title
stringlengths
13
306
content
stringlengths
1
874k
type
stringclasses
1 value
author
stringlengths
1
203
datePublished_at
unknown
dateCreated_at
unknown
dateModified_at
unknown
url
stringlengths
33
344
description
stringlengths
0
258
keywords
sequence
__index_level_0__
int64
0
31.3k
"Ein Ort der bunt und farbig ist" | Volksgemeinschaft - Ausgrenzungsgemeinschaft | bpb.de
Jan Krebs war Referent im Workshop "Interner Link: Lebenswelten junger Menschen zwischen Konformitätszwang und Ausgrenzung: Sport und Freizeit". Das Interview führte Interner Link: Miriam Menzel. Im Interview: Jan Krebs Jan Krebs Jan Krebs ist seit 2007 Projektleiter in der Ausstellung 7 x jung – Dein Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt bei Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland. In Modellprojekten entwickelt er spezifische Ansätze und Methoden an diesem Lernort. Ab 1994 wirkte er beim Aufbau des Anne Frank Zentrums in Berlin mit und war bis 2007 dessen Geschäftsführer. Zuvor war er an zahlreichen internationalen Bildungsprojekten, Gedenkstättenfahrten, deutsch-polnischen Projekten und in einem Forschungs- und Interviewprojekt zur NS-Zwangsarbeit in Russland, Polen und der Ukraine beteiligt. Nach einem freiwilligen Friedensdienst mit Aktion Sühnezeichen Friedens-dienste in Oświęcim/Auschwitz, Polen studierte Jan Krebs Geschichtswissenschaft, Politologie und Philosophie (M.A.) an der FU Berlin. Jan Krebs Jan Krebs ist seit 2007 Projektleiter in der Ausstellung 7 x jung – Dein Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt bei Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland. In Modellprojekten entwickelt er spezifische Ansätze und Methoden an diesem Lernort. Ab 1994 wirkte er beim Aufbau des Anne Frank Zentrums in Berlin mit und war bis 2007 dessen Geschäftsführer. Zuvor war er an zahlreichen internationalen Bildungsprojekten, Gedenkstättenfahrten, deutsch-polnischen Projekten und in einem Forschungs- und Interviewprojekt zur NS-Zwangsarbeit in Russland, Polen und der Ukraine beteiligt. Nach einem freiwilligen Friedensdienst mit Aktion Sühnezeichen Friedens-dienste in Oświęcim/Auschwitz, Polen studierte Jan Krebs Geschichtswissenschaft, Politologie und Philosophie (M.A.) an der FU Berlin. Jan Krebs
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2013-01-29T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/veranstaltungen/reihen/konferenz-holocaustforschung/154191/ein-ort-der-bunt-und-farbig-ist/
Die Jugend ist laut Jan Krebs die Lebensphase, in der Weichen, z.B. für Toleranz und Weltoffenheit, gestellt werden. In seiner Arbeit als Leiter des Projekts 7 x jung – Dein Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt bei Gesicht Zeigen! Für ein wel
[ "politische Bildung", "Toleranz", "Ausgrenzung", "Diskriminierung" ]
30,600
Refuge and Asylum | United States of America | bpb.de
Refuge and asylum are similar in that they apply to non-citizens who are unable to return to their country of origin as a result of persecution or well-founded fear of persecution based on race, religion, nationality, membership in a social group or political opinion. Whereas refugees are persons who apply for resettlement from outside the U.S., asylees do so from within the country or at a port of entry. Persons granted asylum or refugee status are entitled to work in the U.S., and both groups can apply for LPR status after one year of continuous residence. The quota for refugee admissions is set every year by the President in consultation with Congress, and it has been reduced significantly in recent years. In 1980, when the admissions ceiling was first introduced, it was set at 231,700 persons. From 2003 to 2007 the ceiling annual on refugee admissions was set at 70,000. Since 2008 the limit has been 80,000 per year. No quotas are set for asylum admissions. Refugee arrivals: Fiscal years 1980 to 2011 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de In 2011 a total of 56,384 refugees were admitted to the U.S. The leading countries of origin were Burma (30%), Bhutan (27%), and Iraq (17%). In addition to these refugees, 24,988 people were granted asylum in 2011. The top 5 countries of origin for persons granted asylum in 2011 were China (34%), Venezuela (4.4%), Ethiopia (4.3%), Egypt (4.1%), and Haiti (3.5%). Nationals of these countries accounted for more than half of all persons granted asylum. U.S. refugee policy has been the subject of serious criticism, particularly in recent years and with respect to the low number of people granted refugee status. In the 1990s, an average of 100,000 refugees arrived in the U.S. every year; in the 2000-2006 period, this average had declined to 50,000, well below the authorized quota. This sharp decline was due to increased security enforcement measures in the aftermath of the terrorist attacks on 9/11 and tightened asylum eligibility criteria. Between 2006 and 2010 the number of refugee arrivals rebounded, reaching 73,293 in 2010. Refugee arrivals: Fiscal years 1980 to 2011 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de For an overview of the refugee and asylum provisions in the US, see Jefferys (2007a). Martin/Yankay (2012).
