung konkreter, projektbezogener Fragen die Gefahr einer Vorbestimmung des anschliessenden Verfahrens bestehen. Dementsprechend bejahte das Bundesgericht im Urteil 1C_150/2009 vom 8. September 2009 (in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.) die Befangenheit der Baukommission, die im Hinblick auf das anstehende Baubewilligungsverfahren zu einem Bauvorhaben konkret Stellung nahm. Für das Bundesgericht fiel unter anderem ins Gewicht, dass sich die Baukommission in ihrer Stellungnahme umfassend und detailliert zu zentralen Punkten des Baubewilligungsverfahrens geäussert hatte. Das Projekt war zudem aufgrund von Anregungen der Baukommission im Hinblick auf die Baubewilligung leicht abgeändert worden; insofern hatte die Kommission praktisch als Beraterin fungiert. Unter diesen Umständen konnte für die Einsprecher der Eindruck entstehen, die Baukommission habe sich zum Vorhaben bereits eine feste Meinung gebildet und werde sich im Baubewilligungsverfahren - ungeachtet der Einsprachen - nicht mehr umstimmen lassen (a.a.O., E. 3.5.5). Die Begleitung durch die Behörden darf mithin nicht so weit gehen, die Bauherrschaft bei ihrer Ausarbeitung des Gestaltungsplans oder Baugesuchs in detaillierter Weise zu beraten oder ihr vor Berücksichtigung allfälliger Drittinteressen darüber hinaus die verbindliche Zusage zu machen, das Vorhaben in einer bestimmten Form bewilligen zu können (vgl. SCHINDLER, a.a.O., S. 131 f. und 137; für den verbindlichen Vorentscheid auch Urteil 1P.224/1991 vom 9. September 1992 E. 2c, in: ZBl 95/1994 S. 66 ff). Eine eigentliche Beratertätigkeit bildet auch nach § 14 Abs. 1 lit. e VRG (SRL 40) - wie in anderen kantonalen Verfahrensordnungen - einen gesetzlich geregelten Ausstandsgrund. 7. Die G. AG lud acht Architekturbüros zur Erarbeitung einer Volumenstudie ein. Das Preisgericht, in welchem die beiden Gemeinderatsmitglieder Einsitz nahmen, hatte die Aufgabe, jenes Projekt auszuwählen, das die Nutzungsmasse und das Raumprogramm der geplanten Überbauung nach Massgabe der Wettbewerbsvorgaben am besten umsetzt und damit als Grundlage für den Gestaltungsplan dient. Ausgehend von diesem Sachverhalt sind für die Frage der Befangenheit der Gemeinderatsmitglieder im Lichte der dargelegten Kriterien die folgenden Umstände zu berücksichtigen: 7.1 Die Preisrichter haben die ihnen vorgelegten Überbauungskonzepte im Wesentlichen nach siedlungsplanerischen, landschaftlichen BGE 140 I 326 S. 335 und erschliessungsmässigen Gesichtspunkten beurteilt. Dabei handelt es sich um zentrale Kriterien, nach denen die Rechtmässigkeit eines Gestaltungsplans zu überprüfen ist (vgl. § 65 Abs. 2 und § 75 Abs. 3 lit. b PBG ). Darauf beziehen sich die Beschwerdeführer in ihren gegen den Plan erhobenen Einsprachen denn auch. Die bei der Beurteilung der Volumenstudie behandelten Gesichtspunkte entsprechen somit - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - zu einem erheblichen Teil jenen Fragen, die Gegenstand des Einsprache- und Genehmigungsentscheids sind. 7.2 Mit ihrer Stimme im Preisgericht haben die Gemeinderatsmitglieder bei der Auswahl des siegreichen Projekts als Entscheidungsträger mitgewirkt. Die Juroren haben sich einstimmig für das Projekt des Architekturbüros I. entschieden. Nach Auffassung des Preisgerichts erfüllt die ausgewählte Volumenstudie vor allem auch die von der Gemeinde gestellten Bedingungen. Damit sind die Vertreter der Gemeinde für die privaten Beschwerdegegnerinnen tätig geworden und haben sich aktiv am Auswahlprozess beteiligt. Die im Massstab 1:500 ausgefertigten Pläne zusammen mit dem Modell und dem Erläuterungsbericht haben den Inhalt des Gestaltungsplans vergleichsweise konkret und detailliert vorgezeichnet. So war die Volumenstudie bezüglich Volumetrie, Architektur und Materialisierung der Gebäude für diesen wegweisend (vgl. § 1 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 des Gestaltungsplans). Der aufgelegte Plan weist im Vergleich zur Studie keine namhaften Änderungen oder Präzisierungen auf. Beim Vergleich des Planmaterials ist zwar erkennbar, dass das Campus Hotel leicht in südöstliche Richtung verschoben wurde. Diese wie andere Anpassungen sind aber - entgegen der Ansicht der Vorinstanz - von untergeordneter Bedeutung. Sie vermögen am Gesamteindruck nichts zu ändern, dass die Volumenstudie den Gestaltungsplan in den wesentlichen Zügen vorbestimmt hat. Soweit die Juroren gegenüber dem erkorenen Projekt einzelne Vorbehalte anbrachten, haben sie diese mit konkreten Änderungsvorschlägen verbunden; die Empfehlungen betreffen etwa Einzelheiten zur Architektur der Villen und zum Erschliessungskonzept. Die Bauherrschaft hat die Vorschläge im Gestaltungsplan weitgehend nachvollzogen. Insoweit haben die Preisrichter, wie die Beschwerdeführer zu Recht festhalten, als eigentliche Berater fungiert. Würdigt man diese Umstände gesamthaft, ist die Besorgnis darüber begründet, die Gemeinderatsvertreter könnten sich aufgrund ihrer BGE 140 I 326 S. 336 Preisrichtertätigkeit in einem Mass festgelegt haben, dass ihre Haltung im Rahmen des Gestaltungsplanverfahrens vorbestimmt erscheint. 7.3 Der Anschein der Befangenheit verstärkt sich durch den Beurteilungsspielraum der Entscheidungsbehörde zusätzlich (vgl. E. 5.1 oben). Je grösser der Spielraum ist, umso eher besteht Anlass zur Besorgnis, die Amtsperson werde auf ihr in Abwägung verschiedener Gesichtspunkte getroffenes Urteil bei späterer Befassung nicht mehr zurückkommen (vgl. BGE 114 Ia 50 E. 5b/cc S. 70; KIENER, a.a.O., S. 148). Steht der zuständigen Verwaltungsbehörde bei der zu beantwortenden Frage ein Ermessen zu, ist die gerichtliche Überprüfung zudem eingeschränkt. Insoweit sind systembedingte Unzulänglichkeiten des verwaltungsinternen Verfahrens nicht mehr durch eine unabhängige richterliche Kontrolle auszugleichen (vgl. E. 5.2 oben; HÖSLI, a.a.O., S. 78; SCHINDLER, a.a.O., S. 170). Bei Fragen der siedlungsplanerischen und landschaftlichen Einordnung steht der Gemeinde - trotz grundsätzlich voller Überprüfung durch die Beschwerdebehörde ( Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG ) - ein gewisses Planungsermessen zu (vgl. Art. 2 Abs. 3 RPG ; BGE 114 Ia 245 E. 2b S. 247 f.; vgl. auch BGE 127 II 238 E. 3b S. 244 ff.; AEMISEGGER/HAAG, a.a.O., Rz. 73 zu Art. 33 RPG ; § 65 Abs. 2 PBG ; BERNER, a.a.O., Rz. 633 ff.). Das kommunale Recht überträgt diesen Entscheidungsspielraum dem Gemeinderat. So entscheidet in Vitznau der Gemeinderat, nicht etwa die Gemeindelegislative, über Gestaltungspläne (vgl. Art. 37 BZR). Zudem liegt es gemäss Art. 22 Abs. 4 BZR im pflichtgemässen Ermessen des Gemeinderates, in der Kur- und Sportzone, worin das Campus Hotel geplant ist, die zulässigen Nutzungsmasse unter Beachtung der siedlungsplanerischen und landschaftlichen Interessen fallweise festzulegen. Umso problematischer erscheint es, wenn sich zwei ihrer Vertreter zu den erwähnten Punkten bereits eine Meinung gebildet haben, ohne die Auffassung der Planbetroffenen zu kennen. Die vorliegende Sachlage ist, wie die Beschwerdeführer zu Recht vorbringen, auch insoweit mit dem Fall 1C_150/2009 vom 8. September 2009 (in: ZBl 112/2011 S. 478 ff.) vergleichbar. Dort erkannte das Bundesgericht auf eine unzulässige Vorbefassung (vgl. a.a.O. E. 3.5.5 und 3.6). Auch hier besteht bei objektiver Betrachtung der Anschein, die Gemeinderatsmitglieder könnten sich von ihrem Urteil als Preisrichter zu wesentlichen Punkten des BGE 140 I 326 S. 337 Gestaltungsplans kaum mehr lösen und die gegen das Vorhaben erhobenen Einsprachen nicht unbefangen beurteilen. Wenn die Vorinstanz die Ablehnung des Ausstandsbegehrens bestätigt, verletzt sie demnach Art. 29 Abs. 1 BV . 7.4 Bei diesem Ergebnis bleibt im Lichte der Erwägungen (vgl. E. 6.1 oben) anzufügen, dass nicht jede behördliche Beteiligung an einem Architekturwettbewerb von vornherein im Widerspruch zu Art. 29 Abs. 1 BV steht. Im Urteil 1A.11/2007 vom 16. Mai 2007 (E. 3.5) verneinte das Bundesgericht denn auch eine verfassungswidrige Vorbefassung eines Vertreters der kantonalen Denkmalpflege und des kommunalen Bauberaters aufgrund ihrer Preisrichtertätigkeit im Hinblick auf den anstehenden Baubewilligungsentscheid. In jenem Verfahren waren die Behördenmitglieder jedoch Gutachter und nicht, wie hier, Entscheidungsträger (a.a.O. E. 3.5.1). Jene Stellungnahme war zudem gesetzlich vorgesehen und beruhte nicht auf informellem Verwaltungshandeln (a.a.O. E. 3.5.2). Der vorliegende Entscheid unterscheidet sich auch vom Urteil 1C_278/2010 vom 31. Januar 2011. Das Bundesgericht verneinte dort eine unzulässige Vorbefassung der Gemeindevertreter, die für die Gemeinde zunächst ein Baugesuch gestellt und anschliessend selbst darüber entschieden hatten (a.a.O., E. 2.2; vgl. ebenso Urteil 1C_198/2010 vom 11. November 2010 E. 2). Eigentümerin des Grundstücks bzw. Bauherrin des geplanten Vorhabens war in jenen Fällen die öffentliche Hand und nicht, wie hier, eine private Person. Soweit sich die Vorinstanz auf diese Praxis stützt, bezieht sie sich somit auf eine Sachlage, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar ist.
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Sachverhalt ab Seite 482 BGE 129 III 481 S. 482 Die Parteien heirateten im Jahre 1967. Ihre beiden Kinder sind volljährig. Am 3. Juni 1994 reichte der Ehemann die Scheidungsklage ein, worauf die Ehefrau widerklageweise ebenfalls die Scheidung antrug. Die Ehe wurde am 18. Dezember 1998 rechtskräftig geschieden. In zweiter Instanz hatte das Kantonsgericht über die gesamten vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen neu zu entscheiden. Es wies unter anderem die Pensionskasse des Klägers an, von dessen Austrittsleistung Fr. 42'000.- auf ein Freizügigkeitskonto der Beklagten zu übertragen. Der Kläger hat den kantonsgerichtlichen Entscheid vom 17. Dezember 2001 mit eidgenössischer Berufung angefochten und insbesondere beantragt, von einem Vorsorgeausgleich abzusehen. Das Bundesgericht weist die Berufung in diesem Punkt ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Während der Kläger seit 1969 einer Pensionskasse angeschlossen ist, hat die Beklagte keiner Einrichtung der beruflichen BGE 129 III 481 S. 483 Vorsorge angehört. Im Zeitpunkt der Scheidung war der Kläger teilinvalid. Das Kantonsgericht hat der Beklagten eine angemessene Entschädigung im Sinne von Art. 124 ZGB zuerkannt und ihr von der dem Kläger verbliebenen Austrittsleistung zwei Drittel (Fr. 42'000.-) übertragen. Der Kläger beantragt, von einem Vorsorgeausgleich ganz abzusehen. Die Beklagte hält die getroffene Lösung für gerecht und ausgewogen. 3.1 Die Art. 122 ff. ZGB regeln die Scheidungsfolgen betreffend "Berufliche Vorsorge" (Marginalie): Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ( Art. 122 Abs. 1 ZGB ). Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall bereits eingetreten oder können aus andern Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die während der Dauer der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so ist eine angemessene Entschädigung geschuldet ( Art. 124 Abs. 1 ZGB ). In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der Kläger, der 1967 geheiratet hat, seit 1969 einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehört. Das ganze Altersguthaben des Klägers bis zum Zeitpunkt der Scheidung wird insoweit von den Art. 122 ff. ZGB erfasst. Kurz vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils, das bezüglich der Scheidung auch in Rechtskraft erwachsen ist, wurde beim Kläger eine Teilinvalidität festgestellt. Seit dem 28. Januar 1998 ist er zu fünfzig Prozent arbeitsunfähig. Er bezieht eine Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge von heute rund Fr. 850.- pro Monat. Der Ausgleich der Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge wirft hier folgende Fragen auf: Geprüft werden muss vorweg, nach welcher Gesetzesbestimmung auszugleichen ist (E. 3.2). Sodann stellen sich die Fragen nach den massgebenden Verfahrensgrundsätzen (E. 3.3), der betragsmässigen Höhe des Ausgleichs (E. 3.4) und der Form der Abgeltung (E. 3.5). Schliesslich ist auf die Durchführung bzw. die Vollstreckung einzugehen, zumal der Kläger gestützt auf neue Belege einen anderen Invaliditätsgrad behauptet, als er dem kantonsgerichtlichen Entscheid zugrunde gelegen hat (E. 3.6 hiernach). 3.2 Die gesetzliche Regelung über die Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge unterscheidet danach, ob ein Vorsorgefall eingetreten ist oder nicht ( Art. 122 Abs. 1 und Art. 124 Abs. 1 ZGB ). BGE 129 III 481 S. 484 3.2.1 Als Vorsorgefälle gelten im Zusammenhang mit der Scheidung die Invalidität und die Erreichung der Altersgrenze. Ist bei einem Ehegatten ein Vorsorgefall bereits eingetreten, so kann eine Aufteilung der Austrittsleistung gemäss Art. 122 ZGB nicht mehr stattfinden. Sowohl die Alters- wie auch die Invalidenrente wird in der beruflichen Vorsorge grundsätzlich in Prozenten des massgeblichen Altersguthabens (Umwandlungssatz) berechnet. Der Umwandlungssatz beruht auf Durchschnittswerten der Lebenserwartung, so dass im Einzelfall die ausbezahlten Renten je nach tatsächlicher Lebensdauer einen weit höheren Betrag als das ganze Altersguthaben ausmachen können oder deren Summe auch weit unter dem gesamten Guthaben bleiben kann. Es ist deshalb nicht möglich, einen Teil des Anspruchs auf den anderen Ehegatten zu übertragen. Insbesondere für diesen Fall sieht Art. 124 ZGB eine angemessene Entschädigung vor (Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 105). Entscheidend ist danach für die Abgrenzung der Ansprüche gemäss Art. 122 und Art. 124 ZGB , ob eine Teilung von Austrittsleistungen technisch uneingeschränkt möglich ist oder nicht (z.B. WALSER, Basler Kommentar, 2002, N. 1 zu Art. 124 ZGB ). 3.2.2 Der Vorsorgefall "Invalidität" ist eingetreten, wenn ein Ehegatte - weitergehende reglementarische Bestimmungen vorbehalten - mindestens zu 50% dauernd erwerbsunfähig geworden ist oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch mindestens zu 50% arbeitsunfähig war und von der Einrichtung der beruflichen Vorsorge eine Invalidenrente bezieht bzw. in Form einer Kapitalabfindung bezogen hat. Für die Annahme des Vorsorgefalls genügt somit blosse Teilinvalidität (WALSER, a.a.O., N. 5 zu Art. 124 ZGB ; BAUMANN/LAUTERBURG, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, Basel 2000, N. 21 zu Art. 122 ZGB ; SCHNEIDER/BRUCHEZ, La prévoyance professionnelle et le divorce, in: Le nouveau droit du divorce, Lausanne 2000, S. 193 ff., 221 f.; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 13-15 zu Art. 122/141-142 ZGB). Erhält der Versicherte eine halbe Invalidenrente zugesprochen, so teilt die Vorsorgeeinrichtung das Altersguthaben in zwei gleiche Teile. Die eine Hälfte wird - vereinfacht gesagt - in eine Rente "umgewandelt", während die andere Hälfte dem Altersguthaben eines voll erwerbstätigen Versicherten gleichgestellt ist ( Art. 23 ff. BVG [SR 831.40] i.V.m. Art. 14 f. und Art. 17 ff. BVV 2 [SR 831.441.1]). Im Vorsorgefall "Teilinvalidität" bleibt somit eine Austrittsleistung bestehen, deren Teilung "technisch möglich" ist (KIESER, Ehescheidung BGE 129 III 481 S. 485 und Eintritt des Vorsorgefalles der beruflichen Vorsorge, AJP 2001 S. 155 ff., 157 f.; vgl. SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 242 bei Anm. 215). Die Vorsorgeeinrichtung des Klägers hat denn auch mitgeteilt, für den Zeitpunkt der Scheidung sei noch ein Altersguthaben von Fr. 62'641.- vorhanden, das als Austrittsleistung gegebenenfalls geteilt werden könne. Es stellt sich die Frage, ob der Ausgleich der beruflichen Vorsorge unter diesen Umständen sowohl nach Art. 122 wie nach Art. 124 ZGB erfolgen soll. Die Lehre lehnt eine solche Vorgehensweise ab und befürwortet, den ganzen Vorsorgeausgleich nach Art. 124 ZGB durchzuführen (allgemein: BAUMANN/LAUTERBURG, a.a.O., N. 57 ff. zu Art. 124 ZGB ; für den Fall der Teilinvalidität: WALSER, a.a.O., N. 5 zu Art. 124 ZGB ; SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 14 f. zu Art. 122/141-142 ZGB; GEISER, Berufliche Vorsorge im neuen Scheidungsrecht, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, S. 55 ff., 92 N. 2.97; SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 240 ff.). 3.2.3 Die Gesetzesbestimmungen setzen nach ihrem klaren Wortlaut voraus, dass bei keinem Ehegatten bzw. bei einem oder beiden Ehegatten "ein Vorsorgefall" (Art. 122 Abs. 1 bzw. Art. 124 Abs. 1 ZGB ) eingetreten ist ("aucun" bzw. "un cas de prévoyance"; "alcun caso d'assicurazione" bzw. "un caso di previdenza"). Es genügt "ein" und damit jeder Vorsorgefall, um die Teilung von Austrittsleistungen auszuschliessen. Für eine den Wortlaut einengende Auslegung in dem Sinne, dass nur der Vorsorgefall gemeint ist, der die gesamte Austrittsleistung in eine Rente "umwandelt", bieten die Materialien keine Grundlage. Es ist von einem offenen Wortlaut auszugehen (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen: BGE 128 III 113 E. 2 S. 114 ff.). Auch aus Gründen der Praktikabilität ist es abzulehnen, eine noch vorhandene Austrittsleistung nach Art. 122 ZGB zu teilen und die restlichen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge nach Art. 124 ZGB angemessen zu entschädigen. Zu den heiklen Problemen im Zusammenhang mit dem Vorsorgeausgleich gehört die Frage, wie vorzugehen ist, wenn der Vorsorgefall "Invalidität" im Scheidungsverfahren zwar wahrscheinlich ist, aber noch nicht feststeht, oder wenn der Vorsorgefall "Invalidität" während des Scheidungsverfahrens eintritt. Ist - wie hier - bereits eine Teilinvalidität ausgewiesen, besteht eine erhöhte Gefahr, dass sich die Invalidität während des Scheidungsverfahrens verschlimmern könnte. Den Vorsorgeausgleich bei dieser Sachlage gesamthaft nach Art. 124 ZGB durchzuführen, vermeidet Nachteile, die sich unter Umständen weder in BGE 129 III 481 S. 486 einem Rechtsmittel- noch im Vollstreckungsverfahren beheben lassen (ausführlich zu diesen Fragen: SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 255 ff.; SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 16 ff. zu Art. 122/141-142 ZGB und N. 4 ff. zu Art. 124 ZGB ; KIESER, a.a.O., S. 159 nach Anm. 34). Aus den dargelegten Gründen sind die Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge bei einer Teilinvalidität, die zu Leistungen der Vorsorgeeinrichtung geführt hat, nicht auf Art. 122 Abs. 1 ZGB abzustützen. Geschuldet ist vielmehr ausschliesslich eine angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB . Das Kantonsgericht hat insoweit kein Bundesrecht verletzt. 3.3 In verfahrensrechtlicher Hinsicht halten die Kommentatoren SUTTER/FREIBURGHAUS dafür, die angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB sei vom Gericht auch ohne entsprechenden Parteiantrag bzw. allenfalls über einen solchen hinaus nach der Offizialmaxime zuzusprechen und der Sachverhalt sei von Amtes wegen zu ermitteln (N. 17 zu Art. 124 ZGB ; zweifelnd: FANKHAUSER, Rechtsbegehren im Scheidungsrecht, in: Aktuelle Anwaltspraxis 2001, Bern 2002, S. 201 ff., 211 bei/in Anm. 472). Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden die erwähnte Kommentarstelle wiedergegeben, ohne sich mit den massgebenden Prozessgrundsätzen eingehend zu befassen. In einem ersten Entscheid hat es die Offizial- und die Untersuchungsmaxime auf die Teilung der Austrittsleistung bezogen (Urteil 5C. 276/2001 vom 1. Mai 2002, E. 4b, publ. in: FamPra.ch 2002 S. 565 f. und SJ 2002 I S. 540). Zwei weitere Fälle betrafen Rückweisungen zur Sachverhaltsergänzung, weil die Vorinstanz statt der Art. 122 ff. ZGB bisheriges Recht angewendet hatte (Urteil 5C.103/2002 vom 18. Juli 2002, E. 5, publ. in: FamPra.ch 2003 S. 151) bzw. weil die Vorinstanz vorab die Höhe der Austrittsleistung nicht abgeklärt hatte (Urteil 5C.159/2002 vom 1. Oktober 2002, E. 2.1, publ. in: FamPra.ch 2003 S. 161). Die Sicherstellung einer angemessenen Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenvorsorge liegt auch im öffentlichen Interesse. Die Art. 122 ff. ZGB sind deshalb insoweit zwingend, als das Gesetz die Dispositionsbefugnis der Ehegatten über ihre Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge einschränkt (Botschaft, a.a.O., S. 104 f.). Auf seinen Anspruch kann ein Ehegatte nicht im Voraus, wohl aber in einer Scheidungsvereinbarung verzichten, wenn eine entsprechende Alters- und Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet ist ( Art. 123 Abs. 1 ZGB ); die Erfüllung dieser Voraussetzung hat das Gericht von Amtes wegen zu prüfen ( Art. 141 Abs. 3 ZGB ). Das Gericht kann - von sich aus - die Teilung ganz oder teilweise verweigern, BGE 129 III 481 S. 487 wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre ( Art. 123 Abs. 2 ZGB ). Die Möglichkeiten eines Verzichts und einer Anspruchsverweigerung sind bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB ebenfalls zu beachten (Botschaft, a.a.O., S. 106). Eine weitergehende Offizialmaxime hat der Gesetzgeber - jedenfalls im Bereich von Art. 124 ZGB - nicht vorgesehen. Damit das Gericht seiner Prüfungspflicht im Sinne von Art. 123 Abs. 1 und 2 ZGB nachkommen kann, hat es freilich die erforderlichen Angaben betreffend Eintritt des Vorsorgefalls und Höhe der Altersguthaben von Amtes wegen einzuholen und ist diesbezüglich an übereinstimmende Parteierklärungen nicht gebunden. Im Übrigen gelten aber - eine abweichende kantonale Regelung vorbehalten - die Verhandlungs- und die Dispositionsmaxime sowie das Verbot der reformatio in peius. Dies trifft im Rahmen von Art. 138 und Art. 139 ZGB insbesondere für das oberinstanzliche kantonale Verfahren und im Rahmen der einschlägigen Bestimmungen des OG für das bundesgerichtliche Verfahren zu. Der kantonsgerichtliche Entscheid enthält die notwendigen Angaben. Der Kläger ist teilinvalid und bezieht Leistungen seiner Vorsorgeeinrichtung; die Hälfte des Altersguthabens beträgt Fr. 62'641.-. Vor Kantonsgericht hatte der Kläger beantragt, es sei seine Pensionskasse anzuweisen, zu Lasten des aktiven Teils der Altersvorsorge dessen Hälfte, nämlich Fr. 31'320.- auf das Freizügigkeitskonto der Beklagten zu überweisen. Mit Blick darauf ist sein Berufungsantrag, von einem Vorsorgeausgleich völlig abzusehen, neu und unzulässig ( Art. 55 Abs. 1 lit. b OG ). Die Novenrechtsregelung in Art. 138 Abs. 1 ZGB gilt im Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht (Botschaft, a.a.O., S. 139; LEUENBERGER, Basler Kommentar, 2002, N. 5 zu Art. 138 ZGB ). Die Beklagte hat keine Anschlussberufung erhoben und die Bestätigung des kantonalen Entscheids verlangt, so dass dessen Abänderung zu ihren Gunsten ausser Betracht fällt. Eine höhere als die kantonal zugesprochene Entschädigung von Fr. 42'000.- kann sie nicht erhalten. Aus prozessualen Gründen steht der Beklagten daher eine Entschädigung zwischen Fr. 31'320.- und Fr. 42'000.- zu. 3.4 Dem anspruchsberechtigten Ehegatten steht gemäss Art. 124 Abs. 1 ZGB eine "angemessene Entschädigung" zu. Das Gericht hat seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen ( Art. 4 ZGB ). BGE 129 III 481 S. 488 3.4.1 In rechtlicher Hinsicht hat das Kantonsgericht dafürgehalten, Ausgangspunkt für die Festsetzung der angemessenen Entschädigung bleibe zwar der Grundsatz der hälftigen Teilung aller während der Ehe erworbenen Ansprüche im Sinne von Art. 122 Abs. 1 ZGB . Danach seien aber die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien, insbesondere ihre Vorsorgebedürfnisse, zu berücksichtigen. Die Auffassung trifft im Grundsatz zu. Bei Berechnung der angemessenen Entschädigung ist die gesetzgeberische Grundentscheidung gemäss Art. 122 ZGB zu berücksichtigen, wonach Vorsorgeguthaben unter den Ehegatten hälftig zu teilen sind. Allerdings darf nicht ungeachtet der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse eine Entschädigung festgesetzt werden, die schematisch dem Ergebnis der hälftigen Teilung der Vorsorgeguthaben entspricht. Vielmehr ist den Vermögensverhältnissen nach der güterrechtlichen Auseinandersetzung sowie der sonstigen wirtschaftlichen Lage der Parteien nach der Scheidung gebührend Rechnung zu tragen ( BGE 127 III 433 E. 3 S. 439; zit. Urteil 5C.276/2001, E. 4c). Es kann - wie in der Lehre vorgeschlagen - zweistufig vorgegangen werden, indem das Gericht zuerst die Höhe der Austrittsleistung im Zeitpunkt der Scheidung bzw. des Eintritts des Vorsorgefalls berechnet und alsdann auf das konkrete Vorsorgebedürfnis der Parteien abstellt (zit. Urteil 5C.159/2002, E. 2). (...) 3.4.5 Von der während der Ehe erworbenen Austrittsleistung des Klägers, die kurz vor der Scheidung insgesamt Fr. 125'282.- betragen hat, hat das Kantonsgericht der Beklagten mit Fr. 42'000.- rund einen Drittel zugesprochen. In Anbetracht der nach der Scheidung jeweilen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel, der befristeten Unterhaltspflicht des Klägers und der Vorsorgebedürfnisse beider Parteien ist nicht ersichtlich, inwiefern die kantonsgerichtliche Regelung den Kläger benachteiligen könnte. Insgesamt lassen seine Vorbringen die Festsetzung der angemessenen Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. 3.5 Was die Zahlung der angemessenen Entschädigung angeht, hat das Kantonsgericht die Pensionskasse des Klägers angewiesen, von dessen Austrittsleistung Fr. 42'000.- auf ein Freizügigkeitskonto der Beklagten zu übertragen. 3.5.1 Das Gesetz regelt die Form nicht, in der die angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB zu zahlen ist. Je nach Vermögenslage kann sowohl eine Kapitalleistung als auch eine Rentenleistung zugesprochen werden. Das Freizügigkeitsgesetz sieht vor, im BGE 129 III 481 S. 489 Scheidungsurteil könne bestimmt werden, dass ein Teil der Austrittsleistung auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung übertragen wird ( Art. 22b Abs. 1 FZG ). Nach der bundesrätlichen Botschaft (a.a.O., S. 106) setzt diese Möglichkeit voraus, dass beim pflichtigen Ehegatten noch kein Versicherungsfall eingetreten ist (gl.M. WALSER, a.a.O., N. 16, und BAUMANN/LAUTERBURG, a.a.O., N. 65 zu Art. 124 ZGB ; SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 245). Weder die Botschaft noch die ihr folgenden Autoren befassen sich in diesem Zusammenhang mit dem Vorsorgefall "Teilinvalidität", bei dem nicht das ganze Altersguthaben in eine Rente "umgewandelt" wird, sondern die eine Hälfte davon dem Altersguthaben eines voll erwerbstätigen Versicherten gleichgestellt ist und damit grundsätzlich als Austrittsleistung teilbar bleibt (E. 3.2.2 hiervor). Auf diesen Sachverhalt verweisen die Kommentatoren SUTTER/FREIBURGHAUS: Wurde der erwerbstätige Ehemann, der über eine gute berufliche Vorsorge verfügt, zu 50% teilinvalid, so kann nach ihrer Auffassung ein Teil der noch vorhandenen Austrittsleistung der nicht erwerbstätigen Ehefrau übertragen werden (a.a.O., N. 19 zu Art. 124 ZGB ; gl.M. TH. KOLLER, Wohin mit der angemessenen Entschädigung nach Art. 124 ZGB ?, ZBJV 138/2002 S. 1 ff., 5 Anm. 18; vgl. auch GRÜTTER/SUMMERMATTER, Erstinstanzliche Erfahrungen mit dem Vorsorgeausgleich bei Scheidung, insbesondere nach Art. 124 ZGB , FamPra.ch 2002 S. 641 ff., 646 und 649). 3.5.2 Mit Art. 22b Abs. 1 FZG hat der Gesetzgeber eine zusätzliche Form eingeführt, in der die Bezahlung der angemessenen Entschädigung nach Art. 124 ZGB möglich ist: Im Scheidungsurteil kann bestimmt werden, dass ein Teil der Austrittsleistung auf Anrechnung an die angemessene Entschädigung übertragen wird (Abs. 1). Weder dem Gesetzeswortlaut, der in allen drei Amtssprachen übereinstimmt, noch den Materialien lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Anordnung dieser Zahlungsform eine Austrittsleistung von bestimmtem Umfang voraussetzt oder davon abhängt, dass beim entschädigungspflichtigen Ehegatten kein Vorsorgefall eingetreten ist. Es genügt, dass eine Austrittsleistung vorhanden ist. Der Gesetzeszweck gebietet keine Einschränkung des offenen Wortlautes. Art. 22b FZG lehnt sich an den am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen aArt. 22 FZG an (Botschaft, a.a.O., S. 109). Danach konnte das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Austrittsleistung, die ein Ehegatte während der Dauer der Ehe erworben hat, an die Vorsorgeeinrichtung des andern übertragen und auf scheidungsrechtliche BGE 129 III 481 S. 490 Ansprüche, welche die Vorsorge sicherstellen, angerechnet wird (Abs. 1). Der Gesetzgeber wollte damit keine neuen Ansprüche begründen, sondern eine Finanzierungsquelle für bereits bestehende Ansprüche eröffnen und damit der Tatsache Rechnung tragen, dass in vielen Ehen zu einem wesentlichen Teil lediglich in Form von Anwartschaften gegenüber einer Vorsorgeeinrichtung gespart wird und die finanziellen Mittel häufig nicht vorhanden sind, um scheidungsrechtliche Vorsorgeansprüche abzugelten (Botschaft, BBl 1992 III 533, S. 598 f.; aus der Rechtsprechung: BGE 121 III 297 E. 4 S. 299 ff.; BGE 124 III 52 E. 2b S. 55 f.). Die Zahlungsform gemäss Art. 22b FZG setzt nach dem Gesagten lediglich voraus, dass eine Austrittsleistung oder ein Teil davon (noch) vorhanden ist und dass - nach Ermessen des Gerichts - die Zusprechung einer Rente oder eines Kapitals wegen eingeschränkter finanzieller Verhältnisse des pflichtigen Ehegatten nicht in Betracht fällt. Im Vorsorgefall "Teilinvalidität" kann die angemessene Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB damit in Anwendung von Art. 22b FZG bezahlt werden. Gewisse Vorkehren hat das Gericht dabei mit Blick auf die künftige Vollstreckung zu treffen (E. 3.6 hiernach). 3.5.3 Die Vorsorgeeinrichtung des Klägers hat die Höhe des Guthabens mitgeteilt, das für die Berechnung der zu teilenden Austrittsleistung massgebend ist. Es handelt sich dabei um einen Betrag von Fr. 62'641.- (E. 3.2.2 hiervor). Aus Güterrecht hat der Kläger bereits rund Fr. 256'000.- an die Beklagte bezahlt und wird rund Fr. 84'000.- noch bezahlen müssen, wofür ihm das Kantonsgericht einen Zahlungsaufschub von sechs Monaten gewährt hat ( Art. 218 ZGB ). Unter diesen Umständen ist es zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass der Kläger zu einer weiteren Kapitalleistung innert bestimmter Frist imstande wäre. Das Kantonsgericht hat sein Ermessen jedoch nicht verletzt, indem es nach Art. 22b FZG vorgegangen ist und die Beklagte mit der Übertragung eines Teils (Fr. 42'000.-) der beim Kläger noch vorhandenen Austrittsleistung im Sinne von Art. 124 ZGB entschädigt hat. 3.6 Mit seiner eidgenössischen Berufung hat der Kläger ein ärztliches Zeugnis eingereicht, in dem seine Arbeitsunfähigkeit auf mehr als 50% eingeschätzt wird. Als zweite Berufungsbeilage liegt eine Bestätigung der Pensionskasse des Klägers vor, wonach eine Aufteilung der Austrittsleistung dann nicht mehr möglich sein werde, wenn die eidgenössische Invalidenversicherung eine ganze Rente ausrichten würde. Nebst diesen beiden Schreiben vom 22. Februar BGE 129 III 481 S. 491 2002 hat der Kläger in einer Zusatzeingabe den Vorbescheid der kantonalen IV-Stelle vom 20. August 2002 nachgereicht, demzufolge ihm ab 1. Juni 2002 eine volle IV-Rente zustehen soll. 3.6.1 Das Kantonsgericht hat seinen Entscheid am 5. Februar 2002 an die Parteien versendet. Sämtliche Bestätigungen, auf die der Kläger sich beruft, sind nach diesem Zeitpunkt ausgestellt worden und damit neu. Sie sollen belegen, dass die angemessene Entschädigung nicht in der Form gemäss Art. 22b FZG bezahlt werden kann, weil keine Austrittsleistung mehr vorhanden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des EVG sind Vorsorgeeinrichtungen, die ausdrücklich oder unter Hinweis auf das Gesetz vom gleichen Invaliditätsbegriff wie die Invalidenversicherung ausgehen, an die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle gebunden, ausser sie erweise sich als offensichtlich unhaltbar (zuletzt: Urteil B 26/01 vom 29. November 2002, E. 2.1 nicht publ. in BGE 129 V 73 , aber in SZS 2003 S. 142). Die Verbindlichkeit des Entscheids der IV-Stelle ist insoweit nicht absolut (vgl. dazu MOSER, Die berufsvorsorgerechtliche Bindungswirkung von IV-Entscheiden, AJP 2002 S. 926 ff.; ZÜND, Enge Bindung der Vorsorgeeinrichtungen an die Feststellungen der IV-Organe, SZS 2001 S. 31 ff., 34 ff.). Die vom Kläger eingereichten Belege machen die Richtigkeit seiner Behauptung zwar glaubhaft, beweisen aber nicht, dass heute keine Austrittsleistung mehr vorhanden ist, die teilweise auf ein Freizügigkeitskonto der Beklagten übertragen werden könnte. Der Beurteilungsspielraum der klägerischen Pensionskasse ist nach dem Entscheid der kantonalen IV-Stelle zwar eng begrenzt, aber nicht vollständig aufgehoben. Erst die Verfügung der Pensionskasse kann als Beweis dafür gelten, dass dem Kläger rückwirkend eine volle IV-Rente aus der beruflichen Vorsorge ausgerichtet wird und deshalb keine teilbare Austrittsleistung des Klägers mehr besteht. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die neuen Belege des Klägers entgegen dem grundsätzlichen Novenverbot im Berufungsverfahren ( Art. 55 Abs. 1 lit. c OG ) berücksichtigt werden könnten. 3.6.2 Bei dieser Sachlage erscheint es allerdings als fraglich, ob die Anweisung an die klägerische Pensionskasse, einen Teil der Austrittsleistung des Klägers auf ein Freizügigkeitskonto der Beklagten zu übertragen, dereinst vollstreckt werden kann. Für diesen Fall, dass sich die Hauptleistung im Nachhinein nicht vollstrecken lässt, hätte die Beklagte subsidiär beantragen können, den Kläger zu einer Ersatzleistung zu verpflichten. Zu einer derart bedingten Leistung oder zu einer Verpflichtung unter entsprechenden Vorbehalt kann auch BGE 129 III 481 S. 492 das Bundesgericht verurteilen (vgl. Art. 74 Abs. 2 BZP i.V.m. Art. 40 OG ; BGE 103 II 110 E. 5a S. 113). Die Ausfällung eines bedingten Urteils setzt allerdings einen entsprechenden Berufungsantrag voraus, der hier fehlt (MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 119 S. 160 bei/in Anm. 4). 3.6.3 Auf Grund der kantonsgerichtlichen Feststellungen kann nicht abschliessend beurteilt werden, ob die Pensionskasse des Klägers die Übertragung von Fr. 42'000.- auf ein Freizügigkeitskonto der Beklagten tatsächlich wird verweigern können. In rechtlicher und verfahrensmässiger Hinsicht fällt dabei Folgendes in Betracht: Der kantonsgerichtliche Entscheid ist für die Pensionskasse des Klägers nur dann rechtsverbindlich, wenn diese nicht nur - wie das hier offenbar geschehen ist - Auskunft über die Höhe der Guthaben gegeben hat, die für die Berechnung der zu teilenden Austrittsleistung massgebend sind ( Art. 26 Abs. 3 FZG ), sondern darüber hinaus vorgängig bestätigt hat, dass die beabsichtigte Teilung und Übertragung von Austrittsleistungen durchführbar ist. Diese in Art. 141 Abs. 1 ZGB vorgesehene Regelung, die sich auf die Teilung der Austrittsleistung gemäss Art. 122 ZGB bezieht, ist wohl auch im Zusammenhang mit der angemessenen Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB zu beachten, wenn nach Art. 22b FZG vorgegangen wird (WALSER, a.a.O., N. 2 zu Art. 141 ZGB ; BAUMANN/LAUTERBURG, a.a.O., N. 29 der Vorbem. zu Art. 141/142 ZGB). Sollte die Pensionskasse des Klägers vorgängig die Durchführbarkeit der beabsichtigten Regelung bestätigt haben, müsste sie wohl den im Scheidungsurteil festgesetzten Betrag von Fr. 42'000.- auf das Freizügigkeitskonto der Beklagten übertragen, selbst wenn im Zeitpunkt der Vollstreckung keine Austrittsleistung des Klägers mehr vorhanden wäre (vgl. etwa SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 249 f. bei/in Anm. 245 und 247). Sollte sie hingegen die Durchführbarkeit nicht bestätigt haben, könnte sich die Pensionskasse des Klägers möglicherweise weigern, die im Scheidungsurteil angeordnete Übertragung zu vollziehen. Der Beklagten verbliebe allenfalls die Möglichkeit, gegen die Einrichtung der beruflichen Vorsorge Klage zu erheben ( Art. 25 FZG ; vgl. etwa SCHNEIDER/BRUCHEZ, a.a.O., S. 254 bei/in Anm. 264). Die Beklagte könnte auch in Betracht ziehen, in einem Nachverfahren zu verlangen, dass die kantonalen Gerichte das Scheidungsurteil diesbezüglich ergänzen, sei es, dass die Bestätigung über die Durchführbarkeit der getroffenen Regelung noch eingeholt wird, oder sei es, dass eine andere Form bestimmt wird, in der die geschuldete Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB BGE 129 III 481 S. 493 vom Kläger zu bezahlen ist. Denn die Frage der Durchführbarkeit hätte im Verfahren nach Art. 22b FZG entschieden werden müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie zum Gegenstand eines Nachverfahrens gemacht werden kann, wenn der daherige Entscheid fälschlicherweise unterblieben sein sollte (vgl. etwa SUTTER/FREIBURGHAUS, a.a.O., N. 67 zu Art. 122/141-142 ZGB, für den analogen Fall, dass das Gericht eine Scheidungsvereinbarung ohne entsprechende Durchführbarkeitsbestätigung genehmigt). 3.7 Aus den dargelegten Gründen bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg, soweit sie sich gegen den Ausgleich der Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge richtet.
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Sachverhalt ab Seite 202 BGE 132 I 201 S. 202 Im Kanton Aargau bemisst sich das Honorar in Strafsachen nach dem angemessenen Zeitaufwand, wobei der Stundenansatz des Rechtsanwalts bisher - je nach Bedeutung und Schwierigkeit des Falls - zwischen 185 und 250 Franken liegt (§ 9 des Dekrets über die Entschädigung der Anwälte [Anwaltstarif, AnwT] in der Fassung vom 20. Dezember 2000). Am 26. August 2003 hat der Grosse Rat des Kantons Aargau eine Dekretsänderung u.a. betreffend die Entschädigung in Strafsachen beschlossen und § 9 AnwT einen neuen zweiten Absatz angefügt, der wie folgt lautet: "Der Ansatz für unentgeltliche Rechtsvertretung beträgt pauschal Fr. 150.- pro Stunde". Die Rechtsanwälte A. (Beschwerdeführer 1) und B. (Beschwerdeführer 2) haben je staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben und die Aufhebung des neu beschlossenen § 9 Abs. 2 AnwT beantragt. Die II. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die beiden Verfahren vereinigt, die Beschwerden am 3. März 2006 in öffentlicher Beratung behandelt und unter Vorbehalt der Zustimmung der übrigen Abteilungen (vgl. Art. 16 OG ) gutgeheissen, soweit es auf sie eingetreten ist. Diesem Entscheid haben sich in der Folge sämtliche Abteilungen angeschlossen.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Gemäss dem Wortlaut des streitigen § 9 Abs. 2 AnwT gilt der reduzierte Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde einzig für BGE 132 I 201 S. 203 die "unentgeltliche Rechtsvertretung", welche im Rahmen von Strafverfahren selten vorkommt; die amtliche Verteidigung würde sich unverändert nach der bisherigen Regelung gemäss § 9 Abs. 1 AnwT richten (vgl. § 10 Abs. 1 AnwT, wo klar zwischen unentgeltlicher Rechtsvertretung und amtlicher Verteidigung unterschieden wird). Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau ging jedoch in seinem Entscheid - in Übereinstimmung mit den Beschwerdeführern - davon aus, dass § 9 Abs. 2 AnwT gerade die amtliche Verteidigung regle. In diesem Sinne wird die Vorschrift auch von sämtlichen Verfahrensbeteiligten (einschliesslich des Regierungsrats und des Grossen Rats) vor Bundesgericht verstanden. Im Übrigen ergibt sich aus den Protokollen der parlamentarischen Beratung unmissverständlich, dass es sich bei § 9 Abs. 2 AnwT um eine rechtstechnisch unrichtig formulierte Bestimmung handelt und der Grosse Rat den Stundenansatz von 150 Franken in Wirklichkeit (vorab oder ausschliesslich) für die amtliche Verteidigung in Strafsachen zur Anwendung bringen wollte. Obschon bei diesen Gegebenheiten die richtige Anwendung dieser Bestimmung nicht unwesentlich erschwert scheint und insoweit Zweifel an ihrer (formellen) Verfassungsmässigkeit bestehen, hat das Bundesgericht - mangels einer rechtsgenüglich formulierten einschlägigen Rüge ( Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ; vgl. BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.) - für das vorliegende Verfahren von der geschilderten Auslegung von § 9 Abs. 2 AnwT auszugehen. 3.2 Mithin ergibt sich folgende Regelung für die Entschädigung des Rechtsvertreters in Strafsachen: Wählt der in einer Strafuntersuchung Angeschuldigte seinen Verteidiger frei (vgl. § 57 der aargauischen Strafprozessordnung [StPO]), so können sich Rechtsanwalt und Klient über das geschuldete Honorar verständigen. Treffen sie keine Honorarvereinbarung, gilt die (subsidiäre) Regelung von § 9 Abs. 1 AnwT mit einem Stundenansatz zwischen 185 und 250 Franken. Insbesondere ab einer gewissen Dauer der Untersuchungshaft sowie bei drohenden schweren Strafen wird dem Angeschuldigten jedoch vom Untersuchungsrichter oder vom urteilenden Richter ein amtlicher Verteidiger bestellt (vgl. § § 58 ff. StPO ); dessen Entschädigung wird durch das Gericht nach dem Anwaltstarif festgesetzt (wobei sie allerdings vom Angeschuldigten zurückzuerstatten ist, soweit dieser kostenpflichtig ist und nicht Bedürftigkeit den teilweisen oder gänzlichen Verzicht auf die Rückforderung rechtfertigt; vgl. § 61 Abs. 3 StPO ). Aufgrund des neu in den Tarif eingefügten § 9 Abs. 2 AnwT BGE 132 I 201 S. 204 gilt für den amtlichen Verteidiger nunmehr zwingend ein Stundenansatz von 150 Franken, während er bisher mit einem Betrag von zwischen 185 und 250 Franken pro Stunde entschädigt wurde (vgl. § 9 AnwT in der Fassung vom 20. Dezember 2000). 3.3 Der angefochtene Anwaltstarif hat im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens eine neue Rechtsgrundlage erhalten: Das kantonale Anwaltsgesetz vom 18. Dezember 1984 (AnwG), welches den Grossen Rat in § 39 Abs. 1 zur Regelung der Anwaltsentschädigung ermächtigte, wurde per 1. Juli 2005 durch das kantonale Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (EG BGFA) ersetzt. Unter dem Marginale "Anwaltstarif" ermächtigt dessen § 5 den grossen Rat zur Regelung der Entschädigung für die unentgeltliche Rechtsvertretung (lit. a), für die amtliche Verteidigung (lit. b), für die staatliche Entschädigung an eine anwaltlich vertretene Person im Falle des Obsiegens oder der Rückweisung an die Vorinstanz (lit. c) sowie für die Entschädigung der Gegenpartei für deren Anwaltskosten (lit. d). Bei einer abstrakten Normenkontrolle kann das Bundesgericht das nachträgliche Inkrafttreten einer neuen Rechtsgrundlage des angefochtenen Erlasses berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist die erwähnte Rechtsänderung jedoch ohne Bedeutung, weil die Zuständigkeit zur Regelung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers und des unentgeltlichen Rechtsvertreters auch nach dem neuen Recht beim Grossen Rat liegt. (...) 6. 6.1 In materieller Hinsicht macht der Beschwerdeführer 2 zunächst insofern eine Verletzung des Willkürverbots geltend ( Art. 9 BV ; vgl. BGE 127 I 60 E. 5a S. 70), als sich das Honorar des unentgeltlichen Rechtsvertreters in Zivilverfahren nach den ordentlichen Bestimmungen des Anwaltstarifs bemesse (vgl. § 10 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 3-8 AnwT), während die Bemühungen des amtlichen Verteidigers aufgrund der Dekretsänderung in Anwendung eines (reduzierten) Pauschalansatzes von 150 Franken entschädigt würden. Die Rüge ist, soweit sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen genügt, nicht stichhaltig: Der Beschwerdeführer 2 verkennt insbesondere, dass die kantonalen Anwaltstarife regelmässig zwischen dem Honorar für zivil- und jenem für strafrechtliche Verfahren unterscheiden, wobei für die Bemessung üblicherweise völlig andere Regeln gelten. Wieso eine entsprechende Differenzierung BGE 132 I 201 S. 205 gerade im Bereich der amtlichen Mandate unhaltbar sein sollte, tut er nicht dar. 6.2 Geradezu abwegig ist ferner die Rüge, in der geringen (angeblich nicht kostendeckenden) Entschädigung für amtliche Mandate als Pflichtverteidiger sei eine steuerähnliche Abgabe zu erblicken, der es an einer ausreichenden Grundlage in einem formellen Gesetz (vgl. Art. 127 Abs. 1 BV ) fehle. 7. Zu prüfen bleibt die Vereinbarkeit der angefochtenen Dekretsänderung mit dem Willkürverbot und der Wirtschaftsfreiheit ( Art. 27 BV ). 7.1 Da der amtlich bestellte Anwalt Anspruch auf Entschädigung hat (vgl. E. 7.3), kann er sich gegenüber einem Erlass, welcher - wie der hier streitige § 9 Abs. 2 AnwT - sein Honorar regelt, auf das Willkürverbot berufen. Er steht zudem, vorbehältlich gewisser sachbedingter Einschränkungen, im Genuss der Wirtschaftsfreiheit (anstelle vieler vgl. BGE 130 II 87 E. 3 S. 92). Dieses Grundrecht wird im vorliegenden Zusammenhang insoweit tangiert, als der Rechtsanwalt verpflichtet ist, amtliche Mandate gegen eine staatlich festgesetzte Entschädigung zu übernehmen (vgl. FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 49). Nicht in den Geltungsbereich von Art. 27 BV fällt indessen die eigentliche Tätigkeit als amtlicher Verteidiger, weil es sich dabei um eine - durch kantonales öffentliches Recht geregelte - staatliche Aufgabe des betroffenen Rechtsanwalts handelt (vgl. BGE 113 Ia 69 E. 6 S. 71). Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit im vorliegenden Zusammenhang auch die Eigentumsgarantie ( Art. 26 BV ) angerufen wird: Die von den Beschwerdeführern befürchtete Verringerung des Vermögens durch nicht kostendeckende Honorare fällt nicht in den Geltungsbereich der Eigentumsgarantie; diese schützt zwar die einzelnen Eigentumsbefugnisse, nicht aber das Vermögen an und für sich (vgl. BGE 127 I 60 E. 3b S. 68 mit Hinweisen). 7.2 Aufgrund der einschlägigen kantonalen Gesetzgebungen waren die zugelassenen Rechtsanwälte schon bis anhin regelmässig gehalten, amtliche Pflichtverteidigungen sowie Vertretungen im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege zu übernehmen (vgl. BGE 95 I 409 E. 5 S. 411; für den Kanton Aargau vgl. § 19 AnwG, in Kraft bis zum 31. Juni 2005). Heute unterliegen die Rechtsanwälte gemäss Art. 12 lit. g des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; BGE 132 I 201 S. 206 SR 935.61) in der ganzen Schweiz einer entsprechenden Verpflichtung, allerdings nur für Verfahren in jenem Kanton, in dessen Register sie eingetragen sind. Der Bundesgesetzgeber hat sich auf die Statuierung dieses Grundsatzes beschränkt, weshalb die nähere Regelung der Pflichtmandate - einschliesslich der Frage nach deren Entschädigung (vgl. E. 7.3) - unverändert Sache der Kantone bleibt (vgl. WALTER FELLMAN, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich/Basel/Genf 2005, N. 143 zu Art. 12 BGFA ). 7.3 Anfänglich haben die Kantone die Rechtsanwälte für derartige amtliche Mandate häufig gar nicht oder bloss symbolisch entschädigt (sog. "nobile officium" zugunsten der Mittellosen; zur Rechtslage Anfang des letzten Jahrhunderts vgl. E. ZÜRCHER, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 1920, S. 180 f.). In der Folge hat sich aber rasch die Auffassung durchgesetzt, dass der amtlich eingesetzte Rechtsvertreter immerhin Anspruch auf ein "angemessenes" Honorar hat (vgl. BGE 109 Ia 107 E. 3c S. 111), welches mindestens seine Selbstkosten decken muss ( BGE 122 I 1 E. 3a S. 2). 7.3.1 Wie der Kanton Aargau haben die meisten Kantone besondere Regeln über die Entschädigung der Rechtsanwälte für amtliche Mandate erlassen, wobei die vorgesehenen staatlichen Honorare regelmässig (deutlich) unter den Ansätzen liegen, die bei einer privaten Mandatierung - von Gesetzes wegen oder aufgrund privatrechtlicher Abrede - zur Anwendung kämen. Obschon diese Praxis in der Literatur auf nahezu einhellige Kritik gestossen ist (vgl. etwa WOLFFERS, a.a.O., S. 164 f.; FELLMAN, a.a.O., N. 143 zu Art. 12 BGFA ; WOLFGANG SALZMANN, Das besondere Rechtsverhältnis zwischen Anwalt und Rechtsstaat, Diss. Freiburg 1976, S. 305 f.; URSULA KOHLbacher, Verteidigung und Verteidigungsrechte unter dem Aspekt der "Waffengleichheit", Diss. Zürich 1978, S. 74; MARC ANDRÉ JACOT, Die Kosten der Rechtsverfolgung als Schranke für den Rechtsuchenden, Diss. Zürich 1978, S. 68), richtet die grosse Mehrheit der Kantone auch heute noch reduzierte Honorare an die amtlich eingesetzten Rechtsvertreter aus: In den Kantonen Bern (vgl. Art. 17 Abs. 1 des Dekrets vom 6. November 1973 über die Anwaltsgebühren in der Fassung vom 9. November 1992) und Jura (vgl. Art. 9 Abs. 1 de l'ordonnance du 19 avril 2005 fixant le tarif des honoraires d'avocat) bezieht der amtlich bestellte Anwalt lediglich zwei Drittel der tarifmässigen Entschädigung, während dem unentgeltlichen Rechtsbeistand bzw. amtlichen Verteidiger im Kanton Wallis gar nur 60 Prozent des ordentlichen Honorars bezahlt werden (vgl. Art. 29 des BGE 132 I 201 S. 207 Gesetzes vom 14. Mai 1998 betreffend den Tarif der Kosten und Entschädigungen vor Gerichts- oder Verwaltungsbehörden). 70 Prozent sind es im Kanton Tessin (vgl. Art. 6 Abs. 2 della legge sul patrocinio d'ufficio e sull'assistenza giudiziaria del 3 giugno 2002), 75 Prozent in den Kantonen Graubünden (vgl. § 9 Abs. 1 der Verordnung vom 16. Dezember 1974 über Gebühren und Entschädigung der im Strafverfahren mitwirkenden Personen sowie das Rechnungswesen in Verbindung mit Art. 7 der Honoraransätze des Bündnerischen Anwaltsverbands [in der Fassung vom 24. November 2003; www.grav.ch/pdf/honorar.pdf]) und Uri (vgl. Art. 26 Abs. 1 der Verordnung vom 16. Dezember 1987 über die Gebühren und Entschädigungen vor Gerichtsbehörden), je 80 Prozent in den Kantonen Thurgau (vgl. § 13 der Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif für Zivil- und Strafsachen vom 9. Juli 1991), Schwyz (vgl. § 5 des Gebührentarifs für Rechtsanwälte vom 27. Januar 1975), St. Gallen (vgl. Art. 31 Abs. 3 des Anwaltsgesetzes vom 11. November 1993, Fassung vom 18. Juni 1998) und Appenzell-Innerrhoden (vgl. Art. 21 der Verordnung vom 7. Oktober 2002 über die Honorare der Anwälte). Immerhin 85 Prozent des ordentlichen Honorars erhalten die amtlichen Rechtsvertreter in den Kantonen Luzern (vgl. § 71 Abs. 2 der Verordnung des Obergerichts vom 6. November 2003 über die Kosten in Zivil- und Strafverfahren sowie in weiteren Verfahren) und Nidwalden (vgl. § 52 der Verordnung vom 8. Januar 1977 über die Kosten im Verfahren vor den Gerichten, Fassung vom 11. Januar 1989). Auch in den Kantonen Waadt (vgl. Art. 27 ff. du tarif des frais judiciaires pénaux du 7 octobre 2003) und Genf (vgl. Art. 19 du règlement du 18 mars 1996 sur l'assistance juridique, état au 5 février 2003) wird die Entschädigung der amtlichen Verteidiger herabgesetzt: Für diese finden gesonderte Tarife Anwendung, welche wesentlich tiefere Ansätze vorsehen als sie für die gewillkürten Vertreter gelten bzw. üblich sind. 7.3.2 Etliche Kantone kennen für die Pflichtverteidiger - der hier streitigen Regelung entsprechend - einen (reduzierten) fixen Stundenansatz, zu welchem (in aller Regel gestützt auf eine dahingehende ausdrückliche Bestimmung) die Mehrwertsteuer zu addieren ist (vgl. BGE 122 I 1 E. 3c S. 4): In Glarus (vgl. Art. 6 des Tarifs für die Entschädigung der öffentlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertretung vom 12. März 2004), in Appenzell-Ausserrhoden (vgl. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 14. März 1995 über den Anwaltstarif) und in Freiburg (vgl. Art. 24 Abs. 1 des Gesetzes BGE 132 I 201 S. 208 vom 4. Oktober 1999 über die unentgeltliche Rechtspflege in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 des Tarifs vom 14. Juni 2000 über die Entschädigungen der Rechtsbeistände bei der unentgeltlichen Rechtspflege in Zivil- und Strafsachen und bei der Hilfe an Opfer von Straftaten) gilt für die amtliche Verteidigung ein Ansatz von 150 Franken, in Schaffhausen ein solcher von 160 Franken pro Stunde (vgl. § 3 der Verordnung des Obergerichts über die Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 16. August 2002, Fassung vom 13. Juni 2003), während in Solothurn 170 Franken pro Stunde bezahlt werden (vgl. § 12 Abs. 3 der Strafprozessordnung in Verbindung mit dem Beschluss des Solothurner Obergerichts vom 23. Mai 2001 und dessen Kreisschreiben vom 14. Januar 1991). In den Kantonen Basel-Landschaft (vgl. § 21 des Gesetzes vom 3. Juni 1999 betreffend die Strafprozessordnung in Verbindung mit § 3 Abs. 2 der Tarifordnung vom 17. November 2003 für die Anwältinnen und Anwälte) und Basel-Stadt (vgl. § 17 der Strafprozessordnung vom 8. Januar 1997 in Verbindung mit dem Beschluss des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 24. September 2002 [BJM 2002 S. 344]) erhält der amtliche Verteidiger 180 und im Kanton Zürich 200 Franken pro Stunde (vgl. § 15 der Verordnung vom 10. Juni 1987 über die Anwaltsgebühren in Verbindung mit dem Schreiben der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. März 2002 [vgl. die Richtlinien über die Entschädigung für amtliche Mandate des Zürcher Bezirksgerichts; www. bezirksgericht-zh.ch/zrp/zuerich.nsf/wViewContent/F5EFEBC0CC5 4993EC1256C8E005C4495/$File/M_Entschaedigung.pdf]). Lediglich mit 135 Franken pro Stunde entschädigt wird der amtliche Verteidiger im Kanton Neuenburg, wobei einem Rechtsanwalt im Anstellungsverhältnis gar bloss 100 Franken bezahlt werden (vgl. Art. 9 du règlement d'exécution de la loi sur l'assistance judiciaire et administrative du 1 er décembre 1999). 7.3.3 Grundsätzlich nach dem gleichen Tarif wie ein gewillkürter Vertreter entschädigt werden amtliche Verteidiger nur gerade in den Kantonen Zug (vgl. § 16 in Verbindung mit §§ 15 und 14 der Verordnung des Obergerichts über den Anwaltstarif vom 3. Dezember 1996) und Obwalden (vgl. Art. 43 der Gebührenordnung für die Rechtspflege vom 28. September 1973), wobei die staatlichen Entschädigungen erfahrungsgemäss auch hier geringer ausfallen dürften als das Honorar eines privat bezahlten Verteidigers. BGE 132 I 201 S. 209 7.3.4 Das Bundesgericht hat es in ständiger Rechtsprechung als zulässig erachtet, dass das Honorar für amtliche Mandate im Vergleich zu demjenigen für freie Mandate herabgesetzt wird (vgl. BGE 122 I 1 E. 3a S. 3; BGE 118 Ia 133 E. 2b S. 134; BGE 117 Ia 22 E. 3a S. 23; BGE 109 Ia 107 E. 3c S. 111). Art. 9 des von ihm am 9. November 1978 erlassenen Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht (SR 173.119.1) sieht seinerseits die Möglichkeit der Herabsetzung der Entschädigung von amtlich bestellten Rechtsvertretern vor, und zwar bis auf zwei Drittel des ordentlichen tariflichen Anspruchs. Allein der Umstand, dass gemäss § 9 Abs. 2 AnwT für Pflichtverteidigungen ein reduzierter Stundenansatz zur Anwendung gelangt, lässt die streitige Dekretsänderung mithin nicht als verfassungswidrig erscheinen. Dies umso weniger, als sich die Kürzung im Rahmen dessen bewegt, was sowohl vor Bundesgericht als auch im Grossteil der anderen Schweizer Kantone gilt: Der reduzierte Ansatz von 150 Franken pro Stunde macht 69 Prozent des mittleren ordentlichen Tarifs von 217.50 Franken (vgl. § 9 Abs. 1 AnwT) aus; von dessen Minimum (185 Franken) beträgt er 81 Prozent und von dessen Maximum (250 Franken) immerhin 60 Prozent. 7.4 Es bleibt zu prüfen, ob der hier angefochtene Stundenansatz von 150 Franken aus andern Gründen verfassungswidrig ist: 7.4.1 Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst es nicht gegen die Bundesverfassung, wenn der Rechtsanwalt aufgrund des reduzierten Honorars mit amtlichen Mandaten keinen oder nur einen geringen Gewinn erzielen kann. Eine Verletzung des Willkürverbots - und mittelbar auch der Wirtschaftsfreiheit - liegt erst dann vor, wenn die gewährte Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken vermag. Allerdings fehlt es regelmässig an verlässlichen Angaben darüber, wie viel die allgemeinen Aufwendungen pro verrechenbare Stunde letztlich ausmachen: Die Tätigkeit eines Rechtsanwalts bedingt einen Bürobetrieb, der bereits als solcher mit erheblichen Unkosten für Miete, Einrichtung und Personal verbunden ist. Hinzu kommen die Aufwendungen für die Altersvorsorge und die Sozialversicherungen sowie Verdienstausfälle wegen Krankheit, Ferien, Fortbildung oder Zahlungsunfähigkeit von Klienten (vgl. BGE 101 II 109 E. 3b S. 113 f.). Aufgrund von allgemeinen Erfahrungswerten ist das Bundesgericht bisher davon ausgegangen, dass die Selbstkosten des Rechtsanwalts in der Regel zwischen 40 und 50 Prozent von dessen Bruttoeinkommen ausmachen (vgl. BGE 122 I 1 E. 3a S. 3; Urteil 1P.653/1995, publ. in: SJ 1996 S. 667, E. 3b). BGE 132 I 201 S. 210 Gemessen am Einkommen, das die Anwälte in Anwendung des (allerdings eher knapp bemessenen) ordentlichen Tarifs in Strafsachen erzielen könnten, macht die streitige Reduktion maximal 40 Prozent aus (vgl. E. 7.3.4 i.f.) und erscheint insoweit nicht unzulässig. 7.4.2 Das Bundesgericht hat bisher nur dann eingegriffen, wenn das Honorar des amtlichen Anwalts klar unter dessen Selbstkosten lag, wobei es jeweilen auch die lokalen Gegebenheiten und insbesondere die örtlichen Lebenshaltungskosten berücksichtigte: In den Jahren 1983 und 1984 bezeichnete es einen Stundenansatz von 70 bzw. 80 Franken für amtliche Verteidiger im Kanton Zürich als noch knapp ausreichend (Urteile P.538/1982 vom 21. März 1983 und P.585/1984 vom 11. Oktober 1984). Bereits für das Jahr 1985 erachtete es jedoch - mit Blick auf die hohen Lebenshaltungskosten im Kanton Genf - eine Entschädigung von 80 Franken pro Stunde als nicht mehr kostendeckend (Urteil P.225/1985 vom 26. Februar 1986). Anders entschied es "in Anbetracht der thurgauischen Verhältnisse" bezüglich eines Honorars von 61 Franken pro Stunde für eine 1989 wahrgenommene Pflichtverteidigung; allerdings sei dieser Betrag an der untersten Grenze dessen, was noch vor dem Willkürverbot Stand zu halten vermöge (Urteil 1P.650/1990 vom 26. Februar 1991); bereits zwei Jahre später war der gleiche Betrag wegen der Teuerung nicht mehr ausreichend (Urteil 1P.158/1992 vom 18. September 1992). Als geradezu unhaltbar tief bezeichnete das Bundesgericht zur gleichen Zeit ähnlich bescheidene Entschädigungen von 67 Franken im Kanton Waadt (Urteil 5P.125/1991 vom 20. August 1991) bzw. rund 60 Franken im Kanton Wallis (Urteil 1P.412/1992 vom 19. November 1992). Die Höhe des verfassungsrechtlich garantierten Mindesthonorars nahm zunächst nur langsam zu: Eine Entschädigung von 100 Franken pro Stunde für Genfer Pflichtverteidiger betrachtete das Bundesgericht noch 1992 als verfassungskonform (Urteil 5P.298/1991 vom 20. Januar 1992). Am 31. Januar 1996 kam es dann in drei gleichzeitig gefällten Entscheidungen zum Schluss, der geltende Tarif des Kantons Genf, welcher Entschädigungen von 120 (bzw. 100) Franken pro Stunde vorsah, sei unhaltbar tief; dabei ging es für in Genf praktizierende Rechtsanwälte von Selbstkosten im Bereich zwischen 122 und 152 Franken pro Stunde aus (Urteile 1P.655/ 1995, 1P.653/1995 [publ. in: SJ 1996 S. 667] und BGE 122 I 1 ). Für amtliche Mandate des Kantons Wallis erachtete das Bundesgericht demgegenüber ein Honorar im Bereich von 92 bis 115 Franken BGE 132 I 201 S. 211 pro Stunde als noch zulässig (Urteil 1P.369/1996 vom 27. Oktober 1997; vgl. auch Urteil 1P.417/2000 vom 4. Dezember 2000). Als verfassungswidrig kassierte es eine Entschädigung von 100 Franken pro Stunde, wie sie der Kanton Neuenburg noch vorgesehen hatte (vgl. Urteil 1P.379/1998 vom 11. November 1998), bevor er für amtliche Mandate den neuen Stundenansatz von 135 Franken einführte (vgl. E. 7.3.2); dieser wurde vom Bundesgericht alsdann am 1. Dezember 1999 als an der unteren Grenze des verfassungsmässig Zulässigen bezeichnet (Urteil 1P.28/2000 vom 15. Juni 2000). Geschützt wurden weiter die folgenden Ansätze: 130 Franken im Kanton Thurgau (Urteil 6P.108/1997 vom 24. Oktober 1997), 150 Franken in den Kantonen Freiburg (Urteil 1P.64/1998 vom 8. April 1998) und Zürich (Urteil 1P.35/1999 vom 5. März 1999) sowie 160 Franken im Kanton Waadt (Urteil 4P.236/1999 vom 12. November 1999). 7.4.3 Bei dem im Tarif des Kantons Genf vorgesehenen Ansatz von 120 Franken pro Stunde handelt es sich mithin um das höchste Honorar eines amtlichen Verteidigers, welches das Bundesgericht je für verfassungswidrig erklärt hat. Gemäss den Ausführungen in den betreffenden Urteilen lag die Bandbreite für ein kostendeckendes Honorar 1996 zwischen 122 und 152 Franken pro Stunde. Anhand des Landesindexes der Konsumentenpreise (Jahresdurchschnitt 1996 = 103,4 Punkte; Februar 2006 = 111,8 Punkte; Basis Mai 1993 = 100 Punkte) lässt sich abschätzen, dass diese Ansätze heute etwa solchen von 132 bis 164 Franken entsprechen würden. Das fragliche Ergebnis lässt den hier streitigen Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde ohne weiteres als kostendeckend erscheinen, weil das Kostenniveau im Kanton Aargau deutlich unter demjenigen in Genf liegen dürfte. Nichts anderes ergibt sich mit Blick auf den Entscheid 1P.28/2000 vom 15. Juni 2000, welcher den - mit dem Aargau wohl eher vergleichbaren - Kanton Neuenburg betraf: Das dort als gerade noch zulässig bezeichnete Honorar von 135 Franken pro Stunde entspricht auf die heutigen Verhältnisse übertragen einem Stundenansatz von 142 Franken (Jahresdurchschnitt 2000 = 106,4 Punkte). 7.5 Aus dem Gesagten folgt, dass der streitige Stundenansatz von 150 Franken für Pflichtverteidigungen sich noch im Rahmen dessen hält, was gemäss der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung verfassungsrechtlich gefordert werden kann: Er ist weder mit BGE 132 I 201 S. 212 Blick auf die Verhältnisse in den anderen Kantonen noch aufgrund der einschlägigen Präjudizien offensichtlich zu niedrig. 7.5.1 Was die Beschwerdeführer hiergegen vorbringen, vermag nicht zu überzeugen: Sie behaupten zwar, ein Honorar von 150 Franken pro Stunde decke ihre Selbstkosten nicht. Sie machen indessen keinerlei Angaben hierzu und äussern sich insbesondere weder zur Kostenstruktur ihrer Kanzleien noch zu ihren jährlichen Bruttoeinnahmen. Der Beschwerdeführer 1 verweist in diesem Zusammenhang einzig auf eine Mitteilung des Präsidenten des Aargauischen Anwaltsverbandes, in welcher sich dieser zum Ergebnis einer im Herbst 2003 "bei einzelnen Berufskollegen" gemachten Umfrage betreffend Praxisunkosten äussert. Gemäss dieser soll der allgemeine Aufwand (unter Einbezug der Sozialversicherungskosten) 170 Franken pro verrechenbare Stunde betragen. Die fraglichen Ergebnisse sind offensichtlich nicht repräsentativ und weichen denn auch deutlich von jenen einer landesweiten Umfrage ab, die der Schweizerische Anwaltsverband (SAV) bei seinen Mitgliedern durchgeführt hat. 7.5.2 Gemäss dieser letzteren Studie haben selbständigerwerbende Rechtsanwälte, welche zu weniger als einem Fünftel mit amtlichen Mandaten ausgelastet sind, im Mittel einen allgemeinen Geschäftsaufwand von 146 Franken pro fakturierbare Arbeitsstunde zu tragen. Für selbständigerwerbende Rechtsanwälte, die zu mindestens einem Fünftel amtliche Mandate verrichteten, liegt der entsprechende Wert deutlich tiefer bei 114 Franken. Diese zweite Gruppe ist aber wesentlich kleiner und macht nur rund einen Viertel jener Rechtsanwälte aus, die überhaupt amtliche Mandate übernehmen; zu ihr gehören indessen keineswegs nur Berufsanfänger, weisen die betreffenden Anwälte doch offenbar im Durchschnitt eine Berufserfahrung von 12 Jahren auf (URS FREY/HEIKO BERGMANN, Bericht: Studie Praxiskosten des Schweizerischen Anwaltsverbandes, Schweizerisches Institut für Klein- und Mittelunternehmen der Universität St. Gallen, 31. März 2005, S. 26 f.; vgl. auch BRUNO PELLEGRINI, Umfrage bei den Schweizer Anwältinnen und Anwälten zu den Praxiskosten, in: Anwaltsrevue 2005 H. 8 S. 315). Basis dieser Erhebungen bildete das Jahr 2003, so dass die ermittelten Werte heute (indexierten) Beträgen von 150 bzw. 117 Franken entsprechen (Jahresdurchschnitt 2003 = 108,9 Punkte). Wird auf die Resultate dieser letzteren Studie abgestellt, welche richtigerweise auch die Auslagen für die berufliche Vorsorge sowie die Beiträge für die BGE 132 I 201 S. 213 Sozialversicherungen (einschliesslich Krankentaggeldversicherung) berücksichtigt, so vermag der streitige Stundenansatz von 150 Franken die Selbstkosten der amtliche Mandate übernehmenden Rechtsanwälte grundsätzlich zu decken. 7.5.3 Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht ferner, dass der Zürcher Anwaltsverband in einer vom Beschwerdeführer 2 eingereichten Studie für seine Mitglieder nur unwesentlich höhere Selbstkosten ermittelt hat als der Schweizerische Anwaltsverband: Gemäss dieser Erhebung, welche auf Zahlen aus dem Jahre 1999 beruht, betrugen die Selbstkosten für Rechtsanwälte, die weniger als zu einem Fünftel mit amtlichen Mandaten ausgelastet sind, im Mittel 153 Franken pro fakturierbare Arbeitsstunde, während sie für Rechtsanwälte, die zu mindestens einem Fünftel amtliche Mandate verrichten, bei 112 Franken lagen. Diese Beträge entsprechen heute Selbstkosten von 163 bzw. 120 Franken (Jahresdurchschnitt 1999 = 104,8 Punkte), was im Ergebnis mit den für Genf errechneten 164 Franken pro Stunde übereinstimmt (vgl. E. 7.4.3). Weil das Kostenniveau im Kanton Zürich - wie im Kanton Genf (vgl. Urteil 1P.201/ 2000 vom 22. Juni 2000, E. 4c) - erfahrungsgemäss deutlich über dem schweizerischen Durchschnitt liegt, erscheint der streitige Pauschalansatz von 150 Franken pro Stunde für die Verhältnisse im Aargau als kostendeckend. 8. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die geltende Rechtsprechung, gemäss welcher die Rechtsanwälte für amtliche Mandate von Verfassungs wegen nur Anspruch auf Deckung der Selbstkosten haben, aufrecht erhalten werden kann. 8.1 Die bisherige Rechtsprechung ist in der besonderen Stellung der Berufsgruppe der Rechtsanwälte begründet. Sie geht davon aus, dass diese - nicht zuletzt dank des vor allem im Zivil- und Strafverfahren geltenden Anwaltsmonopols - ein gesichertes Auskommen haben. Auch wenn der Staat mit dem "Monopol" allgemeine Interessen der Rechtspflege verfolgt und nicht dem Anwaltsstand ein Privileg einräumen will, so darf er doch im Gegenzug für den so gewährten Konkurrenzschutz von den Rechtsanwälten die Übernahme der amtlichen Mandate zu einem reduzierten - bzw. nur gerade kostendeckenden - Honorar verlangen (vgl. E. 7.3.4 und 7.4.1). Nun haben sich aber sowohl die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Auffassung vom Rechtsstaat als auch der Beruf des Rechtsanwalts als solcher (vgl. hierzu: ANDRÉ THOUVENIN, Das künftige BGE 132 I 201 S. 214 Berufsbild der Anwälte aus Schweizer Sicht, in: DACH - Europäische Anwaltsvereinigung [Hrsg.], Das künftige Berufsbild des Anwalts in Europa, Köln 2000, S. 115 ff.) über die letzten Jahrzehnte hinweg wesentlich verändert: 8.2 Einerseits hat das Institut der unentgeltlichen Rechtspflege immer mehr an Bedeutung gewonnen und nach und nach alle Verfahren, einschliesslich der nicht gerichtlichen (so zuletzt: BGE 130 I 180 E. 2.2 S. 182), sowie alle Rechtsgebiete erfasst (vgl. BGE 128 I 225 E. 2.3 S. 227). Als Ausfluss des allgemeinen Rechtsgleichheitsgebots ( Art. 8 Abs. 1 BV ) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör ( Art. 29 Abs. 2 BV ) bildet es eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass in der Schweiz alle Personen Zugang zu den Gerichten erhalten. Nur dank dem in Art. 29 Abs. 3 BV garantierten Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ist sichergestellt, dass auch die Mittellosen tatsächlich die Möglichkeit haben, ihre Rechte durchzusetzen (so schon BGE 13 S. 254 f.). Es handelt sich deshalb beim fraglichen Institut um einen eigentlichen Pfeiler des Rechtsstaates (vgl. etwa: BERNARD CORBOZ, Le droit constitutionnel à l'assistance judiciaire, in: SJ 2003 II S. 67); dies gilt gerade mit Bezug auf das Strafverfahren und die (gegebenenfalls unentgeltliche) amtliche Verteidigung, drohen doch dem Angeschuldigten hier regelmässig empfindliche Eingriffe in seine Rechtsgüter. 8.3 Andererseits sind die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen für die Ausübung des Anwaltsberufs heute wesentlich andere als zur Zeit, in welcher die fragliche Praxis zur Entschädigung amtlicher Mandate begründet wurde. Zunächst hat die forensische Anwaltstätigkeit wirtschaftlich wesentlich an Bedeutung verloren. Lukrativ ist heute mehr und mehr die Beratung (vorab im Finanz-, Steuer- und Handelsrecht), welche oft unabhängig von einem konkreten Rechtsstreit nachgefragt wird und deshalb zum Vornherein nicht den Rechtsanwälten vorbehalten ist. Letzteren erwächst in diesem Tätigkeitsfeld immer stärkere Konkurrenz von Banken, Versicherungen, Treuhandbüros und Unternehmensberatern, die ihren Kunden umfassende Dienstleistungen unter Einschluss der erforderlichen rechtlichen Beratung anbieten können (vgl. hierzu MICHAEL PFEIFER/PETER WIDMER, Rechtsberatungsmarkt Schweiz - Nimmt der Anwalt teil am Aufbruch oder ist er Auslaufmodell, in: Fellmann/Huguenin Jacobs/Poledna/Schwarz [Hrsg.], Schweizerisches Anwaltsrecht, Festschrift 100 Jahre SAV, Bern 1998, S. 57 ff.). Gleichzeitig hat im Rahmen der forensischen BGE 132 I 201 S. 215 Tätigkeit die Bedeutung der öffentlichrechtlichen Streitigkeiten zugenommen, für welche - weil sie in den meisten Kantonen nicht unter das Anwaltsmonopol fallen - in aller Regel auch Parteivertreter ohne Rechtsanwaltspatent zugelassen sind; demzufolge werden die Anwälte in diesem Bereich vermehrt durch Unternehmensberatungsgesellschaften, Treuhandbüros oder Steuerberater konkurrenziert, die für ihre Kunden immer häufiger auch Gerichtsverfahren führen. Alle diese neuen Konkurrenten des Rechtsanwalts müssen keine staatlichen Pflichtmandate führen, im Rahmen derer sie ihre Dienstleistungen gegen eine reduzierte, allenfalls bloss kostendeckende Entschädigung zu erbringen haben. Schliesslich hat die steigende Zahl der Grosskanzleien mit Dutzenden von Anwälten den Wettbewerbsdruck auf die traditionellen Anwaltsbüros zusätzlich erhöht (vgl. ISABELLE HÄNER, Das veränderte Berufsbild des Anwalts und der Anwältin, in: Bernhard Ehrenzeller [Hrsg.], Das Anwaltsrecht nach dem BGFA, St. Gallen 2003, S. 13 f.), was insoweit von Bedeutung ist, als es fast ausschliesslich die in solchen Kleinkanzleien tätigen Rechtsanwälte sind, welche die amtlichen Mandate übernehmen. 8.4 Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte findet daher heute zum Vornherein nicht mehr die gleich günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor wie früher. Gleichzeitig hat aber auch die Zahl der zu übernehmenden amtlichen Mandate stetig zugenommen; einerseits, weil der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung immer neue Rechtsgebiete erfasst hat (zur dieser Entwicklung vgl. ALFRED BÜHLER, Die neuere Rechtsprechung im Bereich der unentgeltlichen Rechtspflege, in: SJZ 94/1998 S. 225 f.), und andererseits, weil dieses Institut von den Rechtsuchenden immer häufiger in Anspruch genommen wird bzw. werden muss. Heutzutage sind es nicht mehr - wie ursprünglich - bloss einige wenige Mandate, sondern eine ins Gewicht fallende Menge von Verfahren, welche von den Rechtsanwälten zu einem reduzierten, häufig nur knapp kostendeckenden Tarif betreut werden müssen. Die zahlenmässige Zunahme der amtlichen Mandate hat dazu geführt, dass diese heute bei vielen Rechtsanwälten einen wesentlichen Teil der Arbeitskraft binden: Bei jenen, die häufig Pflichtmandate übernehmen, machen Letztere mit durchschnittlich 35 Prozent der verrechenbaren Stunden fast die Hälfte ihrer forensischen Tätigkeit aus (auf die nicht amtlichen Gerichtsverfahren entfallen 39 und auf die Beratungstätigkeit 18 Prozent der verrechenbaren Stunden; vgl. FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27). BGE 132 I 201 S. 216 8.5 Der verfassungsrechtliche Anspruch des mittellosen Rechtsuchenden auf unentgeltliche Verbeiständung gilt als Errungenschaft des modernen Rechtsstaats. Mit diesem Institut sind allerdings immer höhere Kosten für das Gemeinwesen verbunden, welche inzwischen einen beträchtlichen Teil der Gesamtaufwendungen für die Rechtsprechung (je nach Kanton offenbar 10 bis 35 Prozent) ausmachen (vgl. die Angaben verschiedener Kantone die Zivilrechtspflege betreffend, in: Christian Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, Bern 2001, S. 212 f.). Wie gesehen haben nahezu alle Kantone ihre eigenen Kosten dadurch reduziert, dass sie den als amtlichen Vertretern eingesetzten Rechtsanwälten - denen es letztlich obliegt, die vom Staat in Art. 29 Abs. 3 BV gewährte Garantie zu erfüllen - nur eine im Vergleich zum ordentlichen Honorar gekürzte Entschädigung bezahlen (vgl. E. 7.3). Zwar hält diese Reduktion der Ansätze auch heute noch vor der Verfassung stand; angesichts der dargestellten veränderten Verhältnisse kann jedoch insoweit nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten werden, als diese eine Herabsetzung des Honorars für amtliche Mandate bis auf die Höhe der Selbstkosten des Rechtsanwalts zulässt: Die Tätigkeit als amtlicher Vertreter (und mithin auch die Frage nach dessen Entschädigung) ist zwar als staatliche Aufgabe dem Geltungsbereich von Art. 27 BV grundsätzlich entzogen (vgl. E. 7.1). Doch sind die Rechtsanwälte, auch wenn sie nahezu ausnahmslos freiwillig amtliche Mandate führen, zu deren Übernahme doch gesetzlich verpflichtet (vgl. E. 7.2). In Anbetracht der stark gewachsenen Zahl der amtlichen Mandate sowie der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheint es stossend, wenn ihnen für diesen Teil ihrer Tätigkeit bloss die eigenen Aufwendungen abgegolten werden. Es ist mit dem Willkürverbot und indirekt auch mit Art. 27 BV nicht mehr vereinbar, als Untergrenze für eine "angemessene Entschädigung" lediglich die Deckung der Selbstkosten vorzuschreiben. Auch wenn die Frage nach der Entschädigung des amtlichen Vertreters für ein bestimmtes Mandat nicht in den Geltungsbereich der Wirtschaftsfreiheit fällt, so verbietet diese nach heutigem Verständnis doch, die Rechtsanwälte als Berufsgruppe zu "Frondiensten" zu verpflichten, indem sie für den Staat Leistungen zu erbringen haben, ohne dabei einen Verdienst zu erzielen. Es ist denn auch nicht ersichtlich, dass Angehörige eines andern Berufsstands in vergleichbarer Weise gehalten wären, staatliche BGE 132 I 201 S. 217 Aufgaben für eine bloss kostendeckende Entschädigung zu übernehmen; insbesondere ist Entsprechendes bei ihren Konkurrenten (Banken, Versicherungen, Unternehmungsberatungsgesellschaften, Treuhandbüros und Steuerberatern) nicht der Fall. Schliesslich vermag auch das Anwaltsmonopol, das für die Rechtsanwälte nur noch von beschränkter wirtschaftlicher Bedeutung ist, einen blossen Unkostenersatz für amtliche Mandate nicht zu rechtfertigen. 8.6 Nach dem Gesagten sind die Rechtsanwälte für amtliche Mandate von Verfassungs wegen entsprechend zu entlöhnen, wobei eine Kürzung des Honorars im Vergleich zum ordentlichen Tarif zulässig bleibt. Doch sind es aber nicht mehr die Selbstkosten des amtlichen Vertreters, welche die Untergrenze für eine verfassungskonforme Entschädigung bestimmen. Der Verdienst, den dieser mit dem Pflichtmandat erzielt, darf zwar bescheiden, nicht aber bloss symbolischer Natur sein. Bei einer staatlichen Entschädigung von 150 Franken pro Stunde, wie sie hier streitig ist, ist aber bestenfalls Letzteres der Fall. Obwohl nur mit Zurückhaltung auf die von den Anwaltsverbänden selbst ermittelten Zahlen (vgl. E. 7.5.2 und 7.5.3) abzustellen ist, kann doch davon ausgegangen werden, dass ein Stundenansatz von 150 Franken für die Mehrzahl der betroffenen Rechtsanwälte bloss gerade noch kostendeckend ist, aber keinen nennenswerten Verdienst erlaubt. Auch wenn das Kostenniveau im Kanton Aargau unter jenem der grossen Städte liegen dürfte, sind die lokalen Verhältnisse doch nicht derart anders, als dass bei den Aargauer Rechtsanwälten von wesentlich tieferen Selbstkosten als bei ihren Kollegen aus anderen Kantonen auszugehen wäre. Die von § 9 Abs. 2 AnwT für amtliche Verteidiger vorgesehene Entschädigung ist mithin ungenügend. 8.7 Aufgrund der zumindest als Richtwert verwendbaren Ergebnisse der Studie des Schweizerischen Anwaltsverbands, gemäss welcher die allgemeinen Aufwendungen der Rechtsanwälte 114 bzw. 146 Franken pro Stunde betragen (indexiert: 117 bzw. 150 Franken pro Stunde; vgl. E. 7.5.2), kann von einem Mittelwert der Selbstkosten von rund 130 Franken ausgegangen werden (einschliesslich der Beiträge für die berufliche Vorsorge, die Sozialversicherung und die Krankentaggeldversicherung). Gestützt hierauf lässt sich im Sinne einer Faustregel festhalten, dass sich die Entschädigung für einen amtlichen Anwalt im schweizerischen Durchschnitt heute in der Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde (zuzüglich Mehrwertsteuer) bewegen muss, um vor der Verfassung stand zu halten, BGE 132 I 201 S. 218 wobei kantonale Unterschiede eine Abweichung nach oben oder unten rechtfertigen können. Dieser Betrag liegt in der Nähe des Stundenansatzes von 200 Franken (zuzüglich Mehrwertsteuer), den das Eidgenössische Versicherungsgericht - welches allerdings insoweit nicht auf eine Willkürkognition beschränkt ist - kürzlich für das Sozialversicherungsverfahren geschützt hat (vgl. BGE 131 V 153 E. 7 S. 160; vgl. auch Art. 3 des Reglements vom 11. Februar 2004 über die Entschädigungen in Verfahren vor dem Bundesstrafgericht [SR 173.711.31], welcher für amtliche Verteidiger ein Mindesthonorar von 200 Franken pro Stunde vorsieht). Zwar fällt mit einem Stundenansatz von 180 Franken der Verdienst jener Rechtsanwälte mit etwas höheren Selbstkosten, welche heute offenbar im Bereich von 150 Franken liegen, immer noch bescheiden aus. Weil die Betroffenen aber nur relativ wenige amtliche Mandate übernehmen (sie wenden anscheinend im Durchschnitt nur gerade 4 Prozent ihrer verrechenbaren Stunden für Pflichtmandate auf; vgl. FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27), ist für sie von Verfassungs wegen kein höherer Ansatz erforderlich: Für Rechtsanwälte, die bloss während 50-70 Stunden pro Jahr als amtliche Vertreter tätig sind, hat der Umfang der dafür bezahlten Entschädigung zum Vornherein keine grosse wirtschaftliche Bedeutung. Bei den verfassungsrechtlichen Überlegungen zum minimalen Stundenansatz stehen jene Rechtsanwälte im Vordergrund, die häufig als amtliche Vertreter wirken. Zwar handelt es sich dabei um die kleinere Gruppe, die aber den Grossteil (rund drei Viertel; vgl. FREY/BERGMANN, a.a.O., S. 27) der amtlichen Mandate übernimmt. Diese Rechtsanwälte haben, weil sie regelmässig eine günstigere Infrastruktur unterhalten und weniger Personal beschäftigen, erfahrungsgemäss geringere Fixkosten zu tragen; ihre Selbstkosten machen offenbar durchschnittlich 115 bis 120 Franken pro verrechenbare Stunde aus (vgl. E. 7.5.2 und 7.5.3). Für sie ergibt sich demnach bei einem (gekürzten) Honorar von 180 Franken ein Verdienst im Bereich von 60 bis 70 Franken pro Stunde; eine durchschnittliche Entschädigung in dieser Höhe ist angesichts ihrer grösseren Auslastung mit amtlichen Mandaten (vgl. WOLFFERS, a.a.O., S. 50) als verfassungsrechtliches Minimum zu betrachten.
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Sachverhalt ab Seite 279 BGE 133 V 279 S. 279 A. Der 1949 geborene B. war bei der Sammelstiftung X. (nachstehend: Sammelstiftung oder Vorsorgeeinrichtung) BGE 133 V 279 S. 280 berufsvorsorgeversichert. Mit Schreiben vom 20. Juli 2001 ersuchte er um vorzeitige Pensionierung auf den Zeitpunkt des Erreichens seines 55. Altersjahres am 1. Mai 2004, womit sich die Sammelstiftung am 22. August 2001 schriftlich einverstanden erklärte. Am 23. März 2004 gab ihm die Sammelstiftung die Berechnung seiner Altersrente bekannt. Daraus resultierte - unter Berücksichtigung von Zins und Sparbeiträgen bis zur Pensionierung sowie einer noch zu erbringenden Einmaleinlage von Fr. 50'000.- - bei einem Umwandlungssatz im Alter 55 von 5,024 % eine jährliche Rente von Fr. 38'978.65. Auf Anfrage hin bestätigte die Sammelstiftung, dass bis 31. Dezember 2003 im Alter 55 noch ein Umwandlungssatz von 6,2 % zur Anwendung gelangte, dieser ab 1. Januar 2004 aber auf 5,024 % reduziert wurde. Nachdem B. von der gebotenen Möglichkeit, auch ohne rechtzeitig gestelltes Gesuch um Kapitaloption das ganze Kapital zu beziehen, keinen Gebrauch gemacht hatte, erkundigte sich die Sammelstiftung bei der Y. als ihrem Rückversicherer, ob vom neuen Umwandlungssatz von 5,024 % im Einzelfall allenfalls abgewichen werden könne, was diese mit Schreiben vom 2. November 2004 indessen verneinte. B. Am 13. Januar 2005 erhob B. beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage mit dem Begehren, die Sammelstiftung sei zu verpflichten, "mit Wirkung ab 1. Mai 2004 eine Rente aus der beruflichen Vorsorge von Fr. 3'750.20 monatlich zu bezahlen; ab 1. Mai 2004 bis zum Zeitpunkt des definitiven, gerichtlichen Entscheides (sei) ein Zins aus fälligen Renten zum aktuellen BVG-Satz zu bezahlen". In Gutheissung der Klage wies das kantonale Gericht die Sammelstiftung mit Entscheid vom 3. Oktober 2005 an, ab 1. Mai 2004 eine monatliche Altersrente von Fr. 3'750.20 auszurichten, zuzüglich Verzugszins von 2,25 % bis 31. Dezember 2004 und 2,5 % ab 1. Januar 2005 für die nachzuzahlenden Betreffnisse. C. Die Sammelstiftung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, den kantonalen Entscheid aufzuheben und die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen. B. trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an, während sich das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) der Argumentation des kantonalen Gerichts anschliesst und auf eine weitere Vernehmlassung verzichtet. D. Am 29. Dezember 2006 erkundigte sich das Eidgenössische Versicherungsgericht bei der Beschwerdeführerin nach dem im Jahre BGE 133 V 279 S. 281 2004 bei Männern, welche im Alter von 60 Jahren in Pension gingen, zur Anwendung gebrachten Umwandlungssatz. Nachdem die Beschwerdeführerin am 10. Januar 2007 geantwortet hatte, wandte sich die seit 1. Januar 2007 anstelle des bisherigen Eidgenössischen Versicherungsgerichts neu zuständige II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit der Bitte um weitere erläuternde Auskünfte erneut an die Beschwerdeführerin. Die daraufhin eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 7. Februar 2007 wie auch deren frühere Eingaben vom 10. März 2006 und 10. Januar 2007 wurden dem Beschwerdegegner zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs unterbreitet, worauf sich dieser am 7. März 2007 vernehmen liess.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. 1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 S. 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG ( Art. 132 Abs. 1 BGG ; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 1.2 Wie die Vorinstanz richtig festgestellt hat, beurteilt sich der Rentenanspruch des heutigen Beschwerdegegners nach den vor Inkrafttreten der 1. BVG-Revision am 1. Januar 2005 gültig gewesenen Bestimmungen. Es betrifft dies insbesondere die Art. 13 BVG über den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Altersleistungen bei Männern (Abs. 1 lit. a) und die erforderliche Anpassung des Umwandlungssatzes bei reglementarisch vorgesehenen vorzeitigen Altersrücktritten (Abs. 2), Art. 14 BVG über die Berechnung der Altersrente (Abs. 1 Satz 1) und die Bestimmung des Mindestumwandlungssatzes durch den Bundesrat (Abs. 1 Satz 2) sowie Art. 17 BVV 2 (aufgehoben zum 1. Januar 2005) über den ursprünglichen Mindestumwandlungssatz für die Altersrente von 7,2 % des Altersguthabens. Zutreffend sind auch die Ausführungen über die Unterscheidung zwischen obligatorischer und weitergehender beruflicher Vorsorge, über die Bedeutung und Ausgestaltung des Vorsorgereglements sowie über die bei der Auslegung der darin enthaltenen Normen zu beachtenden Grundsätze (vgl. dazu auch BGE 132 V 149 E. 5 Ingress S. 150 f.; BGE 131 V 27 E. 2.1 S. 28 f., je mit Hinweisen auf Lehre und/oder Rechtsprechung). BGE 133 V 279 S. 282 1.3 Verwiesen werden kann ferner auf die vorinstanzliche Wiedergabe der im - ab 1. Januar 2001 geltenden - Reglement der Beschwerde führenden Vorsorgeeinrichtung enthaltenen Regelungen bezüglich des ordentlichen Rücktrittsalters am Monatsersten, welcher (bei Männern und Frauen) auf die Vollendung des 60. Altersjahres folgt (Art. 5 Abs. 2), der möglichen vorzeitigen Pensionierung frühestens fünf Jahre vor dem üblichen Rücktrittsalter (Art. 9 Abs. 5) sowie der Berechnung der Altersrente anhand des bis zur Pensionierung geäufneten Sparkapitals (Alterskapital) und des in diesem Zeitpunkt gültigen Umwandlungssatzes (Art. 9 Abs. 2). Korrekt ist schliesslich die Darlegung des reglementarisch vorgeschriebenen Vorgehens bei Änderungen des Vorsorgereglements (Art. 34 Abs. 2) und der Schlüsse, die aus den Nachträgen Nr. 1, 2 und 3 zu dem ab 1. Januar 2001 geltenden Reglement hinsichtlich des ab 1. Januar 2004 aktuellen Umwandlungssatzes zu ziehen sind - oder eben nicht gezogen werden können ("Was fehlt, ist ein Nachtrag für die Herabsetzung des Umwandlungssatzes bei ordentlichem Rücktrittsalter per 1. Januar 2004." [Zitat aus E. 4.3 des vorinstanzlichen Entscheids]; vgl. hiezu nachstehende E. 2.1). 2. 2.1 Die Argumentation der Vorinstanz knüpft an den Umstand an, dass der Umwandlungssatz bei Erreichen des Rücktrittsalters von 60 Jahren in Art. 9 Abs. 2 des Vorsorgereglements betraglich genau beziffert wird, die einzelnen Umwandlungssätze für den Fall einer - bis zu fünf Jahre vor dem Rücktrittsalter von 60 Jahren möglichen - vorzeitigen Pensionierung jedoch nicht explizit aufgeführt werden, sondern in Art. 9 Abs. 5 lediglich - in Übereinstimmung mit der Systematik von Gesetz- und Verordnungsgebern (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 BVG ) - pauschal auf eine versicherungstechnische, aber nicht näher definierte Umwandlung verwiesen wird. In Auslegung des Reglements gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass die Umwandlungssätze als wesentliche Bestandteile des Vorsorgevertrages jedenfalls denselben Verfahrensvorschriften unterliegen, die auch für die Anpassung des Vorsorgereglements selbst gelten. Es erwog, wenn es der Absicht der zuständigen Vorsorgeorgane entsprach, die Umwandlungssätze direkt von den Vorgaben des Rückversicherers abzuleiten, sei dies jedenfalls für die Versicherten anhand des Vorsorgereglements nicht erkennbar gewesen. Unter Bezugnahme auf dessen Art. 34 Abs. 2, wonach das Reglement durch die Vorsorgekommission unter Vorbehalt der BGE 133 V 279 S. 283 Zustimmung des Stiftungsrates jederzeit im Rahmen der Stiftungsurkunde und des Gesetzes geändert werden kann, stellte das Gericht fest, dass die Nachträge Nr. 1 und 2 nie in das Reglement integriert worden sind und auch in der zum 1. Januar 2004 aufdatierten Version des Reglements keinen Niederschlag gefunden haben; Nachtrag 3 gelte erst ab 1. Januar 2005 und sei daher für die Rechtslage ab 2004 nicht von Belang. Daraus folgerte es, ein Nachtrag für die Herabsetzung des Umwandlungssatzes im ordentlichen Rücktrittsalter von 60 Jahren per 1. Januar 2004 fehle; eine entsprechende Reglementsänderung sei durch die zuständigen Organe nie rechtsgültig beschlossen worden, weshalb der zuvor geltende Umwandlungssatz auch über den 1. Januar 2004 hinaus wirksam geblieben sei; schon weil kein Dokument vorliegt, aus welchem hervorgehen würde, dass eine Revision per 1. Januar 2004 unter Beachtung der Formvorschriften korrekt durchgeführt worden wäre, sei die Klage gutzuheissen. 2.2 In einem zweiten Schritt führte das kantonale Gericht aus, die Vorsorgeeinrichtung könne auch aus dem Umstand nichts zu ihren Gunsten ableiten, dass die Umwandlungssätze für vorzeitige Pensionierungen schon früher nicht im Reglement festgehalten waren; gemäss Vertrauensprinzip sei Art. 9 Abs. 5 des Reglements dahingehend zu interpretieren, dass sich die Umwandlungssätze bei vorzeitiger Pensionierung anhand des ordentlichen Umwandlungssatzes nach Art. 9 Abs. 2 berechnen lassen, jedenfalls auf diesem basieren; hätten die einschlägigen Bestimmungen vorsehen wollen, dass die Umwandlungssätze bei vorzeitiger Pensionierung unabhängig vom Umwandlungssatz im ordentlichen Rücktrittsalter revidiert werden können, wäre nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen, dass sie einzeln aufgeführt werden; umgekehrt bedeute dies, dass der Umwandlungssatz für das Rücktrittsalter von 55 Jahren so lange Geltung hatte, als auch derjenige für das ordentliche Rücktrittsalter von 60 Jahren keine formgültige Änderung erfuhr. Da - so das kantonale Gericht weiter - die Herabsetzung des Umwandlungssatzes per 1. Januar 2004 nicht den gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen entsprechend erfolgte, sei die Klage gutzuheissen und - nachdem die geltend gemachte Forderung betraglich unbestritten blieb - dem Beschwerdegegner eine monatliche Rente von Fr. 3'750.20 zu gewähren. 3. Streitig und als Frage des Bundesrechts ( Art. 104 lit. a OG ) frei zu prüfen ist, ob der heutige Beschwerdegegner entweder gestützt BGE 133 V 279 S. 284 auf die reglementarische Lage oder auf Grund einer besonderen vertraglichen Zusicherung im Zusammenhang mit dem von ihm am 20. Juli 2001 eingereichten und von der Vorsorgeeinrichtung am 22. August 2001 bestätigten Antrag auf Auszahlung der zum 30. April 2004 zu kapitalisierenden Altersleistungen die Anwendung eines Umwandlungssatzes von 6,2 % (im Alter 55) beanspruchen kann, dies anstelle des tieferen von 5,024 %, welchen die Beschwerde führende Vorsorgeeinrichtung angesichts der geänderten Vorgaben ihres Rückversicherers (Y.) der Rentenberechnung zu Grunde zu legen bereit ist. 3.1 Im Anschluss an das Gesuch um vorzeitige Pensionierung vom 20. Juli 2001 ist es nicht zu einer vertraglichen Zusicherung gekommen, wonach dereinst unverändert der vom ursprünglichen gesetzlichen Umwandlungssatz von 7,2 % im Alter 65 abgeleitete Satz von 6,2 % angewendet werde. Auch kann der - vom BSV offenbar geteilten - Auffassung der Vorinstanz, es sei diesbezüglich nie zu einer ordnungsgemässen Reglementsänderung gekommen, nicht beigepflichtet werden. Vielmehr sagt Art. 9 Abs. 2 des Reglements unmissverständlich, dass sich die Höhe der Altersrente nach dem für den Versicherten bei Erreichen des Rücktrittsalters vorhandenen Sparkapital (Alterskapital) und dem in diesem Zeitpunkt gültigen Umwandlungssatz richtet (Satz 1); dieser beträgt zur Zeit ... (Satz 2). Schon die vorinstanzliche Annahme, der Umwandlungssatz bei vorzeitigem Altersrücktritt im Sinne von Art. 9 Abs. 5 des Reglements basiere auf dem Umwandlungssatz bei ordentlichem Rücktritt nach Art. 9 Abs. 2 des Reglements, ist fraglich. Der Umwandlungssatz bei ordentlichem Rücktritt kann vom versicherungstechnisch richtigen Wert abweichen (vgl. BGE 130 II 258 E. 3.2.3 S. 265 f.). Ein vorzeitiger Altersrücktritt bedingt demgegenüber einen versicherungstechnisch richtigen Umwandlungssatz. Laut Art. 9 Abs. 2 des Reglements der Beschwerde führenden Vorsorgeeinrichtung, gültig ab 1. Januar 2001 mit integrierten Nachträgen (Stand 1. Januar 2004), beträgt der Umwandlungssatz für Männer im - bei ihr bei 60 Jahren liegenden - ordentlichen Rücktrittsalter 5,820 %. Dies entspricht dem Umwandlungssatz für das Rücktrittsalter von 55 Jahren von 5,024 %. Die Anpassung der Umwandlungssätze an die Verhältnisse auf dem Finanzmarkt stellt die dem Beitragsprimat inhärente Vorgehensweise der Vorsorgeeinrichtungen dar. Deswegen und weil der Beschwerdegegner schon auf Grund des Reglements hätte erkennen BGE 133 V 279 S. 285 müssen, dass seine Vorsorgeeinrichtung nur den Sparprozess autonom führt, hingegen sämtliche Risiken bei der Y. rückversichert, konnte er nicht von einem unabänderbaren Umwandlungssatz ausgehen. Die Risikoabdeckung bei der Y. hat zur Folge, dass diese versicherungsmässige Lösungen erarbeitet und das notwendige Vorgehen bestimmt. Die Sammelstiftung ist nur ein im Hinblick auf den Numerus clausus der Rechtsformen nach Art. 48 Abs. 2 BVG zwischen die anschlusspflichtige Arbeitgeberin und die Versicherungsgesellschaft gestelltes Instrument, das es erst ermöglicht, die berufliche Vorsorge nach den Vorschriften des BVG durchzuführen. Daher sind die bei der Sammelstiftung versicherten Personen an Entscheide des Rückversicherers, welche die Vorsorgeeinrichtung in aller Regel übernehmen muss, gebunden (vgl. hiezu BGE 127 V 377 , insbesondere E. 5c/bb und 5c/cc S. 385 ff.). Gegen die von der Vorsorgeeinrichtung vorgesehene Herabsetzung des Umwandlungssatzes entsprechend den Vorgaben ihres Rückversicherers ist daher grundsätzlich nichts einzuwenden. 3.2 Zu verwerfen ist die vorinstanzliche Argumentation auch insoweit, als sie den Standpunkt des heutigen Beschwerdegegners gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben schützen möchte. Zunächst hat die Vorsorgeeinrichtung nach Einreichung des Gesuchs um vorzeitige Pensionierung vom 20. Juli 2001 nicht nur keine vertragliche Zusicherung eines bestimmten Umwandlungssatzes abgegeben (E. 3.1 hievor), sondern auch sonst keine vertrauensbildenden Schritte unternommen, welche die nunmehrige Erwartung des Beschwerdegegners hätten begründen können, wonach die Berechnung der Altersrente auch im erst drei Jahre später eintretenden Pensionierungszeitpunkt noch unter Anwendung des im Jahre 2001 gültig gewesenen Umwandlungssatzes erfolgen werde. Einzig dass die jeweiligen Umwandlungssätze bei vorzeitigen Altersrücktritten im Reglement der Vorsorgeeinrichtung - anders als heute im Nachtrag Nr. 3 zum Reglement vom 1. Januar 2001, gültig ab 1. Januar 2005 - noch nicht einzeln aufgeführt waren, bildete jedenfalls keine hinreichende Vertrauensgrundlage, um aus Art. 9 Abs. 5 des Reglements abzuleiten, der ordentliche Umwandlungssatz in Art. 9 Abs. 2 werde auch Grundlage für die Ermittlung des bei vorzeitiger Pensionierung zum Tragen kommenden Umwandlungssatzes bilden. Dafür dass der Beschwerdegegner von irgendeiner kompetenten und zuständigen Stelle in diesem Sinne informiert worden wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Entsprechendes wird denn auch nicht geltend gemacht. BGE 133 V 279 S. 286 3.3 Ist die Anpassung des Umwandlungssatzes als solche nicht zu beanstanden (E. 3.1 hievor) und lässt sich auch gegen die Art und Weise der Vornahme der entsprechenden Reglementsänderung durch die nunmehr Beschwerde führende Vorsorgeeinrichtung (E. 3.2 hievor) grundsätzlich nichts einwenden, stellt sich speziell noch die Frage, ob eine derart weitreichende, die Ansprüche des Beschwerdegegners einschneidend tangierende Vorkehr rechtzeitig in angemessener Form bekannt gegeben wurde. Auch dies gehört zum rechtsgenüglichen Vollzug der zunächst von der Rückversicherung in die Wege geleiteten und danach von den Organen der Vorsorgeeinrichtung beschlossenen Senkung des Umwandlungssatzes. Die Vorsorgeeinrichtung hat den Beschwerdegegner am 23. März 2004 - rund einen Monat vor der geplanten und wohl auch schon vorbereiteten Pensionierung - mittels eines kurzen E-mails über die zu erwartenden Leistungen und insbesondere über den herabgesetzten Umwandlungssatz informiert. Dem Beschwerdegegner verblieb damit kaum mehr eine Möglichkeit, sich den für ihn neuen Gegebenheiten anzupassen, zumal seine Stelle im Zeitpunkt der Zusendung des E-mails vom 23. März 2004 aller Wahrscheinlichkeit nach bereits gekündigt war, sodass geeignete Vorkehren, um allenfalls absehbaren finanziellen Engpässen wirksam zu begegnen oder gar sich abzeichnende Notlagen abzuwenden, faktisch ausgeschlossen waren. Obschon eine Vorsorgeeinrichtung derart plötzliche, in aller Regel überraschende Leistungseinschränkungen und damit verbundene, für einzelne Versicherte möglicherweise gar existenziell bedrohliche Situationen nach Möglichkeit vermeiden sollte, lässt sich die Bekanntgabe der Senkung des Umwandlungssatzes in zeitlicher Hinsicht nicht beanstanden. Der Beschwerdegegner musste von Anfang an damit rechnen, dass in der langen Zeit bis zur vorzeitigen Pensionierung - und damit während mehrerer Jahre - der Umwandlungssatz gesenkt werden könnte. Deshalb kann er sich nicht darauf berufen, dass die grundsätzlich gebotene Information nicht unter Beachtung einer angemessenen Frist zwischen Mitteilung und Wirksamwerden des geänderten Umwandlungssatzes erfolgte. Die von der Vorsorgeeinrichtung offerierte Auszahlung des akkumulierten Alterskapitals - trotz Fehlens eines entsprechenden Antrags - ist in dieser Lage als Entgegenkommen zu bezeichnen, mit deren Annahme der Beschwerdegegner seinen bisherigen versicherungsrechtlichen Leistungsstatus hätte wahren können. 3.4 Bedenken erweckt allenfalls der Umstand, dass die Vorsorgeeinrichtung - wie auch der Rückversicherer - übergangsrechtlich BGE 133 V 279 S. 287 vorsehen, den herabgesetzten tieferen Umwandlungssatz nur gerade bei Versicherten sofort anzuwenden, welche sich vorzeitig pensionieren lassen, während bei ordentlichen Altersrücktritten zumindest im Jahre 2004 noch der frühere Umwandlungssatz beibehalten wird. Die auch im Bereich der beruflichen Vorsorge gebotene Gleichbehandlung der Destinatäre (vgl. BGE 132 V 149 E. 5.2.4 und 5.2.5 S. 153 ff. mit Hinweisen) steht dieser übergangsrechtlichen Ordnung jedoch auch bezüglich der Anwendung des bisherigen höheren Umwandlungssatzes im Jahre 2004 auf ordentlich, nicht aber auf vorzeitig in Pension gehende Personen nicht entgegen. Wie die Erkundigungen des Gerichts bei der Beschwerde führenden Vorsorgeeinrichtung ergeben haben, galt der bisherige Umwandlungssatz im Jahre 2004 übergangsrechtlich nur für Pensionierungen in dem nach Art. 13 BVG ordentlichen Rücktrittsalter von 65 Jahren, nicht aber für Personen, welche sich in dem gemäss Reglement der Beschwerde führenden Sammelstiftung als Pensionskasse der Arbeitgeberfirma des Beschwerdegegners geltenden ordentlichen Rücktrittsalter von 60 Jahren pensionieren liessen. Auch für diese galt - wie bereits erwähnt (E. 3.1 hievor) - im Jahr 2004 nicht mehr der bisherige Umwandlungssatz von 6,2 %, sondern der versicherungsmathematisch angepasste tiefere Umwandlungssatz von 5,820 %. Entsprechend wird mit dem für das Pensionierungsalter von 55 Jahren auf 5,024 % herabgesetzten Umwandlungssatz keine Bevorzugung der im ordentlichen reglementarischen Rücktrittsalter von 60 Jahren Pensionierten gegenüber denjenigen, die einen vorzeitigen Altersrücktritt bereits geplant und die notwendigen Schritte zu dessen Umsetzung vorgenommen haben, geschaffen. Abgesehen davon hatte die Beschwerde führende Vorsorgeeinrichtung im Jahre 2004 weder Altersrücktritte im Alter von 60 Jahren noch solche im Alter von 65 Jahren zu verzeichnen, womit eine Ungleichbehandlung der Destinatäre auch faktisch nicht in Betracht fallen konnte. Der Beschwerdegegner kann daher auch unter Berufung auf das Prinzip der Gleichbehandlung der Destinatäre keinen Anspruch auf eine nach Massgabe des für ihn bis Ende 2003 geltenden früheren Umwandlungssatzes von 6,2 % berechnete Altersrente geltend machen. 4. Da es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ging, fallen keine Verfahrenskosten an ( Art. 134 OG ).
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Sachverhalt ab Seite 329 BGE 122 I 328 S. 329 Vinzenz von Tscharner ist Eigentümer des Schlossguts in Gümligen, welches er 1982 von seinem Vater, Aloys von Tscharner, geerbt hat. Zum Schlossgut gehörten die nördlich des Schlosses liegenden Parzellen Nr. 2250 (Liegenschaft Rain) und Nr. 2925, umfassend u.a. das Gebiet "im Rain" (im folgenden: Fläche C) und den sogenannten "Lebhag-Streifen" (im folgenden: Fläche A). Diese Flächen waren im Zonenplan der Gemeinde Muri von 1973 der Landhauszone zugeteilt. 1978 beschloss das Gemeindeparlament von Muri, eine nördlich des Schlosses gelegene Fläche am Rain von der Bebauung freizuhalten sowie die schützenswerte Hecke auf dem "Lebhag-Streifen" zu erhalten. Es nahm zu diesem Zweck Verhandlungen mit Aloys von Tscharner auf, der auf einer vollen Entschädigung bestand. Nach zahlreichen Verhandlungen schloss Aloys von Tscharner am 10. November 1978 mit der Einwohnergemeinde Muri einen Kaufvorvertrag über den Verkauf der Rainliegenschaft sowie der Landflächen A und C für Fr. 760'200.-- ab. Der Abschluss des definitiven Kaufvertrags wurde u.a. von der Bedingung abhängig gemacht, dass die ebenfalls Aloys von Tscharner gehörenden, bisher als Grünfläche ausgewiesenen Landflächen B, D und E der Parzelle Nr. 425 im Rahmen der bevorstehenden Zonenplanänderung der Landhauszone zugewiesen würden, wobei die Landfläche D mit einem Bauverbot für nichtlandwirtschaftliche Bauten bis 31. Dezember 1987 als Dienstbarkeit zu belasten sei. Gleichentags unterzeichneten Aloys von Tscharner und die Einwohnergemeinde Muri eine "Erklärung" zur Ergänzung des Kaufvorvertrags. Danach ergibt sich der im Kaufvorvertrag vereinbarte Nettokaufpreis von ca. Fr. 760'200.-- aus dem Kaufpreis von Fr. 2'435'000.-- für die Landfläche C und die Liegenschaft Rain abzüglich Fr. 1'674'800.-- für die Aufwertung der Landflächen D und E infolge Einzonung. Nachdem die Zonenplanrevision von den Stimmbürgern Muris angenommen und von der Baudirektion des Kantons Bern genehmigt worden war, verkaufte Vinzenz von Tscharner als Rechtsnachfolger seines Vaters der Einwohnergemeinde Muri am 10. Mai 1982 in Erfüllung des Vorvertrages vom 10. November 1978 die im Rain gelegenen Parzellen. Als Kaufpreis wurden Fr. 810'020.-- festgesetzt BGE 122 I 328 S. 330 (inkl. Fr. 50'000.-- für die Lebhag-Hecke gemäss Kaufrechtsvertrag vom 17. August 1979). Vereinbarungsgemäss wurde der neu eingezonte Parzellenteil D zusammen mit dem südlich angrenzenden Terrain mit einem bis zum 31. Dezember 1987 befristeten Bauverbot für nichtlandwirtschaftliche Zwecke belegt; die Gemeinde erteilte bereits im Kaufvertrag die Bewilligung zur Löschung der Dienstbarkeit nach diesem Datum. Am 8. Juni 1986 nahmen die Stimmbürger Muris auf Empfehlung des Gemeindeparlaments die Initiative "Muri-Gümligen bleibt grün" an, welche die Auszonung von mindestens der Hälfte des mit Bausperrverträgen belegten Baulandes verlangte. Darüber hinaus legte die Baudirektion des Kantons Bern am 11. Juni 1986 in der Einwohnergemeinde Muri verschiedene Planungszonen zum Schutz des Kulturlandes auf, u.a. auch auf die zum Schlossgut Gümligen gehörende Parzelle Nr. 425 (einschliesslich Fläche D). In der Folge überarbeitete die Einwohnergemeinde Muri ihre Zonenordnung erneut: Die Bauzone wurde massiv reduziert und insgesamt 17,1 ha des Schlossgutgebiets, die bisher zum Baugebiet gehört hatten, der Landwirtschaftszone zugewiesen. Davon betroffen war auch die Fläche D, während die Landflächen B und E in der Bauzone verblieben. Die Zonenplanrevision wurde am 29. April 1990 von den Stimmbürgern beschlossen und am 9. November 1990 von der kantonalen Baudirektion genehmigt. Sämtliche Einsprachen und Rechtsmittel Vinzenz von Tscharners gegen die Zonenplanrevision blieben erfolglos; am 3. Februar 1994 wies das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde ab, mit der sich Vinzenz von Tscharner gegen die Nichteinzonung der Fläche D gewandt hatte. Am 11. Juli 1994 erhob Vinzenz von Tscharner Klage beim Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Bern mit dem Rechtsbegehren, die Einwohnergemeinde Muri sei zu verurteilen, ihm einen gerichtlich zu bestimmenden Betrag nebst 5% Zins zu bezahlen. Er stützte seine Forderungen auf die Verträge, die er und sein Vater in den Jahren 1978, 1979 und 1982 mit der Einwohnergemeinde Muri abgeschlossen hatten. Der Regierungsstatthalter beschränkte das Verfahren auf die Frage, ob dem Kläger aus dem Kaufvorvertrag und der Erklärung vom 10. November 1978, dem Kaufrechtsvertrag vom 17. August 1979 und dem Kaufvertrag vom 10. Mai 1982 dem Grundsatz nach ein Schadenersatzanspruch zustehe. Die Klage wurde mit Urteil vom 24. Mai 1995 in diesem Sinne gutgeheissen. BGE 122 I 328 S. 331 Gegen dieses Urteil appellierte die Einwohnergemeinde Muri am 26. Juni 1995 an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Das Verwaltungsgericht hob das Urteil des Regierungsstatthalters mit Entscheid vom 19. Februar 1996 auf und wies die Klage ab. Hiergegen erhob Vinzenz von Tscharner am 25. März 1996 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen und diese abgewiesen, soweit es darauf eintrat.
1,173
822
Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. a) Gemäss Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG . Als Verfügungen im Sinne dieser Bestimmung gelten Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und die Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten zum Gegenstand haben, ein entsprechendes Begehren abweisen oder darauf nicht eintreten ( Art. 5 Abs. 1 VwVG ). Als Verfügungen gelten gemäss Art. 5 Abs. 2 VwVG u.a. auch Beschwerdeentscheide. Erklärungen von Behörden über die Ablehnung oder Erhebung von Ansprüchen, die auf dem Klageweg zu verfolgen sind, gelten nicht als Verfügung ( Art. 5 Abs. 3 VwVG ). aa) Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer einen Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung bzw. nicht gehöriger Erfüllung der mit der Gemeinde Muri 1978-1982 geschlossenen öffentlichrechtlichen Verträge geltend. Er stützt sich somit auf Vereinbarungen, bei denen sich Gemeinwesen und Bürger als gleichberechtigte Vertragsparteien gegenüberstehen, und nicht auf eine einseitige, auf hoheitlicher Gewalt beruhende Verfügung der Gemeinde. Die Rechtsmittelentscheide des Regierungsstatthalters und des Verwaltungsgerichts ergingen im Klage- und im Appellationsverfahren und nicht im Beschwerdeverfahren, d.h. es handelt sich nicht um Beschwerdeentscheide im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VwVG , die einer Verfügung gleichgestellt sind. bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gehören auch die von ihm angerufenen, sinngemäss anwendbaren Bestimmungen von OR und ZGB nicht zum öffentlichen Recht des Bundes im Sinne von Art. 5 VwVG : Die Verträge, auf die der Beschwerdeführer seine Ansprüche gründet, sind - davon gehen alle Beteiligten BGE 122 I 328 S. 332 übereinstimmend aus - öffentlichrechtlicher Natur; auf sie ist das Bundeszivilrecht somit nicht unmittelbar anwendbar. Sie unterliegen vielmehr in erster Linie dem kantonalen Verwaltungsrecht. Sieht dieses keine (vollständige) Regelung vor, so kann zur Lückenfüllung auf OR und ZGB als ergänzendes kantonales Recht zurückgegriffen werden (vgl. BGE 102 II 55 E. 1 S. 57 f.; PIERRE MOOR, Droit administratif, vol. II: Les actes administratifs et leur contrôle, Bern 1991 S. 275 Ziff. 3.2.5.). b) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wäre daher allenfalls gestützt auf Art. 34 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (RPG; SR 700) zulässig, wenn der Beschwerdeführer einen Entschädigungsanspruch wegen materieller Enteignung im Zusammenhang mit der Zonenplanrevision 1990 (E. 1b/aa) oder der Revision von 1980 (E. 1b/bb) geltend machen würde. aa) Im kantonalen Verfahren hat der Beschwerdeführer ausschliesslich vertragliche Ansprüche erhoben und sich die Geltendmachung weiterer Ansprüche unter dem Titel der materiellen Enteignung ausdrücklich vorbehalten. Demzufolge beschränkte sich der Streitgegenstand sowohl vor dem Regierungsstatthalter als auch vor Verwaltungsgericht auf die Frage, ob dem Kläger ein Schadenersatzanspruch aus Vertrag zustehe; die Frage einer Entschädigung wegen materieller Enteignung - für die übrigens erstinstanzlich nicht der Regierungsstatthalter, sondern die Schätzungskommission zuständig gewesen wäre (vgl. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 47 des Berner Gesetzes über die Enteignung vom 3. Oktober 1965) - wurde nicht behandelt und kann damit auch nicht Gegenstand der Beschwerde ans Bundesgericht sein. bb) Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch nicht mit der Begründung zugelassen werden, es handle sich bei den Verträgen, auf die der Beschwerdeführer seine Ansprüche stützt, um Enteignungsverträge, d.h. um vertragliche Einigungen im Zusammenhang mit einer durch die Zonenplanrevision 1980 ausgelösten materiellen Enteignung: Die grundsätzliche Einigung zwischen den Parteien erfolgte bereits im Kaufvorvertrag vom 10. November 1978, d.h. vor der Zonenplanrevision. Auch wenn die Gemeinde mit dem Kauf raumplanerische Motive verfolgte, handelte es sich doch um einen Kaufvertrag (bzw. Kaufvorvertrag), d.h. die Gemeinde erwarb die Grundstücke zu freier Verfügung, so dass sich die Frage einer Entschädigung wegen einer Eigentumsbeschränkung i.S.v. Art. 34 BGE 122 I 328 S. 333 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 RPG nie stellte. Es steht denn auch keineswegs fest, dass die erst nach Erlass des Bundesgesetzes über die Raumplanung angenommene und in Kraft getretene Zonenplanrevision 1980 tatsächlich eine Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung hinsichtlich der Flächen "Im Rain" ausgelöst hätte. Soweit der Beschwerdeführer auf die angebliche Expropriationsdrohung der Gemeinde Muri hinweist, ergibt sich aus den Akten, dass eine förmliche Enteignung nie zur Debatte stand, sondern die Expropriationsdrohung lediglich in den Vertrag aufgenommen wurde, um den Verkäufer von der Grundstücksgewinnsteuer zu befreien. c) Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde weder nach Art. 97 OG noch nach Art. 34 RPG zulässig. Es ist daher zu prüfen, ob die Beschwerde als staatsrechtliche Beschwerde an die Hand zu nehmen ist. aa) Der Entscheid des Verwaltungsgerichts stellt einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid dar, der Anfechtungsgegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde sein kann, auch wenn er vertragliche und somit nicht hoheitlich begründete Ansprüche zum Gegenstand hat (vgl. WALTER KÄLIN, Staatsrechtliche Beschwerde, 2. Auflage, S. 119). bb)-cc) (Prüfung weiterer Voraussetzungen der staatsrechtlichen Beschwerde) d) Im Ergebnis ist deshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als staatsrechtliche Beschwerde entgegenzunehmen, soweit sie den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entspricht und die Aufhebung des angefochtenen Entscheids beantragt. 3. Streitgegenstand vor Verwaltungsgericht war die Frage, ob dem Beschwerdeführer Enschädigungsansprüche aus Vertrag zustehen (vgl. oben, E. 1b/aa). Dies hat das Verwaltungsgericht verneint. Diese Auffassung ist im folgenden zu überprüfen (vgl. unten, E. 4-6). Dabei ist die Kognition des Bundesgerichts in mehrfacher Hinsicht beschränkt: a) Im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässige Rechte des Beschwerdeführers verletzt ( Art. 84 Abs. 1 lit. a OG ). Es kann daher die Anwendung einfachen kantonalen Rechts - zu dem auch das Recht des öffentlichrechtlichen Vertrags gehört (vgl. oben, E. 1a/bb) - nur unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel betrachten und insbesondere prüfen, ob die kantonalen Instanzen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung oder den Verfassungsgrundsatz von Treu und Glauben verletzt haben. Dabei ist zu beachten, BGE 122 I 328 S. 334 dass der Grundsatz von Treu und Glauben auch auf gesetzlicher Ebene verankert ist (vgl. insbes. Art. 2 ZGB ) und seine Ausprägung in zahlreichen Instituten des zivilen und kantonalen Rechts findet, denen kein grundrechtlicher Charakter zukommt. Die blosse Berufung auf "Treu und Glauben" genügt somit nicht, um eine freie Kognition des Bundesgerichts zu begründen; vielmehr muss es sich um einen spezifisch verfassungsrechtlichen Aspekt dieses Grundsatzes handeln (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER, Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1977, ZBJV 115/1979 S. 149 f.). So ist beispielsweise die Regel, dass Verträge nach Treu und Glauben, d.h. nach dem Vertrauensprinzip auszulegen sind, nicht grundrechtlicher Natur ( BGE 103 Ia 505 E. 1 S. 509) und vermag somit keine Ausweitung der Kognition des Bundesgerichts zu begründen. b) Auch wenn sich verfassungsrechtliche Fragen stellen, können diese nur aufgrund einer rechtsgenügend begründeten Rüge geprüft werden ( Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ; vgl. oben, E. 1c/bb). Diesem Erfordernis genügt die Beschwerdeschrift in weiten Teilen nicht (vgl. unten, E. 5c, 7d). c) Schliesslich sind der rechtskräftige Entscheid des Regierungsrats des Kantons Bern vom 16. Dezember 1992 und das Urteil des Bundesgerichts vom 3. Februar 1994 zu beachten; auf die darin entschiedenen Fragen kann im vorliegenden Verfahren nicht zurückgekommen werden. 4. a) Das Verwaltungsgericht ging - wie schon der Regierungsrat in seinem Entscheid vom 16. Dezember 1992 sowie das Bundesgericht in seinem Urteil vom 3. Februar 1994 - davon aus, die Festlegung der Behandlung von Grundstücken im Zonenplan könne nicht Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen sein, d.h. dem Beschwerdeführer stehe kein vertraglicher Anspruch auf Einzonung der Fläche D oder auf Fortdauer der bisherigen Zonenordnung zu. Diese Prämisse wird vom Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht mehr in Frage gestellt. b) Das Verwaltungsgericht prüfte daher, ob die Gemeinde zumindest eine "Wertgarantie" über den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hinaus übernommen habe, d.h. ob sie sich verpflichtet habe, den Beschwerdeführer bei einer erneuten Änderung der Zonenordnung anderweitig zu entschädigen. Es gelangte zum Ergebnis, eine solche Wertgarantie lasse sich weder aus dem Wortlaut des Kaufvertrags vom 10. Mai 1982 noch aus den Umständen des Vertragsabschlusses ableiten: Das Verhalten der BGE 122 I 328 S. 335 Gemeinde während der Vertragsverhandlungen habe gezeigt, dass diese schon damals nicht bereit gewesen sei, den vom Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers verlangten Kaufpreis vollständig in Geld zu erbringen, sondern vielmehr eine Lösung angestrebt habe, welche ihre Rechnung nicht über den im Kaufvertrag aufgeführten Betrag hinaus belaste. c) Der Beschwerdeführer hält diese Vertragsauslegung für tatsachenwidrig und willkürlich. Er weist darauf hin, dass die Einzonung der Fläche D zwar nicht im Kaufvertrag vom 10. Mai 1982, wohl aber im Vorvertrag und der ergänzenden Erklärung vom 10. November 1978 erwähnt wurde. Aloys von Tscharner habe von Anfang an klargemacht, dass er dem Geschäft nur gegen volle Entschädigung zustimmen werde; Ziel der geschlossenen Verträge sei es gewesen, ihm einen vollen Wertausgleich zu verschaffen. d) Die Gemeinde bestreitet in ihrer Vernehmlassung nicht, dass die Vertragsparteien damals einen vollen Wertausgleich anstrebten; sie ist jedoch der Auffassung, dieser Wertausgleich sei am 10. Mai 1982 erfolgt. Zwar seien beide Parteien damals davon ausgegangen, dass die mit den Neueinzonungen geschaffene Überbauungsmöglichkeit später realisiert werden könne; das ändere aber nichts an der Tatsache, dass die Gemeinde ihre Gegenleistung mängelfrei erbracht habe, ohne hierfür eine Wertgarantie für die Zukunft zu übernehmen. Mangels einer entsprechenden Zusage liege das Risiko, den mit den Einzonungen verbundenen Planungsgewinn aus von der Gemeinde nicht zu vertretenden Gründen dereinst nicht realisieren zu können, beim Beschwerdeführer. e) Öffentlichrechtliche Verträge sind grundsätzlich gleich wie privatrechtliche nach den Regeln von Treu und Glauben (Vertrauensprinzip) auszulegen. Das bedeutet, dass einer Willensäusserung der Sinn zu geben ist, den ihr der Empfänger aufgrund der Umstände, die ihm im Zeitpunkt des Empfangs bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in guten Treuen beilegen durfte und beilegen musste. Bei der Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge ist freilich besonders zu beachten, dass die Verwaltung beim Abschluss solcher Verträge dem öffentlichen Interesse Rechnung zu tragen hat. In Zweifelsfällen ist deshalb zu vermuten, dass sie keinen Vertrag abschliessen wollte, der mit den von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen in Widerspruch steht, und dass sich der Vertragspartner hierüber Rechenschaft gab ( BGE 93 I 506 E. 3 S. 511 mit Hinweisen; Entscheid vom 11. Juli 1988 in Sachen SBB, ZBl 90/1989 S. 83 ff. E. 3a). Indessen wäre es verfehlt, in allen Fällen BGE 122 I 328 S. 336 der dem öffentlichen Interesse besser dienenden Auslegung den Vorzug zu geben. Die Wahrung des öffentlichen Interesses findet ihre Schranke vielmehr gerade im Vertrauensprinzip, d.h. sie darf nicht dazu führen, dass dem Vertragspartner des Gemeinwesens bei der Vertragsauslegung Auflagen gemacht werden, die er beim Vertragsschluss vernünftigerweise nicht voraussehen konnte ( BGE 103 Ia 505 E. 2b S. 509 f. mit Hinweisen). Das Bundesgericht kann allerdings im Rahmen des Verfahrens der staatsrechtlichen Beschwerde nur prüfen, ob die Vertragsauslegung Verfassungsrecht verletzt, d.h. willkürlich ist (vgl. oben, E. 3a). f) Ziff. III. des Vorvertrages vom 10. November 1978 trägt die Überschrift "Vertragsbedingungen" und lautet: "Der Abschluss des endgültigen Kaufvertrages wird von folgenden Bedingungen abhängig gemacht: 1. Einzonung Es ist beabsichtigt, den für die Gemeinde Muri b. Bern geltenden Zonenplan in nächster Zeit abzuändern und im Rahmen dieser Zonenplanänderung die im Situationsplan Nr. 6 eingezeichneten Landflächen B, D und E einzuzonen und der Zone WL (Landhauszone) zuzuordnen. Gleichzeitig ist die Landfläche D mit einem Bauverbot für nichtlandwirtschaftliche Bauten bis 31.12.1987 als Dienstbarkeit zu belasten. Die Annahme des in diesem Sinne revidierten Zonenplanes durch die Stimmbürger der Gemeinde Muri b. Bern sowie die Genehmigung durch die Baudirektion des Kantons Bern ist eine vorbehaltene Bedingung für den Abschluss des definitiven Kaufvertrages. 2. Vermessung und Vermarchung der Vertragsobjekte [...] 3. Erschliessung des Baulandes des Verkäufers [...] Sobald die vorstehenden Bedingungen erfüllt sind, verpflichten sich die Parteien gegenseitig, innert 30 Tagen unwiderruflich zum definitiven Vertragsschluss Hand zu bieten. Sollte die in Ziff. 1 und 3 hievor erwähnten Bedingungen nicht eintreten, fällt der vorstehende Kaufvorvertrag ohne weiteres dahin, und die Parteien treten über eine eventuelle teilweise Erfüllung des Vertrages in neue Verhandlungen." Die Einzonung stellte somit keine vertragliche Gegenleistung der Gemeinde dar, sondern eine Bedingung für den Abschluss des Kaufvertrages, d.h. ein objektiv ungewisses zukünftiges Ereignis, von dem nach dem Parteiwillen die Verbindlichkeit des Vertrages abhängt (vgl. PETER GAUCH/WALTER R. SCHLUEP, Schweizerisches BGE 122 I 328 S. 337 Obligationenrecht, Allgemeiner Teil Band II, 6. Aufl. 1995, Rz. 4083). Diese Vertragsgestaltung lässt darauf schliessen, dass sich die Parteien bewusst waren, keinen vertraglichen Einzonungsanspruch begründen zu können, und dass sie deshalb mit dem Abschluss des Kaufvertrags zuwarteten, bis die Zonenrevision erfolgt und die im Vorvertrag formulierte Bedingung damit erfüllt war. Zum Zeitpunkt des endgültigen Vertragsschlusses am 10. Mai 1982 hatte die Gemeinde den Kaufpreis bereits liberiert, d.h. ihre vertraglich stipulierte Gegenleistung erbracht. Beide Parteien gingen daher davon aus, dass ein voller Wertausgleich erfolgt sei. Für den Fall des Scheiterns der Zonenplanrevision 1978/80 hatten die Parteien im Vorvertrag vom 10. November 1978 das Dahinfallen des Kaufvorvertrages und Neuverhandlungen vorgesehen; nicht vorhergesehen haben sie dagegen den Fall einer durch die Entwicklung des Raumplanungsrechts erzwungenen erneuten Zonenplanrevision, wie sie 1990 erfolgte. Diese Eventualität wurde im Vertrag nicht geregelt und auch in den Vorverhandlungen nicht besprochen. Eine Garantie der Gemeinde liesse sich daher allenfalls aus der Bauverbotsvereinbarung bis zum 31. Dezember 1987 ableiten, wenn diese als stillschweigende Zusicherung der Gemeinde zu verstehen wäre, der Beschwerdeführer könne noch eine gewisse Zeit nach diesem Termin von der Einzonung der Fläche D profitieren - sei es durch die Realisierung von Bauprojekten auf dieser Fläche, sei es durch ihren Verkauf zu Baulandpreisen - andernfalls sie schadenersatzpflichtig werde. Es ist unstreitig, dass sowohl die Gemeinde als auch der Beschwerdeführer bei Abschluss des Kaufvertrages und Errichtung der Dienstbarkeit davon ausgingen, der gerade erst geänderte Zonenplan der Gemeinde Muri werde über das Jahr 1987 hinaus Bestand haben. Eine andere Frage ist jedoch, ob sich dem Vertrag eine entsprechende Garantie entnehmen lässt, d.h. die Gemeinde sich verpflichten wollte, den Beschwerdeführer bei einer vorher notwendig werdenden Planänderung zu entschädigen. Im Vertragswortlaut gibt es wie gesagt keinerlei Anhaltspunkt für eine derartige Risikoübernahme des Gemeinwesens. Hinzu kommt, dass die Gemeindeverwaltung Muri in den Vertragsverhandlungen mit Aloys von Tscharner von Anfang an klargestellt hatte, dass sie nicht bereit und in der Lage sei, den gemeinsam auf Fr. 2'435'000.-- veranschlagten Wert der Grundstücke in bar zu entrichten. Es erscheint daher fraglich, ob der Beschwerdeführer die Mitwirkung der Gemeinde an der Dienstbarkeitserrichtung in guten Treuen dahin verstehen durfte, die BGE 122 I 328 S. 338 Gemeinde übernehme eine Garantie für die Beständigkeit der Werterhöhung der Fläche D und verpflichte sich, den Beschwerdeführer bei vorzeitiger Änderung des Zonenplans in bar zu entschädigen. Nach dem Gesagten kann die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es liege keine vertragliche Wertgarantie der Gemeinde vor, jedenfalls nicht als willkürlich betrachtet werden. 5. a) Nachdem das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer "Wertgarantie", d.h. einer unbedingten Einstandspflicht der Gemeinde im Falle der Zonenplanänderung, verneint hatte, prüfte es, ob die Gemeinde wenigstens für eine vermeidbare Schädigung des Beschwerdeführers einzustehen habe, d.h. ob sie gegen die allgemeine Vertragspflicht zu loyalem Verhalten, insbesondere zur Abwendung von Schäden aller Art, verstiess, als sie die Fläche D 1990 wieder der Landwirtschaftszone zuteilte. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, eine solche Verletzung allgemeiner, aus Treu und Glauben abgeleiteter vertraglicher Verhaltenspflichten könne der Gemeinde Muri nur dann vorgeworfen werden, wenn sie bei der Zonenplanrevision 1990 frei über die Zonenzuordnung der Fläche D entscheiden konnte, d.h. wenn sie rechtlich nicht verpflichtet war, diese der Landwirtschaftszone zuzuweisen. Dies sei im vorliegenden Fall zu verneinen: Die Einwohnergemeinde Muri sei gemäss Art. 15 RPG verpflichtet gewesen, ihre Baugebietsabgrenzung grundlegend zu überarbeiten und dabei grossflächig Bauland umzuzonen. Die Fläche D sei Teil einer zusammenhängenden, nicht überbauten Fläche von 17,1 ha im Schlossgutgebiet gewesen; das Gebiet sei nicht erschlossen und für die landwirtschaftliche Nutzung geeignet gewesen. Auch alle übrigen vergleichbaren Flächen seien - mit wenigen, durch planerische Notwendigkeiten gerechtfertigten Ausnahmen - keiner Bauzone mehr zugewiesen worden. Zudem hätten planerische Gründe gegen eine Einzonung der Fläche D gesprochen: Diese hätte den Ortsbildschutz des Gebiets Schlosspark erheblich beeinträchtigt und den Siedlungsrand weiter aufgelöst. Die Landfläche D befinde sich in einer peripheren Lage zum übrigen Baugebiet; die Überbauung würde dem Landwirtschaftsbetrieb eine Hektare bestes Kulturland wegnehmen und die Arbeitsabläufe vom Betriebszentrum aus erschweren; schliesslich sei das Terrain auch durch Immissionen aus dem Landwirtschaftsbetrieb belastet. Aus allen diesen Gründen habe die Gemeinde hinsichtlich der Zuordnung des Parzellenteils D keine Wahl zwischen der Zuweisung zum Baugebiet und der Freihaltung gehabt, sondern habe das Terrain dem Nichtbaugebiet zuweisen müssen. BGE 122 I 328 S. 339 b) Der Beschwerdeführer bestreitet dies. Seines Erachtens handelte es sich um einen Ermessensentscheid der Gemeinde. Der Parzellenteil D weise eine Fläche von nur 9'050 m2 auf und stelle gegenüber der Gesamtauszonungsfläche von über 65 ha eine vernachlässigbare Grösse dar; angesichts des grossen Planungsermessens der Gemeinde, der vertraglichen Abmachungen mit dem Beschwerdeführer und den grossflächigen Auszonungen an anderer Stelle wäre auch eine Belassung der Fläche D in der Bauzone ohne weiteres von den kantonalen Behörden genehmigt worden. c) Soweit der Beschwerdeführer der Auffassung ist, die kantonalen Instanzen hätten die Belassung der Fläche D in der Bauzone aufgrund seiner vertraglichen Vereinbarungen mit der Gemeinde genehmigen müssen, ist auf die rechtskräftigen Entscheide des Regierungsrats und des Bundesgerichts vom 16. Dezember 1992 und vom 3. Februar 1994 zu verweisen, wonach dem Beschwerdeführer weder aus Vertrag noch aus Treu und Glauben ein Anspruch auf Einzonung des Parzellenteils D zustand. Es ist fraglich, ob die übrigen vom Beschwerdeführer vorgebrachten - sehr allgemein gehaltenen - Argumente den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügen; jedenfalls vermögen sie die sorgfältigen und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Notwendigkeit, die Fläche D der Nichtbauzone zuzuteilen, nicht in Frage zu stellen. d) Allerdings könnte man sich fragen, ob die Prämisse des Verwaltungsgerichts richtig ist, wonach die Gemeinde nur haftet, wenn ihr eine Handlungsalternative verblieb, d.h. wenn sie die Fläche D ohne Verstoss gegen höherrangiges Recht in der Bauzone hätte belassen können. In der Literatur wird ein Schadenersatzanspruch gegen den sich vertragswidrig verhaltenden Staat auch dann für möglich gehalten, wenn ein Erfüllungsanspruch an übergeordneten Interessen des Gemeinwesens scheitert, d.h. auch bei amtspflichtgemässem Verhalten (vgl. JOST GROSS, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Bern 1995, S. 140 f.; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel 1983, S. 227, allerdings unter Beschränkung auf den Vertrauensschaden). Die Frage braucht jedoch im vorliegenden Fall nicht beantwortet zu werden: Zum einen fehlt es an einer entsprechenden Rüge des Beschwerdeführers; zum anderen hat das Verwaltungsgericht jegliche Zusicherung oder Garantie des Gemeinwesens hinsichtlich der zeitlichen Beständigkeit der Einzonung des Parzellenteils D willkürfrei verneint (vgl. oben, BGE 122 I 328 S. 340 E. 4). Legt man diese Vertragsauslegung zugrunde, war die 1990 vorgenommene, vom Raumplanungsgesetz gebotene Planänderung eben nicht vertragswidrig. Es verletzt somit weder das Willkürverbot noch das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgebot, wenn sich das Verwaltungsgericht auf die Frage einer durch die Gemeinde vermeidbaren Schädigung beschränkte. 6. (Zur Frage, ob die Gemeinde wegen Verletzung von Aufklärungspflichten bei Vertragsschluss haftet; Nichteintreten mangels rechtsgenügender Rüge des Beschwerdeführers). 7. Kann dem Verwaltungsgericht nach dem bisher Gesagten keine willkürliche Anwendung des einfachen (kantonalen) Vertragsrechts vorgeworfen werden, stellt sich die Frage, ob sich ein Entschädigungsanspruch unmittelbar aus dem Vertrauensschutzprinzip gemäss Art. 4 BV ableiten lässt. a) Soweit die Rechtsprechung einen Anspruch auf Ersatz eines Vertrauensschadens direkt aus Art. 4 BV ableitet, knüpft dieser regelmässig an Regelungen, Entscheide oder Zusicherungen an, auf die das Gemeinwesen aus einem überwiegenden öffentlichen Interesse zulässigerweise zurückkommt; dabei kann es sich rechtfertigen, gewisse durch den Betroffenen gestützt auf das vertrauensbegründende Verhalten vorgenommene Aufwendungen zu entschädigen (Bundesgerichtsurteil vom 30. Mai 1995 i.S. " Theatergenossenschaft Chur" publ. in ZBl 97/1996 91, E. 4a/aa). Handelt es sich bei der vom Bürger angerufenen Vertrauensgrundlage dagegen um einen öffentlichrechtlichen Vertrag, ist der Vertrauensschutz grundsätzlich durch die Bindung der Verwaltung an den Vertrag gewährleistet; nach herrschender Meinung begründet dieser wohlerworbene Rechte, die grundsätzlich gesetzesbeständig sind und nur auf dem Wege der Enteignung, d.h. gegen volle Entschädigung, an veränderte rechtliche Verhältnisse angepasst werden können ( BGE 103 Ia 31 E. 2c S. 35 mit Hinweisen; RENÉ RHINOW, Wohlerworbene und vertragliche Rechte im öffentlichen Recht, ZBl 80/1979 S. 17; GEORG HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Zürich 1990, Rz. 909 S. 198; a.A. BEATRICE WEBER-DÜRLER, a.a.O., S. 226 f., wonach eine Interessenabwägung vorzunehmen und bei überwiegendem öffentlichen Interesse eine Vertragsaufhebung gegen Ersatz des Vertrauensschadens zulässig sei). b) Sofern das kantonale Recht keine besonderen Bestimmungen enthält, kommen im Falle von Vertragsverletzungen die Regeln des Obligationenrechts als Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze zur Anwendung ( BGE 105 Ia 207 E. 2c S. 211 f.). Diese sehen - je BGE 122 I 328 S. 341 nach Art der Störung - sogar einen Ersatz des positiven Interesses einschliesslich des entgangenen Gewinns vor, gehen also über den von Art. 4 BV gebotenen Vertrauensschutz hinaus. Haben sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts massgebend gewesen sind (ohne selbst Gegenstand des Vertrages zu sein), seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist, kann der Vertrag u.U. nach der Lehre von der clausula rebus sic stantibus an die geänderten Verhältnisse angepasst werden ( BGE 103 Ia 31 E. 3b S. 37; PIERRE MOOR, a.a.O., Ziff. 3.2.4.4. S. 272; HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., Rz. 907 S. 197; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif vol. I, Neuchâtel 1984 S. 455 f.; MAX IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, ZSR 1958 II S. 107a f.; vgl. auch § 60 des deutschen Bundesverwaltungsverfahrensgesetzes). c) Nach dem Gesagten ist der Vertrauensschutz beim öffentlichrechtlichen Vertrag grundsätzlich durch das Vertragsrecht gewährleistet. Dabei sind der Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 2 ZGB und die daraus abgeleiteten Prinzipien von Bedeutung. Das Vertragsrecht sieht bei Vertragsverletzungen eine abschliessende Regelung vor. Soweit das Vertrauen in einem Vertragsverhältnis gründet, bleibt somit für einen direkten Rückgriff auf Art. 4 BV kein Raum. Dass vorliegend ausservertragliche Zusicherungen als Vertrauensgrundlage in Betracht fielen, ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht; er hat lediglich vertragliche Ansprüche erhoben bzw. die Versagung solcher Ansprüche in seiner staatsrechtlichen Beschwerde kritisiert. Unter diesen Umständen ist ein Entschädigungsanspruch aus Art. 4 BV nicht weiter zu prüfen. d) Allerdings müssen die kantonalen Bestimmungen über den öffentlichrechtlichen Vertrag dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzip genügen und den besonderen Verhältnissen des öffentlichrechtlichen Vertrags Rechnung tragen, in denen eine Vertragspartei Träger hoheitlicher Gewalt und dem Gemeinwohl verpflichtet ist (JOST GROSS, a.a.O., S. 139 ff., 336 f.; vgl. auch oben, E. 5d). Der Beschwerdeführer kann daher mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, das kantonale Recht (einschliesslich der analog herangezogenen zivilrechtlichen Bestimmungen) oder dessen Handhabung trage dieser besonderen Situation und zugleich dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz nicht hinreichend Rechnung. BGE 122 I 328 S. 342 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Verbindlichkeit der 1979-1982 abgeschlossenen Verträge nicht in Frage gestellt, hat also nicht etwa der Gemeinde Muri das Recht zugesprochen, sich einseitig von den vertraglichen Abmachungen zu lösen oder diese einseitig anzupassen. Es ist vielmehr nach willkürfreier Auslegung der Verträge zum Ergebnis gekommen, dass die Gemeinde ihre vertraglichen Verpflichtungen vollständig erfüllt und keine über das Jahr 1982 hinausreichende Garantie für die Beständigkeit des Zonenplans oder eine entsprechende Wertgarantie übernommen habe. Keine der Parteien hat sich auf einen Grundlagenirrtum bei Vertragsschluss berufen (z.B. betreffend die Beständigkeit der Einzonung der Fläche D); das Verwaltungsgericht hatte daher keinen Anlass, diese Frage zu prüfen. Auch eine Anpassung oder Kündigung des Vertrags wegen nachträglicher wesentlicher Änderung der bei Vertragsschluss zugrundegelegten Verhältnisse wurde vom Beschwerdeführer nie verlangt; es erscheint im übrigen zweifelhaft, ob die Lehre von der clausula rebus sic stantibus auf einen Vertrag Anwendung finden kann, der bereits 1982 - acht Jahre vor der durch die Zonenplanrevision 1990 eingetretenen Änderung - von beiden Seiten vollständig erfüllt worden war (vgl. PETER JÄGGI/PETER GAUCH, Zürcher Kommentar zum Obligationenrecht, Bd. V 1b, 1980, NN. 564 ff. zu Art. 18). Ob eine Haftung der Gemeinde wegen Verletzung von Aufklärungspflichten bei Vertragsschluss anzunehmen gewesen wäre, kann das Bundesgericht mangels rechtsgenügender Rüge nicht prüfen (vgl. oben, E. 6). Auch sonst bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was auf eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes durch das Verwaltungsgericht bzw. das von ihm zur Anwendung gebrachte kantonale Recht schliessen liesse.
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Sachverhalt ab Seite 200 BGE 128 V 199 S. 200 A.- Nachdem B., ein schweizerischer Staatsangehöriger, der im massgeblichen Zeitraum vorübergehend in Grossbritannien lebte und arbeitete, gegen zwei Beitragsverfügungen der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 14. Mai 1999 Beschwerde erhoben hatte, forderte die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen ihn mit Zwischenverfügung vom 22. März 2000 auf, zur Sicherstellung der mutmasslichen Gerichtskosten bis zum 2. Mai 2000 einen Kostenvorschuss von Fr. 1000.- zu überweisen. Gleichzeitig kündigte sie an, bei Nichtleistung dieses BGE 128 V 199 S. 201 Betrages innert der angesetzten Frist werde die Beschwerde durch einen Nichteintretensentscheid erledigt. B.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B. die Aufhebung der Kostenvorschussverfügung vom 22. März 2000 beantragen, wobei er im Wesentlichen geltend macht, die Eidgenössische Rekurskommission habe die Behandlung seiner Beschwerde ohne vorgängige Bezahlung eines Kostenvorschusses an die Hand zu nehmen, da für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren keine Kosten erhoben werden dürften. Die Eidgenössische Rekurskommission und die Ausgleichskasse enthalten sich eines Antrags. Auch das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet nach Einsichtnahme in die Akten auf eine Vernehmlassung. C.- Am 5. März 2002 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
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217
Erwägungen Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1. Entsprechend dem Gegenstand der angefochtenen Zwischenverfügung vom 22. März 2000 kann von der Sache her einzig die Zulässigkeit des von der Eidgenössischen Rekurskommission verlangten Kostenvorschusses zur Diskussion stehen. Über die bestrittene Beitragspflicht kann das Eidgenössische Versicherungsgericht nicht befinden, da sich die Vorinstanz dazu noch gar nicht geäussert hat und es mithin an einer unabdingbaren Sachurteilsvoraussetzung fehlt (vgl. BGE 125 V 414 Erw. 1a, BGE 119 Ib 36 Erw. 1b, je mit Hinweisen). 2. Zunächst stellt sich indessen in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Frage, ob gegen die Kostenvorschussverfügung vom 22. März 2000 überhaupt selbstständig Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden kann. a) Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97 OG auf Art. 5 VwVG . Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im Übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen). Verfügungen im Sinne dieser BGE 128 V 199 S. 202 Umschreibung können nach dem Wortlaut des zweiten Absatzes von Art. 5 VwVG auch Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den Anforderungen des vorangehenden ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist Art. 5 Abs. 2 VwVG bezüglich der Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen Gesetzes, laut dem nur solche Zwischenverfügungen anfechtbar sind, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können ( Art. 45 Abs. 1 VwVG ). Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als Voraussetzung für die Zulässigkeit eines selbstständigen, der Endverfügung vorangehenden Beschwerdeverfahrens, insbesondere für alle in Art. 45 Abs. 2 VwVG - nicht abschliessend - aufgezählten Zwischenverfügungen. Für das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung offen steht ( BGE 124 V 85 Erw. 2 mit Hinweisen). b) In BGE 105 V 107 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in einem Fall, in welchem die Eidgenössische Rekurskommission mangels fristgerechter Bezahlung des eingeforderten Kostenvorschusses auf eine Beschwerde nicht eingetreten ist, erwogen, dass Kostenvorschussverfügungen zu den Zwischenverfügungen zählen, welche - grundsätzlich - nicht selbstständig anfechtbar sind, es sei denn, sie wären geeignet, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 45 Abs. 1 VwVG zu bewirken; die Aufforderung zur Leistung eines Kostenvorschusses, verbunden mit der Ankündigung, im Unterlassungsfall auf das Rechtsmittel nicht einzutreten - womit das Verfahren ohne Sachurteil seinen Abschluss finden würde -, stelle indessen zweifellos eine Anordnung dar, welche einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könne; auch wenn Kostenvorschussverfügungen in der in Art. 45 Abs. 2 VwVG enthaltenen Liste selbstständig anfechtbarer Zwischenverfügungen nicht aufgeführt seien, müssten deshalb dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerden als zulässig betrachtet werden; dies umso mehr, als Art. 45 Abs. 2 lit. h VwVG auch die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege als selbstständig anfechtbare Zwischenverfügung bezeichne ( BGE 105 V 110 f. Erw. 3). Daran hat das Gericht seither in ständiger Rechtsprechung festgehalten (AHI 1998 S. 188; ZAK 1988 S. 529 Erw. 2a; nicht veröffentlichte Urteile P. vom 30. Juli 2001 [H 155/01] und M. vom 13. März 2000 [H 429/99]). Aus der Überlegung heraus, es liege ein BGE 128 V 199 S. 203 nicht wieder gutzumachender Nachteil vor, wenn die Aufforderung zur Leistung eines Kostenvorschusses mit der Androhung, im Säumnisfall auf eine Klage oder ein Rechtsmittel nicht einzutreten, verbunden wird, geht im Übrigen auch das Schweizerische Bundesgericht von der selbstständigen Anfechtbarkeit von Kostenvorschussverfügungen aus ( BGE 77 I 46 Erw. 2; Urteil vom 1. Juni 2001 [4P.70/2001]). c) Die nach der bisherigen Rechtsprechung bestehende Möglichkeit, gegen Kostenvorschussverfügungen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen zu können, birgt die Gefahr einer unter Umständen erheblichen Ausdehnung der Verfahrensdauer in sich. Eine Verfahrensverzögerung als Folge verschiedener im Laufe eines Beschwerdeverfahrens gegen gewisse prozessleitende Zwischenverfügungen gegebener Rechtsmittelwege lässt sich mit dem unter anderm in Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG für das kantonale Beschwerdeverfahren ausdrücklich verankerten, im Übrigen aber auch für das Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission analog geltenden Grundsatz der Raschheit des Verfahrens ( BGE 103 V 195 f. Erw. 4; vgl. auch nachfolgende Erw. 5c) nur schwer vereinbaren. Eine wesentliche Straffung der Prozessdauer liesse sich indessen auch mit einer Änderung der Rechtsprechung über die Anfechtbarkeit von Kostenvorschussverfügungen in dem Sinne, dass entsprechende Zwischenverfügungen erst im Rahmen eines gegen den verfahrensabschliessenden Endentscheid gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahrens einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden können, kaum erreichen. Der Problematik des nicht wieder gutzumachenden Nachteils, der grundsätzlich die Eröffnung eines Rechtsmittelwegs gebietet, könnte zwar in Fällen, in welchen der Aufforderung zur Leistung eines Kostenvorschusses nicht Folge geleistet wurde und deswegen ein Nichteintretensentscheid ergangen ist, begegnet werden, indem bei Bestätigung der Rechtmässigkeit der Kostenvorschussverfügung in dem gegen den verfahrensabschliessenden Nichteintretensentscheid gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren jeweils eine neue Frist für die Erfüllung der geforderten Sicherstellung angesetzt würde. Die betroffene Partei, welche den verlangten Kostenvorschuss nicht bezahlen will oder kann, müsste es dann allerdings zunächst zu einem Nichteintretensentscheid kommen lassen, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hätte, die nicht akzeptierte verfahrensleitende Anordnung gerichtlich überprüfen zu lassen. BGE 128 V 199 S. 204 Eine Beschleunigung des Verfahrensablaufs wäre unter diesen Umständen - gesamthaft gesehen - nicht zu erwarten. Wurde der Kostenvorschuss demgegenüber fristgerecht geleistet, würde die zur Zahlung aufgeforderte Partei bei einem materiellen Obsiegen zufolge der diesfalls vorzunehmenden Rückerstattung zum Vornherein keinen Nachteil erleiden. Bei einem Unterliegen verbunden mit einer zu Lasten der vorschusspflichtigen Partei gehenden Kostenauferlegung könnte zwar immer noch auch nur im Kostenpunkt Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden. Bliebe diese aber ohne Erfolg, würden die Kosten mit dem geleisteten Vorschuss verrechnet, ohne dass die betroffene Person je die Möglichkeit gehabt hätte, in Kenntnis der Beurteilung der Kostenpflichtigkeit des Verfahrens durch eine gerichtliche Instanz zu entscheiden, ob sie auf einem - kostenpflichtigen - materiellen Entscheid bestehen oder aber ihre Beschwerde zurückziehen will. Solange bezüglich dieser grundsätzlichen Kostenfrage Unklarheit herrscht, kann ihr Entscheid so oder anders zu einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil führen. Entweder verzichtet sie auf Grund allenfalls unbegründeter Befürchtungen hinsichtlich möglicher Kostenfolgen auf eine Fortführung des Beschwerdeverfahrens oder aber sie sieht sich gezwungen, ein Kostenrisiko in Kauf zu nehmen, das sie bei Vorliegen einer gerichtlichen Bestätigung der Kostenpflichtigkeit des Verfahrens nicht zu tragen bereit wäre. d) Da die in Art. 45 Abs. 1 VwVG für eine selbstständige Anfechtung von Zwischenverfügungen genannte Voraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils somit erfüllt ist und die betroffene Partei offensichtlich auch ein im Sinne von Art. 103 lit. a OG schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung der Kostenpflichtigkeit des Beschwerdeverfahrens noch vor Erlass des verfahrensabschliessenden Endentscheids hat, ist eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung über die Anfechtbarkeit von Kostenvorschussverfügungen nicht zu rechtfertigen. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demzufolge einzutreten. 3. a) Die Eidgenössische Rekurskommission geht in der angefochtenen Zwischenverfügung vom 22. März 2000 davon aus, dass es sich beim Streit über die Beitragspflicht um ein kostenpflichtiges Verfahren handelt, was sie damit begründet, dass sich gemäss dem Verweis in Art. 26 der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen (SR 173.31) die Verfahrenskosten nach Art. 63 VwVG richten; des Weitern dürften laut Art. 4b der Verordnung BGE 128 V 199 S. 205 vom 10. September 1969 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (SR 172.041.0) - ausser bei mutwilliger oder leichtfertiger Beschwerdeführung - lediglich in Leistungsstreitigkeiten keine Verfahrenskosten erhoben werden. Im Übrigen verweist die Rekurskommission auf Art. 134 OG , welcher für das Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht Kostenlosigkeit ebenfalls nur für Fälle vorsieht, in welchen es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht. b) Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber ein, für eine Kostenerhebung in nicht Versicherungsleistungen betreffenden Verfahren fehle es an einer klaren gesetzlichen Grundlage; die Praxis der Eidgenössischen Rekurskommission widerspreche überdies Art. 85 AHVG , welcher auch für sie Geltung habe. Im Übrigen macht er geltend, die streitige Beitragspflicht lasse sich nicht von der Frage nach zukünftigen Leistungen trennen; zudem sei die Kostenerhebung im Sinne von Art. 4a der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren unverhältnismässig. 4. a) Laut Art. 84 Abs. 2 AHVG entscheiden die kantonalen Rekursbehörden über Beschwerden (Satz 1); über Beschwerden von Personen im Ausland entscheidet die eidgenössische Rekursbehörde (Satz 2). Nach Art. 85 Abs. 2 AHVG regeln die Kantone das Rekursverfahren (Satz 1), welches bestimmten Anforderungen zu genügen hat (Satz 2). So muss das Verfahren gemäss Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG einfach, rasch und für die Parteien grundsätzlich kostenlos sein, wobei jedoch in Fällen leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung dem Beschwerdeführer eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt werden können. Gemäss Art. 85bis Abs. 1 AHVG bestellt der Bundesrat die eidgenössische Rekursbehörde (Satz 1). Nach Abs. 2 derselben Bestimmung regelt er ihre Organisation und ernennt ihre Mitglieder (Satz 1). Abs. 3 von Art. 85bis AHVG schliesslich sieht vor, dass ein einzelnes vollamtliches Mitglied mit summarischer Begründung auf Nichteintreten oder Abweisung erkennen kann, wenn die Vorprüfung vor oder nach einem Schriftenwechsel ergibt, dass die Beschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (Satz 1); im Übrigen gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz (Satz 2). b) Nach Art. 63 Abs. 1 des auf den 1. Oktober 1969 in Kraft getretenen VwVG auferlegt die Beschwerdeinstanz in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren BGE 128 V 199 S. 206 und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei (Satz 1); unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt (Satz 2); ausnahmsweise können sie erlassen werden (Satz 3). Art. 63 Abs. 4 VwVG sieht vor, dass die Beschwerdeinstanz vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss in der Höhe der mutmasslichen Verfahrenskosten erhebt (Satz 1); sie setzt zu dessen Leistung unter der Androhung des Nichteintretens eine angemessene Frist (Satz 2); wenn besondere Gründe vorliegen, kann sie auf die Erhebung des Kostenvorschusses ganz oder teilweise verzichten (Satz 3). Gemäss Abs. 5 von Art. 63 VwVG regelt der Bundesrat die Bemessung der Gebühren. Unter anderm gestützt auf diese Bestimmung hat er die ebenfalls am 1. Oktober 1969 in Kraft getretene Verordnung vom 10. September 1969 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (SR 172.041.0) erlassen, welche in Art. 4b vorsieht, dass dem Beschwerdeführer in Streitigkeiten über die Bewilligung oder Verweigerung von Leistungen der Sozialversicherung keine Verfahrenskosten auferlegt werden, es sei denn, es handle sich um mutwillige oder leichtfertige Beschwerden. c) Nach Abs. 1 von Art. 71a VwVG , welcher zusammen mit den Art. 71b und 71c VwVG im Rahmen der am 15. Februar 1992 in Kraft getretenen Revision des OG vom 4. Oktober 1991 auf den 1. Januar 1994 neu eingefügt worden ist, entscheiden, soweit andere Bundesgesetze es vorsehen, Schiedskommissionen als erste Instanzen und eidgenössische Rekurskommissionen als Beschwerdeinstanzen (Satz 1). Das Verfahren der Kommissionen bestimmt sich laut Art. 71a Abs. 2 VwVG unter Vorbehalt von Art. 2 und 3 nach dem VwVG. In Abs. 3 von Ziff. 1 der Schlussbestimmungen zur Änderung des OG vom 4. Oktober 1991 ist unter dem Titel "Ausführungsbestimmungen" vorgesehen, dass der Bundesrat innert zweier Jahre seit Inkrafttreten des revidierten OG unter anderm Ausführungsbestimmungen über die Organisation und das Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen im Sinne der Artikel 71a-71c VwVG erlässt (lit. a). d) Laut Art. 26 der gestützt auf die eben erwähnte Schlussbestimmung zur Änderung des OG und die Art. 71a-71c VwVG erlassenen Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen (SR 173.31) richten sich die Verfahrenskosten nach Art. 63 VwVG BGE 128 V 199 S. 207 und - mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme - nach der Verordnung vom 10. September 1969 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (vgl. Erw. 4b hievor in fine). 5. a) Dem Wortlaut von Art. 84-85bis AHVG lässt sich nicht entnehmen, dass die für das Verfahren vor den kantonalen Rekursbehörden in Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG vorgeschriebene Kostenlosigkeit auch für das Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen gilt. Andererseits ergibt sich aus dem Wortlaut der Art. 84-85bis AHVG auch nicht eindeutig, dass für die beiden Verfahren bezüglich der Kostenpflicht unterschiedliche Regeln gelten sollen. b) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben ( BGE 127 IV 194 Erw. 5b/aa, BGE 127 V 5 Erw. 4a, 92 Erw. 1d, 198 Erw. 2c, je mit Hinweisen). Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Richters und der Richterin bleibt, auch wenn sie das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten Umständen anpassen oder es ergänzen ( BGE 125 V 356 Erw. 1b, BGE 123 V 301 Erw. 6a mit Hinweisen). c) Wie erwähnt, lässt sich auf Grund des Wortlauts der Art. 84-85bis AHVG nicht schlüssig sagen, wie weit der Verweis auf das VwVG in Art. 85bis Abs. 3 AHVG geht. Insbesondere ist nicht klar erkennbar, welche Auswirkungen er auf die Kostenfolge in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen zeitigt. Es ist daher auf dem Auslegungsweg zu ermitteln, welche Bedeutung dem BGE 128 V 199 S. 208 Verweis auf das VwVG im zweiten Satz des Art. 85bis Abs. 3 AHVG hinsichtlich der Kostenregelung zukommt. Obschon die in Art. 85 Abs. 2 lit. a-h AHVG genannten Verfahrensvorschriften ausdrücklich für das kantonale Beschwerdeverfahren aufgestellt wurden, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 103 V 190 erkannt, dass nicht einzusehen wäre, weshalb Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG , wonach das Verfahren einfach, rasch und für die Parteien grundsätzlich kostenlos sein muss, in Bezug auf die Einfachheit und Raschheit des Verfahrens nur für die kantonalen Rekursbehörden Verbindlichkeit haben sollte, während die Eidgenössische Rekursbehörde davon befreit wäre; eine solche Auslegung würde eine die Rechtsgleichheit verletzende Benachteiligung der im Ausland wohnenden Versicherten mit sich bringen, weshalb Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG für die Eidgenössische Rekurskommission analog zu gelten habe ( BGE 103 V 195 f. Erw. 4; vgl. auch BGE 126 V 249 Erw. 4 mit Hinweisen). Um zu entscheiden, ob die bezüglich Einfachheit und Raschheit des Verfahrens analoge Anwendbarkeit von Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission auch hinsichtlich der in dieser Bestimmung ebenfalls vorgeschriebenen Kostenlosigkeit gilt, müssen angesichts des verschiedene Interpretationen zulassenden Wortlauts der gesetzlichen Regelung, namentlich des Verweises in Art. 85bis Abs. 3 Satz 2 AHVG , weitere Auslegungskriterien herangezogen werden. Für die Gewinnung sachgerechter Erkenntnisse fallen dabei nebst den Schlüssen, die aus der systematischen Stellung der zur Diskussion stehenden Normen gezogen werden können, insbesondere die historische und die verfassungsbezogene Auslegungsmethode in Betracht. 6. a) Aus gesetzessystematischer Sicht kann, nachdem mit Art. 85bis AHVG eine Bestimmung speziell für die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen geschaffen worden ist, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der für die kantonalen Rekursbehörden geltende Art. 85 AHVG generell auch in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission anwendbar ist. Die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen ist indessen die einzige der vier im Sozialversicherungsbereich tätigen Rekurskommissionen des Bundes (Beschwerdekommission der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [ Art. 74 BVG ], Eidgenössische Rekurskommission für die Spezialitätenliste in der Krankenversicherung [ Art. 90 KVG ], BGE 128 V 199 S. 209 Eidgenössische Rekurskommission für die Unfallversicherung [ Art. 109 UVG ]; vgl. Anhang I der Verordnung über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen), deren sachliche Zuständigkeit sich mit derjenigen der kantonalen Rekursbehörden deckt. Aus diesem Grund wäre an sich zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber Abweichungen von den für die kantonalen Beschwerdeinstanzen aufgestellten Verfahrensregeln ausdrücklich nennt. b) Im Rahmen einer historisch orientierten Auslegung wird man sich vor Augen halten müssen, dass nach der Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung im Jahre 1948 Beschwerdeverfahren vor der für Personen im Ausland zuständigen eidgenössischen Rekursbehörde für die Parteien über Jahre hinweg kostenlos waren. aa) In der ursprünglichen Fassung des Art. 84 Abs. 2 AHVG vom 20. Dezember 1946 (Bereinigte Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1848-1947, Band 8, S. 447) gab es für die eidgenössische Rekursinstanz noch keine gesetzliche Grundlage. Die Bestimmung sah lediglich vor, dass Beschwerden in erster Instanz von einer kantonalen Rekursbehörde beurteilt werden. Für diese enthielt Art. 85 AHVG einzelne Regeln, worunter in Abs. 2 auch die grundsätzliche Kostenlosigkeit des Beschwerdeverfahrens genannt wurde (Bereinigte Sammlung, a.a.O., S. 477 f.). BINSWANGER schreibt in seinem Kommentar zu Art. 84 Abs. 2 AHVG , die kantonale Rechtspflege im Bereich der Alters- und Hinterlassenenversicherung bilde Teil der kantonalen Gerichtsbarkeit, weshalb die aus der kantonalen Rechtspflege erwachsenden Kosten von den Kantonen zu tragen seien (PETER BINSWANGER, Kommentar zum Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, Zürich 1950/51, S. 303). Weiter weist er auf Art. 10 der bundesrätlichen Verordnung vom 14. Mai 1948 über die freiwillige Alters- und Hinterlassenenversicherung für Auslandschweizer (AS 1948 521) hin, wonach Beschwerden gegen Verfügungen der Ausgleichskasse für Auslandschweizer erstinstanzlich von einer besonderen Rekurskommission mit Sitz in Bern beurteilt werden (BINSWANGER, a.a.O., S. 302, insbes. Fn 9). Nach Art. 10 Abs. 3 dieser Verordnung war von der Rekurskommission ein Reglement über das Verfahren zu erlassen, in welchem Art. 85 Abs. 2 des Bundesgesetzes sinngemäss Anwendung findet. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des gestützt auf diese Norm geschaffenen Reglements vom 6. September 1949 über Organisation und Verfahren der Rekurskommission der freiwilligen BGE 128 V 199 S. 210 Alters- und Hinterlassenenversicherung für Auslandschweizer (AS 1949 1551) war das Verfahren für den Beschwerdeführer - vorbehältlich leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung - kostenlos. bb) Mit der durch Bundesratsbeschluss vom 20. April 1951 (AS 1951 394) erfolgten Einfügung von Art. 200bis AHVV erhielt die eidgenössische Rekursbehörde - wiederum auf Verordnungsstufe - eine neue Grundlage, mit welcher ihre Zuständigkeit über jene für die im Ausland wohnenden schweizerischen Staatsangehörigen hinaus generell auf Personen ausgedehnt wurde, die im Ausland wohnen. Das Reglement vom 12. November 1952 über Organisation und Verfahren der Rekurskommission der Schweizerischen Ausgleichskasse (AS 1953 64) stützte sich nunmehr auf Art. 200bis Abs. 2 AHVV , wobei in Art. 14 Abs. 1 weiterhin die grundsätzliche Kostenlosigkeit des Verfahrens statuiert wurde. Nach dem gestützt auf die AHVV erlassenen Reglement der Rekurskommission war somit eine Gleichbehandlung mit den vor kantonalen Rekursbehörden prozessierenden Parteien gewährleistet. cc) Erst im Rahmen der auf den 1. Januar 1954 in Kraft getretenen 2. Revision des AHVG (AS 1954 211) erhielt die eidgenössische Rekursbehörde eine gesetzliche Grundlage, indem in Art. 84 Abs. 2 AHVG nunmehr neu auch von "der vom Bundesrat bestellten Rekurskommission für die in Artikel 62, Absatz 2, genannte Ausgleichskasse" die Rede war (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 5. Mai 1953; BBl 1953 II 136 f. und 144). Der Geltungsbereich von Art. 85 AHVG wurde dabei zwar nicht ausdrücklich auf die eidgenössische Rekursbehörde ausgedehnt; es wurde aus diesem Umstand aber auch nicht abgeleitet, dass Art. 85 AHVG für die im Gesetz nunmehr ausdrücklich genannte eidgenössische Rekursinstanz keine Geltung haben sollte. Nach der Einführung des IVG vom 19. Juni 1959 (AS 1959 827), das in Art. 82 auch eine Änderung des Art. 85 Abs. 2 AHVG vorsah (AS 1959 849; vgl. Botschaft des Bundesrates vom 24. Oktober 1958, BBl 1958 II 1285 f.), ging das am 19. November 1960 erlassene Reglement der Rekurskommission der Schweizerischen Ausgleichskasse (AS 1961 114) in Art. 14 Abs. 1 immer noch von der grundsätzlichen Kostenlosigkeit des Verfahrens aus. dd) Mit dem auf den 1. Oktober 1969 erfolgten Inkrafttreten des VwVG vom 20. Dezember 1968 fielen auch die eidgenössischen Rekurskommissionen in dessen Anwendungsbereich ( Art. 1 Abs. 2 lit. d VwVG ; Botschaft des Bundesrates vom 24. September 1965 BGE 128 V 199 S. 211 über das Verwaltungsverfahren, BBl 1965 II 1359 f.). Die Regelung der Verfahrenskosten wurde im Wesentlichen von Art. 158 OG übernommen (BBl 1965 II 1372). Mit der Revision des Art. 200bis AHVV vom 15. Januar 1971 (AS 1971 30) ging die Zuständigkeit zum Erlass der Verfahrensordnung für die eidgenössische Rekursbehörde auf das Eidgenössische Departement des Innern über, welches deren Organisation festzulegen sowie ergänzende Bestimmungen zum VwVG zu erlassen hatte ( Art. 200bis Abs. 4 Satz 1 AHVV ). Indem die Möglichkeit einer Kostenauflage im zweiten Satz von Art. 200bis Abs. 4 AHVV nur für Fälle leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung vorgesehen war, wurde die grundsätzliche Kostenlosigkeit nunmehr hier statuiert, sodass im gestützt darauf erlassenen Reglement vom 20. Januar 1971 über die Organisation und das Verfahren der Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen (AS 1971 214) auf eine Regelung der Kostenfolgen verzichtet werden konnte. Die unter anderm gestützt auf Art. 84 Abs. 2 AHVG und Art. 200bis AHVV erlassene, für die Bereiche der Alters- und Hinterlassenen- sowie der Invalidenversicherung am 1. Oktober 1975 in Kraft getretene Verordnung vom 3. September 1975 über verschiedene Rekurskommissionen (AS 1975 1642) hielt demgegenüber in Art. 25 wiederum ausdrücklich fest, dass das Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen in der Regel - ausser bei mutwilliger oder leichtfertiger Beschwerdeführung - kostenlos ist (Satz 1). c) Ohne ausdrückliche bundesgesetzliche Anordnung hielten sich die Ausführungsbestimmungen demnach immer noch an die für die kantonalen Rekursbehörden in Art. 85 Abs. 2 AHVG vorgesehene Kostenlosigkeit. Obwohl das VwVG die allgemeine Kostenpflicht kennt und dieses Gesetz grundsätzlich auch im Verfahren vor der eidgenössischen Rekursinstanz anwendbar ist, blieb es somit zunächst auch nach der Schaffung des VwVG noch bei der Kostenfreiheit des Verfahrens. Vor diesem Hintergrund mag der vom Beschwerdeführer eingenommene Standpunkt, wonach auch für nicht Versicherungsleistungen betreffende Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen von den Parteien keine Gerichtskosten erhoben werden dürfen, eine BGE 128 V 199 S. 212 gewisse Stütze finden. Zu prüfen bleibt, ob dies auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung der gesetzlichen Ordnung zutrifft. aa) Mit der Änderung des AHVG vom 24. Juni 1977 (9. AHV-Revision; AS 1978 391) wurde eigens für die für Personen im Ausland zuständige eidgenössische AHV/IV-Rekursbehörde der auf den 1. Mai 1978 vorzeitig in Kraft gesetzte Art. 85bis AHVG geschaffen und Art. 84 Abs. 2 AHVG entsprechend angepasst (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 7. Juli 1976 über die neunte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung, BBl 1976 III 66). Erst im Ständerat beantragte der Bundesrat die Einfügung des heutigen Abs. 3 von Art. 85bis AHVG . Dies geschah vorwiegend im Hinblick auf die Ermöglichung eines summarischen Verfahrens bei aussichtslosen Beschwerden, wobei darauf hingewiesen wurde, dass ein solches zur Bewältigung der Geschäftslast der eidgenössischen Rekursinstanz vorzusehen sei, denn hier werde "sehr oft, weil das Verfahren gratis ist, 'probiert'" (Amtl.Bull. 1977 S 263 f. [Votum von Bundesrat Hürlimann]). Die Räte gingen demnach immer noch von der Kostenlosigkeit des Verfahrens vor der Eidgenössischen Rekurskommission aus. Der in den Materialien nicht weiter begründete Verweis in Art. 85bis Abs. 3 AHVG auf das VwVG, das schon bisher anwendbar war, dürfte daher eher deklaratorischer Natur gewesen sein, dahin gehend zu verstehen, dass in Abweichung von der Regelung im VwVG auch eine Beschwerdeerledigung im summarischen Verfahren zulässig ist. Im Übrigen jedoch dürfte ein Abweichen von der bis dahin bestehenden Rechtslage vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sein. bb) Dennoch findet sich in dem mit Verordnungsänderung vom 5. April 1978 (AS 1978 420) revidierten Art. 200bis AHVV (AS 1978 435) keine Bestimmung mehr zur Kostenlosigkeit und in Art. 25 der Verordnung über verschiedene Rekurskommissionen in der Fassung vom 5. April 1978 (AS 1978 447) wird die Kostenfreiheit nur noch für Streitigkeiten über die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen vorgesehen. Damit hat der Verordnungsgeber bezüglich der Überbindung der Kosten des Verfahrens vor der Eidgenössischen Rekurskommission erstmals eine Regelung getroffen, welche von der für die kantonalen Rekursbehörden massgebenden Ordnung abweicht. Ob er sich damit allenfalls über die vom Parlament beschlossene gesetzliche Grundlage hinweggesetzt hat, braucht angesichts der nachstehend dargelegten weiteren Entwicklung der gesetzgeberischen BGE 128 V 199 S. 213 Tätigkeit im heutigen Zeitpunkt nicht mehr genauer untersucht zu werden. cc) Im Zusammenhang mit der Revision des OG vom 4. Oktober 1991 (AS 1992 288) wurde für die eidgenössischen Rekurskommissionen mit den auf den 1. Januar 1994 in Kraft gesetzten Art. 71a-71c VwVG (AS 1992 306) ein neues gesetzliches Fundament geschaffen. Art. 71a Abs. 2 VwVG besagt, dass sich das Verfahren der Kommissionen nach dem VwVG richtet. Gestützt auf Ziff. 1 (Ausführungsbestimmungen) Abs. 3 lit. a der Schlussbestimmungen zur Revision des OG (AS 1991 300) hat der Bundesrat am 3. Februar 1993 die Verordnung über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen erlassen (AS 1993 879). Bezüglich der Verfahrenskosten wird in deren Art. 26 (AS 1993 886) auf Art. 63 VwVG verwiesen, welcher keine Kostenlosigkeit vorsieht. Des Weitern wird auf die Verordnung vom 10. September 1969 über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (AS 1969 760) verwiesen, welche in Art. 4b Kostenlosigkeit nur für Leistungsstreitigkeiten, nicht aber für die übrigen Verfahren vorsieht. dd) Im Rahmen der Revision des OG hat sich der Gesetzgeber zwar nicht speziell mit der Kostenpflicht in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission auseinander gesetzt. Es ging ihm vielmehr bloss um eine für alle Rekurskommissionen in gleicher Weise geltende verfahrensrechtliche Ordnung. Letztlich hat er sich in Art. 71a Abs. 2 VwVG auf eine Wiederholung des schon in Art. 85bis Abs. 3 AHVG enthaltenen Verweises auf das VwVG und bezüglich der Verfahrenskosten somit auf Art. 63 VwVG beschränkt. Damit steht auch der Verweis in Art. 26 der Verordnung über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen in Einklang (vgl. auch Art. 4 VwVG , wonach Bestimmungen des Bundesrechts, die ein Verfahren eingehender regeln, Anwendung finden, soweit sie den Bestimmungen des VwVG nicht widersprechen). Obschon die Kostenfreiheit schon mit Art. 25 der Verordnung über verschiedene Eidgenössische Rekurskommissionen in der Fassung vom 5. April 1978 auf Streitigkeiten über die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen beschränkt worden war (Erw. 6c/bb hievor), sah sich der Gesetzgeber anlässlich der Revision des OG und der damit einhergehenden Einfügung des Art. 71a VwVG nicht zu einer ausdrücklichen Regelung der Kostenfolgen in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission BGE 128 V 199 S. 214 im Sinne einer Klarstellung oder gar einer Korrektur der bisherigen Praxis veranlasst. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass er nunmehr mit einer Kostenerhebung zumindest in nicht Versicherungsleistungen betreffenden Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission einverstanden war. Daher verbietet sich die Annahme, die Preisgabe der Kostenfreiheit in solchen Streitigkeiten lasse sich mit dem gesetzgeberischen Willen nicht vereinbaren. Dem Eidgenössischen Versicherungsgericht verschliesst sich mithin trotz der unübersichtlichen gesetzlichen Grundlagen und der zufolge der zahlreichen Verweisungen nicht ohne weiteres klar erkennbaren Normenhierarchie die Möglichkeit, die in Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG für das kantonale Beschwerdeverfahren vorgesehene generelle Kostenlosigkeit auf dem Wege der Gesetzesauslegung auch auf die Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission anwendbar zu erklären. d) Die aktuell bestehende rechtliche Lage mag im Lichte einer verfassungsbezogenen Überprüfung zwar insofern unbefriedigend sein, als eine Ungleichbehandlung von Personen, die vor einer kantonalen Rechtsmittelinstanz Beschwerde führen können, und solchen, die sich dazu an die Eidgenössische Rekurskommission wenden müssen, hinzunehmen ist. Auch liesse sich die Frage stellen, ob die unterschiedliche Regelung der Kostenfolgen in Streitigkeiten über Versicherungsleistungen einerseits und in den übrigen Verfahren andererseits, wie sie sich aus Art. 4b der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren ergibt, sachlich gerechtfertigt werden kann. Bedenken könnten sich in diesem Zusammenhang vor allem hinsichtlich der gesetzlichen Grundlage für die vom Bundesrat für Leistungsstreitigkeiten - abweichend von der nach VwVG massgebenden Regelung - eingeführte Kostenlosigkeit ergeben, sieht Art. 63 Abs. 5 VwVG eine Kompetenzübertragung doch lediglich bezüglich der Gebührenregelung vor. Die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit von Art. 4b der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren steht im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zur Diskussion, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist. Festzuhalten bleibt einzig, dass sich unabhängig von der Zulässigkeit der in dieser Verordnungsbestimmung statuierten Kostenlosigkeit nirgends eine Verpflichtung des Verordnungsgebers ableiten lässt, Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission, in welchen es nicht um Versicherungsleistungen geht, ebenfalls von der Kostenpflichtigkeit auszunehmen. BGE 128 V 199 S. 215 7. Wie sich aus Art. 191 BV (früher Art. 113 Abs. 3 und Art. 114bis Abs. 3 aBV ) ergibt, ist das Eidgenössische Versicherungsgericht an die bestehende bundesgesetzliche Vorgabe gebunden. Es wäre Sache des Gesetzgebers, sollte er einen entsprechenden Handlungsbedarf sehen, bezüglich der Kostenregelung in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen eine Regelung zu treffen, welche der im aktuell massgebenden Normengefüge formal unübersichtlichen und auch inhaltlich nicht ohne weiteres überzeugenden Rechtslage Abhilfe schafft. a) Ein Blick auf die zur Zeit diskutierten gesetzgeberischen Vorhaben zeigt, dass sich im Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; BBl 2000 5041) keine Neuerungen finden, welche die Frage nach der Kostenpflicht in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen betreffen. Art. 61 Abs. 1 lit. a ATSG hält an der grundsätzlichen Kostenfreiheit in Verfahren vor den kantonalen Rekursbehörden fest (BBl 2000 5055), während Art. 85bis AHVG im hier interessierenden Punkt keine Änderung erfährt (BBl 2000 5072; vgl. auch den Bericht der Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 26. März 1999, BBl 1999 4523, insbes. 4621). Auch im Rahmen der noch vorzunehmenden Anpassung des Anhangs zum ATSG ist bezüglich der Kostenfolge in Verfahren vor der Eidgenössischen Rekurskommission keine Bereinigung vorgesehen (Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2001 über die Anpassung des Anhangs zum ATSG, BBl 2002 803, insbes. 809 ff., 852 f. und 855). b) Hinzuweisen bleibt auf die Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (BBl 2001 4202), aus der hervorgeht, dass mit der Einführung des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz; VGG) auch eine Änderung von Art. 85bis AHVG einhergehen soll, indem in Abs. 2 festgehalten wird, dass das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht für die Parteien grundsätzlich kostenlos ist, wenn es um Leistungen, Forderungen oder Anordnungen betreffend die AHV geht. Dazu wird in der Botschaft ausgeführt, Abs. 2 übernehme damit die Regel von Art. 61 Abs. 1 lit. a ATSG , der für das Verfahren vor den kantonalen Versicherungsgerichten den Grundsatz der Kostenlosigkeit statuiert; die Tatsache, dass für AHV-Beschwerden von Personen BGE 128 V 199 S. 216 im Ausland das Bundesverwaltungsgericht (und nicht die kantonalen Versicherungsgerichte) zuständig ist, dürfe nicht dazu führen, dass die Parteien der Kostenlosigkeit des Verfahrens verlustig gehen (BBl 2001 4459 und 4602). 8. Nach dem Gesagten durfte die Eidgenössische Rekurskommission - gestützt auf die Art. 85bis Abs. 3 Satz 2 AHVG , 71a Abs. 2 VwVG sowie 26 der Verordnung über Organisation und Verfahren eidgenössischer Rekurs- und Schiedskommissionen, je in Verbindung mit Art. 63 Abs. 1 und 4 VwVG , sowie (e contrario) Art. 4b der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren (vgl. Erw. 4 hievor) - die materielle Behandlung der gegen die Beitragsverfügungen der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 14. Mai 1999 erhobenen Beschwerde von der vorgängigen Bezahlung eines Kostenvorschusses abhängig machen. Inwiefern dies oder der verlangte Betrag von Fr. 1000.- unverhältnismässig sein sollte, ist nicht ersichtlich und wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch nicht weiter dargelegt. 9. Dem Beschwerdeführer muss indessen die Möglichkeit eingeräumt werden, den von der Eidgenössischen Rekurskommission verlangten Kostenvorschuss noch zu bezahlen. Entgegen einer früheren Praxis wird ihm die dazu zu gewährende neue Frist nicht mehr vom Eidgenössischen Versicherungsgericht, sondern von der Eidgenössischen Rekurskommission, welcher die weitere Verfahrensleitung obliegt, angesetzt. 10. Das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht ist kostenpflichtig, weil ebenfalls nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, sondern mit der Zulässigkeit des verlangten Kostenvorschusses ausschliesslich eine prozessrechtliche Frage zu beurteilen war (Umkehrschluss aus Art. 134 OG ). Die Kosten sind vom unterliegenden Beschwerdeführer zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG ).
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Sachverhalt ab Seite 290 BGE 139 II 289 S. 290 A. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) unterbreiteten dem Bundesamt für Verkehr (BAV) am 29. November 2010 das Pflichtenheft bzw. den Anforderungskatalog samt Typenskizzen für die neu zu bauenden Fernverkehrs-Doppelstock-Triebzüge (FV-Dosto) IR100, IR200 und IC200 zur Genehmigung. Darin sind u.a. Angaben über die behindertengerechte Gestaltung enthalten. Vorgesehen ist namentlich im achtteiligen Zugsmodul IC200 ein Wagen, der im Oberdeck ein Speisewagenabteil und im Unterdeck ein Abteil mit drei Rollstuhlplätzen und einer rollstuhlgängigen Universaltoilette enthält. Im Pflichtenheft wird ausgeführt, das Unterdeck sei so zu gestalten, dass sowohl Personen im Rollstuhl als auch anderweitig Gehbehinderte mitsamt ihren Begleitpersonen (insgesamt mindestens 8 Personen) sich an Tischen verpflegen können. In den übrigen Wagen des IC200 ist je ein Rollstuhlstellplatz vorgesehen. Das BAV genehmigte mit Verfügung vom 12. Januar 2011 das Pflichtenheft unter mehreren Auflagen, darunter die Auflage 2.6 mit folgendem Wortlaut: BGE 139 II 289 S. 291 "Dem BAV ist für die Typenzulassung die Umsetzung der behindertengerechten Gestaltung schriftlich zu bestätigen und eine Differenzbetrachtung TSI-PRM zur EBV und zur VAböV vorzulegen". B. B.a Gegen diese Verfügung erhob der Verein Integration Handicap - Schweizerische Arbeitsgemeinschaft zur Eingliederung Behinderter (im Folgenden: Integration Handicap) am 16. Februar 2011 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht mit zahlreichen Anträgen, unter anderem Antrag Nr. 1.1 mit dem Wortlaut: "Die Rollstuhlplätze müssen in normale Fahrgastbereiche integriert sein, d.h. es soll auch eine möglichst grosse Anzahl Sitzplätze für nichtbehinderte Fahrgäste verfügbar sein (keine Sonderzonen für Behinderte)"; sowie Antrag Nr. 3.2: "In der IC-Variante ist der Rollstuhlbereich von der geplanten rollstuhlgängigen Verpflegungszone zu trennen und in einen dem Speisewagen benachbarten Wagen zu verlegen." B.b Ebenfalls am 16. Februar 2011 erhob die Stiftung zur Förderung einer behindertengerechten baulichen Umwelt (im Folgenden: Stiftung) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht mit zahlreichen Anträgen, u.a. Antrag Nr. 1: "Der spezielle Rollstuhlfahrbereich (gemäss AB-EBV zu Art. 48, AB 48.3, Blatt Nr. 7, Ziffer 13) samt Rollstuhltoilette sei auch in den IC-Zügen in einem benachbarten Wagen unterzubringen (und nicht im unteren Geschoss des Speisewagens)." sowie Antrag Nr. 4: "Der Speisewagen im Obergeschoss sei auch für Passagiere mit Mobilitätsbehinderung durch einen Aufzug zugänglich zu machen." B.c Das Bundesverwaltungsgericht vereinigte die beiden Verfahren. In der Folge teilten die Parteien dem Gericht mit, dass in einer Anzahl von Punkten eine Einigung gefunden worden sei und nur noch zwei Punkte streitig seien, nämlich die Verlegung des Rollstuhlbereichs im IC200 in einen dem Speisewagen benachbarten Wagen (Anträge 1.1 und 3.2 von Integration Handicap sowie Antrag 1 der Stiftung) sowie der Aufzug zum Oberdeck des Speisewagens (Antrag 4 der Stiftung). B.d Mit Urteil vom 5. März 2012 schrieb das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden in Bezug auf die Punkte, hinsichtlich deren eine Einigung erzielt worden war (Ziff. 1), ab. Ebenso wies es den Antrag bezüglich Einbau eines Personenaufzugs zum Speisewagen im Oberdeck ab (Ziff. 2). Im Übrigen hiess es die Beschwerden im BGE 139 II 289 S. 292
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Sinne der Erwägungen gut und hob die Verfügung vom 12. Januar 2011 insoweit auf, als das BAV den gemäss Pflichtenheft und Typenskizze zum IC200 vorgesehenen Rollstuhlbereich genehmigt hatte (Ziff. 3). In den Erwägungen hielt es zusammengefasst fest, die SBB seien zu verpflichten, den Rollstuhlbereich (mit drei Stellplätzen gemäss Art. 48.3 Ziff. 13 AB-EBV und einer rollstuhlgängigen Universaltoilette) entsprechend der mit Stellungnahme vom 8. September 2011 eingereichten Typenskizze in einen dem Speisewagen benachbarten Wagen zu verlegen und gleichzeitig die Verpflegungszone im Unterdeck des Speisewagens mit zwei Rollstuhlplätzen und einer rollstuhlgängigen Universaltoilette beizubehalten. C. Mit Eingabe vom 27. April 2012 erheben die SBB beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, Ziff. 3 des angefochtenen Urteils sei aufzuheben und die Verfügung des BAV vom 12. Januar 2011 sei zu bestätigen. Das Bundesverwaltungsgericht, das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation und das BAV verzichten auf Vernehmlassung. Integration Handicap und die Stiftung beantragen, die Beschwerde abzuweisen; eventualiter sei die Beschwerde insoweit gutzuheissen, als die Vorinstanz verlange, dass zwei rollstuhlgängige Universaltoiletten pro IC200 (anstatt nur eine) einzubauen seien. (...) Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Umstritten ist die Anordnung eines Rollstuhlbereichs in einem Eisenbahnfahrzeug. Die einschlägigen Rechtsgrundlagen befinden sich einerseits im Eisenbahnrecht, andererseits im Behindertengleichstellungsrecht. Es geht im Wesentlichen um die folgenden Normen des Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrechts: 2.1 Eisenbahnrecht: Die Eisenbahnfahrzeuge sind nach den Anforderungen des Verkehrs, des Umweltschutzes und gemäss dem Stande der Technik zu erstellen, zu betreiben, zu unterhalten und zu erneuern. Die Bedürfnisse mobilitätsbehinderter Menschen sind angemessen zu berücksichtigen (Art. 17 Abs. 1 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 [EBG; SR 742.101]). Der Bundesrat erlässt Vorschriften über Bau BGE 139 II 289 S. 293 und Betrieb sowie über die technische Einheit und Zulassung im Eisenbahnwesen unter Berücksichtigung der Interoperabilität und eines streckenbezogenen Sicherheitsstandards. Er sorgt dafür, dass die technischen Vorschriften nicht zur Behinderung des Wettbewerbes missbraucht werden ( Art. 17 Abs. 2 EBG ). Gestützt darauf hat der Bundesrat in den Art. 46 ff. der Verordnung vom 23. November 1983 über Bau und Betrieb der Eisenbahnen (Eisenbahnenverordnung, EBV; SR 742.141.1) Anforderungen an die Fahrzeuge festgelegt. Gemäss Art. 81 EBV erlässt das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) die Ausführungsbestimmungen. Es hat dies mit den "Ausführungsbestimmungen zur Eisenbahnverordnung" (AB-EBV; SR 742.141.11) getan. Darin ist u.a. die erforderliche Anzahl Rollstuhlplätze vorgeschrieben. AB-EBV zu Art. 48, AB 48.3, Blatt 7, Ziff. 13 lautet in der hier anwendbaren Version vom 1. Juli 2010: "Für Rollstühle zugängliche Vorräume müssen mindestens die nötige minimale Manövrierfläche aufweisen. In jedem Zug ist eine angemessene Zahl Rollstuhlplätze vorzusehen. Im Fernverkehr soll jeder Zug einen Rollstuhlbereich mit mindestens drei Stellplätzen (bei Meterspur mindestens zwei) und einer genügend grossen Rollstuhltoilette mit ausreichender Manöverierfläche aufweisen. Der Zugang zum Speisewagen soll möglichst gewährleistet sein." In der ab 1. Juli 2012 geltenden Fassung lautet die gleiche Ziffer: "Für Rollstühle zugängliche Vorräume müssen mindestens die nötige minimale Manövrierfläche aufweisen. In jedem Zug ist eine angemessene Zahl Rollstuhlplätze vorzusehen. Je nach Länge des Zuges, ohne Berücksichtigung der Lokomotive oder des Triebkopfs, muss in einem Zug jedoch mindestens die folgende Anzahl von Rollstuhlplätzen vorhanden sein: Zugslänge unter 205 m: 2 Rollstuhlplätze pro Zug; Zugslänge 200-300 m: 3 Rollstuhlplätze pro Zug; Zugslänge über 300 m: 4 Rollstuhlplätze pro Zug)." 2.2 Behindertengleichstellungsrecht: 2.2.1 Das Behindertengleichstellungsrecht ist auf Verfassungsstufe angelegt: Die Verfassung verbietet einerseits in Art. 8 Abs. 2 BV eine Diskriminierung wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Diese Bestimmung gibt verfassungsunmittelbare Abwehransprüche dagegen, dass Behinderte wegen ihrer Behinderung rechtlich benachteiligt werden ( BGE 135 I 49 E. 4.1). Für die Beseitigung faktischer Benachteiligungen der Behinderten ist demgegenüber Art. 8 Abs. 4 BV einschlägig, wonach das Gesetz Massnahmen vorsieht zur Beseitigung von Benachteiligungen BGE 139 II 289 S. 294 Behinderter. Diese Bestimmung gibt keinen individualrechtlichen, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung faktischer Gleichheit, sondern enthält einen Gesetzgebungsauftrag, der verbindlich ( Art. 190 BV ) durch das Gesetz wahrgenommen wird ( BGE 134 II 249 E. 3.1; BGE 134 I 105 E. 5; BGE 132 II 82 E. 2.3.2; BGE 126 II 377 E. 6a S. 392 mit Hinweis). 2.2.2 Das Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG; SR 151.3) hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind ( Art. 1 Abs. 1 BehiG ). Es gilt u.a. auch für öffentlich zugängliche Fahrzeuge, die dem Eisenbahngesetz unterstehen ( Art. 3 lit. b Ziff. 1 BehiG ). Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Behinderte rechtlich oder tatsächlich anders als nicht Behinderte behandelt und dabei ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt werden als diese, oder wenn eine unterschiedliche Behandlung fehlt, die zur tatsächlichen Gleichstellung Behinderter und nicht Behinderter notwendig ist ( Art. 2 Abs. 2 BehiG ). Eine Benachteiligung beim Zugang zu einem Fahrzeug des öffentlichen Verkehrs liegt vor, wenn der Zugang für Behinderte aus baulichen Gründen nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist ( Art. 2 Abs. 3 BehiG ). Wer im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 benachteiligt wird, kann im Falle einer Einrichtung oder eines Fahrzeuges des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Artikel 3 Buchstabe b bei der zuständigen Behörde verlangen, dass die SBB oder ein anderes konzessioniertes Unternehmen die Benachteiligung beseitigt oder unterlässt ( Art. 7 Abs. 2 BehiG ). Eine Benachteiligung bei der Inanspruchnahme einer Dienstleistung liegt vor, wenn diese für Behinderte nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist ( Art. 2 Abs. 4 BehiG ). Wer durch die SBB, andere konzessionierte Unternehmen oder das Gemeinwesen im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 benachteiligt wird, kann beim Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde verlangen, dass der Anbieter der Dienstleistung die Benachteiligung beseitigt oder unterlässt ( Art. 8 Abs. 1 BehiG ). Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ordnet die Beseitigung der Benachteiligung nicht an, wenn der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Interessen des Umweltschutzes sowie des Natur- und Heimatschutzes oder zu Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit ( Art. 11 Abs. 1 BehiG ). Das Gericht BGE 139 II 289 S. 295 oder die Verwaltungsbehörde verpflichtet die SBB, das vom Bund konzessionierte Unternehmen oder das Gemeinwesen, eine angemessene Ersatzlösung anzubieten, wenn es nach Artikel 11 Absatz 1 darauf verzichtet, die Beseitigung einer Benachteiligung anzuordnen ( Art. 12 Abs. 3 BehiG ). Um ein behindertengerechtes öffentliches Verkehrssystem sicherzustellen, erlässt der Bundesrat für die SBB sowie für weitere Unternehmen, die einer bundesrechtlichen Konzession bedürfen, Vorschriften über die Gestaltung u.a. der Fahrzeuge ( Art. 15 Abs. 1 lit. c BehiG ). Diese Vorschriften werden periodisch dem Stand der Technik angepasst. Der Bundesrat kann technische Normen oder andere Festlegungen privater Organisationen für verbindlich erklären ( Art. 15 Abs. 3 BehiG ). Das BehiG konkretisiert damit in seinem Geltungsbereich in verbindlicher Weise ( Art. 190 BV ) den verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsauftrag zur Beseitigung von Benachteiligungen Behinderter ( Art. 8 Abs. 4 BV ; BGE 134 II 249 E. 2.3 und 3.1 S. 251 f.; BGE 132 II 82 E. 2.3.2 S. 84 f.). Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herstellung vollständiger faktischer Gleichheit ergibt sich dadurch nicht, auch nicht aus Art. 8 Abs. 2 BV ( BGE 134 I 105 E. 5 S. 109). Nach Art. 17 Abs. 1 EBG sind die Bedürfnisse mobilitätsbehinderter Menschen jedoch "angemessen" zu berücksichtigen (vgl. auch vorne E. 2.1): Gemäss Botschaft zum BehiG ist ein öffentliches Verkehrsmittel dann behindertengerecht, wenn es wenigstens über eine Möglichkeit der Benützung eines Personenwagens verfügt; es muss also nicht jedes Fahrzeug einer Zugskomposition über einen behindertengerechten Zugang verfügen. Es genügt, wenn pro Zug wenigstens ein Personenwagen entsprechend ausgerüstet ist (Botschaft vom 11. Dezember 2000 zur Volksinitiative "gleiche Rechte für Behinderte" und zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen behinderter Menschen, BBl 2001 1715, 1777 zu Art. 2 Abs. 3). Diese Grundsätze des BehiG werden im Bereich der Eisenbahnen durch die vorne in E. 2.1 genannten eisenbahnrechtlichen Vorschriften konkretisiert (SCHEFER/HESS-KLEIN, Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Baubereich und im öffentlichen Verkehr, ZSR 130/2011 I S. 403), namentlich auch im Bereich der Fahrzeuge. 2.2.3 Gestützt u.a. auf Art. 15 BehiG hat der Bundesrat sodann die Verordnung vom 12. November 2003 über die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VböV; SR 151.34) erlassen, die u.a. für die Fahrzeuge der SBB gilt ( Art. 2 Abs. 1 lit. a und BGE 139 II 289 S. 296 Abs. 2 VböV ). Behinderte, die in der Lage sind, den öffentlichen Raum autonom zu benützen, sollen auch Dienstleistungen des öffentlichen Verkehrs autonom beanspruchen können ( Art. 3 Abs. 1 VböV ). Die den Fahrgästen dienenden Einrichtungen und Fahrzeuge, die mit dem öffentlichen Verkehr in einem unmittelbaren funktionalen Zusammenhang stehen, müssen für Behinderte sicher auffindbar, erreichbar und benützbar sein ( Art. 4 Abs. 1 VböV ). Für behinderte Fahrgäste muss ein genügend grosser Teil der Fahrgastbereiche zugänglich sein ( Art. 4 Abs. 2 VböV ). Der Zugang zu Einrichtungen und Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs muss für Hand- und Elektro-Rollstühle mit einer Länge von bis zu 120 cm, einer Breite von bis zu 70 cm und einem Gesamtgewicht von bis zu 300 kg sowie für Rollatoren gewährleistet sein ( Art. 5 Abs. 1 VböV ). Die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel soll in der Regel auch für Rollstühle mit kuppelbaren elektrischen Antriebsgeräten, für Behinderten-Elektroscooter und für ähnliche Fahrzeuge ermöglicht werden ( Art. 5 Abs. 2 VböV ). Toiletten müssen in ausreichender Anzahl rollstuhlgängig sein ( Art. 7 Abs. 2 VböV ). Das UVEK erlässt Bestimmungen über die technischen Anforderungen an die Gestaltung u.a. der Fahrzeuge ( Art. 8 VböV ). Gestützt darauf hat das UVEK die Verordnung vom 22. Mai 2006 über die technischen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs (VAböV; SR 151.342) erlassen. Für die allgemeinen Anforderungen an die behindertengerechte Gestaltung von Bauten, Anlagen und Fahrzeugen ist gemäss Art. 2 Abs. 1 VAböV die Norm SN 521 500/SIA 500 "Hindernisfreie Bauten", Ausgabe 2009, massgebend. Für abweichende und weiterführende Anforderungen an den Eisenbahnverkehr wird wiederum auf die AB-EBV verwiesen ( Art. 2 Abs. 2 VAböV ). 2.2.4 Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Art. 8 BehiG verpflichtet die Bahnunternehmen ferner, den Rollstuhlfahrern auch die Nebenleistungen der Transportleistung zur Verfügung zu stellen, namentlich also die Verpflegungsmöglichkeit (CAROLINE KLEIN, Ein Meilenstein für Behinderte, Plädoyer 2004 4 S. 43). Führt ein Zug einen Speisewagen, muss das entsprechende Angebot daher auch den Gehbehinderten zur Verfügung stehen (vgl. auch Art. 4 Abs. 1 VböV ). 2.3 Aus den soeben zitierten Normen ergibt sich - im Sinne eines Zwischenergebnisses - , dass das in Verfassung und Gesetz enthaltene Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbot für Behinderte auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs gilt. Verstiesse BGE 139 II 289 S. 297 untergeordnetes Verordnungsrecht hiegegen, wäre ihm die Anwendung zu versagen. Indessen nimmt die Rechtsordnung in Kauf, dass Behinderte nicht jeden Teil eines Eisenbahnfahrzeugs in absolut gleicher Weise wie nicht Behinderte benützen können. So etwa sind Rollstuhlfahrer darauf angewiesen, einen der Rollstuhlplätze zu benützen. Beabsichtigen sie, während der Fahrt die Toilette zu benützen, so müssen sie in demjenigen Wagen Platz nehmen, in dem sich die rollstuhlgängige Toilette befindet. Ihre Platzwahl ist damit stärker eingeschränkt als diejenige nicht Behinderter. Darin allein kann nicht ein unzulässig erschwerter Zugang im Sinne von Art. 2 Abs. 3 oder 4 BehiG und damit auch keine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes erblickt werden. 3. Ob bei den neuen Fernverkehrszügen eine solche Benachteiligung in der vom BAV genehmigten Zusammenlegung des eigentlichen Rollstuhlbereichs (zur Erbringung der Transportleistung für Mobilitätsbehinderte) mit demjenigen des Verpflegungsbereichs (zur Erbringung der Nebenleistung "Verpflegungsmöglichkeit" für Mobilitätsbehinderte, vgl. vorne E. 2.2.4) liegt, ist im Folgenden zu prüfen: 3.1 Vorliegend sieht der von der Beschwerdeführerin eingereichte und vom BAV genehmigte Anforderungskatalog pro IC200-Modul einen Rollstuhlbereich mit drei Rollstuhlplätzen und einer rollstuhlgängigen Universaltoilette im unteren Stock des "Mittelwagen Restaurant" vor; daneben sind in sechs weiteren Wagen je ein Multifunktionsabteil mit einem Rollstuhlplatz vorgesehen. Unbestritten enthalten die massgebenden Vorschriften keine ausdrückliche Regelung darüber, wo die Rollstuhlplätze anzuordnen sind; namentlich verbieten sie nicht ausdrücklich die Zusammenlegung von Rollstuhlbereich und Verpflegungsbereich für Mobilitätsbehinderte. Deshalb sind die Anforderungen der AB-EBV (3 Rollstuhlplätze/1 Universaltoilette) jedenfalls erfüllt (vorne E. 2.1). Die Vorinstanz hat jedoch erwogen, die Zusammenlegung des eigentlichen Rollstuhlbereichs und der Verpflegungszone für Mobilitätsbehinderte hätte zur Folge, dass Rollstuhlfahrer grundsätzlich im Speisebereich reisen müssten, unabhängig davon, ob sie sich verpflegen möchten oder nicht. Dadurch würden sie im Vergleich zu den anderen Fahrgästen mit uneingeschränkter Auswahlmöglichkeit schlechter gestellt und die Benutzung des allgemeinen Fahrgastbereichs würde ihnen erschwert oder sogar verunmöglicht. Dies sei eine Benachteiligung im Sinne von Art. 2 BehiG . Die BGE 139 II 289 S. 298 Benachteiligung werde zusätzlich akzentuiert dadurch, dass in diesem vorgesehenen Rollstuhlbereich neben den drei Rollstuhlplätzen lediglich noch 11 Sitzplätze für andere Fahrgäste bestünden, was im Hinblick auf die angestrebte Integration der Rollstuhlfahrer nicht optimal wäre. Diese hätten deshalb einen Rechtsanspruch auf Beseitigung dieser Benachteiligungen, sofern dies verhältnismässig sei. Die beantragte Verlegung des Rollstuhlbereichs in einen benachbarten Wagen sei verhältnismässig. Die Vorinstanz hat deshalb angeordnet, dass die SBB den Rollstuhlbereich mit 3 Stellplätzen und einer rollstuhlgängigen Toilette in einen andern Wagen verlegen und gleichzeitig die Verpflegungszone im Unterdeck des Speisewagens mit 2 Rollstuhlplätzen und 1 rollstuhlgängigen Toilette beibehalten muss (vgl. vorne B.d). 3.2. In den geplanten Fernverkehrszügen befindet sich der Speisewagenbereich im Obergeschoss, zu welchem Rollstuhlfahrer nicht gelangen können. Deshalb sieht das Projekt der Beschwerdeführerin vor, dass gehbehinderten Personen und ihren Begleitpersonen das Angebot des Speisewagens - als Ersatzlösung im Sinne von Art. 12 Abs. 3 BehiG - auch im Untergeschoss des Speisewagens serviert wird. Es besteht aber kein Verpflegungszwang; Rollstuhlfahrer, die nicht speisen möchten, sind dazu nicht verpflichtet. Nicht gehbehinderte Personen können das Verpflegungsangebot des Speisewagens ebenfalls nicht in Anspruch nehmen. Damit haben Mobilitätsbehinderte die gleichen Möglichkeiten wie die übrigen Reisenden: Sie können das Speisewagenangebot nutzen, aber sie können auch reisen ohne zu speisen. Es trifft zu, dass damit die Rollstuhlfahrer - im Unterschied zu anderen Fahrgästen - faktisch nicht die Möglichkeit haben, jeden beliebigen Platz im Zug zu benützen. Wie dargelegt, kann darin aber keine Erschwerung des Zugangs bzw. Benachteiligung im Sinne des Gesetzes erblickt werden (vorne E. 2.3). Art. 2 Abs. 3 und 4 i.V.m. Art. 7 und 8 BehiG sind insoweit nicht verletzt. 3.3 Aus dem massgebenden Sachverhalt (vorne A.) ergibt sich, dass Rollstuhlfahrer, die einen üblichen Rollstuhl benützen, auch in den Multifunktionsabteilen der anderen Wagen reisen können, zumindest solange sie während der Fahrt nicht die Toilette aufsuchen wollen. Faktisch gezwungen, im streitigen Unterdeck - welches sich gemäss Angaben der SBB "am Restaurant-Design" orientieren wird - zu reisen, sind hingegen die Rollstuhlfahrer mit einem grösseren BGE 139 II 289 S. 299 Rollstuhl, der im Multifunktionsabteil nicht Platz hat, sowie diejenigen, welche während der Fahrt die Toilette aufsuchen wollen. Es ist nun die Konstellation denkbar, dass solche Rollstuhlfahrer nicht speisen möchten, während zugleich andere Rollstuhlfahrer oder gehbehinderte Personen, gegebenenfalls mit Begleitpersonen, im gleichen Raum speisen. Die Frage ist, ob diese Konstellation gesetzwidrig ist. 3.3.1 Zunächst wird dadurch, dass in diesem Rollstuhlbereich einzelne Behinderte speisen wollen und andere nicht, weder für die speisenden noch für die nicht speisenden Rollstuhlfahrer der Zugang zum Wagen oder dessen Benützbarkeit (vorne E. 2.3) im Sinne der Funktionalität des Eisenbahntransports behindert oder erschwert. 3.3.2 Sodann sieht das Projekt der SBB wie erwähnt neben dem hier streitigen Rollstuhlbereich in jedem Wagen ein Multifunktionsabteil vor, das für normale Rollstühle gross genug ist. Nur die Rollstuhlfahrer mit einem grösseren Rollstuhl sowie diejenigen, welche die Universaltoilette aufsuchen wollen, sind darauf angewiesen, im besonderen Rollstuhlbereich zu reisen. Folglich kann die beanstandete Konstellation nur dann eintreten, wenn einer oder mehrere Gehbehinderte im Speisewagen speisen wollen und Rollstuhlfahrer mit einem grossen Rollstuhl gleichzeitig im gleichen Zug reisen und nicht speisen wollen. 3.3.3 Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist es schon selten, dass mehrere Mobilitätsbehinderte gleichzeitig denselben Zug benützen. Dass davon einer speisen will und ein anderer sich dadurch gestört fühlt, ist noch bedeutend seltener, zumal normalerweise wohl nur um die üblichen Essenszeiten im streitigen Abteil gespeist wird und - wie bei den übrigen Fahrgästen - auch bei den Mobilitätsbehinderten wohl nur ein sehr kleiner Prozentsatz überhaupt vom Speisewagenangebot Gebrauch machen wird. Sodann ist schwer nachvollziehbar, inwiefern es eine rechtlich relevante Benachteiligung darstellen soll, wenn jemand in einem Raum reisen muss, in welchem zugleich andere Personen essen. Auch in anderen Verkehrsmitteln wie Schiffen oder Flugzeugen gibt es oft oder meist nur einen einzigen Aufenthaltsraum, in dem sich sowohl speisende als auch nicht speisende Fahrgäste aufhalten müssen. Es entspricht nicht allgemeiner Lebenserfahrung, dass dies von irgend jemandem als Belästigung empfunden würde. Zudem ist in einem Eisenbahnwagen ohnehin damit zu rechnen, dass Reisende Aktivitäten ausüben, BGE 139 II 289 S. 300 welche andere Mitreisende als störend betrachten könnten, wie zum Beispiel sprechen, telefonieren, lachen, schminken, spielen (und vieles andere mehr). Solche "Störungen" sind in einem gewissen Mass von allen Bahnreisenden hinzunehmen. Es ist sodann nicht verboten und kommt gerichtsnotorisch nicht selten vor, dass auch im allgemeinen Fahrgastraum Reisende essen, seien es Esswaren, die sie selber mitführen, seien es solche, die durch Minibars in den Zügen angeboten werden. Es gibt auch (ausländische) Bahngesellschaften, welche (anstelle von oder zusätzlich zu einem Speisewagen) im allgemeinen Fahrgastbereich den Passagieren Menus anbieten, die mit denjenigen in einem Speisewagen vergleichbar sind. 3.3.4 Es kann eingewendet werden, der nicht behinderte Reisende habe freie Platzwahl im Zug und könne, soweit er sich durch eine der dargestellten Aktivitäten Mitreisender gestört fühle, ohne weiteres den Platz oder gar den Zug-Wagon wechseln, währenddem der Mobilitätsbehinderte diese Möglichkeit nicht habe und gezwungen sei, die von ihm allenfalls einzig nachgefragte Transportdienstleistung in einem Raum mit "Restaurant-Design" bzw. mit entsprechenden Immissionen in Anspruch zu nehmen. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen: Jedenfalls liegt die SBB nicht schon allein deshalb falsch, wenn sie die Transport- und die Verpflegungsleistung für Mobilitätsbehinderte am selben Ort anbietet. Jeder Reisende nimmt die Aktivitäten seiner Mitreisenden sehr individuell wahr; der eine fühlt sich durch eine bestimmte Aktivität gestört, der andere nicht. Angesichts der Belegungsdichte in den Fahrgasträumen der Fernverkehrszüge hat sodann kaum jemand die freie Wahl, aus subjektiver eigener Sicht "ungestört" von den Mitreisenden ans Ziel zu gelangen. Neben all den anderen "Belästigungen", die jeder Bahnreisende seitens der Mitreisenden in Kauf nehmen muss, ist es daher einem mobilitätsbehinderten Bahnreisenden, der nicht speisen will, zuzumuten, im gleichen Raum zu sitzen, in dem vielleicht gelegentlich ein anderer Mobilitätsbehinderter ein Menu aus dem Speisewagen isst. Die Wahrscheinlichkeit dieser Konstellation ist nicht signifikant grösser als die Wahrscheinlichkeit, dass sich nicht behinderte, nicht essende Fahrgäste durch essende andere Fahrgäste im gleichen Abteil gestört fühlen und infolge Vollbesetzung des Zugs auch nicht auf andere Wagen ausweichen können. Die streitige Anordnung des Rollstuhlbereichs gemäss Pflichtenheft bedeutet daher nicht, dass Behinderte im Sinne BGE 139 II 289 S. 301 von Art. 2 Abs. 2 BehiG "schlechter gestellt" werden als nicht Behinderte. Dies gilt umso mehr, als dem unteren Teil des Speisewagens gemäss der durch das Pflichtenheft genehmigten Konzeption eine doppelte Funktion zukommt (Erbringung der Transportleistung und Zugang zum Speisewagen für Mobilitätsbehinderte). Es sind aber die Mobilitätsbehinderten selber, die bestimmen, ob und wann die Restaurationsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden - andere Personen werden wie erwähnt nicht bedient -, bzw. wann der betreffende Fahrgastraum zum Restaurantbereich wird. Somit besteht die durchaus wahrscheinliche Möglichkeit, dass der betreffende Fahrgastbereich rein zur Erbringung der Transportleistung dient. Will ein Mobilitätsbehinderter dennoch speisen und in diesem Sinne die andere Funktion des Unterdecks (Verpflegung aus dem Speisewagen) beanspruchen, ist aber wie ausgeführt ein anderer Mobilitätsbehinderter, der dies nicht tun will, nicht stärker benachteiligt als jeder andere Bahnreisende, der sich ihm nicht genehme Aktivitäten seiner Mitreisenden gefallen lassen muss. Wesentlich erscheint, dass durch das genehmigte Pflichtenheft der Zugang zur Transportleistung und zur Verpflegungsmöglichkeit im Speisewagen für alle Reisenden gleichermassen gewährleistet ist; eine Benachteiligung im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes liegt damit insoweit nicht vor. 3.4 Die Vorinstanz erachtet als zwar nicht für sich allein ausschlaggebend, aber als zusätzliche Akzentuierung der Benachteiligung, dass im streitigen Unterdeck neben den drei Rollstuhlplätzen lediglich noch 11 Sitzplätze für andere Fahrgäste bestünden, was im Hinblick auf die angestrebte Integration der Rollstuhlfahrer nicht optimal wäre. 3.4.1 Daran ist richtig, dass eine Isolierung von Rollstuhlfahrern eine ausgrenzende und stigmatisierende Behandlung darstellen kann, die mit dem Prinzip der Behindertengleichstellung nicht vereinbar wäre; denn das BehiG will Menschen mit Behinderung erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und soziale Kontakte zu pflegen ( Art. 1 Abs. 2 BehiG ; vgl. BGE 138 I 162 E. 4.2; BGE 135 I 161 E. 6; BGE 131 V 9 E. 3.5.3; BGE 130 I 352 E. 6.1.2). Von einer ausgrenzenden Isolierung kann hier aber nicht gesprochen werden: Da sich immerhin 11 andere Sitze im streitigen Abteil befinden, ist eine genügende Durchmischung möglich. Zudem sind in den allermeisten Fällen nicht alle drei Rollstuhlplätze mit Rollstuhlfahrern besetzt; dadurch BGE 139 II 289 S. 302 erhöht sich die Zahl der übrigen Sitze entsprechend. Wohl ist bei schwacher Belegung denkbar, dass sich nebst Behinderten nur wenige andere Fahrgäste im Raum befinden, aber das ist in jedem anderen Abteil nicht anders. Auch das Argument, es handle sich um eine Sackgasse für Behinderte, weil der Speisewagen nur einen Eingang habe, so dass sich kaum nicht Behinderte dorthin begeben würden, leuchtet nicht ein: Gerichtsnotorisch gibt es auch bei heute verwendeten Zügen Wagen mit nur einem für die Fahrgäste zugänglichen Eingang (Endwagen), ohne dass diese Wagen als ausgrenzend für irgendwelche Reisende betrachtet würden. 3.4.2 Weiter hat die Vorinstanz die SBB angewiesen, den Rollstuhlbereich im benachbarten Wagen anzuordnen. Auch dort muss das Rollstuhlabteil aus naheliegenden Gründen im Untergeschoss liegen, in welchem sich neben den technisch beanspruchten Bereichen zwangsläufig weniger Sitzplätze befinden als im Obergeschoss. Gemäss der am 8. September 2011 eingereichten Typenskizze, auf welche die Vorinstanz Bezug nimmt, hat das Untergeschoss im benachbarten Wagen 17 Sitzplätze. Ist er jedoch mit drei grossen Rollstühlen belegt, verbleiben daneben bloss noch 5 oder 6 weitere Sitze. Die von der Vorinstanz angeordnete Lösung ist somit unter dem Aspekt der Isolierung der Rollstuhlfahrer schlechter als die von der Beschwerdeführerin vorgesehene. Auch unter diesem Aspekt ist die von der Beschwerdeführerin vorgesehene Lösung nicht gesetzwidrig. 4. Liegt im genehmigten Pflichtenheft und den Typenskizzen für die von den SBB neu zu beschaffenden Doppelstock-Fernverkehrszüge somit keine verfassungs- und gesetzwidrige Diskriminierung bzw. Benachteiligung Behinderter, erübrigt sich eine Prüfung der Verhältnismässigkeit der vom Bundesverwaltungsgericht angeordneten Massnahmen (vgl. vorne E. 2, insbesondere E. 2.2.2). Sie sind ersatzlos aufzuheben, und die Verfügung des Bundesamtes für Verkehr vom 12. Januar 2012 ist zu bestätigen.