Article
Nicholas Parrott
"2022-01-24T00:00:00"
"2012-09-10T00:00:00"
"2022-01-24T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/laenderprofile/english-version-country-profiles/144013/refuge-and-asylum/
Refuge and asylum are similar in that they apply to non-citizens who are unable to return to their country of origin as a result of persecution or well-founded fear of persecution based on race, religion, nationality, membership in a social group or
[ "asylum", "USA", "Refuge", "Flucht und Asyl", "Vereinigte Staaten von Amerika" ]
30,601
Neue Ausschreibungsrunde im Förder- und Qualifizierungsprogramm MITEINANDER REDEN | Presse | bpb.de
Das Förder- und Qualifizierungsprogramm MITEINANDER REDEN der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb startet ab sofort eine dritte Förderrunde (2022-2024). Im Kontext einer wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung und Diffamierung suchen wir 100 Projekte, deren Ideen und Formate dazu beitragen, Kontroversen zu führen und Räume zu schaffen, um (neues) Vertrauen in Politik und Demokratie zu stärken. Die Zunahme von menschenfeindlichen, extremistischen Einstellungen und Haltungen, von Antisemitismus, Rassismus und Verschwörungserzählungen unterstreicht, dass respektvolles Miteinander und Aushandeln von Lösungen neu gelernt werden müssen. Das MITEINANDER REDEN Programm zielt sowohl auf eine finanzielle Förderung als auch auf Qualifizierung durch Prozessbegleitung, Trainings, kollegiale Beratung und Vernetzung ab, mit denen demokratische Streitkultur, Selbstwirksamkeit, Resilienz- und gleichzeitig Konfliktfähigkeiten nachhaltig gestärkt werden. Für das Programm können sich Einzelpersonen, Bildungs- und Kulturträger, Vereine, Initiativen, Netzwerke, Bürgermeister/-innen, Kommunalvertreter/-innen, Ortsvorsteher/-innen, Gemeindeverbände und -kooperationen sowie Unternehmen, die aus ländlichen Regionen, Dörfern, Städte und Gemeinden mit bis zu 15.000 Einwohner/-innen kommen, bewerben. Die Bewerbung erfolgt ausschließlich über das Online-Portal. Weitere Informationen zum Programm und zur Einreichung finden sich unter: Externer Link: https://miteinanderreden.net/foerderprogramm/laufende-ausschreibung/ Aktuelle und weitere Informationen finden Sie auch auf Externer Link: Facebook und Externer Link: Instagram. Bewerbungsschluss ist der 11. September 2022. MITEINANDER REDEN. Kontroversen führen – Vertrauen bilden ist Teil des Aktionsplans gegen Rechtsextremismus und wird gefördert durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“. Die Pressemitteilung als PDF finden Sie Interner Link: hier Pressekontakt: Bundeszentrale für politische Bildung Daniel Kraft Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel. +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: presse@bpb.de Externer Link: www.bpb.de/presse
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-07-20T00:00:00"
"2022-07-15T00:00:00"
"2022-07-20T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/510677/neue-ausschreibungsrunde-im-foerder-und-qualifizierungsprogramm-miteinander-reden/
Gesucht werden bundesweit 100 Projekte in ländlichen Räumen, die sich für eine demokratische Streitkultur stark machen // Informationen unter www.miteinanderreden.net und auf Instagram @miteinanderredenbpb!
[ "Miteinander Reden", "ländlicher Raum", "Förderung" ]
30,602
M 02.05.02 Experteninterview mit Dr. Simon Franzmann (Teil 2) | Bundestagswahl 2017 | bpb.de
Arbeitsaufträge: Nenne die drei im Video dargestellten Herausforderungen der Parteiendemokratie. Warum können Koalitionsregierungen die Wahrnehmung von Parteien negativ oder positiv beeinflussen? Halte deine Ergebnisse in Stichpunkten fest. Warum kann es sein, dass Parteien kurzfristig die Interessen der Wählerinnen und Wähler umsetzen, langfristig aber nicht responsiv handeln? Tausche dich mit deinem Sitznachbarn aus. Welche Entscheidungen haben einen Einfluss auf den Nationalstaat werden aber nicht durch die jeweiligen Regierungsparteien getroffen? Erläutere diese Entscheidungen und überlege welche konkreten Beispiel dir einfallen. Diskutiert eure Ergebnisse anschließend in der Klasse. Das Arbeitsmaterial ist hier als Interner Link: PDF-Datei abrufbar.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2017-08-17T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/grafstat-bundestagswahl-2017/254569/m-02-05-02-experteninterview-mit-dr-simon-franzmann-teil-2/
Im zweiten Teil des Experteninterviews geht es um die Themen Mitgliederschwund und Vertrauensverlust gegenüber Parteien. Außerdem wird auf die Problematik der Langwierigkeit der Entscheidungsfindung bzw. Möglichkeit der Abwahl hingewiesen.
[ "Bundestagswahl" ]
30,603
Notizen aus Moskau: Was suchen wir in Putins Kopf? | Russland-Analysen | bpb.de
"Und Du glaubst echt, dass Dir zu "Putins Kopf" etwas Neues einfällt?" schrieb mein Redakteur zurück, nachdem ich ihm das Thema dieser Notizen vorgeschlagen hatte. Eine vielleicht ein wenig flapsige, aber sicher berechtigte Frage. Zuletzt hatten vier Redakteure von Externer Link: openDemocracy in der Externer Link: Nummer 313 der Russland-Analysen ausführlich erklärt, warum sie "keine Artikel über Putin publizieren". Maxim Edwards, Thomas Rowley, Natalia Antonova und Mikhail Kaluzhsky begründeten ihre Putin-Enthaltsamkeit mit drei Thesen: "1. Wir meinen, die Konzentration auf Putin verdeckt einen Mangel an Kenntnis. (…) 2. Wir meinen, dass an Russland mehr dran ist, als Personenpolitik. (…) 3. Wir meinen: Die Konzentration der Mainstream-Medien auf Putin lenkt von der Bevölkerung Russlands ab." Zwar konzedieren sie, es gebe "sicherlich eine reiche Palette an Umständen, die Putins Politikstil beeinflusst haben und beeinflussen, angefangen von nationalistischen Philosophen wie Alexander Dugin und Iwan Iljin bis hin zu seinen bittersüßen Erfahrungen als KGB-Offizier in der dahindämmernden DDR". Aber das Putin Regime sei insgesamt doch