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Sachverhalt ab Seite 138 BGE 143 I 137 S. 138 A. Der Landrat des Kantons Basel-Landschaft beschloss am 26. März 2015 verschiedene Änderungen des Gesetzes vom 7. Februar 1974 über die Staats- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; SGS 331; nachfolgend: StG/BL). Dabei passte er gestützt auf eine in § 27 ter Abs. 8 StG /BL vorgesehene Analyse der Marktverhältnisse gewisse Bestimmungen zur Besteuerung des Eigenmietwerts an. Unter anderem wurden die Umrechnungssätze zur Kalkulierung des Eigenmietwerts reduziert ( § 27 ter Abs. 5 StG /BL). Der Beschluss über die Änderung des Steuergesetzes wurde im kantonalen Amtsblatt Nr. 14 vom 2. April 2015 publiziert. Mit Verfügung vom 29. Mai 2015 stellte die Landeskanzlei des Kantons Basel-Landschaft den unbenutzten Ablauf der Referendumsfrist fest und erklärte den Landratsbeschluss vom 26. März 2015 betreffend Änderung des Steuergesetzes gestützt auf § 63 Abs. 1 des Gesetzes vom 7. September 1981 über die politischen Rechte (SGS 120) für rechtskräftig. Die Verfügung der Landeskanzlei wurde im Amtsblatt Nr. 23 vom 4. Juni 2015 publiziert. B. Mit gemeinsamer Eingabe vom 24. Juni 2015 erheben A. sowie der Mieterinnen- und Mieterverband Baselland und Dorneck-Thierstein Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beanstanden namentlich eine Verletzung des BGE 143 I 137 S. 139 Gleichbehandlungsgebots ( Art. 8 Abs. 1 BV ) und verlangen die Aufhebung der "am 26. März 2015 beschlossenen Änderung von § 27 te r Abs. 5 des Steuer- und Finanzgesetzes". (...) C. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 12. Januar 2017 öffentlich beraten. Es heisst die Beschwerde gut. (Auszug)
379
302
Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. (...) 2.2 Steht die Verfassungsmässigkeit eines Erlasses in Frage, so ist im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn beigemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (vgl. BGE 140 I 2 E. 4 S. 14; BGE 137 I 31 E. 2 S. 39 f.; BGE 124 I 145 E. 1g S. 150 f.). Bei der abstrakten Normenkontrolle mitzuberücksichtigen bleiben die Schwere eines allfälligen Grundrechtseingriffs, die konkreten Umstände bei der Anwendung der angefochtenen Norm, die Möglichkeit eines hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutzes im konkreten Anwendungsfall sowie allfällige Auswirkungen auf die Rechtssicherheit (vgl. BGE 140 I 2 E. 4 S. 14; BGE 137 I 31 E. 2 S. 39 f.). Zudem ist die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht nur abstrakt zu untersuchen; die Wahrscheinlichkeit einer verfassungstreuen Anwendung der angefochtenen Norm ist in die Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. Urteil 8C_949/2011 vom 4. September 2012 E. 4, nicht publ., sowie E. 7.4.3.2 publ. in: BGE 138 I 331 ; BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31 f.; BGE 125 I 65 E. 3b S. 67 f.; Urteil 2C_1076/2012 vom 27. März 2014 E. 2.4, nicht publ. in: BGE 140 I 176 ). Der blosse Umstand, dass die Anwendung der angefochtenen Norm in besonders gelagerten Einzelfällen zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen könnte, rechtfertigt für sich alleine im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle indes noch kein höchstrichterliches Eingreifen (vgl. BGE 142 I 99 E. 4.3.5 S. 118; BGE 140 I 353 E. 3 S. 358; BGE 125 I 65 E. 3b S. 67 f.). 2.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat ( Art. 105 Abs. 1 BGG ). Ist gegen kantonale Erlasse wie vorliegend unmittelbar die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig (vgl. nicht publ. E. 1.1), stellt den BGE 143 I 137 S. 140 massgeblichen Sachverhalt hingegen das Bundesgericht fest. In diesem Fall richtet sich das Beweisverfahren nach Art. 55 f. BGG und den dort genannten Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess (Bundeszivilprozessordnung, BZP; SR 273); dabei gilt namentlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ( Art. 40 BZP ). 3. 3.1 Mit ihrem Rechtsmittel wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Änderung von § 27 ter Abs. 5 StG /BL. Diese Bestimmung dient der Berechnung des Eigenmietwerts, welcher der Einkommenssteuer unterliegt ( § 23 Abs. 2 und § 24 Abs. 1 lit. d StG /BL). Die Besteuerung des Eigenmietwerts ist den Kantonen von Bundesrechts wegen vorgeschrieben (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a und Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR 642.14]). 3.2 Hintergrund der Eigenmietwertbesteuerung ist die Beachtung der Steuergerechtigkeit, wie sie Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV verlangen. Nach der in der Schweiz geltenden Ordnung können Eigentümer einer selbstbewohnten Immobilie einen erheblichen Teil der Wohnkosten steuerlich zum Abzug bringen (Hypothekarzinsen, Unterhaltskosten etc.). Ein solcher Abzug von Wohnkosten ist den Mietern verwehrt. Dennoch haben diese letztlich unerlässliche Auslagen für die Wohnungsmiete (vgl. BGE 131 I 377 E. 2.1 S. 380 f.; BGE 123 II 9 E. 3 S. 11 ff.; BGE 112 Ia 240 E. 3c S. 243 ff.). Ohne die Besteuerung des Eigenmietwerts würden Mieter bei ansonsten gleichen Einkünften und Abzügen mit einem höheren steuerbaren Einkommen veranlagt als Eigentümer einer selbstbewohnten Immobilie (vgl. BGE 131 I 377 E. 2.1 S. 380 f.). Die vollständige und undifferenzierte Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung ohne ausgleichende Massnahmen würde die Wohneigentümer daher gegenüber anderen Steuerpflichtigen mit gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit in einer Weise begünstigen, die vor Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV nicht standhält (vgl. BGE 131 I 377 E. 2.1 S. 380 f.; BGE 124 I 145 E. 4a S. 154 f.; BGE 123 II 9 E. 3 S. 11 ff.). 3.3 Nach dem Gebot der rechtsgleichen Behandlung ( Art. 8 Abs. 1 BV ) und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ( Art. 127 Abs. 2 BV ; vgl. dazu BGE 133 I 206 E. 6 S. 215 f.) hat der Eigenmietwert grundsätzlich dem Marktmietwert zu entsprechen (vgl. BGE 143 I 137 S. 141 BGE 132 I 157 E. 4.4 S. 164; BGE 125 I 65 E. 3c S. 68; REICH/WEIDMANN, in: Steuerharmonisierungsgesetz, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Beusch [Hrsg.], 3. Aufl. 2017, N. 43 zu Art. 7 StHG ). Bis zu einem gewissen Mass ist es gleichwohl zulässig, dass der steuerbare Eigenmietwert tiefer zu stehen kommt als der Marktmietwert. Begründet wird dies unter anderem mit der geringeren Disponibilität in der Nutzung des Eigentums sowie mit dem zulässigen Anliegen, die Selbstvorsorge durch Eigentumsbildung fiskalisch zu fördern (vgl. BGE 132 I 157 E. 4.5 S. 164; BGE 125 I 65 E. 3c S. 68; BGE 124 I 145 E. 4a S. 154). Die Frage, wie weit der Eigenmietwert unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte vom Marktmietwert abweichen darf, war anlässlich der Beurteilung zweier Beschwerden (2P.311/1997 vom 20. März 1998 [publ. in: BGE 124 I 145 ] und 1P.40/1997 vom 25. März 1998) Gegenstand eines in analoger Anwendung von Art. 16 des damals geltenden Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Bundesrechtspflegegesetz, OG; BS 3 531) zu Koordinationszwecken durchgeführten Meinungsaustausches zwischen den Mitgliedern der beiden öffentlich-rechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts. Die Mehrheit der beiden öffentlich-rechtlichen Abteilungen gelangte dabei zum Schluss, dass 60 % des Marktmietwerts die untere Grenze dessen bildet, was mit dem Gebot der rechtsgleichen Behandlung nach Art. 8 Abs. 1 BV noch zu vereinbaren ist. Dabei handelt es sich um eine Untergrenze, die sich aus der Verfassung ergibt und auch im Einzelfall nicht unterschritten werden darf (vgl. Urteil 2P.311/1997 vom 20. März 1998 E. 4d [publ. in: BGE 124 I 145 E. 4d S. 156 f.]; Urteil 1P.40/1997 vom 25. März 1998 E. 5 und 6). Das Steuerharmonisierungsgesetz stellt diesbezüglich keine über Art. 8 Abs. 1 oder Art. 127 Abs. 2 BV hinausreichenden Schranken auf ( BGE 131 I 377 E. 2.2 S. 381; BGE 124 I 145 E. 3c S. 153 f.). 3.4 Das Bundesgericht hat entsprechend eine Bestimmung, gemäss welcher der Eigenmietwert "in der Regel" 60 % des Marktmietwerts betragen soll, als verfassungswidrig aufgehoben, weil der kantonale Gesetzgeber mit der Festlegung eines Regelwerts von 60 % in Kauf nahm, dass Eigenmietwerte auch unterhalb der verfassungsrechtlichen Grenze liegen können (vgl. BGE 124 I 145 E. 5 S. 157). Eine Volksinitiative im Kanton Schaffhausen, mit der die Beschränkung des Eigenmietwerts auf höchstens 70 % des Marktmietwerts beabsichtigt wurde, erachtete das Bundesgericht hingegen als verfassungskonform, wobei es die Einhaltung einer Streubreite von höchstens BGE 143 I 137 S. 142 10 % gegen unten als schwierig betrachtete, die mitunter eine Anpassung der Eigenmietwerte an die Preisentwicklung in kurzen Abständen bedinge (vgl. Urteil 1P.40/1997 vom 25. März 1998 E. 6c). Alsdann wurde die Verfassungswidrigkeit einer Schätzungsmethode festgestellt, die zur Folge hatte, dass der Eigenmietwert durchschnittlich 60-61 % des Marktmietwerts betrug, zumal davon auszugehen war, dass ein beträchtlicher Teil der veranlagten (Einzel-)Steuerwerte unterhalb von 60 % der Marktmiete lagen (vgl. BGE 124 I 193 E. 3f S. 197 f.). Weiter hat das Bundesgericht erkannt, dass eine gesetzliche Bestimmung, die einen Abzug von 40 % auf dem individuell ermittelten Marktmietwert vorsah, im konkreten Fall verfassungskonform angewendet werden kann, unter anderem weil die Bewertung von Einzelobjekten vermehrt Gewähr für eine verfassungskonforme Praxis biete. Der betreffende Kanton wurde indes auf seiner Erklärung behaftet, dass der Eigenmietwert "in keinem Fall tiefer" als 60 % der Marktmiete zu stehen kommt. Gleichzeitig wies das Bundesgericht darauf hin, dass an die Genauigkeit der Schätzung umso strengere Anforderungen gelten, je geringer bei der Berechnung des Eigenmietwerts der Spielraum zwischen verfassungsrechtlicher Untergrenze und der im kantonalen Recht vorgesehenen gesetzlichen Obergrenze ist (vgl. BGE 125 I 65 E. 4 S. 69 ff.). Dass die Fixierung des Eigenmietwerts bei maximal 70 % der Marktmiete eine verfassungskonforme Anwendung der betreffenden gesetzlichen Bestimmung nicht unmöglich macht, bestätigte das Bundesgericht in einem den Kanton Zürich betreffenden Verfahren. Erneut wies es jedoch darauf hin, dass mit der sich ergebenden Bandbreite von 10 % für die Festsetzung der Eigenmietwerte entsprechend hohe Anforderungen an die Genauigkeit der Schätzung zu stellen sind, damit die verfassungsmässige Untergrenze von 60 % nicht unterschritten wird (vgl. BGE 128 I 240 E. 2.5-2.7 S. 244 f.). Schliesslich hob das Bundesgericht eine gesetzliche Regelung des Kantons Basel-Landschaft auf, die für Mieter einen Abzug für Mietkosten vorsah, um die unter der verfassungsrechtlichen Grenze von 60 % erfolgende Eigenmietwertbesteuerung zu kompensieren (vgl. BGE 131 I 377 E. 2 und 3 S. 380 ff.). 4. 4.1 Im Kanton Basel-Landschaft dient als Ausgangsbasis für die Festlegung des Eigenmietwerts der einfache Brandlagerwert der Liegenschaft. Dieser wird gemäss dem Gesetz vom 12. Januar 1981 über die Versicherung von Gebäuden und Grundstücken BGE 143 I 137 S. 143 (Sachversicherungsgesetz; SGS 350) geschätzt und mit einem gemeindespezifischen Korrekturfaktor, einem Korrekturfaktor nach Alter der Liegenschaft und - soweit anwendbar - mit einem weiteren Korrekturfaktor für Stockwerkeigentum multipliziert ( § 27 ter Abs. 1-4 StG /BL). Gestützt auf den so ermittelten steuerlichen Brandlagerwert werden in Anwendung der Umrechnungssätze gemäss § 27 ter Abs. 5 StG /BL die Eigenmietwerte berechnet. Laut § 27 ter Abs. 6 StG /BL beträgt der nach den Umrechnungssätzen von § 27 ter Abs. 5 StG /BL ermittelte Eigenmietwert in jedem Fall mindestens 60 % des marktüblichen Mietwerts; liegt dieser im Einzelfall nachweislich unter 60 %, so wird er von Amtes wegen auf 60 % erhöht. Gleichermassen wird der Eigenmietwert auf 60 % des marktüblichen Mietwertes gesenkt, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass der Eigenmietwert des von ihm selbst genutzten Wohneigentums gemäss der Berechnung nach § 27 ter Abs. 1-5 StG /BL über dieser Schwelle zu stehen kommt ( § 27 ter Abs. 7 StG /BL). Wie der Regierungsrat im bundesgerichtlichen Verfahren darlegt, strebt der Kanton Basel-Landschaft mit diesem System einen Eigenmietwert in der Höhe von 60 % einer vergleichbaren Marktmiete an. 4.2 Unter Berücksichtigung von § 27 ter Abs. 8 StG /BL gab der Regierungsrat im Jahr 2013 eine repräsentative Studie zur Überprüfung der Korrekturfaktoren und Umrechnungssätze nach den Absätzen 2-5 der genannten Bestimmung in Auftrag. Dabei stellte sich heraus, dass der Eigenmietwert für die gesamte Stichprobe bei 63,9 % der Marktmiete lag. Unterschiedliche Werte ergaben sich unter anderem für Einfamilienhäuser (Eigenmietwert bei 65,4 % der Marktmiete) und Wohnungen im Stockwerkeigentum (Eigenmietwert bei 56,8 % der Marktmiete). Gestützt auf die sich insoweit nicht widersprechenden Ausführungen der Verfahrensbeteiligten und die erwähnte Studie ist davon auszugehen, dass es sich bei den genannten Werten entgegen ihrer teilweise missverständlichen Bezeichnung als "Zielerreichungsgrad" um Durchschnittswerte handelt, die das Verhältnis zwischen Eigenmietwert und Marktmietwert im Durchschnitt der jeweiligen Kategorien untersuchter Objekte wiedergeben. 4.3 Im Hinblick auf das Ziel, die Besteuerung des Eigenmietwerts für Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum einer "einheitlichen Richtgrösse" von 60 % anzunähern, beschloss der Landrat des Kantons Basel-Landschaft eine Erhöhung des Korrekturfaktors für Stockwerkeigentum gemäss § 27 ter Abs. 4 StG /BL sowie die hier angefochtene Reduktion der Umrechnungssätze in § 27 ter Abs. 5 StG /BL. BGE 143 I 137 S. 144 Gemäss der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Beschwerdeführer, die sich auf die Studie des Regierungsrats stützen, resultieren daraus Eigenmietwerte von 60,0 % für Einfamilienhäuser und von 60,6 % für Stockwerkeigentum; insgesamt ergibt sich demnach eine "Zielerreichung" von 60,1 %. Nach Bezirken geordnet resultieren teilweise Eigenmietwerte von rund 59 %; eine Kategorisierung nach Brandlagerwerten und Bauperioden zeigt in gewissen Gruppen Eigenmietwerte von rund 54 %. Auch bei diesen Werten ist gestützt auf die Äusserungen der Verfahrensbeteiligten und die sich bei den Akten befindlichen Unterlagen davon auszugehen, dass es sich um Durchschnittswerte im erwähnten Sinne handelt (vgl. E. 4.2 hiervor); zumal sich der vom Regierungsrat in Auftrag gegebenen Studie entnehmen lässt, dass die Eigenmietwerte mit den vorgeschlagenen Änderungen "im Mittel" auf 60 % der Marktwerte zu stehen kommen sollen. 4.4 Die Beschwerdeführer rügen unter anderem, dass die Reduktion der Umrechnungssätze in § 27 ter Abs. 5 StG /BL gegen das Gebot rechtsgleicher Behandlung nach Art. 8 Abs. 1 BV verstosse. Sie machen geltend, dass der kantonale Gesetzgeber seine ihm im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 BV zustehende Gestaltungsfreiheit in verfassungswidriger Weise überschreite. Er nehme in Kauf, dass der Eigenmietwert in zahlreichen Fällen weniger als 60 % der Marktmiete betrage, da dieser Wert nach der gesetzlichen Konzeption nur im Durchschnitt erreicht werde. Zwar sehe § 27 ter Abs. 6 StG /BL vor, dass eine Erhöhung des Eigenmietwerts im Einzelfall stattfinden könne. Dies beseitige die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung jedoch nicht. Demgegenüber führt der Regierungsrat aus, dass mit der Anpassung von § 27 ter Abs. 4 und Abs. 5 StG /BL das bestehende System einer formelmässigen Berechnung des Eigenmietwerts so austariert werden könne, dass bei der Eigenmietwertbesteuerung wieder eine Richtgrösse von 60 % des Marktmietwerts erreicht werde. Die bisherigen Umrechnungssätze in § 27 ter Abs. 5 StG /BL führten dazu, dass bei gewissen Bauten ein "Zielerreichungsgrad" von 70 % und mehr resultiere, was der gesetzlichen Zielgrösse von 60 % des Marktmietwerts widerspreche. Mit § 27 ter Abs. 6 StG /BL sei ein Korrekturmechanismus vorhanden, der eine Erhöhung des Eigenmietwerts erlaube, sofern dieser unter 60 % falle. Die kantonale Steuerverwaltung korrigiere zu tiefe Eigenmietwerte, wenn sie beim Wechsel einer Liegenschaft von der Vermietung zur Selbstnutzung oder BGE 143 I 137 S. 145 umgekehrt auf entsprechende Anzeichen stosse. Eine systematische Unterbesteuerung sei bisher noch nicht festgestellt worden. 4.5 Die Rüge der Beschwerdeführer ist begründet: 4.5.1 Die angefochtene Reduktion der Umrechnungssätze in § 27 ter Abs. 5 StG /BL hat zur Folge, dass der Mietwert selbst genutzter Liegenschaften im Durchschnitt lediglich 60,1 % der Marktmiete beträgt (vgl. E. 4.3 hiervor). Aufgrund der Streubreite, die eine formelmässige Bestimmung des Marktmietwerts stets mit sich bringt (vgl. BGE 128 I 240 E. 2.6 S. 245 f.; BGE 124 I 193 E. 3f S. 197 f.; BGE 123 II 9 E. 4b S. 14 f.), kann ein solcher Durchschnittswert nur daraus resultieren, dass ein beträchtlicher Teil der Einzelwerte unterhalb von 60 % liegt. Dies bestätigt im vorliegenden Fall ein Blick auf die für verschiedene Kategorien von Liegenschaften berechneten Durchschnittswerte, die teilweise deutlich weniger als 60 % betragen (vgl. E. 4.3 hiervor). Die Senkung der Umrechnungssätze in § 27 ter Abs. 5 StG /BL führt damit in einer erheblichen Zahl von Fällen zu einem Eigenmietwert, der weniger als 60 % des Marktmietwerts beträgt. Dieses Ergebnis widerspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die Untergrenze von 60 % in jedem Einzelfall und nicht nur im Durchschnitt zu beachten ist (vgl. E. 3.3 hiervor). 4.5.2 An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Eine kantonale Steuerordnung, die nicht im Einzelfall, sondern nur im Durchschnitt aller Wohneigentümer zu einer Besteuerung des Eigenmietwerts in der Höhe von 60 % des Marktmietwerts führt, ist mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 2 BV nicht zu vereinbaren. Eine Eigenmietwertbesteuerung von durchschnittlich 60 % liesse in beträchtlicher Zahl 40 % übersteigende Abweichungen vom Marktmietwert zu. Die Wahrung der horizontalen Steuergerechtigkeit verlangt jedoch, dass Personen und Personengruppen der gleichen Einkommensschicht die gleiche Steuerbelastung tragen (vgl. BGE 141 II 338 E. 3.2 S. 340 f.; BGE 133 I 206 E. 7.2 S. 218). Dies wäre in Frage gestellt, wenn bei einer unbestimmten Zahl von Wohneigentümern weniger als 60 % des Eigenmietwerts besteuert würde (vgl. E. 3.2 und 3.3 hiervor). Die kantonalen Regeln zur Eigenmietwertbesteuerung haben die Steuergerechtigkeit nicht nur im Verhältnis zwischen Mietern und Wohneigentümern insgesamt zu gewährleisten, sondern auch im Verhältnis zwischen einzelnen Wohnungseigentümern und Mietern, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vergleichbar ist (vgl. BGE 141 II 338 E. 3.2 S. 340 f.; BGE 133 I 206 E. 7.2 S. 218; BGE 125 I 65 E. 3c S. 68; BGE 123 II 9 E. 3a S. 11 f.). BGE 143 I 137 S. 146 4.5.3 Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle bleibt zu prüfen, ob sich der angefochtene § 27 ter Abs. 5 StG /BL unter Beizug weiterer Vorschriften verfassungskonform auslegen lässt (vgl. E. 2.2 hiervor). Der Regierungsrat verweist auf § 27 ter Abs. 6 StG /BL, der eine Erhöhung des Eigenmietwerts vorschreibt, wenn dieser nachweislich weniger als 60 % der Marktmiete beträgt (vgl. E. 4.1 hiervor). Zugeschnitten ist diese Bestimmung jedoch auf die ausnahmsweise Korrektur von Eigenmietwerten im Einzelfall, was der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung ebenfalls deutlich macht. Die Korrektur zu tiefer Eigenmietwerte erfolgt im Rahmen von § 27 ter Abs. 6 StG /BL eher zufällig (vgl. E. 4.4 hiervor). Das Konzept des Kantons Basel-Landschaft zur Festlegung der Eigenmietwerte beruht auf einer formelmässigen Bewertung und ist - im Unterschied zu anderen kantonalen Systemen (vgl. etwa das Beispiel in BGE 125 I 65 ) - nicht darauf angelegt, eine lückenlose Kontrolle der Eigenmietwerte im Einzelfall zu gewährleisten. Führen zu tiefe Umrechnungssätze nach § 27 ter Abs. 5 StG /BL systembedingt in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zu einer Unterschreitung der verfassungsrechtlichen Schwelle von 60 % des Marktmietwerts, müsste das Gesetz zuverlässige Instrumente vorsehen, die diese Verfassungswidrigkeit durchgängig beheben, was mit § 27 ter Abs. 6 StG /BL nicht der Fall ist. Anders lässt sich nicht erklären, dass bereits die bisherige Praxis in zahllosen Fällen weder den Vorgaben der Bundesverfassung ( Art. 8 Abs. 1 BV ) noch jenen des Steuergesetzes ( § 27 ter Abs. 6 StG /BL) selbst entsprach, wie sich jedenfalls mit Blick auf die Eigenmietwertbesteuerung von Stockwerkeigentum ergibt (vgl. E. 4.2 hiervor). Der auf punktuelle Korrekturen ausgelegte Mechanismus in § 27 ter Abs. 6 StG /BL ist demnach ungeeignet, um die durch eine Senkung der Umrechnungssätze systembedingt bewirkten Verstösse gegen das Gleichbehandlungsgebot ( Art. 8 Abs. 1 BV ) zu verhindern. Hinzu kommt, dass eine zu tiefe Eigenmietwertbesteuerung durch Mieter und Eigentümer in vergleichbaren wirtschaftlichen Verhältnissen kaum je einer konkreten gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden kann, was im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ebenfalls Beachtung findet (vgl. E. 2.2 hiervor). 4.5.4 Nach dem Dargelegten entzieht sich die angefochtene Bestimmung ( § 27 ter Abs. 5 StG /BL) auch unter Berücksichtigung ihres gesetzlichen Kontextes einer verfassungskonformen Auslegung. Sie hat in einer erheblichen Zahl von Fällen eine steuerliche Privilegierung von Eigentümern selbstbewohnter Liegenschaften zur Folge, BGE 143 I 137 S. 147 die mit dem Gleichbehandlungsgebot ( Art. 8 Abs. 1 BV ) nicht vereinbar ist. § 27 ter Abs. 5 StG /BL ist entsprechend aufzuheben. (...)
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Sachverhalt ab Seite 352 BGE 145 IV 351 S. 352 A. A.a X. war Haupttäter im sogenannten A.-Betrug mit Horizontalbohrmaschinen der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in Deutschland, bei welchem die betroffenen Leasinggesellschaften und Banken im Zeitraum 1994-2000 im Umfang von rund 3,45 Mrd. DM geschädigt worden waren. X. entnahm in den Jahren 1991 bis 2000 aus dem betrügerisch erlangten Gesellschaftsvermögen Beträge von mindestens 325 Mio. DM (ca. 166 Mio. Euro) bzw. in den Jahren 1995 bis 2000 mindestens von 212 Mio. DM (ca. 108 Mio. Euro), welche teils in seine Beteiligungen an Unternehmen ausserhalb der A.-Gruppe, teils in sein Privatvermögen und dasjenige seiner damaligen Ehefrau Z. flossen. Um das betrügerisch erlangte Vermögen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, tarnte X. seine Einnahmen durch verschiedene Verschleierungsmassnahmen und übertrug die Gelder bzw. die damit angeschafften Vermögensgegenstände verdeckt insbesondere auf seine damalige Ehefrau, auf verschiedene von ihnen beherrschte Kapitalgesellschaften sowie auf die liechtensteinische B.-Stiftung, über deren Vermögen er und Z. faktisch frei verfügen konnten. Insgesamt wurden bei X. und Z. Vermögenswerte (Yachten, Schmuck, Gemälde und Immobilien) von etwa 350 Mio. DM (ca. 179 Mio. Euro) ermittelt und überwiegend für die Insolvenzmasse gesichert. Die Bezirksanwaltschaft Zürich erliess am 10. Februar 2000 auf der Liegenschaft c. in D. (nachfolgend: Villa E.) eine Grundbuchsperre. Am 15. Februar 2000 ordnete das Landgericht Mannheim/D zur Sicherung von Ansprüchen der A.-Geschädigten einen dinglichen Arrest über rund 74 Mio. DM in das Vermögen von Z. an und erweiterte ihn am 13. März 2000 auf rund 319 Mio. DM. A.b Mit Urteilen vom 18. Dezember 2001 und 22. Mai 2003 verurteilte das Landgericht Mannheim/D u.a. X. wegen Betruges in 145 Fällen, bandenmässigen Betruges in weiteren 97 Fällen sowie wegen Kapitalanlagebetruges in Tateinheit mit versuchtem bandenmässigen Betrug zu einer langjährigen Freiheitsstrafe. A.c Das Amtsgericht Karlsruhe/D eröffnete am 1. Mai 2000 über die Vermögen von X. sowie der A. das Insolvenzverfahren und setzte je einen Insolvenzverwalter ein. In der Folgezeit machte der Insolvenzverwalter über das Vermögen von X., Rechtsanwalt F., als massgeblicher Vertreter der Gläubiger von X., welche ihre Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet hatten, umfangreiche Zahlungsansprüche gegen Z. geltend. Am 30. April 2001 schlossen Rechtsanwalt F. und Z. nach langen Verhandlungen, nach Abstimmung mit BGE 145 IV 351 S. 353 den zuständigen Strafverfolgungsbehörden sowie nach Erörterung und Zustimmung durch den Gläubigerausschuss mit notarieller Urkunde eines Basler Notars eine Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung. Dabei vertrat Rechtsanwalt F. auch die Insolvenzmasse der A. Mit der Vereinbarung verpflichtete sich Z. im Wesentlichen, ihr gesamtes Vermögen (insg. DM 366'776'572.-) gegen eine Entschädigung von 20 Mio. DM (ca. 10,23 Mio. Euro) an die Insolvenzverwaltung zu übertragen. Am 26. Juli und am 17. September 2001 schlossen Z. und der Insolvenzverwalter Ergänzungsvereinbarungen zur Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung vom 30. April 2001, welche u.a. die Liegenschaft in D. betrafen (vgl. hierzu Urteil 4A_65/2017 vom 19. September 2017 Sachverhalt A., mit Hinweisen). Am 28. November 2005 wurden die Insolvenzvereinbarungen seitens Z. widerrufen. Im Anschluss daran wurde die Villa E. mittels eines Schenkungsvertrages auf die Kinder von Z. übertragen und am 30. Mai 2006 an eine Drittperson zum Preis von 17,5 Mio. CHF verkauft. Die Löschung des Wohnrechts wurde mit 4 Mio. CHF abgegolten. A.d Auf Gesuch des Insolvenzverwalters über das Vermögen von X. anerkannte das Bezirksgericht Meilen am 23. Februar 2012 den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 1. Mai 2000 betreffend Konkurseröffnung über X. im Sinne von Art. 166 IPRG für das Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft, eröffnete den Hilfskonkurs über X. und beauftragte das Konkursamt G. mit dem Vollzug. In der Folge klagte die Hilfskonkursmasse X. gegen Z. u.a. auf Zahlung des Erlöses aus dem Verkauf der Villa E. und der Abgeltung für die Löschung des Wohnrechts. Nach verschiedenen zivilprozessualen Verfahren in Deutschland und der Schweiz verurteilte schliesslich das Bezirksgericht Meilen Z. mit Urteil vom 11. Juli 2018 zur Zahlung von CHF 21'500'000.-, USD 1'489'500.-, USD 500'000.- und USD 1'030'000.- je zuzüglich Zinsen an die Hilfskonkursmasse X. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. B. B.a Die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität des Kantons Thurgau eröffnete in den Jahren 2009, 2010 und 2012 gestützt auf eine Meldung der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) Strafuntersuchungen gegen Z., ihren Rechtsanwalt Y. sowie ihren früheren Ehemann X. wegen Geldwäscherei und anderen Delikten. Im Jahre 2013 dehnte sie die Strafverfahren auf die beiden Kinder von Z. und X. aus. BGE 145 IV 351 S. 354 B.b Das Bezirksgericht Frauenfeld erklärte mit Urteil vom 28. Januar 2016 Z. u.a. der mehrfachen bandenmässigen Geldwäscherei und der mehrfachen Geldwäscherei sowie Y. und X. u.a. der bandenmässigen Geldwäscherei schuldig und verurteilte sie zu teilbedingten bzw. bedingten Freiheitsstrafen und Geldstrafen. Überdies verurteilte es sie zu Ersatzforderungen zugunsten des Kantons Thurgau. In verschiedenen Anklagepunkten sprach es die Beurteilten frei; in weiteren Punkten stellte es das Verfahren ein. Die Kinder von Z. und X. sprach es frei, soweit es das Verfahren nicht einstellte. Ferner ordnete das Bezirksgericht an, die beschlagnahmten Vermögenswerte, namentlich diverse Bankguthaben und Diamantschmuck sowie vier Bilder des Künstlers Marc Chagall und eine Liegenschaft in G., bzw. der Erlös aus deren Verwertung seien vollständig oder im Umfang einer gerichtlich festgelegten Kontaminationsquote an die Hilfskonkursmasse X. herauszugeben. Ferner erhielt es die Beschlagnahme des nach der Verwertung und der Auszahlung an Hilfskonkursmasse X. verbleibenden Nettoerlöses zur Durchsetzung der Geldstrafe und der Ersatzforderung aufrecht. B.c Gegen diesen Entscheid erhob die Hilfskonkursmasse X. Berufung, mit welcher sie Anträge in Bezug auf Zivilansprüche, Kosten- sowie Genugtuungsfolgen stellte sowie die Herausgabe der beschlagnahmten Vermögenswerte und der Ersatzforderung beantragte. Das Obergericht des Kantons Thurgau trat mit Entscheid vom 25. September 2018 auf die Berufung der Hilfskonkursmasse X. nicht ein. In Bezug auf die Einziehung der beschlagnahmten Vermögenswerte stellte das Obergericht die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich der Herausgabe der vier Chagall-Bilder an die Hilfskonkursmasse fest. In Bezug auf die weiteren beschlagnahmten Vermögenswerte änderte es das erstinstanzliche Urteil insofern ab, als es einerseits den Umfang des einzuziehenden Verwertungserlöses teilweise neu bestimmte und andererseits die Einziehung der Vermögenswerte bzw. des aus der Verwertung erzielten Nettoerlöses im Umfang der festgesetzten Kontaminationsquote zugunsten des Kantons Thurgau anordnete. Den verbleibenden Nettoerlös bestimmte es für die Deckung der Verfahrenskosten, der Geldstrafe und der Forderungen zugunsten des Kantons Thurgau. Von der Einziehung der Liegenschaft in G. sah es ab. Ferner bestätigte es mit geringfügigen Abweichungen das erstinstanzliche Urteil in Bezug auf die angeklagten Personen im Schuld- und Strafpunkt. BGE 145 IV 351 S. 355 C.
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Die Hilfskonkursmasse X. führt Beschwerde in Strafsachen, mit der sie beantragt, es sei in Aufhebung des sie betreffenden Nichteintretensentscheides gemäss Ziff. 6 des Dispositivs auf ihre Berufung einzutreten und das angefochtene Urteil in verschiedenen, die Herausgabe der beschlagnahmten sowie auf den gesperrten Konten befindlichen Vermögenswerte betreffenden Punkten abzuändern. Eventualiter sei das angefochtene Urteil bezüglich des Nichteintretensentscheids aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen mit der Anweisung, auf ihre Berufung einzutreten und über die im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Berufungsanträge zu entscheiden. D. Mit Urteil vom heutigen Datum hat die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts die von Z., X. und Y. gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. September 2018 geführten Beschwerden gutgeheissen und das angefochtene Urteil in Bezug auf die Schuldsprüche wegen (mehrfacher) bandenmässiger Geldwäscherei sowie mehrfacher Geldwäscherei aufgehoben (Verfahren 6B_1208/2018 / 6B_1209/2018 sowie 6B_1199/2018). Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO gilt als Privatklägerschaft die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen. Geschädigt ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist ( Art. 115 Abs. 1 StPO ). Nach Art. 118 Abs. 3 StPO ist die Erklärung spätestens bis zum Abschluss des Vorverfahrens abzugeben, wobei die geschädigte Person die Verfolgung und Bestrafung der für die Straftat verantwortlichen Person verlangen (Strafklage) und/oder adhäsionsweise privatrechtliche Ansprüche geltend machen kann, die aus der Straftat abgeleitet werden (Zivilklage; Art. 119 Abs. 2 lit. a und b StPO ). 3.2 Nach Art. 105 Abs. 1 lit. f StPO gelten als andere Verfahrensbeteiligte u.a. die durch Verfahrenshandlungen beschwerten Dritten. Soweit diese in ihren Rechten unmittelbar betroffen sind, stehen ihnen die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu ( Art. 105 Abs. 2 StPO ). 4. 4.1 Der Konkurs führt zu einer Generalliquidation der schuldnerischen Vermögenswerte, zur Verwertung des Vermögens des Gemeinschuldners BGE 145 IV 351 S. 356 und zur anteilsmässigen Befriedigung seiner Gläubiger (HANDSCHIN/HUNKELER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 2. Aufl. 2010, N. 1 zu Art. 197 SchKG ; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 35 N. 2 f.). Nach Art. 197 Abs. 1 SchKG bildet sämtliches pfändbares Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Konkurseröffnung gehört, gleichviel wo es sich befindet, mithin die Gesamtheit der dem Gemeinschuldner zustehenden geldwerten Güter, eine einzige Masse, die zur Befriedigung der Gläubiger dient. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über das schuldnerische Vermögen gehen mit der Eröffnung des Konkurses auf die Konkursmasse über, welche sie durch die Konkursverwaltung ausübt. Diese hat alles Gebotene anzuordnen, um die Masse zu erhalten und zu mehren. Das gesetzlich eingeräumte Prozessführungsrecht gibt der Konkursverwaltung alle prozessualen Mittel und Möglichkeiten des Zivilprozessrechts an die Hand, ohne dass sie noch einer besonderen Vollmacht bedürfte. Dieses schliesst alle Massnahmen und Erklärungen ein, die in einem Zivilprozess von Bedeutung sind (Urteile 6B_557/2010 vom 9. März 2011 E. 6.3.2; 4A_242/2015 vom 19. August 2015 E. 2.4.2). Ein ausländisches Konkursdekret wird auf Antrag der ausländischen Konkursverwaltung, des Schuldners oder eines Konkursgläubigers unter den Bedingungen von aArt. 166 Abs. 1 lit. a bis c IPRG (SR 291) (in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung) anerkannt. Wird es anerkannt, so unterliegt das in der Schweiz befindliche Vermögen des Schuldners grundsätzlich den konkursrechtlichen Folgen des schweizerischen Rechts ( Art. 170 Abs. 1 IPRG ) mit der Folge, dass das Konkursamt über das in der Schweiz befindliche Vermögen einen sogenannten Hilfskonkurs eröffnet ( BGE 137 III 631 E. 2.3.2; Urteil 5A_520/2016 vom 19. Januar 2017 E. 2.1, in: BlSchK 2018 S. 95; Urteil 6B_557/2010 vom 9. März 2011 E. 7.2 mit Hinweisen; vgl. BGE 141 III 222 E. 4 [zu lit. c]). Gemäss Art. 172 Abs. 1 lit. a und b IPRG werden dabei in den Kollokationsplan nur die pfandversicherten Forderungen nach Art. 219 SchKG sowie die privilegierten Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz aufgenommen. Verbleibt nach Befriedigung dieser Gläubiger ein Überschuss, wird dieser, wenn der ausländische Kollokationsplan anerkannt worden ist, gemäss Art. 173 IPRG der ausländischen Konkursverwaltung oder den berechtigten Konkursgläubigern zur Verfügung gestellt. 4.2 Die schweizerische Konkursverwaltung übt die auf die Hilfskonkursmasse übergegangene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis BGE 145 IV 351 S. 357 über das schuldnerische Vermögen aus. Sie kann den Schuldner nur im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages, nämlich der Erhaltung und Verwertung der dem Gemeinschuldner zustehenden Vermögenswerte zugunsten seiner Gläubiger ( Art. 240 SchKG ), vertreten. Nach der Rechtsprechung wird eine Vertretung als Geschädigte in einem Strafverfahren in Bezug auf den Schuldpunkt von dieser Vertretungsmacht nicht umfasst (Urteile 6B_557/2010 vom 9. März 2011 E. 7.2; 6B_1082/2014 vom 3. März 2015 E. 1.5). Zudem ist gemäss Art. 121 Abs. 2 StPO , wer von Gesetzes wegen in die Ansprüche der geschädigten Person eingetreten ist, nur zur Zivilklage berechtigt und stehen ihr nur jene Verfahrensrechte zu, die sich unmittelbar auf die Durchsetzung der Zivilklage beziehen. Als Rechtsnachfolgerin im Sinne dieser Bestimmung gilt auch die Konkursmasse bei Konkurseröffnung gegen die geschädigte Person (MAZZUCHELLI/POSTIZZI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 121 StPO ). Soweit sich die Beschwerdeführerin im Verfahren gegen den Beschuldigten Y. nur als Strafklägerin konstituiert hat, kommen ihr somit, wie die kantonalen Instanzen zutreffend erkannt haben, keine Parteirechte zu. Insofern verletzt das angefochtene Urteil kein Bundesrecht, soweit die Vorinstanz auf die Berufung der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist. Mit Blick auf das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren ergibt sich bei dieser Sachlage, dass sich der angefochtene Entscheid nicht im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG auf die Zivilforderungen auswirken kann, wenn sich die Privatklägerschaft lediglich gemäss Art. 119 Abs. 2 lit. a StPO als Strafklägerin konstituiert hat. 4.3 Nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Vorinstanz der Beschwerdeführerin auch keine Parteirechte zuerkannt hat, soweit diese sich als Zivilklägerin konstituiert hat. Es mag zutreffen, dass die Hilfskonkursmasse, in welcher die individuellen Vermögensinteressen der Gläubiger in der Schweiz zusammengefasst sind, im Strafverfahren gegen die Beschuldigte Z. als Zivilklägerin zuzulassen wäre, soweit sie als Zivilklägerin die Herausgabe der bei jener beschlagnahmten Vermögenswerte verlangt. Doch setzt, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, die Beurteilung adhäsionsweise geltend gemachter Zivilforderungen voraus, dass die Zivilklage nicht bei einem anderen Gericht rechtshängig oder rechtskräftig entschieden ist (Art. 59 Abs. 2 lit. d und e sowie Art. 64 Abs. 1 lit. a ZPO ; Art. 122 Abs. 3 StPO ; Urteile 6B_110/2019 vom 3. Mai 2019 E. 5; 6B_107/2016 vom 3. Februar BGE 145 IV 351 S. 358 2017 E. 3.4 mit Hinweisen; MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, a.a.O., N. 14 zu Art. 119 StPO ). Die Rechtshängigkeit hat zur Folge, dass der Streitgegenstand zwischen den gleichen Parteien nicht anderweitig rechtshängig gemacht werden kann (Urteil 6B_483/2012 vom 3. April 2013 E. 1.3.1; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 563; ANNETTE DOLGE, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 15 zu Art. 122 StPO ). Mit dieser Sperrwirkung sollen widersprüchliche Urteile über denselben Streitgegenstand verhindert werden. Als Prozessvoraussetzung ist die anderweitige Rechtshängigkeit auch in Adhäsionsprozessen von Amtes wegen zu prüfen (MAZZUCCHELLI/POSTIZZI, a.a.O., N. 14 zu Art. 119). Die zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung steht der Rechtshängigkeit bzw. einem Zivilurteil gleich ( Art. 241 ZPO ). Die Vorinstanz nimmt insofern zu Recht an, dass die Beschwerdeführerin und die Beschuldigte Z. ihre Rechtsbeziehungen durch die Insolvenzvereinbarungen neu geordnet haben. Dass der Vergleich von Z. zu einem späteren Zeitpunkt angefochten worden und über die Rechtsgültigkeit des Vergleichs noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, ändert daran nichts. Die Vorinstanz verletzt mithin kein Bundesrecht, wenn sie unter diesem Gesichtspunkt nicht auf die Berufung der Beschwerdeführerin eingetreten ist. Zu keinem anderen Ergebnis führt, dass die Beschwerdeführerin von der ersten Instanz in einem Teilbereich als Privatklägerin anerkannt worden ist. Die Erwägungen des Bezirksgerichts, auf welche sich die Beschwerdeführerin in diesem Kontext beruft, beziehen sich nur auf die Vermögenswerte, in Bezug auf welche keine Rechtshängigkeit bestand, namentlich die vier Chagall-Bilder. Diese hat die erste Instanz der Beschwerdeführerin direkt zugewiesen. Die Herausgabe der Bilder bildete indes nicht Gegenstand der Berufung, so dass das erstinstanzliche Urteil in dieser Hinsicht in Rechtskraft erwachsen war.
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Sachverhalt ab Seite 378 BGE 147 V 377 S. 378 A. A.a Die 1966 geborene A. ist bei der Pensionskasse comPlan (nachfolgend: comPlan) für die berufliche Vorsorge versichert. Am 27. Juni 2003 ersuchte sie um einen Vorbezug von Mitteln aus der beruflichen Vorsorge für die Wohneigentumsförderung (nachfolgend: WEF-Vorbezug), womit sie eine 4,5-Zimmer-Eigentumswohnung finanzieren wollte. Nach Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung vom 11./14. Juli 2003 zahlte die comPlan den gewünschten Betrag von Fr. 60'000.- am 18. Juli 2003 aus. A.b Bei einer im Jahr 2016 durchgeführten internen Kontrolle stellte die comPlan fest, dass die aktuelle Wohnadresse der A. nicht mehr mit derjenigen des vor Jahren erworbenen Wohneigentums übereinstimmte. Dies begründete A. auf Nachfrage hin damit, dass sie mit ihrem Partner in dessen Eigenheim gezogen sei. Daher habe sie sich entschlossen, die seinerzeit durch den WEF-Vorbezug (mit)bezahlte Eigentumswohnung zu vermieten. In der Folge forderte die comPlan den geleisteten WEF-Vorbezug zurück, weil die gesetzliche Voraussetzung des ausschliesslichen Eigenbedarfs nicht mehr gegeben sei. A. leistete trotz diverser Besprechungen und Korrespondenz keine Rückzahlung. B. Am 8. August bzw. 12. November 2019 erhob die comPlan Klage und beantragte, A. sei zu verpflichten, ihr den WEF-Vorbezug von Fr. 60'000.- zuzüglich Zins von 5 % seit 1. Juli 2017 zurückzubezahlen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Klage mit Urteil vom 6. April 2020 ab. C. Die comPlan führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei die Klage vom 8. August 2019 vollumfänglich gutzuheissen. Sodann sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. BGE 147 V 377 S. 379 A. lässt auf Abweisung der Beschwerde und des Gesuchs um aufschiebende Wirkung schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
461
333
Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Es steht fest, dass der WEF-Vorbezug im Jahr 2003 zu Recht erfolgte, nachdem insbesondere der Eigenbedarf ( Art. 30c Abs. 1 BVG ) ausgewiesen war. Sodann wird von keiner Seite in Abrede gestellt, dass die Beschwerdegegnerin am 19. Mai 2016 einen Mietvertrag abschloss, woraufhin sie das Wohneigentum nicht mehr selber bewohnte. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie eine Rückzahlung des WEF-Vorbezugs aufgrund der Aufgabe der Eigennutzung verneinte. 2.1 Das kantonale Gericht hat in Auslegung des Art. 30d Abs. 1 BVG insbesondere erwogen, nach dessen klarem Wortlaut falle die hier interessierende Vermietung des Wohneigentums nicht unter einen der in lit. a bis c abschliessend aufgezählten Rückzahlungstatbestände. Dementsprechend sei das Eidgenössische Versicherungsgericht (heute und nachfolgend: Bundesgericht) im Urteil B 18/04 vom 22. Juli 2005 unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum Schluss gelangt, dass nicht jede Aufgabe des Eigenbedarfs eine Rückzahlung des WEF-Vorbezugs nach sich ziehe. Eine solche setze vielmehr nach Art. 30d Abs. 1 lit. a und b BVG einen Verkauf voraus oder zumindest das Einräumen von Rechten am Wohneigentum, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkämen. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht eine Rückzahlungspflicht der Beschwerdegegnerin verneint. 2.2 Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, die Auslegung des Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG führe zum eindeutigen Schluss, dass (auch) eine dauerhafte Vermietung darunter falle. Daher habe die Beschwerdegegnerin den im Jahr 2003 ausbezahlten WEF-Vorbezug zurückzuerstatten. 3. 3.1 Das Bundesgericht hat die Rückzahlung des WEF-Vorbezugs im vorliegend interessierenden Kontext im Urteil B 18/04 vom 22. Juli 2005 (in: SVR 2006 BVG Nr. 7 S. 25) geprüft. BGE 147 V 377 S. 380 3.2 Gemäss dessen Erwägung 4.1 kann die versicherte Person nach Art. 30c Abs. 1 BVG das Recht auf einen Vorbezug zum Erwerb von Wohneigentum für den Eigenbedarf geltend machen. Der Begriff "Eigenbedarf" bezieht sich auf die Nutzung einer Wohnung durch die versicherte Person an ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ( Art. 4 Abs. 1 der Verordnung vom 3. Oktober 1994 über die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge [WEFV; SR 831.411] ). Um einen Vorbezug geltend machen zu können, muss die versicherte Person das ihr gehörende Wohneigentum zu Wohnzwecken nutzen. Die Verwendung für den Eigenbedarf ist zwar eine Voraussetzung für den Anspruch auf einen Vorbezug, der Wegfall dieser Voraussetzung führt hingegen nicht von Rechts wegen zu einer Rückzahlungspflicht hinsichtlich des ausbezahlten Betrags. Neben dem Recht der versicherten Person, den erhaltenen Betrag unter bestimmten Voraussetzungen jederzeit zurückzubezahlen ( Art. 30d Abs. 2 und 3 BVG ), sieht Art. 30d Abs. 1 BVG drei Situationen vor, in denen die versicherte Person oder ihre Erben zur Rückzahlung des von der Vorsorgeeinrichtung erhaltenen Betrages verpflichtet sind, nämlich: die Veräusserung des selbstbewohnten Wohneigentums (lit. a), die Einräumung von Rechten am Wohneigentum, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen (lit. b), oder wenn beim Tod des Versicherten keine Vorsorgeleistung fällig wird (lit. c). Der Gesetzgeber ist dergestalt von den Vorschlägen des Bundesrates abgewichen, welche ursprünglich vorsahen, dass die Leistung zurückbezahlt werden muss, wenn "die Voraussetzungen für den Bezug nicht oder nicht mehr erfüllt sind" (Art. 30e Abs. 1 lit. a des Gesetzesentwurfs [E-BVG]; Botschaft vom 19. August 1992 über die Wohneigentumsförderung in der beruflichen Vorsorge, BBl 1992 VI 269 Ziff. 223). Diese breitere Formulierung des Entwurfs deckte auch den Fall ab, dass der Versicherte die von der Pensionskasse finanzierte Wohnung nicht mehr selber nutzte, sondern an einen Dritten vermietete. Im Hinblick auf die in Art. 30d Abs. 1 lit. a und b BVG nach geltender Fassung vorgesehenen Fälle ist der Wegfall der Selbstnutzung des Wohneigentums unter dem Gesichtspunkt der Rückzahlungspflicht indes nur dann relevant, wenn der Versicherte die Wohnung veräussert oder daran Rechte einräumt, die einer Veräusserung der Wohnung wirtschaftlich gleichkommen, wie beispielsweise eine Nutzniessung oder ein ausschliessliches Wohnrecht. BGE 147 V 377 S. 381 4. Aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde, wonach das Bundesgericht im erwähnten Urteil (einzig) den Gesetzeswortlaut mit dem Vorschlag des Bundesrats verglichen habe, hier aber hinsichtlich der Rückzahlungsverpflichtung eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Materialien und dem Sinn und Zweck der Regelung erforderlich sei, rechtfertigt sich eine umfassende Auslegung. 4.1 Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung bildet der Wortlaut einer Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist dieser klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, so darf davon nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am "wahren Sinn" - am Rechtssinn - der Regelung vorbei. Anlass für eine solche Annahme können die Entstehungsgeschichte der Bestimmung (historisch), deren Zweck (teleologisch) oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften (systematisch) geben, so namentlich, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, welches der Gesetzgeber so nicht gewollt haben kann ( BGE 145 V 289 E. 4.1; BGE 144 V 327 E. 3; BGE 142 V 402 E. 4.1; je mit Hinweisen; SVR 2019 BVG Nr. 40 S. 158, 9C_659/2018 E. 4.2.1). 4.2 4.2.1 Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG sieht vor, dass der bezogene Betrag vom Versicherten oder von seinen Erben an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden muss, wenn Rechte am Wohneigentum eingeräumt werden, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen ("[...] équivalant économiquement à une aliénation", "[...] economicamente equivalenti ad un'alienazione"). 4.2.2 Aus grammatikalischer Sicht entscheidet (auch in der französisch- und italienischsprachigen Version) ein ökonomischer Blickwinkel ("wirtschaftlich", "économiquement", "economicamente") darüber, ob das eingeräumte Recht am mit Mitteln der beruflichen Vorsorge finanzierten Wohneigentum eine Rückzahlungspflicht auslöst oder nicht. Davon betroffen sind nach dem Wortlaut des Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG Rechte, die zwar nicht den Verlust des Wohneigentums zur Folge haben (vgl. Art. 30d Abs. 1 lit. a BVG ), aber zumindest eine so erhebliche (wirtschaftliche) Belastung desselben bedeuten, dass sie mit einer Veräusserung gleichgesetzt werden können. Dies trifft insbesondere für die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte zu (vgl. E. 3.2 in fine). Demgegenüber stellt eine Vermietung nach Art. 253 OR , wie sie hier zur Diskussion steht, lediglich die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung (Zur-Verfügung-Stellung) gegen Entgelt dar (dazu: HIGI/BÜHLMANN, in: Zürcher BGE 147 V 377 S. 382 Kommentar, 5. Aufl. 2019, N. 5 ff. zu Art. 253 OR ; CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht - Allgemeiner und Besonderer Teil, 3. Aufl. 2019, S. 880). Das von der Beschwerdegegnerin im Jahr 2016 eingegangene Mietverhältnis ist nach verbindlicher (nicht publ. E. 1) Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts weder im Grundbuch vorgemerkt ( Art. 261b OR ), noch besteht eine vertragliche Abrede, welche die nachträgliche Grundbuchanmeldung erlaubte. Folglich handelt es sich um eine faktische Aufgabe der persönlichen Nutzung aufgrund eines obligationenrechtlichen Vertrags, welche das Wohneigentum weder ändert noch (dinglich) belastet und daher wirtschaftlich nicht mit einer Veräusserung vergleichbar ist (vgl. MARKUS MOSER, Wohneigentum als Vorsorge: Die Anforderungen an das Wohneigentum, den/die Bezüger/-in und die Vorsorgeeinrichtung [nachfolgend: Wohneigentum als Vorsorge], in: Freiburger Sozialrechtstage, 2014, S. 21 f.; derselbe , in: Basler Kommentar, Berufliche Vorsorge[nachfolgend: Basler Kommentar], 2021, N. 12 zu Art. 30d BVG ; FELIX SCHÖBI, Die Wohneigentumsförderung mit den Mitteln der beruflichen Vorsorge, recht 1995 S. 50). 4.3 4.3.1 Die historische Sichtweise zeigt insbesondere, dass die ursprüngliche, bereits im Urteil B 18/04 vom 22. Juli 2005 thematisierte gesetzliche Regelung der Rückzahlung, wonach der vorbezogene Betrag zurückzuzahlen war, "wenn die Voraussetzungen für den Bezug nicht mehr erfüllt sind" (Art. 30e Abs. 1 lit. a E-BVG), in der Botschaft wie folgt präzisiert wurde: "Wenn die versicherte Person das mit Geldern der beruflichen Vorsorge finanzierte Wohneigentum nicht mehr selber benutzt, sondern z. B. an Dritte verkauft oder vermietet, [...]." (BBl 1992 VI 269 Ziff. 223). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der damalige Entwurf des Bundesrats noch die Einräumung eines Grund- oder Faustpfandes zu Gunsten der Vorsorgeeinrichtung vorsah (Art. 30d Abs. 1 E-BVG). Damit sollte sichergestellt werden, dass eine Information des Grundbuchamtes an den Gläubiger erfolgte, falls der Versicherte sein Wohneigentum veräusserte. Die Vorsorgeeinrichtung hätte "gewissermassen treuhänderisch" darüber wachen müssen, dass der für das Wohneigentum vorzeitig bezogene Betrag ihr oder einer anderen Einrichtung der beruflichen Vorsorge zurückbezahlt würde, wenn die Voraussetzung des Vorbezugs ("z.B. infolge Verkauf oder Vermietung des Wohneigentums an Dritte."; BBl 1992 VI 268 Fn. 71 Ziff. 223) nicht mehr gegeben und der Vorsorgefall noch nicht BGE 147 V 377 S. 383 eingetreten wäre (BBl 1992 VI 267 f. Ziff. 223). Dieser Entwurf wurde in der Vernehmlassung von den Pensionskassen kritisiert, welche weder mit unrealistischen Kontrollvorschriften belastet noch via Grundpfand in allfällige Verwertungsszenarien einbezogen sein wollten (AB 1993 N 474). Als ausreichend erachteten die Vorsorgeeinrichtungen die Sicherung durch Anmerkung einer Veräusserungsbeschränkung im Grundbuch, wie sie heute in Art. 30e Abs. 2 BVG vorgesehen ist. 4.3.2 Die Verwaltung schlug daraufhin zweierlei vor: Einerseits war sie der Auffassung, dass der Versicherte oder seine Erben bis zum Wegfall der Rückzahlungspflicht das Wohneigentum weder veräussern noch mit Rechten belasten durfte, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen (vorgeschlagene Formulierung des Art. 30d Abs. 1 lit. b E-BVG). Andererseits ging aus dem seitens des BSV neu formulierten Art. 30e E-BVG hervor, dass der Vorbezug (nur) im Falle der Veräusserung des Wohneigentums und bei dauernder Aufgabe der Selbstnutzung zurückbezahlt werden müsse (Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit [nachfolgend: SGK-Protokoll] vom 8. Januar 1993, Anhang 4). Die Diskussion in der Kommission ergab unter anderem, dass in Art. 30d Abs. 1 lit. b E-BVG die Gleichstellung mit dem Einräumen eines Wohnrechts (auf Lebenszeit beispielsweise) gemeint war. Das Wohnrecht sei daher jedenfalls als ein der Veräusserung gleichkommendes Recht einzustufen. Nach wie vor bestand aber Unklarheit darüber, ob zwischen den erwähnten, in die Kommission getragenen Fassungen der Art. 30d Abs. 1 lit. b E-BVG und Art. 30e E-BVG zu differenzieren war. Auf Nachfrage hin antwortete die Verwaltung, es bestehe kein Unterschied zwischen "die Selbstnutzung dauernd aufgeben" und der Einräumung von "Rechten, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen". Daraufhin wurde entschieden, nur letztere Formulierung beizubehalten, weil sonst fälschlicherweise vom Vorliegen zweier unterschiedlicher Sachverhalte ausgegangen werden könnte, was nicht zutreffe (SGK-Protokoll der Sitzung vom 25. Januar 1993, S. 10). Diese Fassung des Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG wurde in beiden Räten diskussionslos angenommen (AB 1993 N 483; AB 1993 S 448). 4.3.3 Demnach ergibt sich aus den Materialien zwar, dass der Passus "die Selbstnutzung aufgeben" aufgrund einer an sich falschen Auskunft der Verwaltung entfallen war. Es gibt aber Hinweise, dass dies, gerade was die Vermietung des Wohneigentums betrifft, von BGE 147 V 377 S. 384 den Kommissionsmitgliedern zumindest bewusst in Kauf genommen wurde (so auch: SCHÖBI, a.a.O., S. 49). Der Kommissionsberatung ist diesbezüglich etwa zu entnehmen, dass nicht ausschlaggebend sei, wer das Wohneigentum bewohnt. Bestätigt wurde vielmehr, dass es um den gebundenen Wert (des bezogenen Vorsorgekapitals) gehe und die Möglichkeit, ihn allenfalls zu versilbern, wenn die Vorsorge sonst nicht ausreiche (SGK-Protokoll der Sitzung vom 25. Januar 1993, S. 11). Dementsprechend blieb die Vermietung des Wohneigentums in der Kommissionsdebatte als "Recht, das wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommt" unerwähnt, wohingegen das Wohnrecht ( Art. 776-778 ZGB ) eindeutig als solches bezeichnet wurde. Die Kommission wollte nach eigenen Angaben Geschäftsabschlüsse vermeiden, die letztlich auf eine Veräusserung hinauslaufen, beispielsweise die Einräumung einer lebenslänglichen Nutzniessung oder eines Baurechts an eine Drittperson (SGK-Protokoll der Sitzung vom 8. Januar 1993, S. 10). Mit anderen Worten waren die Mitglieder der Ansicht, dass auch andere beschränkte dingliche Rechte (Nutzniessung, Art. 745 ff. ZGB ; Baurecht, Art. 779 ff. ZGB ) wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen. Ein eindeutiger Anhaltspunkt, dass die Vermietung des mit Mitteln der beruflichen Vorsorge erworbenen Wohneigentums darunter fallen sollte, fehlt hingegen (MOSER, Wohneigentum als Vorsorge, a.a.O., S. 22; dersel be , in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 12 zu Art. 30d BVG ). Insoweit ist der Wille des Gesetzgebers erkennbar, dass der Abschluss eines Mietvertrags keinen vergleichbaren Eingriff in das Wohneigentum darstellt, weil damit keine dingliche Belastung des Eigentumsrechts einhergeht. Dies gilt umso mehr, als die Anmerkung einer Veräusserungsbeschränkung im Grundbuch zu Sicherungszwecken, wie sie die Verwaltung angeregt hatte (E. 4.3.1), bei einer Vermietung des Wohneigentums keinen Sinn ergibt. Denn diese erfolgt - wie hier - in der Regel ausserbuchlich, sodass weder die Grundbuchverwaltung noch die Vorsorgeeinrichtung davon erfahren (SCHÖBI, a.a.O., S. 49). 4.4 Sodann ist aus teleologischer Warte entscheidend, dass mit dem Vorbezug für Wohneigentum der vorbezogene Betrag und damit das erworbene Eigentum aus dem Vorsorgeguthaben herausfällt ( BGE 124 III 211 E. 2). Um trotzdem den Vorsorgezweck sicherzustellen, darf der Vorbezug einzig der Beschaffung von Wohneigentum zum Eigenbedarf dienen ( Art. 30c Abs. 1 BVG ; Art. 331e Abs. 1 OR ; Art. 1-4 WEFV ). Dies stellt eine Form der BGE 147 V 377 S. 385 Altersvorsorge dar. Art. 30d Abs. 1 BVG zielt darauf ab, diese Zweckbindung zu erhalten, indem der bezogene Betrag bei einer Veräusserung des Wohneigentums (respektive den in lit. b und c vorgesehenen, gleich bewerteten Fällen) an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden müssen, wobei die Rückzahlungsverpflichtung nach Art. 30e BVG grundbuchlich sichergestellt wird ( BGE 132 V 332 E. 4.1 mit Hinweisen). Wird das Wohneigentum nicht veräussert oder belastet, sondern nur vermietet (faktische Aufgabe der Eigennutzung), so sind die Mittel der beruflichen Vorsorge darin nach wie vor gebunden. Nach Beendigung des Mietverhältnisses, soweit dieses wie hier unbefristet und beidseitig kündbar ist (vgl. Art. 266a Abs. 1 OR ), erhält der Vermieter die Nutzung der Liegenschaft zum Eigenbedarf zurück. Dabei entspricht die während der Mietdauer periodisch zu bezahlende Miete nicht dem Betrag, welcher der zweiten Säule entnommen wurde. Eine allfällige Umwandlung des WEF-Vorbezugs in ein frei verfügbares, von der zweiten Säule unabhängiges Guthaben - und damit auch eine Rückzahlung - ist folglich ausgeschlossen. Dass die versicherte Person - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - frei ist, einen allfälligen Mietzins nach eigenem Gutdünken zu verwenden, ändert an der bei der Vermietung unangetasteten Zweckbindung nichts. Anders, nämlich als erschlichen (dazu: SCHÖBI, a.a.O., S. 51), wäre ein Vorbezug dann zu bewerten, wenn dieser von allem Anfang an einzig eine gewinnorientierte Investition im Blick hätte. Dies liefe dem Zweck des Vorbezugs an sich zuwider und hätte deshalb eine Rückzahlung bzw. Rückabwicklung zur Folge. Indessen ist weder ersichtlich noch in der Beschwerde (substanziiert) dargelegt, inwieweit es sich hier so verhalten sollte. Vielmehr vermietete die Beschwerdegegnerin, wie die Vorinstanz willkürfrei (nicht publ. E. 1) festgestellt hat, ihre Eigentumswohnung erst nach Jahren (nämlich: von 2003 bis 2016) eigener Nutzung. Im Mai 2016 wurde, wie erwähnt, ein unbefristetes, allerdings unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten beidseitig kündbares Mietverhältnis (Mietzins inkl. Nebenkosten: Fr. 1'850.- monatlich) abgeschlossen. Damit fällt - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - ausser Betracht, dass die Beschwerdegegnerin die Liegenschaft vermietet hätte, "ohne je auch nur einen Tag dort gelebt zu haben". 4.5 4.5.1 Auch in systematischer Hinsicht sind die Voraussetzungen für den Bezug und für die Rückzahlung zu unterscheiden. Art. 30c Abs. 1 BGE 147 V 377 S. 386 BVG nennt als zulässigen Verwendungszweck für den WEF-Vorbezug "Wohneigentum zum eigenen Bedarf". Art. 4 Abs. 1 WEFV definiert den Eigenbedarf näher. Demnach gilt als solcher die Nutzung durch die versicherte Person an ihrem Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Weist die versicherte Person nach, dass die Nutzung vorübergehend nicht möglich ist, so ist die Vermietung während dieser Zeit zulässig (Abs. 2). Indessen ist Art. 4 WEFV - anders als die Beschwerdeführerin meint - zur Rückzahlung nichts zu entnehmen. Die Bestimmung sieht insbesondere nicht vor, dass im Umkehrschluss zu Art. 30c Abs. 1 BVG eine Rückzahlung zu erfolgen hätte, wenn der Eigenbedarf nicht oder nicht mehr vorliegt. Ein Bezug zu Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG fehlt (SCHÖBI, a.a.O., S. 49). 4.5.2 Eine Parallelität besteht hingegen zu Art. 30c Abs. 3 BVG , wonach der oder die Versicherte den Vorbezug auch für den Erwerb von Anteilscheinen einer Wohnbaugenossenschaft oder ähnlicher Beteiligungen verwenden kann, wenn er oder sie eine dadurch mitfinanzierte Wohnung selber nutzt. Gemäss Art. 16 Abs. 1 WEFV muss das Reglement der Wohnbaugenossenschaft vorsehen, dass die von der versicherten Person für den Erwerb von Anteilscheinen einbezahlten Vorsorgegelder bei Austritt aus der Genossenschaft entweder einer anderen Wohnbaugenossenschaft oder einem anderen Wohnbauträger, von dem die versicherte Person eine Wohnung selber benutzt, oder einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge überwiesen werden. Folglich ist eine Rückzahlung nur dann zu leisten, wenn das Genossenschafts- oder Beteiligungsverhältnis ("bei Austritt aus der Genossenschaft") betroffen ist (MOSER, Wohneigentum als Vorsorge, a.a.O., S. 23; derselbe , in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 13 zu Art. 30d BVG ; vgl. auch HANS-ULRICH STAUFFER, in: BVG und FZG, Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. 2019, N. 33 zu Art. 30b BVG ). Weil dies bei einer (Unter-)Vermietung nicht zutrifft, bleibt sie im Zusammenhang mit der Rückerstattung irrelevant, obschon der Vorbezug - wie beim Erwerb von Wohneigentum mit Mitteln der beruflichen Vorsorge - explizit voraussetzt, dass eine durch den Kauf von Anteilscheinen an einer Wohngenossenschaft oder ähnlicher Beteiligungen mitfinanzierte Wohnung selber benutzt wird ( Art. 30c Abs. 3 BVG ). Der in der Beschwerde vertretene Umkehrschluss ist folglich (auch) in diesem Zusammenhang nicht zulässig. 4.6 Hinzu kommt, dass die Verwaltung ihre frühere Auffassung, wonach der Wegfall der Selbstnutzung grundsätzlich zur BGE 147 V 377 S. 387 Rückzahlung des Vorbezugs führe (vgl. Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 30 vom 5. Oktober 1994, S. 29), wie die Beschwerdeführerin selber einräumt, insoweit klarstellte, als nicht jede Form der Aufgabe des Eigenbedarfs diesen Effekt hat. Vielmehr ging (auch) das BSV davon aus, dass die Einräumung von Rechten am Wohneigentum, an dem der Versicherte Eigentümer bleibt, nur dann zur Rückzahlung verpflichtet, wenn diese einer "besonders qualifizierten Form" entspricht. Demnach kommt eine Vermietung in der Regel wirtschaftlich keiner Veräusserung gleich, ausser es wird z. B. eine Nutzniessung eingeräumt oder bei einem sehr langjährigen, unkündbaren Mietvertrag mit symbolischem Betrag als Miete (Mitteilungen des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 55 vom 30. November 2000, S. 12 f.; ebenso: Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 135 vom 17. Februar 2014, S. 7). Beide Konstellationen liegen hier - wie erwähnt (E. 4.4) - nachweislich nicht vor.
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Sachverhalt ab Seite 450 BGE 125 I 449 S. 450 Gemäss Art. 35 des bernischen Abfallgesetzes vom 7. Dezember 1986 führt der Kanton Bern einen Abfallfonds, aus welchem Beiträge an Bau, Erweiterung und Einrichtung von Abfallanlagen entrichtet sowie kantonale Aufgaben im Zusammenhang mit der Abfall-entsorgung finanziert werden. Der Fonds wird durch eine bei den Betreibern von Kehrichtverbrennungsanlagen und Reaktordepo-nien zu erhebende Abgabe gespeist. Soweit Abfälle in Anlagen entsorgt werden, die sich nicht im Kanton Bern befinden, wird die Abgabe bei den Gemeinden erhoben, auf deren Gebiet die Abfälle entstehen. Die Abgabe beträgt bei Kehrichtverbrennungsanlagen höchstens 30 Franken, bei Deponien höchstens 45 Franken pro Tonne der gelieferten Abfälle. Die Deponie Teuftal AG betreibt eine Reaktordeponie im Kanton Bern. Am 11. Februar 1998 stellte ihr das kantonale Amt für Gewässerschutz und Abfallwirtschaft für das Jahr 1997 eine Abfall-abgabe von Fr. 2'879'825.-- in Rechnung. Dagegen erhob die Deponie Teuftal erfolglos Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern sowie beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Die Deponie Teuftal AG erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde BGE 125 I 449 S. 451 beantragt sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückzahlung der geleisteten Akontozahlung. In der staatsrechtlichen Beschwerde verlangt sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Mit beiden Beschwerden rügt sie u.a. eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV in Verbindung mit Art. 2 und 32 ff. des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz [USG; SR 814.01]) und von Art. 41ter Abs. 2 BV . Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein und weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 41ter Abs. 2 BV . Die bernische Abfallabgabe stelle eine Wirtschaftsverkehrssteuer dar. Sie sei gleichartig wie die Mehrwertsteuer, weil sie aus der gleichen Quelle steuerlicher Leistungsfähigkeit stamme und die gleiche wirtschaftliche Wirkung habe wie diese. b) Nach Art. 41ter Abs. 2 BV dürfen Umsätze, die der eidgenössischen Mehrwertsteuer unterliegen, von den Kantonen und Gemeinden keiner gleichgearteten Steuer unterstellt werden. Unzulässig ist nicht jede kantonale Steuer, die an den Umsatz anknüpft; erforderlich ist vielmehr, dass die kantonale Steuer gleichgeartet ist ( BGE 122 I 213 E. 3c S. 219; Höhn/Vallender, Kommentar BV, Rz. 21 zu Art. 41ter). Es fragt sich somit, ob die bernische Abfallabgabe eine gleichgeartete Steuer wie die Mehrwertsteuer ist. Für diese Beurteilung ist massgeblich, welches die entscheidenden Merkmale der Mehrwertsteuer sind und ob die bernische Abfallabgabe diese Merkmale aufweist. Hingegen braucht im Übrigen die abgaberechtliche Qualifikation dieser Abgabe nicht näher untersucht zu werden. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht an die von der Rechtswissenschaft entwickelte Kategorisierung der Abgabearten gebunden. Er ist im Rahmen seiner Zuständigkeit und der verfassungsmässigen Schranken frei, auch neue Abgaben einzuführen, die nicht in irgendwelche theoretische Schemata passen. Daher sind die von der Beschwerdeführerin angestellten Umkehrüberlegungen, wonach die Abfallabgabe als Steuer zu qualifizieren sei, weil sie mangels staatlicher Gegenleistung keine Kausalabgabe darstelle, nicht ausschlaggebend. Zu prüfen ist einzig, ob die Abgabe die gleichen Merkmale wie die Mehrwertsteuer aufweist. BGE 125 I 449 S. 452 c) Nach der Praxis zur ehemaligen Warenumsatzsteuer gilt als gleichgeartet jede Verbrauchssteuer, die nach dem Preis der Ware bemessen wird und dazu bestimmt ist, wirtschaftlich vom Endverbraucher getragen zu werden (Urteil vom 22. Dezember 1978, in ASA 49 356, vgl. BGE 122 I 213 E. 3c S. 218). Nicht gleichgeartet ist demgegenüber eine Gewerbesteuer oder eine Steuer, die nur formell, nicht aber materiell den Umsatz belastet ( BGE 96 I 560 E. 5 S. 583; ASA 49 356; DIETER METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, Muri/Bern 1983, S. 38). In Bezug auf die Genfer Armensteuer hat das Bundesgericht 1996 entschieden, dass eine Abgabe, die nur bestimmte einzelne Leistungen belastet, nicht gleichgeartet wie die Mehrwertsteuer ist ( BGE 122 I 213 E. 3d S. 219). Das bernische Verwaltungsgericht hat gestützt auf diese bundesgerichtliche Rechtsprechung die Gleichartigkeit der Abfallabgabe mit der Mehrwertsteuer verneint. Die Beschwerdeführerin und ein Teil der Lehre (Daniel Riedo, Vom Wesen der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchssteuer und von den entsprechenden Wirkungen auf das schweizerische Recht, Diss. Zürich 1998, S. 125 f., 129) kritisieren den erwähnten Bundesgerichtsentscheid und betrachten die angestrebte Belastungswirkung zu Lasten des Endverbrauchers als ausschlaggebendes Kriterium. d) Auf die Kritik an BGE 122 I 213 braucht vorliegend nicht eingegangen zu werden. Die dort vorgenommene und teilweise kritisierte Unterscheidung nach umfassender oder spezieller Steuer kommt nur als präzisierendes, zusätzliches Kriterium zum Tragen, sofern überhaupt eine Verbrauchssteuer zur Diskussion steht ( BGE 122 I 213 E. 3c S. 219; vgl. KLAUS A. VALLENDER, Die Genfer Armensteuer [taxe dite "droit des pauvres"] ist keine "gleichgeartete Steuer" im Sinne von Art. 41ter Abs. 2 BV - Bemerkungen zu einem Bundesgerichtsurteil vom 16. Juli 1996, StR 52/1997 S. 3 f.). Für die Annahme der Gleichartigkeit ist zudem vorausgesetzt, dass überhaupt derselbe Umsatz belastet wird (nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 19. Juli 1995 i.S. K., E. 5). Vorliegend fehlt es schon an diesen Erfordernissen. Die Mehrwertsteuer belastet als Verbrauchssteuer den Konsum von Gütern, welche für den Abnehmer, der die Abgabe bestimmungsgemäss trägt, einen wirtschaftlichen Wert haben. Gerade deswegen ist der Verbraucher bereit, dafür einen Preis zu bezahlen, der den Steuerbetrag mit erfasst. Die in eine Deponie abgelieferten Abfälle sind jedoch nicht Waren, für welche der Empfänger ein Entgelt bezahlt. Im Gegenteil muss der Ablieferer dem Empfänger etwas dafür bezahlen, dass dieser die Abfälle BGE 125 I 449 S. 453 entgegennimmt und entsorgt. Steuerobjekt der Mehrwertsteuer, welche die Beschwerdeführerin entrichtet, ist nicht die Lieferung von Abfall bzw. ein Entgelt für diese Lieferung, sondern das Entgelt für die Dienstleistung, welche die Beschwerdeführerin erbringt, um den Abfall zu beseitigen. Die bernische Abfallabgabe wird hingegen auf den angelieferten Abfällen erhoben. Ihr Abgabeobjekt ist nicht die Entsorgungsdienstleistung, welche die Beschwerdeführerin erbringt. Sie belastet damit nicht den gleichen Umsatz wie die Mehrwertsteuer. Wohl sollen beide Abgaben wirtschaftlich vom Abfallverursacher getragen werden. Aber die Abfallabgabe belastet nicht wie die Mehrwertsteuer die Wertschöpfung, die durch eine bestimmte Lieferung oder Dienstleistung entsteht. Bemessungsgrundlage ist deshalb auch nicht das Entgelt für den Abfall (weil es ein solches Entgelt gar nicht gibt), sondern die angelieferte Menge. Das ist entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin nicht ein rein technischer Unterschied, sondern ist darauf zurückzuführen, dass das Abgabeobjekt unterschiedlich ist. Die Abfallabgabe ist nicht eine Verbrauchssteuer, sondern eine Entsorgungsabgabe: Sie wird wirtschaftlich vom Verursacher der Abfälle getragen und dient mit ihrer Zweckbindung (Art. 35 Abs. 3 und 4 Abfallgesetz) dazu, staatliche Aufgaben im Bereich der Abfallwirtschaft zu finanzieren. Damit ist sie nicht gleichgeartet wie die Mehrwertsteuer. f) Unerheblich ist schliesslich, dass im neuen Mehrwertsteuergesetz die kantonalen bzw. kommunalen Handänderungsabgaben und Billettsteuern ausdrücklich als nicht gleichgeartet wie die Mehrwertsteuer bezeichnet werden sollen (vgl. Art. 2 des Bundesgesetzes vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer, BBl 1999 S. 7479 ff.). Die Zulässigkeit dieser beiden Abgaben wurde in der Lehre bisweilen bezweifelt, weshalb sich die Bundesversammlung zu einer entsprechenden Klarstellung veranlasst sah (vgl. Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 28. August 1996, BBl 1996 S. 727). Das schliesst aber nicht aus, dass auch andere kantonale Abgaben als nicht gleichgeartet wie die Mehrwertsteuer zu qualifizieren sind. 3. a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) in Verbindung mit den Bestimmungen des eidgenössischen Umweltschutzgesetzes über die Abfälle. Sie trägt vor, gemäss Art. 2 und 32 USG müssten die Verursacher bzw. Inhaber von Abfällen die Kosten der Entsorgung tragen. Aus dem mit der Abfallabgabe gespeisten Abfallfonds würden jedoch nicht die Kosten der Entsorgung der angelieferten BGE 125 I 449 S. 454 Abfälle gedeckt, sondern die Finanzierung des Baus künftiger Anlagen. Die Abfallverursacher bezahlten damit die Kosten der Entsorgung künftigen, nicht von ihnen verursachten Abfalls zusätzlich zu den Entsorgungsgebühren, die sie für ihren Abfall bereits bezahlen. Diese Entsorgungsgebühren deckten gemäss Art. 32a Abs. 1 lit. a USG bereits alle Kosten der Entsorgung, weshalb es unzulässig sei, mit der Abfallabgabe eine zusätzliche Belastung einzuführen. Zudem sei in Art. 35 Abs. 4 Bst. b des kantonalen Abfallgesetzes vorgesehen, dass auch die Entsorgung von Sonderabfällen aus dem Abfallfonds bezahlt werden könne; die Verursacher von Siedlungsabfällen würden damit für die Entsorgung von Sonderabfällen bezahlen, was Art. 32 USG widerspreche. Ferner müssten die Inhaber von Abfallanlagen gemäss Art. 32a Abs. 3 USG bereits Rückstellungen für Unterhalt und Ersatz der bestehenden Infrastruktur bilden, weshalb kein Bedarf nach zusätzlichen, aus dem Abfallfonds zu bezahlenden Anlagen bestehe. Deponiebetreiber müssten gemäss Art. 32b USG auch für die Kosten der künftigen Sanierung Sicherstellung leisten, weshalb es unverhältnismässig wäre, von ihnen bzw. ihren Kunden in Form der Abfallabgabe einen zusätzlichen Beitrag an Bau und Erweiterung anderer Anlagen zu verlangen. Sodann sei in Art. 32e USG eine bundesrechtliche Abgabe auf der Deponierung von Abfällen vorgesehen, wodurch entsprechende kantonale Abgaben grundsätzlich unzulässig würden. Der Vorbehalt zu Gunsten des kantonalen Rechts gemäss Art. 32e Abs. 5 USG beziehe sich nur auf die Finanzierung der Sanierung von Deponien und anderen Standorten; die bernische Regelung sei insofern bundesrechtswidrig, als sie auch der Finanzierung anderer Zwecke diene. Für die Entsorgung der Nichtsiedlungsabfälle seien schliesslich gemäss Art. 31c USG nicht die Kantone, sondern die Inhaber zuständig. b) aa) Zu beurteilen ist vorliegend in erster Linie die Bundesrechtsmässigkeit der streitigen Abgabe, nicht aber, ob sämtliche in Art. 35 des Abfallgesetzes vorgesehenen Verwendungsarten des Abfallfonds mit dem Bundesrecht vereinbar sind. Das bernische Abfallgesetz stammt aus dem Jahre 1986, die hier massgebende Fassung von Art. 35 aus dem Jahre 1993. Die bundesrechtlichen Bestimmungen im Umweltschutzgesetz über die Finanzierung der Abfälle wurden seither zweimal geändert und präzisiert (AS 1997 1155 und AS 1997 2243). Es mag sein, dass deshalb einzelne der im Abfallgesetz vorgesehenen Verwendungsarten des Abfallfonds nicht mehr im Einklang mit dem seither geänderten Bundesrecht stehen. Dadurch werden aber der Fonds als Gesamtes und die ihn speisende BGE 125 I 449 S. 455 Abfallabgabe noch nicht bundesrechtswidrig, solange ein Teil der im Gesetz genannten Verwendungen nach wie vor bundesrechtlich zulässig ist. Die Mittel des Fonds dürften in diesem Fall nicht mehr für die bundesrechtlich unzulässigen Verwendungen herangezogen werden. Auf die hier allein streitige Abgabepflicht hätte das höchs-tens insofern Auswirkungen, als allenfalls die Höhe der Abgabe nicht mehr im ganzen Umfang angemessen wäre. Indessen erhebt die Beschwerdeführerin keine substantiierten Rügen hinsichtlich der Abgabenhöhe. Es ist daher im Folgenden nur zu entscheiden, ob die Abgabe als solche und zumindest ein Teil der im Abfallgesetz genannten Verwendungen mit dem Umweltschutzrecht des Bundes vereinbar sind. bb) Nach Art. 31b USG entsorgen die Kantone die Siedlungsabfälle. Sie sorgen gemäss Art. 32a USG dafür, dass die Kosten mit Gebühren oder anderen Abgaben den Verursachern überbunden werden. Damit soll verhindert werden, dass die Kosten der Abfall-entsorgung aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Das ist entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin keine abschliessende bundesrechtliche Regelung, sondern ein Gesetzgebungsauftrag an die Kantone, welche dabei einen grossen Gestaltungsspielraum haben (BBl 1996 IV 1223, 1229, 1234 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Januar 1998, Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung in Graubünden [ZGRG] 1998 S. 45; BENOÎT REVAZ, Financement de l'élimination des déchets: Principes et couvertures des taxes d'élimination, URP 1999 S. 306-321, 318). Die streitige Abfallabgabe ist gerade eine solche Abgabe, welche in Ausführung dieses bundesrechtlichen Auftrags bezweckt, die Entsorgungskosten (bzw. einen Teil davon) den Verursachern zu übertragen (vgl. VERONIKA HUBER-WÄLCHLI, Finanzierung der Entsorgung von Siedlungsabfällen durch kostendeckende und verursachergerechte Gebühren, URP 1999 S. 48 Anm. 57). Sie ist daher nicht grundsätzlich unzulässig. cc) Die Abfallabgabe wird auch nicht schon dadurch bundesrechtswidrig, dass die Abfallverursacher bereits eine Entsorgungsgebühr entrichten. Die Kantone haben, wie in E. 3b/bb ausgeführt, einen erheblichen Spielraum in der Ausgestaltung der in Art. 32a USG vorgesehenen Abgaben. Möglich sind auch Kombinationen von individuellen, mengenabhängigen Gebühren und festen Grundgebühren (HUBER-WÄLCHLI, a.a.O., S. 54 ff.; REVAZ, a.a.O., S. 315 f.). Umso mehr muss es zulässig sein, mehrere verschiedene, mengenabhängige Abgaben vorzusehen. BGE 125 I 449 S. 456 dd) Aus dem Abfallfonds werden namentlich Beiträge gewährt an Bau, Erweiterung und Einrichtung von Abfallanlagen (vgl. Art. 35 Abs. 3 des Abfallgesetzes). Die Beschwerdeführerin bringt unter Hinweis auf die bundesrätliche Botschaft vom 4. September 1996 zur Revision des Gewässerschutzgesetzes (BBl 1996 IV 1217 ff., 1235) vor, die Finanzierung der Erweiterung von Anlagen solle nicht mit Rückstellungen finanziert werden, weil die Einführung verursachergerechter Gebühren eine stabile Abfallmenge bezwecke. Diese Zwecksetzung schliesst freilich nicht aus, dass das Ziel nicht erreicht wird und deshalb Kapazitätserweiterungen erforderlich werden können. Insbesondere kann das bundesrechtliche, ab 1. Januar 2000 geltende Verbot der Deponierung von Siedlungsabfällen (Art. 53a der Technischen Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 [TVA; SR 814.015]; vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts vom 11. November 1998, URP 1999 S. 160) dazu führen, dass zusätzliche Verbrennungskapazitäten erforderlich werden. Das Bundesrecht schliesst somit nicht aus, dass mit den gemäss Art. 32a Abs. 1 USG zu erhebenden Abgaben auch die künftige Errichtung oder Erweiterung von Abfallanlagen finanziert wird (ebenso PETER KARLEN, Die Erhebung von Abwasserabgaben aus rechtlicher Sicht, URP 1999 S. 548 f.; REVAZ, a.a.O., S. 314). ee) Dass der Bundesrat gemäss Art. 32e USG eine Abgabe zur Finanzierung der Sanierung von Deponien vorsehen kann, lässt die bernische Abfallabgabe ebenfalls nicht als unzulässig erscheinen. Denn deren Zweck ist bedeutend weiter gefasst als derjenige der eidgenössischen Sanierungsabgabe. Namentlich werden aus dem Abfallfonds auch allgemeine Tätigkeiten wie die Abfallplanung finanziert (Art. 35 Abs. 4 lit. a Abfallgesetz), welche gemäss Art. 31 USG von den Kantonen wahrzunehmen sind. ff) Es trifft zu, dass mit der bernischen Abfallabgabe nicht jeder Abfallverursacher die Entsorgung der gerade durch ihn verursachten Abfälle finanziert. Das Verursacherprinzip ist indessen nicht in einem derart engen Sinne zu verstehen. Es verlangt im Zusammenhang mit der Abfallentsorgung, dass die Gesamtheit der Abfallverursacher die Gesamtheit der Entsorgungskosten trägt und dass die von jedem Einzelnen bezahlten Abgaben einen gewissen Zusammenhang mit der von ihm verursachten Abfallmenge hat (HUBER-WÄLCHLI, a.a.O., S. 41; REVAZ, a.a.O., S. 314 f.), wobei aber die Kantone weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten haben (BBl 1996 IV 1229 f., 1234 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Januar 1998, ZGRG 1998 S. 45). Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung, BGE 125 I 449 S. 457 die auch im Rahmen des abfallrechtlichen Verursacherprinzips zum Tragen kommt, sind bei der Aufteilung von Kausalabgaben auf die einzelnen Pflichtigen Schematisierungen und Pauschalierungen zulässig; insbesondere wird nicht verlangt, dass die von jedem einzelnen Abgabepflichtigen geleistete Abgabe ausschliesslich die von ihm persönlich verursachten Kosten deckt ( BGE 125 I 182 E. 4h S. 196 f., mit Hinweisen; Urteile des Bundesgerichts vom 28. Januar 1998, ZGRG 1998 S. 45, E. 2a; vom 29. Mai 1997 i.S. F., RDAF 1999 1 S. 94, E. 3a; vom 28. Oktober 1996 i.S. C., URP 1997 S. 39, E. 3b; vom 20. November 1995 i.S. B., RDAT 1996 I Nr. 51 S. 142; BBl 1996 IV 1223, 1234 f.; HUBER-WÄLCHLI, a.a.O., S. 41; KARLEN, a.a.O., S. 548 f.). Auch ist es im Rahmen der Anwendung des Kostendeckungsprinzips zulässig, angemessene Rückstellungen für die Erneuerung bestehender und die Bereitstellung künftiger Infrastrukturanlagen in die Kostenrechnung einzubeziehen ( BGE 125 I 182 E. 4h S. 196; BGE 124 I 11 E. 6c S. 20). Das ist auch dadurch gerechtfertigt, dass die heutigen Abfallverursacher zumindest teilweise davon profitieren, dass früher Entsorgungsanlagen errichtet wurden, an deren Finanzierung sie nicht beigetragen haben. c) Ist somit zumindest ein erheblicher Teil der durch den Abfallfonds geleisteten Zahlungen bundesrechtskonform, so braucht nicht mehr im Einzelnen untersucht zu werden, inwiefern die in Art. 35 Abs. 4 lit. b des Abfallgesetzes vorgesehene Finanzierung der Entsorgung von Sonderabfällen mit Art. 31c und Art. 32 USG vereinbar ist (vorne E. 3b/aa). Die streitige Abfallabgabe ist insgesamt nicht bundesrechtswidrig.
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Sachverhalt ab Seite 73 BGE 131 II 72 S. 73 X. ist Eigentümer der Parzelle GB Weinfelden Nr. 807 am Kappelerweg. Am 3. November 1992 erwarb er das direkt nordöstlich angrenzende Grundstück GB Nr. 873 im Halte von 2'659 m 2 , welches mit einem Chalet aus dem Jahre 1946 und einem kleinen Schopf überbaut ist. Aufgrund der steilen Hanglage ist das Chalet nur über eine Treppe mit über 90 Stufen vom Kappelerweg her erreichbar. Im Zonenplan von 1953 war das Chalet auf Parzelle Nr. 873 mit einem Umschwung von rund 800 m 2 der Wohnzone B zugeteilt. Die restliche Grundstückfläche von etwa 1'800 m 2 lag in der Grünzone. Mit dem Zonenplan von 1984 wurde die gesamte Parzelle in die Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage, W2EH, aufgenommen. Im Jahr 1996 beschloss der Gemeinderat Weinfelden eine Teilrevision der Ortsplanung, respektive des Zonenplans von 1984. Der revidierte Plan sah vor, den nordöstlichen Teil der Parzelle Nr. 873 mit einer Fläche von rund 1'775 m 2 der Freihaltezone zuzuweisen und den verbleibenden Teil von 875 m 2 in der W2EH zu belassen. X. erhob dagegen Einsprache, welche der Gemeinderat am 23. April 1999 abwies. Daraufhin beschloss der Grosse Gemeinderat die Teilrevision des Zonenplans am 30. März 2000. Die dagegen beim Departement für Bau und Umwelt (DBU) eingereichte Beschwerde von X. wies das Departement nach einem Augenschein am 16. Februar 2001 ab. Dieser Entscheid erwuchs in Rechtskraft. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau genehmigte den Zonenplan mit RRB Nr. 392 am 24. April 2001. Hierauf reichte X. bei der Enteignungskommission Klage wegen materieller Enteignung ein und verlangte von der Gemeinde Weinfelden eine Entschädigung von Fr. 769'497.80 nebst Zins zu 5 % seit 23. Februar 2001. Die Enteignungskommission wies die Klage am 23. Oktober 2002 ab. Am 25. Oktober 2002 hiess demgegenüber das DBU eine Aufsichtsbeschwerde von X. gut, welche dieser gegen die Gemeinde BGE 131 II 72 S. 74 Weinfelden erhoben hatte, weil sie ihrer Erschliessungspflicht nicht nachgekommen sei. Das DBU verpflichtete die Gemeinde, bis Ende März 2003 die planerische Erschliessung der Parzelle Nr. 873 in die Wege zu leiten. Gegen den Entscheid der Enteignungskommission vom 23. Oktober 2002 gelangte X. ans Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau. Er erneuerte seine Forderung nach einer Entschädigung wegen materieller Enteignung. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 4. Februar 2004 ab. Mit Eingabe vom 29. März 2004 erhebt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt, in Aufhebung des Urteils vom 4. Februar 2004 sei das Vorliegen einer materiellen Enteignung zu bestätigen und die Sache zur Festsetzung der Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren. Der Beschwerdeführer weist überdies darauf hin, dass er derzeit mit dem (neuen) Gemeinderat über eine Übernahme des im Streit liegenden Grundstückes verhandle. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schliesst unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf Abweisung der Beschwerde. Aufgrund der aussergewöhnlichen Situation scheint ihm ein Augenschein nützlich. Die Gemeinde Weinfelden und das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) verzichten auf eine Vernehmlassung. Mit Schreiben vom 24. November 2004 erkundigte sich das Bundesgericht beim Beschwerdeführer über den Stand der Dinge hinsichtlich allfälliger Übernahmeabsichten seitens der Gemeinde. In seiner Antwort vom 25. November 2004 erklärt der Beschwerdeführer, er habe dem Gemeinderat am 25. März 2004 eine detaillierte Offerte vorgelegt, in der Folge jedoch nichts mehr gehört. Auf seine Nachfrage hin, habe ihm der Gemeinderat am 6. Mai 2004 ohne weitere Begründung mitgeteilt, dass er auf einen Kauf verzichte. Im Verlaufe der nachfolgenden Gespräche über mögliche Erschliessungsvarianten habe der Beschwerdeführer vorgeschlagen, mit dem kantonalen Baudirektor informell eine Erschliessung von Norden her zu besprechen. Am 9. November 2004 habe ein Augenschein mit dem zuständigen Regierungsrat, dem Gemeindeammann und dem Beschwerdeführer stattgefunden. Der BGE 131 II 72 S. 75 Baudirektor habe eine Erschliessung per Schräglift spontan abgelehnt und die Norderschliessung favorisiert. Er habe versprochen, deren Realisierbarkeit auf kantonaler Ebene so rasch wie möglich prüfen zu lassen. Eine Stellungnahme stehe zur Zeit noch aus.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Entscheid zusammen mit den Parteien davon aus, der Zonenplan aus dem Jahre 1984 habe die bundesrechtlichen Anforderungen an eine Bauzone erfüllt und die am 24. April 2001 erfolgte Zonenplanänderung habe zu einer Auszonung geführt. Diese Feststellung ist im anhängigen Verfahren unbestritten. Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise, die zu einer abweichenden Beurteilung dieser Frage führen müssten. Indessen hat das Verwaltungsgericht in Abrede gestellt, dass eine künftige Nutzung im Zeitpunkt der Auszonung mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft möglich gewesen wäre. Wie der Augenschein klar gezeigt habe, hätte aufgrund des Steilhanges und der bestehenden Bebauung am 24. April 2001 offensichtlich nicht in naher Zukunft mit einer direkten Zufahrt zur Parzelle Nr. 873 gerechnet werden können, weder von Norden her noch durch Verlängerung des privaten Erschliessungssträsschens im Westen. 3.2 Dem hält der Beschwerdeführer ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Behörden entgegen. Die Gemeinde habe seit über 50 Jahren ihre gesetzliche Pflicht zur Erstellung einer hinreichenden Zufahrt vernachlässigt. Sie sei sich dieser Pflicht all die Jahre bewusst gewesen, was beispielsweise ein Brief des damaligen und heutigen Bauamtchefs vom 2. November 1984 belege: In dem erwähnten Schreiben habe der Bauamtchef festgehalten, dass die Gemeinden verpflichtet sind, die definitiven Bauzonen zu erschliessen. Sowohl sein Rechtsvorgänger als auch er, der Beschwerdeführer selber, seien in der Folge stets auf später vertröstet worden, ohne dass je etwas geschehen wäre. Im Gegenteil habe der Gemeinderat rund um die Parzelle Nr. 873 verschiedene Bauvorhaben bewilligt, welche eine vorerst noch mögliche Erschliessung von Süden her zunehmend illusorisch gemacht hätten. Die Gemeinde habe 1984 - trotz der bereits damals ausdrücklich bestätigten Erschliessungspflicht - den gesamten Rest des Grundstückes Nr. 873 sowie die entsprechenden Teilflächen aller westlich angrenzenden BGE 131 II 72 S. 76 Parzellen am Kappelerweg dem Baugebiet zugewiesen. Erst in der Klageantwort im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht habe sie diese vorbehaltlose Einzonung plötzlich als Fehler bezeichnet, den sie mit der Zonenplanrevision im Jahr 2001 wieder korrigiert habe. Noch "abenteuerlicher" sei die ebenfalls in der Klageantwort vom 22. Februar 2002 vorgebrachte Argumentation, die Zuweisung des gesamten Grundstückes Nr. 873 in die definitive Bauzone sei aus sozialen Gründen erfolgt, weil der damalige Grundeigentümer vor dem finanziellen Ruin gestanden habe. Warum jedoch 1984 gleichzeitig auch alle westlich angrenzenden Parzellen eingezont worden seien, sei bis heute nicht erläutert worden. Auf das Erfordernis der Realisierungswahrscheinlichkeit kann es nach Auffassung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht ankommen, weil die Gemeinde mit der Einzonung "aus sozialen Gründen" und der anschliessenden Umgehung der Erschliessungspflicht rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Abgesehen davon hätten die Vorinstanzen das Kriterium der Realisierungswahrscheinlichkeit deutlich überspannt. Den Vergleich mit dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil 1A.305/1997 vom 24. August 1998 lässt der Beschwerdeführer nicht gelten. Weiter führt er aus, nachdem 1946 ein Einfamilienhaus auf Parzelle Nr. 873 erstellt worden sei, bestehe seit Jahrzehnten ein gesetzlicher Anspruch auf Erstellung einer Zufahrt. Erschliessungspflichtig war und sei die Gemeinde, welche die Erschliessungskosten mehrheitlich auf die Grundeigentümer abwälzen könne. Werde die Realisierungswahrscheinlichkeit bloss verneint, weil eine von der Gemeinde geschuldete Leistung ausstehe, so liege bei einer Auszonung dennoch eine entschädigungspflichtige Enteignung vor. 3.3 Nachdem die Auszonung nicht bestritten wird, ist zu beurteilen, ob die Möglichkeit einer künftigen besseren Nutzung des Grundstückes am 24. April 2001 mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft gegeben gewesen wäre. Die für das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Auszonung erforderliche, hinreichend hohe Realisierungswahrscheinlichkeit beurteilt sich anhand aller rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten, welche die künftige Nutzungsmöglichkeit beeinflussen können. Dazu gehören die eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Bauvorschriften, der Stand der kommunalen und kantonalen Planung, die Lage und Beschaffenheit des Grundstücks, die Erschliessungsverhältnisse und die bauliche Entwicklung in der Umgebung. Dabei ist in erster Linie BGE 131 II 72 S. 77 auf die rechtliche Ausgangslage abzustellen ( BGE 122 II 326 E. 5b S. 330 f., BGE 122 II 455 E. 4c S. 458, mit Hinweisen). Gegen die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende Überbauung eines Grundstücks in naher Zukunft spricht namentlich das Erfordernis einer Ausnahmebewilligung, einer Änderung in der Zonenplanung, eines Erschliessungs-, Überbauungs- oder Gestaltungsplans, einer Baulandumlegung oder weitgehender Erschliessungsarbeiten ( BGE 116 Ib 159 E. 6b S. 166; BGE 113 Ib 133 E. 4c S. 135; ENRICO RIVA, Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern 1990, S. 166 ff.). 3.4 Wie das DBU in seinem in Rechtskraft erwachsenen Entscheid vom 25. Oktober 2002 festgehalten hat, verfügt das Grundstück des Beschwerdeführers zwar über die üblichen Werkleitungen, in strassenmässiger Hinsicht ist es indessen nicht als erschlossen zu betrachten. Dass der Zugang über 90 Treppenstufen nicht als genügende Erschliessung gelten kann, wird von den Parteien nicht bestritten. Das Erfordernis der hinreichenden Erschliessung eines Grundstückes ergibt sich zunächst aus dem Bundesrecht (Art. 22 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 19 Abs. 1 RPG [SR 700]). Land gilt demnach als erschlossen, wenn unter anderem eine für die betreffende Nutzung hinreichende Zufahrt besteht ( BGE 121 I 65 E. 3a S. 68; BGE 116 Ib 159 E. 6b S. 166). Die Kantone können die Anforderungen an die Baulanderschliessung näher bestimmen (vgl. BGE 117 Ib 308 E. 4a S. 314). Gemäss § 35 Abs. 1 des thurgauischen Planungs- und Baugesetzes vom 16. August 1995 (PBG/TG; RB 700) ist die Gemeinde verantwortlich für die zeit- und sachgerechte Erschliessung des Baugebietes. Die Erschliessung umfasst Verkehrsanlagen sowie Werkleitungen für die Wasser- und Energieversorgung oder für die Abwasserbeseitigung und zugehörige zentrale Anlagen (Abs. 2). § 37 PBG /TG sieht sodann vor, dass Baugebiete in der Regel im Rahmen eines Gestaltungsplanes zu erschliessen und baureif zu machen sind, und § 60 PBG /TG hält fest, dass ein Grundstück baureif ist, wenn es erschlossen ist. Nach § 5 Abs. 3 PBG /TG trifft die Gemeindebehörde die zur Erschliessung notwendigen Massnahmen. 3.5 Die Parzelle Nr. 873 liegt aufgrund der im Jahre 2001 abgeschlossenen Ortsplanungsrevision mit ca. 875 m 2 in der Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage. Zuvor war das gesamte Grundstück dieser Zone zugeteilt. Da es sich hierbei um eine Bauzone im Sinn von § 35 PBG /TG handelt, ist die Gemeinde grundsätzlich erschliessungspflichtig. Offenbar hatte die Gemeinde im BGE 131 II 72 S. 78 Aufsichtsbeschwerdeverfahren vor dem DBU die Meinung vertreten, aufgrund des steilen Geländes handle es sich um eine Ausnahmesituation, in welcher keine Erschliessungspflicht der Gemeinde bestehe. Zu Recht hat das DBU dieser Auffassung widersprochen und hinsichtlich der Lage darauf hingewiesen, dass die Gemeinde die Zonenzuweisung in Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten beschlossen hatte. Kein Argument, welches die Gemeinde von ihrer Erschliessungspflicht befreien würde, sind die Schwierigkeiten, die sich bei der Prüfung verschiedener Erschliessungsvarianten ergaben: Eine Erschliessung von Norden her durch den Wald wurde als unmöglich erachtet, steht indes offenbar derzeit wieder zur Diskussion. Des Weitern besteht westlich des Grundstückes Nr. 873 eine Privatstrasse, welche am Westrand der Parzelle Nr. 809 endet. Selbst wenn in einem dazu durchzuführenden Gestaltungsplanverfahren mit Widerstand von Seiten tangierter Dritter zu rechnen ist, kann sich die Gemeinde nicht aufgrund der zu erwartenden Schwierigkeiten von ihrer Erschliessungspflicht lossagen. Das DBU kam überdies in seinem Entscheid zum Schluss, es seien offensichtlich noch gar keine konkreten planerischen Schritte in die Wege geleitet worden. Dies ist umso bedenklicher, als die Parzelle seit 1946 überbaut ist. Erachtet die Gemeinde das Grundstück als nicht erschliessbar, hätte sie es von vornherein nicht einzonen dürfen, zumal eine auf "sozialen Gründen" basierende Planung an sich schon fragwürdig scheint. Hinzu kommt, dass sich die Gemeinde ihrer Erschliessungspflicht sehr wohl bewusst war. So hielt der Bauamtchef in der Einladung zu einer Aussprache zwischen Architekten und Gemeindevertretern am 2. November 1984 u.a fest: "Mit dem neuen Weinfelder Zonenplan ist das Gebiet "Im Kappeler" der Wohnzone für Einfamilienhäuser in Hanglage zugeordnet worden. Der Eigentümer der Parzelle Nr. 873 möchte diese zonengemäss überbauen. Bis heute fehlt eine ausreichende Zufahrt. Gemäss § 17 des kantonalen Baugesetzes sind die Gemeinden verpflichtet, die definitiven Bauzonen zu erschliessen." Das DBU hat denn die Gemeinde auch aufgefordert, die planerische Erschliessung der Parzelle Nr. 873 bis Ende März 2003 einzuleiten. Als massgebliche Massnahme nannte das Departement das Gestaltungsplanverfahren im Sinn von § 37 PBG /TG. In der Folge wurden als Erschliessungsvarianten die Zufahrt von Norden her über die Schnellerstrasse geprüft sowie eine Erschliessung per BGE 131 II 72 S. 79 Schrägaufzug vom Kappelerweg her, mit Linienführung über die Parzellen Nrn. 3338 und 3630. Bis anhin wurde offenbar keine befriedigende Lösung gefunden. 3.6 Steht aber fest, dass die Gemeinde ihrer Erschliessungspflicht nicht nachgekommen ist, obwohl sie selber - aus welchen Gründen auch immer - das Grundstück 1984 einer bundesrechtskonformen Bauzone zugeteilt hat, so ist es stossend, wenn sie wegen der fehlenden Erschliessung die hinreichend hohe Realisierungswahrscheinlichkeit verneint und gleichzeitig Planungsfehler eingesteht. Ein solches Verhalten verstösst gegen Treu und Glauben. Der Beschwerdeführer durfte 1992 als Käufer von Land, welches acht Jahre zuvor definitiv dem Baugebiet zugeteilt worden war, grundsätzlich von dessen Überbaubarkeit ausgehen. Daran ändert auch der Brief nichts, in welchem der Ressortchef Bau dem Beschwerdeführer am 11. Mai 1992 mitteilte, aufgrund der Einspracheverhandlungen zu einem anderen Bauvorhaben müsse sich die Gemeinde mittlerweile ernsthaft die Frage stellen, ob an der definitiven Einzonung der Parzelle Nr. 873 festgehalten werden könne. Insbesondere die Erschliessung biete Probleme, die nach dem Stand der Erkenntnisse als kaum lösbar erschienen. Die steile Hanglage war bereits im Zeitpunkt der Einzonung gegeben und bekannt. Zudem haben sowohl der Beschwerdeführer als auch sein Rechtsvorgänger Überbauungsstudien erarbeiten lassen. Wenn die Gemeinde danach weitere Bauvorhaben auf den Parzellen südlich und westlich des Grundstückes Nr. 873 bewilligt hat, ohne eine gesamtheitliche Erschliessungsplanung anzustreben, kann sie dieses Versäumnis nicht dem Beschwerdeführer zur Last legen, zumal das erwähnte Schreiben aus dem Jahre 1992 entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichtes mitnichten "mehr als deutlich" ist. In diesem Sinne wird auch in der Literatur angeführt, dass in Auszonungsfällen die Realisierungswahrscheinlichkeit nicht überspannt werden dürfe. Betroffen sei Land, das nach den Regeln des Bundesrechts einer Bauzone zugewiesen war und für das demgemäss eine begründete Erwartung auf Überbaubarkeit bestanden habe. Angesichts der in Art. 19 RPG verankerten Erschliessungspflicht des Gemeinwesens könne namentlich der blosse Umstand, dass das ausgezonte Grundstück nicht oder nicht vollständig erschlossen ist, kaum zum Ausschluss der Entschädigungspflicht führen (ENRICO RIVA, Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 5 Rz. 163 Fn. 210). BGE 131 II 72 S. 80 3.7 Soweit das Verwaltungsgericht das Urteil 1A.305/1997 des Bundesgerichts vom 24. August 1998 zitiert, hält seine Argumentation einem Vergleich mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht stand. Im anhängigen Verfahren ist von Bedeutung, dass das Grundstück seit 1946 überbaut ist, 1984 zusammen mit weiteren, westlich gelegenen Parzellen definitiv einer RPG-konformen Bauzone zugeteilt wurde und die Gemeinde bis anhin ihrer Erschliessungspflicht nicht nachgekommen ist, was rechtskräftig festgestellt wurde. Im erwähnten Urteil des Bundesgerichtes ging es um eine seit jeher landwirtschaftlich genutzte Parzelle, deren Erschliessung im Unterschied zum vorliegenden Fall bis zur Auszonung nie Anlass zu Diskussionen gegeben hatte. 3.8 Aufgrund der Versäumnisse der Gemeinde, welche ihrer Erschliessungspflicht über Jahre hinweg nicht nachgekommen ist und nun Planungsfehler geltend macht, kann dem Beschwerdeführer die fehlende Realisierungswahrscheinlichkeit im vorliegenden Fall nicht entgegengehalten werden. Da die Auszonung an sich unbestritten ist, ist eine materielle Enteignung zu bejahen. Offen bleiben kann dabei, ob es sich gleichzeitig um einen Sonderopfertatbestand handelt. 4. Der angefochtene Entscheid ist somit in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben. Die Sache ist zur Neuregelung der prozessualen Kosten- und Entschädigungsfolgen an das Verwaltungsgericht ( Art. 159 Abs. 6 OG ) und zur Festsetzung der Entschädigung für die materielle Enteignung an die kantonale Enteignungskommission zurückzuweisen ( Art. 114 Abs. 2 OG ). Die Gerichtsgebühr ist der unterliegenden Gemeinde Weinfelden aufzuerlegen, die im vorliegenden Verfahren in Wahrung ihrer Vermögensinteressen gehandelt hat ( Art. 156 Abs. 1 und 2 OG ). Die Gemeinde hat zudem dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen ( Art. 159 Abs. 1 OG ). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
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Sachverhalt ab Seite 215 BGE 138 IV 214 S. 215 A. A.a Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat leitete ein Strafverfahren ein gegen X. wegen häuslicher Gewalt zum Nachteil seiner Ehefrau sowie ein weiteres Strafverfahren wegen Versicherungs- und Sozialhilfebetrugs zum Nachteil einer privaten Versicherungsgesellschaft bzw. der öffentlichen Sozialhilfe. Nachdem sich bei einer Einvernahme vom 12. April 2012 der Verdacht ergeben hatte, dass qualifizierte Gewaltdelikte (Vergewaltigung bzw. qualifizierte Fälle häuslicher Gewalt) vorliegen könnten, stellte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat gleichentags ein Ersuchen um Verfahrensübernahme an die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich. Diese lehnte die Übernahme ab, soweit es um die Strafuntersuchungen wegen Handlungen gegen das Vermögen geht. A.b In der Folge wandte sich die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat am 19. April 2012 an die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und ersuchte diese um Klärung der Zuständigkeit. Am 24. April 2012 traf der Leitende Oberstaatsanwalt die folgende Verfügung: "1. Das Verfahren betreffend Häusliche Gewalt ist durch die Staatsanwaltschaft IV zu führen. 2. Das Verfahren betreffend Betrug etc. ist durch die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat zu führen. 3. Sollte es in beiden Verfahren gemäss Ziffer 1 und 2 zu einer Anklage kommen, ist, sofern keine unüberwindbaren Hindernisse entgegenstehen, eine Anklage zu erheben. Die Verfahren sind entsprechend zu koordinieren." B. Gegen diese Verfügung reichte X. am 25. April 2012 beim Obergericht des Kantons Zürich Beschwerde ein. Dieses leitete die BGE 138 IV 214 S. 216 Beschwerde zuständigkeitshalber an das Bundesgericht weiter. X. stellt im Wesentlichen die folgenden Anträge: "Der angefochtene Entscheid vom 24. April 2012 sei aufzuheben. Es sei zu bestimmen, dass die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich sämtliche gegen den Beschwerdeführer gerichtete (Straf-)Verfahren zu führen hat. Eventualiter sei die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat mit der Führung sämtlicher Verfahren zu betrauen. Subenventualiter: Es sei eine einheitliche Verfahrensleitung zu bestimmen." (...) C. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich und die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat haben sich innert Frist nicht vernehmen lassen. D. X. hat sich am 3. Juni 2012 nochmals zur Sache geäussert. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. (Auszug)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.1 Nach Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Diese sind unter anderem zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen ( Art. 80 Abs. 1 BGG ), wobei die Kantone als solche obere Gerichte einsetzen, die als Rechtsmittelinstanzen entscheiden, ausser wenn nach der Strafprozessordnung ein anderes Gericht als einzige kantonale Instanz zuständig ist ( Art. 80 Abs. 2 BGG ; dazu MARC THOMMEN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Niggli/Uebersax/Wiprächtiger [Hrsg.], 2. Aufl., 2011, N. 14 f. zu Art. 80 BGG ). 1.2 Nach Art. 40 Abs. 1 StPO (SR 312.0) entscheidet die Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft oder, wenn keine solche vorgesehen ist, die Beschwerdeinstanz eines Kantons endgültig, wenn der Gerichtsstand unter Strafbehörden des gleichen Kantons streitig ist. Gegen den angefochtenen Entscheid steht damit gemäss Art. 380 StPO kein Rechtsmittel nach der Strafprozessordnung, insbesondere nicht die Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO , offen (ERICH KUHN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], 2011, N. 9 zu Art. 40 StPO ), weshalb er kantonal BGE 138 IV 214 S. 217 letztinstanzlich ist. Art. 40 Abs. 1 StPO bildet einen Ausnahmetatbestand gemäss Art. 80 Abs. 2 BGG , der vom Erfordernis der doppelten Instanz dispensiert. Das Obergericht hat die Sache daher zu Recht an das Bundesgericht weitergeleitet zur Prüfung der Zuständigkeitsfrage und gegebenenfalls zum Entscheid in der Sache (vgl. Art. 39 Abs. 1 StPO ). 1.3 Freilich besteht zwischen Art. 40 Abs. 1 StPO und Art. 80 Abs. 2 BGG insofern ein Widerspruch, als das Bundesgerichtsgesetz für die Beschwerde an das Bundesgericht eine richterliche Vorinstanz voraussetzt, während die Strafprozessordnung die Anrufung eines über der Oberstaatsanwaltschaft stehenden kantonalen Gerichts gerade ausschliesst. 1.3.1 Das wirft die Frage auf, ob die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht daran scheitert, dass es eben keine richterliche Vorinstanz gibt. Dies entspräche jedoch nicht der Absicht des Gesetzgebers, hält doch die entsprechende Botschaft des Bundesrates vom 21. Dezember 2005 zur Strafprozessordnung ausdrücklich fest, dass gegen die gemäss Art. 380 StPO als endgültig oder nicht anfechtbar bezeichneten Entscheide die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 BGG zur Verfügung stehe (BBl 2006 1307 zu Art. 388 des Entwurfs zur StPO; vgl. auch MARTIN ZIEGLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], 2011, N. 4 zu Art. 380 StPO ). 1.3.2 In der Literatur wird zwar auch ausgeführt, der Grund für den Rechtsmittelausschluss in der Strafprozessordnung liege darin, dass das Verfahren in den fraglichen Fällen einstweilen seinen Fortgang nehmen und der verfahrensleitende Entscheid erst in Verbindung mit dem Endentscheid angefochten werden können soll (VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 380 StPO ). Bei der Frage der sachlichen Zuständigkeit für die Strafuntersuchung macht eine solche Verschiebung der Anfechtbarkeit auf den Endentscheid keinen Sinn, erscheint es doch gerade unerlässlich, über die Zuständigkeit vorweg definitiv zu befinden, bevor die Strafuntersuchung durchgeführt wird. Zuständigkeitsentscheide gelten denn auch für die Beschwerde an das Bundesgericht als selbstständig anfechtbar (vgl. Art. 92 BGG sowie E. 1.4 unten). Mit der Regelung von Art. 92 BGG bezweckte der Gesetzgeber gerade, dass das Bundesgericht über Streitigkeiten über die Zuständigkeit und BGE 138 IV 214 S. 218 Ausstandsbegehren befindet, ohne dass dafür das Ende des Verfahrens bzw. der Endentscheid in der Sache abzuwarten sind. 1.3.3 Die gesetzliche Regelung ist somit unvollständig. Diesem Umstand ist durch eine verfassungskonforme, harmonisierende Ausgestaltung der Gesetzesordnung Rechnung zu tragen. Wegleitend muss dafür sein, dass einerseits ein Rechtsmittel zulässig sein muss, andererseits die Frage der sachlichen Zuständigkeit für die Strafverfolgung rasch geklärt wird. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei Art. 80 Abs. 2 BGG ein Versehen unterlaufen ist. Die in Art. 80 BGG hinsichtlich der Vorinstanzen umschriebene Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen ist dahingehend zu ergänzen, dass auch selbstständig eröffnete Zwischenentscheide der Ober- bzw. Generalstaatsanwaltschaft über die innerkantonale Zuständigkeit der Strafbehörden direkt beim Bundesgericht angefochten werden können. 1.4 Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich mithin um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über die Zuständigkeit, gegen den nach Art. 92 BGG die Beschwerde an das Bundesgericht offensteht. Damit ist die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht zulässig (so auch FINGERHUTH/LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 3 zu Art. 40 StPO ; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 8 zu Art. 40 StPO ). 1.5 Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. Eine Möglichkeit zur Teilnahme am Verfahren vor der Oberstaatsanwaltschaft hatte er trotz entsprechender grundsätzlicher Möglichkeit der Anfechtung der Zuständigkeit (vgl. Art. 41 StPO ) nicht, da der entsprechende Kompetenzkonflikt bis dahin einzig unter den beteiligten Staatsanwaltschaften ausgetragen wurde (lit. a). Als beschuldigte Person verfügt er sodann über ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids (lit. b). (...) 3. 3.1 Nach Art. 39 StPO prüfen die Strafbehörden ihre Zuständigkeit von Amtes wegen und leiten einen Fall wenn nötig der zuständigen Stelle weiter. Die sachliche Zuständigkeit ist in Art. 29 f. StPO, die örtliche in Art. 31 ff. StPO geregelt. Im vorliegenden Fall stellt sich primär die Frage der sachlichen Zuständigkeit, da die örtliche an sich BGE 138 IV 214 S. 219 unstrittig ist, nachdem alle Delikte in der Stadt Zürich begangen wurden und beide beteiligten Staatsanwaltschaften zur Bearbeitung von Verfahren auf dem Gebiet der Stadt Zürich zuständig sind. Gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. a StPO werden Straftaten gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn eine beschuldigte Person mehrere Straftaten verübt hat. Nach Art. 30 StPO können die Staatsanwaltschaft und die Gerichte Strafverfahren aus sachlichen Gründen trennen oder vereinen. 3.2 Art. 29 StPO enthält, gemäss der ausdrücklichen Marginalie der Bestimmung, den Grundsatz der Verfahrenseinheit. Dieses Prinzip bildet seit langem ein Wesensmerkmal des schweizerischen Straf- und Strafverfahrensrechts (vgl. auch Art. 49 StGB ). Es besagt unter anderem, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit, dass mehrere Straftaten einer einzelnen Person in der Regel in einem einzigen Verfahren verfolgt und beurteilt werden (URS BARTEZKO, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], 2011, N. 1 zu Art. 29 StPO ; FINGERHUTH/LIEBER, a.a.O., N. 1 zu Art. 29 StPO ; SCHMID, a.a.O., N. 1 zu Art. 29 StPO ). Der Grundsatz der Verfahrenseinheit bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile und dient der Prozessökonomie ( BGE 138 IV 29 ). Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben. Die sachlichen Gründe müssen objektiv sein. Die Verfahrenstrennung soll dabei vor allem der Verfahrensbeschleunigung dienen bzw. eine unnötige Verzögerung vermeiden helfen (vgl. in diesem Sinne das Urteil 1B_684/2011 vom 21. Dezember 2011). In der Literatur werden als sachliche Gründe etwa die bevorstehende Verjährung einzelner Straftaten oder die Unerreichbarkeit einzelner beschuldigter Personen genannt. Alle Beispiele beziehen sich auf Charakteristika des Verfahrens, des Täters oder der Tat, nicht aber auf organisatorische Aspekte auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden (vgl. BARTEZKO, a.a.O., N. 1 ff. zu Art. 30 StPO ; FINGERHUTH/LIEBER, a.a.O., N. 1 ff. zu Art. 30 StPO ; SCHMID, a.a.O., N. 2 zu Art. 30 StPO ). 3.3 Gemäss Art. 14 StPO bestimmen die Kantone ihre Strafbehörden und insbesondere deren Organisation und Befugnisse. Nach § 93 des zürcherischen Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG) bestehen die Staatsanwaltschaften im Kanton Zürich aus Allgemeinen und Besonderen Staatsanwaltschaften. Gemäss § 9 der zürcherischen Verordnung vom 27. Oktober 2004 über die Organisation der Oberstaatsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaften teilen sich die Allgemeinen BGE 138 IV 214 S. 220 Staatsanwaltschaften die Zuständigkeit nach geografischen Gesichtspunkten. Dazu zählt die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat mit Zuständigkeit für bestimmte Stadtkreise in der Stadt Zürich und für den Zürichsee. Nach § 10 derselben Verordnung werden zur Bearbeitung besonderer Geschäfte jeweils für das ganze Kantonsgebiet vier Besondere Staatsanwaltschaften zuständig erklärt, worunter die Staatsanwaltschaft IV für Gewaltdelikte. Die sachliche Zuständigkeit dieser Staatsanwaltschaften wird in Ziffer 4.1 der Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft für das Vorverfahren (WOSTA; in der hier anwendbaren Fassung vom 1. Januar 2012 auf www.staatsanwaltschaften.zh.ch/Strafverfahren/Erlasse ) konkretisiert. Nach Ziffer 4.1.5.4 fallen namentlich qualifizierte Fälle von häuslicher Gewalt in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft IV. 3.4 Diese Kompetenzordnung der Staatsanwaltschaften im Kanton Zürich ist an sich nicht zu beanstanden und mit Bundesrecht grundsätzlich vereinbar. Es fragt sich jedoch, was gilt, wenn wie hier demselben Beschuldigten mehrere Delikte vorgeworfen werden, welche in die Zuständigkeit verschiedener Staatsanwaltschaften fallen. Ein Vergleich mit der Regelung über die örtliche Zuständigkeit unterstreicht insofern die Bedeutung des Prinzips der Verfahrenseinheit. So sind die Verfahren bei Begehung mehrerer Delikte am selben Ort durch dieselbe Person genauso zu vereinen (vgl. Art. 31 Abs. 3 StPO ) wie bei der gemeinsamen Begehung von Straftaten durch mehrere Personen (vgl. Art. 33 StPO ) oder bei der Verübung mehrerer Delikte an verschiedenen Orten (vgl. Art. 34 StPO ). 3.5 Die Oberstaatsanwaltschaft rechtfertigt die Aufteilung der Verfahren im vorliegenden Fall mit der Spezialisierung der Zürcher Staatsanwaltschaften in einzelnen Fachgebieten, die zum Zwecke der Prozessökonomie geschaffen wurde. Die Abtrennung der Verfahren wegen häuslicher Gewalt einerseits und wegen der Betrugsdelikte andererseits sei damit sachlich begründet. Dem Anliegen der einheitlichen Anwendung der materiellen Strafzumessungsgründe und der einheitlichen Verteidigung werde insofern Rechnung getragen, als die beiden Verfahren koordiniert werden müssten und jedenfalls nur eine Anklage zu erheben sei. 3.6 Selbst wenn tatsächlich nur eine Anklage erhoben würde, vermöchte dies nichts daran zu ändern, dass sich der Beschwerdeführer einer Strafuntersuchung in zwei Verfahren mit verschiedenen Staatsanwaltschaften sowie Mitarbeitenden derselben BGE 138 IV 214 S. 221 gegenübersehen würde. Die Spezialisierung darf jedoch nicht dazu führen, dass bei mehreren Delikten der Grundsatz der Verfahrenseinheit die Ausnahme und die Verfahrenstrennung die Regel wird. Dies würde dem Sinn des Gesetzes zuwiderlaufen. Insofern gibt es entgegen der Auffassung der Oberstaatsanwaltschaft angesichts der klaren gesetzlichen Regelung in Art. 29 StPO nur ein beschränktes Ermessen der kantonalen Strafverfolgungsbehörden. Sind mehrere Straftaten zu verfolgen, so ist in der Regel vielmehr zu gewährleisten, dass nur ein Strafverfahren mit einer einheitlichen Untersuchung durchgeführt wird. Davon abzuweichen rechtfertigt sich einzig, wenn es sachliche Argumente (im Sinne von Art. 30 StPO ) dafür gibt. Das schliesst freilich nicht aus, dass sich bei mehreren Delikten die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft nach deren Spezialisierung für eine bestimmte Straftat richtet, etwa für diejenige mit der höchsten Strafdrohung. Die Zuständigkeit für die anderen Delikte hat diesfalls jedoch der solchermassen bestimmten Kompetenz für das Hauptdelikt zu folgen. Denkbar sind allerdings auch andere Kriterien wie der Vorrang des Tatorts oder der Vorrang der Erstbefassung. Besteht in einem Verfahren das Bedürfnis, Fachleute aus anderen Organisationseinheiten der Strafverfolgungsbehörden beizuziehen, so kann dies die zuständige Staatsanwaltschaft ohne Weiteres tun. 3.7 Indem der angefochtene Entscheid das Strafverfahren betreffend häusliche Gewalt der Staatsanwaltschaft IV und dasjenige betreffend Betrug usw. der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat zuweist, verstösst er gegen Bundesrecht. Der fragliche Kompetenzkonflikt ist in dem Sinne zu lösen, dass nur eine Staatsanwaltschaft für alle Delikte zuständig erklärt wird, die dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden. Es liegt nicht am Bundesgericht, zu bestimmen, welche der beiden Staatsanwaltschaften die Strafuntersuchung durchführen soll. Gerade dafür verfügt die Oberstaatsanwaltschaft über ein gewisses Ermessen, indem sie etwa eher auf die Spezialisierung für das offenbar im Vordergrund stehende Delikt der häuslichen Gewalt mit integraler Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft IV abstellen oder der Erstbefassung durch die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat den Vorrang geben kann. Die Sache ist mithin an die Oberstaatsanwaltschaft zurückzuweisen zu neuem Entscheid über die Zuständigkeit für das Strafverfahren.
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Sachverhalt ab Seite 213 BGE 135 III 212 S. 213 A. A.a A.C. und B.C. (Beschwerdeführer) sind Eigentümer einer Wohn- und Geschäftsliegenschaft an der Via D./Via E. in F. (Parzelle Nr. 1 des Grundbuches der Gemeinde F.). Ausserdem waren sie Berechtigte aus einem selbständigen und dauernden Baurecht (Parzelle Nr. 2 des Grundbuches der Gemeinde F.) auf Errichtung einer Parkplatzanlage auf dem belasteten, ebenfalls an der Via E. befindlichen Grundstück (Parzelle Nr. 3 des Grundbuches der Gemeinde F.). Bis zur Begründung von Stockwerkeigentum und der anschliessenden Überbauung mit einem Wohn- und Geschäftshaus samt einer sechsstöckigen Tiefgarage war die X. AG (Beschwerdegegnerin) Alleineigentümerin des baurechtsbelasteten Grundstücks (Parzelle Nr. 3). A.b Am 20. Juni 2003 unterzeichneten die Beschwerdeführer auf der einen und H. auf der anderen Seite einen Vorvertrag auf Abschluss einer Vereinbarung über die Aufhebung eines Baurechts. In den Vorbemerkungen der Vertragsurkunde hielten sie nicht nur die oben erwähnten Berechtigungen an der Parzelle Nr. 3 fest (Eigentum, Baurecht), sondern erklärten darüber hinaus, dass Dr. H. einen Anspruch auf den Erwerb sämtlicher Aktien der Beschwerdegegnerin habe und befugt sei, die Rechte aus dem Vorvertrag gegen Übernahme der entsprechenden Pflichten auf diese oder eine andere Gesellschaft zu übertragen. A.c Für den Fall, dass die in den Vorbemerkungen umschriebene Voraussetzung erfüllt werde, trafen die Parteien unter anderem die BGE 135 III 212 S. 214 folgenden Vereinbarungen: Aufhebung des auf der Parzelle Nr. 3 lastenden Baurechts gegen Überlassung von zwanzig Autoabstellplätzen durch die Beschwerdegegnerin in der von ihr auf der Parzelle Nr. 3 geplanten Tiefgarage; Verpflichtung der Beschwerdegegnerin, bei der Überbauung der Parzelle Nr. 3 eine Höhenbeschränkung von 8,5 Metern ab einem bestimmten Referenzpunkt (1819,498 m.ü.M.) einzuhalten; gemeinsame Grundbuchanmeldung durch die beiden Rechtsvertreter und gleichzeitige Grundbucheintragung der Verträge auf Aufhebung des Baurechts und auf Überlassung der zwanzig Autoabstellplätze. A.d Am 30. März 2004 unterzeichneten die Beschwerdeführer und die Beschwerdegegnerin einen Vertrag auf Aufhebung des Baurechts, wobei die Beschwerdegegnerin durch die kollektiv zeichnungsberechtigten Angehörigen des Verwaltungsrates H. (Präsident) und I. (Mitglied) vertreten wurde. Die Parteien hielten in der öffentlichen Urkunde fest, dass sich die Beschwerdeführer bereits im Vorvertrag vom 20. Juni 2003 zur Aufhebung des auf der Parzelle Nr. 3 lastenden Baurechts verpflichtet hätten, und zwar Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums an zwanzig im Rahmen der geplanten Überbauung der Parzelle Nr. 3 erst noch zu errichtenden Autoabstellplätzen. Nach den weiteren Ausführungen im Vertrag vom 30. März 2004 war zu diesem Zeitpunkt an der Parzelle Nr. 3 noch kein Stockwerkeigentum begründet worden, weshalb die Beschwerdegegnerin vorerst nicht in der Lage war, die genannte und von ihr ausdrücklich als eigene Verpflichtung anerkannte Eigentumsverschaffung zu erfüllen. Um den Baubeginn nicht zu verzögern, erklärten sich die Beschwerdeführer gegen Einräumung finanzieller Sicherheiten trotzdem damit einverstanden, dass das Baurecht bereits auf den 1. April 2004 aufgehoben und die Baurechtsparzelle Nr. 2 im Grundbuch gelöscht werde. A.e Die Dachoberkante des in der Folge auf der Parzelle Nr. 3 errichteten Wohn- und Geschäftshauses samt Tiefgarage liegt gerade noch innerhalb der im Vorvertrag vom 20. Juni 2003 festgelegten Bauobergrenze von 1827,998 m.ü.M., drei Aufbauten, die offenbar Liftmotoren und Kamine enthalten, hingegen nicht mehr. B. B.a Am 31. Oktober 2006 erhoben die Beschwerdeführer beim Bezirksgericht Maloja Klage mit folgenden Begehren: Erstens sei die beklagte X. AG unter Strafandrohung zu verpflichten, die BGE 135 III 212 S. 215 Dachaufbauten auf dem Gebäude der Parzelle Nr. 3 innert angemessener Frist zu beseitigen, soweit sie die vereinbarte Höherbaubeschränkung verletzen; zweitens sei das Grundbuchamt G. anzuweisen, die Höherbaubeschränkung zulasten des Grundstücks Parzelle Nr. 3 und zugunsten der Parzelle Nr. 1 als Grunddienstbarkeit im Grundbuch einzutragen; drittens sei die Beklagte eventualiter zu verpflichten, Schadenersatz von Fr. 300'000.-, evtl. nach richterlichem Ermessen, zuzüglich Zins zu bezahlen. In ihrer Prozessantwort schloss die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Klage. Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zogen die Beschwerdeführer ihr Begehren auf Eintragung einer Grunddienstbarkeit vorbehaltlos zurück. B.b Mit Urteil vom 3. Juli 2007 hiess das Bezirksgericht Maloja die Klage gut und verurteilte die Beschwerdegegnerin, die Dachaufbauten zu beseitigen. Dagegen erhob die Beschwerdegegnerin Berufung beim Kantonsgericht von Graubünden mit dem Begehren, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. B.c Mit Urteil vom 12. Februar 2008 hiess das Kantonsgericht die Berufung unter Abweisung des Beseitigungsbegehrens teilweise gut und wies die Sache zur Behandlung des eventualiter gestellten Schadenersatzbegehrens sowie zur Neubeurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurück. Das Kantonsgericht kam zum Schluss, dass die Beschwerdegegnerin zwar die Höherbaubeschränkung verletzt habe, weshalb das Beseitigungsbegehren an sich gutzuheissen wäre. Da aber die Liegenschaft Parzelle Nr. 3 zu Stockwerkeigentum aufgeteilt sei, die Dachaufbauten dem gemeinschaftlichen Bereich zuzuordnen und daher nicht der Ausscheidung zu Sonderrecht zugänglich seien, könne die Beschwerdegegnerin die Beseitigung nicht von sich aus an die Hand nehmen; die nötigen Mehrheiten dafür werde sie bei den übrigen Stockwerkeigentümern nicht finden. Die Beseitigungsleistung erweise sich daher als unmöglich, weshalb das Hauptbegehren abgewiesen werden müsse. Da die Vorinstanz sich noch nicht mit dem eventualiter gestellten Schadenersatzbegehren habe befassen müssen, sei die Streitsache zur Beurteilung dieses Begehrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 1. September 2008 beantragen die Beschwerdeführer dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden aufzuheben und die Beschwerdegegnerin unter Strafandrohung zu verurteilen, die bereits BGE 135 III 212 S. 216 errichteten Dachaufbauten auf dem Gebäude der Parzelle Nr. 3 (Grundbuch F.) innert angemessener und richterlich anzusetzender Frist zu entfernen, soweit sie die vereinbarte privatrechtliche Baubeschränkung (Höhenbeschränkung auf 1827,998 m.ü.M.) verletzen. D. Die Beschwerdegegnerin und das Kantonsgericht schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung der Beschwerde, sofern auf sie einzutreten sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
1,469
1,046
Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist ( Art. 29 Abs. 1 BGG ; BGE 134 III 520 E. 1 S. 521; BGE 133 III 462 E. 2 S. 465; je mit Hinweisen). 1.1 Gegenstand des Verfahrens bildet eine Zivilsache ( Art. 72 Abs. 1 BGG ). Die Rechtsbegehren der Beschwerdeführer sind im kantonalen Verfahren nicht vollständig geschützt worden ( Art. 76 Abs. 1 BGG ), das Vermögensinteresse bezüglich des vorliegend verlangten Abbaus der Dachaufbauten erreicht offensichtlich den massgebenden Streitwert von Fr. 30'000.- (Art. 51 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ). Die Beschwerdefrist ist eingehalten ( Art. 100 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG ). Zu prüfen bleibt, ob der angefochtene Entscheid ein beschwerdefähiges Anfechtungsobjekt bildet. 1.2 Die Beschwerde ist in der Regel erst gegen Endentscheide der oberen kantonalen Gerichte zulässig ( Art. 90 BGG ). Gemeint sind Entscheide, die den Prozess beenden ( BGE 133 III 393 E. 4 S. 395). Vorliegend hat das Kantonsgericht nur über das Hauptbegehren entschieden und die Sache an die Vorinstanz zum Entscheid über das Eventualbegehren zurückgewiesen. Rückweisungsentscheide schliessen das Verfahren nicht ab und sind somit nach der Regelung des BGG keine Endentscheide ( BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127; BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f. mit Hinweisen). Es handelt sich vielmehr um Zwischenentscheide, die nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG selbständig angefochten werden können ( BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481). Der angefochtene Entscheid enthält indessen nicht nur einen Rückweisungsentscheid, sondern auch einen materiellen Entscheid über einen Teil des Streitgegenstands. Angefochten ist denn auch nur die Abweisung des Hauptbegehrens. Es BGE 135 III 212 S. 217 ist daher zu prüfen, ob das vorinstanzliche Urteil einen beschwerdefähigen Teilentscheid im Sinne von Art. 91 lit. a BGG darstellt. 1.2.1 Ein Teilentscheid ist eine Variante des Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren Rechtsbegehren (objektive oder subjektive Klagenhäufung) abschliessend befunden ( BGE 134 III 426 E 1.1 S. 428; BGE 133 V 477 E. 4.1.2 S. 480; Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege [nachfolgend: Botschaft BGG], BBl 2001 4202 ff., 4332 Ziff. 4.1.4.1). Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche Teilfragen eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren ( BGE 133 V 477 E. 4.1.2 S. 480). Ein Entscheid, der nur einen Teil der gestellten Begehren behandelt, ist jedoch nur dann ein vor Bundesgericht anfechtbarer Teilentscheid, wenn diese Begehren unabhängig von den anderen beurteilt werden können ( Art. 91 lit. a BGG ). 1.2.2 Unabhängigkeit im Sinne von Art. 91 lit. a BGG ist zum einen so zu verstehen, dass die gehäuften Begehren auch Gegenstand eines eigenen Prozesses hätten bilden können (Botschaft BGG, BBl 2001 4202 ff., 4332 Ziff. 4.1.4.1; so auch schon die Praxis unter der Herrschaft des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege [OG], statt aller BGE 131 III 667 E. 1.3 S. 669 f. mit ausführlichen Hinweisen auf die bundesgerichtliche Praxis; FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 5 zu Art. 91 BGG ). Vorliegend haben die Beschwerdeführer im Hauptbegehren einen Anspruch auf Beseitigung des vertragswidrigen Zustands und im Eventualbegehren einen Anspruch auf Schadenersatz geltend gemacht. Zwar hängen diese Ansprüche gleichermassen von der Vorfrage der Vertragsverletzung ab, sind aber auf eine andere Rechtsfolge ausgerichtet. Die Ansprüche sind somit nicht identisch, weshalb die beiden eventualgehäuften Begehren auch Gegenstand zweier separater Prozesse hätten bilden können. 1.2.3 Zum anderen erfordert die Unabhängigkeit, dass der angefochtene Entscheid einen Teil des gesamten Prozessgegenstands abschliessend beurteilt, so dass keine Gefahr besteht, dass das Schlussurteil über den verbliebenen Prozessgegenstand im Widerspruch zum bereits rechtskräftig ausgefällten Teilurteil steht (in diesem Sinne auch HANS PETER WALTER, Das Teilurteil vor Bundesgericht, in: Der Weg zum Recht, 2008, S. 248). Bei Eventualhäufungen bewirkt die prozessuale Verknüpfung der Urteile über das Haupt- und das BGE 135 III 212 S. 218 Eventualbegehren, dass kein Widerspruch zwischen dem Teil- und Schlussurteil entstehen kann, da der allenfalls separat auszufällende Entscheid über das Eventualbegehren nur dann Bestand hat, wenn die Abweisung des Hauptbegehrens in Rechtskraft erwächst. Eine selbständig eröffnete Abweisung des Hauptbegehrens ist daher grundsätzlich als anfechtungspflichtiger Teilentscheid zu betrachten (vgl. auch schon WALTHER WÜTHRICH, Teilklage und Teilurteil, 1952, S. 38; zur Obliegenheit der Anfechtung BGE 134 III 426 E. 1.1 S. 428). Der vorliegend angefochtene Entscheid ist damit ein beschwerdefähiger Teilentscheid gemäss Art. 91 lit. a BGG . (...) 3. In materiellrechtlicher Hinsicht werfen die Beschwerdeführer der Vorinstanz vor, sie habe den Begriff der nachträglichen Leistungsunmöglichkeit im Sinne des Art. 97 Abs. 1 OR verkannt. Die Erbringung der Beseitigungsleistung sei nicht unmöglich. 3.1 Kann die Erfüllung einer Forderung nach Vertragsschluss überhaupt nicht mehr bewirkt werden, liegt ein Fall nachträglicher Unmöglichkeit vor. Dabei ist zwischen objektiver und subjektiver Unmöglichkeit zu unterscheiden. Erstere ist gegeben, wenn niemand mehr in der Lage ist, die Forderung zu erfüllen; Letztere, wenn die Erfüllung zwar an sich möglich, aber der Schuldner dazu ausserstande ist. Die Leistung ist namentlich dann subjektiv unmöglich, wenn nach Treu und Glauben im Verkehr dem Schuldner die weitere Erfüllung nicht mehr zumutbar ist ( BGE 82 II 332 E. 5 S. 338). Dabei genügt jedoch nicht, dass die Leistung bloss erheblich erschwert ist; das Leistungshindernis muss sich für den Schuldner vielmehr als geradezu unüberwindbar herausstellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann das Leistungshindernis in der nachträglich weggefallenen Verfügungsmacht des Schuldners über den Leistungsgegenstand bestehen ( BGE 84 II 6 E. 1 S. 10). Dabei ist einschränkend zu präzisieren, dass das Leistungshindernis für den Schuldner erst dann unüberwindbar wird, wenn dieser überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, die Verfügungsmacht zurückzuerlangen oder die zur Leistungserfüllung notwendigen Zustimmungen der Verfügungsberechtigten einzuholen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung und Lehre zu mit Art. 97 OR vergleichbaren Regeln in Nachbarrechtsordnungen (Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs vom 26. März 1999, in: NJW 1999 S. 2034 ff.; WOLFGANG ERNST, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, 5. Aufl. München 2007, N. 53 zu § 275 BGB; STAUDINGER/LÖWISCH, BGE 135 III 212 S. 219 Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Stand: Januar 2004, N. 61 zu § 275 BGB; für das italienische Recht DANIELA MEMMO, in: Commentario breve al Codice civile, Galgano [Hrsg.], Piacenza 2006, N. 6 zu Art. 1218 CCit, wonach subjektive Unmöglichkeit erst dann vorliegt, wenn das Leistungshindernis vom Schuldner überhaupt nicht mehr beseitigt werden kann; für das österreichische Recht RUDOLF REISCHAUER, in: Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, Rummel [Hrsg.], Bd. I, 2. Aufl., Wien 1990, N. 10 zu § 920 ABGB). 3.2 Vorliegend ist nicht bestritten, dass die Dachaufbauten, deren Beseitigung die Beschwerdeführer verlangen, gemeinschaftliche Bauteile der im Stockwerkeigentum stehenden Liegenschaft sind. Ein Stockwerkeigentümer ist zwar in der baulichen Ausgestaltung seiner eigenen, d.h. zu Sonderrecht ausgeschiedenen Räume frei, darf jedoch keine gemeinschaftlichen Bauteile, Anlagen und Einrichtungen beschädigen oder in ihrer Funktion und äusseren Erscheinung beeinträchtigen ( Art. 712a Abs. 2 ZGB ). Bei dieser Unterlassungspflicht handelt es sich um eine unmittelbare gesetzliche Eigentumsbeschränkung (MEIER-HAYOZ/REY, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1988, N. 72 zu Art. 712a ZGB ). Befugnisse des Stockwerkeigentümers zu eigenmächtigen Umbauarbeiten an gemeinschaftlichen Teilen gibt es auch dann nicht, wenn damit keine Beschädigungen oder Beeinträchtigungen verbunden wären. Dies wäre mit der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung in Bezug auf die gemeinschaftlichen Teile betreffenden Verwaltungshandlungen und baulichen Massnahmen nicht vereinbar ( Art. 712a Abs. 2 ZGB ). Diesbezüglich wird in Art. 712g Abs. 1 ZGB auf die Bestimmungen über das Miteigentum ( Art. 647a-e ZGB ) verwiesen. Demnach bedürfen notwendige bauliche Massnahmen, d.h. solche, die für die Erhaltung des Wertes und der Sache nötig sind, der Zustimmung der Mehrheit aller Miteigentümer, soweit sie nicht als gewöhnliche Verwaltungshandlungen von jedem Einzelnen vorgenommen werden dürfen ( Art. 647c ZGB ). Nützliche bauliche Massnahmen bedürfen dagegen der Zustimmung der Mehrheit aller Miteigentümer, die zugleich den grösseren Teil der Sache vertritt ( Art. 647d Abs. 1 ZGB ), und der Verschönerung und Bequemlichkeit dienende Massnahmen ebenfalls der Zustimmung aller Miteigentümer ( Art. 647e Abs. 1 ZGB ). Aus Sicht der Stockwerkeigentümerschaft erscheint der Abbau der Dachaufbauten nicht notwendig im Sinne von Art. 647c ZGB , weshalb die Beschwerdegegnerin die Beseitigung nicht gestützt auf BGE 135 III 212 S. 220 Art. 647 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB verlangen kann. In welche der anderen Kategorien baulicher Massnahmen der Abbau der Dachaufbauten einzustufen wäre, ist vorliegend unerheblich, da die Beschwerdegegnerin stets mindestens die Zustimmung einer Mehrheit aller Stockwerkeigentümer bräuchte. Diese könnte nur dann erzwungen werden, wenn die schuldrechtliche Höherbaubeschränkung auch die anderen Stockwerkeigentümer binden würde. Das scheitert indessen daran, dass eine obligatorische Unterlassungspflicht nur relative Wirkung entfaltet und weder aus den Feststellungen der Vorinstanz ersichtlich ist noch von den Parteien jemals behauptet wurde, dass diese auch den anderen Stockwerkeigentümern vertraglich überbunden worden wäre. Fest steht zudem, dass die vertragliche Höherbaubeschränkung nicht in eine (absolut wirkende) Grunddienstbarkeit überführt wurde. Die Beschwerdegegnerin griffe also in dingliche Rechtspositionen der anderen Stockwerkeigentümer ein, wenn sie die Dachaufbauten eigenmächtig abbauen liesse. Sie würde sich dabei nicht nur privatrechtlich, sondern auch strafrechtlich verantwortlich machen. 3.3 Daraus ergibt sich, dass die nötige Zustimmung der anderen Stockwerkeigentümer rechtlich nicht erzwungen werden kann. Da sie gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz auch tatsächlich nicht eingeholt werden kann, steht der Beschwerdegegnerin ein unüberwindbares Leistungshindernis entgegen. Die Vorinstanz hat Art. 97 OR nicht verletzt, wenn sie von subjektiver Unmöglichkeit der Beseitigungsleistung ausgegangen ist.
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de
Sachverhalt ab Seite 661 BGE 130 III 661 S. 661 A. Am 7. November 2003 erwirkte Z. beim Arrestrichter am Kantonsgerichtspräsidium Zug einen Arrestbefehl gegen Y. (Schuldner) für die Forderungssumme von Fr. 3'292'005.50 nebst Zins. Arrestiert wurde eine Forderung des Schuldners gegen die X. AG in Liquidation. Daraufhin leitete Z. zur Arrestprosequierung die Betreibung gegen Y. ein. In dieser Betreibung pfändete das Betreibungsamt Baar gemäss Pfändungsurkunde vom 2. Februar 2004 die oben erwähnte, arrestierte Forderung. Y., der bei der Pfändung nicht anwesend war und sich in einer Justizvollzugsanstalt in Deutschland befindet, wurde die Pfändungsurkunde am 11. März 2004 übergeben. Gleichentags wurde dem Schuldner auch die Pfändungsankündigung ausgehändigt, welche bereits am 27. Januar 2004 ausgestellt worden war. Am 12., 20. und 24. Februar 2004 erwirkten W. und Mitbeteiligte beim Arrestrichter am Kantonsgerichtspräsidium Zug ebenfalls Arrestbefehle gegen Y. für eine Forderungssumme von insgesamt Fr. 250'132.15 nebst Zins. Arrestiert wurden "sämtliche Vermögensgegenstände" von Y. bei der X. AG in Liquidation. B. Am 23. Februar 2004 erhoben W. und Mitbeteiligte Beschwerde bei der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie beantragten die Aufhebung der Pfändungsankündigung sowie der BGE 130 III 661 S. 662 Pfändung vom 2. Februar 2004. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, da die Pfändungsankündigung dem Schuldner verspätet zugestellt worden sei, erweise sich die Pfändung als ungültig und müsse wiederholt werden. In ihrem Urteil vom 1. Juli 2004 erwog die Aufsichtsbehörde, eine Pfändung, die nicht oder nicht rechtzeitig angekündigt worden sei, sei anfechtbar und nicht nichtig. Erhebe der Schuldner dagegen keine Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - werde der Mangel geheilt. Ohnehin gehe es W. und Mitbeteiligte in Wahrheit nicht darum, dass die Pfändung dem Schuldner nicht ordnungsgemäss angekündigt worden sei. Vielmehr würden sie die Aufhebung der Pfändung deswegen beantragen, um an einer erneut vorzunehmenden Pfändung gestützt auf Art. 281 Abs. 1 SchKG provisorisch teilnehmen zu können. Die Aufhebung der Pfändung werde somit zur Durchsetzung verfahrensfremder Ziele verlangt, was keinen Rechtsschutz verdiene. Trotz dieser Ausführungen hiess die Aufsichtsbehörde die Beschwerde im Ergebnis teilweise gut und korrigierte die Pfändungsurkunde. Zur Begründung führte sie aus, die Pfändung sei beim abwesenden und nicht vertretenen Schuldner erst vollzogen, wenn diesem die Pfändungsurkunde zugestellt worden sei. Die Zustellung sei erst am 11. März 2004 erfolgt, so dass die provisorische Teilnahme von W. und Mitbeteiligte an der Pfändung von Rechts wegen stattfinde. C. Gegen dieses Urteil gelangt Z. mit Beschwerde vom 14. Juli 2004 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Akteneinreichung auf Gegenbemerkungen ( Art. 80 Abs. 1 OG ) verzichtet und beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die Pfändung in der durch den Beschwerdeführer eingeleiteten Betreibung vollzogen worden ist, bevor die Beschwerdegegner die gleichen Vermögenswerte mit Arrest belegt haben oder erst danach. Erfolgt die Pfändung nach der Arrestlegung, nimmt der Arrestgläubiger gemäss Art. 281 Abs. 1 SchKG provisorisch an dieser teil. Findet die Pfändung indes vor der Arrestlegung statt, ist Art. 281 Abs. 1 BGE 130 III 661 S. 663 SchKG nicht anwendbar und der Arrestgläubiger kann nur dann an der Pfändung teilnehmen, wenn er innert der Frist von Art. 110 SchKG das Fortsetzungsbegehren stellt ( BGE 101 III 78 E. 2 S. 81; BGE 110 III 27 E. 1a S. 29; BGE 116 III 111 E. 4a S. 117). 1.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Aufsichtsbehörde habe zu Unrecht angenommen, der Vollzug der Pfändung sei erst am Tag erfolgt, an welchem der Schuldner die Pfändungsurkunde zugestellt erhalten habe. Im Rahmen der SchKG-Revision sei vor Art. 96 SchKG der Randtitel "B. Wirkungen der Pfändung" eingefügt worden, so dass der Artikel nicht mehr zu den Bestimmungen über den Pfändungsvollzug gehöre. Die in dieser Norm enthaltene Erklärung sei nicht mehr als konstitutives Element der Pfändung zu betrachten. Der Pfändungsvollzug sei daher bereits am 2. Februar 2004 erfolgt und die Beschwerdegegner seien zum provisorischen Anschluss an die Pfändung nicht befugt. 1.2 In Zusammenhang mit der Anschlusspfändung nach Art. 110 SchKG hat das Bundesgericht festgehalten, die Anschlussfrist beginne erst dann zu laufen, wenn die Pfändung tatsächlich vollzogen worden sei, der Pfändungsakt als Ganzes also abgeschlossen sei ( BGE 101 III 86 E. 2 S. 92; BGE 106 III 111 E. 2 S. 113). Dieser Grundsatz ist auch anwendbar, um über die zeitliche Reihenfolge von Arrest und Pfändung nach Art. 281 Abs. 1 SchKG zu entscheiden (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, 1993, § 62 N. 3). Die in Art. 96 Abs. 1 SchKG vorgesehene Erklärung des Betreibungsbeamten an den Schuldner, dass dieser bei Straffolge nicht über die gepfändeten Vermögensstücke verfügen darf, ist wesentliches Element der Pfändung. Solange der Betreibungsschuldner nicht ausdrücklich auf die gesetzliche Unterlassungspflicht hingewiesen worden ist, entfaltet die Pfändung keine Wirkung und ist auch nicht rechtsgültig vollzogen ( BGE 110 III 57 E. 2 S. 59; BGE 112 III 14 E. 3 S. 15; BGE 115 III 41 E. 1 S. 43). Ist der Schuldner bei der Pfändung weder anwesend noch vertreten, ist die Pfändung nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre erst dann vollzogen, wenn ihm die Pfändungsurkunde zugestellt worden ist ( BGE 112 III 14 E. 5a S. 16; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 2003, § 22 N. 53 u. 78; ANDRÉ E. LEBRECHT, Basler Kommentar, N. 13 zu Art. 89 SchKG ; BÉNÉDICT FOËX, Basler Kommentar, N. 16 zu Art. 96 SchKG ; INGRID JENT-SØRENSEN, Basler BGE 130 III 661 S. 664 Kommentar, N. 17 zu Art. 112 SchKG ; JAEGER/WALDER/KULL/ Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 11 zu Art. 89 SchKG ). Die SchKG-Revision vom 16. Dezember 1994 (in Kraft seit 1. Januar 1997) hat an diesen Grundsätzen nichts geändert. Aus den Materialien (BBl 1991 III 84; AB 1993 N S. 30; AB 1993 S S. 648) ergeben sich keine Hinweise, dass der Gesetzgeber durch das Einfügen der neuen Randtitel vor Art. 96 SchKG sowie vor Art. 89 SchKG die Pfändungserklärung nicht (mehr) als wesentliches Element des Pfändungsvollzuges verstanden wissen wollte. Auch BÉNÉDICT FOËX (a.a.O., N. 16 ff. zu Art. 96 SchKG ), welcher sich mit dieser Problematik auseinander setzt, gelangt zur Schlussfolgerung, dass die Erklärung nach Art. 96 Abs. 1 SchKG wie bis anhin ein konstitutives Element sei. Das Bundesgericht hat im Übrigen seine Rechtsprechung bereits im Jahr 2001 in einem nicht publizierten Urteil ausdrücklich bestätigt (Urteil des Bundesgerichts 7B.186/2001 vom 8. Oktober 2001, E. 3c). 1.3 Nicht gefolgt werden kann weiter der Ansicht des Beschwerdeführers, da vorliegend dem Schuldner durch die (erste) Arrestlegung vom 7. November 2003 die Verfügungsmacht über die arrestierte Forderung bereits entzogen worden sei, sei nicht einzusehen, warum in der anschliessenden Pfändung derselben Forderung nochmals zwingend die Erklärung nach Art. 96 Abs. 1 SchKG ausgesprochen werden müsse. Eine Arrestlegung hat hinsichtlich der Verfügungsbeschränkung des Schuldners zwar die gleichen Wirkungen wie eine Pfändung (Art. 96 i.V.m. Art. 275 SchKG ; BGE 113 III 34 E. 1a S. 36), trotzdem ist der Arrest keine Pfändung. Der Arrest ist im Gegensatz zur Pfändung keine Vollstreckungshandlung, sondern nur eine vorsorgliche Massnahme, welche den Schuldner daran hindern soll, über sein Vermögen zu verfügen und es einer künftigen Vollstreckung seines Gläubigers zu entziehen ( BGE 115 III 28 E. 4b S. 35; BGE 116 III 111 E. 3 S. 115 f.; BGE 120 III 159 E. 3a S. 160). Erfolgt in der Prosequierungsbetreibung die Pfändung, fällt der Arrest dahin und wird durch den Pfändungsbeschlag ersetzt. Daraus ergibt sich, dass durch die Pfändung nicht einfach der durch den Arrest erfolgte Beschlag fortgeführt wird, sondern eine neue Beschlagnahme erfolgt, deren Wirkungen dem Schuldner in Anwendung von Art. 96 Abs. 1 SchKG (neu) mitgeteilt werden müssen. BGE 130 III 661 S. 665 1.4 Damit ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Pfändung in der vom Beschwerdeführer eingeleiteten Betreibung erst in dem Zeitpunkt rechtsgültig vollzogen worden ist, in welchem der Schuldner die Pfändungsurkunde zugestellt erhalten hat, also am 11. März 2004. Sie ist damit nach der Arrestlegung durch die Beschwerdegegner erfolgt, so dass diese an der Pfändung nach Art. 281 Abs. 1 SchKG provisorisch teilnehmen.
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Erwägungen ab Seite 470 BGE 128 III 470 S. 470 Aus den Erwägungen: 1. In der von B. für eine Forderung von Fr. 493'486.- eingeleiteten Betreibung Nr. ... stellte das Betreibungsamt Z. am 27. April 2002 A. die Konkursandrohung zu. A. erhob am 7. Mai 2002 bei der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern Beschwerde und verlangte, die Konkursandrohung aufzuheben. Zur Begründung brachte sie vor, die darin vermerkte Anschrift des Gläubigers entspreche nicht dessen aktueller Wohnadresse; ein von ihr dorthin gesandtes Schreiben BGE 128 III 470 S. 471 sei mit dem Vermerk "moved left no address" an sie zurückgeleitet worden. In seiner Vernehmlassung vom 28. Mai 2002 an die kantonale Aufsichtsbehörde erklärte B., seine aktuelle Adresse laute: "Y.". Unter Hinweis auf diese Angabe erkannte die kantonale Aufsichtsbehörde am 13. Juni 2002, dass die Beschwerde als gegenstandslos abgeschrieben werde. Den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde nahm A. am 22. Juni 2002 in Empfang. Mit einer vom 1. Juli 2002 datierten und noch am gleichen Tag zur Post gebrachten Eingabe führt sie (rechtzeitig) Beschwerde an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie erneuert den im kantonalen Verfahren gestellten Antrag. (...) 4. Die vom Betreibungsamt nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens zu erlassende Konkursandrohung muss unter anderem die Angaben des Betreibungsbegehrens enthalten ( Art. 160 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG ). Auch die Konkursandrohung hat somit über die Person des Betreibungsgläubigers Auskunft zu geben (vgl. Art. 67 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG ). 4.1 Der (indirekte) Hinweis auf die Bestimmungen zum Betreibungsbegehren hat nicht zur Folge, dass für das Betreibungsamt die Ausgangslage beim Abfassen der Konkursandrohung die gleiche wäre wie bei der Ausstellung des Zahlungsbefehls. So steht es dem Schuldner, der gegen den auf lückenhaften Angaben des Betreibungsbegehrens beruhenden Zahlungsbefehl seinerzeit nicht Beschwerde geführt hat, nicht zu, die Konkursandrohung unter Berufung auf diese Lückenhaftigkeit anzufechten (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., N. 2 zu Art. 160 SchKG ; vgl. auch BGE 79 III 58 E. 2 S. 62 f.). Soweit die Beschwerdeführerin sollte geltend machen wollen, es sei schon im Zahlungsbefehl nicht die wirkliche Adresse von B. vermerkt worden, hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde von vornherein nicht einzutreten gehabt. Es ist zu bedenken, dass der Frage der Identität des Gläubigers im Zeitpunkt der Ausstellung der Konkursandrohung nicht mehr das gleiche Gewicht zukommt wie bei der Einleitung der Betreibung. Das gilt besonders dort, wo der Betriebene - wie hier die Beschwerdeführerin - Recht vorgeschlagen hat und der Gläubiger somit in einem richterlichen Verfahren die Rechtsöffnung hat erwirken müssen. Nach rechtskräftiger Abweisung der Aberkennungsklage ist zudem die Frage der Wahl des Gerichtsstandes für BGE 128 III 470 S. 472 betreibungsrechtliche Klagen, die mit der Angabe des wirklichen Wohnorts des Gläubigers im Zahlungsbefehl gewährleistet sein soll (dazu BGE 47 III 121 E. 1 S. 123), gegenstandslos. Es trifft sodann zu, dass das Bundesgericht verschiedentlich erklärt hat, dem betriebenen Schuldner müsse auch ermöglicht werden, die Zahlung statt an das Betreibungsamt direkt an den Gläubiger zu leisten ( BGE 87 III 54 E. 3 S. 59; BGE 47 III 121 E. 1 S. 123). Wo der Gläubiger eine Drittperson mit der Einleitung der Betreibung und deren Fortsetzung betraut hat, ist dem Interesse an einer allfälligen Tilgung der Forderung ausserhalb des Vollstreckungsverfahrens indessen hinreichend Genüge getan, wenn der Schuldner die Möglichkeit hat, die Zahlung über die bevollmächtigte Person vorzunehmen. 4.2 Mithin ist festzuhalten, dass das Betreibungsamt vor der Ausstellung der Konkursandrohung nicht abzuklären hat, ob die Angaben zum Wohnort des Betreibungsgläubigers (noch) zutreffen, und dass die Nichtberücksichtigung einer allfälligen Änderung nicht zur Aufhebung der Konkursandrohung führen kann. Dass hier Umstände vorgelegen hätten, aus denen sich die offensichtliche Unrichtigkeit der in Frage stehenden Adresse ergeben hätte und die das Betreibungsamt hätten veranlassen sollen, den Vermerk in der Konkursandrohung zu aktualisieren, macht die Beschwerdeführerin selbst nicht geltend. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Betreibungsamt als Wohnort von B. das eingesetzt hat, was sowohl im Zahlungsbefehl als auch im Fortsetzungsbegehren angeführt worden war. Die gleiche Adresse fand sich übrigens auch im Rubrum des dem Fortsetzungsbegehren zugrunde liegenden Entscheids vom 15. März 2002, worin der Appellationshof (1. Zivilkammer) des Kantons Bern vom Rückzug der Appellation der Beschwerdeführerin gegen das zu ihren Ungunsten ausgefallene Aberkennungsurteil des Gerichtspräsidenten des Gerichtskreises X. vom 20. Dezember 2000 Vormerk nahm. 5. Die kantonale Aufsichtsbehörde hätte nach dem Gesagten die bei ihr eingereichte Beschwerde ohne Weiterungen abweisen sollen. Dass sie dem Antrag der Beschwerdeführerin, die Konkursandrohung aufzuheben, nicht stattgegeben hat, verstösst im Ergebnis somit nicht gegen Bundesrecht. Die vorliegende Beschwerde ist deshalb abzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 249 BGE 96 I 248 S. 249 A.- Die Sektkellerei Carstens KG in Neustadt, Bundesrepublik Deutschland, hinterlegte am 5. November 1968 beim Internationalen Büro zum Schutz des gewerblichen Eigentums die Wortmarke "DOMINANT", Nr. 350955, für "nichtalkoholische Getränke, Weine, Schaumweine und Wein enthaltende Getränke". Am 16. September 1969 verfügte das Eidg. Amt für geistiges Eigentum, dieser Marke werde für das Gebiet der Schweiz der Schutz verweigert, weil sie eine bloss beschreibende Angabe ohne Unterscheidungskraft sei. B.- Die Hinterlegerin beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 17. September 1969, diese Verfügung aufzuheben und die Marke "DOMINANT" in der Schweiz zu schützen. Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz sind dem Madrider Abkommen betreffend die internationale Registrierung der Fabrik- oder Handelsmarken (MMA) in der am 15. Juni 1957 in Nizza revidierten Fassung beigetreten. Art. 5 Abs. 1 MMA erlaubt den auf das Abkommen verpflichteten Ländern, einer international eingetragenen Marke den Schutz unter den gleichen Voraussetzungen zu verweigern, unter denen sie ihn nach der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVUe) einer zur nationalen Eintragung hinterlegten Marke versagen dürfen. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz ist die am 31. Oktober 1958 in Lissabon vereinbarte Fassung der PVUe massgebend. Sie umschreibt in Art. 6 quinquies, lit. B, die Voraussetzungen, unter denen ein Land die Eintragung von Fabrik- oder Handelsmarken verweigern darf. Diese Bestimmung lässt in Ziffer 2 die Verweigerung unter anderem zu, "wenn die Marken jeder Unterscheidungskraft entbehren oder ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben zusammengesetzt sind, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, des Ursprungsortes der Erzeugnisse oder der Zeit der Erzeugung dienen können, oder die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten des Landes, in dem der Schutz beansprucht wird, üblich sind". Im übrigen hängt die Eintragungsfähigkeit von BGE 96 I 248 S. 250 den Gesetzen dieses Landes ab ( Art. 6 Abs. 1 PVUe ). Ein Verbandsland kann eine Marke also auch dann schützen, wenn es ihr nach der PVUe den Schutz verweigern dürfte. Nach schweizerischem Recht darf eine Marke unter anderem dann nicht eingetragen werden, wenn sie als wesentlichen Bestandteil ein als Gemeingut anzusehendes Zeichen enthält oder wenn sie gegen bundesgesetzliche Vorschriften oder gegen die guten Sitten verstösst ( Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG ). Als Gemeingut gelten nach ständiger Rechtsprechung unter anderem Hinweise auf Eigenschaften oder Beschaffenheit der Erzeugnisse, für welche die Marke bestimmt ist ( BGE 94 I 76 , BGE 91 I 357 Erw. 3 und dort erwähnte Entscheide). 2. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Bezeichnung "DOMINANT" sei im Zusammenhang mit alkoholfreien und alkoholischen Getränken weder gebräuchlich noch weise sie auf die Beschaffenheit der benannten Erzeugnisse hin. Das Wort "DOMINANT" entstammt der französischen Sprache und ist sinnverwandt mit den Wörtern "primordial", "important", "premier", "prépondérant", "principal" (vgl. ROBERT, Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française, Bd. II 1963, S. 1360; GRAND LAROUSSE, Bd. IV, 1961, S. 173). Es ist somit keine Beschaffenheitsangabe allgemeinster Art wie die Bezeichnungen "unique" ( BGE 70 II 253 ), "extra" ( BGE 27 II 617 ), "prima", "fein", "gut" (BGE 21 S. 1057), sondern enthält einen werbemässigen Qualitätshinweis, der für das kaufende Publikum klar erkennbar ist. Das Bundesgericht lehnte im EntscheidBGE 31 II 745die Schutzfähigkeit der Marke "Record" ab, weil sie durch den Gebrauch in eine Sachbezeichnung umgewandelt worden sei; sie weise nicht ausschliesslich auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Betrieb, sondern auf ihre Beschaffenheit hin, weshalb sie als Gemeingut angesehen werden müsse. Ist aber der Marke "Record" der Schutz zu verweigern, so ist nicht zu ersehen, weshalb für das Zeichen "DOMINANT" etwas anderes gelten sollte. Es besteht kein Grund, eine vergleichende Beschaffenheitsangabe markenrechtlich anders zu behandeln als eine gewöhnliche Sachbezeichnung. Das von der Beschwerdeführerin als Marke beanspruchte Wort ist für den Gemeingebrauch in der Werbung freizuhalten.
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Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
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Sachverhalt ab Seite 43 BGE 91 IV 43 S. 43 A.- Knecht übernahm im Jahre 1960 käuflich eine Teppichwäscherei. Die Abwasser dieses Unternehmens flossen seit dessen Bestehen vorerst in einen Weiher, der als Absatzbecken diente, und von dort in den Mühlebach, der weiter unten in die Goldach mündet. Anfangs Januar 1963 wurde der Weiher, der sich auf einem als Bauland weiterverkauften Nachbargrundstück befand, ausgefüllt, so dass die Abwasser von da an unmittelbar in das öffentliche Gewässer flossen. Anderseits wurde der Umsatz im Wäschereibetrieb um ungefähr einen Drittel verstärkt. Am 22. November 1962 reichte Knecht zur Erweiterung seines Fabrikbetriebs ein Baugesuch ein. Im Zusammenhang damit liess er durch die Eidgenössische Anstalt für Wasserbau, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) in Zürich das Abwasser untersuchen. Dabei wurde festgestellt, dass dessen Schmutzstoffmenge derjenigen von 350 bis 550 Einwohnern entspreche. Am 6. März 1963 teilte der Kantonsingenieur BGE 91 IV 43 S. 44 als Obmann der kantonalen Fachstelle für Gewässerschutz Knecht die Bedingungen mit, die der kantonalen Gewässerschutzkommission für die Erteilung der Baubewilligung beantragt werden. Es wurde ihm dabei im einzelnen dargelegt, welchen Anforderungen die Abwasserableitung genügen müsse. Unter Wiederholung und Verdeutlichung dieser Bedingungen erteilte die Kantonale Gewässerschutzkommission Knecht am 12. Juni 1963 die Bewilligung zur Einleitung seiner Betriebsabwasser in den Mühlebach. Gleichzeitig wurde ihm Frist bis 30. Juni 1964 angesetzt, innert welcher diese Bedingungen erfüllt sein müssten. Gestützt darauf erhielt er am 12. Juli 1963 auch die nachgesuchte Baubewilligung. Knecht beauftragte in der Folge ein Baugeschäft mit der Planung eines Absatzbeckens unter dem neuen Betriebsgebäude. Die Verwirklichung des ausgearbeiteten Planes blieb jedoch aus. Unterdessen liess Knecht die Abwasser seines Wäschereibetriebes wie bis anhin unüberwacht und ungeklärt in die öffentlichen Gewässer abfliessen. Seit der Auffüllung des frühern, offenen Absatzbeckens, vor allem aber im November 1963 wurde im Mühlebach eine auffallend starke Zunahme der Verschmutzung festgestellt, die sich in Schaumbergen, einer grauen, trüben Wasserfärbung und einem starken Chlorgeruch offenbarte. In der Zeit vom 11. bis 14. November 1963 wurden in der Goldach unterhalb der Einmündung des Mühlebachs insgesamt 86 tote Forellen gefunden. Die toten wie auch ein Teil der noch lebenden Fische wiesen einen weiss-grauen Pilzbelag (Saprolagnia) auf, der sich infolge Abwassereinwirkungen bei den dadurch verursachten Hautverletzungen bildete und die Fischkörper vergiftete oder zu vergiften drohte. Auf Grund verschiedener Wasserproben wurde diese Verschmutzung auf die Abwasser des Wäschereibetriebes Knechts zurückgeführt. B.- Mit Urteil vom 9. April 1964 erklärte das Bezirksgericht Mittelland Knecht der vorsätzlichen fortgesetzten Widerhandlung gegen Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG) schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldbusse von Fr. 5'000.--. Auf Berufung des Verurteilten hin setzte das Obergericht von Appenzell A. Rh., 1. Abteilung, am 30. Juli 1964 die Busse auf Fr. 2'000.-- herab unter Gewährung der bedingten vorzeitigen Löschung gemäss Art. 49 Ziff. 4 StGB , mit einer Probezeit von einem Jahr. BGE 91 IV 43 S. 45 C.- Gegen dieses Urteil führt Knecht die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn von Schuld und Strafe freizusprechen, allenfalls die Sache an die Vorinstanz zur Freisprechung zurückzuweisen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Nach Art. 3 Abs. 3 GSchG sind bei bestehenden Ableitungen die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um Gewässerverunreinigungen zu beheben. Zu Unrecht glaubt der Beschwerdeführer, dies habe erst auf behördliche Weisung hin zu geschehen. Wohl ist im nämlichen Gesetzesabsatz gesagt, die Kantone seien "ermächtigt, die Durchführung dieser Massnahmen schrittweise anzuordnen und angemessene Fristen anzusetzen". Diese Ermächtigung befreit den Betriebsinhaber jedoch nicht von der Verpflichtung, bereits von sich aus das ihm Zumutbare gegen eine weitere Gewässerverschmutzung vorzukehren. Diesem Gebot ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. 3. Was den Umfang der Verschmutzung anbelangt, so steht fest, dass diese seit der Betriebsübernahme durch den Beschwerdeführer nicht nur gleich geblieben ist, sondern zugenommen hat. Ursache hiefür bildeten offensichtlich die stärkere Betriebsausnutzung einerseits und der Ausfall des Weihers als Klärbecken anderseits. Beide Umstände waren dem Beschwerdeführer bekannt. Dass er gemäss seinem Einwand die Ausfüllung jenes benachbarten Weihers nicht verhindern konnte, vermag ihn nicht zu entlasten. Es lag an ihm, für diesen Ausfall eine entsprechende Ersatzlösung zu treffen. Hinzu kam im Winter 1963/64 ein allgemeiner Wassermangel, durch den die Gewässerverschmutzung eine Verdichtung erfuhr. Auch mit einem derartigen Umstand war zu rechnen. Unwesentlich ist die Einwendung, die im November 1963 festgestellten Verhältnisse, namentlich das Eingehen einer Anzahl Fische seien nicht allein durch diese Fabrikabwasser verursacht worden. Für die Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers genügt die verbindliche Feststellung der Vorinstanz, dass die Abwasser seines Betriebes mit zu jenen Erscheinungen und Schädigungen beigetragen haben. 4. Die Notwendigkeit von Massnahmen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GSchG konnte der Beschwerdeführer schon auf BGE 91 IV 43 S. 46 Grund des Befundes der EAWAG vom 27. Februar 1963 erkennen. Und spätestens anhand des Berichtes des Kantonsingenieurs vom 6. März 1963 musste ihm bewusst sein, dass und inwiefern die Abwasserableitung den gesetzlichen Erfordernissen nicht entsprach. Von diesem Zeitpunkte an durfte er keinesfalls weiter zögern, für eine sofortige Abhilfe gegen eine weitere Gewässerverschmutzung zu sorgen. Einer besonderen Weisung seitens der Behörde bedurfte es hiefür nicht. Es kann deshalb dahin gestellt bleiben, ob die dem Beschwerdeführer am 6. März und 12. Juni 1963 bekanntgegebenen und auferlegten Bedingungen bereits eine solche Weisung enthielten. Entscheidend ist allein, dass er dadurch auf die bestehenden Mängel und die erforderlichen Vorkehrungen aufmerksam gemacht worden ist. Die dem Beschwerdeführer dabei angesetzte Frist ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ohne Bedeutung. Sie hatte nur Geltung im Hinblick auf die geplante Betriebsausweitung. Von der gesetzlichen Verpflichtung, die Gewässerverschmutzung durch die bisherige Ableitung zu verhindern, entband sie ihn nicht.
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Sachverhalt ab Seite 182 BGE 132 I 181 S. 182 A. Am 20. April 2004 wurde A. im Universitätsspital Zürich ein Herz transplantiert. Drei Tage später, am 23. April 2004, verstarb die Patientin, gemäss Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 7. Juni 2005 an einem akuten Herzversagen infolge einer hyperakuten Herzabstossungsreaktion nach blutgruppeninkompatibler Herztransplantation. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich nahm Ermittlungen auf, unter anderem gegen den verantwortlichen Chefarzt Prof. Dr. B. wegen fahrlässiger Tötung. Die bisherige Untersuchung ergab, dass der in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2004 Dienst habende Oberarzt, Dr. C., kurz vor 04.00 Uhr telefonisch die Mitteilung erhielt, es sei ein Spenderherz vorhanden. C. rief daraufhin den Leitenden Arzt (Dr. D.) zu Hause an und nannte ihm zwei mögliche Empfänger für das Herz. Der Leitende Arzt brachte dann zusätzlich den Namen von A. als mögliche Empfängerin ins Spiel. Vom Oberarzt darauf angesprochen, dass hier aber eine Blutgruppeninkompatibilität (Spenderherz Blutgruppe A, A. Blutgruppe 0) vorliege, wies der Leitende Arzt den Oberarzt darauf hin, dass so etwas schon einmal in Bern gemacht worden und dies kein absolutes Ausschlusskriterium sei. Er beauftragte den Oberarzt, den Chefarzt B. anzurufen und diesen entscheiden zu lassen. In der Folge kam es um ungefähr 04.00 Uhr zu einem Telefongespräch zwischen dem Oberarzt und dem Chefarzt, in dessen Verlauf B. den Entscheid fällte, dass das Herz A. eingesetzt werde. Die Operation am Morgen des 20. April 2004 wurde vom Chefarzt B. durchgeführt; der Leitende Arzt D. assistierte ihm. Am 12. Juni 2005 erschienen in der "NZZ am Sonntag" unter der Überschrift "Fatales Risiko im Operationssaal" (Titelseite) und "Das Wagnis des Starchirurgen" (Hintergrundbericht) zwei vom Journalisten X. verfasste Artikel, in welchen - unter Berufung auf drei gut informierte Quellen - ausgeführt wird, die Ärzte um den Starchirurgen B. hätten bewusst das "falsche" Herz eingepflanzt. In der Folge weitete die Staatsanwaltschaft am 17. Juni 2005 ihre Strafuntersuchung gegen B. auf den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung aus. Sie verlangte vom Journalisten, dass er seine im Artikel angeführten Quellen (Informanten) offen lege, was dieser jedoch verweigerte. BGE 132 I 181 S. 183 B. Mit Eingabe vom 23. Juni 2005 stellte die Staatsanwaltschaft bei der Anklagekammer des Kantons Zürich das Gesuch um Feststellung im Sinne von Art. 27 bis Abs. 2 StGB , dass ohne das Zeugnis des Journalisten X. über seine Quellen (Informanten) und namentlich über den Inhalt der ihm zugekommenen Informationen der Vorfall vom 20. April 2004 im Universitätsspital Zürich, der zum Tod von A. geführt hatte, nicht ausreichend abgeklärt werden könne. Mit Beschluss vom 15. Juli 2005 wies die Anklagekammer das Gesuch indessen ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, aus den Zeitungsartikeln ergebe sich nicht ein konkretes Wissen der Informanten darüber, dass B. bei der Operation die Blutgruppeninkompatibilität bewusst gewesen sei, und zudem könne ein Journalist nicht zur Preisgabe seiner Quellen verhalten werden, solange nicht sämtliche direkt und indirekt Beteiligten durch die Untersuchungsbehörde einvernommen worden seien. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin hob das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mit Beschluss vom 23. Januar 2006 den Beschluss der Anklagekammer vom 15. Juli 2005 auf und stellte in Gutheissung des Gesuchs der Staatsanwaltschaft im Sinne von Art. 27 bis Abs. 2 lit. b StGB fest, dass ohne das Zeugnis des Journalisten X. über seine Quellen (Informanten) und namentlich über den Inhalt der ihm zugekommenen Informationen die dem Angeschuldigten B. zur Last gelegte vorsätzliche Tötung, begangen zum Nachteil von A., nicht aufgeklärt werden könne. Im Unterschied zur Anklagekammer kam die II. Zivilkammer zur Auffassung, dass ein dringender Tatverdacht gegen B. wegen (eventual-)vorsätzlicher Tötung aufgrund der Aussagen des Dienst habenden Oberarztes sowie der beiden Zeitungsartikel in der "NZZ am Sonntag" bestehe. Zur Aufklärung der Tat sei das Zeugnis des Journalisten unabdingbar. In der Zwischenzeit seien sämtliche an der Herzexplantation und -implantation beteiligten Personen sowie darüber hinaus bloss indirekt damit befasste Personen befragt worden. Ein schlüssiger Beweis habe damit aber nicht geführt werden können. Die Untersuchungsbehörde müsse wissen, welche drei verlässlichen und gut informierten Personen voneinander unabhängig zum Schluss gekommen seien, B. habe bewusst die Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Spenderherz und der Empfängerin missachtet oder gar eine spektakuläre Operation über die Blutgruppenschranke hinweg als medizinisches Experiment geplant und durchgeführt. BGE 132 I 181 S. 184 C. X. hat am 22. Februar 2006 Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt er, den Beschluss der II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Januar 2006 aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt er den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in Ablehnung des Gesuches der Staatsanwaltschaft festzustellen, dass die dem Angeschuldigten Prof. Dr. B. zur Last gelegte vorsätzliche Tötung ohne
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das Zeugnis des Beschwerdeführers über seine Quellen und den Inhalt der ihm zugekommenen Informationen aufgeklärt werden könne, eventuell die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen. Zur Nichtigkeitsbeschwerde wiederholt sie die zur staatsrechtlichen Beschwerde gemachten Ausführungen, ohne zum Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde einen Antrag zu stellen. Das Obergericht, II. Zivilkammer, verzichtet auf Bemerkungen. Der Präsident des Kassationshofs des Bundesgerichts hat mit Verfügung vom 17. März 2006 der staatsrechtlichen Beschwerde und der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die schweizerische Bundesverfassung gewährleistet in Art. 17 Abs. 3 das Redaktionsgeheimnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seinerseits hat im Urteil i.S. Goodwin gegen Vereinigtes Königreich vom 27. März 1996 aus der in Art. 10 EMRK verankerten Freiheit der Meinungsäusserung einen Anspruch auf Schutz journalistischer Quellen abgeleitet ( Recueil CourEDH 1996-II S. 483 , Ziff. 28). Es ist in der Tat zu befürchten, dass das Fehlen eines solchen Schutzes es den Medienschaffenden erschweren würde, zu den erforderlichen Informationen zu gelangen, welche ihnen erst erlauben, die in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrliche Wächterfunktion der Medien wahrzunehmen. Der Schutz der Quellen ist insofern Grundbedingung und Eckpfeiler der Pressefreiheit zugleich und als solcher verfassungs- und konventionsrechtlich anerkannt. BGE 132 I 181 S. 185 Das kann freilich nicht bedeuten, dass der Schutz des Redaktionsgeheimnisses absolut zu setzen wäre. Wie andere grundrechtliche Ansprüche kann auch das Redaktionsgeheimnis Einschränkungen unterworfen werden. Solche sind gemäss Art. 36 BV zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind. Ähnlich erlaubt Art. 10 Ziff. 2 EMRK Einschränkungen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, namentlich zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Rechte anderer oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Dabei ist sowohl unter dem Gesichtspunkt des schweizerischen Verfassungsrechts wie auch der Konvention in Rechnung zu stellen, dass dem Schutz der Quelle des Journalisten als Eckpfeiler der Pressefreiheit erhebliches Gewicht zukommt und nur ausserordentliche Umstände eine Offenbarungspflicht des Journalisten zu begründen vermögen ( BGE 123 IV 236 E. 8 S. 247; Urteil des EGMR i.S. Goodwin , a.a.O., Ziff. 39, 40). 2.2 Der schweizerische Gesetzgeber hat das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht im Rahmen der Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts von 1997 in Art. 27 bis StGB geregelt. Die Bestimmung, welche am 1. April 1998 in Kraft getreten ist, lautet: 1. Verweigern Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, oder ihre Hilfspersonen das Zeugnis über die Identität des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen, so dürfen weder Strafen noch prozessuale Zwangsmassnahmen gegen sie verhängt werden. 2. Absatz 1 gilt nicht, wenn der Richter feststellt, dass: a. das Zeugnis erforderlich ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten, oder b. ohne das Zeugnis ein Tötungsdelikt im Sinne der Artikel 111-113 oder ein anderes Verbrechen, das mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus bedroht ist, oder eine Straftat nach den Artikeln 187, 189, 190, 191, 197 Ziffer 3, 260 ter , 260 quinquies , 305 bis , 305 ter und 322 ter -322 septies des vorliegenden Gesetzes sowie nach Artikel 19 Ziffer 2 des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 1951 nicht aufgeklärt werden oder der einer solchen Tat Beschuldigte nicht ergriffen werden kann. In seiner Botschaft zu einem Medienstraf- und Verfahrensrecht machte der Bundesrat noch den Vorschlag, die Grenzen des Quellenschutzes - innerhalb gewisser Leitplanken - der richterlichen BGE 132 I 181 S. 186 Interessenabwägung im Einzelfall zu überlassen (BBl 1996 IV 525 ff.). Als Leitplanken sollten die Situationen genannt werden, in denen auf der einen Seite der Quellenschutz klar überwiegt (namentlich bei Übertretungstatbeständen), auf der anderen Seite jene, in welchen das Interesse an der Strafverfolgung Vorrang verdient. Ein überwiegendes Strafverfolgungsinteresse erachtete der Bundesrat als in jedem Fall gegeben, wenn ohne das Zeugnis ein Tötungsdelikt im Sinne der Artikel 111-113 StGB (vorsätzliche Tötung, Mord, Totschlag) oder ein anderes Verbrechen, das mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus bedroht ist, nicht aufgeklärt werden kann (Art. 27 bis Abs. 3 des Entwurfs; BBl 1996 IV 576). Die eidgenössischen Räte standen demgegenüber der richterlichen Interessenabwägung im Einzelfall kritisch gegenüber und strebten eine Lösung an, welche mehr Rechtssicherheit schafft (vgl. AB 1997 N 402, Votum Suter; AB 1997 S 582 f., Voten Zimmerli und Cottier). Daraus resultierte die schliesslich getroffene Lösung, wonach das Recht der Medienschaffenden auf Zeugnisverweigerung grundsätzlich dem Interesse der Strafverfolgung vorgeht, ausser es könne ein in einem Ausnahmekatalog ausdrücklich erwähntes Delikt ohne das Zeugnis nicht aufgeklärt werden. Zu diesem Ausnahmekatalog gehören die schon erwähnten Tötungsdelikte und die mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus bedrohten Delikte, bei denen bereits nach dem Entwurf des Bundesrates dem Interesse an der Strafverfolgung generell Vorrang zukommen sollte, dazu weitere Straftatbestände wie sexuelle Handlungen mit Kindern ( Art. 187 StGB ), sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und Schändung ( Art. 189-191 StGB ), harte Pornografie ( Art. 197 Ziff. 3 StGB ), kriminelle Organisation ( Art. 260 ter StGB ), Finanzierung des Terrorismus ( Art. 260 quinquies StGB ), Geldwäscherei ( Art. 305 bis StGB ), mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften ( Art. 305 ter StGB ), die Bestechungsdelikte ( Art. 322 ter -322 septies StGB ) sowie die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz ( Art. 19 Ziff. 2 BetmG ). 2.3 Es ist nicht zu verkennen, dass es dem Gesetzgeber nicht gelungen ist, ihm wohl auch nicht gelingen kann, einen systematisch kohärenten Ausnahmekatalog zu formulieren (kritisch etwa TRECHSEL/ NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 6. Aufl., Zürich 2004, S. 240; FRANZ ZELLER, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003, N. 25 zu Art. 27 bis StGB ; STÉPHANE WERLY, La protection du secret rédactionnel, Diss. Genf 2005, S. 238 f., BGE 132 I 181 S. 187 248). Gleichwohl vermag eine solche Liste der Ausnahmen Rechtssicherheit zu schaffen. Medienschaffende sind darauf angewiesen, ihren Informanten vor einer Publikation absolute Diskretion zusichern zu können, was naturgemäss nicht möglich ist, wenn der Schutz vor Enthüllung vom ungewissen Ausgang einer richterlichen Interessenabwägung abhängig ist (ZELLER, a.a.O., N. 22 zu Art. 27 bis StGB ). Diesem Anliegen trägt Art. 27 bis StGB Rechnung. Da im Rechtsstaat der Aufklärung schwerer Verbrechen unbestreitbar ebenfalls zentrale Bedeutung zukommt, kann der Quellenschutz nicht in jedem Falle Vorrang beanspruchen. Heisst das, dass Medienschaffende aussagen müssen, sobald es um eine in Art. 27 bis StGB erwähnte Tat geht? Der Wortlaut der Bestimmung legt eine solche Auslegung zwar nahe (MAJA SIDLER/JÖRG ZACHARIAE, "Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet" - aber wodurch?, in: Camprubi [Hrsg.], Angst und Streben nach Sicherheit in Gesetzgebung und Praxis, Zürich 2004, S. 83 f.), doch bleibt zu beachten, dass der Zweck der Norm im Rechtssicherheitsinteresse der Medienschaffenden liegt. Dieses gebietet jedenfalls nicht, dass im Bereiche der vom Ausnahmekatalog erfassten Straftaten das Zeugnisverweigerungsrecht in jedem Falle entfällt. Überdies verlangen die verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen an einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Redaktionsgeheimnis eine einzelfallweise Prüfung der Verhältnismässigkeit (Urteil des EGMR i.S. Goodwin , a.a.O., Ziff. 45; BGE 123 IV 236 E. 8 S. 247 ff.). 3. 3.1 Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Herztransplantation an A. vom 20. April 2004 wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung auf. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der beiden Zeitungsartikel des Beschwerdeführers weitete sie die Untersuchung mit Verfügung vom 17. Juni 2005 auf den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung aus. Ein Tatverdacht dafür bestand bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Erst vor Obergericht verwies die Staatsanwaltschaft auf die Aussagen des in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2004 Dienst habenden Oberarztes. Dieser sagte in der Untersuchung aus, er habe anlässlich seines nächtlichen Telefongesprächs mit B. zwei Mal darauf hingewiesen, dass A. die Blutgruppe 0 und das Spenderherz die Blutgruppe A aufweise, worauf B. etwa 5 bis 6 Sekunden gezögert und dann in die Operation eingewilligt habe. B. machte allerdings geltend, er sei bei diesem Gespräch einem Missverständnis erlegen, indem er die Aussagen des BGE 132 I 181 S. 188 Oberarztes genau im gegenteiligen Sinne verstanden habe, nämlich dahingehend, dass A. die Blutgruppe A habe und das Spenderherz die Blutgruppe 0 aufweise (was aus medizinischer Sicht unproblematisch gewesen wäre). Weiter machte er geltend, es sei unerklärlich, wie ihm die Patientin A. als mögliche Empfängerin habe genannt werden können nach den Vorabklärungen durch die Koordinationsstelle, den Leitenden Arzt und den Oberarzt. Er habe überhaupt nicht in Betracht gezogen, dass ihm eine Herztransplantation über die Blutgruppenschranke hinweg zur Entscheidung vorgelegt würde. Im Zeugnis des Oberarztes ist ein Anhaltspunkt dafür zu erblicken, dass B. möglicherweise (entgegen seiner Darstellung) von der Blutgruppeninkompatibilität zwischen Spender und Empfängerin Kenntnis gehabt haben könnte. Weitere Verdachtsmomente diesbezüglich ergaben sich in der Untersuchung jedoch nicht. 3.2 Der Verdacht, dass B. der Patientin A. bewusst ein blutgruppeninkompatibles Herz implantierte und folglich damit rechnen musste, dass die Transplantation den Tod der Patientin zur Folge haben konnte, gründet zur Hauptsache auf den Zeitungsartikeln des Beschwerdeführers vom 12. Juni 2005. So wird auf der Frontseite berichtet: "Ärzte des Unispitals Zürich haben (...) A. wissentlich ein Herz mit einer unverträglichen Blutgruppe eingepflanzt. Das zeigen Recherchen dieser Zeitung." Weiter heisst es: "Das Spital stellte den Fehler als Missverständnis dar, bei einem Telefonat seien die Blutgruppen von Spenderherz und Patientin verwechselt worden. Bald sickerte durch, die Ärzte um den Starchirurgen B. hätten das Herz mit der 'falschen' Blutgruppe wissentlich verpflanzt. Umfangreiche Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass dies stimmt. Drei gut informierte Quellen bestätigen, dass etwas versucht worden ist, was in Fachkreisen als medizinisches Tabu gilt." In leichtem Widerspruch hiezu werden die Geschehnisse wie folgt geschildert: "Wenig später wird A. mit Blutgruppe 0 für die Transplantation vorbereitet. Stunden zuvor hat B. mit seinem Team die Operation vorbesprochen. Bei dem Gespräch hat es eine Meinungsverschiedenheit darüber gegeben, ob die Operation möglich sei. Das 'falsche' Herz wird eingesetzt, aber es schlägt nicht. Spätestens jetzt ist für alle Beteiligten klar, dass etwas nicht stimmt. Niemand weist B. darauf hin; der Chefarzt setzt die Operation fort." Im Hintergrundbericht unter dem Titel "Das Wagnis des Starchirurgen" werden folgende Ausführungen gemacht: "Vor einem Jahr stirbt A., nachdem BGE 132 I 181 S. 189 ihr am Universitätsspital Zürich ein Herz transplantiert worden ist. Es habe eine Verwechslung der Blutgruppen gegeben, lautet die offizielle Erklärung. Recherchen zeigen, dass die Ärzte bewusst das 'falsche' Herz eingepflanzt haben." Weiter wird berichtet: "'Die NZZ am Sonntag' hat mit vielen direkt und indirekt Beteiligten gesprochen, wir halten diese Leute anonym. Mehrere verlässliche Quellen, die über die Operation an A. gut informiert sind, kommen unabhängig voneinander zum selben Schluss: Die Verwechslungstheorie ist falsch. B. hat der Patientin bewusst das 'falsche' Herz eingesetzt. Man habe es versucht im Glauben, es könnte gelingen. Man habe eine medizinische Heldentat vollbringen wollen." Die Geschehnisse werden dann wie folgt geschildert: "In der Nacht auf Dienstag, den 20. April 2004, etwa um 3 Uhr morgens, ruft der diensthabende Arzt am Universitätsspital Zürich B. an und teilt mit, man habe einen Unfallpatienten, dessen Organe für eine Transplantation in Frage kämen. Chefarzt B. telefoniert anschliessend mit den beiden Kollegen, D. und C., die für die Operation vorgesehen sind. Bei dem Telefongespräch gibt es eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Operation möglich sei. Die Operation wird beschlossen." Schliesslich findet sich - teilweise wiederum in leichtem Widerspruch zum vorher Gesagten - Folgendes: "Im Operationssaal, wo A. in der Narkose bereitliegt, sind ein gutes Dutzend Leute parat: Die drei Herzchirurgen, Assistenzärzte, Anästhesisten, Schwestern. Mindestens vier von ihnen wissen, dass der Chef im Begriff ist, der Patientin mit Blutgruppe 0 ein Herz der Gruppe A einzusetzen, was gemäss Fachleuten einem 'medizinischen Tabu' gleichkommt. Keiner interveniert bei B. B. setzt das Herz ein, mit einem elektrischen Impuls soll es zum Schlagen gebracht werden. Das Herz schlägt aber nicht. 'Spätestens jetzt war jedem Anwesenden klar, dass etwas nicht stimmte', sagt ein Arzt. Es herrscht Alarmstufe rot, doch wiederum weist niemand den Chef auf das Offensichtliche hin - oder die Interventionen sind zu schwach, um durchzudringen." 3.3 Die beiden Zeitungsberichte sind nicht völlig frei von Widersprüchen. Wenn etwa gesagt wird, mindestens vier der bei der Operation anwesenden Personen hätten gewusst, dass der Chef ein blutgruppeninkompatibles Herz einsetzt, doch niemand weise den Chef auf das Offensichtliche hin, so legen diese Ausführungen den Schluss nahe, dass B. die Blutgruppeninkompatibilität in diesem Moment nicht bewusst war. Andere Ausführungen sagen aber ganz klar, dass BGE 132 I 181 S. 190 B. bewusst ein falsches Herz eingepflanzt habe. Auf entsprechende Anfrage des Staatsanwalts hat der Beschwerdeführer mit E-Mail vom 16. Juni 2005 denn auch bestätigt: "Mir wurde tatsächlich mitgeteilt, dass Prof. B. wissentlich das Herz der falschen Gruppe implantiert hat. Drei Personen haben mir dies mitgeteilt. Man darf über diese Personen mit Fug und Recht sagen, sie seien gut über diese Operation informiert." Der Beschwerdeführer scheint mithin über Informationen zu verfügen, wonach nicht nur einzelne Ärzte am Universitätsspital, sondern B. selbst über die Blutgruppeninkompatibilität im Bilde war. Damit liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die zur Begründung eines dringenden Verdachts für vorsätzliche Tötung ausreichen, auch wenn nicht zu übersehen ist, dass sich entsprechende Verdachtsmomente in der Untersuchung kaum niedergeschlagen haben. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, ein Zeitungsartikel, der nicht völlig widerspruchsfrei abgefasst sei, müsse zur Wahrung des Quellenschutzes so ausgelegt werden, dass er gerade keinen dringenden Tatverdacht ausdrücke. Dieser Einwand geht an der Sache vorbei, denn es geht nicht darum, ob die im Zeitungsartikel gemachten Äusserungen durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt und rechtlich daher (etwa unter dem Gesichtspunkt eines Ehrverletzungsdelikts) nicht zu beanstanden sind. In Frage steht vielmehr nur, ob das Zeugnis des Medienschaffenden geboten ist, um eine mögliche Straftat aufzuklären. 4. 4.1 Das Redaktionsgeheimnis kann, wie schon dargelegt (E. 2.1), nur aufgehoben werden, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht, es im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig erscheint, den Beschwerdeführer zur Aussage zu verpflichten. Dass Art. 27 bis Abs. 2 lit. b StGB in abstrakter Weise eine genügende gesetzliche Grundlage darstellt, um bei Verdacht auf vorsätzliche Tötung den Quellenschutz zu durchbrechen, kann nicht fraglich sein (E. 2.2). Die entfernte Möglichkeit allerdings, dass ein im Ausnahmekatalog aufgelisteter Straftatbestand erfüllt sein könnte, reicht zur Aufhebung des Redaktionsgeheimnisses nicht aus (ZELLER, a.a.O., N. 28 zu Art. 27 bis StGB ). Erforderlich ist vielmehr ein dringender Tatverdacht, der vorliegend jedoch zu bejahen ist (E. 3.3). Sodann ist offensichtlich, dass an der Aufklärung von Straftaten im Allgemeinen und eines Tatvorwurfs, wie er hier im Raum steht, ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht. Der Beschwerdeführer rügt denn ausdrücklich auch nur, sein Zeugnis BGE 132 I 181 S. 191 könne zur Aufklärung der Straftat nichts mehr beitragen. Weder sei es notwendig noch unentbehrlich, weshalb die Aufhebung des Quellenschutzes unverhältnismässig sei. 4.2 Das Gesetz selbst errichtet eine Schranke der Zeugnispflicht durch die Anforderung, dass eine vom Ausnahmekatalog erfasste Straftat ohne das Zeugnis des Medienschaffenden nicht aufgeklärt oder der einer solchen Tat Beschuldigte nicht ergriffen werden kann ( Art. 27 bis Abs. 2 lit. b StGB ). Die gesetzliche Bestimmung ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismässigkeit. Die Zeugnispflicht muss danach in einem vernünftigen Verhältnis zur Aufklärung der Straftat stehen, um überhaupt gerechtfertigt zu sein. Die Verhältnismässigkeit verlangt zunächst, dass die Zeugenaussage geeignet ist, zur Aufklärung des fraglichen Delikts unmittelbar beizutragen. Es muss eine einigermassen begründete Erwartung bestehen, dass die Aussage eine für die Beurteilung wesentliche Abklärung der mutmasslichen Straftat erlaubt. Ob das Zeugnis letztlich zur Überführung des Täters oder aber zu dessen Entlastung beiträgt, ist nicht entscheidend, denn in einem wie im anderen Fall dient es der Wahrheitsfindung im Strafprozess. Betrifft das Zeugnis hingegen bloss Nebenaspekte der deliktischen Handlung, leistet es zur unmittelbaren Deliktsaufklärung keinen Beitrag und ist folglich nicht geeignet (BBl 1996 IV 559; FRANZ RIKLIN, Der Journalist als Zeuge und Beschuldigter im Strafverfahren, Medialex 1999 S. 158 f.). Die Verhältnismässigkeit bleibt sodann nur gewahrt, wenn das Zeugnis erforderlich ist. Eine Zeugnispflicht besteht nicht, wenn und solange andere taugliche Beweismittel zur Verfügung stehen. Als tauglich muss ein anderes Beweismittel angesehen werden, wenn es ähnlich gut geeignet ist wie das Zeugnis eines Journalisten, um zum gewünschten Beweisergebnis zu führen (BBl 1996 IV 559; RIKLIN, a.a.O., S. 158). Schliesslich gebietet das Verhältnismässigkeitsprinzip eine Abwägung der einander entgegengesetzten Interessen. Die Verpflichtung zur Zeugenaussage lässt sich nur rechtfertigen, wenn das Strafverfolgungsinteresse das Recht des Journalisten an der Geheimhaltung seiner Quellen überwiegt. Die Interessenabwägung muss nach der bundesrätlichen Botschaft ergeben, dass das Zeugnis für die Deliktsaufklärung "geradezu unentbehrlich" (BBl 1996 IV 561) ist, um das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht ausser Kraft zu setzen. Im Folgenden ist im Lichte dieser Grundsätze zu prüfen, ob es verhältnismässig erscheint, den Beschwerdeführer unter den BGE 132 I 181 S. 192 gegebenen Umständen zur Preisgabe seiner Informationsquellen zu verhalten. 4.3 Im Hinblick auf die Eignung des Zeugnisses ist erstellt, dass der Beschwerdeführer über Informationen verfügt, die zur Aufklärung des allfälligen Tötungsdelikts beitragen könnten. Es handelt sich um wesentliche Angaben im Interesse der Strafverfolgung, da sie die Kernfrage beschlagen, ob der Angeschuldigte B. um die Blutgruppeninkompatibilität zwischen Spender und Empfängerin wusste, womit das Zeugnis des Beschwerdeführers ein taugliches Beweismittel darstellt. In der Beschwerde wird zwar vage angedeutet, die anonym gehaltenen Informanten gehörten möglicherweise zum Kreis der Personen, die vor dem Staatsanwalt bereits aussagten, oder seien jedenfalls leicht in Erfahrung zu bringen. Unter dem Blickwinkel der Tauglichkeit spricht dies nicht gegen die Verpflichtung des Beschwerdeführers, Zeugnis abzulegen. Die Bekanntgabe der Informationsquellen allein gewährleistet, die geäusserten Vorwürfe ins Strafverfahren einzubringen und - unter Wahrung der prozessualen Rechte der Beteiligten - auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Die Zeugenaussage des Beschwerdeführers leistet dazu einen Beitrag, und sei es auch nur, dass der Angeschuldigte dadurch die Gelegenheit erhält, die Glaubwürdigkeit der Informanten zu erschüttern und damit den Tatverdacht unmittelbar zu entkräften. 4.4 Unter dem Gesichtswinkel der Erforderlichkeit hält der angefochtene Entscheid fest, dass die Strafverfolgungsbehörden bereits sämtliche an der Herzexplantation und -implantation beteiligten Personen befragt haben, zudem auch weitere, nur indirekt beteiligte Personen. Die Befragungen brachten keine schlüssigen Indizien hervor für ein eventualvorsätzliches Handeln des Angeschuldigten B., was das Bundesgericht anhand der Untersuchungsakten überprüft hat. Weitere Untersuchungshandlungen, die darüber Aufschluss geben könnten, stehen nicht mehr zur Verfügung. Die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Aussage ist somit erforderlich, da sie als einzige taugliche Massnahme verbleibt. Von der Frage der Erforderlichkeit ist zu unterscheiden, ob das Zeugnis für die Aufklärung des Tötungsdelikts unentbehrlich erscheint. Diese Beurteilung lässt sich erst nach einem abwägenden Vergleich mit dem konkret auf dem Spiel stehenden Interesse der Strafverfolgung vornehmen, worauf in der Beschwerde zu Recht hingewiesen wird. Soweit der Beschwerdeführer allerdings geltend macht, ihm sei eine umfassende Akteneinsicht verwehrt worden, weshalb er andere BGE 132 I 181 S. 193 Ermittlungshandlungen nicht aufzeigen könne, ist ihm nicht zu folgen. Das Recht auf Akteneinsicht findet seine Grenzen an überwiegenden öffentlichen Interessen des Staates oder schutzwürdigen Interessen Dritter ( BGE 129 I 249 E. 3 S. 253 mit Hinweisen). Die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts ist hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wird sie doch vom Obergericht zutreffend damit begründet, dass ansonsten der Untersuchungszweck gefährdet wäre. Eine umfassende Akteneinsicht würde die Zeugenaussage des Beschwerdeführers zwangsläufig beeinflussen, womit diese weitgehend an Wert verlöre. Zur Wahrnehmung seiner Rechte ist der Beschwerdeführer auf detaillierte Aktenkenntnis auch nicht angewiesen. Aus den Eingaben der Untersuchungsbehörden sind ihm die massgeblichen Aussagen des Oberarztes und des Angeschuldigten B. bekannt, ebenso hat er im Wesentlichen Kenntnis von den bisher getätigten Ermittlungsmassnahmen, da ihm eine Liste sämtlicher befragten Personen ausgehändigt wurde. 4.5 Zu prüfen bleibt, ob das öffentliche Interesse an der Aufklärung des fraglichen Tötungsdelikts das Recht des Beschwerdeführers auf Geheimhaltung seiner Quellen überwiegt. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass dem Schutz der Quelle des Journalisten als Eckpfeiler der Pressefreiheit ein erhebliches Gewicht zukommt. Nur ausserordentliche Umstände, die öffentliche oder private Interessen gefährden, lassen die Zeugnispflicht als zumutbar erscheinen ( BGE 123 IV 236 E. 8 S. 247; Urteil des EGMR i.S. Goodwin , a.a.O., Ziff. 39, 40). Zweifellos entspricht die Aufklärung eines vorsätzlichen Tötungsdelikts einem eminenten öffentlichen Interesse, doch bleibt dieses jeweils im Einzelfall zu konkretisieren. Bei der Interessenabwägung sind namentlich die Umstände der mutmasslichen Straftat, der bisherige Untersuchungsstand sowie der mögliche Beweiswert des journalistischen Zeugnisses zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall wurde die Strafuntersuchung wegen Verdachts auf einen ärztlichen Kunstfehler bzw. fahrlässige Tötung angehoben. Die Strafverfolgungsbehörden nahmen die Ermittlungen bereits unmittelbar nach der Herzoperation vom 20. April 2004 auf. Erst am 17. Juni 2005 - nach über einem Jahr und nur wenige Tag nach der Veröffentlichung der beiden Zeitungsartikel des Beschwerdeführers - wurde die Untersuchung auf den Tatbestand der vorsätzlichen Tötung ausgeweitet. Wohl besteht dafür ein Anfangsverdacht, der sich im Wesentlichen auf die Berichterstattung des Beschwerdeführers stützt. In der Untersuchung selbst ergaben BGE 132 I 181 S. 194 sich jedoch kaum entsprechende Hinweise. So sind mittlerweile sämtliche Personen, die mit der Herztransplantation direkt oder indirekt befasst waren, einlässlich befragt worden, ohne dass sich schlüssige Indizien dafür ergeben hätten, der Angeschuldigte B. habe um die Blutgruppeninkompatibilität von Spender und Empfängerin gewusst, und ihm folglich vorzuwerfen wäre, er habe bei der Transplantation den Tod der Patientin in Kauf genommen. B. selber hat in der Untersuchung glaubhaft geltend gemacht, er habe die Blutgruppen infolge eines Missverständnisses verwechselt. Dafür spricht nicht zuletzt auch sein Verhalten während der Operation, wie es unter anderem in den beiden Zeitungsberichten dargestellt wird. Insgesamt enthalten die Akten der umfangreichen Untersuchung keine wesentlichen Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tat. Hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation der Straftat als Vorsatzdelikt liegt somit ein ausgesprochener Zweifelsfall vor. Das Interesse der Strafverfolgung fällt dadurch bei der verfassungsrechtlich gebotenen Gewichtung deutlich geringer aus, ist in einem Grenzfall wie hier doch zu berücksichtigen, dass bei Fahrlässigkeitsdelikten das Redaktionsgeheimnis zwingend vorgeht ( Art. 27 bis Abs. 2 lit. b StGB e contrario). Bei der Interessenabwägung fällt weiter ins Gewicht, dass das fragliche Tötungsdelikt bereits weitestgehend aufgeklärt ist. Die mutmassliche Täterschaft ist bekannt. Die Strafuntersuchung wurde von Beginn an gegen den verantwortlichen Chefarzt B., den Leitenden Arzt sowie den in der betreffenden Nacht Dienst habenden Oberarzt geführt. Dass der Angeschuldigte B. der Patientin A. ein blutgruppenunverträgliches Herz implantierte (Tathandlung), ist unbestritten. Weiter steht fest, dass die Patientin an einer hyperakuten Herzabstossungsreaktion nach blutgruppeninkompatibler Herztransplantation verstarb (Kausalität der Tat). Darüber hinaus sind auch die Vorkommnisse in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2004 hinreichend untersucht, ebenso die Begleitumstände, der Ablauf und die Einzelheiten der Herztransplantation (konkrete Tatumstände). Damit ist der äussere Sachverhalt des Tötungsdelikts vollständig ermittelt und aufgeklärt. Alsdann ist zweifelhaft, ob dem Zeugnis des Beschwerdeführers überhaupt noch massgebliche Beweiskraft zukäme. Nachdem bereits sämtliche Personen befragt wurden, die im Zusammenhang mit der Herztransplantation in irgendeiner Weise unmittelbaren Kontakt zum Angeschuldigten B. hatten, ist fraglich, ob sich noch weitere BGE 132 I 181 S. 195 Erkenntnisse zum subjektiven Tatbestand gewinnen liessen. Angesichts der einlässlichen Befragungen aller Beteiligten sind jedenfalls tatnahe Angaben zur Beurteilung der Vorsatzfrage nicht ohne Weiteres zu erwarten. Handelt es sich bei den anonym gehaltenen Informanten um Personen, die nicht in direktem Kontakt zu B. standen, beruhten ihre Aussagen auf Wahrnehmungen Dritter bzw. blossen Schlussfolgerungen und wären vor dem Hintergund der gesamten Untersuchung entsprechend zu würdigen. Lässt sich bei dieser Sachlage aber nur schwerlich annehmen, das Zeugnis des Beschwerdeführers vermöchte das bisherige Beweisergebnis zu ändern, haben die Interessen der Strafverfolgung, wie auch dasjenige der Angehörigen des Opfers sowie jenes von B. selbst an der Klärung des Tatvorsatzes zurückzutreten. Gesamthaft ergibt sich, dass dem Interesse an der Aufklärung des hier in Frage stehenden Tötungsdelikts nicht das ausserordentliche Gewicht zukommt, das vorausgesetzt wäre, um dem Beschwerdeführer das Recht an der Geheimhaltung seiner Quellen abzusprechen. Der Quellenschutz geht damit vor. Der angefochtene Entscheid erweist sich als unverhältnismässig und verletzt Art. 17 Abs. 3 BV und Art. 10 EMRK . Entsprechend ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist.
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BGE_132_I_181
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Erwägungen ab Seite 58 BGE 106 Ib 57 S. 58 Aus den Erwägungen: 2. Das FPolG ist gestützt auf Art. 24 BV ergangen, der dem Bund das Recht der Oberaufsicht über die Forstpolizei verliehen und ihn beauftragt hat, die nötigen schützenden Bestimmungen zur Erhaltung der schon vorhandenen Waldungen aufzustellen. Dem Bund steht somit die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung auf diesem Gebiet zu (vgl. BLOETZER, Die Oberaufsicht über die Forstpolizei nach schweizerischem Recht, Zürich 1978, S. 114 ff.). Nach dem Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts sind die Kantone in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, nicht zur Rechtssetzung befugt ( BGE 102 Ia 375 E. 2; BGE 101 Ia 506 E. 2b; BGE 97 I 503 E. 3a). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - die kantonalen Rechtssätze dem Bundesrecht inhaltlich nicht widersprechen (FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 95). Die in den Art. 33 ff. FPolG enthaltene Regelung über Teilung und Veräusserung öffentlicher Waldungen ist abschliessend, soweit dies im vorliegenden Fall von Belang ist. Art. 41 Abs. 2 des bündnerischen Forstgesetzes ist somit nicht anwendbar, und es ist im folgenden einzig zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid vor den einschlägigen Bestimmungen des FPolG standhält. Ob der Bundesgesetzgeber mit dem Erlass der Art. 33 ff. FPolG noch im Rahmen seiner auf Grundsatzbestimmungen beschränkten Gesetzgebungskompetenz geblieben ist, hat das Bundesgericht gemäss Art. 113 Abs. 3 BV nicht zu untersuchen. 3. a) Nach Art. 33 FPolG darf eine Teilung öffentlicher Waldungen zu Eigentum oder Nutzniessung nur mit Bewilligung der Kantonsregierung und nur zu öffentlicher Hand BGE 106 Ib 57 S. 59 ( Art. 2 Abs. 1 lit. a FPolG ) erfolgen. Art. 35 FPolG schreibt vor, dass Gemeinde- und Korporationswaldungen, auch wenn die Veräusserung statutarisch statthaft ist, in keinem Falle ohne vorherige Bewilligung der betreffenden Kantonsregierung veräussert werden dürfen. Diese Bestimmung wird durch Art. 31 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei vom 1. Oktober 1965 (FPolV) in dem Sinne näher ausgeführt, dass die vollständige oder teilweise Veräusserung von öffentlichen Wäldern nur mit Bewilligung der Kantonsregierung und in der Regel nur an die öffentliche Hand erfolgen darf. b) Die Auffassung des beschwerdeführenden Departementes, die streitige Waldabtretung stelle eine Teilung öffentlichen Waldes im Sinne von Art. 33 FPolG dar, stützt sich auf ein Urteil des Bundesgerichts vom 25. Oktober 1974 i.S. Leuthold (ZBl 76/1975 S. 294 ff.). Darnach ist unter "Teilung" im Sinne von Art. 33 FPolG jede Abtrennung einer Parzelle von einer öffentlichen Waldung, die bisher als ganzes bewirtschaftet wurde, zu verstehen. Das Gericht führte aus, Art. 33 FPolG solle verhindern, dass der Wald in unwirtschaftlicher Weise zerstückelt werde. Die weniger strenge Regelung des Art. 35 FPolG für Veräusserungen könne daher lediglich auf gänzlich isolierte Waldparzellen, die mit dem restlichen Wald des Gemeinwesens nicht zusammenhängen, Anwendung finden. Hingegen müsse Art. 33 FPolG sinngemäss jederzeit Platz greifen, wenn eine bisher zusammen mit angrenzendem Wald des gleichen Gemeinwesens bewirtschaftete Parzelle abgetrennt und veräussert werden solle (ZBl 76/1975 S. 295 f. E. 3a). Diese Praxis schränkt den Anwendungsbereich des Art. 35 FPolG stark ein. Zwar scheint sie natürlicher Lesart der Art. 33 und 35 FPolG zu entsprechen. Sie orientiert sich indessen lediglich am Wortlaut dieser Bestimmungen und lässt weitere Auslegungselemente, namentlich die Entstehungsgeschichte der Art. 33 und 35 FPolG , ausser acht. Da Teilung und Veräusserung öffentlicher Waldungen unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen, kommt dem Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander erhebliche praktische Bedeutung zu. Diese Frage ist daher vorweg abzuklären. 4. Die Unterscheidung zwischen "Teilung" und "Veräusserung" öffentlichen Waldes taucht schon in den frühesten Materialien zur eidgenössischen Forstpolizeigesetzgebung auf. BGE 106 Ib 57 S. 60 Der Begriff der "Veräusserung" war nie streitig; er wurde offenbar als selbstverständlich angesehen. Dagegen finden sich im Zusammenhang mit dem Ausdruck "Teilung" verschiedene Anhaltspunkte, welche zum besseren Verständnis der Art. 33 und 35 FPolG beitragen. a) Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gewann unter dem Einfluss neuer wirtschaftlicher und politischer Theorien die Auffassung an Bedeutung, dass der Bauer Privateigentum besser und sorgfältiger bewirtschafte als Gemeinland. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden daher vielerorts Wald und Flur, welche bisher Allmend waren oder Korporationen gehört hatten, unter die Genossen aufgeteilt. Dies führte namentlich beim Wald rasch zu Übernutzung und grobem Raubbau (vgl. dazu GROSSMANN, Forstgesetzgebung und Forstwirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Beiheft Nr. 25 zur Zeitschrift des Schweizerischen Forstvereins 1949, S. 60 ff. 63). b) Bundesrat und Bundesversammlung erkannten diese Gefahr offensichtlich und veranschlagten sie höher als diejenige, welche von anderen Arten der Veräusserung öffentlicher Waldungen an Private ausging. Art. 9 Abs. 2 des Entwurfes des Bundesrates vom 3. Dezember 1875 zu einem Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei im Hochgebirge (aFPolG) lautete folgendermassen: "Eine Waldtheilung ist mit Ausnahme ausserordentlicher Verhältnisse nur zwischen mehreren Gemeinden, Korporationen, Stiften und Genossenschaften, nicht aber unter Gliedern derselben statthaft (BBl 1875 IV 1104)." Dagegen machte Art. 10 desselben Entwurfes die blosse "Veräusserung" von "Gemeinds-, Korporations-, Stifts- und Genossenschaftswaldungen" lediglich von einer Bewilligung der Kantonsregierung abhängig. Im Gesetz (aFPolG vom 24. März 1876) wurde folgende Fassung aufgenommen: "Art. 12. Eine Realtheilung der Staats-, Gemeinde- und Korporationswaldungen ist weder zur Nuzniessung noch zum Eigenthum statthaft, mit Ausnahme ausserordentlicher Verhältnisse, worüber die kantonale Regierung zu entscheiden hat. Art. 13. Gemeinde- und Korporationswaldungen dürfen ohne Bewilligung der Kantonsregierung nicht veräussert werden. (AS 1876 S. 353 ff., 356.)." BGE 106 Ib 57 S. 61 c) In seiner Botschaft vom 1. Juni 1898 zu einem Bundesgesetz betreffend die eidgenössische Oberaufsicht über die Forstpolizei (BBl 1898 III 545 f.) wies der Bundesrat darauf hin, dass die Kantone die im zitierten Art. 12 aFPolG vorgesehene Möglichkeit zu Ausnahmebewilligungen derart large gehandhabt hätten, dass die gesetzliche Regel illusorisch gemacht worden sei. Diese Teilungen hätten fast überall den Ruin der Waldungen mit sich gebracht und verunmöglichten eine geregelte Forstwirtschaft. Er beantragte daher ein gänzliches Verbot solcher Realteilungen öffentlicher Waldungen (Art. 25 des Entwurfes). Nach den Beratungen der nationalrätlichen Kommission über diesen Entwurf legte der Bundesrat einen zweiten Entwurf samt Botschaft vor (BBl 1899 III 101 ff., 115 ff.). Darin nahm er erstmals Bezug auf Verhältnisse, in welchen sich mehrere Gemeinwesen oder öffentliche Korporationen in gemeinsamen Besitz von Wald befinden. Er stellte fest, dass solche Wälder meist übernutzt würden, so dass deren Aufteilung im öffentlichen Interesse liege. Er beantragte daher den Räten die Aufnahme einer Bestimmung, welche sinngemäss dem heutigen Art. 34 FPolG entspricht (Art. 29 des II. Entwurfes). Zugleich modifizierte er die Bestimmung des I. Entwurfes über das generelle Verbot der Realteilung öffentlicher Waldungen. Er beantragte neu, solche Realteilungen "zu Privathanden" gänzlich zu verbieten und sie in den übrigen Fällen von einer Bewilligung der Kantonsregierung abhängig zu machen (Art. 28 des II. Entwurfes). In bezug auf Art. 13 aFPolG schlug er lediglich vor, die Bewilligungspflicht auch auf solche Gemeinde- und Korporationswaldungen zu erstrecken, deren Veräusserung statutarisch statthaft ist. Die Bundesversammlung folgte den Anträgen des Bundesrates im wesentlichen. Das Ergebnis ihrer Beratungen bildeten die heute noch in Kraft stehenden Art. 33-35 FPolG . Gleichzeitig wurde der Begriff des "öffentlichen Waldes" erweitert. Er umfasst heute nicht nur die Staats- und Gemeindewaldungen, sondern auch die "Korporationswaldungen sowie solche Waldungen, welche von einer öffentlichen Behörde verwaltet werden" ( Art. 2 lit. a FPolG ). d) Diese Materialien zeigen, dass der Gesetzgeber die Begriffe "Teilung" und "Veräusserung" bewusst unterschieden hat. Unter "Teilung" verstand er die Aufteilung unter bisher BGE 106 Ib 57 S. 62 Berechtigte. Der Ausdruck "Realteilung" gibt diesen Sinn anschaulicher wieder: es ist damit die reale Ausscheidung bisher ideell bestehender Anteile, namentlich die Aufteilung unter die Mitglieder einer Korporation oder eines Miteigentums- oder Gesamthandsverhältnisses gemeint. Diese Realteilung sollte weiterhin zulässig sein, soweit Gemeinwesen oder Korporationen in Frage standen (vgl. Art. 2 lit. a FPolG ); Art. 34 FPolG ordnet für diesen Fall Zuständigkeit und Verfahren. Dagegen sollte die Aufteilung unter private Einzelmitglieder ausgeschlossen werden, da man mit der zumeist daraus folgenden Übernutzung des Waldes ausgesprochen schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Unter "Veräusserung" - so lässt sich folgern - ist demgegenüber die Übertragung von Wald an aussenstehende Dritte zu verstehen. In dieser Hinsicht erschien dem Gesetzgeber eine Bewilligungspflicht als genügend. Dieses Verständnis der Begriffe "Teilung" und "Veräusserung" entspricht auch dem Wortsinn. "Teilung" (und noch mehr der frühere Ausdruck "Realteilung") deutet auf einen internen Vorgang unter bisher Berechtigten hin, "Veräusserung" dagegen auf ein nach aussen gerichtetes Geschehen. Die historische Auslegung führt somit zu einer hinreichend deutlichen Sinngebung. Andere Interpretationsmethoden scheiden mangels genügend sicherer Ansatzpunkte aus, so dass die gefundene Auslegung als massgebend zu erachten ist. An den Erwägungen im zitierten Urteil i.S. Leuthold (ZBl 76/1975 S. 294 ff.) zur Abgrenzung von "Teilung" und "Veräusserung" kann deshalb nicht festgehalten werden.