eher selbstgenügsam. Es gehe ihm vor allem darum, an der Macht zu bleiben, und die dazu angewandten Herrschaftsmechanismen unterschieden sich nicht wesentlich von den schon aus der der Sowjetunion bekannten. Die Autor kommen also zu dem Schluss: Putin habe "zwar das Seine dazu beigetragen, aber wir sollten seine Verdienste auch nicht überbewerten". Weshalb es wichtiger wäre, sich dem zuzuwenden, was im Volk passieren, auch und gerade in den Regionen. Das, nicht Putin und sein Machtapparat, werde für die Zukunft Russlands entscheidend sein. Hier könnte ich eigentlich enden, denn ich stimme allen Argumenten der openDemocracy-Redakteure aus vollem Herzen zu. Bis auf einem. Das will ich versuchen zu erklären. Zuerst: Der Vorwurf, die (öffentlichen) Beschäftigung mit Russland konzentriere sich (in Russland wie außerhalb des Landes) zu sehr auf den Präsidenten und vernachlässige damit das große, weite Land und seine so ganz unterschiedlichen Menschen ist nicht neu. Er ertönt mit schöner Regelmäßigkeit. Und natürlich ist Russland ebenso wenig nur Putin, wie Moskau niemals mit dem ganzen Land verwechselt werden sollte. Andererseits ist Russland aber, das ist eines seiner großen (und historisch außerordentlich konstanten) Probleme, ein hoch (macht-)zentristisch aufgebautes und orientiertes Land. Ohne den Versuch zu verstehen, was die jeweils Herrschenden tun und denken (könnten) und wie diese Denken und Handeln mit den Menschen korrespondiert, kommt keine ernstzunehmende Analyse des Landes aus. Hinzu kommt etwas, in dem sich die Herrschaft Putins von allen ihren Vorgängern unterscheidet. Sie baut, bei allen autoritären, ja inzwischen mitunter autokratischen Tendenzen, als populistische Herrschaft (immer noch) mehr auf freiwillige Zustimmung in der Bevölkerung denn auf deren gewaltsame Durchsetzung. In diesem Sinn hat sie tatsächlich ein demokratisches Element. Anders ausgedrückt: Die Menschen in Russland sind heute in größerem Maße für Putin (und damit seine Politik) verantwortlich, als es die Sowjetbürger seinerzeit für Stalin (oder dessen Vorgänger und Nachfolger) waren oder die Untertanen des Russischen Imperiums für die Zaren. Diese Verantwortlichkeit lässt sich einerseits formal begründen. Putin ist über demokratisch legitimierte und institutionell in einer Verfassung verankerte Verfahren an die Macht gekommen: Die Wahl zum Ministerpräsidenten durch das Parlament im Jahr 1999 geschah auf Vorschlag eines direkt (und ziemlich frei) gewählten Präsidenten; danach erfolgte die in der Verfassung vorgesehene geschäftsführende Nachfolge dieses Präsidenten nach dessen Rücktritt und der Sieg bei den darauffolgenden Wahlen. Das Volk war immer beteiligt, wenn auch je weiter, desto stärker und geschickter manipuliert. Weder über die Zarenzeit noch die Sowjetunion lässt sich auch nur annähernd Ähnliches sagen. Andererseits sieht eine inhaltliche Begründung so aus: Putin schafft es, zugegeben, mit zunehmend zweifelhaften Methoden, für seine Politik immer wieder die Zustimmung einer großen Mehrheit der Menschen in Russland zu gewinnen. Das gelingt, wie mir scheint, vor allem, indem er ihre Sehnsüchte, Ängste, Vorurteile und Befürchtungen erspürt und in seine Politik einbaut. Lange Zeit waren das, nach den turbulenten 1990er Jahren, vor allem Stabilität, wachsender Wohlstand für alle (oder zumindest die meisten) und (erneute) nationale Größe. Seitdem es mit der Stabilität und dem Wohlstand nicht mehr so recht klappen will, setzt Putin vor allem auf nationale Größe (die sich gern auch als Furcht Anderer vor Russland zeigen darf) und stellt dem geschickt das (mal offene, mal untergründige) Ressentiment vieler Russen ("Schwulen", "Liberalen", "dem Westen" oder anderen "Anderen" gegenüber) zur Seite. Ich habe darüber ausführlicher Externer Link: vor zwei Wochen in diesen Notizen geschrieben. Anders ausgedrückt, funktionieren Putin und das Land ein wenig wie kommunizierende Röhren (auch wenn in diesem Fall eine der Röhren den Schwingrhythmus stärker vorgibt als die andere). Auch deshalb ist das, was Putin tut und wie er es begründet, wichtig, und die Beschäftigung damit kein einfaches Außerachtlassen der Menschen des Landes. Es kommt aber noch etwas hinzu. Wer behauptet, das Land sei ganz anders als seine Herrschaft, perpetuiert die alte, oben wie unten immer wieder wie ein Schutzpanzer vor sich hergetragene Spaltung des Landes in "Wlast" ("Staatsmacht") und "Narod" ("Volk"). Die Behauptung, diese beiden hätten nichts miteinander gemein, ist seit Jahrhunderten einer der wichtigsten Bausteine autoritärer Herrschaft in Russland. Wlast ist dieser Sichtweise nach entweder heilig oder verbrecherisch, Narod dumm-naiv oder unverdorben gut. Beides ist selbstverständlich falsch (und ich unterstelle den openDemocracy-Redakteuren nicht, dieses Bild im Kopf zu haben). Man könnte es geradezu die Hauptaufgabe für eine demokratische Entwicklung des Landes nennen, diesen Dualismus endlich zumindest aufzulösen zu beginnen. Aber zurück zu Putins Kopf, der wichtig, wenn auch nicht alles ist. Mit ihm kann man sich natürlich auf ganz unterschiedliche Weise auseinander setzen. Personalisiert-apologetisch, wie jüngst der ARD-Journalist Hubert Seipel in seinem Buch "Putin: Innenansichten der Macht" oder früher Alexander Rahr, der in Putin den "Deutschen im Kreml" sah. Oder man zieht, wie Boris Reitschuster, mit wehenden Fahnen in den Kampf gegen "Putins Demokratur". Es lässt sich aber auch, wie es Fiona Hill und Clifford Gaddy vom US-Think-Tank Brookings in ihrem "Mr. Putin" genannten Buch machen, ein eher kritisch-analytischer Ansatz wählen, in dem Putin in vielem als Chiffre des gegenwärtigen Herrschaftssystems in Russland verstanden wird. Das jüngst auf Deutsch erschienene Buch des französischen Philosophen Michel Eltschaninoff, das ich zur Lektüre empfehlen möchte, bedient sich zwar auch des personalisierten Ansatzes. Schon im Original hat es den nicht ganz glücklichen Titel "In Putins Kopf". Eltchaninoff zieht einen großen Bogen über alle 15 Jahre von Putins Herrschaft in Russland. Er besticht durch eine große Fülle von Zitaten, vor allem aus programmatischen Reden Putins. Dabei zeigt er, wie sich die Bezüge Putins mit der Zeit verändert haben. Während zu Beginn der 2000er Jahre eine "europäische Entwicklung Russlands" eine wichtige Rolle einnahm, die EU keineswegs, aber auch die NATO noch kein "Feind" war, erscheint die "europäische Demokratie" später abwertend als "formale Demokratie" und das "wieder aufsteigende Russland" positioniert Putin immer stärker als Antithese zu Europa. Am Beginn seiner Präsidentschaft zitiert Putin, wie Elchaninoff zeigt, noch mehrfach Kant, um Russlands Zugehörigkeit zu Europa zu unterstreichen. Später tauchen immer mehr, meist konservative, Europa gegenüber skeptisch eingestellte russische Denker und Philosophen wie Iwan Iljin, Konstantin Leontjew oder Nikolaj Danilewskij in Putins Reden auf. Zunehmend gewinnen das Konzept einer ins Absolute erhobenen "Souveränität" und, damit zusammenhängend, eines "russischen Wegs" an Bedeutung. Mit den Jahren werden zwei Grundtendenzen dominant: die Idee des Imperiums und die Apologie des Krieges. Das ist für Eltchaninoff der "gemeinsame Kern" von sowjetischer Ideologie und den oben genannten russischen Konservativen. Man könnte es auch als Versuch einer späten Versöhnung der Roten und der Weißen im russischen Bürgerkrieg interpretieren – selbstverständlich auf der Basis eines imperialen Verständnisses des russischen Staates. Eltchaninoff beschreibt Putins Präsidentschaft als eine politische (und ein wenig auch eine persönliche) Entwicklungsgeschichte. Allerdings kann selbstverständlich auch er die Frage nicht beantworten, ob es sich dabei um Änderungen von politischen Überzeugungen handelt oder ob nur neue politische Herausforderungen jeweils neue (oder andere) Begründungen erfordern. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, wieviel Putin im gegenwärtigen russischen Herrschaftssystem steckt, ob also der Mensch auf der Bühne, den wir sehen, ein Schauspieler ist, der (im Rahmen der von Regisseur und Drehbuch vorgegebenen Regeln) seine Rolle recht frei interpretieren und mitunter auch von den Regeln abweichen kann, ob er den Film vielleicht in Personalunion als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor selbst konzipiert hat und alle Fäden in der Hand hält, oder ob es sich mehr um eine Puppe handelt, die selbst an diesen Fäden hängt. Wie weit also ist das hier mit "Putin" bezeichnete Phänomen vor allem die Person Wladimir Putin, oder müssen wir eher von einer Art "kollektiver Putin" ausgehen? Das ist in der Diskussion (zurecht) umstritten. Wir wissen es einfach nicht. Ich gehe davon aus, dass das gegenwärtige politische System in Russland ohne Wladimir Putin nicht funktioniert (so nicht funktionieren könnte). Allein das gibt der zentralen Person einen gehörigen Anteil an der Macht. Putin denkt sich sicherlich nicht alles selbst aus. Aber er steht im Zentrum. Er entscheidet letztendlich. Eltchaninoffs Schlussthese, Putins "grundlegende Philosophie" bleibe "ökonomisch gemäßigt" und er wolle "Ressourcen gewinnen, um mit neuen Kräften am weltweiten Kapitalismus zu partizipieren", wählt deutlich die zweite Variante. Dann muss die Beschäftigung mit Putins Kopf im Vordergrund stehen. So oder so ist es gut zu wissen, worauf und auf wen sich Putin bezieht, wenn er spricht. Es ist gut zu wissen, wie sich diese Bezugspunkte mit der Zeit verändern. Aber mehr noch als bei vorab verbreiteten Redetexten gilt das gesprochene Wort nur eingeschränkt. An ihren Taten sollt ihr sie messen. Diesen und andere Texte finden Sie auf Externer Link: Jens Siegerts Russlandblog
Article
Jens Siegert
"2021-06-23T00:00:00"
"2016-05-24T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/nr-316/228223/notizen-aus-moskau-was-suchen-wir-in-putins-kopf/
Wie kann man Russland besser verstehen? Der Vorwurf, dass in der bisherige Berichterstattung ein zu großer Fokus auf dem Präsidenten Putin liegt ist nicht neu. In seinem Blogeintrag versucht Jens Siegert eine kritische Annäherung.
[ "" ]
30,604
Kommunale Selbstverwaltung in Ost- und Westdeutschland | Lange Wege der Deutschen Einheit | bpb.de
Die Rolle der Kommunen im föderalen Mehrebenensystem Die Kommunen erfüllen im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Doppelfunktion. Zum einen werden auf kommunaler Ebene in vielen Politikfeldern politische Entscheidungen getroffen, die die Lebensumstände der Bürger nachhaltig prägen. Örtliche Lösungen bieten aufgrund ihrer geringen Distanz bessere Mitwirkungsmöglichkeiten für Bürger, sie machen Politik "fassbar". Da die Auswirkungen von Politik, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem besonders anschaulich und konkret erfahrbar sind, besteht hier die Chance, Politik in größerem Umfang mitzugestalten und die Bürger in das politisch-administrative System einzubinden. Die lokale Ebene ist also die Ebene umfassender Mitwirkungsmöglichkeiten. Aus dieser Perspektive sind die Kommunen einerseits die "Schule der Demokratie". Andererseits kommt den Kommunen mit Blick auf die Aufgabenerfüllung und die Bedeutung für die Lebensverhältnisse der Bürger eine wichtige Funktion der Daseinsgestaltung zu. Aus dieser Perspektive interessieren vor allem die Effektivität und Effizienz kommunaler Leistungen. Durch die Übernahme von Versorgungs-, Leistungs-, Fürsorge-, Vollzugs- und Planungsfunktionen sind Kommunen auch in Zeiten eines europäischen Mehrebenensystems unverzichtbar. Allerdings sind sie, gemessen an ihrer Finanzautonomie und hinsichtlich der administrativen und politischen Kompetenz, die am schlechtesten ausgestattete Politikebene, denn staatsrechtlich sind sie Teil der Länder und unterliegen damit deren Aufsichts- und Weisungsrecht (vgl. ausführlich Bogumil/Holtkamp 2013). Im Folgenden