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Sachverhalt ab Seite 61 BGE 112 IV 61 S. 61 Der jugoslawische Staatsangehörige X. wird beschuldigt, in der Zeit zwischen dem 25. Mai 1985 und dem 10. Oktober 1985 in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft und Basel-Stadt 23 Diebstähle von Autoradios aus parkierten Personenwagen verübt zu haben. BGE 112 IV 61 S. 62 Zwischen den Strafbehörden der Kantone Aargau und Basel-Stadt geführte Gerichtsstandsverhandlungen verliefen erfolglos, worauf die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt mit Eingabe vom 7. März 1986 an die Anklagekammer des Bundesgerichts gelangte mit dem Begehren, es seien die Behörden des Kantons Aargau für berechtigt und verpflichtet zu erklären, alle X. zur Last gelegten Delikte zu verfolgen und zu beurteilen. Die Gesuchstellerin vertritt dabei den Standpunkt, die erste wegen Diebstahls eingegangene Anzeige sei am 24./25. Mai 1985 in Rheinfelden/AG erstattet worden, womit die Zuständigkeit dieses Kantons gegeben sei. Im übrigen treffe es nicht zu, dass in Basel zuerst ein Verfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs angehoben worden sei. X. sei jeweils nur nach dem Verbleib der Ware gefragt worden. Zudem habe anlässlich seiner Befragung im Oktober 1985 davon ausgegangen werden müssen, dass es sich bloss um Hehlerei handle. Die Frage nach dem Verkauf von Waren eines Hehlers könne aber nicht generell als Verdacht gewerbsmässigen Betrugs interpretiert werden, zumal X. nur einen ganz beschränkten Personenkreis mit Autoradios bedient habe. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, das Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt abzuweisen und die Basler Behörden mit der Sache zu befassen. Ob - so macht die Gesuchsgegnerin u.a. geltend - zuerst ein Verfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs angehoben worden sei oder nicht, könne offenbleiben, weil nämlich im Kanton Basel-Stadt jedenfalls zuvor schon wegen gewerbsmässiger Hehlerei ermittelt worden sei und dieses Delikt mit gleich schwerer Strafe bedroht werde wie gewerbsmässiger Betrug.
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Erwägungen Die Anklagekammer zieht in Erwägung: 1. Unbestritten ist, dass dem Beschuldigten zahlreiche strafbare Handlungen zur Last gelegt werden, die in verschiedenen Kantonen begangen wurden. Damit stellt sich als erstes die Frage nach dem mit der schwersten Strafe bedrohten Delikt ( Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ). Nach der gegenwärtigen Aktenlage handelt es sich bei den X. vorgeworfenen Straftaten um Diebstähle, die alle mit gleicher Strafe bedroht sind. Jedenfalls wird von den beteiligten Kantonen nichts angeführt, was zu einem anderen Schluss führen würde. Höchstens könnte man sich fragen, ob bei der Vielzahl der Diebstahlshandlungen nicht der Verdacht auf Gewerbsmässigkeit BGE 112 IV 61 S. 63 gegeben sei. Doch braucht dies nicht entschieden zu werden, weil für die Bestimmung des Gerichtsstandes so oder anders das forum praeventionis entscheidend ist, bei wiederholten Diebstählen gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB und bei gewerbsmässigem Diebstahl nach Art. 346 Abs. 2 StGB ( BGE 108 IV 143 E. 1). 2. Die erste wegen Diebstahls ergangene Strafanzeige wurde - was auch von der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau nicht bestritten wird - am 25. Mai 1985 in Rheinfelden erstattet. Damit aber ist die Zuständigkeit dieses Kantons gegeben. Dass die dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten im Verlaufe der in den Kantonen Aargau und Basel-Stadt geführten Ermittlungen aufgrund des jeweilig ändernden Untersuchungsergebnisses bald als Betrug, bald als Hehlerei angesehen wurden, ist nicht von Belang. Hat die Anklagekammer des Bundesgerichts den Gerichtsstand zu bestimmen, beurteilt sie die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen frei, unbekümmert um deren rechtliche Würdigung durch die kantonalen Untersuchungsbehörden ( BGE 92 IV 155 E. 1). Demgegenüber kann nicht auf die Rechtsprechung verwiesen werden, wonach der Gerichtsstand nicht davon abhängt, was dem Beschuldigten schliesslich nachgewiesen werden kann, sondern sich nach den Handlungen richtet, die durch die Strafverfolgung abgeklärt werden sollen, mit anderen Worten, nicht nach dem, was der Täter tatsächlich begangen hat, sondern nach dem, was ihm vorgeworfen wird ( BGE 98 IV 63 , BGE 71 IV 167 ). Mit dieser Praxis wird bloss dem Umstand Rechnung getragen, dass die Anklagekammer in aller Regel zu einem Zeitpunkt über die Zuständigkeit befinden muss, in dem die Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist, und infolgedessen spätere Änderungen in tatsächlicher Beziehung wie hinsichtlich der rechtlichen Unterstellung der schliesslich vom Beschuldigten zu verantwortenden Handlungen möglich sind, die erst vom Sachrichter berücksichtigt werden können. Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage muss das Bundesgericht somit notwendig von den Vorwürfen ausgehen, die dem Täter im Zeitpunkt des Verfahrens vor der Anklagekammer gemacht werden können. Massgebend ist dabei stets die Verdachtslage, wie sie sich zur Zeit des bundesgerichtlichen Entscheides darstellt. BGE 112 IV 61 S. 64
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Dispositiv Demnach erkennt die Anklagekammer: Das Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt wird gutgeheissen, und es werden die Behörden des Kantons Aargau berechtigt und verpflichtet erklärt, alle X. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
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Sachverhalt ab Seite 367 BGE 129 I 366 S. 367 Mit der Änderung der Staatsverfassung des Kantons Zürich (SR 131.211) vom 7. Juli 1963 wurde das Verhältnis zwischen Kirchen und Staat neu geordnet. Insbesondere wurden die Glaubens-, Gewissens- und Kultusfreiheit garantiert, drei Religionsgemeinschaften als öffentlichrechtliche Körperschaften anerkannt, deren Stellung umschrieben, die sog. historischen Rechtstitel gewahrt und für die öffentlichrechtlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften die Bestimmungen des Privatrechts als massgeblich erklärt (Art. 64; BBl 1963 II 487 und 852). Im gleichen zeitlichen Zusammenhang wurden das Gesetz über die evangelisch-reformierte Landeskirche und das Gesetz über das römisch-katholische Kirchenwesen erlassen. - In der Folge blieben mehrere Fragenkomplexe zum Verhältnis zwischen Kirchen und Staat kontrovers. Über zwei kantonale, 1977 und 1995 abgelehnte Initiativen auf Trennung von Staat und Kirche hinaus gaben zu Diskussionen Anlass die Fragen der Ablösung der sog. historischen Rechtstitel, der Kirchensteuer (für juristische Personen und Kollektivgesellschaften), der öffentlichrechtlichen Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften, der Organisationsautonomie der öffentlichrechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften sowie des Stimmrechts von Ausländern. Am 31. März 2003 beschloss der Kantonsrat des Kantons Zürich eine grundlegende Neugestaltung der Stellung von Religionsgemeinschaften. Zum einen verabschiedete er eine Änderung der Kantonsverfassung zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat, gestützt darauf zum andern das Kirchengesetz und das Gesetz über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften (Anerkennungsgesetz). Die Änderung der Kantonsverfassung vom 31. März 2003 (im Folgenden: nKV) hat, soweit im vorliegenden Fall von Bedeutung, folgenden Wortlaut: Art. 16 3 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie die weiteren, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften regeln das Stimm- und Wahlrecht ihrer Mitglieder unter Wahrung der rechtsstaatlichen Anforderungen selbst. Art. 47 4 Die Zuständigkeit zur Neubildung, Vereinigung oder Auflösung von Kirchgemeinden kann durch die Gesetzgebung den kirchlichen Körperschaften übertragen werden. Art. 64 1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet. 2 Religionsgemeinschaften können staatlich anerkannt werden. BGE 129 I 366 S. 368 3 Durch die Anerkennung werden die Religionsgemeinschaften zu Körperschaften des öffentlichen Rechts oder erlangen andere Rechte. Das Gesetz regelt die Voraussetzungen, Formen und Wirkungen der Anerkennung. 4 Die evangelisch-reformierte Kirche, die römisch-katholische Kirche und die christkatholische Kirche sind staatlich anerkannt. Die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden sowie die christ-katholische Kirchgemeinde sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. 5 Die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind im Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Die Gesetzgebung regelt die Grundzüge ihrer Organisation, ihre Kompetenz zur Besteuerung der natürlichen und juristischen Personen sowie die staatlichen Beiträge. Die Oberaufsicht des Staates bleibt vorbehalten. 6 Die Stimmberechtigten der Kirchgemeinden wählen ihre Pfarrerinnen beziehungsweise Pfarrer auf Amtsdauer. Gemäss dem Antrag des Regierungsrates zur Verfassungsänderung soll mit der angestrebten Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat eine erhöhte Autonomie der Kirchen erreicht werden, was Änderungen vor allem in den Bereichen des Stimmrechts sowie der strukturellen und organisatorischen Zuständigkeiten bedinge. Ferner werde die staatliche Finanzierung kirchlicher Tätigkeiten auf eine neue Grundlage gestellt werden und sollen die Bestimmungen über die historischen Rechtstitel aufgehoben und das Recht der Kirchen zur Erhebung von Kirchensteuern für juristische Personen in der Verfassung verankert werden. Schliesslich sollen die drei genannten Religionsgemeinschaften als öffentlichrechtliche Körperschaften mit weitgehender Autonomie anerkannt werden und die verfassungsrechtliche Grundlage für ein Gesetz zur Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften geschaffen werden. - Anlässlich der Beratungen der Vorlage im Kantonsrat wurde u.a. die Frage einer allfälligen Aufteilung der Verfassungsvorlage in zwei Teile diskutiert, entsprechende Anträge wurden indessen abgelehnt und die Änderung der Kantonsverfassung als eine einheitliche Vorlage verabschiedet. Peter Schäppi und weitere Stimmbürger und Stimmbürgerinnen haben beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde nach Art. 85 lit. a OG erhoben und wegen Missachtung des Grundsatzes der Einheit der Materie eine Verletzung der Abstimmungsfreiheit gemäss Art. 34 Abs. 2 BV gerügt. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Zusammenfassung der Entflechtung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat BGE 129 I 366 S. 369 einerseits und der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften anderseits verunmögliche eine freie Willenskundgabe. Das Bundesgericht weist die Stimmrechtsbeschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beschwerdeführer machen mit ihrer Stimmrechtsbeschwerde geltend, die vom Kantonsrat beschlossene Verfassungsänderung missachte den Grundsatz der Einheit der Materie und dürfe daher nicht in dieser Form der Volksabstimmung unterbreitet werden. 2.1 Der Grundsatz der Einheit der Materie ist im zürcherischen Recht nur hinsichtlich der Volksinitiative ausdrücklich verankert; nach § 4 Abs. 1 Ziff. 4 des Initiativgesetzes sind Volksinitiativen ungültig, welche Begehren verschiedener Art enthalten, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, es handle sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Kantonsverfassung. Der Grundsatz der Einheit der Materie gilt indessen generell auch von Bundesrechts wegen. Das unter der Herrschaft der alten Bundesverfassung als ungeschriebenes Verfassungsrecht gewährleistete Stimm- und Wahlrecht räumte dem Bürger allgemein den Anspruch ein, dass kein Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (vgl. BGE 121 I 138 E. 3 S. 141, mit Hinweisen auf die Entwicklung der Wahl- und Abstimmungsfreiheit). Daraus wurde seit 1964 u.a. der Grundsatz der Einheit der Materie abgeleitet: Im Falle eines Finanzreferendums erkannte das Bundesgericht, dass Kredite für Schulhaus- und Spitalbauten nicht zu einem einzigen Abstimmungsgegenstand verbunden werden dürften; "sinon le citoyen, qui est favorable à l'un des projets, est obligé ou de le repousser pour manifester son opposition à l'autre ou de l'accepter, mais en faisant croire alors par son vote qu'il appuie le second" ( BGE 90 I 69 E. 2b S. 74; BGE 99 Ia 177 E. 3c S. 182; ferner BGE 123 I 63 E. 4b S. 71; BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 376). Art. 34 Abs. 2 BV schützt neu ausdrücklich die freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit übernimmt den Gehalt des ungeschriebenen Verfassungsrechts in die neue Bundesverfassung ( BGE 129 I 232 E. 4.2 S. 244 mit Hinweisen). Dazu zählt auch der Grundsatz der Einheit der Materie (Urteil 1P.123/2002 vom 25. Juni 2003, E. 3.2; GEROLD STEINMANN, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 10 und 13 zu Art. 34 BV ). Die Beschwerdeführer stützen ihre Rüge, die Änderung BGE 129 I 366 S. 370 der Kantonsverfassung missachte den Grundsatz der Einheit der Materie, daher zu Recht auf Art. 34 Abs. 2 BV ab (vgl. BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223). 2.2 Der Grundsatz der Einheit der Materie verlangt, dass zwei oder mehrere Sachfragen und Materien nicht in einer Art und Weise miteinander zu einer einzigen Abstimmungsvorlage verbunden werden, die die Stimmberechtigten in eine Zwangslage versetzen und ihnen keine freie Wahl zwischen den einzelnen Teilen belassen. Wird der Grundsatz missachtet, können die Stimmbürger ihre Auffassung nicht ihrem Willen gemäss zum Ausdruck bringen: entweder müssen sie der Gesamtvorlage zustimmen, obschon sie einen oder gewisse Teile missbilligen, oder sie müssen die Vorlage ablehnen, obwohl sie den andern oder andere Teile befürworten (vgl. BGE 90 I 69 E. 2 S. 73 f.; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; BGE 99 Ia 724 E. 3 S. 731 und 732 f.; BGE 97 I 669 E. 3 S. 672; BGE 96 I 636 E. 7 S. 652; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3b; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, S. 363; YVO HANGARTNER/ANDREAS KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, Rz. 2481). Dieser Zielrichtung entsprechend ist der Grundsatz der Einheit der Materie bei allen Vorlagen zu beachten, die den Stimmberechtigten zum Entscheid unterbreitet werden. Grundsätzlich ist es daher unerheblich, ob es sich um eine Initiative oder Behördenvorlage, um Partial- oder Totalrevisionen von Verfassungen oder Gesetzen oder um Gesetzes- oder Finanzvorlagen handelt ( BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471; BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 105 Ia 370 4b S. 376; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; BGE 99 Ia 177 E. 3a S. 182, 638 E. 5b S. 646; BGE 97 I 669 E. 3 S. 673; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a; vgl. auch Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3c). Damit steht nicht im Gegensatz, dass die Rechtsprechung den Grundsatz der Einheit der Materie entsprechend der Art der Vorlage differenziert gewichtet ( BGE 116 Ia 466 E. 5 S. 471; ZBl 96/1995 S. 470). Höhere Ansprüche werden bei Partialrevisionen der Verfassung gestellt als bei Totalrevisionen; insbesondere gilt es Initiativen auf teilweise Verfassungsänderung von solchen auf Totalrevision, die bisweilen ein unterschiedliches Verfahren auslösen, abzugrenzen ( BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; vgl. ALFRED KÖLZ, Rechtsgutachten über die Gültigkeit der Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär", ZBl 93/1992 S. 421; CRIPSIN F. M. HUGENSCHMIDT, Einheit der Materie - überholtes Kriterium zum Schutze des Stimmrechts?, Diss. Basel 2001, S. 39). Dem Grundsatz wird bei Initiativen teils grösseres BGE 129 I 366 S. 371 Gewicht beigemessen als bei Behördenvorlagen, weil dem praktischen Bedürfnis des Gesetzgebers Rechnung zu tragen ist, über den unmittelbaren Anlass einer Gesetzesrevision hinaus weitere bereits anstehende Postulate mit einzubeziehen. Zusätzlich soll die Willenskundgabe der Unterzeichner von Initiativen geschützt und missbräuchliche Erleichterungen der Unterschriftensammlung verhindert werden, auch wenn sich eine Kombination von unterschiedlichen Materien negativ auf den Erfolg einer Initiative auswirken kann; allein der Umstand, dass eine behördliche Vorlage bereits einen politischen Prozess durchlaufen und eine Synthese der Meinungen erfahren hat, bietet keine Gewähr für die Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie ( BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 52; BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 645; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3d; ZBl 96/1995 S. 470, teils mit Hinweisen auf Kritik in der Lehre). Schliesslich werden formulierte Initiativen strenger beurteilt als allgemeine, einer Ausarbeitung durch den Gesetzgeber erfordernde Anregungen, obgleich auch solche bereits der Volksabstimmung unterbreitet werden können (vgl. BGE 128 I 190 ; BGE 125 I 227 ; BGE 123 I 63 ; BGE 113 Ia 46 E. 4a S. 53; BGE 111 Ia 292 E. 2 S. 295). 2.3 Der Grundsatz der Einheit der Materie besagt, dass eine Vorlage grundsätzlich nur einen Sachbereich zum Gegenstand haben darf und zwei oder mehrere Sachfragen und Materien, die keinen inneren sachlichen Zusammenhang aufweisen, nicht zu einer einzigen Abstimmungsfrage verbunden werden dürfen. Ausschlaggebend ist der sachliche innere Zusammenhang der einzelnen Teile einer Vorlage. Dieser wird in der Rechtsprechung mit unterschiedlichen Formulierungen zum Ausdruck gebracht: Es wird gefordert, dass eine bestimmte oder die nämliche Materie betroffen werde, dass zwischen den Teilen ein "rapport intrinsèque étroit avec le même but" bestehe, dass die einzelnen zu einem bestimmten Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen und das nämliche Ziel verfolgen, das zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft, und dass der sachliche Zusammenhang nicht bloss künstlich, subjektiv oder rein politisch bestehe (vgl. BGE 128 I 190 E. 3.2 S. 197; BGE 125 I 227 E. 3c S. 231; BGE 123 I 63 E. 4d S. 73; BGE 112 Ia 136 E. 2g S. 141, 391 E. 3b S. 395; BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 376; BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 224; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 646; BGE 97 I 669 E. 3 S. 672; BGE 96 I 636 E. 7 S. 653). Die neue Bundesverfassung begnügt sich in Art. 139 Abs. 2 und Art. 139a Abs. 2 (Fassung gemäss Bundesbeschluss über die Änderung der Volksrechte, AS 2003 S. 1949 und 1953) sowie in Art. 194 BGE 129 I 366 S. 372 Abs. 2 damit, bei eidgenössischen Volksinitiativen und Teilrevisionen der Verfassung die Beachtung der Einheit der Materie zu fordern; nach dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1) wird die Einheit der Materie als gewahrt erachtet, wenn zwischen den einzelnen Teilen einer Initiative ein sachlicher Zusammenhang besteht ( Art. 75 Abs. 2 BPR ). Die Lehre hat zum Erfordernis des inneren sachlichen Zusammenhangs Fallgruppen unterschiedlicher Konstellationen herausgearbeitet und die Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie etwa an folgenden Kriterien gemessen: Beschränkung auf einen einzigen Zweck, Verbindung eines Zwecks mit der dafür erforderlichen Finanzierung, Verbindung einer Regel mit einer Übergangsbestimmung, Verbindung verschiedener Forderungen mit logischem oder sachlichem Zusammenhang, Verbindung der Forderung nach Aufhebung einer Regelung mit einem Ersatzvorschlag (vgl. DIETRICH SCHINDLER, Rechtsgutachten über die Volksinitiative "40 Waffenplätze sind genug - Umweltschutz auch beim Militär", in: ZBl 93/1992 S. 388 ff.; LUZIUS WILDHABER, Kommentar zur aBV, Rz. 104 ff. zu Art. 121/122 aBV; LUZIAN ODERMATT, Ungültigerklärung von Volksinitiativen, in: AJP 1996 S. 711 und 714; YVO HANGARTNER, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 28 zu Art. 139 BV ). Diese Umschreibungen der Anforderungen an die Einheit der Materie belegen, dass der Begriff schwer zu fassen ist. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung betont daher, dass der Grundsatz von relativer Natur und vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse zu betrachten ist (vgl. BGE 128 I 190 E. 3.2 S. 196; BGE 125 I 227 E. 3b S. 230; BGE 123 I 63 E. 4d S. 73; BGE 112 Ia 391 E. 3b S. 395; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3d; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a/cc). Insbesondere kann der geforderte innere Zusammenhang zwischen einzelnen Teilen nicht abstrakt umschrieben werden. Unter Umständen kann er sich aus einer logischen Betrachtung ergeben, wenn etwa der eine Teil den andern bedingt und der eine ohne den andern keinen vernünftigen Sinn ergibt. Eine Verbindung zwischen einzelnen Teilen kann sich aus einem einheitlichen Ziel oder gemeinsamen Zweck ergeben. Ob dies im Einzelfall als gegeben erachtet wird, kann vom Standpunkt und der Abstraktionshöhe der Betrachtung abhängen. Im Sinne einer Grenzziehung hält die Rechtsprechung lediglich fest, dass zur Wahrung der Einheit der Materie nicht jegliche, rein künstlich oder politisch hergestellte Verbindung zwischen einzelnen Teilen ausreicht. Erforderlich ist eine Ausrichtung, die aus der Sicht der Willensbildung und -äusserung der Stimmberechtigten als gemeinsam BGE 129 I 366 S. 373 wahrgenommen werden kann. Dies mag wiederum vom gesellschaftlich-historischen Umfeld und der konkreten politischen Auseinandersetzung abhängen. Dabei ist nicht allein auf die Absichten des Gesetzgebers oder der Initianten abzustellen, sondern der Normtext nach den anerkannten Interpretationsregeln auszulegen (vgl. BGE 111 Ia 303 E. 4 S. 305) und der Sicht des "aufgeklärten", politisch interessierten Stimmbürgers Rechnung zu tragen (vgl. HUGENSCHMIDT, a.a.O., S. 52 f.). Schliesslich ist anzufügen, dass die Einheit der Materie als Teilgehalt der Abstimmungsfreiheit bei grösseren Verfassungs- oder Gesetzgebungsvorhaben mit neuer und grundlegender Ausrichtung in ein Spannungsverhältnis zur Innovations- und Gestaltungsfreiheit des Normgebers treten kann (vgl. PIERRE TSCHANNEN, Stimmrecht und politische Verständigung, Basel 1995, S. 129). Diesfalls bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung des inneren sachlichen Zusammenhangs der einzelnen Teile, um einen Ausgleich zu finden und sowohl der Abstimmungsfreiheit als auch der ureigensten Aufgabe des Verfassungs- und Gesetzgebers Rechnung zu tragen. Da der Begriff der Einheit der Materie, wie aufgezeigt, in mehrfacher Hinsicht von relativer Natur und die Gewichtung einzelner Teile einer Vorlage und ihres Verhältnisses zueinander zudem eine politische Frage ist, kommt den Behörden bei der Ausgestaltung von Vorlagen nach der Rechtsprechung ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zu ( BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3e). An die Einhaltung des Grundsatzes dürfen daher keine überspannten Anforderungen gestellt werden ( BGE 104 Ia 215 E. 2b S. 223; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 646; BGE 96 I 636 E. 7 S. 653; BGE 90 I 69 E. 2c S. 74). Die Rechtsprechung betont denn auch, dass die Stimmberechtigten keinen verfassungsmässigen Anspruch darauf haben, dass ihnen einzelne, allenfalls besonders wichtige Teile einer Vorlage gesondert zur Abstimmung vorgelegt werden; sie müssen sich vielmehr auch dann für die Gutheissung oder Ablehnung der ganzen Vorlage entscheiden, wenn sie nur mit einzelnen Vorschriften einverstanden sind bzw. einzelne Bestimmungen ablehnen ( BGE 111 Ia 196 E. 2b S. 198; BGE 105 Ia 370 E. 4b S. 377; BGE 104 Ia 215 E. 2c S. 224; BGE 99 Ia 638 E. 5b S. 646, 724 E. 3 S. 735; BGE 97 I 669 E. 3 S. 672; BGE 96 I 636 E. 7 S. 653; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545, E. 3b; ZBl 96/1995 S. 470, E. 4a/bb). 3. 3.1 In Bezug auf die angefochtene Änderung der Kantonsverfassung bringen die Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die BGE 129 I 366 S. 374 Vorlage vereinige unter dem gemeinsamen Titel der Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat zwei völlig verschiedenartige Anliegen ohne näheren und zwingenden Zusammenhang. Der eine Teil betreffe die Entflechtung des Verhältnisses zwischen den bisher anerkannten Kirchen (der evangelisch-reformierten, römisch-katholischen und christkatholischen Kirche) und dem Staat. Hier bestehe ein erheblicher Reformbedarf, der mit der Regelung der finanziellen Verhältnisse (Ablösung der sog. historischen Rechtstitel, Einführung eines Besteuerungsrechts für juristische Personen und Entrichtung staatlicher Beiträge) und mit der Gewährung einer ausgedehnten Autonomie (eigenständige Ordnung des Stimm- und Wahlrechts und der Organisation) abgedeckt werde. Der andere Teil verfolge wesentlich andere Ziele und betreffe die Frage, ob über die schon bisher staatlich anerkannten Kirchen hinaus weitere Religionsgemeinschaften einen öffentlichrechtlichen Status erlangen können. Diese beiden unterschiedlichen Teile erforderten im Sinne einer differenzierten Willenskundgabe eine getrennte Abstimmung. Demgegenüber vertreten der Kantonsrat und der Regierungsrat die Auffassung, dass die verschiedenen Teile der Verfassungsvorlage zusammengehörten. Die lange Entstehungsgeschichte seit den 80er- Jahren habe zahlreiche, voneinander abhängige Reformbedürfnisse zusammengefasst, insbesondere die Fragen der historischen Rechtstitel, der Möglichkeit der Besteuerung und der Entrichtung staatlicher Beiträge, der Organisationsautonomie mit der Befugnis zur Einführung des Ausländerstimmrechts sowie der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften. Diese Bemühungen hätten nunmehr zu einer gesamtheitlichen Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat einerseits und Kirchen und Religionsgemeinschaften andererseits geführt, über die die Stimmbürger ohne Aufteilung zu befinden hätten. 3.2 Die angefochtene Revision der Kantonsverfassung bringt die seit 1963 geführten Diskussionen und Auseinandersetzungen zum Verhältnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Staat zu einem vorläufigen Abschluss. Die Vorlage umfasst im Wesentlichen drei Bereiche: Die Autonomie der Kirchen wird unter dem Stichwort der Entflechtung gestärkt und erlaubt insbesondere eine eigenständige Regelung des Stimm- und Wahlrechts; eine neue Finanzordnung mit der Kompetenz zur Besteuerung von natürlichen und juristischen Personen und einer Entrichtung von staatlichen Beiträgen beendet ferner die Auseinandersetzungen um die historischen Rechtstitel; die öffentlichrechtliche Anerkennung schliesslich wird BGE 129 I 366 S. 375 für die drei Kirchen auf Verfassungsstufe beibehalten und weiteren Religionsgemeinschaften zugänglich gemacht. Im Folgenden ist bei der Frage der Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie von diesen drei Sachbereichen auszugehen. Es wird zu prüfen sein, in welchem Verhältnis diese zueinander stehen, was sie miteinander verbindet bzw. was sie voneinander trennt und ob sie demnach unter dem Gesichtswinkel von Art. 34 Abs. 2 BV zu einer einzigen Abstimmungsvorlage zusammengefasst werden durften. 4. 4.1 Die genannten drei Sachbereiche betreffen sehr unterschiedliche Themenkreise. Trotz dieses Umstandes kann nicht gesagt werden, dass sie verschiedenartigste Regelungsbereiche ohne jegliche Berührungspunkte betreffen und die angefochtene Revision der Kantonsverfassung vollkommen sachfremde Elemente in einer einzigen Vorlage zusammenfasst. Ein gewisser Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen kann letztlich darin erblickt werden, dass sie alle im weitesten Sinne auf das Verhältnis von Religionsgemeinschaften zum Staat ausgerichtet sind. Ihre Zusammenfassung in einer einzigen Vorlage kann daher nicht als künstlich oder geradezu willkürlich im Sinne der Rechtsprechung bezeichnet werden (vgl. die in BGE 123 I 63 E. 5 S. 73 beurteilte Initiative). Dies erfordert eine nähere Betrachtung des Verhältnisses der einzelnen Elemente zueinander. Die verschiedenen Teile der umstrittenen Verfassungsänderung stehen nicht in einer logischen Beziehung der Abhängigkeit oder Unterordnung zueinander. Es kann nicht gesagt werden, dass der eine den andern bedingen würde oder der eine den Grundsatz und der andere die Art und Weise der Realisierung umschreiben würden. Ebenso wenig kann aufgrund der Entstehungsgeschichte angenommen werden, dass die Vorlage in dem Sinne eine Einheit bildet, dass der eine Teil ohne den andern nicht vorgeschlagen worden wäre oder einzelne Teile davon isoliert betrachtet keinen Sinn mehr ergeben würden. Die genannten Teilbereiche sind vielmehr gleichgeordnet. Insbesondere könnten die Bereiche der Entflechtung und der Finanzordnung einerseits und jener der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften andererseits unabhängig voneinander Bestand haben und verlören dadurch - trotz möglicher veränderter Tragweite - nicht jeglichen Sinn. Darin liegt denn auch der Grund, dass der Möglichkeit bzw. der Schwierigkeit einer Aufteilung der Vorlage im vorliegenden Fall BGE 129 I 366 S. 376 unter dem Gesichtswinkel der Einheit der Materie keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Im Umstand, dass eine Vorlage aufgeteilt werden könnte, kann kein entscheidendes Indiz für eine Missachtung der Einheit der Materie erblickt werden (vgl. SCHINDLER, a.a.O., S. 396 mit Verweis auf BGE 99 Ia 724 ; ZBl 83/1982 S. 346, E. 3). Zwei unterschiedliche Massnahmen können im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel zu einer einzigen Vorlagen verbunden werden. Im vorliegenden Fall kann es daher nicht alleine darauf ankommen, dass eine aufgeteilte Abstimmung, wie sie von den Beschwerdeführern vorgeschlagen wird und vom Kantonsrat diskutiert wurde, ohne weiteres denkbar ist. Umgekehrt liegt im Umstand, dass eine Abstimmungsvorlage nicht oder zumindest nicht leicht unterteilt werden kann, kein entscheidendes Kriterium. Die Unteilbarkeit dürfte oftmals von der Gesetzestechnik abhängen. Im vorliegenden Fall könnte der Schwierigkeit der Abstimmung über Art. 16 Abs. 3 nKV dadurch begegnet werden, dass die Bestimmung in zwei Absätze mit Gültigkeit für die bisherigen kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts bzw. für weitere, als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaften aufgeteilt würde. Diese Erwägungen zeigen, dass im vorliegenden Fall formale Kriterien für die Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie kaum von Nutzen sind. Dies erfordert eine nähere Betrachtung, welcher inhaltliche Sachzusammenhang zwischen den einzelnen Teilen besteht. 4.2 Die Beschwerdeführer betonen die Unterschiedlichkeit der einzelnen Teile der angefochtenen Regelung und trennen den Reformbereich mit den Teilen der Entflechtung und der Finanzordnung einerseits von der grundsätzlich neuen Möglichkeit der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften andererseits. Ihre Argumentation gründet auf einer das Trennende hervorhebenden Betrachtung der einzelnen Themenkreise. Unter diesem Gesichtswinkel ist vorerst auf die Entstehungsgeschichte näher einzugehen. Sie zeigt, dass die nunmehr verabschiedete Vorlage auf unterschiedlichen Wegen zustande gekommen ist: Nach einem parlamentarischen Vorstoss von 1980 verlangte die parlamentarische Initiative Dürr und Werner noch vor der Abstimmung über die zweite kantonale Trennungsinitiative bereits 1993 eine Revision der Kantonsverfassung mit dem Ziel, weiteren Religionsgemeinschaften das Recht einer öffentlichrechtlichen Anerkennung zuzugestehen. Eine Kommission des Kantonsrates BGE 129 I 366 S. 377 erarbeitete in der Folge eine Vorlage zur Änderung von Art. 64 KV, wonach weitere Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich anerkannt und zu öffentlichrechtlichen Körperschaften werden könnten. Darüber hinaus erarbeitete sie ein dazugehöriges Anerkennungsgesetz. Sie schloss ihre Arbeiten Ende September 1998 ab, setzte die Schlussabstimmung indessen zur Koordination mit den Arbeiten des Regierungsrates aus. - Im Nachgang der Ablehnung der Trennungsinitiative von 1995 ist die Diskussion um die historischen Rechtstitel erneut aufgenommen worden. Verschiedene Motionen aus dem Kantonsrat von 1996 forderten den Regierungsrat auf zur Berichterstattung und Antragstellung hinsichtlich Ablösung der historischen Rechtstitel und betreffend Kirchensteuer für juristische Personen und Kollektivgesellschaften. Auf diesem Wege wurden unter dem Titel "Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat" Entwürfe für eine Verfassungsänderung und ein Kirchengesetz ausgearbeitet. In Koordination mit den Vorbereitungsarbeiten der Kantonsratskommission integrierte der Regierungsrat schliesslich den Bereich der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in seinen eigenen Antrag. - Diese Entstehungsgeschichte macht deutlich, dass unterschiedliche Themen auf verschiedenen Wegen bearbeitet worden sind. Das weist darauf hin, dass die beiden Bereiche ein eigenständiges Gewicht einnehmen. Die Unterschiedlichkeit ist es denn auch, welche eine Koordination überhaupt erst erforderlich erscheinen liess, und kommt darin zum Ausdruck, dass die Verfassungsrevision als "gemeinsames Dach" für mehrere Bereiche bezeichnet worden ist. Insoweit können die einzelnen Teile der Vorlage vom Stimmbürger, der die politischen Auseinandersetzungen verfolgt und sich im Hinblick auf die Abstimmung eine Meinung bildet, als unterschiedliche und voneinander unabhängige Bereiche wahrgenommen werden. Entsprechendes ergibt sich im Lichte des Innovationsgehaltes der einzelnen Bereiche der Verfassungsvorlage. Auf der einen Seite steht die Entflechtung zwischen Kirchen und Staat, welche eine neue Finanzordnung schafft und den Kirchen mehr Autonomie einräumt. Sie bedeutet einen wesentlichen Schritt zur Neugestaltung und überwindet die langen Auseinandersetzungen um die historischen Rechtstitel, bewegt sich indessen mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der drei Kirchen im herkömmlichen Rahmen. Auf der andern Seite wird mit der Möglichkeit der öffentlichrechtlichen Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften etwas grundlegend Neues geschaffen. Auch insofern unterscheiden sich die beiden Teile BGE 129 I 366 S. 378 wesentlich in ihrer Tragweite und können daher als etwas qualitativ Unterschiedliches verstanden werden. Über die Verfassungsänderung hinaus haben die Stimmbürger auch über das Kirchengesetz und das Anerkennungsgesetz abzustimmen. Hinsichtlich der Gesetzesvorlagen können die Stimmberechtigten ihren Willen frei bilden und unverfälscht zum Ausdruck bringen, indem sie beide Vorlagen bejahen oder verneinen bzw. die eine verwerfen und der andern zustimmen. Daraus ergibt sich, dass über die Gesetzesvorlagen zwar differenziert abgestimmt, die Verfassungsrevision hingegen nur als Ganzes angenommen oder verworfen werden kann. Darin liegt indessen keine Besonderheit des vorliegenden Verfahrens, weil gestützt auf ein und dieselbe Verfassungsregelung oftmals unterschiedliche Gesetze erlassen werden. Aus diesem Umstand kann daher nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie geschlossen werden. 4.3 Kantonsrat und Regierungsrat betonen demgegenüber den Charakter der Gesamtvorlage und die einheitliche Ausrichtung auf eine gesamtheitliche Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat. Geht der Verfassungsgeber die Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften - unter Ausschluss der vollkommenen Trennung - in grundsätzlicher Sicht an, so sind aus diesem Bemühen heraus eine Vielzahl von Fragen zu klären. Dazu gehört der Bereich der den Religionsgemeinschaften zuzuerkennenden Autonomie; es ist in den Grundzügen festzuhalten, in welchem Ausmass der Staat die Religionsgemeinschaften in das Staatsrecht einbindet, den Bereich der Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich ordnet und diesen Selbständigkeit zuordnet. Ferner gilt es vor dem Hintergrund einer öffentlichrechtlichen Beziehung und eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften eine Finanzordnung im weitesten Sinne zu schaffen. Schliesslich ist festzulegen, welche Religionsgemeinschaften bzw. unter welchen Bedingungen Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich in Beziehung zum Staat treten bzw. treten können. Diesen Kreis zu umschreiben, bildet Bestandteil einer grundsätzlichen Regelung des Verhältnisses zwischen Religionsgemeinschaften und Staat. Mit der öffentlichrechtlichen Anerkennung der drei Kirchen auf Verfassungsstufe und der Möglichkeit einer staatlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften wird dieser Kreis bestimmt. In Anbetracht einer grundsätzlichen Ausrichtung der Verfassungsrevision mag es sachgerecht erscheinen, den Kreis der angesprochenen Religionsgemeinschaften offen BGE 129 I 366 S. 379 zu halten und über den bisherigen Zustand hinaus eine öffentlichrechtliche Anerkennung auch weiterer Religionsgemeinschaften zu ermöglichen. Aus der Sicht einer gesamtheitlichen Neuregelung des Verhältnisses zwischen Religionsgemeinschaften und Staat ergeben sich ferner Aspekte der Gleichbehandlung. Es lasse sich, wie im Laufe der Entstehungsgeschichte zum Ausdruck gebracht worden ist, mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbaren, die Privilegien (insbes. mit staatlichen Beiträgen und der Möglichkeit der Besteuerung von juristischen Personen) einzig einer festgeschriebenen Zahl von Kirchen zukommen zu lassen; dies erfordere eine Öffnung gegenüber weiteren Religionsgemeinschaften mit der Möglichkeit der Erlangung desselben Status. Kantonsrat und Regierungsrat heben in ihren Vernehmlassungen die Bedeutung der Gleichbehandlung mit Nachdruck hervor und geben zu bedenken, dass diese bei einer Aufteilung der Vorlage schon im Ansatz gefährdet erschiene. Schliesslich zeigt die Entstehungsgeschichte, dass das Ausländerstimmrecht mit der Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in enger Beziehung steht und diesem Rahmen diskutiert wurde, da dieses insbesondere für weitere Religionsgemeinschaften mit möglicherweise hohem Ausländeranteil von Bedeutung ist. 4.4 Eine gesamthafte Beurteilung der Frage, ob die angefochtene Verfassungsvorlage vor dem Grundsatz der Einheit der Materie standhält, zeigt vorerst, dass Kriterien formeller Natur zu keinem Ergebnis führen: Den erleichterten Anforderungen an Behördenvorlagen stehen die strengeren Voraussetzungen für Partialrevisionen von Verfassungen gegenüber (vgl. oben E. 2.2); die unterschiedlichen Teile der Verfassungsrevision stehen nicht in einer klaren Beziehung der Abhängigkeit oder Unterordnung zueinander (vgl. oben E. 4.1). In materieller Hinsicht rücken die Beschwerdeführer die einzelnen Sachfragen in den Vordergrund ihrer Betrachtung und stellen die einzelnen Themenkreise einander gegenüber, um die Unterschiedlichkeit der Teile und das Bedürfnis der Stimmberechtigten nach einer differenzierten Willensbildung und -kundgabe im Sinne der Abstimmungsfreiheit zu belegen. Demgegenüber betonen Kantonsrat und Regierungsrat die grundsätzliche Ausrichtung der Vorlage. Die behördliche Argumentation liegt auf einer höheren Abstraktionsstufe als diejenige der Beschwerdeführer und hebt über die Einzelteile hinaus den grundlegenden Zweck der Verfassungsrevision hervor, das Verhältnis zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften BGE 129 I 366 S. 380 sowie dem Staat auf eine neue Grundlage zu stellen. In dieser Zielrichtung kann ein hinreichender Sachzusammenhang im Sinne der Einheit der Materie erblickt werden. Das gilt nicht bloss für die einzelnen, die Entflechtung, Autonomie und Finanzordnung betreffenden Teile, sondern gleichmassen für die Frage der neu geschaffenen Möglichkeit der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften. Eine grundsätzliche Regelung hat den Kreis der Religionsgemeinschaften, die in einer besonderen Beziehung zum Staat stehen, zu umschreiben, darf diese Umschreibung offen fassen und braucht sich nicht auf das Überlieferte zu beschränken. Die Möglichkeit der öffentlichrechtlichen Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften über die bereits anerkannten Kirchen hinaus reiht sich damit in die Zielrichtung einer umfassenden Verfassungsrevision ein. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass dieser Bereich eine getrennte Entstehungsgeschichte aufweist und als Neuerung von grosser Bedeutung wahrgenommen wird. Es steht dem Verfassungsgeber zu, grundlegende Revisionen mit neuen, über das Bisherige hinausreichenden Elementen zu versehen. Unter dem Gesichtswinkel von Art. 34 Abs. 2 BV verfügt er nach der Rechtsprechung über einen weiten Gestaltungsspielraum (oben E. 2.3), in den das Bundesgericht nicht ohne Not eingreift (vgl. BGE 125 I 227 ; Pra 89/2000 Nr. 91 S. 545). Dieser Gestaltungsspielraum ist in Anbetracht des Zwecks, eine umfassende Neuregelung zu schaffen, nicht überschritten. Die Stimmbürger können schliesslich aus der Abstimmungsfreiheit keinen Anspruch darauf ableiten, dass ihnen besonders wichtige Fragen getrennt zur Abstimmung unterbreitet werden (oben E. 2.3). Die Stimmbürger erhalten die Gelegenheit, sich in grundsätzlicher Weise zum Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften im Allgemeinen auszusprechen, und haben sich daher für eine gesamthafte Annahme oder gesamte Verwerfung der Revision der Kantonsverfassung zu entscheiden. In Anbetracht dieser grundsätzlichen Ausrichtung und des dem Kantonsrat zukommenden Gestaltungsspielraums wahrt die angefochtene Verfassungsvorlage trotz der Vereinigung unterschiedlicher Themenkreise den Grundsatz der Einheit der Materie und ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit erweist sich die Rüge der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV als unbegründet.
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Sachverhalt ab Seite 471 BGE 129 II 470 S. 471 Für den Bau der Autobahn A9, Teilstrecke Visp-Ost - Anschluss Brig-Glis, beanspruchte der Staat Wallis auf dem Enteignungswege verschiedene Grundstücke der Lonza AG, nämlich Teilflächen der Parzellen Nr. 2707 (Enteignungs-Nr. 6), Nr. 3013 (Enteignungs- Nr. 12), Nr. 1 (Enteignungs-Nr. 13), Nr. 18 (Enteignungs-Nr. 14) und Nr. 65 (Enteignungs-Nr. 43) sowie die gesamte Parzelle Nr. 49 (Enteignungs-Nr. 42). Die Lonza AG betreibt auf den vier erstgenannten Grundstücken westlich von Gamsen die Deponie Gamsenried. Auf den an den Staat abgetretenen nördlichen Teilflächen dieser Parzellen verläuft heute die im Zusammenhang mit dem Nationalstrassenbau verlegte Kantonsstrasse T9. Die Werk- und Enteignungspläne für das (mehrmals abgeänderte) Nationalstrassenbauprojekt wurden im Oktober 1997 öffentlich aufgelegt. An der Einigungsverhandlung vom 21. November 1997 vor der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 4, stimmte die Lonza AG der vorzeitigen Inbesitznahme der abzutretenden Fläche durch den Staat Wallis zu. Dagegen konnten sich die Parteien über die Entschädigung für den Boden nicht einigen. An der Schätzungsverhandlung vom 6. März 1998 verlangte die Enteignete für die abgetretenen Deponieflächen eine Entschädigung BGE 129 II 470 S. 472 von Fr. 150.-/m2, während der Enteigner Fr. 50.-/m2 offerierte. Im nachfolgenden Schriftenwechsel legte sich die Lonza AG auf eine Entschädigungsforderung von insgesamt Fr. 18'103'680.- fest, womit auch der Verlust an Deponievolumen abgegolten würde. Der Staat Wallis bot eine Gesamtentschädigung von Fr. 1'795'620.- an. Mit seiner Stellungnahme vom 1. März 1999 reichte der Enteigner einen "Expertenbericht" mit Plan des Ingenieur- und Vermessungsbüros Bregy German AG vom 12. Februar 1999 ein, in welchem die zu enteignenden Grundstücksflächen je nach ihrer Zugehörigkeit zu einer der Deponiezonen (Altstoff-, Inertstoff-, Reststoffdeponie) oder zum Gebiet ausserhalb der Deponie unterteilt und mit entsprechenden Enteignungsnummern versehen werden. In Replik und Duplik hielten die Parteien an ihren Forderungen bzw. Offerten fest. Mit Entscheid vom 24. Juni 2002 sprach die Eidgenössische Schätzungskommission der Lonza AG für die (Teil-)Enteignung ihrer Grundstücke eine Entschädigung von insgesamt Fr. 4'836'633.- zu, womit auch der enteignungsbedingte Verlust an Deponievolumen auf einzelnen Parzellen-Teilflächen abgegolten wurde. Die Schätzungskommission behielt Nachmessungen ausdrücklich vor und verpflichtete den Enteigner, die Entschädigungen für die teilenteigneten Parzellen zunächst zu 90% und die restlichen 10% nach der endgültigen Vermessung zu entrichten. Zudem wurde festgesetzt, dass die Enteignungsentschädigungen ab 21. November 1997 bis 31. Dezember 2000 zu 4% und ab 1. Januar 2001 zu 4.5% zu verzinsen seien. Bei der Auszahlung und Verzinsung der Entschädigung sei die am 5. Dezember 1997 erfolgte Anzahlung von Fr. 2'020'000.- anzurechnen. Gegen den Entscheid der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 4, vom 24. Juni 2002 hat der Staat Wallis Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und unter anderem verlangt, dass die Volumen der Expropriationsflächen Nrn. 13b und 14b unter Berücksichtigung der Böschungsabzüge genau zu berechnen und als Inertstoffdeponie mit Fr. 41.-/m3 abzugelten seien. Subsidiär wird beantragt, die Deponievolumen der Expropriationsflächen Nrn. 13b und 14b seien genau zu berechnen und als Reststoffdeponie mit Fr. 49.-/m3 bzw. mit Fr. 11.-/m3 zu entschädigen. Überdies ersucht der Staat Wallis das Bundesgericht, den Wert der als Realersatz angebotenen Parzellen Nrn. 3012 und 8 vorsorglich festzulegen. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Wesentlichen gut. BGE 129 II 470 S. 473
1,625
638
Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Umstritten bleiben demnach einzig noch die Entschädigungen für die Teilenteignung der Parzellen Nrn. 1 und 18 bzw. für die Enteignungsflächen 13a und 13b sowie 14a und 14b. Die Schätzungskommission legt im angefochtenen Entscheid dar, dass die nördlichen Teilflächen 13a und 14a ausserhalb der Deponiezone II gelegen und Teil der mit Bäumen bepflanzten Böschung zwischen der ehemaligen Kantonsstrasse und der Deponie gebildet hätten. Für diesen Boden sei ein Preis von Fr. 8.-/m2 als angemessen zu betrachten. Auf den südlich anschliessenden, zur Deponiezone II gehörenden Enteignungsflächen 13b und 14b hätten dagegen gemäss der Deponiebewilligung noch Aufschüttungen vorgenommen werden können. Der enteignungsbedingte Verlust an Deponievolumen sei, unter Vornahme von Abzügen für die Böschungen, zu entgelten. Die Entschädigung werde aufgrund der Auskünfte verschiedener Betreiber von Reststoffdeponien über die erhobenen Gebühren und nach den Angaben der Enteigneten über die Eigenkosten auf Fr. 49.-/m3 festgelegt. Auf der Enteignungsfläche 14b hätte die Lonza AG überdies mit einem vorgängigen Abtrag des bereits abgelagerten Materials bis auf die Höhe des Grundwasserstandes zusätzliches Deponievolumen schaffen können, für das ebenfalls Entschädigung zu leisten sei. Da für den Abtrag des Materials Kosten von Fr. 30.-/m3 für Auflad und Transport angefallen wären, belaufe sich die Vergütung für den entsprechenden Volumenverlust noch auf Fr. 19.-/m3. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht der Staat Wallis zu den Enteignungsflächen 13b und 14b geltend, diese hätten gemäss bisheriger Nutzung und nach der Deponiebewilligung Teil der Inertstoffdeponie gebildet. Da eine bessere Verwendung dieses Bodens nicht in Betracht gefallen wäre, hätte die Entschädigung nicht anhand von Gebühren für Reststoffdeponien berechnet werden dürfen. Weiter sei die Schätzungskommission irrtümlich davon ausgegangen, auf der Enteignungsfläche 13b hätten noch Aufschüttungen bis auf 680 m vorgenommen werden können; tatsächlich hätte - mit Anböschungen - höchstens bis auf eine Höhe von 672 m aufgefüllt werden dürfen. Kritisiert werden weiter die bloss schätzungsweise vorgenommenen Abzüge für die auf den Enteignungsflächen vorgesehenen Böschungen. Schliesslich hält der Enteigner fest, dass sich der Verlust der Enteigneten einzig auf die auf den Teilflächen 13b und 14b nicht mehr aufschüttbaren Inertstoff-Deponievolumen BGE 129 II 470 S. 474 beschränke und der Staat Wallis bereit sei, diese Einbusse mit Fr. 41.-/m3 zu entschädigen. Die Enteignete hat im bundesgerichtlichen Verfahren vorgebracht, infolge der Werkentwicklung der Lonza AG würden inskünftig vermehrt Inertstoffdeponien in Reststoffdeponien umgewandelt werden, was eine gewinnbringendere Nutzung erlaube. Zudem hätte man in Gamsenried ohne den Nationalstrassenbau und die damit verbundene Enteignung Aufschüttungen bis zur ursprünglichen Kantonsstrasse bzw. bis zu den nördlichen Parzellengrenzen vornehmen können. Die Lonza AG habe den anders lautenden Entscheid der Schätzungskommission nur deshalb nicht angefochten, weil sie sich mit den für die Teilenteignung der Parzellen Nrn. 1 und 18 zugesprochenen Gesamtentschädigungen habe einverstanden erklären können. Im Übrigen sei der im Schätzungskommissions-Entscheid enthaltene Vorbehalt der Nachmessung nicht nur auf die Enteignungsflächen, sondern auch auf die Deponievolumen bzw. auf die - viel zu grossen - Böschungsabzüge zu beziehen. Zu untersuchen ist demnach die Frage, ob die Grenze der Deponie Gamsenried ohne den Nationalstrassenbau aller Wahrscheinlichkeit nach weiter nördlich verlaufen wäre und die ganzen Parzellen Nrn. 1 und 18 als Deponieareal hätten genutzt werden können (E. 5). Weiter ist abzuklären, ob der enteignete Boden als Teil der Inertstoff- oder als Reststoffdeponie zu betrachten und zu bewerten sei (E. 6). Schliesslich bleibt - soweit möglich - zu prüfen, welche Deponievolumen die Lonza AG enteignungsbedingt eingebüsst hat (E. 7). 5. Nach Art. 19bis Abs. 1 EntG (SR 711) ist für die Frage, welche rechtliche und welche tatsächliche Situation der Bewertung des enteigneten Bodens zugrunde zu legen sei, in der Regel auf das Datum der Einigungsverhandlung abzustellen. Von einer anderen als der in diesem Zeitpunkt geltenden Rechts- und Sachlage darf und muss aber ausgegangen werden, wenn feststeht oder mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Situation des fraglichen Grundstücks zur Zeit der Einigungsverhandlung ohne die Enteignung eine andere gewesen wäre ( Art. 20 Abs. 3 EntG ; BGE 112 Ib 533 E. 3 mit Hinweisen). Vorwirkungen des Werkes, die sich in planerischer Hinsicht niederschlagen, haben wie andere werkbedingte Vor- und Nachteile bei der Ermittlung des Verkehrswertes ausser Acht zu bleiben ( BGE 115 Ib 13 E. 5b S. 26 mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Entscheide). Wäre daher die Tatsache, dass die nördlichen Randflächen der Parzellen Nrn. 1 und 18 gemäss der Deponiebewilligung BGE 129 II 470 S. 475 nicht in das Deponieareal aufgenommen worden sind, mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit einzig auf den Nationalstrassenbau zurückzuführen, so müssten - wie die Enteignete geltend macht - auch die Enteignungsflächen 13a und 14a als zur Deponie gehörend betrachtet und bewertet werden. Die heutigen Ausmasse der Deponie Gamsenried bestimmen sich vorab nach dem Zonenplan der Gemeinde Brig-Glis vom März 1976, der am 2. Oktober 1988/1. Februar 1989 unter anderem für das Gebiet Gamsen-West einer Revision unterzogen wurde. Dabei wurde für die seit rund 80 Jahren betriebene Deponie der Lonza AG erstmals eine Deponiezone im Sinne einer Nutzungszone gemäss Art. 14 ff. RPG (SR 700) geschaffen. Es steht fest, dass die im damaligen Zeitpunkt bestehenden Deponieflächen grösser waren als die neu ausgeschiedenen Deponiezonen I und II und dass bei deren Abgrenzung auf den bevorstehenden Nationalstrassenbau Rücksicht genommen wurde. Die nördliche Grenze der Deponiezonen richtet sich nach dem Verlauf der im Zusammenhang mit dem Nationalstrassenbau verlegten Kantonsstrasse T9, deren Linienführung nach der Zonenplanrevision noch leicht geändert wurde. Wie sich der Abstimmungsvorlage zur Umzonung in Gamsen-West sowie dem für die Deponiesanierung erstellten Umweltverträglichkeitsbericht und dem Technischen Bericht zum Eingabeprojekt (beide Berichte vom 20. Oktober 1988, erstellt vom Büro Sieber Cassina + Partner) entnehmen lässt, bildete der Nationalstrassenbau jedoch keineswegs der einzige Grund für die Verkleinerung und Umgestaltung der Deponie: Nach diesen Unterlagen diente die seit den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts in Betrieb stehende Deponie Gamsenried der Lonza AG zunächst vor allem zur Ablagerung von Kalkhydrat und Gips. Diese beiden Produktionsrückstände wurden als Suspension in Druckleitungen aus dem ca. 4 km entfernten Werk in Visp auf die Deponie gepumpt, wo sie in ausgedehnten Becken sedimentierten. Auf dem rund 24 ha umfassenden Deponiegelände entstanden bis Ende der Sechzigerjahre Kalkhydrat-Ablagerungen von über 1 Mio. Kubikmeter mit Mächtigkeiten bis zu 10 m. Da angenommen wurde, die verfestigten Schlammschichten seien praktisch wasserundurchlässig, wurden zwischen 1963 und 1978 auch andere Produktionsrückstände der Lonza AG auf die Deponie gebracht. Hinzu kamen ab 1971 die Schlacke der Kehrichtverbrennungsanlage des Gemeindeverbandes Oberwallis für die Kehrichtbeseitigung (GVO) und ab 1977 auch die Asche aus der Schlammverbrennung der Regional-ARA Visp. Im Rahmen einer regionalen Grundwasseruntersuchung BGE 129 II 470 S. 476 wurde 1978 festgestellt, dass Schmutzstoffe aus den Ablagerungsprodukten ins Grundwasser gelangten. Die hierauf eingeleiteten umfangreichen Untersuchungen, an denen Experten und die zuständigen Ämter des Bundes und des Kantons mitwirkten, führten schliesslich zum Entscheid, nicht nur eine Grundwassersanierung, sondern gestützt auf die damals im Entwurf vorliegende Technische Verordnung über Abfälle (TVA vom 10. Dezember 1990; SR 814.600) auch eine umfassende Reorganisation und Neugestaltung der Deponie vorzunehmen. Dementsprechend wurde in den im November 1988 eingereichten Projektplänen und den begleitenden Berichten vorgesehen, innerhalb des bestehenden Deponiegeländes neue, voneinander abgetrennte Areale für die Ablagerung der verschiedenen Inert- und Reststoffe gemäss dem geltenden Stand der Deponietechnik zu erstellen. Ebenfalls im Jahre 1988 erarbeitete die Gemeinde Brig-Glis die Zonenplanänderung für die bisher im übrigen Gemeindegebiet betriebene Deponie. In seinen Erläuterungen zur Abstimmungsvorlage legte der Gemeinderat dar, dass die Sanierung der undichten Deponie Vorbedingung für eine weitere beschränkte Nutzung sei. Ziel der vorgesehenen Umzonung in Gamsen sei unter anderem, auf Teilflächen der sanierten Deponie auch in Zukunft eine umweltgerechte Ablagerung von Reststoffen und Inertstoffen zu ermöglichen. Zudem solle mit der umgehenden Herrichtung des Endzustandes der nicht weiter benutzbaren Altstoffdeponie sowie der übrigen Randzonen rasch eine wesentliche Verbesserung des Landschaftsbildes erreicht werden. Die festzulegende Deponiezone von 180'000 m2 weise eine um 60'000 m2 geringere Fläche auf als die bisherige Deponie und solle in eine Altstoffdeponie von 80'000 m2, eine Reststoffdeponie von 30'000 m2, eine Inertstoffdeponie von 50'000 m2 und ein Gebiet von 20'000 m2 für den Kalkhydratabbau aufgeteilt werden. Im Übrigen wies der Gemeinderat darauf hin, dass die Deponie nur der regionalen Entsorgung dienen werde, was von der Lonza AG und den zuständigen kantonalen und eidgenössischen Stellen ausdrücklich zugesichert worden sei. Die Urversammlung stimmte der Umzonung, wie bereits erwähnt, am 2. Oktober 1988 zu. Das Baugesuch für die Sanierung und Anpassung der Deponie für Inert- und Reststoffe wurde am 4./7. März 1989 vom Gemeinderat Brig-Glis und am 12./13. September 1989 von der kantonalen Baukommission bewilligt. Das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Wallis erteilte der Lonza AG am 23. August 1989 die Plangenehmigung und am 9. Juli 1993 die (arbeitsrechtliche) Betriebsbewilligung für BGE 129 II 470 S. 477 die Deponie für Inert- und Reststoffe in Gamsen. Die umweltschutzrechtliche Betriebsbewilligung des kantonalen Departementes für Umwelt und Raumplanung erging am 23. Juli 1992. Aus dieser Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass die Verkleinerung der in den Zonenplan aufgenommenen Deponiefläche nicht in erster Linie nationalstrassenbaubedingt war, sondern auf die Massnahmen zur Sanierung und Umgestaltung der bisherigen Ablagerungsflächen in eine den Umweltschutzbestimmungen entsprechende Deponie zurückzuführen ist. Wie die Deponiezone abgegrenzt worden wäre, wenn die Nationalstrasse nicht erstellt und die Kantonsstrasse nicht verlegt worden wäre, ist völlig offen. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die nördliche Zonengrenze ohne den Strassenbau mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit entlang der ursprünglichen Kantonsstrasse gezogen worden wäre. Selbst wenn aber angenommen werden könnte, dass der Boden bis zur alten Kantonsstrasse eingezont worden wäre und damit die Parzellen Nrn. 1 und 18 vollständig in die Deponiezone einbezogen worden wären, wäre damit nicht gesagt, dass in diesen Deponie-Randgebieten Aufschüttungen hätten vorgenommen werden dürfen. Wie bereits erwähnt, strebte die Gemeinde Brig-Glis mit der Umzonung auch eine bessere Eingliederung der Deponie in die Landschaft und eine dementsprechende Gestaltung der Randzonen an. Es ist daher praktisch auszuschliessen, dass die Enteignungsflächen 13a und 14a, die nach dem Entscheid der Schätzungskommission in einer teils mit Bäumen bestockten Böschung zwischen der ursprünglichen Kantonsstrasse und den eigentlichen Deponieflächen bestanden, für zusätzliche Aufschüttungen freigegeben worden wären. Der im angefochtenen Entscheid vorgenommenen Bewertung dieser Teilflächen mit Fr. 8.-/m2 ist daher zuzustimmen und eine werkbedingte planerische Vorwirkung zum Nachteil der Enteigneten zu verneinen. 6. 6.1 Die Schätzungskommission hat die Entschädigung für den Deponievolumenverlust auf den Enteignungsflächen 13b und 14b, die am Rande der Inertstoffdeponie lagen, anhand von Gebührenansätzen für Reststoffdeponien bemessen, ohne sich mit der Frage der möglichen besseren Verwendung des fraglichen Bodens näher auseinanderzusetzen. Nach Art. 20 Abs. 1 EntG ist bei der Ermittlung des Verkehrswertes auch die Möglichkeit einer besseren Verwendung angemessen zu berücksichtigen. Vorauszusetzen ist, dass die Möglichkeit günstigerer BGE 129 II 470 S. 478 Nutzung des Enteignungsobjekts im Zeitpunkt der Enteignung rechtlich und tatsächlich schon bestanden hat oder ohne die Enteignung in nächster Zukunft eingetreten wäre; bloss theoretische Möglichkeiten oder vage Aussichten auf eine künftige bessere Verwendung genügen nicht (vgl. BGE 113 Ib 39 E. 3 S. 43; Urteile 1E.53/1989 vom 25. Juni 1991, E. 2, und 1E.4/2002 vom 21. Oktober 2002, E. 3). Die Vertreter der Enteigneten haben an der Vorbereitungsverhandlung nicht bestritten, dass die fraglichen Enteignungsflächen zur Deponierung von Inertstoffen dienten. Sie haben aber betont, dass in der Deponiezone II die Lagerung von Inertstoffen wie auch von Reststoffen zugelassen sei und die Nachfrage nach Reststoffdeponievolumen landesweit ansteige; die Enteignete werde daher in Zukunft vermehrt Inertstoff- in Reststoffdeponien umwandeln. Diese Absicht vermag jedoch die Bemessung des Wertes des enteigneten Bodens nicht zu beeinflussen: Klarzustellen ist zunächst, dass aus der Umschreibung der Deponiezone II als "Reststoff- und/oder Inertstoffdeponie" nicht hergeleitet werden kann, innerhalb dieser Zone dürfe an jedem beliebigen Ort eine Reststoffdeponie erstellt und betrieben werden. Wie sich aus dem Anhang 2 zur TVA ergibt, gelten für den Standort und die Errichtung von Deponien bestimmte Anforderungen, die für die Lagerung von Reststoffen teils strenger sind als für Inertstoffe. Insbesondere sind Reststoffdeponien an Basis und Flanken derart abzudichten, dass ein Versickern des Abwassers verhindert wird. Zudem müssen Untergrund und Umgebung langfristig Gewähr dafür bieten, dass die Deponie stabil bleibt und keine Verformungen auftreten können (vgl. Anhang 2 Ziff. 1 und 22 zur TVA). Nun wird im bereits erwähnten Umweltverträglichkeitsbericht vom 20. Oktober 1988 dargelegt, in Gamsenried mangle es an der Deponiesohle und in den Randbereichen an einer natürlichen Dichtungsschicht, so dass für die Reststoffdeponie durchwegs künstliche Abdichtungssysteme aufgebaut werden müssten. Dies erfordere einen homogenen, tragfähigen Untergrund, der weder in der Bauphase noch unter der späteren Deponieauflast grössere Setzungen erfahren dürfe. Innerhalb des Deponieperimeters lasse sich diese Bedingung praktisch nur im Kalkhydrat-Abbaugebiet (zentraler Deponieteil) erfüllen, wo Ausgleichsschicht und Basisabdichtung mit vertretbarem Aufwand von der tragfähigen Talsohle her aufgebaut werden könnten. Die Areale für die Reststoffdeponie würden daher im zentralen Abschnitt des heutigen Deponieareals platziert, wobei sich die Grundflächen der BGE 129 II 470 S. 479 einzelnen Teildeponien nach dem erwarteten Materialanfall und der geforderten Nutzungsdauer richteten. Der gewählte Standort weise überdies den Vorteil auf, dass er durch die umgebende Deponie weitgehend abgeschirmt und dadurch das Immissionsrisiko massgeblich verringert werde (Umweltverträglichkeitsbericht Sieber Cassina + Partner S. 37). Weiter lässt sich dem Technischen Bericht zum Eingabeprojekt entnehmen, dass die erstellte Reststoffdeponie, die in vier separaten Arealen für die verschiedenen Abfallarten besteht, auf eine Nutzungsdauer von dreissig Jahren angelegt ist (Technischer Bericht S. 20, 24). Ein Bedarf nach Vergrösserung der - wie erwähnt nur die regionalen Bedürfnisse deckenden - Reststoffdeponie kann daher zur Zeit ausgeschlossen werden (vgl. dazu auch die in der Abfallstatistik 2000 des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft ausgewiesenen restlichen Deponievolumen der Reststoffdeponie Gamsenried [Tabelle 13, S. 78]). Dass konkrete Ausbaupläne bestanden hätten oder bestünden, behaupten auch die Vertreter der Enteigneten nicht. Selbst wenn sich dereinst ein solcher Ausbau der Reststoffdeponie als erforderlich erweisen würde, so wird dieser aus den im Umweltverträglichkeitsbericht genannten Gründen mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht im Randgebiet, sondern im zentralen Bereich der Deponiezone II erfolgen. Von einer möglichen besseren Verwendung der Enteignungsflächen 13b und 14b als Reststoffdeponien im Zeitpunkt der Enteignung kann mithin keine Rede sein. 6.2 Die Entschädigung für die Enteignungsflächen 13b und 14b wäre somit grundsätzlich anhand des Nettoertrages zu bestimmen, der sich bei Lagerung von Inertstoffen auf dem abgetretenen Boden ergeben hätte. Zu diesem Ertrag könnte allenfalls ein diskontierter Restwert des aufgeschütteten Bodens hinzugezählt werden, der möglicher künftiger Nutzung Rechnung trägt. Gemäss dem Expertenbericht Bregy German AG vom 12. Februar 1999 belaufen sich die Deponiegebühren für Inertstoffe im Wallis auf Fr. 5.- bis 10.-/m3 (ohne Mehrwertsteuer). Selbst wenn diese Gebühren noch etwas höher anzusetzen wären, ist klar, dass ein Abbau des auf den Enteignungsflächen bereits vorhandenen Materials zur Vergrösserung des Deponievolumens unwirtschaftlich gewesen wäre, unabhängig davon, ob sich die Abbau- und Transportkosten auf Fr. 30.-/m3 belaufen, wie die Schätzungskommission annimmt, oder ob noch Kosten für eine Zwischendeponie hinzuzuzählen wären, wie der Enteigner geltend macht. Der Erkenntnis, dass sich ein Materialabtrag auf den Enteignungsflächen nicht gelohnt hätte, kann auch nicht entgegengehalten BGE 129 II 470 S. 480 werden, dass die Enteignete ohnehin Kalkhydrat abbaue und als Neutralisationsmittel verwende. Der Kalkhydratabbau von täglich (lediglich) rund 15 m3 findet an anderer, zentraler Stelle der Deponiezone II statt und wäre auch ohne die Enteignung nie oder erst in ferner Zukunft in das fragliche Randgebiet verlegt worden. Bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung für die Flächen 13b und 14b ist demnach davon auszugehen, dass nur Aufschüttungen auf dem bestehenden Terrain bis auf die gemäss Baubewilligung zulässige Höhe einen Ertrag hätten abwerfen können. 6.3 Es erübrigt sich im vorliegenden Fall abzuklären, welche Gebühren für die Inertstoffdeponie hätten erhoben werden können und welche Betriebskosten im Zeitpunkt der Enteignung angefallen wären, da der Enteigner für den Verlust von Deponievolumen auf den Enteignungsflächen 13b und 14b eine Entschädigung von Fr. 41.-/m3 angeboten hat. Diesem Angebot liegt nach der Expertise Bregy German AG die Überlegung zugrunde, dass dem Staat Wallis bei Abbau des (noch aufschüttbaren) Volumens und anderweitiger Deponierung des Materials Kosten (inkl. Mehrwertsteuer) von rund Fr. 41.-/m3 entstanden wären und dass diese Kosten dem Schaden der Lonza AG gleichgesetzt werden könnten. Der derart ermittelte Schadensbetrag übersteigt mit Sicherheit die anhand des entgangenen Nettoertrages berechnete Entschädigung, selbst wenn zu dieser noch ein abgezinster Bodenwert hinzugeschlagen würde. Dass die vom Enteigner angestellte Schadensberechnung nicht der gemäss Enteignungsrecht vorzunehmenden Entschädigungsbemessung entspricht, ändert nichts daran, dass das Bundesgericht an die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuerte Offerte gebunden ist. Bei der Festsetzung der Entschädigung für die Enteignungsflächen 13b und 14b ist daher von einem Preis von Fr. 41.-/m3 für den Verlust an Deponievolumen auszugehen, in welchem auch der (diskontierte) Wert des dereinst wieder hergestellten Terrains enthalten ist. Soweit allerdings auf dem enteigneten Boden keine Auffüllungsmöglichkeit mehr bestand (s. unten E. 7.1), ist dieser gleich wie das nördlich angrenzende Land mit Fr. 8.-/m2 zu bewerten. 7. 7.1 Was das Ausmass des Deponievolumen-Verlustes betrifft, so ist dieses im angefochtenen Entscheid richtigerweise aufgrund des im Jahre 1996 festgestellten topographischen Zustandes sowie anhand der in der Baubewilligung festgelegten endgültigen Deponiehöhen (Eingabeprojekt Situations-Plan 1:1000 "Endzustand", genehmigt vom Gemeinderat Brig-Glis am 7. März 1989 und von der BGE 129 II 470 S. 481 kantonalen Baukommission am 13. September 1989) ermittelt worden. Nach dem Plan "Endzustand" sollen die Aufschüttungen ab der (verlegten) Kantonsstrasse T9, die im fraglichen Bereich auf 665 m bis 666 m ü.M. verlaufen soll, über zwei Böschungen (Böschungswinkel 1:2) zunächst auf eine rund 8 m breite Terrasse in Höhe von 672 m ansteigen und weiter südlich das Höchstniveau von 680 m erreichen. Sowohl die Höhenkurven von 1996 als auch jene des Planes "Endzustand" sind zusammen mit den Enteignungsflächen in den Plan Bregy German AG vom 12. Februar 1999 (im Folgenden: Plan Bregy) eingetragen worden. Dass die Eintragungen falsch wären, wird von keiner Seite geltend gemacht. Bei genauer Betrachtung des Planes Bregy zeigt sich, dass ein grosser Teil der Enteignungsfläche 13b im Endzustand der Deponie die Böschung gebildet hätte, die vom Niveau der Kantonsstrasse (666 m) auf die Terrasse in der Höhe von 672 m ansteigen sollte. Auf dieser Teilfläche erreichten die Aufschüttungen - von einem Graben abgesehen - im Jahre 1996 bereits 669,78 m bis 671,36 m. Es hätten daher keine weiteren Aufschüttungen erfolgen können, sondern Umgestaltungen vorgenommen werden müssen. Ein weiterer Streifen der Enteignungsfläche von ca. 400 m2, der 1996 eine Höhe von durchschnittlich 671 m aufwies, hätte noch um rund 1 m auf das Terrassen-Niveau aufgeschüttet werden können, während das restliche (ungefähr gleich hoch liegende) Dreieck von rund 140 m2 den Fuss der Böschung gebildet hätte, die - ausserhalb der Enteignungsfläche - die Höhe von 680 m erreicht. Zugunsten der Enteigneten kann auf dieser Dreiecks-Fläche ein Volumenverlust von 4 m Höhe angenommen werden. Damit ergibt sich für die Enteignungsfläche 13b ein Volumenverlust von insgesamt 960 m3. Auch für die Enteignungsfläche 14b gilt, dass der weitaus grösste Teil als Böschung zwischen der Kantonsstrasse (Höhe ca. 665 m) und der Terrasse (672 m) gedient hätte und dieses - unebene - Gebiet im Zeitpunkt der Enteignung bereits auf die Höhe von 666,40 m bis 670,33 m aufgefüllt war. Auf den beiden angrenzenden Streifen, auf denen bis 672 m hätte aufgeschüttet bzw. noch etwas höher angeböscht werden können, erreichte das Terrain im Jahre 1996 670,80 m bzw. 671,80 m. Die Annahme der Schätzungskommission, es hätte auf der ganzen Enteignungsfläche 14b eine Aufschüttung von 3 m vorgenommen werden können, erweist sich daher als für die Enteignete günstig. An ihr kann jedoch, falls nicht ohnehin noch Nachmessungen durchgeführt werden müssen (vgl. unten E. 7.2), angesichts der offenen Böschungsgestaltung im östlichen Teil festgehalten BGE 129 II 470 S. 482 werden. Der Volumenverlust auf der Enteignungsfläche 14b beläuft sich demnach auf 20'460 m3 und ist mit den vom Staat Wallis angebotenen Fr. 41.-/m3 zu entschädigen. 7.2 Die angestellten Berechnungen gelten indessen nur für den Fall, dass die im Plan "Endzustand" gezogenen Höhenlinien beibehalten werden und die Böschungen auf dem an die Enteignungsflächen angrenzenden Boden - wie im "Einsprachenerledigungs-Vergleich" der Parteien vom 27. September/4. Oktober 1993 vorgesehen - steiler gestaltet werden können als ursprünglich geplant. Wird dagegen die Endgestaltung der Deponie noch an die geänderte Linienführung der Kantonsstrasse angepasst und sind neue Terrassen auf den verbleibenden Deponieflächen zu schaffen, so entstehen auf diesen zusätzliche Volumenverluste, die ebenfalls abzugelten sind. Da das Ausmass dieser Verluste erst nach endgültiger Festlegung der Deponiegestaltung ermittelt werden kann, wird der im angefochtenen Entscheid enthaltene Vorbehalt des Nachmasses, der sich offenbar nur auf die Enteignungsflächen bezieht, auf die Volumenverluste auf den Parzellen Nrn. 1 und 18 ausgedehnt. 8. 8.1 Die Enteignungsentschädigungen für die Parzellen Nrn. 1 und 18 sind somit, unter Vorbehalt des Nachmasses hinsichtlich der enteigneten Flächen und des Deponievolumen-Verlustes, in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf folgende Beträge herabzusetzen: ... (Zusammenstellung der Entschädigungsbeträge) 8.2 Infolge der Herabsetzung der Entschädigungen für die Teilabtretung der Parzellen Nrn. 1 und 18 sowie jener für die Teilenteignung der Grundstücke Nrn. 2707 und 3013 reduziert sich auch der vom Enteigner gemäss Art. 88 Abs. 1 EntG vorläufig zu bezahlende Betrag von 90% auf Fr. 1'277'064.-. Soweit die vom Enteigner bereits geleistete Anzahlung von Fr. 2'020'000.- diesen vorläufigen Betrag sowie die Entschädigung für die Totalenteignung der Parzelle Nr. 49 (Fr. 531'618.-) übersteigt, ist die Anzahlung von der Enteigneten zurückzuerstatten. Dabei fragt sich, ob der zurückzubezahlende Betrag von Fr. 211'318.- von der Enteigneten zu verzinsen sei. Dies ist in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 19bis Abs. 4 EntG zu verneinen: Gemäss Art. 19bis Abs. 2 EntG setzt die Schätzungskommission, falls sich die Parteien über die Verkehrswertentschädigung nicht einigen, auf Ersuchen des Enteigneten sofort eine Zahlung in der voraussichtlichen Höhe der Verkehrswertentschädigung fest. Übersteigt die endgültige Entschädigung die bereits geleistete Zahlung, BGE 129 II 470 S. 483 so ist nach Art. 19bis Abs. 4 EntG der Differenzbetrag vom Tag des Eigentumsübergangs an bis zur Bezahlung zum üblichen Zinsfuss zu verzinsen. Der zweite Satz von Art. 19bis Abs. 4 EntG hält fest, dass ein zuviel ausbezahlter Betrag zurückzuerstatten sei, doch schweigt er sich über die Verzinsung aus. Das Bundesgericht hat aufgrund der Materialien aus dem Schweigen des Gesetzgebers geschlossen, dass der Entscheid über die Verzinslichkeit im Einzelfall dem Richter anheim gestellt werde ( BGE 108 Ib 502 E. 21b S. 503 f.). Erste Voraussetzung für die Verzinsung ist jedoch, dass der Enteigner ausdrücklich eine solche verlangt. Ohne entsprechendes Begehren fällt die Verzinsung des zurückzuerstattenden Betrags ausser Betracht und hat der Enteignete lediglich einen Verzugszins von 5% ab Datum des bundesgerichtlichen Entscheids zu leisten ( BGE 108 Ib 502 E. 21b in fine). Ist demnach der zuviel ausbezahlte Betrag selbst dann, wenn der Enteignete die Zahlung verlangt und die Schätzungskommission diese angeordnet hat, jedenfalls nur auf Antrag des Enteigners zu verzinsen, so gilt dies a fortiori auch für den Fall, dass der Enteigner die Anzahlung - wie hier - von sich aus geleistet hat. Da in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine Verzinsung des allenfalls zurückzuerstattenden Betrages verlangt worden ist, ist eine solche nicht vorzusehen. Zu berücksichtigen ist dagegen, dass es hier um Teilenteignungen geht, die endgültige Vermessung der abzutretenden Flächen noch nicht vorgenommen worden ist und daher wie erwähnt erst 90% der festgelegten Entschädigungen zu entrichten sind ( Art. 88 Abs. 1 EntG ). Wird die Vermessung ergeben, dass der Staat Wallis noch weitere Entschädigungen zu leisten hat, die grundsätzlich ebenfalls vom Tage der Besitzergreifung an zu verzinsen sind ( Art. 76 Abs. 5 Satz 3 EntG ), so wird bei der Zinsfestsetzung dem Umstand Rechnung zu tragen sein, dass die Enteignete bis zum Datum des bundesgerichtlichen Entscheides auch über den zuviel bezahlten Betrag verfügte. Andernfalls fiele der Enteigneten für diese Summe ein doppelter Zinsertrag zu. (...) 10. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird das Bundesgericht schliesslich ersucht, den Wert der als Realersatz angebotenen Parzellen Nrn. 3012 und 8 vorsorglich festzulegen. Die Realersatzofferte war jedoch nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens und kann daher auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht beurteilt werden. Es ist dem Bundesgericht - ausserhalb von unpräjudiziellen BGE 129 II 470 S. 484 Vergleichsverhandlungen - gleich wie den Schätzungskommissionen verwehrt, gleichsam als Schiedsgericht Verkehrswertschätzungen für Grundstücke vorzunehmen, die nicht Enteignungsobjekt bilden ( BGE 112 Ib 538 ). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist insofern abzuweisen, soweit überhaupt auf sie einzutreten ist.
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Sachverhalt ab Seite 299 BGE 144 IV 299 S. 299 A. Le 31 août 2017, B. a été arrêtée et mise en prévention pour avoir volé des bijoux, des biens de valeur et des espèces appartenant à ses employeurs. La prévenue a signé l'autorisation de perquisition de son domicile où divers objets ont été saisis. Le lendemain, son époux A. a été entendu par la police en qualité de personne appelée à donner des renseignements. Le 14 septembre 2017, A. a adressé au Ministère public le formulaire de "situation personnelle en vue de l'octroi de l'assistance judiciaire pour la partie plaignante ou autre participant". Il a notamment exposé que la police avait perquisitionné son domicile en son absence et sans son autorisation et qu'elle avait saisi des objets lui appartenant; il proposait de nommer M e C. comme défenseur d'office. Le 13 novembre 2017, il a réitéré sa demande de nomination BGE 144 IV 299 S. 300 d'un avocat d'office, laquelle a été rejetée par le Ministère public en date du 27 novembre 2017 au motif que l'intéressé n'était ni prévenu ni partie plaignante. Le 21 février 2018, la Chambre pénale de recours de la Cour de justice du canton de Genève a, sur recours de A., confirmé le refus de l'assistance judiciaire. B. Par mémoire de recours du 9 avril 2018, A. demande au Tribunal fédéral, sous suite de frais, d'annuler l'arrêt du 21 février 2018, de reconnaître son droit à l'assistance judiciaire dans la procédure pénale genevoise et de nommer M e C. comme avocat d'office. (...) Le Tribunal fédéral a rejeté le recours. (extrait)
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Erwägungen Extrait des considérants: 2. La Cour de justice a confirmé le refus d'octroyer au recourant l'assistance judiciaire. Elle a considéré qu'il ne pouvait bénéficier d'un avocat d'office en application des art. 132 et 136 CPP puisqu'il n'était ni prévenu ni partie plaignante à la procédure. Elle a ajouté qu'en toute hypothèse, la cause ne présentait pas de difficultés que le recourant ne pouvait surmonter sans l'intervention d'un avocat. Dans son mémoire, le recourant se plaint du refus de l'instance précédente de lui octroyer l'assistance judiciaire, plus précisément de lui désigner un avocat d'office pour la procédure pénale. Il se prévaut de sa qualité de tiers touché par des actes de procédure, à savoir la perquisition réalisée à son domicile en son absence et le séquestre d'objets lui appartenant (cf. art. 105 al. 1 let . f CPP); il affirme qu'en cette qualité, il aurait droit à l'assistance d'un défenseur d'office en application de l' art. 105 al. 2 CPP . 2.1 Aux termes de l' art. 29 al. 3 Cst. , toute personne qui ne dispose pas de ressources suffisantes a droit, à moins que sa cause paraisse dépourvue de toute chance de succès, à l'assistance gratuite d'un défenseur, dans la mesure où la sauvegarde de ses droits le requiert. Le CPP prévoit expressément des dispositions relatives au droit à l'assistance judiciaire du prévenu ( art. 132 ss CPP ) et de la partie plaignante ( art. 136 CPP ), concrétisant ainsi la disposition constitutionnelle en matière pénale. Le CPP est en revanche muet s'agissant des autres participants à la procédure au sens de l' art. 105 CPP . Sur ce point, l'instance précédente affirme hâtivement que seul le BGE 144 IV 299 S. 301 prévenu ou la partie plaignante peuvent bénéficier de l'assistance judiciaire gratuite, à l'exclusion des autres participants (cf. arrêt entrepris consid. 3.1). Cependant, lorsque d'autres participants à la procédure - dont les tiers touchés par des actes de procédure ( art. 105 al. 1 let . f CPP) - sont directement touchés dans leurs droits, ils se voient reconnaître la qualité de partie et les droits qui en découlent, tels que le droit à l'assistance judiciaire, et ceci dans la mesure nécessaire à la sauvegarde de leurs intérêts ( art. 105 al. 2 CPP ; arrêt 1B_95/2016 du 28 avril 2016 consid. 3.3; cf. notamment YASMINA BENDANI, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n° 2 ad art. 105 CPP ; HARARI/CORMINBOEUF, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n os 5 s. ad art. 136 CPP ; VIKTOR LIEBER, in Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [éd.], 2 e éd. 2014, n° 20 ad art. 105 CPP ). Or, dans le cas d'espèce, les droits du recourant sont susceptibles d'avoir été touchés par le séquestre de biens - dont il revendique la propriété - saisis lors de la perquisition du domicile conjugal. Toutefois, le droit à l'assistance d'un défenseur d'office est soumis aux conditions cumulatives que le recourant soit indigent, que sa cause ne paraisse pas dépourvue de toute chance de succès (cf. arrêt précité 1B_95/2016 consid. 3.3) et que la sauvegarde de ses intérêts justifie une telle assistance (cf. art. 132 al. 1 let. b et 136 al. 1 et al. 2 let. c CPP; cf. également art. 29 al. 3 Cst. ). Selon la jurisprudence, il se justifie en principe de désigner un avocat d'office à l'indigent lorsque la situation juridique de celui-ci est susceptible d'être affectée de manière particulièrement grave. Lorsque, sans être d'une portée aussi capitale, la procédure en question met sérieusement en cause les intérêts de l'indigent, il faut en outre que l'affaire présente des difficultés en fait et en droit que le requérant ou son représentant légal ne peuvent surmonter seuls ( ATF 130 I 180 consid. 2.2 p. 182 et les arrêts cités). 2.2 Dans le cas d'espèce, la Cour de justice pouvait à juste titre considérer que la cause ne présentait pas de difficultés particulières, tant sur le plan factuel que juridique, propres à justifier l'intervention d'un avocat. En effet, la démarche tendant à demander au Ministère public la restitution de pièces saisies lors de la perquisition (essentiellement des montres) en justifiant son droit de propriété, n'est à l'évidence pas complexe ni en fait ni en droit. Le recourant ne prétend BGE 144 IV 299 S. 302 d'ailleurs pas le contraire dans ses écritures. Enfin, le fait que les parties à la procédure soient représentées par un avocat ne suffit pas en l'espèce à justifier l'intervention d'un défenseur d'office rémunéré par l'Etat (cf. arrêt 1B_436/2011 du 21 septembre 2011 consid. 2.4). Vu ces considérations, le refus par l'autorité précédente d'octroyer au recourant l'assistance d'un avocat d'office pour la procédure pénale ne viole pas le droit fédéral. Son grief peut donc être écarté.
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Sachverhalt ab Seite 288 BGE 133 II 287 S. 288 A.X. et B.X. (ci-après: les contribuables) étaient copropriétaires d'un appartement de huit pièces sis à Y., qu'ils ont habité avec leurs trois enfants mineurs durant toute l'année 2002. Le 24 septembre 2002, les époux X. ont acquis un immeuble, à Z., dont la valeur fiscale est de 2'600'000 fr. Après y avoir fait effectuer des travaux, ils y ont emménagé le 3 mars 2003. Dans leur déclaration fiscale 2002, les époux X. ont fait figurer l'immeuble de Z. pour un montant de 2'600'000 fr. Pour l'impôt cantonal et communal, ils ont fait valoir en déduction au titre de charges et frais d'entretien relatifs à cet immeuble une prime d'assurance incendie bâtiment, dégâts d'eau et bris de glace de 3'259 fr. 10 ainsi que des "frais de formulaire" de 35 fr., soit 3'294 fr. au total. Ils n'ont en revanche rien indiqué sous la rubrique "valeur locative". Dans sa taxation du 9 février 2004, l'Administration fiscale du canton de Genève (ci-après: l'Administration cantonale) a fixé le revenu imposable des époux X. à 368'889 fr. Elle n'a pas admis en déduction le montant de 3'294 fr. La fortune imposable a par ailleurs été arrêtée à 605'776 fr. Les époux X. ont formé une réclamation à l'encontre de cette taxation, en contestant le fait que le montant de 3'294 fr. n'ait pas été admis en déduction. Par décision du 30 septembre 2004, l'Administration cantonale a rejeté la réclamation. Elle a considéré que "la déduction des frais d'entretien n'est accordée que si les biens qui font l'objet d'actes d'entretien ou de conservation sont eux-mêmes productifs de revenu ou soumis à une valeur locative". Les époux X. ont déféré cette décision à la Commission cantonale de recours en matière d'impôts, qui a rejeté le recours par décision du 19 juin 2006. Le recours interjeté contre cette décision auprès du Tribunal administratif du canton de Genève a été rejeté par arrêt du 19 septembre 2006. Sur la base d'une interprétation historique de l'art. 6 al. 4 de la loi genevoise du 22 septembre 2000 sur l'imposition des personnes physiques - Détermination du revenu net - Calcul de l'impôt et rabais d'impôt - Compensation des effets de la progression à froid (LIPP-V; RSG D 3 16), cette autorité a considéré que la volonté du BGE 133 II 287 S. 289 législateur de lier la déduction des frais d'entretien, frais d'assurance et frais administratifs relatifs à un immeuble à la production d'un revenu par l'immeuble en cause ressortait sans équivoque des travaux préparatoires. Dans le cas particulier, pour la période allant du 24 septembre - date de son acquisition - au 31 décembre 2002, l'immeuble de Z. n'avait produit aucun revenu et les contribuables n'avaient pas non plus déclaré de valeur locative, de sorte que le montant de 3'294 fr. ne pouvait être admis en déduction. Agissant par la voie du recours de droit administratif, les contribuables demandent au Tribunal fédéral d'annuler l'arrêt du 19 septembre 2006 et de renvoyer la cause à l'Administration cantonale afin qu'elle procède à une nouvelle taxation de l'impôt cantonal et communal 2002, sous suite de frais et dépens. Ils dénoncent une violation du droit fédéral et cantonal régissant la matière, un abus du pouvoir d'appréciation ainsi qu'une violation des principes constitutionnels d'harmonisation et de l'interdiction de l'arbitraire, de la notion de revenu net des art. 7 et suivants de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14) et des principes de l'égalité et de l'imposition selon la capacité contributive. L'autorité intimée renonce à se déterminer, en persistant dans les considérants et le dispositif de son arrêt. L'Administration cantonale et l'Administration fédérale des contributions, Division principale de l'impôt fédéral direct, de l'impôt anticipé et des droits de timbre, concluent au rejet du recours, sous suite de frais. Le Tribunal fédéral a admis le recours de droit administratif.
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Erwägungen Extrait des considérants: 2. 2.1 Les frais d'entretien d'immeubles constituent des frais organiques d'acquisition du revenu immobilier. Ils sont en principe déductibles dans un système d'imposition du revenu global net, où l'ensemble des frais d'acquisition, des déductions générales et des déductions sociales est défalqué du total des revenus imposables (concernant l'imposition du revenu global net, cf. MARKUS REICH in Zweifel/Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, vol. I/1, Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], 2 e éd., Bâle/Genève/Munich 2002, n. 22 ss ad art. 7 LHID ). BGE 133 II 287 S. 290 2.2 Aux termes de l' art. 9 al. 1 LHID , "les dépenses nécessaires à l'acquisition du revenu et les déductions générales sont défalquées de l'ensemble des revenus imposables". Malgré son caractère général, cette définition des frais d'acquisition du revenu est claire et s'impose aux cantons ( ATF 128 II 66 consid. 4b p. 71/72; arrêt 2A.683/ 2004 du 15 juillet 2005, consid. 4.4 publié in StE 2006 B 25.6 n° 53 et RDAF 2005 II p. 502). Les immeubles produisant un revenu - loyers ou valeur locative en cas d'usage personnel par le propriétaire -, les frais d'entretien immobiliers entrent dans cette définition et sont en principe déductibles (2A.683/2004 précité, consid. 2.3 et les références à la doctrine). Ne sont en revanche pas déductibles, les dépenses d'acquisition ou d'amélioration des biens, y compris pour les immeubles les frais d'entretien au sens technique engagés, dans les cinq ans à compter de son acquisition, pour la remise en état d'un immeuble dont l'entretien a été négligé. Ces frais sont, en effet, considérés comme des impenses apportant une plus-value et ne sont, partant, pas déductibles (pratique Dumont, inaugurée par l' ATF 99 Ib 362 , précisée par l' ATF 123 II 218 ). Ne sont pas non plus déductibles, les frais d'entretien du contribuable et de sa famille (REICH, op. cit., n. 7 ad art. 9 LHID ). Dans un système qui prévoit l'imposition de la valeur locative, soit d'un rendement, les frais d'entretien d'immeuble n'entrent pas dans cette catégorie. Enfin, les dépenses engagées en relation avec un hobby ou en vue de satisfaire les goûts du contribuable, qui ne génèrent pas un revenu, constituent des frais d'entretien de celui-là ou des frais d'acquisition, de production ou d'amélioration d'éléments de fortune et ne sont pas déductibles (loc. cit.; pour l'impôt fédéral direct, cf. art. 34 let. a et d LIFD). 3. En l'espèce, la prime d'assurance ainsi que les frais administratifs litigieux constituent des frais d'entretien d'immeuble qui sont en principe déductibles: il ne s'agit pas de dépenses engagées, dans les cinq ans à compter de son acquisition, pour la remise en état d'un immeuble dont l'entretien a été négligé. En se fondant sur l'art. 6 al. 4 LIPP-V, disposition aux termes de laquelle sont déduits du revenu notamment "les frais nécessaires à l'entretien des immeubles privés que possède le contribuable, les primes d'assurances relatives à ces immeubles et les frais d'administration par des tiers", l'autorité intimée a toutefois refusé la déduction, en raison du décalage temporel BGE 133 II 287 S. 291 entre l'engagement de ces dépenses et l'obtention d'une valeur locative. Il est, en effet, constant que les frais en cause ont été engagés en 2002, période durant laquelle l'immeuble de Z. était inhabitable en raison des travaux qui y étaient effectués, de sorte qu'il n'avait alors pas de valeur locative. La notion de revenu global net des art. 7 et suivants LHID n'exige pas une symétrie parfaite entre le revenu et les dépenses déduites comme frais d'acquisition. Poser une telle exigence reviendrait à transformer tout ou partie de l'impôt sur le revenu en impôt cédulaire, car cela signifierait que les dépenses en cause ne pourraient être déduites que des revenus correspondants. Au demeurant, logiquement, lorsque ceux-ci sont inférieurs aux frais d'acquisition, la déduction de ces derniers devrait être limitée en conséquence. Sous réserve de l' art. 9 al. 2 let. a LHID - qui n'admet la déduction des intérêts passifs privés qu'à concurrence du rendement imposable de la fortune, augmenté d'un montant de 50'000 fr. -, le droit suisse ne connaît pas un tel régime (cf. REICH, op. cit., n. 25 ad art. 7 LHID ). Ce n'est que lorsqu'il apparaît sur la durée, au vu d'un revenu inexistant ou trop faible et de la nature des frais engagés, que ceux-ci ne sont pas justifiés et n'ont pas de sens d'un point de vue économique, que se pose la question d'une requalification en dépenses d'entretien du contribuable ou en dépenses servant à la pratique d'un hobby ou d'une activité de nature analogue. Ainsi, la déduction des frais d'acquisition du revenu est admise sous réserve de l'abus de droit. Dans le cas particulier, il découle de ce qui précède que les frais d'entretien en cause sont en principe déductibles et ne changent pas de qualification seulement en raison de l'absence provisoire de revenu due aux travaux. Ils sont donc déductibles lors de la période fiscale 2002, même si une valeur locative n'apparaît qu'en 2003. Seule cette interprétation de l' art. 9 al. 1 LHID est conforme aux principes de la capacité contributive ( art. 127 Cst. ) et de l'égalité ( art. 8 Cst. ). Ne permettre la déduction des frais d'entretien qu'à concurrence de la valeur locative reviendrait à traiter le rendement de la fortune immobilière et les frais d'acquisition de celui-ci différemment d'autres formes de revenus et de déductions, sans qu'une telle distinction ne soit justifiée. Par exemple, lorsque l'activité lucrative indépendante se solde par une perte, celle-ci peut être déduite des autres revenus acquis par le contribuable la même année. Les montants versés à une institution de prévoyance professionnelle au BGE 133 II 287 S. 292 titre de rachat de cotisations ne sont pas seulement déductibles du produit de l'activité lucrative, mais aussi des autres revenus. Ce qui précède vaut pour les dépenses effectives. Le contribuable qui opte pour le système plus simple du forfait n'y a pas droit en l'absence de revenu. Cela est inhérent à ce mode de déduction qui peut entraîner des inégalités à l'avantage comme au détriment du contribuable, inégalités pouvant d'ailleurs se compenser sur la durée. Dans la mesure où le droit genevois dit autre chose ou est interprété différemment, il est contraire à l' art. 9 al. 1 LHID et à l' art. 127 Cst.
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Sachverhalt ab Seite 32 BGE 85 II 32 S. 32 A.- Josef Bilgischer mähte am 23. Juni 1955 für Adolf Kippel eine Wiese. Kippel half ihm daher am Nachmittag des gleichen Tages beim Heuen einer Wiese des Kaspar Kuonen in den Preisen, Gemeinde Leuk. Am Schlusse der Arbeit führte Bilgischer das Heu mit Hilfe seines Traktors auf einem einachsigen Anhänger zur Scheune nach Susten. Auf der zweiten Fahrt nahmen Kippel und die sieben Jahre alte Beatrice Kuonen auf dem BGE 85 II 32 S. 33 Heufuder Platz. Bei der Brücke über den Kanal Susten-Chippis fiel ein Rucksack vom Fuder. Kippel griff ihm nach, stürzte in den Kanal, wurde fortgeschwemmt und starb. B.- Die Witwe Hedwig Kippel und die in den Jahren 1941-1951 geborenen sechs Kinder des Verunfallten klagten gegen Bilgischer auf Ersatz des Schadens und verlangten ausserdem Genugtuung, die Witwe Fr. 5000.--, die Kinder je Fr. 500.--. Das Kantonsgericht Wallis verurteilte den Beklagten am 20. November 1957, der Witwe eine Genugtuungssumme von Fr. 3000.-- und den Kindern Leo, Regina, Bernard, Helmuth und Elsbeth je eine solche von Fr. 500.-- zu bezahlen. Soweit die Klage weiter ging, wies es sie ab. Es kam zum Schluss, das Gefährt und die Art der Ladung könnten in keiner Weise für den Unfall verantwortlich gemacht werden. Der Beklagte habe aber schuldhaft gehandelt, Kippel auf dem Heufuder mitfahren zu lassen. Gemäss Art. 63 Abs. 3 MFV dürften Anhänger an Traktoren nur zur Beförderung von Gütern verwendet werden. Aber auch Kippel treffe ein Verschulden. Es sei sehr gewagt gewesen, den abgleitenden Rucksack noch halten zu wollen und sich zu diesem Zwecke gegen den Rand des Heufuders zu bewegen, wo kein sicherer Untergrund mehr bestanden habe. Die Fehler des Beklagten einerseits und des Kippel anderseits stünden im Verhältnis von 3 zu 2. Ansprüche auf Schadenersatz beständen nicht, weil die Leistungen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt den Schaden überstiegen. Genugtuung gebühre dem Kinde Margrith nicht, weil es zur Zeit des Unfalles zu jung gewesen sei, um die Schwere des Verlustes des Vaters zu ermessen. C.- Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, die Klage abzuweisen. Wwe. Kippel und das Kind Margrith haben sich der Berufung angeschlossen mit den Begehren um Erhöhung der BGE 85 II 32 S. 34 Genugtuung der Witwe auf Fr. 5000.-- und Zusprechung einer Genugtuung von Fr. 500.-- an Margrith Kippel. Die anderen Kläger beantragen Abweisung der Berufung.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Art. 63 Abs. 3 MFV bestimmt: "Traktoren dürfen einen Zweiachser, zwei Einachser zum Gütertransport oder höchstens drei landwirtschaftliche Anhängewagen mit sich führen. Im Nahverkehr kann durch die kantonale Behörde das Mitführen von drei Einachsern oder zwei Zweiachsern gestattet werden". Diese Norm steht im Abschnitt "Verkehrsregeln" und gilt daher auch für Traktoren, deren Geschwindigkeit 20 km/Std nicht übersteigen kann und die zu Fahrten im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung eines Landwirtschaftsbetriebes verwendet werden (Art. 5 MFV). Sie will jedoch nur sagen, wieviele Wagen von einem Traktor gezogen werden und welcher Art und Zweckbestimmung sie sein dürfen. Der Begriff "Einachser zum Gütertransport" steht hier im Gegensatz z.B. zu der im ersten Absatz vorkommenden Wendung "Anhänger zum Personentransport". Die einachsigen Anhänger an Traktoren dürfen nur zur Beförderung von Gütern nicht auch zur Beförderung von Personen bestimmt sein. Ob und unter welchen Voraussetzungen es gestattet sei, auf den dem Gütertransport dienenden Anhängern Personen mitzuführen, ist damit nicht gesagt. Diese Frage hätte in einer besonderen Bestimmung beantwortet werden müssen, ähnlich wie Art. 53 MFV zur Frage der Personenbeförderung auf Lastwagen Stellung nimmt, indem er unter anderem bestimmt, das notwendige Arbeitspersonal dürfe mitgeführt werden. Denn dass sich das Verbot des Mitführens von Personen auf den zum Gütertransport bestimmten Anhängern von selbst verstehe, kann angesichts der allgemeinen Übung, im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung eines Landwirtschaftsbetriebes auf den Anhängewagen auch das nötige Personal zu befördern, nicht gesagt BGE 85 II 32 S. 35 werden. Im Schweigen der Verordnung liegt eine Lücke, die der Richter dahin auszufüllen hat, dass die erwähnte Übung nicht gegen das Recht verstösst. Die zweckmässige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe wäre ungebührlich erschwert, wenn das Arbeitspersonal nicht mitgeführt werden dürfte. Es wäre genötigt, dem Gefährt mit erheblichem Zeitverlust zu Fuss zu folgen oder sich besonderer Beförderungsmittel zu bedienen. Das Bundesgericht hat denn auch schon wiederholt ohne nähere Begründung vorausgesetzt, das Arbeitspersonal dürfe auf Fahrten zur Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes auf dem Anhänger Platz nehmen ( BGE 78 IV 76 , BGE 83 II 30 ). Der Bundesratsbeschluss vom 20. August 1957 über Anhänger an Motorwagen mit Allradantrieb bestimmt das nunmehr ausdrücklich (Art. 7 Abs. 3). Allerdings gilt dieser Beschluss für landwirtschaftliche Traktoren selbst dann nicht, wenn sie Allradantrieb haben (Art. 1 Abs. 5). Das Arbeitspersonal kann aber auf dem Anhänger nicht mehr gefährdet sein, wenn er von einem landwirtschaftlichen Traktor gezogen wird, als wenn er mit einem Zugwagen anderer Art verbunden ist. Bedenken könnte höchstens der Umstand erwecken, dass die dem erwähnten Bundesratsbeschluss unterstehenden Anhängerzüge nur einen ein- oder zweiachsigen Anhänger oder zwei landwirtschaftliche Anhängewagen aufweisen dürfen (Art. 1 Abs. 1), Traktorenzüge dagegen zwei einachsige, einen zweiachsigen oder drei landwirtschaftliche Anhängewagen (Art. 63 Abs. 3 MFV). Das bedeutet aber nicht, dass die Sicherheit auf dem Traktorenzug geringer sei. Die Verordnung muss schon mit Rücksicht auf den Führer des Traktors darauf abzielen, dass sie ebenso gross sei wie bei den dem Bundesratsbeschluss vom 20. August 1957 unterstehenden Anhängerzügen. Der Verschiedenheit des Zug- und Bremsvermögens des einen und des anderen Zugwagens ist denn auch dadurch Rechnung getragen, dass Traktorenzüge höchstens 14 t, die dem Bundesratsbeschluss unterstellten Anhängerzüge dagegen bis zu 20 t BGE 85 II 32 S. 36 schwer sein dürfen (Art. 65 Abs. 2 lit. b MFV bzw. Art. 3 Abs. 1 BRB vom 20. August 1957). Dazu kommt, dass landwirtschaftliche Traktoren höchstens mit 20 km/Std (Art. 5 MFV), Anhängerzüge nach BRB vom 20. August 1957 dagegen zum Teil wesentlich schneller fahren dürfen (Art. 7 Abs. 1 BRB). Gerade die Geschwindigkeitsgrenze ist für die Sicherheit der auf dem Anhänger mitfahrenden Personen wesentlich. Dürfen leichte Motorwagen mit Anhänger ausserorts bis zu 50 km/Std einhalten (Art. 7 Abs. 1 lit. a BRB) und auf Fahrten zur Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes dennoch auf dem Anhänger das erforderliche Arbeitspersonal mitführen, so ist nicht zu ersehen, weshalb es solchem Personal verboten sein sollte, sich auf einem Anhänger aufzuhalten, der von einem Traktor mit höchstens 20 km/Std gezogen wird. Indem der Beklagte den Kippel auf dem Heufuder mitführte, handelte er somit keiner Vorschrift zuwider. 2. Der Führer eines Motorfahrzeuges hat auch Sorgfaltspflichten, die ihm nicht durch Gesetz oder Verordnung ausdrücklich oder dem Sinne nach auferlegt werden (vgl. BGE 33 II 558 , BGE 50 II 399 , BGE 78 IV 75 ). Hätte der Beklagte erkennen können, dass Kippel auf dem Heufuder wegen besonderer Umstände gefährdet sei, so hätte er ihm daher untersagen müssen, daselbst Platz zu nehmen. Das Mitfahren auf Heufudern ist jedoch üblich, mögen sie von Pferden oder von Traktoren gezogen werden. Auch den Umstand, dass der Anhänger einachsig war, brauchte der Beklagte nicht als gefährlich zu erachten, denn das Fahrzeug war mit dem Traktor fest verbunden und daher im Gleichgewicht. Der Beklagte musste auch nicht annehmen, die verhältnismässig geringe Grösse der Ladebrücke von 3,3 m Länge und 1,8 m Breite sei eine wesentliche Gefahrenquelle. Ein so beschaffener Wagen bietet genügend Sicherheit, wenn der Fahrgast ungefähr in der Längsachse des Fuders bleibt und sich an einer der Stützleitern oder an dem das Heu überspannenden Seil oder Querholz festhält. Beatrice Kuonen hat trotz ihres Alters von nur sieben BGE 85 II 32 S. 37 Jahren keinen Schaden genommen, und auch Kippel wäre nicht verunfallt, wenn er nicht den vom Fuder gleitenden Rucksack hätte zurückhalten wollen. Das Kantonsgericht stellt fest, dass der Unfall weder auf das Gefährt noch auf die Art der Ladung, sondern darauf zurückzuführen ist, dass Kippel sich beim Griff nach dem Rucksack zu weit gegen den Rand des Fuders bewegte und dabei abstürzte. Die Kläger bestreiten das, sind aber nicht zu hören, da das Bundesgericht an Feststellungen der kantonalen Instanz über tatsächliche Verhältnisse gebunden ist. Ein offensichtliches Versehen, das berichtigt werden dürfte ( Art. 63 Abs. 2 OG ), liegt nicht vor. Das Kantonsgericht hat nicht übersehen, dass der Rucksack nicht in den Kanal, sondern auf die Strasse fiel. Dieser Sachverhalt widerlegt den Zusammenhang zwischen dem Abgleiten des Sackes und dem Sturz des Kippel nicht, geschweige denn offensichtlich. Es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass sich Kippel nach dem Hinabfallen des Rucksackes noch kurze Zeit zu halten vermochte, bevor er seinerseits vom Wagen fiel, und dass das Gefährt unterdessen die Brücke erreichte. Das Bundesgericht hat sich entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht über die Glaubwürdigkeit der Beatrice Kuonen auszusprechen. Das ist eine Frage der Beweiswürdigung, die ausschliesslich dem Kantonsgericht zustand. Bleibt es demnach beim festgestellten Sachverhalt, so gereicht der Unfall dem Beklagten nicht zum Verschulden. Dieser brauchte nicht damit zu rechnen, dass Kippel vom Wagen stürzen könnte. Er durfte voraussetzen, dass Kippel, der sich nebenberuflich als Landwirt betätigte, sich auf einem fahrenden Heufuder sachgemäss zu verhalten wisse. Da den Beklagten kein Verschulden trifft, hat er den Klägern nicht Genugtuung zu leisten. 3. Wollte man dem Beklagten einen Vorwurf machen, weil er Kippel auf dem Fuder mitfahren liess, so müsste anderseits dem Verunfallten das Mitfahren als Mitverschulden angerechnet werden. Kippel als in der Landwirtschaft BGE 85 II 32 S. 38 tätiger Mann konnte sich nicht weniger als der Beklagte sagen, dass man auf einem fahrenden Heufuder nur solange in Sicherheit sei, als man sich sachgemäss verhalte. Wenn er sich solches Verhalten nicht zutraute, hatte er daher aus eigenem Antrieb vom Mitfahren abzusehen. Dazu kommt, dass der unvorsichtige Griff nach dem abgleitenden Rucksack ihm allein, nicht auch dem Beklagten zur Last fällt. Es war grob fahrlässig, dass Kippel im Bestreben, den Sack zurückzuhalten, sich so weit gegen den Rand des Fuders lehnte, dass er abstürzte. Das Verschulden Kippels am Unfalle wäre daher erheblich grösser als der Fehler des Beklagten. Die Hinterbliebenen des Verunfallten haben auch aus diesem Grunde nicht Anspruch auf Genugtuung ( BGE 57 II 472 , BGE 58 II 344 ff., BGE 59 II 165 ).
1,854
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Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Berufung wird gutgeheissen, die Anschlussberufung abgewiesen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
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Sachverhalt ab Seite 87 BGE 146 V 87 S. 87 A. A., né en 1959, ressortissant tchadien, a obtenu un statut de réfugié en Suisse en 1994 et est titulaire d'un permis d'établissement. Il bénéficie de rentes ordinaires de l'assurance-invalidité, soit trois quarts de rente depuis 2005 et une rente entière depuis 2006. BGE 146 V 87 S. 88 Le 26 avril 2016, l'assuré a informé l'Office AI Berne qu'il avait, en juin 2012, reconnu en France deux filles nées hors mariage dans ce pays, l'une le 24 octobre 2006, l'autre le 11 mai 2012. Le 6 octobre 2016, il a déposé une demande de rentes pour enfant, en précisant que ses filles vivaient avec leur mère en France. Par décision du 18 novembre 2016, l'Office AI Berne a rejeté la demande. B. A. a déféré cette décision au Tribunal administratif du canton de Berne, Cour des affaires de langue française. Par jugement du 18 mai 2018, la juridiction cantonale a admis le recours et annulé la décision du 18 novembre 2016 dans la mesure où elle refusait le droit à des rentes pour les deux enfants que l'assuré a reconnues, en raison de la nationalité et du domicile étrangers de ces dernières de même que de la nationalité tchadienne de l'assuré. La cause a été renvoyée à l'administration pour instruction complémentaire au sens des considérants (portant sur les autres conditions du droit à la prestation) et nouvelle décision. C. L'Office AI Berne interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement dont il demande l'annulation, en concluant à la confirmation de sa décision du 18 novembre 2016. Il sollicite également l'attribution de l'effet suspensif à son recours. L'intimé n'a pas répondu, tandis que l'Office fédéral des assurances sociales (ci-après: OFAS) déclare se rallier entièrement à l'argumentation de l'office recourant. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
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Erwägungen Extrait des considérants: 2. Le litige porte sur le point de savoir si l'intimé, ressortissant tchadien résidant en Suisse en qualité de réfugié et bénéficiaire d'une rente ordinaire de l'assurance-invalidité, peut en principe avoir droit à des rentes pour ses enfants qui n'ont pas la nationalité d'un pays de l'UE/AELE et qui vivent en France avec leur mère. (...) 4. 4.1 La juridiction cantonale a exposé de manière complète les règles applicables à la solution du litige, singulièrement les art. 6 et 35 LAI , les art. 58 et 59 de la loi du 26 juin 1998 sur l'asile (LAsi; RS 142.31), l'art. 24 par. 1 let. b de la Convention du 28 juillet 1951 BGE 146 V 87 S. 89 relative au statut des réfugiés (RS 0.142.30; ci-après: CR), ainsi que l'art. 1 de l'Arrêté fédéral du 4 octobre 1962 concernant le statut des réfugiés et des apatrides dans l'assurance-vieillesse et survivants et dans l'assurance-invalidité (dans sa teneur en vigueur à partir du 1 er janvier 1997; ARéf; RS 831.131.11). On rappellera qu'en vertu de l'art. 24 par. 1 let. b CR, les Etats Contractants accorderont aux réfugiés résidant régulièrement sur leur territoire le même traitement qu'aux nationaux notamment en ce qui concerne la sécurité sociale (en particulier les dispositions légales relatives à l'invalidité), sous certaines réserves prévues aux lettres i et ii. L'art. 24 par. 1 let. b/ii CR concerne des dispositions particulières prescrites par la législation nationale du pays de résidence et vise deux cas particuliers: d'une part, les prestations ou fractions de prestations payables exclusivement sur les fonds publics et d'autre part, les allocations versées aux personnes qui ne réunissent pas les conditions de cotisation exigées pour l'attribution d'une pension normale. Ces dispositions de la Convention sont directement applicables en droit interne (self-executing; ATF 136 V 33 consid. 3.2.1 p. 36) et les demandeurs de prestations peuvent s'en prévaloir à partir de la date à laquelle le statut de réfugié leur a été reconnu, sans effet rétroactif au jour de l'entrée en Suisse ( ATF 139 II 1 consid. 4.1 p. 3 s.). Selon l' art. 1 al. 1 ARéf (dans sa teneur en vigueur depuis le 1 er janvier 1997), que le législateur a édicté en application de la Convention de 1951 et de l'ancien art. 34 quater Cst. (aujourd'hui: art. 112 Cst. ), les réfugiés qui ont leur domicile et leur résidence habituelle en Suisse ont droit aux rentes ordinaires de l'assurance-vieillesse et survivants, ainsi qu'aux rentes ordinaires et aux allocations pour impotents de l'assurance-invalidité aux mêmes conditions que les ressortissants suisses. Toute personne pour laquelle une rente est octroyée doit personnellement satisfaire à l'exigence du domicile et de la résidence habituelle en Suisse. (...) 7. 7.1 La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre. Il n'y a lieu de déroger au sens littéral d'un texte clair par voie d'interprétation que lorsque des raisons objectives permettent de penser que ce texte ne restitue pas le sens véritable de la disposition en cause. Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il convient de rechercher quelle est la véritable portée de BGE 146 V 87 S. 90 la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires, du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales. Le Tribunal fédéral ne privilégie aucune méthode d'interprétation, mais s'inspire d'un pluralisme pragmatique pour rechercher le sens véritable de la norme; en particulier, il ne se fonde sur la compréhension littérale du texte que s'il en découle sans ambiguïté une solution matériellement juste ( ATF 139 V 250 consid. 4.1 p. 254 et les références). 7.2 7.2.1 La teneur initiale de l' art. 1 al. 1 ARéf , en vigueur depuis le 1 er janvier 1963 (RO 1963 37), était la suivante: "Les réfugiés domiciliés en Suisse ont droit aux rentes ordinaires de l'assurance-vieillesse et survivants, ainsi qu'aux rentes ordinaires et aux allocations pour impotents de l'assurance-invalidité, aux mêmes conditions que les ressortissants suisses". A l'occasion de la 10 e révision de l'AVS, en vigueur depuis le 1 er janvier 1997 (RO 1996 2466), l' art. 1 al. 1 ARéf a été modifié et complété par une deuxième phrase qui a cette teneur: "Toute personne pour laquelle une rente est octroyée doit personnellement satisfaire à l'exigence du domicile et de la résidence habituelle en Suisse" (cf. consid. 4.1 supra). 7.2.2 Une interprétation littérale de l'art. 1 al. 1, 2 e phrase, ARéf conduit à admettre que le titulaire de la rente principale n'est plus le seul qui est concerné par cette disposition, mais que la modification touche désormais tous les bénéficiaires de rentes liées à la rente principale. La version allemande est d'ailleurs encore plus claire: "Das Erfordernis des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts ist von jeder Person , für die eine Rente ausgerichtet wird, einzeln zu erfüllen", le texte italien étant lui aussi dépourvu d'équivoque: " Chiunque riceva una rendita deve adempiere personalmente alla condizione del domicilio e della dimora abituale in Svizzera". En application de l'art. 1 al. 1, 2 e phrase, ARéf, à défaut de domicile en Suisse, les enfants de l'intimé ne pourraient en principe pas être mis au bénéfice d'une rente pour enfant. Pareille interprétation est confortée par les travaux préparatoires relatifs à l'introduction de la seconde phrase de l' art. 1 al. 1 ARéf . Dans son Message, le Conseil fédéral avait mentionné - quoique dans un contexte indirect - l'exigence du domicile (de l' art. 18 LAVS en relation avec l'ARéf), qui devait être remplie "non seulement par le bénéficiaire de la rente principale, mais également par toutes les personnes pour lesquelles une rente est versée" BGE 146 V 87 S. 91 (FF 1990 II 1, 88 ad art. 18 LAVS ). On ne saurait dès lors suivre l'interprétation de cette disposition que donne la juridiction cantonale. 8. 8.1 Comme mentionné précédemment (consid. 4.1 supra), l'art. 24 CR est directement applicable en droit interne (self-executing; ATF 136 V 33 consid. 3.2.1 p. 36; ATF 139 II 1 consid. 4.1 p. 4), de sorte que l'assuré peut s'en prévaloir pour obtenir le versement des rentes pour enfant. A cet égard, dans son Message du 19 janvier 1962 à l'Assemblée fédérale à l'appui d'un projet d'arrêté fédéral concernant le statut des réfugiés dans l'assurance-vieillesse et survivants et l'assurance-invalidité (FF 1962 I 245), le Conseil fédéral relevait que les réfugiés au sens de la convention (de 1951) qui sont domiciliés en Suisse seront, en ce qui concerne les "rentes normales" tout au moins, assimilés aux ressortissants suisses (246 ch. II.1). L'OFAS avait également mis ce point en exergue dans ses déterminations sur le projet d'ARéf, en indiquant que le principe d'égalité de traitement commandait, pour autant que possible, de placer les Suisses et les réfugiés sur un pied d'égalité en matière d'AVS/AI, les réfugiés devant ainsi notamment être mis au bénéfice des conventions bilatérales conclues par la Suisse. Il avait précisé que la réserve à la CR que la Suisse avait précédemment formulée en matière d'AVS allait être retirée au moment de l'entrée en vigueur de la LAI et de l'adoption de l'ARéf (cet arrêté avait été élaboré en discussion avec le Haut-Commissariat des Nations Unies pour les réfugiés et jugé en principe compatible avec la CR; sur ces développements, voir ATF 136 V 33 consid. 5.6.2 p. 43). 8.2 8.2.1 Compte tenu de l'égalité de traitement explicitement mentionnée à l'art. 24 par. 1 let. b CR, la seconde phrase de l' art. 1 al. 1 ARéf contrevient à la lettre et à l'esprit de cette disposition conventionnelle, car si une rente peut être versée à des ressortissants suisses ou à des personnes qui sont visées par une convention bilatérale de sécurité sociale sans que leurs bénéficiaires doivent personnellement satisfaire à la condition du domicile et de la résidence habituelle en Suisse, cette exigence est en revanche requise de la part d'un réfugié (pour lui-même et ses enfants), étant précisé que les réserves mentionnées à l'art. 24 par. 1 let. b/i et ii CR ne sont pas pertinentes. 8.2.2 Aux termes de l' art. 190 Cst. , le Tribunal fédéral et les autres autorités sont tenus d'appliquer les lois fédérales et le droit BGE 146 V 87 S. 92 international. Ni l' art. 190 Cst. ni l' art. 5 al. 4 Cst. n'instaurent de rang hiérarchique entre les normes de droit international et celles de droit interne. Selon la jurisprudence, en cas de conflit, les normes du droit international qui lient la Suisse priment celles du droit interne qui lui sont contraires (cf. ATF 144 II 293 consid. 6.3 p. 311; ATF 142 II 35 consid. 3.2 p. 39; ATF 139 I 16 consid. 5.1 p. 28; ATF 138 II 524 consid. 5.1 p. 532 s.; ATF 125 II 417 consid. 4d p. 425; cf. art. 27 de la Convention de Vienne du 23 mai 1969 sur le droit des traités [RS 0.111]). On rappellera qu'il faut présumer que le législateur fédéral a entendu respecter les dispositions des traités internationaux régulièrement conclus, à moins qu'il ait en pleine connaissance de cause décidé d'édicter une règle interne contraire au droit international. En cas de doute, le droit interne doit s'interpréter conformément au droit international ( ATF 99 Ib 39 consid. 3 p. 43). Le sort du litige dépend donc du point de savoir si le législateur a voulu s'écarter du principe de l'égalité de traitement consacré par la CR, en subordonnant les réfugiés à la réalisation de conditions plus restrictives que les ressortissants suisses, singulièrement dans les cas où l'AVS ou l'AI seraient appelées à verser des rentes ordinaires pour enfant résidant à l'étranger. 8.3 Il convient de résumer l'historique des modifications de l' art. 18 al. 2 LAVS et de l' art. 1 al. 1 ARéf . 8.3.1 Dans son Message du 11 octobre 1971 concernant la 8 e révision de l'AVS (FF 1971 II 1057, 1127 ad art. 18 LAVS ), le Conseil fédéral avait précisé que l'arrêté fédéral du 4 octobre 1962 contenait, en faveur des réfugiés, des dispositions spéciales sur le droit à la rente (et, le cas échéant, le remboursement des cotisations) qui devaient être mentionnées dans l' art. 18 LAVS comme dispositions contraires. Au 1 er janvier 1973, l' art. 18 al. 2 LAVS a ainsi été adopté dans la teneur suivante (RO 1972 2537): "Les étrangers et leurs survivants qui ne possèdent pas la nationalité suisse n'ont droit à une rente qu'aussi longtemps qu'ils ont leur domicile civil en Suisse et que si les cotisations ont été payées pendant au moins dix années entières. Sont réservées les dispositions spéciales de droit fédéral relatives au statut des réfugiés et des apatrides ainsi que les conventions internationales contraires, conclues en particulier avec des Etats dont la législation accorde aux ressortissants suisses et à leurs survivants des avantages à peu près équivalents à ceux de la présente loi". BGE 146 V 87 S. 93 8.3.2 Le Message du Conseil fédéral concernant la 10 e révision de l'AVS (FF 1990 II 1, 88 ad art. 18 LAVS ) était muet sur la compatibilité de la seconde phrase de l' art. 1 al. 1 ARéf avec l'art. 24 CR. Par ailleurs, la question de l'égalité de traitement entre ressortissants suisses et réfugiés n'a pas non plus été abordée à l'occasion de l'ajout de la seconde phrase à l' art. 1 al. 1 ARéf . En effet, à la lecture des travaux préparatoires, il apparaît que la nouvelle teneur de l' art. 1 al. 1 ARéf n'a donné lieu à aucune discussion au sein de la Commission du Conseil des Etats pour la 10 e révision de l'AVS (cf. procès-verbal de la séance de ladite commission des 19 et 20 août 1992, p. 22), tandis que cet ajout a été qualifié d'adaptation rédactionnelle en lien avec la suppression de la rente pour couple et la modification de l' art. 18 al. 2 LAVS par la Commission de sécurité sociale du Conseil national pour la 10 e révision de l'AVS (cf. procès-verbal de la séance de ladite commission des 7-9 septembre 1992, p. 9 et 28). Le rapport de la Commission du Conseil des Etats présenté audit Conseil n'abordait pas non plus la conformité de la modification de l' art. 1 al. 1 ARéf à la CR, mais renvoyait aux commentaires relatifs à l' art. 18 al. 2 LAVS (BO 1994 CE 564). Concernant cette disposition légale, le rapport retenait que: "En principe, dans le système du splitting, toutes les personnes au bénéfice d'une rente qui ne peut être versée à l'étranger doivent remplir personnellement les conditions du domicile et de séjour. Puisque dans le splitting, il n'y aura plus de rente pour couple, cette expression devra être supprimée dans la formulation du Conseil fédéral. Le reste de la phrase doit être conservé, car le système du splitting connaît également les rentes accessoires (rente pour enfant, rente complémentaire de l'AI)" (BO 1994 CE 556). Vu ce qui précède, on ne discerne pas de volonté explicite du législateur de déroger à la CR, en lien avec les débats parlementaires sur l' art. 1 al. 1 ARéf . Une application de la jurisprudence Schubert ( ATF 99 Ib 39 ) n'entre pas en ligne de compte (cf. ATF 144 II 293 consid. 6.3 p. 311). 8.3.3 A l'occasion de la 10 e révision de l'AVS, la teneur de l' art. 18 al. 2 LAVS a été modifiée comme suit: "Les étrangers et leurs survivants qui ne possèdent pas la nationalité suisse n'ont droit à une rente qu'aussi longtemps qu'ils ont leur domicile et leur résidence habituelle en Suisse. Toute personne qui se voit octroyer une rente doit personnellement satisfaire à cette exigence. Sont réservées les dispositions spéciales de droit fédéral relatives au statut des réfugiés et des apatrides ainsi que les conventions internationales contraires, BGE 146 V 87 S. 94 conclues en particulier avec des Etats dont la législation accorde aux ressortissants suisses et à leurs survivants des avantages à peu près équivalents à ceux de la présente loi". La volonté de déroger à la CR ne résulte pas non plus de la modification de l' art. 18 al. 2 LAVS . En effet, le maintien de la dernière phrase de cet alinéa n'a pas donné lieu à discussion au Conseil national (BO 1993 CN 252). 8.3.4 Comme le législateur n'a pas repris dans l'ARéf simultanément la réserve concernant les dispositions spéciales de droit fédéral relatives au statut des réfugiés, où elle fait donc défaut, la volonté d'étendre cette réserve à d'autres personnes qui sont susceptibles d'être visées par l'ARéf, à l'instar des bénéficiaires d'une rente accessoire, ne peut pas être déduite des débats parlementaires. Si le législateur a certes voulu limiter l'exportation de rentes, notamment celles qui découlent du splitting (cf. art. 18 al. 2, 1 re et 2 e phrases, LAVS), il n'a toutefois pas manifesté son intention de s'écarter d'une norme de droit international contraire, singulièrement l'art. 24 CR, en traitant dans l'ARéf - qui constitue une lex specialis par rapport à la LAVS - les bénéficiaires de rentes pour enfant différemment selon que le titulaire de la rente principale est suisse ou réfugié. La modification de l'ARéf intervenue au 1 er janvier 1997 concernait l'assurance personnelle mais non la compatibilité avec la CR. A défaut d'indices (cf. ATF 144 II 293 consid. 6.3 précité) permettant d'admettre une intention du législateur de déroger au droit conventionnel, les rentes pour enfant d'un réfugié domicilié en Suisse peuvent donc être versées sans égard au domicile et à la nationalité des enfants. 9. Le jugement attaqué est donc conforme au droit fédéral en tant qu'il admet le principe du versement des rentes pour les enfants de l'intimé qui sont domiciliés à l'étranger, pour autant que les autres conditions du droit à celles-ci soient réalisées. Le recourant contrôlera notamment si l'intimé n'a pas renoncé à son statut de réfugié ( art. 64 al. 1 let . c LAsi) et si les reconnaissances de paternité auxquelles ce dernier a procédé le 12 juin 2012 en France sont reconnues comme déployant des effets en Suisse. Le recours est infondé.
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Die Vollstreckung eines deutschen Versäumnisurteils, das in Übereinstimmung mit der deutschen Zivilprozessordnung weder eine Sachverhaltsdarstellung noch Entscheidungsgründe enthält, verletzt den schweizerischen ordre public nicht (Bestätigung der Rechtsprechung). Sachverhalt ab Seite 200 BGE 103 Ia 199 S. 200 Anton Bertl, der in Affoltern a.A. wohnhaft ist, wurde am 22. Mai 1975 durch Versäumnisurteil des Landgerichts Ravensburg zur Leistung von DM 50'000.-- an die Deutsche Bau- und Bodenbank AG verurteilt. Ferner wurden ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Mit Zahlungsbefehl vom 29. September 1975 betrieb die Bau- und Bodenbank AG Bertl gestützt auf das erwähnte Urteil. Auf Rechtsvorschlag Bertls hin erteilte der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirks Affoltern der Bau- und Bodenbank AG die definitive Rechtsöffnung. Ein dagegen gerichteter Rekurs an das Obergericht des Kantons Zürich blieb ohne Erfolg. Anton Bertl erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2. November 1929 (Vollstreckungsabkommen, VA), im wesentlichen mit der Begründung, das Versäumnisurteil des Landgerichts Ravensburg könne in der Schweiz nicht vollstreckt werden, weil dem Gericht die Zuständigkeit gefehlt habe und weil das Urteil keine Entscheidungsgründe enthalte. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. (Die Rüge, das deutsche Urteil könne wegen fehlender Zuständigkeit des Landgerichts Ravensburg nicht vollstreckt werden, ist unbegründet.) 3. a) Gemäss Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens ist die Vollstreckung zu versagen, wenn durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem im Vollstreckungsstaat aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist. Diese staatsvertragliche ordre public-Klausel geht als Spezialnorm dem allgemeinen Begriff des ordre public, wie er unter anderem in den kantonalen Zivilprozessordnungen enthalten ist, vor (vgl. SCHNITZER, Handbuch des Internationalen Privatrechts, 4. A., S. 237; BGE 87 I 78 E. 6; BGE 85 I 48 E. 4a am Ende). Die in einem Staatsvertrag enthaltenen Bestimmungen BGE 103 Ia 199 S. 201 werden zu schweizerischem Recht und können deshalb nicht gegen die hiesige öffentliche Ordnung verstossen, selbst wenn sie inhaltlich von der sonst üblichen einheimischen Auffassung abweichen ( BGE 101 Ia 526 ; BGE 94 I 362 ff.; 87 I 80 ; BGE 81 I 231 ; BGE 81 II 179 ). Der Anwendungsbereich des vertraglichen und des allgemeinen Vorbehalts des ordre public wird dabei in dem Umfang eingeschränkt, als die Voraussetzungen, unter welchen ein ausländisches Urteil zu vollstrecken ist, im Staatsvertrag näher umschrieben sind. Es geht nicht an, die staatsvertragliche Regelung unter Berufung auf den ordre public im Ergebnis praktisch rückgängig zu machen und die Wirkungen des Vertrages, dessen Ziel gerade darin besteht, die Existenz der verschiedenen Rechtssysteme anzuerkennen und zu koordinieren, zu vereiteln ( BGE 102 Ia 316 ; BGE 101 Ia 529 , 526). b) Mit der Formulierung des Vorbehalts in Art. 4 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens wurde versucht, den Anwendungsbereich der ordre public-Klausel möglichst einzuschränken ( BGE 102 Ia 314 ; Botschaft des Bundesrates zum VA, BBl 1929 III S. 536 f.). Diese ist daher eng auszulegen und anzuwenden. Das bedeutet nicht, dass ein Urteil gegen die öffentliche Ordnung nur wegen seines materiellen Inhalts verstossen könne, obwohl der Wortlaut der Vertragsklausel darauf primär hinweist. Vielmehr kann ein solcher Verstoss auch wegen des Verfahrens vorliegen, in welchem das Urteil zustandegekommen ist ( BGE 102 Ia 313 E. 5; BGE 101 Ia 526 E. 4a; BGE 98 Ia 553 E. 3; BGE 97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit Hinweisen). c) Nach Art. 7 Abs. 1 Ziff. 1 VA hat die Partei, welche die Vollstreckung verlangt, eine "vollständige Ausfertigung" der Entscheidung beizubringen. Diese Voraussetzung ist im Falle eines deutschen Versäumnisurteils erfüllt, wenn es so ausgefertigt ist, wie die massgebenden deutschen Verfahrensvorschriften dies vorsehen, denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vollstreckungsabkommen einen selbständigen Begriff der "vollständigen Ausfertigung" schaffen wollte, dessen Erfordernisse durch die nach der deutschen ZPO ergangenen Versäumnisurteile nicht erfüllt würden ( BGE 87 I 80 ; BGE 68 I 164 ; nicht veröffentlichtes Urteil i.S. Dewald vom 8. März 1936, E. 1). d) Für die Herstellung und Ausfertigung eines Versäumnisurteils enthalten die §§ 313 Abs. 3 und 317 Abs. 4 der deutschen Zivilprozessordnung folgende Regelung: BGE 103 Ia 199 S. 202 Nach § 313 Abs. 3 D-ZPO kann, wenn durch Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil nach dem Antrag des Klägers erkannt wird, das Urteil in abgekürzter Form auf die bei den Akten befindliche Urschrift oder Abschrift der Klage oder auf ein damit zu verbindendes Blatt gesetzt werden. In diesem Falle ist das Urteil als Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil zu bezeichnen. Des Tatbestandes, der Entscheidungsgründe und der Bezeichnung der mitwirkenden Richter bedarf es nicht. Der Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten bedarf es nur insoweit, als von den Angaben der Klageschrift abgewichen wird. In der Urteilsformel kann auf die Klageschrift Bezug genommen werden. Nach § 317 Abs. 4 D-ZPO erfolgt die Ausfertigung, sofern das Urteil nach § 313 Abs. 3 in abgekürzter Form hergestellt ist, in gleicher Weise unter Benutzung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift oder in der Weise, dass das Urteil durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 bezeichneten Angaben vervollständigt wird (Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten; Bezeichnung des Gerichts und Namen der Richter; Urteilsformel). Die Herstellung eines Versäumnisurteils in der abgekürzten Form ist nach der deutschen Gesetzgebung in gewissen Rechtsgebieten und gegenüber gewissen Vertragsstaaten, in denen das Urteil geltend gemacht werden soll, ausgeschlossen. Im hier interessierenden Zusammenhang ist dies jedoch nicht der Fall. e) Die von der Bau- und Bodenbank AG beigebrachte Urteilsausfertigung entspricht den dargelegten Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung. Dass das Urteil nicht auf eine Abschrift der Klage oder ein damit verbundenes Blatt gesetzt ist, stellt keinen Mangel dar. § 317 Abs. 4 D-ZPO lässt dem Urkundsbeamten die Wahl zwischen einer solchen Ausfertigung und der Ergänzung des Urteils durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 bezeichneten Angaben. Im vorliegenden Falle wurde die zweite Möglichkeit gewählt. Entspricht die Urteilsausfertigung den massgebenden landesrechtlichen Vorschriften und ist sie demnach "vollständig" im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Ziff. 1 des Vollstreckungsabkommens, so kann der Beschwerdeführer das Fehlen einer Urteilsbegründung BGE 103 Ia 199 S. 203 nach dem schon Gesagten nicht als Verstoss gegen den ordre public beanstanden ( BGE 87 I 80 ; BGE 86 I 164 ; Urteil Dewald, E. 1). An dieser Rechtsprechung, die in der Lehre Zustimmung gefunden hat (STAEHELIN, Die Staatsverträge über Zivilprozess und Zwangsvollstreckung nach der neueren Praxis des Bundesgerichts, in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, S. 582; DAVID/MAIER. Die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen ..., S. 69, 90), ist festzuhalten, wie in den nachfolgenden Erwägungen zusätzlich begründet werden soll. Dem Abschluss des Vollstreckungsabkommens mit dem Deutschen Reich vom 2. November 1929 ging der Vertrag zwischen der Schweiz und Osterreich vom 15. März 1927 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen voraus. Dessen Art. 4 Abs. 1 Ziff. 4 bestimmte ausdrücklich, dass die Partei, welche die Vollstreckung beantragt, eine Abschrift der Klage oder andere geeignete Urkunden beizubringen habe, wenn die Entscheidung den ihr zugrundeliegenden Sachverhalt nicht soweit erkennen lasse, dass eine Prüfung im Hinblick auf die in Art. 1 des Vertrages geregelten Voraussetzungen der Vollstreckung, wo auch der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung enthalten war, möglich sei (vgl. auch Art. 6 Abs. 1 Ziff. 4 des neuen Vertrags mit der Republik Osterreich vom 16. Dezember 1960). Den schweizerischen Behörden konnte unter diesen Umständen bei Abschluss des Abkommens mit dem deutschen Reich nicht unbekannt sein, dass sich Urteile ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht ohne weiteres auf ihre Vereinbarkeit mit der einheimischen öffentlichen Ordnung überprüfen lassen. Ebenso konnte ihnen nicht entgangen sein, dass die damals geltende Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich die Ausfertigung von Versäumnisurteilen ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe vorsah (vgl. z.B. STEIN/JONAS, Die Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich, 14. A., 1928, S. 894 f., 900 f.). Bei dieser Sachlage muss der Schluss gezogen werden, dass die Schweiz darauf verzichtete, als Voraussetzung für die Vollstreckung deutscher Versäumnisurteile in der Schweiz eine Ausfertigung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen oder allenfalls die Vorlage einer Abschrift der Klage oder anderer Urkunden zu verlangen, die geeignet wären, den dem Urteil zugrundeliegenden Rechtsstreit und die Entscheidungsgründe BGE 103 Ia 199 S. 204 zu erhellen. Ein Verstoss gegen den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 VA kann bei Vollstreckung eines deutschen Versäumnisurteils, das weder einen Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält, deshalb nicht vorliegen (vgl. auch BGE 102 Ia 316 f.; BGE 101 Ia 529 ). 4. a) Zu einem anderen Ergebnis gelangte man auch dann nicht, wenn nicht schon aus dem Abkommen selber zu schliessen wäre, dass das Fehlen einer Sachverhaltsdarstellung und von Entscheidungsgründen kein Hindernis für die Vollstreckung deutscher Versäumnisurteile in der Schweiz sein solle. Der Vorbehalt des ordre public greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Dabei sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts der Anwendung der ordre public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung eines ausländischen Urteils engere Grenzen gesetzt als im Gebiet der direkten Rechtsanwendung ( BGE 102 Ia 313 f.; BGE 98 Ia 533 E. 3a und b; BGE 97 I 256 E. 6, 157 E. 5 mit Hinweisen). b) Nach § 328 D-ZPO steht der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergangen ist, der Einspruch zu. Ist dieser Rechtsbehelf, der von keinen besonderen Voraussetzungen abhängt (§ 340 D-ZPO) und nicht weiter begründet werden muss, innert der Frist von zwei Wochen erhoben worden, so wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Erlass des Versäumnisurteils befand (§ 342 D-ZPO). Kommt es in der Folge zu einem Entscheid im ordentlichen Verfahren, so hat das Urteil nach § 313 Abs. 1 Nr. 3 und 4 D-ZPO eine Tatbestandsdarstellung und Entscheidungsgründe zu enthalten und ist, sofern das beantragt wird, in dieser Weise auszufertigen und zuzustellen (§ 317 Abs. 2 D-ZPO). c) Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, dass das einheimische Rechtsgefühl durch die Vollstreckung des nicht mit einem Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen deutschen Versäumnisurteils in unerträglicher Weise verletzt würde, weil durch dieses Urteil grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. BGE 103 Ia 199 S. 205 Ob und in welcher Weise Verfügungen und Urteile zu begründen sind, bestimmt sich nach schweizerischem Recht vorab aufgrund der massgebenden (kantonalen oder eidgenössischen) Verfahrensvorschriften. Eine Pflicht zur Begründung kann sich darüber hinaus unmittelbar aus Art. 4 BV ergeben ( BGE 101 Ia 48 f.; 98 Ia 464 E. 5a). Unter welchen Umständen dies der Fall ist und welche Erfordernisse sich diesfalls aus der Begründungspflicht ergeben, braucht hier nicht im einzelnen erörtert zu werden. Art. 4 BV will vorab gewährleisten, dass dem Betroffenen die Gründe des gegen ihn ergangenen Entscheids bekannt sind, damit er ihn gegebenenfalls sachgemäss anfechten kann. Zudem soll dadurch, dass die Gründe des Entscheids offengelegt werden müssen, verhindert werden, dass sich die Gerichtsbehörden von unsachlichen Motiven leiten lassen. Daraus folgt, dass mit Art. 4 BV jedenfalls nicht unvereinbar sein kann, wenn ein Versäumnisurteil in Übereinstimmung mit den massgebenden Verfahrensvorschriften ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe ausgefertigt wird, jedoch die unterlegene Partei das Verfahren durch einen nicht näher zu begründenden Einspruch ohne weiteres in die ursprüngliche Lage zurückversetzen und ein Urteil erwirken kann, das Tatbestand und Entscheidungsgründe enthält. Im Hinblick auf den dargelegten Schutzzweck verhält es sich nicht wesentlich anders, als wenn in den massgebenden Prozessvorschriften vorgesehen ist, dass ein Urteil nur auf Begehren einer Partei mit Entscheidungsgründen versehen wird (vgl. z.B. § 158 des zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976). Solchen Regelungen, die der Rationalisierung und der Beschleunigung der Rechtspflege dienen, ohne jedoch mit den dargelegten Zielsetzungen unvereinbar zu sein, steht Art. 4 BV nicht entgegen. Nichts anderes folgt ferner aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, die als Bestandteil des Bundesrechts zur Bestimmung des schweizerischen ordre public beizuziehen ist (vgl. auch BAUR, Einige Bemerkungen zum verfahrensrechtlichen ordre public, in Festschrift Guldener, S. 18 ff.). Zwar trifft es zu, dass sich nach der Rechtsprechung der Europäischen Kommission eine Begründungspflicht für gerichtliche Urteile aus Art. 6 EMRK ergibt, obwohl in dieser Gewährleistung eine entsprechende Vorschrift nicht ausdrücklich enthalten ist. Diese Pflicht gilt indes nicht unbeschränkt. BGE 103 Ia 199 S. 206 So sind die Gerichte nicht gehalten, sich im Urteil mit sämtlichen Vorbringen der Parteien auseinanderzusetzen. Der Vorschrift ist Genüge getan, wenn sich das Gericht zu den klar vorgebrachten und erheblichen Einwendungen geäussert hat (Requête No 5460/72, Annuaire 1973, S. 169; vgl. auch JACOBS, The European Convention on Human Rights, S. 102 f.). In Bezug auf den Umfang der Begründung darf ferner ohne Verletzung von Art. 6 EMRK berücksichtigt werden, ob das Urteil einem Rechtsmittel unterliege oder nicht. Besteht keine Anfechtungsmöglichkeit, so verletzt das Fehlen von Entscheidungsgründen Art. 6 EMRK nicht (Requête No 1035/61, Annuaire 1963, S. 180; vgl. auch GURADZE, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S. 99). Es besteht bei dieser Sachlage kein Grund zur Annahme, dass Art. 6 EMRK die Herstellung und Ausfertigung eines Versäumnisurteils ohne Entscheidungsgründe ausschliessen wolle, wenn es durch eine blosse und nicht näher zu begründende Einsprache beseitigt und in der Folge ein mit Entscheidungsgründen versehenes Urteil erlangt werden kann. Ist das Fehlen von Urteilsgründen in einem Versäumnisurteil unter den dargelegten Umständen weder mit Art. 4 BV noch mit Art. 6 EMRK unvereinbar, so kann von einer Verletzung der einheimischen öffentlichen Ordnung im Falle der Vollstreckung eines derartigen Urteils nicht die Rede sein.
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Sachverhalt ab Seite 230 BGE 134 IV 229 S. 230 Das Obergericht des Kantons Bern befand X. am 12. November 2007 zweitinstanzlich des Nichtingangsetzens der Parkuhr und des Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 80.- respektive ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 1 Tag bei schuldhafter Nichtbezahlung der Busse. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, er sei des Nichtingangsetzens der Parkuhr schuldig zu sprechen und zu einer Busse von Fr. 40.- zu verurteilen; hingegen sei er vom Vorwurf des Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden freizusprechen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 12. November 2007 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. BGE 134 IV 229 S. 231 Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Den Verurteilungen wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr und wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beschwerdeführer stellte am 28. November 2006 um 11.55 Uhr seinen Personenwagen auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz in Bern ab, ohne die zentrale Sammelparkuhr (Parkuhr mit Eingabe der Parkfeldnummer und ohne Herausgabe eines Tickets) zu bedienen. Anlässlich einer Parkkontrolle stellte die Polizei um 13.41 Uhr fest, dass die Parkzeit für jenes Parkfeld, auf welchem der Wagen des Beschwerdeführers stand, abgelaufen war. Um 13.50 Uhr kehrte der Beschwerdeführer zurück und verliess mit seinem Auto den Parkplatz. 2.2 Gemäss Art. 48 Abs. 6 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV; SR 741.21) kennzeichnet das Signal "Parkieren gegen Gebühr" Parkplätze, auf denen Motorwagen nur gegen Gebühr und gemäss den an der Parkuhr vermerkten Bestimmungen abgestellt werden dürfen. Nach Art. 48 Abs. 8 SSV müssen Motorwagen, wenn das Abstellen zeitlich beschränkt ist, spätestens bei Ablauf der erlaubten Parkzeit wieder in den Verkehr eingefügt werden, ausser wenn das Nachzahlen vor Ablauf der Parkzeit gemäss den an der Parkuhr vermerkten Bestimmungen zulässig ist. Ein blosses Verschieben des Motorwagens auf ein anderes, in der Nähe liegendes Parkfeld ist unzulässig. Gestützt auf die Bussenliste des Anhangs 1 zur Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996 (OBV; SR 741.031) wird das Nichtingangsetzen der Parkuhr nach Art. 48 Abs. 6 SSV mit einer Busse von Fr. 40.- bestraft (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Verstösse gegen Art. 48 Abs. 8 SSV werden mit folgenden Bussenbeträgen geahndet: Überschreiten der zulässigen Parkzeit bis 2 Stunden mit Fr. 40.-, zwischen 2 und 4 Stunden mit Fr. 60.- und zwischen 4 und 10 Stunden mit Fr. 100.- (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c). Nach Art. 3a Abs. 1 des Ordnungsbussengesetzes vom 24. Juni 1970 (OBG; SR 741.03) gilt bei Ordnungsbussen grundsätzlich das BGE 134 IV 229 S. 232 Kumulationsprinzip. Demgemäss werden die Bussen zusammengezählt, und es wird eine Gesamtbusse auferlegt, wenn der Täter durch eine oder mehrere Widerhandlungen mehrere Ordnungsbussentatbestände erfüllt. Art. 2 OBV sieht jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. Beim Zusammentreffen mehrerer Widerhandlungen werden die Bussen namentlich nicht zusammengezählt, wenn zwei oder mehrere Verkehrsregeln, Signale oder Markierungen missachtet werden, die denselben Schutzzweck haben ( Art. 2 lit. c OBV ). 2.3 Beim System der zentralen Sammelparkuhr hat der Automobilist die Nummer des von ihm belegten Parkfelds bei der Parkuhr einzugeben und die gewünschte Parkzeit zu wählen. Nach der Bezahlung erscheint auf der elektronischen Anzeige die Zeit, bis wann parkiert werden darf. Dieser Zeitpunkt wird vom System gespeichert. Ein Parkticket, welches hinter die Windschutzscheibe gelegt werden muss, wird nicht ausgestellt. Für die kontrollierende Person ist einzig feststellbar, bis wann bezahlt worden ist respektive seit wann die Parkzeit abgelaufen ist. Ob der Lenker des auf dem massgeblichen Parkfeld stehenden Wagens die Parkuhr zwar bedient, die Parkzeit aber entsprechend überschritten hat, oder ob der fehlbare Lenker die Parkuhr gar nicht in Gang gesetzt hat, ist nicht eruierbar. In der Praxis stellt die Polizei daher eine Busse wegen der auf der elektronischen Anzeige angegebenen Überschreitung der Parkzeit aus. So zeigte im zu beurteilenden Fall die Parkuhr eine Überschreitung von 4,5 Stunden an, weshalb dem Beschwerdeführer ursprünglich eine Busse von Fr. 100.- auferlegt wurde (OBV Anhang 1 Ziff. 200 c). Zeigt der fehlbare Lenker jedoch auf, dass er die Parkuhr nicht bedient und weniger lang als auf der elektronischen Anzeige ausgewiesen parkiert hat, wird er wegen Nichtbedienens der Parkuhr mit Fr. 40.- und zusätzlich wegen der tatsächlich erfolgten Überschreitung der Parkzeit gebüsst. In der Praxis wird die Parkzeit dabei ab dem Zeitpunkt des Abstellens des Fahrzeugs auf dem Parkfeld als überschritten angesehen. In casu parkierte der Beschwerdeführer weniger als 2 Stunden und wurde deshalb insgesamt mit einer Busse von Fr. 80.- belegt (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a und 203.3). 2.4 Der Beschwerdeführer sieht in diesem Vorgehen eine Verletzung von Art. 2 lit. c OBV . Die Bestimmung "Überschreiten der zulässigen Parkzeit" nach Art. 48 Abs. 8 SSV solle verhindern, dass ein Fahrzeug länger als erlaubt auf einem öffentlichen Parkplatz stehe. Zur Überprüfung dieser Norm diene die Sanktionierung des BGE 134 IV 229 S. 233 "Nichtingangsetzens der Parkuhr" gemäss Art. 48 Abs. 6 SSV . Schutzzweck beider Normen sei somit die Einhaltung der Parkzeitbeschränkung. Mit dem Nichtbedienen der Parkuhr sei auch zugleich der Tatbestand der Überschreitung der Parkzeit erfüllt, und der Unrechtsgehalt sei folglich mit einer Ordnungsbusse für das Nichtingangsetzen der Parkuhr abgedeckt. 2.5 Die Vorinstanz hat erwogen, die Bestimmungen von Art. 48 Abs. 6 und 8 SSV dienten nicht demselben Schutzzweck, weshalb die Bussen zu kumulieren seien. Der Schutzzweck von Art. 48 Abs. 8 SSV sei insbesondere in der Einhaltung der Parkzeitbeschränkung zu sehen. Demgegenüber werde mit Art. 48 Abs. 6 SSV zusätzlich auch ein pekuniäres Interesse - die Entrichtung der geschuldeten Gebühren - verfolgt. Oder mit anderen Worten: Mit der Busse wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit werde grundsätzlich nur der Unrechtsgehalt des Nichteinhaltens der Parkzeitbeschränkung abgegolten, während mit derjenigen wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr der Unrechtsgehalt des "Nichtbezahlens der ausdrücklich geforderten Gebühr" erfasst werde. Zudem habe die erste Instanz willkürfrei erwogen, das Nichtingangsetzen der Parkuhr erschwere bzw. verunmögliche die Feststellung der Zeitdauer des Überschreitens der Parkzeit. Schliesslich verhindere eine Kumulation der Bussen, dass ein Fahrzeuglenker, welcher die Parkgebühr bezahle, die Parkzeit aber überschreite, schlechter gestellt werde als derjenige, welcher von Anfang an keine Gebühr entrichte. 3. Umstritten ist somit, ob die Bestimmungen von Art. 48 Abs. 6 und 8 SSV dem gleichen Schutzzweck dienen und deshalb gestützt auf Art. 2 lit. c OBV von einer Kumulation der Bussen abzusehen ist. 3.1 Gemäss den Ausführungen in der Botschaft regelt Art. 3a OBG die Frage der Konkurrenzen. Grundsätzlich seien die Bussen mehrerer verwirklichter Tatbestände zusammenzuzählen. Dies rechtfertige sich indes nicht in allen Fällen. Dienten die erfüllten Tatbestände dem gleichen Schutzzweck und übersteige der Unrechtsgehalt denjenigen der schwersten Widerhandlung nicht, so sollten die Betroffenen auch nicht mit einer höheren Busse bestraft werden (Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr, BBl 1993 III 769 ff., 774; vgl. auch YVAN JEANNERET, Les dispositions pénales de la Loi sur la circulation routière [LCR], Bern 2007, S. 809). BGE 134 IV 229 S. 234 Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat Erläuterungen zum Ordnungsbussenverfahren erlassen (ASTRA-Erläuterungen OBG/OBV vom 16. Juli 2004). Zu Art. 2 lit. c OBV wird ausgeführt, es müsse festgestellt werden, ob die Erfüllung mehrerer Ordnungsbussen-Ziffern denselben Schutzzweck verletze. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn ein gelb markiertes Parkfeld (Parkverbot) durch ein Parkverbotssignal verstärkt werde oder wenn neben einem Abbiegeverbot zugleich auch das Signal "Einfahrt verboten" aufgestellt werde. Erörterungen zu den Fällen von Art. 48 SSV bzw. OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c und 203.3 finden sich jedoch keine. 3.2 Sowohl Art. 48 Abs. 6 SSV als auch Art. 48 Abs. 8 SSV bezwecken die sachgerechte und rechtsgleiche Bewirtschaftung der öffentlichen Parkplätze. Während allerdings Art. 48 Abs. 8 SSV , wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, der Einhaltung der Parkzeitbeschränkung dient, kommt Art. 48 Abs. 6 SSV zudem eine Kontrollfunktion zu, erschwert bzw. verunmöglicht das Nichtingangsetzen der Parkuhr doch die Feststellung der Zeitdauer des Überschreitens der Parkzeit. Der Vorinstanz ist daher zuzustimmen, dass die beiden Bestimmungen unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen und somit in echter Konkurrenz zueinander stehen. Dementsprechend sind die beiden Bussen in Anwendung von Art. 3a Abs. 1 OBG grundsätzlich zu kumulieren, und es ist eine Gesamtbusse auszufällen. 3.3 Allerdings kann die zulässige Parkzeit entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht bereits ab dem Zeitpunkt, ab welchem der Lenker sein Fahrzeug parkiert und die Parkuhr nicht in Gang setzt, als überschritten gelten. Vielmehr ist aus dem Wortlaut "Überschreiten der zulässigen Parkzeit" zu folgern, dass das Parkieren während einer gewissen Zeitspanne erlaubt ist und erst mit Überschreiten dieses Zeitpunkts unzulässig wird. Zudem liefe die im angefochtenen Urteil vertretene Auffassung auf die nicht sachgerechte Lösung hinaus, dass jedes Parkieren ohne Ingangsetzen der Parkuhr unvermeidlich von der ersten Sekunde an auch zu einer Parkzeitüberschreitung und damit im Ergebnis zu einer Busse von Fr. 80.- führen würde (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 a). Dies hätte zur Konsequenz, dass eine Busse von Fr. 40.- einzig wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr mithin gar nie möglich wäre. 3.4 Sachgerecht erscheint daher der folgende Ansatz: Ein Lenker, der die Parkuhr nicht bedient, wird immer zumindest wegen BGE 134 IV 229 S. 235 Nichtingangsetzens der Parkuhr mit Fr. 40.- gebüsst (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Ab dem Moment, ab welchem die gemäss der konkreten Sammelparkuhr minimal mögliche (und selbst wählbare) Parkzeit überschritten wird, wird er zusätzlich wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bestraft (OBV Anhang 1 Ziff. 200 a-c). Kann beispielsweise minimal für 30 Minuten bezahlt und parkiert werden, so wird auch die zulässige Parkzeit erst ab diesem Zeitpunkt überschritten. Lässt ein Lenker diesfalls sein Fahrzeug zum Beispiel während 20 Minuten stehen, ohne die Parkuhr zu betätigen, wird er einzig mit Fr. 40.- wegen Nichtingangsetzens der Parkuhr gebüsst (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3). Parkiert er sein Auto hingegen beispielsweise 2 Stunden und 20 Minuten, ohne die Parkuhr in Betrieb zu setzen, so wird er insgesamt nicht mit Fr. 100.- (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 b), sondern mit Fr. 80.- (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 a) gebüsst, da er die zulässige Parkzeit um weniger als 2 Stunden überschritten hat (2 Stunden und 20 Minuten abzüglich 30 Minuten). 3.5 Vorliegend ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer die Parkuhr nicht in Gang gesetzt und sein Auto während 1 Stunde und 55 Minuten parkiert hat (11.55 Uhr bis 13.50 Uhr). Es ist in tatsächlicher Hinsicht jedoch nicht erstellt, wie viel die minimal mögliche Parkzeit bei der konkreten Sammelparkuhr beträgt. Ist diese minimale Parkzeit kürzer als 1 Stunde und 55 Minuten, ist im angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht eine Busse von Fr. 80.- ausgesprochen worden (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3 und Ziff. 200 a), ist sie länger, wäre der Beschwerdeführer richtigerweise nur mit Fr. 40.- zu büssen gewesen (OBV Anhang 1 Ziff. 203.3).
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Sachverhalt ab Seite 436 BGE 138 I 435 S. 436 A. Le 29 octobre 2010, la Conférence latine des chefs des départements de justice et police (ci-après: la Conférence latine) a adopté le Concordat latin sur la culture et le commerce du chanvre (ci-après: CChanvre ou "le Concordat latin"), lequel est entré en vigueur le 1 er mars 2012 à la suite de l'adhésion des cantons de Fribourg, Vaud et Neuchâtel. Le Concordat latin dispose en particulier: "Art. 1 - But et objet: 1. Le présent concordat a pour objet de fixer des règles communes sur la culture et le commerce du chanvre. 2. Il a pour but de prévenir les violations du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole. 3. Demeurent réservées les dispositions du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole. BGE 138 I 435 S. 437 4. Sont aussi réservées les dispositions du droit fédéral ou cantonal en matière de procédure pénale. (...) Art. 3 - Produits d'usage courant non soumis au concordat: 1. La Commission concordataire édicte une liste de produits d'usage courant non soumis au concordat, notamment ceux considérés comme des objets usuels ou des aliments par le droit fédéral. (...) Art. 4 - Définitions: a) Chanvre 1. Par chanvre au sens du présent concordat, on entend la plante de l'espèce nommée cannabis (Cannabis sativa L.), ainsi que tous ses composés et ses dérivés, notamment les graines, les boutures, les plants, les feuilles, les inflorescences ou les huiles. Art. 5 - b) Commerce 1. Fait le commerce du chanvre quiconque aliène, à titre gratuit ou onéreux, le chanvre ou ses produits dérivés. Art. 6 - c) Culture 1. Fait la culture du chanvre quiconque soumet la plante sous toutes ses formes à un traitement favorisant l'épanouissement de celle-ci. Art. 7 - Obligation d'annonce: 1. Quiconque pratique la culture du chanvre a l'obligation de l'annoncer à l'autorité compétente. (...) Art. 8 - Autorisation: a) Principe 1. Quiconque fait le commerce du chanvre sur le territoire des cantons concordataires doit être titulaire d'une autorisation. (...) Art. 15 - Mesures administratives: 1. L'autorité qui a accordé une autorisation doit la retirer lorsque les conditions prévues par le présent concordat ne sont plus remplies, lorsqu'une gestion commerciale irréprochable n'est plus garantie, ou lorsque le titulaire ou son personnel contrevient gravement ou à de réitérées reprises à la législation. (...) 3. Dans les cas de moindre gravité, l'autorité peut également prononcer un avertissement ou une suspension de l'autorisation. (...) Art. 17 - Contrôles et sanctions administratives: 1. Les autorités compétentes au sens du présent concordat peuvent en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte, procéder au contrôle des infrastructures, des cultures ou des locaux commerciaux et au contrôle des personnes qui s'y trouvent, dans le but de vérifier qu'aucune activité illicite ne s'y exerce au sens du présent concordat. 2. Ce droit d'inspection s'étend aux appartements particuliers de ceux qui desservent les infrastructures ou qui y logent, lorsque ces appartements sont attenants à l'infrastructure ou la constituent. 3. Les autorités compétentes peuvent en tout temps procéder à des prélèvements ou à des analyses. (...) BGE 138 I 435 S. 438 Art. 18 - Aliénation et acquisition: 1. L'aliénation du chanvre doit être consignée dans un contrat écrit. (...) Art. 21 - Dispositions pénales: 1. Est passible de l'amende ou du travail d'intérêt général quiconque: a. exploite un commerce au sens de la présente loi sans respecter les conditions concordataires et réglementaires; b. contrevient aux articles 7, 8, 9, 11, 13, 14, 16 et 18 du présent concordat; c. contrevient aux dispositions cantonales d'application du présent concordat ou aux directives de la Commission concordataire. 2. Les dispositions du Code pénal suisse sur les contraventions s'appliquent. (...) Art. 28 - Dispositions finale et transitoire: 1. Le présent concordat entre en vigueur lorsque trois cantons au moins y ont adhéré. 2. Les personnes soumises aux dispositions du présent concordat ont un délai de six mois dès son entrée en vigueur pour s'y conformer." B. En date du 7 juin 2011, le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté le décret autorisant le Conseil d'Etat à adhérer au Concordat latin (ci-après: le décret d'approbation). Ce décret a été publié dans la Feuille des avis officiels du canton de Vaud du 21 juin 2011 (FAO n° 49, p. 11), qui reproduisait en outre l'intégralité du texte du Concordat latin; il était soumis au référendum facultatif, le délai pour la récolte des signatures échéant au 31 juillet 2011. Le référendum n'ayant pas été requis, le Conseil d'Etat vaudois, par arrêté du 17 août 2011 publié dans la Feuille des avis officiels du 23 août 2011 (FAO n° 67, p. 10), a mis en vigueur le décret d'approbation avec effet au 1 er août 2011. C. A., B., C., D. et E., tous domiciliés dans le canton de Vaud, exploitent ou ont exploité des entreprises sises sur le territoire du canton de Vaud actives dans le commerce d'articles se rapportant au chanvre. D. Le 7 septembre 2011, A., B., C., D. et E. ont déposé un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral à l'encontre du Concordat latin du 29 octobre 2010. Ils concluent, avec suite de frais et dépens, à l'annulation du CChanvre et se plaignent en particulier d'une violation des art. 27 et 49 Cst. E. Parallèlement au recours déposé auprès du Tribunal fédéral, les recourants ont, le 3 novembre 2011, saisi la Cour constitutionnelle du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal BGE 138 I 435 S. 439 cantonal vaudois) d'une requête dirigée contre le décret d'approbation du 7 juin 2011, en concluant à l'annulation du Concordat latin. Par arrêt du 14 février 2012, le Tribunal cantonal vaudois s'est déclaré par principe compétent pour procéder à un contrôle abstrait d'une convention intercantonale "par le biais du contrôle sur le décret d'approbation"; en raison de la tardiveté de la requête sur le plan de la procédure cantonale, le Tribunal cantonal vaudois a cependant déclaré celle-ci irrecevable. F. Après avoir délibéré en séance publique du 5 octobre 2012 sur le recours du 7 septembre 2011, le Tribunal fédéral a admis celui-ci et a annulé le Concordat latin. (résumé)
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Erwägungen Extrait des considérants: 1. Le Tribunal fédéral examine d'office sa compétence ( art. 29 al. 1 LTF ) et contrôle librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis ( ATF 137 III 417 consid. 1 p. 417; ATF 136 II 101 consid. 1 p. 103). 1.1 Le Concordat latin, dont l'annulation intégrale a été requise par les recourants, est une convention intercantonale au sens de l' art. 48 al. 1 Cst. A condition de créer de manière immédiate des droits et des obligations pour les particuliers ou, de manière générale, de contenir des dispositions renfermant des règles de droit directement applicables (pour cette notion, cf. ATF 136 I 290 consid. 2.3.1 p. 293; ATF 126 I 240 consid. 2b; ATF 119 V 171 consid. 4b p. 177 s.), les conventions intercantonales dites normatives sont assimilées à des "actes normatifs cantonaux" selon l' art. 82 let. b LTF et sont partant attaquables comme tels devant le Tribunal fédéral (cf. ATF 137 I 31 consid. 1.3 p. 39; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2 e éd. 2011, n° 44 ad art. 82 LTF p. 983; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, vol. I, 2 e éd. 2006, p. 573 n. 1624 ss; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, n° 2703 ad art. 82 LTF p. 1031; HANSJÖRG SEILER, in Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, n° 43 ad art. 82 LTF p. 304). En l'occurrence, non seulement le Concordat latin impose des obligations et confère des droits aux autorités (cf. par exemple l'art. 20 al. 1 CChanvre), mais il contient aussi de nombreuses dispositions, singulièrement les art. 7 ss CChanvre, qui sont dans leur ensemble suffisamment déterminées et claires par leur contenu pour constituer le fondement d'une décision à l'égard des individus. Il possède en conséquence un caractère " self-executing ". Partant, le Concordat BGE 138 I 435 S. 440 latin fait partie des "actes normatifs cantonaux" attaquables devant le Tribunal fédéral, au sens de l' art. 82 let. b LTF , peu importe qu'il nécessite l'adhésion d'au moins trois cantons pour pouvoir entrer en vigueur (art. 28 al. 1 CChanvre). 1.2 Par ailleurs, la liste d'exceptions de l' art. 83 LTF ne s'applique pas aux actes normatifs (arrêts 2C_727/2011 du 19 avril 2012 consid. 1.1, non publié in ATF 138 II 191 ; 2C_230/2010 du 12 avril 2011 consid. 1.1, non publié in ATF 137 I 167 ). De plus, et contrairement à ce qui prévalait sous l'empire de l'ancienne Constitution fédérale ( art. 7 et 84 ch. 5 aCst. ), les conventions intercantonales, sous réserve de la procédure d'approbation parlementaire consécutive à une réclamation ( art. 172 al. 3 Cst. ; cf. AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 44 ad art. 82 LTF p. 983; ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 95 ad art. 82 LTF p. 731), ne doivent pas être soumises à l'approbation de la Confédération, mais sont uniquement portées à sa connaissance (art. 48 al. 3, 2 e phr. Cst.; cf. FF 2010 7615, annonçant l'adoption du CChanvre, conformément à l'art. 48 al. 3 in fine Cst.; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2 e éd. 2009, p. 184 n. 904); or, cette dernière procédure ne préjuge en rien du droit de former un recours abstrait contre une convention intercantonale (cf. ATF 137 I 31 consid. 1.3 p. 39). 1.3 Dans leurs déterminations du 25 janvier ainsi que des 7 et 14 mars 2012, le Grand Conseil et le Conseil d'Etat vaudois ont soutenu que le recours normatif abstrait sous examen devant le Tribunal fédéral serait irrecevable. A ce titre, ils ont souligné que, dans son arrêt daté du 14 février 2012, le Tribunal cantonal vaudois, se prononçant en qualité de cour constitutionnelle cantonale, avait admis sa compétence de principe pour statuer sur la requête dirigée contre le décret d'approbation autorisant l'exécutif vaudois à adhérer au Concordat latin, ce qui exclurait la compétence du Tribunal fédéral. 1.3.1 En vertu de l' art. 87 LTF , le recours est directement recevable contre les actes normatifs cantonaux qui ne peuvent faire l'objet d'un recours cantonal (al. 1). Lorsque le droit cantonal prévoit un recours contre les actes normatifs, l' art. 86 LTF est applicable (al. 2); dans une telle hypothèse, le Tribunal fédéral ne statue qu'une fois les instances cantonales épuisées et ne peut donc être saisi que par recours à l'encontre de l'arrêt rendu par la cour constitutionnelle cantonale (cf. art. 86 al. 1 let . d et al. 2 LTF; arrêt 2C_740/2009 du 4 juillet 2011 consid. 1.1 et 1.2, non publiés in ATF 137 I 257 ). BGE 138 I 435 S. 441 Il convient dès lors de vérifier si, comme les autorités vaudoises le prétendent, le Tribunal cantonal vaudois était compétent pour procéder à un contrôle normatif abstrait du Concordat latin au travers d'un recours déposé directement contre le décret approuvant l'adhésion du canton de Vaud à ladite convention intercantonale. Si tel était le cas, seul l'arrêt rendu par le Tribunal cantonal vaudois en date du 14 février 2012 aurait pu faire l'objet d'un recours au Tribunal fédéral (cf. art. 87 al. 2 LTF ), de sorte que le présent recours dirigé immédiatement contre le CChanvre devrait être déclaré irrecevable. 1.3.2 Bien que l' art. 82 let. b LTF assimile les conventions intercantonales à des actes normatifs cantonaux (consid. 1.1 supra), celles-ci se démarquent du droit cantonal ordinaire notamment en ce qu'elles appartiennent en commun aux cantons concernés, lesquels s'engagent réciproquement, et qu'elles produisent leurs effets dans plusieurs cantons à la fois (cf. DONZALLAZ, op.cit., n° 2703 ad art. 82 LTF p. 1031; ROBERT ZIMMERMANN, Le contrôle préjudiciel en droit fédéral et dans les cantons suisses, 1986, p. 130 s.; arrêt de la Cour constitutionnelle jurassienne du 28 mars 2006, in Revue jurassienne de jurisprudence [RJJ] 2006 p. 342 ss, 347 s. ch. 1.4.2). Les conventions intercantonales s'interprètent en outre à l'aune de l' art. 48 al. 5 Cst. , qui prévoit que les cantons respectent le droit intercantonal, ainsi qu'à la lumière du principe de la loyauté confédérale issue du principe général de la bonne foi (cf. art. 44 Cst. ; ATF 125 I 227 consid. 7b p. 239; PATRICIA EGLI, Die Bundestreue, 2010, p. 283 ss et 295 ss; KNAPP/SCHWEIZER, in Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2 e éd. 2008, n os 7 ss ad art. 44 Cst. p. 849 ss). Il découle de ces principes constitutionnels que le droit intercantonal l'emporte hiérarchiquement sur le droit de chacun des cantons qui a ratifié l'instrument intercantonal. Par conséquent, un canton ne peut en principe pas se soustraire à ses obligations intercantonales en invoquant son droit cantonal; en revanche, le droit intercantonal reste soumis à la primauté du droit fédéral ancrée à l' art. 49 Cst. (cf. arrêt 2C_66/2011 du 1 er septembre 2011 consid. 2.1.4; ATF 100 Ia 418 consid. 4 p. 423; URSULA ABDERHALDEN, in Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2 e éd. 2008, n° 49 ad art. 48 Cst. p. 893; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., p. 574 n. 1629 ss; VINCENT MARTENET, L'autonomie constitutionnelle des cantons, 1999, p. 89 s. et 284). 1.3.3 Il résulte de ce qui précède qu'à peine d'enfreindre la Constitution fédérale et de porter atteinte à la souveraineté des autres BGE 138 I 435 S. 442 cantons parties au concordat, la cour constitutionnelle d'un canton ne peut contrôler abstraitement et, le cas échéant, annuler que des actes normatifs cantonaux et infracantonaux. Il ne lui est en revanche pas permis de procéder de même à l'égard d'actes appartenant à un ordre qui est hiérarchiquement supérieur au système juridique dont elle-même tire son existence et ses compétences juridictionnelles (cf., s'agissant du principe de la hiérarchie des normes: ATF 129 V 335 consid. 3.3 p. 341; ATF 128 II 112 consid. 8a p. 123; arrêt 2C_736/2010 du 23 février 2012 consid. 6.3). Partant, une réglementation ou une pratique cantonale qui permettrait à une cour constitutionnelle cantonale de contrôler abstraitement et d'annuler une convention intercantonale ne serait pas applicable conformément au principe de la primauté du droit fédéral ( art. 49 al. 1 Cst. ). En conséquence, le recours abstrait dirigé contre le Concordat latin doit être immédiatement porté auprès du Tribunal fédéral (cf. DONZALLAZ, ibidem), la Cour de céans étant compétente pour opérer un tel contrôle normatif abstrait et, le cas échéant, annuler des dispositions concordataires qui seraient contraires au droit supérieur, à l'exclusion du Tribunal cantonal vaudois. 1.3.4 Il faut ajouter que l'impossibilité pour une cour cantonale de soumettre une convention intercantonale à un contrôle normatif abstrait laisse intacte la faculté des autorités compétentes, cantonales comme fédérales, de procéder à un contrôle préjudiciel d'une norme intercantonale lors de l'examen d'un cas d'application concret (cf., par exemple, ATF 132 I 49 consid. 4 p. 54; arrêts 2C_1016/2011 du 3 mai 2012 consid. 6.1, non publié in ATF 138 I 196 ; 2C_116/2011 du 29 août 2011 consid. 2.4; voir aussi: JEAN MORITZ, Contrôle des normes: la juridiction constitutionnelle vaudoise à l'épreuve de l'expérience jurassienne, RDAF 2005 I 1, ch. 29, pénultième phrase). 1.4 En tout état et contrairement à ce qu'affirment les autorités vaudoises, l'arrêt du Tribunal cantonal vaudois du 14 février 2012 ne conduit pas, bien que sa formulation ne soit pas dénuée d'ambiguïté, à reconnaître aux juges constitutionnels vaudois la compétence de procéder à un contrôle normatif abstrait du Concordat latin. Comme il ressort en effet de la lecture de cet arrêt cantonal, ce n'est qu'au travers d'un recours dirigé contre le décret d'approbation (ou d'un acte d'application concret) que les normes intercantonales pourraient, d'après le Tribunal cantonal, être examinées par ce dernier; de son propre aveu d'ailleurs, en cas d'admission d'une requête dirigée contre le décret d'approbation du concordat dont certaines dispositions BGE 138 I 435 S. 443 seraient jugées contraires au droit supérieur, le Tribunal cantonal ne pourrait formellement annuler lesdites dispositions, "la souveraineté de la Cour constitutionnelle vaudoise s'arrêtant aux frontières du canton, mais seulement le décret d'approbation", ce qui aurait pour unique effet que la convention intercantonale ne serait pas intégrée à l'ordre juridique cantonal vaudois. 1.4.1 A priori, on ne perçoit pas d'obstacle de principe à ce qu'un canton instaure, le cas échéant en parallèle à la faculté de demander un référendum contre l'adhésion du canton à un concordat (cf. VINCENT MARTENET, La conclusion des conventions internationales et intercantonales au regard de la séparation des pouvoirs, spécialement dans le canton de Genève, ZBl 4/2011 p. 173 ss, 184), une voie de recours judiciaire contre le décret autorisant son exécutif à adhérer à une convention intercantonale. Comme il a été dit plus haut, l'admission de la requête cantonale au motif que le décret conduirait à ratifier une convention intercantonale contraire au droit supérieur aboutirait en effet à l'annulation du seul décret d'approbation et aurait pour unique conséquence que le canton concerné n'adhérerait pas à ladite convention; en revanche, il ne serait porté atteinte ni au texte ni à la validité de la convention par rapport aux autres cantons qui l'auraient d'ores et déjà ratifiée, le décret d'approbation et le Concordat latin formant deux actes distincts. 1.4.2 A l'opposé de ce que semblent indiquer les autorités vaudoises, l'existence d'un contrôle cantonal du décret d'approbation par la cour constitutionnelle ne déboucherait en principe pas sur l'irrecevabilité du recours en matière de droit public qui serait, en parallèle, déposé auprès du Tribunal fédéral contre le Concordat latin. Comme indiqué, l'examen de la cour constitutionnelle cantonale porterait formellement sur le décret d'approbation cantonal; il pourrait donc seulement conduire à la non-adhésion du canton concerné audit concordat, tandis que le contrôle qui serait exercé par le Tribunal fédéral aurait pour objet immédiat la convention intercantonale et son éventuelle annulation. Tout au plus l'examen du décret d'approbation par une cour constitutionnelle cantonale pourrait-il justifier - le Tribunal fédéral statuant librement sur ce point - de suspendre, pour raisons d'opportunité, la procédure devant le Tribunal fédéral dans l'attente de l'arrêt cantonal (cf. art. 71 LTF cum art. 6 al. 1 PCF [RS 273]); en effet, les recourants, singulièrement ceux domiciliés sur le territoire cantonal seraient, en cas d'annulation du décret d'approbation cantonal, susceptibles de perdre tout intérêt actuel à recourir BGE 138 I 435 S. 444 contre la convention intercantonale (cf. ATF 137 II 40 consid. 2.1 p. 41; arrêt 2C_825/2011 du 25 avril 2011 consid. 1.4), qui ne s'appliquerait plus sur le territoire qu'ils habitent. En l'espèce, et indépendamment de la question relative à la compétence de principe du Tribunal cantonal vaudois pour connaître du décret d'approbation, la question d'une éventuelle suspension de la procédure devant la Cour de céans ne se poserait pas, car le Tribunal cantonal vaudois a, par arrêt rendu le 14 février 2012, déclaré irrecevable, pour cause de tardiveté, la requête déposée contre le décret du Grand Conseil vaudois du 7 juin 2011. 1.4.3 Il résulte de ce qui précède que la compétence pour soumettre le Concordat latin à un recours normatif abstrait revient au Tribunal fédéral, à l'exclusion du Tribunal cantonal vaudois. La voie du recours en matière de droit public est donc en principe ouverte. 1.5 L' art. 101 LTF prévoit que le recours contre un acte normatif doit être déposé devant le Tribunal fédéral dans les 30 jours qui suivent sa publication selon le droit cantonal. 1.5.1 De manière générale, le délai pour agir commence donc à courir, si - en tant qu'il est ouvert - le référendum n'est pas utilisé, au moment où l'autorité compétente donne officiellement connaissance que, le référendum n'ayant pas été requis, l'arrêté (déjà publié) entre en vigueur ou, éventuellement, entrera en vigueur à une date déterminée ( ATF 135 I 28 consid. 3.3.1 p. 33 s.; arrêt 2C_53/2009 du 23 septembre 2011 consid. 1.2; cf. DONZALLAZ, op. cit., n° 4112 ad art. 101 LTF p. 1494; HANS-JAKOB MOSIMANN, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in Prozessieren vor Bundesgericht, Thomas Geiser et al. [éd.], 3 e éd. 2011, p. 216 n. 4.124). 1.5.2 En présence d'un recours abstrait dirigé contre une convention intercantonale, il faut toutefois tenir compte des spécificités liées à cet acte normatif bi- ou multilatéral. Celui-ci n'entre en effet pas nécessairement en vigueur ni n'est officiellement publié en même temps dans chacun des cantons signataires (AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 3a ad art. 101 LTF p. 1342); de plus, il n'est ratifié par un canton qu'après avoir été soumis au processus d'adhésion défini par l'ordre juridique du canton concerné. En outre, et sous réserve qu'un recourant domicilié dans un canton (non-)signataire établisse qu'une convention intercantonale est susceptible de l'affecter sur le territoire des (autres) cantons concordataires (pour un exemple, cf. arrêt 1C_428/2009 du 13 octobre 2010 consid. 1.4, non BGE 138 I 435 S. 445 publié in ATF 137 I 31 ), une telle convention ne touchera en règle générale les personnes domiciliées dans un canton particulier qu'au moment où ce dernier aura choisi d'adhérer à ladite convention. Dans l'optique de ne pas vider de son sens la possibilité de former un recours normatif contre un concordat, on doit dès lors admettre qu'une convention intercantonale puisse faire l'objet d'un tel recours à l'occasion de la déclaration d'adhésion d'un canton, même si l'entrée en vigueur du concordat dépend encore de l'adhésion d'autres cantons (cf. arrêt 1C_428/2009 précité consid. 1.1, non publié in ATF 137 I 31 ; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, op. cit., n° 44 ad art. 82 LTF p. 984). 1.5.3 En l'occurrence, le présent recours a été interjeté dans les 30 jours suivant la publication de l'arrêté de mise en vigueur du décret d'approbation dans la Feuille des avis officiels du canton de Vaud du 23 août 2011. Par cet acte de promulgation, le Conseil d'Etat vaudois, au terme du délai référendaire non utilisé, a fixé au 1 er août 2011 l'entrée en vigueur du décret l'autorisant à adhérer au Concordat latin. Or, c'est cette publication par laquelle le canton de Vaud décide définitivement d'adhérer au Concordat latin qui a déclenché le délai pour recourir devant le Tribunal fédéral (cf. arrêt 1C_428/2009 précité consid. 1.4, non publié in ATF 137 I 31 ), indépendamment de la date de ratification effective du CChanvre par le Conseil d'Etat vaudois ou des dates d'entrée en vigueur et de prise d'effet prévues à son art. 28 al. 1 et 2. Par conséquent, le recours en matière de droit public a été formé en temps utile. Il a pour le surplus été interjeté dans les formes requises ( art. 42 LTF ). 1.6 Reste à examiner si les recourants disposent de la qualité pour agir devant le Tribunal fédéral. La qualité pour recourir contre un acte normatif cantonal se satisfait, selon l'art. 89 al. 1 let. b et c LTF, d'une atteinte virtuelle; il suffit donc que l'on puisse prévoir avec un minimum de vraisemblance que les recourants puissent un jour être touchés directement par l'acte normatif attaqué afin que ceux-ci soient à même d'agir ( ATF 136 I 17 consid. 2.1 p. 21). Les recourants remplissent cette exigence: domiciliés dans le canton de Vaud, ils ont par ailleurs exploité ou exploitent toujours des entreprises ayant entre autres pour but le commerce du chanvre et d'articles dérivés. Il convient donc d'entrer en matière. En revanche, les poursuites pénales pour infraction à la loi fédérale du 3 octobre 1951 sur les stupéfiants et les substances psychotropes (loi sur les stupéfiants, LStup; RS 812.121) dont certains BGE 138 I 435 S. 446 des recourants ont fait l'objet ne sont pas pertinentes dans le présent contexte. (...) 3. Dans un premier grief, les recourants affirment que le Concordat latin contreviendrait au principe de la primauté du droit fédéral, dans la mesure où il étendrait indûment le champ d'application de la LStup et instaurerait une série d'obligations dépassant le cadre de cette loi fédérale au caractère exhaustif. 3.1 Garanti à l' art. 49 al. 1 Cst. , le principe de la primauté du droit fédéral fait obstacle à l'adoption ou à l'application de règles cantonales qui éludent des prescriptions de droit fédéral ou qui en contredisent le sens ou l'esprit, notamment par leur but ou par les moyens qu'elles mettent en oeuvre, ou qui empiètent sur des matières que le législateur fédéral a réglementées de façon exhaustive. Cependant, même si la législation fédérale est considérée comme exhaustive dans un domaine donné, une loi cantonale peut subsister dans le même domaine en particulier si elle poursuit un autre but que celui recherché par le droit fédéral. En outre, même si, en raison du caractère exhaustif de la législation fédérale, le canton ne peut plus légiférer dans une matière, il n'est pas toujours privé de toute possibilité d'action. Ce n'est que lorsque la législation fédérale exclut toute réglementation dans un domaine particulier que le canton perd toute compétence pour adopter des dispositions complétives, quand bien même celles-ci ne contrediraient pas le droit fédéral ou seraient même en accord avec celui-ci ( ATF 137 I 167 consid. 3.4 p. 174 s.; ATF 133 I 110 consid. 4.1 p. 116; arrêt 2C_727/2011 du 19 avril 2012 consid. 3.3, non publié in ATF 138 II 191 ). 3.2 Dans un premier temps, la Cour de céans s'emploiera à qualifier les compétences que la Constitution attribue à la Confédération en vue de réglementer la culture et l'utilisation du chanvre (cannabis sativa L.; cf. à propos de la terminologie: Message du 9 avril 1951 relatif à la révision de la loi sur les stupéfiants, FF 1951 I 841, 866 s.). Ce faisant et en fonction de la qualification retenue, il conviendra de s'interroger au sujet du caractère exhaustif ou non de la législation fédérale dans le domaine considéré (cf. consid. 3.3 et 3.4 infra). Si cette dernière réglementation s'avérait être exhaustive, il faudrait encore en examiner les répercussions sur la constitutionnalité du Concordat latin, étant donné que celui-ci prétend réglementer certains aspects de la culture et du commerce du chanvre agricole (cf. consid. 3.5 infra). BGE 138 I 435 S. 447 3.3 L' art. 104 Cst. définit les compétences et les objectifs que doivent poursuivre les autorités fédérales en matière agricole. Aux termes de l' art. 104 al. 1 Cst. , la Confédération veille à ce que l'agriculture, par une production répondant à la fois aux exigences du développement durable et à celles du marché, contribue substantiellement: (a.) à la sécurité de l'approvisionnement de la population; (b.) à la conservation des ressources naturelles et à l'entretien du paysage rural; (c.) à l'occupation décentralisée du territoire. 3.3.1 La disposition constitutionnelle précitée dote la Confédération d'une compétence concurrente non limitée aux principes. La Confédération en a fait usage dans une très large mesure, en adoptant notamment la loi fédérale du 29 avril 1998 sur l'agriculture (loi sur l'agriculture, LAgr; RS 910.1) ainsi que de nombreuses ordonnances, qui réduisent d'autant les compétences autonomes dont disposent les cantons dans le domaine agricole (VALLENDER/HETTICH, in Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2 e éd. 2008, n° 3 ad art. 104 Cst. p. 1668 s.). 3.3.2 En matière de chanvre, l'art. 4 et l'annexe n° 4 de l'ordonnance du 7 décembre 1998 de l'Office fédéral de l'agriculture sur le catalogue des variétés de céréales, de pommes de terre, de plantes fourragères, de plantes oléagineuses et à fibres ainsi que de betteraves (ordonnance sur le catalogue des variétés; RS 916.151.6), autorise la mise en circulation et certification des semences de chanvre d'un taux en THC inférieur à 0,3 % (voir aussi HANS SPILLMANN, Hanfanbau - Im Spannungsfeld zwischen landwirtschaftlicher Produktion und Betäubungsmittelherstellung, Communications de droit agraire 2000 p. 153 ss). Il en découle qu'il est possible d'utiliser de telles semences dans le domaine de l'agriculture (cf. art. 162 al. 1 LAgr ), soit également de cultiver légalement du chanvre au moyen de ces dernières (cf. Office fédéral de la Justice, Réglementation sur le commerce du chanvre - Avis de droit du 15 octobre 2007, JAAC 2008 n°16 p. 265 ss, ch. 3.1 p. 268). 3.3.3 Au vu de ce qui précède, force est de retenir que la Confédération a, sous réserve des compétences que la législation déléguerait aux cantons et des tâches cantonales liées à l'exécution du droit fédéral, exhaustivement réglementé les aspects du droit agricole relatifs à l'utilisation de semences de chanvre. 3.4 L' art. 118 Cst. , qui a repris en substance les art. 69, 69 bis et 24 quinquies al. 2 aCst., règle les compétences de la Confédération en matière de protection de la santé. BGE 138 I 435 S. 448 3.4.1 La santé publique est en principe du ressort des cantons (cf. art. 3 Cst. ; TOMAS POLEDNA, in Die Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Bernhard Ehrenzeller et al. [éd.], 2 e éd. 2008, n° 5 ad art. 118 Cst. p. 1823; POLEDNA/BERGER, Öffentliches Gesundheitsrecht, 2002, p. 17 n. 43). Toutefois, la Confédération se voit reconnaître la compétence pour en réglementer certains aspects spécifiques ( art. 118 al. 1 Cst. : "Dans les limites de ses compétences"; cf. Message du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle Constitution fédérale, FF 1996 I 1, 338; ERWIN MURER, Wohnen, Arbeit, Soziale Sicherheit und Gesundheit, in Droit constitutionnel suisse, Daniel Thürer et al. [éd.], 2001, p. 967 ss, 977 n. 22), qui sont exhaustivement mentionnés à l' art. 118 al. 2 Cst. A l'intérieur de ces domaines segmentaires, la Confédération dispose d'une "compétence globale dotée d'un effet dérogatoire subséquent" (cf. ATF 133 I 110 consid. 4.2 p. 116; FF 1996 I 1, 338; GIOVANNI BIAGGINI, in BV-Kommentar, 2007, n° 6 ad art. 118 Cst. p. 555; sous l'angle de l'aCst.: GUIDO CORTI, Canapa et "canapai" fra legalità e illegalità - Parere del 1° aprile/11 giugno 1999, RDAT 1999 II p. 377, 390 s.), à savoir d'une compétence concurrente non limitée aux principes lui permettant de réglementer exhaustivement une matière de sorte à évincer toute compétence cantonale autonome dans ce domaine, sous réserve des compétences réservées ou déléguées aux cantons, ainsi que de celles résultant de l'exécution du droit fédéral en vertu de l' art. 46 Cst. (cf. AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, op. cit., p. 360 n. 1017; POLEDNA, op. cit., n° 7 ad art. 118 Cst. p. 1824; RHINOW/SCHEFER, op. cit., p. 149 n. 727). 3.4.2 Selon l' art. 118 al. 2 let. a Cst. , la Confédération légifère entre autres sur l'utilisation des stupéfiants, ce qu'elle a fait en adoptant en particulier la LStup, l'ordonnance du 25 mai 2011 sur le contrôle des stupéfiants (OCStup; RS 812.121.1), l'ordonnance du 30 mai 2011 du Département fédéral de l'intérieur sur les tableaux des stupéfiants, des substances psychotropes, des précurseurs et des adjuvants chimiques (ordonnance sur les tableaux des stupéfiants, OTStup-DFI; RS 812.121.11), l'ordonnance du 25 mai 2011 relative à l'addiction aux stupéfiants et aux autres troubles liés à l'addiction (ordonnance relative à l'addiction aux stupéfiants, OAStup; RS 812.121.6), ainsi que la loi fédérale du 15 décembre 2000 sur les médicaments et les dispositifs médicaux (loi sur les produits thérapeutiques, LPTh; RS 812.21) et ses ordonnances, qui s'appliquent aux stupéfiants utilisés comme produits thérapeutiques (cf. art. 1b LStup ; ATF 133 I 58 consid. 4.1.2 p. 60). BGE 138 I 435 S. 449 3.4.3 La législation en matière de stupéfiants a notamment pour objectifs de prévenir la consommation non autorisée de stupéfiants, réglementer leur mise à disposition à des fins médicales et scientifiques, protéger les personnes des conséquences liées à l'addiction, préserver la sécurité et l'ordre publics des dangers émanant du commerce et de la consommation de stupéfiants et lutter contre les actes criminels étroitement liés au commerce et à la consommation de ces substances (cf. art. 1 LStup ). Du point de vue de son champ d'application matériel, cette loi régit le domaine des stupéfiants et des substances psychotropes, dont la principale caractéristique est celle d'engendrer la dépendance (cf. art. 2 let. a et b LStup ; cf., sous l'ancien art. 1 LStup , arrêt 6S.3/2003 du 2 mai 2003 consid. 1.2). Ainsi, une substance tombe dans le champ de cette législation restrictive (cf. GÄCHTER/VOLLENWEIDER, Gesundheitsrecht, 2 e éd. 2010, p. 44) dans la mesure où elle est susceptible de produire de tels effets d'accoutumance ou de servir à la préparation de stupéfiants (cf. Initiative parlementaire du 4 mai 2006 concernant la révision partielle de la loi sur les stupéfiants, FF 2006 8141, 8192 ch. 6.1). De plus, la loi vise, comme indiqué précédemment, à "prévenir la consommation non autorisée de stupéfiants et de substances psychotropes", tandis que le recours à certains de ces produits en médecine reste permis (cf. art. 8 al. 5-7 et art. 9 ss LStup ; FF 2006 8211, 8213 ch. 2.1.1). 3.4.4 S'agissant plus spécifiquement du chanvre, d'après l' art. 2 let. a LStup précité, les substances et préparations qui engendrent une dépendance et qui ont des effets de type cannabique, et celles qui sont fabriquées à partir de ces substances ou préparations ou qui ont un effet semblable à celles-ci, entrent dans la définition des stupéfiants et ne peuvent être, selon l' art. 8 al. 1 let . d LStup, ni cultivées, ni importées, ni fabriquées ou mises dans le commerce, certaines dérogations restant néanmoins possibles aux alinéas 5 à 8 de l' art. 8 LStup . Il résulte ainsi des termes "effets de type cannabique" que le chanvre doit être prima facie considéré comme un stupéfiant au sens de la LStup (FF 2006 8141, 8160 ch. 3.1.4). 3.4.5 Par ailleurs, le chapitre 5 (art. 29 ss) de la LStup fixe en détail les tâches appartenant à la Confédération et celles que le législateur fédéral a dévolues aux cantons; ces derniers sont en particulier tenus d'édicter les dispositions d'exécution et doivent désigner les autorités et offices chargés d'accomplir les attributions définies par la LStup (cf. art. 29d LStup ). BGE 138 I 435 S. 450 3.4.6 Compte tenu des actes normatifs à la fois denses et détaillés que la Confédération a notamment adoptés en matière de consommation, de commerce et de protection contre les effets indésirables et nocifs des stupéfiants, et sous réserve des compétences que la LStup délègue aux cantons sous la haute surveillance de la Confédération (cf. art. 29 al. 1 LStup ), on peut retenir que la Confédération a exhaustivement réglementé le domaine des stupéfiants, dont relèvent également le chanvre et ses dérivés (cf., dans ce sens, CORTI, op. cit., p. 391; Office fédéral de la Justice, op. cit., p. 268). 3.5 Dès lors que la législation fédérale en matière d'agriculture et de stupéfiants doit être considérée comme complète et exhaustive en ce qui a trait au chanvre et à ses dérivés, il convient de déterminer quelles en sont les conséquences pour la constitutionnalité et l'existence du Concordat latin. 3.5.1 Le caractère exhaustif de la législation fédérale dans un certain domaine n'équivaut pas, de façon absolue ou systématique, à éliminer toute possibilité pour un canton de légiférer dans cette même matière. En particulier, il a été vu auparavant qu'une réglementation cantonale peut subsister dans le même champ lorsqu'elle poursuit un autre but que celui recherché par le droit fédéral exhaustif (consid. 3.1 supra; cf. aussi JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, vol. I, 1967, p. 252 n. 661). Ainsi, par exemple, le Tribunal fédéral a admis la possibilité pour des communes d'édicter des prescriptions d'aménagement du territoire et de police des constructions concernant des installations de téléphonie mobile, alors même que la protection contre les immissions de ces installations était exhaustivement réglementée par le droit fédéral, de sorte à exclure toute réglementation cantonale ou communale visant directement lesdites immissions (cf. ATF 133 II 64 consid. 5.2 s. p. 66 s.). De même, le Tribunal fédéral a jugé que l'obligation d'obtenir une concession pour utiliser le sous-sol, découlant du droit des constructions, de l'aménagement du territoire ou d'une régale minière cantonale, en vue d'y construire un dépôt atomique souterrain était compatible avec la législation fédérale exhaustive sur l'utilisation pacifique de l'énergie atomique (cf. ATF 119 Ia 390 consid. 6c p. 402 et consid. 11b p. 406; ATF 111 Ia 303 consid. 5a p. 307). Tout en retenant une violation du Code pénal dans le cas sous examen, le Tribunal fédéral a néanmoins retenu que le droit pénal fédéral laissait aux cantons la compétence de protéger l'intérêt public en édictant des dispositions de droit administratif, même dans BGE 138 I 435 S. 451 des domaines que la Confédération avait déjà réglementés du point de vue pénal, pour autant que le droit public cantonal ne revienne pas à paralyser ou contredire le droit pénal (cf. ATF 114 Ia 452 consid. 2a p. 457 s.). A partir de ce qui vient d'être dit, il ne peut donc être a priori exclu que les cantons conservent le droit de réglementer le chanvre agricole sous l'angle du droit de l'aménagement du territoire ou d'un autre domaine poursuivant un intérêt public différent de ceux qu'appréhende déjà le droit fédéral. 3.5.2 En l'occurrence, tel qu'il résulte des déterminations des cantons concordataires ainsi que de l'exposé des motifs du projet de CChanvre adopté par la Conférence latine en date du 29 octobre 2010 (ci-après: l'exposé des motifs), le Concordat latin réglemente le chanvre dit "licite", "agricole" ou "non stupéfiant". Conformément aux travaux préparatoires relatifs à la modification de la LStup du 20 mars 2008 (cf. FF 2006 8141, 8174 ch. 3.1.10.1; RO 2011 2559; RO 2009 2623), il s'agit là du chanvre qui ne figure pas sur la liste des produits assimilés à des stupéfiants, que le Département fédéral de l'intérieur (ci-après: le Département fédéral) a dressée en application de l' art. 2a LStup . Concrètement, le Département fédéral a exclu de la liste les graines de chanvre figurant dans le catalogue des variétés des dispositions relatives aux substances soumises au contrôle ( art. 4 OTStup-DFI ); de même, il a soumis à contrôle la plante de chanvre ou ses parties, ses préparations et ses dérivés en tant qu'ils présentent une teneur totale moyenne en tétrahydrocannabinol (THC) de 1,0 % au moins (cf. OTStup-DFI, Annexes). Prima facie, le CChanvre entend donc régir uniquement le chanvre que la législation fédérale en matière de stupéfiants a exclu de son champ d'application matériel, soit la culture et le commerce du chanvre présentant un taux de substance active inférieur au taux fixé par le Département fédéral, l'art. 1 al. 3 et 4 CChanvre réservant de surcroît les dispositions du droit fédéral. 3.5.3 Cela étant, quand bien même le Concordat latin se propose de réglementer une matière que le législateur fédéral a, à première vue, exclu de son champ d'application, cet instrument intercantonal soulève des problèmes juridiques sous au moins trois angles différents: Premièrement, l'on peut se demander si le fait pour la Confédération d'avoir expressément exclu le chanvre agricole dont le taux est inférieur à 1 % de THC de la législation en matière de stupéfiants et BGE 138 I 435 S. 452 d'accepter l'utilisation de semences de chanvre présentant un taux en THC peu élevé à des fins agricoles, ne traduirait pas la volonté expresse du législateur fédéral d'empêcher toute réglementation cantonale, a fortiori de nature restrictive, dans le domaine du chanvre licite. La question d'un éventuel silence qualifié du législateur fédéral (cf., pour des exemples: ATF 138 II 1 consid. 4.3 p. 4; ATF 138 IV 13 consid. 3.3.1 p. 16; ATF 134 V 15 consid. 2.3 p. 19; ATF 116 IV 19 consid. 3 p. 21; voir aussi ATF 138 I 196 consid. 4.5.4 p. 203 s.; ANNE BENOIT, Le partage vertical des compétences en tant que garant de l'autonomie des Etats fédérés en droit suisse et en droit américain, 2009, p. 108 s.) souffre toutefois de rester indécise compte tenu des problématiques abordées ci-après. Deuxièmement, il convient de souligner que le CChanvre a pour seul but exprimé de "prévenir les violations du droit fédéral, notamment en matière de stupéfiants et en matière agricole" (cf. art. 1 al. 2). Il n'entend ainsi pas réglementer un aspect distinct de celui que le droit fédéral appréhende d'ores et déjà, et ne cherche pas non plus à sauvegarder un intérêt public différent de celui qui est déjà poursuivi par la LStup (cf. art. 1 let . d et e). Le Concordat latin vise au contraire à introduire des mesures de police administratives (obligations d'annonce et d'autorisation, possibilité d'effectuer des contrôles inopinés en dehors du contexte pénal, etc.) qui tendent à garantir ou à rendre plus efficace la bonne application du droit fédéral exhaustif dans des domaines où ce dernier n'a à dessein pas tenu pour nécessaire d'instaurer de telles mesures ou a d'ores et déjà prévu sa propre réglementation de nature tant administrative que pénale (cf. notamment les art. 8, 16 ss et 19 ss LStup ; art. 169 ss et 172 ss LAgr ). Troisièmement, le Concordat latin vise non seulement à atteindre les mêmes buts que ceux que le droit fédéral exhaustif contient d'ores et déjà mais il introduit aussi certaines mesures administratives qui, de par leurs caractéristiques ou leurs effets, pourraient conduire les autorités administratives des cantons concordataires à vider de leur substance certaines mesures de contrainte de nature pénale ou, à tout le moins, de faire double emploi avec celles-ci. On relèvera en particulier la similitude pouvant exister entre les mesures de perquisition et de séquestre instaurées par les art. 244 et 263 CPP , et la possibilité conférée aux autorités administratives cantonales de procéder, "en tout temps, dans le cadre de leurs attributions respectives et au besoin par la contrainte (...) au contrôle des infrastructures, des cultures ou des locaux commerciaux et au contrôle des personnes qui BGE 138 I 435 S. 453 s'y trouvent, dans le but de vérifier qu'aucune activité illicite ne s'y exerce", ainsi qu'à opérer d'éventuels séquestres (cf. art. 17 CChanvre). Le caractère intrusif de la réglementation intercantonale dans le domaine du droit pénal fédéral se trouve de plus accentué par les sanctions pénales que ledit concordat instaure en cas de contravention à ses dispositions matérielles (cf. art. 21 CChanvre), ce qui contribue indirectement à pénaliser un domaine déclaré licite par le législateur fédéral (cf., à ce titre, ATF 116 IV 19 consid. 3 p. 20 précité). 3.5.4 Il n'est par ailleurs pas inutile de rappeler que le texte du CChanvre a été élaboré dans le contexte d'une mouture antérieure de la LStup, dont l'ancien art. 8 al. 1 let . d interdisait sans exception la culture et le commerce du chanvre en vue d'en extraire des stupéfiants et dont l'ancien art. 19 ch. 1 al. 1 punissait la culture de boutures de chanvre dans la mesure où celles-ci permettaient, après croissance, d'obtenir du chanvre à haute teneur en THC, lequel devait en outre servir à la consommation comme stupéfiant. Il incombait alors aux autorités pénales de démontrer l'usage illégal du chanvre envisagé (critère du but; cf. ATF 130 IV 83 consid. 1.1 p. 85 s.). Dans la pratique, ces exigences avaient confronté les autorités pénales à des difficultés majeures en vue d'établir l'intention des prévenus de faire un usage illégal du cannabis trouvé en leur possession (cf. CORTI, op. cit., p. 382; Office fédéral de la Justice, op. cit., ch. 2.3 p. 268; Message du 15 décembre 2006 concernant l'initiative populaire "pour une politique raisonnable en matière de chanvre protégeant efficacement la jeunesse", FF 2007 241, 246 ch. 2.2.2). C'est dans cette perspective que certains cantons avaient ressenti le besoin d'instaurer des mesures administratives destinées à faciliter l'exécution du droit pénal relatif aux stupéfiants. Or, dans sa version actuelle, la LStup ne se fonde plus sur la destination illicite du chanvre, mais uniquement sur le taux en THC de cette plante (cf., pour les travaux y relatifs, FF 2006 8141, 8147). Ce taux pouvant être facilement objectivé et mesuré par les autorités cantonales agissant en application de la législation fédérale en matière de stupéfiants, la raison d'être historique de la convention intercantonale litigieuse a elle aussi disparu. 3.5.5 Il découle des considérations qui précèdent que, bien que le Concordat latin réglemente le domaine du chanvre agricole qui sort du cadre stricto sensu de la législation fédérale, il pose néanmoins des conditions et exigences ayant pour vocation et pour effet d'atteindre les mêmes buts de prévention et de contrôle déjà visés par BGE 138 I 435 S. 454 le droit fédéral; ce, au moyen de mesures administratives restrictives que ce dernier ne prévoit précisément pas. En cela, le Concordat latin poursuit un but préventif qui relève, en raison du caractère exhaustif de la législation fédérale en la matière, du seul droit fédéral; il en découle qu'il ne peut être simultanément gouverné par une réglementation intercantonale au contenu distinct, qui opère qui plus est selon des moyens divergents (cf. MAX IMBODEN, Die staatsrechtliche Bedeutung des Grundsatzes "Bundesrecht bricht kantonales Recht", RDS 61/1942 p. 203 ss, 208). Le CChanvre empiète dès lors sur les compétences que la Constitution a attribuées à la Confédération et dont cette dernière a fait un plein usage. 3.5.6 Compte tenu du but explicite et unique qu'elle poursuit dans le domaine de la prévention des infractions contre la LStup et la LAgr, alors même que ces lois fédérales disposent de leur propre réglementation sanctionnant l'éventuel non-respect de leurs propres dispositions, la convention intercantonale litigieuse n'est pas accessible à une interprétation conforme au droit supérieur ( ... ). En conclusion, le CChanvre contrevient, par son existence même, au principe de la primauté du droit fédéral consacré à l' art. 49 al. 1 Cst. et devra être intégralement annulé pour ce motif. Le grief des recourants doit donc être admis. 3.6 Au vu de ce qui précède, dans la mesure où le concordat attaqué devra être entièrement annulé en raison de son incompatibilité avec le droit supérieur, la question de savoir si le CChanvre viole en sus, comme l'affirment les recourants, la liberté économique ( art. 27 Cst. ) peut rester indécise.
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Sachverhalt ab Seite 177 BGE 125 II 177 S. 177 A.- Die Burgergemeinde Zermatt betrieb zusammen mit der Munizipalgemeinde Zermatt im Rahmen einer einfachen Gesellschaft das Elektrizitätswerk Zermatt, wobei beide Gemeinwesen mit je 50 Prozent an diesem beteiligt waren. Auf den 31. Dezember 1994 wandelten sie das Werk in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft um; die «EWZ Elektrizitätswerk Zermatt AG» wurde am 22. Dezember 1994 in das Handelsregister eingetragen. Bevor die Gemeinden das Werk als Sacheinlage in die neu gegründete Aktiengesellschaft BGE 125 II 177 S. 178 einbrachten, werteten sie die weitgehend abgeschriebenen Aktiven bis auf die offiziellen Katasterwerte auf. Der Buchwert der bilanzierten Aktiven erhöhte sich so um Fr. 30'453'024.40 auf einen Betrag von Fr. 48'554'369.02. Die Einwohnergemeinde Zermatt wurde von der Steuerverwaltung des Kantons Wallis für die direkte Bundessteuer als gänzlich steuerbefreit betrachtet. Steuerlich erfasst hat die kantonale Verwaltung demgegenüber jene Hälfte des Aufwertungsgewinns, welche der Burgergemeinde zuzurechnen ist. Am 13. März 1996 stellte sie dieser für 1995 eine Jahressteuer in der Höhe von Fr. 609'060.- in Rechnung. Die von der Burgergemeinde Zermatt hiergegen erhobene Einsprache wies die Steuerverwaltung des Kantons Wallis am 9. April 1996 ab. Auf Beschwerde der Burgergemeinde Zermatt hin hob die kantonale Steuerrekurskommission am 20. Juni 1997 den angefochtenen Einspracheentscheid auf. B.- Hiergegen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung am 28. August 1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht mit dem Antrag, den Entscheid der Steuerrekurskommission aufzuheben und den Einspracheentscheid zu bestätigen. Die Burgergemeinde Zermatt und die Steuerrekurskommission des Kantons Wallis beantragen Abweisung der Beschwerde, während die Steuerverwaltung des Kantons Wallis auf Gutheissung schliesst. Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Gemäss dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11), welches seit dem 1. Januar 1995 in Kraft steht, werden grundsätzlich alle juristischen Personen besteuert (vgl. Art. 49 DBG ); gewisse Ausnahmen von der Steuerpflicht sind in Art. 56 DBG vorgesehen. Zwischen den Parteien ist vorab streitig, ob die Beschwerdegegnerin überhaupt der Steuerpflicht unterliegt: Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf eine Steuerbefreiung geschlossen, erfasse doch Art. 56 lit. c DBG die Bürgergemeinden nicht. Gemäss dieser Bestimmung sind «die Gemeinden, die Kirchgemeinden und die anderen Gebietskörperschaften der Kantone sowie ihre Anstalten» von der Steuerpflicht befreit. BGE 125 II 177 S. 179 3. Welche juristischen Personen aufgrund von Art. 56 lit. c DBG steuerbefreit sind, ist auf dem Weg der Gesetzesauslegung zu ermitteln. Deren Ziel ist es, den Sinngehalt einer Norm zu ergründen. Auszugehen ist dabei vom Wortlaut der auszulegenden Bestimmung, doch kann dieser nicht allein massgebend sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt. Vielmehr muss nach der wahren Tragweite des Wortlauts gesucht werden unter Berücksichtigung der weiteren Auslegungselemente, wie namentlich Entstehungsgeschichte und Zweck der Norm. Wichtig ist auch die Bedeutung, welche der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf das grammatikalische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergab (vgl. BGE 124 II 372 E. 5 S. 376). a) Aus der Formulierung von Art. 56 lit. c DBG ist zu schliessen, dass die Steuerbefreiung nur «Gebietskörperschaften» zukommen soll. Dieser Begriff steht vorab im Gegensatz zu jenem der Personalkörperschaft, wobei für die Unterscheidung massgebend ist, ob die Mitgliedschaft vom Wohnsitz innerhalb eines gewissen Gebiets oder aber von bestimmten persönlichen Eigenschaften abhängt (ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, N. 1026 ff. S. 269 f.). Weiter zeigt der Wortlaut, dass die Kirchgemeinden nach Auffassung des Gesetzgebers zu den Gebietskörperschaften gehören. Sie weisen jedoch neben territorialen auch personale Elemente auf und gelten daher als Mischform zwischen Gebiets- und Personalkörperschaften (HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., N. 1030 S. 270 und N. 1093 S. 282; ZACCARIA GIACOMETTI, Das Staatsrecht der Schweizerischen Kantone, Nachdruck, Zürich 1979, S. 83). Daraus folgt, dass der Begriff der Gebietskörperschaft hier weiter gefasst ist und nicht nur reine Gebietskörperschaften unter Art. 56 lit. c DBG subsumiert werden können. Der Wortlaut vermag demnach alle öffentlichrechtlichen Körperschaften mit territorialen Elementen zu erfassen. Er schliesst einzig jene Körperschaften von einer Steuerbefreiung aus, denen aufgrund des kantonalen Rechts die Verbindung zu einem bestimmten, auf der politischen Einteilung des Kantonsgebiets beruhenden Territorium gänzlich fehlt (vgl. PETER AGNER/BEAT JUNG/GOTTHARD STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich 1995, N. 4 zu Art. 56, S. 216). BGE 125 II 177 S. 180 An einem derartigen territorialen Bezug mangelt es zum einen den Realkörperschaften, deren Mitglieder sich, wie beispielsweise bei Meliorationsgenossenschaften oder Wasserkorporationen, über das Eigentum an bestimmten Sachen - namentlich Grundstücken - bestimmen (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., N. 1029 S. 270). Zum anderen fehlt er den reinen Personalkörperschaften, so zum Beispiel Berufsgenossenschaften oder öffentlichrechtlich organisierten Studentenschaften. Die Beschwerdegegnerin weist jedoch, gleich wie die Kirchgemeinden, Merkmale von Personal- und Gebietskörperschaften auf: Neben dem Ortsbürgerrecht, das als personales Element im Vordergrund steht, verfügt die Burgergemeinde nach Walliser Recht auch über gewisse territoriale Grundlagen. So müssen ihre Mitglieder, um stimmberechtigt zu sein, in der Regel im Gebiet der betreffenden Burgergemeinde wohnen (vgl. Art. 81 Abs. 1 der Walliser Kantonsverfassung vom 8. März 1907). Dieses entspricht in der Regel jenem der Einwohnergemeinde, muss aber nicht notwendigerweise damit kongruent sein (vgl. Art. 52 des Walliser Gesetzes vom 13. November 1980 über die Gemeindeordnung; Art. 2 des Walliser Gesetzes vom 28. Juni 1989 über die Burgerschaften [Burgerschaftsgesetz]); die Burgergemeinden verfügen insoweit über einen Bezug zu einem eigenen Territorium (vgl. AGNER/JUNG/STEINMANN, a.a.O., N. 4 zu Art. 56, S. 216, mit Hinweisen; anders: GIACOMETTI, a.a.O., S. 84 f.). Die grammatikalisch-begriffliche Auslegung spricht demnach für eine Steuerbefreiung der Beschwerdegegnerin. b) Nach Art. 16 Ziff. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 9. Dezember 1940 über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt) waren «die Gemeinden sowie die anderen öffentlichrechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten für das Vermögen und Einkommen, das öffentlichen Zwecken dient» von der Steuerpflicht befreit. Unter diese Regelung fielen neben den reinen Territorialgemeinden und den Kirchgemeinden auch die Bürgergemeinden (Urteil vom 24. Dezember 1991 in: ASA 62 S. 560 E. 3; vgl. auch: HEINZ MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. Auflage, Zürich 1985, N. 5 zu Art. 16, S. 76 f.; ERNST KÄNZIG, Wehrsteuer, I. Teil, 2. Auflage, Basel 1982, N. 5 zu Art. 16 Ziff. 2 BdBSt , S. 164). Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 56 lit. c DBG ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber bezüglich der Erfassung der Bürgergemeinden eine Änderung beabsichtigt hätte - im Gegenteil: Im Kommentar zu Art. 62 des bundesrätlichen Entwurfs für das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, welcher (bis BGE 125 II 177 S. 181 auf lit. g) wörtlich dem heutigen Art. 56 DBG entspricht, hat der Bundesrat erklärt, die Formulierung der Ausnahmen entspreche materiell dem (damals) geltenden Recht ( Art. 16 und 17 BdBSt ; BBl 1983 III 188). Ausser der Regelung betreffend gemeinnützige juristische Personen (lit. g) hat die Bundesversammlung diesen Ausnahmekatalog unverändert und ohne Diskussion zum Gesetzestext erhoben (vgl. AB 1986 S 197; 1988 N 37). Dies lässt darauf schliessen, dass weder Bundesrat noch Parlament an der bisherigen Gleichbehandlung von Einwohner- und Bürgergemeinden im Bereich der Steuerbefreiung etwas ändern wollten. Auch eine historische Auslegung von Art. 56 lit. c DBG spricht demnach dafür, die Bürgergemeinden unter den Begriff der Gebietskörperschaften zu subsumieren. Die zitierte Äusserung des Bundesrats ist zwar insofern nicht genau, als Art. 56 lit. c DBG (bzw. Art. 62 lit. c des Entwurfs) dennoch eine gewisse Abweichung vom alten Recht enthält. Nach Art. 16 Ziff. 2 BdBSt galt die Steuerbefreiung nur für Vermögen und Einkommen der Gemeinden, das (zumindest mittelbar) öffentlichen Zwecken diente; diese Beschränkung wurde im neuen Recht aufgegeben (vgl. AGNER/JUNG/STEINMANN, a.a.O., N. 4 zu Art. 56, S. 216). Es handelt sich dabei jedoch um eine Erweiterung der Ausnahmeregelung, die nicht einen Ausschluss der Burgergemeinden von der für Gemeinden vorgesehenen Steuerbefreiung impliziert. c) Unter teleologischen und systematischen Gesichtspunkten ergibt sich nichts anderes: Die Bürgergemeinden haben zwar - im Unterschied zu den politischen Gemeinden - keine eigentliche Gebietshoheit (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Aarau 1986, N. 6 zu § 104, S. 351). Ihre Aufgabe besteht regelmässig vorab in der Verwaltung und Nutzung ihres Gutes sowie in der Verwendung ihrer Mittel für kulturelle, soziale oder sonstige gemeinnützige Zwecke, häufig in Zusammenarbeit mit der Einwohnergemeinde (vgl. Art. 3 des Burgerschaftsgesetzes). Abgesehen von der Verleihung des Bürgerrechts, dem Erlass von eigenen Reglementen und allenfalls gewissen Aufgaben im Bereich des Vormundschaftswesen sowie der Armenfürsorge stehen ihnen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse zu. Ähnliches gilt jedoch auch für die Kirchgemeinden, die in Art. 56 lit. c DBG ausdrücklich von der Steuerpflicht befreit werden. Diese verfügen - ausser im Bereich der Kirchensteuern - grundsätzlich ebenfalls nicht über Hoheitsgewalt oder Gebietshoheit und haben sich zur Hauptsache auf ideelle und soziale Aktivitäten BGE 125 II 177 S. 182 zu beschränken. Eine weitere Parallele zwischen Kirch- und Bürgergemeinden besteht hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Schutzes ihrer Autonomie, der auch diesen Gemeindearten zukommen kann. Anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften, die nicht politische Funktionen der kommunalen Selbstverwaltung erfüllen und nicht die Bedeutung einer Gemeinde haben, ist es verwehrt, sich auf den Schutz der Gemeindeautonomie zu berufen (vgl. BGE 109 Ia 173 E. 3 S. 176, mit Hinweisen). Eine Besonderheit, welche die Bürgergemeinden von den Einwohner- und Kirchgemeinden unterscheidet, liegt allenfalls darin, dass ihnen keine Steuerhoheit zukommt. Dies lässt sich ohne weiteres aus der Tatsache erklären, dass die Bürgergemeinden gewöhnlich über beträchtliche eigene Nutzungsgüter und sonstiges Vermögen mit entsprechenden Erträgen verfügen und deshalb nicht auf Steuereinnahmen angewiesen sind. Die Verwaltung und Bewirtschaftung ihrer Besitztümer macht denn auch einen wesentlichen Teil ihrer Aufgabe aus. Dabei können sie teilweise - je nach den geltenden gesetzlichen Schranken - Vermögenserträge auch den einzelnen Bürgern zufliessen lassen. Diese Spezialität der Bürgergemeinden schliesst jedoch eine Befreiung von der direkten Bundessteuer nicht zum Vornherein aus; soweit eine Bürgergemeinde gesetzlich gehalten ist, mit ihrem Vermögen in erster Linie öffentlichen Zwecken zu dienen, und keine übermässigen Ausschüttungen an ihre Bürger vornimmt, drängt sich im Rahmen von Art. 56 lit. c DBG eine von den anderen Gemeindearten abweichende Behandlung nicht auf. Im Fall der Beschwerdegegnerin sind diese Voraussetzungen erfüllt: Walliser Burgergemeinden können nur dann reglementarische Leistungen zugunsten ihrer Bürger vorsehen, wenn dadurch «gemeinnützige» Zwecke verfolgt werden (Art. 11 des Burgerschaftsgesetzes); Vermögenserträge werden gegebenenfalls als unentgeltliche oder vergünstigte Naturalleistungen - in der Form von Brennholz oder Nutzungsrechten am Burgerboden - oder (aus sozialen oder gemeinnützigen Erwägungen) als Bargeld ausgeschüttet (vgl. Art. 12 f. des Burgerschaftsgesetzes). d) Die Auslegung von Art. 56 lit. c DBG ergibt somit, dass die Beschwerdegegnerin als Bürgergemeinde unter den Begriff der «anderen Gebietskörperschaften» fällt. Damit hat die Vorinstanz zu Recht auf eine Steuerbefreiung der Beschwerdegegnerin erkannt. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen; es erübrigt sich, auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu Art. 56 lit. g und Art. 206 DBG einzugehen.