werden ausgehend vom Umbau der kommunalen Selbstverwaltung in Ostdeutschland nach dem Systemumbruch einige wichtige Reformen im wiedervereinigten Deutschland nachgezeichnet. Der Beitrag endet mit einem Blick auf die Ausgestaltung der kommunalen Demokratie. Umbau der kommunalen Selbstverwaltung in Ostdeutschland Mit dem Systemwechsel in der DDR und der deutschen Vereinigung begann ein umfassender gesellschaftlicher und politischer Transformationsprozess, der auch in den Kommunen zu umwälzenden Veränderungen führte. Der institutionelle Umbruch und Neubau der ostdeutschen kommunalen Verwaltungsstrukturen vollzog sich seit dem Untergang des DDR-Staates in einem verwaltungshistorisch beispiellosen "Zeitraffer", wobei die ostdeutschen Kommunen angesichts des einzigartigen Problemdrucks institutionelle Umbruchprozesse in wenigen Jahren zu bewältigen hatten, die sich in den westdeutschen Kommunen in vierzig Jahren abspielten. Dabei lassen sich zwei Phasen unterscheiden: Die erste setzte mit den demokratischen Kommunalwahlen noch in der DDR am 6. Mai 1990 und dem Inkrafttreten der neuen DDR-Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 ein ("Gründungsphase"). Seit Mitte 1990 durchliefen die kommunalen Strukturen im Übergang von der zentralistischen DDR-Staatsorganisation zur Integration in das föderative Verfassungs-, Rechts- und Aufgabenmodell der Bundesrepublik einen grundlegenden institutionellen Neubau. Einerseits wird dabei eine Wiederaufnahme deutscher Verfassungstradition sowie eine rechtliche Angleichung an das Kommunalmodell der Bundesrepublik sichtbar. Andererseits lassen vor allem die basisdemokratischen und partizipativen Elemente der DDR-Kommunalverfassung (Bürgerantrag, Bürgerentscheid, Bürgerbegehren) ein bewusstes Anknüpfen an die "friedliche Revolution" des Jahres 1989 erkennen. Bereits diese Prozesse zeugen von Eigenentwicklung und innovativer Abwandlung des westdeutschen Modells. Mit Beginn der zweiten kommunalen Wahlperiode (Dezember 1993 in Brandenburg, Juni 1994 in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen) vollzog sich eine zweite Veränderungswelle, die durch neue Kommunalverfassungen der ostdeutschen Bundesländer, die Kreisgebietsreformen und schließlich die unter dem Stichwort "Neues Steuerungsmodell" geführte Verwaltungsmodernisierungsdebatte ausgelöst wurde. Die Kommunalgesetzgebung der neuen Länder veränderte die institutionellen Rahmenbedingungen der Kommunalverwaltungen nochmals erheblich und setzte die Kreise und Städte unter einen erneuten Veränderungsdruck. Vor allem für die ostdeutschen Landkreise bedeuteten die seit 1994 in den neuen Bundesländern vollzogenen Kreisgebietsreformen praktisch eine Neugründung. Räumliche Zusammenführung, Neuaufbau und Konsolidierung der Verwaltungsstrukturen waren neben der Neuordnung der Kreisinfrastruktur und der kreislichen Aufgaben die vordringlichsten Aufgaben der neu gewählten Leitungskräfte. Die dramatischen personalstrukturellen Umbrüche und Anpassungsprozesse, die in den ostdeutschen Kommunen nach dem Systemumbruch stattfanden, werden darin deutlich, dass die Zahl der Kommunalbediensteten zwischen 1991 und 1995 um ein Drittel abnahm (von 662000 auf 438000) und die "Beschäftigtendichte" von 42 auf 28 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner von 1991 bis 1995 zurückging. Die neue kommunale Positionselite in Ostdeutschland setzte sich mehrheitlich aus Seiten- und Quereinsteigern zusammen, die nach dem Umbruch aus verwaltungsfremden Berufsbereichen, insbesondere Wirtschaftsbetrieben, Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen rekrutiert wurden und über ein vorwiegend technisch-naturwissenschaftlich geprägtes Ausbildungsprofil verfügten. Sowohl bei den gewählten Kommunalpolitikern als auch beim administrativen Führungspersonal dominierten technische, naturwissenschaftliche oder medizinische Ausbildungsabschlüsse gegenüber juristisch-verwaltungsbezogenen. Darin kam eine nahezu spiegelbildliche Umkehrung des Qualifikationsprofils in den Kommunen der alten Bundesländer zum Ausdruck. Zusammenfassend lässt sich einerseits festhalten, dass der politisch-administrative Transformationsprozess einerseits stark durch die Integrationslogik des als Beitritt nach Paragraf 23 GG vollzogenen Einigungsprozesses bestimmt war, die vor allem in der Anfangsphase in einer weitgehenden Übernahme des westdeutschen Institutionenmodells ihren Ausdruck fand. Andererseits werden in den lokalen Ausformungen dieses Modells und den variierenden Strategien seiner Institutionalisierung wichtige Dimensionen einer ostdeutschen Eigenentwicklung augenfällig. Neuere Modernisierungsprojekte lassen zudem Ansätze institutioneller Innovation erkennen. Entwicklungslinien und Reformen im wiedervereinigten Deutschland Kommunalverfassungsreformen Das deutsche Kommunalsystem blieb – von Ausnahmen abgesehen – lange Zeit durch das Grundmuster repräsentativer Demokratie geprägt. Erst mit den Kommunalverfassungsreformen der 1990er Jahre wurde eine Bresche in das überkommene Prinzip repräsentativer lokaler Demokratie geschlagen. Darin fand auch die lokaldemokratische Aufbruchsstimmung der Umbruchszeit sichtbaren Ausdruck. War die direkte Wahl des Bürgermeisters bis zum Beginn der 1990er Jahre ausschließlich in Bayern und Baden-Württemberg bekannt, folgten – beginnend mit Hessen im Jahre 1990 – alle anderen deutschen Flächenländer bis 1999 diesem Modell, vielfach verbunden mit der kommunalverfassungsgeschichtlich völlig neuen Möglichkeit der Bürgermeisterabwahl durch ein kommunales Referendum (recall). Neben dem Personalplebiszit wurde auch das Sachplebiszit (Bürgerbegehren, Bürgerentscheid) in die Gemeindeverfassungen aller deutschen Bundesländer aufgenommen, welches bis dahin 25 Jahre lang in Baden-Württemberg ein in Westdeutschland einsamer Sonderling geblieben war. Erst mit der Novellierung der Gemeindeordnung vom 2. April 1990 machte