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Sachverhalt ab Seite 178 BGE 143 V 177 S. 178 A. A.a Seit 2005 sind A. und ihr Ehemann zu je 50 % an der Kollektivgesellschaft C. beteiligt. Die Kollektivgesellschaft führt einen Hotelbetrieb mit einem zugehörigen Restaurant sowie auf dem gleichen Grundstück zusätzlich das weitere Restaurant D. Sie erwirtschaftete in der Vergangenheit Verluste. Ende Oktober 2013 wurde das Hotel mit dem zugehörigen Restaurant vorläufig geschlossen. Das Restaurant D. ist weiterhin geöffnet. BGE 143 V 177 S. 179 A.b A. wurde der Ausgleichskasse Hotela als Selbständigerwerbende angeschlossen. Diese setzte mit Verfügungen vom 21. November 2008, 14. April 2009, 23. April 2010, 5. Mai 2011, 10. Mai 2012 und 2. Juli 2013, 30. April/2. Juli 2015 und 10. November 2015 die von A. für die Beitragsjahre 2006 bis 2013 geschuldeten Beiträge fest. Unter Berücksichtigung des A. anteilsmässig zurechenbaren Verlustes der Kollektivgesellschaft wurde jeweils der Mindestbeitrag erhoben. A.c Mit Schreiben vom 28. November 2013 informierte die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg A., sie werde ihr rückwirkend per 1. Januar 2008 als Nichterwerbstätige angeschlossen, weil sie aus ihrer Tätigkeit für die Kollektivgesellschaft C. seit Jahren Verluste erwirtschafte. Gleichzeitig verfügte sie die von A. in dieser Eigenschaft für die Jahre 2008 bis 2013 geschuldeten Beiträge (die beiden letzten Jahre provisorisch aufgrund einer Kasseneinschätzung). In einem Schreiben selben Datums informierte die kantonale Ausgleichskasse auch die Ausgleichskasse Hotela über den vorgenommenen Statuswechsel. Des Weitern verpflichtete sie A. am 5. Dezember 2013 zur Bezahlung von Verzugszinsen. Am 3. Februar 2014 verfügte die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg sodann aufgrund der vorangehenden Beitragsperiode (provisorisch) den Nichterwerbstätigenbeitrag für das Jahr 2014. Die von der Versicherten gegen die (sie als Nichterwerbstätige zur Beitragszahlung für die Jahre 2008 bis 2014 sowie zur Leistung von Verzugszinsen verpflichtenden) Verfügungen erhobenen Einsprachen wies die kantonale Ausgleichskasse mit Entscheid vom 30. Mai 2014 ab. B. Beschwerdeweise liess A. beantragen, der Einspracheentscheid betreffend die Beitragsjahre 2008 bis 2014 (einschliesslich Verzugszinsen) sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass sie AHV-rechtlich als Selbständigerwerbende zu behandeln, mit Wirkung auf 1. Januar 2008 kein Statuswechsel erfolgt und kein Anschluss als Nichterwerbstätige vorzunehmen sei. Eventualiter sei festzustellen, dass eine Statusänderung erst ab 2012 vorzunehmen sei und sie damit erst ab 2012 Beiträge als Nichterwerbstätige (sowie entsprechende Verzugszinsen) schulde. Das angerufene Kantonsgericht Freiburg führte einen doppelten Schriftenwechsel durch und lud die Ausgleichskasse Hotela als Mitinteressierte zum Verfahren bei. Mit Entscheid vom 12. Mai 2016 wies es die Beschwerde ab. BGE 143 V 177 S. 180 C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass sie in ihrer Eigenschaft als Teilhaberin der Kollektivgesellschaft C. AHV-rechtlich als Selbständigerwerbende zu behandeln, per 1. Januar 2008 kein Statuswechsel erfolgt und damit per 1. Januar 2008 kein Anschluss als Nichterwerbstätige vorzunehmen sei. Entsprechend sei festzustellen, dass für die fraglichen Beitragsjahre (2008 bis 2014) keine Verzugszinsen geschuldet seien. Eventualiter sei der kantonale Entscheid betreffend die definitiven Verfügungen für die Beitragsjahre 2008 bis 2011 aufzuheben; es sei ein Statuswechsel und damit ein Anschluss als Nichterwerbstätige (und mithin auch eine Verzugszinspflicht) erst ab dem Beitragsjahr 2012 festzustellen. Die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die zum Verfahren beigeladene Ausgleichskasse Hotela äussert sich dahingehend, die Verfügungen der kantonalen Ausgleichskasse seien "rechtswidrig und zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes aufzuheben". Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Streitig und zu prüfen ist die Beitragspflicht der Beschwerdeführerin in den Jahren 2008 bis 2014. Während die Vorinstanz und die kantonale Ausgleichskasse eine beitragsrechtliche Erfassung als Nichterwerbstätige (mit rückwirkender Änderung des Beitragsstatuts) für richtig halten, geht die Beschwerdeführerin vom Vorliegen selbständiger Erwerbstätigkeit aus. 2.2 Das Kantonsgericht Freiburg erwog, die Beschwerdeführerin habe aus ihrer beruflichen Tätigkeit mindestens seit 2008 (wahrscheinlich aber seit der Übernahme des Hotels im Jahr 2005) kein Einkommen erzielt. Im Steuerrecht werde im Sinne einer Faustregel nach einer Verlustperiode von zehn Jahren keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr angenommen, selbst wenn die steuerpflichtige Person subjektiv gewillt und überzeugt sei, dass eine Gewinnerzielung möglich sei, die fragliche Tätigkeit sich aber aufgrund ihrer objektiven Eigenschaft nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit zur Erzielung eines Gewinnes eigne. In sozialversicherungsrechtlichen Urteilen sei bei Tätigkeiten, aus welchen nach 10 BGE 143 V 177 S. 181 bis 15 Jahren noch immer keine Erträge geflossen seien, ein erwerblicher Charakter verneint worden. Die bei der Beschwerdeführerin vorliegende, mindestens seit 2008 andauernde Verlustphase reiche praxisgemäss aus, um ihre berufliche Tätigkeit nicht als selbständige Erwerbstätigkeit, sondern als Nichterwerbstätigkeit, bloss vorgegebene Erwerbstätigkeit (Scheintätigkeit) oder Erwerbstätigkeit unbedeutenden Umfangs (Liebhabertätigkeit) zu qualifizieren. Werde derart lange an einer ertragslosen Geschäftstätigkeit festgehalten, müsse angenommen werden, dass diese offensichtlich anderen als erwerblichen Zwecken diene. Ein vernünftig denkender und handelnder Dritter würde zufolge der kontinuierlichen hohen Verluste von jährlich x Millionen Franken die Tätigkeit denn auch nicht mehr weiterführen, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil er dazu aus wirtschaftlicher Sicht gar nicht in der Lage wäre. Müsste die Versicherte ihren Lebensunterhalt aus dem erzielten Einkommen bestreiten, könnte sie ihre berufliche Tätigkeit nicht so lange ausüben. Dies sei nur deshalb möglich, weil sie zufolge ihres hohen Vermögens finanziell unabhängig sei und ihre berufliche Tätigkeit nicht mit dem Ziel der Wirtschaftlichkeit verfolgen müsse. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine beitragspflichtige Person praktisch von ihrem Vermögen oder Vermögensertrag lebe, solle aber nicht leichthin auf Erwerbstätigkeit geschlossen werden, wenn eine Tätigkeit ohne klaren erwerblichen Charakter und mit geringem Einkommen ausgeübt werde. Massgebend sei nicht die Selbsteinschätzung der beitragspflichtigen Person. Es komme auch nicht alleine auf den Umsatz an, denn selbst bei einem hohen jährlichen Umsatz könne - wie der vorliegende Fall exemplarisch zeige - eine konkrete, nachweisbare Erwerbsabsicht fehlen. Nicht entscheidend sei schliesslich auch, ob die Kollektivgesellschaft als solche wirtschaftliche Ziele verfolge und kaufmännisch geführt werde, da alleine daraus nicht auf eine Erwerbsabsicht der einzelnen Gesellschafter geschlossen werden könne. Dass die Steuerbehörden sie bisher als Selbständigerwerbende anerkannt hätten, ändere nichts daran, dass sie die Ausübung einer die Stufe der Liebhaberei übersteigenden, auf Erwerb gerichteten Tätigkeit nicht überzeugend dargelegt habe. Schliesslich prüfte das kantonale Gericht, ob eine rückwirkende Statusänderung zulässig sei oder eine solche nur für die Zukunft vorgenommen werden könne. Dabei ging es davon aus, dass die zweifellose Unrichtigkeit nach Massgabe des im Zeitpunkt der Wiedererwägung bekannten und allenfalls nachträglich ergänzten Sachverhalts zu BGE 143 V 177 S. 182 beurteilen sei. Dass die Versicherte trotz jährlichen Verlusten seit 9 Jahren an ihrer Tätigkeit in der Hotellerie/Gastronomie festhalte, lasse darauf schliessen, dass sie gar nie die Absicht gehabt habe, mit dieser Tätigkeit ein Erwerbseinkommen zu erzielen und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Bei dieser Sachlage habe die kantonale Ausgleichskasse den Statuswechsel zu Recht rückwirkend ab 1. Januar 2008 vorgenommen und die Beschwerdeführerin ab diesem Datum als Nichterwerbstätige erfasst. 2.3 Die Beschwerdeführerin lässt geltend machen, es sei unbestritten, dass die Kollektivgesellschaft C. Verluste geschrieben habe, allerdings seien die im angefochtenen Entscheid festgehaltenen Zahlen offensichtlich falsch, da sie auch die Verlustvorträge enthielten. Weiter stehe fest, dass die Kollektivgesellschaft C. sehr grosse Investitionen getätigt (2005 bis 2008 zwecks Sanierung der heruntergewirtschafteten Betriebe rund 12 Mio. Fr.), jährlich hohe Umsätze erwirtschaftet, mit rund 70 Mitarbeitenden jährlich einen bedeutenden Personalaufwand aufgewiesen sowie jährlich hohe Abschreibungen und Aufwendungen gehabt habe. Wie mit Blick auf die sehr grossen Investitionen in den Jahren 2005 und 2006 behauptet werden könne, die Kollektivgesellschaft C. habe ab 2008 keinen Erwerbszweck mehr verfolgt und Liebhaberei betrieben, sei nicht nachvollziehbar. Es sei im Wirtschaftsleben nicht möglich, ein heruntergewirtschaftetes Hotel/Restaurant nach Vornahme der erforderlichen Investitionen innerhalb einer derart kurzen Zeitspanne profitabel zu machen. Die von der Vorinstanz zur Stützung ihres Standpunktes beigezogenen Fälle würden völlig andere Tätigkeiten betreffen, nämlich Architekten, Künstler und Schriftsteller/Verleger, welche keine oder praktisch keine Investitionen getätigt und kein Personal beschäftigt hätten. Es lägen damit keine mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbaren Verhältnisse vor. Es dürfe ihr und ihrem Ehemann nicht zum Nachteil gereichen, dass sie den Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Vermögen finanzieren und die Kollektivgesellschaft trotz der Verluste weiterführen könnten. Massgebend sei allein die fortbestehende Erwerbsabsicht; es könne nicht bereits im dritten Jahr nach der Gründung von Liebhaberei ausgegangen werden. Da die Verfügungen der Hotela nicht im wiedererwägungsrechtlichen Sinne zweifellos unrichtig seien, fehle dem per 1. Januar 2008 vorgenommenen Statuswechsel eine Grundlage. Sie sei in den Jahren 2008 bis 2014 (eventualiter lediglich bis 2011) in ihrer Eigenschaft als Teilhaberin der Kollektivgesellschaft C. als Selbständigerwerbende zu qualifizieren. BGE 143 V 177 S. 183 3. 3.1 Der Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 AHVG und Art. 6 Abs. 1 AHVV (SR 831.101) ist von der Nichterwerbstätigkeit nach Art. 10 Abs. 1 AHVG und Art. 28 bis AHVV abzugrenzen. Nach konstanter Rechtsprechung setzt er die Ausübung einer auf die Erzielung von Einkommen gerichteten bestimmten (persönlichen) Tätigkeit voraus, mit welcher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht werden soll. Für die Beantwortung der Frage, ob Erwerbstätigkeit vorliegt, kommt es nicht darauf an, wie ein Beitragspflichtiger sich selber - subjektiv - qualifiziert. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und Gegebenheiten, die durch eine Tätigkeit begründet werden oder in deren Rahmen eine solche ausgeübt wird. Mit anderen Worten muss die behauptete Erwerbsabsicht aufgrund der konkreten wirtschaftlichen Tatsachen nachgewiesen sein. Wesentliches Merkmal einer Erwerbstätigkeit ist sodann eine planmässige Verwirklichung der Erwerbsabsicht in der Form von Arbeitsleistung, welches Element ebenfalls rechtsgenüglich erstellt sein muss. Entsprechend der Legaldefinition besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit der versicherten Person und dem daraus resultierenden Zufluss von geldwerten Leistungen ( BGE 139 V 12 E. 4.3 S. 15 mit Hinweisen; SVR 2016 AHV Nr. 14 S. 40, 9C_168/2016 E. 2; UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, S. 118 Rz. 2 zu Art. 9 AHVG ; ders. , Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 1255 f. Rz. 174; HANSPETER KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl. 1996, S. 67 Rz. 3.6). 3.2 Als nichterwerbstätig im Sinne von Art. 10 Abs. 1 AHVG gelten Personen, die keine Erwerbstätigkeit im eben genannten Sinne ausüben. Ihnen gleichgestellt sind Personen, deren Erwerbstätigkeit in zeitlicher und masslicher Hinsicht unbedeutend ist, d.h. die nicht dauernd voll Erwerbstätigen ( Art. 10 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 28 bis Abs. 1 AHVV ; BGE 140 V 338 E. 1.1 S. 339; BGE 139 V 12 E. 4.2 S. 14; KÄSER, a.a.O., S. 216 Rz. 10.1). 3.3 Eine selbständige Erwerbstätigkeit, wie sie hier in Frage steht, liegt im Regelfall vor, wenn der Beitragspflichtige durch Einsatz von Arbeit und Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt mit dem Ziel, Dienstleistungen zu erbringen oder Produkte zu schaffen, deren Inanspruchnahme oder Erwerb durch finanzielle oder geldwerte BGE 143 V 177 S. 184 Gegenleistungen abgegolten wird (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts H 2/06 vom 10. April 2006 E. 4.5 und H 158/01 vom 28. Mai 2002 E. 2b/bb). 3.3.1 Nicht als selbständige Erwerbstätigkeit kann anerkannt werden, wenn eine solche nur zum Schein besteht oder sonst wie keinen erwerblichen Charakter aufweist, wie das für die blosse Liebhaberei zutrifft, die von rein persönlichen Neigungen beherrscht wird (ZAK 1987 S. 417, H 215/85 E. 3b). Für die Abgrenzung solcher Tätigkeitsformen von selbständiger Erwerbstätigkeit kommt der sich aus den objektiven Verumständungen ergebenden Erwerbsabsicht (vgl. E. 3.1 hiervor) entscheidende Bedeutung zu (vgl. auch RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 3. Aufl. 2016, N. 47k zu Art. 18 DBG ). In Sonderfällen kann subjektiv eine Erwerbsabsicht fehlen oder einem Erwerb keine persönliche Gewinnabsicht zugrunde liegen, wie beispielsweise bei religiösen, ideellen oder gemeinnützigen Zielsetzungen. Andererseits genügt es für sich allein noch nicht, dass der Beitragspflichtige subjektiv eine Erwerbsabsicht für sich in Anspruch nimmt. Die behauptete persönliche Absicht muss aufgrund konkreter wirtschaftlicher Tatsachen, wie sie für selbständige Erwerbstätigkeit kennzeichnend sind, auch nachgewiesen sein ( BGE 115 V 161 E. 9 S. 170; ZAK 1987 S. 417, H 215/85 E. 3c; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 2/06 vom 10. April 2006 E. 4.5; vgl. auch StR 2010 S. 314, 2C_271/2009 E. 2.2). 3.3.2 Zwar beginnt eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht erst mit dem Fliessen von Einkünften. Eine (selbständige) Erwerbstätigkeit kann auch vorliegen, wo eine Betätigung erst nach längerer Zeit zu Einkünften führt oder wo vorübergehende Ertragseinbrüche, Investitionen, Amortisationen oder Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld etc. die betriebliche Rechnung negativ beeinflussen. Sofern die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht auf Nichterwerbstätigkeit, bloss vorgegebene Erwerbstätigkeit oder Erwerbstätigkeit unbedeutenden Umfangs schliessen lassen, ist die Erwerbsabsicht diesfalls nicht in Frage gestellt (vgl. BGE 140 V 338 E. 2.3.1 S. 342 mit Hinweisen). Andererseits kann das Fehlen von Einkünften ein deutlicher Hinweis dafür sein, dass Nichterwerbstätigkeit, bloss vorgegebene Erwerbstätigkeit oder allenfalls Erwerbstätigkeit unbedeutenden Umfangs vorliegt, was von Fall zu Fall aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu prüfen ist (ZAK 1987 S. 417, H 215/85 E. 3c und 4a). Wird eine üblicherweise erwerbliche Tätigkeit auf Dauer BGE 143 V 177 S. 185 ohne Gewinn ausgeübt, so lässt das Ausbleiben des finanziellen Erfolges regelmässig auf das Fehlen erwerblicher Zielsetzung schliessen; denn wer wirklich eine Erwerbstätigkeit ausübt, wird sich in der Regel nach längeren beruflichen Misserfolgen von der Zwecklosigkeit seines Unterfangens überzeugen und die betreffende Tätigkeit aufgeben ( BGE 115 V 161 E. 9c S. 172). 3.4 Hinsichtlich der Frage, ob eine Erwerbstätigkeit vorliegt, sind die Ausgleichskasse und das Sozialversicherungsgericht nicht an die von den Steuerbehörden getroffene Qualifikation gebunden. Eine unterschiedliche Haltung von Ausgleichskasse und Steuerbehörde sollte indessen nach Möglichkeit vermieden werden, weil die Einheit und Widerspruchslosigkeit der gesamten Rechtsordnung als ein höheres Ziel zu betrachten ist (SVR 2003 AHV Nr. 15 S. 39, H 210/02 E. 2 in fine und E. 4.7). 3.5 Gemäss dem kraft Art. 1 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 2 ATSG auch im Beitragsbereich der AHV anwendbaren Art. 53 Abs. 2 ATSG können die Ausgleichskassen auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (Wiedererwägung). Diese Bestimmung ist auch anwendbar, wenn ein formell rechtskräftig festgestelltes Beitragsstatut rückwirkend geändert werden soll (SVR 2011 AHV Nr. 11 S. 33, 9C_946/2009 E. 3.1, und 2010 AHV Nr. 12 S. 42, 9C_1094/2009 E. 2.4; BGE 122 V 169 E. 4a S. 173 und BGE 121 V 1 E. 6 S. 4 f.). Die Frage der zweifellosen Unrichtigkeit beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage (einschliesslich Rechtspraxis) im Zeitpunkt des damaligen Verfügungserlasses ( BGE 138 V 147 E. 2.1 S. 148 f., BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). 4. 4.1 Es wird von keiner Seite mehr in Frage gestellt, dass die Beschwerdeführerin nicht unter die (den Nichterwerbstätigen gleichgestellte) Versichertenkategorie der nicht dauernd voll Erwerbstätigen fällt (vgl. dazu E. 3.2 hiervor). Weiterungen dazu erübrigen sich. 4.2 Soweit die Vorinstanz aus der von ihr verbindlich festgestellten Tatsache, dass die Beschwerdeführerin seit 2008 kein Einkommen, sondern jedes Jahr Verluste erzielte (deren Bezifferung im angefochtenen Entscheid die Beschwerdeführerin als offensichtlich unrichtig rügt, was indessen mit Blick auf das Ergebnis nicht weiter geprüft werden muss), den Schluss zog, die Versicherte habe "gar nie" die Absicht gehabt, mit der Tätigkeit ein Einkommen zu erzielen und BGE 143 V 177 S. 186 ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen, weshalb sie rückwirkend ab 2008 als Nichterwerbstätige zu erfassen sei, kann ihr nicht beigepflichtet werden: 4.2.1 Im angefochtenen Entscheid wird nicht aufgezeigt, dass das ursprüngliche Beitragsstatut nach der allein entscheidenden damaligen Sachlage zweifellos unrichtig festgesetzt worden wäre, wie dies für ein wiedererwägungsweises Zurückkommen auf ein rechtskräftig verfügtes Statut indessen vorausgesetzt wäre (vgl. E. 3.5 hiervor). Des Weitern entspricht es nicht dem Gesetz, die Frage der selbständigen Erwerbstätigkeit retrospektiv anhand des wirtschaftlichen Erfolges der Arbeit - d.h. ob aus ihr ein Gewinn oder ein Verlust resultiert - zu beurteilen (AHI 2003 S. 416, H 2/02 E. 5.3). Wie im Steuerrecht darf auch im AHV-Beitragswesen eine Tätigkeit nicht alleine wegen des fehlenden Gewinns als Liebhaberei qualifiziert werden. Im Unterschied zur selbständigen Erwerbstätigkeit fehlt bei der Liebhaberei die Absicht , einen Gewinn zu erzielen. Es geht nicht an, für die Abgrenzung der beiden Tätigkeiten alleine auf den wirtschaftlichen Erfolg abzustellen. Massgebend ist vielmehr das Fehlen von Gewinnstrebigkeit bzw. Gewinnaussichten innert absehbarer Zeit (zum Steuerrecht: RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 48 zu Art. 18 DBG ; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 7. Aufl. 2016, S. 214; MARKUS REICH, Steuerrecht, 2. Aufl. 2012, S. 369 f. Rz. 15 f.; HÖHN/WALDBURGER, Steuerrecht, Bd. II, 9. Aufl. 2002, S. 209 Rz. 20). 4.2.2 Nach der steuerrechtlichen Rechtsprechung, welche für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung im hier interessierenden Zusammenhang beigezogen werden kann, weist die für eine selbständige Erwerbstätigkeit charakteristische Gewinnstrebigkeit ein subjektives und ein objektives Moment auf, indem zum einen die Absicht, Gewinn zu erzielen, gegeben sein muss, und zum andern die Tätigkeit sich zur nachhaltigen Gewinnerzielung eignen muss (StR 72/2017 S. 232, 2C_204/2016 E. 3.3 in fine, und StR 69/2014 S. 795, 2C_186/2014 E. 2; vgl. auch REICH, a.a.O., S. 369 f. Rz. 15). 4.2.3 Bringt eine Tätigkeit auf Dauer nichts ein, ist dies als Indiz dafür zu werten, dass es an der subjektiven oder objektiven Gewinnstrebigkeit mangelt: Wer wirklich eine Erwerbstätigkeit ausübt, wird sich in der Regel nach andauernden beruflichen Misserfolgen von der Zwecklosigkeit seiner Tätigkeit überzeugen lassen und diese aufgeben. Führt er sie dennoch weiter, ist anzunehmen, dass dafür BGE 143 V 177 S. 187 in subjektiver Hinsicht andere Motive als der Erwerbszweck massgebend sind, wie dies etwa bei einem Hobby oder einer Tätigkeit aus blosser Liebhaberei der Fall ist (Urteil 2C_375/2015 vom 1. Dezember 2015 E. 7.4.1, publ. in: RDAF 2016 II S. 88, mit Hinweis auf zahlreiche weitere Urteile). 4.2.4 Der Zeitraum, innert welchem zwingend Gewinne zu erwirtschaften sind, damit noch von einer Gewinnerzielungsabsicht ausgegangen werden kann, lässt sich nicht generell festlegen. Auch bei der im Steuerrecht mitunter herangezogenen 10-Jahres-Frist handelt es sich nur um eine grobe Faustregel. Im Einzelfall sind die Art der Tätigkeit und die konkreten Verhältnisse (wie beispielsweise die Gegebenheiten am Markt) entscheidend (vgl. zum Steuerrecht: RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, a.a.O., N. 48 f. zu Art. 18 DBG ; REICH, a.a.O., S. 370 Rz. 16 f.; HÖHN/WALDBURGER, a.a.O., S. 209 f. Rz. 20). 4.2.5 Unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit und der konkreten Verhältnisse wurde beispielsweise in der sozialversicherungsrechtlichen Praxis ein Architekt, der aus seiner Tätigkeit während Jahren kein oder nur ein derart kleines Einkommen erzielte, dass er seine Lebenshaltung vorwiegend aus dem Privatvermögen finanzieren musste, keine Angestellten beschäftigte und kaum Betriebskosten aufwies, als nichterwerbstätig qualifiziert (ZAK 1986 S. 514, H 251/85). Ebenso wurde ein Immobilienmakler und Vermögensverwalter beurteilt, der während Jahren kaum am wirtschaftlichen Leben teilnahm, keine nennenswerten Kosten zu tragen hatte und mangels Einkommen von seinem Vermögen lebte. Dass der damals am Recht stehende Versicherte während 15 Jahren aus seiner Tätigkeit keinerlei Einkünfte, sondern nur Aufwendungen zu verbuchen hatte, veranlasste das Gericht zur Annahme, seine Tätigkeit diene anderen als erwerblichen Zwecken (ZAK 1987 S. 417, H 215/85; vgl. zum Ganzen auch Rz. 2007 der Wegleitung des BSV vom 1. Januar 2008 über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO [WSN]). Demgegenüber wurde in der Rechtsprechung ein Versicherter, der mit der Entwicklung eines Analysemodells für das Börsengeschehen Verluste erwirtschaftete, als Selbständigerwerbender betrachtet, weil er für seine Tätigkeit grössere Büroräumlichkeiten bezog, hohe Investitionen für die Datenbeschaffung tätigte und qualifiziertes Personal anstellte. Für den erwerblichen Charakter seiner Tätigkeit und gegen die Annahme blosser Liebhaberei sprach dabei insbesondere, BGE 143 V 177 S. 188 dass er während längerer Zeit in grossem Umfang eigene oder fremde Arbeitskraft einsetzte und erhebliche finanzielle Mittel investierte ( BGE 115 V 161 , insbesondere E. 11b S. 175 f.; vgl. auch KÄSER, a.a.O., S. 218 Rz. 10.4; vgl. auch Rz. 2008 WSN). 4.3 Zu den weiteren wirtschaftlichen Verhältnissen und Gegebenheiten, in deren Rahmen sich die Tätigkeit der Beschwerdeführerin abspielte und welche für die Frage der beitragsrechtlichen Qualifikation nach dem Gesagten entscheidend sind (E. 4.2.4 und 4.2.5; vgl. auch BGE 140 V 241 E. 4.2 am Anfang S. 245), hat die Vorinstanz keinerlei Feststellungen getroffen. Da die Akten aber insoweit liquid sind, kann das Bundesgericht den Sachverhalt selber ergänzen ( BGE 140 V 22 E. 5.4.5 S. 31 f.; BGE 136 V 362 E. 4.1 S. 366): 4.3.1 Den Unterlagen lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann seinerzeit ein heruntergewirtschaftetes und hoch verschuldetes Hotel/Restaurant mit dem dazugehörenden Restaurant D. erwarben. Die von ihnen im Jahr 2005 gegründete Kollektivgesellschaft C. führte den Hotelbetrieb mit dem zugehörigen Restaurant und zusätzlich das Restaurant D. Zu Beginn investierte das Ehepaar rund 12 Mio. Fr. in die Immobilien und das Mobiliar. Dazu kamen hohe Investitionen, die jährlich direkt dem Unterhaltsaufwand belastet wurden. Infolge der hohen Investitionen in die Sacheinlagen erhöhte sich der Abschreibungsaufwand in den Folgejahren gegenüber früher markant und auch der Unterhaltsaufwand stieg beträchtlich. Nach anfänglichen personellen Problemen und einer sehr schlechten ersten Sommersaison stellte sich rasch heraus, dass das Hotel/Restaurant mit "Strukturproblemen" zu kämpfen hatte, die einen wirtschaftlichen Betrieb erschwerten (kurze Sommersaison mit starker Wetterabhängigkeit; zu wenig Hotelzimmer bzw. Hotelbetten; fehlender Wellnessbereich). Negative Auswirkungen auf die Umsätze des Hotels/Restaurants hatten zudem die sich im Jahr 2008 bemerkbar machende Finanzkrise und die Stärke des Schweizerfrankens bzw. die Schwäche des Euros. Die Kollektivgesellschaft C. versuchte unter anderem damit Gegensteuer zu geben, dass sie in ihrem Betrieb einen der besten Hoteliers der Schweiz anstellte. Im Jahr 2012 wurde das Hotel von einer Zeitschrift zum besten Landhotel Europas gekürt, was mit entsprechenden Marketingkosten verbunden war. Um die erwähnten, einem wirtschaftlichen Betrieb entgegenstehenden Probleme zu beseitigen und das Hotel/Restaurant in die BGE 143 V 177 S. 189 Gewinnzone zu führen, wurden bereits 2007 Ausbau- und Erweiterungspläne an die Hand genommen, welche Investitionen von rund 25 Mio. Fr. vorsahen. Da die Ausbau- und Erweiterungspläne schliesslich allerdings aus baurechtlichen und politischen Gründen nicht realisiert werden konnten, wurde das Hotel/Restaurant auf Ende Oktober 2013 geschlossen und nur das Restaurant D. weiter betrieben. 4.3.2 Wie die Versicherte bereits im Einsprache- und im kantonalen Verfahren vorbrachte und von keiner Seite bestritten wurde, erzielte die Kollektivgesellschaft C. in den Jahren vor Schliessung des Hotels/Restaurants Umsätze von Fr. 5'589'635.- (2011) und Fr. 5'151'149.- (2012) und in den weiter zurückliegenden Jahren Umsätze in etwa derselben Höhe. Des Weitern lässt sich den Unterlagen der Ausgleichskasse Hotela entnehmen, dass die Gesellschaft einen beträchtlichen Personalbestand aufwies (jährlich etwa 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter auch in teilzeitlichen oder saisonalen Anstellungsverhältnissen) und gegenüber der Ausgleichskasse Hotela hohe Lohnsummen - bis 2013 (d.h. bis zur teilweisen Schliessung) jährlich etwa 3 Mio. Fr. - abrechnete (Lohnschlussabrechnungen 2005: Fr. 1'775'955.-; 2006: Fr. 3'157'379.-; 2007: Fr. 2'795'473.-; 2008: Fr. 3'246'101.-; 2009: Fr. 2'788'122.-; 2010: Fr. 2'838'621.-; 2011: Fr. 3'037'873.-; 2012: Fr. 3'220'589.-; 2013: Fr. 2'927'129.-; 2014 [nach der teilweisen Schliessung]: Fr. 442'012.-). 4.3.3 Mit Blick auf die soeben dargelegten Zahlen betreffend Investitionen, Umsatz und Personalaufwand vermag der Schluss der Vorinstanz, die Tätigkeit der Beschwerdeführerin habe anderen als erwerblichen Zwecken gedient, nicht zu überzeugen: Ein Indiz gegen die Annahme blosser Liebhaberei stellt die umfangreiche Beschäftigung von Personal dar. Sodann bezweckten die getätigten Investitionen in Millionenhöhe und die anvisierten, schliesslich nicht realisierbaren Ausbaupläne offensichtlich, die Kollektivgesellschaft C. langfristig profitabel zu machen. Aufgrund der Art des Betriebs, handelt es sich doch um Hotellerie und Gastronomie im Luxussegment, und der schwierigen Bedingungen am Markt, in deren Rahmen sich namentlich ein Gästerückgang zufolge der Wirtschaftskrise und der Frankenstärke/Euroschwäche negativ bemerkbar machte, hatte die Kollektivgesellschaft C. eine längere Verlustphase in Kauf zu nehmen. Dies vermag nicht in Frage zu stellen, dass die Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wurde und sich auch zur nachhaltigen Gewinnerzielung eignete. Bei dieser Sachlage ist aufgrund BGE 143 V 177 S. 190 der gesamten Umstände, insbesondere bei Berücksichtigung der getätigten Investitionen und des angefallenen (Personal-)Aufwandes, der erwerbliche Charakter der Tätigkeit der Beschwerdeführerin in der hier zu beurteilenden Zeit zu bejahen. 4.4 Nach dem Gesagten entbehrt die (rückwirkend per 1. Januar 2008 vorgenommene) Statusänderung (Erfassung als Nichterwerbstätige), welche hinsichtlich der rechtskräftig verfügten Beitragsjahre von vornherein nur unter den Voraussetzungen der Wiedererwägung zulässig wäre (vgl. E. 3.5), einer Grundlage. Die Beschwerdeführerin ist (übereinstimmend mit der von den Steuerbehörden vorgenommenen Qualifikation [vgl. E. 3.4]) bis zum (hier als letztes zu beurteilendes) Jahr 2014 weiterhin als Selbständigerwerbende zu betrachten. Bei dieser Sachlage sind der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin, gemäss welchen die Versicherte für die Zeit von 2008 bis 2014 (rückwirkend) als Nichterwerbstätige zu erfassen wäre, aufzuheben. (...)
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Federation
CH_BGE_007_BGE-143-V-177_2017-05-22
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BGE_143_V_177
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Sachverhalt ab Seite 346 BGE 137 II 345 S. 346 X. (geb. 1975) stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Er floh 2001 nach Südafrika, wo er als Flüchtling anerkannt wurde. Ende 2004 lernte er eine schweizerisch-südafrikanische Doppelbürgerin kennen, die er am 20. Mai 2006 in Kapstadt heiratete. Am 21. Mai 2007 reiste das Ehepaar in die Schweiz ein, wo X. eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner Gattin erhielt. Am 4. Januar 2010 verlängerte das Departement des Innern des Kantons Solothurn die Aufenthaltsbewilligung von X. nicht mehr, nachdem sich die Eheleute spätestens Mitte 2009 getrennt hatten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn bestätigte diesen Entscheid auf Beschwerde hin am 2. September 2010: X. habe nicht während dreier Jahre in der Schweiz mit seiner Gattin zusammengewohnt, weshalb kein Fall von Art. 50 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) vorliege; die asyl- und wegweisungsrechtlichen Fragen bildeten nicht Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesgericht heisst die von X. hiergegen gerichtete Beschwerde gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts an dieses zurück. (Zusammenfassung)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 3.1.1 Ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern haben unter Vorbehalt von Art. 51 Abs. 1 AuG Anspruch auf Erteilung und Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihrem Partner BGE 137 II 345 S. 347 zusammenwohnen (Art. 42 Abs. 1 AuG). Der Beschwerdeführer lebt unbestrittenermassen seit Ende Mai 2009 von seiner Gattin getrennt, ohne dass es zu einer Wiedervereinigung gekommen wäre. Er hat somit gestützt auf die Ehe keinen Anspruch (mehr) darauf, dass seine Bewilligung verlängert wird. 3.1.2 Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert und die betroffene ausländische Person sich hier zudem erfolgreich integriert hat (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG; BGE 136 II 113 E. 3.3.3). Eine (relevante) Ehegemeinschaft liegt vor, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht. Mit Blick auf Art. 49 AuG, der den Ehegatten bei weiterdauernder Familiengemeinschaft gestattet, aus "wichtigen Gründen" getrennt zu leben - was auch bei vorübergehenden Schwierigkeiten in der Ehe kurzfristig der Fall sein kann (vgl. Art. 76 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201] ) - ist jeweils aufgrund sämtlicher Umstände im Einzelfall zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt die eheliche Gemeinschaft als definitiv aufgelöst zu gelten hat. Dabei ist im Wesentlichen auf die Dauer der nach aussen wahrnehmbaren ehelichen Wohngemeinschaft abzustellen (Urteil 2C_544/2010 vom 23. Dezember 2010 E. 2.2). 3.1.3 Der Beschwerdeführer hat sich am 20. Mai 2006 in Südafrika verheiratet, kam aber erst am 21. Mai 2007 in die Schweiz und lebte im besten Fall bis Ende Mai 2009 mit seiner Gattin zusammen. Der gemeinsame Haushalt bestand in der Schweiz damit während nur rund 24 Monaten. Die entsprechende Ehegemeinschaft blieb damit unter den gesetzlich geforderten drei Jahren. Diese zeitliche Grenze gilt im Übrigen absolut: Selbst wenn sie nur um wenige Wochen oder Tage verpasst wird, besteht praxisgemäss kein Anspruch auf Verlängerung der Bewilligung mehr (Urteile 2C_195/2010 vom 23. Juni 2010 E. 5.1; 2C_635/2009 vom 26. März 2010 E. 5.2; 2C_711/2009 vom 30. April 2010 E. 2.3.1). Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG lässt den Aufenthaltsanspruch im Anschluss an die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft nach frühestens drei Jahren und gleichzeitig erfolgreicher Integration verselbständigt weiter gelten. Soweit der Beschwerdeführer einwendet, nach dem klaren Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG müsse auch die Dauer der Ehegemeinschaft im Ausland mitberücksichtigt werden, verkennt er, dass das Bundesgericht in Auseinandersetzung mit den von ihm BGE 137 II 345 S. 348 zitierten Literaturstellen unter Berücksichtigung der Materialien, der Gesetzessystematik und der Gebote der Praktikabilität anders entschieden hat ( BGE 136 II 113 E. 3.3 S. 117 ff.). Es besteht kein Grund, auf diese Rechtsprechung zurückzukommen. 3.2 3.2.1 Neben Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG (Ehedauer und erfolgreiche Integration) hat der Gesetzgeber als nachehelichen ausländerrechtlichen Härtefall einen Rechtsanspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für den Fall vorgesehen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG), dass "wichtige persönliche Gründe" einen "weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen". Dabei geht es darum, Härtefälle bei der Bewilligungsverlängerung nach der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft zu vermeiden (vgl. BGE 136 II 1 E. 5.3 S. 4). Der nacheheliche Härtefall knüpft an den abgeleiteten Anwesenheitsanspruch nach Art. 42 Abs. 1 bzw. Art. 43 Abs. 1 AuG an; bei der Beurteilung der "wichtigen persönlichen Gründe" sind in der Folge aber sämtliche Umstände des Einzelfalles mitzuberücksichtigen. Im Gegensatz zur Ermessensbewilligung nach Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG, wonach die kantonale Bewilligungsbehörde unter Zustimmung des Bundesamts von den Zulassungsvoraussetzungen (Art. 18-29 AuG) abweichen kann, um "schwerwiegenden persönlichen Härtefällen oder wichtigen öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen" ( allgemeiner ausländerrechtlicher Härtefall), ist hier nicht von Bedeutung, wie stark der einzelne Kanton das öffentliche Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik gewichtet, sondern allein, wie sich die Pflicht des Ausländers, die Schweiz verlassen zu müssen, nach der gescheiterten Ehe auf seine persönliche Situation auswirkt. Während Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG in Weiterführung von Art. 13 lit. f BVO (AS 1986 1795 f.) als Ermessensbewilligung für sämtliche ausländerrechtliche Härtefälle gilt, hat der Gesetzgeber in Art. 50 AuG den nachehelichen Härtefall als Anspruchsbewilligung geregelt, wobei sich die jeweils zu berücksichtigenden Interessen oder wichtigen Gründe mit den anderen Härtefallregeln überschneiden können (Dauer der Anwesenheit, Integration, Zumutbarkeit der Rückkehr usw.). Der Härtefall nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG ist für Situationen gedacht, in denen die Voraussetzungen der Litera a nicht erfüllt sind, sei es, dass der Aufenthalt während der Ehe von kürzerer Dauer war oder dass die Integration nicht fortgeschritten ist oder es an beidem fehlt (vgl. BGE 137 II 1 ff.), aber - aufgrund sämtlicher weiterer Umstände - eine Härtefallsituation vorliegt, BGE 137 II 345 S. 349 welche früher im Rahmen von Art. 13 lit. f BVO hätte berücksichtigt werden können. Der Gesetzgeber wollte mit Art. 50 AuG die diesbezüglich unterschiedlichen kantonalen Praxen vereinheitlichen (Botschaft AuG, BBl 2002 3709, 3754 Ziff. 1.3.7.6). Der ursprünglich vom schweizerischen bzw. niedergelassenen Ehepartner abgeleitete Bewilligungsanspruch soll in Ausnahmesituationen unter einheitlichen bundesrechtlichen Kriterien verselbständigt weiterbestehen, wobei für den späteren Erwerb der Niederlassungsberechtigung aber die allgemeinen Regeln (Art. 50 Abs. 3 i.V.m. Art. 34 AuG) und nicht mehr die speziellen Bestimmungen von Art. 42 Abs. 3 bzw. Art. 43 Abs. 2 AuG gelten. 3.2.2 Die "wichtigen persönlichen Gründe" nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG müssen den weiteren Aufenthalt "erforderlich" machen. Nach Art. 50 Abs. 2 AuG und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dazu ( BGE 136 II 1 E. 5 S. 3 ff.) kann dies namentlich der Fall sein, wenn die ausländische Person mit abgeleitetem Aufenthaltsrecht Opfer ehelicher Gewalt geworden ist oder wenn ihre soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint. Dabei ist etwa an geschiedene Frauen (mit Kindern) zu denken, welche in ein patriarchalisches Gesellschaftssystem zurückkehren und dort wegen ihres Status als Geschiedene mit Diskriminierungen oder Ächtungen rechnen müssten. Mögliche weitere Anwendungsfälle bilden (gescheiterte) unter Zwang eingegangene Ehen oder solche im Zusammenhang mit Menschenhandel. Der Verbleib in der Schweiz kann sich zudem auch dann als erforderlich erweisen, wenn der Ehegatte, von dem sich die Aufenthaltsberechtigung ableitet, verstirbt (vgl. BGE 137 II 1 E. 3 f.). Schliesslich ist nach der Ehe auch den Interessen gemeinsamer Kinder Rechnung zu tragen, falls eine enge Beziehung zu ihnen besteht und diese in der Schweiz ihrerseits gut integriert sind (Botschaft AuG, a.a.O., 3754 Ziff. 1.3.7.6). 3.2.3 Ein wichtiger persönlicher Grund kann sich aber auch aus anderen Umständen oder Aspekten im In- oder Heimatland der betroffenen Person ergeben. Die in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) erwähnten Gesichtspunkte können bei der entsprechenden Wertung eine Rolle spielen, auch wenn sie einzeln betrachtet grundsätzlich noch keinen Härtefall begründen, so etwa der Grad der Integration, die Respektierung der Rechtsordnung, die Familienverhältnisse, die finanziellen Umstände, die Dauer der Anwesenheit oder der Gesundheitszustand des Betroffenen und BGE 137 II 345 S. 350 seiner Familie (vgl. auch das Urteil 2C_216/2009 vom 20. August 2009 E. 2.2). Da es im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG um nacheheliche Härtefälle geht, d.h. an die ursprünglich aus der Ehe abgeleitete Bewilligung angeknüpft wird, sind auch die Umstände, die zum Abschluss bzw. zur Auflösung der Ehe geführt haben, von Bedeutung. Insoweit rechtfertigt es sich, im Todesfall des Partners etwa Pietätsgründe in die Gesamtwürdigung einfliessen zu lassen (vgl. BGE 137 II 1 E. 4.1). Hat der Aufenthalt nur kürzere Zeit gedauert und wurden keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft, lässt sich ein Anspruch auf weiteren Verbleib nicht begründen, wenn die erneute Integration im Herkunftsland keine besonderen Probleme stellt (Botschaft AuG, a.a.O., 3754 Ziff. 1.3.7.6). Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung als stark gefährdet zu gelten hat, und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre (Urteil 2C_216/2009 vom 20. August 2009 E. 3). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben der ausländischen Person voraus, die mit ihrer Lebenssituation nach dem Dahinfallen der gestützt auf Art. 42 Abs. 1 bzw. Art. 43 Abs. 1 AuG abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sind. Da Art. 50 Abs. 1 AuG von einem Weiterbestehen des Anspruchs nach Art. 42 und 43 AuG spricht, muss der Härtefall sich auf die Ehe und den damit verbundenen Aufenthalt beziehen; ist der Anspruch nach Art. 50 AuG bereits untergegangen, weil es etwa am Zusammenwohnen fehlte, ohne dass wichtige Gründe für das Getrenntleben gegeben gewesen wären, kann der Anspruch nach Art. 50 AuG regelmässig nicht wieder aufleben (2C_590/2010 vom 29. November 2010 E. 2.5.3). 3.3 3.3.1 Der Beschwerdeführer ist in der Schweiz beruflich wie gesellschaftlich beschränkt integriert. Nach der Trennung von seiner Frau musste er sein Studium am Technikum in Biel abbrechen und eine Stelle als Küchenhilfe antreten; die entsprechende Anstellung verlor er auf Ende Juli 2010 aus wirtschaftlichen Gründen. Sein Arbeitgeber attestiert, ihn als selbständigen, engagierten und belastbaren Mitarbeiter kennen und schätzen gelernt zu haben; er sei "initiativ und flexibel", wobei er die ihm übertragenen Arbeiten jederzeit "zuverlässig, sauber und zu seiner vollsten Zufriedenheit" erledigt habe; im persönlichen Umgang sei der Beschwerdeführer "stets hilfsbereit, BGE 137 II 345 S. 351 freundlich und korrekt" gewesen (Arbeitszeugnis vom 31. Mai 2010). Der Beschwerdeführer spricht heute Französisch, Englisch und gebrochen Deutsch. Seine Ehegemeinschaft in der Schweiz hat zwar bloss 24 Monate gedauert; im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG kann aber berücksichtigt werden, dass er bereits in Südafrika ein (zusätzliches) Jahr mit seiner Schweizer Gattin zusammengelebt und dieses Land, wo er als Flüchtling aufgenommen worden war und er als Elektriker gearbeitet hatte, gemeinsam mit dieser verlassen hat. Die Beziehung zerbrach unbestrittenermassen daran, dass die Ehegattin in der Schweiz eine andere (aussereheliche) Beziehung einging, wobei sie trotz ihrer Anstellung bei einer Bank ihren Mann, dessen Unterhalt und Studium sie bisher finanziert hatte, seinem Schicksal überliess. In diesem Zusammenhang ist auch der Zwischenfall zu sehen, der am 30. September 2009 dazu geführt hat, dass Schutzmassnahmen gegen ihn verfügt worden waren, die der Haftrichter am 9. Oktober 2009 aber mit sofortiger Wirkung wieder aufhob. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer sich offenbar nichts zuschulden kommen lassen. Er ist - soweit ersichtlich - bisher hier auch nicht fürsorgeabhängig geworden. 3.3.2 Ob diese Gründe für die Bewilligungsverlängerung für sich allein bereits ausreichen würden, braucht nicht entschieden zu werden, da der Sachverhalt bezüglich eines entscheidwesentlichen zusätzlichen Elements nicht erstellt ist: Nach Art. 50 Abs. 2 AuG liegen wichtige persönliche Gründe im Sinne von Absatz 1 lit. b AuG auch vor, wenn "die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint": Der Beschwerdeführer ist am 28. Februar 2006 in Südafrika im Sinne des Refugee Acts vom 20. November 1998 als Flüchtling anerkannt worden (vgl. den Text in: "Republic of South Africa", Government Gazette, Vol. 402, Nr. 19544, Nr. 130 von 1998). Durch die Heirat und die damit verbundene definitive Ausreise in die Schweiz hat er diesen Status gemäss dem von ihm eingereichten Asylentscheid verloren ("....on condition that this formal recognition shall become null if he/she departs permanently from the Republic"). Seine Rückkehrmöglichkeit nach Südafrika ist damit infrage gestellt. Soweit die Vorinstanzen eine allfällige Ausreise in die Demokratische Republik Kongo vorsehen, kann dies mit Blick auf Art. 33 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK; SR 0.142.30; "Non-Refoulement") bzw. wegen des Vorliegens von Wegweisungsvollzugshindernissen, welche bei einer Verweigerung der Bewilligung und der damit verbundenen Wegweisung durch die kantonalen Behörden BGE 137 II 345 S. 352 zu prüfen sind (vgl. Art. 66 i.V.m. Art. 83 Abs. 6 AuG), problematisch erscheinen (vgl. das Urteil des BVGer E-4539/2007 vom 21. Dezember 2009 E. 5.2.3 mit Hinweisen; Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2004Nr. 33 E. 8.3 S. 237 f.). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Bundesamtes sind solche Aspekte - wie sich aus dem Wortlaut von Art. 50 Abs. 2 AuG klar ergibt - ebenfalls geeignet, einen nachehelichen Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG zu begründen. Die entsprechenden Fragen können deshalb nicht (ausschliesslich) in das Asyl- oder Vollzugsverfahren verwiesen werden. Der Gesetzgeber nennt in Art. 50 Abs. 2 AuG die kompromittierten Wiedereingliederungschancen ausdrücklich als einen möglichen Grund eines nachehelichen Härtefalles. Die Anspruchsbewilligung nach Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG geht dem Asylverfahren oder einem Verfahren um vorläufige Aufnahme (vgl. Art. 83 AuG) vor: Besteht ein ausländerrechtliches Verbleiberecht in der Schweiz, kann von vornherein keine asylrechtlich relevante Verfolgungssituation vorliegen und stellt sich auch die Frage einer vorläufigen Aufnahme nicht. Die Prüfung von Vollzugshindernissen setzt ihrerseits voraus, dass die Wegweisung rechtskräftig geworden ist, was wiederum nur möglich ist, wenn das Bewilligungsverfahren seinerseits abgeschlossen ist. Dieses kann nicht unter Hinweis auf das Vollzugsverfahren verkürzt werden, wenn der Gesetzgeber allenfalls auch dort relevante Elemente zum Teil des Bewilligungsverfahrens gemacht hat, wie dies bei dem - gegenüber dem ANAG (BS 1 121) - neu geschaffenen Bewilligungsanspruch nach Art. 50 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 2 AuG der Fall ist.
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Sachverhalt ab Seite 253 BGE 145 IV 252 S. 253 A. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt büsste X. mit Strafbefehl vom 18. April 2018 wegen Verletzung der Verkehrsregeln (Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit innerorts um 6-10 km/h) mit Fr. 120.- und auferlegte ihm eine Abschlussgebühr von Fr. 200.- sowie Auslagen von Fr. 8.60. Auf Einsprache von X. stellte das Einzelgericht in Strafsachen Basel-Stadt mit Verfügung vom 29. Mai 2018 die Rechtskraft des Strafbefehls vom 18. April 2018 fest und verzichtete auf die Erhebung von Gerichtskosten. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt wies mit Entscheid vom 19. Juli 2018 die Berufung von X. ab und auferlegte ihm die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 300.-. B. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 19. Juli 2018 sei aufzuheben. Die Kosten des Verfahrens trage der Kanton Basel-Stadt. C. Die Staatsanwaltschaft und das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragen die Abweisung der Beschwerde, wobei das Appellationsgericht auf die Einreichung einer Stellungnahme verzichtet. X. replizierte. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. (...) 1.3 1.3.1 Art. 85 StPO regelt die Form der Mitteilungen und der Zustellung. Demnach bedienen sich die Strafbehörden für ihre Mitteilungen der Schriftform, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt (Abs. 1). Die Zustellung erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei (Abs. 2). Sie ist erfolgt, wenn die Sendung von der Adressatin oder dem Adressaten oder von einer angestellten oder im gleichen Haushalt lebenden, mindestens 16 Jahre alten Person entgegengenommen wurde. Vorbehalten bleiben Anweisungen der Strafbehörden, eine Mitteilung der Adressatin oder dem Adressaten persönlich zuzustellen (Abs. 3). Eine eingeschriebene Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (vgl. Abs. 4 lit. a; sog. Zustellfiktion). BGE 145 IV 252 S. 254 Die gesetzlich vorgeschriebenen Zustellformen tragen dem Umstand Rechnung, dass Entscheide, die der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten (siehe BGE 144 IV 57 E. 2.3 S. 61; BGE 122 I 97 E. 3a/bb S. 99 f.; Urteil 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen) und der Beweis der Eröffnung sowie deren Datums der Behörde obliegt, die hieraus rechtliche Konsequenzen ableiten will ( BGE 144 IV 57 E. 2.3 S. 61; BGE 142 IV 125 E. 4.3 S. 128; BGE 136 V 295 E. 5.9 S. 309; je mit Hinweisen). 1.3.2 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Zustellung ungeachtet der Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO grundsätzlich auch dann gültig erfolgt, wenn die Kenntnisnahme des Empfängers auf andere Weise bewiesen werden kann und die zu schützenden Interessen des Empfängers (Informationsrecht) gewahrt werden (vgl. BGE 144 IV 57 E. 2.3.2 S. 62; BGE 142 IV 125 E. 4.3 S. 128; Urteile 1B_41/2016 vom 24. Februar 2016 E. 2.2; 6B_390/2013 vom 6. Februar 2014 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Entscheidend ist, ab welchem Zeitpunkt von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden kann. Sendungen gelten in der Regel als zugestellt, wenn sie in den Macht- bzw. Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Empfänger die Sendung tatsächlich in Empfang nimmt ( BGE 144 IV 57 E. 2.3.2 S. 62; BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603; BGE 122 I 139 E. 1 S. 143; je mit Hinweisen). Allerdings hat das Bundesgericht in einem kürzlich ergangenen Urteil präzisiert, dass es nicht genügt, dass die Sendung in den Machtbereich des Empfängers gelangt, wenn besondere Zustellvorschriften, wie etwa die in Art. 85 Abs. 2 StPO , bestehen. Massgebend ist dann vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Adressaten ( BGE 144 IV 57 E. 2.3.2 S. 62 f.). 1.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe weder die mit einfacher Post versandte Übertretungsanzeige noch die Zahlungserinnerung erhalten, d.h. er bestreitet, sie tatsächlich zur Kenntnis genommen zu haben. Angesichts der vorerwähnten präzisierten Rechtsprechung stellt sich zunächst die Frage, ob Art. 85 Abs. 2 StPO im Ordnungsbussenverfahren anwendbar ist bzw. ob andere besondere Zustellvorschriften gelten. Das Bundesgericht hat sich bisher noch nicht mit dieser Frage befasst (vgl. z.B. Urteile 6B_764/2014 vom 27. Oktober 2014 und 6B_462/2011 vom 17. Oktober 2011). 1.5 Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes können nach dem Ordnungsbussengesetz vom 24. Juni 1970 (OBG; BGE 145 IV 252 S. 255 SR 741.03) in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen bis zu Fr. 300.- geahndet werden (Ordnungsbussenverfahren; Art. 1 Abs. 1 und 2 OBG ). Das Ordnungsbussenverfahren ist, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind, obligatorisch anzuwenden. Die Fälle, in denen eine dem Ordnungsbussenrecht unterstehende Übertretung ausnahmsweise im ordentlichen Verfahren zu ahnden ist, werden durch Gesetz und Verordnung abschliessend geregelt ( BGE 121 IV 375 E. 1a S. 377; BGE 105 IV 136 E. 1-3 S. 138 f.). Im Ordnungsbussenverfahren dürfen keine Kosten erhoben werden ( Art. 7 OBG ). Das bundesrechtliche Prinzip der Kostenfreiheit bezieht sich dabei auf das Ordnungsbussenverfahren. Im ordentlichen Verfahren, in welchem ebenfalls eine Ordnungsbusse ausgefällt werden kann ( Art. 11 OBG ), ist das Prinzip der Kostenfreiheit dann anzuwenden, wenn das ordentliche Verfahren ohne sachlichen Grund eingeleitet worden ist ( BGE 121 IV 375 E. 1c S. 378 mit Hinweisen). Das Ordnungsbussengesetz dispensiert von der Anwendung der Strafzumessungsgrundsätze des Strafgesetzbuchs ( Art. 1 Abs. 3 OBG , wonach Vorleben und persönliche Verhältnisse des Täters unberücksichtigt bleiben). Darüber hinaus regelt es auch wenige rein verfahrensrechtliche Fragen der vereinfachten Ahndung von Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften. Beim Ordnungsbussenverfahren handelt es sich somit um ein formalisiertes und rasches Verfahren, das schematisch für die gleichen Verstösse für alle schuldhaft handelnden Täter die gleichen Bussen und Vollzugsmodalitäten vorsieht ( BGE 135 IV 221 E. 2.2 S. 223). Es dient der raschen und definitiven Erledigung der im Strassenverkehr massenhaft vorkommenden Übertretungen mit Bagatellcharakter mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand ( BGE 135 IV 221 E. 2.2 S. 223; BGE 126 IV 95 E. 2b S. 98). Auch das nach dem Ordnungsbussengesetz abgewickelte Sonderverfahren für die in der Bussenliste abschliessend umschriebenen Verkehrsübertretungen bleibt aber ein Strafverfahren. Mit Inkrafttreten des Ordnungsbussengesetzes und der dazugehörenden Verordnung wurden die Behörden lediglich davon befreit, bei jeder Parkzeitüberschreitung und anderen geringfügigen Übertretungen ein ordentliches Strafverfahren einzuleiten. An der Natur des Verfahrens hat sich daran nichts geändert. Ordnungsbussen sind denn auch trotz ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung des Täters echte Strafen und es gelten, abgesehen davon, dass Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden, die Grundsätze des Strafrechts ( BGE 115 IV 137 E. 2b S. 138; Urteil 6B_344/2012 vom 1. Oktober 2012 E. 2.3; BGE 145 IV 252 S. 256 Botschaft vom 14. Mai 1969 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr [nachfolgend: Botschaft 1969], BBl 1969 I.2, S. 1093; RENÉ SCHAFFHAUSER, Zur Entwicklung des Ordnungsbussenrechts im Strassenverkehr, AJP 1996 S. 1215 ff.). 1.6 Weder das OBG noch die Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996 (OBV; SR 741.031) enthalten Vorschriften zur Zustellung. Im totalrevidierten OBG und in der totalrevidierten OBV, die per 1. Januar 2020 in Kraft treten, ist ebenfalls keine Zustellungsregelung vorgesehen und die Materialien schweigen sich zum Thema Zustellung im Ordnungsbussenverfahren aus (Botschaft vom 17. Dezember 2014 zum Ordnungsbussengesetz, BBl 2015 959, Erläuternder Bericht zum Vorentwurf zur Totalrevision des Ordnungsbussengesetzes, Erläuterungen zur Ordnungsbussenverordnung). Mit der Totalrevision wird das Ordnungsbussenverfahren ausgeweitet, um auch Verstösse gegen andere Gesetze einfach, rasch und einheitlich zu ahnden. 1.6.1 Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung. Eine Gesetzeslücke, die vom Gericht zu füllen ist, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende zu entnehmen ist. Echte Lücken zu füllen, ist dem Gericht aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt ( BGE 143 I 187 E. 3.2 S. 191 f.; BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 54 f.; BGE 141 V 481 E. 3.1 S. 485; je mit Hinweisen). Ob eine zu füllende Lücke oder ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln ( BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 55; BGE 141 IV 298 E. 1.3.2 S. 299 mit Hinweisen). Ist ein lückenhaftes Gesetz zu ergänzen, gelten als Massstab die dem Gesetz selbst zugrunde liegenden Zielsetzungen und Werte ( BGE 143 IV 49 E. 1.4.2 S. 55; BGE 141 IV 298 E. 1.3.1 S. 299; BGE 140 III 636 E. 2.2 S. 638; je mit Hinweisen). Lücken können oftmals auf dem Weg der Analogie geschlossen werden ( BGE 141 IV 298 E. 1.3.1 S. 299 mit Hinweisen). BGE 145 IV 252 S. 257 Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 143 IV 122 E. 3.2.3 S. 125; BGE 142 IV 105 E. 5.1 S. 110; BGE 139 IV 62 E. 1.5.4 S. 74; je mit Hinweisen). 1.6.2 Die StPO regelt die Verfolgung und Beurteilung der Straftaten nach Bundesrecht durch die Strafbehörden des Bundes und der Kantone ( Art. 1 Abs. 1 StPO ; Grundsatz der Einheit des schweizerischen Strafprozessrechts). Nach Art. 1 Abs. 2 StPO bleiben die Verfahrensvorschriften anderer Bundesgesetze - wie das OBG - vorbehalten (STRAUB/WELTERT, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 1 StPO ; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 11 und 13 zu Art. 1 StPO ; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 7 zu Art. 1 StPO ). In Übereinstimmung mit der Vorinstanz legt Art. 1 Abs. 2 StPO den Schluss nahe, dass die Bestimmungen der Strafprozessordnung für das Ordnungsbussenverfahren, das im OBG - einem Spezialgesetz - geregelt ist, grundsätzlich nicht anwendbar sind. Allerdings sind die Ausnahmen vom Geltungsbereich der StPO eng begrenzt und stehen unter dem Erfordernis ihrer sachlichen Rechtfertigung, da die eigentliche Intention der Kodifikation einer schweizerischen Strafprozessordnung, einen möglichst grossen Teil des bisher in zahlreichen Erlassen zersplitterten Verfahrensrechts einheitlich und umfassend zu regeln, nicht durch eine Ausuferung der Ausnahmen unterlaufen werden darf. Sowohl beim Verwaltungsstrafverfahren als auch beim Militärprozess und bei der Jugendstrafprozessordnung liegen die Gründe für eine separate Normierung in den schutzwürdigen Partikularinteressen BGE 145 IV 252 S. 258 oder den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Verfahrenstypus (STRAUB/WELTERT, a.a.O., N. 9 zu Art. 1 StPO ). 1.7 Angesichts der Materialien, wonach das OBG nicht nur das materielle Recht der Ordnungsbussen enthält, sondern auch die wenigen verfahrensrechtlichen Fragen der vereinfachten Ahndung der leichten Verkehrswiderhandlungen selber regelt (Botschaft 1969, a.a.O., BBl 1969 I.2, S. 1092), muss davon ausgegangen werden, dass diese Regelung abschliessend zu verstehen ist. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Zustellung im Sinne eines qualifizierten Schweigens bewusst darauf verzichtet hat, zum einen im OBG eine eigene Zustellungsregelung vorzusehen und zum anderen bei der Einführung der StPO im OBG einen Verweis auf die Bestimmungen der StPO einzufügen. Dadurch wird der "status quo ante" beibehalten, d.h. es besteht keine besonders geregelte Zustellung im Ordnungsbussenverfahren mit der Folge, dass es den Behörden freigestellt ist, auf welche Art sie ihre Mitteilungen verschicken (vgl. BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603 f. für das Verwaltungsverfahren). Zwar steht eine solche Auslegung dem Ziel eines möglichst einheitlichen Verfahrensrechts entgegen, sie fügt sich jedoch in die Überlegungen ein, wie sie für die besonderen Verfahren gelten, und entspricht allein dem Sinn und Zweck des OBG. Beim Ordnungsbussenverfahren handelt es sich um ein formalisiertes und rasches Verfahren, das schematisch für die gleichen Verstösse für alle schuldhaft handelnden Täter die gleichen Bussen und Vollzugsmodalitäten vorsieht. Es dient der raschen und definitiven Erledigung der im Strassenverkehr massenhaft vorkommenden Übertretungen mit Bagatellcharakter mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand ( BGE 135 IV 221 E. 2.2 S. 223). Diese Auslegung entspricht auch insoweit dem Willen des Gesetzgebers, als nur diese Interpretation zu einem möglichst raschen und einfachen Verfahren führt (siehe BGE 126 IV 95 E. 2a S. 98). Schliesslich ist auch kein Widerspruch zu BGE 144 I 242 auszumachen. Dieser Entscheid äussert sich nicht ausdrücklich zur hier massgebenden, rein verfahrensrechtlichen Frage der Anwendbarkeit der StPO im Ordnungsbussenverfahren. Daher ist festzuhalten, dass für das Ordnungsbussenverfahren keine besonders geregelte Zustellung besteht. 1.8 Im Sinne der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts ist vorliegend somit nicht massgebend, ob der Beschwerdeführer die Übertretungsanzeige oder die Zahlungserinnerung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, was er ja bestreitet, sondern ob zumindest eines dieser Dokumente gleichwohl als zugestellt zu gelten hat (vgl. BGE 145 IV 252 S. 259 E. 1.3.2.). Der Nachweis der Eröffnung obliegt auch hier der Behörde. Da es praktisch schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu beweisen ist, dass eine Zustellung mittels einfacher Post tatsächlich erfolgt ist (siehe BGE 142 IV 125 E. 4.4 S. 128 mit Hinweis), könnte es daher angebracht sein, zumindest den zweiten Schriftverkehr (Zahlungserinnerung) nicht mit einfacher, sondern mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu versenden. Allerdings ist die Erwägung der Vorinstanz, wonach die Möglichkeit eines doppelten Zustellungsfehlers unter den vorliegenden Verhältnissen vernachlässigbar klein sei, nicht zu beanstanden. Ihr Schluss, es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass weder die Übertretungsanzeige noch die Zahlungserinnerung beim Beschwerdeführer angekommen seien, ist nicht willkürlich. Damit erweisen sich die Rügen als unbegründet.
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Sachverhalt ab Seite 314 BGE 144 II 313 S. 314 A. X., citoyen suisse, était employé de la Confédération suisse en 2014 comme douanier auprès du poste de garde-frontière de Vallorbe. Il est marié et père de trois enfants. Son épouse travaille également comme garde-frontière à Vallorbe, mais pour le compte de la République française. Elle a réalisé en 2014 un revenu annuel net de 23'166 euros pour une activité à 70 %. La famille est domiciliée en France. B. Pour l'année 2014, X. s'est vu prélever par son employeur un montant de 17'190 fr. 60 sur un salaire brut de 108'117 fr. (salaire net de 95'324 fr.) au titre de l'impôt à la source. Le barème C0 (double gain sans enfants à charge) lui a été appliqué, ce qui, malgré la contestation du contribuable du 27 janvier 2015, a été confirmé par décision du 18 décembre 2015 de l'Administration cantonale des impôts du canton de Vaud, puis par décision sur réclamation du 4 mars 2016. BGE 144 II 313 S. 315 Par arrêt du 27 mars 2017, le Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté le recours jugeant qu'il y avait lieu d'appliquer au revenu brut du contribuable le barème C, dont les taux prennent en compte un revenu fictif de 65'100 fr. imputé à l'épouse aux fins de tenir compte des revenus globaux du couple, et précisant que le barème C3 (pour trois enfants à charge) ne pouvait pas être appliqué, parce que le contribuable ne bénéficiait pas d'allocations familiales complètes versées par une caisse suisse, mais uniquement d'un complément différentiel. A cela s'ajoutait que l'épouse avait déjà bénéficié de la déduction pour enfants dans l'imposition française. C. Agissant par la voie du recours en matière de droit public et celle subsidiaire du recours constitutionnel, X. demande au Tribunal fédéral de réformer l'arrêt rendu le 27 mars 2017 par le Tribunal cantonal du canton de Vaud en ce sens que dès et y compris pour l'année 2014, les enfants sont pris en considération dans la détermination du barème d'imposition à la source qui lui est applicable et que dès et y compris l'année 2014, il est tenu compte du revenu effectif de son épouse afin de déterminer le coefficient et/ou le barème de taxation qui lui sont applicables. Le Tribunal cantonal renonce à déposer des observations. L'Administration cantonale des impôts et l'Administration fédérale des contributions concluent au rejet du recours.
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Erwägungen Extrait des considérants: II. Le système de l'impôt à la source 4. 4.1 En droit suisse, d'une manière générale, l'impôt à la source est perçu auprès de deux groupes de personnes (ZIGERLIG/RUFENER, in Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/1, 2 e éd. 2002, n° 3 ad Vorbem. ad art. 32-39 LHID ): auprès des personnes physiques qui, sans être au bénéfice d'un permis d'établissement, sont, au regard du droit fiscal, domiciliées ou en séjour en Suisse ( art. 83 LIFD [RS 642.11]; art. 32 de la loi fédérale du14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes [LHID; RS 642.14]; art. 130 de la loi vaudoise du4 juillet 2000 sur les impôts directs cantonaux[LI/VD; RSV 642.11]) ou auprès des personnes physiques ou morales qui ne sont ni domiciliées ni en séjour en Suisse au regard du droit fiscal ( art. 91 LIFD , BGE 144 II 313 S. 316 art. 35 LHID ; art. 138 ss LI/VD). Dans cette dernière hypothèse - seule en cause en l'espèce - il est perçu notamment auprès des travailleurs qui, sans être domiciliés ni en séjour en Suisse au regard du droit fiscal, exercent une activité lucrative dépendante dans le canton pendant de courtes périodes, durant la semaine ou comme frontaliers sur le revenu de leur activité. L'imposition de ces derniers est réglée par les art. 83 à 86 LIFD, 32 et 33 LHID, et 130 à 133 al. 1 et 2 LI/VD. 4.2 L'impôt à la source est calculé sur le revenu brut ( art. 84 al. 1 LIFD , 32 al. 3 LHID et 131 al. 1 LI/VD). Il se substitue à l'impôt fédéral direct, cantonal et communal perçu selon la procédure ordinaire sur le revenu du travail ( art. 87 LIFD , 32 al. 1 LHID et 134 LI/VD) et est perçu en une fois par le débiteur de la prestation imposable ( art. 88 et 100 LIFD ainsi que 135 et 147 LI/VD), ce qui suppose pour des raisons pratiques l'établissement d'un barème unique, quand bien même la Confédération et les cantons - puisque ces derniers restent compétents pour la fixation des barèmes, celle des taux et celle des montants exonérés d'impôt (art. 1 al. 3, 2 e phrase, LHID) - établissent chacun leurs propres barèmes, les barèmes fédéraux étant ensuite incorporés dans les barèmes cantonaux comme cela ressort des dispositions suivantes: l' art. 85 al. 1 LIFD , qui lui en délègue la compétence, prévoit que l'Administration fédérale des contributions met sur pied le barème des retenues d'après les taux de l'impôt fédéral direct sur le revenu des personnes physiques (cf. art. 36 LIFD ), tandis qu'en application de l'art. 132 LI/VD, qui lui en délègue la compétence, le Conseil d'Etat vaudois fixe le barème des retenues d'après les taux de l'impôt cantonal sur le revenu des personnes physiques ( art. 33 al. 1 LHID , art. 47 LI/VD). Selon les art. 86 et 91 LIFD et 133 LI/VD, la structure des barèmes (fédéraux et cantonaux) est ainsi faite qu'ils tiennent compte des frais professionnels ( art. 26 LIFD , art. 33 al. 3 LHID et art. 30 LI/VD) et des primes et cotisations d'assurances ( art. 33 al. 1 let . d, f et g LIFD et art. 37 al. 1 let . d, f et g LI/VD) sous forme de forfait, ainsi que des charges de famille du contribuable ( art. 35 et 36 LIFD et art. 42 et 43 LI/VD). A cela s'ajoute que lorsque les époux vivant en ménage commun exercent tous deux une activité lucrative, les retenues d'impôt sont calculées sur la base de leur revenu global ( art. 86 al. 2 LIFD , 33 al. 2 LHID, 133 al. 2 LI/VD). 4.3 Les dispositions légales fédérales et cantonales sont flanquées de dispositions réglementaires d'exécution arrêtées sur délégation (art. 88 al. 4, 90 al. 2, 92 al. 5 LIFD; art. 149 et 197 LI/VD) dans BGE 144 II 313 S. 317 l'ordonnance fédérale du 19 octobre 1993 du DFF sur l'imposition à la source dans la cadre de l'impôt fédéral direct (ordonnance sur l'imposition à la source, OIS; RS 642.118.2) ainsi que dans le règlement vaudois du 2 décembre 2002 sur l'imposition à la source (RIS/VD; RSV 641.11.1). 4.3.1 Il ressort de l' art. 1 al. 1 OIS (dans sa version en vigueur depuis le 1 er janvier 2014; RO 2013 783) que les barèmes pour les travailleurs sont désignés par des lettres de l'alphabet, soit A à P, le barème A étant appliqué aux personnes célibataires, divorcées, séparées judiciairement ou de fait ou veuves, qui ne vivent pas en ménage commun avec des enfants ou des personnes nécessiteuses (let. a), le barème B aux couples mariés vivant en ménage commun, dont seul un conjoint exerce une activité lucrative (let. b) et le barème C ("double gain") aux couples mariés vivant en ménage commun, dont les deux conjoints exercent une activité lucrative (let. c). 4.3.2 Avant la modification de 2013 de l'ordonnance sur l'imposition à la source, l' art. 1 al. 1 let . c OIS prévoyait que le barème C ("double gain") était appliqué aux couples mariés vivant en ménage commun, dont les deux conjoints exerçaient une activité lucrative en Suisse, de sorte que le revenu brut du conjoint exerçant son activité lucrative en Suisse était soumis au barème B quand bien même son conjoint exerçait aussi une activité lucrative, mais à l'étranger. Les termes "en Suisse" ont été supprimés dans la nouvelle version de l' art. 1 al. 1 let . c OIS en vigueur depuis le 1 er janvier 2014, de sorte que le revenu brut du conjoint exerçant son activité lucrative en Suisse est soumis au barème C quand bien même son conjoint exerce aussi une activité lucrative à l'étranger. 4.4 Conformément à l'art. 5 RIS/VD, le Conseil d'Etat du canton de Vaud a établi, sur le même modèle, les barèmes incorporant les impôts fédéral direct, cantonal et communal. C'est ainsi qu'il a établi une catégorie de Tarifs C ("double gain") qui comprend les Tarifs appliqués aux couples dont les membres exercent tous les deux une activité lucrative en fonction du nombre d'enfants mineurs à leur charge, sans enfants (C0), avec un enfant (C1), deux enfants (C2), etc. 4.5 Comme le débiteur de la prestation imposable, responsable du prélèvement de l'impôt à la source, ignore le revenu du conjoint salarié de son employé, le Tarif C a été conçu de manière à intégrer de manière schématique un montant correspondant au revenu de celui-là: "l'Administration fédérale des contributions (AFC), d'entente avec le BGE 144 II 313 S. 318 groupe de travail Impôt à la source de la Conférence suisse des impôts (CSI) et sur la base de l'enquête sur le budget des ménages réalisée par l'Office fédéral de la statistique (OFS), a fixé à 5'425 fr. par mois la limite supérieure du revenu des époux déterminant le taux de l'impôt fédéral direct. Ce montant se fonde sur le salaire médian de 5'411 francs déterminé d'après l'enquête sur le budget des ménages pour les années 2006 à 2010. Pour les revenus inférieurs à cette limite, un rapport entre les revenus de 1 : 1 est pris en compte pour déterminer le taux (annexe 2). En raison de l'autonomie tarifaire des cantons garantie par la Constitution, ceux-ci peuvent fixer librement le revenu des époux déterminant le taux de l'impôt retenu en application du barème C" (Lettre circulaire de l'AFC du 11 septembre 2013 relative à l'impôt à la source, p. 1). 4.5.1 Le tableau de l'annexe 2 de la lettre circulaire du 11 septembre 2013 peut être résumé de la manière suivante: Rev. mensuel brut réalisé en CHF Rev. mensuel but additionnel Rev. mensuel total brut pour le taux en CHF 4725 4725 9540 5425 5425 10850 5575 5425 11000 4.5.2 Enfin, le recourant y faisant référence, il convient de mentioner l'art. 3 al. 1 let. a et al. 2 du règlement genevois du 12 décembre 1994 d'application de la loi sur l'imposition à la source des personnes physiques et morales (RISP/GE; rs/GE D 3 20.01). Depuis le 1 er janvier 2014, dans le canton de Genève, en vertu de cette disposition, lorsque les époux vivant en ménage commun exercent tous deux une activité lucrative et sont, de ce fait, soumis à la retenue calculée selon le barème C, l'imposition du couple ou, le cas échéant, de l'époux seul assujetti à l'impôt dans le canton, est rectifiée en tenant compte du cumul des revenus effectifs d'activité des conjoints au moyen des barèmes particuliers réservés à cet effet, soit les "barèmes C de rectification (Cr)". Cette procédure de rectification ne doit toutefois pas être confondue avec les déductions supplémentaires qui peuvent être obtenues sur réclamation du contribuable (versements à une institution de prévoyance professionnelle, pensions alimentaires, frais de garde, frais de formation et de perfectionnement, cf. art. 4 RISP/GE). BGE 144 II 313 S. 319 III. Pouvoir d'examen du Tribunal fédéral 5. Invoquant divers droits constitutionnels, le recourant se plaint de ce que son revenu a été augmenté d'un revenu annuel théorique de 65'100 fr., imputé à son épouse, afin de déterminer le taux pour couple de retenue à la source applicable à son propre revenu pour 2014. Il se plaint également de ce qu'il n'a pas été mis au bénéfice du barème C3 correspondant au nombre d'enfants à sa charge. 5.1 En vertu de l' art. 106 al. 1 LTF , le Tribunal fédéral applique le droit d'office. Toutefois, conformément à l' art. 106 al. 2 LTF , le Tribunal fédéral n'examine la violation de droits fondamentaux ainsi que celle de dispositions de droit cantonal et intercantonal que si ce grief a été invoqué et motivé par le recourant, à savoir exposé de manière claire et détaillée (arrêts 2C_1133/2015 du 11 novembre 2016 consid. 2.1; 2C_941/2015 du 9 août 2016 consid. 2.1). 5.2 En présence d'une ordonnance fédérale dépendante prise en vertu d'une réglementation législative, le Tribunal fédéral examine si le Conseil fédéral est resté dans les limites des pouvoirs qui lui ont été conférés par la loi. Dans la mesure où la délégation législative n'autorise pas le Conseil fédéral à déroger à la Constitution fédérale, le Tribunal fédéral est également habilité à revoir la constitutionnalité des règles contenues dans l'ordonnance en cause. Lorsque la délégation législative accorde au Conseil fédéral un très large pouvoir d'appréciation pour fixer les dispositions d'exécution, cette clause lie le Tribunal fédéral. Dans un tel cas, le Tribunal fédéral ne saurait substituer sa propre appréciation à celle du Conseil fédéral et doit se borner à examiner si l'ordonnance en question sort manifestement du cadre de la délégation législative octroyée au Conseil fédéral ou si, pour d'autres raisons, elle apparaît contraire à la loi ou à la Constitution fédérale ( ATF 130 I 26 consid. 2.2.1 p. 32 et les arrêts cités). La légalité d'un règlement, en l'espèce le tarif, édicté sur la base d'une sous-délégation, ici au Département fédéral des finances, doit être appréciée selon les mêmes principes que ceux qui s'appliquent à une ordonnance du Conseil fédéral reposant sur une délégation de la loi ( ATF 104 Ib 364 consid. 2c p. 367 ss). 5.3 En présence de droit cantonal harmonisé, lorsque la loi sur l'harmonisation fiscale laisse une certaine marge de manoeuvre aux cantons ou lorsque l'on est en présence d'impôts purement cantonaux, l'examen de l'interprétation du droit cantonal est limité à l'arbitraire (cf. art. 95 LTF ; ATF 134 II 207 consid. 2 p. 209 s.). BGE 144 II 313 S. 320 IV. Revenu déterminant le taux de retenue de l'impôt à la source 6. Invoquant les art. 8 et 127 Cst. , le recourant fait valoir plusieurs violations du principe de l'égalité de traitement, dont il rappelle qu'il est consacré en matière fiscale par le principe de l'imposition selon la capacité contributive. 6.1 En vertu de l' art. 127 al. 2 Cst. , dans la mesure où la nature de l'impôt le permet, les principes de l'universalité, de l'égalité de traitement et de la capacité économique doivent, en particulier, être respectés. En vertu des principes de l'égalité d'imposition et de l'imposition selon la capacité contributive, les contribuables qui sont dans la même situation économique doivent supporter une charge fiscale semblable; lorsqu'ils sont dans des situations de faits différentes qui ont des effets sur leur capacité économique, leur charge fiscale doit en tenir compte et être adaptée. Ainsi, d'après le principe de la proportionnalité de la charge fiscale à la capacité contributive, chaque citoyen doit contribuer à la couverture des dépenses publiques compte tenu de sa situation personnelle et en proportion de ses moyens ( ATF 140 II 157 consid. 7.1 p. 160 s. et les références citées). La comparaison verticale, c'est-à-dire entre contribuables ayant une capacité économique différente est plus difficile à établir que ne l'est la comparaison horizontale c'est-à-dire entre contribuables jouissant de la même capacité économique ( ATF 140 II 157 consid. 7.3 p. 161 s.; ATF 112 Ia 240 consid. 4b p. 244). Néanmoins, dans les rapports horizontaux, le principe de l'imposition selon la capacité économique n'exige pas une imposition absolument identique, la comparaison étant également limitée dans ce cas. Dans l'examen de dispositions légales inévitablement imparfaites, le juge constitutionnel doit par conséquent faire preuve d'une certaine retenue sous peine de courir le danger de créer une nouvelle inégalité alors qu'il cherche à obtenir l'égalité entre deux catégories de contribuables. Il ne peut pas s'écarter à la légère des règles légales édictées par le législateur ( ATF 140 II 157 consid. 7.3 p. 161 s.; ATF 132 I 157 consid. 4.1 et 4.2 p. 162 s.; ATF 128 I 240 consid. 2.3 p. 243). 6.2 Les art. 86 al. 2 LIFD , 33 al. 2 LHID et 133 al. 2 LI/VD prévoient que les barèmes appliqués aux époux vivant en ménage commun et qui exercent tous deux une activité lucrative doivent tenir compte du cumul des revenus des conjoints. En raison de la nature particulière de l'impôt à la source et de sa fonction, c'est au débiteur de la prestation imposable qu'il revient de retenir l'impôt ( art. 88 LIFD , BGE 144 II 313 S. 321 37 LHID, 135 LI/VD), en lieu et place de l'autorité fiscale. Le système de perception doit par conséquent non seulement être simple et facile à appliquer, mais il doit également prendre en considération le fait que le débiteur de la prestation imposable ignore le montant des revenus de l'époux de son employé et n'est pas en droit d'en exiger la divulgation faute de détenir les prérogatives de puissance publique à cet effet. C'est la raison pour laquelle, afin de calculer le taux applicable, l'Administration fédérale des contributions, d'entente avec les cantons, a surmonté cette difficulté en imputant au conjoint du contribuable, de manière forfaitaire, un revenu théorique fondé sur des données statistiques (cf. consid. 3.5 non publié). Pour les couples de non-résidents à deux revenus dont l'un des deux conjoints exerce son activité lucrative à l'étranger, cela peut provoquer une surimposition ou une sous-imposition. Dans son Message du 28 novembre 2014 relatif à la révision de l'impôt à la source du revenu de l'activité lucrative, le Conseil fédéral reconnaît qu'il peut y avoir une surimposition et que c'est essentiellement le cas lorsque le conjoint étranger actif à l'étranger tire un faible revenu brut de son activité lucrative (FF 2015 625, 641; en langue allemande, p. 674), à l'instar de la situation du recourant et de son épouse: celle-ci ne perçoit en effet que 27'800 fr. par année au lieu des 65'100 fr. théoriques pris en compte dans le barème C, ce qui conduit effectivement à une surimposition contraire aux art. 86 al. 2 LIFD , 33 al. 2 LHID et 133 al. 2 LI/VD. C'est du reste cette surimposition résultant du système et de la nature de l'impôt à la source dans ce cas précis que la révision de l'impôt à la source proposée par le Conseil fédéral entend éliminer en laissant "ouverte pour les couples de non-résidents à deux revenus qui ne peuvent pas demander de taxation ordinaire ultérieure [les art. 90 LIFD et 34 LHID étant exclus du renvoi contenu dans les art. 91 LIFD et 36 al. 1 LHID] ou ne peuvent pas la demander parce qu'ils ne remplissent pas les conditions de la non-résidence, la possibilité de prendre en compte la rémunération effective du conjoint actif à l'étranger au moyen d'une correction du revenu déterminant le taux" (Message, loc. cit., p. 641 s., en langue allemande, p. 674). Avec le Conseil fédéral, il y a lieu de reconnaître que la structure du barème C, dans sa teneur en vigueur depuis le 1 er janvier 2014 édictée en application des art. 1 al. 1 let . c et 2 al. 1 let. c OIS, conduit à une surimposition du contribuable lorsque le conjoint étranger actif à l'étranger tire un faible revenu brut de son activité lucrative. Cette surimposition est contraire au principe de l'imposition selon la BGE 144 II 313 S. 322 capacité économique de l' art. 127 al. 2 Cst. , aussi longtemps qu'il ne peut y être remédié au moyen d'une rectification ultérieure demandée par le contribuable dans les délais prévus par l' art. 137 al. 1 LIFD et 191 al. 1 LI/VD, applicables dans ce cas de figure selon la jurisprudence, dès lors qu'il ne s'agit pas d'une erreur du débiteur de la prestation imposable chargé de retenir l'impôt à la source (cf. arrêt 2C_684/2012 du 5 mars 2013, in Archives 68 p. 153 et RDAF 2013 II p. 246 consid. 5.3 et 5.4) 6.3 En l'espèce, en contestant, le 25 janvier 2015 déjà, la retenue efectuée par son employeur et en réclamant de l'autorité intimée la prise en compte du revenu effectif de son épouse aux fins de déterminer le taux applicable à son revenu brut, le recourant a dûment respecté les délais légaux de procédure. Il a en outre dûment prouvé le revenu effectif de son épouse. Il appartient par conséquent à l'autorité intimée, à l'exclusion du débiteur de la prestation imposable qui n'y est pas habilité, de rectifier l'imposition du recourant au moyen d'un barème C de rectification (ci-après: Cr) établi par l'Administration fédérale des contributions en collaboration avec le canton, applicable à la somme des revenus effectifs du recourant et de son épouse, à l'instar de ce que prévoit notamment le canton de Genève (cf. consid. 3.5.2 non publié). Le recours est admis sur ce point. V. Barème pour enfants mineurs à charge 7. Invoquant l'interdiction de l'arbitraire de l' art. 9 Cst. , les principes de l'égalité de traitement et de l'équité ainsi que le principe de l'imposition selon la capacité contributive de l' art. 127 al. 2 Cst. , le recourant reproche à l'instance précédente de n'avoir pas pris en considération les trois enfants mineurs dont il a la charge, confirmant, à tort selon lui, l'application du barème C0 en lieu et place du barème C3. A. Impôt fédéral direct 7.1 Selon l' art. 86 al. 2 LIFD , applicable par renvoi de l' art. 91 LIFD aux travailleurs qui, sans être domiciliés ni en séjour en Suisse, y exercent une activité lucrative dépendante pendant de courtes périodes, durant la semaine ou comme frontaliers, les retenues opérées sur le revenu des époux vivant en ménage commun qui exercent tous deux une activité lucrative sont calculées selon des barèmes qui tiennent compte, notamment des charges de famille du contribuable (art. 86 al. 1 qui renvoie aux art. 35 et 36 LIFD ). L' art. 35 al. 1 let. a LIFD accorde une déduction de 6500 fr. pour chaque enfant mineur BGE 144 II 313 S. 323 ou faisant un apprentissage ou des études, dont le contribuable assure l'entretien; lorsque les parents sont imposés séparément, cette déduction est répartie par moitié s'ils exercent l'autorité parentale en commun et ne demandent pas la déduction d'une contribution d'entretien pour l'enfant selon l' art. 33 al. 1 let . c LIFD. Selon la Lettre circulaire de l'AFC du 11 septembre 2013, les bases de calcul pour le barème fédéral C1, C2 etc. de l'impôt à la source pour la période fiscale 2014 comprennent une déduction sociale par enfant d'un montant de 6'500 (la moitié à chaque époux), le barème C double gain ayant vocation à s'appliquer aux deux conjoints. 7.2 Dans l'arrêt attaqué, constatant que le recourant ne percevait que des compléments différentiels d'allocations parce que son épouse recevait des allocations de l'Etat français, en application des règles de priorité instaurées par le règlement (CE) n° 987/2009 du 16 septembre 2009 fixant les modalités d'application du règlement (CE) n° 883/2004 portant sur la coordination des systèmes de sécurité sociale (RS 0.831.109.268.11) - que la Suisse est tenue d'appliquer dans ses rapports avec l'Union européenne en vertu de l'Accord sur la libre circulation des personnes (ALCP; RS 0.142.112.681) - l'instance précédente a jugé, en application des instructions de l'Administration cantonales des impôts du canton de Vaud de novembre 2014, que le Tarif C3 ne trouvait pas application au recourant, parce que ce dernier ne percevait pas d'allocations complètes d'une caisse suisse. Elle a ajouté qu'il ressortait de l'avis d'impôt français sur les revenus de l'année 2014 produit par le recourant qu'un "quotient familial" équivalent à quatre parts (couple marié avec trois enfants) avait été appliqué au revenu de son épouse, de sorte que les déductions liées aux enfants avaient déjà été prises en compte en France, dans l'Etat d'assujettissement illimité de l'épouse. L'objectif d'empêcher que la situation familiale du contribuable soit prise en considération à double pour le ou les mêmes enfants était ainsi atteint. 7.3 En matière d'impôt fédéral direct, le Tribunal fédéral examine librement l'application du droit fédéral (cf. consid. 5.1 ci-dessus). En l'espèce, il y a lieu de constater qu'en 2014, le recourant vivait en ménage commun avec son épouse et ses trois enfants mineurs, qu'il exerçait en commun l'autorité parentale avec celle-ci, qu'il a néanmoins été taxé séparément, qu'il n'a pas demandé la déduction de contributions d'entretien et qu'il a bien assuré l'entretien de ses enfants. Il s'ensuit qu'il remplissait les conditions légales des art. 35 BGE 144 II 313 S. 324 al. 1 let. a, 86 et 91 LIFD pour que lui soit appliqué le barème C(r)3 comprenant pour chacun de ses trois enfants la moitié de la déduction entière de 6'500 fr. Contrairement à ce que semblent affirmer l'instance précédente et l'autorité intimée, ni la convention de double imposition passée avec la France, ni la loi sur l'impôt fédéral direct ne contiennent de dispositions légales qui auraient pour effet d'empêcher la moitié de la déduction de 6'500 fr. au motif que le recourant n'aurait reçu que des compléments d'allocations pour enfants, quand bien même cela serait conforme aux règles résultant de l'ALCP - ou que les autorités fiscales françaises auraient également tenu compte des enfants à charge dans la taxation séparée du conjoint du recourant. Il n'y a du reste à cet égard pas non plus de violation du droit à l'égalité par rapport aux contribuables suisses soumis à taxation ordinaire, puisque ces derniers se voient appliquer un régime identique à celui du recourant, celui de l' art. 33 al. 1 let. a LIFD en cas de taxation séparée, toutes autres conditions étant réunies. En confirmant le refus de l'autorité intimée sur ce point, l'instance précédente a violé la loi sur l'impôt fédéral direct. B. Impôt cantonal et communal 8. 8.1 L' art. 33 al. 3 LHID (par renvoi de l' art. 36 al. 1 LHID ) impose à tout le moins deux obligations aux cantons: premièrement, ils doivent prendre en considération dans le calcul des retenues d'impôt les dépenses professionnelles, les primes d'assurances, les déductions pour charges de famille et les déductions accordées en cas d'activité lucrative des deux époux et, deuxièmement, ils doivent le faire de manière forfaitaire, la question de savoir si la liste des déductions est exhaustive, ou non (ZIGERLIG/RUFENER, op. cit., n° 7 ad art. 34 LHID ) n'ayant pas à être tranchée ici. En effet, les art. 133 al. 1 et 2 et 138, qui renvoient aux art. 42 et 43 LI/VD, prévoient conformément à la loi sur l'harmonisation fiscale que le barème applicable aux époux vivant en ménage commun et qui exercent tous deux une activité lucrative tient compte de la situation de la famille au moyen de la méthode du quotient familial. Ce système dit des unités de consommation, que seul le canton de Vaud connaît, prévoit que le revenu global de la famille est divisé par un facteur variable, dépendant de la composition et de la grandeur de la famille, soit 1,8 pour les couples mariés vivant en ménage commun et 0,5 pour chaque enfant mineur, en apprentissage ou aux études, dont le contribuable assure l'entretien complet. BGE 144 II 313 S. 325 8.2 L' art. 33 LHID et les art. 133 al. 1 et 2 et 138, qui renvoient aux art. 42 et 43 LI/VD, ayant une teneur identique quant à l'obligation de prendre en considération dans le calcul des retenues d'impôt les déductions pour charges de famille, quand bien même les modalités diffèrent, puisque seul le principe de la prise en considération des charges de famille est litigieux en l'espèce, les considérants relatifs à l'impôt fédéral direct valent également en matière d'impôt à la source cantonal et communal. Il s'ensuit que le contenu des Barèmes et instructions de l'Administration cantonale des impôts du canton de Vaud de novembre 2014 concernant l'imposition à la source pour l'année 2015, selon lequel "seuls les enfants pour lesquels le contribuable bénéficie d'allocations familiales complètes versées par une caisse suisse peuvent être pris en considération dans le barème C1, C2 etc." (chapitre IV let. C ch. 1), est contraire au droit fédéral, en tant qu'il ne trouve aucun fondement dans la loi sur l'harmonisation fiscale. Le recours est admis sur ce point.
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Bei Fahrlässigkeitstaten müssen in der Anklageschrift sämtliche Umstände aufgeführt werden, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens sowie die Vorhersehbarkeit und die Vermeidbarkeit des eingetretenen Erfolges ergeben sollen. Eine Verurteilung aufgrund eines von der Anklageschrift abweichenden Sachverhalts verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn die Anklage nicht rechtzeitig und in hinreichender Weise im Verlaufe des Verfahrens entsprechend ergänzt oder abgeändert wurde. Sachverhalt ab Seite 455 BGE 116 Ia 455 S. 455 Am 4. Mai 1985 stürzte auf der Allmend Frauenfeld eine junge Erstabspringerin mit dem Fallschirm ab. Y. hatte bei dem Kurs die Funktion eines Instruktors, und X. war für die Bereitstellung der Schirme verantwortlich. Beide wurden durch das Obergericht des Kantons Thurgau am 6. Juni 1989 wegen fahrlässiger Tötung mit sechs Wochen Gefängnis (bedingt) bestraft. Dagegen richtet sich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde der Verurteilten.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die Beschwerdeführer behaupten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sie machen geltend, sie seien erstmals in der vorinstanzlichen Urteilsbegründung mit den beiden Vorwürfen konfrontiert worden, (1) die von ihnen gewählte Absprunghöhe sei zu niedrig gewesen und (2) sie hätten als Notschirm ein Muster ohne BGE 116 Ia 455 S. 456 barometrische Öffnungsvorrichtung gewählt. Diese Vorwürfe seien nicht Gegenstand der Anklage noch sonst eines Vorhaltes gewesen. Damit habe die Vorinstanz den Anklagegrundsatz verletzt. aa) Auszugehen ist von einer Nettoabsprunghöhe von etwas mehr als 600 m über Grund. Mit keiner tauglichen Rüge wird angefochten, dass gemäss einer Kunstregel von einer seriösen Absprunghöhe nur dann gesprochen werden könne, wenn der Schirm spätestens in einer Höhe von 700-800 m über Grund vollständig und frei entfaltet ist. Die Beschwerdeführer berufen sich nicht auf eine willkürliche Anwendung kantonalen Prozessrechtes (vgl. § § 148 und 160 StPO /TG). Zu prüfen ist also einzig, ob die aus Art. 4 BV hergeleiteten Minimalanforderungen an die Gehörsgewährung vom Obergericht beachtet worden sind. bb) In der Anklageschrift vom 27. August 1987 wird zunächst der äussere Sachverhalt kurz beschrieben und dabei insbesondere eine Absprunghöhe von 700 m (offenbar über Grund) erwähnt. In der Folge wird gesagt, aus den Untersuchungen ergebe sich, dass in bezug auf den Fallschirm resp. den Notfallschirm Fehler gemacht worden seien. Es sei davon auszugehen, dass "1. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Packen des Fallschirmes vorschriftswidrig das Sollbruchband beim äusseren Verpackungssack nicht durch die Hüllenöffnungsschlaufe der Reissleine durchgezogen wurde, so dass das Sollbruchband nicht sofort riss und der Verpackungssack nicht geöffnet wurde, 2. die Schlaufen des äusseren Verpackungssackes mit dem Sollbruchband zu wenig eng zusammengezogen wurden, so dass der Extraktor ohne Zerreissen des Sollbruchbandes wohl aus der Verpackung gezogen werden konnte, jedoch unfähig war, den Hauptschirm aus dem noch verschlossenen Verpackungssack zu ziehen, so dass erst beim Aufschlag auf dem Boden und Zerreissen des Sollbruchbandes der Packschlauch freilag, 3. nach Zuknöpfen des Sollbruchbandes die Enden von 26 und 31 cm vorschriftswidrig nicht auf einen kleinen Rest zurückgeschnitten wurden, so dass sich diese mit dem Extraktor oder der Verbindungsleine zum Packschlauch verfangen und damit den weiteren Öffnungsvorgang allenfalls blockieren konnten, 4. die Federzüge beim Notfallschirm nicht eingehakt waren, so dass nach Betätigung des Auslösegriffes durch Frau Z. wertvolle Sekunden verlorengingen, die möglicherweise genügt hätten, um die Entfaltung des Rettungsschirmes herbeizuführen." Dem Beschwerdeführer X. wird vorgeworfen, zufolge pflichtwidriger Unaufmerksamkeit für die in Ziff. 1 bis 3 geschilderten BGE 116 Ia 455 S. 457 Mängel verantwortlich zu sein, indem er selbst diese Fehler beim Packen des Fallschirmes gemacht habe. Dem Beschwerdeführer Y. wird vorgeworfen, in pflichtwidriger Unaufmerksamkeit den Haupt- und Notfallschirm zu wenig genau inspiziert und kontrolliert zu haben, so dass er die Verpackungsfehler am Hauptfallschirm nicht festgestellt sowie nicht bemerkt habe, dass beim Notfallschirm die Federzüge vorschriftswidrig nicht eingehakt waren (vgl. Ziff. 4 der oben zitierten Fehler). Aus der Anklageschrift ergibt sich somit eindeutig, dass den Beschwerdeführern weder eine ungenügende Absprunghöhe noch die Wahl eines ungenügenden Notschirmes (fehlende barometrische Öffnungsvorrichtung), sondern nur Fehler im Zusammenhang mit der Verpackung und Kontrolle des Hauptschirmes sowie zusätzlich beim Beschwerdeführer Y. ein Fehler in bezug auf den Notfallschirm vorgeworfen werden. Dass die Anklage im Laufe des Verfahrens ergänzt oder abgeändert worden wäre, ist aus den Akten nicht ersichtlich und wird weder vom Obergericht noch von der Staatsanwaltschaft, denen Gelegenheit zur Vernehmlassung geboten wurde, behauptet. Auch aus der im angefochtenen Urteil enthaltenen Zusammenfassung des Plädoyers der Staatsanwaltschaft ergibt sich nicht, dass der Vertreter der Anklage den Fahrlässigkeitsvorwurf anders begründet hätte als in der Anklageschrift. Konkret ist nur die Rede von Verpackungs- und Kontrollfehlern, wie sie in der Anklageschrift enthalten sind. Zwar folgt ein genereller Verweis auf die Akten sowie die Aussagen der Experten. Doch ist darin nicht eine Änderung des Anklagevorwurfes zu erblicken, sondern ein Hinweis auf die Beweisgrundlagen. Folglich ist davon auszugehen, dass eine Änderung des Anklagevorwurfes nicht stattgefunden hat und dass das Obergericht auch nicht einen konkreten Hinweis darauf gemacht hat, der Anklagevorwurf werde gegebenenfalls auch unter den Gesichtspunkten der ungenügenden Absprunghöhe oder der fehlenden barometrischen Öffnungsvorrichtung geprüft. Es wäre im übrigen auch nicht Sache des Bundesgerichtes, derartige Hinweise oder allfällige Änderungen der Anklage aus den Akten herauszusuchen, nachdem Obergericht und Staatsanwaltschaft Gelegenheit hatten, in ihren Vernehmlassungen auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen. Zwar ist im Rahmen der Sachverständigeneinvernahmen vom 6. Juni 1989 die Frage der Absprunghöhe diskutiert worden und ebenso, ob eine seriöse Sprunghöhe freie Entfaltung des Schirmes bei 700-800 m gewährleisten müsse. Erörtert wurde auch, wie ein BGE 116 Ia 455 S. 458 barometrisches Öffnungssystem funktioniert und dass dieses System im Paracentro in Locarno bei Erstabsprüngen stets verwendet werde. Allein die Tatsache, dass diese beiden Gesichtspunkte Gegenstand der Expertenbefragung waren, belegt nicht, dass das Obergericht die Beschwerdeführer darauf hingewiesen hätte, es werde den Anklagevorwurf abweichend von der Anklageschrift (und offenbar auch von dem obergerichtlichen Plädoyer des Staatsanwaltes) unter zwei anderen Gesichtspunkten überprüfen. cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes hat der Betroffene einen unbedingten Anspruch, vor Erlass eines Entscheides, der ihn belastet oder belasten könnte, angehört zu werden ( BGE 114 Ia 99 E. a; BGE 109 Ia 177 f.; 105 Ia 195 , 290/91; BGE 101 Ia 296 ff.; vgl. auch ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 137). Der Betroffene hat das Recht, sich zu allen relevanten Aspekten vorgängig des Entscheides zu äussern. Dies gilt für Sachfragen, für ihre rechtliche Beurteilung jedenfalls dann, wenn eine Behörde sich auf juristische Argumente zu stützen gedenkt, die den Parteien nicht bekannt sind und mit deren Heranziehung sie nicht rechnen mussten (vgl. G. MÜLLER, Kommentar BV Art. 4 N. 105). Dieser Grundsatz gilt insbesondere auch im Strafverfahren (vgl. BGE 101 Ia 297 ; HAUSER, Schweiz. Strafprozessrecht, S. 136; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, S. 42 f.). Wie weit sich dies bereits aus dem Anklagegrundsatz ergibt, kann offenbleiben, da sich dieses Prinzip jedenfalls aus dem durch Art. 4 BV gewährleisteten Prinzip der Gehörsgewährung herleitet. Es wird angenommen, dass die Anklageschrift eine doppelte Bedeutung hat. Sie dient einmal nach dem Anklageprinzip der Bestimmung des Prozessgegenstandes (Umgrenzungsfunktion), und sie vermittelt andererseits dem Angeschuldigten die für die Durchführung des Verfahrens und die Verteidigung notwendigen Informationen (Informationsfunktion). Die Informationsfunktion der Anklageschrift ist dabei gleichbedeutend wie die Umgrenzungsfunktion (vgl. PETER RIESS in LÖWE/ROSENBERG, Strafprozessordnung, 24. A. § 200 N. 3 f.). Bei Fahrlässigkeitstaten gehört zur in der Anklageschrift zu bezeichnenden Tat mit kurzer Umschreibung des Sachverhaltes (vgl. § 148 Abs. 2 Ziff. 3 StPO /TG) die Aufführung sämtlicher Umstände, aus denen sich Pflichtwidrigkeit, Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit ergeben sollen (vgl. RIESS, a.a.O., N. 15). Entsprechend hätte vorliegend der Vorwurf einer zu geringen Absprunghöhe und der Verwendung eines nicht ausreichenden Notschirmes bereits in der BGE 116 Ia 455 S. 459 Anklageschrift aufgeführt werden müssen. Wenn dies wie vorliegend nicht geschehen ist, hätten die Beschwerdeführer rechtzeitig in hinreichender Weise darauf hingewiesen werden müssen, dass das Obergericht gedenke, den Vorwurf der Fahrlässigkeit auch unter Bezugnahme auf diese Umstände zu prüfen. So wird denn auch in § 160 Abs. 2 StPO /TG vorgesehen, dass die Parteien zu Tatumständen, welche nicht Gegenstand der Anklage bildeten, besonders anzuhören seien. In der Literatur zum insoweit teilweise vergleichbaren § 265 der deutschen StPO wird denn auch gesagt, es diene der Sicherung der umfassenden Sachaufklärung und der fairen Prozessgestaltung, wenn zum Schutze vor Überraschungen vom Gericht verlangt werde, die Beteiligten auf entscheidungserhebliche Umstände hinzuweisen, wenn ersichtlich ist, dass sie deren Bedeutung verkannt haben (WALTER GOLLWITZER in LÖWE/ROSENBERG, § 265 N. 5; vgl. auch MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 6 N. 349). Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Beschwerde insoweit wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 4 BV gutzuheissen ist.
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Sachverhalt ab Seite 296 BGE 115 Ib 295 S. 296 B. erwarb im Jahre 1985 von seinem Vater die Parzelle Nr. 854 in Ried, Gemeinde Giswil (Kanton Obwalden). Das 5360 m2 grosse Grundstück liegt gemäss Zonenplan dieser Gemeinde im übrigen Gemeindegebiet, in welchem nur Bauten zulässig sind, die den Bedürfnissen der Land-, Alp- oder Forstwirtschaft oder des Gartenbaues dienen (Art. 30 des Baureglementes der Einwohnergemeinde Giswil vom 18. Januar 1981). Auf diesem Grundstück steht seit 1965 ein Schweinestall. B. führt darin einen reinen Zuchtbetrieb, wobei er mit ungefähr 80 Mutterschweinen pro Jahr 1400- 1700 Jager produziert. Im Stall sind ausserdem ungefähr 20 Remonten (Schweine, die noch nie geferkelt haben) und 3 Eber untergebracht. Das Bundesamt für Landwirtschaft bewilligte am 29. April 1987 die Haltung von maximal 80 Mutterschweinen und 40 Jungsauen bzw. Remonten. Nach fünfzehnmonatiger Betriebszeit stellte B. das Gesuch um Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) für den Bau eines 5 1/2-Zimmer-Einfamilienhauses für seine Familie unmittelbar neben dem Zuchtbetrieb. Das Baudepartement des Kantons Obwalden lehnte das Gesuch am 29. August 1986 mangels Standortgebundenheit im Sinne von Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
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ab. Hiegegen erhob B. Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Obwalden. Dieser hiess am 1. September 1987 die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut, da er die Standortgebundenheit des Wohnhauses bejahte. Der Regierungsrat stützte sich dabei unter anderem auf ein Gutachten, das die Notwendigkeit eines Wohnhauses in unmittelbarer Nähe des Schweinezuchtbetriebes bejahte. Gegen diesen Entscheid führt das Bundesamt für Raumplanung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden BGE 115 Ib 295 S. 297 Erwägungen Erwägungen: 2. Das Bundesamt für Raumplanung geht davon aus, im vorliegenden Fall komme Art. 24 RPG zur Anwendung. Der private Beschwerdegegner dagegen vertritt die Ansicht, er benötige keine Ausnahmebewilligung für die Erstellung der geplanten Baute. Sein Betrieb sei bodenabhängig, denn er sei zur Verwertung der in seinem Schweinezuchtbetrieb anfallenden Jauche auf landwirtschaftlichen Boden angewiesen; er stelle nämlich die bei ihm erzeugten Mengen an Jauche, soweit er diese nicht selbst auf dem Umgelände seiner Stallungen ausbringen könne, den benachbarten Landeigentümern zur Verfügung. Bei einem Bauvorhaben ausserhalb der Bauzonen ist nach der Rechtsprechung zunächst zu prüfen, ob es zonenkonform ist und ihm demnach eine ordentliche Bewilligung nach Art. 22 Abs. 2 RPG erteilt werden kann. Trifft dies nicht zu, stellt sich die Frage, ob es als Ausnahme gestützt auf Art. 24 RPG zu bewilligen ist ( BGE 113 Ib 316 E. 3; BGE 112 Ib 272 E. 1b mit Hinweisen). a) Die Zonenkonformität bestimmt sich ausschliesslich nach dem Zweck der entsprechenden Nutzungszone und nach der Vereinbarkeit der Bauten und Anlagen mit diesem Zweck. Landwirtschaftszonen umfassen Land, das sich für die landwirtschaftliche Nutzung oder den Gartenbau eignet oder im Gesamtinteresse landwirtschaftlich genutzt werden soll ( Art. 16 RPG ). Landwirtschaftliche Bauten entsprechen dem Zweck der Landwirtschaftszone dann, wenn für die Nutzung, der sie dienen, der Boden als Produktionsfaktor unentbehrlich ist; wo landwirtschaftliche Erzeugnisse bodenunabhängig gewonnen werden, liegt keine landwirtschaftliche Nutzung im Sinne von Art. 16 RPG vor ( BGE 114 Ib 133 E. 3; BGE 112 Ib 273 E. 3; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Raumplanungsgesetz, N. 9 zu Art. 16 RPG ; LEO SCHÜRMANN, Bau- und Planungsrecht, 2. Aufl., Bern 1984, S. 167). In BGE 112 Ib 270 ff., der eine Gärtnerei betraf, erkannte das Bundesgericht, massgebend sei, ob der fragliche Betrieb in gesamthafter Betrachtung überwiegend bodenabhängig produziere. Dieser Grundsatz gilt auch im vorliegenden Fall. b) Dass Wohnhäuser als solche ausserhalb der Bauzonen nicht zonenkonform sind, hat die Rechtsprechung wiederholt festgehalten ( BGE 113 Ib 141 E. d, 222 E. 3; BGE 112 Ib 261 ; BGE 111 Ib 216 E. 2; BGE 110 Ib 143 ; EJPD/BRP, a.a.O., N. 18 und 20 zu Art. 16 RPG ). BGE 115 Ib 295 S. 298 c) Es kann sich indessen fragen, ob der bestehende Schweinezuchtbetrieb zonenkonform sei und das geplante Wohnhaus allenfalls als betriebsnotwendige Baute bewilligt werden könnte, lässt doch die bundesgerichtliche Praxis Wohnraum als "Folge" zonenkonformer landwirtschaftlicher Nutzung dann zu, wenn für ein ordnungsgemässes Bewirtschaften des Bodens ein längeres Verweilen am betreffenden Ort erforderlich ist und dieser von der nächstgelegenen Wohnzone weit entfernt liegt (vgl. BGE 113 Ib 142 mit Hinweisen). Wie den Akten zu entnehmen ist und wie der Augenschein ergeben hat, ist der Schweinezuchtbetrieb des Beschwerdegegners als zumindest überwiegend bodenunabhängig zu betrachten, wird doch höchstens ein kleiner Teil des Futters für die Schweine auf der betriebseigenen Fläche von etwas über einer halben Hektare produziert. Der eigene Boden ist somit für das Betriebsziel, die jährliche Produktion von 1400-1700 Jagern, weitgehend entbehrlich. Daran ändert nichts, dass die Jauche gestützt auf langfristige Abnahmeverträge auf dem benachbarten Land anderer Grundeigentümer ausgebracht wird. Entgegen der Ansicht des privaten Beschwerdegegners handelt es sich bei seinem Bauvorhaben somit nicht um eine geplante Wohnbaute zu einem zonenkonformen, sondern zu einem zonenwidrigen Betrieb. Wohngebäude sind, wie erwähnt, als zonenkonforme Bauten ausserhalb von Bauzonen nur zulässig, wenn sie der objektiven, betrieblichen Notwendigkeit einer zonenkonformen Bodenbewirtschaftung entsprechen und damit in erster Linie der landwirtschaftlichen Nutzung selber dienen ( BGE 113 Ib 141 E. 1d; EJPD/BRP, a.a.O. N. 18 und N. 20 zu Art. 16 RPG ; LEO SCHÜRMANN, a.a.O. S. 170 Ziff. 5c). Bestehende zonenwidrige Bauten dagegen können eine weitere Ausdehnung der zonenfremden Nutzung nicht begründen ( BGE 114 Ib 320 E. 4d). Solche Bauten und Anlagen dürfen grundsätzlich nur unterhalten und gemäss den von den Kantonen gestützt auf Art. 24 Abs. 2 RPG erlassenen Vorschriften erneuert, teilweise geändert oder wiederaufgebaut werden, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Da somit das Bauvorhaben des Beschwerdegegners nicht zonenkonform ist, erübrigen sich weitere Erörterungen hierzu. Es bleibt nur mehr zu prüfen, ob das Wohnhaus gestützt auf Art. 24 RPG bewilligt werden kann. 3. Unbestritten ist, dass für das Bauvorhaben Art. 24 Abs. 2 RPG nicht anwendbar ist, da es sich um eine Neubaute handelt ( BGE 111 Ib 216 E. 3). Eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 BGE 115 Ib 295 S. 299 Abs. 1 RPG kann erteilt werden, wenn der Zweck der Baute einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert (lit. a) und wenn dem Vorhaben keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein ( BGE 113 Ib 141 E. 5 mit Hinweisen). a) Die - positive - Standortgebundenheit darf nach der bundesgerichtlichen Praxis nur dann bejaht werden, wenn eine Baute aus technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen oder wegen der Bodenbeschaffenheit auf einen Standort ausserhalb der Bauzone angewiesen ist. Dabei beurteilen sich die Voraussetzungen nach objektiven Massstäben, und es kann weder auf die subjektiven Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen noch auf die persönliche Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit ankommen ( BGE 113 Ib 141 E. 5a, BGE 111 Ib 217 E. 3b mit Hinweisen; EJPD/BRP, a.a.O. N. 20 zu Art. 24 RPG ). Bauten, die der Landwirtschaft dienen und betrieblich notwendig sind, werden ausserhalb der Bauzonen grundsätzlich als standortgebunden anerkannt, soweit sie nicht in einer Landwirtschaftszone liegen und wegen ihrer Bodenabhängigkeit ohnehin zonenkonform sind. Dabei sind an die Erfordernisse der Standortgebundenheit strenge Anforderungen zu stellen. Der landwirtschaftliche Zweck darf nicht bloss Vorwand sein, um ein Bauvorhaben zu realisieren, das für die Bewirtschaftung des Bodens nicht erforderlich ist ( BGE 113 Ib 141 E. 5a; 111 Ib 217 E. 3b, je mit Hinweisen). b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt eigenständiger Wohnraum ausserhalb der Bauzonen grundsätzlich nicht als standortgebunden ( BGE 113 Ib 142 ; LEO SCHÜRMANN, a.a.O. S. 184/185). Das geplante Wohnhaus als solches erfüllt somit die Voraussetzung von Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG nicht. c) Zu prüfen ist, ob die Standortgebundenheit des geplanten Wohnhauses aus der Tatsache hergeleitet werden kann, dass es für die Schweinezucht allenfalls betrieblich notwendig ist. Voraussetzung dazu ist jedoch, dass der zwar zonenwidrige, jedoch bereits seit Jahrzehnten bestehende Schweinezuchtbetrieb seinerseits als standortgebunden zu bezeichnen ist ( BGE 108 Ib 363 E. b). Vorab ist daher zu untersuchen, ob die positive oder negative Standortgebundenheit dieses Betriebes bejaht werden kann. Wie dargelegt, sind an die Erfordernisse der positiven Standortgebundenheit strenge Anforderungen zu stellen, um der Zersiedlung der Landschaft entgegenzuwirken. Das Bundesgericht hat sich in BGE 103 Ib 115 ff. erstmals mit dem Problem von BGE 115 Ib 295 S. 300 Intensivtierhaltungsbetrieben ausserhalb der Bauzonen auseinandergesetzt. Im damaligen Zeitpunkt galt zwar noch der alte Art. 20 des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung vom 8. Oktober 1971 (GSchG) , der Gebäude und Anlagen ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes nur zuliess, wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Bedürfnis nachwies. Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung in der Fassung vom 6. November 1974 ergänzte, das Bedürfnis gelte dann als sachlich begründet, wenn die Zweckbestimmung der Baute den beanspruchten Standort bedingt und dem Bauvorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Was das Gewässerschutzrecht mit dem "sachlich begründeten Bedürfnis" eingeführt hat, findet in der "Standortgebundenheit" des Art. 24 Abs. 1 RPG seine Entsprechung (EJPD/BRP, a.a.O. N. 2 zu Art. 24). Auf die von der Rechtsprechung unter dem Gewässerschutzgesetz entwickelten Grundsätze ist daher auch heute noch abzustellen. Im angeführten Entscheid wurde klar festgehalten, dass ein Mastbetrieb ohne eigene Futterbasis nicht an einen bestimmten Standort (auf dem zu bearbeitenden Land) gebunden sei, sondern der Inhaber könne - unter Beachtung der Immissionsrisiken - frei wählen, wo er seinen Betrieb errichten wolle. Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu. Wie dargelegt, verfügt der Betrieb des Beschwerdegegners nicht über eine genügende eigene Futterbasis, sondern er produziert überwiegend bodenunabhängig. Er ist somit weder aus technischen oder betriebswirtschaftlichen noch aus Gründen der Bodenbeschaffenheit auf einen bestimmten Standort ausserhalb der Bauzonen angewiesen. Die Tatsache, dass der Schweinezuchtbetrieb bereits vor Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes erstellt wurde, ändert an diesen Feststellungen nichts, muss er doch im Lichte des heute geltenden Rechts beurteilt werden. Zu untersuchen bleibt, ob eine Schweinezucht in einer Bauzone überhaupt sinnvoll betrieben werden könnte. Es ist dies die Frage nach der negativen Standortgebundenheit des bestehenden Schweinezuchtbetriebes. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf die negative Standortgebundenheit nur sehr zurückhaltend angenommen werden, etwa wenn ein Werk wegen seiner Immissionen in Bauzonen ausgeschlossen ist ( BGE 114 Ib 187 ; BGE 111 Ib 218 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat im nicht publizierten Entscheid vom 21. März 1984 i.S. Hui die Meinung vertreten, für Tierheime sei die negative Standortgebundenheit in der Regel zu BGE 115 Ib 295 S. 301 bejahen, soweit sie immissionsträchtig seien. Im vorliegenden Fall gehen vom Betrieb des Beschwerdegegners klarerweise keine erheblichen Immissionen aus. Die Schweine werden ausschliesslich im Innern des Stallgebäudes gehalten. Wie am Augenschein festgestellt werden konnte, dringt nur sehr wenig Lärm nach aussen. Auch die Geruchsemissionen stellen beim Betrieb des Beschwerdegegners kein Problem dar; der Stall ist gegen aussen hin geschlossen und wird künstlich belüftet. Insofern ist die vom Beschwerdegegner ausgeübte Haltung der Schweine nicht mit einem Tierheim vergleichbar. Zudem muss ein Schweinezuchtbetrieb ganz allgemein den Anforderungen der Umweltschutzgesetzgebung genügen (insbesondere des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG), der Luftreinhalte-Verordnung (SR 814.318.142.1), der Lärmschutz-Verordnung (SR 814.331) und der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV, SR 814.011). Die in diesem Gesetz und den Verordnungen umschriebenen Vorschriften bezwecken, eine übermässige Beeinträchtigung der Umgebung zu verhindern ( Art. 1 Abs. 1 USG ). So sind lästige Gerüche, beispielsweise aus Schweine- oder Geflügelhaltungen oder aus der Silagelagerung, aufgrund von Art. 11 Abs. 2 USG soweit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Eine erhebliche Störung der Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden ist zu vermeiden ( Art. 14 lit. b USG ). Emissionsbegrenzungen baulicher und betrieblicher Art, insbesondere für geruchsintensive Massentierhaltungen, können aufgrund von Verordnungen oder nötigenfalls direkt gestützt auf Art. 12 USG angeordnet werden ( BGE 113 Ib 398 ff. E. 3). Schweinezuchtbetriebe mit mehr als 75 Plätzen für Mutterschweine gelten überdies gemäss Nr. 80.4 des Anhangs zur UVPV als sogenannte UVP-Anlagen. Aus diesen Erwägungen folgt, dass genügend rechtliche Möglichkeiten bestehen, um zu verhindern, dass von einem Schweinezuchtbetrieb wie dem vorliegenden in einer Industrie- oder Gewerbezone eine übermässige Belästigung der Umgebung bewirkt wird. Gewisse Immissionen sind in den genannten Zonen zudem ohnehin in Kauf zu nehmen, da dort üblicherweise zumindest mässig störende Betriebe zonenkonform sind (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 20. Januar 1988 i.S. Bau- u. Immobilien AG, E. 5b). Beizufügen ist, dass die Entsorgung der bei der Tierproduktion entstehenden Abfälle (hier Jauche) für sich allein betrachtet die negative Standortgebundenheit nicht begründen kann. BGE 115 Ib 295 S. 302 d) Zusammenfassend ergibt sich, dass das Wohnhaus als solches die Voraussetzung von Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG nicht erfüllt. Die Standortgebundenheit kann auch nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass das Wohnhaus für die bestehende Schweinezucht allenfalls betriebsnotwendig ist; der Zuchtbetrieb selber ist nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzonen angewiesen und kann insofern die Standortgebundenheit weiterer Bauten nicht begründen. Unter diesen Umständen erübrigt es sich zu prüfen, ob das Bauvorhaben für den Betrieb der Schweinezucht notwendig ist und ob diesem gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG überwiegende Interessen entgegenstehen.
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Sachverhalt ab Seite 70 BGE 147 V 70 S. 70 A. Der im Dezember 1950 geborene A. ersuchte im September 2018 die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) um eine Vorausberechnung seiner Altersrente, wobei er bekanntgab, dass er die Rente um drei Jahre aufschieben wolle. Mit Schreiben vom 11. September 2018 wies die Ausgleichskasse des Kantons Zürich den Versicherten darauf hin, dass er das ordentliche Rentenalter bereits im Dezember 2015 erreicht und somit den Rentenaufschub nicht fristgerecht geltend gemacht habe. Im Juni 2019 meldete sich A. zum Bezug einer Altersrente mit Rentenaufschub an. Mit Verfügung vom 21. August 2019 wies die Ausgleichskasse das Gesuch um Rentenaufschub inklusive Aufschubszuschlag ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2019 fest. Sodann sprach sie A. mit Verfügung vom 12. November 2019 eine monatliche Altersrente BGE 147 V 70 S. 71 von Fr. 961.- ab dem 1. Januar 2016 resp. von Fr. 970.- ab dem 1. Januar 2019 zu. B. Mit Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 4. Oktober 2019 verlangte A. den Aufschub der Altersrente bis zur Vollendung des 70. Altersjahres. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies das Rechtsmittel mit Entscheid vom 23. Juni 2020 ab. C. A. beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Aufhebung des Entscheids vom 23. Juni 2020 sei ihm der Aufschub der ordentlichen AHV-Altersrente bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres und ab dann die Altersrente mit dem Gegenwert der nicht bezogenen Leistung ("Aufschubszuschlag") zu gewähren. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte gegenüber der AHV den Aufschub seiner Altersrente erstmals im September 2018 (mit dem Gesuch um Rentenvorausberechnung) thematisiert und somit nicht innert der Ende 2016 abgelaufenen Frist von Art. 55 quater Abs. 1 AHVV (SR 831.101) schriftlich erklärt hat. 3.2 (...) 3.2.3 Nach dem klaren Wortlaut von Art. 39 Abs. 3 AHVG hat der Gesetzgeber die Regelung des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Rentenaufschub umfassend und ohne Einschränkung an den Bundesrat delegiert ("le Conseil fédéral [...] règle la procédure"; "il Consiglio federale [...] istituisce la procedura"). Vorschriften, wonach ein Recht nur innert einer bestimmten Frist (und allenfalls in einer bestimmten Form) rechtswirksam geltend gemacht werden kann, sind häufig vorkommende verfahrensrechtliche Bestimmungen. So sind etwa Art. 29 Abs. 3 ATSG , der die Einhaltung von Fristen und daran geknüpfte Rechtswirkungen bei der Geltendmachung eines Anspruchs betrifft, sowie Art. 52 Abs. 1 und Art. 60 Abs. 1 ATSG , die materielle Fristvorgaben enthalten, im 4. Kapitel des ATSG über die "Allgemeinen Verfahrensbestimmungen" eingeordnet. Aus der Botschaft vom 4. März 1968 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung und zum Volksbegehren für den weiteren Ausbau von Alters- und Hinterlassenenversicherung und BGE 147 V 70 S. 72 Invalidenversicherung (BBl 1968 I 602) ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Ermessensspielraum des Bundesrats bei der Verfahrensregelung einschränken und die Wahl des Rentenaufschubs unbefristet resp. mindestens bis zum Ablauf der maximalen Aufschubsdauer ermöglichen wollte. Es entspricht denn auch nicht Sinn und Zweck des gesetzlich vorgesehenen Rentenaufschubs, die Versicherten für mehrere Jahre in die Lage zu versetzen, dass sie auf die individuelle Entwicklung ihres Gesundheitszustands reagieren und dementsprechend - rückwirkend - die für sie wirtschaftlich bessere Lösung wählen können, wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat. Zudem lässt sich der versicherungstechnische Gegenwert der nicht bezogenen Leistung und damit der Erhöhungsfaktor (vgl. Art. 39 Abs. 2 und 3 AHVG sowie Art. 55 ter AHVV ) nur zuverlässig berechnen, wenn eine Wahl zwischen Nachzahlung oder Zuschlag (ab einem gewissen Zeitpunkt) ausgeschlossen ist ( BGE 105 V 50 E. 2b S. 52; BGE 98 V 255 E. 1 S. 257). Nach dem Gesagten respektierte der Bundesrat die Grenzen der gesetzlich delegierten Kompetenz, als er in Art. 55 quater Abs. 1 Satz 2 AHVV eine Frist zur Erklärung des Rentenaufschubs statuierte. Die Frist - deren Länge den Rentenaufschub und die damit bezweckten gesetzgeberischen Ziele (vgl. dazu BBl 1968 I 635) nicht verunmöglicht und zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass gibt - ist sachlich begründet und entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht bloss "toter Formalismus" (vgl. auch BGE 98 V 255 E. 1 in fine S. 257). Daran ändert nichts, dass die AHV "strukturell immer defizitär ist", wie der Beschwerdeführer vorbringt. Eine Verfassungswidrigkeit - soweit sie überhaupt qualifiziert gerügt wird (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG ) - im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frist ist somit auch nicht erkennbar. 3.3 Sodann erblickt der Versicherte im Umstand, dass er auch nach Erreichen des AHV-Rentenalters weiterhin AHV-Beiträge bezahlt und keine Rente verlangt habe, eine konkludente, aber dennoch verbindliche Erklärung des Rentenaufschubs. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden, wie bereits im Urteil H 196/90 vom 8. August 1991 E. 2c entschieden wurde. Insbesondere setzt der klare Wortlaut (vgl. zu dessen Bedeutung bei der Auslegung nicht publ. E. 3.2.2.1) von Art. 55 quater Abs. 1 AHVV eine Erklärung in Schriftform ("par écrit", "per iscritto") voraus. Dies dient der Rechtssicherheit und wird denn auch vom Beschwerdeführer nicht substanziiert bestritten (vgl. nicht publ. E. 1). BGE 147 V 70 S. 73 3.4 Indem der Versicherte schliesslich darlegt, er sei nicht rechtzeitig über die Aufschubsmöglichkeit informiert worden, obwohl die Ausgleichskasse jedem betroffenen Versicherten eine entsprechende Mitteilung "automatisch schreiben und versenden lassen" könnte, macht er sinngemäss eine Verletzung von Art. 27 ATSG geltend. Diesbezüglich hat die Vorinstanz zutreffend erkannt, dass nach der Rechtsprechung die Verwaltung nicht verpflichtet ist, von sich aus, ohne entsprechende Nachfrage, jeden Versicherten individuell aufzuklären und zu beraten (Urteil 9C_675/2015 vom 31. Mai 2016 E. 4.2; vgl. auch BGE 133 V 249 E. 7.2 S. 255; SVR 2012 EL Nr. 15 S. 48, 9C_787/2011 E. 5.2). Ein Grund für eine Praxisänderung (vgl. dazu BGE 145 V 304 E. 4.4 S. 309; BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303) ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht (vgl. nicht publ. E. 1). Weshalb die Verwaltung in concreto - über die allgemeine Informationspflicht hinaus (vgl. Art. 67 Abs. 2 AHVV ; SVR 2007 ALV Nr. 20 S. 64, C 36/06 E. 5.2; AHV Merkblatt 3.04, Leistungen der AHV, Flexibler Rentenbezug) - vor September 2018 einen individuellen Aufklärungsbedarf des Beschwerdeführers hätte erkennen müssen, wird ebenfalls nicht substanziiert dargelegt. Die Beschwerde ist demnach auch in diesem Punkt unbegründet.
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Sachverhalt ab Seite 66 BGE 139 I 64 S. 66 X. hat Wohnsitz in L./OW. Er ist Alleinaktionär, einziges Mitglied des Verwaltungsrates und Arbeitnehmer der A. AG. Deren Sitz befindet sich in M./BL in einer Liegenschaft, deren Eigentümer X. ist. Die Aktiengesellschaft, gegründet am 16. November 1998, bezweckt statutengemäss den Verkauf und die Vermittlung von Anlagen der Lager- und Fördertechnik. Zuvor, am 12. Januar 1998, hatte X. die B., ein Einzelunternehmen, in das Handelsregister eintragen lassen. Dessen Zweck besteht im Handel mit Gütern für den innerbetrieblichen Bewegungsablauf (Lagereinrichtungen, Förderanlagen, Anpassrampen und Hebebühnen). Das Einzelunternehmen legte seinen ersten Abschluss für das Geschäftsjahr 2006 vor. Bis dahin hatte es keine aktive Geschäftstätigkeit entfaltet. Am 11. Juni 2007 reichte X. in den Kantonen Obwalden und Basel-Landschaft die Steuererklärung für die Steuerperiode 2006 ein. Darin deklarierte er erstmals ein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. In der Veranlagungsverfügung vom 31. Juli 2009 zog die Steuerverwaltung des Kantons Obwalden sämtliche Steuerfaktoren zur Besteuerung heran, mit Ausnahme jener, die im Zusammenhang mit der ausserkantonalen Liegenschaft stehen. Diese berücksichtigte sie lediglich satzbestimmend. Die Veranlagungsverfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Im Kanton Basel-Landschaft erging die Veranlagungsverfügung am 21. Januar 2010. Neben den Faktoren im Zusammenhang mit der Liegenschaft in M./BL beanspruchte die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft auch das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Die dagegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos. Mit Eingabe vom 15. Juli 2012 erhebt X. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Kantone Basel-Landschaft und Obwalden. Er beantragt sinngemäss, der Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 25. April 2012 sei aufzuheben, und von der Besteuerung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit durch diesen Kanton für die Steuerperiode 2006 sei abzusehen. Eventualiter sei die Veranlagungsverfügung des Kantons Obwalden vom 31. Juli 2009 aufzuheben und von der Besteuerung des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit durch diesen Kanton abzusehen. X. (hiernach: der Steuerpflichtige) rügt einen Verstoss gegen das interkantonale Doppelbesteuerungsverbot ( Art. 127 Abs. 3 BV ). BGE 139 I 64 S. 67 Das Bundesgericht weist die Beschwerde gegen den Kanton Basel-Landschaft ab und heisst jene gegen den Kanton Obwalden gut. Die Sache wird zur Neuveranlagung an die Steuerverwaltung des Kantons Obwalden zurückgewiesen. Die zu viel bezahlten Steuern sind dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten. (Zusammenfassung)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. 3.1 Der Kanton Obwalden bringt als Eventualstandpunkt vor, der Kanton Basel-Landschaft habe sein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Faktoren aus selbständiger Erwerbstätigkeit verwirkt. Die Verwirkungseinrede ist vorweg zu klären. Stellt sie sich als begründet dar, ist die Beschwerde von vornherein gutzuheissen. Andernfalls ist der Frage nachzugehen, ob die Geschäftstätigkeit der Einzelunternehmung im Sinne des interkantonalen Doppelbesteuerungsrechts ein Spezialsteuerdomizil (des Geschäftsorts) begründet. Dies hätte zur Folge, dass es zu einer interkantonalen Steuerausscheidung kommen muss, die dem Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung standzuhalten vermag. 3.2 Praxisgemäss verwirkt ein Kanton im interkantonalen Steuerverhältnis sein Besteuerungsrecht gegenüber der steuerpflichtigen Person, wenn: a) dieser Kanton die für die Steuerpflicht erheblichen Tatsachen kennt oder zumindest kennen kann, b) er dessen ungeachtet mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich lange zuwartet und c) aufgrund des Bezugs des ungebührlich spät geltend gemachten Anspruchs ein anderer Kanton zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden müsste, die er formell korrekt, in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden Steueranspruchs bezogen hat ( BGE 137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 f.; BGE 132 I 29 E. 3.3 S. 33 ff.). Das Institut der Verwirkung des Besteuerungsrechts eines Kantons dient mithin dem Schutz des oder der anderen Kantone (siehe schon BGE 91 I 467 E. 4 S. 475 ff.). Deshalb kann die Verwirkung auch nur durch den anderen Kanton und nicht durch die steuerpflichtige Person geltend gemacht werden (Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 3.1 mit Hinweisen, in: StR 67/2012 S. 828). 3.3 Zur zeitlichen Komponente ("ungebührlich lange zuwartet") unter der heute herrschenden Postnumerandobesteuerung mit einjähriger BGE 139 I 64 S. 68 Gegenwartsbemessung periodischer Steuern (vgl. Art. 41 i.V.m. Art. 208 ff. des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11] bzw. Art. 16 i.V.m. Art. 62 ff. des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14] ) hat sich das Bundesgericht bereits einlässlich geäussert. Es erkannte, das Besteuerungsrecht des (säumigen) Kantons hinsichtlich seiner periodischen Steuern verwirke am Ende des Jahres, das der Veranlagungsperiode folgt ( BGE 132 I 29 E. 3.3, insb. S. 35: "... dans l'année qui suit la période de taxation - et non plus dans l'année qui suit la période fiscale"). Dies bedeutet Folgendes: Fallen die Steuerperiode und damit auch die Bemessungsperiode auf das Jahr "n", erstreckt sich die Veranlagungsperiode über das Jahr "n+1" und verwirkt das Besteuerungsrecht des untätigen Kantons damit am Ende des Jahres "n+2". Dabei blieb es in der genannten Konstellation, selbst wenn die Veranlagungsverfügung für das Jahr "n" hierauf (erst) im Jahr "n+4" erging ("Il est sans importance à cet égard que la procédure de taxation n'ait pas été terminée du moment qu'elle a suivi son cours et que le canton de [X] connaissait les prétentions ... [du canton de Y]"; BGE 132 I 29 E. 3.4 S. 35). Von der doppelbesteuerungsrechtlichen Verwirkung ( péremption ) des Besteuerungsrechts des Kantons ist die harmonisierungsrechtliche Verjährung ( prescription ) des Veranlagungsrechts zu unterscheiden. Nach den üblichen Regeln ist zur Wahrung des Rechts auf Vornahme der Veranlagung erforderlich, dass die Verfügung vor Ablauf der relativen fünfjährigen Verjährungsfrist ergeht ( Art. 47 Abs. 1 StHG für die kantonalen und kommunalen Steuern, Art. 120 DBG für die direkte Bundessteuer). Zur Unterbrechung des Laufs der Veranlagungsverjährung genügt die schriftliche Mitteilung der Steuerbehörde, worin diese die spätere Veranlagung der periodischen Steuer in Aussicht stellt und womit sie einstweilen lediglich beabsichtigt, den Lauf der Verjährung zu unterbrechen ( Art. 120 Abs. 3 lit. a DBG ; BGE 137 I 273 E. 3.4.3 S. 282; BGE 126 II 1 E. 2 S. 2 ff.; vgl. BGE 133 II 366 zur Vollstreckung verjährter periodischer Steueransprüche). 3.4 Dieselben Formerfordernisse gelten sinngemäss auch im Doppelbesteuerungsrecht. So ist es hinsichtlich der Form der "Erhebung" des Steueranspruchs nach der neueren Praxis des Bundesgerichts ausreichend, wenn die Steuerbehörde (positiv) das Veranlagungsverfahren innerhalb der (Verwirkungs-)Frist einleitet ( BGE 137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 f.; BGE 132 I 29 E. 3.2 S. 32; BGE 123 I 264 E. 2c S. 266; Urteile 2C_396/2011 vom 26. April 2012 E. 3.1.1, in: StE 2012 A 24.1 BGE 139 I 64 S. 69 Nr. 7; 2C_619/2010 vom 22. November 2011 E. 4.2, in: StR 66/2011 S. 419 und LOCHER/LOCHER, in: Die Praxis der Bundessteuern, Teil 3: Das Interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, Stand: 2012, § 2 IVD Nr. 44) und zudem hernach (negativ) den Abschluss der Veranlagungstätigkeit nicht ungebührlich lange verzögert, es sei denn, die Steuerbehörde vermöge sich hierzu auf hinreichende Gründe zu stützen. Auch das jüngst ergangene Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 3.1 ist nicht anders zu verstehen, wenngleich dort die Veranlagungsverfügung schon im Jahr "n+2" ergangen war. Eingeleitet wird die Veranlagung periodischer Steuern mit der ersten, nach aussen wirksamen, d.h. in der Regel schriftlichen Handlung der Steuerbehörde, die auf die Veranlagung der steuerpflichtigen Person gerichtet ist. Zumeist besteht diese Einleitungshandlung in der Zustellung des Steuererklärungsformulars ( BGE 112 Ib 88 E. 1 S. 90). Fristwahrend wirken etwa auch die Mahnung zur Einreichung einer Steuererklärung, die Ankündigung und Vornahme einer Buchprüfung, die Eröffnung der definitiven oder bloss provisorischen Steuerveranlagung, die Aufforderung oder Mahnung zur Zahlung usw. ( BGE 126 II 1 E. 2c S. 3; Urteile 2C_426/2008 vom 18. Februar 2009 E. 6.6.2, in: ASA 79 S. 608 [zur Mehrwertsteuer]; 2A.25/2006 vom 9. Juni 2006 E. 2; 2A.227/1996 vom 26. September 1997 E. 3a; 2A.240/1994 vom 23. Dezember 1994 E. 1). Auch die Zustellung einer provisorischen Steuerrechnung aufgrund der Steuererklärung stellt eine solche Einforderungshandlung dar ( BGE 75 I 174 E. 3 S. 178). Die frühere Praxis, die noch innerhalb der Verwirkungsfrist den Erlass eines anfechtbaren Entscheides verlangte, handle es sich um einen Leistungs- (Veranlagungsverfügung) oder einen Feststellungsentscheid (Domizilverfügung), ist insoweit überholt (so namentlich noch BGE 91 I 467 E. 4b S. 477 mit Hinweisen und etwa das Urteil 2P.153/2000 vom 16. Mai 2001 E. 3b, in: RDAF 2001 II S. 521 und StR 56/2001 S. 813; vgl. MICHAEL BEUSCH, in: Interkantonales Steuerrecht, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Beusch/Mäusli-Allenspach [Hrsg.], Bd. III/1, 2011, § 42 N. 4; ders. , Der Untergang der Steuerforderung, 2012, S. 273; XAVIER OBERSON, Droit fiscal suisse, 4. Aufl. 2012, § 20 N. 16; DANIEL DE VRIES REILINGH, La double imposition intercantonale, 2005, N. 950; HÖHN/MÄUSLI, Interkantonales Steuerrecht, 4. Aufl. 2000, S. 573; ARNOLD SCHLUMPF, Bundesgerichtspraxis zum Doppelbesteuerungs-Verbot, 3. Aufl. 1963 [neu bearbeitet von KARL DÜRR, inkl. Nachtrag 1969], S. 315 f.) BGE 139 I 64 S. 70 Dementsprechend hat ein Kanton seinen Anspruch auf periodische Steuern im interkantonalen Verhältnis bis spätestens zum Ende des Jahrs "n + 2" gegenüber der steuerpflichtigen Person schriftlich und unmissverständlich anzumelden. Eine anfechtbare Verfügung ist für die Wahrung der doppelbesteuerungsrechtlichen Verwirkungsfrist entbehrlich (gl.M. MARTIN ARNOLD, Der steuerrechtliche Wohnsitz natürlicher Personen im interkantonalen Verhältnis, ASA 68 S. 449 ff., insb. 488, und PETER LOCHER, Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 3. Aufl. 2009, S. 163). Sie spielt nach dem Gesagten eine Rolle, soweit es um die Wahrung der harmonisierungsrechtlichen Verjährungsfrist geht, welche allerdings unterbrochen werden kann. 3.5 Im vorliegenden Fall liess die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ( Art. 105 Abs. 1 BGG ) dem Steuerpflichtigen die Steuererklärung für die Steuerperiode 2006 zu Beginn des Jahres 2007 ("n+1") zukommen. Dies geschah aufgrund des in diesem Kanton gelegenen Grundeigentums. In der Folge deklarierte der Steuerpflichtige erstmals ein Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Die Veranlagungsverfügung des Kantons Basel-Landschaft erging dann zwar erst im Jahr "n+4", nämlich am 21. Januar 2010. Damit wahrte der Kanton Basel-Landschaft freilich sein Besteuerungsrecht sowohl doppelbesteuerungs- (keine Verwirkung) als auch harmonisierungsrechtlich (keine Verjährung). Er hat seinen Anspruch auf die periodischen Steuern des Jahres 2006 rechtzeitig und formgültig im Sinne der geschilderten Praxis kundgetan. Ob er dies mit Blick auf das Grundeigentum oder auch den Geschäftsbetrieb tat, ist von keiner Bedeutung. Es liegt im Wesen der gemischten Veranlagung ( Art. 123 Abs. 1 DBG ) begründet, dass die Steuerbehörde bei Einleitung der Veranlagung noch nicht umfassend darüber Bescheid weiss, welche Einkommensquellen die steuerpflichtige Person im betreffenden Jahr hatte und welche Vermögenswerte ihr zur Verfügung standen. Dementsprechend ist dem Kanton Basel-Landschaft auch nicht vorzuwerfen, er sei beim Versand der Steuererklärung zu Unrecht davon ausgegangen, dass (lediglich) ein Nebensteuerdomizil zufolge des Liegenschaftsorts bestehe. Wenn die Vorinstanz in für das Bundesgericht verbindlicher Weise zudem festhält, die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft habe in der Folge eine Buchprüfung vorgenommen und dabei die Aktivitäten von Einzelunternehmung und Aktiengesellschaft untersucht, stellt dies eine weitere fristwahrende Tätigkeit dar. BGE 139 I 64 S. 71 Entgegen der Sichtweise des Kantons Obwalden lässt sich auch nicht sagen, der Kanton Basel-Landschaft habe (nach Anhebung der Veranlagungsarbeiten) mit dem Abschluss der Veranlagung ungebührlich lange zugewartet. Gegenteils ist darauf hinzuweisen, dass der Kanton Obwalden zum einen durchaus um die selbständige Erwerbstätigkeit wusste. So nahm die Steuerverwaltung des Kantons Obwalden die Veranlagung 2006 unter Einbezug aller deklarierten Steuerfaktoren vor, ausser jenen, die im Zusammenhang mit der ausserkantonalen Liegenschaft stehen. Zum andern liess auch er sich mit der Veranlagung verhältnismässig viel Zeit, erging die Veranlagungsverfügung des Kantons Obwalden doch erst am 31. Juli 2009 ("n+3"). 3.6 Damit ist die Verwirkungseinrede des Kantons Obwalden hinsichtlich der im Kanton Basel-Landschaft ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit insoweit unbegründet. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die Koordination zwischen den beiden Kantonen nicht restlos geglückt ist, zumal sich die beiden Kantone in ihren Vernehmlassungen gegenseitig eine übermässig lange Verfahrensdauer vorwerfen. Der Kanton Obwalden bemängelt überdies, der Kanton Basel-Landschaft habe es unterlassen, ihm gegenüber einen Steueranspruch geltend zu machen. Gestützt auf Art. 39 Abs. 2 und Art. 74 StHG legt Art. 2 Abs. 3 der Verordnung vom 9. März 2001 über die Anwendung des Steuerharmonisierungsgesetzes im interkantonalen Verhältnis (SR 642.141) fest, die Steuerbehörde des Wohnsitz- oder des Sitzkantons habe den Steuerbehörden der anderen Kantone ihre Steuerveranlagung einschliesslich der interkantonalen Steuerausscheidung und allfälliger Abweichungen gegenüber der Steuererklärung kostenlos mitzuteilen (vgl. zur interkantonalen Sitzverlegung einer juristischen Person Urteil 2P.212/2004 vom 23. November 2004 E. 3.2, in: StR 60/2005 S. 113 und RtiD 2005 I S. 689 [Zusammenfassung]). Aufgrund dieser Meldepflicht kommt dem Hauptsteuerdomizil "faktisch eine Führungsrolle" zu (MARTIN ZWEIFEL, in: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern [...], in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Athanas [Hrsg.], Bd. I/1, 2. Aufl. 2002, N. 29 zu Art. 39 StHG ). Im heutigen, von elektronischer Datenverarbeitung und ebensolchen Kommunikationsmitteln geprägten Veranlagungsumfeld ist es gerade in einem Fall der ausserkantonalen selbständigen Erwerbstätigkeit angezeigt, schon vor Erlass der Veranlagungsverfügung den Kontakt zu suchen. Veranlagt der Kanton des Nebensteuerdomizils, noch ehe das Hauptsteuerdomizil seine BGE 139 I 64 S. 72 Veranlagungsverfügung erlassen hat, kann er dies praxisgemäss lediglich auf provisorischer Basis tun (vgl. zum Recht der direkten Bundessteuer Art. 162 DBG ), ansonsten bei abweichender Veranlagung des Hauptsteuerdomizils die Möglichkeit der Nachsteuererhebung entfällt (Urteil 2A.585/2005 vom 8. Mai 2006 E. 3.4.2, in: StE 2007 B 97.41 Nr. 19). Dass der Kanton Basel-Landschaft die Veranlagung des Kantons Obwalden abwartete, ist auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, dass der im Kanton Obwalden ansässige Steuerpflichtige Alleinaktionär, einziges Mitglied des Verwaltungsrats und Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Kanton Basel-Landschaft ist, wie die Vorinstanz in für das Bundesgericht verbindlicher Weise feststellte. Gesellschafter und Gesellschaft sind, anders als bei ausserkantonaler selbständiger Erwerbstätigkeit, zwei verschiedene Steuersubjekte (Urteile 2A.775/2006 vom 18. Juni 2007 E. 1.2; 2A.466/2006 vom 16. Januar 2007 E. 2.2). Allein dies erfordert einen amtshilfeweisen Datenaustausch und legt es dem Grundsatz nach nahe, dass der Kanton der Ansässigkeit des Aktionärs (hier: Obwalden) die Veranlagungsarbeiten des Kantons der Ansässigkeit der Aktiengesellschaft abwartet oder zumindest im Auge behält. Dies alles erfordert einen intensiven Austausch der beiden Steuerverwaltungen. Ihnen kommt wechselseitig die Quasi-Funktion einer Leitbehörde zu. Vor dem Hintergrund einer interkantonalen Struktur, wie sie der Steuerpflichtige gewählt hat, ist die Verwirkung des Besteuerungsrechts eines Kantons damit nicht leichthin anzunehmen.
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Sachverhalt ab Seite 59 BGE 130 III 58 S. 59 A. JohnsonDiversey Europe B.V., Utrecht (ci-après: JohnsonDiversey Europe) est une société dont le but est l'import-export, la fabrication, le traitement et le commerce de marchandises, principalement de produits de nettoyage. Elle dispose d'une succursale dans le canton de Thurgovie, inscrite au registre du commerce sous la désignation JohnsonDiversey Europe B.V., Utrecht, Zweigniederlassung Münchwilen. B. Le 4 octobre 2002, JohnsonDiversey Europe a demandé, pour sa succursale JohnsonDiversey Europe B.V., Utrecht, Zweigniederlassung Münchwilen, l'inscription du nom commercial et de l'enseigne " JohnsonDiversey Schweiz " auprès du registre du commerce du canton de Thurgovie. Celui-ci a procédé à l'inscription requise et l'a transmise à l'Office fédéral du registre du commerce (ci-après: OFRC) pour approbation. Le 15 octobre 2002, l'OFRC a refusé de donner son approbation et a avisé l'autorité cantonale qu'il suspendait électroniquement l'inscription. Le 7 novembre 2002, JohnsonDiversey Europe a interjeté un recours de droit administratif auprès du Tribunal fédéral contre BGE 130 III 58 S. 60 l'annonce de suspension de l'OFRC du 15 octobre 2002. L'OFRC a conclu à l'irrecevabilité du recours. Dans sa réplique devant le Tribunal fédéral, JohnsonDiversey Europe, tout en maintenant sa position selon laquelle l'acte du 15 octobre 2002 émanant de l'OFRC constituait une décision finale, a manifesté sa volonté d'obtenir de l'OFRC une décision formelle concernant l'inscription litigieuse au registre du commerce de Thurgovie. Par décision du 28 mars 2003 adressée au mandataire de JohnsonDiversey Europe, l'OFRC a déclaré ne pas approuver l'inscription n° 3612 du journal du 14 octobre 2002 du registre du commerce de Thurgovie concernant JohnsonDiversey Europe B.V., Utrecht, Zweigniederlassung Münchwilen. L'Office a toutefois soumis sa décision à la condition que le Tribunal fédéral n'entre pas en matière sur le recours du 7 novembre 2002. Par arrêt du 25 juin 2003 dont le dispositif a été notifié aux parties le 3 juillet 2003, la Cour de céans a déclaré irrecevable le recours déposé le 7 novembre 2002 par JohnsonDiversey Europe. C. Le 1 er septembre 2003, JohnsonDiversey Europe a interjeté un recours de droit administratif au Tribunal fédéral à l'encontre de la décision de l'OFRC du 28 mars 2003. Elle a conclu, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée et à ce que l'inscription " JohnsonDiversey Schweiz, JohnsonDiversey Suisse, JohnsonDiversey Switzerland " soit ordonnée en tant que nom commercial et en tant qu'enseigne au registre du commerce de Thurgovie. L'OFRC a proposé le rejet du recours, avec suite de frais.
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Erwägungen Extrait des considérants: 3. En vertu de l' art. 114 al. 1 de l'ordonnance du 7 juin 1937 sur le registre du commerce (ORC; RS 221.411) , le préposé au registre du commerce transmet à l'OFRC, au plus tard le jour qui suit l'inscription, une copie de celle-ci. Cet office examine les inscriptions et, s'il constate qu'elles sont conformes aux prescriptions, il en ordonne la publication (cf. art. 115 al. 1 ORC ). S'il refuse d'approuver une inscription, il en informe sans délai le préposé intéressé et lui indique les motifs de son refus ( art. 117 al. 1 ORC ). La décision attaquée fait suite à cette procédure et constitue la confirmation formelle et définitive du refus de l'OFRC d'approuver BGE 130 III 58 S. 61 l'inscription au registre du commerce de la désignation " JohnsonDiversey Schweiz " en tant que nom commercial et enseigne se rapportant à la succursale de la recourante basée dans le canton de Thurgovie. 4. 4.1 A l'appui de son refus, l'OFRC relève en substance que l'utilisation de cette désignation risque de tromper les tiers sur la nature juridique de l'entreprise établie en Suisse, car ceux-ci pourraient légitimement croire que cette entité constitue un sujet de droit autonome capable de nouer des relations juridiques indépendantes, alors qu'en réalité il ne s'agit que d'une succursale, sans personnalité juridique. 4.2 La recourante soutient, pour sa part et en résumé, que les motifs avancés par l'autorité intimée sont injustifiés. De son point de vue, " JohnsonDiversey Schweiz " serait un nom commercial admissible selon la loi, les directives, ainsi que la pratique de l'OFRC, et il en irait a fortiori de même de son utilisation comme enseigne. En outre, la décision attaquée violerait le principe de la légalité et de la bonne foi, car elle serait en contradiction avec les directives et les règles édictées par l'OFRC lui-même. 5. 5.1 La recourante est une société étrangère qui dispose d'une succursale en Suisse. En vertu de l' art. 160 al. 1 LDIP , cette succursale est en principe régie par le droit suisse. On peut toutefois se demander si, en application de l' art. 155 let . d LDIP, le nom ou la raison sociale de la succursale suisse d'une société étrangère ne relève pas en définitive du droit de la société principale (cf. KÜNG/MEISTERHANS/ZENGER/BLÄSI/NUSSBAUM, Kommentar zur Handelsregisterverordnung, Handbuch für das Handelsregister, vol. VII, Zurich 2000, n. 6 ad art. 70 ORC ; VISCHER, IPRG-Kommentar, Zurich 1993, n. 11 s. ad art. 160 LDIP ; DUTOIT, Commentaire de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 3 e éd., Bâle 2001, n. 1 s. ad art. 160 LDIP ). Cette question peut demeurer indécise, car le litige se limite à l'inscription au registre du commerce suisse du nom commercial et de l'enseigne choisis pour la succursale de la recourante se trouvant en Suisse. Dans un tel cas de figure, c'est exclusivement en fonction des prescriptions impératives du droit public suisse régissant le registre du commerce qu'il convient de se prononcer sur l'inscription litigieuse (cf. ATF 113 II 280 consid. 3b p. 282; ATF 102 Ib 16 consid. 1, ATF 102 Ib 110 consid. 2; ATF 93 I 561 consid. 1). BGE 130 III 58 S. 62 5.2 Le nom commercial est une désignation spéciale qui s'attache à qualifier l'entreprise en tant que telle, sans lien avec le local affecté au commerce (KÜNG, Commentaire bernois, n. 296 ad art. 932 CO ). L'enseigne commerciale se rapporte en revanche au local affecté au commerce (cf. MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 9 e éd., Berne 2004 [recte: 2003], p. 164 n os 21 et 23; OFRC, Guide à l'attention des autorités du registre du commerce concernant l'examen des raisons de commerce et des noms, Berne, janvier 1998, n o 200 ss p. 37). Il ressort du texte de l' art. 48 ORC que l'inscription au registre du commerce de ces deux désignations spéciales est facultative, ce qui signifie que l'intéressé est libre d'en demander l'inscription, mais qu'il est en droit de l'obtenir, lorsque les conditions en sont remplies (VIANIN, L'inscription au registre du commerce et ses effets, thèse Fribourg 2000, p. 127). Cette inscription n'a qu'une fonction de preuve (KÜNG, op. cit., n. 298 ad art. 932 CO ); elle ne confère aucun droit à l'usage exclusif ( art. 48 2 e phrase ORC). 5.3 Les noms commerciaux et les enseignes ne doivent pas forcément correspondre à la raison de commerce (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, op. cit., p. 164 n o 22; Guide de l'OFRC précité, n os 201 et 204 p. 37). Toutefois, leur contenu est soumis à des exigences semblables (cf. KÜNG, op. cit., n. 299 ad art. 932 CO ; BÜHLER, Grundlagen des materiellen Firmenrechts, thèse Zurich 1991, p. 84). Ainsi, l'art. 48 in fine ORC renvoie aux dispositions concernant la formation des raisons de commerce, notamment à l' art. 38 al. 1 ORC , qui prévoit que toutes les inscriptions au registre du commerce doivent être conformes à la vérité et ne rien contenir qui soit de nature à induire en erreur ou contraire à un intérêt public. L'interdiction des indications fallacieuses ou trompeuses est en particulier violée lorsqu'un public moyen peut tirer des conclusions erronées quant au siège, à la nature de l'entreprise ou quant à son genre d'activité. Il importe peu qu'il existe une volonté de tromper ou que le responsable ait été conscient du risque d'erreur ( ATF 123 III 220 consid. 4b p. 226 et les références citées). Ce risque ne doit pas être examiné de façon abstraite, mais en fonction des circonstances particulières du cas d'espèce (arrêt du Tribunal fédéral 4A.5/2000 du 25 janvier 2001, publié in sic! 4/2001 p. 327, consid. 4a; ATF 117 II 192 consid. 4b/bb p. 197; ATF 112 II 59 consid. 1b p. 61; ATF 108 II 130 consid. 4). BGE 130 III 58 S. 63 L'examen de la conformité d'une inscription avec l' art. 38 ORC est une question d'appréciation. Conformément à l' art. 104 let. a OJ , le Tribunal fédéral ne substitue pas sa propre appréciation à celle de l'OFRC, mais n'intervient qu'en cas d'abus (cf. ATF 116 II 605 consid. 4a). Il vérifie donc seulement que l'autorité s'est laissée guider par des critères objectivement déterminants et qu'elle a fondé sa décision sur le droit et l'équité ( ATF 112 II 59 consid. 2; ATF 104 Ib 264 consid. 2b p. 266; ATF 102 Ib 16 consid. 2b in fine). Il convient ainsi d'examiner si, compte tenu des circonstances, l'OFRC a abusé de son pouvoir d'appréciation en refusant, sur la base de l' art. 38 al. 1 ORC , l'inscription au registre du commerce de la désignation " JohnsonDiversey Schweiz " en tant que nom commercial et enseigne de la succursale en Suisse de la recourante. 6. 6.1 La notion de succursale a des contours imprécis et il n'est pas facile pour un agent économique de s'assurer que l'établissement avec lequel il est en relation présente bien les caractéristiques d'une succursale (VIANIN, op. cit., p. 314). Cette difficulté est accrue lorsque le siège de l'entreprise auquel se rattache la succursale se trouve à l'étranger. En ce domaine, l' art. 952 CO impose des exigences particulières quant à la désignation de la raison de commerce des succursales (al. 1), qui sont renforcées lorsque le siège de l'entreprise est à l'étranger (al. 2). Cet alinéa, repris textuellement à l' art. 70 al. 2 ORC , prévoit que, dans cette hypothèse, la raison de la succursale indiquera en outre le siège de l'établissement principal, celui de la succursale et la désignation expresse de celle-ci avec sa qualité. En d'autres termes, l'inscription au registre du commerce de la succursale suisse d'une entreprise dont le siège principal se trouve à l'étranger doit indiquer, sans qu'il n'y ait d'ambiguïté, qu'il s'agit d'une succursale. Il n'est pas admissible d'utiliser des expressions qui laisseraient planer un doute (REBSAMEN, Das Handelsregister, 2 e éd., Zurich 1999, n o 1552 p. 355; en ce sens également: GAUCH, Der Zweigbetrieb im schweizerischen Zivilrecht, Zurich 1974, n o 1480). 6.2 L'emploi de désignations nationales et territoriales, anciennement prohibé, est libre depuis le 1 er janvier 1998, pour autant que celles-ci soient conformes à la vérité, qu'elles ne revêtent pas un caractère trompeur et qu'elles soient compatibles avec l'intérêt public (ALTENPOHL, Commentaire bâlois, n. 24 ad art. 944 CO ; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, op. cit., p. 178 s. n o 88). Selon l'OFRC, des BGE 130 III 58 S. 64 désignations géographiques peuvent être utilisées lorsqu'elles servent à individualiser les sociétés qui font partie d'un groupe, à condition qu'une telle désignation corresponde au rayon d'influence territoriale de la société membre du groupe, tel qu'il ressort du but de la société, ou que les sociétés membres du groupe ne portent pas la même raison de commerce (Guide de l'OFRC précité, n o 54 ss p. 9 s.). Les filiales suisses d'un groupe de sociétés dont la maison-mère se trouve à l'étranger peuvent ainsi ajouter la désignation "Suisse" ou "Schweiz" à leur raison de commerce, en particulier pour délimiter leur rayon d'activité (cf. ALTENPOHL, op. cit., n. 25 ad art. 944 CO ; KÜNG, op. cit., n. 167 ad art. 932 CO ). En revanche, les instructions de l'OFRC ne peuvent être comprises comme s'appliquant également aux succursales, dont on a vu que les raisons doivent contenir les mentions obligatoires prévues à l' art. 952 al. 2 CO (cf. supra consid. 6.1). L'énumération de ces différentes catégories d'entreprises dans l'annuaire téléphonique démontre du reste que la mention "Suisse" ou "Schweiz" est caractéristique des filiales et non des succursales. On peut lire, par exemple, Crédit Agricole Indosuez (Suisse) S.A., Opel Suisse S.A., Campari Schweiz AG, IBM (Schweiz) AG pour désigner les filiales situées en Suisse de groupes de sociétés dont la maison-mère est à l'étranger, alors que les succursales en Suisse de sociétés étrangères se présentent ainsi: CityBank NA, New York, succursale de Genève, Banque Ippa & Associés Luxembourg, succursale de Lausanne, Agridec (Bruxelles), succursale de Genève, Tunnel Services Limited, succursale de Genève, etc. Il en découle que le public suisse moyen risque d'être induit en erreur par l'utilisation du nom commercial " JohnsonDiversey Schweiz " pour désigner une succursale appartenant à une société étrangère. En effet, même si, en vertu de l' art. 47 ORC , la raison de commerce de la succursale, telle qu'inscrite au registre du commerce et qui comporte les mentions obligatoires prévues par l' art. 952 al. 2 CO , doit figurer de manière complète et inchangée sur les lettres, les bulletins de commande et les factures, ainsi que les communications des sociétés, l'utilisation complémentaire notamment du nom commercial et de l'enseigne est aussi admissible. La probabilité existe ainsi qu'un lecteur moyennement attentif ne retienne que la désignation la plus simple mise en évidence, en l'occurrence " JohnsonDiversey Schweiz ". Or, cette désignation peut, à tort, lui faire croire à l'existence d'une filiale suisse d'un groupe BGE 130 III 58 S. 65 internatio nal de sociétés, alors qu'il ne s'agit que d'une succursale, soit d'une entité sans personnalité juridique. Un tel risque de confusion n'est pas conforme à l'interdiction des indications fallacieuses ou trompeuses que le nom commercial doit également respecter (cf. supra consid. 5.3). L'entreprise doit ainsi faire en sorte que "l'étiquette qu'elle utilise pour se présenter corresponde à son contenu", car les tiers qui sont en contact avec une société doivent pouvoir en déduire sa structure et le type de responsabilité qui en découle (cf. MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, op. cit., p. 172 n o 55). Or, comme on vient de le voir, le nom commercial proposé par la recourante peut, pour le public moyen, faire penser à l'existence d'une autre forme juridique de société que celle en présence, ce qui est contraire aux principes de clarté et de véracité que doit respecter le registre du commerce (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, op. cit., p. 176 n o 76; cf. HILTI, Firmenrecht, in Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, vol. III, Bâle 1996, p. 242). Il résulte de ce qui précède que le refus de l'OFRC d'approuver l'inscription au registre du commerce du nom de la succursale suisse de la recourante repose sur des motifs objectifs liés au risque de confusion avec l'existence d'une filiale et n'apparaît pas contraire au droit ou à l'équité. Certes, il faut relever qu'il s'agit d'un cas limite, mais, comme il l'a été souligné (cf. supra consid. 5.3), l'OFRC jouit en cette matière d'un pouvoir d'appréciation et le Tribunal fédéral n'a pas à se substituer à cette autorité, mais il doit se limiter à intervenir en cas d'abus. En l'occurrence, on ne discerne pas d'abus dans la manière dont l'OFRC a exercé son pouvoir d'appréciation en refusant l'inscription en cause, de sorte que la décision attaquée doit être confirmée en ce qui concerne le nom commercial. 6.3 L'enseigne étant soumise aux mêmes exigences que le nom commercial (cf. art. 48 al. 1 ORC ), on ne peut, pour les mêmes motifs, faire grief à l'OFRC d'avoir aussi refusé l'inscription de la désignation proposée en qualité d'enseigne. 6.4 La décision de l'OFRC étant conforme aux dispositions légales applicables, les critiques de la recourante selon lesquelles la décision attaquée ne correspondrait ni aux directives ni à la pratique de l'autorité intimée ne sont pas pertinentes. Même si ces inscriptions avaient été accordées à tort, la recourante n'en tirerait d'ailleurs pas un droit à être à son tour traitée de manière illégale (cf. ATF 91 I 212 consid. 3c p. 217 s.). Au demeurant, comme on l'a vu, les BGE 130 III 58 S. 66 directives de l'OFRC, en particulier les indications concernant les groupes de sociétés, visent les filiales suisses de sociétés dont la maison-mère se situe à l'étranger et non les succursales situées en Suisse d'entreprises étrangères (cf. supra consid. 6.2). En outre, les exemples tirés de la pratique de l'OFRC dont cherche à se prévaloir la recourante ne démontrent pas de contradiction dans la position de l'office, car les noms commerciaux de succursales cités ne contiennent pas de référence qui pourrait faire penser à l'existence d'une filiale en Suisse, plutôt que d'une succursale. II s'agit pourtant de l'élément déterminant qui justifie en l'espèce le refus de l'inscription des désignations spéciales proposées par la recourante. 6.5 Enfin, comme on ne discerne aucune violation de la loi ni de contradiction entre la décision attaquée et les directives, ainsi que la pratique de l'OFRC, les critiques de la recourante concernant la violation du principe de la légalité et de la bonne foi par l'autorité intimée sont privées de tout fondement. Le recours doit par conséquent être rejeté.
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Sachverhalt ab Seite 215 BGE 128 I 215 S. 215 Les autorités judiciaires vaudoises ont refusé à Care SA l'autorisation de se constituer partie civile dans une cause pénale, au motif qu'elle n'était pas directement lésée par les actes éventuellement commis au préjudice du plaignant. Le Tribunal fédéral a jugé son recours de droit public recevable, mais mal fondé.
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Erwägungen Extrait des considérants: 2. Aux termes de l' art. 87 al. 2 OJ , le recours de droit public n'est recevable contre des décisions préjudicielles ou incidentes que s'il peut en résulter un préjudice irréparable. Selon la jurisprudence, la BGE 128 I 215 S. 216 décision finale est celle qui met un terme au procès, qu'il s'agisse d'un prononcé sur le fond ou d'une décision appliquant le droit de procédure. En revanche, une décision est incidente lorsqu'elle intervient en cours de procès et constitue une simple étape vers la décision finale; elle peut avoir pour objet une question de procédure ou une question de fond jugée préalablement à la décision finale ( ATF 123 I 325 consid. 3b p. 327; ATF 122 I 39 consid. 1 p. 41). 2.1 Il n'est pas douteux que, dans une cause pénale, la décision par laquelle l'autorité d'instruction autorise une personne à intervenir en qualité de partie civile est incidente, car elle ne met pas fin au procès pénal; elle ne cause au prévenu aucun préjudice irréparable, de sorte que celui-ci ne peut pas agir de suite par la voie du recours de droit public; il doit, au contraire, attendre l'issue du procès (arrêts 1P.450/1994 du 26 octobre 1994 et 1P.582/1994 du 12 octobre 1994). 2.2 La situation est moins claire lorsque l'autorité, comme en l'espèce, refuse l'autorisation d'intervenir et que sa décision est contestée par le plaideur ainsi éconduit. Le Tribunal fédéral a parfois considéré la décision comme incidente, compte tenu qu'elle ne termine pas le procès pénal. En particulier, dans une affaire concernant un établissement d'assurance qui, selon le droit cantonal applicable, jouissait d'un droit d'accès au dossier même s'il n'intervenait pas en qualité de partie, le recours de droit public a été déclaré irrecevable au motif que le recourant n'exposait aucun élément de fait ou de droit propre à démontrer le risque d'un préjudice irréparable (arrêt 1P.114/2002 du 7 mai 2002). Dans un cas semblable, où le statut de l'intervenant ne présentait cependant pas de particularité, le Tribunal fédéral a laissé indécise la question du préjudice irréparable, compte tenu que le recours, même s'il était recevable, devait de toute façon être rejeté (arrêt 1P.580/2001 du 22 janvier 2002, consid. 1.3). En d'autres occasions, le Tribunal fédéral a examiné la décision d'un point de vue particulier au plaideur concerné, et l'a jugée finale parce que ledit plaideur était définitivement exclu du procès pénal; le recours de droit public était alors déclaré recevable au regard de l' art. 87 OJ (arrêt 1P.231/1998 du 16 juillet 1998, consid. 2b; voir aussi l'arrêt 1P.620/2001 du 21 décembre 2001, consid. 1 in fine). 2.3 De ces deux approches, la première correspond le mieux à la définition textuelle de la décision incidente, telle que reproduite dans les arrêts publiés du Tribunal fédéral. Elle ne prend toutefois pas suffisamment en considération que dans le système de l'organisation BGE 128 I 215 S. 217 judiciaire fédérale, les décisions incidentes sont, en principe, toujours susceptibles d'un contrôle de leur conformité aux droits constitutionnels des citoyens: l' art. 87 al. 3 OJ précise que si le recours de droit public séparé n'est pas recevable, celui-ci est possible conjointement avec la décision finale. Or, le plaideur auquel la qualité de partie est refusée n'a, par la suite, aucun droit de recevoir communication des décisions prises dans le procès; en particulier, le prononcé final, à l'occasion duquel il devrait pouvoir recourir, ne lui est pas notifié. Ce contexte juridique ne lui fournit donc aucune occasion d'épuiser, si nécessaire, les instances cantonales, puis de recourir au Tribunal fédéral. Il ne peut le faire que dans l'hypothèse où il apprend de façon informelle qu'une décision finale est intervenue. Cette solution est insatisfaisante déjà en raison de son caractère aléatoire et étranger au système de l'organisation judiciaire; de plus, en pareil cas, le calcul du délai de recours présente des incertitudes qu'il faut, autant que possible, éviter (cf. ATF 119 Ib 64 consid. 3b p. 71; ATF 112 Ib 417 consid. 2d p. 422; arrêt 2A.293/2001 du 21 mai 2002, consid. 1b). Pour juger du caractère final ou, au contraire, incident de la décision par laquelle une constitution de partie civile est refusée, il apparaît donc préférable de se prononcer du point de vue relatif au plaideur concerné, et d'admettre qu'il s'agit d'une décision finale pour celui-ci, alors même que la cause pénale demeure pendante devant les autorités cantonales. A ce sujet, il convient d'observer que la condition du préjudice irréparable, selon l' art. 87 al. 2 OJ , s'examine aussi d'une façon relative à la partie qui recourt au Tribunal fédéral: le préjudice entrant en considération est celui subi par cette partie. 2.4 C'est ainsi l'approche adoptée dans l'arrêt précité du 16 juillet 1998 qui est pertinente, et qui doit être suivie aussi dans la présente affaire. Il en résulte que l'arrêt attaqué est une décision finale, et que le recours de droit public est recevable au regard de l' art. 87 OJ .
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vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des EGMR soll die angeklagte Person grundsätzlich erneut angehört werden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (E. 2.3). Vorliegend waren die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens nicht erfüllt. Da das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person in Abänderung des angefochtenen Urteils schuldig sprechen wollte, konnte es den Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten feststellen. Es hätte die Beschuldigte zu einer mündlichen Berufungsverhandlung vorladen und ihr damit die Möglichkeit einräumen müssen, sich zu den Vorwürfen persönlich zu äussern und diejenigen Umstände vorzubringen, die der Klärung des Sachverhalts und ihrer Verteidigung dienen können. Die Anwesenheit der Beschuldigten erwies sich im Berufungsverfahren als erforderlich, so dass die Vorinstanz nicht auf ein mündliches Verfahren verzichten konnte (E. 3). Sachverhalt ab Seite 129 BGE 147 IV 127 S. 129 A. A. wird vorgeworfen, sie habe am Morgen des 29. Mai 2016 im 1. Untergeschoss der Autoeinstellhalle an der U.strasse in V./AG mit einem spitzen Gegenstand, vermutlich einem Schlüssel, bei zwei parkierten Personenwagen die Lackierung beschädigt. Der Anklagevorwurf stützt sich im Wesentlichen auf eine Aufnahme der privaten Videoüberwachung der Einstellhalle im Zeitraum von 09.05 bis 09.07 Uhr. B. Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg verurteilte A. mit Strafbefehl vom 16. März 2017 wegen mehrfacher Sachbeschädigung zu einer bedingten Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je Fr. 140.- bei einer Probezeit von 2 Jahren sowie zu einer Verbindungsbusse von Fr. 2'400.-. Auf Einsprache der Verurteilten sprach die Präsidentin des Bezirksgerichts Rheinfelden A. mit Urteil vom 7. November 2018 von der Anklage der mehrfachen Sachbeschädigung frei. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft erklärte das Obergericht des Kantons Aargau A. am 11. Juli 2019 im schriftlichen Verfahren BGE 147 IV 127 S. 130 der mehrfachen Sachbeschädigung schuldig und verurteilte sie zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 140.- bei einer Probezeit von 2 Jahren. In einem Punkt sprach es sie von der Anklage der Sachbeschädigung frei. C.
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A. führt Beschwerde in Strafsachen, mit der sie beantragt, sie sei vollumfänglich von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil in den Dispositivziffern 2-5 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. D. Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt in seiner Vernehmlassung sinngemäss die Abweisung der Beschwerde. A. wurde die Vernehmlassung zur Kenntnisnahme zugestellt. Sie hat auf weitere Bemerkungen verzichtet. Die Oberstaatsanwaltschaft hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 28. Oktober 2020 in einer öffentlichen Sitzung beraten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Es hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die Berufung ist als primäres Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile grundsätzlich als mündliches, kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet ( BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 S. 291; Urteile 6B_389/ 2019 vom 28. Oktober 2019 E. 2.2.1, nicht publ. in: BGE 146 IV 59 ; 6B_1016/2019 vom 17. März 2020 E. 3.1; 6B_1189/2018 vom 12. September 2019 E. 2.1.3; 6B_1330/2017 vom 10. Januar 2019 E. 2.2). Nach Art. 405 Abs. 1 StPO richtet sich das mündliche Berufungsverfahren nach den Bestimmungen über die erstinstanzliche Hauptverhandlung ( Art. 339 ff. StPO ). Das Rechtsmittelverfahren setzt das Strafverfahren fort und knüpft an die bereits erfolgten Verfahrenshandlungen an. Gemäss Art. 389 Abs. 1 StPO beruht es auf den Beweisen, die im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind ( BGE 143 IV 288 E. 1.4.1 S. 290, BGE 143 IV 408 E. 6.2.1 S. 414). Dies gilt freilich nur, soweit die Beweise, auf welche die Rechtsmittelinstanz ihren Entscheid stützen will, prozesskonform erhoben worden sind ( Art. 389 Abs. 2 StPO ; BGE 143 IV 288 E. 1.4.1 S. 290). BGE 147 IV 127 S. 131 Der kontradiktorische Charakter des mündlichen Berufungsverfahrens setzt grundsätzlich die Anwesenheit der Parteien voraus. Auf diese kann nur in einfach gelagerten Fällen verzichtet werden, namentlich wenn der Sachverhalt unbestritten und nicht angefochten ist, so dass insofern eine Einvernahme (auch hinsichtlich der Zivilforderung) nicht erforderlich ist (vgl. Art. 405 Abs. 2 StPO ; BGE 143 IV 288 E. 1.4.4 S. 293; Urteile 6B_865/2019 vom 4. Juni 2020 E. 3.1 und 6B_1189/2018 vom 12. September 2019 E. 2.1.3). Soweit die Staatsanwaltschaft Berufung oder Anschlussberufung erhoben hat, ist sie von der Verfahrensleitung zur Verhandlung vorzuladen und hat der zuständige Staatsanwalt persönlich zur Verhandlung zu erscheinen ( Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO ; Urteile 6B_865/2019 vom 4. Juni 2020 E. 3.1; 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.2, in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.; zu den Säumnisfolgen vgl. Art. 407 Abs. 1 lit. a StPO ; SVEN ZIMMERLIN, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), Donatsch und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2020, N. 7 ff. zu Art. 405 StPO ). 2.2 2.2.1 Nach der Intention des Gesetzgebers bilden schriftliche Berufungsverfahren die Ausnahme ( BGE 143 IV 483 E. 2.1.1 S. 484 f.; BGE 139 IV 290 E. 1.1 S. 291 f.; vgl. zuletzt Urteile 6B_1016/2019 vom 17. März 2020 E. 3.1; 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.5.3, in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 406 Abs. 1 StPO kann das Berufungsgericht die Berufung im schriftlichen Verfahren unabhängig von einem Einverständnis der Parteien behandeln, wenn ausschliesslich Rechtsfragen zu entscheiden sind (lit. a), wenn allein der Zivilpunkt angefochten ist (lit. b), wenn Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils bilden, bei welchen die Überprüfungsbefugnis der Berufungsinstanz ohnehin beschränkt ist ( Art. 398 Abs. 4 StPO ) und mit der Berufung nicht ein Schuldspruch wegen eines Verbrechens oder Vergehens beantragt wird (lit. c), wenn lediglich die Kosten-, Entschädigungs- und Genugtuungsfolgen angefochten sind (lit. d) sowie wenn Massnahmen im Sinne der Art. 66-73 StGB , namentlich Einziehungsentscheide angefochten sind (lit. e). Mit dem Einverständnis der Parteien kann die Verfahrensleitung gemäss Art. 406 Abs. 2 StPO das schriftliche Verfahren darüber hinaus anordnen, wenn (lit. a) die Anwesenheit der beschuldigten Person nicht erforderlich ist, namentlich diese nicht persönlich befragt werden muss, sowie wenn (lit. b) ein erstinstanzliches Urteil in einzelgerichtlicher Zuständigkeit angefochten wird und es sich dementsprechend um BGE 147 IV 127 S. 132 eine Sache von relativ geringer Bedeutung handelt (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1317 Ziff. 2.9.3.2). 2.2.2 Ob es sich bei Art. 406 Abs. 2 lit. a und lit. b StPO um alternative oder kumulative Kriterien handelt, lässt sich dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen. Die Frage wurde vom Bundesgericht bislang offen gelassen (vgl. Urteil 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.5.2, in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.) und ist im Schrifttum umstritten. Während die Ausführungen in der Botschaft auf eine alternative Anwendung dieser Kriterien hinweisen (vgl. BBl 2006 1317 Ziff. 2.9.3.2) und sich ein Teil der Lehre dieser Leseart anschliesst (so zumindest sinngemäss SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 13 f. zu Art. 406 StPO ; JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse [CPP], Commentaire à l'usage des praticiens, 2012, N. 1217 zu Art. 406 StPO ), wird auch die Ansicht vertreten, dass die in Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO statuierten Voraussetzungen für die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens kumulativ vorliegen müssen (so SVEN ZIMMERLIN, a.a.O., N. 10 zu Art. 406 StPO ). Letztere Auffassung erscheint als sachgerecht. Zum einen leuchtet nicht ein, inwiefern auf die Durchführung eines mündlichen Verfahrens je soll verzichtet werden können, wenn die Anwesenheit der beschuldigten Person erforderlich ist (vgl. SVEN ZIMMERLIN, a.a.O., N. 10 zu Art. 406 StPO ). Zum anderen erlaubt die kumulative Anwendung der Kriterien, den Anwendungsbereich von Art. 406 Abs. 2 StPO eng zu fassen, was dem Verständnis des schriftlichen Berufungsverfahrens als Ausnahme und damit der gesetzlichen Konzeption entspricht. 2.2.3 Die Zustimmung zum schriftlichen Berufungsverfahren kann die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO nicht ersetzen, sondern tritt zu diesen hinzu. Ob die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens vorliegen, ist von der Berufungsinstanz von Amtes wegen zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen des schriftlichen Verfahrens nicht vor, kann darauf nicht gültig verzichtet werden (vgl. Urteil 6B_606/2018 vom 12. Juli 2019 E. 3.5.2, in: Pra 2019 Nr. 115 S. 1131 ff. und AJP 2019 S. 1080 ff.). 2.2.4 Die Behandlung der Berufung im schriftlichen Verfahren setzt nach der Rechtsprechung neben der Erfüllung der Voraussetzungen gemäss Art. 406 StPO voraus, dass das Gericht über alle für den BGE 147 IV 127 S. 133 Schuld- und Strafpunkt erforderlichen Informationen und Nachweise verfügt. Hierzu gehören namentlich die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person im Zeitpunkt der Urteilsfällung. Sind die Angaben nicht vollständig oder Änderungen aufgrund der Zeitspanne zwischen dem erstinstanzlichen Urteil und dem Berufungsurteil nicht auszuschliessen, hat das Berufungsgericht alle erforderlichen Beweise von Amtes wegen zu erheben (Urteil 6B_1429/2017 vom 21. Dezember 2018 E. 2.2). 2.3 2.3.1 Art. 406 StPO ist als "Kann-Vorschrift" ausgestaltet. Die Bestimmung entbindet das Berufungsgericht nicht davon, im Einzelfall zu prüfen, ob der Verzicht auf die öffentliche Verhandlung auch mit Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist ( BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 485; Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 7.2; je mit Hinweisen). Die angeschuldigte Person hat im Strafverfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anspruch auf eine öffentliche Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung. Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden Garantie auf ein faires Verfahren ( BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 485; BGE 128 I 288 E. 2 S. 290 ff.; BGE 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f.; je mit Hinweisen). 2.3.2 Die Art der Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Verfahren vor Rechtsmittelinstanzen hängt von den Besonderheiten des konkreten Verfahrens ab. Es ist insbesondere unter Beachtung des Verfahrens als Ganzem und der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob vor einer Berufungsinstanz eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) muss selbst ein Berufungsgericht mit freier Kognition hinsichtlich Tat- und Rechtsfragen nicht in allen Fällen eine Verhandlung durchführen, da auch andere Gesichtspunkte wie die Beurteilung der Sache innert angemessener Frist mitberücksichtigt werden dürfen. Von einer Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz kann etwa abgesehen werden, soweit die erste Instanz tatsächlich öffentlich verhandelt hat, wenn allein die Zulassung eines Rechtsmittels, nur Rechtsfragen oder aber Tatfragen zur Diskussion stehen, die sich leicht nach den Akten beurteilen lassen, ferner wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen oder die Sache von geringer Tragweite ist und sich etwa keine Fragen zur Person und deren Charakter stellen. Für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann aber der Umstand sprechen, dass die vorgetragenen Rügen die eigentliche Substanz des streitigen BGE 147 IV 127 S. 134 Verfahrens betreffen ( BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 485 f.; BGE 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f. mit Hinweisen; Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 7.3). Sodann soll der Angeklagte grundsätzlich erneut angehört werden, wenn in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird und der Aufhebung eine andere Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt (vgl. MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), 3. Aufl. 2020, § 18 N. 517 mit Verweis auf das Urteil des EGMR Julius Por Sigurporsson gegen Island vom 16. Juli 2019, Nr. 38797/17, § 33 ff.; Urteil des EGMR Dondarini gegen San Marino vom 6. Juli 2004, Nr. 50545/99, § 27). Der EGMR hat zudem wiederholt festgehalten, dass die beschuldigte Person grundsätzlich von jenem Gericht anzuhören ist, welches ihn verurteilt (Urteile des EGMR Julius Por Sigurporsson gegen Island vom 16. Juli 2019, Nr. 38797/17, § 33 und Sandor Lajos Kiss gegen Ungarn vom 29. September 2009, Nr. 26958/05, § 22). Gesamthaft kommt es entscheidend darauf an, ob die Angelegenheit unter Beachtung all dieser Gesichtspunkte sachgerecht und angemessen beurteilt werden kann (vgl. BGE 143 IV 483 E. 2.1.2 S. 486; BGE 119 Ia 316 E. 2b S. 318 f. mit Hinweisen; Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 7.3). 3. Die Voraussetzungen für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens sind im zu beurteilenden Fall nicht erfüllt. 3.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts darf das Berufungsgericht zwar vom Einverständnis zum schriftlichen Verfahren gemäss Art. 406 Abs. 2 StPO ausgehen, wenn sich eine Partei - wie vorliegend geschehen - im Nachgang zu einer Verfügung der zweitinstanzlichen Verfahrensleitung, wonach eine mündliche Verhandlung nur auf ausdrücklichen Wunsch der Parteien durchgeführt und das Ausbleiben einer Mitteilung als Zustimmung zum schriftlichen Verfahren interpretiert werde, vorbehaltlos auf das schriftliche Verfahren einlässt (vgl. BGE 143 IV 483 E. 2.2 S. 486 ff.). Indessen kann nicht gesagt werden, dass die Anwesenheit der Beschwerdeführerin nicht erforderlich war (vgl. Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO ) und auf ihre persönliche Befragung verzichtet werden konnte. Die Beschwerdeführerin hat den Anklagesachverhalt von Beginn an bestritten und ist im erstinstanzlichen Verfahren in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" von der Anklage der mehrfachen Sachbeschädigung freigesprochen worden. Die erste Instanz stellte dabei fest, dass die der Beschwerdeführerin vorgeworfene BGE 147 IV 127 S. 135 Sachbeschädigung auf den Videoaufzeichnungen nicht erkennbar sei und erachtete die Täterschaft der Beschuldigten als nicht hinreichend erwiesen. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung erklärt, woraufhin die Vorinstanz eine Neubeurteilung des Sachverhalts und der Beweiswürdigung vornahm. Anders als die erste Instanz kam sie dabei zum Schluss, dass die Täterschaft der Beschwerdeführerin aufgrund der vorhandenen Beweise - insbesondere der Videoaufnahme - hinreichend erstellt sei. Die von der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer polizeilichen Einvernahme vom 1. Juli 2016 dagegen vorgebrachten Einwände wertete sie als Schutzbehauptung, ohne die Beschuldigte zu den Vorwürfen persönlich anzuhören. Indem die Vorinstanz als erste verurteilende Gerichtsinstanz auf die Befragung der Beschwerdeführerin verzichtet hat, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie den Aussagen der Beschwerdeführerin als angeklagte Person für ihre Beweiswürdigung keine Bedeutung beimisst. Damit hat sie die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise auf ein blosses Objekt staatlichen Handelns reduziert (vgl. BGE 143 IV 288 E. 1.4.2 S. 291, BGE 143 IV 408 E. 6.2.2 S. 414 f.; Urteil 6B_629/2017 vom 20. März 2018 E. 1.1.1; je mit Hinweisen). Will das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verwerfen und die beschuldigte Person in Abänderung des angefochtenen Urteils schuldig sprechen, kann es den Sachverhalt nicht lediglich auf Grundlage der Akten feststellen, sondern hat die Betroffene zu einer mündlichen Berufungsverhandlung vorzuladen, so dass sich diese zu den Vorwürfen persönlich äussern und diejenigen Umstände vorbringen kann, die der Klärung des Sachverhalts und ihrer Verteidigung dienen können. Eine sachgerechte und angemessene Beurteilung der Angelegenheit hätte vorliegend nach einer einlässlichen Befragung der Beschwerdeführerin verlangt. Die Anwesenheit der Beschwerdeführerin als beschuldigte Person im Berufungsverfahren war damit erforderlich, so dass die Vorinstanz nicht auf ein mündliches Verfahren verzichten konnte. Dem Einverständnis der Beschwerdeführerin zum schriftlichen Verfahren kommt damit mangels Vorliegen der Voraussetzung von Art. 406 Abs. 2 lit. a StPO keine rechtliche Wirkung zu. 3.2 Dass die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall gegen ein Urteil eines Einzelgerichts Berufung erklärt hat ( Art. 406 Abs. 2 lit. b StPO ), führt, wie die Beschwerdeführerin zu Recht einwendet, zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Kriterien gemäss Art. 406 Abs. 2 lit. a und b StPO (wie unter E. 2.2.2 hiervor dargelegt) kumulativ zu verstehen sind. BGE 147 IV 127 S. 136 3.3 Die Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens verletzt vorliegend Bundesrecht und widerspricht der vorne in E. 2.3.2 dargelegten EGMR-Rechtsprechung zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK . Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.
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Sachverhalt ab Seite 123 BGE 108 II 122 S. 123 A.- Tradax Internacional S.A. et Tradax Export S.A., qui ont l'une et l'autre leur siège social à Panama City, font partie du groupe Cargill Tradax. Ce groupe comprend notamment les sociétés suisses Tradax Genève S.A. et Tradax Gestion S.A., qui ont leur siège à Genève et déploient leur activité dans les mêmes locaux. Constituées comme "sociétés de services" pour les autres sociétés du groupe, les deux sociétés genevoises ont reçu de Tradax Internacional S.A. et de Tradax Export S.A. des mandats en vertu desquels elles ont exercé une activité commerciale au nom et pour le compte de celles-ci. A cet effet, elles utilisaient en général le papier à lettres de la société panaméenne représentée, avec mention du nom de la société suisse comme adresse et signature, au nom de la société panaméenne, des personnes autorisées à représenter la société suisse. B.- Mounir Srouji, commerçant à Beyrouth, qui se prétend créancier pour des montants importants de Tradax Internacional S.A. et Tradax Export S.A. et voudrait pouvoir agir au for de Genève, a requis le Préposé au registre du commerce du canton de Genève de procéder à l'inscription d'une succursale de ces deux BGE 108 II 122 S. 124 sociétés à Genève en faisant valoir qu'elles exercent l'essentiel de leur activité au siège des sociétés suisses Tradax Genève S.A. et Tradax Gestion S.A. à Genève. A défaut, Srouji demandait la modification du but social des deux sociétés suisses, lequel devait mentionner, selon lui, qu'elles géraient l'activité propre d'autres sociétés. Le Préposé a rejeté les deux requêtes par décision du 6 février 1981. Le 30 juillet 1981, le Chef du Département cantonal de l'économie publique, agissant en qualité d'autorité de surveillance du registre du commerce, a rejeté un recours de Srouji. C.- Srouji a formé un recours de droit administratif dans lequel il reprend les conclusions présentées en instance cantonale. Le Tribunal fédéral admet le recours, annule la décision du 30 juillet 1981 du Département cantonal de l'économie publique et celle du 6 février 1981 du Préposé au registre du commerce du canton de Genève et invite ce dernier à entamer la procédure tendant à l'inscription d'une succursale des sociétés Tradax Internacional S.A. et Tradax Export S.A. à Genève.
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Erwägungen Considérant en droit: 1. Aux termes de l' art. 935 al. 2 CO , les succursales suisses de maisons dont le siège principal est à l'étranger sont tenues de se faire inscrire au registre du commerce. La loi ne définit pas la succursale. Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral ( ATF 103 II 201 et les arrêts cités), non contestée par la doctrine (cf. notamment FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht I p. 413 ss.; GAUCH, Der Zweigbetrieb im schweizerischen Zivilrecht p. 104 ss.; F. DE STEIGER, Le droit des sociétés anonymes en Suisse, trad. française 1973, p. 349; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 4e éd., p. 381; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweizerische Aktienrecht, 2e éd., p. 295), la notion juridique de la succursale vise tout établissement commercial qui, dans la dépendance d'une entreprise principale dont il fait juridiquement partie, exerce d'une façon durable, dans des locaux séparés, une activité similaire, en jouissant d'une certaine autonomie dans le monde économique et celui des affaires; l'établissement est autonome lorsqu'il pourrait, sans modifications profondes, être exploité de manière indépendante; il n'est pas nécessaire que la succursale puisse accomplir toutes les activités de l'établissement principal; il suffit que BGE 108 II 122 S. 125 l'entreprise locale, grâce à son personnel spécialisé et à son organisation propre, soit à même, sans grande modification, d'exercer d'une façon indépendante son activité d'agence locale; il s'agit d'une autonomie dans les relations externes, qui s'apprécie de cas en cas d'après l'ensemble des circonstances, quelle que soit la subordination ou la centralisation interne. 2. Pour les sociétés anonymes, le principal établissement au sens des art. 934 et 935 CO équivaut au siège social au sens des art. 640 et 641 CO ; en droit interne suisse, ce siège est choisi librement par la société ( art. 56 CC , 626 ch. 1, 640 al. 1 et 641 ch. 2 CO; ATF 100 Ib 458 ), et le droit international privé suisse admet aussi la conséquence d'un tel choix en soumettant en principe le statut de la société anonyme à la loi selon laquelle elle est organisée (cf. projet de loi fédérale sur le droit international privé de la commission d'experts, art. 152, et rapport explicatif, chapitre 9, III. 2; cf. aussi ATF 105 III 111 , ATF 102 Ia 410 , 580 consid. 7a, ATF 95 II 448 consid. 1; FORSTMOSER, op.cit., p. 115 et la doctrine citée à la note 7; BÜRGI/NORDMANN, n. 127 ss. ad art. 753/754). Il en résulte que le siège social de la société anonyme n'est pas nécessairement le centre principal de son activité (généralement économique); il est ainsi possible que la société déploie une activité plus importante au siège d'une succursale qu'au siège social, ce qui n'est pas en soi contraire à la notion de succursale d'une société anonyme. On ne saurait dès lors refuser l'inscription d'une succursale à un endroit, par le motif que la société anonyme y exercerait son activité principale, ce qu'elle ne ferait pas à son siège social. Dans les relations internationales, l'arrêt de principe Vernet et consorts ( ATF 76 I 158 ss. consid. 3) rappelle que le droit international privé suisse fixe le domicile de la personne morale à son siège statutaire, à moins qu'il ne soit fictif, c'est-à-dire sans rapport avec la réalité des choses et choisi uniquement pour échapper aux lois du pays où la personne morale exerce en fait son activité; il n'appartient cependant pas aux autorités du registre du commerce de trancher des questions de fond dont la solution n'est pas évidente; pour elles vaut au premier chef la présomption de vérité qui s'attache à la désignation du siège social dans les statuts de la société et qui ne peut être détruite que par des preuves tout à fait décisives; même si elles ont des doutes sérieux sur la réalité du siège indiqué et l'existence juridique de la société, elles n'en doivent pas moins procéder à l'inscription de la succursale sans chercher à tirer les choses au clair ni attendre une décision du juge, BGE 108 II 122 S. 126 dès que l'établissement dont il s'agit exerce en Suisse une certaine activité commerciale d'une manière suffisamment autonome; compte tenu des intérêts des créanciers que le registre du commerce doit protéger, l'inscription d'une succursale suffit et il n'est pas indispensable à cet effet de tirer au clair la question de savoir si le siège social étranger est fictif. Il n'y a aucune raison de revenir sur cette jurisprudence, qui n'est pas critiquée en doctrine (cf. par exemple F. DE Steiger, op.cit., p. 350, 352, 355; PATRY, Schweizerisches Privatrecht VIII, p. 94; HILBIG, Rechtsstellung und Rechtsnatur der Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften unter besonderer Berücksichtigung Kollisionsrechtlicher Probleme, thèse Zurich 1968 p. 40). Les considérations sur lesquelles elle repose ont une portée générale et ne sauraient être limitées, comme le propose le Département fédéral de justice et police dans ses observations, à l'hypothèse où il y aurait de toute façon un siège effectif à l'étranger, en dehors du siège social éventuellement fictif. Il serait d'ailleurs inconcevable de ne procéder à aucune inscription de la société en Suisse, ni comme succursale ni comme siège principal, alors même qu'elle y a son principal centre d'activité. En l'espèce, on se trouve dans une situation telle que l'envisage la jurisprudence précitée. Il est possible que les sièges panaméens des deux sociétés intimées soient fictifs, mais la solution à donner à cette question n'est pas évidente. Ces sociétés prétendent avoir à Panama City une activité excluant tout caractère fictif de leur siège. Quant aux affirmations du recourant dans ses requêtes, sur lesquelles le Département fédéral propose de se fonder, elles ne suffisent pas à établir la réalité de ses dires pour les autorités du registre du commerce; le requérant conteste d'ailleurs, dans son recours de droit administratif, le caractère fictif des sièges de Panama. Enfin, la limite de l'activité minima permettant d'exclure une domiciliation fictive n'est pas aisée à tracer, notamment pour une société holding - telle l'une des intimées - n'exerçant pas elle-même d'activité industrielle ou commerciale et pour des sociétés à caractère international dont le champ d'activité s'étend à de nombreux pays. L'autorité cantonale de surveillance a donc considéré à juste titre qu'en soi, le fait que les intimées exerceraient en Suisse leur principale activité n'y exclurait pas l'inscription d'une succursale. 3. L'autorité cantonale de surveillance a nié l'existence d'une succursale parce que les sociétés intimées ne disposeraient pas chacune à Genève de locaux à titre exclusif ni de personnel propre. BGE 108 II 122 S. 127 a) Il ne résulte pas de la définition jurisprudentielle qu'une succursale ne pourrait exister à un endroit que si la maison de commerce y dispose de locaux réservés à son usage exclusif. La jurisprudence exige seulement des locaux distincts de ceux du siège principal. L'exigence de locaux exclusifs n'aurait pas de raison d'être du moment qu'elle n'est pas non plus formulée en ce qui concerne le siège principal; il est du reste fréquent, notamment en cas de groupes de sociétés, que plusieurs sociétés soient administrées et gérées dans les mêmes locaux, parfois par les mêmes personnes. La négation d'une succursale, voire d'un siège principal, faute de locaux exclusifs, priverait en ce cas les tiers de la protection que le registre du commerce est destiné à leur assurer. L'arrêt ATF 68 I 112 consid. 3, cité par la décision attaquée, ne subordonne pas l'existence de la succursale à la jouissance de locaux à son usage exclusif; il insiste surtout sur l'indépendance de la succursale par rapport au siège principal. GAUCH, op.cit., p. 119 no 598, auquel se réfèrent les intimées, fait état d'un "eigenes Lokal" dont dispose la succursale mais il n'en exige pas un usage exclusif. Il relève par ailleurs qu'il ne faut pas se montrer strict quant à la preuve d'un lien avec un endroit, l'essentiel étant de pouvoir localiser l'activité de la succursale (no 597), et que le local est un espace dans lequel la succursale exerce au moins une partie de son activité (no 1125). Les intimées font remarquer que l'ordonnance sur le registre du commerce distingue, pour le siège social, le cas où la maison de commerce a un local et celui où elle n'a qu'un domicile chez un tiers ( art. 42 et 43 ORC ), alors que pour les succursales d'une entreprise suisse elle ne prévoit que la mention de son "local" (art. 71 lettre g ORC). Elles en déduisent a contrario qu'une succursale ne pourrait jamais être domiciliée chez un tiers. Il n'est pas nécessaire de se prononcer sur cette opinion - qui n'est pas partagée par Forstmoser (op.cit., p. 431 n. 84), s'agissant des succursales suisses de sociétés étrangères -, puisque de toute manière on ne saurait exiger des locaux à l'usage exclusif de la succursale et qu'en l'occurrence on peut admettre que l'activité économique des sociétés intimées est exercée dans les locaux de Genève, dont elle peut disposer en fait ( ATF 100 Ib 548 ) grâce à ses liens juridiques avec les sociétés suisses. Que l'activité à Genève des deux sociétés intimées s'exerce dans les mêmes locaux, utilisés aussi pour d'autres sociétés du même BGE 108 II 122 S. 128 groupe, ne s'oppose donc pas à leur inscription à cet endroit comme succursales. b) L'existence d'une succursale ne suppose pas non plus qu'elle ait à son service un personnel lié avec elle par des liens contractuels directs. Il suffit que ce personnel, à disposition de la succursale, agisse au nom et pour le compte de celle-ci. Les rapports juridiques internes unissant la succursale à son personnel sont étrangers aux intérêts des tiers que le droit du registre du commerce tend à sauvegarder. Le passage de l'arrêt précitéATF 68 I 113, selon lequel la succursale "muss eigenes Personal... haben", signifie que le personnel de la succursale doit être séparé dans une certaine mesure de celui du siège principal et qu'il doit être à la disposition de la succursale, ce qui est le cas en l'espèce. 4. Pour le surplus, l'activité exercée à Genève au nom et pour le compte des intimées répond à la définition de la succursale, ce qui n'est pas contesté. Les sociétés intimées se sont en effet créé à cet endroit un établissement présentant un certain caractère de stabilité et déployant en leur nom et pour leur compte une activité commerciale. L'indépendance de l'établissement de Genève par rapport au siège social des intimées résulte des contrats régissant l'activité des deux sociétés genevoises pour le compte des sociétés panaméennes ( ATF 89 I 412 s. consid. 6; cf. aussi ATF 81 I 157 consid. 3 et GAUCH, op.cit., p. 157 concernant l'inscription de la succursale d'un groupe de sociétés). On ne saurait davantage nier que l'établissement de Genève fasse "juridiquement partie" des sociétés panaméennes, au sens de la définition jurisprudentielle de la succursale, telle qu'il faut la comprendre en relation avec la fonction du registre du commerce. En effet, même si les deux sociétés suisses sont juridiquement distinctes, si l'une est titulaire du bail et l'une ou les deux vraisemblablement employeur(s) du personnel, leur activité apparaît directement au service des sociétés panaméennes. Celles-ci peuvent en disposer en vertu des contrats de mandat de sorte que c'est leur propre activité qui se déploie à Genève (cf. aussi ATF 34 I 702 ). 5. En se prévalant de la diversité juridique des sociétés panaméennes d'une part et des "sociétés de service" agissant en leur nom et pour leur compte d'autre part, pour s'opposer à l'inscription au registre du commerce, les sociétés intimées tentent d'utiliser une institution à une fin à laquelle elle n'est pas destinée, ce qui ne saurait être protégé. BGE 108 II 122 S. 129 Le but du registre du commerce est de faire connaître au public et aux créanciers, de manière claire, la situation et le régime de responsabilité de maisons de commerce soumises à l'inscription à ce registre ( ATF 104 Ib 322 et les arrêts cités). En l'occurrence, les sociétés intimées déploient à et de Genève une activité importante; le capital social des deux sociétés (200 millions $ et 48 millions $), l'ampleur des locaux (avec un loyer annuel de 1,5 million de francs) et du personnel occupés à Genève pour les sociétés du groupe en témoignent. Or cette activité est exercée à Genève de manière durable au nom et pour le compte de ces sociétés. Il est donc conforme au but du registre du commerce que les tiers en soient informés par une inscription sur ce registre. La société anonyme n'est pas destinée à permettre aux sociétés étrangères déployant en Suisse une activité correspondant à celle d'une succursale d'échapper à l'obligation de s'inscrire au registre du commerce en faisant exercer cette activité en leur nom et pour leur compte par une "société de service" leur servant d'écran. Le caractère insolite de ce procédé est du reste révélé notamment par le faible capital social de chacune des sociétés suisses (100'000 fr.), par rapport aux locaux et au personnel qu'elles occupent et aux intérêts qu'elles représentent, ainsi que par la façon dont, sur certains documents, les sociétés suisses signent de leur raison sociale sous la raison sociale des sociétés étrangères représentées. Or, en droit suisse, les sociétés anonymes ne peuvent désigner des personnes morales comme administrateurs ( art. 707 CO , cf. aussi art. 894 CO ) ou fondés de procuration (OSER/SCHÖNENBERGER, n. 20 ad art. 458; GAUTSCHI, n. 16 a ad art. 458), et le registre du commerce ne mentionne que des personnes physiques comme étant autorisées à signer au nom de la société ( art. 26 al. 3 et 41 ORC ; selon cette dernière disposition, une personne morale ne peut pas être désignée en qualité de représentante autorisée à signer; BÜRGI, n. 28 ad art. 717, n. 6 ad art. 719/720); ce sont aussi les personnes physiques autorisées à représenter la société qui doivent signer sous la raison sociale ( art. 719 CO , BÜRGI, n. 1 et 3 ad art. 719/720). Par ailleurs, la succursale suisse d'une maison étrangère doit faire connaître aux tiers son mode de représentation selon les règles du droit suisse ( art. 935 al. 2 CO ). Visant à la protection des tiers, ces dispositions ne sauraient être éludées. Peu importe que les sociétés intimées aient eu ou non l'intention de frauder la loi; l'essentiel est de constater l'illégalité de la position qu'elles défendent aujourd'hui. BGE 108 II 122 S. 130 Aussi est-ce à juste titre que le recourant demande l'inscription d'une succursale des deux sociétés intimées à Genève. Il appartiendra à celles-ci de requérir cette inscription et d'indiquer le nom de la ou des personnes physiques autorisées à les représenter ( art. 935 al. 2 CO ). Les sociétés intimées prétendent à tort que le recourant commettrait un abus de droit en requérant l'inscription d'une succursale uniquement aux fins de se constituer artificiellement un for à Genève. En effet, la possibilité donnée au créancier d'agir au for de la succursale est précisément un but auquel tend l'inscription d'une succursale ( art. 642 al. 3 CO ); même si selon l'opinion dominante l'inscription n'a pas d'effet constitutif (cf. ATF 103 II 203 , 98 Ib 104; STRÄULI/MESSMER, par. 3 n. 4; FORSTMOSER, op.cit., p. 423 n. 43 et références; F. DE STEIGER, op.cit., p. 35), le créancier n'en a pas moins un intérêt digne de protection à faire constater par l'autorité compétente l'existence d'une telle succursale et à obtenir que le registre, véridique et complet, mentionne l'existence d'une succursale existant en fait. Peu importe que le recourant soit un étranger domicilié à l'étranger, car la loi est aussi destinée à protéger les étrangers et, en l'occurrence, le recourant peut se prévaloir d'un intérêt légitime. 6. Les conclusions principales du recours étant admises, il n'y a pas lieu d'examiner la recevabilité et le fondement des conclusions relatives à la modification du but social des deux sociétés suisses.
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Tat- und Rechtsfrage. Grundsätzlich sind dem Nachbarn die Nachteile zu ersetzen, die sich für ihn aus der Einräumung einer dem Sachverhalt entsprechenden Näherbauservitut ergeben würden. Der Verkehrswert des Landstreifens, der für ihn infolge der Missachtung des Grenzabstandes unüberbaubar geworden ist, umfasst auch den Wert des zugehörigen Baukubus, sodass ihm dafür kein zusätzlicher Ersatz gebührt. Sachverhalt ab Seite 397 BGE 82 II 397 S. 397 A.- An die Westgrenze der dem Kläger Ulrich gehörenden Liegenschaft "Riedappel" (Grundbuchnummer 552) im Bezirk Küssnacht a.R. stossen auf eine Länge von 44 Metern die Liegenschaften Nr. 2926 und 2927 der Beklagten, Immobilien A.-G., Zug. Diese liess darauf im Frühjahr 1953 vier Achtfamilienhäuser errichten, wovon zwei (die Häuser Nr. 3 und 4) dem Grundstück des Klägers zugekehrt und zwar aneinander gebaut sind, aber keine gerade fortlaufende Fassadenflucht haben; vielmehr steht BGE 82 II 397 S. 398 das Haus Nr. 3 etwas mehr von der Grenze zurück. Der Grenzabstand beträgt: beim Haus beim Haus Nr. 3 Nr. 4 von der Fassadenmauer aus gemessen 3,07 m 1,99 m von der Kante der Dachrinne aus ge- messen 2,23 m 1,15 m vom Vorsprung der Freitreppe aus ge- messen 1,47 m 0,74 m B.- Wegen Nichteinhaltung des in § 143 des schwyzerischen EG zum ZGB vorgeschriebenen Grenzabstandes von 1,50 m verlangt der Kläger Schadenersatz. Er erhielt in erster Instanz Fr. 1050.--, in zweiter Instanz Fr. 10'050.-- nebst Zins zugesprochen. C.- Gegen das obergerichtliche Urteil vom 22. November 1955 hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag auf vollumfängliche Abweisung der Klage. D.- Der Kläger beantragt, die Berufung sei, soweit auf sie eingetreten werden könne, abzuweisen.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Soweit die Klage in erster Instanz geschützt worden war, also im Teilbetrag von Fr. 1050.--, muss es dabei sein Bewenden haben, da sich die Appellation der Beklagten an das Obergericht mangels rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses als unwirksam erwies. Der insofern vom Obergericht gefällte Nichteintretensentscheid beruht auf der vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht nachzuprüfenden Anwendung kantonalen Prozessrechtes ( Art. 43 OG ). Freilich rügt die Beklagte in der Berufungsschrift in diesem Punkte Willkür und damit eine Verletzung von Art. 4 BV . Das kann jedoch, was Art. 43 Abs. 1 Satz 2 OG noch ausdrücklich bestimmt, nicht mit Berufung geltend gemacht werden, und eine staatsrechtliche Beschwerde hätte in getrennter Eingabe erhoben werden müssen ( BGE 63 II 38 ; dementsprechend auchBGE 68 IV 9). Auf diesen Teil der Berufung ist somit nicht einzutreten. BGE 82 II 397 S. 399 2. § 143 des schwyzerischen EG zum ZGB bestimmt unter dem Randtitel "B. Nachbarrecht: I. Bauten: 1. Abstände: a) neue Baustellen": "Gebäude dürfen ohne Zustimmung des Nachbars auf neuen Baustellen nur in einer Entfernung von wenigstens 1,50 Meter von der nachbarlichen Grenze aufgeführt werden. Diese Bestimmung gilt für jeden einzelnen Teil des Gebäudes. Vorbehalten bleiben Bauten an öffentlichen Strassen mit zusammenhängenden Häuserreihen." Der gesetzliche Grenzabstand gilt nach der Praxis der schwyzerischen Behörden nicht nur für die Umfassungsmauern, sondern auch für Dachvorsprünge (SJZ 26 S. 217 Nr. 160) und nach dem angefochtenen Entscheid auch für Freitreppen. Diese Anwendung des in Art. 686 ZGB vorbehaltenen kantonalen Rechtes ist für das Bundesgericht verbindlich. Somit hat die Beklagte den vorgeschriebenen Grenzabstand in der Tat nicht eingehalten, indem bei beiden Neubauten die Freitreppe und beim Haus Nr. 4 ausserdem der Dachvorsprung in die Sperrzone hineinragt. 3. Die Folgen einer Verletzung der kantonalen Bauvorschriften bestimmen sich nach Bundesrecht, wobei sowohl die für überragende Bauten geltenden Regeln (Art. 674 in Verbindung mit Art. 685 Abs. 2 ZGB ) wie auch die allgemeine Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für die Folgen einer Ueberschreitung seines Eigentums ( Art. 679 ZGB ) in Betracht fallen (vgl. BGE 41 II 215 , BGE 53 II 221 ). Für den vom Kläger als fortdauernd geduldeten, einer dinglichen Belastung seines Grundstückes gleichkommenden "Näherbau" gebührt ihm somit "angemessene Entschädigung" bzw. "Schadenersatz" ( Art. 674 Abs. 3, 679 ZGB ). 4. Ob und welcher Schaden entstanden sei, ist grundsätzlich Tatfrage ( BGE 47 II 192 , BGE 56 II 126 ). Dagegen hat das Bundesgericht zu prüfen, ob der behauptete Schaden rechtlich genügend substanziert und bei der Schadensberechnung von richtigen Grundsätzen ausgegangen worden sei. Dementsprechend ist es auch eine Frage der Rechtsanwendung, ob der Richter bei ziffermässig nicht nachweisbarem BGE 82 II 397 S. 400 Schaden richtigen Gebrauch von dem ihm durch Art. 42 OR eingeräumten Ermessen gemacht habe. Dass Art. 42 OR auch in Verbindung mit Art. 679 ZGB anwendbar ist, wird von Lehre und Rechtsprechung mit guten Gründen bejaht (vgl. HAAB, N. 18 zu Art. 679 ZGB , SJZ 14 S. 77 N. 24 und ZbJV 66 S. 20). Das gilt ebenso für die "angemessene Entschädigung" nach Art. 674 Abs. 3 ZGB . 5. Die kantonalen Gerichte gehen davon aus, infolge des "Näherbaues" der Beklagten werde ein dessen Ausmass entsprechender Landstreifen ausser der gesetzlichen Sperrzone für den Kläger unüberbaubar. Nach der Expertise handelt es sich um einen Streifen von 39,5 m Länge und, je nachdem ob die Rinnenkante oder die Freitreppe des Hauses 4 als massgebender Punkt für die Abstandsberechnung betrachtet wird, 35 oder 76 cm Breite. Das erstinstanzliche Gericht legt seinem Urteil das grössere dieser zwei Ausmasse zugrunde, fasst also einen für den Kläger unüberbaubar werdenden Landstreifen von 0,76 x 39,5 = 30 m2 ins Auge, mit einem Wert von Fr. 35.- pro m2 gemäss Expertenbefund, also ingesamt Fr. 1050.--. In diesem Betrag ist die Klage, wie erwähnt, aus prozessualen Gründen endgültig geschützt. 6. Zu überprüfen bleibt, ob das Obergericht dem Kläger mit Recht eine weitere Forderung von Fr. 9000.-- für entgehenden Baukubus zugesprochen habe (der auf Grund eines bloss 35 cm breiten Landstreifens berechnet wird, entsprechend der Herabsetzung des Klagebegehrens in zweiter Instanz). Das angefochtene Urteil begründet diese Mehrforderung wie folgt: "... Wohl sind die Kosten für eine Baute, die nicht ausgeführt werden kann, kein Schaden im Rechtssinne, sondern eine Einsparung an künftigem Aufwand. Dieser Aufwand ist nun aber kein unproduktiver, d.h. es entspricht ihm kein Gegenwert, der sich nicht vermögensvermehrend auswirkt. Vielmehr ist ein solcher Aufwand als Anlageaufwand und zwar als produktiver zu betrachten. Produktiv deshalb, weil der Kläger aus Miethäusern, die er auf seinen Parzellen baut, eine Rendite herausschlagen kann, die unzweifelhaft viel grösser ist, als z.B. bei einer landwirtschaftlichen Verpachtung. Anderseits ist dieser Aufwand das Mittel dazu, um BGE 82 II 397 S. 401 Vermögen wertbeständig anzulegen. Diese Verstärkung der Sicherheit wird durch den Näherbau der Beklagten verunmöglicht. Zweifellos liegt ein Schaden nicht nur dann vor, wenn ein Vermögen rechtswidrig vermindert wird, sondern auch dann, wenn durch ein rechtswidriges Verhalten eines Dritten unmöglich gemacht wird, ein Vermögen von einer weniger sichern in eine sicherere Anlage überzuführen. Der Schaden stellt sich somit sowohl im Hinblick auf die Rendite als auch bezüglich der Sicherheit der Vermögensanlage als lucrum cessans dar ... Schaden infolge Verlust an Vermögensrendite und grösserer Anlagesicherheit ... unmittelbare Folge des Verlustes an Baukubus ... Das Obergericht findet es angemessen, dem Geschädigten als Schadenersatz auch jenen Betrag zuzusprechen, den er hätte aufwenden müssen, um eine rentablere und sicherere Vermögensanlage zu erzielen." Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Vorinstanz übersieht, dass der Ersatz des Wertes eines Landstreifens, wie ihn das erstinstanzliche Urteil dem Kläger bei Annahme einer Breite von sogar 76 cm zugesprochen hatte, auch den Wert des über dem Streifen liegenden, d.h. des zugehörigen Baukubus deckt. Der Preis für Bauland bestimmt sich ja im Hinblick auf die mögliche Überbauung, und der Experte ist ausdrücklich vom Baulandpreis "wie bei einer Expropriation" ausgegangen und hat den Preis pro m2 noch etwas über dem Durchschnittspreis auf Fr. 35.- festgesetzt (S. 10 des Gutachtens). Es kann daher nicht in Frage kommen, dem Kläger ausser dem, wie angenommen wird, wegen des Näherbaues der Beklagten unüberbaut bleibenden Landstreifen noch einen Baukubus zu ersetzen, und es ist vollends abwegig, dem (leeren) Baukubus einen Wert beizumessen, der dem Betrag der auf ihn entfallenden Baukosten entsprechen würde. Der vom Obergericht ferner herangezogene Gesichtspunkt eines Entganges von Kapitalanlagemöglichkeit ist gleichfalls zu verwerfen. Ersatz für lucrum cessans, d.h. für Gewinnentgang, ist nach allgemeiner Lehre nur geschuldet, soweit es sich um einen üblichen oder sonstwie sicher in Aussicht stehenden Gewinn handelt (vgl. v. TUHR, OR I § 13 Ziff. 10, BECKER, N. 9 zu Art. 41 und N. 31 und 34 ff. zu Art. 97 OR ). Es kann dahingestellt bleiben, ob eine so indirekte Auswirkung eines Näherbaues wie der Verlust BGE 82 II 397 S. 402 einer Möglichkeit der Geldanlage überhaupt nach Art. 674 Abs. 3 und Art. 679 ZGB in Betracht falle. Hier jedenfalls fehlt jeder Grund zur Annahme einer solchen Schadensfolge. Das angefochtene Urteil stützt sich nur auf unbestimmte Hypothesen, die keinen Ersatzanspruch zu begründen vermögen. Es liegt nichts dafür vor, dass der Kläger über soviel Geldmittel verfügt, dass die Überbauung seines grossen Restgrundstücks keine hinreichende Möglichkeit der Anlage zu bieten vermöchte. Übrigens dürfte nicht ohne weiteres angenommen werden, es fehle dem Kläger an andern, ebenso günstigen Anlagemöglichkeiten. Die Ausnützung des Bauvolumens, wie es dem Kläger nach Ansicht der Vorinstanz nun wegen des Näherbaues der Beklagten entgeht, wäre ohnehin nicht vorteilhaft, denn ein Grenzabstand von 1,50 m und ein ihm entsprechender Gebäudeabstand von 3 m ist für mehrstöckige Wohnhäuser - der Experte rechnet auch für den Kläger mit solchen von 13 m Höhe, wie sie die Beklagte errichtet hat - viel zu gering. Ob eine solche Ausnützung des Baulandes sich als sichere und ertragreiche Anlage und nicht vielmehr als Fehlinvestition erwiesen hätte, ist somit fraglich. Jedenfalls darf nicht das Gegenteil als feststehend betrachtet und auf solcher Grundlage ein Schadenersatzanspruch bejaht und berechnet werden. Grundsätzlich wäre dagegen ein Ersatz für Entwertung des Restgrundstückes in Frage gekommen. Eine solche Entwertung ist aber nicht erwiesen und angesichts der Ausdehnung des Grundstückes des Klägers nicht anzunehmen. 7. Wenn der Kläger gemäss dem insofern endgültig gewordenen erstinstanzlichen Urteil den Preis eines Landstreifens von 76 cm Breite mit Fr. 1050.-- ersetzt erhält, wird er für die Folgen des unerlaubten Näherbaues der Beklagten reichlich entschädigt. Rückt er mit einem künftigen Miethausbau wirklich um soviel über den gesetzlichen Grenzabstand von 1,50 m hinaus von der Westgrenze weg, so gibt dazu gewiss nicht die um 76 cm zu weit vorspringende BGE 82 II 397 S. 403 Freitreppe des Hauses Nr. 4 der Beklagten Veranlassung. Denn diese Freitreppe entzieht einem künftigen Neubau des Klägers so gut wie nichts an Luft und Licht, wie denn der nur in den Freitreppen (mit Stufen von 35 cm Breite laut S. 4 des Gutachtens) und im Dachvorsprung liegende Näherbau bei weitem nicht die Bedeutung eines Näherbaues der Häuserwände hat. Zur Einhaltung eines grössern als des durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften bedingten Gebäudeabstandes wird sich der Kläger vielmehr deshalb veranlasst sehen, weil mehrstöckige Häuser, um ein angenehmes Wohnen zu ermöglichen, einen grössern Abstand haben müssen. Daraus erwächst ihm aber kein Anspruch auf Schadenersatz gegenüber der Beklagten. Dieser gegenüber fällt nur der Nachteil in Betracht, der dem Kläger aus der Einräumung einer Näherbauservitut entstünde, wobei diese auf Freitreppen und Dachvorsprünge wie sie nun vorliegen, beschränkt wäre (vgl. BGE 22 S. 1042 ff.). Selbst wenn zuträfe, dass der Kläger infolge jener unerlaubten Bauvorsprünge in Zukunft einen Landstreifen von 76 bzw. 35 cm unüberbaut lassen müsste, wäre zu berücksichtigen, dass er diesen freien Streifen nicht schlechtweg verliert, sondern zusammen mit der gesetzlichen Bausperrzone als Vorplatz, Gartenland und dergleichen verwenden kann, ganz abgesehen vom Vorteil, den er aus dem grösseren Zwischenraum der Häuser ziehen wird. Nach alldem besteht kein Grund zur Erhöhung der in erster Instanz auf Fr. 1050.-- bemessenen Entschädigung.