Schleswig-Holstein den Anfang einer Folge von Gesetzgebungsverfahren, in deren Ergebnis bis 1999 (Mecklenburg-Vorpommern) bindende Referenden für Gemeinden in allen deutschen Flächenländern eingeführt wurden. Darüber hinaus sehen alle ostdeutschen sowie die meisten westdeutschen Flächenländer (außer Baden-Württemberg, Hessen und dem Saarland) lokale Referenden auch für die Landkreise vor, womit ein der deutschen Kreisverfassungstradition bis dato völlig unbekanntes Instrument eingeführt worden ist. Insgesamt wurden damit auf lokaler Ebene die vorher über 40 Jahre vorherrschenden repräsentativ-demokratischen Formen politischer Entscheidungsfindung durch direktdemokratische Formen ergänzt. So erfuhr die kommunale Verfassungswelt bei allen weiterbestehenden Unterschieden eine kaum für möglich gehaltene Vereinheitlichung. Dies ist umso beachtenswerter, als es sich hierbei um einen dezentralen politischen Entscheidungsprozess handelt, denn die Kommunalverfassungen liegen in der Zuständigkeit der Bundesländer. Die duale Rat-Bürgermeister-Verfassung (baden-württembergischer Prägung) ist formal zur Leitverfassung in Deutschland geworden. Gemeint ist damit eine duale Kompetenzverteilung, wonach Verwaltungschef und Ratsvertretung über je eigene Entscheidungsrechte verfügen, ergänzt um die Möglichkeit bindender lokaler Referenden. Ein direkt gewählter Bürgermeister ist nunmehr überall Verwaltungschef und muss sich nur in Hessen im Magistrat absprechen (kollegiale anstatt monokratischer Leitung). Nach wie vor bestehen allerdings innerhalb dieser Leitverfassung z.T. erhebliche Unterschiede im Zusammenspiel der Institutionen zwischen einzelnen Bundesländern (vgl. Tabellen 1 und 2) Die Unterschiede betreffen vor allem die Kompetenzverteilung zwischen Kommunalvertretung und Verwaltung, die Wahlzeit des Bürgermeisters, die Leitung der Gemeindevertretung (Bürgermeister oder Vorsitzender der Vertretungskörperschaft), die Möglichkeiten des Kumulierens (ein Kandidat auf einer Liste kann mehrere Teilstimmen erhalten) und des Panaschierens (Teilstimmen können auf Kandidaten konkurrierender Listen verteilt werden) sowie die Durchführungsbedingungen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Zur Beschreibung dieser stark variierenden kommunalen Entscheidungsstrukturen im Rahmen der dualen Rat-Bürgermeister-Verfassung hat sich das Begriffspaar "Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie" durchgesetzt (vgl. Bogumil/Holtkamp 2013: 167 und Kapitel unten) Gebietsreformen Die Größe der Kommunen variiert zwischen den Bundesländern erheblich. Während es im vereinten Deutschland bundesweit 11.054 Gemeinden (Stand 2018) gibt, sind es z.B. in NRW nur 396, aber in Bayern immer noch 2.056 Kommunen. Die Gründe liegen darin, dass es unterschiedliche historische Ausgangslagen gibt und dass kommunale Gebietsreformen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich durchgeführt wurden. Gebiets- bzw. Territorialreformen sind tiefgreifende und fast immer umstrittene Umstrukturierungen von Verwaltungen unterhalb der nationalen Ebene. Während in Westdeutschland die Gebietsreformen vor allem in den 1970er Jahren durchgeführt worden sind und es seitdem nur noch vereinzelt und praktisch nur auf freiwilliger Basis zu kleinen Veränderungen kam, wurde in allen ostdeutschen Bundesländern seit den frühen 1990er Jahren die Anzahl der Gemeinden und der Kreise deutlich reduziert. Nach einer ersten Konsolidierungswelle Mitte der 1990er Jahre verschärfte die anhaltende Strukturschwäche und die seitens der EU auferlegte Schuldenbremse die schwierige Lage vieler öffentlicher Haushalte. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern führte dies ab 2007 zu einer zweiten Welle von Gebietsreformen. Die letzten Reformversuche in Brandenburg und Thüringen in den Jahren 2014 bis 2017 sind dagegen gescheitert. In der Summe ist es dennoch, wenn auch nach Bundesländern unterschiedlich, zu einer erheblichen Reduzierung von Kommunen und Kreisen in einem ähnlichen Ausmaß wie bei den früheren Gebietsreformen in Westdeutschland gekommen. Dass die kommunale Gebietsstruktur in Ostdeutschland mit durchschnittlich 4.700 Einwohnern pro Kommune immer noch kleinteiliger ist als in Westdeutschland mit durchschnittlich 8.000 Einwohnern, liegt an der historischen Ausgangssituation. Denn auch in ihrer Gebietsgröße klein gehalten, ließen sich in der DDR die Kommunen als lokale "Organe der Staatsmacht" von dieser wirksamer kontrollieren (Wollmann 1998, S. 150). Managementreformen/Neues Steuerungsmodell Ein weiterer Reformschub ging Ende der 1990er Jahre von der Diskussion um die Einführung des "Neuen Steuerungsmodells" (NSM) aus, das sich binnen kurzer Zeit als eingedeutschte Variante von New Public Management (NPM) zum Referenzmodell lokaler Modernisierung entwickelte. Im Unterschied zum seit den 1980er Jahren unter dem Stichwort "New Public Management" (NPM) geführten internationalen Reformdiskurs wurde das NSM hierzulande jedoch eher als eine Alternative zu Privatisierungen und neo-liberalem Minimalstaat gesehen, indem es stärker auf Binnenreformen als auf Privatisierung und Ausgliederung von Aufgaben (Outsourcing) setzte. Ziel war eine betriebswirtschaftlich angeleitete, grundlegende Modernisierung und Steigerung der Effizienz- und Effektivität der öffentlichen Verwaltung. Erreicht werden sollte dies durch umfassende Reorganisation, u.a. die Einführung von Ergebnissteuerung und leistungsbezogenem Management (Performance Management), von Leistungs- und Zielvereinbarungen (Kontraktmanagement), die Dezentralisierung von Ressourcenverantwortung, Berichtswesen und Controlling sowie eine klarere Trennung von Politik (Rat) und Verwaltung. Die Reformbewegung gestaltete sich in ost- und westdeutschen Kommunen recht unterschiedlich. Während sie sich in westdeutschen Kommunen seit Beginn der 1990er Jahre wie ein Buschfeuer verbreitete, waren die verwaltungspolitischen