2,494
1,903
Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Berufung wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Forderung des Klägers und Berufungsbeklagten abgewiesen wird, soweit sie den Betrag von Fr. 1050.-- nebst Zins zu 5% seit dem 17. Mai 1954 übersteigt.
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2,015
de
Sachverhalt ab Seite 160 BGE 141 III 159 S. 160 A. A. (Beklagte, Beschwerdeführerin) verpachtet der B. AG (Klägerin, Beschwerdegegnerin) mehrere Parzellen, welche diese zum Betrieb einer Pferdesportanlage nutzt. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob A. den Pachtvertrag mit der B. AG gekündigt hat. B. Am 27. Dezember 2012 reichte die B. AG beim Friedensrichteramt N. ein Schlichtungsgesuch ein. Die Schlichtungsverhandlung fand am 26. April 2013 statt. Seitens der Klägerschaft erschien D., die Mutter von E.; E. ist einziges Mitglied des Verwaltungsrates der B. AG. An der Schlichtungsverhandlung wurde der B. AG die Klagebewilligung ausgestellt. Am 27. Mai 2013 reichte die B. AG beim Bezirksgericht Arlesheim Klage ein mit dem Hauptantrag, es sei festzustellen, dass die Kündigung durch A. unwirksam sei. A. bestritt in ihrer Klageantwort das Vorliegen einer gültigen Klagebewilligung. Sie machte geltend, D. habe die B. AG bei der Schlichtungsverhandlung nicht vertreten können, weshalb die B. AG säumig gewesen sei und die Schlichtungsbehörde das Verfahren als gegenstandslos hätte abschreiben müssen. Mit Entscheid vom 16. Januar 2014 stellte die Bezirksgerichtspräsidentin Arlesheim die Ungültigkeit der Kündigung fest. Sie kam zum Schluss, die Klagebewilligung sei gültig. Die dagegen erhobene Berufung der A. wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 15. Juli 2014 ab. Auch das Kantonsgericht ging von der Gültigkeit der Klagebewilligung aus, weil D. faktisches Organ der B. AG sei und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt worden sei. BGE 141 III 159 S. 161 C. Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 15. September 2014 beantragt A. dem Bundesgericht, es sei der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Klagebewilligung vom 26. April 2013 ungültig sei. Auf die Klage der B. AG sei nicht einzutreten. Das Bundesgericht tritt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht ein; es heisst die Beschwerde in Zivilsachen teilweise gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück. (Zusammenfassung)
520
386
Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. (...) 1.2 Bei der zu beurteilenden Streitsache handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit und es liegt - da Streitigkeiten aus Pachtrecht nicht als mietrechtliche Fälle zu qualifizieren sind ( BGE 136 III 196 E. 1.1 S. 197) - weder ein arbeits- noch ein mietrechtlicher Fall vor. Diesfalls ist die Beschwerde in Zivilsachen nur zulässig, sofern der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt ( Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ). Der Streitwert bestimmt sich nach den Begehren, die vor der Vorinstanz strittig geblieben sind ( Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG ). Vorliegend beträgt der Streitwert nach Angaben der Vorinstanz und der Parteien Fr. 15'000.-, womit der von Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG geforderte Mindestbetrag nicht erreicht wird. Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nicht, ist die Beschwerde in Zivilsachen u.a. dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt ( Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG ). Dies ist der Fall, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen ( BGE 139 III 209 E. 1.2 S. 210, BGE 139 III 182 E. 1.2 S. 185; BGE 138 I 232 E. 2.3 S. 236; BGE 134 III 354 E. 1.3 S. 357). 1.2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es für das Erfordernis des "persönlichen Erscheinens" zu einer Schlichtungsverhandlung ausreiche, wenn die Aktiengesellschaft durch ein "faktisches Organ" vertreten werde, oder ob es zur Rechtssicherheit nicht eines Handelsregistereintrags bedürfe. BGE 141 III 159 S. 162 1.2.2 Nach Art. 197 ZPO geht dem Entscheidverfahren - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen (vgl. Art. 198 f. ZPO) - ein Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraus. Zur Schlichtungsverhandlung müssen die Parteien persönlich erscheinen ( Art. 204 Abs. 1 ZPO ). Das Bundesgericht hat in BGE 140 III 70 entschieden, diese Pflicht zum persönlichen Erscheinen gelte auch für juristische Personen (E. 4.3 S. 70 ff.). Eine juristische Person habe sich an der Schlichtungsverhandlung durch ein Organ oder zumindest durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete und zur Prozessführung befugte Person, die überdies mit dem Streitgegenstand vertraut sei, vertreten zu lassen (E. 4.3 S. 72). Nicht geklärt ist damit, ob zu den Organen, die zur Vertretung der juristischen Person an der Schlichtungsverhandlung befugt sind, auch faktische Organe gehören. Faktische Organe sind Personen, die tatsächlich Organen vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung besorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimmen ( BGE 128 III 29 E. 3a S. 30 mit Hinweisen). Mit BGE 141 III 80 hat sich das Bundesgericht allgemein dazu geäussert, welche Personen dazu befugt sind, für eine Aktiengesellschaft rechtsgeschäftlich zu handeln und vor Gericht zu erscheinen; es sind dies erstens die Mitglieder des Verwaltungsrates ( Art. 718 Abs. 1 OR ), bei Übertragung der Vertretung nach Art. 718 Abs. 2 OR zweitens Delegierte oder Direktoren, drittens Prokuristen ( Art. 458 OR ) und viertens Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 OR (E. 1.3 S. 82). Die faktischen Organe werden in dieser Aufzählung nicht erwähnt. Ob zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung, für welche Art. 204 Abs. 1 ZPO mit der Voraussetzung des persönlichen Erscheinens eine Sonderregelung aufstellt, auch lediglich die aufgezählten Personen befugt sind, ist nicht ausdrücklich geklärt. 1.2.3 In der Lehre ist die Frage der Zulässigkeit einer Vertretung an der Schlichtungsverhandlung durch faktische Organe umstritten (Zulässigkeit bejahend: URS EGLI, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 5 zu Art. 204 ZPO ; Zulässigkeit verneinend: DAVID EGGER, Die Stellung der Organe im Zivilprozess, 2014, N. 151 ff., 165; implizit verneinend durch Voraussetzung eines Handelsregistereintrags: ALVAREZ/PETER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 2 zu Art. 204 ZPO ; ADRIAN STAEHELIN UND ANDERE, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 20 N. 19; BGE 141 III 159 S. 163 ALEXANDER WYSS, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 204 ZPO ). 1.2.4 Die Frage, wie eine juristische Person das Erfordernis des persönlichen Erscheinens an der Schlichtungsverhandlung korrekt umsetzt, ist von erheblicher praktischer Tragweite. Ob auch ein faktisches Organ die juristische Person vertreten kann, wovon die Vorinstanz ausging, ist durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt und in der Lehre umstritten. Vor diesem Hintergrund ist ein Klärungsbedürfnis und damit das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu bejahen. Die Beschwerde in Zivilsachen erweist sich damit gestützt auf Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG als zulässig. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten ( Art. 113 BGG ). 2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 204 Abs. 1 ZPO . Entgegen der Ansicht der Vorinstanz habe die Beschwerdegegnerin das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nicht durch das Erscheinen eines faktischen Organs erfüllen können, als welches D. qualifiziert worden sei. Die Klagebewilligung sei somit ungültig, weshalb die Klage abzuweisen sei. 2.1 Die Klagebewilligung stellt - abgesehen vom Spruch über die Kosten (vgl. Urteil 4D_68/2013 vom 12. November 2013 E. 3) - keinen anfechtbaren Entscheid dar ( BGE 139 III 273 E. 2.3 mit Hinweisen). Die beklagte Partei kann ihre Gültigkeit aber im erstinstanzlichen Klageverfahren bestreiten. Das Vorliegen der gültigen Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde nach Art. 209 ZPO ist, wo dem Prozess überhaupt ein Schlichtungsversuch vorauszugehen hat, eine Prozessvoraussetzung, die das Gericht von Amtes wegen zu prüfen hat ( BGE 139 III 273 E. 2.1 mit Hinweisen). Ungültig ist die Klagebewilligung etwa, wenn die Schlichtungsbehörde mangels persönlichen Erscheinens der klagenden Partei ( Art. 204 Abs. 1 ZPO ) das Verfahren hätte abschreiben müssen, weil bei Säumnis der klagenden Partei das Schlichtungsgesuch nach Art. 206 Abs. 1 ZPO als zurückgezogen gilt ( BGE 140 III 70 E. 5 S. 74). 2.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, D. sei nicht als Organ im Handelsregister eingetragen. Nach dem funktionellen Organbegriff sei als Organ aber nicht nur anzusehen, wer de forma zur Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben berufen werde (formelles Organ), sondern auch, wer de facto Leitungsfunktionen wahrnehme bzw. effektiv und in entscheidender Weise an der Bildung des Verbandswillens teilhabe, BGE 141 III 159 S. 164 indem er Organen vorbehaltene Entscheide treffe oder die eigentliche Geschäftsführung besorge und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestimme (faktisches Organ). Die Vorinstanz kam zum Schluss, D. sei ein solches faktisches Organ der klägerischen Aktiengesellschaft und durch ihre Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung sei die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt. 2.3 Art. 204 Abs. 1 ZPO verlangt, dass die für eine juristische Person als Partei an der Schlichtungsverhandlung anwesende Vertreterin vorbehaltlos und gültig handeln kann. So muss sie insbesondere zum Vergleichsabschluss ermächtigt sein ( BGE 140 III 70 E. 4.4 S. 73). In der Lehre ist umstritten, ob die Figur des faktischen Organs lediglich als Haftungstatbestand für sich einmischende Personen dient oder ob das faktische Organ tatsächliche Organqualität hat und (über die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht hinausgehend) durch sein Handeln die juristische Person aktiv binden kann (dazu ausführlich und kritisch MICHAEL WYTTENBACH, Formelle, materielle und faktische Organe - einheitlicher Organbegriff?, 2012, S. 247 ff., 267 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die Literatur; kritisch auch EGGER, a.a.O., N. 152 ff., 164; vgl. zu den Folgen faktischer Organschaft auch PETER V. KUNZ, Materielle Organschaft ["faktische VR"]: Voraussetzung sowie Folgen im Aktienrecht, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht IX, 2014, S. 173 ff., 183 ff.). Das Bundesgericht hat die Figur des faktischen Organs bisher primär im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit (des faktischen Organs) nach Art. 754 OR angewendet ( BGE 136 III 14 E. 2.4 S. 20 f.; BGE 128 III 92 E. 3a S. 93 f., BGE 128 III 29 E. 3a S. 30 f.; BGE 119 II 255 E. 4 S. 257 ff.; BGE 117 II 570 E. 3 S. 571; BGE 107 II 349 E. 5b S. 355; Urteil 4A_306/2009 vom 8. Februar 2010 E. 7), weiter im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit der Organe einer Aktiengesellschaft für Nichtleistung der Sozialversicherungsbeiträge ( BGE 132 III 523 E. 4.5 S. 528 f.), im Zusammenhang mit der Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR ( BGE 122 III 225 E. 4b S. 227; vgl. auch Urteil 4A_544/2008 vom 10. Februar 2009 E. 2.2 f.) und im Zusammenhang mit einer auf Rechtsschein beruhenden Vollmacht ( BGE 124 III 418 E. 1b S. 420 f. und E. 1c S. 421 f.). In einem nicht publizierten Urteil aus dem Jahr 2001 hat das Bundesgericht zwar ausgeführt, auch das faktische Organ könne die Gesellschaft nach aussen vertreten, wobei sich die Vertretungsmacht aus dem Umstand ergebe, dass die entsprechenden Personen in gleicher Weise wie ein gewähltes BGE 141 III 159 S. 165 Organ an der Meinungsbildung der juristischen Person beteiligt seien und nach aussen auftreten würden (Urteil 4C.307/2001 vom 14. März 2002 E. 2b). In diesem Urteil ging es indessen nicht um eine aktive Handlung, sondern (ähnlich einer Wissenszurechnung) um die Zurechnung der Entgegennahme von Arbeit (vgl. Art. 320 Abs. 2 OR ). 2.4 Es kann hier offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen ein faktisches Organ aktiv für die juristische Person materiell bindende Rechtshandlungen vornehmen kann, selbst wenn - wie hier - die Gegenpartei eine gültige Vertretung der juristischen Person bestreitet. Denn vorliegend gilt es den prozessrechtlichen Kontext zu beachten. Die Schlichtungsbehörde muss an der Schlichtungsverhandlung prüfen, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt ist. Von dieser Frage hängt das weitere Vorgehen ab. Erscheint eine Partei nicht persönlich, ohne dass ein Dispensationsgrund nach Art. 204 Abs. 3 ZPO vorliegt, so ist sie säumig. Dies hat bei der klagenden Partei zur Folge, dass das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen gilt und das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben wird ( Art. 206 Abs. 1 ZPO ). Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde gemäss Art. 206 Abs. 2 ZPO , wie wenn keine Einigung zustande gekommen wäre (Erteilung der Klagebewilligung, Unterbreitung eines Urteilsvorschlags oder Entscheid). Die Schlichtungsbehörde muss somit an der Schlichtungsverhandlung möglichst rasch und gestützt auf Urkunden (vgl. Art. 203 Abs. 2 ZPO ) darüber befinden können, ob die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO erfüllt ist oder ob sie aufgrund von Säumnis das Verfahren abschreiben (Säumnis der klagenden Partei) bzw. nach Art. 209-212 ZPO verfahren soll (Säumnis der beklagten Partei). Erscheint nun für eine juristische Person eine natürliche Person zur Schlichtungsverhandlung, die sich als faktisches Organ ausgibt, so lässt sich deren Stellung innerhalb der juristischen Person durch die Schlichtungsbehörde nur schwer verifizieren (vgl. auch EGGER, a.a.O., N. 162). Ein faktisches Organ ist gerade nicht im Handelsregister eingetragen. Es spricht für sich, dass vorliegend das erstinstanzliche Gericht ein Beweisverfahren durchführen und mehrere Personen befragen musste, um zur Auffassung zu gelangen, es liege eine faktische Organschaft vor. Solche Beweismassnahmen sind im Schlichtungsverfahren nicht möglich (vgl. Art. 203 Abs. 2 ZPO ). Jedenfalls könnte nicht bereits aus der Tatsache des Erscheinens zur Schlichtungsverhandlung für die juristische Person auf eine faktische BGE 141 III 159 S. 166 Organschaft geschlossen werden, da so eine beliebige Person zum faktischen Organ werden könnte und das Erfordernis des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO völlig ausgehöhlt würde. Ein weiteres Problem würde sich auch mit der Zeichnungsberechtigung ergeben. Bei einem faktischen Organ lässt sich nicht wie bei im Handelsregister eingetragenen Organen aus diesem ablesen, ob eine Einzel- oder eine Kollektivzeichnungsberechtigung besteht. 2.5 Ist die Schlichtungsbehörde mit so vielen Unklarheiten konfrontiert, die sie nicht oder jedenfalls nicht ohne einigen Aufwand beseitigen kann, so hätte sie bei Zulassung des faktischen Organs als Vertreterin der juristischen Person zwei Möglichkeiten. Entweder erachtet sie die Ausführungen des angeblichen faktischen Organs als glaubwürdig und führt die Schlichtung durch, dies mit dem Risiko, dass der zur Verhandlung erschienene Vertreter in Wirklichkeit kein faktisches Organ ist und eine erteilte Klagebewilligung ungültig oder ein abgeschlossener Vergleich in Frage gestellt wäre. Oder aber sie erachtet die korrekte Vertretung der juristischen Person als nicht erwiesen und schreibt bei Säumnis der Klägerin das Verfahren als gegenstandslos ab oder erteilt bei Säumnis der Beklagten die Klagebewilligung bzw. unterbreitet einen Urteilsvorschlag oder Entscheid. Im ersten Fall wird eine allfällige Einigung der Parteien nachträglich wieder in Frage gestellt, was der Rechtssicherheit abträglich ist. Im zweiten Fall wird die Schlichtungsverhandlung gar nicht erst durchgeführt, womit eine durch die Schlichtungsbehörde herbeigeführte Einigung nicht möglich ist. In beiden Fällen besteht die Gefahr, die Versöhnung der Parteien als Zweck des Schlichtungsverfahrens ( Art. 201 Abs. 1 ZPO ) zu vereiteln. Zudem ist es der Prozessökonomie abträglich, wenn die Frage des korrekten persönlichen Erscheinens i.S.v. Art. 204 Abs. 1 ZPO in das erstinstanzliche Gerichtsverfahren verlagert wird und - wie vorliegend - mittels Durchführung eines Beweisverfahrens geklärt werden muss (vgl. EGGER, a.a.O., N. 162 und 131). 2.6 Der Schlichtungsbehörde muss nach dem Gesagten ermöglicht werden, rasch und einfach zu prüfen, ob eine juristische Person korrekt vertreten zur Schlichtungsverhandlung erschienen ist. Die im Handelsregister eingetragenen Organe und die Prokuristen haben zu diesem Zweck einen Handelsregisterauszug vorzuweisen; die (kaufmännischen) Handlungsbevollmächtigten haben eine Vollmacht zur Prozessführung in dieser Angelegenheit i.S.v. Art. 462 Abs. 2 OR BGE 141 III 159 S. 167 vorzuweisen, aus der sich zudem ihre Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR ergibt (vgl. BGE 141 III 80 E. 1.3 S. 82; Urteil 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 2.2.1). Faktische Organe vermögen nichts Derartiges vorzuweisen. Eine juristische Person kann sich daher im Schlichtungsverfahren nicht von faktischen Organen vertreten lassen. 3. Um die Voraussetzung des persönlichen Erscheinens nach Art. 204 Abs. 1 ZPO zu erfüllen, kann sich eine juristische Person an der Schlichtungsverhandlung auch durch eine mit einer (kaufmännischen) Handlungsvollmacht ausgestattete, zur Prozessführung befugte und mit dem Streitgegenstand vertraute Person vertreten lassen ( BGE 140 III 70 E. 4.3 S. 72). Die Vorinstanz hat denn auch in einer Eventualbegründung geltend gemacht, D. sei zumindest als Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 OR zu qualifizieren. 3.1 Die Vorinstanz hat ausgeführt, die einzelzeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin E. habe ihrer Mutter D. am 22. April 2013 eine Vollmacht ausgestellt. Darin habe sie D. bevollmächtigt, die Interessen von E. und diejenigen der Beschwerdegegnerin an der Verhandlung vor dem Friedensrichteramt N. vom 26. April 2013 in Sachen Klage Nr. x zu vertreten. Es liege somit eine gültige Handlungsvollmacht im Sinne von Art. 462 Abs. 2 OR für D. zur Vertretung an der Schlichtungsverhandlung vor. Es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Vollmacht dem Friedensrichter vorgelegen habe, sei doch auf der Klagebewilligung hinter dem Namen von D. der Zusatz "bevollmächtigt" vermerkt. 3.2 Unter einer kaufmännischen Handlungsvollmacht sind die Prokura nach Art. 458 ff. OR sowie die "andere Handlungsvollmacht" nach Art. 462 OR zu verstehen. Eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR liegt vor, wenn der Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes jemanden ohne Erteilung der Prokura, sei es zum Betriebe des ganzen Gewerbes, sei es zu bestimmten Geschäften in seinem Gewerbe als Vertreter bestellt; die Vollmacht erstreckt sich dabei auf alle Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt ( Art. 462 Abs. 1 OR ). Zur Prozessführung ist der Handlungsbevollmächtigte hingegen nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist ( Art. 462 Abs. 2 OR ). Wenn das Bundesgericht eine kaufmännische Handlungsvollmacht voraussetzt, so ergibt sich daraus, dass eine bloss bürgerliche Bevollmächtigung ( Art. 32 ff. OR ) nicht ausreicht. BGE 141 III 159 S. 168 3.3 Wird wie vorliegend eine Person schriftlich bevollmächtigt, eine Partei an der Schlichtungsverhandlung zu vertreten, so stellt sich die Frage, ob lediglich eine (unzureichende) bürgerliche Bevollmächtigung nach Art. 32 OR oder ob eine nach Art. 462 Abs. 2 OR erforderliche, einem Handlungsbevollmächtigten i.S.v. Art. 462 OR ausdrücklich erteilte Befugnis zur Prozessführung vorliegt. Eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR setzt voraus, dass eine Person nicht für ein einzelnes Rechtsgeschäft gezielt bevollmächtigt, sondern für alle Rechtshandlungen als Vertreter bestellt wird, die der Betrieb eines ganzen Gewerbes oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in einem Gewerbe mit sich bringt; die Ermächtigung zur Prozessführung nach Art. 462 Abs. 2 OR kann demnach nur einer Person erteilt werden, die (bereits) Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR ist (vgl. WYSS, a.a.O., N. 2 zu Art. 204 ZPO : "Die Anwesenheit eines Handlungsbevollmächtigten nach Art. 462 Abs. 1 OR ist nur ausreichend, wenn dieser ausdrücklich zur Prozessführung ermächtigt worden ist [ Art. 462 Abs. 2 OR ]."). Aus der Vollmacht zur Prozessführung ( Art. 462 Abs. 2 OR ) muss sich mithin gleichzeitig ergeben, dass eine Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 OR vorliegt (vgl. oben E. 2.6). 3.4 Vorliegend hat sich die Vorinstanz zur Begründung der Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR auf die Vollmacht zur Vertretung im Prozess gestützt. Aus der Vollmacht ergibt sich indessen nicht, dass D. eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR der Beschwerdegegnerin war. Damit wären die Voraussetzungen für eine gültige Vertretung der Beschwerdegegnerin durch eine (kaufmännische) Handlungsbevollmächtigte an sich nicht erfüllt. Das Bundesgericht hat diese Voraussetzungen vorliegend allerdings erstmals konkretisiert. Sollte D. von E. daher tatsächlich als Handlungsbevollmächtigte nach Art. 462 OR bestellt und sollte dies auch der Beschwerdeführerin bekannt gewesen sein, so könnte im vorliegenden Fall aus Gründen des Vertrauensschutzes noch eine gültige Vertretung an der Schlichtungsverhandlung angenommen werden. Die Vorinstanz hat im Rahmen ihrer Ausführungen zur Frage einer faktischen Organschaft festgestellt, D. habe aktiv bei der Beschwerdegegnerin mitgearbeitet und habe sich um die Administration und das Personal gekümmert. Sie habe etwa auch einen Kontrollrapport des Tierschutzes unterzeichnet. Zudem sei sie auch an einer Besprechung mit den Söhnen der Beschwerdeführerin dabei gewesen. BGE 141 III 159 S. 169 Es bestehen somit Indizien dafür, dass D. nicht nur faktisch, sondern auch formell zur Vornahme aller Rechtshandlungen bevollmächtigt war, die der Betrieb des Gewerbes der Beschwerdegegnerin oder die Ausführung bestimmter Geschäfte in diesem Gewerbe gewöhnlich mit sich brachte. Die Sache ist somit an die Vorinstanz zur Ergänzung des Sachverhalts dahingehend zurückzuweisen, ob eine solche formelle (kaufmännische) Handlungsvollmacht i.S.v. Art. 462 Abs. 1 OR bestand und ob die damit verbundene Vertretungsmacht auch der Beschwerdeführerin bekannt war oder bekannt gewesen sein musste.
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Sachverhalt ab Seite 286 BGE 131 V 286 S. 286 A. Mediante decisione del 14 ottobre 2003 l'Ufficio regionale di collocamento (URC) di Lugano ha accolto la domanda presentata da N., nato nel 1960, iscritto alla disoccupazione dal 1° dicembre 2002, di frequentare dal 9 ottobre 2003 al 14 febbraio 2004 il Corso propedeutico Y. presso la Scuola X., riconoscendo il contributo legale alle spese di corso e di viaggio. Con provvedimento 2 aprile 2004, sostanzialmente confermato il 12 maggio successivo anche in seguito all'opposizione interposta dall'interessato, l'URC di Lugano ha quindi solo parzialmente accolto la successiva richiesta dell'assicurato di poter seguire, sempre a carico dell'assicurazione contro la disoccupazione, il corso (principale) Y. sempre organizzato dalla Scuola X. dal 9 marzo 2004 al 7 giugno 2005. L'amministrazione ha infatti limitato l'erogazione delle sue BGE 131 V 286 S. 287 prestazioni (contributo alle spese di corso, di viaggio e di vitto) al periodo 9 marzo 2004 - 18 ottobre 2004 in considerazione del fatto che a quest'ultima data, secondo le informazioni raccolte presso la competente cassa di disoccupazione, sarebbe venuto a scadere il diritto alle indennità di disoccupazione del richiedente. B. N. è insorto al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino chiedendo il pagamento delle indennità giornaliere e del corso fino alla scadenza di quest'ultimo (giugno 2005). Esperiti i propri accertamenti, la Corte cantonale, per pronuncia del 13 dicembre 2004, ha respinto il gravame e confermato l'operato dell'URC. C. Avverso il giudizio cantonale N. interpone ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale delle assicurazioni, al quale ripropone sostanzialmente le richieste di prima sede. Dei motivi si dirà, per quanto occorra, nei considerandi. L'URC di Lugano come pure il Segretariato di Stato dell'economia (seco) hanno rinunciato a presentare osservazioni.
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Erwägungen Dai considerandi: 1. Oggetto del contendere è la questione di sapere se è a ragione oppure a torto che l'URC di Lugano ha limitato il riconoscimento delle proprie prestazioni per la frequentazione del corso Y. della Scuola X. alla data di scadenza, il 18 ottobre 2004, del diritto di N. alle indennità giornaliere di disoccupazione. (...) 1.3 Dal profilo temporale si applicano di principio le disposizioni materiali in vigore al momento della realizzazione dello stato di fatto che dev'essere valutato giuridicamente o che produce conseguenze giuridiche ( art. 118 cpv. 2 LADI ; DTF 129 V 4 consid. 1.2). Con modifica del 22 marzo 2002, il legislatore federale ha sottoposto la legge sull'assicurazione contro la disoccupazione a una revisione parziale, entrata in vigore il 1° luglio 2003 (3a revisione LADI; RU 2003 1728, 1755), che ha segnatamente interessato i provvedimenti inerenti al mercato del lavoro (art. 59 segg. LADI). Oggetto della decisione su opposizione in lite è l'assunzione delle spese per la frequentazione di un corso organizzato dal 9 marzo 2004 al 7 giugno 2005 e l'erogazione delle relative indennità di legge. BGE 131 V 286 S. 288 Ora, la richiesta di frequentazione e assunzione delle spese del corso, il corso stesso come pure la decisione parzialmente negativa dell'amministrazione sono posteriori al 1° luglio 2003. Ne discende l'applicabilità delle nuove disposizioni della LADI. Ciò vale, nonostante nel caso concreto il termine quadro per la riscossione delle prestazioni sia stato aperto prima del 1° luglio 2003, anche per quanto attiene alle nuove disposizioni concernenti il numero massimo di indennità giornaliere ( art. 27 LADI ), il nuovo diritto esplicando in questo caso i suoi effetti su fatti precedenti - che peraltro si manifestano ancora oltre la modifica del disciplinamento giuridico - solo per il periodo posteriore alla sua entrata in vigore (retroattività impropria; DTF 126 V 135 consid. 4a, DTF 124 III 271 consid. 4e, DTF 122 II 124 consid. 3b/dd, DTF 122 V 8 consid. 3a, DTF 122 V 408 consid. 3b/aa e sentenze ivi citate). 2. 2.1 Nell'ambito della terza revisione della legge, i Capitoli 6 e 7 del Titolo terzo della LADI (art. 59-75) sono stati sottoposti a una riorganizzazione sistematica e, parzialmente, anche redazionale (cfr. la sentenza del 24 dicembre 2004 in re B., C 77/04, consid. 3.2). Il Messaggio 28 febbraio 2001 del Consiglio federale concernente la revisione della legge sull'assicurazione contro la disoccupazione non prevedeva modifiche sostanziali fondamentali (FF 2001 1967 segg.; cfr. pure la sentenza citata del 24 dicembre 2004 in re B., consid. 3.2). La riforma si proponeva in particolare di innalzare il periodo contributivo, di ridurre la durata massima di riscossione dell'indennità di disoccupazione come pure di conseguire, grazie a una migliore efficienza degli uffici regionali di collocamento e ai provvedimenti inerenti al mercato del lavoro, dei risparmi da contrapporre ai maggiori oneri derivanti dagli Accordi bilaterali (Accordo del 21 giugno 1999 tra la Confederazione Svizzera, da una parte, e la Comunità europea ed i suoi Stati membri, dall'altra, sulla libera circolazione delle persone [sentenza citata del 24 dicembre 2004 in re B., consid. 3.4]). 2.2 Sono state così soppresse le indennità giornaliere speciali precedentemente (vecchio art. 27 cpv. 2 lett. b LADI ) concesse agli assicurati per i giorni durante i quali partecipavano a provvedimenti inerenti al mercato del lavoro su ordine o con l'accordo del servizio ufficiale competente (vecchio art. 59b cpv. 1 LADI ). Tali indennità venivano di principio versate, al posto e senza computo sulle indennità giornaliere ordinarie (cfr. sentenza del 12 dicembre 2002 in re S., BGE 131 V 286 S. 289 C 210/02, consid. 2.2 con riferimenti), fino alla scadenza del termine quadro per la riscossione delle prestazioni (vecchio art. 59b cpv. 2 LADI ), la giurisprudenza avendo a tal proposito precisato non sussistere un diritto a indennità giornaliere speciali, o al rimborso delle spese dovute alla frequenza di un corso, per un provvedimento inerente al mercato del lavoro che si prolunga oltre la scadenza del primo termine quadro per la riscossione della prestazione ove l'assicurato non possa beneficiare di un secondo termine quadro ( DTF 126 V 514 ). 2.3 Parzialmente modificata è stata quindi anche la procedura concernente le domande di sussidio per provvedimenti inerenti al mercato del lavoro ( art. 59c LADI ; FF 2001 2010). 2.4 Il progetto del Consiglio federale è stato sostanzialmente ripreso dalle Camere federali. Una proposta del Consiglio nazionale di inserire un capoverso 3 bis e 3 ter all' art. 59 LADI alfine di estendere la cerchia dei beneficiari dei provvedimenti inerenti al mercato del lavoro anche ai disoccupati esclusi dal diritto alle indennità di disoccupazione (BU 2001 CN 1906) è stata respinta dal Consiglio degli Stati (BU 2002 CS 75) e, infine, anche dalla maggioranza dello stesso Consiglio nazionale (BU 2002 CN 315, 317). 2.5 L' art. 27 LADI prevede pertanto ora soltanto un tipo d'indennità giornaliera. La soppressione delle indennità giornaliere speciali è stata voluta per eliminare la prassi, precedentemente troppo spesso adottata, di assegnare un assicurato a un provvedimento inerente al mercato del lavoro soltanto quando questi esauriva le sue indennità normali. Si è quindi voluto fare in modo che l'assicurato potesse partecipare quanto prima a un provvedimento inerente al mercato del lavoro (FF 2001 2009). 3. 3.1 Giusta l' art. 1a cpv. 2 LADI , la legge si prefigge di prevenire la disoccupazione incombente, di combattere quella esistente e di favorire la reintegrazione rapida e duratura sul mercato del lavoro. L' art. 7 LADI dispone che, per prevenire e combattere la disoccupazione, l'assicurazione versa tra l'altro contributi finanziari in favore di provvedimenti inerenti al mercato del lavoro per gli assicurati (cpv. 1 lett. b). Essa versa inoltre le seguenti prestazioni: indennità di disoccupazione (cpv. 2 lett. a), indennità per lavoro ridotto (cpv. 2 lett. c), indennità per intemperie (cpv. 2 lett. d) e indennità nel caso d'insolvenza del datore di lavoro (indennità per insolvenza [cpv. 2 BGE 131 V 286 S. 290 lett. e]). L'indennità di disoccupazione è pagata come indennità giornaliera. Per una settimana sono pagate cinque indennità giornaliere ( art. 21 LADI ). Per l' art. 27 cpv. 1 LADI , entro il termine quadro per la riscossione (art. 9 cpv. 2) - in casu compreso tra il 1° dicembre 2002 e il 30 novembre 2004 -, il numero massimo di indennità giornaliere è determinato in base all'età dell'assicurato e al periodo di contribuzione (art. 9 cpv. 3). Per il capoverso 2, l'assicurato ha diritto: a 400 indennità giornaliere al massimo se può comprovare un periodo di contribuzione di 12 mesi in totale (lett. a); a 520 indennità giornaliere al massimo se ha compiuto 55 anni e può comprovare un periodo di contribuzione minimo di 18 mesi (lett. b); a 520 indennità giornaliere al massimo se riceve una rendita di invalidità dell'assicurazione invalidità o dell'assicurazione obbligatoria contro gli infortuni, ovvero se ha chiesto di ricevere una tale rendita e la sua richiesta non sembra priva di possibilità di successo (lett. c cifra 1), e se può comprovare un periodo di contribuzione di almeno 18 mesi (lett. c cifra 2). Il Consiglio federale può aumentare di 120 unità al massimo il numero di indennità giornaliere e prolungare di due anni al massimo il termine quadro per la riscossione per gli assicurati divenuti disoccupati durante gli ultimi quattro anni precedenti il raggiungimento dell'età che dà diritto alla rendita AVS e il cui collocamento risulta generalmente impossibile o molto difficile per motivi inerenti al mercato del lavoro (cpv. 3). Le persone esonerate dall'adempimento del periodo di contribuzione hanno diritto a 260 indennità giornaliere al massimo (cpv. 4). 3.2 A norma dell' art. 59 LADI , l'assicurazione fornisce prestazioni finanziarie per provvedimenti inerenti al mercato del lavoro a favore di assicurati e di persone minacciate dalla disoccupazione (cpv. 1). I provvedimenti inerenti al mercato del lavoro sono volti a promuovere la reintegrazione di assicurati il cui collocamento è reso difficile da motivi inerenti al mercato del lavoro. Tali provvedimenti devono in particolare (cpv. 2): migliorare l'idoneità al collocamento degli assicurati in modo da permettere loro una rapida e durevole reintegrazione (lett. a), promuovere le qualifiche professionali secondo i bisogni del mercato del lavoro (lett. b), diminuire il rischio di una disoccupazione di lunga durata (lett. c) od offrire la possibilità di acquisire esperienze professionali (lett. d). Possono, per il capoverso 3, partecipare ai provvedimenti inerenti al mercato del lavoro secondo gli articoli 60-71d gli assicurati che BGE 131 V 286 S. 291 adempiono i presupposti del diritto (all'indennità di disoccupazione) secondo l'articolo 8, per quanto la legge non disponga altrimenti (lett. a), e che soddisfano le condizioni specifiche per il provvedimento in questione (lett. b). 3.3 Giusta l' art. 59b cpv. 1 LADI , l'assicurazione versa agli assicurati indennità giornaliere per i giorni durante i quali, in virtù di una decisione del servizio competente, partecipano a un provvedimento di formazione o di occupazione o si dedicano a preparare un'attività lucrativa indipendente secondo l'articolo 71a. Secondo il capoverso 3 dell' art. 59b LADI , l'assicurazione accorda inoltre assegni per il periodo d'introduzione ai sensi dell' art. 65 LADI (lett. a), assegni di formazione a norma dell' art. 66a LADI (lett. b) e sussidi per le spese degli assicurati pendolari e soggiornanti settimanali ai sensi dell' art. 68 LADI (lett. c). Per provvedimenti di formazione si intendono segnatamente corsi individuali o collettivi di riqualificazione, di perfezionamento o di reintegrazione nonché aziende di esercitazione e pratiche di formazione ( art. 60 cpv. 1 LADI ). 3.4 Per la partecipazione ai corsi possono pretendere prestazioni: gli assicurati secondo l'articolo 59b capoverso 1 ( art. 60 cpv. 2 lett. a LADI ) e le persone direttamente minacciate dalla disoccupazione secondo l'articolo 62 capoverso 2 ( art. 60 cpv. 2 lett. b LADI ). Giusta l' art. 62 cpv. 2 LADI , l'assicurazione rimborsa ai partecipanti le spese comprovate di partecipazione. 4. 4.1 Secondo le Direttive del seco concernenti la revisione della LADI e dell'OADI valide dal 1° luglio 2003, durante la fase transitoria, le persone il cui termine quadro per la riscossione della prestazione è ancora aperto ma che hanno esaurito il loro diritto all'indennità di disoccupazione possono portare a termine un provvedimento inerente al mercato del lavoro (PML) iniziato prima dell'entrata in vigore della nuova LADI beneficiando del rimborso delle spese di trasporto, vitto e alloggio secondo l'ordinanza concernente le tariffe di rimborso delle spese (RS 837.056.2). Per contro, a partire dal 1° luglio 2003, se il loro diritto si è esaurito non può più essere versata loro alcuna indennità di disoccupazione. Sempre secondo tali direttive, dopo la fase transitoria, le persone il cui termine quadro per la riscossione della prestazione è ancora aperto, ma che hanno esaurito il loro diritto all'indennità di disoccupazione, BGE 131 V 286 S. 292 non possono di principio più beneficiare di un PML, lo stesso dovendo valere se il provvedimento è iniziato prima dell'esaurimento del diritto all'indennità. 4.2 Dopo avere richiamato le poc'anzi menzionate direttive del seco ed avere osservato che, allorquando (in concreto: il 18 ottobre 2004) un assicurato ha esaurito il numero massimo di indennità di cui all' art. 27 LADI , egli non ha più diritto ad alcuna indennità di disoccupazione, l'autorità giudiziaria cantonale ha limitato il riconoscimento delle spese di corso e delle relative spese di viaggio e di vitto ai soli 44 giorni intercorsi tra l'inizio del corso (9 marzo 2004) e il 18 ottobre 2004. 5. 5.1 Anche se le direttive amministrative non sono vincolanti per il giudice delle assicurazioni sociali, quest'ultimo deve tenerne conto nella misura in cui esse consentano nel caso di specie una corretta interpretazione delle disposizioni di legge ( DTF 130 V 172 consid. 4.3.1, DTF 126 V 232 consid. 2.1, DTF 129 V 204 consid. 3.2, DTF 127 V 61 consid. 3a, DTF 126 V 68 consid. 4b, DTF 126 V 427 consid. 5a, DTF 125 V 379 consid. 1c e sentenze ivi citate). 5.2 La legge è da interpretare in primo luogo procedendo dalla sua lettera. Se il testo di un disposto legale è chiaro e non sia pertanto necessario far capo ad altri metodi d'interpretazione ai fini di appurarne la portata, è lecito scostarsi dal senso letterale soltanto qualora conduca a soluzioni manifestamente insostenibili, contrarie alla volontà del legislatore. Tuttavia, se il testo non è perfettamente chiaro, se più interpretazioni del medesimo sono possibili, dev'essere ricercato quale sia la vera portata della norma, prendendo in considerazione tutti gli elementi d'interpretazione, in particolare lo scopo della disposizione, il suo spirito, nonché i valori su cui essa prende fondamento. Pure di rilievo è il senso che essa assume nel suo contesto ( DTF 130 II 71 consid. 4.2, DTF 130 V 50 consid. 3.2.1, DTF 130 V 232 consid. 2.2, DTF 129 V 284 consid. 4.2 e riferimenti). I lavori preparatori, segnatamente laddove una disposizione non è chiara oppure si presta a diverse interpretazioni, costituiscono un mezzo valido per determinarne il senso ed evitare così di incorrere in interpretazioni erronee. Soprattutto nel caso di disposizioni recenti, la volontà storica dell'autore della norma non può essere ignorata se ha trovato espressione nel testo oggetto d'interpretazione ( DTF 126 V 439 consid. 3b, BGE 131 V 286 S. 293 DTF 124 II 200 consid. 5c, DTF 124 III 129 consid. 1b/aa, DTF 124 V 189 consid. 3a con riferimenti). 6. 6.1 Ora, soprattutto l'interpretazione sistematica delle disposizioni determinanti evidenzia come il legislatore, oltre ad avere abolito le indennità giornaliere speciali e ad avere istituito un sistema unitario di indennità di disoccupazione, abbia di principio ancorato, mediante un sistema di rinvii, la partecipazione ai provvedimenti inerenti al mercato del lavoro ai presupposti del diritto all'indennità di disoccupazione ( art. 59 cpv. 3 lett. a LADI ), facendo di fatto segnatamente dipendere le prestazioni per la partecipazione ai corsi dal versamento e dal diritto alle indennità giornaliere (art. 60 cpv. 2 lett. a in relazione con l' art. 59b cpv. 1 LADI ). In questa chiave può anche essere letto il rifiuto opposto dalle Camere federali al già menzionato tentativo (consid. 2.4) messo in atto durante le discussioni parlamentari di ammettere, a carico dell'assicurazione contro la disoccupazione invece che dell'aiuto sociale cantonale o comunale, una determinata categoria di assicurati esclusi dal diritto alle indennità di disoccupazione ai programmi e provvedimenti inerenti al mercato del lavoro (cfr. ad es. BU 2001 CN 1906 segg., 2002 CS 170). 6.2 In quest'ordine di idee si inserisce inoltre il fatto che la giurisprudenza sviluppata da questa Corte in DTF 112 V 70 , in forza della quale l'assicurato autorizzato a frequentare un corso che aveva esaurito il suo diritto alle indennità giornaliere prima dell'inizio dello stesso, o quello il cui diritto scadeva durante la frequenza del corso, conservava il diritto al rimborso delle spese d'iscrizione, del materiale didattico, di viaggio, di vitto e di alloggio (disciplinato dall'allora vigente vecchio art. 61 cpv. 3 LADI ) sino alla durata massima di 260 giorni stabiliti dall'allora vigente vecchio art. 60 cpv. 4 LADI , ha perso tutta la sua attualità dopo che il legislatore, con la modifica del 19 marzo 1999 (in vigore dal 1° settembre 1999), ha precisato non applicarsi questa disposizione alle persone che hanno esaurito il loro diritto alle indennità di disoccupazione (RU 1999 2385; FF 1999 3). Principio, quest'ultimo, ora ripreso dall' art. 59d cpv. 1 LADI , il quale disposto stabilisce espressamente che non hanno diritto alle prestazioni di cui all' art. 62 cpv. 2 LADI gli assicurati che, fra l'altro, hanno esaurito il diritto all'indennità di disoccupazione. BGE 131 V 286 S. 294 6.3 In tali condizioni, la valutazione dell'amministrazione e dei primi giudici dev'essere condivisa. Con l'estinzione, al 18 ottobre 2004, del diritto alle indennità giornaliere, il ricorrente non aveva più diritto ad alcuna indennità di disoccupazione e non poteva così nemmeno più pretendere ulteriori pagamenti per le spese di corso, di viaggio e di vitto. Per il resto, facendo manifestamente difetto i requisiti di legge, egli non aveva neppure diritto ad eventuali assegni d'introduzione o di formazione (art. 65 segg. LADI) o ai sussidi ai sensi dell' art. 68 LADI . Le Direttive del seco riferite alla situazione legale dopo la fase transitoria, oltre ad attagliarsi alla fattispecie concreta in quanto la domanda dell'assicurato e la decisione in lite dell'amministrazione come pure lo svolgimento del provvedimento in esame concernevano chiaramente un periodo successivo all'entrata in vigore della nuova LADI, sono da ritenersi conformi alla legge.
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Sachverhalt ab Seite 126 BGE 135 IV 126 S. 126 A. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. auf Berufung der Staatsanwaltschaft See/Oberland gegen den erstinstanzlichen Freispruch am 15. September 2008 des vorsätzlichen Fahrens in fahrunfähigem Zustand mit qualifizierter Blutalkoholkonzentration sowie des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs schuldig. Es bestrafte ihn mit BGE 135 IV 126 S. 127 einer bedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr. 160.- bei einer Probezeit von zwei Jahren und mit einer Busse von Fr. 1'500.- bzw. mit acht Tagen Haft im Falle der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse. Die Untersuchungshaft von einem Tag rechnete es mit Fr. 160.- an die Busse an. B. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt gegen dieses Urteil Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht des Kantons Zürich zurückzuweisen, damit es die Untersuchungshaft an die Geldstrafe anstatt an die Busse anrechne. C.
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Das Obergericht des Kantons Zürich reichte mit Eingabe vom 9. Januar 2009 seine Vernehmlassung ein. Der Beschwerdegegner verzichtete auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und fasst das Dispositiv des aufgehobenen, vorinstanzlichen Urteils neu. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.3 1.3.1 Unter dem alten vor dem 1. Januar 2007 geltenden Recht war die Anrechnung von Untersuchungshaft an Bussen in aArt. 69 StGB ausdrücklich geregelt. Darin hielt der Gesetzgeber fest, dass "der Richter dem Verurteilten die Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe anrechnet, soweit der Täter die Untersuchungshaft nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat. Lautet das Urteil nur auf Busse, so kann er die Dauer der Untersuchungshaft in angemessener Weise berücksichtigen." Gestützt auf den Wortlaut von aArt. 69 StGB war die Untersuchungshaft somit prioritär an die Freiheitsstrafe als Hauptstrafe anzurechnen. 1.3.2 Gemäss dem neuen Art. 51 Satz 1 StGB rechnet das Gericht die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses oder eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die "Strafe" an. Ein Tag Untersuchungshaft entspricht einem Tagessatz Geldstrafe oder vier Stunden gemeinnütziger Arbeit (Satz 2). Das Übertretungsstrafrecht in Artikel 103 ff. StGB regelt die Anrechnung von Untersuchungshaft an Bussen nicht, weshalb gestützt auf die Verweisung in Art. 104 StGB die Bestimmungen des ersten Teils des Strafgesetzbuches - wozu auch Art. 51 StGB zählt - anzuwenden sind. BGE 135 IV 126 S. 128 Art. 51 StGB spricht sich nicht darüber aus, auf welche "Strafen" die Untersuchungshaft anzurechnen ist, ob diese auch an eine Verbindungsbusse nach Art. 42 Abs. 4 StGB oder an eine Übertretungsbusse nach Art. 106 StGB angerechnet werden kann bzw. welche Prioritätenordnung bei der Anrechnung an mehrere gleichzeitig ausgesprochene Strafarten gilt. 1.3.3 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Auszurichten ist die Auslegung auf die ratio legis, die nicht nach den subjektiven Wertvorstellungen der Richter, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers zu ermitteln ist ( BGE 134 IV 297 E. 4.3.1 S. 302 mit Hinweisen). 1.3.4 Die Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Strafgesetzbuches (BBl 1999 1979 ff., 2063) führt zu Art. 51 StGB aus, "für Fälle, in denen keine Freiheitsstrafe ausgefällt wird, regelt Artikel 51 E die Anrechnung der Untersuchungshaft genauer als das geltende Recht. Die Regelung bezieht sich nicht nur auf die Geldstrafe, sondern auch auf die gemeinnützige Arbeit." Weder in der Botschaft noch den parlamentarischen Beratungen zum neuen allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches finden sich Hinweise, dass mit der neuen Fassung von Art. 51 StGB eine Änderung in der Reihenfolge der Anrechnung von aArt. 69 StGB - wonach die Untersuchungshaft zunächst auf die Hauptstrafe anzurechnen ist - beabsichtigt gewesen wäre. 1.3.5 Die Literatur äussert sich - soweit ersichtlich - grösstenteils nicht zur Frage der Reihenfolge der Anrechnung von Untersuchungshaft an verschiedene gleichzeitig ausgesprochene Strafarten. JEANNERET spricht sich für eine Anrechnung der Untersuchungshaft an eine Busse als alleine ausgesprochene Strafe aus, wobei er vorschlägt, als Umrechnungssatz den Satz für die Umrechnung in die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung anzuwenden. Bei den nach Art. 42 Abs. 4 StGB kombiniert ausgesprochenen Strafen hält er eine Anrechnung auf die unbedingte Strafe dort als "akzeptierbar", wo die Strafen "gleicher Natur" sind, ohne sich darüber zu äussern, was er unter "gleicher Natur" versteht (YVAN JEANNERET, Les peines selon le nouveau code pénal, in: Partie générale du code pénal, 2007, S. 59 ff.). Stehen sich hingegen eine bedingte Freiheitsstrafe und eine unbedingte Geldstrafe oder Busse gegenüber, BGE 135 IV 126 S. 129 so befürwortet er eine Anrechnung an die Freiheitsstrafe. Zum Verhältnis der Anrechnung von Untersuchungshaft bei gleichzeitig ausgesprochener Geldstrafe und Übertretungsbusse äussert sich JEANNERET nicht (a.a.O.). 1.3.6 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches muss zu entziehende Freiheit wenn immer möglich mit bereits entzogener kompensiert werden ( BGE 133 IV 150 E. 5.1 S. 155 mit Hinweisen). Sowohl die Freiheitsstrafe als auch die Untersuchungshaft stellen einen Eingriff in die persönliche Freiheit dar. Die Untersuchungshaft als freiheitsentziehende Massnahme während des Strafverfahrens ist daher immer zuerst an eine Freiheitsstrafe anzurechnen, wie dies bereits unter dem alten Recht nach aArt. 69 StGB der Fall war, und zwar unabhängig davon, ob die Strafe bedingt oder unbedingt ausfällt. Dasselbe ergibt sich aus den Ausführungen in der Botschaft (vgl. E. 1.3.4, a.a.O.). 1.3.7 Bei gleichzeitiger Aussprechung einer Geldstrafe für ein Vergehen und einer Übertretungsbusse ist die Anrechnung der Untersuchungshaft an die Geldstrafe als Hauptstrafe vorzuziehen. Dies folgt aus dem Gesetzeswortlaut von Art. 51 StGB , wonach der Gesetzgeber die Anrechnung von Untersuchungshaft an eine Geldstrafe im Gegensatz zur Anrechnung an eine Busse ausdrücklich vorsieht sowie aus der vorrangigen Anrechnung der Untersuchungshaft an die Freiheitsstrafe als Hauptstrafe (vgl. E. 1.3.6). 1.3.8 Zu klären bleibt die Frage der Priorität der Anrechnung von Untersuchungshaft an eine bedingte Geldstrafe in Kombination mit einer Busse nach Art. 42 Abs. 4 StGB . In systematischer Hinsicht sind Art. 51 StGB und Art. 42 Abs. 4 StGB im Teil des Strafgesetzbuches eingereiht, welcher "Verbrechen und Vergehen" betrifft. Der Gesetzgeber hat in Art. 51 StGB den Anrechnungsfaktor von Untersuchungshaft an die Geldstrafe und die gemeinnützige Arbeit geregelt. Hätte der Gesetzgeber die Anrechnung von Untersuchungshaft an eine sofort vollziehbare Busse nach Art. 42 Abs. 4 StGB gegenüber der Anrechnung an die Geldstrafe bevorzugt, hätte diese Regelung in Artikel 51 StGB Eingang finden müssen, zumal die Anrechnung an die anderen nicht freiheitsentziehenden Strafen für Verbrechen und Vergehen ausdrücklich geregelt ist. Eine solche Regelung fehlt aber. Hinzu kommt, dass eine Busse nach Art. 42 Abs. 4 StGB akzessorisch zur BGE 135 IV 126 S. 130 Geldstrafe ausgefällt wird und ihr nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen darf ( BGE 134 IV 60 E. 7.3.2 S. 75). Daher ist die Untersuchungshaft primär an die Geldstrafe als Hauptstrafe anzurechnen. 1.3.9 Übersteigt die Untersuchungshaft die Dauer der Freiheitsstrafe bzw. die Anzahl der Tagessätze, ist eine Anrechnung an die Busse grundsätzlich zulässig. Dies ergibt sich aus dem Verweis von Art. 104 StGB auf Art. 51 StGB in Verbindung mit Art. 107 Abs. 1 StGB , wonach die Anrechnung von Untersuchungshaft an die anstelle einer Busse ausgefällte gemeinnützige Arbeit offensteht. Deshalb muss die Anrechnung auch an eine (Übertretungs-)Busse zulässig sein. Im Übrigen sieht der Gesetzgeber im Vergleich zum alten Recht die Anrechnung von Untersuchungshaft an Strafen neu voraussetzungslos vor. Sie ist gegenüber aArt. 69 StGB nicht mehr davon abhängig, dass die Untersuchungshaft im selben Verfahren ausgestanden wurde. Der Anrechnungsfaktor, mit welchem die Untersuchungshaft an eine Busse anzurechnen ist, entspricht jenem Faktor, nach welchem der Richter die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung der Busse gemäss Art. 106 Abs. 3 StGB bestimmt.
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CH_BGE
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CH_BGE_006_BGE-135-IV-126_2009-05-07
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BGE_135_IV_126
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Sachverhalt ab Seite 122 BGE 80 I 121 S. 122 A.- Le règlement du 13 juin 1913 pour les cimetières de la Ville de Genève contenait un art. 58 ainsi conçu: "Les industriels, commerçants ou jardiniers désireux d'exercer leur industrie ou leur commerce dans l'intérieur des cimetières de la Ville de Genève, doivent en adresser la demande au Conseil administratif". "Les autorisations pourront être en tout temps retirées par le Conseil administratif en cas de contravention aux lois ou règlements". Cette disposition a été reprise dans les règlements du 16 décembre 1919 et du 15 juin 1928 sur le même objet. Enfin le 8 mai 1953, le Conseil administratif de la Ville de Genève a adopté un "règlement des cimetières et du crématoire" contenant notamment les règles suivantes: "Art. 55. - Les entrepreneurs, horticulteurs ou commerçants, qui désirent exercer leur industrie ou leur commerce dans les cimetières de la Ville de Genève, doivent être régulièrement établis dans le canton de Genève et au bénéfice d'une autorisation délivrée par le Conseil administratif". "Ils doivent... diriger une entreprise répondant aux nécessités de la profession, dont le siège et le principal établissement de fabrication ou de culture est situé dans le canton de Genève".... "Art. 61. - La pose de bordures, monuments, ornements divers, la construction de caveaux, les réparations et transformations diverses, sont soumises à autorisation".... "Les monuments dont la forme et la hauteur diffèrent essentiellement de l'esthétique habituellement admise doivent être soumis à l'approbation de la Ville de Genève; BGE 80 I 121 S. 123 si un texte présente une incorrection manifeste, dans la forme ou le fond, il devra être corrigé". B.- André Gailloud, marbrier de son métier, est domicilié à Renens (Vaud), où il possède un atelier de fabrication de monuments funéraires. Selon ses déclarations, il a posé ses monuments dès 1927 dans les cimetières de la Ville de Genève sans rencontrer de difficultés. Quoi qu'il en soit à cet égard, la Ville de Genève a exigé, en juillet 1951, que Gailloud demande une autorisation pour chaque monument qu'il se proposait de poser dans les cimetières de Genève. Ces autorisations ont été sollicitées et accordées jusqu'à l'entrée en vigueur du nouveau règlement du 8 mai 1953. Cela a donné lieu à un certain échange de correspondance. C'est ainsi que le 20 août 1951, le vice-président du Conseil administratif a écrit à Gailloud: "Les industriels, commerçants ou jardiniers désireux d'exercer leur industrie ou leur commerce à l'intérieur des cimetières de la Ville doivent être au bénéfice d'une autorisation délivrée par le Conseil administratif et je puis ajouter, pour votre information, que les concessionnaires sont en nombre limité par rapport à l'ensemble des professionnels touchés par cette mesure...". Dès le 15 mai 1953, date d'entrée en vigueur du règlement du 8 mai, Gailloud a eu quelques difficultés à obtenir les autorisations qu'il sollicitait pour poser des monuments funéraires dans les cimetières de la Ville de Genève. Le 24 août 1953, en réponse à une autorisation qu'il avait demandée, il a reçu du Conseiller administratif délégué une lettre faisant droit à sa requête mais ajoutant: "Cette autorisation sera toutefois la dernière de ce genre qui vous sera accordée, tant que vous ne serez pas au bénéfice d'une concession régulièrement délivrée par l'Administration municipale, conformément au règlement des cimetières de la Ville de Genève". Le 11 septembre 1953, Gailloud a requis le Conseil administratif de lui délivrer "une concession selon l'art. 55 du nouveau règlement sur les cimetières". Il a accompagné BGE 80 I 121 S. 124 sa demande d'une lettre de son avocat à laquelle le Conseiller administratif délégué a répondu le 18 septembre 1953 en disant notamment: "La Ville de Genève n'interdit nullement à M. Gailloud de travailler sur son territoire, mais elle entend être libre de limiter le nombre des concessionnaires, horticulteurs ou marbriers, aux besoins normaux de l'aménagement et de l'entretien des tombes de ses cimetières". Le 10 octobre 1953, le Conseil administratif a rejeté la requête présentée par Gailloud et en a informé son conseil en ces termes: "M. Gailloud ne remplissant pas les prescriptions de l'art. 55 du Règlement des Cimetières, le Conseil administratif, se conformant à une pratique qui a existé de tout temps, n'entend pas dans ces conditions lui donner l'autorisation sollicitée". C.- Cherchant à parer aux difficultés qu'il rencontrait, Gailloud a ouvert à Genève en mai 1953 un établissement secondaire dont il a confié la gérance à Raymond Thévenaz, lequel a sollicité l'autorisation de poser des monuments funéraires. Après enquête, l'administration municipale a rejeté la demande et en a informé Thévenaz en lui disant notamment: "Gérant de la succursale de Genève d'une entreprise dont le siège et le principal établissement de fabrication ne sont pas situés dans le canton de Genève, vous ne pouvez être mis au bénéfice de l'autorisation demandée". C'est pourquoi, Gailloud a dû rompre toute relation d'affaires avec Thévenaz. En été 1953, il a confié à Angelo Castioni, marbrier établi à Genève, la pose d'un monument funéraire fabriqué à Renens. Mais, le 8 octobre 1953, l'union genevoise des maîtres marbriers a invité Castioni à "s'abstenir à l'avenir de tout travail de finition ou pose de monuments pour une entreprise quelconque ayant son siège en dehors du canton". D.- Gailloud interjette un recours de droit public contre la décision du 10 octobre 1953 par laquelle le Conseil BGE 80 I 121 S. 125 administratif a refusé de lui délivrer l'autorisation prévue par l'art. 55 du règlement du 8 mai 1953. Il soutient que la Ville de Genève a posé, à l'art. 55 du règlement du 8 mai 1953, des exigences contraires aux art. 4 et 31 Cst. en ce qui concerne le domicile du marbrier et le lieu de son principal établissement de fabrication. La Ville de Genève conclut au rejet du recours.
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Erwägungen Considérant en droit: 2. L'art. 1 de la loi genevoise sur les cimetières, du 20 septembre 1876, prescrit que "les cimetières sont des propriétés communales" et qu'"ils sont soumis à l'autorité, police et surveillance des administrations municipales". En harmonie avec l'art. 53 al. 2 Cst., aux termes duquel "le droit de disposer des lieux de sépulture appartient à l'autorité civile", cette disposition considère la police et la surveillance et, d'une façon plus générale, l'administration des lieux de sépulture comme un service public. Cela résulte également d'autres textes légaux qui mettent à la disposition des communes un ensemble de moyens matériels et juridiques, tous destinés à servir cette fin publique particulière qu'est l'enterrement décent des morts (voir par exemple l'art. 7 de la loi de 1876 qui affecte aux recettes communales les revenus du cimetière, les art. 7 ss. du règlement du 8 mai 1953, qui prévoient l'existence d'un certain nombre de fonctionnaires pour le service des cimetières). Lorsque l'Etat ou une commune institue un service public, il leur appartient d'en fixer l'étendue. Toute activité comprise dans le service public perd alors le bénéfice de la liberté du commerce et de l'industrie (RO 59 I 271; 75 I 53 ). Mais l'autorité demeure libre d'exclure du service public telle activité particulière qu'elle aurait pu y englober mais que, pour diverses raisons, elle estime préférable de laisser à l'initiative privée. Cette activité particulière jouit alors de la protection de l'art. 31 Cst. En l'espèce, l'administration des cimetières, érigée en service public, ne comprend pas l'ornementation des tombes. BGE 80 I 121 S. 126 La commune ne s'en charge point, mais, sous certaines réserves et dans certaines limites, laisse ce soin aux "intéressés", c'est-à-dire aux parents ou amis du défunt. C'est à eux seuls qu'il incombe de choisir un marbrier et de lui commander un monument funéraire. Ils sont liés à lui par des rapports de droit privé. Dès lors, toute intervention de l'Etat dans ce domaine particulier est subordonnée à l'observation des principes découlant de la liberté du commerce et de l'industrie. Il est vrai que les cimetières, qui constituent un service public, sont destinés à procurer aux personnes décédées un lieu de sépulture décent, qui doit permettre en même temps aux parents de venir y cultiver la mémoire du défunt. C'est pourquoi, dans sa réglementation sur l'usage des cimetières, l'autorité peut prendre des mesures propres non seulement à sauvegarder l'ordre et la salubrité publics mais également à assurer au champ du repos une apparence digne et harmonieuse. Particulièrement en ce qui concerne l'aménagement des tombes, elle peut tenir compte de considérations esthétiques et s'opposer à toute atteinte au sentiment et au goût, pouvant blesser les personnes en deuil se rendant au cimetière pour y honorer leurs morts (RO 48 I 242 /243). Mais, sous réserve de ce pouvoir et dans la mesure où, comme en l'espèce, l'ornementation des tombes n'est pas érigée en service public, les mesures que prend l'autorité doivent pour le surplus être conformes à l'art. 31 Cst. Cette disposition consacre le régime de la libre concurrence. Cela signifie en première ligne qu'on ne peut interdire à une personne l'exercice d'une profession ou d'une industrie pour le seul motif qu'elle ferait concurrence à des entreprises existantes, leur enlèverait des clients, diminuerait leurs recettes ou rendrait même leur exploitation impossible. Sans doute, l'art. 31 al. 2 Cst. réserve-t-il "les prescriptions cantonales sur l'exercice du commerce et de l'industrie"; mais il précise qu'"elles ne peuvent déroger au principe de la liberté du commerce et de l'industrie, BGE 80 I 121 S. 127 à moins que la constitution fédérale n'en dispose autrement", ce qui n'est pas le cas ici. Il ne saurait dès lors s'agir que de mesures de police visant à empêcher que la sécurité, la tranquillité, la moralité et la santé publiques ne soient compromises par la façon dont une profession est exercée, ou à lutter contre les atteintes portées à la bonne foi dans les affaires par des procédés déloyaux destinés à tromper le public. Ces mesures ne peuvent se justifier par des raisons de politique économique; elles ne doivent pas avoir pour but d'entraver le libre jeu de la concurrence et de corriger ses effets (RO 70 I 147; 66 I 23 ; 64 I 14 ; 59 I 61 , 111 /112). Il faut qu'elles soient conformes au principe de la proportionnalité, c'est-à-dire qu'elles ne soient pas plus rigoureuses que ne l'exige la sauvegarde des intérêts que l'Etat a le devoir de défendre. Elles cessent d'être conciliables avec le principe de la liberté du commerce et de l'industrie lorsque des mesures plus libérales auraient permis d'arriver au même résultat (RO 78 I 305; 73 I 10 , 99, 101, 219; 71 I 87 ; 70 I 149 ; 65 I 72 ). 3. L'art. 55 du règlement critiqué dispose que "les entrepreneurs ... qui désirent exercer leur industrie ou leur commerce dans les cimetières de la Ville de Genève doivent être régulièrement établis dans le canton de Genève ...". La distinction qu'il établit ainsi sur la base du domicile ne se justifierait que si elle était conforme aux principes qui viennent d'être rappelés. Or tel n'est pas le cas. L'intimée considère qu'elle ne doit ouvrir ses cimetières qu'à des entrepreneurs-marbriers présentant des garanties suffisantes quant à la bienfacture de leur travail et à leur comportement à l'égard du public. Il faut dès lors qu'elle soit en mesure de leur donner des directives, de les contrôler et d'obtenir d'eux la réfection des monuments défectueux ou violant le règlement. C'est pourquoi, dit-elle, il est nécessaire que les marbriers travaillant dans ses cimetières soient établis à Genève. Cette argumentation ne résiste pas à l'examen. Elle BGE 80 I 121 S. 128 revient à conférer au lieu du domicile du marbrier une importance qu'il n'a pas. Que ce domicile se trouve sur territoire genevois ou dans un autre canton, l'intimée peut exercer le contrôle qui lui paraît nécessaire sur les monuments funéraires posés dans ses cimetières. Même si l'entrepreneur est établi hors du canton de Genève, elle est en mesure de lui donner toutes les directives qu'elle juge utile. Bien plus, l'art. 61 du règlement donne expressément à l'intimée le droit d'examiner, avant qu'ils ne soient posés, "les monuments dont la forme et la hauteur diffèrent essentiellement de l'esthétique habituellement admise". Il prévoit également que "la pose de bordures, monuments, ornements divers, la construction de caveaux, les réparations et transformations diverses sont soumises à autorisation". Ces diverses dispositions suffisent à assurer la protection des particuliers. Pour ces motifs déjà, l'art. 55 du règlement attaqué viole l'art. 31 Cst. en tant qu'il impose au marbrier l'obligation d'avoir un domicile à Genève. Il en va de même dans la mesure où il exige que le principal établissement de fabrication soit situé dans le canton de Genève. Ni l'une ni l'autre de ces exigences ne peut se justifier par des raisons de police. L'intimée n'a du reste jamais prétendu que le recourant ait exercé sa profession de manière à porter atteinte à la sécurité, à la moralité, à la tranquillité ou à la santé publiques. Mais il y a plus. En tant qu'il vise le domicile du marbrier et son principal établissement de fabrication, l'art. 55 apparaît, dans sa conception et son application comme une mesure typique de politique économique, destinée à limiter les effets de la libre concurrence et à protéger les marbriers genevois. Cela résulte tout d'abord des lettres que le Conseil administratif a adressées au recourant et à son conseil le 18 septembre 1953 et, auparavant déjà, le 20 août 1951, alors qu'on songeait déjà à reviser le règlement en vigueur à l'époque. Ces lettres précisent en effet d'une part que "la Ville de Genève entend être libre de limiter le nombre des marbriers aux besoins normaux de BGE 80 I 121 S. 129 l'aménagement et de l'entretien des tombes de ses cimetières", d'autre part que "les concessionnaires sont en nombre limité par rapport à l'ensemble des professionnels". Mais cela résulte aussi de la décision prise par l'autorité d'interdire à un marbrier établi à Genève de poser dans les cimetières genevois des monuments funéraires fabriqués par le recourant. Pour ces divers motifs, la décision attaquée, qui empêche le recourant de travailler à Genève surtout parce qu'il n'y a ni son domicile ni son principal établissement de fabrication, ne saurait être maintenue.
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Dispositiv Par ces motifs, le Tribunal fédéral: admet le recours et annule la décision attaquée.
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Sachverhalt ab Seite 87 BGE 117 IV 87 S. 87 A.- Z. verbüsst seit 19. März 1990 in der Strafanstalt Thorberg/BE fünf Freiheitsstrafen, deren Ende auf 7. Mai 1994 festgelegt BGE 117 IV 87 S. 88 ist; nach einer ersten Flucht am 13. Mai 1990 (Rückkehr in die Strafanstalt am 19. Juni) floh er am 17. Januar 1991 erneut. Kurz vor der erneuten Flucht verübte Z. während eines Beziehungsurlaubes vom 15./16. Januar 1991 verschiedene Delikte in den Kantonen Solothurn, Aargau, Luzern und Bern. Am 18. Januar 1991 konnte Z. nach der Kollision mit einem Polizei-Dienstwagen auf der anschliessenden Flucht durch die Polizei angehalten werden. Das Ermittlungsverfahren wurde bisher durch die Behörden des Kantons Bern geführt. Nach Abschluss der Ermittlungen ersuchte der Generalprokurator des Kantons Bern das Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn, die Verfolgung und Beurteilung von Z. für die seit dem 15. Januar 1991 begangenen Delikte zu übernehmen; das Untersuchungsrichteramt lehnte seine Zuständigkeit ab. Die weiteren Gerichtsstandsverhandlungen führten zu keiner Einigung. B.- Mit Gesuch vom 5. April 1991 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons Bern zuständig zu erklären. Der Generalprokurator beantragt, die Behörden des Kantons Solothurn zuständig zu erklären.
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Erwägungen Die Anklagekammer zieht in Erwägung: 1. Dem Beschuldigten werden Diebstahl, Gefährdung des Lebens, Entwendung zum Gebrauch sowie verschiedene SVG-Widerhandlungen zur Last gelegt, die dieser an verschiedenen Orten begangen hat. a) Die mit der schwersten Strafe bedrohten Delikte sind die Gefährdung des Lebens ( Art. 129 StGB ) und die Diebstähle ( Art. 137 StGB ), die beide mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis bedroht sind. In diesem Fall bestimmt sich der gesetzliche Gerichtsstand gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB . Nach dieser Bestimmung sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde. b) Die erste Anzeige betreffend eines dieser beiden Delikte war die Meldung des Diebstahls im Tennis-Center "Top Sport" in Bellach/SO vom 15. Januar 1991. Beide Parteien sind sich darin einig, dass der gesetzliche Gerichtsstand im Kanton Solothurn liegt. BGE 117 IV 87 S. 89 2. Die Gesuchstellerin ist der Auffassung, es lägen triftige Gründe vor, die ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand nahelegen, denn im Kanton Bern liege ein eindeutiges Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit des Beschuldigten. a) Die Anklagekammer kann zwar die Zuständigkeit beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen anders als in Art. 350 StGB bestimmen; sie macht von dieser Möglichkeit indessen nur zurückhaltend Gebrauch, wenn triftige Gründe ausnahmsweise ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand gebieten; diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn in einem Kanton ein offensichtliches Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit liegt ( BGE 86 IV 63 f. E. 3 und 131 E. 3). Für die Beurteilung, ob in einem Kanton ein Schwergewicht bestehe oder nicht, sind nur gleichartige oder gleich gelagerte deliktische Handlungen oder verschiedene Tatbestände, deren Strafdrohungen sich indessen nicht wesentlich unterscheiden, zu berücksichtigen ( BGE 117 IV 95 E. 4c). Im vorliegenden Fall ist demnach auf die Diebstähle und die Gefährdung des Lebens abzustellen, die beide mit gleicher Strafe bedroht sind. Die SVG-Delikte sind nicht so zahlreich, dass sie hier miteinbezogen werden müssten. Dem Beschuldigten werden im Kanton Aargau ein Diebstahl, im Kanton Solothurn zwei Diebstähle und im Kanton Bern fünf Diebstähle sowie eine Gefährdung des Lebens zur Last gelegt. Diese Verteilung der Delikte auf die beteiligten Kantone ergibt zwar, dass auf den Kanton Bern einige Delikte mehr entfallen; sie erlaubt es indessen nicht, von einem offensichtlichen Schwergewicht im Kanton Bern zu sprechen (vgl. Entscheid der Anklagekammer vom 13. Februar 1991 in Sachen P., auf den der Gesuchsgegner zu Recht verweist; vgl. auch SCHWERI, Gerichtsstandsbestimmung, N 421). b) Dass die im Kanton Bern begangene Gefährdung des Lebens verschuldensmässig schwerer wiegt als ein Vermögensdelikt, vermag zu keiner anderen Lösung zu führen, denn in erster Linie ist die objektive Strafdrohung der in Frage kommenden Tatbestände massgebend. c) Die dem Beschuldigten zur Last gelegte Reihe von strafbaren Handlungen begann nicht im Kanton Bern, sondern nach übereinstimmender Auffassung der Parteien im Kanton Solothurn, weshalb sich die Gesuchstellerin zu Unrecht auf BGE 79 IV 47 beruft; nach diesem Entscheid kann jenem Kanton die Strafverfolgung BGE 117 IV 87 S. 90 zugewiesen werden, aus dessen Strafvollzugsanstalt der Beschuldigte entwichen ist und auf dessen Gebiet er die Kette von strafbaren Handlungen begonnen hat (vgl. auch SCHWERI, a.a.O., N 451 ff.).
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Dispositiv Demnach erkennt die Anklagekammer: Das Gesuch wird abgewiesen, und es werden die Behörden des Kantons Solothurn berechtigt und verpflichtet erklärt, die Z. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
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Sachverhalt ab Seite 109 BGE 132 IV 108 S. 109 A. L'8 maggio 2004 B. inseriva la propria carta bancaria, digitando il relativo codice e l'ammontare richiesto, in uno sportello automatico esterno della UBS di Peseux con l'intenzione di prelevare la somma di fr. 1'000.-. Dato che l'apparecchio le era sembrato difettoso essa abbandonava rapidamente la zona del bancomat, dopo avere ripreso la propria carta ma senza ritirare denaro. La scena veniva osservata da A., il quale stava attendendo il suo turno per prelevare a sua volta denaro dallo stesso apparecchio. Nel frattempo il bancomat aveva erogato a carico del conto di B. la somma di EUR 1'000.- in banconote da cinquanta (verosimilmente per un errore di manipolazione della stessa cliente) e A., che si era avvicinato per il suo turno, se ne appropriava versando poi la somma in questione sul suo conto bancario, mediante separate operazioni del 9 e del 10 maggio 2004. La cliente si accorgeva dell'irregolarità soltanto il 5 giugno 2004 dopo avere ricevuto l'estratto conto della banca e avere preso contatto con un responsabile della stessa. B. Il 22 febbraio 2005 il Tribunal de police du district de Boudry dichiarava A. autore colpevole di furto e lo condannava alla pena di 60 giorni di detenzione sospesi per un periodo di prova di due anni. Tale sentenza veniva confermata dalla Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal du canton de Neuchâtel, la quale in data 17 agosto 2005 respingeva il ricorso interposto dal condannato contro il giudizio di primo grado. BGE 132 IV 108 S. 110 C. A. impugna mediante ricorso al Tribunale federale la sentenza dell'ultima istanza cantonale domandandone sostanzialmente l'annullamento. Il Tribunale federale ha accolto il ricorso nella misura della sua ammissibilità.
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Erwägungen Dai considerandi: 1. 1.1 In base all'art. 37 cpv. 3 della legge federale sull'organizzazione giudiziaria (OG), la sentenza è redatta in una lingua ufficiale, di regola in quella della decisione impugnata. Nel caso concreto vi è tuttavia motivo per scostarsi eccezionalmente da questa regola tenuto conto del fatto che il ricorrente, il quale non è patrocinato, ha redatto il suo ricorso in italiano e comprende manifestamente meglio questa lingua rispetto al francese. (...) 2. 2.1 Chiunque, per procacciare a sé o ad altri un indebito profitto, sottrae al fine di appropriarsene una cosa mobile altrui, è punito con la reclusione sino a cinque anni o con la detenzione ( art. 139 n. 1 CP ). La fattispecie del furto si differenzia da quella di base dell'appropriazione semplice ( art. 137 CP ) soltanto per quanto concerne le modalità di appropriazione della cosa. Perché ci sia furto occorre che il reo abbia sottratto ad altri la cosa: in questo senso egli deve avere leso il possesso altrui e costituito un nuovo possesso sulla cosa ( DTF 115 IV 104 consid. 1 c/aa). La nozione di possesso ai sensi di questa disposizione va distinta dall'omonimo termine del diritto civile ( art. 919 CC ; v. già DTF 71 IV 87 consid. 3). In ambito penale la giurisprudenza definisce il possesso ( Gewahrsam, possession ) come potere fattuale sulla cosa secondo le regole della vita sociale. Esso presuppone l'effettiva disponibilità della cosa unitamente alla volontà di possederla ( DTF 112 IV 9 consid. 2a pag. 11 e rinvii). 2.2 Nel caso concreto la cliente della banca aveva intenzione di prelevare fr. 1'000.- presso uno sportello automatico. Convinta che l'apparecchio fosse difettoso, essa non ha tuttavia portato a termine l'operazione e si è subito allontanata, non immaginando che l'apparecchio avrebbe invece erogato le banconote in valuta europea di cui il ricorrente si è poi appropriato. Si è accorta dell'errore soltanto molto tempo dopo. Al momento in cui il ricorrente si è appropriato delle banconote essa non era dunque in grado di esercitare secondo le BGE 132 IV 108 S. 111 regole della vita sociale un potere di fatto su di esse né tanto meno poteva esistere una volontà in tal senso da parte sua, visto che era completamente all'oscuro di quanto in realtà è accaduto e soprattutto non sapeva nemmeno dell'esistenza delle banconote erogate a carico del suo conto. Contrariamente a quanto considerato dall'autorità cantonale, la fattispecie non è assimilabile a quella affrontata in DTF 71 IV 183 , dato che in quel caso il danneggiato, che aveva dimenticato l'orologio su di un tavolo della cabina fumatori di un battello, sapeva dove esso si trovava ed è in seguito tornato a cercarlo nel punto esatto dove lo aveva lasciato. L'orologio non era dunque uscito dalla sua sfera di possesso (analogo discorso per il portamonete dimenticato nella cabina telefonica, di cui in DTF 112 IV 9 ), mentre le banconote qui in narrativa non sono state dimenticate nell'apparecchio, atteso che ciò presupporrebbe che l'avente diritto sapesse della loro esistenza (sul concetto di cosa dimenticata v. MARCEL ALEXANDER NIGGLI/CHRISTOF RIEDO, Commentario basilese, n. 32 ad art. 139 CP ). Il caso va per altro distinto anche da quello del pacchetto postale depositato sulle scale di un immobile, con precisa indicazione del destinatario, affrontato dal Tribunale federale nella sentenza 6S.583/ 2000 del 19 gennaio 2001, visto che non appena un invio viene depositato nella cassetta postale oppure in prossimità della porta di casa è socialmente riconosciuto come esso entri sia soggettivamente che oggettivamente nella sfera di possesso del destinatario, il quale, pur non sapendo nel dettaglio quando e cosa riceverà per posta, ha l'effettiva disponibilità di ciò che entra in tale area unitamente alla volontà di esercitarne il controllo (v. consid. 3b della citata sentenza, nonché GÜNTER STRATENWERTH/GUIDO JENNY, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 6 a ed., Berna 2003, § 13 n. 79). Nel caso concreto, invece, la cliente della banca non sapeva che il bancomat avrebbe erogato le banconote in questione, né tanto meno disponeva di effettivo potere su di esse, visto che aveva immediatamente abbandonato la zona dell'apparecchio, per altro situato in un'area liberamente aperta al pubblico su cui di persona non esercitava controllo di sorta. Ammettere in un caso del genere esistenza di possesso in capo alla cliente, anche in termini normativo-sociali e non meramente fattuali, è escluso. Di conseguenza, nei confronti della cliente della banca, non vi è stata sottrazione della cosa ai sensi dell' art. 139 CP . BGE 132 IV 108 S. 112 2.3 Resta da chiarire se il ricorrente non abbia eventualmente violato il possesso di altri soggetti, segnatamente della banca, quale proprietaria dell'apparecchio bancomat da cui sono fuoriuscite le banconote. A questo proposito il Tribunale federale ha tuttavia già avuto occasione di rilevare come, nel caso di distributori automatici, non appena la merce è stata meccanicamente espulsa dall'apparecchio, essa cessi di trovarsi in possesso del titolare del distributore ( DTF 104 IV 72 consid. 1b; DTF 97 IV 194 consid. 3b pag. 198). Nel caso di un bancomat valgono gli stessi principi, a condizione che l'apparecchio sia stato utilizzato conformemente alle clausole contrattuali, visto che è proprio dal rispetto di tali clausole che dipende l'accordo della banca a cedere il proprio possesso sulle banconote (v. DTF 110 IV 80 consid. 2b). In concreto la cliente della banca ha correttamente inserito la sua carta e immesso il codice PIN, per cui l'apparecchio è stato utilizzato conformemente alle condizioni contrattuali (v. in part. le cifre 2 e 3 delle Disposizioni speciali per l'uso della carta cliente UBS con codice PIN). La banca ha così cessato di esercitare il proprio possesso sulle banconote in questione non appena esse sono state erogate dall'apparecchio, per cui al momento in cui il ricorrente se ne è appropriato la banca non vantava più né soggettivamente né oggettivamente possesso su di esse. Anche nei confronti della banca non vi è stata dunque sottrazione, per cui la fattispecie dell' art. 139 CP non è applicabile nemmeno sotto quest'ultimo profilo. 2.4 Considerando perfezionato il reato di furto l'autorità cantonale ha pertanto violato il diritto federale.
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Sachverhalt ab Seite 27 BGE 101 III 27 S. 27 A.- Le 29 juin 1973, le juge de paix du cercle de Begnins a ordonné, à la requête de Paul Rouge, le séquestre d'une automobile Buick modèle 1969, appartenant à C. Henry Buhl III. Le séquestre a été exécuté le 2 juillet 1973. L'Office des poursuites de Nyon a fixé à 7'000 fr. la valeur de la voiture, mise en circulation le 10 mars 1970; il a chargé un garagiste d'assurer la garde du véhicule. Avisé que la voiture, équipée d'une boite à vitesses automatique, pouvait se BGE 101 III 27 S. 28 détériorer en cas de stationnement prolongé, l'office a décidé de la mettre en vente. C. Henry Buhl III a adressé une plainte contre cette décision au président du Tribunal de Nyon, autorité inférieure de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite. Il a requis une expertise. Dans son rapport, du 7 février 1974, l'expert a déclaré qu'il était possible de conserver la voiture dans son état actuel, moyennant diverses opérations coûtant environ 50 fr. par mois, en plus des frais de garde, qui s'élèvent à 3 fr. par jour. L'expert a estimé la dépréciation commerciale à 400 fr. par mois jusqu'au 10 mars 1974 et à 200 fr. depuis lors. B.- Par décision du 25 mars 1974, le Président du Tribunal de Nyon a rejeté la plainte d'Henry Buhl III, considérant que la dépréciation du véhicule était importante et atteignait déjà près de la moitié de l'estimation de l'office. Un recours contre cette décision a été rejeté le 2 juillet 1974 par l'Autorité supérieure de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite. C.- C. Henry Buhl III recourt contre cet arrêt auprès de la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de la décision cantonale et demande qu'ordre soit donné à l'Office des poursuites de Nyon de prendre les mesures nécessaires à la conservation dans leur état actuel de la carrosserie et des organes mécaniques du véhicule, aux frais du poursuivant.
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Erwägungen Considérant en droit: 1. a) Selon la jurisprudence (RO 47 III 203, 35 I 277 s. et 815 s.), l'art. 124 al. 2 LP est applicable aux objets séquestrés, avec cette restriction que, lorsque le séquestre donne lieu à une contestation, c'est au juge seul et non à l'office des poursuites ou aux autorités de surveillance qu'il appartient d'ordonner la vente anticipée. Le recourant admet n'avoir pas contesté le cas de séquestre; il fait en revanche valoir que l'intimé a ouvert action contre lui devant le Tribunal de première instance de Genève, et que le séquestre est en relation directe avec ce procès, qui est pendant. Il en déduit que, dans la mesure où les conditions de l'art. 124 al. 2 LP seraient réunies, il appartiendrait au juge et non à l'office d'ordonner la vente de l'objet séquestré. BGE 101 III 27 S. 29 b) Dans un cas, la jurisprudence a admis que dans la poursuite en réalisation de gage, ou s'agissant d'objets soumis au droit de rétention du bailleur et inventoriés, l'art. 124 al. 2 LP est inapplicable avant droit connu sur le bien-fondé de la créance formant l'objet de la poursuite (RO 33 I 856 ss consid. 2). c) Dans un arrêt ultérieur (RO 35 I 815 ss), le Tribunal fédéral a cependant restreint la portée de ce principe, en posant les règles suivantes: dans les cas de séquestre, de prise d'inventaire de biens soumis au droit de rétention du bailleur et de saisie provisoire, où la libre disposition des objets a été enlevée au débiteur dans l'intérêt des créanciers, une autorité doit pouvoir assurer la conservation des biens, sans devoir examiner préalablement si l'existence d'une dette est établie. La nécessité de prendre sans délai des mesures conservatoires, tant dans l'intérêt du débiteur, qui ne peut le faire lui-même, que dans l'intérêt des créanciers, découle du principe général de l'art. 100 LP, dont l'art. 124 LP constitue un cas d'application. Cette situation n'est pas unique. L'art. 119 al. 2 LP permet de procéder, dans les cas visés à l'art. 124 al. 2 LP, à la vente anticipée d'objets qui ne sont sous le coup que d'une saisie provisoire (RO 35 I 277/278 consid. 1), soit dans une situation où la créance en poursuite peut se révéler ultérieurement inexistante (art. 83 LP; JAEGER, n. 7 ad art. 124 LP). Selon la jurisprudence, il appartient au préposé de prendre les mesures nécessaires tant que le juge n'a pas été saisi d'une action relative aux objets séquestrés ou inventoriés ou tant qu'il n'a pas été requis de dire si le droit de rétention existe (RO 35 I 816). En revanche, une vente anticipée ne peut pas être ordonnée par les autorités de poursuite lorsqu'un procès en revendication des objets saisis ou séquestrés est pendant (RO 35 I 278 consid. 2), qu'une instance judiciaire est en cours au sujet de la créance du bailleur et, par voie de conséquence, au sujet de son droit de rétention sur les objets inventoriés (RO 35 I 816 consid. 2-3) ou que le séquestre donne lieu à une contestation judiciaire (RO 47 III 203). Dans ces cas, c'est au juge qu'il incombe d'ordonner les mesures conservatoires propres à assurer la sauvegarde des intérêts en jeu (RO 35 I 816 consid. 2-3) et de décider, par voie de mesure provisionnelle, s'il y a lieu de procéder à la vente BGE 101 III 27 S. 30 anticipée des objets saisis, séquestrés ou inventoriés (RO 35 I 278 consid. 4). d) Les autorités de poursuite (Office des poursuites, autorités de surveillance) doivent examiner et trancher d'office le point de savoir s'il leur appartient d'ordonner la vente anticipée en application de l'art. 124 al. 2 LP ou s'il incombe au juge, saisi du procès ayant pour objet la créance en garantie de laquelle le séquestre a été opéré, d'en décider dans le cadre de mesures provisionnelles. Il s'agit en effet de la répartition de la compétence entre les autorités de poursuite et le juge; ce point relève de l'ordre public. e) Il est constant d'après les pièces du dossier que la créance à la base de la procédure de séquestre fait l'objet d'un procès qui se déroule entre les parties devant le Tribunal de première instance de Genève. L'Autorité cantonale supérieure de surveillance a considéré que le séquestre n'avait pas donné lieu, en l'espèce, à une contestation judiciaire et qu'en vertu de la jurisprudence (RO 47 III 199 ss; 35 I 814 ss) les autorités de poursuite étaient compétentes pour ordonner la vente anticipée de la voiture du recourant. C'est avec raison. Le juge saisi d'un procès portant sur la créance en garantie de laquelle un séquestre a été opéré ne saurait être appelé à décider, par voie de mesures provisionnelles, s'il y a lieu de procéder à la vente anticipée des objets séquestrés pour le motif qu'ils sont soumis à dépréciation rapide ou dispendieux à conserver. La contestation judiciaire ne concerne en effet ni le séquestre en soi ni des droits sur les biens séquestrés, comme c'est le cas lorsqu'ils sont revendiqués par un tiers. Le juge n'est compétent pour ordonner des mesures provisionnelles que dans le cadre du litige porté devant lui. Dans l'espèce, c'était ainsi bien aux autorités de poursuite qu'il appartenait de décider si la vente anticipée de la voiture se justifiait. 2. Le recourant maintient que l'objet séquestré ne se déprécie pas avec rapidité et n'est pas dispendieux à conserver au sens de l'art. 124 al. 2 LP. a) La décision de procéder à la vente d'objets d'une dépréciation rapide ou dispendieux à conserver est laissée à la libre appréciation de l'Office des poursuites; pour que sa décision BGE 101 III 27 S. 31 puisse être considérée comme illégale, il faut qu'elle soit déraisonnable (RO 81 III 121). Saisi d'un recours selon l'art. 19 al. 1 LP, le Tribunal fédéral ne peut que contrôler si la décision attaquée est contraire à la loi, c'est-à-dire, s'agissant d'une décision laissée à la libre appréciation de l'autorité cantonale, si celle-ci a excédé son pouvoir d'appréciation ou en a abusé. b) L'autorité cantonale s'est fondée sur l'estimation de la valeur vénale arrêtée par l'Office des poursuites de Nyon et sur les chiffres retenus par l'expert chargé d'évaluer la dépréciation commerciale, les frais de garde et d'entretien du véhicule. Le recourant conteste ces estimations. Mais elles ressortissent au fait et ne pourraient faire l'objet d'un recours de l'art. 19 al. 1 LP que si des dispositions fédérales en matière de preuve avaient été violées, ou si les constatations de fait incriminées reposaient manifestement sur une inadvertance, à rectifier d'office (art. 63 al. 2 et 81 OJ). Le recourant n'invoque aucun de ces moyens. On peut hésiter à considérer une automobile comme un objet soumis à dépréciation rapide ou dispendieux à conserver. Le Tribunal fédéral a jugé que des articles de confection pour dames, qui diminuent graduellement de valeur par suite des changements de la mode et qui perdraient toute valeur au bout de sept ans ne sont pas à considérer comme des objets se dépréciant rapidement à l'instar des fleurs coupées ou de certaines denrées périssables (RO 81 III 122). En l'espèce, toutefois, l'autorité cantonale n'a pas excédé son pouvoir d'appréciation, ni n'en a abusé en considérant qu'une voiture de grosse cylindrée, d'un modèle qui remonte à plusieurs années (1969, mise en circulation en mars 1970), estimée à 7'000 fr. lors du séquestre, dont la valeur en un an a diminué de 4'200 fr. et dont les frais de garde et de conservation s'élèvent à près de 1'700 fr. par an, est soumise à dépréciation rapide. 3. ...
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Dispositiv Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites: Rejette le recours.
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Sachverhalt ab Seite 407 BGE 93 I 406 S. 407 A.- Die Munizipalgemeinde Frauenfeld betreibt ein eigenes Elektrizitätswerk. Nach dem vom Gemeinderat erlassenen und von der Gemeinde genehmigten "Reglement über die Abgabe von elektrischem Strom" vom 13. Mai 1933/13. November 1935 (im folgenden kurz "Reglement" genannt) erstellt das Elektrizitätswerk die Zuleitungen von den Hauptsträngen in die Liegenschaften der Verbraucher "bis und mit der Hauptsicherung" durch eigenes Personal (§ 7 Abs. 1). Über die Einrichtungen im Innern der Gebäude bestimmt § 11: "Die Erstellung und der Unterhalt der Einrichtungen innerhalb der Hauptsicherung, die den Abonnenten obliegen, dürfen nur durch das Elektrizitätswerk oder durch solche Unternehmer besorgt werden, welche hiefür vom Gemeinderate die Bewilligung erhalten haben. Die Installationen haben den bundesrätlichen Vorschriften über die Erstellung und Instandstellung der elektrischen Starkstromanlagen, den Vorschriften des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins über die Hausinstallationen und den seitens des Elektrizitätswerkes aufgestellten Vorschriften zu entsprechen. Die Bewilligung wird in der Regel nur an in der Gemeinde wohnhafte Installateure erteilt." B.- Die Schulgemeinde Frauenfeld baut ein Abschlussklassen-Schulhaus. Im März 1967 übertrug sie die elektrischen Installationen in diesem Neubau an die Firma R. Graf & Co. Schaffhausen, die hierauf den Stadtrat von Frauenfeld ersuchte, ihr die Ausführung der Arbeiten gemäss § 11 Abs. 1 des Reglements zu bewilligen. Der Stadtrat lehnte das Gesuch am 26. April 1967 ab mit der Begründung, die Gesuchstellerin erfülle wohl die fachlichen Voraussetzungen, nicht dagegen die im Reglement aufgestellte "Bedingung, dass die Bewilligung nur an die in der Gemeinde wohnhaften Installateure erteilt werden kann". Die Firma R. Graf & Co. führte hiegegen Beschwerde, wurde BGE 93 I 406 S. 408 aber vom Regierungsrat des Kantons Thurgau am 31. Mai 1967 abgewiesen. Der Regierungsrat ist mit der Beschwerdeführerin der Auffassung, dass die Einschränkung eines gesunden Wettbewerbs durch Aufrechterhaltung eines ungerechtfertigten Monopols nicht mehr angebracht sei. Das Installationsmonopol dürfe nicht zum Schutze eines privilegierten Kreises von Privatunternehmern oder des einheimischen Gewerbes vor dem fremden benutzt werden, und auch die Sorge um Vollbeschäftigung und ausreichenden Ertrag der werkeigenen Installationsabteilung rechtfertige es nicht. Der Lage des Geschäftssitzes des Gesuchstellers komme nur insofern Bedeutung zu, als bei grösserer Entfernung die rasche Behebung von Störungen und die Durchführung der erforderlichen Reparaturarbeiten nicht gewährleistet sei. Nach einer Empfehlung des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) seien Bewilligungen für Hausinstallationen an auswärtige Firmen zu erteilen, die im Flachland im Umkreis von 10 - 20 km um das Versorgungsgebiet herum ihr Geschäftsdomizil hätten. Die Distanz von Schaffhausen nach Frauenfeld überschreite mit 26 km dieses Maximum eindeutig und sei mit Rücksicht auf einen raschen Unterhalts- und Reparaturdienst zu gross. C.- Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates hat die Firma R. Graf & Co. staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Sie macht Verletzung der Art. 4 und 31 BV geltend und bringt zur Begründung im wesentlichen vor: Sie verfüge über 8 Servicewagen und darüber hinaus, als einzige der Branche, über eine fahrende Werkstatt, in der alle für Reparaturen erforderlichen Werkzeuge, Maschinen und Bestandteile mitgeführt werden. Bei den ausserordentlich günstigen Strassenverhältnissen könne für die 26 km zwischen dem Hauptgeschäft in Schaffhausen und dem Abschlussklassen-Schulhaus in Frauenfeld mit einer Fahrzeit von 20 - 30 Minuten gerechnet werden. Die rasche Behebung von Störungen sei daher gewährleistet. Die Distanzen seien zudem nach der Empfehlung des VSE, auf die der Regierungsrat abstelle, ab "Versorgungsgebiet" zu messen; das Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks Frauenfeld erstrecke sich aber bis Erzenholz, das nur 19 km von Schaffhausen entfernt sei. Übrigens dürfe das Erfordernis der raschen Behebung von Störungen nicht überbewertet werden, da beim heutigen Stand der Technik Defekte in Schulhäusern sehr selten seien, bei blossen Leitungsdefekten ein paar Minuten BGE 93 I 406 S. 409 mehr oder weniger Wartezeit nichts ausmachen und in Notfällen auch die Installationsabteilung des örtlichen Elektrizitätswerkes beigezogen werden könne. Unter den gegebenen Umständen müsse es genügen, wenn die Beschwerdeführerin sich verpflichte, bei Störungen an den Hausinstallationen im Abschlussklassen-Schulhaus auf ersten Anruf hin ungesäumt Abhilfe zu schaffen, und die Erfüllung dieser Pflicht durch eine Kaution sicherstelle, wozu sie bereit sei. D.- Der Regierungsrat des Kantons Thurgau und der Stadtrat von Frauenfeld beantragen Abweisung der Beschwerde.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid eingangs der Erwägungen festgestellt, dass die Installationsabteilung des Elektrizitätswerks Frauenfeld zusammen mit einigen privaten Installationsfirmen zur Zeit ein "Installationsmonopol" innehabe. Er hat aber nicht erklärt, dieses Monopol ergebe sich aus § 11 des Reglements. Alle seine folgenden Ausführungen laufen vielmehr darauf hinaus, dass eine solche Auslegung abzulehnen wäre; denn er bezeichnet die in § 11 vorgesehene Bewilligung als Polizeierlaubnis und nimmt an, diese dürfe einer auswärtigen Firma nicht zum Schutze des einheimischen Gewerbes vor Konkurrenz, sondern nur dann verweigert werden, wenn die rasche Behebung von Störungen und die Ausführung von Reparaturen infolge der Entfernung des Geschäftssitzes nicht mehr gewährleistet sei. Diese Auslegung des § 11 erscheint als zutreffend und wird in der Beschwerdeantwort des Stadtrates von Frauenfeld mit Recht nicht bestritten, sondern dadurch als richtig anerkannt, dass dort erklärt wird, es bestehe in Frauenfeld "kein eigentliches Monopol" für Hausinstallationen. Ein solches Monopol würde voraussetzen, dass das Gemeindewerk, das selber Installationen ausführt, private Konkurrenz nur insoweit zuliesse, als es selber der Nachfrage nicht zu genügen vermag (vgl. BGE 88 I 66 ). § 11 sieht etwas derartiges nicht vor, beschränkt die Zahl der zuzulassenden Installateure nicht und verlangt den Wohnsitz derselben in der Gemeinde nur "in der Regel", schliesst also die Erteilung der Bewilligung an auswärtige Unternehmer nicht aus. Die Ausführung von Hausinstallationen in Frauenfeld ist somit nicht Gegenstand eines Monopols, sondern fällt in den Bereich der Privatwirtschaft und steht daher unter BGE 93 I 406 S. 410 dem Schutze des Art. 31 BV . Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Gewerbe, wie dies auch für andere Erwerbszweige (z.B. für Drogerien, BGE 81 1 121 ff., für das Taxigewerbe, BGE 92 I 102 ) häufig zutrifft, nur mit behördlicher Bewilligung und unter behördlicher Kontrolle betrieben werden darf. Bei der Bewilligung handelt es sich, wie der Regierungsrat mit Recht annimmt, um eine blosse Polizeierlaubnis, und die in § 12 vorgesehene Kontrolle ist eine rein gewerbepolizeiliche Massnahme. 2. Eine unter dem Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit stehende Erwerbstätigkeit dürfen die Kantone nur aus polizeilichen Gründen, zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit beschränken. Der Regierungsrat durfte daher die von der Beschwerdeführerin nachgesuchte Bewilligung nur verweigern, wenn hinreichende polizeiliche Gründe dafür bestanden. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass solche Gründe vorliegen, und behauptet, in Wirklichkeit gehe es den kantonalen Behörden nur um den Schutz des ortsansässigen Gewerbes gegen auswärtige Konkurrenz. Ob dieser Beweggrund beim Stadtrat von Frauenfeld den Auschlag gab oder mitspielte, kann dahingestellt bleiben. Gegenstand der Anfechtung vor Bundesgericht ist lediglich der Entscheid des Regierungsrates ( Art. 86 Abs. 1 OG ; BGE 88 I 3 Erw. 4 a, BGE 91 I 166 Erw. 1, 281 Erw. 1). Dafür aber, dass der Regierungsrat den angefochtenen Entscheid aus Gründen gefasst hätte, die er in seinen Erwägungen ausdrücklich verwirft, bestehen keinerlei Anhaltspunkte; sein Entscheid vom 30. März 1967, mit dem er das Wasser- und Elektrizitätswerk Romanshorn verpflichtet hat, für sein Gebiet einem in der Stadt St. Gallen ansässigen Unternehmer die Installationsbewilligung zu erteilen (wogegen das Werk eine noch nicht beurteilte staatsrechtliche Beschwerde erhoben hat), spricht vielmehr dafür, dass er sich auch im vorliegenden Falle nicht von gewerbepolitischen Überlegungen leiten liess. 3. Der Regierungsrat nahm an, die Installationsbewilligung dürfe der Beschwerdeführerin deshalb verweigert werden, weil die Entfernung zwischen ihrem Geschäftssitz Schaffhausen und Frauenfeld mit Rücksicht auf spätere Reparaturen der Anlage zu gross sei. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Bereitschaft zum Reparaturdienst bei der Erteilung oder Verweigerung der Bewilligung berücksichtigt werden darf, wohl BGE 93 I 406 S. 411 aber, dass ihr die vom Regierungsrat beigemessene grosse Bedeutung zukomme. Elektrische Anlagen, namentlich solche für Starkstrom, dürfen wegen der damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben und der Brandgefahr nur unter Beobachtung umfassender Sicherheitsvorkehren erstellt und betrieben werden. Hausinstallationen sind, wie sich aus der Stellung von Art. 16 im ElG ergibt, Starkstromanlagen (vgl. dazu RUCK, Schweiz. Elektrizitätsrecht 1964 S. 17 und 126 ff.). Dementsprechend sind auch die bundesrechtlichen Vorschriften über die Hausinstallationen in einem eigenen Abschnitt der Starkstromverordnung (StV; BS 4 S. 798) zusammengefasst (Art. 118 ff., abgeändert durch BRB vom 24. Oktober 1949, AS 1949 S. 1513). Bei allen Hausinstallationen sind die vom Schweiz. Elektrotechnischen Verein aufgestellten und vom Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement genehmigten Vorschriften zu beachten ( Art. 120 bis StV , Genehmigungsverfügung vom 1. Dezember 1960, AS 1960 S. 1707). Ferner hat der Besitzer von Hausinstallationen während der ganzen Betriebsdauer "für die ungesäumte Beseitigung wahrgenommener Mängel an Apparaten oder Anlageteilen zu sorgen" ( Art. 122 StV ). Ist dies schon allgemein wichtig, so erst recht in einem Schulhaus, wo eine grosse Zahl von Kindern ein- und ausgeht und jeder Mangel daher besonders gefährlich ist. Unter diesen Umständen besteht aber ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Sicherstellung eines raschen Reparaturdienstes. Wenn die Behörde die Bewilligung zur Erstellung von Hausinstallationen nur solchen Bewerbern erteilt, die in der Lage sind, Reparaturen rasch auszuführen, so ist dies umso mehr zulässig, als sich aus Erhebungen der Schweiz. Kartellkommission ergibt, dass auswärtige Firmen in der Regel nur schwer und mit erheblichen Mehrkosten für den Anlageeigentümer (Reisekosten und Auswärtszulagen der Monteure) dazu gebracht werden können, die unbeliebten und finanziell weniger interessanten Reparaturen auszuführen (Die öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Wettbewerbs durch Submissions- und Konzessionsvorschriften, in Veröffentlichungen der Schweiz. Kartellkommission 1967 S. 176 ff.). Nach § 16 Abs. 2 des Reglements hat der Abonnent festgestellte "Mängel auf seine Kosten durch das Werk oder die konzessionierten Installateure beheben zu lassen". Damit wird BGE 93 I 406 S. 412 lediglich die schon aus Art. 122 StV folgende Pflicht des Inhabers von Hausinstallationen bestätigt, nicht aber eine Pflicht des Werks oder der übrigen Installateure begründet. Jedenfalls behauptet die Beschwerdeführerin nicht das Gegenteil. Dagegen ergibt sich aus § 2 Abs. 3, dass das Werk die Stromlieferung bis zur Abwendung der Gefahr unterbrechen darf. Solche Folgen von Mängeln und Störungen der Anlage werden am zweckmässigsten durch die Sicherstellung eines guten Reparaturdienstes vermieden. Auch die Schweiz. Kartellkommission anerkennt, dass "dieses Argument gewichtigen und achtenswerten Überlegungen entspricht"; sie empfiehlt daher keineswegs den Verzicht auf jede Gebietsbeschränkung, sondern lediglich die Lockerung allzu enger Domizilklauseln (a.a. O. S. 177/8). Soweit daher die Beschwerdeführerin einen Verstoss gegen Art. 31 BV schon darin erblickt, dass dem Erfordernis eines raschen Reparaturdienstes entscheidende Bedeutung beigemessen wird, erweist sich die Beschwerde als unbegründet. 4. Zu prüfen bleibt, ob die Entfernung von 26 km zwischen Schaffhausen und Frauenfeld den erforderlichen Reparaturdienst nicht mehr gewährleiste, wie der Regierungsrat annimmt. Dabei geht es um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse, bei welcher den kantonalen Behörden ein gewisser Spielraum des Ermessens einzuräumen ist. Das Bundesgericht kann ihren Entscheid trotz der auf dem Spiel stehenden Handels- und Gewerbefreiheit nicht frei überprüfen, sondern kann nur einschreiten, wenn die letzte kantonale Instanz ihr Ermessen überschritten, die in Betracht fallenden Verhältnisse willkürlich gewürdigt hat (vgl. BGE 78 I 302 , BGE 80 I 354 , BGE 82 I 155 ). Das vermag die Beschwerde aber nicht darzutun. Der Regierungsrat ist vom Zirkular des Vorstands des VSE vom 2. Mai 1967 (Elektro-Revue 1967 S. 950 ff.) ausgegangen, das die Zulassung auswärtiger Installateure empfiehlt, "sofern sie, unter Berücksichtigung der topographischen Verhältnisse, in einem gewissen Umkreis, im Flachland z.B. im Umkreis von etwa 10 - 20 km um das Versorgungsgebiet herum ihr Geschäftsdomizil haben" (a.a.O. S. 952). Wenn der Regierungsrat als Versorgungsgebiet im Sinne dieser Empfehlung den Ort betrachtet, wo der auswärtige Unternehmer beschäftigt werden soll, und die Entfernung zwischen diesem Ort und dem Geschäftsdomizil als massgeblich erachtet, so liegt darin sicher BGE 93 I 406 S. 413 keine Willkür, da der zu einer Reparatur gerufene Installateur diese Strecke zurücklegen muss, bevor er mit der Arbeit beginnen kann. Dass die Beschwerdeführerin eine Betriebsstätte in Feuerthalen habe, das von Frauenfeld nur 23 km entfernt ist, wird in der staatsrechtlichen Beschwerde erstmals behauptet und fällt damit ausser Betracht. Ist aber von der Entfernung von 26 km zwischen Schaffhausen und Frauenfeld auszugehen, so steht der Entscheid des Regierungsrates im Einklang mit jener Empfehlung des Vorstands des VSE und hält daher jedenfalls dem Vorwurfe der Willkür stand. Die Schweiz. Kartellkommission geht freilich etwas weiter und hält dafür, dass eine Distanz von 20 - 30 km den Reparaturservice "kaum" hindere (a.a.O. S. 178). Allein auch dies lässt den angefochtenen Entscheid nicht als willkürlich erscheinen. Einmal wendet sich die Kartellkommission nur gegen die Beschränkung der Installationsbewilligungen auf die in der gleichen Gemeinde ansässigen Unternehmer und befürwortet vor allem für Agglomerationen mehrerer selbständiger Gemeinden die Erweiterung der Domizilklausel auf das Gebiet der ganzen Agglomeration (a.a.O. S. 181/2). Und wenn sie eine Distanz von 20 - 30 km als angängig erachtet, so ist damit auch gesagt, dass eine Abgrenzung, die irgendwo zwischen 20 und 30 km gemacht wird, sich noch im Rahmen vernünftigen Ermessens hält. Hiegegen vermag auch der Einwand nicht aufzukommen, dass die Fahrzeit vom Geschäftssitz der Beschwerdeführerin bis zum Bauobjekt nur 20-30 Minuten betrage. Diese Schätzung, die einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 52-78 km/h entspricht, dürfte zu niedrig sein, da auf der Strecke 11 Ortschaften, zum Teil mit unübersichtlichen Stellen und Engpässen, zu durchfahren sind. Davon abgesehen wird die Beschwerdeführerin ihre Monteure und Servicewagen, die fahrende Werkstatt nicht ausgeschlossen, während der üblichen Arbeitszeiten nicht an ihrem Geschäftssitz konzentriert, sondern auf Baustellen und Arbeitsplätzen eingesetzt haben. Sie selber behauptet nicht, dass sie in Schaffhausen einen Pikettdienst unterhalte, der werktags und sonntags zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Abruf einsatzbereit sei. Dann muss aber zur Fahrzeit noch ein Zuschlag gemacht werden, der das Eintreffen des Reparaturdienstes in Frauenfeld erheblich verzögern kann. Die Meinung des Regierungsrates, dass das Risiko allzulanger Wartezeiten zu gross sei, erweist sich damit als derart verständlich und einleuchtend, dass BGE 93 I 406 S. 414 ihm zum mindesten keine Willkür bei der Würdigung des Sachverhalts vorgeworfen werden kann. Ebenso ist der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung unbegründet. Wenn der Regierungsrat einerseits in einem Entscheid vom 30. März 1967 die Distanz von 21 km zwischen St. Gallen und Romanshorn gerade noch für erträglich, anderseits im angefochtenen Entscheid die Entfernung von 26 km zwischen Schaffhausen und Frauenfeld als zu gross betrachtete, so ist diese Unterscheidung angesichts der erwähnten Empfehlungen des Vorstands des VSE und der Kartellkommission, die 20 km als obere bezw. untere Grenze angeben, mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit durchaus vereinbar. Erst recht ist es die Erklärung des Regierungsrates in der Beschwerdeantwort, dass er - wie es der Stadtrat von Frauenfeld getan hat - einer Firma in Winterthur die Installationsbewilligung für Frauenfeld erteilen würde, da die Entfernung nur 17 km beträgt und die gut ausgebaute Hauptstrasse mit wenigen Ortsdurchfahrten ein rasches Fahren ermöglicht. 5. Die Beschwerdeführerin erklärt, sie werde bei Störungen an der Hausinstallation im Abschlussklassen-Schulhaus in Frauenfeld auf erstes Verlangen ungesäumt Abhilfe schaffen oder Reparaturen ausführen, was bei der gegebenen Entfernung und unter den vorliegenden Verhältnissen genügen müsse. Damit macht sie sinngemäss geltend, die Verweigerung der Installationsbewilligung sei unverhältnismässig und die Sicherstellung eines genügenden Reparaturdienstes auch anders möglich. Träfe dies zu, so würde der angefochtene Entscheid gegen Art. 31 BV verstossen, der unverhältnismässige Eingriff in die Gewerbefreiheit ausschliesst ( BGE 91 I 464 , BGE 92 I 103 , BGE 93 I 219 ). a) Die Zusicherung der Beschwerdeführerin über ihre Bereitschaft, bei Störungen unverzüglich Hilfe zu bringen, verdient ernst genommen zu werden; sie vermag indessen nicht zu verhindern, dass ihr Reparaturdienst möglicherweise erst mit erheblicher Verspätung in Frauenfeld eintrifft, sei es weil er nachts oder sonntags angefordert wird und das Personal erst aufgeboten werden muss, sei es, weil das Personal und die Fahrzeuge abseits von Schaffhausen eingesetzt sind und vorerst zurückgerufen werden müssen, sei es, weil wegen Naturereignissen oder Unglücksfällen Umwege gemacht werden müssen oder sonst Verzögerungen eintreten. Hiebei geht es wiederum um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse mit der Besonderheit, dass BGE 93 I 406 S. 415 die zu würdigenden Ereignisse in der Zukunft liegen und ihre Folgen daher schwerer abschätzbar sind. Das Bundesgericht kann nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Regierungsrates setzen. Wenn dieser gefunden hat, dass die Gefahr von Verzögerungen mit der Entfernung zunehme und das Risiko bei 26 km zu gross werde, so hält dies dem Vorwurfe der Willkür stand. b) Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, dass bei Störungen die Installationsabteilung des Elektrizitätswerkes Frauenfeld (oder die ortsansässigen Installateure) beigezogen werden können. Dies mag zutreffen. Allein die Beschwerdeführerin behauptet, wie bereits in anderm Zusammenhang (Erw. 3) hervorgehoben wurde, selber nicht, dass ihre Bauherrschaft jenen gegenüber einen Rechtsanspruch auf Ausführung von Reparaturen habe. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass das Elektrizitätswerk Frauenfeld oder die ortsansässigen Firmen Reparaturaufträge der Schulgemeinde ablehnen würden, ist doch damit zu rechnen, dass sie in Zeiten der Voll- und Überbeschäftigung nicht denjenigen Auftraggeber zuerst bedienen werden, der die Installationen nach auswärts vergeben hat. Unter diesen Umständen muss auch die Rüge der Unverhältnismässigkeit abgewiesen werden.
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Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
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Sachverhalt ab Seite 103 BGE 130 III 102 S. 103 Créée en 1999, la société X. possédait plusieurs sites en Suisse, dont l'un à Y., dans le canton de Vaud. Elle était liée aux syndicats A. et B. par une convention collective de travail. Dès sa fondation, X. a connu des difficultés financières. Au début du mois d'août 2002, elle s'est trouvée pratiquement en cessation de paiement. Son conseil d'administration a alors commencé à réfléchir à l'éventualité d'un sursis concordataire et d'un licenciement collectif des travailleurs du site de Y. Le 12 septembre 2002, X. a décidé de demander un sursis concordataire, ce qui entraînait la fermeture de certains sites et, le 13 septembre 2002, le licenciement des collaborateurs du site de Y. a été envisagé à titre d'hypothèse. Le 20 septembre 2002, une demande de sursis concordataire provisoire a été déposée auprès du tribunal compétent et il a été retenu que, dès cette date, la décision de fermer le site de Y. était devenue irréversible. Le 22 septembre 2002, un sursis concordataire provisoire a été accordé jusqu'au 22 novembre 2002. Le 23 septembre 2002, la commission du personnel de l'usine de Y. a été informée oralement du projet de fermeture du site. En fin de journée, X. a convoqué les commissions du personnel des différents sites à une séance prévue le lendemain dans le canton de Berne. BGE 130 III 102 S. 104 Lors de la séance du 24 septembre 2002 à laquelle aucun représentant des sites romands n'était présent, des informations portant notamment sur les licenciements envisagés ont été dispensées, mais ni la problématique de la consultation du personnel, ni celle d'un plan social n'ont été discutées. Par courrier posté le 24 septembre 2002 à la suite à cette séance, X. a informé les commissions du personnel qu'elle envisageait de fermer le plus rapidement possible deux sites, dont celui de Y. Sur les 132 employés occupés sur le site de Y. en septembre 2002, 8 avaient déjà été licenciés et il était prévu d'annoncer 124 licenciements "en septembre encore et dans certains cas au courant du mois d'octobre". Un délai au vendredi 27 septembre 2002 a été fixé à la commission du personnel pour soumettre ses propositions en vue d'éviter ou de limiter les licenciements, ainsi que d'en atténuer les effets. Informé des mesures envisagées, le Service de l'emploi de l'État de Vaud a relevé qu'un délai de consultation de trois jours était totalement inhabituel dans le canton et il a invité l'entreprise à prolonger celui-ci. Le 25 septembre 2002, le président de la commission du personnel de X. pour la Romandie a contesté ce délai. Finalement, X. a prolongé celui-ci au lundi 30 septembre 2002 à 8 heures du matin. Le 26 septembre 2002, le syndicat A. a indiqué à X. que le délai fixé pour la consultation, même repoussé au 30 septembre 2002, n'était pas acceptable. Le 27 septembre 2002, les représentants suisses-alémaniques du personnel de X. ont fourni leurs observations sous forme de propositions sommaires et peu élaborées. Le 30 septembre 2002, X. a licencié 76 travailleurs du site de Y. et, dans le courant du mois d'octobre, elle a encore résilié les contrats de 27 autres employés. Ce n'est que le 7 novembre 2002 que la commission du personnel du site de Y. a remis à X. son rapport concernant les licenciements collectifs. Le 22 novembre 2002, X. a obtenu un sursis concordataire définitif pour une durée de six mois jusqu'au 22 mai 2003. Par contrat du 16 décembre 2002, une société tierce a repris l'usine de Y. et, le 27 décembre 2002, X. a annoncé aux 88 collaborateurs BGE 130 III 102 S. 105 travaillant toujours sur le site que le plan de licenciement collectif était retiré, ce qui entraînait l'annulation des congé notifiés à cette occasion. La reprise est devenue effective le 20 janvier 2003. A la suite d'une demande en justice introduite par les syndicats A. et B., le Tribunal de prud'hommes de l'arrondissement de Lausanne a constaté, par jugement du 20 février 2003, que X. n'avait pas respecté la procédure de consultation de la représentation des travailleurs en cas de licenciement collectif en ce qui concernait le site de Y. Ce jugement a été confirmé par la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois, par arrêt du 9 juillet 2003. Contre cet arrêt, X. interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral.
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Erwägungen Extrait des considérants: 1. 1.1 Le présent recours est dirigé contre un jugement final rendu en dernière instance cantonale par un tribunal supérieur ( art. 48 al. 1 OJ ). Il porte sur le respect des droits de participation des salariés en cas de licenciement collectif au sens des art. 335d à 335g CO, soit sur une contestation civile (cf. ATF 129 III 415 consid. 2.1). La question de savoir si celle-ci revêt un caractère non pécuniaire au sens de l' art. 44 OJ (cf. sur cette notion POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943, vol. II, Berne 1990, n. 1.2 ad art. 44 OJ ), auquel cas la voie du recours en réforme devrait, sous réserve d'exceptions non réalisées en l'espèce, être considérée comme ouverte d'emblée, peut demeurer indécise. En effet, même si l'on devait retenir le caractère pécuniaire d'une telle contestation, l'ampleur des licenciements collectifs en cause implique que la valeur litigieuse ouvrant la voie du recours en réforme serait de toute manière atteinte (cf. art. 46 OJ ). 1.2 Le recours a été interjeté par l'entreprise qui a succombé dans ses conclusions libératoires à la suite d'une action en constatation introduite par deux associations de travailleurs au sens de l'art. 15 al. 2 de la loi fédérale du 17 décembre 1993 sur l'information et la consultation des travailleurs dans les entreprises (loi sur la participation; ci-après: LPart.; RS 822.14). La défenderesse a donc qualité pour recourir. 1.3 Comme toute voie de droit, le recours en réforme suppose en outre que celui qui le dépose ait un intérêt à recourir (cf. ATF 120 II 5 BGE 130 III 102 S. 106 consid. 2a). En l'occurrence, il ressort de l'arrêt attaqué qu'à la suite du contrat de reprise conclu le 16 décembre 2002 entre la défenderesse et une entreprise tierce, le plan de licenciement collectif communiqué à la fin du mois de septembre 2002 a finalement été retiré et les congés prononcés ont été annulés. Il a toutefois été retenu que seuls 88 collaborateurs travaillant toujours sur le site à cette date ont été concernés par cette annonce, alors qu'avant les licenciements collectifs, ils étaient 132. Par conséquent, la défenderesse conserve un intérêt à ce que la constatation selon laquelle elle a violé la procédure de consultation en cas de licenciement collectif soit annulée. 1.4 Déposé en temps utile compte tenu des féries ( art. 34 al. 1 let. b et art. 54 al. 1 OJ ) et dans les formes requises ( art. 55 OJ ), le recours en réforme est donc en principe recevable. 2. A l'appui de son recours, la défenderesse présente un état de fait qui s'écarte de celui ressortant de l'arrêt attaqué et, dans son dernier grief, elle remet en cause certains éléments constatés, en invoquant une violation du principe de la maxime inquisitoire découlant de l' art. 15 al. 3 LPart . 2.1 Le Tribunal fédéral ne pouvant contrôler l'application du droit fédéral que sur la base d'un état de fait clairement établi, il convient d'examiner ces critiques en premier lieu. 2.2 Saisi d'un recours en réforme, le Tribunal fédéral doit mener son raisonnement juridique sur la base des faits contenus dans la décision attaquée, à moins que des dispositions fédérales en matière de preuve n'aient été violées, qu'il y ait lieu de rectifier des constatations reposant sur une inadvertance manifeste ( art. 63 al. 2 OJ ) ou qu'il faille compléter les constatations de l'autorité cantonale parce que celle-ci n'a pas tenu compte de faits pertinents, régulièrement allégués et clairement établis ( art. 64 OJ ; ATF 127 III 248 consid. 2c et l'arrêt cité). Dans la mesure où une partie recourante présente un état de fait qui s'écarte de celui contenu dans la décision attaquée, sans se prévaloir avec précision de l'une des exceptions qui viennent d'être rappelées, il n'est pas possible d'en tenir compte ( ATF 127 III 248 consid. 2c). Il ne peut être présenté de griefs contre les constatations de fait, ni de faits ou de moyens de preuve nouveaux ( art. 55 al. 1 let . c OJ). L' art 15 al. 3 LPart . reprend la règle posée à l' art. 343 al. 4 CO , selon laquelle le juge établit d'office les faits (cf. FRITZ, Loi sur la BGE 130 III 102 S. 107 participation, Commentaire juridique et guides pratiques, Zurich 1994, n. 3 ad art. 15 LPart .). Ces dispositions contiennent ainsi des règles particulières en matière de preuve, dont la violation peut amener le Tribunal fédéral, saisi d'un recours en réforme, à s'écarter des faits constatés dans la décision attaquée. Elles imposent au juge de tenir compte des faits juridiquement pertinents, même si les parties ne les ont pas invoqués (cf. ATF 107 II 233 consid. 2b p. 236). L'obligation du juge d'établir d'office les faits ne dispense cependant pas les parties d'une collaboration active à la procédure. Il leur incombe de renseigner le juge sur les faits de la cause et de lui indiquer les moyens de preuve disponibles ( ATF 107 II 233 consid. 2c p. 236; cf. s'agissant de l' art. 15 al. 3 LPart ., ILG, Kommentar über das Mitwirkungsgesetz, Zurich 1999, p. 99 s.). Les art. 15 al. 3 LPart . ou 343 al. 4 CO ne peuvent toutefois servir à remettre en cause, dans une procédure de réforme, la façon dont le juge a établi les faits ou apprécié les preuves (cf. ATF 129 III 618 consid. 3; ATF 128 III 271 consid. 2b/bb p. 277 s.). 2.3 La défenderesse soutient que la chambre des recours a méconnu l' art. 15 al. 3 LPart ., en retenant que la procédure de consultation avait débuté le 25 septembre 2002 et non, comme elle l'avait allégué, le 24 du même mois. En outre, les juges auraient dû mentionner qu'un plan social avait été conclu en 1999, lorsqu'ils ont souligné que la problématique d'un plan social n'avait pas été discutée lors de la séance du 24 septembre 2002. S'agissant de la première critique, la défenderesse n'indique pas quel moyen de preuve la chambre des recours aurait refusé d'administrer. Elle se contente de remettre en cause l'établissement des faits, ce qui n'est pas admissible. Quant à l'existence d'un plan social conclu en 1999, il s'agit d'un élément non pertinent dont on ne peut donc reprocher aux juges de n'avoir pas tenu compte. Lors de la séance du 24 septembre 2002, c'est en effet l'absence de discussion sur la consultation du personnel qui a été l'élément déterminant pour la chambre des recours, et non le fait que la problématique du plan social n'ait pas été abordée, quelles qu'en aient été les raisons. Les critiques qui auraient permis à la Cour de céans de s'écarter des faits ressortant de l'arrêt attaqué étant dépourvues de tout fondement, les autres griefs invoqués par la défenderesse seront examinés exclusivement à la lumière des constatations cantonales. BGE 130 III 102 S. 108 3. La défenderesse reproche principalement à la chambre des recours d'avoir violé l' art. 335e al. 2 CO en appliquant à la présente cause les règles sur le licenciement collectif. 3.1 Selon l' art. 335e al. 2 CO , les dispositions relatives au licenciement collectif ne s'appliquent pas en cas de cessation d'activité de l'entreprise intervenue sur ordre du juge. Dans un arrêt de principe, le Tribunal fédéral a examiné les cas de figure visés par cet alinéa. Suivant la doctrine, il a admis que les prescriptions sur le licenciement collectif ne s'appliquent pas en cas de faillite, car les travailleurs, en tant que créanciers, disposent alors de possibilités d'influence qui dépassent les droits de participation prévus aux art. 335d ss CO , de sorte qu'il ne fait guère de sens de conduire une procédure de consultation en vertu de l' art. 335f CO parallèlement à la procédure de faillite ( ATF 123 III 176 consid. 3a p. 178 s.). En revanche, la jurisprudence n'a pas tranché la question controversée de savoir si une procédure concordataire peut également exclure l'application des art. 335d ss CO . La Cour de céans a toutefois relevé que cette éventualité n'était envisageable que lorsque la faculté pour les créanciers de participer à la procédure devenait effective. Or, dans le cadre d'un concordat, les créanciers ne peuvent se prononcer qu'après l'octroi judiciaire du sursis, dans la phase d'acceptation du concordat (cf. ATF 123 III 176 consid. 3a p. 179). La situation des créanciers en cas de sursis concordataire provisoire n'est pas comparable à celle prévalant lors de l'acceptation du concordat. Il ressort de l' art. 293 al. 3 LP qu'après avoir été saisi d'une demande de concordat, le juge peut, lorsque cela s'avère justifié, décréter un sursis provisoire de deux mois au plus et nommer un commissaire provisoire. Ce sursis provisoire revêt ainsi les caractéristiques d'une mesure conservatoire, dont le but est de permettre au juge de réunir les éléments indispensables, afin de statuer sur la demande de concordat, en sauvegardant les droits des intéressés (cf. art. 293 al. 3 in fine et art. 294 LP ; cf. GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Lausanne 2003, n. 30 s. ad art. 293 LP ; VOLLMAR, Commentaire bâlois, SchKG III, n. 31 ad art. 293 LP ). Comme la décision d'ouvrir une procédure concordataire n'est pas encore prise, on ne peut parler de participation effective des créanciers à ce stade, de sorte que les art. 335d ss CO demeurent applicables (cf. GEISER, Arbeitsrechtliche Fragen bei Sanierungen, in Vito Roberto [éd.], Sanierung der AG, Zurich 2003, p. 119 ss, 150; MEYER, Die Massenentlassung, thèse Bâle 1999, p. 132). BGE 130 III 102 S. 109 3.2 En l'espèce, la chronologie des événements fait apparaître que le juge a accordé, le 22 septembre 2002, un sursis concordataire provisoire jusqu'au 22 novembre 2002. Ce n'est qu'à cette dernière date qu'une décision judiciaire portant sur l'octroi d'un sursis concordataire définitif pour une durée de six mois a été rendue. Les licenciements collectifs ont donc été annoncés aux représentations des travailleurs concernées et ont été signifiés durant la phase du sursis concordataire provisoire au sens de l' art. 293 al. 3 LP . Dès lors qu'à ce stade, les créanciers ne disposent pas encore de possibilités d'influencer la procédure concordataire de nature à rendre superflue l'application simultanée des droits de participation de l' art. 335f CO (cf. supra consid. 3.1), ce cas de figure ne saurait entrer dans l'hypothèse visée par l' art. 335e al. 2 CO , contrairement à ce qu'invoque la défenderesse. Dans son argumentation, celle-ci perd du reste de vue qu'au moment des faits, le juge ne s'était pas encore prononcé de manière définitive sur le sursis concordataire. C'est donc à juste titre que la chambre des recours a fait application des dispositions concernant les licenciements collectifs. 4. A titre subsidiaire, la défenderesse soutient que, dans le cas où la procédure serait régie par les art. 335d ss CO , la chambre des recours a violé le droit fédéral en refusant de reconnaître que l'entreprise avait procédé à la consultation des représentants des travailleurs à temps et en estimant que le délai imparti pour qu'ils formulent leurs observations était trop bref. 4.1 La procédure de consultation de la représentation des travailleurs est réglée à l' art. 335f CO . Selon cette disposition, l'employeur qui envisage de procéder à un licenciement collectif est tenu de consulter la représentation des travailleurs ou, à défaut, les travailleurs (al. 1). Il leur donne au moins la possibilité de formuler des propositions sur les moyens d'éviter les congés ou d'en limiter le nombre, ainsi que d'en atténuer les conséquences (al. 2). La loi ne règle pas précisément le moment auquel l'employeur doit mettre en oeuvre la procédure de consultation, ni la durée dont doivent disposer les travailleurs ou leur représentation pour formuler leurs propositions (WYLER, Droit du travail, Berne 2002, p. 356). Il convient donc d'examiner quelles sont les exigences posées par la pratique et si, comme elle le soutient, la défenderesse s'y est conformée en l'espèce. 4.2 S'agissant du moment auquel la procédure de consultation doit être mise en oeuvre, la jurisprudence a déduit de l' art. 335f CO que BGE 130 III 102 S. 110 l'employeur ne peut attendre jusqu'à ce que le licenciement collectif soit concrètement décidé, car le sens de la consultation est d'accorder aux travailleurs la possibilité d'influer sur le processus décisionnel de l'employeur. La consultation doit donc avoir lieu avant que l'employeur ne prenne la décision définitive de procéder au licenciement collectif ( ATF 123 III 176 consid. 4a p. 180). Cette condition suppose d'établir la volonté subjective de l'employeur à un moment donné, ce qui relève du fait et lie le Tribunal fédéral en instance de réforme (cf. CORBOZ, Le recours en réforme, SJ 2000 II p. 1 ss, 62; cf. ATF 123 III 165 consid. 3a in fine). En l'espèce, il ressort des constatations cantonales que, dès le 13 septembre 2002, le conseil d'administration de la défenderesse a envisagé l'hypothèse d'un licenciement des collaborateurs du site de Y. et, le 20 septembre 2002, la décision de fermer ce site est devenue irréversible. Ce n'est toutefois que le 25 septembre suivant que la défenderesse a entamé la procédure de consultation des salariés au sens de l' art. 335f CO . Il en découle que la chambre des recours était fondée à admettre que la défenderesse avait agi tardivement, dès lors qu'elle n'a consulté les travailleurs qu'après avoir décidé, de manière irrévocable, de fermer le site. Lorsque la défenderesse relève que la consultation ne doit être mise en oeuvre qu'après la décision définitive de licencier prise par l'employeur, elle adopte une position clairement contraire à la jurisprudence et qui rendrait de plus la procédure de consultation vide de sens. 4.3 Quant à la durée de la consultation, elle n'est pas illimitée. Il est unanimement admis que l'employeur peut fixer aux travailleurs un délai pour leur prise de position ( ATF 123 III 176 consid. 4b p. 181 et les références citées). La consultation doit en tout cas être terminée avant le prononcé des licenciements (WYLER, op. cit., p. 356; MÜLLER, Die neuen Bestimmungen über Massenentlassungen, Mitteilungen des Instituts für Schweizerisches Arbeitsrecht [ArbR] 1995 p. 105 ss, 126). Comme dans l'exercice de tous les droits de participation, la collaboration des parties en ce domaine est régie par le principe de la bonne foi (cf. art. 11 al. 1 LPart .; ATF 123 III 176 consid 4b p. 181; cf. également FRITZ, op. cit., n. 1 ad art. 11 LPart .; WYLER, op. cit., loc. cit.). Les travailleurs doivent disposer du temps nécessaire pour étudier les renseignements fournis par l'employeur (cf. art. 335f al. 3 CO ), formuler des propositions concrètes et les porter à la connaissance de l'employeur. Les parties ont du reste un intérêt concordant à ce que les propositions soient rapidement BGE 130 III 102 S. 111 élaborées ( ATF 123 III 176 consid. 4b p. 181 et les références citées). La jurisprudence n'a pas fixé concrètement de délai minimal approprié, précisant que celui-ci dépendait des circonstances, en particulier de la complexité des questions à résoudre et de l'urgence du licenciement collectif envisagé. Toutefois, si le licenciement collectif est devenu urgent parce que l'employeur a entamé la procédure de consultation trop tard, cette urgence ne saurait justifier un raccourcissement du délai de consultation ( ATF 123 III 176 consid. 4b p. 181). Pour le Tribunal fédéral, un délai de 24 heures s'avère manifestement trop bref, alors qu'une période de quatre à six semaines paraît nettement trop longue (cf. ATF 123 III 176 consid. 4c p. 182). Certains auteurs ont fixé des limites plus précises. Selon AUBERT, sauf cas particuliers, le délai ne doit pas être inférieur à une dizaine de jours (AUBERT, Commentaire romand, n. 8 ad art. 335f CO ). WYLER, sur lequel se fonde la défenderesse, considère que, pour une entreprise de taille moyenne (moins de 300 salariés), un délai de consultation de sept à dix jours est adéquat (WYLER, op. cit., p. 357). D'autres auteurs enfin sont d'avis que trois à cinq jours ouvrables suffisent (GEISER, Massenentlassung, in Geiser/Münch [éd.], Stellenwechsel und Entlassung, Bâle 1997, p. 106; MEYER, op. cit., p. 169; MÜLLER, op. cit., p. 128). L'arrêt attaqué constate que, le 25 septembre 2002, la défenderesse a tout d'abord imparti un délai au vendredi 27 septembre aux représentations des salariés pour formuler leurs observations. Le président de la commission du personnel pour la Romandie s'y étant opposé, la défenderesse a finalement prolongé ce délai au lundi 30 septembre 2002 à 8 heures du matin. Eu égard aux circonstances, on ne peut considérer que ce délai, même prolongé, est conforme aux exigences légales. A supposer qu'une durée de cinq jours pour permettre à la représentation des travailleurs de fournir des observations puisse être tenue pour suffisante, ce qui est fortement douteux, compte tenu de l'ampleur des licenciements envisagés, qui concernaient les 132 personnes employées sur le site de Y., et du fait que ce délai comprenait un week-end, l'attitude de la défenderesse ne dénote pas une collaboration conforme aux règles de la bonne foi. Si l'on comprend bien que, pour l'entreprise, il était important de clore la procédure de consultation des travailleurs avant le 30 septembre 2002, afin de pouvoir licencier une partie du personnel dans le mois courant, celle-ci ne pouvait accorder une prolongation du délai initialement BGE 130 III 102 S. 112 fixé de seulement deux jours durant un week-end et faire expirer celui-ci le lundi à 8 heures du matin. La défenderesse avait alors juste le temps de procéder à la notification à l'office cantonal du travail exigée par l' art. 335g CO et de communiquer leur congé aux salariés présents sur le site ce lundi, mais on ne peut concevoir que ce délai lui permettait également d'examiner de manière sérieuse les propositions de la représentation des travailleurs qui auraient dû lui parvenir le jour même. Les arguments figurant dans le recours et tendant à démontrer l'inverse ne sont pas concluants. Enfin, il convient de se montrer d'autant plus strict dans l'appréciation de la durée du délai accordé en l'espèce que, comme il l'a été exposé (cf. supra consid. 4.2), la défenderesse a entamé la procédure de consultation tardivement. Celle-ci ne peut donc se prévaloir d'une situation d'urgence qu'elle a elle-même générée. Il apparaît ainsi que la chambre des recours n'a pas violé le droit fédéral lorsqu'elle a considéré que la défenderesse n'avait pas respecté la procédure de consultation au sens de l' art. 335f CO , en impartissant à la représentation des salariés un délai de consultation de cinq jours qui arrivait à expiration le lundi 30 septembre 2002 à 8 heures du matin. 4.4 Les arguments présentés par la défenderesse pour tenter de démontrer l'existence d'un délai convenable sont du reste tous dépourvus de pertinence. Ainsi, lorsqu'elle conteste qu'une opposition au premier délai fixé au 27 septembre 2002 ait été présentée par les personnes compétentes, elle oublie que c'est elle-même qui a accepté cette requête et qui a prolongé le délai au 30 septembre, sans formuler d'objection. Le délai de consultation qui découle implicitement de l' art. 335f CO commence à courir à partir du moment où l'employeur entame formellement la procédure que lui impose la loi. On ne saurait admettre, comme le soutient la défenderesse, que ce délai débute dès le moment où la commission du personnel a eu vent du projet de licenciement collectif. Quant au plan social conclu en 1999, il ne justifie en rien l'octroi d'un délai de consultation plus court, car ce document n'empêchait pas les travailleurs ou leurs représentants de formuler d'autres propositions à l'occasion de la consultation sur les licenciements collectifs. BGE 130 III 102 S. 113 Enfin, on a vu qu'un sursis concordataire accordé à titre provisoire n'entrait pas dans les hypothèses visées par l' art. 335e al. 2 CO , de sorte que les dispositions sur les licenciements collectifs étaient applicables (cf. supra consid. 3). La défenderesse ne peut donc invoquer la spécificité propre au sursis concordataire pour se soustraire aux obligations procédurales découlant de l' art. 337f CO . Le recours doit par conséquent être rejeté.
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Sachverhalt ab Seite 19 BGE 129 III 18 S. 19 A.- A.a Par une convention de remise de commerce signée le 1er septembre 1995, la société B. S.A. (ci-après: B.) a cédé à la société C. S.A., représentée par son directeur A., une boîte de nuit à l'enseigne "Club D.", sise à Genève dans un immeuble appartenant à la société SI E. Aux termes de ce contrat, B. a aliéné à C. S.A. l'intégralité de l'agencement, du mobilier, du matériel et des installations garnissant et existant dans les locaux, le fonds de commerce, la clientèle, le droit à l'enseigne et le droit au bail. Le prix a été fixé à 1'050'000 fr. et payé au moyen d'un chèque de 600'000 fr. et d'un prêt de 450'000 fr. consenti par B. à A. Un contrat de prêt a été signé entre ces deux personnes le même jour, indiquant que sa durée maximale était de trois ans. Le 15 septembre 1998, B. a mis en demeure A. de lui rembourser, au 30 septembre 1998, le prêt de 450'000 fr. qui lui avait été accordé trois ans plus tôt. Excipant de compensation, A. ne s'est pas exécuté. B. lui a fait notifier un commandement de payer, qui a été frappé d'opposition. La mainlevée provisoire a été prononcée le 2 février 1999. Le 5 mars 1999, A. a déposé devant les tribunaux genevois une action en libération de dette à l'encontre de B. A.b La créance compensatrice litigieuse repose sur les faits suivants. En 1966, les locaux du Club D., à la suite d'un incendie, ont été floqués à l'amiante, ce qui apparaissait à l'époque comme une protection adéquate contre le feu. B. avait connaissance de la présence de cette matière considérée désormais comme dangereuse, mais il n'est pas prouvé qu'elle en ait informé, avant la conclusion du contrat, la société C. S.A. En mars 1998, A., en tant qu'exploitant BGE 129 III 18 S. 20 du Club D., a reçu un rapport de l'Institut Universitaire Romand de Santé au Travail qui estimait nécessaire l'assainissement des locaux; il était relevé que le flocage d'amiante se trouvait sans protection dans le couloir menant à l'office ainsi que dans la cuisine, alors que, dans les lieux fréquentés par le public, il se trouvait derrière un faux plafond servant d'écran. Selon un devis daté du 3 septembre 1998 établi à la demande de A. par l'entreprise F., les travaux d'assainissement demandés devraient coûter 198'355 fr. et durer 32 jours ouvrables. D'après l'organe de révision de C. S.A., l'exécution de ces travaux devrait entraîner une perte de gain de 197'941 fr. 55. A. estime qu'il en découlera également une perte de clientèle qu'il évalue à environ 60'000 fr. Par convention du 18 février 1999, C. S.A. a cédé à A. sa créance en réduction du prix de vente découlant du contrat du 1er septembre 1995, ainsi que sa créance en réparation du dommage consécutif au défaut constaté. B.- Par jugement du 10 mai 2001, le Tribunal de première instance du canton de Genève a considéré que la présence de l'amiante constituait un défaut de la chose vendue, que la venderesse en avait dolosivement dissimulé l'existence et que l'acheteuse (dont A. est cessionnaire) avait droit à une diminution du prix correspondant au coût des travaux d'assainissement. En conséquence, le tribunal a prononcé que la poursuite irait sa voie pour le montant du prêt, soit 450'000 fr., sous imputation de la créance compensatoire de 198'355 fr. Saisie d'un appel interjeté par A. et d'un appel incident formé par B., la Chambre civile de la Cour de justice du canton de Genève, dans un arrêt du 19 avril 2002, a considéré que la présence de l'amiante ne constituait pas un défaut de la chose vendue, parce que l'amiante se trouvait dans les plafonds remis à bail par la SI E., et non pas dans un bien aliéné par B. à C. S.A.; par ailleurs, comme il n'a été ni allégué ni prouvé que les travaux d'assainissement aient été exécutés, la cour cantonale en a déduit qu'il n'y avait ni dommage effectif ni gain manqué. En conséquence, elle a annulé le jugement attaqué et rejeté l'action en libération de dette, précisant que la poursuite irait sa voie pour le montant du prêt, soit 450'000 fr. avec intérêts à 6,5% l'an dès le 30 septembre 1998. C.- A. exerce un recours en réforme au Tribunal fédéral. Invoquant une violation des art. 8 CC , 19, 51, 197, 41 et 97 CO, il conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué ainsi qu'à ce qu'il soit dit qu'il ne doit pas la somme de 450'000 fr. plus intérêts à 5,5% dès le 1er septembre 1995 et que la poursuite n'ira pas sa voie. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours et confirmé l'arrêt attaqué. BGE 129 III 18 S. 21
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Erwägungen Extrait des considérants: 2. 2.1 Le recourant reproche à la cour cantonale d'avoir perdu de vue la liberté des conventions ( art. 19 al. 1 CO ) et soutient que l'accord passé entre la cédante et la reprenante constitue, en raison de la diversité des prestations, un contrat sui generis. Face à une convention analogue, qui prévoyait la cession du mobilier, de l'agencement, du matériel, des installations, ainsi que du droit au bail, de la clientèle et de l'enseigne, la jurisprudence a déjà admis que le contrat de remise de commerce devait être qualifié de contrat sui generis (arrêt C.294/1986 du 10 décembre 1986, consid. 2a, publié in SJ 1987 p. 179 s.). Le recourant ne peut cependant rien déduire en sa faveur de cette qualification juridique. La remise de commerce est un contrat sui generis, parce que, en raison de la diversité des prestations, elle ne peut pas être qualifiée de vente mobilière. Comme le relève l'arrêt cité, une cession de commerce n'est pas, sans autre examen, soumise aux règles de la vente mobilière; il faut au contraire rechercher la règle qui s'adapte le mieux en fonction de la prestation qui donne matière au litige (cf. arrêt précité, ibidem). 2.2 Le recourant soutient qu'il fallait appliquer l' art. 197 CO , qui régit la garantie due par le vendeur pour les défauts de la chose livrée. Comme le montre le texte de cette disposition et son emplacement dans la loi, cette garantie suppose l'existence d'un contrat de vente. Selon l' art. 184 al. 1 CO , la vente est un contrat par lequel le vendeur s'oblige à livrer la chose vendue à l'acheteur et à lui en transférer la propriété, moyennant un prix que l'acheteur s'engage à lui payer. Il est vrai que la vente ne porte pas nécessairement sur une chose, mais peut aussi avoir pour objet une créance, un droit immatériel, ou un avantage comme la clientèle (KOLLER, Commentaire bâlois, 2e éd., n. 11 s. ad art. 184 CO ; SCHÖNLE, Commentaire zurichois, n. 42 ad art. 184 CO ). La vente peut donc concerner, par exemple, un hôtel ou une pension (ENGEL, Contrats de droit suisse, 2e éd., p. 15). Il convient cependant d'observer que lorsque la vente ne porte pas sur une chose, mais sur une créance, la doctrine majoritaire considère qu'il ne faut pas appliquer l' art. 197 CO (invoqué par le recourant), mais les art. 171 à 173 CO (KOLLER, op. cit., n. 13 ad art. 184 CO ; SCHÖNLE, op. cit., n. 60 s. ad art. 184 CO ; opinion divergente: GIGER, Commentaire bernois, n. 9 ad remarques préalables ad art. 197-210 CO ). BGE 129 III 18 S. 22 Quoi qu'il en soit, la vente doit tendre au transfert définitif et complet d'un bien, et non pas simplement à la cession temporaire de son usage (KOLLER, op. cit., n. 6 ad art. 184 CO ; ENGEL, op. cit., p. 137; GIGER, op. cit., n. 6 ad art. 184 CO ). C'est ainsi que l'on distingue fondamentalement les contrats d'aliénation (la vente, l'échange et la donation) des contrats qui ne font que céder temporairement l'usage d'un bien (le bail à loyer, le bail à ferme et le prêt à usage). En l'espèce, il ne ressort pas des constatations cantonales - qui lient le Tribunal fédéral saisi d'un recours en réforme ( art. 63 al. 2 OJ ) - que l'amiante (substance en soi dangereuse) se trouvait dans une installation mise en place par l'exploitant et cédée par lui à son successeur, comme dans le cas du précédent déjà cité (arrêt C.294/1986 du 10 décembre 1986, SJ 1987 p. 178 ss, qui a trait au manque d'étanchéité d'un sauna). Au contraire, il a été retenu que l'amiante se trouvait dans les plafonds, c'est-à-dire logiquement dans la structure du bâtiment qui comprend le sol, le plafond et les murs. S'agissant précisément des locaux dans lesquels la reprenante devait exercer son activité, le contrat prévoit exclusivement la cession du droit au bail. Cette clause signifiait clairement que la cédante s'engageait à opérer un transfert de son bail au sens de l' art. 263 al. 1 CO . Le recourant ne conteste pas que cette obligation a été remplie et que la reprenante est devenue locataire de la société propriétaire. Il en découle que la reprenante, selon l'accord des parties, devait obtenir l'usage des locaux, c'est-à-dire des sols, plafonds et murs, par le moyen d'un bail. La reprenante ne devait obtenir ainsi que l'usage temporaire des locaux, ce qui exclut, pour tout ce qui concerne les locaux eux-mêmes, la qualification de vente. Ainsi, l'amiante dans les plafonds ne peut pas être qualifiée de défaut de la chose livrée (cf. KOLLER, op. cit., n. 2 art. 197 CO ; GIGER, op. cit., n. 4 ad remarques préalables ad art. 197-210 CO ), parce que les plafonds n'ont pas été cédés complètement et définitivement à la reprenante. La cour cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral en estimant que les plafonds floqués à l'amiante ne pouvaient pas être considérés comme une chose vendue, de sorte que l' art. 197 CO n'était pas applicable. 2.3 On pourrait certes se demander si la présence de l'amiante n'a pas pour effet de rendre défectueux les biens que la cédante a transférés définitivement à la reprenante. Il n'y a pas de raison de le penser puisque le défaut allégué ne réside pas dans ces biens et qu'il n'a pas été constaté que l'exploitation du commerce aurait été entravée ou que le chiffre d'affaires aurait été diminué; d'après les BGE 129 III 18 S. 23 constatations cantonales, les travaux d'assainissement n'ont même pas été exécutés. Dans le transfert de bail, le transférant ne devient pas garant, aux côtés du bailleur, des défauts qui pourraient affecter la chose louée (sur les effets du transfert: cf. LACHAT, Le bail à loyer, chapitre 23, n. 3.4, p. 389 s.). Il ne ressort pas non plus de l'état de fait définitif que la cédante, par une clause contractuelle particulière, aurait fourni une quelconque garantie quant à l'état des locaux. Le recourant fait certes valoir que la reprenante a été victime d'un dol, mais la volonté d'invalider le contrat sui generis n'a pas été exprimée dans le délai prescrit par l' art. 31 al. 1 CO , de sorte que le dol ne peut plus être invoqué. En demandant de revoir le prix, le cessionnaire de la reprenante a au contraire manifesté la volonté de maintenir le contrat (cf. ATF 127 III 83 consid. 1b; arrêt 4C.242/1990 du 13 août 1991, consid. 1, publié in SJ 1992 p. 13 s.). 2.4 Le recourant se prévaut également d'une violation des art. 97 et 41 CO . Son argumentation sur ce point est peu claire, puisqu'on ignore s'il envisage une mauvaise exécution du contrat sui generis, une culpa in contrahendo ou un acte illicite résultant d'une tromperie. Quoi qu'il en soit, une action fondée sur l'art. 41 ou l' art. 97 CO suppose la survenance d'un dommage. Dire s'il y a eu dommage et quelle en est la quotité est une question de fait qui ne peut être revue dans un recours en réforme ( ATF 128 III 22 consid. 2e, 180 consid. 2d p. 184; ATF 127 III 73 consid. 3c, 543 consid. 2b); en revanche, le Tribunal fédéral peut examiner si la notion juridique de dommage a été méconnue, parce qu'il s'agit d'une question de droit fédéral ( ATF 128 III 22 consid. 2e, 180 consid. 2d p. 184; ATF 127 III 73 consid. 3c, 543 consid. 2b). Le dommage juridiquement reconnu réside dans la diminution involontaire de la fortune nette; il correspond à la différence entre le montant actuel du patrimoine du lésé et le montant qu'aurait ce même patrimoine si l'événement dommageable ne s'était pas produit; le dommage peut se présenter sous la forme d'une diminution de l'actif, d'une augmentation du passif, d'une non-augmentation de l'actif ou d'une non-diminution du passif ( ATF 128 III 22 consid. 2e/aa, 180 consid. 2d p. 184; ATF 127 III 543 consid. 2b). A l'appui de sa demande en réparation, le recourant n'a invoqué, en tant que préjudice, que trois faits et l'examen doit être limité à ses allégués. BGE 129 III 18 S. 24 Il a fait valoir qu'il avait obtenu un devis évaluant le coût prévisible des travaux d'assainissement demandés. Un devis ne fait cependant qu'établir un pronostic sur un coût futur éventuel. Il n'établit pas que la somme a été effectivement dépensée (diminution de l'actif) ou qu'une somme est due à l'entrepreneur (augmentation du passif). L'existence de ce devis est donc impropre à établir un dommage au sens juridique. Le recourant a ensuite invoqué la perte de chiffre d'affaires en cas d'interruption de l'exploitation pour exécuter les travaux, ainsi que la perte de clientèle qui en résulterait. Ces deux allégués concernent un gain manqué futur et éventuel; dès lors qu'il n'est pas établi que les travaux ont été exécutés, ces allégués sont impropres à démontrer l'existence d'un dommage actuel (sous la forme d'une non-augmentation de l'actif). Comme les faits régulièrement allégués ne sont pas propres à démontrer l'existence d'un dommage au sens juridique, l'action fondée sur les art. 41 et 97 CO a été rejetée sans enfreindre le droit fédéral. La notion de dommage ne doit pas être confondue avec celle de réduction du prix en cas de garantie des défauts (cf. art. 205 al. 1 CO ). 2.5 Savoir si la société propriétaire, en tant que bailleresse, pouvait être garante du défaut invoqué est une question qu'il n'y a pas lieu d'examiner ici, puisque cette société n'est pas partie à la procédure. Invoquer l' art. 51 CO n'est d'aucun secours pour le recourant, puisqu'il a été retenu, sans violer le droit fédéral, que l'intimée n'était pas débitrice de la reprenante, ce qui exclut d'emblée l'idée d'une coresponsabilité. 2.6 Le recourant invoque enfin une violation de l' art. 8 CC . Pour toutes les prétentions fondées sur le droit fédéral, cette disposition, en l'absence de règles contraires, répartit le fardeau de la preuve et détermine, sur cette base, laquelle des parties doit assumer les conséquences de l'échec de la preuve ( ATF 127 III 519 consid. 2a). En l'espèce, le recourant ne prétend pas que la cour cantonale aurait éprouvé un doute qui aurait été interprété en faveur de la partie qui avait le fardeau de la preuve; il n'y a donc pas trace d'un renversement de ce fardeau en violation de l' art. 8 CC . Il a été également déduit de l' art. 8 CC un droit à la preuve et à la contre-preuve ( ATF 126 III 315 consid. 4a), à la condition qu'il s'agisse d'établir un fait pertinent ( ATF 126 III 315 consid. 4a; ATF 123 III 35 consid. 2b; ATF 122 III 219 consid. 3c), qui n'est pas déjà prouvé ( ATF 127 III 520 consid. 2a; ATF 126 III 315 consid. 4a), par une mesure BGE 129 III 18 S. 25 probatoire adéquate ( ATF 90 II 219 consid. 4b), laquelle a été régulièrement offerte selon les règles de la loi de procédure applicable ( ATF 126 III 315 consid. 4a; ATF 122 III 219 consid. 3c). Il n'y a pas violation de l' art. 8 CC si une mesure probatoire est refusée à la suite d'une appréciation anticipée des preuves ( ATF 127 III 520 consid. 2a; ATF 126 III 315 consid. 4a; ATF 122 III 219 consid. 3c). Comme on vient de le voir, le recourant a allégué, pour démontrer son dommage, des faits non contestés qui étaient impropres à l'établir. La cour cantonale n'a pas violé l' art. 8 CC en n'administrant aucune preuve sur des faits sans pertinence. Il faut d'ailleurs observer que le recourant n'a pas régulièrement offert en preuve que les actifs qui lui ont été transférés auraient subi une moins-value. Le moyen est dénué de tout fondement.
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Sachverhalt ab Seite 80 BGE 110 IV 80 S. 80 A.- W. a cambriolé la poste de Marly (Fribourg) le 29 octobre 1982. Il s'était muni d'un revolver, non chargé selon lui, qu'il avait BGE 110 IV 80 S. 81 braqué sur le personnel en proférant des menaces. Il avait ainsi contraint une employée à tenir un sac en plastique à l'intérieur duquel il a mis l'argent volé, soit 5'025 francs. Du 23 au 28 juin 1983, W. a effectué 11 prélèvements pour un montant total de 2'400 francs au Postomat, alors que son compte de chèques postaux ne présentait pas une provision suffisante. B.- Le 9 novembre 1983, le Tribunal criminel de la Sarine a reconnu W. coupable de brigandage, de vol et, pour d'autres faits qui ne sont plus en cause en l'espèce, d'abus de confiance, d'escroquerie et d'infractions à la LStup. Il l'a condamné à la peine de 20 mois d'emprisonnement, sous déduction de 27 jours de détention préventive. W. s'étant pourvu en cassation, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal fribourgeois, statuant le 12 mars 1984, a partiellement admis le recours en ce qui concerne l'abus de confiance, et elle a confirmé le jugement de première instance en ce qui concerne les préventions de brigandage qualifié au sens de l'art. 139 ch. 1bis et de vol au sens de l' art. 137 CP . C.- W. se pourvoit en nullité auprès de la Cour de cassation du Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué en demandant à n'être condamné que pour brigandage simple, à l'exclusion du brigandage qualifié et du vol. Il demande en outre à bénéficier de l'assistance judiciaire.
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321
Erwägungen Considérant en droit: 1. a) En ce qui concerne le brigandage, le recourant fait grief à l'autorité cantonale d'avoir retenu le brigandage qualifié au sens de l' art. 139 ch. 1bis CP , pour le motif que cette disposition s'applique même quand l'auteur ne s'est muni que d'une arme non chargée. Selon lui, c'est uniquement l' art. 139 ch. 1 CP qui aurait dû être retenu, à l'exclusion de l' art. 139 ch. 1bis CP , qui n'aurait pu trouver application que s'il avait été muni d'une arme chargée, même assurée ou non armée, ou, à tout le moins, que s'il avait emporté de la munition adaptée à l'arme considérée, ce qui n'était pas le cas. Il résulterait en effet du texte des art. 137 ch. 2 al. 3 et 139 ch. 1bis CP, auxquels on ne saurait donner une interprétation différente, que l'on devrait considérer les armes à feu comme une espèce particulière de la catégorie plus générale des armes dangereuses. Or on ne saurait qualifier d'arme dangereuse un fusil ou un pistolet défectueux, ou pour lequel le porteur ne dispose pas de munition. BGE 110 IV 80 S. 82 Par ailleurs, le recourant relève que l'autorité cantonale n'a pas retenu que l'arme dont il s'est servi eût également pu être utilisée comme objet dangereux. b) Comme le relève à juste titre l'arrêt attaqué, sous l'empire des anciennes dispositions relatives au brigandage, l'auteur d'une menace effectuée au moyen d'une arme à feu non chargée serait tombé sous le coup de l' art. 139 ch. 1 CP et non sous celui de l' art. 139 ch. 2 CP . Cette jurisprudence s'expliquait par la sévérité de la peine réprimant le brigandage qualifié - 5 ans de réclusion au moins ( ATF 72 IV 55 ). Dans son Message concernant la modification du code pénal et du code pénal militaire, le Conseil fédéral a rappelé (FF 1980 I p. 1217) que la revision envisagée faisait suite à quatre interventions parlementaires visant à doter le droit pénal d'une disposition assurant une meilleure protection contre les actes de violence criminelle et que, partant, la définition des éléments constitutifs du vol et du brigandage qualifié avait été précisée; le fait de s'être muni d'une arme à feu ou d'une autre arme dangereuse devait dorénavant constituer une circonstance aggravante nouvelle. Le Conseil fédéral a mentionné notamment, comme dangereux, les grenades à main, les bombes, les pétards à gaz, les sprays, les coups-de-poing américains et certaines autres armes blanches. L'expression "s'être muni", a-t-il exposé, indique clairement que l'infraction est qualifiée non seulement lorsque l'auteur utilise son arme, mais lorsqu'il l'a à disposition, puisqu'il compte en faire usage, ne serait-ce que pour menacer autrui ou pour couvrir sa fuite. Il ressort de ces explications et d'ailleurs de la rédaction même des art. 137 ch. 2 al. 3 et 139 ch. 1bis CP, dont les termes sont quasiment identiques, que la circonstance aggravante dépend du caractère objectivement dangereux (cf. ATF ATF 107 IV 111 et ATF 108 IV 20 ) de l'arme à feu et non de l'impression qu'elle peut faire sur la victime ou sur des tiers. On ne pourra en conséquence prendre en considération, pour qualifier l'infraction, que des armes à feu "dangereuses", c'est-à-dire susceptibles de tirer pendant l'exécution de l'acte délictueux ( ATF 107 IV 111 /112), ou tout au moins caractérisées par une forme ou un poids tels qu'elles puissent présenter un danger pour autrui équivalent à celui que constitue le coup-de-poing américain mentionné dans le Message. En revanche, une arme à feu factice, une arme à feu défectueuse ou une arme à feu pour laquelle l'auteur ne dispose pas de munition à proximité (soit sur lui, sur un comparse, dans son véhicule ou dont il s'est débarrassé peu avant son arrestation) ne peut justifier la sanction BGE 110 IV 80 S. 83 aggravée, sous réserve de son éventuelle qualification d'arme contondante dangereuse. Au vu de ce qui précède, c'est à tort que l'autorité cantonale a retenu à la charge du recourant l'infraction réprimée à l' art. 139 ch. 1bis CP pour le seul motif que le recourant était muni d'une arme à feu dont elle ne contestait pas qu'elle n'était peut-être pas apte au tir faute d'être chargée. Toutefois, la solution qu'elle avait adoptée l'a détournée d'éclaircir deux points qui étaient de nature à justifier néanmoins l'aggravation de la qualification de l'infraction; aussi la cause doit-elle lui être renvoyée pour qu'elle statue à nouveau, après avoir décidé si le recourant aurait pu rapidement - soit pendant le déroulement des faits constitutifs du brigandage - approvisionner son arme, ou si celle-ci présentait des caractéristiques permettant son emploi comme arme contondante dangereuse. On observe encore que, même si ces deux questions devaient être résolues par la négative, l'application de l' art. 139 ch. 1 CP à la place de l' art. 139 ch. 1bis CP ne conduirait pas nécessairement à une modification importante de la peine, dès lors que celle-ci a été fixée de toute manière dans la partie inférieure de l'échelle de la répression possible. 2. a) Le recourant prétend ensuite qu'il ne s'est pas rendu coupable de vol en prélevant 2'400 francs auprès d'installations Postomat, au moyen de sa carte, alors que son compte était à découvert. Selon lui, il y a bien vol lorsque le prélèvement est fait par une personne non autorisée au moyen d'une carte soustraite à l'ayant droit, ainsi que lorsque l'automate est brisé ou que son mécanisme est faussé de quelque manière que ce soit par l'auteur du prélèvement. Il conteste en revanche que l'on puisse sans autre assimiler à de tels comportements l'attitude de celui qui est détenteur légitime d'une carte et qui fait fonctionner normalement l'automate, du seul fait qu'il ne dispose pas d'une couverture suffisante. Le porteur légitime d'une carte serait dans une certaine mesure copossesseur des billets de banque enfermés dans l'automate, en vertu de l'autorisation qui lui est donnée de s'approprier de ceux-ci à concurrence de 500 francs par jour. On ne saurait dès lors prétendre que le bris de possession implique que l'auteur agisse contre la volonté du propriétaire. Certes existe-t-il en l'espèce des dispositions contractuelles déterminant les conditions d'utilisation de la carte Postomat, mais l'acte considéré se présenterait bien plus comme la violation d'un rapport de confiance que comme une atteinte à un pouvoir de fait. Les PTT ayant renoncé à établir un BGE 110 IV 80 S. 84 programme électronique empêchant les dépassements de ligne de crédit, ils ne sauraient invoquer dans une telle hypothèse la protection de l' art. 137 CP , car il n'y aurait pas bris de possession au sens de cette disposition, mais atteinte à un rapport de confiance, justifiant tout au plus l'application de l' art. 140 CP . Une telle disposition ne serait toutefois pas applicable, pas plus que celles réprimant l'escroquerie et l'obtention frauduleuse d'une prestation au sens de l' art. 151 CP , faute de ruse. b) Il s'agit, en premier lieu, d'examiner si, en l'espèce, les conditions de l' art. 137 ch. 1 CP sont remplies. Comme le Tribunal fédéral l'a relevé (ATF ATF 104 IV 73 ), la soustraction implique la violation de la possession d'autrui et la création d'une nouvelle possession, en général en faveur de l'auteur. La possession comprend pour l'essentiel deux éléments: le pouvoir de fait sur une chose ainsi que la volonté d'exercer ce pouvoir (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil. I, 3 éd., p. 195 n. 79, avec jurisprudence et doctrine citées). Les moyens et la manière qu'utilise l'auteur pour priver le possesseur de son pouvoir de disposition importent peu; ils peuvent être fondés sur la force, la ruse, l'adresse, voire la simple exploitation d'une occasion favorable. Selon la jurisprudence ( ATF 104 IV 73 ), on doit admettre, au regard des règles commerciales en vigueur, que l'exploitant d'un appareil Postomat (ou Bancomat) n'accepte de transférer la possession de la marchandise qu'à la condition que l'usager respecte de son côté les conditions contractuelles, c'est-à-dire utilise l'appareil conformément aux prescriptions. De même que celui qui héberge un étranger dans sa maison dont il lui a donné la clé, ne partage pas avec lui la possession de son mobilier, de même l'administration des PTT n'abandonne sa possession sur les billets approvisionnant ses installations de Postomat que lorsque ces dernières sont utilisées conformément aux instructions. Le fait qu'un appareil puisse être mis frauduleusement en marche et qu'une prestation puisse ainsi être obtenue d'une manière illicite ne change rien à cela. Il s'ensuit que dans ce cas, comme dans celui d'appareils automatiques distributeurs de marchandises, l'usage illicite de l'installation constitue bien une dépossession et que si, partant, les autres éléments constitutifs du vol sont réunis, seul l' art. 137 CP s'applique en tant que règle spéciale dérogeant à la disposition plus générale de l' art. 151 CP (ATF ATF 104 IV 75 consid. 1c). BGE 110 IV 80 S. 85 In casu, on constate que, dans la déclaration d'adhésion signée par le recourant, il est bien écrit que le participant au service des chèques et virements de l'entreprise des PTT suisses prend note "qu'il n'est pas admis d'émettre des chèques pour un montant supérieur à l'avoir en compte", et ce en caractères gras. Or, selon les constatations de fait de l'autorité cantonale, le recourant ne pouvait pas raisonnablement ignorer que les onze prélèvements effectués excédaient sa provision. Il le savait si bien qu'à partir du moment où la couverture n'était plus suffisante, il n'a plus effectué d'encaissements au guichet, se limitant aux prélèvements par l'intermédiaire du Postomat; c'est donc à juste titre que l'autorité cantonale a retenu le vol et non l' art. 151 CP , ou l'abus de confiance, ou encore l'escroquerie (voir RSJ 1971 vol. 67, p. 227; voir aussi Österreich. JZ 1983, p. 236). Le pourvoi doit en conséquence être rejeté sur ce point. 3. Il se justifie de mettre le recourant au bénéfice de l'assistance judiciaire ( art. 152 OJ ). D'une part, le pourvoi porte sur des matières relativement nouvelles, aussi bien en ce qui concerne le brigandage que le vol par Postomat et, d'autre part, les conclusions du recourant n'étaient pas d'emblée vouées à l'échec. Par ailleurs, le recourant a établi à satisfaction de droit qu'il est, pour l'instant du moins, dans le besoin.
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Sachverhalt ab Seite 261 BGE 117 IV 259 S. 261 A.- Das Kriminalgericht des Kantons Luzern sprach X. am 23. September 1988 des untauglichen Versuchs der Veruntreuung, der fortgesetzten ungetreuen Geschäftsführung, des betrügerischen Konkurses, der Unterlassung der Buchführung sowie der Bevorzugung eines Gläubigers schuldig und verurteilte ihn deswegen zu drei Jahren Zuchthaus, abzüglich zwei Tage Untersuchungshaft, sowie zu Fr. 10'000.-- Busse. Die II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern stellte mit Entscheid vom 16. Januar 1990 das Verfahren betreffend untauglichen Veruntreuungsversuch infolge Verjährung ein, sprach X. abweichend von der 1. Instanz von der Anklage der fortgesetzten ungetreuen Geschäftsführung sowie der Bevorzugung eines Gläubigers frei und verurteilte ihn wegen betrügerischen Konkurses sowie Unterlassung der Buchführung zu einer Zuchthausstrafe von 18 Monaten, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von vier Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 1'000.--. B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei insoweit aufzuheben, als X. von der Anklage der fortgesetzten ungetreuen Geschäftsführung freigesprochen wurde, und die Sache sei zur Verurteilung und Bestrafung von X. auch wegen fortgesetzter ungetreuer Geschäftsführung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X. hat keine Vernehmlassung zur Beschwerde eingereicht.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 1. Das Kriminalgericht warf dem Beschwerdegegner vor, er habe als Alleinaktionär, faktisch einziger Verwaltungsrat und alleiniger Geschäftsführer der mit einem voll liberierten Grundkapital von Fr. 500'000.-- ausgestatteten E. AG in der Zeit von Juni 1983 bis Juni 1984 die E. AG auf verschwenderische Art mit Privatbezügen (wie Miete für seine Residenz im Hotel National in Luzern, Alimente für seine Tochter aus erster Ehe, Leasingraten für einen PW Mercedes 500 SEC) sowie mit weiteren Aufwendungen für seinen privaten Lebensunterhalt (teure Bar- und Restaurantbesuche, Einkäufe in exklusiven Geschäften) belastet und die E. AG dadurch um rund Fr. 120'000.-- geschädigt. Dem Beschwerdegegner wurde im weiteren zur Last gelegt, er BGE 117 IV 259 S. 262 habe den Tatbestand von Art. 159 StGB auch dadurch erfüllt, dass er im Rahmen seines - schliesslich gescheiterten - Engagements für die Übernahme eines Unternehmens Aufwendungen (Arbeitszeit, Sekretariat, Reisespesen usw.) der E. AG im Umfang von ca. Fr. 50'000.-- belastete, ohne dass diese hiefür einen Gegenwert erhielt, und dass er im Rahmen seiner Bemühungen, für sich die Titelrechte an einem deutschen Verlag und an dessen Zeitschriften zu erwerben, in der Zeit vom 1. Juli 1983 bis zum 10. September 1984 der E. AG rund Fr. 100'000.-- entnahm. Dem Beschwerdegegner wurde sodann vorgeworfen, er habe letztlich auf Kosten der E. AG im Hinblick auf einen schliesslich gescheiterten Liegenschaftsverkauf an eine Unternehmung von dieser für sich privat im März und im April 1984 Möbel im Wert von rund Fr. 25'000.-- bezogen. Schliesslich wurde ihm zur Last gelegt, er habe sich der ungetreuen Geschäftsführung zum Nachteil der E. AG auch dadurch schuldig gemacht, dass er für diese trotz angespannter Lage ein Hotel für die Dauer von zehn Jahren pachtete. 2. Nach Art. 159 Abs. 1 StGB wird wegen ungetreuer Geschäftsführung mit Gefängnis bestraft, wer jemanden am Vermögen schädigt, für das er infolge einer gesetzlichen oder vertraglich übernommenen Pflicht sorgen soll. Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil bestand zwischen dem Beschwerdegegner in dessen Eigenschaft als Alleinaktionär, faktisch einziger Verwaltungsrat und alleiniger Geschäftsführer der E. AG einerseits und der Aktiengesellschaft anderseits wirtschaftliche Identität, war die E. AG daher für den Beschwerdegegner nicht jemand anderer und ihr Vermögen für ihn kein fremdes, hat der Beschwerdegegner durch den von ihm betriebenen überrissenen Privataufwand zu Lasten der E. AG letztlich sich selbst geschädigt und liegt zudem bei der gegebenen Konstellation praktisch eine Rechtfertigung vor. Das Obergericht hat nicht übersehen, dass diese Betrachtungsweise der bundesgerichtlichen Rechtsprechung widerspricht. Es verweist auf BGE 97 IV 10 und BGE 85 IV 224 und gibt im angefochtenen Urteil die Erwägungen des letztgenannten Entscheides, der eine Brandstiftung ( Art. 221 StGB ) betraf, ausführlich auszugsweise wieder. Es kann dieser Rechtsprechung unter Berufung auf einige Autoren aber nicht folgen. Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde unter Berufung auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung und BGE 117 IV 259 S. 263 verschiedene Autoren geltend, dass die Aktiengesellschaft nicht nur nach aussen, sondern auch im Verhältnis zu den Gesellschaftern selbständig sei und Trägerin eigenen Vermögens bleibe. Sie hält fest, dass der Aktionär, der "durch Verfügungshandlungen die Grundsätze unserer Rechtsordnung über die Erhaltung des Grundkapitals verletzt", rechtswidrig handle, und sie übernimmt damit wörtlich eine Meinungsäusserung von W. SCHMIDLIN (Typische Wirtschaftsdelikte auf dem Gebiet des Aktienrechts, ZStrR 85/1969 S. 370 ff., 381). Ihres Erachtens ist nicht ersichtlich, inwiefern entsprechend einer Bemerkung im angefochtenen Urteil "praktisch eine Rechtfertigung" vorliege; von einer "straflosen Selbstschädigung" könne jedenfalls entgegen der Meinung der Vorinstanz keine Rede sein. Die Betrachtungsweise des Obergerichts erscheint der Staatsanwaltschaft übrigens auch deshalb reichlich fragwürdig, weil nur schon beim zufälligen Vorhandensein eines zweiten (Gefälligkeits-)Aktionärs, der eine einzige Aktie besitzt und durch eine ungetreue Geschäftsführung allenfalls marginal geschädigt würde, Art. 159 StGB offensichtlich angewendet werden müsste. 3. a) Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes muss sich der Alleinaktionär einer Einmannaktiengesellschaft die rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaft grundsätzlich entgegenhalten und entsprechend auch eine widerrechtliche Verletzung des Geschäftsvermögens als Schädigung fremden Vermögens zurechnen lassen. So hat das Bundesgericht in BGE 85 IV 230 E. 3 entschieden, der Täter, der ein Auto der von ihm beherrschten Aktiengesellschaft in Brand steckt, verursache eine Feuersbrunst "zum Schaden eines andern" ( Art. 221 Abs. 1 StGB ). Zur Begründung führte es aus, die Frage des Eigentums beurteile sich auch im Strafrecht nach rechtlichen, nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten; ein strafrechtliches oder wirtschaftliches Eigentum könne es nicht geben. Die Aktiengesellschaft als selbständige Vermögensträgerin sei daher mit Bezug auf ihr Eigentum ungeachtet der wirtschaftlichen Identität zwischen Gesellschaft und Alleinaktionär ein anderer im Sinne von Art. 221 StGB . Der Kassationshof hat sich in BGE 97 IV 10 ff. ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen eine Vermögensverfügung zum Nachteil einer AG den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsführung erfüllt. Er hat sich dabei in E. 2 dieses Entscheides eingehend mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen das geschäftsführende Organ durch eine BGE 117 IV 259 S. 264 Vermögensverfügung zum Nachteil der AG seine gesetzlichen Pflichten verletzt. Der Kassationshof hat dabei festgehalten, dass die Verwaltung auch für die Erhaltung des Gesellschaftsvermögens zu sorgen hat, "mindestens im Umfang des statutarischen Grundkapitals" (S. 13 Mitte, S. 14 Mitte); dies ergibt sich gemäss den Ausführungen im zitierten Entscheid "aus der Natur der AG, die als Kapitalgesellschaft hinsichtlich Entstehung und Fortbestand vom Vorhandensein eines vorausbestimmten Grundkapitals abhängt", sowie aus verschiedenen Bestimmungen des OR, die unter anderem auf die "unversehrte Erhaltung des Grundkapitals" hinzielen, so etwa Art. 620, 628, 633, 675 Abs. 2, 677, 678, 725 OR. Der Kassationshof hat sich sodann in E. 4 von BGE 97 IV 10 ff. mit dem Einwand des damaligen Beschwerdeführers auseinandergesetzt, dass der Tatbestand von Art. 159 StGB infolge des Grundsatzes "volenti non fit iniuria" nicht erfüllt sei. Das Gericht hat diesen Einwand verworfen und dabei unter anderem festgehalten, dass "die Aktiengesellschaft, selbst in der Form einer Einmanngesellschaft, selbständige Vermögensträgerin ist und ihr Vermögen nicht nur nach aussen, sondern auch im Verhältnis zu den einzelnen Gesellschaftsorganen ein fremdes im Sinne von Art. 159 StGB ist" (S. 16). Es hat ausgeführt, dieser strafrechtliche Schutz des "Gesellschaftsvermögens" bestehe wie der von der Zivilrechtsordnung gewollte "Kapitalschutz" ausser im Interesse der Aktionäre und der Gesellschaftsgläubiger auch in demjenigen der Gesellschaft selber, da, wie bereits dargetan, Errichtung und Fortbestand der AG aufs engste mit dem Vorhandensein des "gebundenen Gesellschaftsvermögens" verknüpft seien und dieses zudem der Zweckverfolgung und der Kreditwürdigkeit der AG diene (S. 16). Der Kassationshof hat in diesem Zusammenhang auf BGE 85 IV 231 verwiesen, wonach sogar der Alleinaktionär einer Einmanngesellschaft sich die rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaft entgegenhalten und eine widerrechtliche Schädigung des Gesellschaftsvermögens als Schädigung fremden Vermögens zurechnen lassen müsse (S. 16, sämtliche Hervorhebungen nicht im Original). Er hat in BGE 97 IV 10 ff. sodann festgehalten, es sei entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ohne Belang, dass die AG keine weiteren Geschäfte getätigt und deshalb keine Gläubiger gehabt habe; denn eine Schädigung allfälliger Gesellschaftsgläubiger wäre nach Art. 159 StGB ohnehin unerheblich, da dem Beschwerdeführer nicht deren Vermögen, sondern dasjenige der AG zur Fürsorge anvertraut sei (S. 16/17). BGE 117 IV 259 S. 265 b) An der Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden, soweit darin davon ausgegangen wird, der Alleinaktionär müsse sich ausnahmslos die rechtliche Selbständigkeit der Einmannaktiengesellschaft entgegenhalten lassen. Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung bereits in BGE 109 IV 112 implizit in Frage gestellt, wo es als selbstverständlich angenommen hat, dass der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft, die nach ihrer Zweckbestimmung im Interesse der Muttergesellschaft arbeiten soll, Gewinne durch die Muttergesellschaft direkt abschöpfen lassen durfte. Wohl ist die Einmannaktiengesellschaft auch für den sie als einziger Verwaltungsrat beherrschenden Alleinaktionär jemand anderer, und ihr Vermögen ist für ihn ein fremdes. Diese Verschiedenheit der Rechtssubjekte und damit die Fremdheit des Vermögens des einen Rechtssubjekts für das andere ist auch im Strafrecht grundsätzlich beachtlich (so auch W. SCHMIDLIN, Typische Wirtschaftsdelikte auf dem Gebiet des Aktienrechts, ZStrR 85/1969 S. 370 ff., 378 ff.; N. SCHMID, Einige Aspekte der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Gesellschaftsorganen, ZStrR 105/1988 S. 183 unten; derselbe, Fragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Schwindel- und Strohmanngesellschaften, ZStrR 87/1971 S. 247 ff., 257; derselbe, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Wirtschaftsdelikte im Tätigkeitsbereiche der Aktiengesellschaft, SAG 46/1974 S. 101 ff., 114; SCHULTZ, ZBJV 108/1972 S. 357 zu BGE 97 IV 10 ff.). Mit dieser Erkenntnis ist aber entgegen dem in BGE 85 IV 230 E. 2 und BGE 97 IV 10 ff. erweckten Eindruck noch nichts darüber entschieden, ob eine bestimmte Handlung bzw. eine bestimmte Vermögensdisposition des Alleinaktionärs und einzigen Verwaltungsrats zum Nachteil bzw. auf Kosten der Einmannaktiengesellschaft auch - beispielsweise nach Art. 221 oder 159 StGB - strafbar sei. Vielmehr fragt sich weiter, ob erstens die Schädigung der Einmannaktiengesellschaft durch den sie beherrschenden einzigen Verwaltungsrat und Alleinaktionär gegen gesetzliche Pflichten betreffend die Sorge um das Vermögen der AG verstosse und damit im Sinne von Art. 159 StGB tatbestandsmässig sei und ob und inwieweit zweitens eine tatbestandsmässige Schädigung der AG durch Einwilligung nach dem Grundsatz "volenti non fit iniuria" gerechtfertigt werden könne. 4. Für Handlungen, die der Geschäftsführer einer AG in dieser Eigenschaft, als Organ der AG, vornimmt, haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und Verwaltungsrats besteht nur unter bestimmten BGE 117 IV 259 S. 266 Voraussetzungen ( Art. 754 ff. OR , Art. 55 Abs. 3 ZGB ). Da grundsätzlich nur das Vermögen der AG gegenüber Dritten haftet, enthält das Aktienrecht eine ganze Reihe von Bestimmungen, die den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken. Diese Vorschriften muss auch der faktisch einzige Verwaltungsrat bzw. Geschäftsführer und Alleinaktionär einer Einmannaktiengesellschaft beachten. Wer für seine geschäftliche Tätigkeit eine Einmannaktiengesellschaft errichtet und auf diese Weise seine Haftung für die Geschäftstätigkeit beschränkt ("Einzelkaufmann mit beschränkter Haftung"), hat auch die aus der Errichtung der Einmannaktiengesellschaft sich ergebenden Konsequenzen zu tragen (vgl. BGE 85 IV 231 ). Die Einmannaktiengesellschaft ist wie jede andere AG eine selbständige juristische Person und als solche aller Rechte und Pflichten fähig, die nicht die natürlichen Eigenschaften des Menschen, wie das Geschlecht, das Alter oder die Verwandtschaft zur notwendigen Voraussetzung haben ( Art. 53 ZGB ). Sie kann somit insbesondere selbständige Trägerin von Vermögen sein. Die Einmannaktiengesellschaft ist wie jede AG eine reale Person, nicht nur eine Fiktion oder gewissermassen ein zweites Portemonnaie, über dessen Inhalt der einzige Verwaltungsrat und Alleinaktionär nach Belieben verfügen könnte (FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht, Band I/Lieferung 1, § 1 N 96 mit Hinweisen; CHRISTOPH VON GREYERZ, Schweizerisches Privatrecht, Band VIII/2, S. 52 f.). Auch der mit dem Alleinaktionär identische Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Einmannaktiengesellschaft hat die Pflichten zu beachten, die das Aktienrecht der Verwaltung und der Geschäftsführung der AG auferlegt. Eine Handlung des Geschäftsführers, die im Widerspruch zu diesen gesetzlichen Pflichten steht, erfüllt den objektiven Tatbestand der ungetreuen Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 StGB , wenn als Folge der pflichtwidrigen Handlung des Geschäftsführers die Einmannaktiengesellschaft am Vermögen geschädigt wird. 5. Zu prüfen ist, unter welchen Voraussetzungen eine Vermögensdisposition des einzigen Verwaltungsrats und Alleinaktionärs auf Kosten der Einmannaktiengesellschaft im Sinne von Art. 159 StGB gegen gesetzliche Pflichten verstösst. a) Eine Vermögensdisposition, die als (verdeckte) Gewinnausschüttung (an den Verwaltungsrat bzw. an den Alleinaktionär) zu qualifizieren ist, ist dann pflichtwidrig, wenn sie im Widerspruch zu zwingenden aktienrechtlichen Bestimmungen steht, welche den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken. Über diese Vorschriften, BGE 117 IV 259 S. 267 die nach ihrer "ratio legis" gerade auch dem Schutz Dritter dienen, welche mit der AG in Kontakt kommen, kann sich auch ein Alleinaktionär einer Einmannaktiengesellschaft nicht hinwegsetzen. Dies bedeutet nicht, dass dadurch strafrechtlich, über den Tatbestand von Art. 159 StGB , letztlich nur eine Fiktion geschützt werde. Erstens ist, wie gesagt, auch die Einmannaktiengesellschaft nicht nur eine - strafrechtlich allenfalls nicht schützenswerte - Fiktion, sondern, wie jede AG, eine reale Person, die insbesondere Trägerin von Vermögen sein kann, welches strafrechtlich geschützt ist. Zweitens muss nach den aktienrechtlichen Vorschriften das Vermögen der AG und damit der Einmannaktiengesellschaft gerade auch im Interesse Dritter in einem gewissen Umfang erhalten bleiben und dient somit der strafrechtliche Schutz des Vermögens der Einmannaktiengesellschaft auch "realen menschlichen Interessen" (siehe zu dieser Frage STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, § 14 N 17 ). Zwar fällt bei der Einmannaktiengesellschaft der Schutz von Aktionären insoweit ausser Betracht, doch bleibt der Schutz etwa von Arbeitnehmern und andern schon vorhandenen und künftigen Gläubigern der AG. Die Interessen der Gläubiger der AG an der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens in einem gewissen Umfang werden nicht allein durch die Konkursdelikte ( Art. 163 ff. StGB ) geschützt, welche als objektive Strafbarkeitsbedingung die Konkurseröffnung voraussetzen, sondern auch durch Art. 159 StGB (andere Auffassung NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, S. 224). Wohl ist der mittelbare Schaden der Gläubiger der AG als solcher kein im Sinne von Art. 159 StGB relevanter Vermögensschaden und ist der Geschäftsführer einer AG nicht schon dann und deshalb gemäss Art. 159 StGB strafbar, wenn und weil infolge seiner Handlung die Gläubiger der AG mittelbar geschädigt werden (vgl. schon BGE 97 IV 16 /17); doch muss der Geschäftsführer das Vermögen der AG, welches allein Handlungsobjekt von Art. 159 StGB ist, nach den aktienrechtlichen Bestimmungen gerade auch zum Schutz der realen menschlichen Interessen Dritter in einem gewissen Umfang erhalten. Das Aktienrecht will durch eine ganze Reihe von zwingenden Vorschriften sicherstellen, dass der AG stets ein Reinvermögen - d.h. Aktiven minus Passiven - mindestens im Umfang von Grundkapital und gebundenen Reserven erhalten bleibt (vgl. dazu FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweizerische Aktienrecht, § 1 N 16 ff., § 29 N 1 ff.; CHRISTOPH VON GREYERZ, BGE 117 IV 259 S. 268 op.cit., S. 61 ff.). Eine als (verdeckte) Gewinnausschüttung zu qualifizierende Vermögensdisposition auf Kosten der AG steht daher dann und insoweit im Widerspruch zu den gesetzlichen Pflichten im Sinne von Art. 159 StGB , wenn und als das nach ihrer Vornahme verbleibende Reinvermögen der Einmannaktiengesellschaft, d.h. die Aktiven nach Abzug der Passiven, nicht mehr zur Deckung von Grundkapital und gebundenen Reserven ausreicht (vgl. insoweit schon BGE 97 IV 13 E. 2). Eine als (verdeckte) Gewinnausschüttung zu qualifizierende Vermögensdisposition kann insoweit, als sie das Reinvermögen der Einmannaktiengesellschaft im zu erhaltenden Mindestumfang angreift, auch nicht nach dem Grundsatz "volenti non fit iniuria" gerechtfertigt sein, da sie gegen zwingende aktienrechtliche Bestimmungen verstösst. b) Eine Vermögensdisposition des einzigen Verwaltungsrats und Alleinaktionärs, die als Aufwand zu qualifizieren ist, ist wie die (verdeckte) Gewinnausschüttung nicht im Sinne von Art. 159 StGB pflichtwidrig, solange das Reinvermögen der Einmannaktiengesellschaft - Aktiven minus Passiven - im Umfang von Grundkapital und gebundenen Reserven unberührt bleibt. Das Vermögen der Einmannaktiengesellschaft, die der Alleinaktionär als einziger Verwaltungsrat beherrscht, kann gegenüber diesem strafrechtlich nach Art. 159 StGB nur insoweit geschützt sein, als es gemäss den zwingenden aktienrechtlichen Vorschriften gerade auch im Interesse der Gläubiger der AG erhalten bleiben muss; wo die Vermögenserhaltung nur im Interesse des Alleinaktionärs liegt, kann dieser in eine Vermögensverminderung einwilligen. Vermögensdispositionen des einzigen Verwaltungsrats und Alleinaktionärs auf Kosten der Einmannaktiengesellschaft, welche das Reinvermögen der AG im Umfang von Grundkapital und gebundenen Reserven unberührt lassen, können daher nicht nach Art. 159 StGB strafbar sein, gleichgültig ob sie als (verdeckte) Gewinnausschüttung oder als - bei objektiver Betrachtungsweise allenfalls unverhältnismässiger - Aufwand zu qualifizieren sind. Eine als Aufwand zu qualifizierende Vermögensdisposition auf Kosten der Einmannaktiengesellschaft ist aber, im Unterschied zur (verdeckten) Gewinnausschüttung, nicht schon dann und deshalb im Sinne von Art. 159 StGB pflichtwidrig, wenn und weil durch sie das Reinvermögen der AG im Umfang von Grundkapital und gebundenen Reserven angegriffen wird. Vielmehr stellt sich erst unter dieser Voraussetzung die Frage, ob die als Aufwand zu qualifizierende Vermögensdisposition im Sinne von BGE 117 IV 259 S. 269 Art. 159 StGB pflichtwidrig sei. Ein das Reinvermögen der AG im Umfang von Grundkapital und gebundenen Reserven vermindernder Aufwand des einzigen Verwaltungsrats und Alleinaktionärs ist dann im Sinne von Art. 159 StGB pflichtwidrig, wenn er mit den Pflichten des Geschäftsführers zur sorgfältigen Verwaltung der Geschäfte der Gesellschaft ( Art. 722 OR ) nicht zu vereinbaren ist. Ob dies der Fall sei, hängt von den gesamten Umständen des konkreten Falles ab, zu denen einerseits die finanzielle Situation des Unternehmens und anderseits Umfang, Art und Zweck des Aufwandes gehören. 6. Ein und dieselbe Handlung des Geschäftsführers kann im Fall der Eröffnung des Konkurses über die AG sowohl den Tatbestand von Art. 159 StGB als auch Konkurstatbestände gemäss Art. 163 ff. StGB erfüllen. In diesem Fall besteht unter anderem wegen der Verschiedenheit der durch die genannten Strafbestimmungen geschützten Rechtsgüter Idealkonkurrenz. Allerdings handelt es sich dabei um eine Art von überschneidender Idealkonkurrenz (vgl. dazu BGE 113 IV 67 ), da sich in einem Fall, in dem die AG gerade infolge von im Sinne von Art. 159 StGB tatbestandsmässigen Handlungen ihres Geschäftsführers in Schwierigkeiten gerät und schliesslich über sie der Konkurs eröffnet wird, Art. 159 StGB einerseits und Art. 163 ff., insbesondere Art. 165 StGB anderseits in ihrem Unrechtsgehalt nicht unerheblich überschneiden. 7. Die Vorinstanz wird demnach abzuklären haben, ob und inwieweit die dem Beschwerdegegner von der 1. Instanz als ungetreue Geschäftsführung im Sinne von Art. 159 StGB zur Last gelegten Vermögensdispositionen auf Kosten der E. AG, die zum einen Teil als (verdeckte) Gewinnausschüttungen und zum andern Teil als Aufwand zu qualifizieren sind, im Sinne der vorstehenden Ausführungen pflichtwidrig sind. Sie wird sodann prüfen müssen, ob der Beschwerdegegner eine allfällige Tatbestandsverwirklichung (pflichtwidrige Schädigung der E. AG) zumindest in Kaufgenommen und damit eventualvorsätzlich gehandelt habe. Der Eventualvorsatz des Beschwerdegegners in bezug auf eine allfällige ungetreue Geschäftsführung zum Nachteil der E. AG kann jedenfalls entgegen der knappen Eventualbegründung im angefochtenen Urteil nicht kurzerhand mit der Erwägung verneint werden, es sei kaum anzunehmen, dass der Beschwerdegegner jemals angenommen habe, er schädige durch seine Geschäftsführung zulasten der E. AG fremdes Vermögen.
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Sachverhalt ab Seite 184 BGE 128 IV 184 S. 184 A.- Am 30. Dezember 2000 fuhr X. um 15.45 Uhr mit übersetzter Geschwindigkeit auf der Autobahn A2 Richtung Bern/Luzern. Vom Tunnel Oberburg bis in den Belchentunnel folgte ihm auf einer Strecke von 1,34 km eine Polizeipatrouille in einem zivilen Fahrzeug, die seine Fahrt auf Video aufnahm. Die Geschwindigkeitsmessung mit mobilem Radargerät ergab eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 148 km/h (ohne Abzug einer Toleranzmarge). Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit ist auf dieser Strecke 80 km/h. BGE 128 IV 184 S. 185 B.- Mit Strafbefehl vom 26. Januar 2001 bestrafte das Statthalteramt Waldenburg X. wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln mit einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 900.- bei einer Probezeit von einem Jahr. Eine dagegen erhobene Einsprache wies der Strafgerichtspräsident des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 17. Oktober 2001 ab. Die dagegen gerichtete Appellation wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 28. Januar 2002 ab. C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Geschwindigkeit auf dem fraglichen Autobahnabschnitt sei zu Unrecht auf 80 km/h beschränkt worden. Die Verfügung des EDI über Geschwindigkeitsbeschränkungen auf der Nationalstrasse N 2 vom 18. Mai 1971 (BBl 1971 II 988), auf welche die Behörde sich stütze, erlaube eine Geschwindigkeitsbegrenzung nur im Belchentunnel selber, nicht aber auf den vorgelagerten Strecken. Auch der Wechsel zwischen Tunnels und offener Strecke rechtfertige keine Ausdehnung der Beschränkung. Die Signalisation leide an einem gravierenden Mangel und sei nicht bloss anfechtbar, sondern nichtig. Der Beschwerdeführer habe konkret keinen anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet, der auf die nichtige Signalisation vertraut habe, und sei deshalb auch nicht strafbar. Das Obergericht hält die ausgedehnte Signalisation für zulässig angesichts des vorgelagerten Tunnels und der Spurverengung vor dem Belchentunnel. Jedenfalls sei sie mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit im Strassenverkehr nicht als nichtig anzusehen. 4.2 Art. 27 Abs. 1 SVG (SR 741.01) verlangt von den Strassenbenützern die Befolgung der Signale und Markierungen. Gemeint sind damit die rechtmässigen Verkehrszeichen. Denn es ist nicht der Sinn der genannten Gesetzesvorschrift, dem Verkehrsteilnehmer die Beachtung eines jeden Signals vorzuschreiben, völlig gleichgültig, ob dieses rechtmässig sei oder nicht ( BGE 99 IV 164 E. 5 S. 168; RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. I, 1984, N. 287). Allerdings richten sich die Signale und Markierungen in der Regel an eine Vielzahl von BGE 128 IV 184 S. 186 Strassenbenützern. Diese müssen sich auf die Verkehrszeichen verlassen können, und eine allfällige Rechtswidrigkeit eines solchen Zeichens ist für sie meist nicht erkennbar. Würde beispielsweise einem rechtswidrig aufgestellten Stoppsignal oder rechtswidrig markierten Sicherheitslinien die Rechtsverbindlichkeit abgesprochen, wäre dies für Verkehrsteilnehmer, die auf den dadurch geschaffenen Rechtsschein vertrauen, mit grossen Gefahren verbunden. Im Interesse der Verkehrssicherheit verlangt die Rechtsprechung des Bundesgerichts deshalb, dass auch nicht rechtmässig aufgestellte Signale und Markierungen befolgt werden müssen. Diese Pflicht zur Beachtung rechtswidriger Verkehrszeichen ergibt sich aus dem aus Art. 26 Abs. 1 SVG abgeleiteten Vertrauensgrundsatz im Strassenverkehr. Der Strassenbenützer, der die Rechtswidrigkeit eines Signals kennt, darf nicht durch dessen Missachtung andere Verkehrsteilnehmer, die auf den dadurch geschaffenen Rechtsschein vertrauen, gefährden ( BGE 99 IV 164 E. 6 S. 169 f.; SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 288). Die genannte Pflicht bezieht sich freilich nur auf Verkehrszeichen, die einen schützenswerten Rechtsschein für andere Verkehrsteilnehmer zu begründen vermögen, dagegen nicht auf Anordnungen, deren Missachtung keine konkrete Gefährdung anderer Strassenbenützer bewirkt, wie dies häufig auf Parkverbote zutrifft ( BGE 103 IV 190 ; BGE 98 IV 264 ). Die Verbindlichkeit vertrauensbegründender Verkehrszeichen findet eine Grenze zudem bei nichtigen Anordnungen, deren Mangelhaftigkeit besonders schwer wiegt und offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist, freilich nur, wenn die Verkehrssicherheit der Annahme der Nichtigkeit nicht entgegensteht ( BGE 122 I 97 E. 3a/aa S. 99). Fehlerhafte Verkehrszeichen, die nicht geradezu nichtig sind, können auf dem Weg der Verwaltungsrechtspflege angefochten werden. Zwar kann an sich unter bestimmten Voraussetzungen auch der Strafrichter die Rechtmässigkeit von Allgemeinverfügungen, wie sie Verkehrssignale darstellen, überprüfen ( BGE 98 IV 264 E. 2 S. 266 f.; missverständlich in dieser Hinsicht BGE 113 IV 123 ; vgl. die Kritik zum zuletztgenannten Entscheid bei ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl. 1998, Rz. 742 f.); doch ändert nach dem Ausgeführten eine von ihm allenfalls festgestellte Rechtswidrigkeit eines Verkehrszeichens nichts an dessen Verbindlichkeit, solange es nicht geradezu nichtig ist (vgl. BGE 113 IV 123 E. 2b S. 124 f.). 4.3 Signalisierungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schaffen Vertrauen, auf das sich die Strassenbenützer bei vielen BGE 128 IV 184 S. 187 Verkehrsvorgängen (Abbiegen, Überholen etc.) müssen verlassen können. Nach den obigen Darlegungen sind daher auch rechtswidrig aufgestellte Höchstgeschwindigkeitssignale grundsätzlich zu beachten. Etwas anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, wenn solche Anordnungen ganz offenkundig mangelhaft und damit nichtig sind ( BGE 113 IV 123 E. 2b S. 124 f.; noch weniger einschränkend dagegen BGE 99 IV 164 E. 6 S. 170). Selbst wenn die in Frage stehende Geschwindigkeitsbeschränkung einen grösseren Streckenabschnitt abdecken sollte als in der massgebenden Verfügung des EDI erwähnt, ist sie im Lichte dieser Praxis keinesfalls nichtig. Weder ist sie offensichtlich und für alle erkennbar mangelhaft, noch kann sie übergangen werden, ohne die Rechtssicherheit und die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Im Gegenteil erscheint die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit nachvollziehbar angesichts des Wechsels von Tunnels und offener Strecke sowie der Spurverengung vor dem Belchentunnel. Unter diesen Umständen müssen die Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen können, dass sich alle Fahrzeuglenker an die angegebene Höchstgeschwindigkeit halten.
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Sachverhalt ab Seite 477 BGE 141 IV 476 S. 477 A. Par ordonnance du 7 mars 2014, le Ministère public de l'arrondissement de Lausanne a classé la procédure pénale dirigée contre B. et E. pour diffamation et contrainte ainsi que contre C. et D. pour abus d'autorité. Il a alloué à B., C. et D. des indemnités pour leurs frais de défense, à la charge de l'Etat. Il a renvoyé A., qui avait porté plainte contre ces personnes, à agir devant le juge civil et laissé les frais de procédure à charge de l'Etat. BGE 141 IV 476 S. 478 B. Par arrêt du 17 juin 2014, la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours formé par A. et confirmé l'ordonnance du 7 mars 2014. Elle a mis les frais de la procédure de recours à charge de A. et alloué, pour cette procédure, à charge de l'Etat, une indemnité de 324 fr. à B. et une indemnité de 1'620 fr. à C. et à D., solidairement entre eux, ces indemnités étant dues pour leurs frais de défense. C. Le Ministère public du canton de Vaud forme un recours en matière pénale au Tribunal fédéral contre cet arrêt, concluant à sa réforme en ce sens que les indemnités allouées aux prévenus pour leur frais de défense en procédure de recours, par 324 fr. et 1'620 fr. sont mises à la charge de A. Subsidiairement, il sollicite le renvoi de la cause à l'autorité précédente pour nouvelle décision dans le sens des considérants. Interpellés, l'autorité précédente a renoncé à se déterminer, A. a formulé de brèves observations et s'en est remise à justice, C. et D. s'en sont remis à justice, B. n'a pas répondu.
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Erwägungen Extrait des considérants: 1. Le recourant se plaint que l'autorité précédente se soit écartée sans raison de l'arrêt publié aux ATF 139 IV 45 en laissant à la charge de l'Etat les indemnités allouées aux prévenus intimés pour les dépenses occasionnées par la procédure de recours. 1.1 L'indemnisation du prévenu est régie par les art. 429-432 CPP , dispositions aussi applicables à la procédure de recours par renvoi de l' art. 436 al. 1 CPP . En particulier, selon l' art. 429 al. 1 let. a CPP , si le prévenu est acquitté totalement ou en partie ou s'il bénéficie d'une ordonnance de classement, il a droit à une indemnité pour les dépenses occasionnées par l'exercice raisonnable de ses droits de procédure. L' art. 432 CPP prévoit quant à lui que le prévenu qui obtient gain de cause peut demander à la partie plaignante une juste indemnité pour les dépenses occasionnées par les conclusions civiles (al. 1). Lorsque le prévenu obtient gain de cause sur la question de sa culpabilité et que l'infraction est poursuivie sur plainte, la partie plaignante ou le plaignant qui, ayant agi de manière téméraire ou par négligence grave, a entravé le bon déroulement de la procédure ou a rendu celle-ci plus difficile peut être tenu d'indemniser le prévenu pour les dépenses occasionnées par l'exercice raisonnable de ses droits de procédure (al. 2). BGE 141 IV 476 S. 479 Le Tribunal fédéral a récemment précisé la portée à donner à l' art. 432 CPP s'agissant d'une cause dans laquelle un prévenu avait été acquitté par un tribunal de première instance, décision uniquement contestée par la partie plaignante par le biais d'un appel, qui avait été rejeté. Rappelant le principe selon lequel c'est à l'Etat qu'incombe la responsabilité de l'action pénale (Message du 21 décembre 2005 relatif à l'unification du droit de la procédure pénale, FF 2006 1311 ad art. 434 P-CPP, 1313 ad art. 437 P-CPP et 1314 ad art. 440 P-CPP), il a relevé que le législateur avait prévu des correctifs pour des situations dans lesquelles la procédure était menée davantage dans l'intérêt de la partie plaignante ou lorsque cette dernière en avait sciemment compliqué la mise en oeuvre (cf. art. 432 CPP ). Dans le cas visé, soit dans celui d'un acquittement prononcé à l'issue d'une procédure complète devant des tribunaux au sens de l' art. 13 CPP , le Tribunal fédéral a considéré qu'un tel correctif devait s'appliquer, lorsque l'appel avait été formé par la seule partie plaignante, de sorte qu'il n'y avait alors plus aucune intervention de l'Etat tendant à la poursuite de la procédure en instance de recours. Dans une telle configuration, il était conforme au système élaboré par le législateur que ce soit la partie plaignante qui assume les frais de défense du prévenu devant l'instance d'appel ( ATF 139 IV 45 consid. 1.2 p. 47 s.). 1.2 Dans le cas d'espèce, la configuration est différente. La décision de première instance, confirmée par l'arrêt attaqué, est une décision de classement, rendue par le ministère public ( art. 319 CPP ). La cause n'a ainsi pas été soumise à un tribunal de première instance au sens de l' art. 13 CPP . La jurisprudence précitée constitue une exception au principe selon lequel c'est à l'Etat qu'incombe la responsabilité de l'action pénale. En tant que telle, elle doit être interprétée restrictivement. Elle ne trouve application que lorsque s'est déroulée une procédure complète devant un tribunal, dont la décision est ensuite attaquée exclusivement par la partie plaignante. Il ne se justifie en revanche pas de l'étendre également au cas du recours interjeté par la partie plaignante à l'encontre d'une décision de classement. ll convient sur ce point de revenir sur la solution adoptée sans développement spécifique dans l'arrêt 6B_1125/2013 du 26 juin 2014 consid. 4.3, qui applique la solution adoptée dans l'arrêt publié aux ATF 139 IV 45 aux frais de défense résultant pour le prévenu d'un recours d'une partie plaignante contre une décision de classement. Il résulte de ce qui précède que dans la présente cause, la mise à charge de l'Etat des indemnités pour frais de défense accordées pour BGE 141 IV 476 S. 480 la procédure de recours aux intimés ne prête pas flanc à la critique. Le grief est infondé.
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Sachverhalt ab Seite 385 BGE 133 II 384 S. 385 X., Jahrgang 1960, erwarb 1978 den Führerausweis der Kategorie B und 1991 denjenigen der Kategorie D1. Er war in der Folge als selbstständiger Taxiunternehmer tätig. Die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Solothurn (MFK) eröffnete im Jahr 2002 ein Administrativverfahren gegen X. und erhielt in diesem Rahmen Kenntnis von einem Gutachten der psychiatrischen Dienste des Kantons Solothurn über diesen vom 13. Januar 1998; damals war bei ihm die Diagnose eines Verdachts auf eine schizophrene Erkrankung gestellt worden. Am 21. März 2003 forderte die MFK X. zu einer verkehrsmedizinischen und -psychologischen Untersuchung auf. Dieser unterzog sich der verkehrsmedizinischen Untersuchung; das Gutachten wurde am 30. Juni 2004 erstattet. Er wehrte sich aber gegen eine verkehrspsychologische Begutachtung. Diese Frage zog er erfolglos bis vor Bundesgericht. Da sich X. auch danach der verkehrspsychologischen Untersuchung nicht stellte, wurde ihm am 23. Mai 2005 der Führerausweis vorsorglich entzogen. Die in dieser Sache erhobenen Beschwerden blieben wiederum erfolglos. Daraufhin absolvierte X. eine verkehrspsychologische Untersuchung; das gestützt darauf abgefasste Gutachten stammt vom 4. Oktober 2005. Die psychologische Expertin kam zum Schluss, die kognitive Fahreignung für die Kategorie D1 sei nicht und jene für die Kategorie B knapp gegeben. Bezüglich der Kategorie B sei eine weitere verkehrsmedizinische Beurteilung angezeigt. Eine solche wurde in der Folge im Sinne eines Aktengutachtens durchgeführt. Dabei kam eine andere Expertin am 24. Oktober 2005 zur Einschätzung, dass die Fahreignung für die Kategorien B und D1 aus psychiatrischer Sicht nicht befürwortet werden könne; eine weitere medizinische Untersuchung wurde allerdings vorbehalten. Daraufhin verfügte das Departement des Innern des Kantons Solothurn am 30. November 2005 einen Entzug des Führerausweises für alle Kategorien auf unbestimmte Zeit. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn hiess am 29. März 2006 die Beschwerde von X. gegen den auf unbestimmte Zeit ausgesprochenen Führerausweisentzug teilweise gut. In der Sache wurde die Beschwerde mit Bezug auf Kategorie D1 abgewiesen. Mit Blick auf Kategorie B wurde hingegen die Verwaltungsbehörde zu weiterer Abklärung des Sachverhalts verpflichtet. Dieses Urteil hob das Bundesgericht auf Beschwerde von X. am 27. Juni 2006 wegen eines Verfahrensmangels auf. BGE 133 II 384 S. 386 Das Verwaltungsgericht führte ein neues Verfahren durch und fällte am 28. Februar 2007 das Urteil in der Beschwerdesache. Dabei hiess es die Beschwerde wiederum teilweise gut: Es bestätigte den Ausweisentzug bezüglich der Kategorie D1 und verlangte im Hinblick auf Kategorie B ein zusätzliches psychiatrisches Gutachten. Mit Eingabe vom 27. April 2007 erhebt X. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Das Verwaltungsgericht hat den umstrittenen Sicherungsentzug hinsichtlich der Führerausweis-Kategorien B und D1 separat überprüft. Für beide Teilbereiche hatte die Verwaltungsbehörde die Fahreignung aus medizinischen Gründen im Sinne von Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG (SR 741.01) verneint. Das Verwaltungsgericht schützte den Sicherungsentzug mit abweichender Begründung hinsichtlich der Kategorie D1, indem es sich auf die verkehrspsychologische Begutachtung vom 4. Oktober 2005 abstützte. Es nahm beim Beschwerdeführer, entsprechend diesem Gutachten, eine verkehrsrelevante Beeinträchtigung der kognitiven Hirnleistungsfähigkeit an; er verfüge nicht (mehr) über ausreichende Leistungsreserven für ein Motorfahrzeug mit erhöhter Lenkverantwortung wie bei der Kategorie D1. Deshalb spiele es insofern keine Rolle, ob er psychiatrisch krank sei. Hingegen hielt das Verwaltungsgericht den Sachverhalt bezüglich des Sicherungsentzugs für die Kategorie B nicht für genügend erstellt. Demgegenüber behauptet der Beschwerdeführer im Wesentlichen, seine körperliche, geistige und seelische Leistungsfähigkeit zum Führen von Motorfahrzeugen sei nach wie vor ausreichend gegeben. Insofern seien alle eingeholten Gutachten, einschliesslich das verkehrspsychologische Gutachten falsch; Letzteres ziehe die falschen Schlussfolgerungen aus den durchgeführten Tests. Zudem bestehe bei den Expertinnen eine Befangenheitsproblematik. Dass der angefochtene Entscheid gestützt auf das verkehrspsychologische Gutachten einen Sicherungsentzug bei der Kategorie D1 bestätigt habe, sei unverhältnismässig hart. Einerseits sei seine langjährige, tadellose Fahrpraxis nicht berücksichtigt worden. Anderseits habe er inzwischen an der Universität Luzern den Bachelor of Law erworben, was BGE 133 II 384 S. 387 seine Hirnleistungsfähigkeit unter Beweis stelle. Unter den gegebenen Umständen bestehe weder psychiatrischer Abklärungsbedarf, noch würden die gesetzlichen Grundlagen einen Sicherungsentzug erlauben. 3. Entsprechend dem Aufbau des angefochtenen Entscheids ist vorweg dem definitiven Sicherungsentzug bezüglich der Kategorie D1 nachzugehen. 3.1 Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung des Führerausweises ist die sog. Fahreignung. Mit diesem Begriff umschreiben alle betroffenen wissenschaftlichen Disziplinen (insbesondere Medizin, Psychologie und Jurisprudenz) die körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Individuums, ein Fahrzeug im Strassenverkehr sicher lenken zu können. Die Fahreignung muss grundsätzlich dauernd vorliegen (vgl. die bundesrätliche Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes, in deren Rahmen Art. 16d SVG erlassen wurde; BBl 1999 S. 4462 ff., 4483 f.). Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen ( Art. 16 Abs. 1 SVG ). Art. 16d Abs. 1 SVG - in Kraft seit 1. Januar 2005 - bestimmt überdies, dass der Führerausweis einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen wird, wenn ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht oder nicht mehr ausreicht, ein Motorfahrzeug sicher zu führen (lit. a), sie an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst (lit. b) oder sie auf Grund ihres bisherigen Verhaltens nicht Gewähr bietet, dass sie künftig beim Führen eines Motorfahrzeugs die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen wird (lit. c). Angesichts des in Art. 16 Abs. 1 SVG verankerten Grundsatzes muss ein Sicherungsentzug in jedem Fall angeordnet werden, bei dem die Fahreignung nicht mehr gegeben ist. Unter Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG fallen alle medizinischen und psychischen Gründen, welche die Fahreignung ausschliessen (vgl. die Botschaft, BBl 1999 S. 4491). Die einzelnen Tatbestände des Katalogs von Art. 16d Abs. 1 SVG dürfen weder eng noch streng ausgelegt werden; geboten ist eine Gesamtbetrachtung des Einzelfalls im Hinblick auf die Fahreignung. Nach dem früheren Recht verhielt es sich nicht anders und die diesbezügliche Gesetzesrevision hat nicht bezweckt, den Anwendungsbereich des Sicherungsentzugs einzuengen. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Entscheid über den Sicherungsentzug, der einen BGE 133 II 384 S. 388 schwerwiegenden Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen bedeutet, auf einer sorgfältigen Abklärung aller wesentlichen Gesichtspunkte beruht (Urteil 6A.44/2006 vom 4. September 2006, E. 2.2). 3.2 Das formelle Gesetz setzt eine Unterscheidung der Führerausweise nach Fahrzeugkategorien voraus (vgl. Art. 14 Abs. 1 SVG ), überlässt aber die Unterteilung und Ausgestaltung der Ausweiskategorien dem Verordnungsgeber (vgl. Art. 25 SVG ). Letztere finden sich in Art. 3 ff. der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741.51) . Dieser Grundordnung entsprechend sind richtigerweise die Anforderungen an die Fahreignung je nach der betroffenen Ausweiskategorie unterschiedlich hoch anzusetzen. 3.3 Vorliegend geht es um die höhere Führerausweiskategorie D1. Die entsprechende Bewilligung war dem Beschwerdeführer am 14. Oktober 1991 erteilt worden. Nach Art. 3 VZV in der damals geltenden Fassung vom 13. Februar 1991 (AS 1991 S. 982) umfasste die Kategorie D1 die Bewilligung zum Führen von Taxis und Kleinbussen zur gewerbsmässigen Personenbeförderung (vgl. ANDRÉ BUSSY/BAPTISTE RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, Commentaire, 3. Aufl., Lausanne 1996, N. 3.2 zu Art. 3 VZV , S. 1137). Nach dem heute geltenden Art. 3 Abs. 2 VZV betrifft die Kategorie D1 den Aspekt des berufsmässigen Personentransports nicht mehr; hierfür ist in Art. 25 VZV eine besondere Bewilligung vorgesehen. Immerhin wird dem Inhaber eines Führerausweises der Kategorie D1 die Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport auch mittels Autos bzw. Fahrzeugen der Kategorie B ohne weitere Prüfung erteilt (vgl. Art. 25 Abs. 1 und 4 VZV ). 3.4 Im Hinblick auf die medizinischen Mindestanforderungen enthalten Art. 7 i.V.m. Anhang 1 VZV eine eingehende, nach Ausweiskategorien abgestufte Regelung. Medizinische Gründe werden im angefochtenen Entscheid für den umstrittenen Sicherungsentzug bezüglich der Kategorie D1 indessen nicht angeführt. Das kantonale Gericht liess die Frage einer psychiatrischen Krankheit letztlich einstweilen offen und erachtete das verkehrspsychologische Gutachten vom 4. Oktober 2005 selbst bei einer gesunden Person als genügend aussagekräftig für den Entscheid bei der Kategorie D1. 3.5 Psychologische Aspekte der Fahreignung sind - ausserhalb der Frage der charakterlichen Eignung im Sinne von Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG - BGE 133 II 384 S. 389 nicht direkt näher geregelt. Allerdings setzt der hier angewendete Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG das sichere Führen des Motorfahrzeugs voraus (vgl. E. 3.1 hiervor). Für die hier zur Diskussion stehenden psychologischen Aspekte wird der Begriff der psychophysischen Leistungsfähigkeit verwendet (BRUNO LINIGER, Verkehrsmedizin: Bericht über den Stand der Wissenschaft, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2003 S. 87 ff., 105). Mit anderen Worten geht es darum, ob bei einem Menschen aus verkehrspsychologischer Sicht Hirnleistungsdefizite (kognitive Beeinträchtigungen in den Bereichen optische Orientierung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Belastbarkeit) in einem Ausmass bestehen, dass eine Teilnahme als Lenker der entsprechenden Fahrzeugkategorie am Strassenverkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überforderung darstellen würde. Entsprechende Fragestellungen werden insbesondere mittels verkehrspsychologischer Leistungstests überprüft (vgl. JACQUELINE BÄCHLI-BIÉTRY, Was kann die Verkehrspsychologie im Bereich Fahreignungsdiagnostik leisten?, in: Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2003 S. 55 ff., 80). Die Notwendigkeit einer Abklärung der kognitiven Hirnleistungsfunktionen kann - wie hier - als Ergänzung zu einer medizinischen Untersuchung angezeigt sein (MUNIRA HAAG/ULFERT GRIMM, Die verkehrspsychologische Untersuchung, in: Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Bern 2005, S. 85 ff., 87). 3.6 Mit welchen Massstäben die Fahreignung aus psychophysischer Sicht zu beurteilen ist, kann nur indirekt aus den Bestimmungen der VZV zum Bestehen der praktischen Führerprüfung geschlossen werden. In dieser Hinsicht gilt allgemein, dass das Motorfahrzeug der entsprechenden Kategorie unter Einhaltung der Verkehrsregeln auch in schwierigen Verkehrssituationen vorausschauend und mit Rücksicht auf die übrigen Verkehrsteilnehmer zu führen ist (Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Anhang 12 Ziff. II VZV). Höhere Anforderungen werden an den Lenker beim berufsmässigen Personentransport gestellt: Dieser muss fähig sein, Personen in einem Motorfahrzeug der entsprechenden Kategorie auch in schwierigen Verkehrssituationen ohne Gefährdung zu transportieren; vorausgesetzt wird eine flüssige, routinierte Fahrweise mit ausgeprägtem Verkehrssinn. Die kategorienspezifischen Mindestanforderungen müssen dabei klar übertroffen werden (Art. 25 Abs. 3 lit. b i.V.m. Anhang 12 Ziff. III lit. G VZV). BGE 133 II 384 S. 390 3.7 Es ist denkbar, dass selbst ein an sich gesunder Mensch der erhöhten Lenkverantwortung für den berufsmässigen Personentransport psychophysisch nicht gewachsen ist. Bei diesen Lenkerkategorien ist eine Abklärung der Frage, ob die entsprechenden Hirnleistungsreserven vorhanden sind, nicht nur im Zulassungsverfahren möglich (vgl. Art. 11b Abs. 1 lit. b VZV ). Vielmehr kann sich eine entsprechende Begutachtung auch nach der Erteilung einer derartigen Spezialbewilligung im Rahmen von periodischen Routinekontrollen aufdrängen (vgl. Art. 27 Abs. 4 VZV ). Wird bei einem Motorfahrzeugführer im Besitz derartiger Ausweiskategorien nachträglich ein Ungenügen der verkehrsrelevanten Hirnleistungsfähigkeit im Vergleich zu den diesbezüglich geltenden erhöhten Anforderungen festgestellt, so liegt mit Blick auf diese Spezialbewilligung ein Ausschlussgrund im Sinne von Art. 16d Abs. 1 lit. a SVG vor. 3.8 Zusammengefasst bestehen genügende gesetzliche Grundlagen, um einen Sicherungsentzug für die Kategorie D1 - wie hier - gestützt auf eine verkehrspsychologische Beurteilung der Hirnleistungsfähigkeit anzuordnen. 4. Der vom Verwaltungsgericht bejahte konkrete Sicherungsentzug bezüglich der Kategorie D1 ist wie folgt zu beurteilen. 4.1 Der gesamte verkehrsmedizinische und -psychologische Begutachtungsprozess erfolgte hier am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich. Dieses Institut bietet an sich Gewähr für eine unabhängige, unparteiliche und unvoreingenommene Begutachtung. Nach der Rechtsprechung gelten für Sachverständige grundsätzlich die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richter vorgesehen sind. Das Misstrauen in deren Unparteilichkeit muss in objektiver Weise als begründet erscheinen ( BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 109 f. mit Hinweis). Der Beschwerdeführer meint, das verkehrspsychologische Gutachten sei Ausdruck der an der Universität Zürich herrschenden Geringschätzung seiner Fähigkeiten. Es ist jedoch objektiv nicht ersichtlich, dass die Verfasserinnen der verkehrsmedizinischen und -psychologischen Gutachten ihm gegenüber eine Abweisungshaltung oder Anzeichen von Geringschätzung zu erkennen gegeben hätten. Die Befangenheitsrüge geht fehl. 4.2 4.2.1 Das Verwaltungsgericht hat beim Beschwerdeführer, gestützt auf das verkehrspsychologische Gutachten, eine verkehrsrelevante Verlangsamung der Wahrnehmungs-, BGE 133 II 384 S. 391 Informationsverarbeitungs- und Reaktionsfähigkeit festgestellt. Gemäss dem Gutachten sei dessen Fähigkeit zur Kontrolle und Steuerung von Handlungsimpulsen unter hohem Zeitdruck leicht beeinträchtigt. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nicht über ausreichende Leistungsreserven verfüge, um im Strassenverkehr mit einem Motorfahrzeug mit erhöhter Lenkverantwortung, wie bei der Kategorie D1, angemessen schnell und richtig reagieren zu können. Erschwerend komme hinzu, dass dem Beschwerdeführer das Problembewusstsein fehle. Zu diesem Befund gelangte die Gutachterin nach einer persönlichen Untersuchung mittels eingehender verkehrspsychologischer Leistungstests, einem explorativen Interview des Beschwerdeführers anlässlich dieser Untersuchung sowie dem Studium der Vorakten. 4.2.2 Nach Art. 97 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (vgl. die Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4202 ff., 4338). 4.2.3 Wie jedes Beweismittel unterliegen auch Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung. In Sachfragen weicht der Richter aber nur aus triftigen Gründen von einer gerichtlichen Expertise ab. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Richters. Dieser hat zu prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung ( Art. 9 BV ) verstossen ( BGE 130 I 337 E. 5.4.2 S. 345 f.; BGE 129 I 49 E. 4 S. 57; BGE 128 I 81 E. 2 S. 86 mit weiteren Hinweisen). 4.2.4 Das Verwaltungsgericht hat eingehend begründet, weshalb es das verkehrspsychologische Gutachten für schlüssig erachtet. Der BGE 133 II 384 S. 392 Beschwerdeführer vermag mit seinen Vorbringen keine willkürliche Beweiswürdigung darzutun. So kann er nicht in Abrede stellen, dass er in einzelnen, verkehrspsychologischen Leistungstests schlecht abgeschnitten hat. Wie das Verwaltungsgericht festgehalten hat, überzeugt es nicht, wenn er diese Teilresultate mit der Fahrabstinenz seit dem vorsorglichen Führerausweisentzug zu erklären versucht. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer rechtswissenschaftliche Prüfungen besteht, ist entgegen seiner Auffassung nicht unvereinbar mit dem Befund einer leichten Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten psychophysischen Leistungsfähigkeit. Zwar schätzt sich der Beschwerdeführer selbst als Topautofahrer ein. Er hat aber diese Behauptung an der Parteiverhandlung vor dem Verwaltungsgericht indirekt relativiert, indem er dort einräumte, er fahre mit dem Taxi immer zu langsam. Seine Kundschaft habe ihn oft zu schnellerer Fahrweise aufgefordert. Er könne indessen nicht wie ein Schnellzug durch die Schweiz fahren. Diese Ausführungen zeigen, dass der Beschwerdeführer von den Ergebnissen der verkehrspsychologischen Begutachtung nicht völlig überrascht sein konnte. 4.3 4.3.1 Zur Hauptsache wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass das Verwaltungsgericht - entsprechend der Schlussfolgerung der verkehrspsychologischen Gutachterin - die Fahreignung für die Kategorie D1 verneint hat. Er meint, der Bewilligungsentzug bezüglich der Kategorie D1 wäre selbst dann unverhältnismässig und rechtsverletzend, wenn eine leichte psychophysische Beeinträchtigung bestehen sollte; die langjährige tadellose Fahrpraxis sei zu wenig gewichtet worden. 4.3.2 Es kann hier offenbleiben, ob der automobilistische Leumund des Beschwerdeführers ungetrübt ist; das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Sicherungsentzug nicht mit Verkehrsregelverletzungen begründet. Die Langjährigkeit der Fahrpraxis bildet jedenfalls keinen stichhaltigen Einwand gegen das Abstellen auf die aktuelle psychophysische Leistungsfähigkeit. 4.3.3 Der Beschwerdeführer absolvierte bei der verkehrspsychologischen Untersuchung nur eine einzige Testserie für beide Ausweiskategorien zusammen. Das Gutachten enthält entsprechend nur einen psychophysischen Befund und zieht daraus differenzierte Schlussfolgerungen für die Kategorien B und D1. Mit Blick auf Kategorie D1 ist daran zu erinnern, dass hier überdurchschnittliche BGE 133 II 384 S. 393 psychophysische Fähigkeiten, so unter anderem ein ausgeprägter Verkehrssinn verlangt sind (vgl. E. 3.6 hiervor). Es ist gerichtsnotorisch, dass Personentransporte gerade im Taxigewerbe regelmässig unter einem erheblichen Zeitdruck ausgeführt werden müssen. Die beim Beschwerdeführer festgestellten Beeinträchtigungen der psychophysischen Leistungsfähigkeit unter hohem Zeitdruck fallen für die fragliche Ausweiskategorie stark ins Gewicht. Zu Recht legt das Verwaltungsgericht bei der Kategorie D1 einen strengen Massstab an die Fahreignung an. 4.3.4 Die Gutachterin hat auf die Frage nach allfälligen Behandlungsmöglichkeiten oder Auflagen bezüglich der Kategorie D1 keine mildere Massnahme befürwortet. Der Beschwerdeführer führt keine konkreten Auflagen oder Einschränkungen an, die zu prüfen wären, um einen gänzlichen Sicherungsentzug zu vermeiden; solche sind auch nicht ersichtlich. Unter den gegebenen Umständen ist es daher nicht zu beanstanden, dass der angefochtene Entscheid nicht näher auf mildere Massnahmen eingeht. Diesfalls kann der Ausweis der Kategorie D1 dem Beschwerdeführer nicht einzig deswegen belassen werden, um ihn davor zu bewahren, dass er das Taxigewerbe nicht mehr ausüben kann (vgl. BGE 103 Ib 29 E. 1a S. 32). Der Beschwerdeführer führt keinen konkreten Fall an, bei dem ein Taxifahrer mit festgestellter vergleichbarer psychophysischer Beeinträchtigung die fragliche Spezialbewilligung hätte behalten dürfen. Seine Kritik, dass ein Grossteil der Taxichauffeure dem bei ihm zur Anwendung gebrachten Massstab nicht genügen würde, ist spekulativ und vermag die Richtigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage zu stellen. 4.3.5 Obwohl der Sicherungsentzug der Kategorie D1 den Beschwerdeführer hart trifft, erweist sich dieser Punkt des angefochtenen Entscheids im Lichte der bundesrechtlichen Strassenverkehrsgesetzgebung als rechtmässig. 5. Was den Ausweis der Kategorie B betrifft, bleibt zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht ein Zusatzgutachten verlangt hat. 5.1 5.1.1 Diesbezüglich wird im angefochtenen Entscheid erwogen, es sei nicht rechtsgenüglich abgeklärt, ob der Beschwerdeführer an einer schizophrenen Erkrankung leide und wie sich diese gegebenenfalls auf die Fahreignung auswirke. Es sei lediglich im psychiatrischen Gutachten vom 13. Januar 1998 eine Verdachtsdiagnose auf BGE 133 II 384 S. 394 Schizophrenie geäussert worden. Jenes Gutachten sei von den Behörden nicht im Rahmen einer verkehrsmedizinischen Abklärung eingeholt worden; im Übrigen habe es aufgrund seines Alters an Beweiswert eingebüsst. Eine Behandlung wegen Schizophrenie sei nie durchgeführt worden. Eine Neubegutachtung im psychiatrischen Sinne habe im Rahmen der medizinischen Gutachten vom 30. Juni 2004 und 24. Oktober 2005 nicht stattgefunden. 5.1.2 Auch gegen die soeben genannten Feststellungen erhebt der Beschwerdeführer Sachverhaltsrügen im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ; diese sind jedoch wiederum unbegründet, wie im Folgenden darzulegen ist. Das Verwaltungsgericht war nicht gehalten, beim Beschwerdeführer einen Zustand geistiger und seelischer Gesundheit anzunehmen, nur weil es sich gestützt auf die vorhandenen Gutachten und den persönlichen Eindruck an der Parteiverhandlung ausserstande sah, diesbezüglich eine verbindliche Feststellung zu treffen. Dass der Beschwerdeführer rechtswissenschaftliche Prüfungen besteht und familiäre Pflichten wahrnimmt, sind Indizien, die gegen das Vorliegen einer akuten psychiatrischen Erkrankung sprechen; diese Indizien genügen aber nicht, um ein allenfalls latentes Krankheitsbild auszuschliessen. Der Beschwerdeführer verkennt, dass seine psychiatrische Situation aufgrund des Gutachtens von 1998 mit grösserer Vorsicht einzuschätzen ist als diejenige einer Drittperson, bei der bislang keine psychischen Auffälligkeiten diagnostiziert worden sind. Im Übrigen hat das verkehrspsychologische Gutachten eine leichte Beeinträchtigung der Fahreignung in psychophysischer Hinsicht ergeben (vgl. E. 4.2). Bei leistungsmässigen Defiziten kann ein Verdachtsgrund für fehlende Fahreignung auch ohne Krankheitsdiagnose bejaht werden (vgl. Expertengruppe Verkehrssicherheit, Verdachtsgründe fehlender Fahreignung, Massnahmen, Wiederherstellung der Fahreignung - Leitfaden für die Administrativ-, Justiz- und Polizeibehörden, Abschnitt II/5.2, in: Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Bern 2005, S. 113 ff., 118). 5.2 5.2.1 Das Verwaltungsgericht ging unter Hinweis auf VOLKER DITTMANN (Schizophrenien und Wahnerkrankungen, in: Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Bern 2005, S. 50 f.) davon aus, dass das Vorliegen einer Schizophrenie-Erkrankung die Fahreignung nur in der Regel und nicht zwingend ausschliesse. Daher BGE 133 II 384 S. 395 forderte das Verwaltungsgericht vom Zusatzgutachten mindestens Aussagen zum Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung beim Beschwerdeführer, insbesondere einer nicht behandelten Schizophrenie, und deren Auswirkungen auf die Fahreignung. Darüber hinaus soll sich das Gutachten dazu äussern, unter welchen Umständen und innert welcher Frist eine Wiedererteilung des Führerausweises für die Kategorie B in Frage komme. Weiter hat das Verwaltungsgericht angemerkt, dass der provisorische Führerausweisentzug für die Kategorie B bis auf Weiteres seine Geltung behalte. 5.2.2 Bei der gegebenen Sachlage (vgl. E. 5.1 hiervor) besteht ein hinreichender Anlass für das vom Verwaltungsgericht verlangte zusätzliche Gutachten. Dessen Einholung ist verhältnismässig, zumal die Verpflichtung, sich für eine psychiatrische Begutachtung zur Verfügung zu halten, grundsätzlich keinen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt (vgl. BGE 124 I 40 E. 3c S. 43 und E. 5a S. 47). Der vom Verwaltungsgericht abgesteckte Untersuchungsgegenstand ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Aufgrund der bisherigen Prozessgeschichte und der vom Beschwerdeführer nach wie vor klar geäusserten Ablehnung psychiatrischer Untersuchungen ist es vertretbar, wenn das Verwaltungsgericht eine Aufhebung des provisorischen Führerausweisentzugs während des Instruktionsverfahrens ablehnt. Da das Verfahren allerdings bereits längere Zeit in Anspruch genommen hat, hat die Verwaltungsbehörde sicherzustellen, dass das Zusatzgutachten beförderlich erstattet werden kann. 5.3 Damit erweist sich der angefochtene Entscheid auch im Hinblick auf die Kategorie B als rechtmässig.
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Sachverhalt ab Seite 493 BGE 133 III 493 S. 493 A. Par contrat du 20 mars 2001, X. a remis un appartement à bail aux époux A. Les époux Y. ont par la suite acquis l'immeuble où se trouve ce logement. Le 10 février 2004, ils ont adressé aux époux A. le décompte chauffage, eau chaude et frais d'exploitation pour la période du 1 er juillet 2002 au 30 juin 2003, que ces derniers ont contesté. BGE 133 III 493 S. 494 B. Le 22 septembre 2004, les époux A. ont saisi la Commission de conciliation en matière de bail à loyer. La conciliation ayant été vainement tentée, ils ont porté la cause devant le Tribunal des baux par requête du 2 décembre 2004, concluant à ce que X. ainsi que les époux Y. soient condamnés à leur payer 1'191 fr. 30 (remboursement d'acomptes versés pour frais accessoires et chauffage) et à ce qu'il soit constaté qu'ils ne leur sont pas redevables de 245 fr. 10 (solde des frais accessoires dus selon le décompte du 10 février 2004). Par jugement du 8 août 2005, le Tribunal des baux a rejeté la première conclusion en paiement et partiellement admis la seconde en ce sens que sur le montant de 245 fr. 10, les locataires n'étaient pas redevables de 27 fr. 90. Par arrêt du 1 er février 2007, la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours déposé par les époux A. et confirmé le jugement du 8 août 2005. En résumé, elle a constaté que les frais accessoires facturés ressortaient des conditions générales annexées au contrat de bail, que les locataires avaient signées en même temps que celui-ci; elle en a déduit que ces frais étaient mentionnés de manière suffisamment claire et précise. C. Les époux A. (les recourants) interjettent le présent recours en matière civile au Tribunal fédéral; ils prennent principalement des conclusions identiques à celles formulées devant le Tribunal des baux et sollicitent subsidiairement l'annulation de l'arrêt attaqué et le renvoi de la cause à celui-ci pour nouvelle instruction et nouvelle décision, avec suite de frais et dépens. X. et les époux Y. (les intimés) proposent principalement l'irrecevabilité, subsidiairement le rejet du recours, sous suite de dépens.
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Erwägungen Extrait des considérants: 1. De l'avis des recourants, la voie du recours en matière civile est ouverte en l'espèce nonobstant le fait que la valeur litigieuse n'atteint pas 15'000 fr., au motif que le présent recours soulèverait une question juridique de principe (cf. art. 74 al. 1 let. a et al. 2 let. a LTF). Cette question serait celle de savoir si des conditions générales signées par le locataire en même temps que le contrat de bail et pour en faire partie intégrante permettent au bailleur de lui réclamer le paiement des frais qui y sont mentionnés. 1.1 Le législateur n'a pas donné de définition de la notion de "question juridique de principe", qui se trouve tant dans la Constitution BGE 133 III 493 S. 495 fédérale ( art. 191 al. 2 Cst. ) que dans la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF; RS 173.110; art. 74 al. 2 let. a LTF ). Il s'agit d'une notion juridique indéterminée que la jurisprudence doit concrétiser (cf. Message du 28 février 2001 concernant la révision totale de l'organisation judiciaire fédérale, FF 2001 p. 4000 ss, spéc. p. 4108). A l'origine, le projet de loi sur le Tribunal fédéral prévoyait que dans une cause civile, la seule voie de recours possible était celle du recours en matière civile. Lorsque ce recours n'était pas ouvert faute de valeur litigieuse suffisante, il n'y avait en principe pas de recours au Tribunal fédéral; le recours de droit public ( art. 84 ss OJ [RO 3 p. 521]), qui permettait, sous l'ancien droit, de saisir le Tribunal fédéral lorsque la voie du recours en réforme était fermée, était en effet purement et simplement supprimé. Cela pouvait empêcher de saisir l'autorité judiciaire suprême de la Confédération de questions méritant d'être tranchées par elle. Le projet de loi a dès lors prévu d'ouvrir exceptionnellement la voie du recours en matière civile en cas de valeur litigieuse insuffisante, lorsque le recourant pose une question juridique de principe. Lors des débats parlementaires toutefois, le législateur a introduit le recours constitutionnel subsidiaire ( art. 113 ss LTF ), que le projet de loi ne prévoyait pas. Ce recours, ouvert lorsque la voie du recours en matière civile est fermée, permet, comme l'ancien recours de droit public, de se plaindre de la violation de droits constitutionnels, et donc notamment d'une application arbitraire du droit fédéral. Dans ces circonstances, l'ouverture exceptionnelle de la voie du recours en matière civile dans les causes à valeur litigieuse insuffisante apparaît sous un autre jour. Il s'ensuit que la notion de "question juridique de principe" doit être appliquée de manière très restrictive, plus restrictive que celle décrite dans le Message (cf. HOHL, Le recours en matière civile selon la loi sur le Tribunal fédéral du 17 juin 2005, in Les recours au Tribunal fédéral, Zurich 2007, p. 73 s.; KARLEN, Das neue Bundesgerichtsgesetz, Bâle 2006, p. 44; cf. également SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], Zurich/St-Gall 2006, n. 6 ss ad art. 74 LTF ). 1.2 La question juridique posée en l'espèce est celle de savoir à quelles exigences doit répondre la convention spéciale mettant les frais accessoires à la charge du locataire, prévue à l' art. 257a al. 2 CO . A ce sujet, il existe une jurisprudence abondante du Tribunal fédéral, que les recourants citent d'ailleurs en partie eux-mêmes. Cette BGE 133 III 493 S. 496 jurisprudence pose les principes en la matière, soit en particulier que la convention doit être claire et précise, sans devoir toutefois répondre à des exigences de forme particulières; dans ce cadre, la jurisprudence traite notamment de la portée de conditions générales prévoyant la mise de frais accessoires à la charge du locataire (cf. arrêt 4C.250/2006 du 3 octobre 2006, publié in mp 2006 p. 272, consid. 1.1 et les arrêt cités). La question spécifique soulevée par les recourants n'est rien d'autre que celle de l'application de ces principes à un cas particulier. Que ce cas particulier puisse se répéter dans la pratique et que l'autorité cantonale parle à son égard de question de principe n'y change rien. Il ne s'agit pas d'une question de principe au sens de l' art. 74 al. 2 let. a LTF . Il s'ensuit l'irrecevabilité du recours.
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Sachverhalt ab Seite 442 BGE 130 III 441 S. 442 A. In C. liegt die in Stockwerkeigentum aufgeteilte Zentrumsüberbauung Hotelapart Y. Laut der öffentlich beurkundeten Begründungserklärung vom 30. März 1979 umfasst die Liegenschaft insgesamt sechs Trakte, nämlich - Trakt I: Hotel Y. (StwE-Anteile Nr. 1-49), - Trakt II: Läden, Restaurations- und Hotelbetrieb (Anteile Nr. 50-59), - Trakt III: disponible Räumlichkeiten (Anteile Nr. 60-78), - Trakt IV: Wohnungen (Anteile Nr. 79-216), - Trakt V: Sportanlagen (Anteil Nr. 217) sowie - Trakt VI: Autoeinstellhallen (Anteile Nr. 218-219). Z. ist Eigentümer der Stockwerkeinheit Nr. ... (Wohnung); ferner hat er ein Benützungsrecht an einem Parkplatz in der Autoeinstellhalle Nr. 218. Die X. AG ist Betreiberin des Hotels Y.; sie ist auch Eigentümerin des Stockwerkanteils Nr. 217 (Sportanlagen). B. Anlässlich ihrer 19. ordentlichen Miteigentümerversammlung vom 30. Juni 2001, an welcher von 117 Miteigentümern 96 mit einem Wertquotenanteil von 876.6 Tausendsteln anwesend oder vertreten waren, ermächtigte die Stockwerkeigentümergemeinschaft die X. AG unter Traktandum Nr. 15 mit 94 zu 2 Stimmen und 863.4 zu 13.2 Tausendsteln Wertquoten, das von dieser für die Einheit Nr. 217 unterbreitete Projekt "Ersatz der bestehenden Tennishalle durch einen Neubau mit Wellnesslandschaft, Seminarräumen und Hotelzimmern" auf eigene Kosten zu realisieren. C. Mit Anfechtungsklage vom 24. Juli 2001 beim Kreispräsidenten D. als Vermittler bzw. mit Prozesseingabe vom 10. Oktober 2001 beim Bezirksgericht E. verlangte Z. die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses gemäss Traktandum Nr. 15, eventualiter dessen Aufhebung. Anlässlich der Hauptverhandlung verlangte er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. BGE 130 III 441 S. 443 Das Bezirksgericht E. und das Kantonsgericht von Graubünden wiesen die Klage ab, und zwar mit Urteilen vom 28. November 2002 (Mitteilung: 31. März 2003) bzw. 2. September 2003 (Mitteilung: 7. Januar 2004). D. Gegen das Urteil des Kantonsgerichts hat Z. am 6. Februar 2004 sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch Berufung eingereicht. Mit Letzterer verlangt er die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Gutheissung der Klage. Mit Berufungsantwort vom 14. April 2004 hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft auf Abweisung der Berufung geschlossen, soweit darauf einzutreten sei. Mit Entscheid vom 8. Juni 2004 wird auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Zwischen den Parteien sind zwei Rechtsfragen streitig: Zum einen stellt sich der Kläger auf den Standpunkt, der geplante Neubau habe eine Zweckänderung der Liegenschaft zur Folge, die gemäss Art. 648 Abs. 2 ZGB und Art. 38 lit. a des Reglements einen einstimmigen Beschluss der Stockwerkeigentümer erfordere. Zum anderen geht er davon aus, dass der Neubau nicht eine nützliche Massnahme darstelle, die mit der Mehrheit der Stimmen und der Wertquoten beschlossen werden kann ( Art. 647d ZGB ), sondern dass dieser luxuriösen Charakter habe und auch aus diesem Grund die Zustimmung aller Stockwerkeigentümer erheische ( Art. 647e Abs. 1 ZGB ). Ist mit einem Um- oder Neubau eine Zweckänderung verbunden, beurteilen sich bauliche Massnahmen nicht nach den Bestimmungen von Art. 647c ff. ZGB . Für sie gilt die Spezialregelung von Art. 648 Abs. 2 ZGB (vgl. BGE 111 II 330 E. 2 S. 333; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 16 zu Art. 647c ZGB ). Folglich ist vorab über die Frage der Zweckänderung zu befinden. 2. 2.1 Das Kantonsgericht hat die Zweckänderung im Wesentlichen mit der Begründung verneint, weder die Wellnesseinrichtungen noch die Seminarräume und schon gar nicht die zusätzlichen Hotelzimmer vermöchten den Charakter der Liegenschaft zu ändern, handle es sich doch nach wie vor um ein gehobenen Ansprüchen gerecht werdendes Aparthotel. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Trakt V laut Begründungserklärung mit "Sportanlagen" betitelt BGE 130 III 441 S. 444 sei; diese Bezeichnung dürfe nicht Selbstzweck sein, vielmehr müsse der Trakt der Erhaltung eines konkurrenzfähigen Hotelbetriebs dienen. 2.2 Der Kläger geht von einer kompletten Umnutzung des Traktes V aus, umso mehr als die Erstellung neuer Hotelzimmer in den Vordergrund trete; dadurch werde der bisherige Zweck (Sport) im Vergleich zum neuen Hauptzweck (Beherbergung) zu einem nebensächlichen. Sodann ändere sich das äussere Erscheinungsbild des Traktes und ausserdem führe der Neubau angesichts des Umfangs der Investitionen zu einer Veränderung der Wertquoten, wie dies im Antrag der X. AG an die Stockwerkeigentümergemeinschaft bereits in Aussicht gestellt worden sei; auch darin manifestiere sich die Zweckänderung. 2.3 Gemäss Art. 648 Abs. 2 ZGB bedarf es zur Veräusserung oder Belastung der Sache sowie zur Veränderung ihrer Zweckbestimmung der Übereinstimmung aller Miteigentümer, soweit diese nicht einstimmig eine andere Ordnung vereinbart haben. Für die Frage der Zweckänderung ist somit von der ursprünglichen Zweckbestimmung der in Stockwerkeinheiten aufgeteilten Liegenschaft auszugehen, wie sie in Ziff. II.3 der Begründungserklärung vom 30. März 1979 umschrieben ist: Innerhalb der in Stockwerkeigentum aufgeteilten Liegenschaft soll das bereits bestehende Hotel Y. mit Hallenbad, ein Restaurationsbetrieb mit Bar inklusive Läden sowie Sportanlagen betrieben werden. Die Wohnungen sollen zum Teil als Aparthotelzimmer durch eine Betriebsorganisation hotelmässig bewirtschaftet werden. Für alle Anlagen stehen unter- und oberirdische Parkplätze zur Verfügung, alles gemäss Plan. Die Widmungserklärung definiert nicht die Zweckbestimmung einzelner Stockwerkeinheiten oder Trakte, sondern diejenige der Gesamtanlage; die bauliche Ausgestaltung der einzelnen Trakte wird in Ziff. II.1 der Begründungserklärung (betreffend Trakt V bzw. Stockwerkeinheit Nr. 217 auf S. 54) einzig im Sinne eines Liegenschaftsbeschriebs erwähnt und ist für die Frage der Widmung nicht von Bedeutung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die einzelnen Stockwerkeinheiten unterschiedlichen Funktionen dienen. Diese sind der generellen Zweckbestimmung untergeordnet, was durch ihre Verknüpfung zum Ausdruck kommt: Die Liegenschaft umfasst einerseits das Hotel Y. Der Betrieb eines Hotels bezweckt die Beherbergung von Gästen, wobei zur Beherbergung Verköstigung, BGE 130 III 441 S. 445 Freizeitangebote und Dienstleistungen verschiedenster Art treten können; deshalb steht der fragliche Trakt V (Stockwerkeinheit Nr. 217) denn auch im Sonderrecht des Hotelbetriebes. Andererseits gehört zur Liegenschaft eine grössere Anzahl von Wohnungen, die selbstredend dem Wohnzweck gewidmet sind. Diese beiden Elemente sind insofern verquickt, als die Wohnungen oder jedenfalls ein Teil davon als Apartzimmer hotelmässig bewirtschaftet werden. Dies bedeutet, dass die betreffenden Eigentümer verpflichtet sind, ihre Einheit dem Beherbergungsunternehmen in einem bestimmten Umfang zur dauernden Bewirtschaftung zu überlassen; umgekehrt hat dieses für die Aparteinheiten Zimmer-, Restaurations- und andere Serviceleistungen zu erbringen (vgl. RASCHEIN, Die Rechtsausübung der Stockwerkeigentümergemeinschaft mit besonderer Berücksichtigung von Gewährleistungsansprüchen und des Sonderfalles Aparthotel, Diss. Zürich 1996, S. 78 ff.; FRIEDRICH, Rechtsprobleme bei Appart-Hotels auf der Basis von Stockwerkeigentum, in: Der Bernische Notar 1983 S. 169 ff.). 2.4 Durch den geplanten Neubau wird die Zweckbestimmung der Gesamtanlage (Beherbergungs- und Wohnzweck sowie deren Verknüpfung) nicht gefährdet: Die Argumentation des Klägers, eine Wellnessanlage mit Seminarräumen und Hotelzimmern stelle etwas völlig anderes dar als eine Tennishalle mit Kegelbahn und Bar, mag für sich genommen zutreffen. Angesichts der nicht für die einzelnen Trakte spezifizierten, sondern die Liegenschaft als Ganzes betreffenden Zweckbestimmung geht sie jedoch an der Sache vorbei: Wie das Kantonsgericht zutreffend bemerkt hat, bleibt der Charakter der Liegenschaft als solcher unberührt und stehen dem Kläger die Wohnung sowie die aus der Anbindung an den Hotelbetrieb fliessenden Vorteile auch weiterhin im bisherigen Mass zur Verfügung. 2.5 Nichts für seinen Standpunkt kann der Kläger aus dem Umstand ableiten, dass der geplante Neubau voraussichtlich zu einer Änderung der Wertquoten führen wird. Die Wertquote ist eine abstrakte Verhältniszahl, die den Umfang der Rechtsposition des einzelnen Stockwerkeigentümers im Vergleich zu den anderen am gemeinsamen Rechtsobjekt Beteiligten arithmetisch ausdrückt. Sie fixiert zahlenmässig das Ausmass der Beteiligung am gesamten, sowohl Rechte als auch Pflichten umfassenden Rechtsinhalt des Miteigentums, und das Gesetz bezeichnet sie ausdrücklich als Bemessungsgrundlage für gewisse Rechte und Pflichten BGE 130 III 441 S. 446 (MEIER-HAYOZ/REY, Berner Kommentar, N. 4 und 5 zu Art. 712e ZGB ; WERMELINGER, La propriété par étages, Fribourg 2002, N. 7 ff. zu Art. 712e ZGB ). Hingegen sagt die Wertquote nichts über den Zweck einer Liegenschaft aus: Wird beispielsweise eine in Stockwerkeinheiten aufgeteilte Wohnbaute gewerblichen Zwecken zugeführt, indem in den einzelnen Einheiten ohne bauliche Veränderungen Büros eingerichtet werden, erfährt die Liegenschaft eine vollständige Zweckänderung, ohne dass dadurch die Wertquoten verändert würden. Werden hingegen innerhalb einer Wohnbaute Stockwerkeinheiten vergrössert, verkleinert oder zusammengelegt, kann dies eine Änderung der Wertquoten notwendig machen, während der Wohnzweck der Liegenschaft unangetastet bleibt. Insofern besteht weder ein direkter noch ein indirekter Zusammenhang zwischen der Quotenfrage und der Zweckbestimmung. 2.6 Ebenso wenig verfängt das Argument, der Neubau führe zu einer Änderung des äusseren Erscheinungsbildes, da auch dieses in keinem Zusammenhang mit der Zweckbestimmung steht: Werden im genannten Beispiel die Einheiten einer Wohnbaute neu gewerblich genutzt, liegt eine Zweckänderung vor, während das äussere Erscheinungsbild gleich bleibt. Umgekehrt ändert das Verglasen der Balkone oder die Aufstockung des Gebäudes dessen Aussehen, ohne dass damit der Wohnzweck angetastet wird. 2.7 Nichts für sich ableiten kann der Beschwerdeführer schliesslich aus dem Umstand, dass gemäss Art. 38 lit. a des Reglements auch die Abänderung der "Umschreibung der im Sonderrecht stehenden Teile des Gebäudes" der Zustimmung aller Stockwerkeigentümer bedarf: Damit ist offensichtlich nicht die (ebenfalls in Art. 38 lit. a des Reglements erwähnte) Zweckänderung, sondern die räumliche Ausscheidung der im Sonderrecht stehenden Teile gemeint (vgl. FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, Bern 1972, Text § 36 auf S. 142); die räumliche Aufteilung der Stockwerke wird indes durch den Neubau nicht verändert. 2.8 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der geplante Neubau nicht in den mit Begründungserklärung vom 30. März 1979 festgelegten Zweck der Liegenschaft eingreift. 3. 3.1 Das Kantonsgericht hat den Neubau als nützliche bauliche Massnahme im Sinn von Art. 647d ZGB betrachtet. Es hat dazu BGE 130 III 441 S. 447 ausgeführt, mit der Anpassung an die geänderten Kundenbedürfnisse könne der Hotelbetrieb seine Ertragskraft steigern und so seine Zukunft sichern, was wiederum den übrigen Stockwerkeigentümern zugut komme. 3.2 Der Kläger macht geltend, es handle sich um eine luxuriöse bauliche Massnahme, die nach Art. 647e ZGB einen einstimmigen Beschluss erfordere. Er wirft dem Kantonsgericht vor, in seiner Begründung das Sonderrecht der X. AG an der Stockwerkeinheit Nr. 217 mit dem gemeinschaftlichen Eigentum aller Stockwerkeigentümer an Fassaden, Böden, Hauptmauern, Dach, etc. vermengt zu haben. Nicht der Nutzen für die X. AG, sondern derjenige für die Gemeinschaft sei ausschlaggebend für die Charakterisierung der baulichen Massnahme. 3.3 Art. 712g Abs. 1 ZGB verweist für die Verwaltungshandlungen und baulichen Massnahmen auf die Bestimmungen über das Miteigentum, d.h. auf Art. 647-647e ZGB . Als notwendig definiert der Gesetzgeber die Unterhalts-, Wiederherstellungs- und Erneuerungsarbeiten, die für die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der Sache nötig sind ( Art. 647c ZGB ). Als nützlich bezeichnet das Gesetz solche Erneuerungs- und Umbauarbeiten, die eine Wertsteigerung oder Verbesserung der Wirtschaftlichkeit oder Gebrauchsfähigkeit der Sache bezwecken ( Art. 647d Abs. 1 ZGB ), während Bauarbeiten, die lediglich der Verschönerung, der Ansehnlichkeit der Sache oder der Bequemlichkeit im Gebrauch dienen, als luxuriös gelten ( Art. 647e Abs. 1 ZGB ). Entgegen dem strikten Wortlaut sind nach herrschender Lehre auch Neubauten unter Art. 647c-647e ZGB zu subsumieren (vgl. MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 11 zu Art. 647c ZGB ; SCHNEIDER, Das schweizerische Miteigentumsrecht, Diss. Bern 1973, S. 109 f.; WEBER, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft, Diss. Zürich 1979, S. 280 f.). Welche baulichen Massnahmen als notwendig, welche als nützlich und welche als luxuriös anzusehen sind, ist im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände zu prüfen; dabei kann ein und dieselbe Massnahme je nach den konkreten Umständen in eine andere Kategorie fallen (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 22 ff. zu Art. 647c ZGB ). Errichtet ein Viersternehotel eine Wellnessanlage, Seminarräume und (weitere) Gästezimmer, steht, wie das Kantonsgericht zutreffend ausgeführt hat, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des BGE 130 III 441 S. 448 Hotelbetriebes im Vordergrund; insofern ist der Neubau für das Hotelunternehmen auf jeden Fall nützlich im Sinn von Art. 647d ZGB . Angesichts der geänderten Bedürfnisse der Hotelgäste und des derzeitigen Booms von Wellnesseinrichtungen könnte allenfalls sogar von einer notwendigen baulichen Massnahme im Sinn von Art. 647c ZGB gesprochen werden, weil ein entsprechender Betrieb ohne solche Einrichtungen auf die Dauer nicht mehr konkurrenzfähig ist (so BAUMANN, Entscheidungen über notwendige, nützliche und luxuriöse Bauten in der Stockwerkeigentümergemeinschaft eines Apparthotels, in: Aktuelle Aspekte des Schuld- und Sachenrechts, Festschrift für Heinz Rey zum 60. Geburtstag, Zürich 2003, S. 8). Jedenfalls stellt eine Wellnessanlage bei einem Viersternehotel keine luxuriöse, d.h. lediglich der Ansehnlichkeit oder Bequemlichkeit dienende Einrichtung dar. Erst recht können Seminarräume und (weitere) Hotelzimmer nicht als luxuriös gelten. 3.4 Vorliegend ist jedoch zu beachten, dass vom Verweis in Art. 712g Abs. 1 ZGB sachlogisch nur diejenigen Gebäudeteile erfasst sein können, die nicht zu Sonderrecht ausgeschieden sind: Zwar besteht auch an den ausgeschiedenen Teilen kein Alleineigentum, aber die Freiheit des Stockwerkeigentümers in der baulichen Ausgestaltung seiner eigenen Räume gehört nach Art. 712a Abs. 1 und 2 ZGB gerade zum wesentlichen Inhalt des Sonderrechts. Solche Arbeiten kann der Stockwerkeigentümer ohne Rücksicht auf Quoren und Utilitätsfragen kraft der ihm durch sein Sonderrecht verliehenen Rechtsmacht vornehmen, soweit er dadurch keinem anderen Stockwerkeigentümer die Ausübung des gleichen Rechts erschwert und die gemeinschaftlichen Bauteile, Anlagen und Einrichtungen in keiner Weise beschädigt oder in ihrer Funktion oder äusseren Erscheinung beeinträchtigt ( Art. 712a Abs. 2 ZGB ). Mit dem Begriff "Sache" in Art. 647c-647e ZGB ist deshalb nicht anders als beim (einfachen) Miteigentum auch bei einer in Stockwerkeigentum aufgeteilten Liegenschaft die Gesamtsache gemeint. Daher müssen die notwendigen baulichen Massnahmen ( Art. 647c ZGB ) den Wert und die Gebrauchsfähigkeit der Gesamtliegenschaft erhalten. Dasselbe gilt für die nützlichen ( Art. 647d ZGB ) und die der Verschönerung und Bequemlichkeit dienenden Bauarbeiten ( Art. 647e ZGB ). "Notwendig" im Sinn von Art. 647c ZGB sind somit beispielsweise fällige Unterhaltsarbeiten wie die Erneuerung der Fassade oder des Daches. Als "nützlich" würde etwa der Einbau einer Zentralheizung oder eines Aufzuges gelten (MEIER-HAYOZ, BGE 130 III 441 S. 449 a.a.O., N. 16 zu Art. 647d ZGB ). Als "luxuriös" wären schliesslich Massnahmen wie die Auskleidung des Eingangs mit Marmor oder das Aufstellen eines Springbrunnens im Hausflur anzusehen (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 4 zu Art. 647e ZGB ). 3.5 Im vorliegenden Fall hat die X. AG klar das Hauptinteresse am Neubau; sie hat diesen denn auch geplant, sie hat hierüber einen Beschluss der Stockwerkeigentümerversammlung verlangt und sie trägt die Kosten. Entgegen den sinngemässen Ausführungen des Klägers steht jedoch die geplante bauliche Massnahme nicht im alleinigen Interesse des Hotelunternehmens; vielmehr profitieren auch die übrigen Stockwerkeigentümer davon, und zwar in verschiedener Hinsicht: Den Wohnungseigentümern werden im gleichen Gebäudekomplex Wellnesseinrichtungen und damit zeitgemässe Freizeit- und Erholungsanlagen zur Benützung offen stehen. Das Kantonsgericht hat denn auch darauf hingewiesen, dass der Kläger in einem Verkaufsinserat für seine Wohnung mit der geplanten Wellnessanlage warb. Steigert eine solche Anlage die Attraktivität des Hotels, führt dies nach der allgemeinen Erfahrung zu einer besseren Auslastung der als Aparthotelzimmer ausgestalteten Stockwerkeinheiten; damit ist eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bzw. Bewirtschaftungsmöglichkeit der Wohnungen im Sinn von Art. 647d Abs. 1 ZGB gegeben. Schliesslich hängt der Charakter der gesamten Liegenschaft vom Fortbestand des Hotelbetriebes ab, würden doch die einzelnen Wohnungen ohne das Aparthotel nicht mehr im Genuss der sich daraus ergebenden Serviceleistungen stehen. Die Sicherung der Zukunft des Hotelbetriebes, zu der auch Seminarräume und ein zusätzliches Angebot an Gästezimmern beitragen können, steht deshalb im direkten Interesse der Eigentümer der Apartwohnungen. Liegt jedoch die - in gemeinschaftliche Teile eingreifende, das äussere Erscheinungsbild verändernde - bauliche Massnahme auch im Interesse der Gemeinschaft und steigert sie auch den Wert bzw. die Wirtschaftlichkeit der Wohnungen, so dass der Neubau auch für die Gemeinschaft als nützlich bezeichnet werden muss, hat das Kantonsgericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es sich bei seinem Entscheid auf Art. 647d ZGB abgestützt hat.
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Erwägungen ab Seite 38 BGE 127 V 38 S. 38 Aus den Erwägungen: 4. a) Gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG endet das Versicherungsverhältnis beim bisherigen Versicherer erst, wenn ihm der neue Versicherer mitgeteilt hat, dass die betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert ist (Satz 1). Unterlässt der neue Versicherer diese Mitteilung, so hat er der versicherten Person den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen, insbesondere die Prämiendifferenz (Satz 2). Sobald der bisherige Versicherer die BGE 127 V 38 S. 39 Mitteilung erhalten hat, informiert er die betroffene Person, ab welchem Zeitpunkt sie nicht mehr bei ihm versichert ist (Satz 3). b) Vorliegend haben die Beschwerdeführer im Rahmen des Schriftenwechsels vor dem kantonalen Gericht die Mitteilung der CSS Versicherung vom 10. Januar 1997 zu den Akten gegeben, in welcher ihre Weiterversicherung ohne Unterbruch in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bestätigt wird. Die Eidgenössische Gesundheitskasse hat in ihrer letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung ausdrücklich festgehalten, dieses Schreiben der CSS Versicherung sei ihr am 10. Januar 1997 zugegangen. Die Bestätigung der Weiterversicherung erweist sich damit im Hinblick auf den Kündigungstermin vom 31. Dezember 1996 als verspätet. Zu prüfen bleibt, auf welchen Zeitpunkt die dem Obligatorium unterstehenden Versicherungsverhältnisse bei der bisherigen Versicherung unter diesen Umständen endeten. aa) Nach der Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) ist eine erst nach dem Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer eingetroffene Mitteilung nicht geeignet, die Wirksamkeit der im Übrigen form- und fristgerechten Kündigung hinauszuschieben. Insbesondere in Jahren hoher Fluktuationen seien auch bei gut organisierten Versicherern über das Jahresende hinaus verzögerte Abläufe im Korrespondenzwesen verständlich. Der Gesetzgeber habe mit dem Erfordernis der Mitteilung der ununterbrochenen Weiterversicherung einzig Versicherungslücken verhindern wollen. Es sei deshalb unproblematisch, Versicherungsverhältnisse bei einem Wechsel des Versicherers nach Art. 7 KVG rückwirkend aufzulösen bzw. zu begründen, falls die Mitteilung des neuen Versicherers über den ununterbrochenen Versicherungsschutz innert eines Monates seit dem Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer eintreffe. Das BSV schlägt vor, das bisherige Versicherungsverhältnis rückwirkend auf den Kündigungstermin als beendet zu qualifizieren, vorausgesetzt, die Mitteilung des neuen Versicherers treffe innert Monatsfrist seit dem Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer ein. Dagegen wendet die beschwerdegegnerische Kasse im Wesentlichen ein, auch der bisherige Versicherer habe Anspruch darauf, seinen Versichertenbestand zuverlässig ermitteln zu können. Rückwirkende Wechsel würden nicht nur administrativ aufwendige Rückzahlungen auslösen, sondern auch unlösbare Probleme im Zusammenhang mit den Risikoausgleichszahlungen und den kantonalen Prämienverbilligungen schaffen. Die Auslegung des BSV BGE 127 V 38 S. 40 gehe klar an der rechtlichen Situation vorbei. Sie sei geprägt durch ein Verständnis zu Gunsten der Versicherten, welches auf die Belange des alten Versicherers keinerlei Rücksicht nehme. Zur Frage, in welchem Zeitpunkt bisherige Versicherungsverhältnisse bei verspäteter Mitteilung endeten, äussert sich die Kasse nicht. bb) Zu den wichtigsten Zielen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG) gehören die Einführung des Krankenpflegeversicherungsobligatoriums und die Eindämmung der Kostensteigerung im Gesundheitswesen, der unter anderem durch den Wettbewerb unter den Versicherern begegnet werden soll. Im System der Mehrfachträgerschaft des Versicherungsobligatoriums gewährleisten verschiedene Bestimmungen die rechtliche und faktische Freiheit des Versichererwechsels. Faktische Freiheit besteht etwa durch die Unabhängigkeit der Prämienhöhe vom Eintrittsalter ( Art. 61 KVG ). Art. 7 KVG regelt die rechtliche Freiheit des Versichererwechsels einerseits durch Statuierung von Kündigungsfristen und -terminen (Abs. 1 und 2), anderseits durch die Bestimmung, dass das Versicherungsverhältnis nur bei Bestätigung eines neuen Versicherungsverhältnisses endet (Abs. 5). Während Kündigungsfristen und -termine den administrativen Ablauf vereinfachen, bezweckt Art. 7 Abs. 5 KVG die Vermeidung von - mit dem Versicherungsobligatorium unverträglichen - Versicherungslücken (Botschaft des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 93 ff., insbesondere 144; Amtl.Bull. 1992 S 1287, 1993 N 1729 und 1833, 1993 S 1048). Nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 5 KVG endet das Versicherungsverhältnis beim bisherigen Versicherer erst, wenn ihm der neue Versicherer mitgeteilt hat, dass die betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert ist (Satz 1); sobald der bisherige Versicherer die Mitteilung erhalten hat, informiert er die betroffene Person, ab welchem Zeitpunkt sie nicht mehr bei ihm versichert ist (Satz 3). Ob dieser Zeitpunkt bei verspäteter Mitteilung auf deren Eingang beim bisherigen Versicherer oder auf ein früheres oder späteres Datum fällt, lässt die Bestimmung offen. Weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe wird der Endzeitpunkt des bisherigen Versicherungsverhältnisses bei verspäteter Mitteilung des neuen Versicherers konkretisiert. Auch die ratio legis, welche im Verhindern von Versicherungslücken besteht, gibt keinen zwingenden Beendigungstermin des alten Versicherungsverhältnisses vor. BGE 127 V 38 S. 41 cc) Eine Lücke des Gesetzes liegt vor, wenn sich eine gesetzliche Regelung als unvollständig erweist, weil sie auf eine bestimmte Frage keine (befriedigende) Antwort gibt. Bevor eine ausfüllungsbedürftige Lücke angenommen werden darf, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob das Fehlen einer Anordnung nicht eine bewusst negative Antwort des Gesetzgebers, ein sog. qualifiziertes Schweigen darstellt. Erst nach Verneinung dieser Frage kann von einer Lücke gesprochen werden (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 46 Rz 192 ff.). Herrschende Lehre und bundesgerichtliche Rechtsprechung unterscheiden echte und unechte Lücken (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, a.a.O., S. 46 Rz 195 ff.; BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl., Basel/Frankfurt a.M. S. 93 Nr. 441; ULRICH HÄFELIN, Zur Lückenfüllung im öffentlichen Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Nef, Zürich 1981, S. 91 ff., alle mit Hinweisen). Während bei einer echten Lücke eine sich unvermeidlich stellende Rechtsfrage nicht beantwortet wird und das Gericht diese unter Rückgriff auf die ratio legis zu schliessen hat ( BGE 125 V 11 f. Erw. 3, BGE 124 V 307 Erw. 4c, BGE 119 V 255 Erw. 3b, BGE 118 V 298 Erw. 2e, je mit Hinweisen), liegt bei einer unechten Lücke eine sachlich unbefriedigende Antwort vor, deren Korrektur den rechtsanwendenden Organen grundsätzlich nicht bzw. nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt ist ( BGE 125 V 12 Erw. 3, BGE 124 V 164 f. Erw. 4c und 275 Erw. 2a, BGE 122 V 98 Erw. 5c und 329 Erw. 4 in fine, BGE 121 V 176 Erw. 4d, je mit Hinweisen). dd) Das Fehlen einer Regelung über den Zeitpunkt der Beendigung des bisherigen Versicherungsverhältnisses bei verspäteter Mitteilung des neuen Versicherers gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG ist kein qualifiziertes Schweigen, sondern eine planwidrige Unvollständigkeit. Mangels Beantwortung der sich in Fällen verspäteter Mitteilung unvermeidlich stellenden Frage nach dem Endzeitpunkt des bisherigen Versicherungsverhältnisses liegt eine echte Lücke vor. Diese hat das Gericht nach jener Regel zu schliessen, die es als Gesetzgeber aufstellen würde ( BGE 125 V 14 Erw. 4c, BGE 124 V 307 Erw. 4c in fine, BGE 119 V 255 Erw. 3b). ee) Eine Lückenfüllung im Sinne einer rückwirkenden Aufhebung des bisherigen Versicherungsverhältnisses auf den Zeitpunkt des Kündigungstermins, wie sie das BSV vorschlägt, ist abzulehnen. Die Kasse wendet zu Recht ein, damit würde Art. 7 Abs. 5 Satz 2 KVG , wonach der neue Versicherer bei unterlassener Mitteilung der versicherten Person den daraus entstandenen Schaden - insbesondere BGE 127 V 38 S. 42 die Prämiendifferenz - zu ersetzen hat, untergraben, weil eine Prämiendifferenz gar nicht entstehen könne, wenn die verspätete Meldung des neuen Versicherers bewirke, dass der Versicherungsschutz beim alten Versicherer rückwirkend aufgelöst werde. Ebenso wenig soll eine im Sinne von Art. 7 Abs. 1 oder 2 KVG fristgerecht erfolgte Kündigung bei verspäteter Mitteilung des neuen Versicherers gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG ihre Wirkung erst auf den nächstmöglichen Kündigungstermin (vgl. RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung) entfalten. Denn bei der verspäteten Mitteilung des neuen Versicherers über den ununterbrochenen Versicherungsschutz ist nicht die Gültigkeit der Kündigung an sich betroffen. Art. 7 Abs. 5 KVG sieht zwecks Sicherstellung des ununterbrochenen Versicherungsschutzes lediglich einen Aufschub der Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor. Aus verwaltungsökonomischen Gründen ist die Beendigung des bisherigen Versicherungsverhältnisses auf das Ende des Monats vorzusehen, in dem die verspätete Mitteilung des neuen Versicherers bei der bisherigen Versicherungsgesellschaft eingegangen ist. Diese Lösung steht im Einklang mit der ratio legis und deckt sich mit dem Umstand, dass die Prämieneinheiten in monatlichen Zeitabschnitten berechnet und in der Regel monatlich zu bezahlen sind (gleicher Meinung: GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 36 und Fn 73 sowie Rz 338; vgl. auch MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 38, welcher von einem Weiterdauern des bisherigen Versicherungsverhältnisses spricht, sich zum Endzeitpunkt aber nicht äussert). c) In Anbetracht der Tatsache, dass vorliegend die Mitteilung der CSS Versicherung am 10. Januar 1997 bei der Kasse eingegangen war, endeten die dem Obligatorium unterstehenden Versicherungsverhältnisse bei der Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten am 31. Januar 1997.
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Sachverhalt ab Seite 183 BGE 131 III 182 S. 183 A. Mit Urteil vom 30. Mai 2003 schied das Bezirksgericht Prizren, Kosovo, die Ehe zwischen A.X. und B.X. Am 7. Oktober 2003 verfügte das Departement des Innern des Kantons Aargau, Sektion Bürgerrecht und Personenstand, die Anerkennung und Eintragung der ausländischen Scheidung in die Zivilstandsregister des Wohnortes von A.X. B. Am 8. März 2004 reichte B.X. beim Obergericht des Kantons Aargau Beschwerde ein und beantragte, die Verfügung vom 7. Oktober 2003 betreffend Anerkennung und Eintragung sei aufzuheben. Das Obergericht hiess die Beschwerde mit Urteil vom 1. Juni 2004 teilweise gut und hob die angefochtene Verfügung auf. C. A.X. gelangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, soweit darin die Anerkennung und Eintragung des ausländischen Scheidungsurteils in die Zivilstandsregister verweigert worden ist. Weiter verlangt er, es sei festzustellen, dass die Ehe zwischen ihm und B.X. rechtskräftig geschieden sei. Zudem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege einschliesslich Verbeiständung. B.X. schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Ferner stellt sie ebenfalls ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut, soweit es darauf eintritt. BGE 131 III 182 S. 184
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine fehlerhafte Feststellung des Sachverhaltes im Sinne von Art. 104 lit. b OG . Dabei ist zu beachten, dass es sich beim Obergericht, welches das angefochtene Urteil gefällt hat, um eine richterliche Behörde handelt. Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist in einem solchen Fall die Feststellung des Sachverhaltes für das Bundesgericht verbindlich, wenn die Vorinstanz diesen nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat. Der Beschwerdeführer macht mit dieser Rüge in erster Linie geltend, das Obergericht habe die von der Beschwerdegegnerin unterzeichnete Anwaltsvollmacht zu Unrecht nicht als Erklärung ihres Scheidungswillens an das zuständige Gericht gewertet. Dabei handelt es sich indes nicht um eine Sachverhaltsfeststellung, sondern um eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht im vorliegenden Beschwerdeverfahren frei prüfen kann ( BGE 123 II 49 E. 6a S. 54 f.). 3.1 Gemäss einer in albanischer Sprache verfassten Vollmacht vom 6. Mai 2003 hat die Beschwerdegegnerin einen Rechtsanwalt im Kosovo beauftragt, sie im Scheidungsverfahren zwischen ihr und dem Beschwerdeführer zu vertreten. Konkret wird der Anwalt "zur Vertretung vor dem Bezirksgericht in Prizren betreffend die einvernehmliche Auflösung der ehelichen Gemeinschaft" bevollmächtigt. Die Anwaltsvollmacht ist mit einer von einem schweizerischen Notar beglaubigten Unterschrift der Beschwerdegegnerin versehen. Aus der Wendung "einvernehmliche Auflösung" der ehelichen Gemeinschaft lässt sich das Einverständnis der Beschwerdegegnerin zur Scheidung ableiten. Bereits das Obergericht hat festgestellt, die Beschwerdegegnerin habe mit der Vollmacht den Anwalt mit der einvernehmlichen Auflösung der ehelichen Gemeinschaft beauftragt. Es ist folglich davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin in der Anwaltsvollmacht ihre Zustimmung zur Ehescheidung erteilt hat. Dem entspricht im Übrigen das Scheidungsurteil des Bezirksgerichts Prizren vom 30. Mai 2003, welches beide Parteien als "Antragsteller" bezeichnet und von einer "gemeinsamen Ehescheidungsvereinbarung" spricht. 3.2 Damit ist weiter darüber zu befinden, ob die in der Vollmacht erklärte Zustimmung zur Ehescheidung als Erklärung an das Gericht BGE 131 III 182 S. 185 angesehen werden kann. Dies hat das Obergericht verneint und aus diesem Grund die Anerkennung des Scheidungsurteils verweigert. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, die Anwaltsvollmacht sei dafür vorgesehen, dem zuständigen Gericht eingereicht zu werden und daher geeignet, den Scheidungswillen der Beschwerdegegnerin gegenüber dem Scheidungsgericht zu manifestieren. Es ist tatsächlich nicht ersichtlich, welchem anderen Zweck als der Geltendmachung vor dem zuständigen Gericht der in der Vollmacht geäusserte Scheidungswille dienen könnte. So wird der Anwalt ausdrücklich mit der Vertretung vor Gericht beauftragt. Dass der Inhalt der Erklärung (auch) für das Gericht bestimmt ist, wird zudem dadurch bestätigt, als darin ausdrücklich festgehalten wird, dass es dem Bevollmächtigten "obliegt mitzuteilen", dass aus der Ehe keine Kinder hervorgegangen seien und beide Ehegatten in einem Arbeitsverhältnis stehen würden. Die in der Vollmacht enthaltene Erklärung des Scheidungswillens ist folglich als Erklärung an das Gericht zu verstehen. 4. Strittig ist weiter, ob die Anerkennung des Scheidungsurteils zu verweigern ist, weil die Beschwerdegegnerin ihren Scheidungswillen nicht persönlich vor dem Richter geäussert hat. Es stellt sich somit die Frage, ob die in Art. 111 Abs. 1 ZGB vorgesehene persönliche Anhörung der Ehegatten durch den Richter bei einer einvernehmlichen Scheidung zum schweizerischen Ordre public gehört. 4.1 Gemäss Art. 27 Abs. 1 IPRG kann eine ausländische Entscheidung in der Schweiz nicht anerkannt werden, wenn die Anerkennung mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar wäre. Eine Anerkennung verstösst dann gegen den materiellen Ordre public, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Entscheids in unerträglicher Weise verletzt würde, weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung missachtet werden. Die Anwendung des Ordre public-Vorbehaltes ist im Bereich der Anerkennung ausländischer Entscheide nach dem Wortlaut des Gesetzes restriktiver als im Bereich der Anwendung des fremden Rechts gemäss Art. 17 IPRG ( BGE 116 II 625 E. 4a S. 629; BGE 122 III 344 E. 4a S. 348; BGE 126 III 327 E. 2b S. 330). BGE 131 III 182 S. 186 4.2 Die Beschwerdegegnerin leitet aus dem nicht publizierten Urteil des Bundesgerichts 5C.297/2001 vom 4. März 2002 (publ. in: Pra 91/2002 Nr. 87 S. 499) ab, die persönliche Teilnahme der Ehegatten am Scheidungsverfahren bzw. deren persönliche Anhörung gehöre zum schweizerischen Ordre public. In diesem Urteil hat das Bundesgericht vorab ausgeführt, eine einvernehmliche Scheidung verstosse gegen den Ordre public, wenn eine Partei vor dem Gericht nicht selber erkläre, sie willige in die Scheidung ein. Nach einem Hinweis auf das schweizerische Recht, das die persönliche Anhörung der Parteien im Scheidungsverfahren ( Art. 111 Abs. 1 ZGB ) sowie die schriftliche Bestätigung des Scheidungswillens nach einer Bedenkzeit ( Art. 111 Abs. 2 ZGB ) vorsieht, hat das Bundesgericht weiter festgehalten, es gehöre zu den Grundvoraussetzungen des schweizerischen Scheidungsrechts und entspreche daher gleichsam dem schweizerischen Ordre public, dass sich der Richter vom Scheidungswillen der Parteien hinreichend sicher überzeuge. Daher müsse auch in einem im Ausland durchgeführten Scheidungsverfahren der entsprechende Wille nachgewiesen sein, bevor der Richter die Scheidung einvernehmlich ausspreche. Das Bundesgericht hat in diesem Fall das ausländische Urteil für Ordre publicwidrig gehalten, da überhaupt keine Erklärung der Ehefrau vorlag, mit der sie in die Scheidung einwilligte, und diese ohne ihr Wissen erfolgte. Die Anerkennung einer einvernehmlichen Scheidung setzt nicht voraus, dass das ausländische Gericht entsprechend den Regeln von Art. 111 ZGB vorgegangen ist. Dagegen gehört das Erfordernis, dass eine Partei selber erklärt, sie willige in die Scheidung ein, und sich das Gericht vom Scheidungswillen der Parteien hinreichend überzeugt, zu den grundlegenden Prinzipien der schweizerischen Rechtsordnung. Die Gewissheit über den Scheidungswillen wird durch persönliche Anhörung der Parteien und schriftlicher Bestätigung des Scheidungswillens nach einer Bedenkzeit - wie in Art. 111 ZGB vorgesehen - optimal gewährleistet. Dies bedeutet indes nicht, dass der Scheidungswille nicht auch auf andere Weise nachgewiesen werden kann. Das Scheidungsgericht kann sich auch auf Grund einer schriftlichen Erklärung der Parteien hinreichend sicher von deren Einverständnis mit der Scheidung überzeugen. Dem entspricht BGE 122 III 344 , in welchem das Bundesgericht festgehalten hat, ein Verstoss gegen Art. 27 Abs. 1 IPRG liege vor, wenn nur Repräsentanten der Familie zusammengetroffen seien und BGE 131 III 182 S. 187 die Ehe bloss ihrerseits einverständlich aufgelöst haben, ohne dass beide Ehegatten anwesend oder damit zumindest einverstanden gewesen seien (E. 4b S. 439). Es ist folglich nicht ausgeschlossen, dass eine Scheidung auch anerkannt werden kann, wenn die Ehegatten nicht persönlich beim Verfahren anwesend gewesen sind. Im Übrigen wird in der Literatur zu Art. 111 ZGB teilweise die Ansicht vertreten, dass unter gewissen Umständen auf eine persönliche Anhörung verzichtet werden kann (ROLAND FANKHAUSER, in: Ingeborg Schwenzer [Hrsg.], Praxiskommentar Scheidungsrecht, N. 14 zu Art. 111 ZGB ; GLOOR, Basler Kommentar, N. 8 zu Art. 111 ZGB ; RUTH REUSSER, Die Scheidungsgründe und die Ehetrennung, in: Heinz Hausheer [Hrsg.], Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, N. 1.35). 4.3 Im vorliegenden Fall ergibt sich die Zustimmung zur Scheidung aus der erwähnten Anwaltsvollmacht. Das Abstellen auf eine blosse Anwaltsvollmacht kann zwar heikel sein, insbesondere wenn nicht bekannt ist, unter welchem Umständen sie unterzeichnet worden ist. Hier ist nun aber die vor einem schweizerischen Notar unterzeichnete Vollmacht so konkret abgefasst (vgl. E. 3.1 vorangehend), dass am Einverständnis der Beschwerdegegnerin zur einvernehmlichen Scheidung keine Zweifel bestehen. Die Bedenken, welche die Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang vorbringt (Widerruf der Vollmacht, ohne dass das Gericht davon Kenntnis erhält), sind rein theoretischer Natur, da sie nicht behauptet, sie habe die Vollmacht tatsächlich widerrufen. Im Verfahren vor Obergericht hat sie noch behauptet, keinen Anwalt mit der Scheidung beauftragt zu haben. Dies macht sie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor Bundesgericht nicht mehr geltend und bestreitet insbesondere nicht mehr, die Vollmacht unterschrieben zu haben. Hingegen erklärt sie in einem nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist eingereichten Schreiben betreffend ihre Bedürftigkeit, sie sei - der deutschen Sprache nicht mächtig - getäuscht worden und habe geglaubt, eine Lebensversicherung zu unterschreiben. Abgesehen davon, dass diese Erklärung verspätet ist, erweist sie sich als offensichtlich aktenwidrig, ist doch die Anwaltsvollmacht in albanischer Sprache verfasst. Zudem ergibt sich aus den Akten, dass die Beschwerdegegnerin am 20. Dezember 2003 anlässlich einer Einvernahme gegenüber der Kantonspolizei Aargau zum Stichwort Heirat vorbehaltlos erklärt hat, sie sei seit dem 30. Mai 2003 (dies entspricht dem Datum des Scheidungsurteils des BGE 131 III 182 S. 188 Bezirksgerichts Prizren) geschieden und zum Stichwort Eheleben, "schlecht, aus diesem Grund haben wir geschieden". Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, entgegen dem Anschein der von ihr unterzeichneten Vollmacht ohne ihre Einwilligung geschieden worden zu sein, erweist sich folglich als aktenwidrig. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auf Grund der Akten das Einverständnis der Beschwerdegegnerin mit der Scheidung klar dokumentiert ist und das Scheidungsgericht sich von ihrem Scheidungswillen durch die Vollmacht hinreichend sicher überzeugen konnte. Die Einwendungen der Beschwerdegegnerin erweisen sich als aktenwidrig und unglaubwürdig. 4.4 Dementsprechend verstösst die Anerkennung des Urteils des Bezirksgerichts Prizren vom 30. Mai 2003 nicht gegen den schweizerischen Ordre public und die Scheidung der Parteien kann in die Zivilstandsregister eingetragen werden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist insoweit gutzuheissen. Mit der Aufhebung des obergerichtlichen Urteils tritt die Verfügung des Departement des Innern des Kantons Aargau vom 7. Oktober 2003 wieder in Kraft.
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Sachverhalt ab Seite 178 BGE 145 III 178 S. 178 Mit Gesuch vom 25. März 2013 ersuchte Apple Inc. (Gesuchstellerin, Beschwerdeführerin) mit Sitz in Cupertino, Vereinigte Staaten, das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE, Beschwerdegegner) BGE 145 III 178 S. 179 um Zulassung ihres Zeichens APPLE zum Markenschutz für Dienstleistungen in Klasse 37 sowie für folgende Waren in den Klassen 14 und 28 (Markeneintragungsgesuch CH Nr. 51046/2014): 14: Schmuckwaren; Uhren; Armbanduhren; Waren aus Edelmetallen oder damit plattiert; Manschettenknöpfe; Schlüsselringe; Stoppuhren; Anstecknadeln (Schmuckwaren) aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierschmuck aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattennadeln aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattenhalter aus Edelmetall oder damit plattiert; Abzeichen aus Edelmetall oder damit plattiert; Armbänder aus Edelmetall oder damit plattiert; Halsketten aus Edelmetall oder damit plattiert; Medaillen aus Edelmetall oder damit plattiert; kurze Schlüsselanhänger und Verzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierknöpfe aus Edelmetall oder damit plattiert; Schmuckklammern aus Edelmetall oder damit plattiert; Kästen aus Edelmetall oder damit plattiert; Schmuckverzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Strass (Edelsteinimitation); Skulpturen aus Edelmetall oder damit plattierte Waren. 28: Spielzeug, Spiele und Spielwaren; elektronisches Spielzeug, Spiele und Spielwaren; Musikspielzeug, -spiele und -spielwaren; Handkonsolen zum Spielen elektronischer Spiele; handbetätigte Computerspiele und Spielgeräte ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; freistehende Videospielautomaten mit Display; elektronische Computerspiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; Geräte für elektronische Spiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; Videospiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; Unterhaltungsspielautomaten; Unterhaltungsspielautomaten mit Display; Spielzeugcomputer (nicht betriebsfähig); Spielzeugmobiltelefone (nicht betriebsfähig); elektronische Taschengeräte als Spielzeug; Spielzeugtongeräte; Spielzeugspieldosen; Spielzeugmusikinstrumente; Spielzeug-Recorder zum Abspielen von Melodien und Kassetten; batteriebetriebenes Spielzeug; Spielgeräte mit Videoausgang zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; freistehende Spielautomaten mit Videoausgang; interaktives Computerspielzeug und Spiele; Spielkarten; Teile und Zubehör für die vorgenannten Waren. Das IGE beanstandete das Gesuch. Es stellte sich auf den Standpunkt, das Zeichen gehöre für einen Teil der in den Klassen 14 und 28 beanspruchten Waren zum Gemeingut, da es von den Verkehrskreisen - aus dem Englischen mit "Apfel" übersetzt - als beschreibender Hinweis auf die Ausstattung und/oder den thematischen Inhalt der Waren, nicht aber als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst werde; ein absolutes Freihaltebedürfnis liege indessen nicht vor. Die Gesuchstellerin bestritt den Gemeingutcharakter ihres Zeichens insbesondere mit der Begründung, es werde infolge Berühmtheit der BGE 145 III 178 S. 180 Marke APPLE nicht als beschreibende Angabe verstanden; die Verkehrskreise assoziierten das Zeichen mit der Markeninhaberin, nicht mit der Frucht. Mit Verfügung vom 13. September 2016 liess das IGE das Zeichen für die in Klasse 37 beanspruchten Dienstleistungen sowie einen Teil der Waren in Klassen 14 und 28 zur Eintragung im Markenregister zu, wies es jedoch für folgende Waren zurück: 14: Schmuckwaren; Uhren; Armbanduhren; Waren aus Edelmetallen oder damit plattiert; Manschettenknöpfe; Schlüsselringe; Anstecknadeln (Schmuckwaren) aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierschmuck aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattennadeln aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattenhalter aus Edelmetall oder damit plattiert; Abzeichen aus Edelmetall oder damit plattiert; Armbänder aus Edelmetall oder damit plattiert; Halsketten aus Edelmetall oder damit plattiert; Medaillen aus Edelmetall oder damit plattiert; kurze Schlüsselanhänger und Verzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierknöpfe aus Edelmetall oder damit plattiert; Schmuckklammern aus Edelmetall oder damit plattiert; Kästen aus Edelmetall oder damit plattiert; Schmuckverzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Skulpturen aus Edelmetall oder damit plattierte Waren. 28: Spielzeug, Spiele und Spielwaren; elektronisches Spielzeug, Spiele und Spielwaren; Musikspielzeug, -spiele und -spielwaren; handbetätigte Computerspiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; elektronische Computerspiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; Videospiele ausgenommen solche zur Verwendung mit einem externen Bildschirm oder Monitor; Spielzeugtongeräte; Spielzeugspieldosen; batteriebetriebenes Spielzeug; interaktives Computerspielzeug und Spiele; Spielkarten; Teile und Zubehör für die vorgenannten Waren. Zur Begründung führte das IGE aus, das Zeichen, das von den Verkehrskreisen mit "Apfel" übersetzt werde, beschreibe den thematischen Inhalt und die Ausstattung der strittigen Waren. Es werde nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden. Im Zusammenhang mit Schmuck, Uhren und Spielzeug sei der Apfel als Form, Motiv und dreidimensionale Ausstattung nicht unerwartet. Weiter sei der Apfel ein mögliches Thema der beanspruchten Spielwaren, wobei es auf die Üblichkeit des thematischen Inhalts nicht ankomme. Die behauptete Berühmtheit der Marke APPLE sei im Markeneintragungsverfahren unbeachtlich, mit Blick auf die Rechtssicherheit sei auch eine Verkehrsdurchsetzung des Zeichens für die strittigen Waren gestützt auf Institutsnotorietät zu verneinen. Die Gesuchstellerin erhob am 13. Oktober 2016 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Verfügung des IGE vom BGE 145 III 178 S. 181 13. September 2016 und beantragte, es sei die angefochtene Verfügung betreffend die Zurückweisung des Markeneintragungsgesuchs CH Nr. 51046/2014 aufzuheben und das IGE sei anzuweisen, das hinterlegte Zeichen für sämtliche beanspruchten Waren in den Klassen 14 und 28 ins schweizerische Markenregister einzutragen.
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Mit Urteil vom 24. Juli 2018 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde teilweise gut und änderte die angefochtene Verfügung vom 13. September 2016 insofern ab, als es das IGE anwies, das Markeneintragungsgesuch Nr. 51046/2014 APPLE für folgende Waren und Dienstleistungen zuzulassen (Dispositiv-Ziffer 1): 14: Uhren; Armbanduhren; Manschettenknöpfe; Schlüsselringe; Anstecknadeln (Schmuckwaren) aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierschmuck aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattennadeln aus Edelmetall oder damit plattiert; Krawattenhalter aus Edelmetall oder damit plattiert; Abzeichen aus Edelmetall oder damit plattiert; Medaillen aus Edelmetall oder damit plattiert; kurze Schlüsselanhänger und Verzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Zierknöpfe aus Edelmetall oder damit plattiert; Kästen aus Edelmetall oder damit plattiert; Schmuckverzierungen aus Edelmetall oder damit plattiert; Skulpturen aus Edelmetall oder damit plattierte Waren. Soweit weitergehend wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab (Dispositiv-Ziffer 2). Das Bundesverwaltungsgericht erwog hinsichtlich des strittigen Sinngehalts des Zeichens APPLE, ein Zeichen sei originär unterscheidungskräftig, wenn es aufgrund einer minimalen ursprünglichen Unterscheidungskraft geeignet sei, die gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu individualisieren. Bei der Prüfung der originären Unterscheidungskraft sei das Zeichen abstrakt zu betrachten, wie es vom Hinterleger angemeldet worden sei, wobei die Auswirkungen des bereits erfolgten oder künftigen Zeichengebrauchs auf die Wahrnehmung durch die Verkehrskreise ausser Betracht blieben. Eine allfällige Bekanntheit der Marke sei nach der Rechtsprechung unbeachtlich. Werde einem Zeichen die originäre Unterscheidungskraft abgesprochen, stelle sich erst die Frage, ob es infolge Verkehrsdurchsetzung durch langdauernden oder intensiven Gebrauch derivativ Kennzeichnungskraft erlangt habe und als durchgesetzte Marke geschützt werden könne. Die Gesuchstellerin mache keine Verkehrsdurchsetzung ihrer Marke geltend und könne sich nach dem Gesagten nicht auf die Berühmtheit der Marke APPLE bzw. auf ein durch den bisherigen Markengebrauch beeinflusstes Verständnis der BGE 145 III 178 S. 182 Verkehrskreise berufen. Zu Recht habe das IGE das zum englischen Grundwortschatz gehörende Zeichen APPLE in dessen lexikalischer Bedeutung geprüft und mit "Apfel" übersetzt. Nach ständiger Praxis zählten Hinweise auf eine für die betreffenden Waren allgemein übliche Ausstattung zum Gemeingut. Unterscheidungskraft komme einem Zeichen nicht erst bei einer besonderen Originalität der beschriebenen Form zu und werde einem Zeichen - entgegen der Ansicht des IGE - nicht bereits dann abgesprochen, wenn die Form für die beanspruchten Waren nicht unerwartet sei. Für die in Klasse 14 beanstandeten Waren Uhren, Armbanduhren, Manschettenknöpfe, Schlüsselringe, Zierschmuck, Anstecknadeln, Abzeichen, Medaillen, Krawattennadeln, Krawattenhalter, Schlüsselanhänger und Verzierungen, Zierknöpfe, Kästen, Schmuckverzierungen und Skulpturen sei die Apfelform bzw. das Apfelmotiv nicht allgemein üblich, weshalb das Zeichen APPLE nicht als Ausstattungshinweis verstanden werde, sondern über Unterscheidungskraft verfüge und als Marke einzutragen sei. Demgegenüber sei der Apfel im Schmuckbereich als Form und Motiv verbreitet und üblich, weshalb APPLE im Zusammenhang mit den beanspruchten Schmuckwaren, Halsketten und Armbändern von den massgebenden Verkehrskreisen ohne besonderen Gedankenaufwand als beschreibender Hinweis auf die Ausstattung verstanden werde und zudem - auch für Schmuckklammern - als Ausstattungshinweis freizuhalten sei. Der Markenschutz sei auch mit Bezug auf Waren aus Edelmetallen zu verweigern, da das angemeldete Zeichen zumindest für einen Teil der unter den beanspruchten Oberbegriff fallenden Produkte beschreibend sei. Für Spielzeug, Spiele und Spielwaren, elektronisches Spielzeug und Spielwaren, Musikspielzeug und -spielwaren, Spielzeugtongeräte, Spielzeugspieldosen, batteriebetriebenes Spielzeug und Spielkarten in Klasse 28 sei der Apfel sowohl als Form als auch als Motiv geläufig und üblich, weshalb das Zeichen APPLE als Ausstattungshinweis verstanden werde, womit er über keine Unterscheidungskraft verfüge und zudem freihaltebedürftig sei. In Spielen, die oft in einer märchenhaften Umgebung stattfänden und einprägsame Spielfiguren verwendeten, sei der Apfel nicht nur als Motiv verbreitet, sondern werde auch thematisch aufgenommen und entsprechend als Überschrift verwendet. Das gelte nicht nur für Spiele und Spielkarten , sondern auch für elektronische Spiele, handbetätigte und elektronische BGE 145 III 178 S. 183 Computerspiele, Videospiele, interaktive Spiele und interaktives Computerspielzeug . Das hinterlegte Zeichen bilde in Bezug auf diese Waren eine sofort erkennbare Inhaltsangabe und gehöre folglich zum Gemeingut. Zudem sei es als Hinweis auf das Motiv bzw. als Inhaltsangabe freihaltebedürftig. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Gesuchstellerin dem Bundesgericht insbesondere, es sei Dispositiv-Ziffer 2 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2018 aufzuheben und es sei das IGE anzuweisen, das hinterlegte Zeichen APPLE für sämtliche beanspruchten Waren in den Klassen 14 und 28 ins schweizerische Markenregister einzutragen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt Dispositiv-Ziffer 2 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2018 auf und weist das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum an, das hinterlegte Zeichen APPLE (Markeneintragungsgesuch CH Nr. 51046/2014) für sämtliche beanspruchten Waren in den Klassen 14 und 28 ins schweizerische Markenregister einzutragen. (Zusammenfassung) Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 2 lit. a MSchG (SR 232.11) verletzt, indem sie ihrer Beurteilung ein unzutreffendes Zeichenverständnis zugrunde gelegt habe. 2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz halte im angefochtenen Entscheid fest, dass im Rahmen der Prüfung der originären Unterscheidungskraft eine rein abstrakte Betrachtung des hinterlegten Zeichens erfolgen müsse und eine allfällige Bekanntheit der Marke unbeachtlich sei. Die Vorinstanz schliesse sich in ihrem Urteil entsprechend der Auffassung des IGE an, wonach im Rahmen des Eintragungsverfahrens ein behaupteter Bedeutungswandel nicht berücksichtigt werden könne. Diese Beurteilung sei unter den gegebenen besonderen Umständen aus verschiedenen Gründen rechtsfehlerhaft: Zwar sei unbestritten, dass die markenrechtliche Berühmtheit oder Bekanntheit im Eintragungsverfahren in der Regel keine direkte Berücksichtigung finden könne. Wenn jedoch ein Begriff im täglichen Sprachgebrauch nicht mehr als lexikalische Sachbezeichnung verstanden werde, sondern - wie dies vorliegend aufgrund der besonderen Umstände der Fall sei - primär als Hinweis auf eine bestimmte Unternehmung, dann müsse dieses tatsächliche Verständnis BGE 145 III 178 S. 184 auch im Eintragungsverfahren beachtet werden. Dies unabhängig davon, aus welchen Gründen sich das besagte Verständnis entwickelt habe, und insbesondere auch dann, wenn dieser Bedeutungswandel mit der markenrechtlichen Bekanntheit bis zu einem gewissen Grad korreliere. Anders zu entscheiden hiesse, die Bedeutung des Verkehrsverständnisses, welches gerade bei der Beurteilung von fremdsprachigen Begriffen im Allgemeinen und deren Sinngehalt im Speziellen die entscheidende Rolle spiele, schlicht zu negieren. Die Tatsache, dass es sich beim Zeichen APPLE um einen fremdsprachigen Begriff handle, welchem in keiner der Landessprachen eine lexikalische Bedeutung zukomme, sei für die Beurteilung des konkreten Falls zentral. Die vorliegend entscheidende Frage sei nämlich, ob bei den relevanten Verkehrskreisen in jedem Fall ein automatischer, mechanischer Übersetzungsvorgang stattfinde, oder ob der englischsprachige Begriff APPLE in seiner konkreten Erscheinung im allgemeinen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren nicht einfach (ohne weiteren Denkvorgang) als Hinweis auf eine Unternehmung (nämlich die Beschwerdeführerin) gelesen und verstanden werde. Im vorinstanzlichen Verfahren sei schlüssig aufgezeigt worden, dass APPLE in allen Landessprachen als unmittelbarer Hinweis auf die Beschwerdeführerin verstanden werde und ein Übersetzungsvorgang von APPLE zu "Apfel" unabhängig von der gewählten Landessprache unterbleibe. Anders zu entscheiden hiesse, es für wahrscheinlicher zu halten, dass etwa Adressaten von elektronischen Spielen APPLE als Hinweis auf die spielerische Veranschaulichung des Apfelanbaus auffassten denn als Hinweis auf die Beschwerdeführerin. Die Vorinstanz habe den erfolgten Bedeutungswechsel in Verletzung des Markenrechts unbeachtet gelassen. Wenn die Markenprüfung nicht vom Sinngehalt "Apfel", sondern vom tatsächlichen Sinngehalt "Hinweis auf die Beschwerdeführerin" ausgehe, sei die Unterscheidungskraft von APPLE für die noch strittigen Waren ohne Weiteres zu bejahen. Eine andere Bedeutung stünde selbstredend im Vordergrund, wenn die relevanten Verkehrskreise mit den Begriffen "Apfel", "pomme" oder "mela" konfrontiert würden; diese dürften bei den relevanten Verkehrskreisen eher als Hinweis auf die entsprechende Frucht verstanden werden. Die Vorinstanz habe somit Art. 2 lit. a MSchG verletzt, indem sie das tatsächliche Verständnis und den effektiven Sprachgebrauch des BGE 145 III 178 S. 185 Zeichens APPLE bei der Beurteilung der Eintragungsfähigkeit ausser Acht gelassen und die strittigen Waren im Ergebnis vom Markenschutz ausgeschlossen habe. 2.2 Der Beschwerdegegner weist das Argument zurück, das Zeichen APPLE dürfe in Zusammenhang mit den strittigen Waren nicht in der Bedeutung "Apfel" geprüft werden. Ob APPLE in Zusammenhang mit anderen Waren (für die das Zeichen originär unterscheidungskräftig sei) eine berühmte Marke darstelle, sei im vorliegenden Verfahren (wo Waren in Frage stünden, für die das Zeichen beschreibend sei) unerheblich. Ein absoluter, von der Frage der Schutzfähigkeit unabhängiger Anspruch auf Eintragung einer berühmten Marke bestehe nicht. Auf die Bekanntheit des Zeichens APPLE als Unternehmensname könne sich die Beschwerdeführerin im vorliegenden markenrechtlichen Kontext erst recht nicht berufen. Jedenfalls sei entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin das Spezialitätsprinzip schon bei der Ermittlung des Sinngehalts eines Zeichens zu berücksichtigen; dieser sei nicht abstrakt, sondern in Zusammenhang mit den konkret betroffenen Waren/Dienstleistungen zu prüfen. 2.3 2.3.1 Nach Art. 2 lit. a MSchG sind Zeichen vom Markenschutz ausgeschlossen, die Gemeingut sind, es sei denn, dass sie sich als Marke für die Waren oder Dienstleistungen durchgesetzt haben, für die sie beansprucht werden. Die Gründe für den Schutzausschluss von Zeichen, die dem Gemeingut angehören, liegen entweder im Freihaltebedürfnis oder in der fehlenden Unterscheidungskraft, wobei sich Überschneidungen ergeben können ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 132; BGE 139 III 176 E. 2 S. 178; BGE 131 III 121 E. 4.1 S. 126; je mit Hinweisen). Freihaltebedürftig sind Zeichen, auf deren Verwendung der Wirtschaftsverkehr angewiesen ist. Die Unterscheidungskraft geht Zeichen ab, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder ihres sachlichen resp. beschreibenden Gehalts die markenspezifische Unterscheidungsfunktion nicht erfüllen können ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 132; BGE 139 III 176 E. 2 S. 178 mit Hinweis). Nicht schutzfähig sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere Zeichen, die sich in Angaben über die Art, die Beschaffenheit, die Menge, die Bestimmung, den Wert oder sonstige Merkmale der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen erschöpfen und daher die zu deren Identifikation erforderliche Unterscheidungskraft nicht aufweisen. BGE 145 III 178 S. 186 Der beschreibende Charakter solcher Hinweise muss vom angesprochenen Publikum ohne besondere Denkarbeit und ohne Fantasieaufwand unmittelbar erkennbar sein. Dabei genügt, dass dies in einem Sprachgebiet der Schweiz zutrifft ( BGE 135 III 359 E. 2.5.5; BGE 131 III 495 E. 5 S. 503; BGE 129 III 225 E. 5.1 S. 228; BGE 128 III 447 E. 1.5 S. 451). Englischsprachige Ausdrücke können berücksichtigt werden, sofern sie von einem nicht unbedeutenden Teil der massgebenden Verkehrskreise verstanden werden ( BGE 129 III 225 E. 5.1 S. 228; Urteile 4A_38/2014 vom 27. Juni 2014 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 140 III 297 ff.; 4A_528/2013 vom 21. März 2014 E. 5.1, nicht publ. in: BGE 140 III 109 ff.). Ob ein Zeichen als Marke in Frage kommt, beurteilt sich nach dem Gesamteindruck, den es bei den massgebenden Adressaten in der Erinnerung hinterlässt ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 132; BGE 134 III 547 E. 2.3.1 S. 551; BGE 133 III 342 E. 4 S. 346). Ob die massgebenden Adressaten ein Zeichen für die beanspruchten Produkte als Hinweis auf ein Unternehmen wahrnehmen, ist dabei vor dem Hintergrund der gesamten Umstände zu beurteilen ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 132; BGE 137 III 403 E. 3.3.2 S. 409; BGE 134 III 547 E. 2.3 S. 551). Als originär unterscheidungskräftig ist ein Zeichen schützbar, wenn es aufgrund einer minimalen ursprünglichen Unterscheidungskraft geeignet ist, die mit ihr gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu individualisieren, und es dem Verbraucher dadurch ermöglicht, diese im allgemeinen Angebot gleichartiger Waren und Dienstleistungen wiederzuerkennen ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2; BGE 140 III 109 E. 5.3.2 S. 112; BGE 137 III 403 E. 3.3.2; je mit Hinweisen). Bei der Prüfung, ob diese Schutzvoraussetzung erfüllt ist, ist das Zeichen so zu betrachten, wie es vom Hinterleger angemeldet worden ist. Die Auswirkungen des bereits erfolgten oder künftigen Zeichengebrauchs auf die Wahrnehmung durch die massgeblichen Verkehrskreise müssen ausser Betracht bleiben. Das Zeichen muss aus sich selbst heraus und unabhängig von seinem Gebrauch geeignet sein, die Waren und Dienstleistungen des Markeninhabers von denjenigen anderer Anbieter zu unterscheiden ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 133; BGE 140 III 109 E. 5.3.2 S. 112 mit Hinweisen). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich als Rechtsfrage frei, wie der massgebende Adressatenkreis für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen abzugrenzen ist und - bei Gütern des allgemeinen Bedarfs - wie die Adressaten aufgrund der erwarteten BGE 145 III 178 S. 187 Aufmerksamkeit das Zeichen wahrnehmen ( BGE 143 III 127 E. 3.3.2 S. 133; BGE 139 III 176 E. 2 S. 179; BGE 137 III 403 E. 3.3.2 S. 409). 2.3.2 Die Vorinstanz hat grundsätzlich zutreffend ausgeführt, dass bei der Prüfung der originären Unterscheidungskraft das Zeichen so zu betrachten ist, wie es vom Hinterleger angemeldet worden ist, und die Auswirkungen des bereits erfolgten oder künftigen Zeichengebrauchs auf die Wahrnehmung durch die massgeblichen Verkehrskreise ausser Betracht bleiben müssen. Die Beschwerdeführerin beruft sich jedoch nicht darauf, das Zeichen für die beanspruchten Produkte bereits benutzt zu haben, macht also keine Verkehrsdurchsetzung des Zeichens aufgrund eines erfolgten Zeichengebrauchs für die betreffenden Waren geltend. Ebenso wenig macht sie geltend, die markenrechtliche Bekanntheit oder Berühmtheit (vgl. Art. 15 MSchG ) müsse im Eintragungsverfahren unmittelbar berücksichtigt werden. Vielmehr beruft sie sich auf eine Wandlung des Sinngehalts von APPLE im allgemeinen Sprachgebrauch in der Schweiz, die auch bei abstrakter Betrachtung des vorgelegten Zeichens, also unabhängig von Begleitumständen jeglicher Art (vgl. EUGEN MARBACH, Markenrecht, in: Kennzeichenrecht, SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, Rz. 204 ff.), zu berücksichtigen sei. Ob ein Wort für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen beschreibend ist und zum Gemeingut gehört, beurteilt sich danach, ob das Zeichen einen erkennbaren Wortsinn ergibt. Hat ein Wort abstrakt betrachtet mehrere Bedeutungen, so ist für die Beurteilung der Unterscheidungskraft des Zeichens von derjenigen Bedeutung auszugehen, die aus Sicht der massgebenden Verkehrskreise im Zusammenhang mit den beanspruchten Produkten im Vordergrund steht ( BGE 135 III 416 E. 2.3 S. 419; BGE 117 II 327 E. 1b; vgl. auch STÄDELI/BRAUCHBAR BIRKHÄUSER, in: Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, 3. Aufl. 2017, N. 123 zu Art. 2 MSchG ; DAVID ASCHMANN, in: Markenschutzgesetz [MSchG], Michael Noth und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 154 zu Art. 2 lit. a MSchG ; MARBACH, a.a.O., Rz. 306). Insofern trifft zu und ist hier unbestritten, dass das Spezialitätsprinzip bereits bei der Ermittlung des Sinngehalts zu berücksichtigen ist, indem dieser mit Bezug auf die konkret betroffenen Produkte zu prüfen ist (vgl. etwa BGE 128 III 447 E. 1.6; Urteil 4A_492/2007 vom 14. Februar 2008 E. 3.4). Der Sinngehalt von Wörtern ist dem Sprachwandel unterworfen (vgl. zur Berücksichtigung der Verschiebung eines Sinngehalts etwa BGE 145 III 178 S. 188 BGE 80 II 171 E. 2 S. 175; Urteil 4A_492/2007, a.a.O., E. 3.4). Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass bei der Beurteilung der originären Unterscheidungskraft im Eintragungsverfahren vom aktuellen tatsächlichen Verständnis der massgebenden Verkehrskreise auszugehen ist. Dieses wird in den allermeisten Fällen mit der lexikalischen Bedeutung übereinstimmen. Wird ein Wort jedoch von den massgebenden Verkehrskreisen im aktuellen Sprachgebrauch nicht mehr im lexikalischen Sinn verstanden, sondern primär als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen, so kann dies im Eintragungsverfahren nicht unbeachtet bleiben. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sowie des Beschwerdegegners kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Wort des allgemeinen Sprachschatzes in ausserordentlichen Ausnahmefällen derart mit einer Unternehmung in Verbindung gebracht wird, dass diese den Sinngehalt des Wortes (mit)bestimmt. 2.3.3 Hinsichtlich der massgebenden Verkehrskreise ist im Zusammenhang mit den konkret beanspruchten Waren unbestrittenermassen auf das breite Publikum abzustellen. Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass APPLE aufgrund des notorisch überragenden Bekanntheitsgrads als eine der bekanntesten Marken der Welt überhaupt und allgemein bekannte Firmenbezeichnung vom Durchschnittskonsumenten nicht in erster Linie im Sinne der Frucht "Apfel", sondern unmittelbar als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen verstanden wird. Zwar dürfte ein erheblicher Teil des Schweizer Publikums wissen, dass der englischsprachige Begriff APPLE ins Deutsche, Französische bzw. Italienische übersetzt "Apfel", "pomme" bzw. "mela" bedeutet. Angesichts des Bedeutungswandels infolge der überragenden Bekanntheit von APPLE wird jedoch der deutsch-, französisch- und italienischsprachige Durchschnittskonsument bei anderen Waren als Obst ohne Fantasieaufwand nicht an ein Merkmal der gekennzeichneten Waren denken, sondern im fremdsprachigen Wort APPLE vielmehr unmittelbar einen Hinweis auf das betreffende Unternehmen erkennen. Entgegen den Erwägungen im angefochtenen Entscheid wird APPLE daher vom Durchschnittsabnehmer sowohl im Zusammenhang mit elektronischen Spielen, handbetätigten und elektronischen Computerspielen, Videospielen, interaktiven Spielen und interaktivem Computerspielzeug als auch im Zusammenhang mit den übrigen beanspruchten Waren der Klasse 28 ( Spielzeug, Spiele und Spielwaren, Musikspielzeug und -spielwaren, Spielzeugtongeräte, Spielzeugspieldosen, batteriebetriebenes Spielzeug BGE 145 III 178 S. 189 und Spielkarten ) sowie der Klasse 14 ( Schmuckwaren, Halsketten und Armbänder, Schmuckklammern, Waren aus Edelmetallen oder damit plattiert ) direkt als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden, ohne dass auf einen durch Übersetzung ermittelten Sinngehalt zurückgegriffen, geschweige denn ein Bezug zum Inhalt oder zur Ausstattung dieser Waren hergestellt würde. Das angemeldete Wortzeichen APPLE ist demnach für sämtliche der beanspruchten Waren geeignet, die beanspruchten Produkte der Markeninhaberin von denjenigen anderer Anbieter zu unterscheiden. Wird APPLE für die beanspruchten Waren nicht in seiner Bedeutung von "Apfel" und damit auch nicht als Hinweis auf deren Gestalt, Form oder Inhalt verstanden, sondern unmittelbar als Hinweis auf die Beschwerdeführerin, sind auch die Erwägungen im angefochtenen Entscheid zum (relativen) Freihaltebedürfnis nicht haltbar, denen die Vorinstanz ebenfalls ein unzutreffendes Zeichenverständnis zugrunde legte. Ein absolutes Freihaltebedürfnis am Wortzeichen APPLE steht im Übrigen unstreitig nicht zur Diskussion. Die Vorinstanz hat Art. 2 lit. a MSchG verletzt, indem sie APPLE gestützt auf ein unzutreffendes Zeichenverständnis für einige der beanspruchten Waren vom Markenschutz ausgeschlossen hat.
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Sachverhalt ab Seite 45 BGE 96 I 45 S. 45 Aus dem Tatbestand: A.- Da sich in den Jahren vor 1965 im Kanton Zürich ständig mehr als 100 000 ausländische Arbeitnehmer aufhielten und die Steuererhebung bei zeitlich begrenztem Aufenthalt Schwierigkeiten bereitete, entschlossen sich die zürcherischen Behörden, für ausländische Arbeitnehmer eine Quellensteuer einzuführen, wie sie auch andere Kantone kennen. In der Volksabstimmung vom 24. April 1966 wurden dem § 3 des Gesetzes über die direkten Steuern vom 8. Juli 1951 (StG) folgende zwei Absätze beigefügt: 5 Der Regierungsrat kann für Personen, die sich mit befristeter AAufenthaltsbewilligung im Kanton aufhalten und in unselbständiger Stellung erwerbstätig sind, durch Verordnung die Besteuerung der BGE 96 I 45 S. 46 Einkünfte beim Schuldner der steuerbaren Leistungen in Form des Steuerabzuges zu einem vom Steuerfuss unabhängigen festen Steuersatz anordnen. 6 Der dem Steuerabzug zu Grunde liegende Steuersatz ist progressiv zu gestalten. Die Finanzdirektion setzt diesen unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Steuerbelastung im Kanton fest. Der Regierungsrat erliess gestützt auf diese Bestimmungen die Verordnung über die Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Erwerbstätigkeit im Kanton Zürich vom 12. September 1966, die vom Kantonsrat genehmigt wurde. Ferner erliess der Regierungsrat am 13. Oktober 1966 einen Beschluss über die Tarife der Quellensteuer für ausländische Arbeitnehmer. Er sieht folgende Tarife vor: - Tarif A für Alleinverdiener, anwendbar für hauptberuflich erwerbstätige ledige, verwitwete, geschiedene oder getrenntlebende Arbeitnehmer, sowie für verheiratete Arbeitnehmer in ungetrennter Ehe, wenn nur ein Ehegatte hauptberuflich tätig ist; - Tarif D für Doppelverdiener, anwendbar für verheiratete Arbeitnehmer in ungetrennter Ehe bei hauptberuflicher Erwerbstätigkeit beider Ehegatten; - Tarif N für Nebenerwerb. In den Tarifklassen A und D sind der Haushalt- und der Kinderabzug, sowie der Abzug für nicht voll erwerbsfähige Personen berücksichtigt. B.- Im Jahre 1967 und in den ersten drei Monaten des Jahres 1968 wohnte Y. mit seiner Ehefrau in Hochfelden ZH. Er arbeitete in einem Unternehmen in Zürich, die Ehefrau als Hausangestellte in Hochfelden. Da die Eheleute ausländische Staatsangehörige ohne fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung waren, wurden ihre Erwerbseinkünfte mit der Quellensteuer erfasst. Die Arbeitgeber nahmen den Steuerabzug nach dem Tarif D für Doppelverdiener wie folgt vor: Ehemann / Ehefrau Jahr : Einkommen Steuer / Einkommen Steuer 1967: 17535.-- 2080.10 / 4929.50: 84.- 1968: 3 Monate: 4665.-- 598.50 / 1154.-- 12.- Summe: 22200.-- 2678.60 / 6083.50: 96.- beide Ehegatten: 28283.50 / 2774.60 Y. erhob gegen die Anwendung des Quellensteuertarifes D Einsprache mit dem Begehren, es sei das Erwerbseinkommen BGE 96 I 45 S. 47 der Ehegatten zusammenzuzählen und nach dem Tarif A für Alleinverdiener zu erfassen; er würde dann monatlich etwa Fr. 16.- einsparen. Der Steuerkommissär, die Steuerkommission von Hochfelden und die Rekurskommission wiesen das Begehren ab. Eine Beschwerde hiegegen wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 25. April 1969 ab. C.- Gegen diesen Entscheid hat Y. wegen Verletzung des Art. 4 BV
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und des Grundsatzes der Gewaltentrennung staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Die Begründung dieser Rügen ist den nachfolgenden Erwägungen zu entnehmen. D.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde, das Verwaltungsgericht beantragt, sie sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. - Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Nach § 3 Abs. 5 StG kann der Regierungsrat für bestimmte Ausländer "die Besteuerung der Einkünfte beim Schuldner der steuerbaren Leistungen in Form des Steuerabzuges zu einem vom Steuerfuss unabhängigen festen Steuersatz anordnen". Nach Abs. 6 ist der dem Steuerabzug zugrunde liegende Steuersatz progressiv zu gestalten. Die Finanzdirektion setzt diesen unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Steuerbelastung im Kanton fest. Der Beschwerdeführer macht - freilich nicht in sehr klarer Form - geltend, das Gesetz habe in § 3 Abs. 5 und 6 den Regierungsrat bloss ermächtigt, für bestimmte Ausländer eine besondere Form für die Erhebung der ordentlichen Steuer einzuführen; der Regierungsrat habe indessen eine besondere Steuer eingeführt. Der Regierungsrat wird durch das Gesetz nicht nur ermächtigt, von den genannten Personen die ordentliche Steuer in besonderer Form erheben zu lassen, sondern die "Besteuerung" nach einem festen Steuersatz "anzuordnen". Zudem ist der Steuersatz "unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Steuerbelastung im Kanton" festzusetzen. Damit sollte, wie mit Fug angenommen werden kann, gesagt sein, dass die Quellensteuer ausgerichtet sein muss auf die Durchschnittsbelastung, wie sie sich auf Grund der allgemeinen Regeln des StG ergibt. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass die ausländischen Arbeitnehmer nach besondern Vorschriften zur Steuer BGE 96 I 45 S. 48 heranzuziehen sind, die freilich auf die durchschnittliche Belastung der übrigen zürcherischen Steuerpflichtigen abgestimmt sein sollen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ist deshalb eher zu schliessen, die Ermächtigung gehe dahin, die genannten Personen nach besondern Vorschriften zur Steuer heranzuziehen. Die Annahme, das entspreche auch dem Sinn der gesetzlichen Delegationsnorm, legt der Beleuchtende Bericht des Regierungsrats nahe, der dem Stimmbürger mit der Abstimmungsvorlage unterbreitet und in welchem ausgeführt wurde: Alle diese Gründe sprechen für die Einführung der Quellensteuer. Andere Vorschläge sind im Ergebnis weniger wirksam oder bedingen einen grösseren Arbeitsaufwand. Vereinfachte Einschätzung unter Mitwirkung des Arbeitgebers und Haftung des Arbeitgebers sind wohl taugliche Mittel zur Verhinderung von Steuerausfällen; sie können indessen die bei der Veranlagung und beim Steuerbezug geschilderten Schwierigkeiten nicht beseitigen. Die Einführung einer Sicherungssteuer mit einheitlichen Ansätzen würde, auch wenn sie mit einer vereinfachten Steuereinschätzung gekoppelt wäre, keine Vereinfachung gegenüber der Quellensteuer bedeuten. Im Gegenteil, über die laufend dem Steueramt abgelieferten Beträge müsste - wie bei der Quellensteuer - Kontrolle geführt werden; zudem wäre eine Einschätzung vorzunehmen und auf Grund der Einschätzung abzurechnen. Auch die Arbeitgeber würden stärker belastet werden. Neben der periodischen Steuerablieferung hätten sie mit der Wohnsitzgemeinde jedes einzelnen Arbeitnehmers auf Grund der Einschätzung abzurechnen. Sowohl Einschätzung wie auch Schlussabrechnung fallen bei der Quellensteuer weg. Die endgültige Regelung ist der grosse Vorteil der Quellensteuer, auch wenn hiefür differenzierte Ansätze nötig sind. Es erhellt im übrigen aus dem gleichen Bericht, dass für die genannten Personen vom System der veranlagten Steuer abgewichen werden soll (S. 10/11). Der Beschwerdeführer scheint die Auffassung zu vertreten, die Steuerabzüge des Arbeitgebers auf Grund des für die Quellensteuer geltenden Satzes hätten nach dem Willen des Gesetzgebers bloss als eine Art à-conto-Zahlungen auf denjenigen Steuerbetrag ausgestaltet werden dürfen, der sich auf Grund der Einschätzung nach den allgemeinen Regeln des StG ergäbe. Solchermassen wäre die "Quellensteuer" in der Tat eine blosse Form des Einzugs der ordentlichen Steuer, wobei nach der Einschätzung der zuviel erhobene Betrag zurückzuerstatten, der zuwenig entrichtete nachzuzahlen wäre. Mit dieser Auslegung des Gesetzes steht die eigene These des Beschwerdeführers offenbar nicht ganz im Einklang, nach BGE 96 I 45 S. 49 welcher in Fällen des Doppelverdienstes fakultativ eine Steuerveranlagung vorgenommen werden sollte. Auf jeden Fall ist nach dem Gesagten die Auslegung besser begründet, wonach der Regierungsrat besondere Vorschriften für die Besteuerung von ausländischen Arbeitnehmern erlassen darf, welche die Steuerfestsetzung ohne Veranlagung nach einem besondern Tarif (fester Steuersatz) vorsehen, was einem System entspricht, wie es auch andere Kantone eingeführt haben (vgl. REIMANN, ZBl 67/1966, S. 89 ff; KOLLER, ZBl 64/1963, S. 425 ff). Mit ein Hauptgrund für die Revision des StG lag, wie nach allem zu schliessen ist, gerade darin, das System der veranlagten Steuer aufzugeben, dem, wie im Beleuchtenden Bericht des Regierungsrats (S. 10) ausgeführt wurde, der ausländische Arbeitnehmer verständnislos gegenübersteht. Von einer Überschreitung der gesetzlichen Kompetenzen durch den Regierungsrat und damit von einem Verstoss gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung kann deshalb nicht gesprochen werden. 3. Der Beschwerdeführer rügt, er habe mit seiner Ehefrau zusammen mehr an Quellensteuern zu bezahlen als ein AlleinstehendermitgleichenEinnahmen. Bei Erhebungder ordentlichen Steuer werde nach dem zürcherischen StG von einem Verdienst, den die Ehegatten erzielen, eine geringere Steuer erhoben als von einem gleich hohen Verdienst, den ein Ehegatte allein erziele. Den gleichen Nachteil würden bei Erhebung der Quellensteuer ausser ihm zahlreiche andere Ausländer erfahren, der Tarifbeschluss des Regierungsrats mache auf diese Weise "gesetzliche Prinzipien zunichte". Hinsichtlich der sog. Familienbesteuerung besteht im zürcherischen Recht bei Erhebung der ordentlichen Steuer folgende Regelung: Leben Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe, so wird die Ehefrau gemäss § 8 Abs. 1 StG nicht selbständig besteuert; ihr Einkommen (und Vermögen) wird ohne Rücksicht auf den Güterstand dem Ehemann zugerechnet. Das bewirkt, dass das Lohneinkommen des Ehemannes und der Ehefrau nach dem höheren Progressionssatz des Gesamteinkommens besteuert wird. Eine Erleichterung bringt § 8 Abs. 2 StG , wonach vom Erwerbseinkommen, das die Ehefrau unabhängig vom Beruf, Geschäft oder Gewerbe des Ehemannes erzielt, Fr. 800.-- nicht besteuert werden. Im allgemeinen wird jedoch das gemeinschaftliche Einkommen der Ehegatten höher besteuert als das gleiche Einkommen, das zwei Alleinstehende BGE 96 I 45 S. 50 zusammengerechnet verdient haben. Der Regel nach wird also der gemeinschaftliche Lohn der Eheleute höher belastet, als das gleiche Einkommen zweier Alleinverdiener, aber weniger hoch als der Alleinverdienst in der Höhe des gemeinschaftlichen Ehegatteneinkommens. Diesem Prinzip folgt auch der für die Quellensteuer geltende Tarif. Es können sich freilich in Grenzfällen Abweichungen von dem genannten, für die ordentliche Steuer geltenden Grundsatz ergeben, doch ist damit keineswegs dargetan, dass der Quellensteuertarif als ganzes genommen dem Prinzip der sog. Familienbesteuerung, wie es dem StG zu Grunde liegt, zuwiderliefe. Der Beschwerdeführer macht geltend, der von ihm gerügte Nachteil trete entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht bloss in Grenz- oder Ausnahmefällen ein; der Fr. 1501.-- und mehr verdienende Ehemann bezahle nämlich bereits mehr Steuern als der Fr. 2000.-- verdienende Alleinverdiener, wenn der Verdienst der Ehefrau steuerlich noch gar nicht erfasst sei. Der gerügte Übelstand trete überall auf, wo der erwerbstätige Ehemann einer ebenfalls erwerbstätigen Ehefrau mehr als Fr. 1450.-- verdiene, gleichgültig, wie hoch der Verdienst seiner Ehefrau sei. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Beschwerdeantwort unter Angabe der entsprechenden Steuerbeträge dargelegt, dass diese Behauptung des Beschwerdeführers nicht zutrifft. Dieser hat sich in seiner Stellungnahme hiezu darauf beschränkt, die Berechnung des Verwaltungsgerichts zu bestreiten und auf seine Beschwerdeschrift zu verweisen, in welcher die entsprechenden Steuerbeträge überhaupt nicht genannt sind. Es ergibt sich zudem aus dem angefochtenen Entscheid, dass bei einem Einkommen des Ehemannes von Fr. 1500.-- und der Ehefrau von Fr. 500.-- gemäss Tarif D ein Steuerabzug von Fr. 204.-- vorgenommen wird, bei einem Einkommen des alleinverdienenden Ehemannes von Fr. 2000.-- gemäss Tarif A ein solcher von Fr. 211.--. Dass diese von der eigenen Darstellung abweichenden Berechnungen unrichtig wären, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, zum mindesten nicht dargetan. Einzig wenn der Verdienst des einen Ehegatten im Verhältnis zum Verdienst des andern gering ist, ändert sich das Verhältnis. Der Tarif D der Quellensteuer ist aber, wie ausgeführt, als ganzes auf das gleiche Prinzip hin ausgerichtet, wie es für die ordentliche Steuer gilt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich bei einem Pauschaltarif, wie er für die Quellensteuer zu schaffen war, gewisse Abweichungen von der bei der BGE 96 I 45 S. 51 ordentlichen Steuer geltenden Regel ergeben können. Nach den Erwägungen der Rekurskommission basiert der Tarif D auf der Annahme, die erwerbstätige Frau verdiene im Mittel 60% des Einkommens ihres Ehemannes. Das Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers erreichte nicht diesen auf Grund von Durchschnittszahlen errechneten Anteil des Verdienstes des Ehemannes, woraus sich die genannte Abweichung erklärt. Die Mehrbelastung macht für den Beschwerdeführer knapp 7% aus. Aus einer solchen Differenz kann nicht der Schluss gezogen werden, die vom Regierungsrat getroffene Ordnung sei in dem Sinne unhaltbar, dass sie in klarer Weise gegen einen allgemein gültigen Grundsatz des zürcherischen Steuerrechts verstiesse und mit Art. 4 BV unvereinbar wäre, wenn auch zuzugeben ist, dass die Ordnung in Fällen wie dem vorliegenden nicht befriedigt und es wünschbar wäre, wenn der Regierungsrat dem durch eine Änderung des Tarifs Rechnung tragen würde. 4. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, dass er als der Quellensteuer unterliegender Steuerpflichtiger im Vergleich mit den Steuerpflichtigen, die der "Veranlagungssteuer" (d.h. ordentlichen Steuer) unterliegen, rechtsungleich behandelt werde. Die Quellensteuer lässt sich praktisch nur durch einen einheitlichen pauschalen Tarif verwirklichen, der vom gewöhnlichen Tarif notwendigerweise abweicht ( BGE 91 I 89 ). Es wurde mit einigem Recht erklärt, die veranlagte Steuer sei Massarbeit, die Quellensteuer Konfektion (REIMANN ZBl 67/1966, S. 102). Da der Beschwerdeführer mit Recht nach den besondern Regeln besteuert wurde, wie sie für ausländische Arbeitnehmer gelten, kann er sich nicht über eine rechtsungleiche Behandlung beklagen, wenn er eine höhere Steuer bezahlen muss als die der ordentlichen Steuer unterworfenen Steuerpflichtigen, es wäre denn, dass Unterschiede in der Besteuerung geschaffen worden wären, die sich nicht mehr durch sachliche Gründe und die besondere, vereinfachende Technik der Quellensteuer rechtfertigen liessen. Dass das zutreffe, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan. Er ist der Meinung, in Fällen eines Doppelverdienstes müsste es bei der Quellensteuer zugelassen werden, dass die Steuer auf Grund einer Veranlagung berechnet werde. Es kann in der Tat, wie es das Bundesgericht in einem frühern Entscheid ausgeführt hat, allenfalls zu stossenden Ungleichheiten führen, wenn Ausländer BGE 96 I 45 S. 52 mit einem hohen Einkommen nach dem für die Quellensteuer geltenden Pauschaltarif besteuert werden ( BGE 91 I 89 ). Deshalb sehen einzelne Kantone vor, dass bei solchen Einkommen das ordentliche Einschätzungsverfahren Platz greift. Nach § 9 der Quellensteuerverordnung des Kantons Zürich erfolgt die Einschätzung nach den allgemeinen Bestimmungen des Steuergesetzes, wenn der Steuerpflichtige voraussichtlich dauernd Bruttoeinkünfte von mehr als Fr. 24 000.-- im Jahre bezieht. Da der Beschwerdeführer kein so hohes Berufseinkommen erzielte, fand die Regel auf ihn keine Anwendung. Dass sich schon bei geringeren Einkünften aus der Anwendung des Pauschaltarifs stossende Ungleichheiten ergäben, vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun. Es fehlen in seiner Beschwerdeschrift Angaben darüber, um wieviel die vom ihm entrichtete Steuer jene übersteigt, die er bei Einschätzung nach den allgemeinen Vorschriften des StG hätte entrichten müssen. Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, in Fällen des Doppelverdienstes müsste bei der Quellensteuer stets eine Einschätzung nach den allgemeinen Vorschriften des StG verlangt werden können, so ist auch damit nicht dargetan, dass die vom Regierungsrat getroffene Ordnung verfassungswidrig wäre. Könnte in allen Fällen des Doppelverdienstes eine Veranlagung verlangt werden, würde das dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, die Besteuerung zu vereinfachen, zuwiderlaufen. Dass vor allem ausländische Gesetze, wie es der Beschwerdeführer ausführt, eine andere, allenfalls sogar bessere Lösung getroffen haben, lässt jene des Kantons Zürich nicht als unhaltbar und damit nicht als gegen Art. 4 BV verstossend erscheinen.
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Sachverhalt ab Seite 345 BGE 114 Ib 344 S. 345 Die Parkhaus Herrenacker AG will auf dem Herrenacker, einem Platz in der Altstadt von Schaffhausen, ein unterirdisches Parkhaus erstellen. Nach einem positiven Vorentscheid des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen zu ersten Projektunterlagen räumte die Einwohnergemeinde Schaffhausen als Eigentümerin des Herrenacker und der angrenzenden Strassen und Plätze der Parkhaus Herrenacker AG am 8. August 1985 das dingliche Recht ein, auf diesen Grundstücken bzw. auf einer Gesamtfläche von ca. 5215 m2 ein unterirdisches Parkhaus mit etwa 500 Autoabstellplätzen zu erstellen und zu betreiben. Die Parkhaus Herrenacker AG reichte hierauf ein Baugesuch ein, das ein viergeschossiges Parkhaus mit einem Einfahrtsstollen ab Klosterstrasse, einer Ausfahrt in die Grabenstrasse sowie einer Notausfahrt in die Frauengasse vorsah; insgesamt sollten 505 Parkplätze erstellt und zudem ein Zivilschutzraum für 2000 Personen sowie ein Sanitätsposten eingerichtet werden. Das Baugesuch wurde vom Regierungsrat, der nach kantonalem Recht über Bauvorhaben von kantonaler Bedeutung zu entscheiden hat, am 12. November 1985 unter verschiedenen Auflagen bewilligt. Auf die Bauausschreibung hin reichten zahlreiche Private sowie zwei Vereinigungen entsprechend der Rechtsmittelbelehrung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim kantonalen Obergericht ein. Nach einem Schriftenwechsel BGE 114 Ib 344 S. 346 zwischen den Behörden wurden die Eingaben im Januar 1986 vom Regierungsrat vorerst als Einsprachen entgegengenommen. Am 22. März 1986 reichte die Parkhaus Herrenacker AG ein "konkretisiertes Baugesuch" ein, das nur kleinere Projektänderungen, so die Reduktion der Abstellplätze auf 496, vorsah. Nach erneuter Publikation dieses Gesuches erhoben A. und weitere Private sowie der Verkehrsclub der Schweiz, die Stiftung World Wildlife Fund (WWF), Sektion Schaffhausen, und der Einwohnerverein Altstadt Schaffhausen gegen das Bauvorhaben Einsprache. Mit Beschluss vom 3. Februar 1987 bestätigte der Schaffhauser Regierungsrat die "in Wiedererwägung gezogene" Baubewilligung vom 12. November 1985 unter verschiedenen zusätzlichen Bedingungen und Auflagen und wies die gegen das Projekt erhobenen Einsprachen bzw. die als Einsprachen behandelten Verwaltungsgerichtsbeschwerden im wesentlichen ab. Gegen den Beschluss des Regierungsrates erhoben A. und 70 Mitunterzeichner sowie der Verkehrsclub der Schweiz und der WWF Schweiz sowohl Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht als auch Beschwerde beim kantonalen Obergericht als Verwaltungsgericht. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 9. März 1987 wird beantragt, das Bundesgericht habe - falls es sich für zuständig erachte - die der Parkhaus Herrenacker AG erteilte Baubewilligung aufzuheben und die Akten zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sowie allenfalls zur Überarbeitung des Projekts an die Vorinstanz bzw. an die Bauherrschaft zurückzuweisen. Mit Schreiben vom 29. Juli 1987 teilte der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung dem Präsident des Schaffhauser Obergerichtes mit, dass das bundesgerichtliche Urteil bis zum Entscheid über die kantonalrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgesetzt werde. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 12. November 1987 in den Hauptpunkten ab, soweit es auf sie eintrat. Es bestätigte den angefochtenen Entscheid des Regierungsrates insoweit, als dieser von der Zonenkonformität des Bauvorhabens ausgegangen war, und erklärte Art. 24 RPG als nicht anwendbar. Dagegen trat das Gericht auf die Rügen der Verletzung des eidgenössischen Umweltschutzrechtes mangels Zuständigkeit nicht ein. Soweit die Beschwerdeführer kantonales Umweltschutz- und Erschliessungsrecht als verletzt bezeichnet hatten, wurden die Einwendungen abgewiesen. BGE 114 Ib 344 S. 347 Ebenfalls zurückgewiesen wurde der Vorwurf, die Anliegen des Heimatschutzes seien unberücksichtigt geblieben, wobei sich das Obergericht ausschliesslich auf das kantonale Recht abstützte und betonte, dass der Vorinstanz bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit einzelner Objekte ein erheblicher Beurteilungsspielraum zustehe. A. und die mitbeteiligten Privaten, der Verkehrsclub der Schweiz, der WWF Schweiz und die WWF-Sektion Schaffhausen haben am 17. Dezember 1987 auch gegen den Entscheid des Obergerichtes Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben und dessen Aufhebung verlangt.
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Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerden, soweit auf sie einzutreten war, im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Beschwerdeführer haben sowohl gegen den Beschluss des Regierungsrates als auch gegen das Urteil des Obergerichtes allein Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie beanstanden in erster Linie, dass Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700) zu Unrecht nicht angewendet worden sei, Art. 9 und weitere Bestimmungen über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG; SR 814.01) missachtet und Art. 2-12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451) verletzt worden seien. Zusätzlich beklagen sie sich über die willkürliche Anwendung bzw. Nichtanwendung kantonaler Vorschriften, insbesondere des kantonalen Bau-, Umweltschutz- und Heimatschutzrechtes. In dieser Hinsicht wird geltend gemacht, dass aufgrund des Sachzusammenhanges auch die verfassungswidrige Anwendung des kantonalen Verwaltungsrechts mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden könne. Dies ist jedoch, derart allgemein ausgedrückt, nicht richtig. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann grundsätzlich gegen Verfügungen der in Art. 98 OG genannten Vorinstanzen gerichtet werden, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen ( Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG ; BGE 112 Ib 165 E. 1, 237 E. 2a). Dies gilt auch für sog. gemischte Verfügungen, die sowohl auf kantonalem bzw. kommunalem als auch auf Bundesrecht beruhen, soweit es um die Verletzung von BGE 114 Ib 344 S. 348 unmittelbar anwendbarem Bundesrecht geht ( BGE 113 Ib 397 E. 1b). Ausnahmen sind einerseits in den Art. 99-101 OG vorgesehen, welche die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in bestimmten Fällen ausdrücklich als unzulässig bezeichnen und die Rechtsuchenden damit allenfalls an den Bundesrat verweisen ( Art. 73 Abs. 1 lit. c und Art. 74 lit. a VwVG ). Eine weitere Sonderregelung ist in Art. 34 RPG getroffen worden. Zwar erklärt Art. 34 Abs. 1 RPG übereinstimmend mit Art. 97 OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig gegen Entscheide über Entschädigungen als Folge von Eigentumsbeschränkungen ( Art. 5 RPG ) und über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG , und hat das Bundesgericht hieraus geschlossen, dass auch der Verstoss gegen kantonales Recht aus dem Anwendungsbereich dieser Bestimmungen - ob es sich um unselbständige Ausführungsvorschriften oder um selbständiges Ergänzungsrecht handle - mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen sei ( BGE 113 Ib 369 ff., BGE 112 Ib 96 ). Jedoch sind alle übrigen raumplanerischen Entscheide der letzten kantonalen Instanzen gemäss Art. 34 Abs. 3 RPG endgültig und bleibt einzig die staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten. Insofern braucht nicht geprüft zu werden, ob sich der angefochtene Entscheid auf Bundes- oder kantonales Recht oder auf beide stütze. Art. 34 Abs. 3 RPG erfährt indessen seinerseits eine Einschränkung, falls im Rahmen des raumplanerischen Entscheides eidgenössisches Umweltschutzrecht anzuwenden ist, für das der Gesetzgeber in Art. 34 USG , der jünger ist als das Raumplanungsgesetz, ausdrücklich die allgemeinen Rechtsmittelbestimmungen als massgeblich erklärt hat. Wird eine Verletzung der bundesrechtlichen Umweltvorschriften geltend gemacht, ist daher diese Rüge, wie das Bundesgericht in BGE 113 Ib 397 f. E. 1b-d festgestellt hat, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorzutragen, selbst wenn der angefochtene raumplanerische Entscheid aufgrund von Art. 34 Abs. 3 RPG nur im staatsrechtlichen Verfahren zu überprüfen wäre (vgl. BGE 114 Ib 216 f. E. 1a-d). In diesem Fall kann jedoch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht auch noch kraft Sachzusammenhangs Funktionen übernehmen, welche die vorweg gegebene staatsrechtliche Beschwerde erfüllt; andernfalls würde die Regelung von Art. 34 Abs. 3 RPG ausgehöhlt. Baubewilligungen im Sinne von Art. 22 und 23 RPG sind demnach, soweit nicht eine Umgehung von Art. 24 RPG behauptet wird, nur mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar. Will aber der Beschwerdeführer auch die Missachtung eidgenössischen BGE 114 Ib 344 S. 349 Umweltschutzrechtes rügen, ist zusätzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben. Wird nur die eine oder andere Beschwerde geführt, obschon beide hätten ergriffen werden müssen, untersucht das Bundesgericht, ob die Eingabe der Beschwerdeführer auch die Voraussetzungen erfülle, die das Gesetz an das nicht ausdrücklich erhobene Rechtsmittel stellt ( BGE 114 Ib 133 E. 2). Im vorliegenden Fall erübrigt sich indessen - wie sich im folgenden zeigt - eine solche Prüfung. 3. a) Das Schaffhauser Obergericht hat gleich wie der Regierungsrat angenommen, dass das Parkhaus Herrenacker keiner Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG bedürfe. Zwar sei der Herrenacker wie die anderen öffentlichen Strassen und Plätze im Zonenplan der Stadt Schaffhausen vom 1. Juni 1982 weiss gelassen worden, doch liege er in der Altstadtzone, die nach den Zonenvorschriften ausdrücklich auch die Plätze umfasse, und sei davon auszugehen, dass bei der Festsetzung des Zonenplans eine flächendeckende und lückenlose Nutzungsordnung angestrebt worden sei. Die Beschwerdeführer machen demgegenüber geltend, für die weiss gelassenen Flächen im Zonenplan bestünden weder Bau- noch Zonenvorschriften. Ober- und unterirdische Bauten dürften aber nur in einer rechtskräftig ausgeschiedenen Zone erstellt werden, für welche die zulässige Nutzung festgelegt worden sei. Auch das Bundesamt für Raumplanung vertritt die Meinung, dass hier ein Verfahren gemäss Art. 24 RPG durchgeführt werden müsse, weil keine Nutzungszone ausgeschieden sei oder das Bauvorhaben dem Zweck der Nutzungszone nicht entspreche. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. b) Ist umstritten, ob eine innerhalb der Bauzone zu erstellende Anlage als zonenkonform betrachtet oder allenfalls aufgrund einer Ausnahmebewilligung zugelassen werden könne, so beurteilt sich dies nach Art. 22 und 23 RPG bzw. nach kantonalem Recht. Dagegen ist Art. 24 RPG nur auf Bauten und Anlagen anwendbar, die ausserhalb der Bauzonen errichtet werden sollen und dem Zweck der jeweiligen Zone nicht entsprechen. Art. 24 RPG betrifft somit lediglich Ausnahmen in Landwirtschafts-, Schutz- und weiteren Nutzungszonen nach kantonalem Recht oder Gebieten, deren Nutzung noch nicht bestimmt ist oder in denen eine Nutzung erst später zugelassen wird (vgl. Art. 16-18 RPG ). Es stellt sich daher die Frage, ob der mitten in der Altstadt liegende Herrenacker zur Bauzone gehöre oder eine nicht überbaubare Insel bilde. Zur Beantwortung dieser Frage ist nicht nur auf BGE 114 Ib 344 S. 350 das Bundesrecht, sondern auch auf die kantonalen Vorschriften, die kommunalen Nutzungsbestimmungen und den Willen der für die Ortsplanung zuständigen Instanzen abzustellen, soweit dieser sich aus dem Zonenplan selbst oder aus den Vorarbeiten ergibt. Nun ist hier festzustellen, dass der Herrenacker als Fussgänger- Areal und Parkplatz, aber auch der notwendigen Erschliessung der ihn umgebenden Häuser dient. Erschliessungsanlagen für Wohnbauten in der Bauzone gehören nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich zur Bauzone, es sei denn, eine Zufahrt führe über Land in einer angrenzenden, nicht zum Siedlungsgebiet zählenden Zone (nicht publ. Entscheid i.S. V. E. vom 14. Juli 1987 E. 3b). Zwar trifft zu, dass der Herrenacker im Zonenplan der Stadt Schaffhausen weiss gelassen wurde, doch ist hierin keine Zuweisung zu einer Freihaltezone - die übrigens grün bezeichnet wird - oder zu einer sonstigen nicht der Überbauung gewidmeten Zone zu erblicken, sind doch alle Verkehrsflächen sämtlicher Zonen weiss gelassen worden. Neben den Verkehrsflächen sind allerdings auch zwei Areale westlich des Bahnhofes (Bushof und BVS-Areal) weiss geblieben, doch handelt es sich um Grundstücke, deren endgültige Verwendung, wie aus den Planungsarbeiten klar hervorgeht, noch nicht festgelegt werden konnte. Dass es dabei um Spezialfälle geht, ergibt sich auch aus dem allgemeinen Richtplan des Kantons Schaffhausen, in welchem die beiden Areale ebenfalls weiss geblieben sind, während die Strassen und Plätze der Stadt Schaffhausen die gleiche Farbe wie die Wohn- und Gewerbezone aufweisen. Ist deshalb davon auszugehen, dass für den Herrenacker keine nutzungsmässige Sonderregelung getroffen worden ist, die ihn von der Bauzone ausgeschlossen hätte, so ist er gleich wie die anderen Erschliessungsflächen der Zone zuzurechnen, in der er liegt. Wohl ist einzuräumen, dass die Bauvorschriften für die Altstadtzone nicht auf Bauten wie die hier umstrittene zugeschnitten sind und auch das kantonale Baugesetz keine Spezialbestimmungen für grössere unterirdische Anlagen enthält. Dieser Mangel ist jedoch durch Änderung des kantonalen und kommunalen Rechts zu beheben und nicht durch Anwendung von Art. 24 RPG , dessen Zweck darin besteht, das vom Siedlungsgebiet abzugrenzende Kulturland von zonenwidrigen Bauten möglichst freizuhalten und für Ausnahmen eine einheitliche Regelung zu schaffen (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen zum RPG, N. 1 zu Art. 24). Die Rüge der Beschwerdeführer, Art. 24 RPG sei missachtet worden, erweist sich damit als unbegründet. BGE 114 Ib 344 S. 351 4. Das Obergericht ist auf die Rüge der Beschwerdeführer, der Regierungsrat habe gegen Art. 9 und verschiedene andere Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Umweltschutz verstossen, nicht eingetreten. Es wies darauf hin, dass nach Art. 34 des kantonalen Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - nur gegeben sei, sofern kein anderes Bundesrechtsmittel als die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht offenstehe. Nach kantonaler Praxis unterlägen allerdings auch Entscheide über Fragen, die teils in Anwendung kantonalen, teils gestützt auf Bundesrecht zu beantworten seien, kraft Sachzusammenhangs der Beschwerde ans Obergericht. Seien jedoch die aufgeworfenen Rechtsfragen zum überwiegenden Teil dem Bundesrecht zuzuordnen oder könnten die bundesrechtlichen Fragen von den kantonalrechtlichen leicht getrennt werden, so halte sich das Obergericht zu deren Prüfung nicht berechtigt. Dem im vorliegenden Fall erhobenen Vorwurf, der Regierungsrat habe das Umweltschutzgesetz in verschiedener Hinsicht verletzt, komme nicht nur untergeordnete Bedeutung zu. Er spiele eine zentrale Rolle und könne auch ohne weiteres von den Rügen des Verstosses gegen kantonales Recht, insbesondere gegen das Bau- und Strassenrecht, getrennt und allein behandelt werden. Unter diesen Umständen habe das Obergericht über die Frage der Verletzung eidgenössischen Umweltschutzrechts nicht zu befinden; deren Beurteilung stehe allein dem Bundesgericht zu. - Die Beschwerdeführer befürchten, dass eine solche Gabelung des Rechtsweges zu prozessualen Unzulänglichkeiten und materiellrechtlichen Widersprüchlichkeiten führen könnte. Zu Recht. Der eidgenössische Gesetzgeber hat bei Erlass des Umweltschutzgesetzes von der Einführung einer besonderen Umweltschutzbewilligung abgesehen. Sowohl für Bauvorhaben, die der Umweltverträglichkeitsprüfung gemäss Art. 9 USG unterliegen, als auch für jene, für die keine Prüfungspflicht in diesem Sinne besteht, welche aber gleichwohl den Umweltschutzvorschriften entsprechen müssen, ist die Kontrolle der Vereinbarkeit des Projektes mit den Geboten des Umweltschutzes im bereits bisher durchzuführenden Bewilligungsverfahren vorzunehmen, also für private Bauvorhaben in der Regel im Baubewilligungsverfahren nach Art. 22 oder 24 RPG (vgl. BGE 113 Ib 234 E. 3c). Wer über die Umweltverträglichkeit eines Projektes zu entscheiden hat und BGE 114 Ib 344 S. 352 wie diese Prüfung ins Baubewilligungsverfahren einzubetten sei, hängt damit vom formellen kantonalen und kommunalen Baurecht ab, das allerdings den Anforderungen des Bundesrechts entsprechen muss (s. etwa BGE 114 Ib 127 ff.) Mit der Kontrolle der Umweltverträglichkeit eines Projektes ist indessen nichts grundsätzlich Neues geschaffen worden, waren doch bereits bis anhin im Baubewilligungsverfahren die kantonalrechtlichen Bestimmungen zum Schutze der Umwelt zu beachten. Diese kantonalen Vorschriften, die teils in Spezialgesetzen, grösstenteils aber im Bau- und Planungsrecht zu finden sind, sind durch das Umweltschutzrecht des Bundes nicht vollständig aufgehoben, sondern nur insoweit ersetzt worden, als sie sich mit dem Bundesrecht decken oder weniger weit gehen als dieses; sie behalten ihre Bedeutung dort, wo sie die bundesrechtlichen Bestimmungen ergänzen oder - soweit erlaubt ( Art. 65 Abs. 2 USG ) - verschärfen ( BGE 113 Ib 399 mit Hinweisen, BGE 114 Ib 220 ). Ob eine Anlage, die die Umwelt beeinflussen könnte, in einer bestimmten Bauzone oder an einem bestimmten Standort errichtet werden dürfe und wie sie auszugestalten sei, wird daher in der Regel nur unter Beizug von bundes- und kantonalrechtlichen Normen entschieden werden können, die zusammen den Rahmen des Zulässigen abstecken. Die Frage, ob eine Baute der vorgesehenen Art überhaupt an diesem Ort erstellt werden dürfe, ist - abgesehen von Art. 24 RPG - nach der kantonalen und kommunalen Bau- und Nutzungsordnung zu beantworten, während die Prüfung, ob die voraussichtliche Belastung der Umwelt im konkreten Falle tragbar sei oder durch Massnahmen an der Quelle begrenzt werden könne und müsse, heute grundsätzlich nach eidgenössischem Umweltschutzrecht zu prüfen ist. Aber auch im Rahmen dieser Prüfung kann kantonales Recht wiederum eine Rolle spielen, können doch bauliche, betriebliche, Verkehrs- oder andere Massnahmen zur Emissionsbegrenzung ( Art. 12 USG ) nur angeordnet werden, soweit sie sich mit dem kantonalen Recht, insbesondere der Bau-, Strassen-, Verkehrs-, Arbeits- und Gesundheitsgesetzgebung vereinbaren lassen. Das gleiche gilt für Sanierungsverfügungen ( Art. 16 ff. USG ). Ist aber die Baubewilligungs-Behörde verpflichtet, bei der Prüfung der Umweltschutzbelange alle massgebenden formellen und materiellen, sich ergänzenden und allenfalls überschneidenden Vorschriften des eidgenössischen und des kantonalen Rechtes beizuziehen und in ihrem Zusammenhang anzuwenden, so kann die Rechtsmittelinstanz ihren Entscheid darüber, ob die erteilte Baubewilligung BGE 114 Ib 344 S. 353 rechtmässig sei, nicht nur aus der Sicht der kantonalen Bestimmungen oder allein mit Blick auf die eidgenössische Gesetzgebung, sondern einzig aus einer Gesamtschau heraus fällen. Diese Gesamtbetrachtung, die für Baubewilligungsverfahren gemäss Art. 24 RPG durch das Gesetz selbst vorgeschrieben wird, ist für Anlagen, die die Umwelt belasten können, auch in Verfahren nach Art. 22 und 23 RPG geboten. Der vorliegende Fall rechtfertigt entgegen der Meinung des Obergerichtes keine Ausnahmen. Auch hier greifen die im Rahmen des Bewilligungsverfahrens anwendbaren bundes- und kantonalrechtlichen Vorschriften ineinander und sind die Fragen der Anwendung des eidgenössischen Umweltschutzrechtes mit den nach kantonalem Recht zu lösenden Problemen derart verflochten, dass eine Untersuchung blosser Teilaspekte nicht genügt und ein ausreichender Rechtsschutz nur durch eine umfassende Prüfung gewährt werden kann. Das gilt umso mehr, als im vorliegenden Fall nicht nur abzuklären ist, welchen Lärm, welche Abgase und Erschütterungen der Bau und Betrieb des Parkhauses für die Anwohner mit sich bringen wird, sondern auch beurteilt werden muss, wie sich dieses auf die Schaffhauser Altstadt als solche, welche kantonalrechtlichen und als Objekt von nationaler Bedeutung auch bundesrechtlichen Schutz geniesst, auswirken wird (vgl. E. 5b in fine). Den Anliegen des Ortsbildschutzes, der Denkmalpflege und der archäologischen Forschung wird im Rechtsmittelverfahren allein das richtige Gewicht beigelegt werden können, wenn sie in eine Abwägung aller auf dem Spiele stehenden öffentlichen und privaten Interessen einbezogen werden. Das Obergericht hat demnach durch seinen Entscheid, sich mit den Rügen der Verletzung des eidgenössischen Umweltschutzrechtes nicht zu befassen, obschon der enge Sachzusammenhang des eidgenössischen und kantonalen Rechts auf diesem Gebiet eine Aufteilung der Fragen nicht erlaubte, Art. 4 BV verletzt und die Durchsetzung des Bundesrechtes erschwert. Der angefochtene Entscheid ist aus diesem Grunde aufzuheben. Dadurch erübrigt sich die Behandlung der weiteren Rügen, doch ist aus prozessökonomischen Gründen noch auf den Einwand einzugehen, das Projekt hätte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen. Erweist er sich als berechtigt, so ist die Sache zur Vornahme dieser Prüfung direkt an den Regierungsrat zurückzuweisen. 5. a) Gemäss Art. 9 Abs. 1 USG hat die Behörde vor ihrem Entscheid über die Planung, Errichtung oder Änderung von BGE 114 Ib 344 S. 354 Anlagen, welche die Umwelt erheblich belasten können, die Umweltverträglichkeit zu prüfen. Diese Bestimmung ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf Einzelfälle unmittelbar anwendbar, obwohl die bundesrätliche Verordnung, in der die fraglichen Anlagen bezeichnet werden, noch nicht in Kraft getreten ist (BGE BGE 113 Ib 232 mit Hinweisen auf weitere Urteile). Allerdings hat das Bundesgericht in direkter Anwendung des Gesetzes die Prüfungspflicht nur für jene Anlagen bejaht, die der Gesetzgeber bei den Vorarbeiten zu Art. 9 USG selbst genannt hat oder die aufgrund der allgemeinen Erfahrung klar zu jenen zählen, welche die Umwelt erheblich belasten. In Zweifelsfällen ist dagegen der Entscheid dem Bundesrat als Verordnungsgeber überlassen worden, so auch über die Frage, welche Parkhäuser als "gross" zu betrachten und daher Art. 9 USG zu unterstellen seien (vgl. BGE 113 Ib 376 ff.). Da in der Zwischenzeit jedoch die auf den 1. Januar 1989 in Kraft tretende Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 19. Oktober 1988 veröffentlicht worden ist, besteht heute kein Grund zu Zurückhaltung mehr und ist entsprechend dem Anhang zur Verordnung davon auszugehen, dass für Parkhäuser mit mehr als 300 Parkplätzen die Prüfung vorzunehmen sei. Nun führt der Regierungsrat in seinem Entscheid aus, bei der Beurteilung des vorliegenden Projektes unter dem Gesichtswinkel von Art. 9 USG dürfe berücksichtigt werden, dass nach dem Bau der 496 unterirdischen Abstellplätze die bestehenden 200 oberirdischen Parkplätze aufgehoben würden; für ein Parkhaus mit netto nur 296 neuen Parkplätzen sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich. Eine solche Betrachtungsweise ist jedoch nicht zulässig. Zu prüfen ist hier ein Baugesuch für eine neue Baute und nicht für die Abänderung oder Erweiterung einer bestehenden (vgl. BGE 112 Ib 306 E. 12e). Für die Beantwortung der Frage, ob eine neue Anlage im Sinne von Art. 9 Abs. 1 USG die Umwelt "erheblich belasten könne", ist nicht von Bedeutung, ob schon von anderen Anlagen Einwirkungen ausgingen und wie sich diese in Zukunft entwickeln werden. Die Vorbelastung der Umwelt und die nach dem Bau der neuen Anlage voraussichtlich verbleibende Belastung sind im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung selbst abzuklären bzw. abzuschätzen ( Art. 9 Abs. 2 lit. a und c USG ); sie bilden somit Gegenstand der Prüfung und keine Kriterien für die Prüfungspflicht an sich ( BGE 113 Ib 232 f.). Der Entscheid des Regierungsrates verletzt daher insofern Art. 9 USG , BGE 114 Ib 344 S. 355 als erklärt wird, das Parkhaus-Projekt brauche keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen zu werden. b) In seiner bisherigen Rechtsprechung zu Art. 9 USG hat das Bundesgericht dem Umstand, dass die bundesrätliche Ausführungs-Verordnung noch nicht in Kraft getreten ist, dadurch Rechnung getragen, dass von den zuständigen Behörden keine förmliche Umweltverträglichkeitsprüfung, sondern nur der Nachweis verlangt worden ist, dass materiell die nötigen Abklärungen vorgenommen und die gemäss Gesetz allenfalls erforderlichen Massnahmen getroffen worden sind ( BGE 113 Ib 235 f., 112 Ib 48 E. 4 f.). Diese Praxis muss auch im vorliegenden Fall gelten, war doch die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung zur Zeit der Erteilung der Baubewilligung noch nicht erlassen und steht auch heute noch nicht in Kraft. Dem Regierungsrat ist zugutezuhalten, dass er die Umweltschutzprobleme keineswegs verkannt, sondern sich im Baubewilligungsverfahren eingehend mit ihnen beschäftigt und die von der Bauherrschaft vorgelegten Berichte (Untersuchungen über lufthygienische Aspekte und über den nach Inbetriebnahme des Parkhauses zu erwartenden Strassenlärm) durch ein selbst eingeholtes Gutachten über die Verkehrs- und Lärmprobleme ergänzt hat. Zudem hat er Auskünfte und Stellungnahmen der kantonalen Ämter, so des kantonalen Laboratoriums und des kantonalen Tiefbauamtes, eingeholt. In seinem Entscheid räumt jedoch der Regierungsrat selbst ein, dass weniger weitgehende Abklärungen als bei einer eigentlichen Umweltverträglichkeitsprüfung getroffen worden seien. Tatsächlich erscheinen die Untersuchungen in einigen Punkten als ungenügend. So ist fraglich, ob der heutige Zustand hinsichtlich der Abgasimmissionen an allen kritischen Orten festgestellt worden ist, und blieb trotz der Annahme, dass nach Inbetriebnahme des Parkhauses übermässige Einwirkungen auftreten werden, die Frage ungeprüft, welche Massnahmen im Sinne von Art. 31 ff. der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 und wann diese ergriffen werden könnten. Auch bedarf die Bemerkung der Regierung, es wäre sinnvoll, die Parkhausentlüftung derart zu gestalten, dass bei einer allfällig notwendig werdenden Sanierung keine zu grossen Aufwendungen entstünden, der Konkretisierung. Welchen Lärm die Ventilationsanlage verursachen wird, ist ebenfalls nicht näher geprüft worden. Im weiteren fehlen Untersuchungen über die Umweltbelastung während der Bauzeit, so vor allem durch Lärm, Staub und den Abtransport des BGE 114 Ib 344 S. 356 Aushubmaterials. Schliesslich hat es der Regierungsrat unterlassen, die verschiedenen voraussehbaren Einwirkungen, wie in Art. 8 USG geboten, gesamthaft, in ihrem Zusammenwirken zu beurteilen. Die bisher angestellten Untersuchungen vermögen daher den Anforderungen des Umweltschutzgesetzes nicht in allen Teilen zu genügen und müssen von der Bauherrschaft oder der Baubewilligungsbehörde noch ergänzt werden. Ein eigentlicher Bericht im Sinne von Art. 9 Abs. 2 USG braucht indessen nach bisheriger Praxis (vgl. BGE 113 Ib 236 ) und auch gemäss der Übergangsbestimmung zur Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (Art. 24) nicht erstellt zu werden. Dagegen werden, wie sich schon aus der bundesrätlichen Botschaft zu Art. 9 USG (gemäss Entwurf: Art. 7; BBl 1979 III S. 786) und nun auch aus Art. 3 der Verordnung ergibt, in die Gesamtbeurteilung auch die Anliegen des Heimatschutzes, insbesondere die Aspekte des Ortsbildschutzes und der Denkmalpflege, einbezogen werden müssen. Die Sache ist in diesem Sinne zu ergänzender Abklärung an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 43 BGE 145 IV 42 S. 43 A. Am 15. Juni 2015 meldete der Geschäftsführer der A. GmbH der Polizei den Verdacht, dass seit Januar 2015 Bargeld aus der Kasse des Geschäftsbetriebs entwendet werde, und stellte am 23. Juni 2015, zusammen mit seiner Geschäftspartnerin, Strafantrag gegen unbekannt. In der Folge installierte die Polizei Kanton Solothurn mit Einwilligung der beiden Geschäftsführer, aber ohne Wissen der Angestellten, eine Videoüberwachung in den Räumlichkeiten der A. GmbH. Die Kameras mit bis zu vier Aufnahmepositionen richteten sich dabei entweder hauptsächlich oder ausschliesslich auf ein Büro mit Küche, welches durch eine Durchgangstür vom Haupt- und Geschäftsraum abgetrennt ist. Während der Hauptraum für Kunden frei zugänglich ist, wird der Büro-/Küchenbereich, in welchem sich auch der Tresor befindet, ausschliesslich vom Personal der A. GmbH benutzt. Die Auswertung und die Triage des Videomaterials sowie die Erstellung des Amtsberichts zu der erfolgten Überwachung wurden durch die Polizei besorgt. Die Videoaufnahmen erfassen den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 6. August 2015. Zu den Akten gegeben wurden aber lediglich einzelne Aufnahmesequenzen vom 1., 15. und 18. Juli 2015 sowie vom 5. August 2015. B. Die Staatsanwaltschaft Solothurn erhob am 24. August 2016 Anklage gegen X. wegen einfachen Diebstahls, begangen an insgesamt sieben Tagen in der Zeit vom 10. Juni 2015 bis zum 18. Juli 2015, zum Nachteil der A. GmbH. Der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt sprach X. am 18. November 2016 vom Vorwurf des Diebstahls frei. Dagegen erhob die A. GmbH Berufung. C. Das Obergericht des Kantons Solothurn erklärte X. am 4. Januar 2018 des mehrfachen geringfügigen Diebstahls, begangen am 10. und am 13. Juni 2015 für schuldig und verurteilte sie zu einer Busse von Fr. 500.- bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Tagen. Hinsichtlich der übrigen vorgehaltenen Diebstähle stellte es das Verfahren mangels Strafantrag ein. Ferner verpflichtete es X. zu einer Schadenersatzzahlung an die A. GmbH. Die weiteren Zivilforderungen verwies es auf den Zivilweg. BGE 145 IV 42 S. 44 D.
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Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X., das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 4. Januar 2018 sei mit Ausnahme von Ziffer 1 des Dispositivs (Verfahrenseinstellung) aufzuheben. Sie sei vom Vorwurf des mehrfachen geringfügigen Diebstahls, angeblich begangen am 10. und 13. Juni 2015, freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Beschwerdegegnerin (gemeint ist wohl die Staatsanwaltschaft) zurückzuweisen. E. Das Obergericht des Kantons Solothurn beantragt mit Vernehmlassung vom 28. August 2018 die Beschwerdeabweisung. Die A. GmbH stellt mit Eingabe vom 25. September 2018 den Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. X. hält in ihrem Schreiben vom 5. Oktober 2018 an ihren Anträgen fest. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn wird mit Ausnahme von Ziffer 1 des Dispositivs aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Zuwiderhandlung gegen das Beweisverwertungsverbot nach Art. 141 StPO . Die Vorinstanz habe ihren Schuldspruch massgeblich auf diverse Videoaufnahmen gestützt. Diese seien unter Verletzung der Anordnungsvoraussetzungen und Genehmigungsvorschriften erstellt worden, weshalb diese Beweise absolut unverwertbar seien. Ohne die Videoaufnahmen hätte die Vorinstanz die Beschwerdeführerin freigesprochen, beziehungsweise freisprechen müssen. 2. Die Vorinstanz hält dagegen, dass es sich bei der von der Polizei durchgeführten Videoüberwachung nicht um eine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 280 StPO handle. Wenn ein privater, nicht allgemein zugänglicher Raum mittels Videokamera überwacht werde, sei davon der Berechtigte an diesem Raum betroffen, mithin die A. GmbH (nachfolgend: Beschwerdegegnerin 2). Diese habe als Mieterin der betroffenen Räumlichkeit und Inhaberin des Hausrechts um die Überwachung gewusst, diese gewollt und folglich in diese eingewilligt. Zufolge dieser Zustimmung liege keine genehmigungspflichtige Zwangsmassnahme vor. Dass die Beschwerdeführerin und alle weiteren Angestellten, im Unterschied zu den Geschäftsführern der BGE 145 IV 42 S. 45 Beschwerdegegnerin 2, von den installierten Kameras im Nebenraum keine Kenntnis gehabt hätten, ändere nichts daran. Geheime Videoaufnahmen, die sich wie in vorliegendem Fall auf einen nur dem Personal zugänglichen und damit privaten Kassenraum beziehen und auf den Tresor ausgerichtet seien, um ausschliesslich alltägliche Arbeitsverrichtungen, insbesondere das Hinterlegen des Kasseneinsatzes im Firmentresor, aufzuzeichnen, würden keine Tatsachen erfassen, die dem Geheim- oder Privatbereich der betroffenen Arbeitnehmer zuzurechnen wären. Mangels Eingriff in den grundrechtlich geschützten Geheimbereich der gefilmten Arbeitnehmer stelle die Videoüberwachung keine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 StPO bzw. Art. 280 f. StPO dar, weshalb hierfür auch keine Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts erforderlich gewesen sei. Die mit der Videoüberwachung erlangten Beweise seien damit verwertbar. Die Beschwerdegegnerin 2 schliesst sich in ihrer Vernehmlassung im Wesentlichen der Auffassung der Vorinstanz an. 3. Gemäss Art. 196 StPO sind Zwangsmassnahmen Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in Grundrechte der Betroffenen eingreifen und die dazu dienen, Beweise zu sichern (lit. a), die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen (lit. b) oder die Vollstreckung des Endentscheides zu gewährleisten (lit. c). Zwangsmassnahmen beinhalten nicht notwendigerweise die Ausübung von Zwang. Entscheidend für die Begriffsbestimmung ist vielmehr die Qualität der Massnahme als Eingriff in die Grundrechte, wobei sowohl die Grundrechte gemäss Art. 7 ff. BV als auch jene gemäss Art. 2 ff. EMRK sowie Art. 6 ff. UNO-Pakt II (SR 0.103.2) angesprochen sind (JONAS WEBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 2 f. und 8 zu Art. 196 StPO ). Art. 280 f. StPO regelt die Zwangsmassnahme der Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten. Gemäss Art. 280 lit. b StPO kann die Staatsanwaltschaft technische Überwachungsgeräte einsetzen, um Vorgänge an nicht öffentlichen oder nicht allgemein zugänglichen Orten zu beobachten oder aufzuzeichnen. Vorbehältlich der Bestimmungen von Art. 280-281 StPO richtet sich der Einsatz technischer Überwachungsgeräte nach den Art. 269-279 StPO , mithin nach den Bestimmungen über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs ( Art. 281 Abs. 4 StPO ). Laut Art. 272 Abs. 1 StPO bedarf die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht. BGE 145 IV 42 S. 46 Gleiches gilt auch für den Einsatz technischer Überwachungsgeräte (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 272 Abs. 1 StPO ). Ergebnisse einer nicht genehmigten Überwachung sind nicht verwertbar (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO ) und sofort zu vernichten (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 1 StPO ). 4. 4.1 Die Vorinstanz gelangt zutreffend zum Schluss, dass es sich bei der fraglichen Videoüberwachung um eine von der privaten Beweismittelbeschaffung abzugrenzende hoheitliche Beweiserhebung der Polizei handelt. Ebenso ist ihr beizupflichten, dass vorliegend keine präventiv motivierte polizeiliche Überwachung im öffentlichen Raum in Frage steht, welche nicht in den Anwendungsbereich von Art. 280 StPO fällt, sondern ihre Rechtsgrundlage in den kantonalen Polizeigesetzen hat. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung, die Videoüberwachung stelle keine genehmigungspflichtige Zwangsmassnahme dar. 4.2 Art. 13 BV gewährleistet den Schutz der Privatsphäre. Danach hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privatlebens (Abs. 1). Abs. 2 dieser Bestimmung garantiert jeder Person sodann Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten. Das in Art. 13 Abs. 2 BV verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist als Unterfall des Rechts auf Privatsphäre konzipiert ( BGE 138 I 331 E. 5.1 S. 336 f.; BGE 137 I 167 E. 3.2 S. 172; Urteil 1B_510/2017 vom 11. Juli 2018 E. 3.3). Dieses garantiert dem Einzelnen die Herrschaft über seine personenbezogenen Daten, ohne Rücksicht darauf, wie sensibel die fraglichen Informationen sind ( BGE 140 I 2 E. 9.1 S. 22 f.; BGE 138 II 346 E. 8.2 S. 359 f.; RAINER J. SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 72 zu Art. 13 BV ; je mit Hinweisen). Entgegen dem zu eng geratenen Wortlaut dieser Bestimmung schützt Art. 13 Abs. 2 BV damit nicht nur vor dem Missbrauch persönlicher Daten, sondern erfasst grundsätzlich die ganze Breite staatlicher, datenbezogener Tätigkeiten wie das Erheben, Sammeln, Aufbewahren, Speichern, Bearbeiten sowie Weiter- und Bekanntgeben an Dritte (OLIVER DIGGELMANN, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 33 zu Art. 13 BV ; SCHWEIZER, a.a.O., N. 74 zu Art. 13 BV ). Entsprechend hat das Bundesgericht mehrfach festgehalten, dass die Erhebung, Aufbewahrung und Bearbeitung erkennungsdienstlicher Daten, worunter auch Videoaufnahmen fallen BGE 145 IV 42 S. 47 ( BGE 137 I 327 E. 4.4 S. 330), im öffentlich-rechtlichen Verhältnis in das Recht auf Privatsphäre bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen ( BGE 138 I 331 E. 5.1 S. 337; BGE 136 I 87 E. 5.1 S. 101 und E. 8.1 S. 112; BGE 129 I 232 E. 4.3.1 S. 245 f.; BGE 128 II 259 E. 3.2 S. 268; Urteil 6B_1100/2015 vom 23. Juni 2016 E. 1.3; Urteil 6B_1143/2015 vom 6. Juni 2016 E. 1.3.4 hinsichtlich dem Erstellen von Videoaufzeichnungen durch die Polizei; je mit Hinweisen). Die Behauptung der Vorinstanz, es liege kein Grundrechtseingriff und folglich auch keine Zwangsmassnahme vor, geht damit fehl. Ob es sich bei der polizeilichen Videoüberwachung der Beschwerdeführerin um einen schweren oder leichten Grundrechtseingriff handelt, kann offengelassen werden, da die StPO die Qualifizierung als Zwangsmassnahme nicht von der Intensität des Grundrechtseingriffs abhängig macht (vgl. Art. 196 StPO ). 4.3 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich aus den von ihr zitierten Urteilen 6B_536/2009 vom 12. November 2009 und 9C_785/2010 vom 10. Juni 2011 nichts Gegenteiliges ableiten. Wie die Vorinstanz selber festhält, betrafen diese Entscheide die private Beweiserhebung und nicht - wie vorliegend - eine staatliche Überwachung. Infolgedessen war die Frage, ob die durchgeführte Videoüberwachung in die Grundrechte der Überwachten eingriff, nicht Gegenstand dieser Entscheide. Vielmehr ging es in jenen Urteilen allein um die Prüfung strafrechtlicher ( Art. 179 quater StGB ), arbeitsrechtlicher (Art. 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz vom 18. August 1993 [ArGV 3; SR 822.113]) und datenschutzrechtlicher (insbesondere Art. 12 DSG [SR 235.1]) Bestimmungen sowie umdie Beurteilung, ob die Vorschriften des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ( Art. 28 ZGB ) verletzt seien. Dass das Bundesgericht bei einer privaten Videoüberwachung im Kassenraum des Arbeitgebers eine Verletzung dieser Vorschriften verneint hat, ist kein Hinweis dafür, dass eine derartige Beweismittelbeschaffung durch die Polizei keine Zwangsmassnahme darstellt. 4.4 An der Qualifikation als Zwangsmassnahme vermag auch der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin 2 als Hausherrin in die Videoüberwachung eingewilligt hat, nichts zu ändern. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, richteten sich die Ermittlungen gegen die Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin 2. Diese wurden im Nebenraum auf Video aufgezeichnet, ohne dass sie davon Kenntnis gehabt oder in diese Aufnahmen eingewilligt hätten. Obschon die Beschwerdeführerin zwar nicht Mieterin war und auch nicht das BGE 145 IV 42 S. 48 Hausrecht innehatte, war sie damit als Angestellte, welche in Wahrnehmung ihrer Aufgaben den fraglichen Nebenraum zu betreten hatte, von der Massnahme im Sinne von Art. 196 StPO betroffen. Die Beschwerdegegnerin 2 war nicht befugt, an Stelle der von der Überwachung betroffenen Beschwerdeführerin in die Überwachung einzuwilligen und so über deren Grundrecht auf Privatsphäre bzw. informationelle Selbstbestimmung zu verfügen. Die Frage, ob eine Zwangsmassnahme unbesehen einer Einwilligung der Betroffenen vorliege, kann damit offengelassen werden. 4.5 Nach dem Gesagten greift die vom 1. Juli 2015 bis zum 6. August 2015 hinweg dauernde Videoüberwachung in den Räumlichkeiten der Beschwerdegegnerin 2, welche ohne Kenntnis der Beschwerdeführerin erfolgt ist und von der Polizei zur Beweisbeschaffung angeordnet und durchgeführt wurde, in die durch Art. 13 BV grundrechtlich geschützte Privatsphäre der Beschwerdeführerin ein und stellt damit eine strafprozessuale Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 StPO dar. Mit den Videokameras wurden zweifelsohne technische Überwachungsgeräte im Sinne von Art. 280 StPO eingesetzt. Diese dienten dazu, Vorgänge an einem nicht öffentlichen bzw. nicht allgemein zugänglichen Ort aufzuzeichnen. Folglich liegt ein Einsatz technischer Überwachungsgeräte im Sinne von Art. 280 lit. b StPO vor, den die Staatsanwaltschaft hätte anordnen ( Art. 280 StPO ) und das Zwangsmassnahmengericht hätte genehmigen müssen (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 274 und Art. 272 Abs. 1 StPO ). Da die Videoüberwachung ohne Zutun der Staatsanwaltschaft von der Polizei Kanton Solothurn angeordnet und vom Zwangsmassnahmengericht nicht bestätigt wurde, sind die dadurch erlangten Erkenntnisse nach der unmissverständlichen, gesetzlichen Regelung von Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 2 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 StPO absolut unverwertbar und die entsprechenden Aufnahmen zu vernichten (Art. 281 Abs. 4 i.V.m. Art. 277 Abs. 1 StPO ). Die Beschwerde ist insofern begründet. 4.6 Nicht gefolgt werden kann der Beschwerdeführerin indes, soweit sie einen Freispruch verlangt und geltend macht, ohne die Videoaufnahmen hätte die Vorinstanz sie freigesprochen bzw. zwingend freisprechen müssen. Die Unverwertbarkeit der Videoaufnahmen hat nicht zur Folge, dass eine Verurteilung der Beschwerdeführerin per se ausser Betracht fällt. Zwar erachtet die Vorinstanz die Vorhalte vom 10. und vom 13. Juni 2015 unter anderem gestützt auf die BGE 145 IV 42 S. 49 Videoaufnahmen vom Juli und August 2015 als erwiesen. Wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, beruht ihr Beweisergebnis jedoch nicht einzig auf diesen Aufzeichnungen, sondern auch auf weiteren Beweismitteln (z.B. Arbeitszeiterfassung, Einvernahmen). Ob diese allein eine Verurteilung wegen Diebstahls zum Nachteil der Beschwerdegegnerin 2 zu begründen vermögen, ist nicht vom Bundesgericht, sondern von der Vorinstanz zu entscheiden ( BGE 143 IV 457 E. 1.6.3 S. 461; BGE 141 IV 220 E. 5 S. 230 f.). Eine wie von der Beschwerdeführerin beantragte Rückweisung an die Staatsanwaltschaft ist vorliegend nicht angezeigt. 4.7 Das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 4. Januar 2018 ist aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird unter Ausserachtlassung der nicht verwertbaren Videoaufnahmen zu beurteilen haben, ob die der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Straftaten vom 10. und 13. Juni 2015 rechtsgenüglich erstellt werden können. Es erübrigt sich damit, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen. Immerhin ist aber zu bemerken, dass es der Vorinstanz bei ihrer erneut vorzunehmenden Würdigung nicht verwehrt ist, Erkenntnisse aus der Zeit nach den zu beurteilenden Vorhalten vom 10. und 13. Juni 2015 in ihre Beweiswürdigung einfliessen zu lassen. Dass das Verfahren hinsichtlich der Vorhalte vom 24. Juni 2015 und vom 1., 4., 15. und 18. Juli 2015 eingestellt wurde, steht einem solchen Vorgehen nicht entgegen und verletzt weder die Unschuldsvermutung noch den Grundsatz ne bis in idem. Unzulässig und mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar wäre indessen eine Schuldfeststellung für die Vorhalte vom 24. Juni 2015 und vom 1., 4., 15. und 18. Juli 2015, für welche das Strafverfahren definitiv eingestellt wurde. Endet das Verfahren mit einer Einstellung, fehlt es an einer rechtskräftigen Verurteilung, sodass die Unschuldsvermutung weiterhin zu wahren ist. Hieraus folgt, dass das Gericht mit seiner Entscheidbegründung nicht zum Ausdruck bringen darf, es halte die beschuldigte Person für schuldig ( BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155; BGE 114 Ia 299 E. 2b S. 302; BGE 109 Ia 237 E. 2a S. 237 f.; ESTHER TOPHINKE, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 36 zu Art. 10 StPO ; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Aufl. 2014, N. 20 zu Art. 10 StPO mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Die Umschreibung einer Verdachtslage bleibt jedoch zulässig (Urteil 1B_3/2011 vom 20. April 2011 E. 2.5.2; TOPHINKE, a.a.O., N. 36 zu Art. 10 StPO ).
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Sachverhalt ab Seite 87 BGE 137 I 86 S. 87 A. A.a
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Am 30. November 2004 unterzog sich die 1937 als Max geborene Nadine Schlumpf einer Geschlechtsanpassungsoperation. Mit Verfügung vom 23. Dezember 2004 und bestätigendem Einspracheentscheid vom 16. Februar 2005 verneinte die SWICA Gesundheitsorganisation (nachfolgend: SWICA) - wie auf Gesuch um Kostengutsprache hin bereits mit Schreiben vom 29. November 2004 mitgeteilt - ihre Kostenvergütungspflicht aus obligatorischer Krankenpflegeversicherung. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die dagegen erhobene Beschwerde der Versicherten gut, hob den Einspracheentscheid vom 16. Februar 2005 auf und wies die Sache an die SWICA zurück, damit sie zusätzliche Abklärungen im Sinne der Erwägungen treffe (Entscheid vom 21. Juni 2005). Auf die Durchführung der im kantonalen Verfahren ursprünglich beantragten öffentlichen Verhandlung hatte die Versicherte verzichtet, nachdem ihr das Versicherungsgericht zu erkennen gegeben hatte, dass es die Angelegenheit zwecks ergänzender Beweisvorkehren an den Versicherer zurückzuweisen gedenke; die Gültigkeit des Verzichts war explizit ausgeschlossen worden für den Fall, dass die Beschwerdesache an das Eidg. Versicherungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (nachfolgend: EGMR) resp. nach erneutem Entscheid des Versicherers abermals an das kantonale Versicherungsgericht gelangen würde. A.b Gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Juni 2005 erhob die SWICA am 25. Juli 2005 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim damaligen Eidg. Versicherungsgericht (EVG), welches die Beschwerde mit Urteil vom 5. Dezember 2005 guthiess und den angefochtenen Entscheid aufhob (Verfahren K 110/05); dem Antrag von Nadine Schlumpf auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung gab das Gericht nicht statt. BGE 137 I 86 S. 88 B. Am 7. Juli 2006 liess Nadine Schlumpf gegen das EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 beim EGMR Beschwerde nach Art. 34 EMRK einreichen (Verfahren 29002/06). Die erste Kammer des EGMR stellte mit Urteil vom 8. Januar 2009 eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 und Art. 8 EMRK fest und sprach der Versicherten eine Entschädigung von 15'000 Euro als Genugtuung ("dommage moral") sowie 8'000 Euro Kostenersatz zu. Die Schweiz beantragte am 8. April 2009 die Verweisung der Rechtssache an die Grosse Kammer, was deren Ausschuss am 5. Juni 2009 ablehnte. C. Am 5. Oktober 2009 liess Nadine Schlumpf beim Bundesgericht ein Revisionsgesuch stellen mit dem Rechtsbegehren, es sei das Urteil des EVG vom 5. Dezember 2005 aufzuheben (Antrag Ziff. 1) und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten der Geschlechtsangleichungsoperation der Antragstellerin durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung erfüllt seien (Antrag Ziff. 2); eventualiter sei das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Juni 2005 zu bestätigen (Antrag Ziff. 3); zudem sei eine öffentliche Parteiverhandlung anzuordnen. Das Bundesamt für Gesundheit, das Versicherungsgericht des Kantons Aargau sowie die SWICA haben auf eine Stellungnahme verzichtet. D. Am 15. September 2010 führte das Bundesgericht eine öffentliche Parteiverhandlung und Urteilsberatung durch. Das Bundesgericht heisst das Revisionsgesuch gut. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die Gesuchstellerin beruft sich auf den Revisionsgrund gemäss Art. 122 BGG . Danach kann die Revision eines Entscheids des Bundesgerichts verlangt werden, wenn der EGMR in einem endgültigen Urteil festgestellt hat, dass die EMRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind (lit. a), eine Entschädigung nicht geeignet ist, die Folgen der Verletzung auszugleichen (lit. b), und die Revision notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen (lit. c). Revisionsgesuche gestützt auf Art. 122 BGG sind innert 90 Tagen einzureichen, nachdem das Urteil des EGMR nach Art. 44 EMRK rechtskräftig geworden ist ( Art. 124 Abs. 1 lit. c BGG ). BGE 137 I 86 S. 89 2.2 Das die Gesuchstellerin betreffende Urteil der I. Kammer des EGMR Schlumpf gegen Schweiz vom 8. Januar 2009 ist mit der am 5. Juni 2009 erfolgten Ablehnung des Antrags auf Verweisung an die Grosse Kammer endgültig geworden (Art. 42 und 44 Ziff. 2 lit. c EMRK). Mit der Gesuchseinreichung am 5. Oktober 2009 ist die 90tägige Frist unter Berücksichtigung des Fristenstillstands gemäss Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG gewahrt. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf das Revisionsgesuch einzutreten. 3. 3.1 Art. 122 BGG steht in direktem Bezug zu Art. 46 Ziff. 1 EMRK : Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten, die endgültigen Urteile des EGMR zu befolgen; der betreffende Staat muss eine festgestellte Konventionsverletzung, soweit sie fortdauert, beseitigen und die beschwerdeführende Partei soweit möglich in die Lage versetzen, in der sie sich ohne die Konventionsverletzung befände ("restitutio in integrum"; BGE 136 I 158 E. 2.3 und 3 S. 164; BGE 120 V 150 E. 3b/cc S. 159; Urteile des EGMR Verein gegen Tierfabriken gegen Schweiz vom 30. Juni 2009 §§ 85 f.; Assanidzé gegen Georgien vom 8. April 2004, Recueil CourEDH 2004-II S. 55 § 198; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 6 zu Art. 46 EMRK ; JÖRG POLAKIEWICZ, The Execution of Judgements of the European Court of Human Rights, in: Fundamental Rights in Europe - The European Convention and its Member States 1950-2000, Blackburn/Polakiewicz [Hrsg.], 2005, S. 57 ff.). Das Ministerkomitee überwacht den Vollzug der Urteile des Gerichtshofs ( Art. 46 Ziff. 2 EMRK ; Urteil Verein gegen Tierfabriken , §§ 61, 84); die konkrete Art und Weise der Wiederherstellung des konventionskonformen Zustands bleibt jedoch grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts (Urteil Verein gegen Tierfabriken , § 88; Unzulässigkeitsentscheid Lyons und andere gegen Vereinigtes Königreich vom 8. Juli 2003, Recueil CourEDH 2003-IX S. 431 ; CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, S. 93 f. Nr. 3; SOLVEIG HASS, Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2006, S. 71 f.; HEIKO SAUER, Die neue Schlagkraft der gemeineuropäischen Grundrechtsjudikatur, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht [ZaöRV] 65/2005 S. 35 ff., 39 f.; MARK E. VILLIGER, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ZSR 127/2008 I S. 453 ff., 469). Mit der Möglichkeit der innerstaatlichen Revision bundesgerichtlicher Urteile BGE 137 I 86 S. 90 nach Art. 122 BGG (vor 1. Januar 2007: Art. 139a OG ) verfügt die Schweiz über ein autonomes landesrechtliches Instrument zur Umsetzung der völkerrechtlichen Befolgungspflicht gemäss Art. 46 Ziff. 1 EMRK . 3.2 3.2.1 Gemäss Art. 122 BGG führt nicht jede Verurteilung der Schweiz durch den EGMR ohne Weiteres zu einer Aufhebung des betreffenden letztinstanzlichen (vgl. Art. 35 Ziff. 1 EMRK ), mit seiner Ausfällung rechtskräftig ( Art. 61 BGG ) gewordenen bundesgerichtlichen Urteils. Nach dem unter E. 2.1 Gesagten tritt diese innerstaatliche Wirkung - auf dem Wege der Revision - nur ein, soweit eine Entschädigung nicht geeignet ist, die Folgen der Verletzung auszugleichen, und die Revision notwendig ist, um die vom EGMR festgestellte Verletzung der EMRK - im Sinne der "restitutio in integrum" (E. 3.1 hievor) - zu beseitigen ( Art. 122 lit. b und c BGG ; vgl. auch SZS 2007 S. 71, B 57/06 E. 2.1). 3.2.2 Eine Entschädigung im Sinne von Art. 122 lit. b BGG ist namentlich die "gerechte Entschädigung" nach Art. 41 EMRK , welche der EGMR zusprechen kann, wenn er eine Konventionsverletzung festgestellt hat und das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung gestattet. Hat der EGMR eine die Folgen der Konventionsverletzung ausgleichende Entschädigung zugesprochen, besteht für die Revision des bundesgerichtlichen Urteils kein Anlass mehr; möglich bleibt diese nur insoweit, als sie geeignet und erforderlich ist, um über die finanzielle Abgeltung hinaus fortbestehende, konkrete nachteilige Auswirkungen der Konventionsverletzung im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens zu beseitigen. Stehen materielle Interessen zur Diskussion, bezüglich welcher die Konventionsverletzung zwar mit einer Entschädigung grundsätzlich vollständig gutgemacht werden könnte, hat der EGMR aber eine Entschädigung abgelehnt, weil ein Schaden fehlt, oder hat er sich mangels eines entsprechenden Begehrens über das Vorliegen eines Schadens nicht ausgesprochen, so kommt die Revision durch das Bundesgericht nicht mehr in Frage (vgl. zum Ganzen: BGE 125 III 185 E. 3 S. 188; BGE 123 I 283 E. 3a S. 287; Pra 2007 Nr. 49 S. 311, 6S.362/2006 E. 2; Urteil 2A.363/2001 vom 6. November 2001 E. 3a/bb; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, 2008, N. 4682 zu Art. 122 BGG ; ELISABETH ESCHER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 5 zu Art. 122 BGG ; PIERRE FERRARI, in: Commentaire BGE 137 I 86 S. 91 de la LTF, 2009, N. 8 zu Art. 122 BGG ; Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202 ff., 4353). 3.2.3 "Notwendig" im Sinne von Art. 122 lit. c BGG ist die Revision, sofern das Verfahren vor Bundesgericht ohne Konventionsverletzung einen andern Verlauf genommen hätte oder hätte nehmen können (vgl. ESCHER, a.a.O., N. 6 zu Art. 122 BGG ). 4. Anfechtungsgegenstand im Verfahren vor dem EGMR war das EVG-Urteil K 110/05 vom 5. Dezember 2005. Strittig war dort nicht die Durchführung der Geschlechtsanpassung als solche, sondern einzig der Anspruch der Versicherten auf Übernahme der entsprechenden Operationskosten durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung. Mit dem erwähnten EVG-Urteil wurde - ohne vorgängige öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK - der auf Rückweisung der Streitsache an die Krankenkasse lautende Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 21. Juni 2005 aufgehoben und der umstrittene Kostenvergütungsanspruch abschliessend verneint. Übereinstimmend mit der Krankenkasse begründete das EVG die definitive Leistungsverweigerung damit, der operative Eingriff sei vor Ablauf der gemäss - (damals) zuletzt mit RKUV 2004 S. 392 f., K 142/03 E. 2.2 bestätigter - Rechtsprechung des EVG vorausgesetzten zweijährigen Beobachtungszeit vorgenommen worden (Urteil K 110/05 vom 5. Dezember 2005 E. 3.3 und 3.5); letztere soll nach konstanter Praxis mittels Alltagstests, medizinischer Untersuchungen und Massnahmen (insbesondere psychiatrisch-psychotherapeutischer und endokrinologischer Art) zuverlässig Gewissheit darüber verschaffen, dass ein schwerer Fall von echtem - d.h. gemäss Art. 25 KVG krankheitswertigem - Transsexualismus vorliegt, der mit Psychotherapie und Hormontherapie allein nicht angegangen werden kann und somit den chirurgischen Eingriff - im Sinne der Leistungsvoraussetzungen der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit ( Art. 32 Abs. 1 KVG ) - tatsächlich erfordert (vgl. BGE 114 V 162 E. 4 S. 167). Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hatte in seinem vom EVG aufgehobenen Entscheid vom 21. Juni 2005 argumentiert, die zweijährige Beobachtungszeit dürfe nicht als conditio sine qua non für die Diagnose des echten Transsexualismus und die Bejahung der Operationsnotwendigkeit verstanden werden. Im erwähnten Urteil K 110/05 hielt das EVG dagegen, es bestehe auch unter Berücksichtigung des aktuellen Standes BGE 137 I 86 S. 92 der Medizin kein Anlass, vom generellen Erfordernis der zweijährigen Beobachtungszeit abzurücken; dieses trage der Schwere und Irreversibilität einer Geschlechtsanpassung angemessen Rechnung und biete überdies Gewähr für die notwendige Rechtssicherheit im Spannungsfeld zwischen dem Leidensdruck der Betroffenen einerseits und dem zwingenden Gebot, ungerechtfertigte derartige Operationen zu vermeiden, andererseits (Urteil K 110/05 vom 5. Dezember 2005 E. 3.4). 5. Nach den Feststellungen des EGMR im Urteil Schlumpf gegen Schweiz vom 8. Januar 2009 hat die Schweiz mit dem EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 sowohl Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) als auch Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) verletzt: 5.1 Eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK liegt gemäss EGMR im Umstand, dass im EVG-Verfahren trotz des ausdrücklichen Antrags der Versicherten keine öffentliche Verhandlung durchgeführt worden war. Die Antragstellerin habe im Verfahren vor dem kantonalen Gericht wohl auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet, dabei jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass dieser Verzicht nur für den Fall der Rückweisung der Streitsache an die Krankenkasse zwecks weiterer Abklärung und jedenfalls nicht für ein eventuelles Verfahren vor dem EVG gelte. Des Weitern sei die für die umstrittene Kostenübernahme der Krankenkasse entscheidende Frage der Notwendigkeit einer Geschlechtsumwandlung nicht rein rechtlicher oder technischer Natur (was den ausnahmsweisen Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung rechtfertigte; vgl. Urteile des EGMR Schuler-Zgraggen gegen Schweiz vom 24. Juni 1993, Serie A Bd. 263 § 58; Döry gegen Schweden vom 12. November 2002 §§ 37 ff.; Miller gegen Schweden vom 8. Februar 2005 §§ 29 und 31 ff.; Urteil des Bundesgerichts 1C_457/2009 vom 23. Juni 2010 E. 3.2); dies gelte umso mehr, als die Parteien sich hinsichtlich der Zweckmässigkeit der zweijährigen Wartefrist (E. 4 hievor) uneins gewesen seien. Unter diesen Umständen verletze die Ablehnung des Antrags der Versicherten das durch Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleistete Recht, vor mindestens einer Instanz öffentlich angehört zu werden (Urteil Schlumpf , §§ 67-69). 5.2 Des Weitern erblickte der EGMR in der Ablehnung des Beweisantrags der Versicherten auf Anhörung der von ihr genannten BGE 137 I 86 S. 93 Zeugen und medizinischen Experten eine Verletzung des aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK fliessenden Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Entscheid über die Notwendigkeit einer Geschlechtsumwandlungsoperation sei, wie im Urteil Van Kück gegen Deutschland vom 12. Juni 2003, Recueil CourEDH 2003-VII S. 37 §§ 54 f. dargelegt, auf der Basis medizinischer Spezialkenntnisse und Expertisen zu treffen; dementsprechend hätte der Versicherten die Erbringung des Beweises ermöglicht werden müssen, dass die Geschlechtsumwandlungsoperation in ihrem Fall vor Ablauf der rechtsprechungsgemäss verlangten zweijährigen Beobachtungszeit (E. 4 hievor) medizinisch indiziert gewesen war. Ihr diesen Nachweis unter Verweis auf eine abstrakte, im Gesetz selbst nicht genannte Regel zu verwehren, sei unverhältnismässig; dies gelte umso mehr, als die Zweijahresfrist gemäss EVG-Rechtsprechung im Wesentlichen zum Ziel habe, Gewissheit über das Vorliegen eines "echten Transsexualismus" zu gewinnen, die entsprechende Diagnose im konkreten Fall jedoch gesichert gewesen sei (Urteil Schlumpf , §§ 53-57). 5.3 Schliesslich stellte der Gerichtshof (mit 5 zu 2 Stimmen) eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) fest: Diese Bestimmung schütze gemäss EGMR-Rechtsprechung u.a. das Recht auf geschlechtliche Identität und sexuelle Selbstbestimmung; sie garantiere namentlich auch die persönliche Entfaltung sowie die psychische und geistige Integrität der Transsexuellen (Urteil Schlumpf , §§ 77, 100 f. mit Hinweisen auf die EGMR-Rechtsprechung). Mit Bezug auf den konkreten Fall anerkannte der Gerichtshof, dass der Beschwerdeführerin weder die Geschlechtsumwandlungsoperation als solche noch die juristische Anerkennung ihres neuen Geschlechts verwehrt worden war, Art. 8 EMRK mithin insoweit nicht tangiert ist. Er stellte ebenfalls ausdrücklich klar, dass sich aus dem Recht auf Privatleben - und aus allen übrigen Konventionsgarantien - kein Anspruch auf Rückerstattung der Kosten einer Geschlechtsumwandlung ergibt (Urteil Schlumpf , § 77). Unter dem Blickwinkel von Art. 8 EMRK sei im zu beurteilenden Fall zentrale Frage einzig (§ 108; Hervorhebung nicht im Original): "... celle de l'application faite par le Tribunal fédéral des assurances des conditions de prise en charge des frais médicaux lorsqu'il a eu à se prononcer sur la demande de la requérante de se faire reconnaître un droit au remboursement pour les frais liés à une opération de conversion sexuelle." BGE 137 I 86 S. 94 In dieser Hinsicht führte der EGMR aus, Fragen betreffend Bestimmung des eigenen Geschlechts berührten einen der intimsten Aspekte des Privatlebens. Der Staat habe sie daher - im Sinne einer positiven Verpflichtung - unter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und jener des betroffenen Individuums zu beurteilen und diesbezüglich einen gerechten Ausgleich ("juste équilibre") herbeizuführen; dabei stehe ihm ein gewisser Ermessensspielraum zu (Urteil Schlumpf , §§ 103 f.). Im Falle der Beschwerdeführerin sei die umstrittene Übernahme der Operationskosten durch die Krankenkasse ohne solche Abwägung, namentlich ohne Berücksichtigung der spezifischen Umstände des Einzelfalls, sondern einzig wegen Nichteinhaltung der zweijährigen Beobachtungsfrist verweigert worden. Diese zu rigide Anwendung (a.a.O., § 111) eines Kriteriums, das - so der EGMR - ohne Grundlage im Gesetz durch die EVG-Rechtsprechung etabliert worden sei (a.a.O., § 109), verletze Art. 8 EMRK (a.a.O., §§ 105-116). Zusammenfassend stellte der Gerichtshof fest (a.a.O.; Hervorhebungen nicht im Original): "115. Le respect de la vie privée de la requérante aurait exigé la prise en compte des réalités médicale, biologique et psychologique, exprimées sans équivoque par l'avis des experts médicaux, pour éviter une application mécanique du délai de deux ans. La Cour en conclut que, eu égard à la situation très particulière dans laquelle se trouvait la requérante - âgée de plus de 67 ans au moment de sa demande de prise en charge des frais liés à l'opération -, et compte tenu de la marge d'appréciation étroite dont l'Etat défendeur bénéficiait s'agissant d'une question touchant à l'un des aspects les plus intimes de la vie privée, un juste équilibre n'a pas été ménagé entre les intérêts de la compagnie d'assurance, d'une part, et les intérêts de la requérante, d'autre part." 5.4 Die in der Beschwerde ebenfalls geltend gemachte Verletzung von Art. 14 EMRK prüfte der EGMR nicht gesondert. Er begründete dies damit, dass die Rüge in der Substanz mit derjenigen betreffend Art. 6 und 8 EMRK zusammenfalle (Urteil Schlumpf , §§ 117 f.). 5.5 Unter dem Titel der "gerechten Entschädigung" gemäss Art. 41 EMRK (E. 3.2 hievor) stellte der EGMR fest, die Beschwerdeführerin habe keinen materiellen Schaden geltend gemacht, sondern die Zusprechung von Fr. 43'000.- (im Urteilszeitpunkt: rund 28'841 Euro) unter dem Titel des immateriellen Schadens (dommage moral) verlangt. Der Gerichtshof prüfte daher das Vorliegen eines materiellen Schadens nicht näher. Er erachtete es jedoch als indiskutabel, dass die Versicherte durch den Verfahrensmangel und die BGE 137 I 86 S. 95 Beeinträchtigung des Privatlebens jedenfalls einen immateriellen Schaden erlitten hat; hierfür stehe ihr unter Würdigung der Umstände eine Entschädigung von 15'000 Euro zu. Zusätzlich verpflichtete der EGMR die Schweiz, der Gesuchstellerin 8'000 Euro Kosten- und Auslagenersatz zu leisten (Urteil Schlumpf , §§ 120 ff.). 5.6 Nachfolgend ist im Lichte der unter E. 3 dargelegten Grundsätze zu prüfen, ob das EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 aufgrund der im EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009 festgestellten Konventionsverletzungen zu revidieren ist ( Art. 122 BGG ). 6. Hinsichtlich der vom EGMR festgestellten Verletzung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK vertritt die Gesuchstellerin den Standpunkt, mit der vom EGMR für moralische Unbill zugesprochenen Entschädigung in der Höhe von 15'000 Euro (E. 5.5 hievor) sei der konventionskonforme Zustand nicht vollumfänglich wiederhergestellt. Ob es sich tatsächlich so verhält, bedarf keiner abschliessenden Prüfung. Mit der im Rahmen des bundesgerichtlichen Revisionsverfahrens am heutigen Datum durchgeführten Parteiverhandlung vor dem Bundesgericht ist die Gesuchstellerin - ihrem Antrag im Revisionsgesuch entsprechend - in ihrer Sache öffentlich angehört worden. Sie hat sich zur Zulässigkeit und materiellrechtlichen Begründetheit des Revisionsgesuchs äussern und namentlich auch die rechtlichen und medizinischen Gründe mündlich vorbringen können, die ihres Erachtens für die ursprünglich und aktuell in Frage stehende Kostenübernahmepflicht der Krankenkasse sprechen. Die Gesuchstellerin macht in ihrem Revisionsgesuch nicht geltend, die festgestellte Konventionsverletzung bedürfe noch weiterer Korrekturen. In diesem Punkt ist daher - was der Rechtsvertreter der Gesuchstellerin anlässlich der öffentlichen Anhörung anerkannt hat - der mit dem EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 geschaffene konventionswidrige Zustand beseitigt, sodass insoweit kein Grund für eine weitergehende Revision besteht (E. 3.1 hievor; vgl. etwa auch Urteil 2A.318/2006 vom 25. April 2007 E. 2.3). 7. 7.1 Ob die im EGMR-Urteil weiter festgestellten Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK und des Anspruchs auf Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK (E. 5.2 und 5.3 hievor) einen - zusätzlich zur entschädigten moralischen Unbill - auszugleichenden materiellen Schaden der Versicherten bewirkt haben, hat der EGMR nicht geprüft. Er BGE 137 I 86 S. 96 begründete dies damit, ein materieller Schaden sei im Verfahren vor dem EGMR nicht geltend gemacht worden (E. 5.5 hievor). Wäre dem so, fiele die beantragte, auf Übernahme der Operationskosten zielende und damit ausschliesslich vermögensrechtlich motivierte innerstaatliche Revision nach Art. 122 BGG ausser Betracht (E. 3.2 hievor). Die Feststellung des EGMR, im Verfahren vor dem EGMR sei kein materieller Schaden behauptet worden, ist indessen aktenwidrig. In ihrer Beschwerde an den EGMR (S. 11 Ziff. V.19) hatte die Gesuchstellerin ausdrücklich die Zusprechung einer Entschädigung für materiellen Schaden in der Höhe von Fr. 42'730.- verlangt, resultierend daraus, dass sie die Operationskosten in dieser Höhe mangels Übernahme durch den Krankenversicherer selber habe bezahlen müssen; (nur) eventualiter für den Fall, dass gemäss EGMR nicht mit Bestimmtheit gesagt werden könne, die Verfahren betreffend Kostenübernahme wären ohne Konventionsverletzung zu ihren Gunsten entschieden worden, beantragte sie als Ausgleich für die von ihr erlittenen immateriellen Schäden eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 43'000.-. Dass der EGMR die ausdrücklich geltend gemachte Vermögensschädigung nicht geprüft hat, darf der Versicherten - auch mit Blick darauf, dass das Zusammenspiel des nationalen und internationalen Rechts insgesamt zu einer sinnvollen und zweckmässigen Wiederherstellung eines konventionskonformen Zustands führen und damit den effektiven Schutz der in der Konvention verankerten Garantien gewährleisten soll (Urteile 2A.318/2006 vom 25. April 2007 E. 2.1; 2A.93/2001 vom 31. Oktober 2001 E. 2b/aa; Pra 2001 Nr. 92 S. 531, 2A.232/2000 E. 2b/aa) - nicht zum Nachteil gereichen. Die Revision des EVG-Urteils kann ihr mithin nicht mit der formalen Begründung verweigert werden, ein materieller Schaden sei im EMRK-Verfahren nicht behauptet worden; letztere offensichtlich aktenwidrige Sachverhaltsfeststellung des EGMR bindet das Bundesgericht nicht. 7.2 Die Gesuchstellerin ist durch die definitive Leistungsverweigerung im EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 in ihren materiellen Interessen insoweit tangiert, als sie die Kosten der am 30. November 2004 durchgeführten Geschlechtsanspassung definitiv nicht von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet erhielt. Dieser vermögensrechtliche Nachteil wird durch die vom EGMR allein für immateriellen Schaden (moralische Unbill) zugesprochene Entschädigung nicht ausgeglichen. Im Hinblick auf die Wiederherstellung BGE 137 I 86 S. 97 des konventionskonformen Zustands ist indessen zu beachten, dass Gegenstand der erwähnten Konventionsverletzungen (E. 7.1) nicht die Leistungsverweigerung gemäss EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 als solche ist; sie betreffen mithin nicht den Verfahrensausgang selbst. Ebenso wenig hat der EGMR die Voraussetzung einer zweijährigen Beobachtungszeit für die Kassenpflichtigkeit von Geschlechtsumwandlungsoperationen per se als konventionswidrig erachtet (Urteil Schlumpf , § 113). Die Konventionsverletzungen liegen nach den Feststellungen des EGMR einzig in der Beweiserhebung und -würdigung, d.h. in der Art und Weise, wie es zum definitiv leistungsverweigernden EVG-Urteil gekommen ist (E. 5.2 und 5.3 hievor). Allein darauf erstreckt sich die völkerrechtliche Vollzugspflicht nach Art. 46 EMRK und ein allfälliger Revisionsbedarf resp. Wiedergutmachungsanspruch nach Art. 122 BGG (vgl. auch BGE 120 V 150 E. 3c/bb S. 159). 7.3 7.3.1 Die Revision des EVG-Urteils ist nur angezeigt, sofern das ursprüngliche Verfahren ohne die im EGMR-Urteil festgestellten Konventionsverletzungen einen andern Verlauf hätte nehmen können (E. 3.2.3 hievor) resp. die Gesuchstellerin durch die Konventionswidrigkeit einer realen Chance (vgl. auch FROWEIN/PEUKERT, EMRK- Kommentar, N. 9 zu Art. 41 EMRK ) auf einen für sie positiven Leistungsentscheid (Bejahung der Kostenübernahmepflicht der Krankenkasse) beraubt wurde; nur diesfalls kann von fortbestehenden nachteiligen Auswirkungen der Konventionsverletzung die Rede sein, die gemäss Art. 122 lit. c BGG durch Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens beseitigt werden müssen. 7.3.2 Der EGMR hat in § 122 seines Urteils die Frage nach dem Ausgang des EVG-Verfahrens ohne Konventionsverletzung offengelassen. Er hat aber, wie ausgeführt, für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, das EVG hätte der Versicherten nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK den Nachweis ermöglichen müssen, dass die Geschlechtsanpassung vor Ablauf der von der Rechtsprechung verlangten zweijährigen Beobachtungsphase medizinisch notwendig war, und das EVG habe die Zweijahres-Regel in einer Art. 8 EMRK zuwiderlaufenden mechanischen Weise angewandt resp. es konventionswidrig unterlassen, im Hinblick auf eine mögliche Ausnahme von der Regel eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (E. 5.2 und 5.3 hievor). Damit unterstellt der EGMR zwingend , dass das EVG-Verfahren bei BGE 137 I 86 S. 98 konventionskonformem Vorgehen zu Gunsten der Versicherten hätte ausfallen können . Dies hat das Bundesgericht so entgegenzunehmen ( Art. 46 EMRK ; vgl. E. 7.3.4 hernach), wirft aber - wie nachfolgend verdeutlicht - grundsätzliche Fragen nach der Grenzziehung zwischen der Rechtsprechungszuständigkeit des EGMR und der schweizerischen Gerichtsbarkeit im Bereich sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche auf. 7.3.3 7.3.3.1 Der EGMR ist gemäss seiner eigenen, konstanten Rechtsprechung nicht zuständig für die richtige Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts; es steht ihm namentlich nicht zu, eine (willkürfreie) innerstaatliche Interpretation des Landesrechts durch seine eigene zu ersetzen (so ausdrücklich Urteil Schlumpf , §§ 111 und 51 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung). Der EGMR hat nur, aber immerhin, zu überprüfen, ob das nationale Recht, so wie es von den letztinstanzlichen innerstaatlichen Behörden ( Art. 35 Abs. 1 EMRK ) ausgelegt und angewendet wird, die in der Konvention festgelegten Rechte verletzt ( Art. 32 und 34 EMRK ). 7.3.3.2 Es steht ausser Frage, dass Art. 8 EMRK den Anspruch Transsexueller auf sexuelle Identität und Selbstbestimmung über den eigenen Körper, einschliesslich das Recht auf Geschlechtsumwandlung und deren juristische Anerkennung schützt (Urteile des EGMR Christine Goodwin gegen Vereinigtes Königreich vom 11. Juli 2002, Recueil CourEDH 2002-VI S. 45 §§ 71 ff.; Grant gegen Vereinigtes Königreich vom 23. Mai 2006, Recueil CourEDH 2006-VII S. 19 §§ 39 ff.; L. gegen Litauen vom 11. September 2007 §§ 56 ff.; Van Kück gegen Deutschland vom 12. Juni 2003 §§ 69 ff.; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, N. 13 f. zu Art. 8 EMRK ; GRABENWARTER, a.a.O., S. 200 Nr. 8; STEPHAN BREITENMOSER, Die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK , in: EMRK: neuere Entwicklungen, Daniel Thürer [Hrsg.], 2005, S. 125 ff.). Der im EVG-Verfahren einzig umstrittene sozialversicherungsrechtliche Kostenvergütungsanspruch aus obligatorischer Krankenpflegeversicherung ergibt sich hingegen - auch nach Auffassung des EGMR (vgl. E. 5.3 hievor) - nicht aus Art. 8 EMRK und auch nicht aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ; letztere Verfahrensnorm hat insbesondere nicht die Ausgestaltung der konkreten materiellrechtlichen Voraussetzungen sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche zum Gegenstand. Das EVG hatte daher die damalige BGE 137 I 86 S. 99 Rechtsstreitigkeit materiellrechtlich allein aufgrund der einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften des Art. 25 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 32 KVG zu beurteilen, wonach die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für Leistungen bei Krankheit zu übernehmen hat, sofern die Massnahmen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind (vgl. auch Urteil Schlumpf , § 55). Ebendiese Gesetzesbestimmungen hat das EVG in seinem Urteil vom 5. Dezember 2005 angewandt, als es die umstrittene Kostenübernahme unter Verweis auf die Nichterfüllung der zweijährigen Beobachtungsphase gemäss der (bereits mit BGE 114 V 153 E. 4a S. 159 begründeten) EVG-Rechtsprechung verweigerte. Letztere "Zweijahres-Regel" stellt keineswegs eine aussergesetzliche Ergänzung (so aber unzutreffend das EGMR-Urteil; E. 5.2 hievor), sondern vielmehr eine im Bereich sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche typische, bis zu einem gewissen Grade unumgängliche konkretisierende Ausgestaltung der in Art. 25 und 32 KVG relativ offen formulierten gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen dar. Gemäss Grundsatzurteil BGE 114 V 153 ist das Erfordernis der mindestens zweijährigen Beobachtungszeit Ergebnis einer - gestützt auf eingehende medizinische Darlegungen zahlreicher Spezialärzte im Bereich der Psychiatrie, der Endokrinologie sowie der Plastischen und Wiederherstellungs-Chirurgie vorgenommenen - gerichtlichen Abwägung zwischen dem persönlichkeitsnahen und vitalen Interesse der Transsexuellen an sexueller Identität und Selbstbestimmung einerseits und den Interessen der Einzelnen wie der gesamten Versichertengemeinschaft andererseits daran, dass insbesondere die gesetzlichen Kriterien der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit ( Art. 32 KVG ) bei einem derart folgenschweren und auch erheblich kostenrelevanten Eingriff wie der Geschlechtsanpassung sehr sorgfältig geprüft und ungerechtfertigte Operationen auf Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vermieden werden (vgl. auch E. 4 hievor in fine). Das Erfüllen der zweijährigen Beobachtungsphase als Voraussetzung nicht einer Geschlechtsumwandlungsoperation als solcher, aber des krankenversicherungsrechtlichen Kostenvergütungsanspruchs - erachtet die im Urteil K 110/05 zitierte Rechtsprechung ungeachtet der konkreten persönlichen Umstände als eine verhältnismässige, insbesondere auch als für die je betroffenen Personen zumutbare Konkretisierung der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen. Ihre Einhaltung generell-abstrakt für alle Transsexuellen zu fordern, stellt - so die zu Grunde liegende Überzeugung - einen BGE 137 I 86 S. 100 sozialstaatlich angemessenen Interessenausgleich (vgl. Urteil Schlumpf , § 104: "mise en balance des intérêts concurrents") unter gleichzeitiger Wahrung der auch im Sozialversicherungsrecht zentralen Gebote der Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit dar. Es verhält sich mit diesem Leistungserfordernis insoweit nicht anders als in zahlreichen andern Fällen des Sozialversicherungsrechts, in welchem für Betroffene gleichermassen geltende versicherungsrechtliche Leistungsvoraussetzungen die private Lebensführung - etwa den konkreten Zeitpunkt einer medizinischen Massnahme oder die Wahl eines bestimmten Leistungserbringers - beeinflussen können. 7.3.3.3 Nach dem vorstehend Gesagten konnte und musste sich das EVG im Urteil vom 5. Dezember 2005 mit den von der Versicherten angebotenen Beweisen und geltend gemachten Umständen nicht befassen, da ihnen im Lichte der konkretisierenden innerstaatlichen Auslegung des Art. 25 in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 KVG die Rechtserheblichkeit abzusprechen war, sie mithin auch nicht dem Recht, zum Beweis zugelassen zu werden ( Art. 29 Abs. 2 BV ), unterstanden (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; BGE 131 I 153 E. 3 S. 157 mit Hinweisen; Urteil 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009 E. 3.1; ferner - mit Bezug auf Art. 8 ZGB - BGE 129 III 18 E. 2.6 S. 24 mit Hinweisen). Indem der EGMR im Urteil vom 8. Januar 2009 gestützt auf Art. 6 Ziff. 1 und Art. 8 EMRK eine an den spezifischen Umständen des Einzelfalls orientierte Betrachtungsweise verlangt, die allenfalls eine Ausnahme von der "Zweijahres-Regel" zu begründen vermöchte, hat er in concreto über eine (juristische) Frage der Rechtserheblichkeit entschieden, deren Beantwortung im versicherungsrechtlichen Kontext von den massgebenden innerstaatlichen Rechtsnormen abhängt. Im Ergebnis hat er damit - auch als Konsequenz einer fliessenden Grenzziehung zwischen Verfahrensansprüchen nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK einerseits und positiven Verpflichtungen aus Art. 8 EMRK andererseits (vgl. dazu GEROLD STEINMANN, Der Schweizer Praktiker vis-à-vis von EMRK und EGMR, in: EMRK und die Schweiz, Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], 2010, S. 252 ff.) - materiellrechtlich Einfluss genommen auf die landesrechtliche Ausgestaltung einer obligatorischen Sozialversicherungsleistung, auf welche die EMRK selbst keinen Anspruch gibt. Man könnte sich fragen, ob der EGMR damit nicht seine ihm in den Art. 19 und 34 EMRK übertragenen Zuständigkeiten überschritten hat. 7.3.4 Das Bundesgericht hat die im EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009 festgestellten Konventionsverletzungen nach Massgabe von BGE 137 I 86 S. 101 Art. 46 EMRK und Art. 122 BGG auch dann zu beseitigen, wenn es von der Richtigkeit der Herleitung und Begründung durch den EGMR nicht überzeugt ist. Die im EGMR-Urteil geforderte Einzelfallprüfung hat bis heute nicht stattgefunden; die Gesuchstellerin bleibt weiterhin - gemäss EGMR zu Unrecht - kategorisch vom umstrittenen Kostenvergütungsanspruch ausgeschlossen. Abgesehen vom Anspruch auf öffentliche Verhandlung (E. 6 hievor) dauern die festgestellten Konventionsverletzungen somit an. Sie sind erst beseitigt, wenn aufgrund konkreter medizinischer Stellungnahmen abschliessend geklärt worden ist, ob im Falle der Versicherten die Geschlechtsumwandlungsoperation - unter Berücksichtigung der besonderen, vom EGMR erwähnten Gegebenheiten (wie persönliche und familiäre Vorgeschichte, Alter von 67 Jahren im Operationszeitpunkt, ...) - vor Ablauf der zweijährigen Beobachtungs- und Behandlungsphase gerechtfertigt war, mit andern Worten bereits im Operationszeitpunkt (November 2004) ein nur noch mittels operativem Eingriff wirksam und zweckmässig behandelbarer Transsexualismus feststand. Die Revision ist daher im Sinne von Art. 122 lit. c BGG notwendig, um den konventionskonformen Zustand wiederherzustellen. Das Revisionsgesuch ist demnach gutzuheissen und das EVG-Urteil vom 5. Dezember 2005 aufzuheben. Damit wird das ursprüngliche Verfahren wieder aufgenommen und die Gesuchstellerin in den Zustand ex tunc ohne die vom EGMR festgestellten Konventionsverletzungen versetzt; die vor dem EVG hängig gewesene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist - nach damaliger Sach- und Rechtslage unter Beachtung der Vorgaben gemäss EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009 - zu beurteilen, wie wenn das Urteil K 110/05 nicht existiert hätte (vgl. BGE 136 I 158 E. 3 S. 164; Urteil 2F_11/2008 vom 6. Juli 2009 E. 4.1 mit Hinweis). 8. 8.1 Für den hier eingetretenen Fall der Gutheissung des Revisionsgesuchs beantragt die Gesuchstellerin in der Hauptsache die bundesgerichtliche Feststellung, "dass die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten der Geschlechtsangleichungsoperation der Antragstellerin durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung erfüllt sind" (Antrag Ziff. 2); der Nachweis hierfür sei durch die vorhandenen medizinischen Akten und den im Revisionsgesuch dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft hinreichend erbracht. 8.2 Dem im Grunde nicht auf ein letztinstanzliches Feststellungs-, sondern auf ein direktes Leistungsurteil zielenden Antrag der BGE 137 I 86 S. 102 Gesuchstellerin ist nicht stattzugeben: Beschwerdeführende Partei im EVG-Ausgangsverfahren war die Krankenkasse SWICA, welche die Aufhebung des Rückweisungsentscheids vom 21. Juni 2005 (E. 4 hievor) und Bestätigung ihres leistungsverweigernden Einspracheentscheids vom 16. Februar 2005 beantragt hatte. Die heutige Gesuchstellerin hatte darauf verzichtet, ihrerseits Beschwerde zu führen. Da das für das Ausgangsverfahren massgebende Bundesrechtspflegegesetz (OG) - wie heute das Beschwerdeverfahren nach Art. 90 ff. BGG (SVR 2009 FZ Nr. 5 S. 17, 8C_156/2009 E. 4 mit Hinweis; Urteile 8C_531/2008 vom 8. April 2009 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 135 V 279 ; 8C_231/2008 vom 3. April 2009 E. 2, nicht publ. in: BGE 135 V 185 ; je mit Hinweisen) - die Anschlussbeschwerde nicht vorsah ( BGE 125 V 324 E. 2 S. 328 mit Hinweis), beschränkte sich ihr vernehmlassungsweise gestellter Antrag - mit Blick auf den durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestimmten Streitgegenstand zutreffend ( BGE 122 V 242 E. 2a S. 244 mit Hinweisen) - auf die Bestätigung des angefochtenen kantonalen Entscheids und die Abweisung der dagegen gerichteten Beschwerde der SWICA. Wie nachfolgend gezeigt, besteht im Lichte des nunmehr ergangenen EGMR-Urteils kein Anlass, über die damaligen Anträge der Parteien im Sinne der im Revisionsgesuch verlangten (unter Herrschaft des OG [anders als heute] grundsätzlich zulässigen; Art. 132 lit. c OG ; RKUV 2004 S. 442, U 202/03 E. 3.2) reformatio in peius zu Lasten der Krankenkasse hinauszugehen; eine erneute Konventionsverletzung im Ausgangsverfahren kann anderweitig abgewendet werden. 8.3 In seinem Entscheid vom 21. Juni 2005 hat das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Sache an die SWICA zurückgewiesen. Es ordnete ergänzende medizinische Abklärungen an zur seines Erachtens nicht rechtsgenüglich geklärten Frage, ob im Zeitpunkt der Geschlechtsumwandlungsoperation im November 2004 ein Transsexualismus vorgelegen habe, der mit Psychotherapie und Hormontherapie nicht angegangen werden könne. Die SWICA habe abzuklären, ob der chirurgische Eingriff die einzige Möglichkeit zur namhaften Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes gewesen war. Dazu sei entweder bei einem unabhängigen Sachverständigen aus dem Fachbereich des Transsexualismus ein Gutachten anzuordnen, oder es seien von den behandelnden Ärzten ergänzende Berichte einzuverlangen, welche sich zu den vom Gericht im Einzelnen formulierten Fragen zu äussern hätten. Mit seinem BGE 137 I 86 S. 103 Rückweisungsentscheid hat das kantonale Versicherungsgericht genau das getan, was der EGMR von den schweizerischen Gerichtsinstanzen verlangt: Keine "application mécanique" (Urteil Schlumpf , § 115) der für die Anerkennung des Pflichtleistungscharakters grundsätzlich geforderten zweijährigen Wartezeit, sondern vielmehr - unter Wahrung der gesetzlichen Verfahrensrechte der Versicherten (insb. Art. 42 ATSG [SR 830.1]) - Abklärung der medizinischen Gegebenheiten im Einzelfall, die allenfalls eine vorzeitige Vornahme der Operation und Vergütung der Operationskosten durch die Gesuchsgegnerin verlangten. Die von der beschwerdeführenden SWICA gegen die geforderte Einzelfallprüfung vorgebrachten prinzipiellen Einwände müssen mit Blick auf das EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009 als unbegründet zurückgewiesen werden (E. 7.3.4). Was die einzelfallbezogene Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, insbesondere die von ihm bejahte Notwendigkeit weiterer Abklärungen betrifft, ist darin keine Verletzung bundesrechtlicher Beweisgrundsätze ( Art. 61 lit. c ATSG ; Art. 29 Abs. 2 BV ) zu erkennen; dass zusätzliche Beweisvorkehren zufolge Zeitablaufs keine neuen, rechtserheblichen Erkenntnisse zum psychischen Gesundheitszustand der Versicherten vor der Operation mehr zutage fördern vermöchten, kann entgegen dem Einwand der SWICA nicht gesagt werden. Die Beschwerde des Krankenversicherers ist daher vollumfänglich abzuweisen und der im Ausgangsverfahren angefochtene Entscheid zu bestätigen. Damit ist den Vorgaben des EGMR-Urteils vom 8. Januar 2009 Genüge getan und wird die Gesuchstellerin so gestellt, wie sie es im Anschluss an den ihre Beschwerde gutheissenden - und von ihr akzeptierten - kantonalen Entscheid des aargauischen Versicherungsgerichts war und wie es ihrem im Revisionsgesuch ausdrücklich gestellten Eventualantrag entspricht. 9. 9.1
16,878
7,179
Mit der Bestätigung des kantonalen Rückweisungsentscheids vom 21. Juni 2005 hat die Verwaltung gemäss Dispositiv-Ziff. 1 des Erkenntnisses "im Sinne der Erwägungen zu verfahren". Der Verweis auf die Erwägungen bezieht sich auf die in E. 3b/ee und 3c des Entscheids angeordneten Beweisvorkehren (vgl. E. 8.3 hievor) und die gestützt auf das Beweisergebnis erneut zu treffende Entscheidung in der Sache. Soweit das kantonale Gericht in E. 2 seines Entscheids allgemein festhält, das Erfordernis der zweijährigen Beobachtungsphase vor einer Geschlechtsumwandlungsoperation sei nicht "conditio sine qua non" für die obligatorische Leistungspflicht der BGE 137 I 86 S. 104 Krankenkasse" (E. 2d/dd), gilt dies verbindlich für den konkret zu beurteilenden Fall, andernfalls ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Entscheid-Dispositiv und Begründung des Urteils bestünde. 9.2 Aus der bundesgerichtlichen Bestätigung des kantonalen Entscheids folgt indessen nicht ohne Weiteres eine Abkehr von der in BGE 114 V 153 (vgl. BGE 114 V 162 ) begründeten Rechtsprechung dahingehend, dass in Fällen der operativen Behandlung des Transsexualismus die "Zweijahres-Regel" unter dem Blickwinkel von Art. 25 in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 KVG künftig hinfällig wäre. Dazu verpflichtet namentlich das EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009 nicht (E. 7.2 hievor). Wohl hat der Gerichtshof in § 113 seines Urteils seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die Medizin seit dem im Jahre 1988 ergangenen BGE 114 V 153 Fortschritte in der Feststellung der "Echtheit" ("veracité") des Transsexualismus einer Person gemacht hat, welchen das EVG-Urteil nicht Rechnung getragen habe. Er hat aber zugleich auch klargestellt, dass mit der zweijährigen Wartefrist ein sowohl aus Sicht der betroffenen Personen wie auch der Versicherungen legitimes Ziel - die Verhinderung übereilter irreversibler Geschlechtsumwandlungen - verfolgt wird (Urteil Schlumpf , § 111). Prüft man das Erfordernis einer insgesamt (unter Einschluss von Alltagstests in der angestrebten Geschlechtsrolle sowie begleitenden psychiatrischen und endokrinologischen Behandlungen) mindestens zweijährigen Beobachtungsphase im Lichte aktueller - namentlich der im Revisionsgesuch sowie im heutigen öffentlichen Parteivortrag zitierten - Behandlungsrichtlinien, zeigt sich folgendes Bild: Gemäss Vorgaben der Psychiatrischen Poliklinik Zürich soll aus medizinischer Sicht eine geschlechtsangleichende Operation "frühestens" nach eineinhalb Jahren psychotherapeutischer Behandlung, eineinhalb Jahren Alltagstest und sechs Monaten Hormonbehandlung erfolgen (Universitätsspital Zürich, Psychiatrische Klink, Infoblatt Transsexualismus, S. 1; www.psychiatrie.usz.ch/PatientenUndBesucher/Spezialangebot/Transsexualismus/Seiten/default.aspx ). Die im deutschsprachigen Raum verbreitet beachteten "Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen" der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie für Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft aus dem Jahre 1997 (Zentralblatt für Gynäkologie 119/1997 S. 398-401) fordern u.a., dass der Patient/die Patientin - nach gesicherter psychiatrischer Diagnose des Transsexualismus - das Leben in der gewünschten Geschlechterrolle "mindestens" seit BGE 137 I 86 S. 105 eineinhalb Jahren kontinuierlich erprobt (Alltagstest) hat und sich seit "mindestens" einem halben Jahr hormonell hat behandeln lassen. Der Therapeut muss den Patienten/die Patientin in der Regel mindestens eineinhalb Jahre kennen; erfolgt die Indikationsstellung zur Transformationsoperation nicht durch den Psychotherapeuten, so überzeugt sich der in diesen Fällen hinzugezogene Therapeut/Gutachter, dass sämtliche Operationsvoraussetzungen erfüllt sind und die Psychotherapie stattgefunden hat. Stets muss die Indikationsstellung in Form einer gutachterlichen Stellungnahme durch einen qualifizierten Therapeuten erfolgen (Standards, a.a.O., Ziff. 4.2), was nach Ablauf der eineinhalbjährigen Behandlungszeit seinerseits eine gewisse Zeit beanspruchen dürfte. Gemäss "The Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association's Standards Of Care For Gender Identity Disorders [heute: The World Professional Association for Transgender Health, WPATH], Sixth Version, February 2001" ( www.wpath.org/Documents2/socv6.pdf ) sind die relevanten Kriterien für die Vornahme einer geschlechtsangleichenden Operation: "XII. Genital Surgery Eligibility Criteria. These minimum eligibility criteria for various genital surgeries equally apply to biologic males and females seeking genital surgery. They are: Legal age of majority in the patient's nation; Usually 12 months of continuous hormonal therapy for those without a medical contraindication (...); 12 months of successful continuous full time real-life experience. Periods of returning to the original gender may indicate ambivalence about proceeding and generally should not be used to fulfill this criterion; If required by the mental health professional, regular responsible participation in psychotherapy throughout the real-life experience at a frequency determined jointly by the patient and the mental health professional. Psychotherapy per se is not an absolute eligibility criterion for surgery; (...). Readiness Criteria. The readiness criteria include: Demonstrable progress in consolidating one's gender identity; Demonstrable progress in dealing with work, family, and interpersonal issues resulting in a significantly better state of mental health (this implies satisfactory control of problems such as sociopathy, substance abuse, psychosis, suicidality, for instance)." Die Richtlinien der amerikanischen "Endocrine Society" (2009) sehen ebenfalls eine - erst nach erstellter Diagnose des Transsexualismus BGE 137 I 86 S. 106 gemäss DSM IV-TR oder ICD einsetzende - zwölfmonatige Hormontherapie (vorbehältlich Kontraindikation) und einen erfolgreichen zwölfmonatigen Alltagstest vor, der (sofern psychiatrisch indiziert) von regelmässiger psychotherapeutischer Behandlung begleitet ist (The Endocrine Society, Endocrine Treatment of Transsexual Persons: An Endocrine Society Clinical Practice Guideline, Table 17 www.endo-society.org/guidelines/Current-Clinical-Practice-Guidelines.cfm ). Zu beachten ist, dass gemäss den beiden zuletzt genannten Richtlinien noch vor Beginn der Hormontherapie entweder eine mindestens dreimonatige "real-life-experience" (Alltagstest) oder eine gewöhnlich ebenfalls mindestens dreimonatige Psychotherapie durchzuführen ist (Endocrine Society Clinical Practice Guideline, a.a.O., Table 4; Harry Benjamin International Gender Dysphoria Association's Standards, a.a.O., Ziff. VII [Eligibility Criteria]); damit verlängert sich die aus ärztlicher Sicht geforderte Behandlungsdauer faktisch auf mindestens fünfzehn Monate. Der nach den erwähnten - fachärztlicherseits als Mindest standards verstandenen - Richtlinien vor einer Geschlechtsumwandlung gebotene Behandlungszeitraum liegt nicht wesentlich unter der von der EVG-Rechtsprechung im Jahre 1988 (aufgrund des damaligen Standes der medizinischen Wissenschaft) geforderten Beobachtungszeit von insgesamt mindestens zwei Jahren. Am Erfordernis der mindestens zweijährigen medizinisch-praktischen Beobachtungsphase ist daher grundsätzlich festzuhalten, da damit nach wie vor eine verlässliche faktische Basis sichergestellt ist für die abschliessende Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall die folgenschwere Geschlechtsanpassungsoperation die einzige wirksame und zweckmässige Behandlungsmassnahme zur namhaften Verbesserung des psychischen Gesundheitszustands der betroffenen Person bilde und die obligatorische Krankenpflegeversicherung deshalb gestützt auf Art. 25 in Verbindung mit Art. 32 KVG kostenvergütungspflichtig sei. Mit Blick auf die Vorgaben im EGMR-Urteil vom 8. Januar 2009, aber auch im Lichte der oben erwähnten, ihren blossen Richtwert charakter hervorhebenden Richtlinien muss allerdings im Einzelfall ein ausnahmsweises (vgl. Urteil Schlumpf , §§ 56 und 112) Abweichen vom Grundsatz möglich bleiben: Ist aufgrund der verfügbaren, in Beachtung anerkannter medizinischer Behandlungsstandards abgegebenen spezialärztlichen Stellungnahmen und gutachterlichen Expertenmeinungen bereits vor Ablauf der zweijährigen Beobachtungsphase erwiesen, dass eine Geschlechtsangleichungsoperation unter den BGE 137 I 86 S. 107 gegebenen Umständen die einzige Möglichkeit zur namhaften Verbesserung des psychischen Gesundheitszustands ist, kann die Kostenübernahme aus obligatorischer Krankenpflegeversicherung nicht unter Verweis auf die "Zweijahres-Regel" verneint werden.
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Sachverhalt ab Seite 281 BGE 142 V 280 S. 281 A. A., de nationalité française, résidant en France, a été victime d'un accident sur son lieu de travail le 11 novembre 2010. Alors qu'il travaillait sur un chantier à U. (F) et qu'il était occupé à poser un carrelage mural, il a chuté d'un escabeau. Il travaillait alors pour l'entreprise B. Sàrl, société inscrite au registre du commerce du canton de Genève, qui a son siège à Genève et dont il était l'associé gérant. Le 30 avril 2013, la société a rempli une déclaration de sinistre à l'intention de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA) relative à l'accident dont avait été victime son employé. Par décision du 27 mars 2014, la CNA a refusé de prendre en charge le cas au motif que l'intéressé, qui résidait en France, n'était pas soumis à la législation suisse en matière d'assurance-accidents. A. a formé opposition. Par lettre du 27 juin 2014, il a expliqué à la CNA qu'il avait atteint l'âge de la retraite en France en 2009. Il percevait en France une pension de retraite et avait continué à travailler comme gérant et surveillant des chantiers de B. Sàrl. A la suite de l'accident, il était demeuré en incapacité totale de travailler jusqu'en février 2014. Les conséquences de l'accident n'avaient pas été prises en charge par la sécurité sociale française du moment qu'il percevait déjà une pension de retraite. Le 8 juillet 2014, la CNA a rejeté l'opposition. B. A. a recouru contre la décision sur opposition devant la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République BGE 142 V 280 S. 282 et canton de Genève. Par arrêt du 23 juin 2015, la cour a partiellement admis son recours. Elle a annulé la décision sur opposition en tant qu'elle se rapportait à la période postérieure au 30 avril 2013 (date de l'annonce du cas à la CNA). Elle l'a confirmée pour la période antérieure. Elle a renvoyé la cause à la CNA pour complément d'instruction et nouvelle décision au sens des motifs. C. La CNA forme un recours en matière de droit public dans lequel elle conclut à l'annulation de l'arrêt cantonal et au rétablissement de sa décision sur opposition. A. conclut au rejet du recours. Ni l'Office fédéral de la santé publique ni l'Office fédéral des assurances sociales (section des affaires internationales) ne se sont déterminés. Le Tribunal fédéral a admis le recours.
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463
Erwägungen Extrait des considérants: 3. L'intimé, ressortissant d'un Etat partie à l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes (Accord sur la libre circulation des personnes, ALCP; RS 0.142.112.681) a exercé une activité salariée en France, où il réside, pour le compte d'une entreprise sise en Suisse. Il prétend des prestations d'assurance d'une institution suisse. Le litige relève donc - cela est incontesté - de la coordination européenne des systèmes nationaux de sécurité sociale. 4. 4.1 Jusqu'au 31 mars 2012, les parties à l'ALCP appliquaient entre elles le Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RO 2004 121; ci-après: règlement n° 1408/71). Une décision n° 1/2012 du Comité mixte du 31 mars 2012 (RO 2012 2345) a actualisé le contenu de l'annexe II à l'ALCP avec effet au 1 er avril 2012 et il a été prévu, en particulier, que les parties appliqueraient désormais entre elles le Règlement (CE) n° 883/2004 du Parlement européen et du Conseil du 29 avril 2004 portant sur la coordination des systèmes de sécurité sociale, modifié par le Règlement (CE) n° 988/2009 du Parlement européen et du Conseil du 16 septembre 2009 (RS 0.831.109. 268.1; ci-après: règlement n° 883/2004). Egalement à partir BGE 142 V 280 S. 283 du 1 er avril 2012, les parties appliquent le Règlement (CE) n° 987/2009 du Parlement européen et du Conseil du 16 septembre 2009 fixant les modalités d'application du règlement n° 883/2004, mentionné également dans l'annexe II (RS 0.831.109.268.11; ci-après: règlement n° 987/2009). 4.2 On relèvera que le règlement n° 883/2004 a été ultérieurement modifié par le Règlement (UE) n° 465/2012 du Parlement européen et du Conseil du 22 mai 2012 (JO L 149 du 8 juin 2012 p. 4), repris par la Suisse dès le 1 er janvier 2015 (RO 2015 345). Ratione temporis, ces modifications, si tant est qu'elles concernent des questions visées par litige, ne s'appliquent toutefois pas en l'espèce (cf. ATF 137 V 394 consid. 3 p. 397 et les arrêts cités). 5. 5.1 Sous le régime du règlement n° 1408/71, la détermination de la législation applicable faisait l'objet du Titre II (art. 13-17 bis ). L'art. 13 par. 2 let. a de ce règlement posait le principe de la lex loci laboris , à savoir l'assujettissement du travailleur au régime de sécurité sociale de l'Etat membre où il travaillait, même s'il résidait sur le territoire d'un autre Etat ou si l'entreprise ou l'employeur qui l'occupait avait son siège ou son domicile sur le territoire d'un autre Etat membre. Lorsqu'une personne était occupée simultanément comme travailleur sur le territoire de plusieurs Etats membres, elle était en principe soumise à la législation de l'Etat membre sur le territoire duquel elle résidait si elle y exerçait une partie de son activité (voir l'art. 14 par. 2 let. b point i du règlement n o 1408/71). 5.2 En l'espèce, l'intimé, qui exerçait une activité salariée en France où il résidait, a été incontestablement soumis à la législation française en vertu du règlement n o 1408/71 et quand bien même il aurait exercé en parallèle une même activité salariée en Suisse. 6. 6.1 L'art. 11 par. 3 let. a du règlement n° 883/2004 reprend le principe de la loi du pays d'emploi. Il en découle que les ressortissants d'un Etat membre de l'Union européenne qui exercent leur activité lucrative en Suisse, mais résident dans un pays membre de l'Union européenne, sont soumis aux dispositions du droit suisse et sont donc obligatoirement assurés en vertu de la LAA (voir FRÉSARD/MOSER-SZELESS, L'assurance-accidents obligatoire [avec des aspects de l'assurance-militaire], in Soziale Sicherheit, SBVR vol. XIV, 3 e éd. 2016, p. 904 n. 23). Bien que le règlement n° 883/2004 ne le prévoie plus BGE 142 V 280 S. 284 de manière explicite, le principe de l'assujettissement au lieu de travail continue à s'appliquer à une personne salariée même si l'établissement de son employeur se trouve sur le territoire d'un autre Etat membre (HEINZ-DIETRICH STEINMEYER, in Europäisches Sozialrecht, 6 e éd. 2013, n° 12 ad art. 11 du règlement n° 883/2004; voir aussi BETTINA KAHIL-WOLFF, La coordination européenne des systèmes nationaux de sécurité sociale, in SBVR, op. cit., p. 213 n. 57). Cependant, lorsqu'une personne de nationalité suisse ou ressortissant d'un Etat membre de l'Union européenne est occupée simultanément comme travailleur salarié soit sur le territoire de plusieurs Etats membres, soit en Suisse et sur le territoire d'un ou de plusieurs Etats membres de l'Union européenne, elle est soumise à la législation de l'Etat membre de résidence si elle exerce une partie substantielle de son activité dans cet Etat. Si la personne n'exerce pas une partie substantielle de ses activités dans l'Etat membre de résidence, elle est soumise à la législation de l'Etat membre dans lequel l'entreprise ou l'employeur qui l'emploie a son siège ou son domicile (voir l'art. 13 par. 1 let. a et b du règlement n° 883/2004, dans sa version en vigueur jusqu'au 31 décembre 2014; cf. aussi JÜRG BRECHBÜHL, Renforcement du principe de soumission à la législation du lieu de travail, Prévoyance professionnelle suisse, 2012, n° 4 p. 97 ss). Pour déterminer si une partie substantielle de l'activité salariée est exercée dans un Etat membre, les critères du temps de travail et/ou de la rémunération doivent être pris en compte; la réunion de moins de 25 % des critères précités indiquera qu'une partie substantielle des activités n'est pas exercée dans l'Etat membre concerné (art. 14 par. 8 du règlement n° 987/2009). 6.2 L'art. 87 du règlement n° 883/2004 renferme des dispositions transitoires pour l'application de ce règlement (l'art. 87 bis contient quant à lui des dispositions transitoires pour l'application du règlement n° 465/2012). L'art. 87 contient notamment les dispositions suivantes: 1. Le présent règlement n'ouvre aucun droit pour la période antérieure à la date de son application. (...) 3. Sous réserve du par. 1, un droit est ouvert en vertu du présent règlement, même s'il se rapporte à une éventualité réalisée antérieurement à la date de son application dans l'Etat membre concerné. (...) BGE 142 V 280 S. 285 8. Si, en conséquence du présent règlement, une personne est soumise à la législation d'un Etat membre autre que celui à la législation duquel elle est soumise en vertu du titre II du règlement (CEE) n° 1408/71, cette personne continue d'être soumise à cette dernière législation aussi longtemps que la situation qui a prévalu reste inchangée, mais en tout cas pas plus de dix ans à compter de la date d'application du présent règlement, à moins qu'elle n'introduise une demande en vue d'être soumise à la législation applicable en vertu du présent règlement. La demande est introduite dans un délai de trois mois à compter de la date d'application du présent règlement auprès de l'institution compétente de l'Etat membre dont la législation est applicable en vertu du présent règlement pour que l'intéressé puisse être soumis à la législation de cet Etat membre dès la date d'application du présent règlement. Si la demande est présentée après l'expiration de ce délai, le changement de législation applicable intervient le premier jour du mois suivant. (...) 6.3 Le règlement n° 883/2004 (entré en vigueur pour les Etats membres de l'Union européenne le 1 er mai 2010) est appliqué dans les relations avec la Suisse depuis le 1 er avril 2012, ainsi qu'on l'a vu (supra consid. 4.1). Etant donné que la période transitoire constitue une clause de protection et vise à empêcher des changements de la législation applicable à la date d'entrée en vigueur des nouvelles règles de détermination de la législation applicable, l'art. 87 du règlement n° 883/2004 s'applique pour la totalité de la période de dix ans. Il s'ensuit que la période transitoire de dix ans expirera pour la Suisse le 31 mars 2022 (voir le guide pratique de la commission administrative [pour la coordination des systèmes de sécurité sociale]sur la législation applicable dans l'Union européenne (UE), dans l'Espace économique européen (EEE) et en Suisse, 2013, p. 54, www.ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=fr&catId=868 ; consulté le 12 avril 2016). 7. 7.1 Les considérants et conclusions du jugement attaqué peuvent se résumer comme suit: Avant l'entrée en vigueur du règlement n° 883/2004 pour la Suisse, l'intimé était soumis au règlement n° 1408/71. Il relevait donc indiscutablement de la législation française du fait de sa résidence et de son activité en France, cela bien qu'il exerçât une activité pour une entreprise sise en Suisse. Il ne peut en tout cas pas prétendre de prestations de la CNA pour une période antérieure au 1 er avril 2012 (art. 87 par. 1 du règlement n° 883/2004). Cependant, le fait que l'accident est survenu avant l'entrée en vigueur de ce nouveau règlement BGE 142 V 280 S. 286 n'exclut pas que celui-ci puisse trouver application pour une période postérieure, conformément à son art. 87 par. 3. Encore eût-il fallu que l'intéressé ait présenté une demande en vue d'être soumis au droit applicable désigné par ce même règlement (art. 87 par. 8), ce qu'iln'a pas fait. Il faut toutefois considérer que sa déclaration de sinistre du 30 avril 2013 renferme implicitement une telle demande. Aussi bien la CNA pourrait-elle être tenue à prestations, dès le 1 er mai 2013 (premier jour du mois suivant la demande; art. 87 par 8 in fine) et en application de la législation suisse, si, lors de la survenance de l'accident, "l'activité (de l'intimé) en France était inférieure à 25 %" (taux d'activité selon l'art. 14 par. 8 du règlement n° 987/2009). Ce dernier point devait faire l'objet d'un complément d'instruction de la part de l'assureur-accidents. En conclusion, l'intimé n'a en tout cas pas droit à des prestations pour une période antérieure au 1 er mai 2013. Pour la période postérieure, le droit à des prestations dépendra du résultat des investigations encore à mener par la CNA. 7.2 7.2.1 L'art. 87 par. 8 du règlement n° 883/2004 a pour but d'éviter de nombreux changements de législations applicables lors du passage au nouveau règlement et de permettre une "transition douce" à la personne concernée au cas où il existerait un écart entre la législation applicable selon le règlement n° 1408/71 et le règlement n° 883/2004. Il maintient le statu quo pour une période transitoire, sauf changement de situation ou demande de la personne concernée. Un changement de la "situation qui a prévalu" au sens de l'art. 87 par. 8 signifie qu'après l'entrée en vigueur du règlement n° 883/2004 la situation factuelle pertinente pour déterminer la législation applicable en vertu des règles antérieures du règlement n° 1408/71 a changé et que, du fait de ce changement, la personne concernée aurait été assujettie à la législation d'un Etat membre autre que celui déterminé en dernier lieu conformément au règlement n° 1408/71. En règle ordinaire, toute nouvelle activité salariée - pour cause de changement d'employeur, de résiliation de l'un des emplois ou de changement transfrontalier de résidence - constitue un changement de la situation qui a prévalu jusqu'alors (voir BERNHARD SPIEGEL, in Europäisches Sozialrecht, op. cit., n° 23 ad art. 87 et 87a du règlement n° 883/2004; SUSANNE DERN, in VO (EG) Nr. 883/2004, 2012, n° 10 ad art. 87; ARNO BOKELOH, Die Übergangsregelungen in den Verordnungen (EG) Nr. 883/04 und 987/09, ZESAR 2011 p. 20; voir aussi le guide pratique de la commission administrative, op. cit., p. 53). BGE 142 V 280 S. 287 7.2.2 Il est douteux que l'art. 87 par. 8 du règlement n° 883/2004 puisse, en raison d'un changement de législation applicable, donner naissance à des prestations pour un accident survenu sous l'empire du règlement n° 1408/71 et pour lequel aucune prestation n'a été reconnue en vertu de la législation déclarée applicable selon ce dernier règlement (cf. BOKELOH, op. cit., p. 18). La question peut toutefois demeurer indécise. En effet, pour les motifs qui vont suivre, le recours apparaît de toute façon bien fondé. 7.2.3 Tant le règlement n° 1408/71 (art. 13 par. 1 et 15 par. 2) que le règlement n° 883/2004 (art. 11 par. 1) posent le principe de l'unicité du droit applicable . Ce principe postule l'application de la législation d'un seul Etat membre pour l'ensemble des éventualités entrant dans le champ d'application matériel du règlement (cf. art. 4 par. 1 du règlement n° 1408/71 et art. 3 par. 1 du règlement n° 883/2004). Il vise à supprimer les inégalités de traitement et les complications qui, pour les travailleurs salariés et non salariés qui se déplacent à l'intérieur de l'Union européenne seraient la conséquence d'un cumul partiel ou total des législations applicables (p. ex. arrêts de la Cour de justice des Communautés européennes [CJCE], devenue la Courde justice de l'Union européenne [CJUE], du 30 juin 2011 C-388/09 da Silva Martins , Rec. 2011 I-5737, points 53 ss; du 9 mars 2006 C-493/04 Piatkowski , Rec. 2006 I-2369, point 21; du 12 juin 1986 C-302/84 Ten Holder/Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging , Rec. 1986 p. 1821, points 19 ss). Or, dans le cas particulier, l'intimé n'a jamais demandé à être soumis de manière générale et exclusive à la législation suisse pour la période postérieure au 1 er avril 2012. Contrairement à l'avis de la juridiction cantonale, le seul fait qu'il a déposé ultérieurement une demande de prestations de l'assurance-accidents suisse ne saurait être interprété comme une demande au sens de l'art. 87 par. 8 du règlement n° 883/2004. Vu ses conséquences, une telle demande ne peut qu'être formulée de manière explicite et non équivoque. 7.2.4 D'autre part, contrairement à ce qu'il ressort de l'arrêt attaqué (consid. 7b p. 14), la date déterminante à partir de laquelle l'intimé pouvait - à supposer que les conditions en fussent réalisées - opter pour la législation suisse en vertu de l'art. 87 par. 8 du règlement n° 883/2004 n'est pas celle de l'accident (11 novembre 2010), mais celle de l'entrée en vigueur de ce règlement. En effet, la première condition pour appliquer l'art. 87 par. 8 est que, BGE 142 V 280 S. 288 du fait de l'entrée en vigueur du règlement n° 883/2004, une personne soit assujettie à la législation d'un Etat membre autre que celui déjà déterminé en vertu du règlement n° 1408/71 (voir le guide pratique de la commission administrative, op. cit., p. 52). Ce n'était pas le cas en l'espèce. L'intimé résidait et réside toujours en France. En avril 2012, il n'exerçait plus d'activité professionnelle depuis novembre 2010 en raison d'une incapacité de travail totale. Il percevait une pension de retraite de la sécurité sociale française. Il ne pouvait de facto pas cumuler des activités salariées dans plusieurs Etats membres, de sorte que l'applicabilité de l'art. 13 par. 1 du règlement n° 883/2004 n'entrait pas en considération. Conformément à la disposition transitoire de l'art. 87 par. 8, il restait soumis, comme par le passé, à la législation française en application du règlement n° 1408/71, en raison de sa résidence en France (voir l' art. 13 par. 2 let . f du règlement n° 1408/71 et aussi l' art. 11 par 3 let . e du règlement n° 883/2004; cf. HEINZ-DIETRICH STEINMEYER, op. cit., n° 35 ad art. 11 du règlement n° 883/2004, ainsi que ATF 138 V 197 consid. 5.2 p. 201 s.). 7.2.5 Pour être complet, on peut encore relever qu'il n'y a pas eu de changement de situation postérieurement au 1 er avril 2012 - le contraire n'est pas allégué - qui aurait pu justifier l'assujettissement au nouveau règlement. (...)