Strategien der ostdeutschen Kommunen zunächst vorrangig auf den Aufbau und die Konsolidierung traditioneller (bürokratischer) Verwaltungsstrukturen gerichtet. Hingegen spielten Managementreformen kaum eine Rolle. Angesichts der spezifischen Transformationsprobleme in Ostdeutschland erblickten die Akteure in der NSM-Diskussion lange Zeit eine luxuriöse Modeerscheinung der westlichen Verwaltungswelt. Die teilweise rückblickend geäußerte Kritik, im Zuge des Institutionentransfers seien veraltete westliche Verwaltungsmodelle in ostdeutsche Kommunen eingeführt worden, trifft somit empirisch betrachtet zu. Gleichwohl griff die NSM-Modernisierungsdiskussion auf die ostdeutschen kommunalen Arenen über, was nicht zuletzt durch die sich zuspitzenden Haushaltsengpässe und Einsparzwänge motiviert war. Faktisch kam es im Verlauf der 1990er Jahre zunehmend zur Angleichung an die Modernisierungspraxis in den westdeutschen Kommunen. Dies gilt vor allem für die (größeren) Städte, während die ostdeutschen Kreise aufgrund des umfassenden Strukturumbruchs der Kreisneugliederung – von einzelnen Vorreitern abgesehen – der Entwicklung zunächst "hinterherliefen". Eine Evaluation des NSM aus dem Jahre 2007 ergab, dass 92 Prozent der deutschen Kommunen seit den neunziger Jahren Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung durchgeführt haben. Zu diesem Zeitpunkt war kein West-Ost-Gefälle mehr feststellbar. Jedoch wurde die Frage, wie modernisiert wird, und insbesondere, ob dabei das NSM als Reformleitbild im Vordergrund stehen soll, von ost- und westdeutschen kommunalen Akteuren unterschiedlich beantwortet. Von den deutschen "Reformkommunen" hat sich eine überwältigende Mehrheit (82%) am NSM als Reformleitbild orientiert, wobei jedoch diese Orientierung am NSM in westdeutschen stärker als in ostdeutschen Städten und eher in großen Städten und Kreisen als in den kleineren Kommunen festzustellen ist. Kann die Leitbildwirkung des NSM im Allgemeinen als unbestritten gelten, so ergibt sich jedoch hinsichtlich der konkreten Umsetzung des Reformkonzepts ein differenziertes Bild. Zum einen orientierten sich mehr als 60 Prozent der Städte nur an einzelnen Elementen des NSM, wohingegen die Kommunen, die ihre Reformaktivitäten am Gesamtkonzept des NSM ausrichten, klar in der Minderheit blieben (15%). Außerdem gab es nach zehn Jahren NSM-Reform kein einziges Reformelement, dessen Umsetzung die Mehrheit der deutschen Kommunen abgeschlossen hatte. Diese "Implementationslücke" hängt indes auch mit konzeptionellen Schwächen und Problemen des Reformmodells selbst zusammen. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die NSM-Ziele einer verbesserten Kundenorientierung, einer Leistungssteigerung (verkürzte Verfahren) und eines "Kulturwandels" (Kosten- und Leistungsdenken) am ehesten erreicht worden sind. Außerdem sind durch Dezentralisierung und Performanzmanagement für die Mitarbeiter Anreize zu effizienterem und wirtschaftlicherem Handeln entstanden. Allerdings konnte die vorgesehene klarere Trennung von Politik und Verwaltung ebenso wenig erreicht werden wie die Stärkung der Strategiefähigkeit des Rates. Auch die erhofften Einsparungen sind weitgehend ausgeblieben. Kommunale Demokratie Die Ausgestaltung kommunaler Demokratie ist von verschiedenen Bestimmungsfaktoren abhängig: der Gemeindegröße, dem institutionellen Zuschnitt der Kommunalverfassungen, lokalen politisch-kulturellen Faktoren und persönlichen Konstellationen. Da die Bundesländer sowohl unterschiedliche Kommunalverfassungen und Gemeindegrößen als auch unterschiedliche politisch-kulturelle Prägungen aufweisen, ist es nicht verwunderlich, dass kommunale Entscheidungsstrukturen erheblich variieren. Zur Beschreibung dieser zwischen den Bundesländern stark variierenden kommunalen Entscheidungsstrukturen wird, wie oben angedeutet, das Begriffspaar »kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie« verwandt, das zwei unterschiedliche Typen der repräsentativen Demokratie auf der kommunalen Ebene abbildet. In der kommunalen Konkordanzdemokratie wird in der Gemeindevertretung kaum zwischen Opposition und Regierung unterschieden und ist die Fraktionsdisziplin aus Sicht der Ratsmitglieder geringer ausgeprägt, während der Bürgermeister als "exekutiver Führer" dominiert. Demgegenüber zeichnet sich kommunale Konkurrenzdemokratie durch einen starken Parteienwettbewerb und einen weniger einflussreichen Bürgermeister aus. Angelehnt an diese idealtypische Unterscheidung können die Flächenländer mittels eines Konkordanzindex zugeordnet werden (Bogumil und Holtkamp 2013, S. 167, Bogumil/Holtkamp 2016). Danach dominieren konkordanzdemokratische Muster eher in baden-württembergischen, rheinland-pfälzischen und den meisten ostdeutschen Kommunen, während in NRW, dem Saarland und Hessen konkurrenzdemokratische Konstellationen prägend sind. Die anderen Bundesländer werden zwischen diesen Polen verortet (Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein). Insgesamt ist in Deutschland ein Trend zur kommunalen Konkordanzdemokratie zu beobachten, begünstigt durch die Kommunalverfassungsreformen und die zunehmende Schwäche der Parteien. Letzteres zeigt sich auch daran, dass die Verfahrensbedingungen für Bürgerbegehren in der Tendenz immer bürgerfreundlicher werden. Bemerkenswert ist die weitgehend einheitliche Einordnung der ostdeutschen Kommunen als Konkordanzdemokratien. Ursächlich hierfür sind einerseits kleinere Gemeindegrößen, ferner Kommunalverfassungen, die den Einfluss von Parteien eher begrenzen, und eine politische Kultur, welche die Konkordanzdemokratie begünstigt. So zeigt sich z.B. bei Haushaltsberatungen in sächsischen Kommunen, dass es die angenommene ideologische Trennung in ein bürgerliches und ein linkes Lager so dort nicht gibt. Die grundlegenden Interessen und Ziele der Parteien und Entscheidungsträger sind in wichtigen stadtpolitischen Fragen häufig