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Sachverhalt ab Seite 32 BGE 111 Ib 32 S. 32 X. erhob gegen das Ausführungsprojekt für die Teilstrecke Sennerei - Kantonsgrenze Zürich der Nationalstrasse 4 im Auflageverfahren gemäss Art. 26 f. des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG) Einsprache, weil gemäss diesem Projekt der Teil eines Gebäudes, in dem er eingemietet ist, abgebrochen werden muss. Mit Beschluss vom 13. November 1984 wies BGE 111 Ib 32 S. 33 der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen die Einsprache ab, soweit er darauf eintrat, und auferlegte X. in Anwendung von kantonalem Verfahrensrecht die Kosten des Verfahrens. Gegen die Kostenauflage führt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Zur Begründung führt er an, er habe seine Einsprache als gegen die drohende Enteignung gerichtet betrachtet. Nach Bundesrecht trage der Enteigner sämtliche Verfahrenskosten. Diese bundesrechtliche Regelung müsse im Nationalstrassenrecht, das die Einsprache gegen die Enteignung ins Planauflageverfahren verweise, auch für den Kanton gelten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates behandelt gestützt auf Art. 27 NSG eine Einsprache des Beschwerdeführers gegen das Ausführungsprojekt eines Teilstückes der Nationalstrasse 4. Er stellt damit eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG dar. Auch hat der Regierungsrat als letzte kantonale Instanz entschieden, so dass sein Entscheid gemäss Art. 97 Abs. 1 und 98 lit. g OG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt. Es liegt keiner der in den Art. 99-102 OG genannten Unzulässigkeitsgründe vor. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine Einsprache gegen eine Enteignung, so ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Verfügungen über Pläne zulässig ( Art. 99 lit. c OG ). Der Beschwerdeführer wendet sich zwar einzig gegen die vom Regierungsrat in Anwendung kantonalen Verwaltungsverfahrensrechts verfügte Kostenbelastung. Doch entfällt deswegen die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht (vgl. Art. 101 lit. b OG ). Der Rechtsweg folgt der Hauptsache jedenfalls dann, wenn für die Kostenregelung, welche selbständig angefochten werden kann, auch eidgenössisches Recht wie das Bundesgesetz über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (EntG) zu beachten ist (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., 1983, S. 328 f.). Ob dies zutrifft, ist freilich umstritten. Doch ist die Rüge, die kantonale Instanz habe bei ihrer Verfügung zu Unrecht eidgenössisches Verwaltungsrecht - wie hier die Kostenregelung des Enteignungsgesetzes - nicht angewendet, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen, da auch in diesem Falle eine Bundesrechtsverletzung im Sinne von Art. 104 lit. a OG behauptet wird BGE 111 Ib 32 S. 34 ( BGE 107 Ib 172 /173 E. 1 mit Hinweisen; FRITZ GYGI, a.a.O., S. 296). Ob eine solche Rechtsverletzung gegeben ist, prüft das Bundesgericht ohne Beschränkung seiner Kognition umfassend. 2. Die öffentliche Auflage der Ausführungsprojekte für Nationalstrassen und das Einspracheverfahren sind bundesrechtlich in Art. 26 und 27 NSG geordnet. Die Kantone sind verpflichtet, die Zuständigkeiten zur Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben und das dabei anwendbare Verfahren zu regeln ( Art. 61 NSG ). Dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen ist darin beizupflichten, dass sie hiefür kantonales Verwaltungsverfahrensrecht als massgebend bezeichnen können. Die Kantone haben jedoch bei der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben auch im Rahmen eines Verfahrens, das sie nach kantonalem Recht abwickeln, die zwingenden Vorschriften des Bundesrechts zu beachten. Gemäss Art. 114 Abs. 1 und 2 EntG trägt grundsätzlich der Enteigner die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechtes entstehenden Kosten. Lediglich bei offensichtlich missbräuchlichen Begehren oder bei offensichtlich übersetzten Forderungen können die Kosten ganz oder teilweise dem Enteigneten auferlegt werden. Der Beschwerdeführer erachtet diese Bestimmungen auch auf das Einspracheverfahren gemäss Art. 26 f. NSG als anwendbar, welche Auffassung der Regierungsrat bestreitet. a) Aus der Verfahrensregelung des Nationalstrassengesetzes ergibt sich, dass sich das Enteignungsverfahren auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen beschränkt. Einsprachen gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine Planänderung bezwecken, sind ausgeschlossen ( Art. 39 Abs. 2 NSG ). Die entsprechende Regelung gilt für die Erstellung von Rohrleitungen gemäss Art. 26 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe vom 4. Oktober 1963 ( BGE 98 Ib 428 E. 1). Hieraus folgt, dass das Einsprache- und Plangenehmigungsverfahren gemäss Art. 26 und 27 NSG alle Funktionen des enteignungsrechtlichen Einspracheverfahrens im engern und weitern Sinne zu übernehmen hat. Mit dieser aus verfahrensökonomischen Gründen getroffenen Lösung wollte der Gesetzgeber die Privaten nicht schlechter stellen als jene, auf welche ausschliesslich die Bestimmungen des Enteignungsgesetzes Anwendung finden ( BGE 108 Ib 507 E. 2 mit Hinweisen). Wie das Bundesgericht bei Planeinsprachen gegen Rohrleitungen festgestellt hat, gilt dies auch für die Kostenfolgen ( BGE 98 Ib 432 E. 5). BGE 111 Ib 32 S. 35 Der Regierungsrat wendet ein, die Funktionen der Einsprachen gemäss Nationalstrassengesetz und Enteignungsgesetz würden sich nicht in allen Punkten decken. Namentlich könnten im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren nicht nur Gründe expropriationsrechtlicher, sondern auch solche allgemeiner Natur geltend gemacht werden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass auch im Planauflageverfahren gemäss Enteignungsgesetz Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren, die eine Planänderung bezwecken, angemeldet werden können. Diese Begehren beziehen sich auch auf öffentlich- und nachbarrechtliche Beschränkungen, auf die Erhaltung von Naturschönheiten, Kulturland sowie Brunnen und Quellen (Art. 7-10, 30 und 35 EntG). Zur Einsprache sind auch die gesamtschweizerischen Vereinigungen, die sich statutengemäss dem Natur- und Heimatschutz oder verwandten, rein ideellen Zielen widmen, befugt ( Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966). Um den Schutz aller dieser Anliegen geht es auch im Nationalstrassenrecht ( Art. 5 NSG ) . Selbst wenn man jedoch annimmt, das nationalstrassenrechtliche Einspracheverfahren diene in weitergehendem Masse dem allgemeinen öffentlichen Interesse der bestmöglichen Projektgestaltung, weshalb Einwendungen allgemeiner Natur vorgetragen werden könnten, so ist dies für die zu beurteilende Kostenfolge nicht wesentlich. Hiefür ist entscheidend, dass das nationalstrassenrechtliche Einspracheverfahren wie auch das entsprechende Verfahren nach Rohrleitungsgesetz - wie dargelegt - alle Funktionen des enteignungsrechtlichen Einspracheverfahrens übernimmt und dass die Rechtsstellung des von einer Enteignung bedrohten Bürgers nicht verschlechtert werden soll. Warum derjenige, der von einer Enteignung für eine Nationalstrasse betroffen wird, bei der Beurteilung seiner Einsprache hinsichtlich der Kostenfolge schlechter gestellt sein soll als der von einer Enteignung für ein anderes öffentliches Werk des Bundes Betroffene, ist nicht einzusehen. Eine solche Differenzierung wäre vielmehr mit der rechtsgleichen Behandlung der Bürger, die sich auf ein eidgenössisches Enteignungsverfahren einlassen müssen, nicht vereinbar. b) Ebenfalls nicht wesentlich für die zu beurteilende Kostenfolge ist es, dass eine kantonale Behörde und nicht eine Bundesinstanz über die Einsprache entscheidet, wie dies der Regierungsrat geltend macht. Das Bundesgericht hat im gleich gelagerten Fall einer Enteignung im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz über BGE 111 Ib 32 S. 36 die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916 (WRG) ausdrücklich entschieden, dass sich Kosten- und Entschädigungsfolgen im Einspracheverfahren gemäss Art. 55 Abs. 2 EntG i.V.m. Art. 46 Abs. 2 WRG nicht nach kantonalem Verfahrensrecht, sondern nach den Art. 114 und 115 EntG richten ( BGE 104 Ib 337 ff., nicht veröffentlichte E. 9). Im übrigen scheint der Regierungsrat zu übersehen, dass es sich bei seinem Entscheid um eine bundesrechtliche Verfügung im Sinne von Art. 98 lit. g OG handelt, die an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. c) Auch die Verweisung des Regierungsrates auf Art. 114 Abs. 4 EntG führt zu keinem andern Ergebnis. Danach entscheidet im Einspracheverfahren nach Art. 55 EntG über die Kosten das in der Sache zuständige Departement oder die nach Art. 46 Abs. 2 WRG zuständige kantonale Behörde. Aus dem Umstand, dass Art. 114 Abs. 4 EntG keine Verweisung auf das Nationalstrassengesetz enthält, folgert der Regierungsrat unzutreffend, die Kantone seien nicht an die Kostenregelung des Enteignungsgesetzes gebunden. Er übersieht, dass eine Verweisung auf das Nationalstrassengesetz in Art. 114 Abs. 4 EntG deshalb nicht notwendig war, weil gemäss der Nationalstrassengesetzgebung Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren, die eine Planänderung bezwecken, nicht im Einigungsverfahren gemäss Art. 45 ff. EntG zu behandeln sind, weshalb auch Art. 55 EntG nicht zum Zuge kommt. Das Enteignungsverfahren beschränkt sich - wie dargelegt - auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen ( Art. 39 Abs. 2 NSG ), was jedoch nicht von der Beachtung der Grundregel entbindet, dass der Enteigner die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechts entstehenden Kosten trägt ( Art. 114 Abs. 1 EntG ). d) Unbeachtlich ist auch, dass die Praxis in den einzelnen Kantonen offenbar uneinheitlich ist, hängt doch der Ausgang der Sache ausschliesslich von der zu beurteilenden Rechtsfrage ab. Aus der Antwort des Bundesamtes für Strassenbau geht auch nicht hervor, ob die Spruchgebühren, welche einzelne Kantone erheben, Einspracheentscheide betreffen, mit denen Einwendungen eines Einsprechers abgewiesen werden, der von einer Enteignung bedroht wird, oder ob sich die Kostenbelastung lediglich auf die Ablehnung sonstiger Einwendungen bezieht. Die bundesrechtlich angeordnete Kostenbefreiung gemäss Art. 114 Abs. 1 EntG gilt nur für die Geltendmachung des Enteignungsrechts, wie dies auch für die Grundregel der Kostenbefreiung im BGE 111 Ib 32 S. 37 verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nach Art. 116 EntG zutrifft. Eine Verletzung von Bundesrecht liegt daher nur vor, wenn ein von einer Enteignung bedrohter Bürger bei der Ablehnung seiner Einsprache mit Kosten belastet wird, ohne dass ihm vorgeworfen werden kann, er habe offensichtlich missbräuchliche Begehren gestellt. e) Der Regierungsrat wendet mit Recht nicht ein, dass im vorliegenden Falle der Beschwerdeführer offensichtlich missbräuchliche Begehren im Sinne von Art. 114 Abs. 2 EntG erhoben hätte. Aus seinem Entscheid ergibt sich vielmehr, dass er das Hauptanliegen des Beschwerdeführers, den Baubeginn in der Umgebung seiner Metzgerei hinauszuschieben, zur Kenntnis genommen hat. Dem Einsprecher kann auch nicht als missbräuchliches Verhalten angelastet werden, dass er auf einem Entscheid über sein sachlich vorgetragenes Begehren bestand und seine Einsprache im Anschluss an die Einspracheverhandlung mit Vertretern des Nationalstrassenbüros nicht zurückzog. 3. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet. Die Regel, dass der Enteigner grundsätzlich die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechts entstehenden Kosten zu tragen hat, ist auch im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren zu beachten, da dieses den von einem eidgenössischen Enteignungsverfahren betroffenen Bürger nicht schlechter stellen will. Auch das Bundesgericht wendet entgegen der Meinung des Regierungsrates bei der Beurteilung nationalstrassenrechtlicher Einspracheentscheide die Regel des Art. 116 Abs. 1 EntG an, wonach die Kosten des Verfahrens vor dem Bundesgericht der Enteigner trägt. Von der Möglichkeit, die Kosten anders zu verteilen, wenn die Begehren ganz oder zum grösseren Teil abgewiesen werden, wird zurückhaltend Gebrauch gemacht, im wesentlichen bei missbräuchlicher Beschwerdeführung und unnötiger Kostenverursachung (vgl. BGE 108 Ib 498 E. 7; BGE 100 Ib 418 E. 6; BGE 98 Ib 424 E. 11 und 432 E. 5). Im vorliegenden Fall droht der Liegenschaft, auf welcher der Beschwerdeführer als Mieter seine Metzgerei betreibt, die Enteignung. Gegenstand des Enteignungsrechts bilden seine Rechte als Mieter ( Art. 5 EntG ). Dass der Kanton verpflichtet ist, sich zunächst um einen freihändigen Erwerb zu bemühen ( Art. 30 Abs. 2 NSG ), schliesst die Kostenbefreiung für das gegen die drohende Enteignung gerichtete Einspracheverfahren nicht aus. Indem der Regierungsrat zu Unrecht die Kostenregelung des BGE 111 Ib 32 S. 38 Art. 114 Abs. 1 und 2 EntG nicht angewendet hat, verletzt seine Verfügung Bundesrecht; sie ist daher hinsichtlich der Kostenbelastung aufzuheben.
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Sachverhalt ab Seite 238 BGE 134 III 237 S. 238 A. A. ist Mitglied der Stockwerkeigentümergemeinschaft S. in X. Am 26. Mai 2004 führte diese ihre ordentliche Stockwerkeigentümerversammlung durch, anlässlich welcher - in Abwesenheit des unentschuldigten und nicht vertretenen A. - sieben Beschlüsse (Nrn. 2-8) gefasst wurden. Mit Klage vom 27. September 2004 stellte A. beim Kreisgericht Werdenberg-Sargans das Begehren, sämtliche Beschlüsse der Stockwerkeigentümerversammlung vom 26. Mai 2004 aufzuheben und für ungültig zu erklären. Mit Entscheid vom 29. November 2005 hob die Erstinstanz einen Beschluss auf, wies jedoch im Übrigen die Klage ab. B. Gegen diesen Entscheid führte A. Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen mit dem Begehren, die Beschlüsse Nr. 3 (Jahresrechnung 2003 sowie Revisorenbericht) und Nr. 7 (Beschluss betreffend Neugestaltung des Sitzplatzes von Familie F.) der Versammlung vom 26. Mai 2004 aufzuheben und für ungültig zu erklären. Die Stockwerkeigentümergemeinschaft S. führte als Beklagte Anschlussberufung mit dem Begehren, die ihr für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene Parteientschädigung von Fr. 4'861.70 auf Fr. 9'947.20 zu erhöhen. Das Kantonsgericht hob am 22. Januar 2007 den Beschluss Nr. 7 auf, wies jedoch im Übrigen die Berufung ab. Die Anschlussberufung wies es ebenfalls ab. C. Gegen diesen kantonsgerichtlichen Entscheid hat die Stockwerkeigentümergemeinschaft S. beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht. Sie verlangt in Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Abweisung der Klage in Bezug auf den Beschluss Nr. 7 sowie die Gutheissung ihrer vor Kantonsgericht erhobenen Anschlussberufung. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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273
Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. 1.2 Gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt. Die Vorinstanz hat - wie schon die Erstinstanz - den Streitwert gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. d BGG auf Fr. 20'000.- festgelegt, wogegen die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren keine Einwände erhoben und die gestützt darauf gesprochene Parteientschädigung grundsätzlich akzeptiert hat. Lautet ein Begehren nicht auf BGE 134 III 237 S. 239 Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, so setzt das Bundesgericht den Streitwert gemäss Art. 51 Abs. 2 BGG nach Ermessen fest. Diese Bestimmung entspricht Art. 36 Abs. 2 OG , weshalb auf die dazu entwickelten Grundsätze der Streitwertbestimmung abgestellt werden kann. Handelt es sich wie hier um eine Beschwerde gegen einen Endentscheid, so bestimmt sich der Streitwert nach den Begehren, die vor der Vorinstanz streitig geblieben waren ( Art. 51 Abs. 1 lit. a BGG ). Dabei werden mehrere in einer vermögensrechtlichen Sache von der gleichen Partei geltend gemachte Begehren zusammengerechnet, sofern sie sich nicht gegenseitig ausschliessen ( Art. 52 BGG ). Streitig war vor der Vorinstanz die Kostenverteilung aufgrund der Jahresrechnung 2003 (Beschluss Nr. 3), die Neugestaltung eines Sitzplatzes (Beschluss Nr. 7) sowie die Höhe der ausseramtlichen Entschädigung an die Beschwerdeführerin vor Erstinstanz. Vor Bundesgericht sind demgegenüber nur noch der Beschluss Nr. 7 sowie die Parteientschädigung streitig; der Beschluss Nr. 3 ist demgegenüber nicht mehr angefochten. Das Bundesgericht hat unter der Herrschaft des OG in Bezug auf Art. 47 Abs. 1, der im Wesentlichen Art. 52 BGG entsprach, entschieden, dass die vor Bundesgericht nicht mehr streitigen Rechtsbegehren nur dann zum Streitwert hinzugerechnet werden, wenn sie mit den noch streitigen Rechtsbegehren zusammenhängen ( BGE 99 II 125 E. 1 S. 126; vgl. auch: MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, Rz. 63 S. 87). Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb diese Praxis nicht auch unter dem neuen BGG ( Art. 52 BGG ) gelten sollte. Da der vor Bundesgericht nicht mehr streitige Beschluss Nr. 3 betreffend die Jahresrechnung 2003 in keinem Zusammenhang mit den beiden streitigen Rechtsbegehren steht, ist die gesetzliche Streitwertgrenze nicht erreicht, zumal es bezüglich des Sitzplatzes nicht einfach auf den Wert der ausgeführten Arbeiten, sondern auf die vermögensrechtlichen Interessen beider Parteien ankommt. Somit wäre die Beschwerde in Zivilsachen nur gegeben, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellte ( Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG ), was die Beschwerdeführerin jedoch nicht behauptet. Auf die Beschwerde in Zivilsachen kann somit nicht eingetreten und eine allfällige Bundesrechtsverletzung nicht überprüft werden.
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Sachverhalt ab Seite 208 BGE 145 I 207 S. 208 A. Le 28 février 2016 a eu lieu la votation fédérale sur l'initiative populaire "Pour le couple et la famille - Non à la pénalisation du BGE 145 I 207 S. 209 mariage". L'initiative prévoyait de modifier la Constitution fédérale de la manière suivante: Art. 14 al. 2 (nouveau) 2 Le mariage est l'union durable et réglementée par la loi d'un homme et d'une femme. Au point de vue fiscal, le mariage constitue une communauté économique. Il ne peut pas être pénalisé par rapport à d'autres modes de vie, notamment en matière d'impôts et d'assurances sociales. Il ressortait des explications du Conseil fédéral - que les citoyens avaient reçues avant la votation - que "environ 80'000 couples mariés à deux revenus et de nombreux retraités mariés continuent de subir, en matière d'impôt fédéral direct, une charge supplémentaire (d'où le terme de "pénalisation du mariage") jugée contraire à la Constitution"; les baisses de recettes pour la Confédération étaient chiffrées à environ 1,2 milliard de francs par an (si le modèle d'imposition était le calcul alternatif d'impôt) et entre 1,2 et 2,3 milliards de francs par an (si le modèle d'imposition était le splitting ). Le Conseil fédéral recommandait de rejeter l'initiative. Par arrêté du 19 avril 2016, le Conseil fédéral a constaté que l'initiative populaire avait été rejetée par 50,8 % des votants (par 1'664'224 non contre 1'609'152 oui) et acceptée par les cantons (par 15 3/2 oui contre 5 3/2 non). L'initiative avait ainsi été rejetée (FF 2016 3557). Dans un communiqué de presse daté du 15 juin 2018, intitulé "Pénalisation du mariage: rectification d'une erreur dans l'estimation du nombre des couples mariés à deux revenus", le Conseil fédéral a informé que le nombre des couples mariés à deux revenus concernés par la pénalisation fiscale du mariage était nettement plus élevé que ce qu'avait estimé l'Administration fédérale des contributions (AFC); selon les estimations corrigées, quelque 454'000 couples mariés à deux revenus étaient concernés par la pénalisation fiscale du mariage; l'AFC avait estimé ce nombre à environ 80'000, mais n'avait pas tenu compte des couples mariés à deux revenus avec enfants; l'estimation du nombre des couples de rentiers mariés concernés par cette pénalisation restait valable (quelque 250'000 couples); au total, c'étaient donc environ 704'000 couples mariés qui étaient pénalisés sur le plan fiscal; s'agissant de l'estimation des conséquences financières du projet de réforme du Conseil fédéral, les couples mariés à deux revenus avec enfants avaient été pris en compte; cette estimation était donc correcte (diminution annuelle des recettes fiscales de l'ordre de 1,15 milliard de francs). Le porte-parole de l'Administration fédérale BGE 145 I 207 S. 210 des contributions a déclaré, lors du journal télévisé du 15 juin 2018, qu'une erreur avait déjà été commise lors de la votation du 28 février 2016. B. Le 18 juin 2018, Claude Béglé, citoyen vaudois, a formé un recours en matière de droits politiques auprès du Conseil d'Etat du canton de Vaud (ci-après: le Conseil d'Etat) contre la votation fédérale susmentionnée. Il s'est plaint d'une violation de la liberté de vote ( art. 34 al. 2 Cst. ) au motif que le chiffre erroné de 80'000 couples à deux revenus avait induit en erreur les citoyens. Il a demandé l'annulation de la votation fédérale. Par décision du 27 juin 2018, le Conseil d'Etat a déclaré le recours irrecevable. Il a considéré en substance que les griefs soulevés avaient une portée supracantonale, de sorte qu'il n'était pas compétent pour en connaître. C. Agissant par la voie du recours en matière de droit public, Claude Béglé demande principalement au Tribunal fédéral d'annuler la décision du Conseil d'Etat vaudois du 27 juin 2018, d'annuler la votation fédérale du 28 février 2016 portant sur l'initiative précitée et de la renvoyer au vote dans tous les cantons, subsidiairement dans le canton de Vaud uniquement. A titre subsidiaire, il conclut à la constatation que la votation fédérale litigieuse a été entachée d'irrégularités au sens de l'art. 77 de la loi fédérale du 17 décembre 1976 sur les droits politiques (LDP; RS 161.1) et de la jurisprudence du Tribunal fédéral. Encore plus subsidiairement, il requiert la constatation que ses droits politiques ont été violés lors de la votation litigieuse. Invité à se déterminer, le Conseil d'Etat s'en remet à justice. Le Conseil fédéral conclut à l'irrecevabilité du recours, éventuellement à son rejet dans la mesure de sa recevabilité. Le recourant a répliqué. Le Conseil fédéral a dupliqué, par courrier du 30 novembre 2018. D. Le Tribunal fédéral a rendu son jugement en séance publique le 10 avril 2019.
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Erwägungen Extrait des considérants: 1. Le Tribunal fédéral examine d'office et librement la recevabilité des recours qui lui sont soumis. 1.1 La loi fédérale du 17 décembre 1976 sur les droits politiques (LDP; RS 161.1) ne prévoit pas de voie de droit permettant de faire valoir des irrégularités connues seulement après une votation fédérale. D'après la jurisprudence, un droit à un contrôle de la régularité BGE 145 I 207 S. 211 d'une votation fédérale se déduit directement de l' art. 29 al. 1 Cst. (en lien avec l' art. 29a Cst. ) lorsqu'une influence massive sur le vote populaire s'est révélée plus tard ( ATF 138 I 61 consid. 4.2 s. p. 71 ss; arrêt 1C_63/2015 du 24 août 2015 consid. 2.1). Le Tribunal fédéral est compétent, en dernière instance, pour connaître des recours dans lesquels la conformité d'une votation fédérale à la Constitution et à la législation fédérale est mise en cause en raison d'irrégularités graves découvertes ultérieurement ( art. 189 al. 1 let . f Cst.; ATF 138 I 61 consid. 4.4 p. 75). Dans un tel cas, la procédure de révision des art. 121 ss LTF n'est pas pertinente car aucun recours n'a été exercé lors de la votation fédérale auprès des gouvernements cantonaux. Il se justifie en revanche d'appliquer par analogie les dispositions de procédure de la loi fédérale sur les droits politiques. Ainsi, la procédure doit en principe être introduite auprès du gouvernement cantonal compétent ( ATF 138 I 61 consid. 4.6 p. 77). Cela vaut aussi par analogie pour le recours touchant les votations selon l' art. 77 al. 1 LDP lorsque les conclusions présentées ou les faits contestés dépassent la compétence du gouvernement cantonal. Tel est notamment le cas lorsque l'annulation d'une votation fédérale est demandée ou lorsque les interventions dans la campagne précédant la votation sont contestées et qu'elles dépassent le cadre d'un canton. Dans de tels cas, le gouvernement cantonal doit rendre une décision formelle d'irrecevabilité (cf. ATF 137 II 177 consid. 1.2.3 p. 180 s.). Un recours au Tribunal fédéral peut ensuite être interjeté à l'encontre d'une décision du gouvernement cantonal de rejeter un recours déposé au motif d'une irrégularité grave connue après la votation ou de refuser d'entrer en matière ( art. 80 al. 1 LDP en lien avec art. 82 let . c et art. 88 al. 1 let. b LTF ). Aux termes de l' art. 82 let . c LTF, le Tribunal fédéral connaît en effet des recours qui concernent les votations populaires, en particulier en matière fédérale contre les décisions des gouvernements cantonaux ( art. 88 al. 1 let. b LTF ). Le recourant peut alors aussi soulever des questions déjà abordées sur le plan cantonal, que le gouvernement cantonal n'a pas pu traiter faute de compétence. Cela vaut aussi lorsque le recourant n'a jusqu'alors jamais pris de conclusions formelles à leur sujet ( ATF 137 II 177 consid. 1.2.3 p. 180 s.; arrêt 1C_63/2015 du 24 août 2015 consid. 2.2). 1.2 Le recourant, citoyen suisse, dispose du droit de vote sur le plan fédéral et a ainsi qualité pour recourir ( art. 89 al. 3 LTF ). Il indique avoir voté en faveur de l'initiative en question et a un intérêt actuel à l'annulation de la votation du 28 février 2016. BGE 145 I 207 S. 212 1.3 Le délai de recours en cas d'irrégularités découvertes ultérieurement dans le cadre d'une votation fédérale doit respecter deux conditions cumulatives. D'une part, la décision du gouvernement cantonal doit être attaquée dans le délai prévu par l' art. 100 al. 3 let. b LTF . Tel est le cas en l'espèce. D'autre part, la sécurité du droit pose des limites temporelles à la contestation d'une votation déjà ancienne: le délai doit alors être fixé au cas par cas selon les circonstances concrètes, par analogie avec les règles établies dans d'autres domaines et en application des principes généraux ( ATF 138 I 61 consid. 4.5 p. 76 et consid. 5.3 p. 82). Ainsi, en 1987, le Tribunal fédéral avait soulevé, sans la trancher, la question de l'application d'un délai absolu de prescription de 10 ans depuis la votation (par analogie avec l' art. 60 al. 1 CO ; ATF 113 Ia 146 consid. 3d p. 154). Dans les deux arrêts précités, le Tribunal fédéral a considéré qu'il était possible de contester une votation respectivement deux et trois ans après le scrutin. En l'espèce, le recours a été déposé moins de deux ans et demi après la votation du 28 février 2016, ce qui est compatible avec la jurisprudence. 1.4 Il est de surcroît nécessaire que les faits et les moyens de preuve avancés soient demeurés inconnus avant la votation et pendant le délai de recours qui l'a suivie, qu'ils n'aient pas pu être invoqués pour des raisons de droit ou de fait ou qu'ils n'aient pas dû être invoqués parce qu'il n'y avait pas motifs de le faire. Les faits et les moyens de preuve doivent par conséquent se rapporter à des faits existant déjà au moment de la votation, mais qui étaient alors inconnus ou qui ont pu rester inaperçus (faits nouveaux improprement dits; faux nova ). La procédure ultérieure ne peut servir à réparer ni l'omission d'avoir interjeté un recours ni celle d'avoir recueilli les preuves pertinentes au moment de la votation ( ATF 138 I 61 consid. 4.5 p. 76 et les références). Dans ses déterminations, le Conseil fédéral soutient que le recourant ne se fonde pas sur des faux nova admissibles, mais sur des vrais nova lorsqu'il tient compte de la nouvelle estimation des couples mariés à deux revenus; la nouvelle estimation résulterait d'une nouvelle méthode d'évaluation qui ne devrait pas conduire à la remise en question des décisions antérieures prises sur la base des anciennes évaluations; en d'autres termes, la nouvelle méthode et les chiffres qui en résultent seraient nouveaux car la méthode modifiée n'avait pas encore été utilisée avant la votation. BGE 145 I 207 S. 213 Le Conseil fédéral méconnaît cependant que la critique du recourant ne se dirige pas contre la méthode d'estimation utilisée par les autorités fédérales mais contre l'information erronée des citoyens dans le contexte de la votation. Le recourant fait valoir en effet que le chiffre de 80'000 couples mariés avec un double revenu est erroné dans les explications du Conseil fédéral, tout comme dans le Message du 23 octobre 2013 relatif à l'initiative populaire "Pour le couple et la famille - Non à la pénalisation du mariage" (FF 2013 7623) ainsi que dans les médias. Le nombre de 80'000, corrigé à 454'000, et non les raisons de cette correction, constitue le fait pertinent qui existait déjà au moment de la votation. Quoi qu'en dise le Conseil fédéral, l'erreur quant à ce nombre ne constitue pas un fait qui a surgi seulement après la votation (voir arrêt 1C_63/2015 du 24 août 2015 consid. 4.2, dans lequel des vrais nova ont été retenus). Il s'agit donc d'un faux novum dont la prise de connaissance s'est faite lors de la publication du communiqué de presse du 15 juin 2018, ce qui a ouvert la voie de recours. Savoir si le changement de méthode pour évaluer les personnes touchées par la pénalisation du mariage peut justifier l'erreur de l'estimation initiale et savoir s'il s'agit d'une irrégularité au sens de la jurisprudence est une question de fond qui sera abordée ci-dessous (voir consid. 3). 1.5 Enfin, en vertu de l' art. 189 al. 4 Cst. , les actes de l'Assemblée fédérale et du Conseil fédéral ne peuvent pas être portés devant le Tribunal fédéral, sauf si une loi fédérale le prévoit. Le législateur fédéral n'a pas prévu de moyen de droit contre les actes de l'Assemblée fédérale et du Conseil fédéral en lien avec les votations et les élections fédérales ( ATF 138 I 61 consid. 7.1 p. 85). Les explications du Conseil fédéral relatives à la votation ainsi que le message explicatif adressé aux Chambres fédérales ne sont par conséquent pas attaquables en tant que tels. Il en va de même des déclarations individuelles des Conseillers fédéraux, tant que celles-ci correspondent au contenu du message explicatif ( ATF 145 I 1 consid. 5.1.1 p. 7 et les arrêts cités). Indépendamment de ces exclusions d'ordre procédural, l'état d'information global prévalant au moment d'une votation populaire peut en revanche faire l'objet d'une contestation. Il y a lieu en effet d'examiner si les électeurs étaient objectivement capables de se former une opinion suffisamment concrète et sûre en fonction des informations données par les différents acteurs politiques et les médias. Il faut ainsi prendre en considération l'ensemble des informations mises à disposition des électeurs. Dans ce contexte, BGE 145 I 207 S. 214 il n'est dès lors pas exclu que les informations émanant du Conseil fédéral ou de Conseillers fédéraux soient de nature à influer sur l'information globale des citoyens. Tel est le cas notamment lorsque le Conseil fédéral a omis des informations importantes auxquelles seule l'administration fédérale avait accès ( ATF 138 I 61 consid. 7 et les références citées, en particulier consid. 7.4 p. 86; arrêt 1C_455/2016 du 14 décembre 2016 consid. 2.4, non publié in ATF 143 I 78 ). En l'occurrence, le recourant fait notamment valoir que le Conseil fédéral a donné une fausse information au corps électoral en se fondant sur des données, dont seule l'administration fédérale disposait. Il souligne que cette information a été relayée dans de nombreux médias et dans l'argumentaire de deux partis politiques. Il ne s'agit pas d'informations qui auraient pu être discutées et mises en cause dans le débat public précédant la votation (cf. arrêt 1C_455/2016 du 14 décembre 2016 consid. 2.4, non publié in ATF 143 I 78 ). Le grief du recourant est par conséquent recevable. L' art. 189 al. 4 Cst. ne s'oppose ainsi pas à l'entrée en matière sur le recours. 1.6 Les autres conditions formelles de recevabilité sont remplies, de sorte qu'il y a lieu d'entrer en matière sur le recours. 2. Le recourant fait valoir que le corps électoral a été induit en erreur par l'information selon laquelle seul un petit nombre de privilégiés (80'000 couples mariés à deux revenus) était visé par la pénalisation fiscale du mariage: le chiffre de 80'000 avait notamment été utilisé pour faire ressortir le caractère marginal des cas visés par l'initiative (2 % de la population [5 % des couples mariés]) par rapport au coût important qu'elle représentait (2,3 milliards de francs par année): l'erreur sur le nombre de couples mariés n'ayant pas été reprise dans le calcul du coût de la réforme, cela avait eu pour effet d'accroître de manière disproportionnée le coût de l'initiative en rapport avec le nombre de personnes touchées. Le recourant soutient que l'initiative populaire a ainsi été présentée comme visant une situation bagatelle, ce qui aurait démotivé de nombreuses personnes favorables à l'initiative. Le recourant déduit ensuite du communiqué de presse du Conseil fédéral du 15 juin 2018 qu'en réalité 66 % des couples mariés à deux revenus étaient concernés par l'initiative (374'000 couples mariés à deux revenus en plus de ce qui avait été annoncé) et que la majorité (52,29 %) des couples suisses (y compris les couples à un seul revenu) était touchée. Il ajoute que la correction du chiffre représente BGE 145 I 207 S. 215 une augmentation de 467,5 % du nombre de couples mariés à deux revenus visés; l'erreur était particulièrement grave puisqu'il ne s'agissait pas d'une erreur d'estimation (ce qui peut arriver lorsque les méthodes de calcul divergent) mais bien d'une erreur d'information. Le recourant souligne aussi que le chiffre de 80'000 a été abondamment relayé dans différents documents officiels, lors des débats parlementaires, dans de nombreux journaux, à la radio et à la télévision ainsi que dans l'argumentaire de partis politiques; compte tenu de l'importance donnée au chiffre erroné de 80'000 couples mariés dans le cadre de la campagne précédant la votation en question, l'impact de l'irrégularité sur le résultat de la votation ne peut être que significatif. En définitive, le recourant soutient que la double erreur (nombre de couples visés et rapport entre le coût et l'impact sur la population) constitue une violation de l' art. 34 al. 2 Cst. , qui a très vraisemblablement eu une incidence sur l'issue du scrutin, compte tenu du faible écart final (50,8 % contre 49,2 %) et du fait que l'initiative a été acceptée par la grande majorité des cantons. 2.1 L' art. 34 al. 2 Cst. protège la libre formation de l'opinion des citoyens: il garantit ainsi aux citoyens qu'aucun résultat de vote ne soit reconnu s'il ne traduit pas de façon fidèle et sûre l'expression de leur libre volonté. Chaque citoyen doit pouvoir se déterminer en élaborant son opinion de la façon la plus libre et complète possible et exprimer son choix en conséquence. La liberté de vote garantit la sincérité du débat nécessaire au processus démocratique et à la légitimité des décisions prises en démocratie directe ( ATF 145 I 1 consid. 4.1 p. 5; ATF 143 I 78 consid. 4.3 p. 82 et les références citées). A teneur de l' art. 11 al. 2 LDP , le texte soumis à la votation est accompagné de brèves explications du Conseil fédéral, qui doivent rester objectives. Le Conseil fédéral est tenu de respecter les principes de l'exhaustivité, de l'objectivité, de la transparence et de la proportionnalité lorsqu'il informe les citoyens sur les objets soumis à votation fédérale ( art. 10a al. 2 LDP ). Cette dernière disposition législative, entrée en vigueur le 15 janvier 2009, a été introduite comme contre-projet indirect à l'initiative populaire fédérale intitulée "Souveraineté du peuple sans propagande gouvernementale" visant notamment à interdire au Conseil fédéral, aux cadres supérieurs de l'administration fédérale et aux offices de la Confédération toute activité d'information et de propagande, notamment toute intervention dans BGE 145 I 207 S. 216 les médias et toute participation à des manifestations concernant le scrutin, à l'exception d'une brève et unique information à la population par le chef du département compétent. Cette initiative a été refusée par tous les cantons et par une large majorité des électeurs, au bénéfice de l' art. 10a LDP . Dans son rapport relatif à l'introduction de l' art. 10a LDP , la Commission des institutions politiques du Conseil national a notamment précisé que le principe d'objectivité impose que "les incertitudes [doivent être] présentées comme telles" (rapport du 15 septembre 2006, FF 2006 8779, 8791). Selon la jurisprudence, le résultat d'une votation est faussé lorsque les citoyens ont été informés de manière erronée sur le but et la portée du projet soumis au vote. Il est interdit de passer sous silence des éléments importants pour la décision du citoyen ou de reproduire de manière inexacte les arguments des adversaires du référendum ou de l'initiative (cf. ATF 139 I 2 consid. 6.2 p. 13 s. et les références citées; ATF 138 I 61 consid. 6.2 p. 82). Le principe de la transparence exige par ailleurs que s'il existe des incertitudes significatives lors de l'évaluation de la situation de départ, celles-ci soient clairement présentées comme telles (rapport de la Commission des institutions politiques du Conseil national du 15 septembre 2006 précité, FF 2006 8779, 8791; cf. arrêt 1C_385/2012 du 17 décembre 2012 consid. 2.5 et les références in ZBl 2013 p. 524, où il est essentiel que les citoyens, se fondant sur les données se trouvant à leur disposition, puissent reconnaître l'absence de fiabilité des prévisions et des chiffres; cf. aussi ATF 138 I 61 consid. 8.6 p. 92 ss.; voir aussi arrêt 1P.280/1999 du 7 décembre 1999, in DEP 2000 p. 142, in RDAF 2001 I p. 513 où les informations précédant le vote avaient exposé certains pronostics quant au trafic aérien, pronostics qui se sont révélés par la suite largement insuffisants). Ces principes constitutionnels valent d'autant plus pour les explications du Conseil fédéral avant une votation qu'ils sont désormais expressément prévus par la LDP (cf. ATF 138 I 61 consid. 6.3 p. 84 et les références). 2.2 Dans ses déterminations, le Conseil fédéral explique que le communiqué de presse du 15 juin 2018 était en lien avec la discussion du projet de modification de la loi fédérale du 21 mars 2018 sur l'impôt fédéral direct présenté dans le message (Message du 21 mars 2018 relatif à la modification de la loi fédérale sur l'impôt fédéral direct [Imposition équilibrée des couples et de la famille], FF 2018 2173); BGE 145 I 207 S. 217 selon ce message, les couples mariés à double revenus avec enfants n'auraient pas été pris en compte par erreur dans le nombre de couples concernés par la pénalisation fiscale du mariage; le porte-parole de l'administration fédérale des contributions avait déclaré lors du journal télévisé du 15 juin 2018 qu'une erreur avait déjà été commise lors de la votation du 28 février 2016. Le Conseil fédéral estime que cette déclaration est fausse ( nicht zutreffend ). Le Conseil fédéral soutient que la différence entre le nombre de couples mariés avec deux revenus selon le message explicatif pour la votation du 28 février 2016 (80'000) et le nombre mentionné dans le communiqué de presse précité (454'000) résulte de deux circonstances. D'une part, une actualisation des chiffres avait eu lieu en juin 2018 à la suite de nouvelles données statistiques; en raison de l'augmentation tant du nombre de contribuables et de couples mariés à deux revenus que des revenus eux-mêmes, le nombre de couples mariés à deux revenus concernés était plus élevé; le chiffre de 80'000 se fondait sur une statistique datant de 2001. D'autre part, la méthode d'estimation du nombre de couples mariés concernés avait changé en lien avec le Message du 21 mars 2018. Le Conseil fédéral décrit en détail les deux méthodes d'évaluation. Il fait valoir qu'avec le changement de méthode un nouveau point de référence pour la comparaison des charges de couples mariés avec enfants a été défini. Le Conseil fédéral explique ensuite pourquoi, malgré cette différence de chiffres, il n'y a pas eu d'influence inadmissible dans la formation de la volonté des citoyens. Il fait remarquer que la Confédération ne dispose pas directement de données statistiques au sujet des couples mariés à deux revenus parce que l'impôt fédéral direct est prélevé par les cantons; les chiffres communiqués n'étaient donc que des estimations; la Confédération récoltait cependant auprès des cantons des données statistiques relatives à l'impôt fédéral direct, desquelles il résultait des informations ponctuelles portant sur les relations personnelles du contribuable et sa situation économique; la limitation de la statistique fiscale tenait à l'absence d'information concernant les revenus et les déductions de chaque époux (il était donc impossible de connaître la répartition des revenus au sein du couple) et au manque d'information sur le nombre d'enfants (enfants communs ou non communs). Dans sa réplique du 30 novembre 2018, le Conseil fédéral produit deux rapports de l'Administration fédérale des contributions (AFC) avec des données détaillées sur l'ancienne et la nouvelle méthode BGE 145 I 207 S. 218 d'évaluation. Il présente aussi une expertise externe des méthodes d'estimation et du matériel statistique de l'AFC relative à la question de la pénalisation fiscale du mariage, établie sur mandat du Département fédéral des finances (RAPHAËL PARCHET, Examen externe des méthodes d'estimation et du matériel statistique de l'AFC, rapport final du 8 octobre 2018). L'expert constate que, vu le manque de donées concernant les revenus et les déductions individuels de chaque conjoint du couple, l'AFC n'est pas en mesure de calculer exactement le nombre de couples pénalisés fiscalement par le mariage ni de calculer les conséquences financières du projet d'imposition équilibrée des couples et de la famille, ces données pouvant cependant être recueillies auprès des cantons. 2.3 En réponse aux déterminations du Conseil fédéral, le recourant se déclare troublé et étonné par l'affirmation suivante du Conseil fédéral: la Confédération ne disposerait pas de données statistiques au sujet des couples mariés à deux revenus touchés par la pénalisation du mariage, de sorte que les chiffres communiqués n'étaient que des estimations; en effet, que ce soit dans le message explicatif, lors des débats parlementaires ou encore dans les communiqués de presse, le corps électoral n'a à aucun moment été informé de l'absence de données fiables à ce sujet et de ce que les chiffres communiqués ne reposaient que sur des estimations; un tel silence sur un élément de fait aussi essentiel ne peut être qualifié que de dissimulation; sachant que les électeurs sont tenus chaque année de déclarer de manière circonstanciée leurs revenus et fortune à l'administration fiscale, ils sont en droit de s'attendre à ce que les chiffres utilisés dans des explications ou communications du Conseil fédéral proviennent exclusivement de données fiscales fiables et précises; s'ajoute à cela qu'il est difficile de comprendre comment le résultat des estimations peut varier d'un facteur allant jusqu'à 5,675 fois plus. Le recourant souligne encore que la mise en place par le Conseil fédéral d'un examen externe des méthodes d'estimation et du matériel statistique de l'AFC démontrerait que celui-ci a été surpris de ces différences significatives et qu'il entend faire la lumière sur l'origine et les causes des erreurs commises. 3. La question à trancher est celle de savoir si le Conseil fédéral a informé de manière lacunaire le corps électoral sur des éléments de fait, dont seule l'administration fédérale disposait, et a ainsi faussé l'état d'information des citoyens avant la votation populaire du 28 février 2016. BGE 145 I 207 S. 219 L'information erronée ou lacunaire porte sur trois points. D'abord, le nombre de couples mariés à deux revenus touchés par la pénalisation du mariage était erroné (consid. 3.1). Les citoyens n'ont ensuite pas eu connaissance de ce que le nombre de 80'000 résultait d'une estimation (consid. 3.2). Enfin, le corps électoral n'a jamais su que le nombre de 80'000 se fondait sur des données datant de 2001 et que celles-ci n'avaient pas été actualisées (consid. 3.3). 3.1 Premièrement, les citoyens appelés au vote du 28 février 2016 ont reçu l'information que le nombre de couples mariés à deux revenus touchés par l'initiative était de 80'000. Ils ont appris, en juin 2018, que ce nombre était erroné et qu'en réalité 454'000 couples pouvaient être concernés. Le nombre initial a ainsi été multiplié par un facteur supérieur à 5. Si l'on compte les personnes et non les couples, environ 908'000 personnes - parmi les actifs - pouvaient être touchées par l'initiative en question. 3.2 Deuxièmement, les électeurs n'ont jamais été informés de ce que le chiffre de 80'000 résultait d'une estimation. Dans son Message explicatif, le Conseil fédéral a toujours affirmé (en utilisant l'indicatif présent) que "quelque 80'000 couples mariés à deux revenus et de nombreux couples de retraités mariés doivent s'acquitter d'un impôt fédéral direct plus élevé que les couples non mariés se trouvant dans la même situation économique"; il a assuré que "environ 80'000 couples mariés à deux revenus et de nombreux retraités mariés continuent de subir , en matière d'impôt fédéral direct, une charge supplémentaire [...] jugée contraire à la Constitution". A aucun moment, il n'a dit que le chiffre de 80'000 ne provenait pas de statistiques, mais d'une estimation faite selon une méthode particulière etpeu fiable. Pour garantir la libre formation de l'opinion des citoyens, il aurait fallu mentionner que le chiffre de 80'000 émanait d'une estimation et utiliser le conditionnel pour énoncer le nombre de couples touchés par la pénalisation fiscale du mariage. Ce chiffre a d'ailleurs systématiquement été repris dans les différents communiqués de presse officiels du Conseil fédéral et du Parlement, lors des débats parlementaires et dans les différents médias lors du débat public précédant la votation. Les termes "quelque" et "environ" indiquaient certes que le nombre de 80'000 n'était pas un chiffre exact, mais ils ne pouvaient que signifier, dans l'esprit du public, que ce nombre avait sans doute été arrondi, par exemple, à la dizaine de milliers de couples touchés directement inférieure ou supérieure. Les citoyens ne pouvaient en tout cas pas imaginer, dans l'état d'information BGE 145 I 207 S. 220 dans lequel ils se trouvaient avant la votation, que le nombre de couples touchés par la pénalisation fiscale du mariage pouvait être en réalité plus de 5 fois plus élevé que les 80'000 annoncés. Ce manque de transparence ainsi que l'absence d'indication sur le défaut de fiabilité des données représentent une carence portant sur un élément essentiel dans la formation de l'opinion des électeurs. Cette carence est encore aggravée par le fait que la mention d'un nombre, certes approximatif mais apparemment exact, de "quelque 80'000" couples mariés à deux revenus se lit en parallèle avec la mention, quant à elle non chiffrée, de "nombreux" couples de retraités mariés: cela suscite l'impression que le nombre de couples mariés à deux revenus a, contrairement à celui des couples retraités, pu être établi de manière fiable et exacte. Le Conseil fédéral a expliqué qu'une des raisons qui pouvait expliquer la différence de chiffres était le changement de la méthode d'estimation. Cet élément pourrait être pris en compte si, dans le message explicatif, il avait été mentionné que le chiffre de 80'000 résultait d'une méthode d'estimation. Les citoyens n'ayant pas reçu cette information, le changement de méthode d'estimation opéré après coup ne peut justifier l'information erronée qui leur a été donnée. Si, à en croire le Conseil fédéral, une estimation plus précise n'était pas possible, la transparence de l'information aurait exigé qu'il soit renoncé à la mention d'un quelconque nombre concret dans la brochure explicative ou qu'il soit fait mention de l'absence de fiabilité des estimations données, de façon à ce que les électeurs puissent se faire une idée correcte et fiable de la question. Au demeurant, les citoyens n'ont jamais été mis au courant de ce que des écarts d'estimation si importants pouvaient exister selon les différentes méthodes utilisées, à savoir entre 80'000 et 454'000 couples mariés à deux revenus touchés. 3.3 S'y ajoute qu'une partie non négligeable de la différence entre les anciennes et les nouvelles données relatives au nombre de couples mariés à deux revenus concernés ne découle pas de la modification de la méthode d'estimation mais de l'actualisation des données statistiques. Le Conseil fédéral explique à cet égard que le nombre de 80'000 se fondait sur des données datant de l'année 2001, soit quinze ans avant la votation: l'Administration fédérale des contributions aurait estimé que les inconvénients d'une actualisation des données l'emportaient sur ses avantages: une actualisation des données BGE 145 I 207 S. 221 n'aurait pas ajouté de valeur supplémentaire importante après qu'une évaluation datant de 2009 (sur la base des statistiques fiscales de l'année 2006) aurait rendu plausible que le cercle des personnes concernées était d'environ 100'000 couples mariés à deux revenus; de plus les discussions de projets de réforme sur l'imposition fiscale des couples mariés duraient depuis longtemps et une actualisation aurait eu tendance à rendre plus difficile la comparaison des projets de réforme. L'explication du Conseil fédéral ne convainc pas. En effet, la comparaison des différents projets de réformes n'était pas en discussion lors de la votation du 28 février 2016: on ne trouve d'ailleurs aucune mention d'autres projets de réforme dans le Message explicatif du Conseil fédéral. De même, l'argument selon lequel une actualisation du nombre aurait donné la fausse impression que le nombre de couples mariés concernés pouvait être calculé précisément est aussi erroné. Une telle impression aurait facilement pu être évitée par une clarification. Il y a ainsi lieu de retenir que les autorités fédérales savaient que le chiffre de 80'000 n'était plus d'actualité et qu'elles ont renoncé à en informer le corps électoral. 3.4 Par conséquent, il y a lieu de constater que l'indication de "quelque 80'000" couples mariés à deux revenus touchés par la pénalisation fiscale du mariage viole le devoir d'information objective et l'obligation de transparence, dans la mesure où elle est inexacte et ne mentionne ni son absence de fiabilité significative ni son manque d'actualité. Comme le démontre le recourant avec de nombreux renvois à des articles de presse, des déclarations de politiciens, des communiqués de presse d'autorités fédérales et de partis politiques, cette donnée a constitué une part importante du débat public précédant la votation. Elle représentait une information essentielle dans la prise de décision et ne concernait pas un point secondaire (cf. arrêt 1P.131/2004 du 14 juin 2004 consid. 3). La situation avant la votation montre ainsi que le corps électoral était privé d'éléments importants pour former et exprimer son opinion. Le caractère incomplet et le manque de transparence des explications du Conseil fédéral ont donc eu des conséquences sur l'état d'information précédant la votation du 28 février 2016, conséquences qui ne sont pas compatibles avec la liberté de vote. L' art. 34 al. 2 Cst. a par conséquent été violé. 4. Il s'agit enfin de déterminer si les irrégularités constatées ont pu influencer le résultat du scrutin de façon déterminante. BGE 145 I 207 S. 222 4.1 En matière de recours contre les votations, la jurisprudence distingue ceux qui sont déposés avant ou peu après la votation des recours qui sont interjetés bien après la votation lorsque des irrégularités ont été connues ultérieurement. Dans le premier cas, la votation n'est annulée qu'à la double condition que la violation constatée est grave et qu'elle a pu avoir une influence sur le résultat du vote; il y a lieu de tenir compte notamment de l'écart de voix, de la gravité des vices de procédure et de leur portée sur le vote dans son ensemble. Si la possibilité d'un résultat différent au cas où la procédure n'avait pas été viciée apparaît à ce point minime qu'elle ne puisse pas entrer sérieusement en considération, il y a lieu de renoncer à l'annulation du vote; dans le cas contraire, il faut considérer le vice comme important et annuler la votation ( ATF 145 I 1 consid. 4.2 p. 5; ATF 143 I 78 consid. 7.1 p. 90 s. et les arrêts cités). Dans le second cas, les exigences pour l'annulation d'une votation sont plus élevées. Le principe de la sécurité du droit exige en effet la stabilité de la législation en vigueur ( art. 5 Cst. ). Suivant les circonstances, le principe de la bonne foi ( art. 9 Cst. ) et des aspects de l'égalité devant la loi ( art. 8 al. 1 Cst. ) peuvent aussi s'opposer à l'annulation d'une votation qui a eu lieu depuis un certain temps ( ATF 138 I 61 consid. 8.7 p. 94 ss et les références citées). Il s'agit donc de procéder à une pesée globale des intérêts, tenant compte de l'écart des voix, de l'influence possible de la gravité de l'irrégularité sur le résultat du vote ( ATF 114 Ia 427 consid. 7a p. 446), de la sécurité du droit et des autres aspects qui s'opposent à une annulation de la votation. Il faut aussi prendre en compte le fait qu'une répétition de la votation ne pourra pas se faire dans les mêmes conditions ( ATF 138 I 61 consid. 8.7 p. 95 et la référence citée; cf aussi JOSÉ KRAUSE, Die Rechtsweggarantie [art. 29a BV] im Bereich der politischen Rechte [...], 2017, p. 124). Le Tribunal fédéral a annulé à différentes reprises des votations cantonales ou communales. Un recours avait été déposé deux ans après la votation sur le rattachement du Laufonnais au canton de Bâle-Campagne; en 1988, le Tribunal fédéral a annulé la votation en raison de l'intervention du gouvernement bernois dans le financement de la campagne (objet refusé par 56,7 % des voix; ATF 114 Ia 427 ). En 2006, une votation cantonale dans le canton d'Appenzell Rhodes-Extérieures a été annulée au motif d'une violation grave du principe de l'unité de la matière de l'objet soumis au vote (objet accepté à 59,6 % des voix; arrêt 1P.223/2006 du 12 septembre 2006, in ZBl BGE 145 I 207 S. 223 2007 p. 332, in PJA 2007 p. 112). En 2011, un arrêté de convocation des électeurs pour une votation cantonale neuchâteloise a été annulé quelques jours avant la votation pour violation de l'unité de la matière, faute de rapport intrinsèque entre les objets soumis ensemble au vote ( ATF 137 I 200 ). En 2015, une votation communale a été annulée en raison d'irrégularités lors du dépouillement du scrutin (objet accepté par 51,4 % des voix; ATF 141 I 221 ). En 2018, l'annulation d'une votation communale comprenant deux objets a été motivée par la présence d'un stand, avec banderoles de propagande, aux abords du local de vote le jour du scrutin - ce qui constituait une violation manifeste de la loi cantonale pertinente interdisant clairement une telle activité - ayant pu influencer le sort du scrutin (objets refusés par 53,7 % et 52,4 % des voix; arrêt 1C_610/2017 du 7 mai 2018). En 2018 aussi, une votation communale comprenant deux objets a été annulée en raison de l'intervention massive et unilatérale de l'exécutif communal en faveur du projet (objets acceptés par 50,5 % et 51,4 % des voix, avec un écart respectivement de 7 voix et de 21 voix; arrêt 1C_521/2017 du 14 mai 2018). 4.2 A teneur de l' art. 15 al. 1 LDP , le Conseil fédéral constate le résultat définitif de la votation (validation) dès qu'il est établi qu'aucun recours n'a été déposé devant le Tribunal fédéral ou dès que les arrêts rendus sur de tels recours sont prononcés. L'arrêté de validation du scrutin du Conseil fédéral ne peut pas faire l'objet d'un recours au Tribunal fédéral en vertu de l' art. 189 al. 4 Cst. L'exécutif fédéral est cependant lié par les éventuels arrêts du Tribunal fédéral en ce qui concerne la régularité d'un scrutin. En d'autres termes, le Conseil fédéral ne peut constater le résultat de la votation, par addition des chiffres, qu'à l'issue du délai de recours et si le Tribunal fédéral n'ordonne ni une répétition du scrutin ni un recomptage des voix (JACQUES DUBEY, Quelle autorité pour la chose votée? A propos du contrôle [dit "rétrospectif"] de la régularité d'une votation fédérale, après le délai de recours et la validation du résultat, in Mehr oder weniger Staat?, in Festschrift für Peter Hänni zum 65. Geburtstag, Berne, 2015, p. 3-27, 15). L'arrêté de validation du scrutin du Conseil fédéral constate seulement la validité de son résultat, alors que le Tribunal fédéral constate la régularité du scrutin, c'est-à-dire sa conformité à la garantie de la libre formation et de l'expression fidèle et sûre de la volonté des citoyens ( art. 34 al. 2 Cst. ) (voir DUBEY, op. cit, p. 15, qui formule cette distinction sous forme interrogative). Depuis la révision de l'organisation BGE 145 I 207 S. 224 judiciaire fédérale entrée en vigueur en 2007, le Conseil fédéral n'est plus à la fois l'autorité de recours et de validation. Il lui incombe de surseoir à prononcer la validation jusqu'à droit connu sur les éventuels recours au Tribunal fédéral. L'arrêté de validation a donc uniquement pour but de constater le résultat du scrutin et ainsi d'établir la décision du corps électoral. Comme cet organe est composé de l'ensemble des citoyens actifs suisses, il présente en effet la particularité de ne pas pouvoir manifester sa volonté seul. Un autre organe, le Conseil fédéral, doit intervenir pour additionner les suffrages et constater la majorité. En tant qu'autorité de validation, le Conseil fédéral ne prend pas de décision au fond: il ne fait que prononcer la décision prise par le corps électoral, en arrêtant les chiffres de la majorité et de la minorité (DUBEY, op. cit., p. 16). Il ne s'agit pas non plus d'une décision de nature politique contre laquelle le recours au Tribunal fédéral serait susceptible de violer le principe de la séparation des pouvoirs (cf. GORAN SEFEROVIC, in Commentaire bâlois, Bundesverfassung, 2015, n° 59 ad art. 189 Cst. ). L'arrêté de validation a ainsi une portée limitée et exerce pour l'essentiel une fonction qui a été qualifiée de "notariale" ("notarielle Funktion") (GIOVANNI BIAGGINI, Eine verzwickte Angelegenheit: Die nachträgliche Überprüfung der Regularität einer eidgenössischen Volksabstimmung [...], ZBl 2012 p. 429 ss, 430). La révocation préalable del'arrêté de validation du scrutin par le Conseil fédéral n'est donc pas nécessaire au contrôle ultérieur de la régularité du scrutin. Il n'y a pas de conflit positif de compétences entre le Tribunal fédéral et le Conseil fédéral, dès lors que leurs décisions respectives ont un objet différent (cf. DUBEY, op. cit., p. 22 note 60; dans ce sens BIAGGINI, op. cit., p. 430). Si le Tribunal fédéral, saisi d'un recours en raison d'irrégularités découvertes bien après la votation, constate une violation des droits politiques dont il juge qu'elle implique une annulation de la votation, le Conseil fédéral est tenu d'adapter son arrêté de validation d'office au nouvel arrêt du Tribunal fédéral. A défaut, le Conseil fédéral se trouverait en conflit avec le devoir que lui impose l' art. 182 al. 2 Cst. de veiller à la mise en oeuvre des jugements rendus par les autorités judiciaires fédérales (BIAGGINI, op. cit., p. 430). 4.3 En l'espèce, l'initiative litigieuse a été rejetée à une courte majorité par 50,8 % des votants (1'664'224 non contre 1'609'152 oui). L'écart des voix entre le "oui" et le "non" apparaît ainsi faible. L'initiative en question a de plus été acceptée par une large majorité des BGE 145 I 207 S. 225 cantons (par 15 cantons et 3 cantons disposant d'une demi-voix [contre 5 cantons et 3 cantons disposant d'une demi-voix]). S'agissant de la gravité des irrégularités, l'ampleur de l'erreur doit être prise en considération. La correction a fait en effet passer le nombre de couple mariés à deux revenus touchés par l'initiative en question de 80'000 à 454'000 selon les indications des autorités fédérales. Le nombre initial a ainsi été multiplié par un facteur supérieur à 5. Quant à l'influence possible des irrégularités sur la votation, il faut relever que celles-ci ont conduit à deux arguments erronés. D'une part, le chiffre de 80'000 a été utilisé pour faire ressortir le caractère marginal des cas visés par l'initiative par rapport au coût important qu'elle représentait (entre 1,2 et 2,3 milliards de francs par année). D'autre part, l'erreur sur le nombre de couples mariés n'a pas été reprise dans le calcul du coût de la réforme; cela a eu pour effet d'accroître de manière disproportionnée le coût de l'initiative en rapport avec le nombre de personnes touchées. Ces deux éléments ont pu avoir un poids important dans la formation de l'opinion des électeurs. Le chiffre de 80'000 - issu des services de l'administration et dont l'absence de fiabilité et d'actualité était connue de celle-ci - a de surcroît été abondamment relayé. Il figure non seulement dans la brochure explicative du Conseil fédéral mais aussi dans le Message du Conseil fédéral du 23 octobre 2013 (FF 2013 7623) et dans différents documents officiels (communications du Conseil fédéral, arguments développés par le Conseil fédéral et le Parlement, publications du Département fédéral des finances en réponse aux arguments du comité d'initiative). Ce chiffre a été repris dans les débats parlementaires par la Conseillère fédérale en charge du Département fédéral des finances (BO 2014 CN 2304) et a servi de référence dans les débats du Conseil national (BO 2014 CN 2273 ss et 2295 ss) et du Conseil des Etats (BO 2015 CE 43 ss). Ce chiffre a aussi été relayé dans de nombreux journaux, à la radio et à la télévision ainsi que dans l'argumentaire de partis politiques. Quant à la sécurité du droit, elle a en l'espèce une importance moindre puisque l'initiative en question a été refusée lors de la votation litigieuse. Contrairement au recours formé contre l'acceptation de la deuxième réforme de l'imposition des entreprises - dans lequel le Tribunal fédéral avait pris en compte le fait que la réforme législative était entrée en vigueur, que de nombreuses entreprises avaient pris leurs dispositions en fonction de ce nouveau droit et que les BGE 145 I 207 S. 226 possibilités ainsi offertes avaient d'ores et déjà été mises en oeuvre ( ATF 138 I 61 consid. 8.7 p. 95) -, il n'est pas question ici d'annuler une loi en vigueur et déjà maintes fois appliquée. La votation en question n'a en effet introduit aucune norme qui ne pourrait être anulée. Dans de telles circonstances, l'intérêt à la sécurité du droit ne peut l'emporter ( ATF 114 Ia 427 consid. 8b p. 451) face à l'intérêt à ce que l'opinion du corps électoral puisse être formée de manière complète sur la base d'informations exactes. Le Conseil fédéral souligne encore le fait que la définition étroite du mariage proposée par l'initiative a été l'élément le plus important pour rejeter l'initiative (SCIARINI/FEDDERSEN/LANZ, Analyse de la votation fédérale du 28 février 2016, p. 3, disponible sous: www.gfsbern.ch [consulté le 10 avril 2019]). L'analyse politologique résultant d'un sondage, citée par le Conseil fédéral, précise cependant que si cet argument a été plébiscité par les personnes qui ont rejeté l'initiative, il est aussi soutenu par près de la moitié des personnes qui l'ont acceptée. Il ressort en outre de cette analyse que l'argument selon lequel "il est injuste que les couples mariés soient pénalisés par rapport aux couples non mariés en matière d'impôts et d'assurances sociales", qui était au coeur de l'initiative, est fortement soutenu tant par les votants qui ont accepté l'initiative que par ceux qui l'ont refusée. Le nombre de personnes fiscalement discriminées était ainsi un élément important dans le choix des électeurs. Quoi qu'il en soit, il n'est pas possible de déterminer quel argument a convaincu chaque citoyen de voter en faveur ou en défaveur de l'initiative. Si certains électeurs ont rejeté l'initiative en raison de la définition étroite du mariage, il n'en demeure pas moins que des citoyens ont aussi pu refuser l'initiative parce qu'ils pensaient que seul un petit nombre de couples mariés à deux revenus était concerné. Le Tribunal fédéral ne peut donc prendre en compte de tels éléments résultant d'un sondage pour opérer la pesée des intérêts relative à l'annulation d'une votation. Enfin, quoi qu'en dise le Conseil fédéral, le fait que le thème de la discrimination fiscale des couples mariés est toujours d'actualité dans le cadre de la révision en cours de l'imposition du couple et de la famille n'a pas d'incidence dans la présente procédure, tant qu'une telle réforme n'est pas entrée en vigueur (à l'échéance du délai référendaire). De plus, comme le relève le Conseil fédéral, seule une partie de l'initiative populaire litigieuse est concernée par le projet de réforme en cours. BGE 145 I 207 S. 227 Il ressort de ce qui précède que la sécurité du droit ne s'oppose pas à l'annulation du scrutin, que les irrégularités constatées sont crasses et que l'issue du scrutin - compte tenu de la double majorité prévue à l' art. 140 al. 1 let. a Cst. - est serrée. Il est dès lors possible que les irrégularités constatées aient pu exercer une influence sur l'issue du vote. Les conditions posées par la jurisprudence pour une annulation du scrutin sont ainsi remplies.
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Sachverhalt ab Seite 11 BGE 147 V 10 S. 11 A. A.a Die 1962 geborene A. arbeitete ab Februar 2006 beim Hilfswerk B. und war bei der Pensionskasse Stadt Zürich (nachfolgend: PK Stadt Zürich) berufsvorsorgeversichert. In der Folge bezog A. verschiedentlich Arbeitslosentaggelder. Während dieser Zeit war sie bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG (nachfolgend: Auffangeinrichtung) angeschlossen. A.b Im Januar 2010 meldete sich A. bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern sprach ihr vom 1. Januar bis 31. Juli 2011 eine ganze und ab 1. August 2011 eine halbe Invalidenrente zu. A.c Nachdem die PK Stadt Zürich die Ausrichtung von Invalidenleistungen abgelehnt hatte, erbrachte die Auffangeinrichtung die gesetzlichen Vorleistungen. A.d Am 6. September 2016 bestätigte die IV-Stelle die Ausrichtung der bisherigen halben Invalidenrente. Die Auffangeinrichtung bestritt wie bereits zuvor ihre Leistungspflicht und forderte die erbrachten Vorleistungen samt Zins von 5 % zurück. Mit Schreiben vom 8. Juni 2018 hielt die PK Stadt Zürich an ihrem Standpunkt fest. B. Am 18. September 2018 erhob die Auffangeinrichtung Klage und beantragte, die PK Stadt Zürich sei zu verpflichten, ihr Fr. 59'317.57 zu bezahlen, zuzüglich Zins von 2,75 % vom 20. März bis Ende 2015, von 2,25 % für 2016 und von 2 % für 2017 bis Datum der Klageeinreichung, zuzüglich Zins von 2 % seit 18. September 2018, Mehrforderung vorbehalten. Vorfrageweise sei festzustellen, dass die PK Stadt Zürich gegenüber ihrer ehemaligen Versicherten, A., im Sinne von Art. 23 BVG leistungspflichtig sei. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage mit Entscheid vom 6. Dezember 2019 insoweit gut, als es die PK Stadt Zürich verpflichtete, der Auffangeinrichtung die seit dem 20. März 2015 erbrachten Vorleistungen zurückzuerstatten. Hingegen lehnte das kantonale Gericht die Ausrichtung eines Verzugszinses sowie die Verzinsung der Vorleistung (Vergütungszins) ab. C. Die Auffangeinrichtung führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, in teilweiser Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die PK Stadt Zürich zu verpflichten, zusätzlich zu den zurückzuerstattenden Vorleistungen einen Zins von 2,75 % vom 20. März bis Ende 2015, von 2,25 % für 2016 und von 2 % für 2017 bis 18. September 2018, zuzüglich Zins BGE 147 V 10 S. 12 von 2 % seit 18. September 2018 (Datum der Klageeinreichung) bis Rückerstattung der Vorleistung zu bezahlen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung des Rechtsbegehrens betreffend Verzinsung des Rückforderungsanspruches an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die PK Stadt Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. A. und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. Am 10. März 2020 reicht die Auffangeinrichtung eine weitere Eingabe ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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487
Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Es steht fest, dass die Beschwerdegegnerin der Versicherten Invalidenleistungen auszurichten (vgl. Art. 23 BVG ) und folglich die von der Beschwerdeführerin erbrachten Vorleistungen nach Art. 26 Abs. 4 Satz 2 BVG zurückzuerstatten hat. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie auf den vorgeleisteten Betrag keinen Zins gewährte. 2.1 Das kantonale Gericht hat diesbezüglich erwogen, Art. 26 Abs. 4 BVG enthalte keine Regelung. Ebenso wenig seien den dazugehörigen Materialien entsprechende Anhaltspunkte zu entnehmen. Damit beschränke sich der Umfang des Rückgriffs mangels anders lautender gesetzlicher Grundlage auf die erbrachten Vorleistungen. Ein Zins sei demzufolge ebenso wenig geschuldet wie gemäss BGE 145 V 18 ein Verzugszins. (...) 3. 3.1 Art. 26 Abs. 4 BVG (in Kraft seit 1. Januar 2005) lautet wie folgt: " 4 Befindet sich der Versicherte beim Entstehen des Leistungsanspruchs nicht in der leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung, so ist jene Vorsorgeeinrichtung vorleistungspflichtig, der er zuletzt angehört hat. Steht die leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung fest, so kann die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung auf diese Rückgriff nehmen." 3.2 Zur hier interessierenden Frage, ob die letztlich leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung die Vorleistung zu verzinsen hat, kann BGE 147 V 10 S. 13 - soweit der klassischen Auslegung folgend - dem blossen Wortlaut (auch in der französisch- und italienischsprachigen Version) nichts entnommen werden. Art. 26 Abs. 4 BVG wurde von beiden Räten gemäss Vorlage der Kommission kommentarlos angenommen (AB 2002 N 546; AB 2002 S 1045); ebenso wenig lässt sich aus der Entstehungsgeschichte eine direkte Antwort ableiten (dazu: MARC HÜRZELER, Zum Rückgriffsrecht der gemäss Art. 26 Abs. 4 BVG vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung im Invaliditätsfall [nachfolgend: Rückgriffsrecht], SZS 2006 S. 325 ff. sowie UELI KIESER, Vorleistungspflichten der Pensionskassen nach BVG und ATSG - Fragen und einige Antworten, in: Die 1. BVG-Revision, Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], 2005, S. 112 ff.). Dabei hat es nicht sein Bewenden, steht hier nämlich das Rechtsinstitut des Rückgriffs im Fokus. 4. 4.1 Verzugszins und der eigentliche Zins sind zu unterscheiden (vgl. zu den Zinsarten u.a. BGE 143 II 37 E. 5.2-5.4 S. 43-46; als weitere Kategorie ist zusätzlich der Schadenszins zu nennen [ BGE 131 III 12 E. 9.1 S. 22]). 4.2 Art. 26 Abs. 4 BVG entbehrt einer bereicherungsrechtlichen Natur im Sinne von Art. 62 ff. OR . Mit Blick auf seine (spezial)gesetzlich festgelegte (Vor-)Leistungsordnung resp. (Vor-)Leistungspflicht entfallen die entsprechenden Voraussetzungen (vgl. BGE 138 V 426 E. 5.1 S. 431 mit Hinweisen). Eine darauf basierende Zinsforderung ist deshalb zum Vornherein ausgeschlossen. 4.3 4.3.1 Indessen verleiht Art. 26 Abs. 4 BVG der Vorsorgeeinrichtung, welche Vorleistungen erbracht hat, unmittelbar von Gesetzes wegen in diesem Umfang einen Regressanspruch gegen die letztlich leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Begriff "Rückgriff" in Art. 26 Abs. 4 Satz 2 BVG eine andere Bedeutung haben sollte als sonst überall in der Rechtsordnung ( BGE 136 V 131 E. 3.4 f. S. 138 f.; bestätigt in BGE 145 V 18 E. 5.2.2 S. 21 f.). 4.3.2 Regress steht allgemein für Schadloshaltung im Sinne einer Ausgleich- und Korrekturfunktion ( BGE 136 V 131 E. 3.4 S. 138; WALTER FELLMANN, Regress und Subrogation: Allgemeine Grundsätze, in: Haftpflicht und Versicherungsrechtstagung, Alfred Koller [Hrsg.], 1999, S. 13). Dies bedeutet im Kontext von Art. 26 Abs. 4 BGE 147 V 10 S. 14 Satz 2 BVG , dass die vorleistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung nach Ausübung ihres Regressrechts so gestellt sein soll, wie wenn sie nie eine Vorleistung bezahlt hätte (vgl. HÜRZELER, Rückgriffsrecht, a.a.O., S. 335 ["Schadenstragung"]). Sind vorleistende und definitiv leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung - wie hier - nicht identisch, so beläuft sich der Schaden der Ersteren auf sämtliches Kapital, das sie durch die Vorleistungspflicht nicht zur Verfügung hat, wohingegen die eigentlich leistungspflichtige Vorsorgeträgerin das entsprechende Guthaben in dieser Zeit gewinn- resp. zinsbringend anlegen kann (vgl. BGE 131 III 12 E. 9.1 S. 22). Dieser Zinsverlust der vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung ist auf dem Regressweg auszugleichen ( derselbe , Intrasystemische Vorleistungspflichten in der beruflichen Vorsorge [nachfolgend: Intrasystemische Vorleistungspflichten], in: Das prekäre Leistungsverhältnis im Sozialversicherungsrecht, Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], 2008, S. 163). Mit anderen Worten: zum Schaden gehört ein Schadens- oder Regresszins (GHISLAINE FRÉSARD-FELLAY, in: BVG und FZG, Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl. 2019, N. 232 zu Art. 34b BVG ; SYLVIA LÄUBLI ZIEGLER, Zeit ist Geld II - oder die Funktion der Zinsen im Haftpflichtrecht, HAVE 4/2005 S. 320). Dieser ist ab dem Zeitpunkt geschuldet, in welchem sich das schädigende Ereignis finanziell ausgewirkt hat, und endet am Tag der Zahlung des Schadenersatzes resp. der Rückzahlung der Vorleistung ( BGE 130 III 591 E. 4 S. 599; BGE 122 III 53 E. 4a S. 54; vgl. auch Urteil 4A_301/2016 vom 15. Dezember 2016 E. 10.2, nicht publ. in: BGE 143 III 79 ). 4.3.3 Abgesehen davon liegt eine zu Art. 50 f. OR ähnliche Situation vor. So hat Art. 26 Abs. 4 Satz 2 BVG vergleichbar die Auflösung des Innenverhältnisses zwischen zwei oder mehreren Vorsorgeeinrichtungen als Schuldnerinnen zum Gegenstand, welche im Aussenverhältnis mit der versicherten Person als Gläubigerin durch Anspruchskonkurrenz verbunden sind. Anspruchskonkurrenz besteht allgemein, wenn die geschädigte Person einen Leistungsanspruch gegenüber mehreren Ersatzpflichtigen hat (Schuldnermehrheit), wobei die verschiedenen Leistungen in sachlicher, ereignisbezogener, personeller sowie zeitlicher Hinsicht kongruent sein müssen. Davon ist in concreto ohne Weiteres auszugehen, geht es doch um den Anspruch ein und derselben Person auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge in der gleichen Zeitperiode (vgl. Art. 23 BVG ). Nachdem die versicherte Person die vorleistungspflichtige BGE 147 V 10 S. 15 Trägerin gemäss Art. 26 Abs. 4 BVG ins Recht gefasst hat, erlischt ihr Anspruch im Umfang der Vorleistung gegenüber der effektiv leistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung (Anspruchskonkurrenz). Gleichzeitig erlangt die vorleistungspflichtige Einrichtung einen Regressanspruch, den sie, wie erwähnt (vgl. E. 4.3.1), direkt gegen die definitiv leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung durchsetzen kann (HÜRZELER, Intrasystemische Vorleistungspflichten, a.a.O., S. 159; derselbe , Rückgriffsrecht, a.a.O., S. 332 f.). Der Anspruch entsteht im Moment der (Vor-)Leistung der regressierenden Vorsorgeeinrichtung an die versicherte Person und wird ab dann auch fällig ( BGE 133 III 6 E. 5.3.3 S. 25; Urteil 4A_656/2011 vom 12. März 2012 E. 4.2). Gleichzeitig fällt Regress- resp. Schadenszins zu Gunsten der vorleistungspflichtigen Vorsorgeeinrichtung an (CHRISTOPH K. GRABER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 7. Aufl. 2020, N. 11 zu Art. 51 OR ). 4.4 Eine Zinspflicht ist demnach angesichts der gesetzlichen Konzeption zu bejahen. Nachdem die Verzugszinsfrage bereits negativ beantwortet ist ( BGE 145 V 18 ), steht der Umsetzung nichts im Wege (zum Verbot von Zinseszinsen bzw. Schadenszins und Verzugszins vgl. BGE 131 III 12 E. 9.3 S. 23). 5. Zu klären bleibt die Höhe der Verzinsung. Diesbezüglich erweist es sich als sachgerecht, vom BVG-Mindestzinssatz ( Art. 15 Abs. 2 BVG in Verbindung mit Art. 12 der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1] ) auszugehen, da von der Vorleistungspflicht einzig die obligatorischen Leistungen der beruflichen Vorsorge betroffen sind (KIESER, a.a.O., S. 121; HÜRZELER, Intrasystemische Vorleistungspflichten, a.a.O., S. 163). Mit dem Vermögensertrag müssen jedoch weitergehende Aufwendungen als nur die Verzinsung des Kapitals gedeckt werden. Daher erscheint der von der Beschwerdeführerin verlangte Zuschlag von einem Prozent ebenfalls sachdienlich (vgl. auch Art. 7 der Verordnung vom 3. Oktober 1994 über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [FZV; SR 831.425]). Eine zeitlich ausgedehntere oder höhere Verzinsung fällt mit Blick auf die Bindung des Bundesgerichts an die Anträge der Parteien ohnehin ausser Betracht ( Art. 107 Abs. 1 BGG ). Insgesamt resultiert unbestritten ein Zins von 2,75 % vom 20. März bis Ende 2015, von 2,25 % für 2016 und von 2 % für 2017 bis 18. September 2018, zuzüglich Zins von 2 % seit 18. September 2018 bis Rückerstattung der Vorleistung.
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Sachverhalt ab Seite 106 BGE 136 V 106 S. 106 A. Le 6 octobre 2003, l'Association patronale interprofessionnelle de X., en qualité de fondatrice de la Caisse paritaire interprofessionnelle de chômage de X. (ci-après: la CPI), a conclu avec la Confédération suisse, représentée par le Département fédéral de l'économie, une convention portant sur l'application de la loi fédérale sur l'assurance- chômage (ci-après: la Convention). Cet accord définit les BGE 136 V 106 S. 107 conditions-cadres de la collaboration entre la Confédération et la fondatrice de la CPI pour la période du 1 er janvier 2004 au 31 décembre 2008. La Convention énumère notamment les tâches à accomplir par la CPI et prévoit l'indemnisation de la fondatrice pour les frais d'administration qui découlent de l'accomplissement de ces tâches. Elle contient notamment une réglementation d'après laquelle cette indemnisation n'est que partielle ("malus" laissé à la charge de la fondatrice de la CPI) si les frais d'administration sont excessifs par rapport aux prestations fournies par la caisse. Le 16 août 2007, le Secrétariat d'Etat à l'économie (ci-après: SECO) a rendu une "décision concernant l'agrément du compte annuel (bilan et compte d'exploitation) et du compte annuel des frais d'administration de l'exercice 2006" de la CPI. En substance, il a agréé les comptes de la CPI, en émettant toutefois une réserve sur la comptabilisation de prestations de la CPI pour le suivi de deux apprenties. Le SECO a par la suite réexaminé cette décision; il a modifié la réserve qu'il avait émise et admis la comptabilisation de prestations supérieures à celles reconnues précédemment pour le suivi des apprenties (décision du 29 août 2007). Par une troisième décision du 10 septembre 2007, le SECO a fixé à 98'394 francs le montant des frais administratifs qui seraient laissés à la charge de la fondatrice de la CPI pour l'année 2006, en raison d'un rapport frais d'administration/prestations trop élevé. B. L'Association patronale interprofessionnelle de X. a recouru contre les décisions des 29 août et 10 septembre 2007 devant le Tribunal administratif fédéral. Par jugement du 25 novembre 2008, celui-ci a annulé les décisions entreprises, "la Confédération [étant] renvoyée à la voie de l'action pour faire valoir une éventuelle prétention découlant de la Convention passée avec [la fondatrice] de la caisse". C. Le SECO interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement, dont il demande l'annulation, sous suite de frais et dépens. A titre préalable, il a demandé l'octroi de l'effet suspensif au recours. Par ordonnance du 9 février 2009, le Tribunal fédéral a invité l'intimée à déposer sa réponse, y compris sur la question de l'effet suspensif au recours, en précisant qu'aucune mesure d'exécution du jugement entrepris ne pourrait être prise jusqu'à ce que soit tranché le sort de la requête d'effet suspensif. L'intimée a conclut au rejet du BGE 136 V 106 S. 108 recours, sous suite de frais et dépens, sans s'opposer à l'octroi de l'effet suspensif au recours. Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
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Erwägungen Extrait des considérants: 3. 3.1 Aux termes de l' art. 89 al. 1 LTF , a qualité pour former un recours en matière de droit public quiconque a pris part à la procédure devant l'autorité précédente ou a été privé de la possibilité de le faire (a), est particulièrement atteint par la décision ou l'acte normatif attaqué (b), et a un intérêt digne de protection à son annulation ou à sa modification (c). Lorsqu'elles remplissent ces conditions, les collectivités publiques peuvent fonder directement sur cette disposition leur qualité pour interjeter un recours en matière de droit public (cf. ATF 135 II 12 consid. 1.2.1 p. 15, ATF 123 II 156 consid. 3.1 p. 157 s.; ATF 134 II 45 consid. 2.2.1 p. 46 s.). En revanche, une autorité prise isolément ou une branche de l'administration sans personnalité juridique l'invoquerait en vain ( ATF 134 II 45 consid. 2.2.3 p. 48; ATF 127 II 32 consid. 2f p. 38; ATF 123 II 371 consid. 2d p. 375, ATF 123 II 542 consid. 2f p. 542). Dans l'arrêt C 282/06 du 3 juillet 2007, in SVR 2007 ALV n° 26 p. 81, et dans l'arrêt de l'ancien Tribunal fédéral des assurances C 115/06 du 4 septembre 2006 portant, pour le premier, sur la responsabilité des fondateurs d'une caisse de chômage ensuite d'indemnités pour réduction de l'horaire de travail allouées à tort et, pour le second, sur la restitution par l'employeur d'indemnités pour réduction de l'horaire de travail allouées à tort, la qualité pour recourir du SECO a été admise sans être discutée ni même évoquée. L'arrêt C 115/06 a été rendu en procédure gratuite ( art. 134 OJ a contrario), le SECO ayant au demeurant obtenu gain de cause; il ne contient aucune indication sur les motifs pour lesquels la qualité pour recourir du SECO a été admise. En revanche, dans le cinquième considérant de l'arrêt C 282/06, rendu en procédure onéreuse, le Tribunal fédéral a considéré que le SECO avait agi pour défendre un intérêt patrimonial propre et a mis les frais de justice à sa charge. En tant que cette jurisprudence reconnaîtrait, implicitement tout au moins, l'intérêt digne de protection du SECO à recourir au sens de l' art. 103 let. a OJ , applicable au litige tranché à l'époque et auquel l' art. 89 al. 1 LTF correspond dans une large mesure, elle ne saurait être maintenue. Etant dépourvu de personnalité juridique, le SECO - serait-ce en qualité de BGE 136 V 106 S. 109 gestionnaire du fonds de compensation de l'assurance-chômage (art. 83 al. 1 let. b, art. 84 al. 1 et 3 LACI [RS 837.0]) - n'est pas titulaire de la personnalité juridique ni d'un patrimoine qui lui serait propre. En l'occurrence, la qualité pour recourir du SECO ne peut donc pas se déduire de l' art. 89 al. 1 LTF , quand bien même il a rendu les décisions administratives à l'origine de la présente procédure (cf. ATF 135 II 156 consid. 3.1 p. 159; ATF 134 II 45 consid. 2.2.1 p. 47). Le recourant ne se prévaut d'ailleurs pas de cette disposition légale. 3.2 3.2.1 Le SECO soutient avoir qualité pour recourir devant le Tribunal fédéral, dans le domaine de l'assurance-chômage, en vertu de l' art. 89 al. 2 let. a LTF . 3.2.2 Aux termes de l' art. 89 al. 2 let. a LTF , ont notamment qualité pour former un recours en matière de droit public la Chancellerie fédérale, les départements fédéraux ou, pour autant que le droit fédéral le prévoie, les unités qui leur sont subordonnées, si le respect de la législation fédérale dans leur domaine d'attributions est mis en cause. La qualité pour recourir n'est pas liée à un intérêt digne de protection ni à un intérêt public spécifique (cf. ATF 131 II 121 consid. 1 p. 124; ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 45 ad art. 89 LTF ). Le SECO est un office rattaché au Département fédéral de l'économie (art. 5 de l'ordonnance du 14 juin 1999 sur l'organisation du Département fédéral de l'économie [Org DFE; RS 172.216.1]). Il s'agit d'une unité subordonnée à ce département, au sens de l' art. 89 al. 2 let. a LTF , de sorte que cette disposition limite sa qualité pour recourir devant le Tribunal fédéral aux cas dans lesquels le droit fédéral le prévoit. 3.2.3 En vertu de l' art. 101 LACI , et en dérogation à l' art. 58 al. 1 LPGA (RS 830.1), les décisions et les décisions sur recours du SECO ou de l'organe de compensation de l'assurance-chômage (administré par le SECO: art. 83 al. 3 LACI ), peuvent faire l'objet d'un recours devant le Tribunal administratif fédéral. L' art. 102 LACI prévoit par ailleurs que le SECO a qualité pour recourir devant les tribunaux cantonaux des assurances contre les décisions des autorités cantonales, des offices régionaux de placement et des caisses (al. 1). Le SECO a en outre la qualité pour recourir "devant le Tribunal fédéral des assurances contre les décisions des tribunaux cantonaux des assurances" (al. 2; en allemand: "Gegen Entscheide des kantonalen BGE 136 V 106 S. 110 Versicherungsgerichts [...] zur Beschwerde vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht berechtigt"; en italien: "Contro le decisioni dei tribunali cantonali delle assicurazioni [...] hanno diritto di ricorrere davanti al Tribunale federale delle assicurazioni"). 3.2.4 La loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF) est entrée en vigueur le 1 er janvier 2007, abrogeant et remplaçant la loi fédérale d'organisation judiciaire du 16 décembre 1943 (OJ; RS 3 521). Elle a consacré l'intégration de deux tribunaux fédéraux (Tribunal fédéral et Tribunal fédéral des assurances) en un seul (Tribunal fédéral). Le maintien, à l' art. 102 LACI , de la désignation du Tribunal fédéral des assurances, plutôt que du Tribunal fédéral, comme autorité de recours contre les jugements des tribunaux cantonaux des assurances résulte manifestement d'un simple oubli du législateur d'adapter la loi aux modifications de l'organisation judiciaire fédérale entrées en vigueur le 1 er janvier 2007. Nonobstant le texte légal, le SECO dispose bien de la qualité pour recourir devant le Tribunal fédéral contre les jugements rendus dans le domaine de l'assurance-chômage par les tribunaux cantonaux des assurances. 3.2.5 L' art. 102 al. 2 LACI n'attribue pas explicitement au SECO la qualité pour recourir contre un jugement rendu par le Tribunal administratif fédéral dans le domaine de l'assurance-chômage. Dans ses trois versions linguistiques, cette disposition ne mentionne que les jugements rendus par les tribunaux cantonaux des assurances. Contrairement au maintien de la référence au Tribunal fédéral des assurances comme autorité de recours, il ne s'agit pas là d'une simple inadvertance. La teneur actuelle de l' art. 102 al. 2 LACI découle d'une modification de cette disposition entrée en vigueur avec la LPGA, le 1 er janvier 2003. A l'époque, la Commission de recours du Département fédéral de l'économie ("Commission de recours DFE") était l'instance de recours contre les décisions du SECO ou de l'organe de compensation de l'assurance-chômage ( art. 101 let . c LACI, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2002; RO 1992 325, 2000 189). Ses décisions pouvaient faire l'objet d'un recours au Tribunal fédéral des assurances ( art. 101 let . d LACI, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2002). La qualité pour recourir contre les décisions des autorités cantonales de recours ou de la Commission de recours DFE était reconnue de manière générale à celui qui était touché par la décision et avait un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit BGE 136 V 106 S. 111 annulée ou modifiée ( art. 102 al. 1 LACI , dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2002 [RO 1982 2218]; cf. également art. 103 let. a OJ ). L' art. 102 al. 2 LACI (dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 2002) attribuait par ailleurs au SECO la qualité pour recourir devant le Tribunal fédéral des assurances contre les décisions desautorités cantonales de recours.En revanche, il ne lui attribuait pas de qualité particulière pour recourir contre les jugementsde la Commission de recours DFE. Le cas échéant, il incombait auDépartement fédéral de l'économie, et non au SECO, de saisir le Tribunal fédéral des assurances, conformément à l' art. 103 let. b OJ . La modification de l' art. 102 LACI , introduite avec l'entrée en vigueur de la LPGA, le 1 er janvier 2003, n'avait pas pour objectif de modifier, dans l'assurance-chômage, les voies de droit qui existaient à l'époque, mais uniquement de supprimer de cette disposition les références aux voies de droit désormais régies par la LPGA; il s'agissait donc uniquement d'adaptations formelles de la LACI à la LPGA (Message du 7 novembre 2001 relatif à la modification de l'annexe de la loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales [Révision del'annexe de la LPGA]; FF 2002 787 ch. 2.3.2.4).Il s'ensuit que l' art. 102 al. 2 LACI ne fondait pas, tant dans sa version en vigueur jusqu'au 31 décembre 2002 que dans celle en vigueur depuis le 1 er janvier 2003, la qualité du SECO pour recourir devant le Tribunal fédéral des assurances contre les décisions de la Commission de recours DFE en matière d'assurance-chômage. On ne saurait déduire le contraire de l'arrêt C 115/06 du 4 septembre 2006 (cf. consid. 3.1 ci-avant), en l'absence de toute indication relative aux motifs pour lesquels cette qualité pour recourir avait été admise. L'attribution des compétences de la Commission de recours DFE au Tribunal administratif fédéral, dans le cadre de la réforme de l'organisation judiciaire fédérale entrée en vigueur le 1 er janvier 2007, n'a pas entraîné de modification de l' art. 102 al. 2 LACI . Il n'y a donc aucun motif d'admettre, contrairement au texte de l' art. 102 al. 2 LACI , qu'il attribuerait désormais au SECO la qualité pour interjeter un recours en matière de droit public contre les jugements du Tribunal administratif fédéral. 4. Vu ce qui précède, le recours en matière de droit public interjeté par le SECO n'est pas recevable. On cherche en vain une disposition de droit fédéral qui fonderait la qualité du SECO pour recourir au sens de l' art. 89 al. 2 let. a LTF . Le SECO n'en cite aucune. Il n'y a BGE 136 V 106 S. 112 par ailleurs pas lieu de lui impartir un délai pour produire une procuration du Département fédéral de l'économie - qui aurait été compétent pour recourir - dès lors que le SECO a clairement indiqué agir en son propre nom et non pas en qualité de représentant de ce département (cf. ATF 127 V 149 consid. 1d p. 153).
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Sachverhalt ab Seite 455 BGE 147 II 454 S. 455 La société A. Sàrl, dont le siège était à Morges, a été inscrite au registre du commerce du canton de Vaud du 29 janvier 2004 au 1 er avril 2020, date de sa radiation. Par décision du 12 mai 2004, le Chef du Département des finances du Canton de Vaud lui a accordé une exonération fiscale temporaire, selon les modalités suivantes: Exonération du bénéfice net et du capital imposables, - de cent pour cent pour une durée de cinq ans dès la fondation de la société, - de cinquante pour cent pour les cinq années suivantes. Cette exonération est subordonnée, - au maintien du siège et de l'activité de l'entreprise dans le canton pendant dix ans à compter de la fin de l'exonération, - en principe, à la création effective des emplois projetés, - à la réalisation des investissements prévus, - au devoir d'informer l'Administration cantonale des impôts (division de la taxation) et le Service de l'économie, du logement et du tourisme de toute modification importante du projet présenté, ceci en vue du réexamen possible de l'allégement fiscal octroyé. Une éventuelle extension de l'allégement de 50 % à 100 % pour la seconde période de cinq ans pourra être examinée s'il apparaît que 35 emplois ont été créés après cinq ans et que "Société Principale" [sic] s'engage à augmenter ce nombre à 40 personnes jusqu'à la fin de la période de dix ans. Je vous rappelle d'autre part, que, durant la période d'exonération, la société est tenue de déposer régulièrement les déclarations d'impôts ainsi que les bilans, comptes d'exploitation et de pertes et profits. Je vous remercie par ailleurs de bien vouloir informer l'Administration cantonale des impôts (division de la taxation) de la raison sociale choisie pour la "Société Principale". BGE 147 II 454 S. 456 Le 15 septembre 2010, l'Administration cantonale des impôts de l'Etat de Vaud a accédé à la requête d'A. Sàrl d'étendre l'exonération de 50 % à 100 % pour la seconde période de cinq ans. Le groupe commercial C. a acquis le groupe commercial D. - auquel appartenait A. Sàrl - dans le courant de l'année 2018. A. Sàrl a alors informé l'Administration cantonale des impôts de son intention de réorganiser les activités qui étaient jusqu'alors exercées à Morges et de les transférer à Bâle, probablement en 2020. Dès le mois de février 2020, la société a officiellement cessé toute activité sur le site de Morges. Les contrats des personnes ne rejoignant pas le siège de C. à Bâle ont été résiliés. La société a été radiée par suite de fusion du registre du commerce du canton de Vaud le 1 er avril 2020. Dans l'intervalle, par décision du 18 décembre 2019, le Conseil d'Etat vaudois a révoqué avec effet rétroactif l'exonération octroyée le 12 mai 2004 à A. Sàrl pour les périodes fiscales 2005 à 2014. Il a également décidé de percevoir les impôts économisés pour les années précitées. Sur recours d'A. Sàrl, qui allait bientôt être fusionnée à la société B. AG appartenant au groupe C. (ci-après: l'intimée), le Tribunal cantonal vaudois a réformé la décision précitée par arrêt du 12 février 2020, considérant que l'exonération de la société ne pouvait être révoquée que pour les périodes fiscales 2010 à 2014. L'Etat de Vaud, agissant par son Conseil d'Etat, et l'Administration cantonale des impôts ont déposé conjointement un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral contre l'arrêt du Tribunal cantonal. (résumé)
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Erwägungen Extrait des considérants: 3. Le litige a trait à la révocation d'une exonération fiscale temporaire en lien avec les impôts cantonal et communal sur le bénéfice et le capital. Il s'agit dès lors de rappeler le cadre légal général de cette problématique. 3.1 La législation fédérale règle l'exonération fiscale temporaire susmentionnée à l'art. 23 al. 3 de la loi fédérale du 14 décembre 1990 sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes (LHID; RS 642.14). Cette disposition a la teneur suivante: BGE 147 II 454 S. 457 Art. 23 Exonérations (...) 3 Les cantons peuvent prévoir, par voie législative, des allégements fiscaux en faveur des entreprises nouvellement créées qui servent les intérêts économiques du canton, pour l'année de fondation de l'entreprise et pour les neuf années suivantes. Une modification importante de l'activité de l'entreprise peut être assimilée à une fondation. En adoptant cette norme en 1990 dans la LHID, le législateur fédéral a codifié une règle de droit intercantonal préexistante qui figurait déjà dans le Concordat du 10 décembre 1948 entre les cantons de la Confédération suisse sur l'interdiction des arrangements fiscaux (RO 1949 1459; cf. Message du 25 mai 1983 concernant les lois fédérales sur l'harmonisation des impôts directs des cantons et des communes ainsi que sur l'impôt fédéral, FF 1983 III 1, spéc. p. 93). En effet, cette convention intercantonale, à laquelle le Canton de Vaud a adhéré par loi du 16 novembre 1959 (RSV 670.98) et qui est toujours en vigueur, contient une disposition analogue à l' art. 23 al. 3 LHID . D'après l'art. 1 al. 3 let. b du concordat, les cantons ne doivent pas conclure d'arrangements fiscaux avec des contribuables, sauf dans certaines situations exceptionnelles, auxquelles appartient "l'imposition des entreprises industrielles nouvellement créées et dont le canton est économiquement intéressé à promouvoir le développement, pour la fin de l'année au cours de laquelle l'exploitation a débuté et pour les neuf années suivantes". Si l' art. 23 al. 3 LHID l'emporte désormais sur cette réglementation intercantonale en matière d'impôts cantonal et communal sur le bénéfice et le capital (cf. arrêts 2C_382/2016 du 11 juillet 2017 consid. 2.2; 2C_603/2012 du 10 décembre 2012 consid. 3.1), ces deux textes ont pour but commun de mieux encadrer les arrangements fiscaux, étant précisé qu'un tel objectif pouvait être atteint par la voie de la législation fédérale ordinaire ou par celle d'un concordat entre cantons (cf. Exposé des motifs relatif à un projet de décret autorisant le Conseil d'Etat [vaudois] à adhérer au concordat [ci-après: Exposé des motifs relatif au concordat], in Bulletin du Grand Conseil, 1959, tome 2, Séance du9 novembre 1959, p. 34 s.; aussi cf. GRETER/GRETER, in Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Zweifel/Beusch [éd.], 3 e éd. 2017, n os 1 s. ad art. 5 LHID ). 3.2 Dans les limites posées par le droit fédéral, les cantons sont libres de faire usage de leur droit d'octroyer des allégements fiscaux BGE 147 II 454 S. 458 à certaines entreprises nouvellement créées (arrêt 2C_910/2010 du 5 mai 2011 consid. 4.1). Ils jouissent par ailleurs d'une certaine autonomie concernant les modalités et l'ampleur de tels allégements (arrêt 2C_382/2016 du 11 juillet 2017 consid. 2.2). Le Canton de Vaud a en l'occurrence fait usage de la faculté offerte par le droit fédéral en adoptant l'art. 91 de la loi cantonale du 4 juillet 2000 sur les impôts directs cantonaux (LI/VD; RSV 642.11). Cette disposition constitue la base légale autorisant le Conseil d'Etat à octroyer les allégements fiscaux visés par l' art. 23 al. 3 LHID . Elle présente la teneur suivante: Art. 91 Exonérations temporaires des personnes morales Le Conseil d'Etat peut accorder des allégements fiscaux aux entreprises nouvellement créées qui servent les intérêts économiques du canton, pour l'année de fondation de l'entreprise et pour les neuf années suivantes. La modification importante de l'activité de l'entreprise peut être assimilée à une fondation nouvelle. 3.3 Il est largement admis qu'un allégement fiscal temporaire au sens de l' art. 23 al. 3 LHID - et précédemment à l'aune de l'art. 1 al. 3 let. b du concordat - passe par la conclusion d'une convention qui doit en fixer ses conditions d'application. Cette convention entre canton et entreprise privée constitue un contrat de droit administratif, autorisé par la loi, qui porte sur l'existence, l'étendue ou les modalités d'une obligation fiscale dans une situation concrète et qui s'écarte des obligations fiscales prévues par les dispositions légales normalement applicables (cf. arrêts 2C_664/2013 du 28 avril 2014 consid. 4.2; 2C_603/2012 du 10 décembre 2012 consid. 3.1; arrêt de la Chambre de droit public du Tribunal fédéral du 18 juin 1968 consid. 1 et 2, in Archives 38 p. 19; aussi arrêt 2A.227/2006 du 10 octobre 2006 consid. 3.1; Exposé des motifs relatif au concordat, p. 37; MARCO ROSTETTER, Die Verjährung im Recht der direkten Bundessteuer und der harmonisierten kantonalen Steuern, 2019, n. 799; BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 7 e éd. 2016, p. 388; MICHAEL BEUSCH, Der Untergang der Steuerforderung, 2012, p. 25; DANIELLE YERSIN, L'égalité de traitement en droit fiscal, RDS III/1992 II p. 145 ss, n. 130 ss). 3.4 En raison du caractère non seulement potestatif, mais également contractuel des allégements fiscaux temporaires prévus à l' art. 23 al. 3 LHID , l'autorité cantonale compétente jouit d'une large marge d'appréciation en ce qui concerne l'octroi et les modalités de révocation de tels privilèges (cf. arrêts 2C_382/2016 du 11 juillet 2017 BGE 147 II 454 S. 459 consid. 6.2; 2C_910/2010 du 5 mai 2011 consid. 5.2). Elle est notamment en droit de subordonner la validité des exonérations fiscales temporaires au respect de différentes conditions et, notamment, au fait que l'entreprise bénéficiaire maintienne son domicile dans le canton, sans qu'il soit nécessaire que de telles exigences soient préalablement énumérées ou définies précisément dans une loi (cf. arrêt 2C_227/2015 du 31 mai 2016 consid. 6.2; aussi ATF 136 I 142 consid. 4.2). Le non-respect de ces conditions, qui visent à lutter contre les abus, peut l'autoriser, le cas échéant, à revenir sur l'exonération accordée de manière rétroactive. En effet, le bénéficiaire d'une exonération ne doit pas pouvoir éluder les espérances du canton qui, en consentant un tel avantage, compte sur une implantation durable de l'entreprise sur son territoire, laquelle doit à terme rentabiliser le privilège fiscal accordé (arrêt de la Chambre de droit public du Tribunal fédéral du 18 juin 1968 consid. 2, in Archives 38 p. 198; aussi arrêt 2C_910/2010 du 5 mai 2011 consid. 5.2; aussi GRETER/GRETER, op. cit., n° 8 ad art. 5 LHID ). Relevons en ce sens que le législateur fédéral a choisi de conditionner l'octroi d'exonérations complémentaires en lien avec l'impôt fédéral direct au fait que les cantons concernés aient prévu que les sociétés bénéficiaires doivent rembourser les allégements qu'elles auraient obtenus indûment s'agissant de l'impôt cantonal sur le bénéfice et le capital (cf. art. 12 al. 2 let . c de la loi fédérale du 6 octobre 2006 sur la politique régionale [RS 901.0]). 3.5 Dans un arrêt 2C_382/2016 du 11 juillet 2017, le Tribunal fédéral a ainsi confirmé qu'un canton pouvait révoquer de manière rétroactive l'allégement fiscal d'une société ayant cessé ses activités sur son territoire, dans la mesure où il avait été prévu qu'un tel privilège n'était accordé que pour autant que la société intéressée ait un caractère permanent dans le canton. Il était donc possible sur le principe de réclamer le paiement des impôts dus pour les années fiscales écoulées ayant fait l'objet d'une exonération, même si ni le droit cantonal ni l'arrangement fiscal n'indiquaient de durée pendant laquelle la condition de domiciliation dans le canton devait être respectée ni ne fixaient de délai dans lequel la récupération des impôts dus pouvait encore être décidée (cf. consid. 6.5 et 6.7 de l'arrêt précité). Il a été néanmoins jugé dans le cas d'espèce que de telles imprécisions justifiaient d'appliquer par analogie les règles relatives au rappel d'impôt ( art. 53 LHID ) et, partant, que la procédure de récupération d'impôts ne pouvait concerner que les années écoulées depuis moins de BGE 147 II 454 S. 460 dix ans au moment du prononcé de la révocation (cf. consid. 6.6 de l'arrêt précité; aussi ROSTETTER, op. cit., n. 815 et 833). 4. Il convient à présent d'examiner la cause à la lumière des considérations qui précèdent. 4.1 En l'occurrence, l'objet du litige concerne la révocation de l'exonération fiscale temporaire complète dont la société A. Sàrl, avec laquelle l'intimée a fusionné en 2020, a bénéficié durant dix ans - de 2005 à 2014 - dans le canton de Vaud. Il ressort de l'arrêt attaqué que ladite société a déplacé son siège à Bâle en 2020 et cessé la même année toute activité à son siège vaudois de Morges, de sorte qu'elle n'a pas respecté l'obligation assortissant son privilège fiscal et consistant dans le "maintien du siège et de l'activité de l'entreprise dans le canton pendant dix ans à compter de la fin de l'exonération". Le Tribunal cantonal a retenu que le non-respect de cette condition justifiait la révocation de l'exonération octroyée et que cette révocation était, sur le principe, susceptible d'entraîner une récupération d'impôts. Ces différents points ne sont pas remis en question par les parties à la procédure et, en particulier, par l'intimée, qui, contrairement à l'Administration cantonale des impôts, n'a pas interjeté recours contre l'arrêt cantonal (cf. consid. 1.2 non publié). La seule et unique question encore litigieuse concerne la période déterminante pouvant être touchée par une procédure de récupération d'impôts. Elle porte plus précisément sur le point de savoir si une telle mesure doit se limiter aux années fiscales 2010 à 2014, comme le soutiennent le Tribunal cantonal dans son arrêt et l'intimée dans sa réponse au recours, ou si elle peut aussi s'étendre aux années fiscales 2005 à 2009, comme le défend l'Administration cantonale des impôts, qui affirme que toute autre solution procéderait d'une application arbitraire de la LHID et de l'art. 91 LI/VD et violerait les principes de la bonne foi et de l'égalité de traitement entre contribuables (art. 5 al. 3 et 127 al. 2 Cst.). 4.2 Dans son arrêt, le Tribunal cantonal a reconnu que l'exonération fiscale temporaire accordée à A. Sàrl pour les années 2005 à 2014 avait été expressément conditionnée au maintien du siège et des activités de l'entreprise dans le canton de Vaud, ce pendant une période de dix ans suivant la fin de l'exonération. Il a également admis que les conditions posées à l'octroi de l'exonération, énoncées dans une "convention" liant aussi bien l'autorité recourante que l'intimée, étaient "claires et prévisibles". Il a cependant relevé que le droit vaudois ne BGE 147 II 454 S. 461 recelait aucune disposition traitant spécifiquement de la révocation des décisions d'exonération, qu'il ne détaillait pas les conditions auxquelles une telle révocation était subordonnée, pas plus que son potentiel effet rétroactif, et, enfin, que la décision d'exonération du Conseil d'Etat ne contenait aucune précision à ce sujet non plus. Le Tribunal cantonal en a déduit qu'il n'existait aucune réglementation spécifique autorisant l'autorité de taxation vaudoise à revenir sur une décision de taxation entrée en force après presque vingt ans. La révocation de l'exonération fiscale de A. Sàrl devait dès lors suivre le régime et les conditions du rappel d'impôt prévus à l' art. 53 LHID et, en particulier, respecter le délai de prescription décennal applicable à ce genre de procédure, conformément à ce que le Tribunal fédéral avait retenu dans son arrêt 2C_382/2016. En l'occurrence, comme la décision de révocation communiquée le 18 décembre 2019 à A. Sàrl représentait, selon les juges précédents, le premier acte assimilable à l'ouverture d'une procédure de rappel d'impôt, il fallait considérer que le droit de récupérer les impôts initialement exonérés auprès de l'entreprise pouvait uniquement porter sur les périodes fiscales 2010 à 2014, et qu'il était prescrit pour les périodes fiscales 2005 à 2009 (étant précisé que l'exercice commercial de la société s'étendait à cette époque du 1 er septembre au 31 août). 4.3 Comme cela a été exposé, les cantons sont libres, dans les limites posées par le droit fédéral, de faire usage du droit que leur accorde l' art. 23 al. 3 LHID d'octroyer des allégements fiscaux provisoires à certains sujets fiscaux. Ils disposent par ailleurs d'une certaine autonomie dans l'aménagement desdits allégements et de leurs modalités de révocation (cf. supra consid. 3.2). Il incombe dès lors à la Cour de céans d'examiner librement si l'arrêt attaqué procède d'une application correcte du droit fédéral et, en particulier, des art. 23 et 53 LHID . Elle ne peut en revanche revoir que sous l'angle de l'arbitraire si la solution adoptée par le Tribunal cantonal est conforme au droit cantonal (cf. consid. 2.1 non publié; aussi arrêt 2C_382/2016 du 11 juillet 2017 consid. 2.2). 4.4 Pour rappel, une décision n'est arbitraire ( art. 9 Cst. ) que lorsqu'elle contredit clairement la situation de fait, qu'elle viole gravement une norme ou un principe juridique clair et indiscuté ou qu'elle heurte d'une manière choquante le sentiment de la justice et de l'équité. Il n'y a pas arbitraire du seul fait qu'une solution autre que celle de l'autorité précédente semble concevable, voire préférable. Pour qu'une décision soit annulée pour cause d'arbitraire, il ne suffit pas BGE 147 II 454 S. 462 que sa motivation soit insoutenable; il faut encore que cette décision soit arbitraire dans son résultat ( ATF 140 I 201 consid. 6.1). 4.5 Ainsi qu'on l'a vu, les allégements fiscaux au sens des art. 23 al. 3 LHID et 91 LI/VD font l'objet d'un contrat de droit administratif entre le contribuable bénéficiaire et le canton concerné, lequel est appelé à en régler les conditions de validité et les modalités de révocation (cf. supra consid. 3.3 et 3.4). Or, le Tribunal cantonal a constaté dans l'arrêt attaqué - d'une manière qui lie la Cour de céans (cf. art. 105 al. 1 LTF ) - que l'allégement fiscal de dix ans accordé par le Conseil d'Etat vaudois à A. Sàrl le 12 mai 2004 avait été assorti de la condition "claire et prévisible" du maintien du siège de l'entreprise dans le canton de Vaud pendant au moins dix ans après la fin dudit allégement en 2014. Il a en outre été établi que l'accord passé par la société stipulait expressément le devoir d'informer l'administration cantonale de toute modification importante du projet d'implantation à la base de l'exonération, ceci en vue du réexamen possible de l'allégement fiscal octroyé. Les juges cantonaux ont admis que cette clause, mise en relation avec les conditions posées à l'octroi du privilège fiscal, devait être comprise comme une clause de "claw back" - soit une clause de récupération ou de remboursement - qui, dans son principe, autorisait le Conseil d'Etat à revenir sur l'avantage concédé. Ils ont du reste relevé que la société s'était vu rappeler ce droit de récupération de l'impôt en 2016 et en 2018, après avoir informé le canton de l'évolution de ses activités à son siège de Morges. Le Tribunal cantonal a de cette manière établi - sans que l'intimée ne lui reproche d'être tombé dans l'arbitraire sur ce point - que le Canton de Vaud et la société A. Sàrl s'étaient mis d'accord sur le fait qu'un départ de l'entreprise du canton dans les dix ans suivant la fin de l'exonération pouvait justifier une révocation de l'entier du privilège fiscal octroyé à l'entreprise entre 2005 et 2014. Un tel accord correspond du reste à ce que prévoit la directive cantonale réglant l'exonération temporaires des entreprises par l'Etat de Vaud selon laquelle "[l]e non-respect de tout ou partie des conditions de subordination à l'exonération temporaire entraîne un retrait de tout ou partie de l'allégement" (cf. Circulaire de l'Administration cantonale des impôts de juin 2012 relative à l'exonération temporaire des entreprises, ch. 3.5.3). Il s'ensuit qu'en application des termes clairs du contrat de droit administratif régissant l'allégement fiscal octroyé, dont rien n'indique qu'ils ne correspondraient pas à la volonté réelle et commune des parties, le Conseil d'Etat jouissait assurément de la BGE 147 II 454 S. 463 faculté de récupérer la totalité des impôts non payés par A. Sàrl pendant dix ans dans le canton, après que la société avait quitté son siège de Morges et y avait cessé toutes activités début 2020 en violation de son engagement. 4.6 Dans son arrêt, le Tribunal cantonal s'est essentiellement référé à l'arrêt 2C_382/2016 du Tribunal fédéral pour justifier sa décision de s'écarter de l'accord susmentionné et de limiter les effets de la révocation litigieuse aux seules années 2010 à 2014, ce en application des règles sur le rappel d'impôt fixées à l' art. 53 LHID . Il s'est cependant mépris quant à la portée de cet arrêt. S'il a certes admis que les faits qui en étaient à la base n'étaient "pas identiques" à ceux de la présente cause, il a perdu de vue que les deux litiges différaient en réalité fondamentalement l'un de l'autre. Dans l'arrêt 2C_382/2016, le Tribunal fédéral était appelé à se prononcer sur la révocation d'une exonération fiscale aux conditions imprécises. L'arrangement prévoyait uniquement que l'entreprise bénéficiaire devait avoir un caractère permanent dans le canton, sans fixer aucune limite temporelle à cette obligation. Il fallait donc se demander pendant combien de temps une révocation rétroactive était encore possible après la fin de l'exonération (cf. supra consid. 3.5). C'est seulement dans une telle hypothèse - soit face à des conditions d'exonération fiscale foncièrement imprécises - que la Cour de céans a préconisé une application analogique des règles sur le rappel d'impôt prévues à l' art. 53 LHID . En l'espèce, ainsi que le reconnaît le Tribunal cantonal lui-même, l'arrangement à la base de l'allégement fiscal de A. Sàrl est limpide et sans équivoque: il subordonne l'exonération de la société au fait que celle-ci maintienne son siège ainsi que son activité dans le canton au moins pendant dix ans après la fin de son allégement fiscal. Il ne se justifie donc nullement d'appliquer par analogie les règles sur le rappel d'impôt au cas d'espèce à l'instar de l'arrêt 2C_382/2016. 4.7 Lorsque la convention à la base d'un allégement fiscal assortit l'obligation de domiciliation et de maintien d'activités dans le canton après la période d'exonération à des limites temporelles claires, celles-ci sont en principe seules déterminantes, sous réserve d'éventuelles dispositions de droit cantonal traitant également de ces questions et n'existant pas en l'espèce. Elles règlent exhaustivement le point de savoir s'il est encore possible de révoquer rétroactivement l'allégement fiscal qu'elles conditionnent et, partant, de récupérer l'ensemble des impôts impayés en raison de ce privilège. Il ne reste BGE 147 II 454 S. 464 alors aucune place pour une application des règles sur le rappel d'impôt, auxquelles ni le droit cantonal ni l'arrangement fiscal concerné ne renvoient. Il convient au contraire d'éviter de vider de leur portée les conditions explicites et prévisibles qui sont généralement posées lors de l'octroi d'allégements fiscaux, ce afin de réduire de manière légitime le risque de "shopping d'avantages fiscaux" et de favoriser l'implantation durable de nouvelles entreprises sur le territoire cantonal (cf. arrêt 2C_910/2010 du 5 mai 2011 consid. 5.2). Il importe peu qu'un canton puisse le cas échéant réclamer le paiement d'impôts impayés au-delà de la limite fixée par l' art. 53 LHID . Il ne procède en effet pas à un rappel d'impôt au sens de cette disposition: une telle procédure supposerait la découverte d'un fait antérieur à la taxation, ce que ne constitue pas la révocation d'une exonération fiscale plusieurs années après son terme. Le canton se borne en réalité à prélever les impôts qu'aurait dû payer initialement l'entreprise concernée, comme tout contribuable, si elle n'avait pas profité d'un privilège fiscal certes prévu par le législateur ( art. 23 al. 3 LHID et 91 LI/VD), mais dérogeant néanmoins au système légal général et à l'égalité de traitement ( art. 127 al. 2 Cst. ) et s'avérant en fin de compte totalement injustifié. 4.8 En définitive, se méprenant sur la portée de la jurisprudence fédérale, le Tribunal cantonal s'est écarté de manière insoutenable des termes de la convention d'allégement fiscal passée entre l'Etat de Vaud et A. Sàrl, laquelle autorisait clairement le Conseil d'Etat vaudois à récupérer la totalité des impôts non payés par la société entre 2005 et 2014 dans l'hypothèse où celle-ci ne conserverait pas son siège et ses activités dans le canton jusqu'en 2024. Il n'existe en l'occurrence aucune raison de soumettre l'exercice de cette prérogative aux règles sur le rappel d'impôt. En considérant en application de ces règles que l'Etat de Vaud ne pouvait plus réclamer les impôts dus par A. Sàrl pour les années 2005 à 2009, l'arrêt aboutit par ailleurs à un résultat qui heurte de manière choquante le sentiment de justice, puisqu'il permet à une société de continuer à profiter d'avantages fiscaux substantiels - non accessibles aux autres entreprises imposées par le canton - après avoir pourtant violé sciemment l'accord qui les justifiaient. 4.9 L'arrêt attaqué s'avère ainsi arbitraire en tant qu'il retient que l'Etat de Vaud ne peut réclamer à l'intimée le paiement de l'entier des impôts dont la société A. Sàrl a été exonérée dans le canton entre 2005 et 2014. BGE 147 II 454 S. 465 5. Les considérants qui précèdent conduisent à l'admission du recours et, partant, à l'annulation de l'arrêt attaqué. Il convient de rétablir la décision du Conseil d'Etat du 18 décembre 2019 révoquant la totalité de l'allégement fiscal octroyé à A. Sàrl entre 2005 et 2014 et décidant de percevoir l'entier des impôts cantonaux et communaux économisés par la société durant les années concernées.
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Sachverhalt ab Seite 53 BGE 112 III 52 S. 53 A.- Il 17 ottobre 1984, X Inc. chiese al Pretore di Mendrisio-Sud il sequestro di tutti gli averi depositati da AY presso la Banca Z di Chiasso (conti nominativi, cifrati, sotto designazioni di copertura, cassette di sicurezza ecc.), in particolare del conto corrente 87530/be, per un capitale di Fr. 218'758.40 con interessi al 5% dal 17 ottobre 1984, più le spese esecutive, giudiziarie, le ripetibili e ogni altro accessorio; il debitore fu designato come solidalmente responsabile con la moglie BY dell'intera somma; la causa del sequestro invocata era l' art. 271 cpv. 1 n. 4 LEF (debitore dimorante all'estero). Nel contempo BGE 112 III 52 S. 54 X Inc. postulò anche il sequestro dei beni - e in specie del noto conto corrente 87530/be - collocati presso il medesimo istituto da BY, debitrice solidale con il marito. Il Pretore accolse le istanze e il 19 ottobre emise due decreti: con il primo ordinò il sequestro dei valori in proprietà di AY presso la Banca Z di Chiasso, compreso il conto corrente 87530/be "e/o di BY"; con il secondo il sequestro dei valori in proprietà di BY nella stessa banca, incluso il conto corrente 87530/be "e/o di AY". L'Ufficio esecuzione e fallimenti di Mendrisio procedette con due verbali separati e la Banca Z confermò il 22 ottobre 1984 aver "preso debita nota" dei sequestri, senza specificare alcunché. Ai due precetti esecutivi fatti notificare da X Inc., l'uno a AY "debitore solidale con BY" e l'altro a BY "debitrice solidale con AY", i destinatari formularono opposizione. Non avendo ottenuto il rigetto di quest'ultima, X Inc. promosse un'azione di riconoscimento del credito ( art. 278 cpv. 2 LEF ). Tale causa è ancora in corso. B.- AY e BY adirono il 12 novembre 1984 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino, autorità di vigilanza, cui proposero di dichiarare inefficace e - in subordine - di annullare l'attuazione dei sequestri. A loro avviso, le procedure non erano state condotte singolarmente e, inoltre, vertevano su beni di proprietà indistinta. Il 14 febbraio 1986 la corte accolse i gravami, constatò che i sequestri praticati erano nulli e dispose la liberazione degli averi bancari non appena la sentenza sarebbe diventata definitiva. C.- Insorta alla Camera delle esecuzioni e dei fallimenti del Tribunale federale, X Inc. ha chiesto il 3 marzo 1986 di annullare il giudizio in narrativa e di accertare la piena validità dei sequestri così come sono stati operati, previa eventuale ingiunzione all'autorità ticinese di vigilanza perché obblighi l'Ufficio esecuzione e fallimenti di Mendrisio a sopprimere la dicitura "e/o di BY (rispettivamente AY)" dai verbali. Con decreto del 19 marzo 1986 il Presidente della Camera ha accordato al ricorso effetto sospensivo, invitando gli escussi e l'Ufficio predetto a esprimersi. AY e BY hanno concluso per la reiezione di ogni censura con protesta di spese e ripetibili. L'Ufficio esecuzione e fallimenti di Mendrisio non si è pronunciato sul gravame. BGE 112 III 52 S. 55
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Erwägungen Considerando in diritto: 1. L'autorità cantonale ha osservato che nei confronti dei due debitori l'Ufficio di esecuzione ha agito individualmente, cioè con verbali singoli, e che i sequestri - nella misura in cui gravano il conto corrente 87530/be - riguardano un conto congiunto a firme individuali di cui i coniugi sono gli unici titolari, escluso qualsiasi terzo. In relazione al citato conto bancario i giudici hanno aggiunto, nondimeno, ch'esso risulta bensì intestato a entrambi i reclamanti, ma implica - accanto a un rapporto esterno (fra i titolari e la banca) - un rapporto interno (fra i titolari stessi) qualificabile come proprietà comune, comproprietà o mandato. Nella fattispecie appare "sicuramente a priori non infondata" l'ipotesi che il rapporto interno sia retto dalle norme sulla proprietà comune, sottoposta al regolamento del Tribunale federale concernente il pignoramento e la realizzazione di diritti in comunione, del 17 gennaio 1923 (RDC: RS 281.41). L'inosservanza di questa disciplina ha comportato, nella procedura a carico di AY, il sequestro di attivi che appartengono congiuntamente alla moglie e che non sono, quindi, proprietà esclusiva del debitore; a sua volta - e reciprocamente - BY ha visto sequestrare beni che sono, in parte, del marito. Ciò contravviene al principio per cui un sequestro non può colpire il patrimonio di estranei né oggetti in proprietà collettiva del debitore con terze persone (art. 271 cpv. 1 e 274 cpv. 2 n. 4 LEF, art. 1 RDC). Dopo aver ricordato che la giurisprudenza non stabilisce se sia lecito derogare all'art. 1 RDC nell'eventualità in cui tutti i membri di una comunione siano chiamati a rispondere solidalmente di un debito ( DTF 82 III 73 seg.) e che nel caso concreto non si verificavano certo le premesse disposte in DTF 73 III 111 , i rapporti tra i debitori non essendo affatto chiari, la corte ha ritenuto non potersi prescindere dal regolamento del Tribunale federale concernente il pignoramento e la realizzazione di diritti in comunione. 2. È pacifico che un sequestro può essere volto solo contro beni del debitore ( DTF 109 III 126 con richiami). Il problema di sapere se gli attivi designati siano realmente proprietà dell'escusso non è sempre di agevole soluzione. Incombe al creditore rendere verosimile tale circostanza all'autorità del sequestro ( DTF 109 III 125 ). L'Ufficio, in linea di massima, è tenuto a eseguire il decreto. Ove sia dubbio o improbabile che gli averi indicati rientrino nel patrimonio del debitore, l'Ufficio non può rifiutarsi di procedere: BGE 112 III 52 S. 56 deve sequestrare i beni e conferire al terzo che se ne reputa proprietario la possibilità di far valere i suoi diritti nell'ambito di una rivendicazione giusta gli art. 106 segg. LEF ( DTF 109 III 126 ). L'Ufficio può rinunciare al sequestro unicamente se la situazione è del tutto chiara, quando sia manifesto che l'oggetto litigioso appartiene al terzo. Un'evenienza del genere non si ravvisa, in pratica, che se il creditore medesimo attribuisce a un estraneo la proprietà dei valori elencati nel decreto; questo convincimento può emergere dal decreto stesso o da una dichiarazione rilasciata dal creditore al di fuori della procedura, purché non sussista al riguardo il minimo rischio di equivoco ( DTF 109 III 127 con rinvii). Nelle due istanze del 17 ottobre 1984 la ricorrente ha affermato che i beni da sequestrare appartengono ai debitori. Essa non ha sostenuto, nella richiesta diretta contro AY, che il conto corrente 87530/be sia anche proprietà di BY; tanto meno ha preteso, nella richiesta a carico di BY, che la relazione bancaria appartenga in tutto o in parte al marito AY. Dato che il conto corrente figura nelle due istanze come proprietà assoluta di entrambi i coniugi, non può rimproverarsi al Pretore - autorità del sequestro ( art. 385 e 386 CPC ticinese) - l'aggiunta delle diciture "e/o di BY (rispettivamente AY)". Da parte sua, l'Ufficio di esecuzione non era legittimato a disattendere i decreti, giacché non erano adempiuti gli estremi sopra descritti. La censura sollevata in proposito dalla creditrice si rivela dunque priva di fondamento e - anzi - irricevibile per quanto si riferisce al Pretore, l'autorità cantonale di vigilanza non potendo giudicare l'operato dell'autorità competente in materia di sequestro, un cui decreto non è impugnabile ( art. 279 cpv. 1 LEF ) se non con ricorso di diritto pubblico ( DTF 107 III 30 consid. 1 e citazioni). 3. Si è rilevato che i due decreti di sequestro (e, di conseguenza, i due verbali redatti dall'Ufficio di esecuzione) comprendono lo stesso conto corrente 87530/be. Ciò non significa ancora, contrariamente all'opinione dell'autorità cantonale, che i due sequestri abbiano per oggetto beni di terzi. I giudici hanno constatato - e il Tribunale federale non può scostarsi da tale accertamento ( art. 81 OG con rinvio agli art. 43 cpv. 3 e 63 cpv. 2 - che la menzionata relazione bancaria costituisce un conto congiunto a firme individuali di cui i reclamanti sono gli unici titolari. Questi, pertanto, sono creditori solidali verso la banca, che può liberarsi nelle mani di un solo intestatario con valido effetto in confronto di tutti ( art. 150 cpv. 2 CO ; BGE 112 III 52 S. 57 DTF 110 III 26 consid. 3 con citazioni). Ora, i sequestri contestati gravano "gli averi di qualsivoglia natura" appartenenti ai coniugi Y presso la Banca Z di Chiasso. La facoltà di ottenere il rimborso completo della somma in conto corrente fa parte, appunto, dei diritti patrimoniali suscettibili di esecuzione (se ne veda il riepilogo in: GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Losanna 1985, pag. 17 § 5). Tale facoltà spetta nel suo intero a entrambi i debitori ed esiste tanto nel patrimonio del primo quanto nel patrimonio del secondo. Il sequestro colpisce, in ogni esecuzione, il credito solidale che pertiene ad ambo gli intestatari; costoro possono esigere singolarmente dalla banca, senza che sia necessario l'accordo dell'altro, il versamento del saldo in conto. Il rapporto interno può essere invocato da ciascun titolare nel quadro degli art. 106 segg. LEF, ma non influisce sul rapporto esterno, non limita la pretesa del singolo correntista verso la banca. Nella misura in cui non è chiaramente dimostrato che le relazioni interne fra i titolari di un conto congiunto si identificano con una proprietà comune, non occorre far capo al regolamento del Tribunale federale concernente il pignoramento e la realizzazione di diritti in comunione ( DTF 110 III 26 consid. 4). Il sequestro del credito spettante a un solo titolare, benché possibile, comporta il pericolo che un altro intestatario, non colpito da pignoramento o sequestro, eserciti il proprio diritto solidale al rimborso del conto; la banca, in tal caso, si libererebbe a ogni effetto nelle mani del richiedente senza infrangere il divieto, emanato dall'Ufficio di esecuzione, di non rimettere beni al titolare gravato del sequestro. Il blocco di entrambe le pretese creditorie evita il prodursi di simili episodi. 4. Stando alla corte cantonale, la mera ipotesi di una proprietà comune fra i titolari di un conto congiunto imporrebbe l'applicazione del regolamento concernente il pignoramento e la realizzazione di diritti in comunione. L'assunto, come si è visto, non ha consistenza. Nella specie, del resto, la supposizione di una proprietà comune non si evince dall'istruttoria, non si riconduce all'apprezzamento delle prove e nemmeno è confortata dagli escussi. Nulla lascia credere, in sostanza, che questi ultimi siano abilitati a riscuotere solo collettivamente il saldo della relazione bancaria. Ognuno di essi dovrà, quindi, rivendicare i suoi diritti nei confronti dell'altro a norma degli art. 106 segg. LEF. BGE 112 III 52 S. 58 Giovi sottolineare tuttavia che, in concreto, una rivendicazione sarebbe d'acchito priva di senso, la ricorrente avendo agito contro AY e BY nella loro qualità di debitori solidali. Quand'anche fossero stati posti sotto sequestro, nella procedura a carico del marito, beni che in realtà - secondo le relazioni interne - appartengono alla moglie (e viceversa), tali beni potrebbero ugualmente essere realizzati perché entrambi i coniugi sono tenuti per l'intera somma. Le due esecuzioni consecutive ai sequestri potrebbero condurre, dunque, al pignoramento di tutto il conto bancario, comunque si delinei - dal profilo giuridico - il rapporto interno fra i debitori. Il Tribunale federale ha già avuto modo di precisare che, ove il creditore escuta tutti i membri di un'indivisione per ottenere il pagamento di un debito di cui essi rispondono solidalmente nella loro qualità di indivisi, non è necessario applicare il regolamento concernente il pignoramento e la realizzazione di diritti in comunione ( DTF 73 III 111 ), sempre che il caso sia perfettamente chiaro ( DTF 82 III 73 seg.). La controversia attuale non dà adito a incertezze: le due esecuzioni possono comportare il pignoramento totale del conto bancario ancorché il rapporto interno fra i debitori sia retto dai disposti sulla proprietà comune. Pur fondandosi, come l'autorità di vigilanza, su un'ipotesi di quest'indole, il giudizio non muterebbe e l'attuazione dei sequestri risulterebbe nondimeno conforme al diritto federale. 5. L'esito del ricorso rende superfluo osservare che la sentenza impugnata si riferisce solo al sequestro del conto corrente e che in ogni modo non si sarebbe giustificata la liberazione di tutti i beni, come i giudici hanno deciso. Il fatto che la banca non ha fornito alcuna comunicazione sui valori sequestrati (cfr. DTF 109 III 24 consid. 1) è, con ogni evidenza, irrilevante. 6. Nessuna indennità per ripetibili è accordata alle parti in sede di reclamo (art. 68 cpv. 2 TarLEF). Analogo criterio vige per la procedura di ricorso dinanzi al Tribunale federale (cfr. STRAESSLE/KRAUSKOPF, Erläuterungen zum Gebührentarif vom Bundesgesetz über die Schuldbetreibung und Konkurs vom 7. Juli 1979, Burgdorf 1972, pag. 77; DTF 110 III 80 consid. 6, DTF 102 III 48 consid. 4). BGE 112 III 52 S. 59
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Dispositiv Per questi motivi, la Camera delle esecuzioni e dei fallimenti pronuncia: Il ricorso è accolto e la sentenza impugnata è riformata nel senso che i sequestri decretati il 19 ottobre 1984 dal Pretore di Mendrisio-Sud sono mantenuti così come sono stati attuati il giorno stesso dall'Ufficio esecuzione e fallimenti di Mendrisio.
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Sachverhalt ab Seite 59 BGE 137 III 59 S. 59 A. Am 22. Mai 2003 schied die delegierte Richterin des Amtsgerichtspräsidenten II von Luzern-Land die Ehe von X. (geb. 1960) BGE 137 III 59 S. 60 und Y. (geb. 1961). Y. wurde verurteilt, seiner geschiedenen Ehefrau für den Unterhalt der drei gemeinsamen Kinder A. (geb. 1989), B. (geb. 1992) und C. (geb. 1993) monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. 180.- bis Ende Juli 2003 und danach je Fr. 200.- zu bezahlen, jeweils zuzüglich Kinder- und Ausbildungszulagen. Nach der Scheidung heiratete Y. erneut. Aus der Ehe mit D. gingen die Kinder E. (geb. 5. Januar 2006) und F. (geb. 3. Juni 2008) hervor. B. Mit Eingabe vom 15. Februar 2007 stellte Y. beim Amtsgericht Hochdorf den Antrag, er sei in Abänderung des Scheidungsurteils von der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber seinen drei Kindern aus erster Ehe zu befreien und lediglich zu verpflichten, die Kinder- und Ausbildungszulagen zu überweisen. Zur Begründung führt er aus, seine wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich seit der Scheidung dauerhaft und wesentlich verändert. Er habe wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet; überdies habe sich sein Einkommen seit der Scheidung vermindert. X. schloss auf Abweisung dieser Klage. Widerklageweise stellte sie das Begehren, die Unterhaltsbeiträge für die Kinder B. und C. seien ab 1. Januar 2008 auf Fr. 400.-pro Monat zu erhöhen und Y. sei zu verpflichten, ihr Fr. 1'000.- an die Kosten für einen Sprachaufenthalt der Tochter A. zu bezahlen. Das Amtsgericht Hochdorf hiess die Klage von Y. gut. Es verurteilte ihn lediglich zur Überweisung der Kinder- bzw. Ausbildungszulagen für die drei Kinder aus erster Ehe und befreite ihn im Übrigen von der Pflicht zur Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen. Die Widerklagebegehren wies das Amtsgericht ab. X. appellierte gegen dieses Urteil. Vor dem Obergericht des Kantons Luzern forderte sie Unterhaltsbeiträge für B. und C. von je Fr. 300.- pro Monat. Das Obergericht wies die Appellation mit Urteil vom 2. März 2010 ab. C. In ihrer Beschwerde an das Bundesgericht beantragt X. (fortan: Beschwerdeführerin), Y. (fortan: Beschwerdegegner) sei zur Bezahlung der geforderten Unterhaltsbeiträge zuzüglich Kinder- und Ausbildungszulagen zu verurteilen; im Übrigen sei seine Urteilsabänderungsklage abzuweisen. Eventualiter ersucht die Beschwerdeführerin darum, die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Schliesslich verlangt sie, für das Verfahren vor Bundesgericht sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. BGE 137 III 59 S. 61 In seiner Vernehmlassung vom 7. Juli 2010 stellt der Beschwerdegegner den Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei die Beschwerde abzuweisen. Weiter ersucht er um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Das Obergericht des Kantons Luzern hat sich nicht vernehmen lassen. (Zusammenfassung)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. Die Beschwerdeführerin beanstandet weiter, die Unterhaltsregelung, die zum einen den Notbedarf der Kinder des Beschwerdegegners aus seiner zweiten Ehe decke und zum andern den Beschwerdegegner von der Unterhaltspflicht gegenüber seinen unmündigen Kindern aus erster Ehe entbinde, verstosse gegen das in Art. 8 Abs. 2 BV enthaltene verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot. Die Befreiung des Beschwerdegegners von seiner Unterhaltspflicht würdige die erstehelichen Kinder zu Kindern "zweiter Klasse" herab und wirke sich nicht nur psychisch, sondern auch materiell diskriminierend aus: Mangels Alimentenbevorschussung seien die Kinder aus erster Ehe auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, die bei verbesserten finanziellen Verhältnissen zurückerstattet werden müssen. Zur Begründung ihrer Rüge führt die Beschwerdeführerin weiter aus, allein der Umstand, dass der Beschwerdegegner mit seinen Kindern aus zweiter Ehe zusammenlebt, sei kein sachlicher Grund, die gemeinsamen Kinder aus erster Ehe unterhaltsrechtlich schlechter zu stellen. Auch die Maxime, wonach familienrechtliche Unterhaltspflichten durch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners begrenzt sind, vermöge die qualifizierte Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Vielmehr hätten mehrere Kinder des gleichen Elternteils mit Bezug auf die elterliche Unterhaltspflicht Anspruch auf Gleichbehandlung. 4.1 Das in Art. 8 Abs. 2 BV enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot entfaltet seine Schutzwirkung grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Die Vorschrift hat keine unmittelbare Drittwirkung in den Beziehungen zwischen Privatpersonen, weshalb sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde, die sich gegen einen Entscheid in einer Streitigkeit zwischen Privaten richtet, grundsätzlich nicht auf diese Vorschrift berufen kann. Indessen sind bei der Auslegung der Vorschriften des Zivilrechts die besonderen Anforderungen zu berücksichtigen, die sich aus den Grundrechten BGE 137 III 59 S. 62 ergeben. Wie auch aus der Beschwerdeschrift hervorgeht, kommt dem Beschwerdegrund der Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV keine eigenständige Bedeutung zu. Im Ergebnis wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz nämlich vor, sie habe den Grundsatz der Gleichbehandlung aller unterhaltsberechtigten Kinder, wie er sich aus Art. 285 ZGB ergebe, ohne sachlichen Grund in qualifizierter Weise verletzt und damit die zivilrechtlichen Vorschriften über die Bemessung des Unterhaltsbeitrages offensichtlich falsch angewendet. Mit dieser Begründung verlangt die Beschwerdeführerin, der Unterhalt der erstehelichen Kinder sei dem Beschwerdegegner im analogen Rahmen zum Unterhalt der zweitehelichen Kinder zu überbinden, das heisst in der Höhe des monatlichen Grundbetrages zuzüglich Anteil Krankenkassenprämien. 4.2 4.2.1 Die Grundsätze zur Bemessung des elterlichen Unterhaltsbeitrages sind in Art. 285 Abs. 1 ZGB geregelt. Nach der Rechtsprechung ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass alle unterhaltsberechtigten Kinder eines Elternteils im Verhältnis zu ihren objektiven Bedürfnissen finanziell gleich zu behandeln sind. Ungleiche Unterhaltsbeiträge sind somit nicht von vorneherein ausgeschlossen, bedürfen aber einer besonderen Rechtfertigung ( BGE 126 III 353 E. 2b S. 358 f. mit Hinweisen). Die Höhe des Unterhaltsbeitrages hängt freilich nicht nur von der Leistungsfähigkeit des in die Unterhaltspflicht genommenen, sondern auch von den finanziellen Umständen des obhuts- bzw. sorgeberechtigten Elternteils ab ( BGE 126 III 353 E. 2b S. 359 mit Hinweisen). Über die Schranke der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils kann sich das Gericht bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrags für die Kinder nach Art. 285 Abs. 1 ZGB aber in aller Regel nicht hinwegsetzen ( BGE 127 III 68 E. 2c S. 70 f.; BGE 123 III 1 E. 3b/bb S. 5 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist dem Rentenschuldner mit Bezug auf alle familienrechtlichen Unterhaltskategorien zumindest das betreibungsrechtliche Existenzminimum stets voll zu belassen (vgl. BGE 126 III 353 E. 1a/aa S. 356, bestätigt in BGE 135 III 66 E. 2 ff. S. 67 ff. mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung ist dahingehend zu verdeutlichen, dass der Rentenschuldner lediglich für seine eigene Person die Sicherung der Existenz beanspruchen kann. Er ist also nur im für ihn allein massgeblichen betreibungsrechtlichen Existenzminimum zu schützen. BGE 137 III 59 S. 63 4.2.2 Diesem Grundsatz und dem aus Art. 285 ZGB folgenden Gleichbehandlungsprinzip ist insbesondere bei angespannten finanziellen Verhältnissen dadurch Rechnung zu tragen, dass zur Ermittlung der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rentenschuldners zunächst von dessen betreibungsrechtlichem Grundbetrag auszugehen ist. Massgeblich ist je nach den konkreten Umständen der Grundbetrag für einen alleinstehenden Schuldner, derjenige für einen alleinerziehenden Schuldner oder derjenige für einen verheirateten, in einer eingetragenen Partnerschaft oder als Paar mit Kindern lebenden Schuldner. In den drei zuletzt genannten Fällen ist dem Unterhaltsschuldner jedoch nur die Hälfte des Grundbetrages anzurechnen, denn der (neue) Ehegatte, eingetragene Partner bzw. Lebensgefährte des Rentenschuldners soll gegenüber dessen Kindern jedenfalls nicht privilegiert werden. Zum Grundbetrag sind alsdann die üblichen betreibungsrechtlichen Zuschläge hinzuzuzählen, soweit sie für den Unterhaltsschuldner allein massgeblich sind. Dazu zählen namentlich seine Wohnkosten, seine unumgänglichen Berufsauslagen sowie die Kosten für seine Krankenversicherung und - bei selbständiger Erwerbstätigkeit - für seine Altersvorsorge. Benützt der Unterhaltsschuldner seine Wohnung zusammen mit seinem Ehegatten oder mit anderen erwachsenen Personen, so ist ihm nach Massgabe deren - tatsächlicher oder hypothetischer - wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit lediglich ein angemessener Anteil an den gesamten Wohnkosten als eigenes Existenzminimum anzurechnen. Bei der Ermittlung des Existenzminimums des Rentenschuldners sind demnach weder kinderbezogene Positionen (namentlich der betreibungsrechtliche Grundbetrag und die Krankenkassenprämie) der im gleichen Haushalt wohnenden Kinder des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen noch allfällige Unterhaltsbeiträge miteinzubeziehen, die der Unterhaltsschuldner seinen in einem anderen Haushalt lebenden vor- oder ausserehelichen Kindern zu bezahlen hat ( BGE 127 III 68 E. 2c. S. 71; Urteil 5A_352/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 6.2.1 mit Hinweisen). Ausser Acht bleiben müssen aber auch diejenigen Positionen, die ausschliesslich den Ehegatten betreffen und für die der Rentenschuldner allenfalls nach den in Art. 163 ff. ZGB enthaltenen Vorschriften aufzukommen hätte, soweit der Ehegatte seinen eigenen Unterhalt nicht aus eigenen Kräften bestreitet bzw. bestreiten kann. Das Gleiche gilt sinngemäss im Falle einer eingetragenen Partnerschaft des Rentenschuldners (vgl. Art. 13 des Partnerschaftsgesetzes vom 18. Juni 2004 [PartG; SR 211.231]). BGE 137 III 59 S. 64 4.2.3 Soweit das massgebliche Einkommen des Unterhaltsschuldners sein nach der geschilderten Berechnungsweise (E.4.2.1) ermitteltes eigenes Existenzminimum übersteigt, ist dieser Überschuss zunächst unter alle unterhaltsberechtigten Kinder (nach Massgabe ihrer jeweiligen Bedürfnisse und der Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils) zu verteilen; gegebenenfalls muss der Schuldner zu diesem Zweck auch auf Abänderung früherer Urteile klagen, die zu hohe Beiträge festsetzen (Urteile 5A_62/2007 vom 24. August 2008 E. 6.2; 5C.197/2004 vom 9. Februar 2005 E. 3.1; 5C.127/2003 vom 15. Oktober 2003 E. 4.1.4). Vom Bedarf jedes unterhaltsberechtigten Kindes ist dabei in jedem Fall dessen Kinder- oder Ausbildungszulage abzuziehen, denn diese Leistungen, die ausschliesslich für den Unterhalt des Kindes bestimmt sind, werden nach der Rechtsprechung nicht zum Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils hinzugezählt, sondern sind bei der Ermittlung des durch den Unterhaltsbeitrag zu deckenden Bedarfs des Kindes vorweg in Abzug zu bringen ( BGE 128 III 305 E. 4b S. 310; Urteil 5A_352/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 6.2.1 mit Hinweisen). Reicht der allfällige Überschuss des unterhaltspflichtigen Elternteils nicht aus, um die Bedürfnisse all seiner Kinder zu decken, so ist das Manko auf alle Kinder und somit auf alle betroffenen Familien zu verteilen. Verbleibt überhaupt kein Überschuss, so können auch keine Unterhaltsbeiträge zugesprochen werden. 4.2.4 Die erläuterten Grundsätze gelten nicht nur für das aussereheliche Kind, das unterhaltsmässig gleichgestellt werden will wie seine älteren Halbgeschwister aus einer anderen Verbindung seines Vaters. Die Prinzipien sind in gleicher Weise anzuwenden, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Gleichbehandlung der älteren Kinder aus der ersten Ehe mit den jüngeren Halbgeschwistern aus der zweiten Ehe desselben Vaters in Frage steht (vgl. Urteil 5A_352/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 6.2.1). 4.3 4.3.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat ( Art. 105 Abs. 1 BGG ). Im vorliegenden Fall anerkennt die Beschwerdeführerin die zahlenmässige Bestimmung der entscheiderheblichen Beträge, wie sie von der Vorinstanz für die Bemessung des elterlichen Unterhaltsbeitrages vorgenommen wurde, ausdrücklich als "nicht streitig". Den diesbezüglichen Feststellungen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdegegner bei voller Ausschöpfung seiner Arbeitskraft ein BGE 137 III 59 S. 65 Monatseinkommen von Fr. 3'348.- (exkl. Kinderzulagen) erzielen kann und seine jetzige Ehefrau keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Das Existenzminimum der gesamten Familie, das heisst des Beschwerdegegners, dessen zweiter Ehefrau und der von dieser geborenen Kinder, beläuft sich gemäss vorinstanzlichen Berechnungen auf Fr. 3'534.- (bis Ende Mai 2008), Fr. 3'876.- (bis Ende September 2009) bzw. Fr. 4'326.- (ab Oktober 2009). Das Obergericht hat ausserdem festgestellt, der Ehefrau des Beschwerdegegners könne zugemutet werden, eine Teilzeiterwerbstätigkeit aufzunehmen und ein (hypothetisches) Einkommen von monatlich Fr. 1'000.- zu erzielen; diese zusätzlichen Einnahmen seien den Einkünften der Familie des Beschwerdegegners ab Juni 2010 anzurechnen. Gestützt auf diese Feststellung gelangt die Vorinstanz zum Schluss, dass der Beschwerdegegner selbst unter Berücksichtigung des hypothetischen Einkommens seiner Ehefrau ab Juni 2010 bloss den Notbedarf seiner Familie (Fr. 4'326.-) decken kann und somit nicht in der Lage ist, die Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern aus erster Ehe zu erfüllen. 4.3.2 Aus diesen vorinstanzlichen Schlussfolgerungen bzw. aus den erstinstanzlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts vom 10. November 2009, auf welche die Vorinstanz ihre Erkenntnisse abstützt, geht hervor, dass das Obergericht des Kantons Luzern bei der Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners die in E. 4.2 dargelegten Regeln nicht befolgt und damit die in Art. 285 ZGB enthaltene Vorschrift falsch angewendet hat. Die vorinstanzliche Rechtsverletzung beruht zunächst darauf, dass das Obergericht nicht das Existenzminimum des Beschwerdegegners allein, sondern dasjenige seiner gesamten (zweiten) Familie ermittelt und bei der Prüfung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Ganzes berücksichtigt hat. Anstatt alle kinder- und ehegattenbezogenen Positionen von der Berechnung auszuklammern, ist das Obergericht unter Einrechnung dieser Elemente zum falschen Schluss gelangt, der Beschwerdegegner könne selbst unter Anrechnung des hypothetischen Einkommens seiner zweiten Ehefrau ab Juni 2010 bloss den Notbedarf seiner Familie decken und daher die Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern aus erster Ehe nicht erfüllen. Sodann hat das Obergericht auch gegen das Bundeszivilrecht verstossen, indem es die Kinderzulagen, die der Beschwerdegegner für seine zweitehelichen Kinder beanspruchen kann, von deren Grundbedarf nicht in Abzug gebracht hat. Diese Rechtsfehler haben zur Folge, dass der Beschwerdegegner gemäss dem angefochtenen BGE 137 III 59 S. 66 Urteil jedenfalls bei Mitberücksichtigung eines (hypothetischen) Einkommens seiner Ehefrau und bei Anrechnung der Kinderzulagen den Unterhalt seiner zweitehelichen Kinder über deren betreibungsrechtlichen Grundbedarf hinaus decken kann, während der Grundbedarf der erstehelichen Kinder überhaupt nicht oder - unter Berücksichtigung allfälliger Kinder- bzw. Ausbildungszulagen - nur teilweise gesichert ist. 4.4 Im Ergebnis erweist sich die Beschwerde als begründet. Im Rahmen der Ermittlung der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners nach den dargelegten Regeln (E. 4.2) wird das Obergericht auch zu berücksichtigen haben, dass den Einkünften der Familie des Beschwerdegegners ab Juni 2010 ein hypothetisches Einkommen seiner Ehefrau von monatlich Fr. 1'000.- anzurechnen ist. Das Obergericht wird prüfen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmass die Ehefrau dem Beschwerdegegner in der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinen vorehelichen Kindern beizustehen hat, entsprechend der in Art. 278 Abs. 2 ZGB enthaltenen Vorschrift und den dazu entwickelten Grundsätzen (vgl. dazu Urteil 5A_352/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 6.2.2 mit Hinweisen). In welcher Höhe die Beistandspflicht der Ehefrau des Beschwerdegegners im Einzelnen anzusetzen ist, bestimmt sich zunächst nach dem massgeblichen Grundbedarf der Kinder aus erster Ehe. Davon sind nach dem Gesagten (E. 4.2.3) wiederum allfällige Familienzulagen in Abzug zu bringen, die der Beschwerdegegner bezieht und der Beschwerdeführerin überweist. Ob er dies tatsächlich getan hat bzw. immer noch tut, nachdem die beiden jüngeren Kinder aus erster Ehe bereits am 28. Januar 2008 (B.) bzw. 7. Februar 2009 (C.) ihr sechzehntes Altersjahr vollendet haben, geht weder aus dem angefochtenen Entscheid noch aus den übrigen Akten hervor. Gestützt auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann das Bundesgericht in der Sache selbst deshalb kein Urteil fällen.
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Sachverhalt ab Seite 426 BGE 142 II 425 S. 426 A. A., geboren 1973, war ab 2001 beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau (AWA) angestellt. Am 1. September 2014 gebar sie ihre Tochter, welche in der Folge aus medizinischen Gründen bis 31. Oktober 2014 hospitalisiert war. A. machte deshalb von der Möglichkeit des Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs Gebrauch und bezog diesen nach Entlassung ihrer Tochter aus dem Spital ab 1. November 2014. Das AWA regelte mit Verfügung vom 10. September 2014 den Bezug des Mutterschaftsurlaubs neu, indem es festhielt, bis zur Entlassung des Kindes aus dem Spital habe die Arbeitnehmerin keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und deshalb unbezahlten Urlaub zu beziehen. Die Personalrekurskommission des Kantons Thurgau bestätigte dies mit Entscheid vom 20. Februar 2015. B. Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Beschwerde am 25. November 2015 ab. C. A. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr vom 1. September bis 31. Oktober 2014 Lohnfortzahlung zu gewähren; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung der Lohnfortzahlung zurückzuweisen. Das AWA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Die Vorinstanz hat die Anordnung des AWA, wonach die Beschwerdeführerin in der Zeit zwischen der Niederkunft und dem aufgeschobenen Beginn der Mutterschaftsentschädigung unbezahlten Urlaub zu beziehen habe, bestätigt. BGE 142 II 425 S. 427 Die Beschwerdeführerin macht hingegen geltend, sie habe während dieser Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung wegen Krankheit. Die Betrachtungsweise der Vorinstanz sei geschlechterdiskriminierend, da die männlichen Arbeitnehmer nicht in eine Situation kämen, in welcher sie trotz ärztlich attestierter Krankheit ohne Lohnfortzahlung seien. Zudem verstosse diese Anordnung gegen das auch im öffentlichen Dienstrecht geltende Beschäftigungsverbot in den ersten acht Wochen nach der Niederkunft. Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Lohnersatz für die acht Wochen und fünf Tage zwischen ihrer Niederkunft und dem Beginn der Mutterschaftsentschädigung bei Entlassung ihres Kindes aus dem Spital hat. Nicht streitig ist hingegen, dass sie die Voraussetzungen für den Aufschub der Mutterschaftsentschädigung erfüllt. 4. 4.1 Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1 BV schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts kann als verfassungsmässiges Individualrecht angerufen werden. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob die kantonale Norm mit dem Bundesrecht im Einklang steht ( BGE 138 I 468 E. 2.3.1 S. 470 f., BGE 138 I 356 E. 5.4.2 S. 360 f.; BGE 137 I 31 E. 4.1 S. 41). 4.2 Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung ( Art. 8 Abs. 1 BV ) ist verletzt, wenn ein Erlass hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Gleiches muss nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt werden. Die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, kann zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Verhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbots ein weiter Gestaltungsspielraum ( BGE 138 I 225 E. 3.6.1 S. 229; BGE 137 I 167 E. 3.5 S. 175; BGE 136 I 1 E. 4.1 S. 5). BGE 142 II 425 S. 428 4.3 Nach Art. 16c Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. September 1952 über den Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Erwerbsersatzgesetz, EOG; SR 834.1) beginnt der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung am Tag der Niederkunft. Bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen kann die Mutter beantragen, dass die Mutterschaftsentschädigung erst ausgerichtet wird, wenn das Kind nach Hause kommt ( Art. 16c Abs. 2 EOG ). Der Beginn des Entschädigungsanspruchs wird nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung vom 24. November 2004 zum Erwerbsersatzgesetz (EOV; SR 834.11) aufgeschoben, wenn die Mutter den Antrag nach Art. 16c Abs. 2 EOG stellt (lit. a) und durch ein Arztzeugnis nachgewiesen wird, dass das Neugeborene kurz nach der Geburt mindestens drei Wochen im Spital verbleiben muss (lit. b). Der Aufschub beginnt mit dem Tag der Geburt und endet am Tag, an welchem das Neugeborene zur Mutter zurückkehrt oder stirbt ( Art. 24 Abs. 2 EOV ). 4.4 Art. 35a Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) hält fest, dass Wöchnerinnen während acht Wochen nach der Niederkunft nicht und danach bis zur 16. Woche nur mit ihrem Einverständnis beschäftigt werden dürfen. 4.5 Nach § 20 Abs. 1 der Verordnung des Grossen Rates des Kantons Thurgau vom 18. November 1998 über die Besoldung des Staatspersonals (Besoldungsverordnung, BesVO; RB 177.22) haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall während zwölf Monaten Anspruch auf den vollen Lohn, anschliessend während weiterer zwölf Monate auf 80 % der bisherigen Besoldung. Gemäss § 33 Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 21. September 1999 zur Besoldungsverordnung (RRVBesVO; RB 177.223) ist bei einer Abwesenheit infolge Krankheit und Unfall von mehr als fünf Tagen in der Regel ein Arztzeugnis vorzulegen. § 22 Abs. 1 BesVO statuiert für Mitarbeiterinnen, welche die Voraussetzungen für die Mutterschaftsentschädigung gemäss EOG erfüllen, den Anspruch auf 16 Wochen Urlaub bei voller Besoldung gemäss dem Beschäftigungsgrad vor der Niederkunft. Der Urlaub beginnt in der Regel zwei Wochen vor dem ärztlich bestimmten Niederkunftstermin (Abs. 2). Der Regierungsrat regelt nach Abs. 3 Ziff. 2 den Beginn des Urlaubs in besonderen Fällen, etwa bei Niederkunft vor oder nach dem errechneten Termin. BGE 142 II 425 S. 429 Gestützt auf § 22 Abs. 3 BesVO hat der Regierungsrat in § 39a Abs. 3 RRVBesVO festgehalten, dass der bezahlte Urlaub unterbrochen und für diese Zeit unbezahlter Urlaub gewährt wird, wenn eine Mitarbeiterin den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nach EOG wegen längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen aufschiebt. 5. 5.1 Sinn und Zweck des Mutterschaftsurlaubs ist es, dass sich die Mutter von Schwangerschaft und Niederkunft erholen kann und ihr die nötige Zeit eingeräumt wird, sich in den ersten Monaten intensiv um ihr Kind zu kümmern, ohne dabei in finanzielle Bedrängnis zu kommen (Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 3. Oktober 2002 [Bericht Komm. NR], BBl 2002 7522, 7545 Art. 16c sowie Protokoll der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 3. Oktober 2002, S. 6; vgl. auch STÉPHANIE PERRENOUD, La protection de la maternité, 2015, S. 1113 f. mit Hinweisen). Zugleich soll damit auch eine Entlastung der Arbeitgeber sowie eine Verbesserung der Chancen von jungen Frauen auf dem Arbeitsmarkt erreicht werden (PERRENOUD, a.a.O., S. 1114 mit Hinweis; STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 16 zu Art. 342a/b OR). 5.2 Nach kantonalem Personalrecht haben Angestellte des Kantons Thurgau während eines Jahres Anspruch auf vollen Lohnersatz bei ärztlich attestierter gesundheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, sei dies infolge Unfalls oder infolge einer Krankheit (vgl. E. 4.5). Gestützt auf die kantonalrechtlichen Bestimmungen haben hingegen Mütter, welche nach der Niederkunft infolge Hospitalisation des Neugeborenen den Bezug der Mutterschaftsentschädigung aufgeschoben haben, keinen Anspruch auf Lohnersatz, sondern sind für die Zeit zwischen Niederkunft und Entlassung des Neugeborenen aus dem Spital gezwungen, unbezahlten Urlaub zu beziehen (E. 4.5). Im hier strittigen Fall soll dies auch gelten, obwohl die Beschwerdeführerin im Rahmen der mehr als zwei Monate vor dem errechneten Termin erfolgten Geburt für insgesamt 14 Tage hospitalisiert und danach gemäss ärztlichem Attest während mehrerer Wochen arbeitsunfähig war. Dadurch wird die gesundheitlich bedingte Arbeitsunfähigkeit mit Lohnfortzahlungspflicht nicht anerkannt. Dies kommt einer Ungleichbehandlung mit jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kantons gleich, welche aus gesundheitlichen Gründen infolge Unfalls oder Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind und vollen BGE 142 II 425 S. 430 Lohnersatz erhalten. Zu prüfen ist, ob diese Ungleichbehandlung vor Bundesrecht standhält. 5.3 Im Allgemeinen tritt die gesundheitliche Arbeitsunfähigkeit als Folge einer Krankheit oder eines Unfalles ein (§ 20 Abs. 1 BesVO). Bei der Beschwerdeführerin hingegen war die Niederkunft ursächlich (§ 22 BesVO). Beiden Konstellationen ist gemeinsam, dass die Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung auf gesundheitlichen Gründen beruht. Es gibt keinen sachlichen Grund, einer Arbeitnehmerin, welche aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, zu arbeiten, den Lohnersatz zu verwehren, bloss weil der Grund der gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit im Nachgang zu einer Geburt und nicht als Folge einer Krankheit oder eines Unfalles eintritt. Dies muss umso mehr gelten, als in der Regel von Gesetzes wegen die Arbeitsaufnahme nach der Niederkunft während acht Wochen verboten ist ( Art. 35a Abs. 3 ArG ). Ob dies auch im vorliegenden Fall zutrifft, kann offenbleiben, da die Ungleichbehandlung so oder anders unrechtmässig ist. 5.4 Daran ändert auch die Absicht des Bundesgesetzgebers, die Arbeitgeber durch die Mutterschaftsentschädigung zu entlasten, nichts. Der eigentliche Zweck der Mutterschaftsentschädigung, den Müttern die Zeit für die Erholung von der Geburt und die intensive Betreuung des Neugeborenen in den ersten Monaten finanziell abzusichern, geht vor. Überdies ist die Anzahl Fälle, bei welchen ein Aufschub und demnach ein Lohnersatz zu Lasten des Arbeitgebers überhaupt in Frage kommt, angesichts der restriktiven Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2 EOG gering (mindestens dreiwöchiger Spitalaufenthalt des Kindes; vgl. Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016 als Antwort auf die Postulate 10.3523 Maury Pasquier vom 17. Juni 2010 und 10.4125 Teuscher vom 17. Dezember 2010, S. 15 f., www.parlament.ch ). Weiter ist nicht ausser Acht zu lassen, dass auf Bundesebene Bestrebungen im Gange sind, die Lohnfortzahlung in Fällen des Aufschubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG explizit in jedem Fall sicherzustellen (vgl. Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016, a.a.O.). Zudem hat die Rechtsprechung in Fällen des Aufschubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG bei dem Arbeitsrecht des OR unterstellten Frauen eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers (insbesondere gestützt auf die gesetzliche Pflicht der Eltern zur Betreuung ihres Kindes) bejaht (einlässlich ROGER RUDOLPH, Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei Aufschub der BGE 142 II 425 S. 431 Mutterschaftsentschädigung infolge Spitalaufenthalt des neugeborenen Kindes, ARV 2013 S. 235 ff.; in diesem Sinne auch bereits der Entscheid des Genfer Appellationsgerichts in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten vom 17. Oktober 2008, publiziert in JAR 2009 S. 522 ff.). Auch ist sich die herrschende Lehre einig, dass in diesen Fällen ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht (vgl. etwa STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 16 zu Art. 324a/b OR; JÜRG BRÜHWILER, Einzelarbeitsvertrag, 3. Aufl. 2014, N. 22 zu Art. 324a OR S. 185 und N. 3 zu Art. 329f OR S. 279; PORTMANN/RUDOLPH, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 6. Aufl. 2015, N. 41 zu Art. 324a OR und N. 5 zu Art. 329f OR ; RUDOLPH, a.a.O., S. 239 mit Hinweisen; SABINE STEIGER-SACKMANN, Mutterschaftsentschädigung, in: Recht der Sozialen Sicherheit, Steiger-Sackmann/Mosimann [Hrsg.], 2014, Rz. 32.73; PERRENOUD, a.a.O., S. 1153 ff. und S. 1349; a.M. wohl FRANK EMMEL, in: Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Vertragsverhältnisse Teil 2, Huguenin/Müller-Chen [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 1 zu Art. 329f OR ; vgl. auch JEAN-MICHEL DUC, L'allocation de maternité et la coordination avec les autres prestations des assurances, AJP 2005 S. 1010 f.). Diese Bestrebungen stehen denn auch in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Mutterschaftsentschädigung ( Art. 116 Abs. 3 BV ), wonach die wirtschaftlichen sprich finanziellen Folgen von Mutterschaft abgesichert werden sollen (vgl. etwa Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016, a.a.O., S. 3 sowie GÄCHTER/FILIPPO, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 22 ff. zu Art. 116 BV ). 5.5 Ob diese Ungleichbehandlung allein genügt, um in allen Fällen des Aufschubs des Mutterschaftsurlaubs nach Art. 16c Abs. 2 EOG einen Anspruch auf Lohnersatz zu begründen, kann offenbleiben, wie sich aus der nachfolgenden Erwägung ergibt. 6. 6.1 Die freie Wahl der Mütter, vom bundesrechtlich vorgesehenen Aufschub der Mutterschaftsentschädigung nach Art. 16c Abs. 2 EOG Gebrauch zu machen, wird durch die thurgauische Regelung wesentlich beeinträchtigt. Sie könnten aus finanziellen Gründen gezwungen sein, sich trotz Erfüllung der restriktiven Voraussetzungen von Art. 16c Abs. 2 EOG gegen einen Aufschub zu entscheiden. Damit aber wird die Erreichung des von Art. 16c Abs. 2 EOG verfolgten Zwecks, der Mutter die Möglichkeit zu geben, sich in den ersten Monaten zu Hause selbst intensiv um das Kind kümmern zu können BGE 142 II 425 S. 432 (vgl. etwa Bericht Komm. NR, BBl 2002 7522, 7545 zu Art. 16c), wesentlich erschwert oder gar aus finanziellen Überlegungen verunmöglicht. Der kantonalrechtlich vorgesehene zwangsweise Bezug von unbezahltem Urlaub für die Zeit zwischen Niederkunft und aufgeschobenem Beginn der Mutterschaftsentschädigung infolge Hospitalisation des Kindes ist umso stossender, als eine Mutter, auch wenn sie bei bester Gesundheit ist und arbeiten könnte, dies in der Regel in den ersten acht Wochen nach der Geburt nicht tun darf ( Art. 35a Abs. 3 ArG ) und durch eine vorzeitige Arbeitsaufnahme ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung erst noch verwirkt ( Art. 16d Satz 2 EOG ; BGE 139 V 250 ; vgl. auch STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., N. 7 zu Art. 329f OR ). Eine tatsächlich freie Wahl ist unter diesen Umständen nicht gewährleistet. 6.2 Damit erweist sich die kantonale Regelung insofern als bundesrechtswidrig, als sie die Verwirklichung des Bundesrechts übermässig erschwert oder verhindert ( Art. 49 Abs. 1 BV ; vgl. auch BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 20 zu Art. 49 BV und ALEXANDER RUCH, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 17 zu Art. 49 BV ). Daran ändert nichts, dass auch andere Kantone eine ähnliche Lösung in ihrem Personalrecht vorgesehen haben (vgl. dazu den Anhang zum Bericht des Bundesrates vom 28. April 2016, a.a.O., S. 44 ff.). 7. 7.1 Im vorliegenden Fall ist die Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nach ihrer Niederkunft eingetreten und durch ärztliche Atteste ausgewiesen. Im Rahmen der Gleichbehandlung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kantons, welche aus gesundheitlichen Gründen infolge eines Unfalles oder einer Krankheit arbeitsunfähig sind und vollen Lohnersatz erhalten, und unter Beachtung des Vorranges von Bundesrecht hat die Beschwerdeführerin Anspruch auf vollen Lohnersatz zu Lasten ihres Arbeitgebers. 7.2 Da sich die Lohnfortzahlungspflicht bereits aus den genannten Gründen ergibt, erübrigt sich eine Prüfung des Falles unter dem Aspekt der Geschlechtergleichbehandlung wie es die Beschwerdeführerin geltend macht. Ebenfalls braucht nicht geprüft zu werden, ob bei Aufschub der Mutterschaftsentschädigung auch ohne persönliche Arbeitsunfähigkeit der Mutter gestützt auf die elterliche Betreuungspflicht Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht (vgl. E. 5.4). (...)
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Sachverhalt ab Seite 357 BGE 103 Ia 356 S. 357 Die Miniera AG und die Minostra Öl- und Benzinlager AG einerseits sowie die Franz Haniel AG anderseits bestellten im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung eines zwischen ihnen geschlossenen Dienstbarkeitsvertrags ein Schiedsgericht zur Festsetzung der gegenseitigen Ansprüche. Gegen das Urteil des Schiedsgerichts führte die Franz Haniel AG beim Ausschuss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt Nichtigkeitsbeschwerde, die im wesentlichen abgewiesen wurde. Die Franz Haniel AG erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV , im wesentlichen mit den Anträgen, die Urteile des Schiedsgerichts und des Appellationsgerichts (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt seien aufzuheben.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. b) Die Beschwerdeführerin glaubt, zugleich mit dem Urteil des Appellationsgerichtes dasjenige des Schiedsgerichtes anfechten zu können, weil das Appellationsgericht dieses nur mit einer auf Willkür beschränkten Kognition überprüfen konnte. Die Mitanfechtung von Urteilen unterer Instanzen ist jedoch nur zulässig, wenn diese Urteile ebenfalls von einer kantonalen Behörde gefällt worden sind (vgl. BGE 100 Ia 123 E. 1 und 267 E. 2 mit Hinweisen). Auf Schiedsgerichtsurteile trifft dies nicht zu. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes keine "kantonalen Entscheide" im Sinne von Art. 84 Abs. 1 OG und können demgemäss weder unmittelbar noch im Anschluss an einen kantonalen Rechtsmittelentscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden ( BGE 102 Ia 507 E. 13; BGE 71 I 35 mit Hinweisen; nicht veröffentlichtes Urteil vom 8. März 1974 i.S. Th. g. N., E. 2; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 311). Zwar ist diese Praxis von verschiedenen Autoren angefochten worden (W. BURCKHARDT in ZBJV 75/1939, S. 510; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, II. Supplement, S. 111; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 3. Auflage, S. 97), doch genügen die von diesen Autoren angeführten Gründe nicht, um Urteile privater Schiedsgerichte entgegen dem Wortlaut von Art. 84 OG kantonalen Entscheiden gleichzustellen, gegen die staatsrechtliche Beschwerde geführt werden kann. Der von BURCKHARDT und MARTI in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt BGE 103 Ia 356 S. 358 des Rechtsschutzinteresses der Parteien darf das Bundesgericht nicht veranlassen, vom klaren Gesetzestext abzuweichen. Im übrigen erscheint es als fraglich, ob das Rechtsschutzbedürfnis von Parteien, die sich aus freiem Willen einer privaten Gerichtsbarkeit unterworfen haben, demjenigen anderer Parteien, die den staatlichen Gerichten unterstellt sind, gleichzusetzen sei. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtskontrolle gegenüber Schiedssprüchen im letzten Jahrzehnt stark ausgebaut worden ist, indem heute 15 Kantone und Halbkantone dem Konkordat über die Schiedsgerichtsbarkeit (im folgenden als "Konkordat" bezeichnet) angehören, nach dessen Art. 36 lit. f jeder Schiedsspruch unter anderem wegen Willkür bei einer kantonalen Instanz angefochten werden kann. Eine praktisch gleichwertige Anfechtungsmöglichkeit kennen mit einer einzigen Ausnahme (Zug) auch die dem Konkordat nicht angehörenden Kantone (W. WENGER, Die Rechtsmittel gegen schiedsrichterliche Entscheidungen, in: L'Arbitrage international privé et la Suisse, Kolloquium der Universität Genf, 1976, S. 18). Auch dieser praktische Gesichtspunkt spricht gegen eine Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit sie sich gegen das Urteil des Schiedsgerichtes vom 16. September 1976 richtet. 2. Die Beschwerdeschrift weist den völlig ungewöhnlichen, mit der Vorschrift von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG schwer zu vereinbarenden Umfang von 89 Seiten auf und enthält über weite Strecken eine appellatorische Kritik am Urteil des Appellationsgerichtes und mittelbar an demjenigen des Schiedsgerichtes. Die Beschwerdeführerin argumentiert so, wie wenn das Bundesgericht das Urteil frei überprüfen könnte. Tatsächlich ist aber die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichtes in einem solchen Falle doppelt beschränkt. War schon die kantonale Instanz nur befugt, den Schiedsspruch auf Willkür hin zu überprüfen, so kann das Bundesgericht lediglich noch untersuchen, ob sie bei dieser Prüfung ihrerseits in Willkür verfallen sei, d.h. mit anderen Worten, ob sie sich ihrer Aufgabe in schlechthin nicht zu vertretender Art und Weise entledigt habe. 3. Die Beschwerdeführerin macht unter Ziffer II ihrer Beschwerdeschrift in allgemeiner Form geltend, das Appellationsgericht habe sein Urteil ungenügend begründet, indem es BGE 103 Ia 356 S. 359 in den meisten Punkten lediglich festgestellt habe, dasjenige des Schiedsgerichtes sei vertretbar und daher nicht willkürlich. Sie erblickt darin eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Allein gerade diese Rüge zeigt, dass die Beschwerdeführerin die Funktion der in Art. 36 des Konkordates vorgesehenen Nichtigkeitsbeschwerde verkennt. Es kann nicht Aufgabe der zur Behandlung dieser Beschwerde eingesetzten richterlichen Behörde sein, einen Schiedsspruch nach allen Richtungen zu überprüfen und ihr Urteil an Stelle desjenigen des Schiedsgerichtes zu setzen, sondern sie hat - wenn man von der hier keine oder doch nur eine völlig untergeordnete Rolle spielenden Frage von Verfahrensmängeln absieht - lediglich die klar umrissene Funktion, festzustellen, ob der Schiedsspruch an Willkür leide. Willkür liegt gemäss Art. 36 lit. f des Konkordates dann vor, wenn der Schiedsspruch auf offensichtlich aktenwidrigen tatsächlichen Feststellungen beruht oder eine offenbare Verletzung des Rechtes oder der Billigkeit enthält. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass sich diese Formulierung im Ergebnis mit derjenigen deckt, die das Bundesgericht bei der Anwendung von Art. 4 BV entwickelt hat ("... wenn der angefochtene Entscheid eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgefühl zuwiderläuft ..." BGE 102 Ia 3 /4 E. 3b mit Hinweisen). Willkür darf aber nicht mit Gesetzesverletzung verwechselt werden; dass andere Lösungen ebenfalls vertretbar oder vielleicht sogar vorzuziehen gewesen wären, lässt die Willkürrüge noch nicht als stichhaltig erscheinen. Die auf Willkürkognition beschränkte Instanz hat vielmehr den angefochtenen Entscheid nur aufzuheben, wenn er als offensichtlich unhaltbar, d.h. mit sachlichen Gründen schlechthin nicht mehr vertretbar erscheint ( BGE 99 Ia 346 E. 1; 96 I 627 E. 3). Hieraus folgt für das Verfahren, dass die Nichtigkeitsinstanz dann, wenn sie ein sorgfältig begründetes Urteil zu überprüfen hat, ihre eigenen Erwägungen durchaus kurz halten darf, dies umso mehr, als selbst für kantonale Appellationsurteile die blosse Verweisung auf Erwägungen der unteren kantonalen Instanz nicht gegen Bundesrecht verstösst. Wäre die Nichtigkeitsinstanz, wie die Beschwerdeführerin annimmt, gehalten, sich mit deren abweichenden Rechtsauffassungen auch insoweit einlässlich auseinanderzusetzen, als sie die Erwägungen des Schiedsgerichtes BGE 103 Ia 356 S. 360 teilt oder als zum mindesten vertretbar erachtet, so verlöre die Schiedsabrede ihren Sinn, der ja unter anderem gerade darin besteht, den oft langwierigen Rechtsweg über verschiedene ordentliche Instanzen zu vermeiden. Eine Kombination der Vorteile des schiedsgerichtlichen und des ordentlichen Prozesses, wie sie der Beschwerdeführerin vorzuschweben scheint, gibt es nicht. Daraus folgt, dass die Art des Vorgehens des Appellationsgerichtes bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils nicht zu beanstanden und dass auf die Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs nur einzutreten ist, soweit sie zu einzelnen Punkten genau substantiiert wird.
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BGE_103_Ia_356
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Sachverhalt ab Seite 511 BGE 129 III 510 S. 511 Am 13. April 1999 erlitt Z. einen Verkehrsunfall. Mit Schadenanzeige vom 20. Januar 2000 machte sie gegenüber der X. Versicherung Leistungen für Erwerbsausfall geltend. Auf Ersuchen der Versicherung erstattete der Hausarzt von Z. am 28. Februar 2000 einen Auszug aus der Krankengeschichte seiner Patientin. Am 23. März 2001 klagte Z. beim Kantonsgericht Nidwalden gegen die X. Versicherung auf Bezahlung des Erwerbsausfalls. Die Beklagte erhob Widerklage. Mit Urteil vom 28. Februar 2002 wies das Kantonsgericht die Klage zur Zeit ab (Ziff. 1). Die Widerklage wurde gutgeheissen und die Klägerin verpflichtet, der Beklagten Namen und Adressen der Krankenkassen bekannt zu geben, bei welchen sie in den Jahren 1991 bis 1996 versichert war (Ziff. 2 ). Dagegen appellierte die Klägerin und beantragte, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Erwerbsunfähigkeitsrenten im Betrage von Fr. 14'076.94 nebst Zins zu bezahlen. Am 3. Oktober 2002 hiess das Obergericht des Kantons Nidwalden die Appellation gut und hob die Ziffern 2-5 des Urteils des Kantonsgerichts auf. Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung des eingeklagten Betrages zu verpflichten. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Sache an das Obergericht zur materiellen Entscheidung zurück. BGE 129 III 510 S. 512
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 3. Gemäss Art. 41 Abs. 1 VVG (SR 221.229.1) wird die Forderung aus dem Versicherungsvertrag mit dem Ablauf von vier Wochen, von dem Zeitpunkt an gerechnet, fällig, in dem der Versicherer Angaben erhalten hat, aus denen er sich von der Richtigkeit des Anspruchs überzeugen kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Angaben oft in Auskünften des Versicherten bestehen. Deshalb statuiert Art. 39 Abs. 1 VVG eine gesetzliche Mitwirkungspflicht des Anspruchsnehmers: Diese besteht darin, dass er auf Begehren des Versicherers jede Auskunft über solche ihm bekannte Tatsachen erteilen muss, die zur Ermittlung der Umstände, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, oder zur Feststellung der Folgen des Ereignisses dienlich sind (Abs. 1), während Abs. 2 die vertragliche Mitwirkungspflicht regelt. Kommt der Anspruchsberechtigte einer solchen Verpflichtung nicht nach, indem er z.B. Belege nicht einreicht, tritt die Fälligkeit nicht ein (JÜRG NEF, Basler Kommentar [Hrsg.: Honsell/Vogt/Schnyder], N. 9 zu Art. 41 VVG ). 3.1 Die von der Beklagten verlangten Auskünfte bezweckten offensichtlich die Erhellung der von ihr vermuteten Verletzung der Anzeigepflicht durch die Klägerin im Sinne von Art. 6 VVG , was sich unmissverständlich aus der beklagtischen Darstellung in der Klageantwort ergibt. Damit ging die von der Klägerin verlangte Mitwirkung klar über den in Art. 39 Abs. 1 VVG umschriebenen Gegenstand der Auskunftspflicht hinaus. In der Literatur wird denn auch, soweit ersichtlich, nirgendwo die Meinung vertreten, die Auskunftspflicht erstrecke sich auch auf erhellende Umstände mit Blick auf eine allfällige Anzeigepflichtverletzung (NEF, a.a.O.; KUHN/MÜLLER-STUDER/ECKERT, Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., S. 244 § 41; MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., 1995, S. 382 f.; ROELLI/KELLER, Kommentar zum Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Bd. I, 2. Aufl., 1968, S. 555 ff.; KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., 1960, S. 86/87). 3.2 Die Mitwirkungspflicht ergänzt gewissermassen die dem Anspruchsteller obliegende Beweispflicht gemäss Art. 8 ZGB (NEF, a.a.O., N. 1 zu Art. 39 VVG ). Nach dem Wortlaut von Art. 39 VVG bezieht sich die Mitwirkungs- bzw. die Auskunftspflicht des Anspruchsnehmers auf Tatsachen, die zur Ermittlung der Umstände dienlich sind, unter denen das befürchtete Ereignis eingetreten ist, oder zur Feststellung der Folgen des Ereignisses. Unter "befürchtetem Ereignis" - auch Versicherungsfall genannt - ist wie in Art. 38 BGE 129 III 510 S. 513 VVG die Verwirklichung der Gefahr zu verstehen, gegen welche die Versicherung genommen worden ist (statt vieler: KUHN/MÜLLER-STUDER/ECKERT, a.a.O.). Vorliegend hat die Anspruchsberechtigte eine Lebensversicherung mit Leistungen auch im Falle der Erwerbsunfähigkeit abgeschlossen. Sie begründet ihren Anspruch mit der durch den Unfall vom 13. April 1999 erlittenen Arbeitsunfähigkeit, wofür ihr die Beklagte ab dem 91. Tag eine monatliche Rente von Fr. 1'000.- zu entrichten hat. Befürchtetes Ereignis ist die geltend gemachte Erwerbsunfähigkeit. Demzufolge ist die Klägerin zu allen Auskünften über Umstände verpflichtet, welche der Abklärung der von ihr geltend gemachten Erwerbsunfähigkeit oder deren Folgen dienlich sind. Nun stehen aber keine Unklarheiten im Zusammenhang mit dem leistungsbegründenden Ereignis zur Diskussion, dessen Eintritt anscheinend klar ist und von der Beklagten nicht bestritten wird. Umstritten ist vielmehr, ob die Beklagte gemäss Art. 6 VVG vom Vertrag zurücktreten darf bzw. hätte zurücktreten müssen, oder ob sie gestützt auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht von der Klägerin weitere Angaben bzw. Vollmachten in Bezug auf Abklärungen einer allfälligen Verletzung der Anzeigepflicht einholen und sich erst später für oder gegen einen Rücktritt entscheiden darf. 3.3 Art. 39 VVG regelt die Pflichten des Anspruchsberechtigten nicht abschliessend. Obliegenheiten zur Mitwirkung bei der Abklärung des Versicherungsfalles sind im Rahmen von Art. 45 VVG im Prinzip frei vereinbar (NEF, a.a.O., N. 13 zu Art. 39 VVG mit Hinweisen). Die Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) betreffend die Lebensversicherung sehen keine solche spezifische Auskunftspflicht vor. Die ergänzenden Versicherungsbedingungen betreffend Erwerbsunfähigkeit halten fest, dass die Versicherung "zur Abklärung (ihrer) Leistungspflicht weitere Auskünfte und Nachweise verlangen" kann (Ziff. 4, letzter Satz). Diese Bestimmung bezieht sich ebenfalls auf Umstände des befürchteten Ereignisses, nicht aber auf solche hinsichtlich einer vermuteten Anzeigepflichtverletzung. Gemäss Versicherungsantrag ermächtigte die Klägerin die "Behörden, sowie Ärzte, Spitäler, Sanatorien usw., welche über Gesundheitszustand, durchgemachte Krankheiten ... der zu versichernden Person etwas wissen, der X. Versicherung jetzt oder in Zukunft Auskunft zu erteilen" (Ziff. 7), verpflichtete sich damit aber nicht, darüber hinaus an der Erhellung von wesentlichen Umständen für eine allfällige Anzeigepflichtverletzung mitzuwirken. BGE 129 III 510 S. 514 4. Die Beweislast für eine Anzeigepflichtverletzung begründenden Umstände obliegt - der Regel von Art. 8 ZGB entsprechend - dem Versicherer (URS CH. NEF, Basler Kommentar [Hrsg.: Honsell/Vogt/Schnyder], N. 14 zu Art. 6 VVG ). Art. 6 VVG sieht keine Beweiserleichterung im Sinne einer Mitwirkungspflicht des Anspruchsberechtigten vor. Darauf hinaus liefe aber eine Ausdehnung der Mitwirkungspflicht von Art. 39 VVG auf den in Art. 6 VVG geregelten Tatbestand; der Anspruchsberechtigte wäre danach hinsichtlich der ihm verdachtsweise vorgeworfenen Anzeigepflichtverletzung gezwungen, gewissermassen sich selber zu denunzieren. Ist aber Art. 39 VVG auf die Rücktrittsmöglichkeit des Versicherers gemäss Art. 6 VVG nicht anwendbar, hat die Klägerin mit ihrem passiven Verhalten auf das Schreiben der Beklagten vom 14. März 2000 weder gegen eine klare gesetzliche noch vertragliche Mitwirkungspflicht verstossen bzw. keine Auskunftspflicht verletzt. Es kann daher auch nicht gesagt werden, zufolge Verletzung der Mitwirkungspflicht habe die Forderung nicht fällig werden können und habe die Frist von Art. 6 VVG nicht zu laufen begonnen. Der Beklagten steht einzig die Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung, vom Vertrag zurückzutreten. Die Sache ist zum materiellen Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 220 BGE 147 I 219 S. 220 A. Rechtsanwalt A. wird vorgeworfen, er habe in einem Gerichtsverfahren eine Stundungsvereinbarung als Beweismittel eingereicht, die in wesentlichen Punkten vom Original abgewichen sei. In der Folge eröffnete die Anwaltsaufsichtsbehörde des Kantons Bern ein Disziplinarverfahren und sprach mit Verfügung vom 7. Dezember 2018 eine Verwarnung aus. B. Am 10. Januar 2019 erhob A. gegen die Disziplinarverfügung Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 20. Januar 2020 ab, soweit es auf sie eintrat. Eine mündliche Verhandlung führte es nicht durch. BGE 147 I 219 S. 221 C. Mit Beschwerde vom 2. März 2020 beantragt A. dem Bundesgericht, das Disziplinarverfahren sei einzustellen, eventualiter sei die Sache zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Während das Verwaltungsgericht auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet die Anwaltsaufsichtsbehörde auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht, die Vorinstanz habe in Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK keine mündliche Verhandlung durchgeführt. 2.1 Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen ("des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil"; "determinations of civil rights and obligations") oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss grundsätzlich öffentlich verkündet werden. 2.2 In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Disziplinarverfahren als Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche zu qualifizieren ist. 2.2.1 Der Begriff der "civil rights" umfasst nicht nur zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinn, sondern auch Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde, sofern sie massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur eingreifen. Zivilrechtlichen Charakter können daher auch solche Entscheidungen haben, mit denen einer Person die Erlaubnis zur Ausübung eines Berufs verweigert oder entzogen wird. Darunter fallen der Widerruf oder der disziplinarische Entzug einer Berufsausübungsbewilligung ( BGE 131 I 467 E. 2.5 S. 469 f.; BGE 126 I 228 E. 2a/aa S. 230; BGE 124 I 322 E. 4b S. 324). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf Disziplinarverfahren gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht davon abhängt, ob im konkreten Fall die Berufsausübungsbewilligung tatsächlich ausgesetzt oder entzogen wird; es genügt, wenn diese Möglichkeit besteht, weil sie im Katalog der zulässigen Sanktionen vorgesehen ist (Urteile des EGMR Marusic gegen Kroatien vom 23. Mai 2017 [Nr. 79821/12], § 72 f.; Foglia gegen Schweiz vom 13. Dezember BGE 147 I 219 S. 222 2007 [Nr. 35865/04], § 62; Landolt gegen Schweiz vom 31. August 2006 [Nr. 17263/02], S. 5 f.). 2.2.2 Nach Art. 17 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) kann die Aufsichtsbehörde als Disziplinarmassnahmen eine Verwarnung (lit. a), einen Verweis (lit. b), eine Busse bis zu Fr. 20'000.- (lit. c), ein befristetes Berufsausübungsverbot für längstens zwei Jahre (lit. d) sowie ein dauerndes Berufsausübungsverbot (lit. e) anordnen. Folglich enthält der Sanktionenkatalog auch ein (befristetes oder dauerndes) Berufsausübungsverbot und hätte der Beschwerdeführer von der Anwaltsaufsichtsbehörde mit dieser Massnahme belegt werden können. Das anwaltliche Disziplinarverfahren stellt demnach eine Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar. 2.3 Weiter ist zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht eine öffentliche Verhandlung hätte durchführen müssen. 2.3.1 Die in Art. 6 Ziff. 1 EMRK garantierte öffentliche Gerichtsverhandlung stellt ein fundamentales Prinzip dar, das nicht nur für den Einzelnen wichtig ist, sondern ebenso sehr als Voraussetzung für das Vertrauen in das Funktionieren der Justiz erscheint. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen in zivilrechtlichen Streitigkeiten die Parteien zumindest einmal im ganzen Verfahren Gelegenheit haben, ihre Argumente mündlich in einer öffentlichen Sitzung einem unabhängigen Gericht vorzutragen, soweit sie nicht ausdrücklich oder stillschweigend auf die Durchführung eines öffentlichen Verfahrens verzichtet haben ( BGE 124 I 322 E. 4a S. 324; BGE 121 I 30 E. 5d-f S. 35 ff.). Entscheidet in erster Instanz kein Gericht, hat das Rechtsmittelverfahren den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu genügen ( BGE 126 I 228 E. 3a S. 234). 2.3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, die Anwaltsaufsichtsbehörde habe lediglich eine Verwarnung ausgesprochen. Aufgrund des im kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz statuierten Verschlechterungsverbots sei die Gefahr für den Beschwerdeführer, mit einem Berufsausübungsverbot belegt zu werden, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren definitiv gebannt gewesen. Deshalb sei Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht anwendbar und habe der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung. BGE 147 I 219 S. 223 2.3.3 Mit dieser Argumentation betrachtet das Verwaltungsgericht das Rechtsmittelverfahren isoliert, ohne den Gesamtzusammenhang mit dem erstinstanzlichen Verfahren vor der Anwaltsaufsichtsbehörde zu berücksichtigen. Stellt das anwaltliche Disziplinarverfahren aufgrund der in Art. 17 Abs. 1 BGFA vorgesehenen Disziplinarmassnahmen wie erwähnt eine Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche dar, hat der Beschwerdeführer einen Anspruch auf die in Art. 6 Ziff. 1 EMRK verbrieften Verfahrensgarantien. Nachdem in erster Instanz kein Gericht, sondern eine Verwaltungsbehörde entschieden hatte, wurden diese Garantien dort unbestrittenermassen nicht eingehalten. Weil die Verfahrensrechte mindestens einmal im Verfahren gewährleistet werden müssen, hätte es am Verwaltungsgericht gelegen, die gerichtliche Beurteilung unter Einhaltung der Garantien von Art. 6 Ziff. 1 EMRK vorzunehmen. Dass im Rechtsmittelverfahren aufgrund des anwendbaren kantonalen Prozessrechts kein Berufsausübungsverbot mehr zur Debatte stand, ändert nichts daran; die Qualifikation des Verfahrens als zivilrechtliche Streitigkeit fällt dadurch nicht dahin (vgl. hiervor E. 2.2.1). Die Vorinstanz hat Art. 6 Ziff. 1 EMRK deshalb zu Unrecht als nicht anwendbar erachtet. 2.3.4 Andere Gründe, die einen Verzicht auf die beantragte öffentliche Verhandlung rechtfertigen würden (vgl. hierzu BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; BGE 122 V 47 E. 3b S. 55 ff.), werden von der Vorinstanz nicht angeführt und sind auch nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hätte folglich den Verfahrensantrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung nicht abweisen dürfen. 2.4 Die Beschwerde erweist sich als begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung und zum Neuentscheid zurückzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 34 BGE 87 III 33 S. 34 Mit Eingabe vom 10. Januar 1961 stellte die Privatbank Basel A.-G. beim Appellationsgericht des Kantons BaselStadt, das als Nachlassbehörde im Sinne von Art. 37 Abs. 8 des Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG) amtet, das Gesuch um Bewilligung einer Nachlassstundung. Am 27. Januar 1961 hat das Appellationsgericht dieses Gesuch abgewiesen, weil heute schon feststehe, dass der vorgesehene Nachlassvertrag (Liquidationsvergleich) nicht genehmigt werden könnte. Diesen Entscheid hat die Schuldnerin an das Bundesgericht weitergezogen.
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Erwägungen Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: 1. Im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen gelten nach Art. 55 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum BankG vom 26. Februar 1935 (VV) für die Beschwerdeführung gegen Entscheide der Nachlassbehörde die Vorschriften BGE 87 III 33 S. 35 über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen an das Bundesgericht. Der zweite Satz der angeführten Bestimmung fügt bei, dass alle Entscheide der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit an das Bundesgericht weitergezogen werden können. Art. 1 Abs. 3 der bundesgerichtlichen Verordnung betr. das Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen vom 11. April 1935/26. Februar 1936 (VNB) sieht vor, der Entscheid der Nachlassbehörde über das Stundungsgesuch könne nur durch die Bank oder den Kommissär im Falle der Abweisung des Gesuchs an das Bundesgericht weitergezogen werden. Nach diesen Bestimmungen ist der vorliegende Rekurs zulässig. 2. Zu den Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen an das Bundesgericht, auf die Art. 55 Abs. 2 VV verweist, gehört auch Art. 79 OG , der in Abs. 1 Satz 2 bestimmt, neue Begehren, Tatsachen, Bestreitungen und Beweismittel könne nicht anbringen, wer dazu im kantonalen Verfahren Gelegenheit hatte. Die für die Banken und Sparkassen geltenden Erlasse enthalten keine Sondervorschrift, welche die Anwendung dieser Bestimmung auf Rekurse im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VV und Art. 1 Abs. 3 VNB ausschlösse. Insbesondere hat Art. 55 Abs. 2 Satz 2 VV, wonach Entscheide der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit an das Bundesgericht weitergezogen werden können, mit der Frage der Zulässigkeit neuer Vorbringen im Verfahren vor Bundesgericht nichts zu tun. Art. 79 Abs 1 Satz 2 OG gilt daher auch für Rekurse von der Art des vorliegenden (vgl. BGE 85 III 151 ). Die Rekurrentin hätte die Tatsachen und Beweismittel, die sie vor Bundesgericht neu anruft, um ihr Geschäftsgebaren und dessen Folgen in einem mildern Licht erscheinen zu lassen, schon im kantonalen Verfahren anbringen können; denn die Vorinstanz gab ihr bei der Anhörung BGE 87 III 33 S. 36 nach Art. 1 Abs. 2 VNB entsprechend dem Sinne dieser Vorschrift (vgl. den zu Art. 294 SchKG ergangenen EntscheidBGE 59 III 37f.) Gelegenheit, sich über den ihr zur Last gelegten Sachverhalt im einzelnen zu äussern. Die in der Rekursschrift enthaltenen Nova können daher nach Art. 79 OG nicht berücksichtigt werden. Vielmehr ist der Rekurs auf Grund der von der Vorinstanz festgestellten Tatsachen zu beurteilen. Dass die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz oder einzelne davon offensichtlich auf Versehen beruhen (vgl. Art. 63 Abs. 2 und Art. 81 OG ), macht die Rekurrentin mit Recht selber nicht geltend. 3. Nach Art. 294 Abs. 1 SchKG hat die Nachlassbehörde bei ihrem Entscheid über das Stundungsgesuch die Vermögenslage des Schuldners, den Stand seiner Buchführung, sein Geschäftsgebaren und die Ursachen der Nichterfüllung seiner Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Diese Vorschrift ist auch im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen anwendbar, da das Bankengesetz, die Vollziehungsverordnung dazu und die diesem Verfahren gewidmete Verordnung des Bundesgerichtes (vgl. namentlich Art. 37 BankG , Art. 54-56 VV und Art. 1 VNB ) keine davon abweichende Bestimmung enthalten (gleicher Ansicht auch GERSBACH, Der Nachlassvertrag ausser Konkurs nach dem BG über die Banken u. Sparkassen..., 1937, S. 34/35, ULDRY, Le concordat des instituts bancaires, 1937, S. 115, und FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, 2. Band 1955, S. 406). Der Sinn dieser Vorschrift liegt darin, dass die Nachlassstundung nicht zu bewilligen ist, wenn von vornherein feststeht, dass die Genehmigung eines vom fraglichen Schuldner vorgeschlagenen Nachlassvertrags ausgeschlossen ist (vgl. BGE 62 III 107 und die bereits zit. Autoren). Der Nachlassvertrag einer Bank oder Sparkasse ist nach Art. 37 Abs. 6 BankG nur zu genehmigen, wenn die Voraussetzungen von Art. 306 SchKG erfüllt sind und wenn sich ausserdem nach Prüfung aller Verhältnisse ergibt, BGE 87 III 33 S. 37 dass die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger durch den Nachlassvertrag besser gewahrt werden als durch die Konkursliquidation. Bei Erlass des Bankengesetzes war nach Art. 306 SchKG erste Voraussetzung für die Bestätigung eines Nachlassvertrags, dass dem Schuldner nicht vorgeworfen werden konnte, er habe zum Nachteil seiner Gläubiger unredliche oder sehr leichtfertige Handlungen begangen. Demgegenüber sagt Art. 306 Abs. 1 SchKG in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 28. September 1949 nur noch, die Nachlassbehörde könne die Bestätigung verweigern, wenn der Schuldner Handlungen der erwähnten Art begangen habe. Die sog. Nachlasswürdigkeit des Schuldners ist also heute nicht mehr eine unerlässliche Voraussetzung für die Genehmigung eines Nachlassvertrags, doch kann diese grundsätzlich auch heute noch wegen unredlicher oder sehr leichtfertiger Handlungen des Schuldners verweigert werden. Dies gilt namentlich dann, wenn der Schuldner einen Prozent- oder Stundungsvergleich vorschlägt, um sein Geschäft weiterführen zu können. Handelt es sich dagegen um einen Liquidationsvergleich, so kann unter Umständen (wenn die Nachlassliquidation ein besseres Ergebnis verspricht als die Konkursliquidation) die Bestätigung als geboten erscheinen, obwohl der Schuldner nicht "nachlasswürdig" ist (vgl. SCHODER in ZBJV 1952 S. 434). Die Änderung, welche die Voraussetzungen für die Bestätigung eines Nachlassvertrags hienach erfahren haben, muss sich auch im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen auswirken, da der in Art. 37 Abs. 6 BankG enthaltene Hinweis auf Art. 306 SchKG seit der Revision des SchKG von 1949 auf die heute geltende Fassung dieser Bestimmung zu beziehen ist. Die Genehmigung des Nachlassvertrags einer Bank oder Sparkasse kann also dem Grundsatze nach wegen unredlicher oder sehr leichtfertiger Handlungen der Schuldnerin verweigert werden. Anders verhält es sich, wenn der vorgeschlagene Nachlassvertrag ein Liquidationsvergleich ist, von dem nach den gegebenen Umständen BGE 87 III 33 S. 38 mit Bestimmtheit angenommen werden muss, er sei für die Gläubiger vorteilhafter als der Konkurs. Lässt sich dagegen diese letzte Annahme nicht rechtfertigen, so ist die Genehmigung nach Art. 37 Abs. 6 BankG in jedem Falle (auch bei einem Prozent- oder Stundungsvergleich) zu verweigern; denn Art. 37 Abs. 6 BankG macht eben nach seinem klaren Wortlaut die Genehmigung des Nachlassvertrags einer Bank oder einer Sparkasse von der doppelten Bedingung abhängig, dass die Voraussetzungen von Art. 306 SchKG erfüllt sind und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger durch den Nachlassvertrag besser gewahrt werden als durch die Konkursliquidation, was gegenüber dem gewöhnlichen Nachlassvertragsrecht eine Verschärfung bedeutet (vgl. ROSSIER und REIMANN, Schweiz. Bankengesetz, 2. Aufl. 1936, N. 13 zu Art. 37 BankG ). Für die Anwendung von Art. 294 Abs. 1 SchKG im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen ergibt sich hieraus, dass ein Gesuch um Nachlassstundung jedenfalls dann abzuweisen ist, wenn sich bei der Prüfung der hier genannten Umstände mit Sicherheit ergibt, dass die Schuldnerin unredliche oder sehr leichtfertige Handlungen zum Nachteil ihrer Gläubiger begangen hat, und weder dargetan ist noch erwartet werden kann, es könne im weitern Verlaufe des Verfahrens dargetan werden, dass ein Nachlassvertrag für die Gesamtheit der Gläubiger günstiger sei als die Konkursliquidation. 4. Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz verbindlich festgestellt, die Rekurrentin habe, obwohl die Revisionsstelle seit Jahren immer wieder die Missachtung der "üblichen Deckungsprinzipien" gerügt hatte, weiterhin bei Börsengeschäften erhebliche Kredite ohne oder doch ohne genügende Deckung gewährt. Insbesondere habe sie in neuester Zeit zugunsten der Kundin Frau Gangloff, mit der sie erst seit kurzem in geschäftlicher Verbindung gewesen sei, ohne Sicherheit Verpflichtungen gegenüber Dritten in Höhe von rund 2,8 Millionen Franken übernommen BGE 87 III 33 S. 39 (welcher Betrag ihr Aktienkapital und ihre Reserven um mehr als das Doppelte überstieg); dies sei die unmittelbare Ursache ihrer Zahlungsschwierigkeiten. Ausserdem habe sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1960 vom bisherigen Verwaltungsratspräsidenten Dr. Pierre Pobé, der sich aus dem Unternehmen zurückzuziehen wünschte, auf dem Weg über eine vollständig in ihrem Besitz stehende andere Gesellschaft 109 eigene Aktien erworben (wobei sie sich zugegebenermassen bewusst über das Verbot von Art. 659 OR hinwegsetzte). Ferner habe sie zeitweise Titel ihrer Kunden ohne deren Wissen zur Erfüllung eigener Lieferpflichten verwendet. Im Dezember 1960 habe sie die in Abwicklung begriffenen Geschäfte nicht mehr richtig verbucht, so dass sie ihre Lage nicht mehr übersehen habe. Auf Grund dieser Feststellungen steht ausser Zweifel, dass der Rekurrentin äusserst leichtfertige und überdies auch unredliche Handlungen zum Nachteil ihrer Gläubiger vorzuwerfen sind. Irgendwelche konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der in Aussicht genommene Liquidationsvergleich für die Gläubiger vorteilhafter sein könnte als die Konkursliquidation, sind nicht ersichtlich. Die Rekurrentin vermag nicht etwa darauf hinzuweisen, dass gewisse Aktiven vorhanden seien, die sich im Nachlassliquidationsverfahren besser verwerten liessen als im Konkurs. Sie macht im wesentlichen nur Ausführungen darüber, dass bei Banken ein Nachlassvertrag ganz allgemein dem Konkurs vorzuziehen sei. Diese Auffassung hätte zur Folge, dass einem von einer Bank vorgeschlagenen Nachlassvertrag die Genehmigung praktisch nie wegen Fehlens der zweiten Voraussetzung von Art. 37 Abs. 6 BankG versagt werden könnte, was nicht die Meinung des Gesetzes sein kann. Dem Umstand, dass die Liquidation des Vermögens einer Bank Fachkenntnisse fordert, gedenkt die Vorinstanz, die nicht nur Nachlassbehörde, sondern zugleich auch Konkursgericht im Sinne von Art. 36 Abs. 5 BankG ist und als solches gemäss Art. 36 Abs. 1 BankG die Konkursverwaltung BGE 87 III 33 S. 40 zu ernennen hat, dadurch Rechnung zu tragen, dass sie eine mit dem Bankwesen vertraute Persönlichkeit in dieses Organ abordnet. Das Bankgeheimnis, auf dessen Wahrung die Rekurrentin das Hauptgewicht legt, kann bei der Durchführung eines Liquidationsvergleichs nicht besser geschützt werden als im Konkurs. Im Nachlassliquidationsverfahren ist wie im Konkurs ein Kollokationsplan zu erstellen und zur Einsicht der Gläubiger aufzulegen ( Art. 30 VNB ). Nichts lässt also erwarten, dass das Interesse der Gläubiger der Nachlassbehörde gebieten könnte, den vorgeschlagenen Liquidationsvergleich trotz der schweren Belastung der Bankorgane zu genehmigen. Die Vorinstanz nennt im Gegenteil stichhaltige Gründe für die Annahme, dass die Durchführung des Nachlassverfahrens für die Gläubiger ungünstiger wäre als die sofortige Konkurseröffnung (Entstehung von Kosten während der Dauer der Stundung, die im Falle der Konkurseröffnung vermieden werden können; Verzögerung der Verwertung der Aktiven und der Geltendmachung von Anfechtungs- und Verantwortlichkeitsansprüchen). Bei dieser Sachlage lässt sich der angefochtene Entscheid nicht als bundesrechtswidrig oder unangemessen beanstanden.
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1,914
Dispositiv Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird abgewiesen.
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BGE_87_III_33
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Sachverhalt ab Seite 17 BGE 147 V 16 S. 17 A. Der 1987 geborene A. erlitt bei einem Motorradunfall am 8. Juli 2010 multiple schwere Verletzungen, unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Seither ist er gelähmt (Tetraspastik) und auf Pflege angewiesen, wobei er seit 2013 unter der Woche im Heim (B.) lebt. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) als zuständiger obligatorischer Unfallversicherer liess am 11. November 2013 durch die Hilfsmittelberatung für Behinderte (SAHB; C., Beraterin, dipl. Pflegefachfrau HF) eine Abklärung von Pflegeleistungsbedarf und Hilflosigkeit vornehmen. Mit Verfügung vom 31. Januar 2014 anerkannte sie einen Anspruch auf eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % ab Februar 2014 sowie - ab BGE 147 V 16 S. 18 demselben Zeitpunkt - einen Anspruch auf Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades. Zudem sprach sie dem Versicherten für Hauspflege Fr. 1'449.- monatlich zu. Auf Einsprache des Versicherten hin anerkannte die Suva eine schwere Hilflosigkeit; demgegenüber sah sie für eine Erhöhung des Pflegeaufwandes keinen Grund, da bereits mehr anerkannt worden sei als beansprucht werde; die beantragte Erstattung der Kosten eines Berichts des Kompetenzzentrums für Pflegerecht vom 27. Februar 2014 lehnte sie ab. Nach Aufforderung durch das beschwerdeweise angegangene Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen prüfte die Suva die Entschädigung der Hauspflege neu. Mit Einspracheentscheid vom 18. November 2016 sprach sie A. in teilweiser Gutheissung der Einsprache ab 1. Februar 2014 einen monatlichen Pflegebeitrag von Fr. 2'239.- zu. Im Übrigen wies sie die Einsprache ab, da sie dem Bericht des Kompetenzzentrums für Pflegerecht vom 27. Februar 2014 (D., dipl. Pflegefachfrau HF) nicht folgte. Dessen Kosten übernahm sie nicht, hingegen zeigte sie sich "entgegenkommenderweise bereit", zusätzlich zur regulären Physiotherapie den Zeitaufwand für das Mobilisationstraining gemäss dem SAHB-Bericht zu berücksichtigen, woraus sich (bei einem gesamten Aufwand von 10,1 Stunden pro Woche) der gesprochene Beitrag ergab. B. Die dagegen erhobene Beschwerde des Versicherten wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. August 2019 ab. C. A. lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, die Suva sei in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids zu verpflichten, ihm ab 1. Februar 2014 eine Pflegeentschädigung für 211,59 Minuten pro Tag (153,56 Minuten nach Art. 18 Abs. 1 UVV [SR 832.202] und 58,03 Minuten nach Art. 18 Abs. 2 UVV
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) auszurichten, dies je gemäss den vom Bundesgericht festzusetzenden Ansätzen. Eventuell sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an das Versicherungsgericht zurückzuweisen. Ferner erneuert der Versicherte sein Begehren um Erstattung der Kosten der privaten Pflegebedarfsabklärung und des nachmaligen Berichts des Kompetenzzentrums für Pflegerecht (D.) vom 27. Februar 2014. Die Suva schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf eine Stellungnahme, desgleichen das kantonale Gericht. BGE 147 V 16 S. 19 Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintritt. Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Im Streit liegt die Frage, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, indem es den von der Suva letztlich auf 10,1 Stunden pro Woche festgesetzten und mit monatlich Fr. 2'239.- vergüteten Aufwand für Hauspflege bestätigt hat. (...) 4. 4.1 4.1.1 Hauspflegeleistungen im Sinne von Art. 18 UVV stellen - als Teil der Heilbehandlung (Urteil 8C_896/2009 vom 23. Juli 2010 E. 4.2) - eine Sachleistung dar ( Art. 14 ATSG ; vgl. Urteil 8C_457/2014 vom 5. September 2014 E. 1.2; UELI KIESER, Kommentar zum Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], 4. Aufl. 2020, N. 21 zu Art. 10 und N. 10 zu Art. 64 ATSG ; anders hingegen, wenn auch ohne nähere Begründung: Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 E. 2). Daran ändert nichts, dass diesbezüglich ausnahmsweise das Kostenvergütungsprinzip gilt (ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 275; vgl. Art. 15 ATSG ). Die Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2 BGG kommt daher nicht zum Tragen. Vielmehr bleibt das Bundesgericht hier nach Art. 105 Abs. 1 BGG an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden ( Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG Umkehrschluss; vgl. BGE 135 V 412 ). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann ( Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; vgl. Urteil 8C_281/2018 vom 25. Juni 2018 E. 1.2). (...) 6. 6.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 44 ATSG , da die Pflegebedarfsabklärung durch die SAHB in Verletzung der entsprechenden Verfahrens- und Parteirechte erfolgt sei. BGE 147 V 16 S. 20 Weder sei der Name der vorgesehenen Gutachterin mitgeteilt noch die Möglichkeit für ergänzende Fragen gewährt worden. 6.2 Soweit er sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass die SAHB als privatrechtlicher Verein gemäss ihrem - auch dem Handelsregister zu entnehmenden - Zweck nicht zu solchen Abklärungen berechtigt sei, verfängt dies nicht. Denn es ist nicht ersichtlich, geschweige denn dargetan, inwiefern die Missachtung des Vereinszwecks bei der Vergabe des entsprechenden Abklärungsauftrags dessen Nichtigkeit oder die Nichtverwertbarkeit des betreffenden Berichts zur Folge hätte. Was sodann die gerügte Verletzung der gemäss Art. 44 ATSG bestehenden Verfahrens- und Mitwirkungsrechte angeht, hat das Bundesgericht in BGE 140 V 543 E. 3.2.3 S. 550 erkannt, bei der Abklärung des Hilfebedarfs an Ort und Stelle (Art. 57 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 69 IVV [SR 831.201]) handle es sich nicht um ein Gutachten nach Art. 44 ATSG , weshalb der Verweis auf BGE 137 V 210 fehl gehe. In dieser Hinsicht verhält es sich im vorliegenden Fall insofern anders, als die Abklärung vor Ort nicht durch einen eigenen internen Dienst der Beschwerdegegnerin, sondern durch eine externe Stelle erfolgte. Die Vorinstanz hat dazu allerdings erkannt, dass die Berufung auf die Verfahrensrechte nicht zu überzeugen vermöge. Der damalige (frühere) Rechtsvertreter des Beschwerdeführers sei über die Bedarfsabklärung durch C. sowie über ihren Inhalt von der SAHB informiert worden und er habe sich bei der Abklärung auch selbst eingebracht, ohne dass dabei irgendwelche Vorbehalte gegen die Abklärungsperson oder die Art und Weise der Abklärung aktenkundig geworden wären. Den Auftrag an die SAHB zur Abklärung der Pflegeleistungen und Hilflosigkeit bei den allgemeinen Lebensverrichtungen habe die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 18. September 2013 erteilt. Dass sie weitergehende Weisungen damit verbunden hätte, sei nicht erstellt und werde bestritten. Die nicht näher substanziierten Vorwürfe, die sich auch gar nicht auf den vorliegenden Fall bezögen, genügten nicht, um die Verwertbarkeit der Bedarfsabklärung in Zweifel zu ziehen. 6.3 In der Beschwerde wird weder eine offensichtliche Unrichtigkeit dieser Feststellungen dargetan noch eine Verletzung von Bundesrecht durch das kantonale Gericht aufgezeigt. Abgesehen von den noch zu behandelnden Einwänden gegen die verwendete Methode bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was gegen die fachliche Kompetenz der Abklärungsperson spräche oder deren BGE 147 V 16 S. 21 Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen vermöchte. Was die wiederum angesprochene Einflussnahme durch die Beschwerdegegnerin auf die Abklärungsstelle anbelangt, bleibt die Beschwerde jede Konkretisierung schuldig, was ihren Vorwurf der Hinterlist als eher verfehlt erscheinen lässt. Davon abgesehen fehlt der Nachweis, dass eine solche wie auch immer geartete Einflussnahme gerade im hier zu beurteilenden Fall erfolgt sein könnte, weshalb es müssig scheint, über deren Inhalt zu spekulieren. Gegenteiliges ergäbe sich im Übrigen auch nicht aus der E-Mail des Geschäftsführers der SAHB vom 25. Januar 2019, abgesehen davon, dass es sich dabei um ein unzulässiges neues Beweismittel handelt, das ausser Acht zu bleiben hat (vgl. nicht publ. E. 4.2). Denn es ist nicht ansatzweise dargetan, dass seine Einreichung nicht bereits im vorinstanzlichen Verfahren möglich gewesen bzw. erst durch den angefochtenen Gerichtsentscheid veranlasst worden wäre. Damit bleibt es in diesem Punkt bei den vorinstanzlichen Erwägungen: Der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter liessen sich vorbehaltlos auf die betreffende Abklärung ein. Deren Durchführung erfolgte im Beisein nicht nur des Rechtsvertreters, sondern ebenso der Eltern des Beschwerdeführers sowie der Leitung des mit seiner Pflege befassten Dienstes. Dementsprechend bestand Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Abklärung und zu deren Ergänzung. Dass sich der Beschwerdeführer dabei kein Gehör verschaffen konnte oder allfällige Interventionen von seiner Seite aufgrund der behaupteten Vorgaben seitens der Beschwerdegegnerin abgeblockt oder unterlaufen worden wären, ist nicht erstellt. Deshalb führt der Umstand, dass die Vergabe des Abklärungsauftrags nicht in jeder Hinsicht formell korrekt erfolgt sein mochte, für sich weder zur Unverwertbarkeit des in der Folge verfassten Berichts noch zur Abschwächung seines Beweiswerts. Endlich und davon abgesehen fällt auf, dass sich der Beschwerdeführer mit seinen erst in der vorinstanzlichen Replik erhobenen formellen Einwänden reichlich Zeit liess. Insofern fragt sich, ob dies mit dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben fliessenden Gebot, festgestellte Verfahrensmängel rechtzeitig bzw. unverzüglich anzurufen (vgl. BGE 125 V 373 E. 2b/aa S. 375; Urteil 9C_511/2014 vom 26. September 2014 E. 3.3), noch zu vereinbaren wäre. 7. 7.1 Wie schon angedeutet, rügt der Beschwerdeführer die erfolgte Abklärung insbesondere in methodischer Hinsicht. Der tatsächliche Pflegebedarf, wie er im Abklärungszeitpunkt bestanden habe, sei BGE 147 V 16 S. 22 ohne Beizug eines anerkannten Abklärungsinstruments erhoben worden. Auch wenn es diesbezüglich für den Bereich der Unfallversicherung (anders als in der Krankenversicherung) an spezifischen gesetzlichen Vorgaben fehle, gebiete Art. 43 ATSG doch eine Abklärung nach den aktuell gültigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Nur die Verwendung eines anerkannten Instruments stelle sicher, dass die Abklärung umfassend und auf seine Nachvollziehbarkeit hin überprüfbar sei. 7.2 Der Beschwerdeführer verweist im Zuge seiner Vorbringen, namentlich mit Blick auf das von ihm favorisierte Abklärungsinstrument RAI-HC (Resident Assessment Instrument - Homecare) auch auf die einschlägige Rechtsprechung: Demnach handelt es sich beim betreffenden Instrumentarium der Spitex RAI-HC - wie das Bundesgericht im krankenversicherungsrechtlichen Kontext erkannt hat - um Empfehlungen im Bereich der Hauspflege einer Berufsgruppe ohne jeglichen normativen Charakter. Sie sind für das Gericht nicht verbindlich, doch kann es sie bei seiner Entscheidung berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen ( BGE 136 V 172 E. 4.3.3 S. 178 [mit Hinweis auf BGE 124 V 351 E. 2e S. 354 betreffend ein anderes Instrument]; Urteil 9C_702/2010 vom 21. Dezember 2010 E. 4.2.3). Dasselbe wurde vom Bundesgericht im Rahmen einer Streitigkeit betreffend Art. 18 UVV erwogen, wobei es ausdrücklich vermerkte, dass die Suva nicht verpflichtet werden könne, auf das RAI-HC-Bedarfsabklärungsinstrument abzustellen (Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 E. 5.2.1 und 5.2.4). 7.3 Das kantonale Gericht hat diese Rechtsprechung in seinem Entscheid aufgenommen. Darüber hinaus hat es erkannt, dass das Unfallversicherungsrecht, im Gegensatz zum Krankenversicherungsrecht ( Art. 8 KLV [SR 832.112.31]) oder zur Invalidenversicherung ( Art. 69 Abs. 2 IVV ), für die Abklärung des Pflegebedarfs weder konkretisierende Bestimmungen noch einen Verweis auf die Vorgaben in der KLV (oder der IVV) enthalte. Gemäss dem nach Art. 1 Abs. 1 UVG anwendbaren Art. 43 Abs. 1 ATSG seien die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vorzunehmen. In welcher Form dies zu geschehen habe, schreibe der Gesetzgeber nicht vor. Demnach sei die Beschwerdegegnerin frei gewesen in der Wahl der Methode zur Bestimmung des Pflegeaufwands und es lasse sich nicht beanstanden, dass sie diesen individuell für den Einzelfall bestimmt und nicht auf RAI-HC abgestellt habe. In der Würdigung der BGE 147 V 16 S. 23 betreffenden Abklärungsergebnisse könnten grundsätzlich aber auch die im Rahmen der privaten Pflegebedarfsabklärung mittels RAI-HC erhobenen Werte berücksichtigt werden. 7.4 7.4.1 Diese Erwägungen lassen sich aus Sicht des Bundesrechts nicht bemängeln, woran die beschwerdeweisen Vorbringen nichts ändern, dies umso weniger, als sie teils wiederum mit unzulässigen Noven unterlegt werden. Wie der Beschwerdeführer selber einräumt, fehlt es an einer spezifischen unfallversicherungsrechtlichen Vorgabe hinsichtlich der anzuwendenden Abklärungsmethode (vgl. E. 7.2 oben), womit ein wesentlicher Unterschied zur Rechtslage insbesondere im Krankenversicherungsbereich besteht (vgl. Art. 7 Abs. 1 und Art. 8a Abs. 3 bis 5 KLV). Insofern bleiben all seine Hinweise auf Kommissionsempfehlungen oder kantonalrechtliche Vorschriften aus bundesrechtlicher Sicht belanglos. Der Beizug eines standardisierten Instruments mag zur zusätzlichen Objektivierung der Abklärung beitragen, namentlich die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, auch im Hinblick auf einen allfälligen künftigen Revisionsbedarf, erleichtern und unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll oder wünschbar sein. Entgegen dem Beschwerdeführer wird das Fehlen der normativen Vorgabe eines solchen Instruments im Rahmen des Unfallversicherungsrechts jedoch nicht durch die allgemeine Abklärungspflicht gemäss Art. 43 Abs. 1 und 2 ATSG kompensiert. In dieser Hinsicht verfügt der abklärungspflichtige Versicherungsträger auch in Bezug auf die zu verwendenden Methoden über "einen grossen Ermessensspielraum" (vgl. Urteile 8C_828/2013 vom 19. März 2014 E. 2.1; 9C_28/2010 vom 12. März 2010 E. 4.1; 8C_733/2010 vom 10. Dezember 2010 E. 5.2; JACQUES OLIVIER PIGUET, in: Commentaire romand, Loi sur la partie générale des assurances sociales, 2018, N. 10 zu Art. 43 ATSG ; CRISTINA SCHIAVI, in: Basler Kommentar, Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts, 2020, N. 6 zu Art. 43 ATSG ). Dass sich die dabei benutzten Mittel auf der Höhe der Zeit zu befinden haben, versteht sich von selbst. Das bezieht sich vorab auf die Pflege an sich, auf deren Mittel und Verfahren, notwendigerweise aber ebenso auf die Abschätzung des konkreten Pflege- bzw. Zeitbedarfs. Hingegen geht damit keine Rechtspflicht dergestalt einher, dass durch Art. 43 ATSG eine bestimmte Methode, genau definierte Verfahren oder Standards für die Abklärung zwingend vorgeschrieben würden. Dafür bedürfte es einer spezifischen normativen Vorgabe, die nicht auf dem Weg der BGE 147 V 16 S. 24 Rechtsprechung, sondern durch den zuständigen Verordnungsgeber zu schaffen wäre, wobei auch diesfalls - analog zum Krankenversicherungsrecht - wohl nicht einfach ein bestimmtes Bedarfsermittlungssystem vorgeschrieben würde. Deshalb geht auch die Forderung des Beschwerdeführers von vornherein fehl, dass in seinem Fall zwingend das Instrument RAI-HC zu nutzen gewesen wäre; gleiches gilt für den Einwand, wonach die beigezogene Pflegefachfrau über kein entsprechendes Zertifikat verfüge. 7.4.2 Davon abgesehen ist schliesslich auch an dieser Stelle nochmals hervorzuheben, dass die von der Beschwerdegegnerin beigezogene Abklärungsperson als dipl. Pflegefachfrau HF über die notwendigen fachlichen Qualifikationen verfügte, was die Einschätzung des individuell-konkreten Pflegebedarfs vor Ort anbelangt. Ihre Erhebungen führte sie, wie schon vermerkt, im Austausch mit den Eltern und der Leiterin des Pflegedienstes sowie unter Einbezug des damaligen Rechtsvertreters durch. Damit bestand insgesamt Gewähr für eine hinreichend verlässliche Abklärung, in deren Rahmen sich auch allfällige erfahrungsbedingte interpersonelle Differenzen bezüglich des konkreten Bedarfs erkennen und bereinigen liessen. Und was sodann die Beurteilung des Beweiswerts des dabei verfassten Berichts oder Gutachtens betrifft, kann sich der Rechtsanwender an den Vorgaben orientieren, wie sie sich insbesondere im Bereich der Invalidenversicherung (analog zur Rechtsprechung zur Beweiskraft von Arztberichten gemäss BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) zur Abklärung des Betreuungsaufwandes vor Ort etabliert haben ( BGE 128 V 93 E. 4 S. 93 f.; Urteil 9C_802/2018 vom 25. Januar 2019 E. 5.1; vgl. ferner BGE 140 V 453 E. 3.2.1 S. 547 betreffend Hilflosigkeit sowie allgemein: URS MÜLLER, Das Verwaltungsverfahren in der Invalidenversicherung, 2010, Rz. 1611 ff., insb. Rz. 1613). 7.5 7.5.1 Was die dabei erhobenen Ergebnisse anbelangt, hat sich das kantonale Gericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung damit befasst. Dabei hat es auch die vom Beschwerdeführer veranlasste Bedarfsermittlung durch das Kompetenzzentrum für Pflegerecht (D.) einer näheren Prüfung unterzogen. Diese ergab unter Verwendung des Abklärungsinstruments RAI-HC laut vorinstanzlicher Feststellung für den Beschwerdeführer einen Pflegebedarf von 3,53 Stunden pro Tag. Das gründe auf standardisierten (statistischen) Zeitangaben und entspreche nicht dem tatsächlichen (konkreten) Pflegebedarf, BGE 147 V 16 S. 25 wie ihn C. (SAHB) im Beisein der vorerwähnten Beteiligten widerspruchslos erhoben habe. 7.5.2 Im Detail stellte das kantonale Gericht weiter fest, dass der Beschwerdeführer gemäss den SAHB-Erhebungen zwei Mal pro Woche (Dienstag und Freitag) geduscht und an den anderen Tagen gewaschen werde. Für die Morgenroutine habe C. einen Zeitaufwand von 75 Minuten veranschlagt (08:00 bis 09:15 Uhr). Dazu gehöre das Anziehen der Schuhe, der Transfer in den Duschstuhl, das Entkleiden, das Duschen, das Trocknen, die Hautkontrolle und -pflege (Dekubitusprophylaxe und Ekzembehandlung), das Anziehen des Urinal-Kondoms und die Befestigung der Urinalableitung, ferner das Anziehen, der Transfer in den Rollstuhl und die Befestigung der Beinschienen. Die RAI-HC-basierte Abklärung von D. weist demgegenüber gemäss vorinstanzlicher Feststellung folgende Zeiten aus: Duschen: 40 Minuten, An- und Auskleiden: 15 Minuten, Mobilisation in und aus dem Rollstuhl: 15 Minuten, Anlegen des Urinals: 8 Minuten, Ekzem eincrèmen: 5 Minuten, Dekubitusprophylaxe: 10 Minuten, Beinschienen anbringen: 5 Minuten, Anziehen der orthopädischen Schuhe: 5 Minuten. Das ergebe einen Zeitaufwand von 103 Minuten, wobei das Verabreichen des Klistiers alle drei Tage (10 Minuten) noch nicht berücksichtigt sei. Der so ermittelte Zeitaufwand lasse sich - so das kantonale Gericht - nicht mit dem tatsächlichen Zeitplan im Pflegeheim vereinbaren. Laut Stellungnahme von D. vom 5. Dezember 2016 habe sie bei den aufgelisteten Zeiten nicht nur die reine Zeit der jeweiligen Verrichtung einberechnet, sondern den für die Verrichtung als Ganzes benötigten Zeitaufwand; das umfasse bspw. bei der Verabreichung eines Klistiers auch das Entkleiden, die Drehung in Seitenlage und zurück sowie das Ankleiden. Dem hat das kantonale Gericht entgegengehalten, dass bei der Pflege Synergien genutzt würden, sodass etwa das Ent- und Ankleiden nicht bei jeder Verrichtung (Klistier, Eincrèmen von Ekzemen, Urinal-Kondom) mitgerechnet werden müsse. Das erkläre gemäss Vorinstanz unter anderem auch die Unterschiede im erhobenen Zeitaufwand. Der RAI-HC-basiert erhobene Bedarf möge zwar für die einzelnen Verrichtungen korrekt sein, gebe aber im gesamten Kontext nicht die tatsächlichen Verhältnisse wieder. Zudem lägen unerklärliche Abweichungen von der SAHB-Abklärung vor; so habe C. unter Einbezug der Beteiligten zweimaliges wöchentliches Duschen erhoben, sodass nicht einleuchte, weshalb D. von drei Malen ausgehe. BGE 147 V 16 S. 26 7.5.3 Zusammenfassend schloss das kantonale Gericht, dass nicht auf die vom Beschwerdeführer angerufene Bedarfsabklärung von D. abgestellt werden könne. Weder lägen formelle Gründe vor noch bestünden Anhaltspunkte, die gegen den von C. (SAHB) ermittelten Zeitaufwand sprächen. Daher könne von Weiterungen, namentlich von einem Gerichtsgutachten, abgesehen werden. 7.6 Diese Würdigung orientiert sich an den bundesgerichtlichen Vorgaben gemäss Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013, wonach die RAI-HC-basierten Abklärungsergebnisse dann herangezogen werden können, wenn sie eine einzelfallgerechte Lösung ermöglichen (vgl. E. 7.2 oben). Insofern ist das kantonale Gericht mit seinen Erwägungen und insbesondere dem Einbezug des vom Beschwerdeführer präsentierten Gutachtens grundsätzlich korrekt verfahren. Was die konkreten Abklärungsergebnisse und deren vergleichsweise Gegenüberstellung im Einzelnen angeht, hat das kantonale Gericht damit Feststellungen zum Sachverhalt getroffen, die im vorliegenden Verfahren nur auf offensichtliche Unrichtigkeit oder auf Bundesrechtswidrigkeit hin überprüfbar sind (E. 4.1.1 oben). Ersteres wäre vom Beschwerdeführer in einer Weise darzutun, die dem qualifizierten Rügeprinzip ( Art. 106 Abs. 2 BGG ) genügt, was ihm mit seinen Vorbringen nicht gelingt (vgl. nicht publ. E. 4.1.2 oben). Seine Ausführungen zum Duschaufwand und zur Diskrepanz zwischen Abklärungsaufwand und ergänzender Stellungnahme, aber auch zum Beweiswert seines Privatgutachtens erschöpfen sich im Appellatorischen, was rechtsprechungsgemäss nicht ausreicht (Urteile 8C_ 695/2019 vom 18. Dezember 2019 E. 4.3; 8C_199/2019 vom 7. November 2019 E. 9.2.1). Dass das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite der Beweismittel offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hätte (vgl. nicht publ. E. 4.1.2 oben), ist damit wie auch mit seinen weiteren Vorbringen jedenfalls nicht dargetan. Davon abgesehen ist auch nicht ersichtlich, dass es die allgemeinen formalen Anforderungen an den Beweiswert eines Abklärungsberichts (vgl. oben E. 7.4.2 a.E.) verkannt hätte. 7.7 Damit ist nicht abschliessend darüber befunden, wie es sich mit der Frage der Bundesrechtskonformität der getroffenen Feststellungen unter dem Gesichtspunkt des spezifischen Abklärungsbedarfs gemäss Art. 18 Abs. 1 UVV verhält. Das entscheidet sich danach, BGE 147 V 16 S. 27 welche Pflegeleistungen der Beschwerdeführer aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht beanspruchen kann, was zwischen den Parteien umstritten ist. 8. 8.1 Der Beschwerdeführer hält dafür, dass gemäss Art. 18 UVV auch für jene Grundpflegeleistungen aufzukommen sei, die notwendigerweise zu einem medizinischen Pflegekomplex zählten (sogenannte "akzessorische Grundpflege"), was in jedem Einzelfall mit Blick auf die konkret zur Diskussion stehende pflegerische Handlung geprüft werden müsse. Solche grundpflegerischen Massnahmen würden auch im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 lit. d UVG anfallen und seien von Art. 18 UVV erfasst. Als Beispiel einer derartigen "präventiven Grundpflege" sei die Dekubitusprophylaxe zu erwähnen, die gemäss Krankenversicherungsrecht zur Grundpflege gehöre (vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. c Ziff. 1 KLV). Die Beschwerdegegnerin hätte daher nicht nur die Behandlungspflege, sondern auch die "akzessorische" und die "präventive Grundpflege" abklären müssen, was die Vorinstanz zu Unrecht verneint habe, indem sie Grundpflegemassnahmen generell von Art. 18 UVV ausnehme. 8.2 8.2.1 Die einzelnen Sozialversicherer haben, sofern in ihren Bereichen überhaupt eine entsprechende gesetzliche Grundlage besteht, unter dem Titel der Hauspflege nicht für die Gesamtheit dieser Massnahmen aufzukommen, sondern nur so weit, als für die verschiedenen Formen der Hauspflege eine Leistungspflicht gesetzlich oder verordnungsrechtlich normiert ist. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung, in dieser expliziten Form - soweit ersichtlich - seit BGE 116 V 41 E. 5b S. 47 f., und hat seinen Niederschlag (ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des revidierten Krankenversicherungsrechts und des ATSG) auch in jüngeren Urteilen gefunden (vgl. Urteil 9C_200/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 3.2.2). 8.2.2 Vor dem Hintergrund der verschiedenen Sozialversicherungszweige mit je verschiedenen Rechtsgrundlagen erscheint der Begriff der Hauspflege als vielschichtig (vgl. ebenfalls bereits BGE 116 V 41 E. 5a S. 47). Er umfasst zunächst die - weder ambulant noch in einem Spital, sondern eben zu Hause erbrachten - Heilanwendungen mit therapeutischer Zielrichtung, die von einem Arzt oder einer Ärztin vollzogen oder angeordnet werden. Hauspflege ist aber auch die zu Hause stattfindende medizinische Pflege im Sinne der Krankenpflege, der zwar das therapeutische (heilende) Agens fehlt, die BGE 147 V 16 S. 28 aber für die Aufrechterhaltung des Gesundheitszustands doch unerlässlich ist. Das trifft insbesondere auf medizinische Vorkehren im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. d UVG zu (Pflegeleistungen und Kostenvergütungen an einen UVG-Rentenbezüger, wenn dieser erwerbsunfähig ist und sein Gesundheitszustand u.a. vor wesentlicher Beeinträchtigung bewahrt werden kann), die lebensnotwendige organische Funktionen ermöglichen, unterstützen, sichern oder gleichsam ersetzen. Eine dritte Form von Hauspflege bildet die nichtmedizinische Pflege, sei es an der betroffenen Person selber in Form von Hilfeleistungen bei den alltäglichen Lebensverrichtungen, sei es als Hilfestellungen in ihrer Umgebung durch Führung des Haushalts oder Besorgung der alltäglichen Angelegenheiten ( BGE 116 V 41 E. 5a S. 47; Urteil 9C_200/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 3.2.1; vgl. ferner dazu und zum Folgenden: Urteile 8C_896/2009 vom 23. Juli 2010 E. 2.2; U 213/02 vom 18. August 2003 E. 2.2 sowie U 188/02 vom 14. März 2003 E. 2.2). 8.2.3 In Zusammenhang mit Art. 18 Abs. 1 UVV stellte das damalige Eidg. Versicherungsgericht klar, dass von ärztlicher Anordnung im Sinne dieser Bestimmung sinnvollerweise nur bei Vorkehren medizinischen Charakters gesprochen werden kann; nichtmedizinische Betreuung bedarf ihrer Natur nach keiner ärztlichen Anordnung. Diese Einschränkung ist angesichts des weiten Gestaltungsspielraums nach Art. 10 Abs. 3 UVG gesetzmässig. Anderseits gilt es dabei das Erfordernis der ärztlichen Anordnung nicht in einem streng formellen Sinne zu verstehen. Es genügt vielmehr, dass die fraglichen medizinischen Vorkehren, die zu Hause durchgeführt werden, nach der Aktenlage medizinisch indiziert sind ( BGE 116 V 41 E. 5c S. 48). Es sind somit Leistungen der Pflege zu Hause abzugrenzen von der nichtmedizinischen Pflege im Sinne von Hilfeleistungen bei alltäglichen Lebensverrichtungen, Führung des Haushalts, Besorgung der alltäglichen Angelegenheiten usw., die von der Unfallversicherung nicht übernommen werden müssen, was das Bundesgericht in jüngerer Zeit bekräftigt hat (Urteil 9C_200/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 3.3.1; vgl. bereits BGE 116 V 41 E. 5a a.E. S. 47; vgl. ferner RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, UVG, 4. Aufl. 2012, S. 103; KASPAR GEHRING, in: KVG/UVG Kommentar, 2018, N. 20 zu Art. 10 UVG ; HARDY LANDOLT, Behandlungspflege - medizinische Pflege - Grundpflege: ein Abgrenzungsversuch, Pflegerecht 2014 S. 27 ff., insb. S. 32). BGE 147 V 16 S. 29 8.2.4 Im Verhältnis zur Entschädigung für schwere Hilflosigkeit, die dem Beschwerdeführer gemäss Einspracheentscheid vom 14. August 2014 anerkanntermassen ebenfalls zusteht, gilt sodann Folgendes: 8.2.4.1 Rechtsprechungsgemäss erfasst der Begriff der dauernden Pflege, die zusätzlich zur Hilfsbedürftigkeit in allen sechs massgeblichen Lebensverrichtungen verlangt wird ( Art. 38 Abs. 2 UVV ), eine Art medizinische oder pflegerische Hilfeleistung, deren es infolge des physischen oder psychischen Zustandes bedarf. Darunter fällt etwa die Notwendigkeit, täglich Medikamente zu verabreichen oder eine Bandage anzulegen. Ist die (direkte oder indirekte) Dritthilfe bei Vornahme der einzelnen Lebensverrichtungen bereits derart umfassend, dass der weiteren Voraussetzung der dauernden Pflege oder der dauernden persönlichen Überwachung nur noch untergeordnete Bedeutung zukommt, genügt im Rahmen der genannten Vorschrift zur Annahme schwerer Hilflosigkeit bereits die minimale Erfüllung eines dieser zusätzlichen Erfordernisse ( BGE 116 V 41 E. 6b S. 48). Wenn demnach bei manifester Hilfsbedürftigkeit in allen sechs massgeblichen alltäglichen Lebensverrichtungen für die Annahme schwerer Hilflosigkeit die weiteren Erfordernisse der dauernden Pflege (oder Überwachung) nur noch minimal erfüllt sein müssen, bleibt Raum für eine zusätzliche Vergütung im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 UVV , die ihrerseits nicht in einer vollen Übernahme der Pflege, sondern lediglich in einer Beitragsgewährung daran besteht ( BGE 116 V 41 E. 6c S. 49). Im Einzelnen erkannte sodann die Rechtsprechung, dass das Katheterisieren, ebenso das Klopfen und Pressen der Blase durch Drittpersonen, medizinische Vorkehren sind, desgleichen das Anlegen eines Kondoms mit Urinal und das digitale Stuhlausräumen. Denn die richtige Wahl dieser Massnahmen, ihre Abstimmung mit den anderen Vorkehren und ihre fachlich einwandfreie Durchführung sind entscheidend für den Erhalt des prekären Gesundheitszustandes. Unterbleibt dies in der ärztlich empfohlenen Weise, erhöht dies zwangsläufig das Risiko von Harnwegsinfekten und anderen gesundheitlichen Störungen beträchtlich ( BGE 116 V 41 E. 4b S. 46; vgl. auch Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 E. 7.1). 8.2.4.2 Daraus folgt, dass die Grundpflege bzw. die "akzessorische Grundpflege", wie sie beschwerdeweise genannt wird, in der Tat nicht in jedem Fall bereits durch die Hilflosenentschädigung abgedeckt wird. Ob dem so ist oder ob dafür noch eine Leistungspflicht nach BGE 147 V 16 S. 30 Art. 18 Abs. 1 UVV in Frage kommt, lässt sich nicht in allgemeiner Weise generell beantworten, sondern bedarf der einzelfallweisen Prüfung bezogen auf die konkret in Frage stehende pflegerische Handlung (Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 E. 7.2). 8.3 8.3.1 Nach dem Gesagten ergibt sich, dass im Rahmen von Art. 18 UVV Anspruch auf Leistungen besteht, die als medizinisch indiziert gelten. Eine solche Indikation lässt sich bei der Behandlungspflege, im Rahmen der vorstehenden Erwägungen freilich fallweise auch bei Teilen der Grundpflege, bejahen (zu den Begriffen: GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 519 f. Rz. 369 und 371, mit Hinweisen). Die medizinische Ausrichtung ist der Heilbehandlung ( Art. 10 UVG ) inhärent. Sie gilt namentlich auch im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 lit. d UVG , den Heilbehandlungsanspruch nach erfolgter Rentenfestsetzung betreffend, wo schon der Gesetzeswortlaut ausdrücklich von medizinischen Vorkehren ("mesures médicales"; "cure mediche") spricht (vgl. BGE 124 V 52 E. 4 S. 58; aus der jüngeren Rechtsprechung ferner: Urteil 8C_275/2016 vom 21. Oktober 2016 E. 6.1 mit Hinweis auf Urteil U 233/98 vom 19. April 2000). Dazu gehören gemäss ausdrücklichem Gesetzeswortlaut auch solche Vorkehren, die bei einem vollständig erwerbsunfähigen Versicherten (ausschliesslich) vor einer wesentlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands bewahren (vgl. BGE 124 V 52 E. 4 S. 57; KIESER, a.a.O., N. 25 zu Art. 14 ATSG ; vgl. ferner BGE 116 V 41 E. 5a sowie PRIBNOW/EICHENBERGER, in: Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung [UVG], 2018, N. 11 f. zu Art. 21 UVG ). 8.3.2 8.3.2.1 Die damit verbundene Begrenzung der Hauspflege nach Art. 18 UVV auf medizinisch gebotene Pflegevorkehren, unter Ausscheidung der allgemeinen bzw. nicht medizinischen Grundpflege wird - entgegen den beschwerdeweisen Vorbringen - auch im Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 keineswegs in Frage gestellt. Dort geht es ausschliesslich um die Abgrenzung zur Hilflosenentschädigung und die Ergründung der Frage, ob und inwieweit neben der Entschädigung für schwere Hilflosigkeit noch ein Anspruch auf Hauspflege besteht. Dabei ist im Rahmen der gebotenen fallbezogenen Betrachtung hinsichtlich der einzelnen pflegerischen Handlung danach zu fragen, ob ein Konnex zur medizinischen BGE 147 V 16 S. 31 Behandlungspflege besteht bzw. die Zuordnung zu dieser näher liegt als diejenige zu einer alltäglichen Lebensverrichtung (vgl. insb. E. 7.3 und 7.4 des Urteils 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 und die dort beurteilten Vorkehren). 8.3.2.2 Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zwischen diesem Urteil und dem Urteil 9C_200/2018 des Bundesgerichts vom 17. Dezember 2018, wo eine Leistungspflicht des Unfallversicherers für die strittige Grundpflege nichtmedizinischer Art ausgeschlossen wurde. Dies geschah just in expliziter Abgrenzung von derjenigen für medizinische Hauspflege - im Sinne der Behandlungspflege - gemäss Art. 18 Abs. 1 UVV sowie den Pflegeleistungen und Kostenvergütungen gestützt auf Art. 21 Abs. 1 lit. d UVG (vgl. E. 4.1). Dass und inwiefern damit das im Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 Erwogene widerrufen oder übergangen worden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. 8.3.3 Es ist unklar, ob der Beschwerdeführer mit den von ihm erwähnten "akzessorischen" oder "präventiven" Pflegeleistungen eine anders konturierte Kategorie ins Spiel bringt. Soweit er damit auf jene Grundpflegeleistungen abzielt, die - wie beschwerdeweise ausgeführt - notwendigerweise zu einem medizinischen Behandlungskomplex zählten, bleibt offen, was genau dazu gehören soll und ob nicht schon die bisherige Rechtsprechung ihren Einbezug gebieten würde. Eine nähere Konkretisierung in der Beschwerde wäre umso gebotener gewesen, als die Vorinstanz eben gerade auch solche Pflegeleistungen der akzessorischen Grundpflege zuordnet, die "im Anschluss an die Behandlungspflege" anfallen und die - da keiner ärztlichen Anordnung bedürfend - von der medizinischen Pflege auszunehmen seien. An anderer Stelle hält sie fest, dass Verrichtungen, die in den Bereich der nichtmedizinischen Pflege fallen und bereits von der Hilflosenentschädigung abgegolten würden, bei der Aufwanderhebung korrekterweise nicht erhoben wurden. Das kann auf Anhieb Anlass zu Missverständnissen geben. Allerdings lässt die Vorinstanz nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass sie die unter Verweis auf Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV aufgeführten und daselbst ausdrücklich der Grundpflege zugeordneten Pflegeleistungen (Dekubitusprophylaxe, Urinalkondom an- und ausziehen, Mobilisation, Lagern vor dem Schlafen und in der Nacht) ebenfalls als medizinische Pflegemassnahmen taxiert, die von der Leistungspflicht nach Art. 18 UVV erfasst werden. BGE 147 V 16 S. 32 8.3.4 Demnach wäre der Beschwerdeführer gehalten gewesen, nebst der Konkretisierung des Begriffs der akzessorischen Pflegeleistung vor allem darzulegen, welche konkreten Vorkehren bei der Bedarfserhebung oder bei der Festsetzung des Leistungsumfangs in seinem Fall zu Unrecht nicht einbezogen worden seien. Das tut er nicht, obwohl dies erst eine Beurteilung im Lichte der von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze erlauben würde. Stattdessen erschöpfen sich seine Ausführungen in allgemeinen Vorbringen ohne näheren Bezug zum konkreten Fall, dies unter Verwendung einer Terminologie, die ihrerseits unscharf bleibt. Dabei trifft der Vorwurf, dass das kantonale Gericht die Grundpflegeleistungen zu Unrecht generell von der Leistungspflicht des Unfallversicherers ausnehme, insofern nicht zu, als diese "Ausnahme" nach den in dieser Hinsicht klaren vorinstanzlichen Erwägungen nur für diejenige nichtmedizinische Pflege gelten soll, die bereits durch die Hilflosenentschädigung erfasst wird. Im Übrigen hat das kantonale Gericht - wie soeben gezeigt - keineswegs verkannt, dass im Rahmen von Art. 18 UVV auch Massnahmen der Grundpflege zu berücksichtigen sind, die sich heute im Leistungskatalog gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. c KLV aufgeführt finden. Solche Vorkehren sind denn auch im Fall des Beschwerdeführers anerkannt worden. Daher wäre anhand einzelner Beispiele beschwerdeweise darzutun, welche Aspekte der Grundpflege zu Unrecht ausser Acht bzw. nicht der medizinischen Pflege zugeschlagen wurden; oder inwiefern im Hinblick auf die normative Bewertung des von der SAHB erhobenen Abklärungsbedarfs korrigierend einzugreifen wäre (vgl. Urteil 8C_ 1037/2012 vom 12. Juli 2013 E. 5.2.3). Vor dem Hintergrund der unterbliebenen diesbezüglichen Substanziierung stossen auch die weiteren Vorbringen in der Beschwerde ins Leere: Dass und inwieweit das nach BGE 116 V 41 in Kraft getretene KVG und die Prioritätenordnung gemäss Art. 64 Abs. 2 ATSG anderes verlangen würden oder weshalb eine Überversicherungsberechnung durchzuführen wäre, erschliesst sich nicht. Genauso unklar bleibt, was hier eine staatsvertragskonforme Auslegung von Art. 18 UVV bezüglich der getroffenen Abklärung zur Folge hätte (vgl. Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 [EOSS; SR 0.831.104]; Übereinkommen Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom 28. Juni 1952 über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit [SR 0.831.102]; vgl. Botschaft vom 30. Mai 2008 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung, BBl 2008 5412 Ziff. 2.1.3.1). BGE 147 V 16 S. 33 8.3.5 Nach diesen Erwägungen ist weder dargetan noch ohne Weiteres ersichtlich, dass die im vorliegenden Fall von der Beschwerdegegnerin veranlasste Abklärung des Pflegebedarfs in Verletzung von Bundesrecht erfolgt wäre. Dementsprechend besteht auch kein Grund zur Annahme, dass das kantonale Gericht bundesrechtswidrige Feststellungen getroffen hätte, weshalb von Weiterungen im Beweis, namentlich von der beantragten Begutachtung, abgesehen werden kann. 9. 9.1 Der Beschwerdeführer beanstandet schliesslich die Abgeltung der anerkannten Leistung im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 UVV im Umfang von Fr. 65.40 für Behandlungspflege sowie von Fr. 54.60 für Grundpflege. Wegen des Naturalleistungsprinzips sei der obligatorische Unfallversicherer gehalten, die versicherten Pflegeleistungen selber zu erbringen oder die tatsächlich anfallenden Kosten zu übernehmen. Da die im angefochtenen Entscheid erwähnten Ansätze dem krankenversicherungsrechtlichen Beitrag entsprächen, würden damit nicht die tatsächlichen Vollkosten abgedeckt. Art. 25a KVG , wonach der Krankenversicherer nur noch einen Beitrag an die Kosten der versicherten Pflegeleistungen zu erbringen habe, gelte für den Unfallversicherer nicht. Dieser habe die gesamten Kosten zu übernehmen, entweder gemäss Tarifvertrag oder in Anlehnung an die kantonalen Vorgaben für die Festlegung der Höhe der Pflegekosten. 9.2 Soweit er im gleichen Zug auch die im Rahmen von Art. 18 Abs. 2 UVV erfolgte Abgeltung bemängelt, ist darauf nicht einzutreten (nicht publ. E. 5.4 oben). 9.3 9.3.1 Was die Vergütung nach Art. 18 Abs. 1 UVV angeht, trifft es zu, dass bezüglich Heilbehandlung das Naturalleistungsprinzip gilt (vgl. Urteile 8C_560/2018 vom 17. Mai 2019 E. 2.1.2; 8C_126/ 2017 vom 5. September 2017 E. 1.1; FRÉSARD/MOSER-SZELESS, Unfallversicherungsrecht, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 3. Aufl. 2016, S. 968 Rz. 196). Das bedeutet zunächst, dass der Unfallversicherer - wenn er die Leistung nicht selbst erbringt - Schuldner gegenüber dem Leistungserbringer ist ( BGE 144 V 418 E. 3.1 S. 421; Urteil I 302/01 vom 16. April 2002 E. 3b; KIESER, a.a.O., N. 15 zu Art. 14 ATSG ; ALEXIA HEINE, in: Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung BGE 147 V 16 S. 34 [UVG], 2018, N. 7 zu Art. 10 UVG ). In der Konsequenz ginge mit der damit verbundenen Wahlmöglichkeit eine Verpflichtung zur vollständigen Abgeltung einher. 9.3.2 Gemäss Art. 10 Abs. 3 UVG in der hier anwendbaren Fassung wird dem Verordnungsgeber die Kompetenz eingeräumt, die Leistungspflicht der Versicherung näher zu umschreiben und festzulegen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Versicherte Anspruch auf Hauspflege hat (vgl. nicht publ. E. 3.2 oben). Damit verfügt er über einen weiten Gestaltungsspielraum ( BGE 116 V 41 E. 5b S. 48; Urteil 9C_200/2018 vom 17. Dezember 2018 E. 3.3.1). Davon hatte er unter anderem in der Weise Gebrauch gemacht, dass die ursprüngliche Fassung von Art. 18 Abs. 1 UVV lediglich die Ausrichtung von Beiträgen an die ärztlich angeordnete Hauspflege und deren Festsetzung durch Tarifvereinbarung vorsah (vgl. BGE 116 V 41 E. 2b S. 44 sowie MAURER, a.a.O., S. 285). Demgegenüber lautet die hier massgebliche Fassung anders, indem die versicherte Person Anspruch auf eine ärztlich angeordnete Hauspflege hat (vgl. nicht publ. E. 3.2 oben; Fassung gemäss Ziff. I der Verordnung vom 20. September 1999, in Kraft seit 1. Januar 2000 [AS 1999 2879]). Mithin ist darin nicht mehr nur von Beiträgen die Rede, sondern es wird ein unlimitierter Anspruch begründet. 9.3.3 Weshalb das Bundesgericht im Urteil 8C_1037/2012 vom 12. Juli 2013 in E. 7.1 ohne weitere Ausführungen, unter Hinweis auf BGE 116 V 41 E. 6c S. 49, erwog, dass die Vergütung im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 UVV nicht in einer vollen Übernahme der Pflege, sondern lediglich in einer Beitragsgewährung bestehe, leuchtet darum nicht ein. Gründe für eine Abweichung vom klaren Verordnungstext sind nicht ersichtlich; solche ergeben sich nicht aus der Abgrenzung gegenüber der Hilflosenentschädigung oder aus dem Umstand, dass das Erfordernis der ärztlichen Anordnung nicht in einem streng formellen Sinn verstanden wird. Daran kann zufolge besserer Einsicht folglich nicht festgehalten werden, womit im Rahmen des Art. 18 Abs. 1 UVV in der hier anwendbaren Fassung - über Art. 25a Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. i KVV (SR 832.102) und Art. 7a KLV hinaus (vgl. BGE 142 V 94 E. 1 S. 98 f.; BGE 138 V 377 E. 5.1 S. 381; vgl. ferner EUGSTER, a.a.O., S. 761 f. Rz. 1186 und 1188) - die gesamten Kosten des fallweise erhobenen Bedarfs abzugelten sind (vgl. KIESER/LANDOLT, Unfall - Haftung - Versicherung, 2011, S. 447 Rz. 1344). Demnach kann es mit den von der Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall verwendeten BGE 147 V 16 S. 35 Ansätzen gemäss Art. 7a Abs. 1 KLV (in Verbindung mit Art. 25a Abs. 1 KVG ) nicht sein Bewenden haben. 9.4 Unter diesen Umständen ist die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie die Kostenvergütung für die strittige Hauspflege im Rahmen von Art. 18 Abs. 1 UVV auf der Grundlage des bereits erhobenen Zeitbedarfs neu festlege. Dabei wird sie sich grundsätzlich an den einschlägigen Tarifen und allfälligen kantonalrechtlichen Vorgaben zu orientieren haben. Falls dabei zugleich die Verhältnisse nach dem 1. Januar 2017 in den Blick gelangen, sei hier nochmals an das oben Erwogene (vgl. nicht publ. E. 3.1 a.E.) erinnert.
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Sachverhalt ab Seite 13 BGE 141 III 13 S. 13 A. A.a Le 22 décembre 2008, B.B., domiciliée à V., a déposé une requête unilatérale en divorce contre C.B., actuellement domicilié à X. L'époux ayant consenti au divorce, la procédure est pendante uniquement sur les effets accessoires du divorce. Les époux, tous deux citoyens russes, sont parents de A., née en 1989, qui vit également à X. A.b Par ordonnance sur mesures provisionnelles du 20 mars 2012, le Tribunal de première instance du canton de Genève a donné acte à C.B. de son engagement de ne pas disposer, ni d'engager au sens de l' art. 646 al. 3 CC , sauf jugement contraire ou accord exprès de son épouse, de ses parts de copropriété sur les biens immobiliers situés sur les parcelles n° w de la Commune de U. et n os x et y de la Commune de V. Il y a été condamné en tant que de besoin. Le Tribunal de première instance a ordonné au conservateur du Registre BGE 141 III 13 S. 14 foncier de mentionner cette restriction audit registre. Cette ordonnance n'a toutefois pas été communiquée au Registre foncier et aucune mention n'a été apportée sur les feuillets ad hoc. B. B.a Par acte authentique du 3 juin 2013, C.B. a fait donation à sa fille A., à titre d'avance d'hoirie, de ses parts de copropriété sur les parcelles n os z, x et y de la Commune de V. B.b Le 5 juin 2013, A. a requis l'inscription de cette donation au Registre foncier. Sa réquisition a été inscrite au journal et publiée dans la Feuille d'avis officielle du 14 juin 2013. B.c Par courrier du 17 juin 2013 de son mandataire, B.B. s'est opposée à l'inscription requise par sa fille au Registre foncier. B.d Par décision du 2 juillet 2013, le Registre foncier a rejeté la réquisition de A. tendant à son inscription en tant que propriétaire des droits cédés par son père, à défaut de consentement de B.B., épouse de C.B. et copropriétaire avec celui-ci des parcelles en cause. C. C.a Parallèlement, par ordonnance de mesures superprovisionnelles du 17 juin 2013 rendue à la requête de B.B., le Tribunal de première instance a ordonné le blocage auprès du conservateur du registre foncier de Genève des parts de copropriété sur les parcelles n os x, y et z de la Commune de V. appartenant à C.B. C.b Par ordonnance de mesures provisionnelles du 20 novembre 2013, le Tribunal de première instance a ordonné au conservateur du Registre foncier de procéder à la mention de blocage sur les feuillets relatifs aux parcelles n os x, y et z de la Commune de V. et a dit que celle-ci déploierait ses effets jusqu'à droit jugé dans la procédure de divorce. D. Statuant le 18 février 2014 sur le recours formé par A. contre la décision du 2 juillet 2013 du Registre foncier, la Cour de justice du canton de Genève a rejeté le recours et confirmé la décision querellée. E. Par acte du 21 mars 2014, A. forme un recours en matière civile au Tribunal fédéral contre cette décision concluant principalement à l'annulation de la décision entreprise ainsi qu'à l'annulation de la décision du Registre foncier du 2 juillet 2013 rejetant la réquisition de l'inscrire en tant que propriétaire des droits cédés par son père, à savoir comme copropriétaire pour moitié des parcelles n os x, y et z BGE 141 III 13 S. 15 de la Commune de V., et qu'il soit ordonné à l'Office du registre foncier de Genève de l'inscrire en tant que telle; subsidiairement, elle requiert qu'il soit ordonné au Registre foncier de mettre en suspens jusqu'à droit jugé quant à la procédure de divorce opposant ses parents la réquisition de l'inscrire comme copropriétaire desdits droits. A l'appui de ses conclusions, elle invoque la constatation arbitraire des faits, la violation de son droit d'être entendue et semble en outre alléguer une violation, respectivement une application erronée, de l' art. 57 LDIP et des art. 178, 201 al. 2 et 204 al. 2 CC. Invités à se déterminer, la Cour de justice s'est référée aux considérants de sa décision et le Registre foncier a conclu au rejet du recours. La recourante a répliqué le 19 novembre 2014. (...) G. Le 18 décembre 2014, le Tribunal fédéral a délibéré sur le recours en séance publique. Il l'a rejeté par arrêt du même jour. (extrait)
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Erwägungen Extrait des considérants: 4. 4.1 Sauf dans certains cas particuliers non pertinents en l'espèce, l'inscription au registre foncier est nécessaire pour l'acquisition de la propriété foncière ( art. 656 al. 1 CC ). Constitutive, l'inscription s'opère sur déclaration écrite du propriétaire de l'immeuble auquel se rapporte son objet ( art. 963 al. 1 CC ; PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, tome II, 4 e éd. 2012, n. 1539 ss et les références; HERMANN LAIM, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. II, 4 e éd. 2011, n os 10 ss ad art. 656 CC ; cf. ATF 135 III 585 consid. 2.1). Le pouvoir d'examen du conservateur du registre foncier se limite principalement à un examen formel. Il ne peut procéder à aucune opération sans légitimation préalable du requérant quant à son droit de disposition et au titre sur lequel se fonde l'opération ( art. 965 al. 1 CC ). La réquisition doit être écartée si la légitimation fait défaut ( art. 966 al. 1 CC ). S'agissant du titre d'acquisition, son contrôle porte avant tout sur l'observation des formes auxquelles la validité de l'acte est subordonnée ( art. 965 al. 3 CC ). En principe, le conservateur ne doit pas examiner la validité matérielle du titre d'acquisition, à moins que le défaut soit manifeste ( ATF 124 III 341 consid. 2b p. 344; arrêt 5A.14/2001 du 29 janvier 2002 consid. 3; PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, tome I, 5 e éd. 2012, n. 849 ss). Ainsi, des questions de droit matériel ne peuvent pas être revues dans le cadre de la BGE 141 III 13 S. 16 procédure de recours de l' art. 956a CC ( ATF 124 III 341 consid. 2b p. 344 concernant le recours selon les anciens art. 101 ss ORF ). Aux termes de l'art. 46 al. 1 de l'ordonnnance du 23 septembre 2011 sur le registre foncier (ORF; RS 211.432.1), l'office du registre foncier n'opère d'inscription que sur réquisition. La réquisition ne peut être subordonnée à aucune condition ni réserve ( art. 47 al. 1 ORF ). L'office du registre foncier vérifie que les conditions légales de l'inscription au grand livre sont réunies sur la base des autres pièces justificatives accompagnant la réquisition ( art. 83 al. 1 ORF ). Il contrôle ainsi notamment le droit de disposer de la personne qui présente la réquisition ( art. 83 al. 2 let . c ORF) et les autorisations et les consentements nécessaires, pour s'assurer qu'ils ont été produits ( art. 83 al. 2 let. i ORF ). L' art. 51 al. 2 ORF prévoit en outre que les pièces justificatives accompagnant la réquisition d'inscription doivent contenir les indications permettant d'apprécier si le consentement du conjoint est nécessaire pour disposer de l'immeuble. Lorsque les conditions de l'inscription au grand livre ne sont pas remplies, l'office du registre foncier rejette la requête ( art. 87 al. 1 ORF ). Il peut toutefois fixer un bref délai au requérant pour produire les pièces justificatives manquantes, à l'échéance duquel il rejettera la requête si le défaut n'est pas réparé ( art. 87 al. 2 ORF ). 4.2 Aux termes de l' art. 201 al. 2 CC , lorsqu'un bien appartient en copropriété aux deux époux, aucun d'eux ne peut, sauf convention contraire, disposer de sa part sans le consentement de l'autre. Cette disposition est applicable aux époux soumis au régime ordinaire de la participation aux acquêts. L' art. 201 al. 2 CC introduit uniquement une restriction du pouvoir de disposer de l'époux qui est copropriétaire avec son conjoint. Cette interdiction n'a donc pas d'effet sur la capacité de l'époux copropriétaire de conclure un acte générateur d'obligations relatif à sa part de copropriété mais uniquement sur l'acte de disposition qui s'ensuit. Ainsi, le contrat sur lequel se fonde le transfert de propriété n'est pas nul du fait de l'absence de consentement. En revanche, l'acte ne pourra pas être exécuté valablement si le conjoint n'y consent pas (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, 1992, n° 29 ad art. 201 CC ; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, in Personen- und Familienrecht inkl. Kindes- und Erwachsenenschutzrecht, in Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 2 e éd. 2012, n° 7 ad art. 201 CC ). BGE 141 III 13 S. 17 4.3 Dans le cas d'espèce, il n'est pas contesté que les époux B. étaient, du moins avant le dépôt de la requête en divorce, soumis au régime matrimonial de la participation aux acquêts en application des art. 54 al. 1 let. b LDIP (RS 291) et 181 CC, de sorte que la restriction au pouvoir de disposer prévue par l' art. 201 al. 2 CC leur était en principe applicable. L' art. 204 al. 2 CC dispose cependant, qu'en cas de divorce, la dissolution du régime ordinaire rétroagit au jour de la demande. Cette formulation ambiguë a donné lieu à diverses interprétations en doctrine (cf. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op. cit., n os 27 ss ad art. 204 CC ). Certains auteurs estiment que les époux sont soumis au régime de la séparation de biens dès le dépôt de la demande en divorce, pour autant qu'elle ne soit pas ensuite rejetée ou abandonnée, et ce autant dans leurs rapports juridiques internes qu'à l'égard des tiers (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op. cit., n o 35 ad art. 204 CC ; DESCHENAUX/STEINAUER/BADDELEY, Les effets du mariage, 2 e éd. 2009, n. 1141b; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, in Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, vol. I, 4 e éd. 2010, n° 13 ad art. 204 CC ; PAUL-HENRI STEINAUER, in Commentaire romand, Code civil, vol. I, 2010, n° 12 ad art. 204 CC ). Une autre solution proposée consiste à retenir que la dissolution du régime ordinaire intervient seulement lorsque le prononcé de divorce entre en force, de sorte que l'effet rétroactif au jour du dépôt de la demande prévu par l' art. 204 al. 2 CC n'a d'effets que pour les rapports juridiques entre les époux (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, op. cit., n o 29 ad art. 204 CC ). Dans la première hypothèse, défendue par la recourante, les époux sont soumis au régime de la séparation de biens à compter du dépôt de la requête en divorce, ce qui entraîne la suppression de l'interdiction de disposer sans le consentement du conjoint prévue par l' art. 201 al. 2 CC dès cette date. Ceci vaut toutefois uniquement pour autant que le divorce soit ensuite prononcé et entre en force, à défaut de quoi les actes de disposition accomplis sans le consentement requis entre le moment où la litispendance a été créée et le prononcé de divorce doivent être rectifiés, l'effet rétroactif prévu par l' art. 204 al. 2 CC n'étant dès lors plus applicable. En revanche, dans la seconde hypothèse évoquée les époux restent soumis au régime de la participation aux acquêts durant la procédure de divorce et l'interdiction de disposer de l' art. 201 al. 2 CC continue à déployer ses effets à l'égard des tiers également durant cette période. 5. Comme exposé précédemment (cf. supra consid. 4.1), le pouvoir d'examen du conservateur du registre foncier est limité. En effet, il BGE 141 III 13 S. 18 ne lui appartient pas de trancher une question de droit matériel, controversée en doctrine, pour déterminer si le consentement de l'époux copropriétaire est encore nécessaire une fois la procédure de divorce pendante. Lorsque le conservateur est confronté à un acte de disposition portant sur une part de copropriété, qu'il constate que les copropriétaires sont mariés, que l'autre époux n'a pas consenti audit acte et qu'il a des doutes quant à la nécessité du consentement de l'époux copropriétaire, il ne viole pas le droit fédéral en procédant au rejet de la demande d'inscription (voir aussi l'arrêt 5C.13/1999 du 23 mars 2000 consid. 3a). En effet, alors que l'exigence du consentement de l' art. 201 al. 2 CC est claire, reconnaissable à la simple lecture de la loi, et ne souffre aucune interprétation, la portée de la rétroactivité de l' art. 204 al. 2 CC est controversée. En fondant sa disposition uniquement sur l'absence de consentement de l'épouse, le conservateur a par conséquent fait, à titre préjudiciel, un choix non critiquable en tant qu'il a ainsi exprimé l'idée selon laquelle il n'a pas à interpréter la loi civile et en l'occurrence l' art. 204 al. 2 CC dans son examen (cf. dans le même sens: ATF 117 II 541 consid. 3). Il s'ensuit que la décision attaquée peut être confirmée par substitution de motifs. Le sort du recours est ainsi scellé sans qu'il soit nécessaire de se prononcer sur le bien-fondé de la conclusion subsidiaire de la recourante tendant à "mettre en suspens" la réquisition d'inscription jusqu'à droit jugé quant à la procédure de divorce opposant ses parents. Il suffit de rappeler à cet égard, comme le fait à juste titre la conservatrice dans sa réponse du 4 novembre 2014 au présent recours, que le registre foncier a pour but de donner l'état des droits en relation avec des immeubles, de sorte qu'il serait contraire au principe de la foi publique du registre foncier d'accepter de suspendre pour une durée indéterminée l'inscription d'un transfert de propriété. En effet, lorsque les conditions de l'inscription au grand livre ne sont pas remplies, l'office du registre foncier doit rejeter la requête ( art. 87 al. 1 ORF ). Il ne peut "suspendre" l'inscription que dans certains cas particuliers. Ainsi, l' art. 966 al. 2 CC permet au conservateur de procéder à une inscription provisoire dans l'attente que la légitimation soit complétée; de même, l' art. 87 al. 2 ORF , lui, permet de fixer un bref délai au requérant lorsque certaines pièces justificatives nécessaires à sa légitimation sont manquantes, la doctrine considérant toutefois que le requérant n'a pas un droit à obtenir la suspension dans un tel cas (PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels, tome I, op. cit., n. 856d et la référence citée). Or, BGE 141 III 13 S. 19 indépendamment de la question de savoir si le problème qui se pose en l'espèce relève d'un défaut de légitimation visé par l' art. 966 al. 2 CC , ici, seule une inscription définitive a été requise par la recourante. Par ailleurs, même si l'office peut différer sa décision et impartir un délai pour demander l'inscription provisoire, il ne viole cependant pas le droit fédéral en optant pour le rejet de la réquisition. Un autre cas de "suspension" est le sursis à la procédure d'inscription à proprement parler prévu par l' art. 88 ORF . Cette disposition précise toutefois que le conservateur doit surseoir à l'inscription au grand livre uniquement lorsqu'un acte législatif fédéral le prévoit (comme par exemple l'art. 81 de la loi fédérale du 4 octobre 1991 sur le droit foncier rural [LDFR; RS 211.412.11] et l'art. 18 de la loi fédérale du 16 décembre 1983 sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger [LFAIE; RS 211.412.41]). Ceci n'est manifestement pas le cas en l'espèce, de sorte que la conclusion subsidiaire du recours devrait de toute évidence également être rejetée.
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Sachverhalt ab Seite 10 BGE 147 IV 9 S. 10 A. Mit Strafbefehl vom 16. Mai 2017 wirft die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland A. zusammengefasst vor, er habe am 25. April 2015 an der unbewilligten Kundgebung "B." in Bern teilgenommen. Zu dieser hätten sich ungefähr 300 Personen versammelt. Auf dem Bundesplatz seien diverse Reden gehalten worden und es sei zu Sachbeschädigungen an den Bauabschrankungen rund um die Bank C. gekommen. Bei der Filiale der Bank D. am Bahnhofplatz, beim Hotel E., beim Coiffeur F. am Bollwerk und am Kopf der Lorrainebrücke sei es zu weiteren Sachbeschädigungen durch Sprayereien gekommen. Der Demonstrationszug sei nach aussen als geeinte Menge aufgetreten und von einer die Friedensordnung bedrohenden Grundhaltung getragen worden, bei der mit vereinten Kräften Sachbeschädigungen verübt worden seien. Die vermummten Sprayer seien von den übrigen Kundgebungsteilnehmern wiederholt im Umzug versteckt worden, um sie so einer Kontrolle der Polizei zu entziehen. A. habe eine aktive Rolle gespielt und während des Umzugs Flugblätter verteilt. Die Staatsanwaltschaft erklärte A. des Landfriedensbruchs schuldig und belegte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 30.-. A. erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft hielt daran fest und überwies die Akten dem erstinstanzlichen Gericht. B. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach A. am 3. September 2018 des Landfriedensbruchs schuldig. Von einer Bestrafung nahm es in Anwendung von Art. 52 StGB Umgang. Auf Berufung von A. hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 10. April 2019 das regionalgerichtliche Urteil. BGE 147 IV 9 S. 11 C. A. beantragt, das Urteil des Obergerichts sei vollumfänglich aufzuheben und zu neuer Entscheidung an dieses zurückzuweisen. Eventualiter sei er vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freizusprechen. D. Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern verzichten auf Vernehmlassung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. (...) 1.3 Art. 141 Abs. 2 StPO zufolge dürfen Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. 1.3.1 Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel sind nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Bei der Interessenabwägung ist derselbe Massstab wie bei staatlich erhobenen Beweisen anzuwenden. Die Verwertung ist damit nur zulässig, wenn dies zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist ( BGE 146 IV 226 E. 2; Urteil 6B_902/2019 vom 8. Januar 2020 E. 1.2; je mit Hinweisen). Als schwere Straftaten im Sinne des Gesetzes fallen vorab Verbrechen in Betracht ( BGE 146 I 11 E. 4.2; BGE 137 I 218 E. 2.3.5.2; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 13 zu Art. 141 StPO ). Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse der beschuldigten Person an der Unverwertbarkeit des fraglichen Beweises ( BGE 131 I 272 E. 4.1.2 S. 279; BGE 130 I 126 E. 3.2; je mit Hinweisen). 1.3.2 Das Erstellen von Aufnahmen im öffentlichen Raum, auf denen Personen erkennbar sind, stellt ein Bearbeiten von Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. a und lit. e des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) dar (vgl. BGE 138 II 346 E. 6.5). Gemäss Art. 4 Abs. 2 DSG hat ihre Bearbeitung nach Treu und Glauben zu erfolgen und muss verhältnismässig sein. Art. 4 Abs. 4 DSG bestimmt, dass die Beschaffung von BGE 147 IV 9 S. 12 Personendaten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung für die betroffene Person erkennbar sein muss. Die Missachtung dieses Grundsatzes stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar ( Art. 12 Abs. 2 lit. a DSG ). Eine Persönlichkeitsverletzung im Sinne von Art. 12 DSG ist laut Art. 13 Abs. 1 DSG widerrechtlich, wenn kein Rechtfertigungsgrund - namentlich ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse - vorliegt. Bei der Frage, ob ein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 13 Abs. 1 DSG vorliegt, ist eine Abwägung zwischen den Interessen des Datenbearbeiters und denjenigen der verletzten Person vorzunehmen. Bei der Frage der strafprozessualen Verwertbarkeit eines Beweismittels sind hingegen der Strafanspruch des Staates und der Anspruch der beschuldigten Person auf ein faires Verfahren in erster Linie entscheidend; die Interessen des privaten Datenbearbeiters treten dabei zurück ( BGE 146 IV 226 E. 3 mit Hinweisen). 1.4 1.4.1 Die Vorinstanz qualifiziert die Videoaufnahmen wie der Beschwerdeführer als von Privaten rechtswidrig erlangte Beweismittel. Der Beschwerdeführer weist im Hinblick auf die Frage der hypothetischen Erreichbarkeit darauf hin, diese könne offen bleiben, da vorliegend die Verwertbarkeit der fraglichen Videos bereits an der Voraussetzung der Tatschwere scheitere. Er rügt damit zumindest nicht rechtsgenügend, dass diese Beweismittel durch die Strafverfolgungsbehörden nicht rechtmässig hätten erlangt werden können (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG ). Demzufolge bleibt in Bezug auf die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen zu prüfen, ob die Interessenabwägung für oder gegen eine solche spricht, mithin ob die Tat des Beschwerdeführers als eine schwere Tat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO zu qualifizieren ist. 1.4.2 Der Gesetzgeber verzichtete darauf, schwere Straftaten im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO zu definieren. Das Bundesgericht klärte bisher nicht abschliessend, was generell unter diesem Begriff zu verstehen ist (vgl. Urteil 6B_287/2016 vom 13. Februar 2017 E. 2.4.4). Auch in der Lehre finden sich keine Vorschläge für eine Definition und die Ansichten gehen auseinander. Einige Autoren nehmen an, dass ausschliesslich mit Freiheitsstrafe bedrohte Tatbestände schwere Straftaten seien (WOLFGANG WOHLERS in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 21a zu Art. 141 StPO ; SABINE GLESS, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, BGE 147 IV 9 S. 13 2. Aufl. 2014, N. 72 zu Art. 141 StPO ; LEU/STÜCKELBERGER, forum poenale 2020 S. 138). Demnach kämen Vergehen von vornherein nicht in Betracht und lediglich Verbrechen, die nicht zusätzlich mit Geldstrafe bedroht werden, stellten schwere Straftaten dar. Auch die Ansicht, es kämen nur Extremfälle oder Straftaten mit hoher Mindeststrafe in Betracht, wird vertreten (vgl. MARK PIETH, Schweizerisches Strafprozessrecht, 3. Aufl. 2016, S. 195), womit ein ungeklärter Begriff indessen bloss mit ebensolchen ersetzt würde. Laut anderen Lehrmeinungen seien schwere Straftaten sodann einzig solche, die in gewissen Deliktskatalogen der Strafprozessordnung genannt werden (MOREILLON/PAREIN-REYMOND, a.a.O., N. 13 zu Art. 141 CPP; DONATSCH/CAVEGN, Ausgewählte Fragen zum Beweisrecht nach der Schweizerischen Strafprozessordnung, ZStrR 126/2008 S. 166). Ein auf der abstrakten Höchststrafe basierender Ansatz überzeugt insbesondere deshalb nicht, weil der Gesetzgeber in Art. 141 Abs. 2 StPO explizit den Begriff schwere Straftaten (infractions graves, gravi reati) und nicht wie in zahlreichen weiteren Bestimmungen der Strafprozessordnung die in Art. 10 StGB anhand der angedrohten Höchststrafe bestimmten Begriffe Verbrechen oder Vergehen (crimes et délits, crimini e delitti) verwendet. Auch einen Deliktskatalog sieht er in Art. 141 StPO im Gegensatz etwa zu Art. 168 Abs. 4 lit. a StPO , Art. 172 Abs. 2 lit. b StPO , Art. 269 Abs. 2 StPO oder Art. 286 Abs. 2 StPO gerade nicht vor. Überzeugender ist die Lehrmeinung, wonach nicht generell gewisse Tatbestände und deren abstrakte Strafandrohungen, sondern die gesamten Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen sind (vgl. JÉRÔME BÉNÉDICT, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, Jeanneret/Kuhn/Perrier Depeursinge [Hrsg.], 2. Aufl. 2019, N. 25 zu Art. 141 CPP). Zwar kann ein Abstellen auf abstrakt angedrohte Strafen oder abschliessende Deliktskataloge die Prüfung der Verwertbarkeit von Beweismitteln erleichtern. Eine solche vom Gesetzgeber wie dargelegt nicht beabsichtigte und starre Entscheidfindung würde jedoch überdies dazu führen, dass im Einzelfall leichte Verbrechen anders behandelt würden als schwerwiegende Vergehen, obwohl die konkrete Strafe für Letztere um ein Vielfaches höher ausfallen kann. Dies stünde im Widerspruch mit dem vom Gesetzgeber gewollten Grundsatz der Individualisierung und dem weiten Ermessensspielraum des Sachgerichts bei der Strafzumessung (vgl. BGE 141 IV 61 E. 6.3.2 S. 69; BGE 135 IV 191 E. 3.1), anlässlich welcher die Schwere der Tat zu bewerten ist. Das Sachgericht muss BGE 147 IV 9 S. 14 den konkreten Umständen Rechnung tragen können. Entscheidend ist deshalb nicht das abstrakt angedrohte Strafmass, sondern die Schwere der konkreten Tat. Dabei kann auf Kriterien wie das geschützte Rechtsgut, das Ausmass dessen Gefährdung resp. Verletzung, die Vorgehensweise und kriminelle Energie des Täters oder das Tatmotiv abgestellt werden (vgl. BGE 142 IV 289 E. 2.3; BGE 141 IV 459 E. 4.1 S. 462; je mit Hinweisen). 1.4.3 Der Tatbestand des Landfriedensbruchs ist ein Vergehen ( Art. 260 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 10 Abs. 3 StGB ). Die abstrakte Qualifikation ist jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht ausschliessliches Kriterium zur Beurteilung, ob eine schwere Straftat nach Art. 141 Abs. 2 StPO vorliegt (vgl. E. 1.3.1 hiervor, wonach als schwere Straftaten lediglich vorab Verbrechen in Betracht fallen). Landfriedensbruch als kollektive Gewalttätigkeit verletzt die bestehende, öffentliche Friedensordnung und das Vertrauen in deren Bestand ( BGE 145 IV 433 E. 3.5.3 S. 436; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, § 38 N. 20; je mit Hinweisen). Dabei handelt es sich um gewichtige Rechtsgüter. Hinzu kommt, dass der Tatbestand des Landfriedensbruchs den Beweisschwierigkeiten Rechnung trägt, die sich bei diesem Massendelikt ergeben können (Urteil 6B_862/2017 vom 9. März 2018 E. 1.3.2; GERHARD FIOLKA, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 6 zu Art. 260 StGB ; TRECHSEL/VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 6 zu Art. 260 StGB ; DONATSCH/THOMMEN/WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 5. Aufl. 2017, S. 191 f.; STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O.; je mit Hinweisen; Sten. Bull. 1921 N 773 [Votum Häberlin]). Diese durch den materiellen Tatbestand von Art. 260 StGB bezweckte prozessuale Entlastung steht dem potentiellen Ansinnen insbesondere derjenigen Täter, deren Handlung über eine einfache Teilnahme am Landfriedensbruch hinausgeht, in der Anonymität der öffentlichen Zusammenrottung unerkannt zu bleiben und sich auf eine Unverwertbarkeit von Videoaufnahmen berufen zu können, entgegen. Das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung und der Verwertbarkeit von Beweismitteln wiegt bezogen auf diesen Tatbestand folglich grundsätzlich schwer, insbesondere weil es in dessen Rahmen zu schwerwiegenden Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen kommen kann. BGE 147 IV 9 S. 15 1.4.4 Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz für die Bewertung der Schwere der Tat die Umstände der Demonstration als solche und nicht bloss das isolierte Verhalten des Beschwerdeführers resp. dessen blosse Teilnahme und individuellen Tatbeitrag am Landfriedensbruch als massgebend erachtet. Denn den Tatbestand von Art. 260 StGB erfüllt auch derjenige, welcher an der Zusammenrottung lediglich teilnimmt, ohne selbst Gewalttätigkeiten zu begehen und für die Erfüllung dieser objektiven Strafbarkeitsbedingung reicht es aus, dass ein einzelner Teilnehmer solche Handlungen verübt, sofern sie als von der die öffentliche Ordnung bedrohenden Grundstimmung der Zusammenrottung getragen wird (vgl. BGE 124 IV 269 E. 2b S. 271 mit Hinweisen). Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer kein aktiver Beitrag an Gewalttätigkeiten vorgeworfen wird und die Vorinstanzen in Anwendung von Art. 52 StGB von einer Bestrafung Umgang nahmen, ist bei der Beurteilung seines Verschuldens im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Für die Frage, ob mit dem Landfriedensbruch eine schwere Straftat im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO vorliegt und für die Interessenabwägung ist das Ausmass seines individuellen Tatbeitrags hingegen nicht entscheidend. Die konkrete Beteiligung des Beschwerdeführers lässt sich denn auch erst abschliessend beurteilen, nachdem über die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen entschieden wurde. Im Ergebnis verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, indem sie den vorliegenden Landfriedensbruch als schwere Straftat qualifiziert und das öffentliche Interesse an der Aufklärung dieser Tat höher als dasjenige des Beschwerdeführers an der rechtskonformen Erhebung resp. Unverwertbarkeit der privaten Videoaufnahmen gewichtet. Über die vorinstanzlichen Erwägungen hinaus (vgl. nicht publ. E. 1.2) ist darauf hinzuweisen, dass nicht etwa der Geheim- oder Privatbereich des Beschwerdeführers, sondern lediglich seine - laut vorinstanzlicher Feststellung bewusste - Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration auf öffentlichem Grund gefilmt wurde. Die Vorinstanz durfte deshalb die aus den Videoaufnahmen der Hotel E. AG gewonnenen Erkenntnisse auch zu Lasten des Beschwerdeführers verwenden und dessen Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 378 BGE 130 II 377 S. 378 Der nach eigenen Angaben aus Guinea-Bissau stammende X. (geb. 1980) reiste am 27. April 2004 in die Schweiz ein, wo er tags darauf um Asyl nachsuchte. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat am 11. Mai 2004 auf sein Gesuch nicht ein, wies ihn weg und hielt ihn an, spätestens am Tag nach Eintritt der Rechtskraft seines Entscheids das Land zu verlassen. Das Bundesamt ging davon aus, X. habe ohne entschuldbare Gründe nicht innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung seines Gesuchs Reisepapiere oder andere Dokumente abgegeben, die es erlauben würden, ihn zu identifizieren; zudem lägen keine Hinweise auf eine Verfolgung vor, die sich nicht als offensichtlich haltlos erwiesen (Art. 32 Abs. 2 lit. a des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]). Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Am 27. Mai 2004 wandte sich X. mit einem Gesuch um Nothilfe ( Art. 12 BV ) an das Migrationsamt des Kantons Zürich; dabei erklärte er, sich den Behörden in der ihm zugewiesenen Notunterkunft zur Verfügung halten zu wollen. Er wurde gleichentags verhaftet, mit Strafbefehl vom 28. Mai 2004 wegen illegalen Verbleibs in der Schweiz zu 30 Tagen Gefängnis bedingt verurteilt und anschliessend in Ausschaffungshaft genommen. Der Haftrichter am Bezirksgericht Zürich prüfte diese am 29. Mai 2004 und bestätigte sie bis zum 27. August 2004. Das Bundesgericht weist die von X. hiergegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn die Voraussetzungen von Art. 13b des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht BGE 130 II 377 S. 379 notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt, dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Papiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG ). Zudem muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG genannten Haftgründe bestehen, der Vollzug der Wegweisung mit dem nötigen Nachdruck verfolgt werden ( Art. 13b Abs. 3 ANAG ; "Beschleunigungsgebot") und die Haft als Ganzes verhältnismässig sein (vgl. zu den allgemeinen Haftvoraussetzungen: BGE 130 II 56 E. 1 mit zahlreichen Hinweisen). Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens bildet regelmässig nur die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Ausschaffungshaft, nicht auch die Bewilligungs- oder Wegweisungsfrage; über diese entscheiden in einem Fall wie dem vorliegenden die Asylbehörden abschliessend (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 2 und 4 OG; Art. 105 Abs. 1 lit. a AsylG ; BGE 130 II 56 E. 2 in fine; BGE 128 II 193 E. 2.2 S. 197; BGE 125 II 217 E. 2 S. 220; BGE 121 II 59 E. 2b). 2. Der Beschwerdeführer ist durch das Bundesamt für Flüchtlinge rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen und von den Vollzugsbehörden gestützt auf den seit dem 1. April 2004 geltenden, im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 in das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer aufgenommenen Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. d inhaftiert worden (Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über das Entlastungsprogramm 2003; AS 2004 S. 1633 ff.). Danach kann ein Ausländer zur Sicherung des Vollzugs seiner Wegweisung in Ausschaffungshaft genommen werden, wenn das zuständige Bundesamt gestützt auf Art. 32 Abs. 2 lit. a-c bzw. Art. 33 des Asylgesetzes einen Nichteintretensentscheid getroffen hat. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass dies bei ihm der Fall ist; er macht indessen geltend, der entsprechende Haftgrund bzw. dessen Anwendung verletze Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK und Art. 10 Abs. 2 BV (Persönliche Freiheit). Die gegen ihn angeordnete Haft diene nicht der Sicherung des Wegweisungsvollzugs, sondern Sparzwecken. Er habe kein Verhalten an den Tag gelegt, welches auf eine Untertauchensgefahr schliessen lasse; eine erhebliche Gefährdung des Wegweisungsvollzugs sei nicht erkennbar, weshalb kein überwiegendes öffentliches Interesse daran bestehe, ihn in Ausschaffungshaft zu nehmen; eine solche erweise sich für Personen, die sich - wie er - unverzüglich und freiwillig bei den für den Wegweisungsvollzug zuständigen Behörden meldeten, als unverhältnismässig und verfassungs- bzw. konventionswidrig. BGE 130 II 377 S. 380 3. Die Kritik ist unbegründet, weshalb sich allgemeine Ausführungen dazu erübrigen, ob und in welchem Umfang das Bundesgericht die umstrittene, in einem Bundesgesetz enthaltene Regelung auf ihre Konventions- und Verfassungsmässigkeit hin prüfen kann bzw. selbst bei deren Unvereinbarkeit mit übergeordnetem Recht an den darin zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers gebunden wäre ( Art. 191 BV ; BGE 130 I 26 E. 2.2; YVO HANGARTNER, St. Galler Kommentar, Rz. 25-28 zu Art. 191 BV ): 3.1 Nach Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK darf einem Menschen die Freiheit entzogen werden, wenn er rechtmässig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen, oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Die gesetzlich vorzusehende und in einem rechtlich korrekten Verfahren anzuordnende Haft darf einzig dem in Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK vorgesehenen Zweck, d.h. der Sicherstellung eines schwebenden und zielgerichtet voranzutreibenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahrens dienen (vgl. BGE 128 II 193 E. 2.1 S. 196; Urteile EGMR i.S. Slivenko gegen Lettland vom 9. Oktober 2003, Ziff. 146 [Nr. 48321/98]; i.S. Conka gegen Belgien vom 5. Februar 2002, Recueil CourEDH 2002-I S. 47 , Ziff. 38; i.S. Dougoz gegen Griechenland vom 6. März 2001, Recueil CourEDH 2001-II S. 273 , Ziff. 54 f.; i.S. Chahal gegen Grossbritannien vom 15. November 1996, Recueil CourEDH 1996-V S. 1831 , Ziff. 112; WALTER KÄLIN, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht: Materielles Recht, in: AJP 1995 S. 835 ff., dort S. 839; PETER UEBERSAX, Menschenrechtlicher Schutz bei fremdenpolizeilichen Einsperrungen, in: recht 13/1995 S. 53 ff., dort S. 59; HUGI YAR, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Basel/ Genf/München 2002, Rz. 7.5 ff.). Der Freiheitsentzug muss dabei nicht zur Verhinderung von Straftaten oder eines Untertauchens des Betroffenen als "vernünftigerweise erforderlich" ("raisonnablement nécessaire") erscheinen (Urteile Conka und Chahal , a.a.O., Ziff. 38 bzw. 112). Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK sieht selber keine Haftgründe im engeren Sinn vor; die Festhaltung hat jedoch in einem sachlichen Zusammenhang zum Verfahrenszweck zu stehen. Bei der Umschreibung der Haftvoraussetzungen geniesst der nationale Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum (vgl. STEFAN TRECHSEL, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: AJP 1994 S. 43 ff., dort S. 53). Der Freiheitsentzug darf sich in seiner Gesamtheit BGE 130 II 377 S. 381 nicht als willkürlich und mit Blick auf den zulässigen Verfahrenszweck missbräuchlich erweisen; hiervor schützt Art. 5 EMRK (Urteile Conka und Chahal , a.a.O., Ziff. 39 bzw. 118; Urteil des EGMR i.S. Bozano gegen Frankreich vom 18. Dezember 1986, Serie A, Bd. 111, Ziff. 54). Der mit einem Freiheitsentzug verbundene Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 2 BV geschützte Recht auf persönliche Freiheit ist seinerseits zulässig, soweit er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, daran ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, er verhältnismässig erscheint und überdies der Kerngehalt des Grundrechts dadurch nicht berührt wird (vgl. Art. 36 BV ). 3.2 3.2.1 Der Bundesgesetzgeber hat im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 am 19. Dezember 2003 beschlossen, Asylsuchende, auf deren Gesuch in Anwendung von Art. 32-34 AsylG rechtskräftig nicht eingetreten wurde, nicht mehr der Asyl-, sondern der ordentlichen Ausländergesetzgebung zu unterstellen; sie haben demnach keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen mehr und müssen als Personen mit unbefugtem Aufenthalt das Land umgehend verlassen ("Primat des Wegweisungsvollzugs"; vgl. Art. 44a AsylG in der Fassung vom 19. Dezember 2003; BBl 2003 S. 5755-5757; AB 2003 S 791 f. [Kommissionssprecher Inderkum], S. 796 u. 800 [Bundesrätin Metzler], S. 1050 [Kommissionssprecher Inderkum]; AB 2003 N 1595 [Kommissionssprecher Zuppiger], S. 1597 ff. [Bundesrätin Metzler], S. 1839 [Walker]; vgl. zu den einzelnen Neuerungen auch: JÜRG SCHERTENLEIB, Das Bundesgesetz über das Entlastungsprogramm 2003 im Asyl- und Ausländerbereich, in: Asyl 2/2004 S. 3 ff., sowie URS EBNÖTHER, Entlastungsprogramm 2003: Fragen bei der praktischen Umsetzung, in: Asyl 2/2004 S. 12 ff.). Ist dies nicht möglich, erhalten sie auf Gesuch hin im Rahmen von Art. 12 BV lediglich noch eine Nothilfe durch die Kantone (vgl. Art. 14f ANAG in der Fassung vom 19. Dezember 2003; BBl 2003 S. 5754). Gestützt auf Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG können solche Personen zur Sicherung des Vollzugs des Wegweisungsentscheids neu in Ausschaffungshaft genommen werden, falls auf ihr Asylgesuch nicht eingetreten wurde, weil (1) sie ohne entschuldbare Gründe nicht innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Papiere abgegeben haben, die ihre Identifikation ermöglichen, und keine Hinweise auf eine Verfolgung bestehen, die sich nicht als offensichtlich haltlos erweisen ( Art. 32 Abs. 2 lit. a AsylG ); (2) sie BGE 130 II 377 S. 382 die Behörde über ihre Identität getäuscht haben, wobei diese Täuschung aufgrund der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderer Beweismittel feststeht ( Art. 32 Abs. 2 lit. b AsylG ); oder (3) sie anderweitig schuldhaft ihre Mitwirkungspflicht grob verletzt haben ( Art. 32 Abs. 2 lit. c AsylG ); die Ausschaffungshaft ist zudem möglich, (4) wenn auf ein missbräuchlich nachgereichtes Asylgesuch nicht eingetreten wurde ( Art. 33 AsylG ). 3.2.2 Nicht jeder asylrechtliche Nichteintretensentscheid vermag somit einen Haftgrund zu setzen (vgl. Art. 32 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d-f, Art. 34 AsylG ), sondern nur die in Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG ausdrücklich genannten. Nach dem gesetzgeberischen Willen liegt in diesen Fällen eine "objektivierte" Untertauchensgefahr vor (BBl 2003 S. 5753), d.h. es besteht gestützt auf das im Asylverfahren festgestellte missbräuchliche Verhalten die Vermutung, dass sich der Betroffene (auch) dem Vollzug der Ausschaffung widersetzen bzw. einen solchen zu vereiteln oder zumindest zu erschweren versuchen wird (vgl. zur ähnlichen Ausgangslage bei der Vorbereitungshaft: HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.40 u. 7.42). Es liegt in der Kompetenz des Gesetzgebers, die Verhaltensweisen zu bestimmen, welche geeignet sind, dies nahe zu legen; hierbei kommt ihm ein weiter Spielraum zu (vgl. E. 3.1). Die neue Regelung will vorab die selbstverantwortliche Ausreise der Betroffenen fördern (BBl 2003 S. 5753; AB 2003 S 800 und AB 2003 N 1599 [Bundesrätin Metzler]); die Administrativhaft soll gegen jene Personen Platz greifen können, die sich im Asylverfahren missbräuchlich verhalten haben und ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht nach der Wegweisung nicht freiwillig nachgekommen sind (BBl 2003 S. 5753). Dies ist nicht unzulässig: Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK setzt - wie dargelegt - nicht voraus, dass für einen rechtmässigen Freiheitsentzug über das im Bewilligungsverfahren festgestellte missbräuchliche Verhalten hinaus eine konkrete Untertauchensgefahr bestehen müsste (vgl. die bereits zitierten Urteile i.S. Conka und Chahal , a.a.O., Ziff. 38 bzw. 112). Zwar hat das Bundesgericht seinerseits rein passives Verhalten bei der Papierbeschaffung zur Annahme einer Untertauchensgefahr im Sinne von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG bisher nicht genügen lassen ( BGE 129 I 139 E. 4.2.1 S. 146 f.; BGE 122 II 49 E. 2a; ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in: RDAF 1997 I S. 267 ff., dort S. 332 f.; ANDREAS ZÜND, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den Zwangsmassnahmen im BGE 130 II 377 S. 383 Ausländerrecht, in: ZBJV 132/1996 S. 72 ff., dort S. 83 ff.; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.66 ff.), doch hat der Gesetzgeber die entsprechenden Voraussetzungen nun gerade in Reaktion hierauf verschärft und ausdrücklich eine verstärkte Mitwirkungspflicht vorgesehen, welche das passive Verhalten einer aktiven Vereitelung des Wegweisungsvollzugs gleichsetzt ( Art. 13b Abs. 1 lit. c und Art. 13f ANAG in ihrer Fassung vom 19. Dezember 2003; BBl 2003 S. 5753: "Mit der neuen Formulierung soll nun auch die Passivität bei der Beschaffung von Reisepapieren zur Anordnung der Ausschaffungshaft führen können"; AB 2003 S 799 [Schmid], AB 2003 N 1594 [Heberlein]; vgl. auch die Botschaft vom 8. März 2002 zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, BBl 2002 S. 3709 ff., dort S. 3767 und 3816). 3.2.3 An einem umgehenden Vollzug der Wegweisung von Personen, die das Asylverfahren zu institutionsfremden Zwecken missbraucht haben, besteht ein gewichtiges - auch finanzielles - öffentliches Interesse; sie sollen das Land möglichst rasch verlassen. Wer die Behörden im Asylverfahren über seine Identität täuscht, ohne entschuldbaren Grund seine Identifikation verhindert oder sein Asylgesuch nur stellt, um den Vollzug einer drohenden Weg- oder Ausweisung zu verunmöglichen, bzw. seine Mitwirkungspflicht anderweitig schuldhaft grob verletzt, zeigt durch dieses Verhalten, dass er nicht bereit ist, mit den Behörden zu kooperieren und sich für einen möglichst umgehenden Wegweisungsvollzug zur Verfügung zu halten. Seine Inhaftierung erscheint im Rahmen des schwebenden Ausschaffungsverfahrens verhältnismässig und vollzugsorientiert (vgl. BBl 1994 I 322). Im Wegweisungsverfahren sollen möglichst keine Anreize mehr bestehen, den illegalen Aufenthalt durch renitentes - nunmehr auch passives - Verhalten bei der Identitätsabklärung und Papierbeschaffung weiter zu verlängern und sich hierdurch der umgehenden Ausschaffung zu entziehen (AB 2003 N 1596 [Kommissionssprecher Favre]). Zweck der Ausschaffungshaft ist zwar vorab, den zwangsweisen Vollzug der Wegweisung sicherzustellen, und nicht den Ausländer durch eine Beugehaft dazu anzuhalten, freiwillig auszureisen; will dieser indessen - entgegen der ihm obliegenden Pflicht - das Land nicht aus freien Stücken verlassen und ist er bereits im Asylverfahren grundlegenden Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, liegt ein erwünschter Nebeneffekt seiner Festhaltung auch darin, ihn zur Mitwirkung beim Vollzug der Wegweisung und insbesondere bei der BGE 130 II 377 S. 384 Papierbeschaffung zu veranlassen (vgl. Art. 13f ANAG in der Fassung vom 19. Dezember 2003). Nach Art. 5 Ziff. 1 lit. b EMRK ist eine Haft auch zulässig "zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung", soweit diese - wie hier - spezifisch und konkret definiert ist und der hierzu angeordnete Freiheitsentzug verhältnismässig erscheint (vgl. BGE 130 II 56 E. 4.2.3 S. 63; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl/Strassburg/ Arlington 1996, Rz. 68-70 zu Art. 5 EMRK ). 3.2.4 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, der neue Haftgrund ermögliche eine vom konkreten Verhalten des Betroffenen unabhängige Ausschaffungshaft (so auch JÜRG SCHERTENLEIB, Zum Entlastungsprogramm, in: Asyl 1/2004 S. 22), übersieht er, dass dem asylrechtlichen Nichteintretensentscheid seinerseits ein missbräuchliches Verhalten zu Grunde liegt. Die entsprechenden Verhaltensweisen werden durch die Schweizerische Asylrekurskommission näher umschrieben, wobei deren Rechtsprechung tendenziell eher einschränkend erscheint. So soll die "schwere prozessuale Sanktion eines Nichteintretensentscheids" bloss mit "grösster Zurückhaltung" angewendet werden; sie rechtfertigt sich nur bei einer Kumulation von Irreführungen, welche die Abklärungen effektiv behindern (Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission EMARK 1995 Nr. 18 ). Als haltlos im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. a AsylG dürfen nur Verfolgungshinweise gelten, welche bereits auf den ersten Blick als unglaubhaft erkennbar sind ( EMARK 2003 Nr. 19 und Nr. 20). Der Umstand, dass ein Asylbewerber vor Einreichen seines Asylgesuchs andernorts unter einer abweichenden Identität aufgetreten ist, genügt - trotz erheblicher Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben im schweizerischen Verfahren - nicht zum Nachweis, dass die schweizerischen Asylbehörden tatsächlich über die wahre Identität getäuscht worden sind ( EMARK 2003 Nr. 27 , 2004 Nr. 4). Damit führen aber nur grobe Fälle von Verletzungen der Mitwirkungspflicht oder offensichtlich unbegründete bzw. missbräuchliche Gesuche zu Nichteintretensentscheiden, welche die Ausschaffungshaft gestützt auf Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG zu rechtfertigen vermögen. In den meisten Fällen bestünden dabei bereits nach der bisherigen Rechtsprechung hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Betroffene der Ausschaffung entziehen will ("Untertauchensgefahr"; vgl. BGE 130 II 56 E. 3.1 sowie nachstehende E. 3.3.3). Der Umstand, dass Wegweisungsentscheide (auch) aus finanziellen Gründen BGE 130 II 377 S. 385 konsequenter und rascher durchgesetzt und keine längeren illegalen Aufenthalte mehr gestützt auf missbräuchliche Asylgesuche geduldet werden sollen, ändert nichts daran, dass es sich bei diesen erweiterten Haftgründen um eine vollzugsorientierte Festhaltung im Rahmen eines schwebenden Ausweisungsverfahrens handelt, welche der Missbrauchsbekämpfung dient und sich hierfür aufgrund der in der Praxis gemachten Erfahrungen als notwendig erweist (vgl. BBl 2002 S. 3766 ff.). 3.3 3.3.1 Nicht zu überzeugen vermag in diesem Zusammenhang der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Ausführungen von WALTER KÄLIN, wonach fraglich und höchst problematisch sei, ob wirklich bei jedem Nichteintretensentscheid der Asylbehörden automatisch auf die Gefahr des Untertauchens geschlossen werden könne, d.h. insbesondere auch bei Asylsuchenden ohne Papiere, welche mit ihrem Verhalten lediglich den Aufenthalt in der Schweiz verlängern wollten. Diese seien an einem Untertauchen nicht interessiert, sondern an der Verlängerung des Verfahrens bzw. des Aufenthalts. Hier diene eine Ausschaffungshaft, welche nicht erst kurz vor dem tatsächlichen Vollzug einsetze, sondern für die ganze Dauer der Papierbeschaffung angeordnet werde, kaum der Sicherstellung des Vollzugs, und sie bekomme deutlich den Charakter einer Sanktion für Fehlverhalten, was nach Art. 5 EMRK kein Haftgrund sein dürfe (WALTER KÄLIN, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der geplanten Revision des Asylgesetzes, in: Asyl 4/2001 S. 3 ff., dort S. 15). 3.3.2 Die Europäische Menschenrechtskonvention verschafft weder ein Recht auf Asyl (vgl. BGE 126 II 335 E. 3a) noch ein solches auf Einreise oder Aufenthalt in einem bestimmten Staat (BGE 2A.472/2003 vom 1. Juni 2004, E. 3.1). Wer im Asylverfahren seine Identitätsfeststellung missbräuchlich vereitelt oder erschwert, belegt, dass es ihm in erster Linie nicht um ein faires Verfahren, sondern um die Erschleichung eines zumindest vorübergehenden Aufenthalts (vgl. Art. 42 Abs. 1 AsylG ) geht, was das hängige Bewilligungsverfahren aushöhlt und das damit verbundene Wegweisungsverfahren ernstlich in Frage stellt (vgl. HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.42). Es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, Personen, die über ein Asylverfahren in missbräuchlicher Weise (unentschuldigte Nichtabgabe von Identitätspapieren bei haltlosem Gesuch; Täuschung der Behörden über die Identität; schuldhafte und grobe Verletzung der Mitwirkungspflicht; missbräuchliches Nachreichen eines Asylgesuchs) einen vorübergehenden Aufenthalt BGE 130 II 377 S. 386 er wirken konnten und nach dem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid nicht freiwillig ausreisen, sondern illegal im Land verbleiben, zwangsweise zum Verlassen des Staatsgebiets zu bewegen und renitentem Verhalten nötigenfalls mit einer Inhaftierung zu begegnen. Hierin liegt keine Zweckentfremdung der administrativen Festhaltung. Eine solche ist auch nicht unverhältnismässig, wenn der Betroffene einerseits die Schweiz nicht termingerecht freiwillig verlassen hat und er andererseits durch wahrheitsgemässe Angaben bzw. durch Mitwirkung bei der Papierbeschaffung in den meisten Fällen eine relativ kurzfristige Ausreise ermöglichen kann. Von 1995 bis 2000 wurde die Ausschaffungshaft in zwischen 5'500 und 7'000 Fällen pro Jahr angeordnet; dabei betrug die durchschnittliche Haftdauer weniger als 23 Tage (vgl. BBl 2002 S. 3766). Ist die Ausreise im Rahmen eines den gesamten Umständen des konkreten Falles angemessenen Zeitraums selbst bei Kooperation des Betroffenen zum Vornherein nicht absehbar, erweist sich die Haft bereits gestützt auf Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG als unverhältnismässig ( BGE 130 II 56 E. 4.1.3 S. 61); zudem gilt auch nach der Gesetzesrevision im Rahmen des Entlastungsprogramms 2003 das Beschleunigungsgebot, welches die Behörden anhält, die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren während der Haft "umgehend" zu treffen ( Art. 13b Abs. 3 ANAG ; BGE 124 II 49 ff.; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 7.70 ff.). 3.3.3 Das Verhalten des Beschwerdeführers lässt vorliegend - entgegen seinen Einwendungen - im Übrigen auch konkret befürchten, dass er sich der Ausschaffung entziehen will; dies ist nach der Praxis zu Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG regelmässig der Fall, wenn der Betroffene durch erkennbar unglaubwürdige oder widersprüchliche Angaben die Vollziehungsbemühungen zu erschweren versucht oder sonst klar zu erkennen gibt, dass er nicht in seinen Heimatstaat zurückzukehren bereit ist ( BGE 130 II 56 E. 3.1): 3.3.3.1 Trotz abgeschlossenem Asylverfahren und rechtskräftiger Wegweisung hat sich der Beschwerdeführer am 27. und 29. Mai 2004 geweigert, in seine angebliche Heimat zurückzureisen. Gemäss seinen Angaben im Asylverfahren will er aus Guinea-Bissau stammen, doch kennt er kein Wort der dortigen Amtssprache (Portugiesisch); zudem konnte er keine substantiierten Angaben zu diesem Land machen; so wusste er weder, wie dessen Flagge aussieht, noch vermochte er den Nationalfeiertag zu nennen oder die Landesgeographie in groben Zügen zu beschreiben. Er dürfte nach Ansicht des BGE 130 II 377 S. 387 Bundesamts für Flüchtlinge deshalb aus einem anderen afrikanischen Land stammen. Seine angebliche Heimat will er 1998 verlassen und sich seither gemäss seinen Aussagen vom 30. April 2004 illegal unter anderem in Spanien ("qualche mesi") und Frankreich ("3 anni") aufgehalten haben; gemäss seinen Erklärungen vom 6. Mai 2004 hat er indessen in Spanien das Schiff nie verlassen und ist er angeblich in Frankreich in "Paris 2" an Land gegangen. Damit hat er auch über seinen Reiseweg und bisherigen Aufenthalt unterschiedliche und widersprüchliche Aussagen gemacht. Gestützt hierauf bietet er keine Gewähr dafür, dass er sich nunmehr den Behörden freiwillig zur Verfügung halten und im Rahmen des zwangsweise zu organisierenden Vollzugs der Wegweisung mit ihnen kooperieren wird, zumal er sich inzwischen schon seit Jahren illegal in Europa aufhält (vgl. auch BGE 128 II 241 E. 2.1 S. 243; BGE 125 II 369 E. 3b/aa S. 375; BGE 122 II 49 E. 2a S. 51). 3.3.3.2 Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass er sich für eine Unterkunft und die Nothilfeleistungen freiwillig bei den Behörden meldete; aufgrund seines bisherigen, die Identitätsabklärung und einen allfälligen Wegweisungsvollzug erschwerenden Verhaltens rechnete er nicht damit, dass er ausgeschafft werden könnte, weshalb für ihn wegen des erhofften weiteren Aufenthalts und der damit verbundenen staatlichen Leistungen (noch) keine Veranlassung bestand, sich den Behörden nicht zur Verfügung zu halten (vgl. zur Untertauchensgefahr nach bisherigem Recht bei einem missbräuchlichen Asylgesuch und vordergründiger Kooperationsbereitschaft: Urteil 2A.112/1999 vom 17. März 1999, E. 2b). Sein Einwand, durch die Haft werde sein verfassungsmässiger Anspruch auf Nothilfe vereitelt ( Art. 12 BV ), verkennt, dass während seiner administrativen Festhaltung für Hilfe und Betreuung sowie für die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlichen Mittel gesorgt ist (vgl. zu den Haftbedingungen: BGE 122 I 222 ff.; BGE 122 II 299 ff.; BGE 123 I 221 ff.). 3.4 Da auch alle übrigen Haftvoraussetzungen erfüllt sind - insbesondere nicht gesagt werden kann, dass sich die Ausschaffung nicht in absehbarer Zeit organisieren liesse (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG ; BGE 125 II 217 E. 2 S. 220) oder die Behörden sich nicht mit dem nötigen Nachdruck hierum bemühen würden (vgl. Art. 13b Abs. 3 ANAG ; BGE 124 II 49 ff.) -, verletzt der angefochtene Entscheid somit kein Bundesrecht und ist die Beschwerde deshalb abzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 470 BGE 135 III 470 S. 470 A. X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) trat am 1. März 1983 in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Y. AG ein. Im Dezember 1999 schloss die Y. AG mit den Sozialpartnern einen Gesamtarbeitsvertrag inkl. Sozialplan. Laut dem am 31. März 2002 mit dem Beschwerdeführer abgeschlossenen Arbeitsvertrag für Kadermitarbeiter verdiente dieser ab 1. April 2002 13 x Fr. 6'288.- brutto jährlich. Am 22. September 2002 wurde der Y. AG die provisorische Nachlassstundung gewährt. Wenige Tage später teilte der Sachwalter den BGE 135 III 470 S. 471 Arbeitnehmern mit, dass er nicht in die Arbeitsverhältnisse und in allenfalls bestehende Sozialpläne eintrete. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2002 kündigte die Y. AG "vorsorglich" das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdeführer per 30. April 2003. Mit Schreiben vom 27. Januar 2003 teilte die Y. AG dem Beschwerdeführer mit, er werde ab dem 8. Februar 2003 freigestellt. Gegen die Kündigung per 30. April 2003 erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. Januar 2003 Einsprache, weil diese missbräuchlich erfolgt sei. Die Parteien einigten sich offenbar in der Folge nicht zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, der Beschwerdeführer hob aber dennoch keine Klage an. Nachdem der Schuldenruf ergangen war, gab der Beschwerdeführer mit Anmeldung vom 13. Februar 2003 auch Forderungen aus dem Sozialplan ein. Am 6. November 2003 bestätigte der zuständige Gerichtspräsident des Gerichtskreises Z. den von der Y. AG mit ihren Gläubigern geschlossenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. In der Kollokationsverfügung vom November 2006 wurden Forderungen des Beschwerdeführers aus dem Arbeitsverhältnis in der ersten Klasse im Umfang von Fr. 35'222.10 anerkannt. B. Mit Klage vom 11. Mai 2007 und Ergänzung vom 7. September 2007 beantragte der Beschwerdeführer beim Gerichtskreis Z. in der Nachlassliquidation der Y. AG die Anerkennung von Fr. 54'899.10, eventualiter von Fr. 40'297.10 brutto in der 1. Klasse. Mit Urteil vom 7. September 2007 wies der Gerichtspräsident 4 des Gerichtskreises Z. die Klage ab. C. Gegen diesen Entscheid appellierte der Beschwerdeführer am 17. September 2007 beim Obergericht des Kantons Bern. Mit Urteil vom 8. Juli 2008 wies das Obergericht die Kollokationsklage ab. D. Mit Beschwerde vom 15. September 2008 beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils sowie - in Abänderung bzw. Aufhebung der Verfügung in der Nachlassliquidation der Y. AG und des Kollokationsplans - die Anerkennung von Fr. 54'899.10, eventualiter von Fr. 40'297.10 brutto in der 1. Klasse. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein. (Zusammenfassung)
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Erwägungen BGE 135 III 470 S. 472 Aus den Erwägungen: 1. 1.1 (Feststellung, dass der Streitwert Fr. 19'677.- beträgt.) 1.2 Gegenstand des Verfahrens ist der Bestand und der Umfang von Ansprüchen eines Arbeitnehmers im Rahmen eines Kollokationsverfahrens. Fraglich ist, ob es sich um einen arbeitsrechtlichen Fall handelt und die Streitwertgrenze demzufolge Fr. 15'000.- betrüge ( Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG ) oder ob der vorliegende Fall unter die übrigen Fälle zu subsumieren ist und demzufolge die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.- massgeblich wäre ( Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG ). In der Literatur wird die Auffassung vertreten, die niedrige Streitwertgrenze für arbeits- und mietrechtliche Fälle müsse auch in SchKG-Verfahren zur Anwendung kommen, wenn sie, wie etwa bei der Kollokationsklage, eng mit einer materiellrechtlichen Frage aus dem Arbeits- oder Mietrecht verbunden seien (BEAT RUDIN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 13 zu Art. 74 BGG ; DENIS TAPPY, Le recours en matière civile, in: La nouvelle loi sur le Tribunal fédéral, 2007, S. 63 Rz. 20). Zweck des Kollokationsverfahrens im Konkurs bzw. im Nachlassverfahren (Art. 321 Abs. 2 i.V.m. 244 bis 251 SchKG) ist die Feststellung der Passivmasse, d.h. der Forderungen, die am Liquidationsergebnis nach Bestand, Höhe, Rang und allfälligen Vorzugsrechten an Vermögen des Schuldners teilzunehmen haben ( BGE 133 III 386 E. 4.3.3 S. 390). Der Kollokationsprozess dient ausschliesslich der Bereinigung des Kollokationsplanes und hat so wenig wie dieser irgendwelche Rechtskraftwirkung über das Konkurs- bzw. Nachlassverfahren hinaus. Das Schuldverhältnis als solches - zwischen Schuldner und Gläubiger - wird dadurch nicht rechtskräftig festgelegt. Im Kollokationsprozess kann der Bestand einer Forderung wohl Gegenstand gerichtlicher Prüfung, nicht aber Gegenstand rechtskräftiger Beurteilung sein. Vielmehr ist Gegenstand des Kollokationsurteils nur die Feststellung, inwieweit die streitigen Gläubigeransprüche bei der Liquidationsmasse zu berücksichtigen sind ( BGE 133 III 386 E. 4.3.3 S. 390 mit Hinweisen). Steht vorliegend die Kollokation von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis in Frage, handelt es sich somit nicht um einen arbeitsrechtlichen Fall, sodass die Streitwertgrenze Fr. 30'000.- BGE 135 III 470 S. 473 beträgt und die Beschwerde in Zivilsachen insoweit nicht gegeben ist. Gemäss der Rechtsmittelbelehrung des obergerichtlichen Entscheids sollte der Beschwerdeführer berechtigt sein, gegen diesen Beschwerde in Zivilsachen aus den in Art. 95 bis 97 BGG genannten Gründen zu erheben. Zwar dürfen den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen ( Art. 49 BGG ). Indes kann die Vorinstanz in einem solchen Fall kein vom Gesetzgeber nicht vorgesehenes Rechtsmittel verschaffen. (...) 3. Zusammenfassend ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Betreffend die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren verweist der Beschwerdeführer auf Art. 343 Abs. 3 OR , wonach bei Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.- weder Gebühren noch Auslagen des Gerichts auferlegt werden dürfen. Diese Bestimmung gilt auch in Streitigkeiten über prozessuale Nebenpunkte ( BGE 104 II 222 E. 2b S. 223 f.). Indes verkennt der Beschwerdeführer, dass es um die Beurteilung einer Kollokationsklage und somit nicht um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit geht (s. oben, E. 1.2). Damit gelangt Art. 343 Abs. 3 OR nicht zur Anwendung (vgl. BGE 131 III 451 E. 3 S. 455, wo die Frage der Anwendbarkeit von Art. 343 OR auf Kollokationsverfahren betreffend den Anspruch an sich offengelassen wurde; a.M. DIETER HIERHOLZER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. III, 1998, N. 80 zu Art. 250 SchKG ; MANFRED REHBINDER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1992, N. 18 zu Art. 343 OR ; ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1996, N. 10 zu Art. 343 OR ). Im Übrigen würde nach Art. 65 Abs. 4 lit. c BGG auch im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 200.- bis 1'000.- erhoben. Diese Bestimmung geht Art. 343 Abs. 3 OR vor (Urteil 4A.152/2008 vom 11. September 2008 E. 8.2). Demzufolge sind die Gerichtskosten zu erheben und dem Beschwerdeführer aufzuerlegen ( Art. 66 Abs. 1 BGG ).
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Sachverhalt ab Seite 81 BGE 146 II 80 S. 81 A. Am 17. August 2010 beschloss der Gemeindevorstand Laax den Quartiergestaltungsplan "Wohnüberbauung Lag-Pign". Dieser sieht die in zehn Etappen erfolgende Überbauung des auf der Parzelle Nr. 147 liegenden Quartierplangebiets vor. Am 18. September 2010 erwuchs er in Rechtskraft. Am 4. November 2011 verabschiedeten die Stimmberechtigten der Gemeinde Laax eine Gesamtrevision der Ortsplanung. Ein Bestandteil des Revisionsvorhabens bildete das kommunale Gesetz über die Einschränkung und Lenkung des Zweitwohnungsbaus und zur Förderung von Erstwohnungen und gewerblichen Nutzungen. Mit Beschluss vom 8. Mai 2012 genehmigte die Regierung des Kantons Graubünden die Gesamtrevision. Nachdem fünf Mehrfamilienhäuser (Etappen 1 bis 5) gebaut und für zwei weitere (Etappen 6 und 7) die Baubewilligungen erteilt worden waren, reichte die Baugesellschaft B. Baugesuche für die Mehrfamilienhäuser G und F (Etappen 8 und 9) ein. Diese Baugesuche wurden am 17. November 2017 publiziert. Am 6. Dezember 2017 erhob der Verein Helvetia Nostra Einsprache und machte geltend, dass die Erstellung neuer Zweitwohnungen unzulässig sei. Der Gemeindevorstand wies die Einsprache am 6. Februar 2018 ab und erteilte mit separatem Entscheid gleichen Datums die Baubewilligungen. Eine von Helvetia Nostra dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden mit Urteil vom 12. Februar 2019 ab, soweit es darauf eintrat. Zur Begründung führte es insbesondere aus, die Baubewilligungen stützten sich auf einen projektbezogenen Sondernutzungsplan, der auf die Erstellung von BGE 146 II 80 S. 82 Zweitwohnungen ausgerichtet sei, und könnten nach Art. 26 des Bundesgesetzes vom 20. März 2015 über Zweitwohnungen (Zweitwohnungsgesetz, ZWG; SR 702) bewilligt werden. B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht beantragt Helvetia Nostra, das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die Baueinspracheentscheide und Baubewilligungen der Gemeinde Laax seien aufzuheben und die Baugesuche seien abzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt. (Zusammenfassung)
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 4. 4.1 Art. 75b Abs. 1 BV sieht vor, dass der Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf höchstens 20 % beschränkt ist. Die Bestimmung wurde in der Volksabstimmung vom 11. März 2012 angenommen und trat gleichentags in Kraft. Das Zweitwohnungsgesetz konkretisiert den Bundesverfassungsartikel über die Zweitwohnungen. Es trat am 1. Januar 2016 in Kraft und löste die bis dahin geltende Zweitwohnungsverordnung vom 22. August 2012 (aZWV; AS 2012 4583) ab. In der Gemeinde Laax übersteigt der Zweitwohnungsanteil die Grenze von 20 % deutlich, weshalb im Grundsatz keine Baubewilligungen mehr für Zweitwohnungen erteilt werden dürfen. Umstritten ist, ob aufgrund des am 17. August 2010 beschlossenen Quartiergestaltungsplans "Wohnüberbauung Lag-Pign" nach Art. 26 ZWG eine Ausnahme von diesem Grundsatz möglich ist. Abs. 1 dieser Bestimmung sieht Folgendes vor: 1 In Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent dürfen Wohnungen, die Gegenstand eines projektbezogenen und mindestens zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichteten Sondernutzungsplans bilden, ohne Nutzungsbeschränkung nach Artikel 7 Absatz 1 bewilligt werden, wenn dieser Plan: a. vor dem 11. März 2012 rechtskräftig genehmigt wurde; und b. die wesentlichen Elemente der Baubewilligung betreffend Lage, Stellung, Grösse und Gestaltung der Bauten und Anlagen sowie deren Nutzungsart und Nutzungsmass regelt. BGE 146 II 80 S. 83 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien nicht erfüllt. Vorab macht sie zudem geltend, sie stehe in Widerspruch zu Art. 75b BV . 4.2 Art. 26 ZWG ist mit Art. 8 aZWV identisch - abgesehen von der erst ins Gesetz aufgenommenen Voraussetzung, dass der Sondernutzungsplan mindestens zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichtet sein muss (Urteil 1C_67/2018 vom 4. März 2019 E. 3.1). Das Bundesgericht hat sich mit der Verfassungsmässigkeit von Art. 8 aZWV im ebenfalls die Beschwerdeführerin betreffenden Urteil 1C_580/2014 vom 25. November 2015 unter Berücksichtigung des damals noch nicht in Kraft stehenden Art. 26 ZWG bereits eingehend befasst (a.a.O., E. 2 mit Hinweis u.a. auf Urteil 1C_439/2014 vom 11. März 2015 E 3.2). Es hielt fest, dass die auf sehr spezifische Situationen beschränkte Regelung die Zielsetzung von Art. 75b BV mit dem Vertrauensprinzip ( Art. 9 BV ) und der Rechtssicherheit in Einklang bringe. Die betreffenden Ausführungen beanspruchen nach wie vor Gültigkeit. Was die Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht vorbringt, gibt keinen Anlass, darauf zurückzukommen. 4.3 Die Beschwerdeführerin behauptet weiter, der Quartiergestaltungsplan könne keine Grundlage für eine Baubewilligung sein, weil er nicht vom Regierungsrat genehmigt worden sei. Die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erwähnten Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht seien nicht gegeben. Auch macht sie geltend, dem Quartiergestaltungsplan fehle die Eigenschaft der Nutzungsplanung. Grundsätzlich müssen auch Gestaltungspläne gemäss Art. 26 RPG (SR 700) durch eine kantonale Behörde genehmigt werden. Die Rechtsprechung lässt indessen eine Abweichung von diesem Grundsatz zu, wenn der Gestaltungsplan lediglich Art und Mass der im Zonen- oder Bebauungsplan festgelegten Nutzung verfeinert bzw. Abweichungen davon bereits im kommunalen Baureglement vorgesehen sind, welches selbst Teil der Grundordnung bildet und von einer kantonalen Behörde genehmigt worden ist (Urteile 1C_78/2015 vom 29. Mai 2015 E. 4.2 und 4.3.3; 1C_580/2014 vom 25. November 2015 E. 3.2; je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin geht auf diese Rechtsprechung inhaltlich nicht ein. Weshalb sie davon ausgeht, die dargelegten Voraussetzungen BGE 146 II 80 S. 84 für eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht seien nicht erfüllt, legt sie nicht dar. Auf ihre Rüge ist mangels Begründung nicht einzutreten ( Art. 42 Abs. 2 BGG ). Unklar bleibt auch, was die Beschwerdeführerin konkret meint, wenn sie vorbringt, dem Quartiergestaltungsplan fehle die Eigenschaft der Nutzungsplanung. Eine Verletzung von Art. 26 ZWG ist insofern jedenfalls nicht nachvollziehbar dargetan. 4.4 Mit der in Art. 26 Abs. 1 lit. b ZWG verankerten Voraussetzung, dass der Sondernutzungsplan die wesentlichen Elemente der Baubewilligung betreffend Lage, Stellung, Grösse und Gestaltung der Bauten und Anlagen sowie deren Nutzungsart und Nutzungsmass regeln muss, hat sich das Verwaltungsgericht eingehend auseinandergesetzt. Angesichts der sehr detaillierten Vorgaben im Quartiergestaltungsplan "Wohnüberbauung Lag-Pign" kam es zum Schluss, diese habe den Charakter eines baurechtlichen Vorentscheids und erfülle deshalb die Voraussetzung von Art. 26 Abs. 1 lit. b ZWG (vgl. dazu Urteil 1C_67/2018 vom 4. März 2019 E. 3.2 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin setzt sich mit der Begründung des Verwaltungsgerichts in diesem Punkt nicht substanziiert auseinander, weshalb es sich erübrigt, darauf weiter einzugehen ( Art. 42 Abs. 2 BGG ). 4.5 Zu prüfen ist hingegen, ob der Quartierplan im Sinne von Art. 26 Abs. 1 ZWG mindestens zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichtet ist. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies. Im Quartiergestaltungsplan "Wohnüberbauung Lag-Pign" sei nichts über die Nutzung als Erst- oder Zweitwohnungen bestimmt worden. Im Erläuterungsbericht werde ausdrücklich ausgeschlossen, dass es sich um eine Grossbaustelle handle, da die Überbauung infolge Kontingentsbestimmungen für Zweitwohnungen voraussichtlich 12-15 Jahre dauern würde. Mit anderen Worten sei die Frage der Nutzung der Wohnungen ausgeschlossen worden. Das bedeute, dass die Bauherrschaft damit habe rechnen müssen, dass die Nutzung als Zweitwohnungen allenfalls im Zeitpunkt der Baubewilligung beschränkt werden könnte. Wie aus dem Schreiben des Bauamts Laax vom 6. Dezember 2010 hervorgehe, sei über die Verteilung der Kontingente erst anlässlich der Baubewilligung entschieden worden, wobei die Kontingentszuteilung auf ein Jahr befristet gewesen sei. Damit sei erwiesen, dass der Quartiergestaltungsplan nicht zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichtet gewesen sei. BGE 146 II 80 S. 85 4.6 Wie bereits erwähnt, enthielt die Art. 26 ZWG entsprechende, bis am 1. Januar 2016 in Kraft stehende Bestimmung von Art. 8 aZWV noch keine explizite Anforderung, wonach der Sondernutzungsplan mindestens zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichtet zu sein hatte. Allerdings galt nach der Praxis bereits damals, dass das Projekt die Erstellung von Zweitwohnungen bezwecken musste. In zwei Urteilen hielt das Bundesgericht die in Frage stehenden Quartierpläne unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 aZWV unter anderem deshalb für ungenügend, weil die betreffenden Quartierplanvorschriften die Nutzung als Zweitwohnungen nicht bzw. nicht hinreichend klar vorsahen (Urteile 1C_860/2013 vom 18. September 2014 E. 6.2; 1C_42/2014 vom 16. September 2014 E. 2.3). In zwei weiteren Urteilen hielt es fest, eine solche Zweckbestimmung könne sich implizit aus der Gesamtheit der rechtlichen und tatsächlichen Umstände ergeben, da sich vor der Annahme von Art. 75b BV nicht notwendigerweise eine explizite Angabe im Sondernutzungsplan aufgedrängt habe (Urteil 1C_508/2014 vom 30. Juli 2015 E. 3.3, wo insbesondere die touristische Ausrichtung der geplanten Anlage und insoweit auch deren Lage berücksichtigt wurden; s. auch Urteil 1C_580/2014 vom 24. November 2015 E. 5.1). In einem weiteren Fall war Art. 8 aZWV in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar, weshalb das Bundesgericht den in Frage stehenden Quartierplan direkt gestützt auf den Vertrauensgrundsatz ( Art. 9 BV ) beurteilte. Weil der Plan jegliche Nutzung zu Wohnzwecken erlaubte und keine nähere Aufschlüsselung im Sinne einer Zweitwohnungsnutzung vorsah, konnte er nicht als baurechtsähnlicher (Vor-)Entscheid über die Erstellung neuer, unbewirtschafteter Zweitwohnungen eingestuft werden; die Bestrebungen zur Gewinnerzielung genügten nicht, um eine vertrauensbegründende Erwartung hervorzurufen (Urteil 1C_40/2015 vom 18. September 2015 E. 5.3 mit Hinweisen). Art. 26 ZWG ist gegenüber Art. 8 aZWV einerseits insofern strenger, als der Sondernutzungsplan danach "mindestens zu einem wesentlichen Teil" auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichtet sein muss. Andererseits geht die Literatur zu Recht davon aus, dass diese Zweckbestimmung auch unter der Geltung des Zweitwohnungsgesetzes nicht explizit vermerkt sein muss (BERNHARD WALDMANN, Zweitwohnungsbau: Zulässigkeit von neuen Zweitwohnungen, die auf einem früheren projektbezogenen Sondernutzungsplan beruhen, BR 2016 S. 93; HAUSER/JÄGER, in: Zweitwohnungsgesetz BGE 146 II 80 S. 86 [ZWG] - unter Einbezug der Zweitwohnungsverordnung [ZWV], 2017, N. 12 zu Art. 26 ZWG ). Daran ändert auch die in der Rechtsprechung gelegentlich verwendete Formulierung, die Verordnung verlange im Gegensatz zum Gesetz keine "förmliche" Angabe, nichts (vgl. Urteile 1C_508/2014 vom 30. Juli 2015 E. 3.3; 1C_580/2014 vom 24. November 2015 E. 5.1). Somit trifft die erwähnte, mit Blick auf Art. 8 aZWV formulierte und sich auf Vertrauensschutzgesichtspunkte stützende bundesgerichtliche Erwägung, wonach sich vor der Annahme von Art. 75b BV nicht notwendigerweise eine explizite Angabe im Sondernutzungsplan aufgedrängt habe, weiterhin zu. Allerdings muss aus dem Plan immerhin mit hinreichender Klarheit hervorgehen, dass mindestens zu einem wesentlichen Teil die Erstellung von Zweitwohnungen bezweckt wird. Zur zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 26 ZWG gilt es weiter zu berücksichtigen, dass der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zwei verschiedene Varianten in die Vernehmlassung gegeben hatte. Auf die strengere, welche Ausnahmebewilligungen gestützt auf projektbezogene Sondernutzungspläne nur befristet zugelassen hätte, wurde nach der Vernehmlassung verzichtet, weil sie als kaum praktikabel erschien (Botschaft vom 19. Februar 2014 zum Bundesgesetz über Zweitwohnungen, BBl 2287 2293 Ziff. 1.3). In den Räten wurde der Vorschlag des Bundesrats diskussionslos übernommen (AB 2014 S 970; AB 2015 N 74). 4.7 Im vorliegenden Fall soll nach den Erwägungen im angefochtenen Entscheid im Wesentlichen ausschlaggebend sein, dass der Quartierplan eine Etappierung vorsieht, die aus Sicht der Beschwerdegegnerin und der Gemeinde eine Folge der damals geltenden Kontingentierung des Zweitwohnungsbaus gewesen sei. Das Verwaltungsgericht stützt sich dabei auf einen Satz im Erläuterungsbericht zum Quartiergestaltungsplan, der folgenden Wortlaut hat: "Da die Erstellung der geplanten Überbauung aufgrund der Kontingentsbestimmungen für Zweitwohnungen voraussichtlich 12 bis 15 Jahre dauert, kann die Bautätigkeit keineswegs mit einer Grossbaustelle verglichen werden." Abgesehen von diesem im Zusammenhang mit der Frage der Baustellenerschliessung erfolgten, beiläufigen Hinweis auf die kommunale Kontingentierungsregelung enthält der Quartiergestaltungsplan allerdings keine Ausführungen zum Thema des Zweitwohnungsbaus. Eine verbindliche Festlegung in irgendeiner Form besteht nicht, insbesondere BGE 146 II 80 S. 87 auch nicht in den Quartierplanvorschriften. Es verhält sich insofern gleich wie in den bereits erwähnten Urteilen 1C_860/2013 vom 18. September 2014 E. 6.2 und 1C_42/2014 vom 16. September 2014 E. 2.3, wo ebenfalls keine Vorschriften über die Nutzung existierten bzw. die Nutzung als Zweitwohnung lediglich als ein Grundsatz mit Vorbehalt von Ausnahmen verankert war. Dass die Beschwerdegegnerin die Absicht hatte, zu einem wesentlichen Teil oder sogar ausschliesslich Zweitwohnungen zu erstellen, mag zutreffen, ist jedoch nicht ausschlaggebend (vgl. in diesem Zusammenhang das ebenfalls bereits erwähnte Urteil 1C_40/2015 vom 18. September 2015 E. 5.3, wonach das Motiv, Gewinn zu erzielen, nicht genügt, um eine vertrauensbegründende Erwartung hervorzurufen). Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Kontingentierungsregelung des kommunalen Zweitwohnungsgesetzes, die die Gemeinde gemäss dem angefochtenen Entscheid offenbar bis ins Jahr 2012 anwendete, Höchstgrenzen und Verfahrensvorschriften, jedoch keinen Rechtsanspruch auf die Zuteilung von Kontingenten enthält. Nichts anderes gilt für den in den Akten befindlichen Beschluss des Gemeindevorstands vom 15. April 2009 zur Präzisierung der Planungszone vom 16. Oktober 2008 betreffend Förderung von Erstwohnungen und Lenkung des Zweitwohnungsbaus. Dieser Beschluss hat gemäss den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nur bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gegolten. Art. 10 Abs. 3 und 4 des Gesetzes sehen zudem vor, dass die Jahreskontingente periodisch und spätestens alle fünf Jahre überprüft werden, dass über allfällige Anpassungen die Gemeindeversammlung zu entscheiden hat und dass die Jahreskontingente nur für eine Periode von fünf Jahren seit Beschluss des Gesetzes freigegeben werden können. Insofern kann nicht von einem schutzwürdigen Vertrauen in die Zuteilung von Zweitwohnungskontingenten gesprochen werden. Schliesslich ist nicht erkennbar, dass sich aufgrund der geografischen Lage die Bestimmung zur Nutzung als Zweitwohnungen aufdrängen würde. Die Wohnüberbauung ist nicht peripher gelegen, sondern fügt sich in das bestehende Siedlungsgebiet einer Gemeinde ein, die zudem gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen zu wenig Wohn-, Misch- und Zentrumszonen und somit einen Bedarf nach Erstwohnungen aufweist (vgl. nicht publ. E. 3.4 sowie Urteil 1C_508/2014 vom 30. Juli 2015 E. 3.3). BGE 146 II 80 S. 88 Dass der Quartiergestaltungsplan "Wohnüberbauung Lag-Pign" einen beiläufigen Hinweis auf die kommunale Kontingentierungsregelung enthält und eine Etappierung vorsieht, reicht vor dem Hintergrund der genannten tatsächlichen und rechtlichen Umstände nicht aus, um ihn als einen mindestens zu einem wesentlichen Teil auf die Erstellung von Zweitwohnungen ausgerichteten Sondernutzungsplan im Sinne von Art. 26 ZWG zu qualifizieren. Die Kritik der Beschwerdeführerin ist in diesem Punkt berechtigt.
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Sachverhalt ab Seite 595 BGE 129 III 595 S. 595 A.- Das Betreibungsamt Richterswil teilte am 19. Juni 2002 der P. AG als Schuldnerin in der Betreibung Nr. ... mit, dass die betreibungsamtliche Schätzung des zu verwertenden Grundstücks (dauerndes und übertragbares Baurecht für eine Fabrik, Assek.-Nr. a auf der Liegenschaft Kat.-Nr. b sowie Fabrikgebäude Assek.-Nr. c und Lagergebäude Assek.-Nr. d, in X.) Fr. 5'890'000.- betrug. Mit Eingabe vom 8. Juli 2002 verlangte die P. AG beim Bezirksgericht Horgen als unterer Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen rechtzeitig die Neuschätzung des Grundstücks. Mit Verfügung vom 9. Dezember 2002 stellte der Präsident der unteren Aufsichtsbehörde der P. AG die vom Sachverständigen Y. durchgeführte Neuschätzung mit dem Ergebnis von Fr. 2'770'000.- zur Stellungnahme zu. BGE 129 III 595 S. 596 B.- Die untere Aufsichtsbehörde wies mit Beschluss vom 4. Februar 2003 das Betreibungsamt an, in der Betreibung Nr. ... für das zu verwertende Grundstück den Schätzwert von Fr. 4'330'000.- einzusetzen. Zur Begründung hielt sie im Wesentlichen fest, dass sowohl die betreibungsamtliche als auch die Neuschätzung von einem Sachverständigen durchgeführt worden seien und daher der Mittelwert aus beiden Gutachten eingesetzt werde. Gegen diesen Beschluss erhob die P. AG Beschwerde und beantragte, der Schätzwert sei auf Fr. 1'800'000.-, eventualiter Fr. 2'770'000.- gemäss Gutachten der Neuschätzung festzusetzen. Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, als obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen trat auf die Beschwerde mit Beschluss vom 7. Mai 2003 mangels Beschwerdelegitimation nicht ein. C.- Die P. AG hat den Beschluss der oberen Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 22. Mai 2003 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und die obere Aufsichtsbehörde sei anzuweisen, auf die Beschwerde einzutreten. Die obere Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung auf Gegenbemerkungen ( Art. 80 OG ) verzichtet. Die Z. AG als Betreibungsgläubigerin und Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei diese abzuweisen. Das Betreibungsamt hat sich nicht vernehmen lassen.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die obere Aufsichtsbehörde hat im Wesentlichen festgehalten, dass es im Verwertungsverfahren darum gehe, einen möglichst hohen Erlös zu erzielen, so dass die Beschwerdeführerin kein Rechtsschutzinteresse an einer Herabsetzung des Schätzungswertes habe. Auch den Interessen von Steigerungsinteressenten komme keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Daher könne die Richtigkeit und Schlüssigkeit der (beiden) Gutachten, die im vorliegenden Fall in der Tat verschiedene Fragen nicht abschliessend beantworten würden, nicht Gegenstand von Weiterungen sein. Die obere Aufsichtsbehörde hat geschlossen, dass weder die Beschwerdeführerin noch Steigerungsinteressenten ein schutzwürdiges Interesse an der Beschwerdeführung hätten. Sie ist daher auf die Beschwerde nicht eingetreten und hat auch keinen Grund zum Einschreiten von Amtes wegen gesehen. BGE 129 III 595 S. 597 Die Beschwerdeführerin wendet dagegen im Wesentlichen ein, ihre Legitimation zur Beschwerdeführung sei gegeben, auch wenn sie eine tiefere Schätzung verlange. Beide Gutachten würden wesentliche Punkte übersehen, so dass nicht der Durchschnitt genommen werden könne. Der "krass unzutreffende", "massiv übersetzte" Schätzungswert könne den Eindruck erwecken, die Betreibungsgläubigerin sei für ihre Forderung vollumfänglich gedeckt, und könne - was in ihrem (der Beschwerdeführerin) tatsächlichen Interesse stehe - laufende Sanierungsverhandlungen beeinflussen. 3. Zur Beschwerdeführung gemäss Art. 17 SchKG ist legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung eines Vollstreckungsorganes in seinen rechtlich geschützten oder zumindest tatsächlichen Interessen betroffen und dadurch beschwert ist und deshalb ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Abänderung der Verfügung hat ( BGE 120 III 42 E. 3 S. 44; BGE 112 III 1 E. 1 S. 3; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 152 zu Art. 17 SchKG ). Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass ihr die obere Aufsichtsbehörde die Legitimation zur Beschwerdeführung abgesprochen hat. 3.1 Aus dem Zusammenhang zwischen der Höhe des Schätzungswertes und dem Steigerungserlös kann - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nichts für die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin abgeleitet werden. Die Schätzung des zu versteigernden Grundstückes sagt nichts über den an der Versteigerung tatsächlich erzielbaren Erlös aus, sondern gibt im Pfandverwertungsverfahren den Interessenten allenfalls einen Anhaltspunkt über das vertretbare Angebot (vgl. BGE 101 III 32 E. 1 S. 34). Deshalb soll die Schätzung nicht "möglichst hoch" sein, sondern den mutmasslichen Verkaufswert des Grundstückes bestimmen (Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 99 Abs. 1 der Verordnung des Bundesgerichts vom 23. April 1920 über die Zwangsverwertung von Grundstücken [VZG; SR 281.42]). Diesem Zweck dient das Recht der Beteiligten (auch des Schuldners), ohne nähere Begründung eine neue Schätzung durch Sachverständige zu verlangen (Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 99 Abs. 2 VZG ), sowie die Regel, dass die Aufsichtsbehörde sich für einen Mittelwert (nicht den höheren Wert) entscheiden darf, wenn voneinander abweichende Schätzungen zweier gleich kompetenter Sachverständiger vorliegen ( BGE 120 III 79 E. 2b S. 81). Vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin als Schuldnerin (abgesehen von möglichen tatsächlichen Interessen) ein rechtlich BGE 129 III 595 S. 598 geschütztes Interesse hat, ohne weiteres die Schätzung des Betreibungsamtes in Frage zu stellen, um den mutmasslichen Verkaufswert zu bestimmen, ist kein Grund ersichtlich, ihre Beschwerdelegitimation vom Antrag auf eine höhere Schätzung abhängig zu machen. 3.2 Der Schuldner hat - wie der Gläubiger - sodann grundsätzlich ein rechtlich geschütztes Interesse an der ordnungsgemässen Abwicklung des Zwangsvollstreckungsverfahrens (vgl. FRANCO LORANDI, Betreibungsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeit, N. 176 und 184 zu Art. 17 SchKG mit Hinweisen). Nach feststehender Rechtsprechung sind deshalb vor allem und ganz allgemein die am Zwangsvollstreckungsverfahren unmittelbar Beteiligten, d.h. der Schuldner und der Gläubiger zur Beschwerdeführung legitimiert ( BGE 43 III 18 E. 1 S. 20 f.; BGE 67 III 89 S. 90; BGE 70 III 18 E. 2 S. 20; vgl. GILLIÉRON, a.a.O., N. 161 zu Art. 17 SchKG ). Die untere Aufsichtsbehörde hat nach der von der Beschwerdeführerin anbegehrten Neuschätzung des Grundstücks durch einen Sachverständigen das Betreibungsamt angewiesen, für das zu verwertende Grundstück einen anderen als den betreibungsamtlich ermittelten mutmasslichen Verkaufswert einzusetzen. Dass es sich bei diesem Beschluss um eine konkrete auf den Verfahrensgang einwirkende Massnahme handelt, steht ausser Frage. Folglich besteht ein rechtlich geschütztes Interesse der Beschwerdeführerin als Schuldnerin, den Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde mit Beschwerde an die obere Aufsichtsbehörde weiterzuziehen und die Ordnungsmässigkeit dieses Entscheides in Frage zu stellen. Wenn die obere Aufsichtsbehörde daher zum Ergebnis gelangt ist, die Beschwerdeführerin sei zur Beschwerde gegen den Beschluss der unteren Aufsichtsbehörde über den massgeblichen Schätzungswert mangels Rechtsschutzinteresse nicht berechtigt, ist dies mit den Regeln zur Legitimation für die Beschwerde nach Art. 18 SchKG , für welche die gleichen Grundsätze wie für diejenige nach Art. 17 SchKG gelten (LORANDI, a.a.O., N. 44 zu Art. 18 SchKG ), nicht vereinbar. 3.3 Nach dem Dargelegten erweist sich die Beschwerde gegen das Nichteintreten der Vorinstanz auf die Beschwerde zufolge fehlender Beschwerdelegitimation als begründet. Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Die obere Aufsichtsbehörde wird daher angewiesen, die Beschwerde der Beschwerdeführerin entgegenzunehmen, die weiteren Eintretensvoraussetzungen zu prüfen und gegebenenfalls in der Sache zu entscheiden.
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de
Sachverhalt ab Seite 167 BGE 136 II 165 S. 167 A. Am 22. Mai 2000 kündigte Deutschland die schweizerisch-deutsche Vereinbarung von 1984 über die An- und Abflüge zum bzw. vom Flughafen Zürich über deutschem Hoheitsgebiet. Im Herbst 2001 einigten sich die Parteien auf einen Staatsvertrag, mit dessen Umsetzung - voranwendungs- und schrittweise - sogleich zu beginnen war. So wurde am 19. Oktober 2001 ein neues, den deutschen Luftraum entlastendes Nachtflugregime eingeführt; die Landungen, die bis dahin von Norden erfolgt waren, wurden auf die Piste 28 verlegt, mit Anflug aus Osten. Weitere Ostanflüge wurden eingeführt, als am 27. Oktober 2002 die neue staatsvertragliche Wochenend- und Feiertagsregelung zu greifen begann. Dem bloss vorläufig angewandten, aber noch nicht ratifizierten Staatsvertrag erwuchs im schweizerischen Parlament Widerstand; am 18. März 2003 scheiterte er dort endgültig. Die Beschränkungen des Staatsvertrags entfielen jedoch nicht, da sie von Seiten Deutschlands in einer einseitigen Durchführungsverordnung (DVO) verankert wurden. Die DVO wurde sukzessive verschärft, so dass es zu stets noch mehr Anflügen aus Osten kam, v.a. während der Nachtstunden. B. Seit der Einführung der Ostanflüge im Herbst 2001 meldeten eine Vielzahl von Grundeigentümern aus dem betroffenen Gebiet bei der Flughafen Zürich AG Entschädigungsbegehren an. Diese übermittelte die Gesuche an die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10 (ESchK), die ab dem 11. August 2003 - für jede der 24 betroffenen Gemeinden und Städte separat - Enteignungsverfahren einleitete. Auf Antrag der Flughafen Zürich AG beschränkte die ESchK am 2. März 2005 die Verfahren auf die Frage der Unvorhersehbarkeit als eine der Anspruchsvoraussetzungen. (...) C. Am 17. Dezember 2007 kam die ESchK zum Schluss, massgeblicher Stichtag für die Unvorhersehbarkeit sei der 1. Januar 1961. Sie wies daher die Begehren all jener ab, die ihr Grundeigentum nach diesem Datum erworben hatten und die auch nicht von einem BGE 136 II 165 S. 168 direkten Überflug betroffen seien. Dieser Entscheid wurde den Betroffenen in 29 Sammel- und Einzelentscheiden eröffnet. (...) D. Gegen 17 dieser 29 Entscheide gingen beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) vom 20. März bis zum 23. Mai 2008 insgesamt 37 Beschwerden mit 1'093 beschwerdeführenden Parteien ein. Alle Beschwerdeführer beantragten die Aufhebung des sie betreffenden Entscheids sowie - ausdrücklich oder sinngemäss - die Feststellung der Unvorhersehbarkeit der Ostanflüge. Ausserdem wurde bezogen auf viele einzelne Grundeigentümer eine Aufhebung des jeweils fraglichen Entscheids verlangt, weil die ESchK angeblich zu Unrecht ein Erwerbsdatum nach dem 1. Januar 1961 bzw. keinen direkten Überflug angenommen habe. E. Das BVGer vereinigte alle Beschwerdeverfahren in dieser Sache. Am 26. Mai 2009 hiess es die Beschwerden gut, soweit die ESchK die Entschädigungsforderungen wegen Lärmimmissionen abgewiesen hatte. Es (...) wies die Sache an die ESchK zurück mit der Anweisung, für die Frage der Vorhersehbarkeit das Stichdatum 23. Mai 2000 zu berücksichtigen (...).
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Die Beschwerden betreffend Entschädigungsforderungen wegen direkten Überflugs hiess das BVGer überwiegend gut, weil die ESchK die Rechtslage zur horizontalen und vertikalen Umschreibung des eigentlichen Überflugs nicht erläutert und sich nicht genügend mit den tatsächlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt habe. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb im Einzelfall ein direkter Überflug verneint worden sei. Das BVGer hob daher die (...) angefochtenen Entscheide auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Urteilserwägungen an die ESchK zurück (Dispositiv-Ziff. 5.5). Dagegen trat es auf die Beschwerden von A., Eheleute B., C., Eheleute D., E.G. und F.G., H., Eheleute I., Eheleute J., Eheleute K., L.O., M.O. und N.O., Eheleute P., Eheleute Q. sowie von R. nicht ein (Dispositiv-Ziff. 5.1), weil diese erst in der Replik geltend gemacht hatten, dass sie - entgegen den Feststellungen der ESchK - direkt und in einer die Entschädigung nicht ausschliessenden Höhe überflogen würden. F. Die zuvor genannten Beschwerdeführer haben am 29. Juni 2009 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben und beantragen, Ziff. 5.1 des Erkenntnisses der Vorinstanz sei ersatzlos aufzuheben und sie seien in die in Ziff. 5.5 des BGE 136 II 165 S. 169 vorinstanzlichen Erkenntnisses verfügte Neubeurteilung des direkten Überflugs zu integrieren. (...) Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. (Auszug) Erwägungen Aus den Erwägungen: 1. Der angefochtene Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts schliesst das Entschädigungsverfahren nicht ab, sondern weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die ESchK zurück. 1.1 Allerdings ist das Bundesverwaltungsgericht auf die Beschwerde der Beschwerdeführer nicht eingetreten, soweit diese geltend gemacht hatten, sie würden direkt und in einer die Entschädigung nicht ausschliessenden Höhe überflogen. Dies hat zur Folge, dass die Beschwerdeführer vor der ESchK nicht mehr eine Entschädigung unter dem Titel "eigentlicher Überflug", sondern nur noch wegen übermässiger Lärmimmissionen verlangen können. Zu prüfen ist daher, ob dem angefochtenen Entscheid insofern prozessual die Bedeutung eines End- bzw. eines Teilendentscheids i.S.v. Art. 90 f. BGG zukommt. Ein selbstständig anfechtbarer Teilentscheid i.S.v. Art. 91 BGG liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid nur einen Teil der gestellten Begehren behandelt, und diese unabhängig von den anderen Begehren beurteilt werden können (lit. a), oder wenn es das Verfahren nur für einen Teil der Streitgenossen abschliesst (lit. b). Das BVGer hat das Enteignungsverfahren für die Beschwerdeführer nicht abgeschlossen; vielmehr wurden auch ihre Entschädigungsbegehren an die ESchK zurückgewiesen, mit der Anweisung, sie neu zu beurteilen, wenn auch nur noch unter dem Aspekt der Lärmimmissionen. Die Beschwerdeführer hatten nicht mehrere, sondern nur ein Begehren um Entschädigung für den fluglärmbedingten Minderwert ihrer Liegenschaften gestellt, wenn auch mit zwei alternativen Begründungen (Enteignung von nachbarlichen Abwehransprüchen wegen übermässiger Lärmimmissionen bzw. Überflugs im engeren Sinne). Eine getrennte Entschädigungsbemessung für die Benutzung des zum Grundeigentum gehörenden Luftraums einerseits und für übermässige Lärmimmissionen aus der Nachbarschaft andererseits wurde BGE 136 II 165 S. 170 von den Beschwerdeführern nicht verlangt und wäre auch gar nicht durchführbar gewesen (vgl.MARGRIT SCHILLING, Enteignungsrechtliche Folgen des zivilen Luftverkehrs, ZSR 2006 I S. 26). Mit dem Nichteintreten des BVGer auf die erst in der Replik erhobenen Rügen der Beschwerdeführer betreffend Überflugs entfällt für die Beschwerdeführer die Möglichkeit, sich im neuen Verfahren vor der ESchK auf Überflug zu berufen. Damit wurde jedoch über ihr Entschädigungsbegehren noch nicht (teilweise) entschieden, sondern lediglich eine von zwei möglichen materiellen Anspruchsgrundlagen ausgeschlossen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Grundsatzentscheide, die einen Teilaspekt einer Streitsache, z.B. eine von mehreren materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen, beantworten, nach der Systematik des BGG nicht als Teil-, sondern als Zwischenentscheide im Sinne von Art. 93 BGG zu qualifizieren ( BGE 135 II 30 E. 1.3.1 S. 34; BGE 134 II 137 E. 1.3.2 S. 140; BGE 133 V 477 E. 4.1.3 S. 481 mit Hinweisen). Der angefochtene Entscheid ist daher ein Zwischenentscheid i.S.v. Art. 93 BGG . 1.2 Zwischenentscheide i.S.v. Art. 93 Abs. 1 BGG können selbstständig angefochten werden, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die zweite Alternative kommt nach dem oben (E. 1.1) Gesagten nicht in Betracht. Näher zu prüfen sind die in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG genannten Eintretensvoraussetzungen. 1.2.1 Nach dieser Bestimmung ist die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid zulässig, wenn dieser einen Nachteil bewirken könnte, der auch durch einen für den Beschwerdeführer günstigen Endentscheid (sei es im kantonalen Verfahren, sei es in einem anschliessenden Verfahren vor Bundesgericht) nicht mehr behoben werden könnte ( BGE 134 III 188 E. 2.1 S. 190 mit Hinweisen). Die blosse Verzögerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt generell nicht, um einen sofortigen Entscheid des Bundesgerichts zu erwirken (so schon die Rechtsprechung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter dem OG: vgl. BGE 134 II 137 E. 1.3.1 S. 140 mit Hinweisen). BGE 136 II 165 S. 171 Immerhin muss sichergestellt werden, dass das Verfahren insgesamt dem verfassungsrechtlichen Gebot genügt, im Rahmen eines fairen Verfahrens innert angemessener Frist einen wirksamen Rechtsschutz zu gewähren ( Art. 29 Abs. 1 BV ; Art. 6 Ziff. 1 EMRK ). Unter diesem Aspekt kann es ausnahmsweise verfassungsrechtlich geboten sein, bereits auf einen Zwischenentscheid einzutreten, wenn es rechtsstaatlich unzumutbar wäre, die Parteien auf die Anfechtung des Endentscheids zu verweisen (vgl. BGE 134 II 137 E. 1.3.2 und 1.3.3 S. 140 f.; BGE 135 II 30 E. 1.3.4 und 1.3.5 S. 35 ff.; vgl. auch BGE 135 I 261 E. 1.4 S. 263 f.). 1.2.2 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Enteignungsverfahren bereits seit über 6 Jahren hängig sind und noch geraume Zeit bis zum Vorliegen eines vor Bundesgericht anfechtbaren Endentscheids vergehen wird. Unter dem Aspekt der angemessenen Verfahrensdauer ( Art. 29 Abs. 1 BV ; Art. 6 Ziff. 1 EMRK ) erscheint es unzumutbar, die Beschwerdeführer auf eine Anfechtung des Endentscheids zu verweisen, mit der Folge, dass das Verfahren bei Gutheissung der Beschwerde nochmals neu aufgerollt werden müsste. Auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs ( Art. 29 Abs. 2 BV ) und des Anspruchs der Parteien auf gleiche und gerechte Behandlung ( Art. 29 Abs. 1 BV ) wäre es (die Begründetheit ihrer Beschwerde unterstellt) fragwürdig, die Beschwerdeführer vom weiteren Verfahren der ESchK auszuschliessen. Diese wurde vom BVGer angewiesen, im neuen Verfahren den Überflugkorridor und die Überflughöhe in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht näher zu definieren. Diese Sach- und Rechtsfragen müssen von der ESchK für alle Beteiligten einheitlich beantwortet werden, in Kenntnis und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen aller Betroffenen. Zwar könnte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs möglicherweise nachträglich geheilt werden. Unter dem Aspekt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, namentlich der Gleichbehandlung der Beteiligten und der Rechtssicherheit, erscheint es jedoch geboten, in einem komplexen, aufwändigen, viele Beteiligten umfassenden Verfahren wie dem vorliegenden die selbstständige direkte Anfechtung des umstrittenen Zwischenentscheids zuzulassen. 1.3 Da alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 2. Das BVGer vertrat die Auffassung, die ESchK habe einen Entschädigungsanspruch unter dem Titel des direkten Überflugs BGE 136 II 165 S. 172 verneint. Dies sei für die Beschwerdeführer ohne Weiteres erkennbar gewesen, weshalb die erst in der Replik vorgebrachten Rügen verspätet seien. (...) 2.1 Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, die ESchK habe die Überflugsituation in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ungenügend erläutert. Für die Enteigneten sei daher nicht ersichtlich gewesen, ob ihre Begehren abgewiesen worden seien, weil sie in zu grosser Höhe überflogen werden, oder weil ihre Grundstücke seitlich ausserhalb des Überflugkorridors liegen. Sie hätten insbesondere keine Kenntnis von den Überflugplänen erhalten, die von der Flughafen Zürich AG im Sommer 2007, lange nach Abschluss des Schriftenwechsels, unaufgefordert eingereicht worden seien. Diese Pläne seien auch in den Schätzungsentscheiden nicht erwähnt worden, weshalb die Beschwerdeführer erst bei der Vorbereitung der Replik darauf gestossen seien. Diese Pläne seien aber notwendig gewesen, um zu entscheiden, ob eine Liegenschaft, bezogen auf ihre Lage zum Leitstrahl des Instrumentenlandesystems für Piste 28 (ILS 28), sich im 1,25°-Korridor des eigentlichen Überflugs befindet oder nicht. Die Beschwerdeführer hätten deshalb erst in der Replik präzisieren können, dass - entgegen der Feststellung der ESchK - auch ihre Liegenschaften direkt überflogen werden. Die Beschwerdeführer räumen ein, dass ihr Anwalt bei der Abfassung der Beschwerdeschrift insofern einen Fehler gemacht habe, als er gewisse Betroffene namentlich identifiziert habe, ohne durch einen Zusatz erkennbar zu machen, dass es sich um eine beispielhafte und nicht um eine abschliessende Auflistung handelte. Dieser Fehler wäre ihm aber nicht unterlaufen, wenn die ESchK die vom eigentlichen Überflug Betroffenen konkret bezeichnet bzw. ihre Entscheidgrundlagen, namentlich den Überflugplan, im Entscheid genannt hätte. (...) 2.2 Die Beschwerdegegnerin ist dagegen der Auffassung, die heutigen Beschwerdeführer hätten in ihren Beschwerden vom 24. April 2008 (Kloten) und vom 7. Mai 2008 (Nürensdorf) in Bezug auf die Überflugproblematik die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids nur für die in der Beschwerdebegründung spezifizierten Personen beantragt. Alle anderen, nicht namentlich genannten Beschwerdeführer hätten somit die Verneinung der direkten Überflüge durch die ESchK akzeptiert. Damit hätten sie den Streitgegenstand festgelegt. Dieser habe nachträglich, in der Replik, nicht mehr erweitert, sondern nur noch eingeschränkt werden können. BGE 136 II 165 S. 173 3. Aus den Akten ergibt sich Folgendes (...) 4. Gemäss Art. 52 Abs. 1 VwVG hat die Beschwerdeschrift an das Bundesverwaltungsgericht die Begehren und deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten. Sie ist innerhalb der Beschwerdefrist einzureichen ( Art. 50 VwVG ); u.U. kann gemäss Art. 52 Abs. 2 oder Art. 53 VwVG eine Nachfrist zur Beschwerdeverbesserung oder -ergänzung gesetzt werden. Diese Bestimmung schliesst jedoch spätere Vorbringen tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht aus (SEETHALER/BOCHSLER, in: VwVG, Praxiskommentar, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2009, N. 80-82 zu Art. 52 VwVG ; PATRICK SUTTER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], 2008, N. 8-10 zu Art. 32 VwVG ). 4.1 Im Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht gelten die Untersuchungsmaxime ( Art. 12 VwVG ) und der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen ( Art. 62 Abs. 4 VwVG ). Das Bundesverwaltungsgericht verfügt über eine umfassende Kognition ( Art. 49 VwVG ) und kann den angefochtenen Entscheid, im Rahmen von Art. 62 VwVG , zugunsten oder zuungunsten einer Partei abändern. 4.2 Art. 32 Abs. 2 VwVG bestimmt zudem ausdrücklich, dass verspätete Parteivorbringen, die ausschlaggebend erscheinen, trotz der Verspätung berücksichtigt werden können. Trotz der "Kann"-Formulierung geht die herrschende Lehre von einer Verpflichtung zur Berücksichtigung verspäteter Parteivorbringen aus, sofern diese ausschlaggebend sind (PATRICK SUTTER, a.a.O., N. 8 zu Art. 32 VwVG ; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl. 1998, N. 325 und 615; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, 1979, Ziff. 16.232 S. 141; MOSER/UEBERSAX, Prozessieren vor eidgenössischen Rekurskommissionen: Die erstinstanzliche nachträgliche Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund, 1998, N. 2.80; WALDMANN/BICKEL, in: VwVG, Praxiskommentar, N. 16 zu Art. 32 VwVG ; a.A. RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, 1996, N. 1352). 4.3 Allerdings wird es im Beschwerdeverfahren überwiegend für zulässig erachtet, Vorbringen ausser Acht zu lassen, die auf nachlässiger Prozessführung beruhen oder der Verschleppung des Prozesses dienen (REKO EVD vom 5. Dezember 1996, in: VPB 61/1997 Nr. 31 E. 3.2.3; SUTTER, a.a.O., N. 11 zu Art. 32 VwVG ; MADELEINE BGE 136 II 165 S. 174 CAMPRUBI, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 1983, N. 9 in fine zu Art. 62 VwVG ; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 67 f.; einschränkend KÖLZ/HÄNER, a.a.O., N. 615: nur soweit nicht ausschlaggebend). 4.4 Im vorliegenden Fall kann den Beschwerdeführern jedoch keine nachlässige Prozessführung vorgeworfen werden. Es ist unstreitig, dass ihnen der Eingang der von der Flughafen Zürich AG im Sommer 2007 eingereichten "Darstellung der Überflugsituation beim ILS-Anflug auf die Piste 28 des Flughafens Zürich" nicht angezeigt worden war. Diese - für die Beurteilung der Überflugsituation erhebliche Darstellung - wurde auch von der ESchK in ihren Entscheiden nicht erwähnt, wie das BVGer im angefochtenen Entscheid festgehalten hat (vgl. nicht publ. E. 3.6). Die Beschwerdeführer erfuhren somit erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens vor dem BVGer von der Existenz des Überflugsituationsplans und entdeckten erst aufgrund dieses Plans, dass auch ihre Liegenschaften (ganz oder teilweise) im Überflugkorridor liegen. Zwar ist dem BVGer einzuräumen, dass der Anwalt der Beschwerdeführer angesichts der Begründungsmängel der Schätzungsentscheide die Möglichkeit gehabt hätte, diese pauschal für alle von ihm vertretenen Enteigneten anzufechten, ohne die unmittelbar Betroffenen näher zu spezifizieren. Jedoch darf es ihm nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er diese Spezifizierung versucht hat, diese aber - aufgrund der fehlenden Planunterlagen - unvollständig war. 5. Neue Vorbringen sind allerdings nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig (WALDMANN/BICKEL, a.a.O., N. 17 zu Art. 32 VwVG ; REKO EVD vom 5. Dezember 1996, in: VPB 61/1997 Nr. 31 E. 3.2.1). Dieser wird durch die Beschwerdeanträge festgelegt, die sich ihrerseits im Rahmen des Anfechtungsobjekts, d.h. des Dispositivs des angefochtenen Entscheids, bewegen müssen. Der Streitgegenstand kann von den Parteien im Lauf des Beschwerdeverfahrens grundsätzlich nicht mehr erweitert werden ( BGE 133 II 30 E. 2 S. 31 f.; CAMPRUBI, a.a.O., N. 5 und 9 zu Art. 62 VwVG ; KÖLZ/HÄNER, a.a.O., N. 405 und 612; MOSER/UEBERSAX, a.a.O., N. 2.13 und 2.85). 5.1 Abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des Beschwerdeverfahrens lässt allerdings Art. 77 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG; SR 711) neue Begehren im Beschwerdeverfahren gegen Entscheide über die Festsetzung der Entschädigung zu, soweit sie nachweisbar nicht schon vor der ESchK BGE 136 II 165 S. 175 gestellt werden konnten. Diese Bestimmung übernimmt die schon bisher im Enteignungsrecht des Bundes geltende Regelung (Botschaft des Bundesrats zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4445 zu Art. 77 EntG ) und will dem Enteigneten die Möglichkeit geben, Entschädigungsforderungen für erst nachträglich aufgetretene oder erkennbar gewordene Schäden anzumelden (Urteil E.9/1992 vom 24. Juni 1993 E. 1a; HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes: Kommentar zum Bundesgesetz über die Enteignung, zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen und zur Spezialgesetzgebung des Bundes, Bd. I, 1986, N. 16 zu Art. 77 EntG ). Ob und inwieweit diese Spezialbestimmung eine Ausweitung von Beschwerdebegehren noch in der Replik zulässt, kann im vorliegenden Fall offenbleiben. 5.2 Wie bereits oben (E. 1.1) dargelegt worden ist, verlangten die Beschwerdeführer im Schätzungsverfahren eine Entschädigung für die fluglärmbedingte Wertminderung ihrer Liegenschaften, wobei als Begründung sowohl die Enteignung nachbarlicher Abwehrrechte wegen übermässiger Lärmimmissionen als auch eigentlicher Überflug in Betracht kamen. Streitgegenstand war somit die beantragte Entschädigung. Dass diese unter verschiedenen Voraussetzungen gewährt werden kann, schränkt den Streitgegenstand nicht ein: Die rechtliche Wirkung, nicht die Begründung oder Herleitung definiert den Streitgegenstand ( BGE 131 II 200 E. 3.3 S. 204). In ihrer Beschwerdeschrift ans BVGer hielten die Beschwerdeführer an ihren Entschädigungsbegehren vollumfänglich fest. Insofern erfolgte keine Einschränkung des Streitgegenstands. Die Ausführungen der Beschwerdeführer zu den vom direkten Überflug betroffenen Personen waren lediglich Begründungselemente, die nach dem oben Gesagten (E. 4) nachträglich ergänzt werden konnten. Zudem hat das BVGer innerhalb des Streitgegenstands das Recht von Amtes wegen anzuwenden und grundsätzlich den Sachverhalt zugrundezulegen, wie er sich im Zeitpunkt des Entscheids verwirklicht hat und bewiesen ist (KÖLZ/HÄNER, a.a.O. Rz. 615; CAMPRUBI, a.a.O., N. 10 zu Art. 62 VwVG ; REKO EVD vom 6. April 1995, in: VPB 60/1996 Nr. 48 E. 6 S. 429 f.). 6. Das BVGer hätte somit auf die Beschwerden der Beschwerdeführer insgesamt, auch im Hinblick auf den direkten Überflug, eintreten müssen. In diesem Fall hätte es diese - wie die übrigen Beschwerden betreffend direkten Überflugs - gutheissen, die angefochtenen BGE 136 II 165 S. 176 Entscheide der ESchK insoweit aufheben und die Sache zur Neubeurteilung der Entschädigungsansprüche auch unter dem Blickwinkel des direkten Überflugs an die ESchK zurückweisen müssen. (...)
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3,166
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CH_BGE
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1
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2,024
de
Sachverhalt ab Seite 314 BGE 131 III 314 S. 314 A. Nebst einer Reihe weiterer Policen besteht zwischen den Parteien eine "Erwerbsausfallversicherung bei Krankheit". Seit dem 8. Mai 2000 ist der Kläger ganz oder teilweise arbeitsunfähig und die Versicherung erbrachte in der Zeit vom 8. Juni 2000 bis 28. Februar 2002 Taggeldleistungen von über Fr. 100'000.-. Im Rahmen einer Strafuntersuchung gegen den Kläger wegen Brandstiftung, Irreführung der Rechtspflege und mehrfachen Betrugs machte die Versicherung am 2. April 2002 adhäsionsweise eine Forderung von rund Fr. 150'000.- geltend (Rückforderung der als Sachversicherer geleisteten Entschädigung für einen vorgetäuschten Einbruchdiebstahl; Rückforderung der in Zusammenhang mit dem Brandfall geleisteten Zahlung; Rückforderung der Taggeldleistungen). Mit Schreiben vom 17. April 2002 erklärte die Versicherung gestützt auf Art. 40 VVG den Rücktritt von sämtlichen Versicherungsverträgen, da sich aufgrund der polizeilichen Untersuchungen ergeben habe, dass mindestens ein Teil der geltend gemachten BGE 131 III 314 S. 315 Forderungen nicht gerechtfertigt gewesen seien; es würden daher keine weiteren Leistungen ausgerichtet und die bereits erbrachten zurückgefordert. Während der Kläger den pauschalen Rücktritt von den anderen Versicherungsverträgen akzeptierte, bestritt er ihn mit Bezug auf die Erwerbsausfallversicherung und ersuchte die Versicherung, die Taggeldzahlungen wieder aufzunehmen. B. Nachdem die Versicherung dieser Forderung nicht nachgekommen war, reichte der Kläger beim Kreisgericht Rheintal eine Klage ein, mit der er die Auszahlung der restlichen Taggelder und einer Invalidenrente für das erste Quartal verlangte. Mit Entscheid vom 2. Juli 2003 hiess das Kreisgericht Rheintal die Klage vollumfänglich gut. Das Kantonsgericht St. Gallen wies die kantonale Berufung mit Entscheid vom 20. Oktober 2004 ab. Das Bundesgericht weist die hiergegen von der Versicherung erhobene eidgenössische Berufung ab.
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. Die Beklagte rügt eine Verletzung von Art. 40 VVG (SR 221.229.1). Es geht dabei um die Rechtsfrage, ob die Beklagte gestützt auf Art. 40 VVG von sämtlichen Versicherungsverträgen, d.h. auch von der Erwerbsausfallversicherung, zurücktreten durfte oder nur von denjenigen, mit denen die betrügerischen Handlungen und die Brandstiftung in Zusammenhang standen. 2.1 Hat der Anspruchsberechtigte oder sein Vertreter Tatsachen, welche die Leistungspflicht des Versicherers ausschliessen oder mindern würden, zum Zwecke der Täuschung unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen oder hat er die ihm nach Massgabe des Artikels 39 dieses Gesetzes obliegenden Mitteilungen zum Zwecke der Täuschung zu spät oder gar nicht gemacht, so ist der Versicherer gegenüber dem Anspruchsberechtigten an den Vertrag nicht gebunden ( Art. 40 VVG ). 2.2 Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Gesetzesbestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden. Abweichungen von einem klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck BGE 131 III 314 S. 316 oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 124 III 266 E. 4 S. 268; BGE 127 III 318 E. 2b S. 322 f.). 2.3 Der Wortlaut von Art. 40 VVG ist klar. Werden leistungsbegründende Tatsachen zum Zweck der Täuschung unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, ist der Versicherer an den Vertrag nicht gebunden. Die Rechtsfolge bezieht sich demnach auf den von den betrügerischen Handlungen betroffenen Vertrag, nicht auf die - gegebenenfalls aus einer ganzen Anzahl von Verträgen bestehende - Geschäftsbeziehung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer. Angesichts des klaren Wortlauts bleibt zu prüfen, ob die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, oder ob triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass der Wortlaut nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. In diesem Zusammenhang gilt es zunächst, sich mit der Lehrmeinung auseinander zu setzen, wonach dem Versicherer nach richtigem Gesetzesverständnis ein generelles Rücktrittsrecht zustehen müsse (dazu E. 2.3.1). Anschliessend ist auf weitere vorinstanzliche Überlegungen zur Tragweite des Rücktrittsrechts hinzuweisen (E. 2.3.2). 2.3.1 Die Beklagte beruft sich mit Nachdruck auf die Meinungsäusserung im Basler Kommentar, wonach der Versicherer gemäss Art. 40 VVG von allen Versicherungsverträgen zurücktreten kann, auch von denjenigen, die in keinem Zusammenhang mit den betrügerischen Handlungen des Versicherungsnehmers stehen (NEF, Basler Kommentar, N. 45 zu Art. 40 VVG ; gl.M.: WICKI, Versicherungsmissbrauch, Diss. Freiburg 2002, S. 154; a.M.: ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG, Bd. I, Bern 1968, S. 585 Fn. 3 mit Verweisen auf die deutsche Rechtsprechung). Diese Ansicht vermag jedoch aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen: Vorab ist zu bemerken, dass sich der Versicherungsvertrag schlecht mit denjenigen Vertragsverhältnissen vergleichen lässt, für die der BGE 131 III 314 S. 317 Besondere Teil des Obligationenrechts gesetzliche ausserordentliche Beendigungsgründe kennt (namentlich Miet- und Arbeitsvertrag sowie einfache Gesellschaft). Gerade der Arbeitsvertrag wird regelmässig mit einem spezifischen Arbeitgeber und im Hinblick auf die persönlichen Qualitäten des Arbeitnehmers geschlossen. Sodann obliegen dem Arbeitgeber umfassende gesetzliche Fürsorge- und Schutzpflichten (Schutz der Persönlichkeit, Art. 328 OR ; Personalvorsorge, Art. 331 ff. OR ; Lohnfortzahlung, Art. 324a OR ; etc.). Umgekehrt trifft den Arbeitnehmer eine umfassende Sorgfalts- und Treuepflicht ( Art. 321a OR ). Im Unterschied dazu treten auf dem Versicherungsmarkt weitgehend austauschbare Gesellschaften auf, bei deren Versicherungsangeboten es sich zu einem grossen Teil um ein von der Person des Versicherungsnehmers unabhängiges Massengeschäft handelt. Aber selbst dort, wo die persönlichen Eigenschaften des Versicherungsnehmers geprüft werden, geschieht dies regelmässig zur Risikokalkulation und Prämienbestimmung und kaum je mit Rücksicht auf eine gegenseitige persönliche Verbundenheit der Vertragsparteien. Wesentlicher als dieser Unterschied ist jedoch, dass sich auch die ausserordentliche Kündigungsmöglichkeit gemäss Art. 266g, Art. 337 oder Art. 545 Abs. 2 OR auf den jeweiligen Miet-, Arbeits- resp. Gesellschaftsvertrag und nicht auf sämtliche zwischen den betreffenden Parteien bestehenden Verträge bezieht. Rechtsdogmatisch lässt sich deshalb von diesen gesetzlich geregelten ausserordentlichen Kündigungsrechten nicht auf ein generelles Rücktrittsrecht des Versicherers schliessen. Ebenso wenig dürfen die Unterschiede zwischen Kündigung und Rücktritt übersehen bzw. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge vermengt werden. Die Kündigung wirkt ex nunc und damit pro futuro , was zur Folge hat, dass bereits erbrachte Leistungen nicht zurückgefordert werden können und die Leistungspflicht aus bereits eingetretenen Ereignissen fortbesteht. Demgegenüber lässt der Rücktritt das Vertragsverhältnis im Grundsatz ex tunc dahinfallen - wobei die Folgen des Rücktritts bei Versicherungsverträgen etwas weniger weit reichend sind (vgl. dazu KÖNIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., Bern 1967, S. 91) - und begründet für bereits erbrachte Leistungen einen Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (statt vieler: GUHL/MERZ/KOLLER, Das schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, S. 309 f.). BGE 131 III 314 S. 318 Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass sich aus dem bei gewissen Dauerschuldverhältnissen gesetzlich vorgesehenen ausserordentlichen Kündigungsrecht nichts für das geforderte generelle Rücktrittsrecht beim Versicherungsvertrag ableiten lässt. Eine andere Frage ist, ob unabhängig von den im Besonderen Teil des Obligationenrechts normierten Tatbeständen bei Dauerschuldverhältnissen, zu denen auch der Versicherungsvertrag gerechnet wird (KELLER, Die ausserordentliche Auflösung des Versicherungsvertrages, Diss. Freiburg 1983, S. 3; NEF, a.a.O., N. 45 zu Art. 40 VVG ), ein allgemeines Lösungsrecht aus wichtigem Grund besteht (vgl. dazu KRAMER/SCHMIDLIN, Berner Kommentar, Allgemeine Einleitung N. 163 f.; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Zürich 1988, S. 383 f.; GAUCH, System der Beendigung von Dauerverträgen, Diss. Freiburg 1968, S. 192 ff.; ferner GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 8. Aufl., Zürich 2003, N. 1286a). Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, kann indes ebenso offen gelassen werden wie die weitere Frage, ob diesfalls die Rücktrittserklärung der Beklagten als Kündigungserklärung anerkannt werden könnte, da bereits die erste der drei Erklärungen nach Eintritt des Erwerbsausfalls abgegeben worden ist und deshalb die Leistungspflicht aus diesem Schadensfall selbst unter der Hypothese einer zulässigen ausserordentlichen Kündigung unberührt bliebe (BUCHER, a.a.O., S. 384). 2.3.2 Die Vorinstanz hat sodann zu Recht darauf hingewiesen, dass der Versicherungsnehmer, der mehrere oder sämtliche Versicherungsverträge beim gleichen Versicherer abgeschlossen hat, gegenüber demjenigen, der bei verschiedenen Gesellschaften versichert ist, schlechter gestellt wäre. In diesem Sinn stimmt auch das - ohnehin wirtschaftliche, nicht rechtliche - Argument der Beklagten nur bedingt, das Verhalten der Versicherungsnehmer schlage direkt auf die Prämiengestaltung durch und gereiche dem Versichertenkollektiv zum Schaden. 2.3.3 Beim vorstehenden Resultat braucht nicht im Einzelnen geklärt zu werden, ob es sich bei Art. 40 VVG um eine dispositive Norm handelt, wie die Lehre aufgrund der Liste der zwingenden bzw. einseitig zwingenden Normen in Art. 97 und 98 VVG festhält (ROELLI/KELLER, a.a.O., S. 585; WICKI, a.a.O., S. 69; NEF, a.a.O., BGE 131 III 314 S. 319 N. 45 zu Art. 40 VVG ). Hätte der Beklagten die Möglichkeit offen gestanden, die von ihr gewünschte Rechtsfolge in ihren AGB vorzusehen, wäre jedenfalls nicht einzusehen, weshalb ihr entgegen dem klaren Wortlaut von Art. 40 VVG ein betreffendes Recht ex lege eingeräumt werden müsste. 2.3.4 Insgesamt ergibt sich, dass der klare Wortlaut von Art. 40 VVG weder zu einem stossenden Ergebnis führt noch triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der Bestimmung entspricht. Die Berufung ist demnach abzuweisen.
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Sachverhalt ab Seite 115 BGE 134 I 114 S. 115 Membro della Chiesa cristiana avventista del settimo giorno, A. nel corso dell'anno scolastico 2006/2007 ha frequentato la quarta classe presso il liceo cantonale di Lugano 2. Il 19 marzo 2007, appreso che tre dei cinque esami scritti di maturità si sarebbero svolti di sabato (il 2, il 9 ed il 16 giugno 2007), ha chiesto di poterli effettuare in giorni diversi, per permettergli di osservare il precetto del riposo sabbatico. Con decisione del 30 marzo 2007 il Consiglio di direzione ha respinto la richiesta, rilevando che lo svolgimento di alcuni esami il sabato mattina garantiva condizioni ideali e che deroghe erano ipotizzabili soltanto per gravi motivi di salute o per cause di forza maggiore. Su ricorso, tale pronuncia è stata confermata dapprima dal Dipartimento cantonale dell'educazione, della cultura e dello sport, il 7 maggio 2007, e quindi dal Consiglio di Stato ticinese, il 30 maggio seguente. Il 31 maggio 2007 A. ha adito il Tribunale federale mediante un ricorso in materia costituzionale con cui, lamentando la violazione della libertà di credo e di coscienza, ha chiesto l'annullamento della decisione del Consiglio di Stato. Il 2 luglio 2007 ha poi presentato una memoria completiva, in cui ha tra l'altro sostenuto che, nonostante egli fosse in definitiva stato costretto a presentarsi agli esami, vi era ancora un interesse ad ottenere un giudizio di merito. Il Tribunale federale ha accolto il ricorso, trattato quale ricorso in materia di diritto pubblico, e annullato la decisione del Consiglio di Stato. BGE 134 I 114 S. 116
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Erwägungen Dai considerandi: 2. 2.1 Secondo l' art. 15 Cost. , la libertà di credo e di coscienza è garantita (cpv. 1) ed ognuno ha diritto di scegliere liberamente la propria religione e le proprie convinzioni filosofiche e di professarle individualmente o in comunità (cpv. 2) così come ha diritto di aderire o non aderire ad una comunità religiosa, di farne o non farne parte e di seguire o non seguire un insegnamento religioso (cpv. 3 e 4). Protette sono tutte le convinzioni e concezioni spirituali o intellettuali attinenti al rapporto fra l'essere umano e la divinità ( DTF 123 I 296 consid. 2b/aa; DTF 119 Ia 178 consid. 4b; DTF 116 Ia 252 consid. 5c) e tutte le religioni, indipendentemente dalla loro diffusione più o meno ampia in Svizzera ( DTF 119 Ia 178 consid. 4b). Tutelata è tra l'altro anche la possibilità di rispettare i giorni festivi e di riposo previsti da una determinata religione, in quanto parte integrante del diritto all'esercizio di pratiche religiose ( DTF 129 I 74 consid. 5.1; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6 a ed., Zurigo/Basilea/Ginevra 2005, n. 410; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, tesi Zurigo 1988, pag. 233 e 346). Questo aspetto non costituisce comunque una componente del contenuto essenziale ed intangibile della libertà di credo e di coscienza ( DTF 129 I 74 consid. 5.1; DTF 123 I 296 consid. 2b/cc; cfr. anche KARLEN, op. cit., pag. 243 segg.). Di conseguenza, come nel caso degli altri diritti fondamentali, anche il diritto all'osservanza dei giorni di riposo per motivi religiosi può essere soggetto a restrizioni, a condizione che queste si fondino su una base legale sufficiente, rispondano ad un interesse pubblico preponderante e rispettino il principio di proporzionalità ( art. 36 Cost. ; DTF 129 I 74 consid. 4.1; DTF 123 I 296 consid. 2b/cc; DTF 117 Ia 311 consid. 2b). 2.2 La libertà di coscienza e di religione è garantita anche dall'art. 9 della Convenzione del 4 novembre 1950 per la salvaguardia dei diritti dell'uomo e delle libertà fondamentali (CEDU; RS 0.101) e dall' art. 18 del Patto internazionale del 16 dicembre 1966 relativo ai diritti civili e politici (Patto ONU II; RS 0.103.2). Queste garanzie non hanno a loro volta portata assoluta, ma possono venir ristrette entro limiti in concreto analoghi a quelli ammissibili nell'ottica dell' art. 15 Cost. (cfr. art. 9 n. 2 CEDU ; DTF 129 I 74 consid. 4.1; DTF 123 I 296 consid. 2b/aa e 2b/cc). La stessa conclusione vale in riferimento all' art. 8 BGE 134 I 114 S. 117 cpv. 2 lett. b Cost./TI (RS 131.229; cfr. art. 8 cpv. 3 Cost./TI ; DTF 121 I 267 consid. 3a; KARLEN, op. cit., pag. 165 segg.). 3. 3.1 L'obbligo di frequentare la scuola durante giorni festivi o consacrati al riposo dalla propria religione costituisce una limitazione del diritto alla libertà di coscienza, così come testé definito, perché impedisce di prendere parte alle attività religiose che si svolgono in tali momenti e di attenersi ai precetti confessionali. In taluni casi, il rispetto della garanzia costituzionale può quindi imporre che gli allievi appartenenti ad una determinata comunità religiosa, in occasione di ricorrenze riconosciute dalla loro confessione, vengano dispensati dall'obbligo di presenza scolastica (CHRISTIAN R. TAPPENBECK/RENÉ PAHUD DE MORTANGES, Religionsfreiheit und religiöse Neutralität in der Schule, in: AJP 2007 pag. 1401 segg., in part. pag. 1408). 3.2 Il Tribunale federale ha già avuto occasione di confrontarsi con questa problematica, sia per quanto riguarda talune festività ( DTF 114 Ia 129 ), sia in riferimento all'obbligo di frequentare la scuola il sabato per studenti che, come in particolare i membri della comunità ebraica o della Chiesa cristiana avventista, ossequiano in modo rigoroso il riposo sabbatico ( DTF 117 Ia 311 ; cfr. anche DTF 66 I 157 ). Rilevato che i calendari scolastici tengono in genere già conto delle festività celebrate dalle religioni tradizionali e più diffuse, la giurisprudenza ha stabilito che le esigenze delle singole comunità religiose, e quindi segnatamente di quelle minoritarie, vanno prese in considerazione nella misura in cui sono ancora compatibili con l'interesse pubblico a garantire un'attività scolastica ordinata ed efficiente ( DTF 117 Ia 311 consid. 4a). Il Tribunale federale ha inoltre definito importante l'interesse pubblico al rispetto dell'obbligo scolastico, tanto sotto il profilo dell'organizzazione della scuola e degli studi quanto nell'ottica della tutela degli interessi degli altri studenti ( DTF 117 Ia 311 consid. 4b; DTF 114 Ia 129 consid. 5a). Ha però altresì rilevato che nel caso di una dispensa dalle lezioni durante ogni sabato dell'anno, problemi insolubili potrebbero tutt'al più porsi se un numero di studenti relativamente elevato per rapporto alle dimensioni della scuola dovesse sollecitare una regolamentazione speciale. D'altronde, ha ancora aggiunto, entro una certa misura si può pretendere che gli insegnanti e l'amministrazione dell'istituto assecondino e agevolino le richieste serie e fondate delle minoranze religiose, analogamente a quanto fanno in caso di assenze per altri motivi ( DTF 117 Ia 311 consid. 5b). A questi principi il Tribunale federale si è in parte ispirato BGE 134 I 114 S. 118 anche per ammettere la dispensa di un'allieva di religione mussulmana dalle lezioni di nuoto ( DTF 119 Ia 178 consid. 7e e 8c). 4. 4.1 Il problema della frequentazione delle scuole al sabato è in gran parte venuto a cadere nel corso degli ultimi decenni perché, seguendo una tendenza sociale e lavorativa generale, l'insegnamento è al giorno d'oggi normalmente impartito sull'arco di cinque giorni, dal lunedì al venerdì (cfr. già DTF 117 Ia 311 consid. 5b). Sancito dall'art. 15 cpv. 5 della legge cantonale della scuola, del 1° febbraio 1990 (Lsc/TI), questo principio è applicato anche in tutti gli ordini di scuola del Cantone Ticino. In precedenza la prassi cantonale doveva comunque essere abbastanza tollerante. Lo si può desumere dalla circolare, prodotta dal ricorrente, emanata dal Dipartimento della pubblica educazione il 12 marzo 1964, nella quale l'autorità raccomandava agli ispettori ed ai direttori scolastici di permettere l'assenza al sabato agli allievi appartenenti alla Chiesa cristiana avventista e di fare in modo che essi potessero comunque presentarsi regolarmente agli esami. 4.2 Al momento della sua adozione, la legge sulla scuola non prevedeva eccezioni allo svolgimento dell'attività scolastica su cinque giorni. Tuttavia, stando alla decisione di prima istanza, praticamente da sempre almeno una parte degli esami di maturità si svolge il sabato mattina. Per codificare questa prassi, dopo una richiesta analoga a quella in esame sfociata di fatto in un cambiamento di date per le allieve richiedenti, nel 2004 è stata apportata una modifica all' art. 15 cpv. 8 Lsc /TI. Tale norma ora dispone non solo, come in origine, che gli esami finali delle scuole post-obbligatorie hanno luogo di regola dopo la fine dell'anno scolastico, ma precisa pure che gli stessi possono svolgersi anche di sabato. Di conseguenza, come del resto riconosciuto dal ricorrente, la possibilità per gli istituti liceali di tenere taluni esami di maturità al sabato si fonda su una base legale sufficiente. 4.3 La regolamentazione legale non disciplina per contro la concessione di deroghe per motivi religiosi quando gli esami vengono effettivamente organizzati di sabato. Diversamente da quanto affermato nella decisione impugnata, il rispetto formale della legislazione cantonale non implica tuttavia ancora che non debba venir ammessa alcuna dispensa. Se si rivelasse sproporzionato, il rifiuto opposto al ricorrente risulterebbe infatti anticostituzionale indipendentemente BGE 134 I 114 S. 119 dal tenore delle disposizioni legali ( DTF 119 Ia 178 consid. 7b; DTF 117 Ia 311 consid. 5c). Del resto, la legge non prevede nemmeno altri motivi che giustificano di non presenziare ad un esame nel giorno stabilito. Eppure secondo la prassi cantonale, per ragioni di salute o per altri motivi di forza maggiore, lo spostamento di un esame viene comunque ammesso (cfr. anche HERBERT PLOTKE, Schweizerisches Schulrecht, 2 a ed., Berna 2003, pag. 452 segg.). 5. 5.1 Va da sé che, salvo accorgimenti particolari, tutti gli studenti tenuti a sostenere un esame scritto identico nel contenuto lo devono svolgere nello stesso tempo, per non potersi consultare tra di loro. Per ragioni di parità di trattamento e nell'interesse di tutti gli studenti è inoltre certo preferibile che agli stessi vengano sottoposti esami scritti identici, in modo che il grado di difficoltà sia esattamente il medesimo e che la valutazione possa fondarsi anche sul confronto tra i lavori ed i risultati dei differenti esaminandi. L'interesse della scuola e dei docenti a non concedere deroghe è poi in generale accresciuto rispetto a quello esistente nel caso di una dispensa dall'obbligo di presenza scolastica il sabato. In effetti in quest'ultimo caso, come per una normale assenza per malattia, l'attività scolastica segue di principio normalmente il suo corso e tocca in primo luogo all'allievo recuperare le lezioni a cui è mancato, fondandosi semmai sull'aiuto dei compagni e su qualche indicazione degli insegnanti. Lo spostamento di un esame richiede per contro al docente un lavoro di preparazione sostanzialmente doppio ed una presenza supplementare durante lo svolgimento dell'esame di recupero. L'adozione di una prassi restrittiva nella concessione di deroghe risponde pertanto a motivi d'interesse pubblico. 5.2 Come il ricorrente, ci si potrebbe per contro chiedere quale sia e quanto sia importante l'interesse pubblico a programmare alcuni esami di maturità di sabato, dato che, salvo questa eccezione, l'attività scolastica è per il resto organizzata su cinque giorni. I materiali legislativi concernenti la modifica dell' art. 15 cpv. 8 Lsc /TI affermano che lo svolgimento al sabato permette di beneficiare di una situazione ambientale tranquilla e consente di organizzare successivamente gli esami orali entro tempi ragionevoli (cfr. Messaggio del Consiglio di Stato n. 5442 dell'11 novembre 2003 sul progetto di alleggerimento della legislazione cantonale - approvazione del pacchetto B, ad art. 15 Lsc /TI). Nello stesso senso la decisione di prima istanza rileva che il sabato offre condizioni ideali in termini di disponibilità di aule e sorveglianti nonché di tranquillità e silenzio. BGE 134 I 114 S. 120 Queste condizioni sono tuttavia evidentemente adempiute in qualsiasi giorno della settimana se, come recita la prima parte dell' art. 15 cpv. 8 Lsc /TI, gli esami hanno luogo dopo la fine dell'anno scolastico. Ma anche se gli esami vengono indetti prima della fine dell'anno, pur senza conoscere i dettagli legati alla loro organizzazione, v'è motivo di ritenere che gli inconvenienti evocati non siano particolarmente gravi, come dimostra anche il fatto che alcune prove si tengono in ogni caso durante la settimana, nonostante il rumore, l'occupazione delle aule e gli impegni ordinari dei docenti. Quanto poi alla possibilità di non protrarre la sessione d'esami troppo a lungo dopo la fine dell'anno scolastico, sarebbe certo ipotizzabile fissare i singoli esami a scadenze più ravvicinate, come accade sovente anche a livello universitario. La questione dell'esistenza di un interesse pubblico sotto questo profilo può comunque in definitiva rimanere aperta. 6. 6.1 Ammesso che vi sia un interesse pubblico ad organizzare alcuni esami di sabato, la soluzione che meglio garantirebbe condizioni simili per tutti gli studenti, permettendo nel contempo di rispettare il riposo sabbatico, sarebbe probabilmente quella adottata dal docente che, come risulta dalla dichiarazione agli atti, ha fatto svolgere l'esame ad un allievo di religione ebraica il venerdì pomeriggio e, beninteso con il suo consenso, l'ha poi ospitato fino al sabato mattina, quando era previsto l'esame per i compagni. Se non necessariamente questa misura, una dispensa dall'obbligo di sostenere esami al sabato impone in ogni caso una prestazione positiva da parte degli organi scolastici. Come già osservato, per avere un senso la dispensa deve infatti essere accompagnata dalla possibilità di recuperare gli esami in altra data, evidentemente, salvo in situazioni particolari come quella descritta, con contenuto differente. 6.2 Pur avendo innanzitutto una funzione di tutela del singolo da ingerenze statali ( DTF 125 I 300 consid. 3a; KARLEN, op. cit., pag. 173), la libertà di religione in talune situazioni può legittimare anche l'ottenimento di prestazioni positive dallo Stato. Ciò vale in particolare quando il cittadino è legato allo Stato da uno statuto speciale che comporta ampie limitazioni della sua libertà e che di riflesso impone provvedimenti concreti per permettergli o facilitargli l'esercizio e il rispetto di pratiche religiose. Oltre ad esempio al regime carcerario o al servizio militare, uno degli ambiti in cui si crea questo rapporto speciale è precisamente quello scolastico ( DTF 125 I 300 consid. 3a; KARLEN, op. cit., pag. 178 seg.; TAPPENBECK/PAHUD DE MORTANGES, op. BGE 134 I 114 S. 121 cit., pag. 1413 seg.; JUDITH WYTTENBACH/WALTER KÄLIN, Schulischer Bildungsauftrag und Grund- und Menschenrechte von Angehörigen religiös-kultureller Minderheiten, in: AJP 2005 pag. 315 segg., in part. pag. 320). In tale contesto, se la prestazione necessaria richiede oneri amministrativi e di preparazione eccessivi o comporta costi troppo elevati, mettendo in discussione il funzionamento ordinato ed efficiente della scuola (cfr. DTF 117 Ia 311 consid. 4a), un allievo non può comunque pretendere, in nome della libertà di religione, di ottenere la prestazione stessa dalla scuola pubblica. La sua libertà è in tal caso sufficientemente salvaguardata già dalla possibilità di iscriversi ad una scuola privata comparabile a quella statale quanto al livello di insegnamento impartito, ma pronta ad adattarsi alle sue esigenze ( DTF 114 Ia 129 consid. 3a; TAPPENBECK/PAHUD DE MORTANGES, op. cit., pag. 1409). 6.3 In concreto, vista la disponibilità che presuppone, la soluzione adottata nel caso a cui si è accennato in precedenza è chiaramente inesigibile in maniera generalizzata. Per quanto concerne invece l'impegno supplementare richiesto per predisporre il recupero degli esami, è vero, da un lato, che l'incompatibilità tra la prescrizione religiosa e l'ordinamento scolastico si presenta soltanto per due o tre sabati durante un intero ciclo liceale. È però altresì vero, d'altro lato, che casi di deroga si pongono ad ogni modo regolarmente, e vengono già riconosciuti, per ragioni di malattia, di incidente, di lutto familiare o di coincidenza di date con esami di ammissione a studi superiori. In queste situazioni gli istituti scolastici devono comunque approntare esami di riserva, che hanno dimostrato di poter organizzare in modo adeguato, con soluzioni adottate caso per caso in tempi in genere rapidi. In maniera analoga hanno del resto proceduto anche diverse direzioni scolastiche che già hanno accolto domande fondate su motivi religiosi. Di regola in tal caso la scuola dovrebbe oltretutto beneficiare di più tempo per la preparazione e l'organizzazione rispetto ai rinvii dovuti a malattia o incidente, perché il motivo di deroga è conosciuto con un certo anticipo. Considerato poi il numero di aderenti alla Chiesa cristiana avventista del settimo giorno in Ticino e la documentazione prodotta dal ricorrente riguardo a precedenti richieste analoghe alla sua, le deroghe supplementari dovrebbero rimanere assai limitate. Non sarebbe quindi un numero significativo di studenti a chiedere una regolamentazione speciale (cfr. DTF 119 Ia 178 consid. 8c; DTF 117 Ia 311 consid. 5b). Già attuata per altri casi, la stessa BGE 134 I 114 S. 122 andrebbe pertanto estesa in misura che, senza voler minimizzare le difficoltà evidenziate in particolare nelle osservazioni dipartimentali, non appare ragionevolmente suscettibile di incidere in maniera rilevante sul buon funzionamento della scuola e sull'ordinato corso degli esami. Sono del resto immaginabili anche soluzioni più razionali per permettere di recuperare gli esami, soprattutto di fronte ad un numero di dispense più consistente, in particolare per cause di malattia. Altrove è ad esempio un solo istituto ad organizzare una giornata di recupero per tutti gli studenti del cantone che hanno beneficiato di deroghe alle date prestabilite, in modo da concentrare l'impegno supplementare in uno stesso luogo ed in uno stesso momento. 6.4 Certo, con la concessione di deroghe la parità di trattamento tra gli esaminandi non è assoluta come se essi sostengono tutti le stesse prove contemporaneamente. L'esperienza e la preparazione dei docenti e degli esperti permette tuttavia senz'altro di ottenere una valutazione comunque attendibile e oggettiva. Il risultato dell'esame scritto eventualmente differito costituisce inoltre solo uno degli elementi che concorrono a fissare la nota di maturità (cfr. gli art. 14 cpv. 1 e 15 cpv. 1 lett. a dell'ordinanza federale del 15 febbraio 1995 concernente il riconoscimento degli attestati liceali di maturità [ORM; RS 413.11]; cfr. anche gli art. 47-51 del regolamento cantonale della legge sulle scuole medie superiori, del 22 settembre 1987). 6.5 La decisione impugnata è d'altronde in contrasto con la circolare emanata il 9 novembre 2006 del Segretariato generale della Conferenza svizzera dei direttori cantonali della pubblica educazione (di seguito: CDPE) all'indirizzo dei rettori delle scuole ginnasiali. Tale documento auspica infatti che, per rispettare le convinzioni religiose degli studenti di fede ebraica o appartenenti a talune comunità cristiane, lo svolgimento di esami o di altre attività scolastiche al sabato costituisca un'eccezione. Inoltre invita le direzioni degli istituti, in caso di concomitanza con giorni festivi religiosi, a trovare soluzioni con gli studenti interessati, in modo da tutelare il diritto fondamentale alla libertà di religione. Come documentato dal ricorrente, numerosi Stati hanno adottato disposizioni nello stesso senso. Significativa è ad esempio la legge italiana n. 516 del 22 novembre 1988 concernente la regolazione dei rapporti tra lo Stato e l'Unione italiana delle Chiese cristiane avventiste del settimo giorno, la quale impone alle autorità scolastiche di BGE 134 I 114 S. 123 prevedere opportuni accorgimenti affinché i candidati avventisti che ne facciano richiesta possano sostenere in altri giorni prove d'esame fissate di sabato. In Germania il problema è invece stato oggetto di una circolare emessa il 19 maggio 2005 dalla Conferenza dei rettori delle scuole superiori, il cui tenore è sostanzialmente identico a quello del documento della CDPE, ancorché riferito solo agli studenti di religione ebraica. 6.6 In base alle considerazioni che precedono, il rifiuto di concedere la deroga chiesta dal ricorrente si avvera pertanto sproporzionato. L'interesse degli allievi appartenenti alla Chiesa cristiana avventista a poter osservare il precetto del riposo sabbatico risulta infatti prevalente rispetto all'interesse pubblico a far svolgere a tutti i maturandi taluni esami al sabato, anche se ciò comporta per gli istituti scolastici un impegno supplementare, che non appare eccessivamente gravoso ed è già richiesto in altri casi, per permettere agli studenti toccati di sostenere gli esami in un altro momento. La decisione impugnata viola di conseguenza la libertà di credo e di coscienza.
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BGE_134_I_114
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Sachverhalt ab Seite 276 BGE 106 IV 276 S. 276 A.- Gemäss einer Strafanzeige der Kantonspolizei Gerzensee soll vermutlich in der Nacht vom 1./2. August 1978 ein unbekannter Automobilist auf der Belperstrasse oberhalb Gerzensee die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren haben. Der Wagen sei mit der rechten Strassenböschung kollidiert, sei sodann nach links über die Strasse hinweg und über den linken Strassenrand hinaus geschleudert worden und anschliessend einen steil abfallenden Hang hinuntergekollert. Das Fahrzeug sei noch in der gleichen Nacht geborgen worden. Ob Personen verletzt wurden, sei ungewiss. Dagegen sei Sachschaden an einem Strassenmarkierungspfosten und an Kulturland entstanden. In dem deswegen gegen unbekannte Täterschaft eröffneten SVG-Strafverfahren ergaben Ermittlungen, dass sich U., cand. iur. und damals Fürsprecherkandidat auf einem Richteramt, für die Schadenstilgung verwendete. Von der Polizei und später vom Untersuchungsrichter von Seftigen als Zeuge befragt, weigerte er sich am 19. und - nach eingeräumter Bedenkzeit - auch am 30. Oktober 1978, den Namen des Fahrzeuglenkers preiszugeben mit der Begründung, er sei von diesem mit Rücksicht auf seine Stellung als Fürsprecherkandidat und mit der Verpflichtung zur Verschwiegenheit mit der Schadenserledigung beauftragt worden. BGE 106 IV 276 S. 277 B.- Deswegen eröffnete der Gerichtspräsident von Seftigen gegen U. ein Strafverfahren wegen unberechtigter Verweigerung der Aussage als Zeuge im Sinne von Art. 142 Abs. 2 StrV/BE und bestrafte ihn mit einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 200.--. Eine dagegen erhobene Einsprache, mit welcher die Staatsanwaltschaft des Mittellandes zusätzlich die Verurteilung wegen Begünstigung verlangte, wies der Gerichtspräsident am 22. Oktober 1979 ab. Eine gegen dieses Urteil eingereichte Appellation des Generalprokurators hat das Obergericht des Kantons Bern am 7. Februar 1980 abgewiesen. C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der Generalprokurator, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Schuldigerklärung wegen Begünstigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Beschwerdegegner beantragt unaufgefordert die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung übernimmt er die Ausführungen eines Gutachtens von Professor Stratenwerth.
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Erwägungen Das Bundesgericht zieht in Erwägung: Streitig ist einzig, ob der Beschwerdegegner durch seine Weigerung als Zeuge, den Namen des Automobilisten bekannt zu geben, sich der Begünstigung im Sinne von Art. 305 StGB schuldig gemacht hat. Wegen dieser Straftat ist u.a. strafbar, "wer jemanden der Strafverfolgung... entzieht". Mit Recht macht der Beschwerdegegner nicht mehr geltend, er sei gesetzlich zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt gewesen. Die Verweigerung der Aussage hatte zur Folge, dass die Strafverfolgung gegen den unbekannten Automobilisten eingestellt werden musste. Diesen Erfolg hat der Beschwerdeführer nicht unmittelbar durch ein Tun, sondern mittelbar durch die Nichtbekanntgabe des Automobilisten bewirkt. In Frage steht daher die Begünstigung in der Form eines unechten Unterlassungsdeliktes. Ein solches ist gegeben, wenn wenigstens die Herbeiführung des Erfolges durch Tun ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich hätte abwenden können und infolge seiner besonderen Rechtsstellung dazu auch so sehr verpflichtet war, dass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch aktives Handeln gleichwertig BGE 106 IV 276 S. 278 erscheint ( BGE 96 IV 174 , BGE 105 IV 176 ; SCHULTZ Allg. Teil I, 3. Aufl. S. 118; HAUSER-REHBERG, Strafrecht I, 2. Aufl. S. 134; SCHWANDER, StGB, Nr. 158 Ziff. 4). Eine solche sog. Garantenstellung besteht insbesondere für den Täter, der kraft seiner besondern Rechtsstellung das Gut vor der ihm drohenden Gefahr hätte schützen müssen oder der zuvor durch sein Tun die Gefahr geschaffen hat. Eine solche Stellung hat beispielsweise die Mutter gegenüber ihrem Kinde, nicht aber derjenige, der die ihm zumutbare Hilfe irgendeinem Mitmenschen versagt. Erstere hat sich u.U. wegen Tötung zu verantworten, letzterer allenfalls wegen Unterlassung der Nothilfe gemäss kantonalem Recht. Im vorliegenden Falle hat der Beschwerdegegner durch die Verweigerung der Aussage mittelbar bewirkt, dass der wegen Strassenverkehrsdelikten verdächtige Unbekannte nicht abgeurteilt werden konnte. Eine besondere Rechtspflicht, für die strafrechtliche Verfolgung der fraglichen Strassenverkehrsdelikte zu sorgen, hatte er nicht; dies im Gegensatz zu dem in BGE 74 IV 165 ff. beurteilten beeidigten Jagdaufseher, der entgegen der ihm rechtlich obliegenden Pflicht Jagdvergehen nicht zur Anzeige brachte. Eine solche besondere Rechtspflicht kann - wie im eingelegten Rechtsgutachten von Professor Stratenwerth und in den Urteilen der kantonalen Gerichte mit Recht ausgeführt wird - auch nicht aus der Pflicht, Zeugnis abzulegen, abgeleitet werden. Diese Zeugnispflicht ist allgemeine Bürgerpflicht und schützt nicht in besonderer Weise die Strafverfolgung. Der Pflicht, Zeugnis abzulegen, können die Kantone durch ihr Prozessstrafrecht hinreichend Nachachtung verschaffen ( Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ). Der Kanton Bern hat dies auch getan. Subsidiär steht den Untersuchungs- und Gerichtsbehörden die Strafdrohung des Art. 292 StGB zur Verfügung, welche die Verhängung von Bussen bis zu Fr. 5'000.-- oder von Haft bis zu drei Monaten ermöglicht. Reichen solche Strafen nicht aus, besteht kein Verlass, dass Aussagen, welche durch höhere Strafdrohungen erzwungen werden, wahrheitsgetreu sind.
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Dispositiv Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
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CH_BGE_006
CH_BGE
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CH_BGE_006_BGE-106-IV-276_nodate
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BGE_106_IV_276
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Sachverhalt ab Seite 50 BGE 134 I 49 S. 50 A. kam 1981 aus der Türkei in die Schweiz und verheiratete sich mit B. Das Ehepaar hat zwei Kinder, C. und D. Die Familie lebt seit 1995 in Buchs (AG). A. stellte in der Gemeinde Buchs ein Einbürgerungsgesuch. Der Ehemann B. sah von einem entsprechenden Ersuchen ab, die Tochter C. stellte ein eigenständiges Gesuch. Aufgrund eines persönlichen Gesprächs hielt der Gemeinderat fest, dass die Gesuchstellerin A. einen guten Eindruck hinterlassen habe und mit den hiesigen Verhältnissen bestens vertraut sei. Mit seiner Botschaft beantragte er dem Einwohnerrat, A. das Gemeindebürgerrecht von Buchs zuzusichern. Der Einwohnerrat von Buchs (Gemeindeparlament) diskutierte das Einbürgerungsersuchen von A.; teils wurde Anstoss genommen, dass die Gesuchstellerin ein Kopftuch trägt, was als Ausdruck der Unterwerfung der Frauen gegenüber Männern zu bewerten sei. Das Einbürgerungsgesuch von A. wurde mit 19 Nein gegen 15 Ja abgelehnt. Der Tochter C. wurde das Gemeindebürgerrecht zugesichert. Der Gemeinderat teilte A. den negativen Beschluss des Einwohnerrates mit und hielt in seinem Schreiben das Folgende fest: "Der Einwohnerrat hat Ihnen an seiner Sitzung vom 14. Juni 2007 die Zusicherung des Einwohnerbürgerrechts von Buchs AG mit 19 : 15 Stimmen verweigert. Er begründete seine Ablehnung damit, dass Sie durch das Tragen des Kopftuches eine fundamentalistische Glaubensrichtung bezeugen. Der Schleier bzw. das Kopftuch sei nicht religiöses Symbol, sondern sichtbarer Ausdruck der Unterwerfung der Frau unter den Mann. Damit werde eine Ungleichbehandlung der Frau allein aufgrund ihres Geschlechts demonstriert. Das verstosse gegen Art. 2 und 8 der Bundesverfassung und damit gegen unsere gemeinsame Wertvorstellung. Ihre Assimilation an unsere gesellschaftlichen und politischen Normen sei nicht gegeben. Dieser Beschluss ist endgültig. Ein Referendum ist ausgeschlossen." Gegen diesen Beschluss des Einwohnerrates hat A. beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben. Im Wesentlichen erachtet sie sich wegen des Tragens des Kopftuches als Ausdruck ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert und macht eine Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV geltend; zudem beruft sie sich auf Art. 15 BV und Art. 9 EMRK . Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Beschluss auf und weist die Sache zu neuem Entscheid an die Gemeinde Buchs zurück. BGE 134 I 49 S. 51
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Erwägungen Aus den Erwägungen: 2. 2.1 Die Beschwerdeführerin geht in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 132 I 167 E. 3 S. 170) davon aus, dass ihrer Berufung auf Art. 15 BV und Art. 9 EMRK im vorliegenden Fall keine direkte und eigenständige Bedeutung zukommt. Durch den angefochtenen Beschluss wird ihr an sich nicht versagt, ihre Religion frei zu wählen und auszuüben oder sie durch religiös bedingte Gewohnheiten wie das Tragen des Kopftuches zu bekennen. Soweit das Tragen des Kopftuches die Beschwerdeführerin indes im Einbürgerungsverfahren benachteiligt oder einer Einbürgerung gar entgegensteht, stellt sich typischerweise die Frage, ob eine von Art. 8 Abs. 2 BV untersagte Diskriminierung wegen eines religiösen Bekenntnisses vorliegt. 2.2 Nach Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Lebensform und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung. In diesem Rahmen ist für die Bestimmung des Inhalts der religiösen Überzeugung Bezug zu nehmen auf die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäss Art. 15 BV (vgl. RAINER J. SCHWEIZER, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 1. Aufl. 2002, N. 64 zu Art. 8 BV ; JÖRG P. MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 433). 2.3 Art. 15 BV gewährleistet die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Abs. 1) und räumt jeder Person das Recht ein, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit andern zu bekennen (Abs. 2). Unter diesem Schutze stehen nicht nur die traditionellen Glaubensformen der christlich-abendländischen Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern alle Religionen, unabhängig von ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz ( BGE 119 Ia 178 E. 4b S. 184; BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300 f.). Die Religionsfreiheit umfasst sowohl die innere Freiheit, zu glauben, nicht zu glauben oder seine religiösen Anschauungen zu ändern, wie auch die äussere Freiheit, entsprechende Überzeugungen innerhalb gewisser Schranken zu äussern, zu praktizieren und zu verbreiten ( BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300; BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 184). Sie enthält den Anspruch des Einzelnen darauf, sein Verhalten grundsätzlich nach den Lehren des Glaubens auszurichten und den Glaubensüberzeugungen gemäss zu handeln. Zur derart gewährleisteten BGE 134 I 49 S. 52 Religionsausübung zählen über kultische Handlungen hinaus auch die Beachtung religiöser Gebräuche und andere Äusserungen des religiösen Lebens im Rahmen gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der Kulturvölker, soweit solche Verhaltensweisen Ausdruck der religiösen Überzeugung sind ( BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300; BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 184). Das gilt auch für Religionsbekenntnisse, welche - wie der Islam - die auf den Glauben gestützten Verhaltensweisen sowohl auf das geistig-religiöse Leben wie auch auf weitere Bereiche des alltäglichen Lebens beziehen ( BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 185). Insoweit werden religiös bedingte Bekleidungsvorschriften wie das Tragen des Kopftuches vom Schutz von Art. 15 BV erfasst ( BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300; BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 184). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgericht erkannt, dass das gemischtgeschlechtliche Baden in der Schule grundsätzlich im Widerspruch zu einer islamischen Glaubensregel stehe und entsprechende Verhaltensweisen unter den Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit fielen. Unerheblich sei insoweit, ob entsprechende Gepflogenheiten von allen, von einer Mehrheit oder allenfalls lediglich von einer Minderheit der islamischen Glaubensangehörigen befolgt würden ( BGE 119 Ia 178 E. 4d S. 185 f.). In gleicher Weise steht das Tragen des Kopftuches von Frauen, die dem Islam angehören, als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses unter dem Schutz der Religionsfreiheit gemäss Art. 15 BV ( BGE 123 I 296 E. 2b/aa S. 300; BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 184; vgl. auch BGE 119 IV 260 E. 3b/aa S. 263). Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass bei gegebenen verfassungsmässigen Voraussetzungen Eingriffe in die Glaubens- und Gewissensfreiheit möglich und Einschränkungen von aus der Religion abgeleiteten Gepflogenheiten zulässig sind (vgl. BGE 123 I 296 ; BGE 119 IV 260 ). 2.4 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 15 BV ist nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, sondern enthält auch einen objektivrechtlichen Gehalt, an dem sich gemäss Art. 35 Abs. 1 BV die gesamte Staatstätigkeit auszurichten hat (vgl. URS JOSEF CAVELTI, Die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 1. Aufl. 2002, N. 7 zu Art. 15 BV ) und der auch im Einbürgerungsverfahren ungeachtet der Natur und der Stufe des entscheidenden Organs zu beachten ist. In diesem Sinne verbietet Art. 8 Abs. 2 BV Diskriminierungen, die an religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen und ihren Manifestationen anknüpfen. BGE 134 I 49 S. 53 3. 3.1 Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen seiner Herkunft und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person ungleich behandelt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welche historisch oder in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig behandelt wird. Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteilung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen; insofern beschlägt das Diskriminierungsverbot auch Aspekte der Menschenwürde nach Art. 7 BV . Das Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV schliesst indes die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal - wie beispielsweise Herkunft, Rasse, Geschlecht oder religiöse Überzeugung - nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Diese kann indes durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützte Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre ( BGE 129 I 217 E. 2.1 S. 223 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin; REGINA KIENER/WALTER KÄLIN, Grundrechte, Bern 2007, S. 359 ff.). 3.2 Im vorliegenden Fall bildete das Tragen des Kopftuches durch die Beschwerdeführerin den Anknüpfungspunkt für die Verweigerung des Bürgerrechts. Es ist von keiner Seite behauptet oder dargelegt worden, dass die Beschwerdeführerin nicht hinreichend integriert sei und aus diesem Grunde nicht eingebürgert werden könnte. Das Tragen des Kopftuches war sowohl in der Diskussion im Einwohnerrat wie auch in der Begründung des Gemeinderates Ausgangspunkt für die Abweisung des Einbürgerungsgesuchs. Dieser Umstand ist geeignet, Frauen, die sich zum Islam bekennen und das Kopftuch tragen, gegenüber Männern und solchen Frauen, die das Kopftuch trotz des Bekenntnisses zum Islam nicht tragen oder BGE 134 I 49 S. 54 einer andern Glaubensrichtung verpflichtet sind, im Einbürgerungsverfahren zu benachteiligen und rechtsungleich zu behandeln oder ihnen die Erlangung des Bürgerrechts gar zu verunmöglichen. Das Tragen des Kopftuches von Frauen, die sich zum Islam bekennen, gilt, wie dargelegt (E. 2.3), als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses. Daran vermögen die Behauptungen einzelner, die Einbürgerung ablehnender Einwohnerräte, die dem Tragen des Kopftuches den Charakter eines religiösen Symbols aberkennen, nichts zu ändern. Der negative Entscheid des Einwohnerrates beruht somit im Ausgangspunkt auf einem Merkmal, das nach Art. 8 Abs. 2 BV verpönt und im Grundsatz unzulässig ist. Insoweit ist die Beschwerdeführerin wegen ihrer religiösen Überzeugung und deren Bezeugung durch das Tragen des Kopftuches in spezifischer Weise gegenüber andern Gesuchstellern und Gesuchstellerinnen ungleich behandelt und diskriminiert worden. Diese Ungleichbehandlung wegen eines religiösen Bekenntnisses lässt sich durch keinerlei qualifizierte und objektive Gründe rechtfertigen. Glaubensinhalte, die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte Bekleidungsweisen nahelegen, sind grundsätzlich nicht zu überprüfen und zu bewerten (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 4c S. 185). Art. 8 Abs. 2 BV ist insoweit Ausdruck weltanschaulicher Pluralität und gebietet im Grundsatz die Anerkennung von Bekenntnissen und Überzeugungen, die von den in der Schweiz herkömmlichen Vorstellungen abweichen. Es kann nicht mit Grund gesagt werden, das Tragen des Kopftuches als Manifestation eines religiösen Bekenntnisses bringe in allgemein erkennbarer Weise eine Haltung der Unterwerfung der Frau unter den Mann und eine Herabminderung von Frauen zum Ausdruck. Die Befolgung der aus dem Koran abgeleiteten Übung kann auf eigenständigem Entschluss der Frauen selber beruhen, ihren Glauben auf diese Weise zu manifestieren, ohne dass damit eine Haltung der Unterwerfung ausgedrückt würde. Insoweit erweist sich das blosse Tragen des Kopftuches in der Regel als wenig aussagekräftig und wertneutral; daran ändert nichts, dass in der Übung des Tragens des Kopftuches teils eine Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern erblickt wird (vgl. vor dem Hintergrund eines unterschiedlichen Sachverhalts BGE 123 I 296 E. 4b/cc S. 312). Der Umstand, dass eine Gesuchstellerin ein Kopftuch trägt, könnte lediglich mitberücksichtigt werden, wenn darin vor dem Hintergrund der konkreten Verhältnisse BGE 134 I 49 S. 55 eine Haltung zum Ausdruck kommt, die mit unsern grundlegenden rechtsstaatlichen und demokratischen Wertvorstellungen im Widerspruch stünde. Ein derartiger konkreter Bezug wird im kommunalen Verfahren weder behauptet noch nachgewiesen. Die Diskussionsteilnehmer im Einwohnerrat haben es bei einer allgemeinen Behauptung bewenden lassen, das Tragen des Kopftuches bringe eine generelle Herabminderung der Frauen gegenüber Männern zum Ausdruck. Sie haben keinen Bezug genommen auf die konkrete Situation der Gesuchstellerin und brachten nicht im Einzelnen vor, dass diese grundlegende Prinzipien und Werte unserer Gesellschaft missachten würde, die vorgehaltene Haltung im Alltagsleben tatsächlich manifestiere und aus solchen Überlegungen nicht als integriert gelten könnte. Schliesslich deuten die Akten nicht daraufhin, dass die eigenständig auftretende Beschwerdeführerin eine Haltung der Unterwerfung der Frauen vertreten würde. Anzufügen ist im Übrigen, dass aus den dem Bundesgericht zur Verfügung gestellten Akten nicht ersichtlich ist, weshalb das Einbürgerungsgesuch der Beschwerdeführerin abgewiesen, dasjenige der Tochter, die ebenfalls das Kopftuch trägt, indessen gutgeheissen worden ist. Bei dieser Sachlage fehlt es an einer qualifizierten, auf die konkreten Umstände bezogenen Begründung, welche die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin wegen der Manifestation ihrer religiösen Überzeugung zu rechtfertigen vermöchte. Damit ist die Beschwerdeführerin durch den negativen Beschluss des Einwohnerrates, der wegen des Tragens des Kopftuches als religiöses Bekenntnis ausschliesslich an einem verpönten Merkmal anknüpft und die Beschwerdeführerin ohne qualifizierte Rechtfertigung rechtsungleich behandelt und benachteiligt, im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV diskriminiert worden. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet.
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Sachverhalt ab Seite 493 BGE 147 III 491 S. 493 A. A.a Par acte du 26 novembre 2019, invoquant le cas de séquestre de l' art. 271 al. 1 ch. 6 LP , B. PLC, C. JSC, D. LLP et E. LLP (ci-après: les requérantes) ont requis de la Justice de paix du district d'Aigle qu'elle ordonne le séquestre, à concurrence d'un montant de 10'258'439 fr. 60, contrevaleur de 8'000'000 £ au cours de 1 £ pour 1 fr. 28230, de divers biens et avoirs bancaires appartenant à A. et qu'elle les dispense de fournir des sûretés. Préalablement, les requérantes ont conclu à ce que le jugement prononcé le 17 octobre 2019 par la High Court of justice of England and Wales dans l'affaire CL-x-x soit reconnu et déclaré exécutoire en Suisse ( art. 105 al. 2 LTF ). A.b Le 3 décembre 2019, la Juge de paix du district d'Aigle (ci-après: juge de paix) a scellé les deux ordonnances de séquestre requises, indiquant comme titre de la créance le jugement ("Order") du 17 octobre 2019 de la High Court of Justice of England and Wales . B. B.a Par actes des 19 et 23 décembre 2019, A. a formé opposition au séquestre. B.b Par prononcé motivé du 3 avril 2020, la juge de paix a rejeté ladite opposition et confirmé les ordonnances de séquestre du 3 décembre 2019. B.c Par acte du 16 avril 2020, A. a recouru contre ce prononcé, concluant principalement à l'admission de son opposition, à l'annulation des ordonnances de séquestre du 3 décembre 2019 et à ce que les frais de première instance soient mis à la charge des intimées, subsidiairement à ce que celles-ci soient astreintes à verser la somme de 1'000'000 fr. à titre de sûretés. B.d Par arrêt du 24 juillet 2020, expédié le 31 suivant, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: Cour des poursuites et faillites) a rejeté le recours et confirmé le prononcé attaqué. C. Par acte posté le 28 août 2020, A. exerce un recours en matière civile et un recours constitutionnel subsidiaire contre l'arrêt du 24 juillet 2020. Elle conclut à la réforme de l'arrêt entrepris dans le sens des conclusions principales de son recours cantonal, les frais et dépens de deuxième instance étant mis à la charge des intimées. Subsidiairement, elle conclut à l'annulation de l'arrêt attaqué et au renvoi BGE 147 III 491 S. 494 de la cause à l'autorité de première instance pour nouvelle décision dans le sens des considérants. Des déterminations sur le fond n'ont pas été requises. D. Par courrier du 29 janvier 2021, la recourante a fait valoir que, compte tenu de la sortie du Royaume-Uni de l'Union européenne le 1 er février 2020 (Brexit) et de la fin de la période de transition le 31 décembre 2020, la procédure en cours ne devait désormais plus être jugée selon les règles de la Convention concernant la compétence judiciaire, la reconnaissance et l'exécution des décisions en matière civile et commerciale du 30 octobre 2007 (Convention de Lugano, CL; RS 0.275.12), mais selon celles de la LDIP (RS 291). Son recours devait ainsi être admis pour ce motif déjà. Par courrier du 9 février 2021, les intimées ont fait valoir que l'"Order" anglais ayant été rendu et déclaré exécutoire avant le Brexit, la procédure continuait à être régie par la CL. E. Invité à une prise de position facultative sur la question de l'applicabilité de la CL, l'Office fédéral de la justice (ci-après: OFJ) s'est, par courrier du 15 février 2021, déterminé en ce sens que la reconnaissance en Suisse des décisions prises au Royaume-Uni avant le 1 er janvier 2021 continuait, selon lui, à être régie par la CL. (résumé)
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Erwägungen Extrait des considérants: 6. (...) 6.1 Il convient tout d'abord d'examiner si la Convention de Lugano s'applique toujours dans le cadre du présent litige ou si, comme le soutient désormais la recourante, celui-ci est, à tout le moins depuis le 1 er janvier 2021, soumis à la LDIP. 6.1.1 Les Etats parties à la Convention de Lugano du 30 octobre 2007 sont l'Union européenne, la Suisse, l'Islande, la Norvège et le Danemark (sans les Iles Féroé et le Groenland), mais pas le Royaume-Uni. Celui-ci était jusqu'à présent un Etat lié par la CL en sa qualité de membre de l'Union européenne (cf. art. 1 par. 3 CL ; SIEVI, Auswirkungen des Brexit auf die Vollstreckung von ausländischen Urteilen, PJA 2018 p. 1096 ss, 1097). Il est toutefois sorti de celle-ci le 31 janvier 2020 ("Brexit"). Les modalités de cette sortie ont été réglées par l'Accord du 24 janvier 2020 sur le retrait du Royaume-Uni de Grande-Bretagne et d'Irlande du Nord de l'Union européenne et de la Communauté européenne de l'énergie atomique (JO L 29 du BGE 147 III 491 S. 495 31 janvier 2020, p. 7 ss; ci-après: Accord de retrait), lequel prévoyait notamment une période de transition jusqu'au 31 décembre 2020 (art. 126 de l'Accord de retrait) pendant laquelle le Royaume-Uni continuait d'être traité comme un Etat lié par la CL (cf. art. 129 par. 1 de l'Accord de retrait, qui prévoit que, pendant la période de transition, le Royaume-Uni est lié par les obligations découlant des accords internationaux conclus par l'UE). Conformément à l'Echange de notes des 28/30 juin 2020 entre la Suisse et l'Union européenne concernant la continuation de l'application des accords entre la Suisse et l'Union européenne au Royaume-Uni pendant la période de transition après son retrait de l'Union européenne au 31 janvier 2020 (RS 0.122.1), il a été convenu qu'en ce qui concernait la législation suisse, le terme "Etat membre de l'UE" continuerait d'inclure le Royaume-Uni durant la période de transition. Dans sa prise de position, l'OFJ souligne que cet échange s'appuie sur des principes généraux du droit international, de sorte que la question de savoir s'il s'étend également au domaine de la procédure civile ou ne porte que sur les accords économiques n'est pas déterminante. Il résulte de ce qui précède que l'arrêt attaqué, rendu pendant la période de transition et portant sur la reconnaissance et l'exécution d'un jugement anglais rendu avant le Brexit, se fondait à juste titre sur la CL (cf. ég. arrêt de l'Obergericht du canton de Zurich du 15 septembre 2020 [RV200011] consid. 4.2; MARKUS/HUBER-LEHMANN, Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen [2019], RSDIE 2020 p. 295 ss, 297). 6.1.2 Depuis le 1 er janvier 2021, la Convention de Lugano a cessé de s'appliquer dans les relations avec le Royaume-Uni. La recourante soutient que la reconnaissance et l'exécution de l'"Order" du 17 octobre 2019 doivent dès lors être jugées par le Tribunal fédéral selon les règles de la LDIP. La question de savoir quelles sont, à partir du 1 er janvier 2021, les conséquences du Brexit sur la reconnaissance et l'exécution en Suisse des jugements rendus au Royaume-Uni est discutée, la CL ne réglant pas de manière spécifique la situation dans laquelle un Etat cesse d'être lié par la Convention et ne contenant pas de disposition de droit transitoire applicable à cet égard. Qu'ils se réfèrent, pour résoudre cette question, à l' art. 63 CL (MARKUS, Internationales Zivilprozessrecht, 2 e éd. 2020, p. 177 n. 668; le même , Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen [2018], RSDIE 2019 p. 67 ss, 69) ou à l'art. 70 al. 1 let. b de la Convention de Vienne du 23 mai 1969 BGE 147 III 491 S. 496 sur le droit des traités (RS 0.111) en lien avec les art. 32, 33 et 38 CL (SIEVI, op. cit., p. 1098 s.), ou qu'ils se fondent sur les principes généraux tels que la non-rétroactivité et la sécurité du droit (MARKUS/HUBER-LEHMANN, Rechtsprechung zum Lugano-Übereinkommen[2019], RSDIE 2020 p. 295 ss, 298), les auteurs estiment que la reconnaissance et l'exécution des décisions rendues alors que la Convention de Lugano s'appliquait continuent en principe d'être régies par ladite convention (ARNOLD, Das Exequaturverfahren im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 aus schweizerischer Sicht, 2020, p. 29 n. 103). L'OFJ est du même avis, la reconnaissance et la déclaration constatant la force exécutoire des décisions rendues avant le 1 er janvier 2021 continuant, selon lui, d'être régies par la Convention de Lugano également après le 31 décembre 2020 (OFJ, Auswirkungen des "Brexit" auf das Lugano-Übereinkommen, RSPC 2021 p. 85 ss, 86). En l'espèce, non seulement l'"Order" du juge anglais sur lequel se fonde le séquestre a été rendu avant le Brexit, mais l'entier de la procédure cantonale ainsi que le dépôt du recours auprès du Tribunal de céans ont également eu lieu avant la fin de la période de transition (cf. supra consid. 6.1.1). Par ailleurs, on ne discerne pas quel intérêt public majeur, dont l'application ne souffrirait aucun délai, justifierait d'appliquer pour la première fois la LDIP dans la procédure pendante devant le Tribunal fédéral ( ATF 141 II 393 consid. 2.4), étant précisé que les principes énoncés aux art. 1 ss Tit. fin. CC , notamment le principe de non-rétroactivité, doivent être pris en considération pour l'interprétation des art. 196 ss LDIP ( ATF 145 III 109 consid. 5.6) et que l'on peut dans certains cas se distancier de l' art. 199 LDIP lorsque le nouveau droit applicable est plus strict que l'ancien (cf. ATF 145 III 109 consid. 5.6). Il s'ensuit que le présent litige continue à être régi par la Convention de Lugano. 6.2 6.2.1 Le créancier d'une dette échue et non garantie par gage peut requérir le séquestre des biens du débiteur qui se trouvent en Suisse, lorsqu'il possède contre celui-ci un titre de mainlevée définitive ( art. 271 al. 1 ch. 6 LP ), soit notamment un jugement exécutoire (cf. art. 80 al. 1 LP ; ATF 143 III 693 consid. 3.4.2; ATF 139 III 135 consid. 4.2; arrêts 5A_151/2020 du 13 mai 2020 consid. 5.2.2.2.1; 5A_953/2017 du 11 avril 2018 consid. 3.2.2.1). Les décisions étrangères peuvent représenter des titres de mainlevée définitive, dans la mesure BGE 147 III 491 S. 497 notamment où elles comportent une condamnation à payer une somme d'argent ( ATF 139 III 135 consid. 4.5.1; arrêt 5A_276/2020 du 19 août 2020 consid. 5.2.3). Dans le cas d'un séquestre fondé sur l'existence d'un titre de mainlevée définitive qui concerne un jugement rendu dans un Etat étranger auquel s'applique la Convention de Lugano du 30 octobre 2007, le juge statue aussi sur la constatation de la force exécutoire ( art. 271 al. 3 LP ; ATF 139 III 135 consid. 4.5.2; arrêt 5A_228/2017 du 26 juin 2017 consid. 3.4 et les références). Le juge qui entend prononcer le séquestre requis sur la base d'un jugement "Lugano" doit statuer sur l'exequatur de celui-ci ( ATF 139 III 135 consid. 4.5.2 i.f.; parmi d'autres: KREN KOSTKIEWICZ, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG [SK Kommentar], 4 e éd. 2017, n° 91 ad art. 271 LP ; ARNOLD, op. cit., p. 234 n. 864 et p. 235 s. n. 867; BOLLER, Abwehrmassnahmen: Arresteinsprache und Beschwerde, PCEF 2017 p. 44 ss, 47; arrêt du Kantonsgericht des Grisons du 22 mai 2013, in CAN 2014 p. 38 n° 15, consid. 6b et 6c), soit par une ordonnance distincte (BOVEY, La révision de la Convention de Lugano et le séquestre, JdT 2012 II p. 80 ss, 91), soit directement dans le dispositif de l'ordonnance de séquestre (BAUER, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Ergänzungsband zur zweiten Auflage, 2017, n° 104 ad art. 271 LP citant un arrêt de l'Obergericht de Zurich du 18 décembre 2014 [PS140239-O/U] consid. 4.3, non publié sur ce point in BlSchK 2015 p. 244). La pratique antérieure à la révision de la LP induite par la CL révisée consistant à statuer à titre incident sur l'exequatur, bien que parfois encore suivie en pratique (cf. MEIER-DIETERLE, in SchKG, Kurzkommentar, 2 e éd. 2014, n° 17n ad art. 271 LP ) ou expressément envisagée par la doctrine (JEANDIN, Point de situation sur le séquestre à la lumière de la Convention de Lugano, SJ 2017 II p. 27 ss, 34 et 37; HAUBENSAK, Umsetzung der Vollstreckung und Sicherung nach dem Lugano-Übereinkommen in das Schweizer Recht, 2017, p. 197 ss), n'est pas conforme au texte clair de l' art. 271 al. 3 LP et ne saurait ainsi perdurer s'agissant de jugements "Lugano" (KREN KOSTKIEWICZ, SK Kommentar, loc. cit.; la même , in IPRG/LugÜ Kommentar [OFK Kommentar], 2 e éd. 2019, n° 10 ad art. 47 CL ; BAUER, loc. cit.; dans ce sens: ATF 139 III 135 consid. 4.5.2 i.f., qui n'admet cette pratique que s'agissant de jugements "non Lugano" ou de sentences arbitrales étrangères). BGE 147 III 491 S. 498 Le point de savoir si le juge du séquestre doit statuer sur l'exequatur d'un jugement "Lugano" même en l'absence de conclusion dans ce sens est controversé (MEIER-DIETERLE, op. cit., n° 17o ad art. 271 LP et les auteurs cités; KREN KOSTKIEWICZ, SK Kommentar, op. cit., n os 93 ss ad art. 271 LP ; PHURTAG, Vorsorgliche Massnahmen im internationalen Zivilprozessrecht, 2019, p. 372 n. 680 et les auteurs cités; JEANDIN, op. cit., p. 33). Selon la jurisprudence de l'Obergericht de Zurich, le créancier séquestrant doit conclure au prononcé de l'exequatur du jugement "Lugano", faute de quoi le séquestre requis sur la base de l' art. 271 al. 1 ch. 6 LP ne peut être ordonné (parmi plusieurs: arrêts du 24 août 2015 [PS150133-O/U] consid. 5.1.2, du 18 décembre 2014 [PS140239-O/U] consid. 4.3, in BlSchK 2015 p. 244). Cette jurisprudence est suivie dans sa prémisse par une partie de la doctrine, au motif notamment que la maxime de disposition ( art. 58 al. 1 CPC ) prévaut en l'espèce (JEANDIN, op. cit., p. 33 note infrapaginale 18; PHURTAG, loc. cit. et les auteurs cités à la note infrapaginale 2048; ARNOLD, op. cit., n. 867; voir aussi HAUBENSAK, op. cit., p. 196). D'autres suivent le Message du Conseil fédéral (du 18 février 2009 relatif à l'arrêté fédéral portant approbation et mise en oeuvre de la Convention de Lugano[...], FF 2009 p. 1497 ss, 1538), relevant notamment que l' art. 271 al. 3 LP ne revêt pas le caractère d'une norme potestative ( Kann-Vorschrift ), pour considérer que le juge doit statuer d'office sur l'exequatur (parmi d'autres: KREN KOSTKIEWICZ, SK Kommentar, op. cit., n os 94 et 96 ad art. 271 LP et les références; la même , OFK Kommentar, loc. cit.; SCHWANDER, Arrestrechtliche Neuerungen im Zuge der Umsetzung des revidierten Lugano-Übereinkommens, RJB 2010 p. 641 ss, 656; RODRIGUEZ, Sicherung und Vollstreckung nach revidiertem Lugano Übereinkommen, PJA 2009 p. 1550 ss, 1558). La question souffre de demeurer indécise, dès lors qu'en l'espèce, les intimées ont expressément conclu au prononcé de l'exequatur de l'"Order" du 17 octobre 2019. 6.2.2 Le prononcé du séquestre peut être attaqué par la voie de l'opposition dans les dix jours à compter de celui de sa connaissance ( art. 278 al. 1 LP ), puis, comme le refus du séquestre, par celle d'un recours selon les art. 319 ss CPC ( art. 278 al. 3 LP ; BASTONS BULLETTI, in CPC, Code de procédure civile, 2021, n° 6 ad art. 327a CPC et les références). En revanche, la question du caractère exécutoire de la décision "Lugano" fondant la requête de séquestre ne peut être examinée que dans le recours prévu à l' art. 327a CPC , BGE 147 III 491 S. 499 disposition mettant en oeuvre l' art. 43 CL . L'opposition à un séquestre prononcé à titre de mesure conservatoire ( art. 47 par. 2 CL cum art. 271 al. 1 ch. 6 LP ) ne permet en effet d'invoquer que les objections spécifiques au séquestre ( ATF 143 III 693 consid. 3.3; arrêt 5A_953/2017 du 11 avril 2018 consid. 3.2.2.2; BOLLER, loc. cit.). Les deux procédures - opposition et recours - doivent donc, le cas échéant, être menées parallèlement (BASTONS BULLETTI, loc. cit. et les références; BOLLER, loc. cit.). Il s'ensuit que le débiteur séquestré qui entend soulever l'un des motifs de refus d'exequatur prévus par la CL (art. 45 par. 1 cum art. 34 s. CL) ou s'en prendre aux conditions que le premier juge peut examiner (i.e. les formalités selon l' art. 53 CL , l'existence d'une décision exécutoire selon les art. 32 et 38 par. 1 CL et l'application de la CL selon l' art. 1 CL ; BASTONS BULLETTI, op. cit., n° 9 ad art. 327a CPC ) ne peut le faire que dans le cadre du recours de l' art. 327a CPC (JEANDIN, op. cit., p. 44). Ce n'est que lorsque la requête de séquestre se fonde sur une décision "non Lugano" ou sur une sentence arbitrale étrangère que le juge de l'opposition au séquestre est compétent pour examiner le respect des conditions de la reconnaissance ainsi que les motifs de refus de l'exequatur ( ATF 144 III 411 consid. 6.3.1 [sentence arbitrale étrangère]; BOLLER, loc. cit., se référant à l' ATF 139 III 135 consid. 4.5.2; en matière de mainlevée, cf. arrêt 5A_387/2016 du 7 septembre 2016 consid. 3).
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