miteinander vereinbar bzw. parteigebundene Partikularinteressen werden gesamtstädtischen Interessen untergeordnet. Parteien haben zwar unterschiedliche Ausgabepräferenzen oder Einnahmeprioritäten, es dominieren aber die Ziele Haushaltsausgleich und Kreditvermeidung (vgl. Bogumil/Holtkamp 2016). Hier könnte es für die Kommunalpolitik in Deutschland zu einem Institutionentransfer in umgekehrter Richtung kommen. Nachdem bereits im Gefolge der Einführung der ostdeutschen Kommunalverfassungen Institutionen zurück nach Westdeutschland transferiert wurden (Direktwahl der Bürgermeister, kommunale Referenden), könnten westdeutsche Parteien in kleineren Gemeinden notgedrungen auch auf ostdeutsche konkordante Wettbewerbsmuster zurückgreifen, wollen sie sich nicht aus der Fläche zurückziehen. So gesehen ist der Institutionentransfer keine Einbahnstraße von West nach Ost. Vielmehr können gerade die lokalen westdeutschen Parteien in Zeiten rückläufiger Mitgliederzahlen und schwindender Parteiidentifikation der Wähler im Umgang mit niedrigem Organisationsgrad vor Ort und der erstarkten parteilosen Konkurrenz von Ostdeutschland lernen. Quellen / Literatur Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars 2013: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Eine praxisorientierte Einführung. Bonn. Bundeszentrale für politische Bildung. Band 1329. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars (Hrsg.) 2016: Kommunale Entscheidungsstrukturen in Ost- und Westdeutschland. Zwischen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie, Wiesbaden: Springer Verlag. Ebinger, Falk/Bogumil, Jörg 2016: Von den Blitzreformen zur neuen Behutsamkeit Verwaltungspolitik und Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: Hildebrandt, Achim/Wolf, Frieder (Hrsg.) 2016; Die Politik der Bundesländer. Staatstätigkeit im Vergleich, Baden-Baden, S. 139-160. Holtkamp, Lars 2008: Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie – Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie. Reihe "Gesellschaftspolitik und Staatstätigkeit" Band 30. Wiesbaden. Kuhlmann, Sabine/Schwab, Oliver (Hrsg.) 2017: Starke Kommunen – wirksame Verwaltung: Fortschritte und Fallstricke der internationalen Verwaltungs- und Kommunalforschung. Wiesbaden. Kuhlmann, Sabine et. al 2011: Dezentralisierung des Staates in Europa. Auswirkungen auf die kommunale Aufgabenerfüllung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Wiesbaden: VS. Kuhlmann, Sabine/Seyfried, Markus/Siegel, John 2018: Wirkungen kommunaler Gebietsreformen. Stand der Forschung und Empfehlungen für Politik und Verwaltung. Modernisierung des öffentlichen Sektors ("Gelbe Reihe"), Bd. 42. Berlin/Baden-Baden: edition sigma/Nomos. Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.) 2019: Bürgerbegehrensbericht 2018, Berlin (https://www.mehr-demokratie.de/buergerbegehrensbericht/) Wollmann, Hellmut 1998: Um- und Neubau der Kommunalstrukturen in Ostdeutschland, in: Ders./ Roland Roth (Hrsg.), Kommunalpolitik (bpb Schriftenreihe Band 356), 2. Auflage, Bonn, S. 149 – 167. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars 2013: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung. Eine praxisorientierte Einführung. Bonn. Bundeszentrale für politische Bildung. Band 1329. Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars (Hrsg.) 2016: Kommunale Entscheidungsstrukturen in Ost- und Westdeutschland. Zwischen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie, Wiesbaden: Springer Verlag. Ebinger, Falk/Bogumil, Jörg 2016: Von den Blitzreformen zur neuen Behutsamkeit Verwaltungspolitik und Verwaltungsreformen in den Bundesländern, in: Hildebrandt, Achim/Wolf, Frieder (Hrsg.) 2016; Die Politik der Bundesländer. Staatstätigkeit im Vergleich, Baden-Baden, S. 139-160. Holtkamp, Lars 2008: Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie – Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie. Reihe "Gesellschaftspolitik und Staatstätigkeit" Band 30. Wiesbaden. Kuhlmann, Sabine/Schwab, Oliver (Hrsg.) 2017: Starke Kommunen – wirksame Verwaltung: Fortschritte und Fallstricke der internationalen Verwaltungs- und Kommunalforschung. Wiesbaden. Kuhlmann, Sabine et. al 2011: Dezentralisierung des Staates in Europa. Auswirkungen auf die kommunale Aufgabenerfüllung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, Wiesbaden: VS. Kuhlmann, Sabine/Seyfried, Markus/Siegel, John 2018: Wirkungen kommunaler Gebietsreformen. Stand der Forschung und Empfehlungen für Politik und Verwaltung. Modernisierung des öffentlichen Sektors ("Gelbe Reihe"), Bd. 42. Berlin/Baden-Baden: edition sigma/Nomos. Mehr Demokratie e.V. (Hrsg.) 2019: Bürgerbegehrensbericht 2018, Berlin (https://www.mehr-demokratie.de/buergerbegehrensbericht/) Wollmann, Hellmut 1998: Um- und Neubau der Kommunalstrukturen in Ostdeutschland, in: Ders./ Roland Roth (Hrsg.), Kommunalpolitik (bpb Schriftenreihe Band 356), 2. Auflage, Bonn, S. 149 – 167.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-08-03T00:00:00"
"2019-11-25T00:00:00"
"2022-08-03T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/300962/kommunale-selbstverwaltung-in-ost-und-westdeutschland/
Die Kommunen sind wichtiger Teil des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind "Schulen der Demokratie" und erfüllen gleichzeitig wichtige Aufgaben. Mit dem Systemumbruch mussten die ostdeutschen Kommunen in wenigen Jahren Prozesse b
[ "Transformation", "kommunale Selbstverwaltung", "Kommunen", "Mehrebenensystem", "Ostdeutschland", "Westdeutschland", "Wiedervereinigung", "Kommunalverfassung", "Bürgermeister", "Gemeindegebietsreform", "Kreisgebietsreform", "Neues Steuerungsmodell" ]
30,605
Didaktische Konzeption | Wie bin ich geworden, wer ich bin? - Seinen Weg finden nach Flucht, Vertreibung und Krisen | bpb.de
Übersicht ZielgruppeKlasse 7-10, alle Schulformen Ziele - Reflexion über den eigenen Lebensverlauf und die eigene Identität (Identitätsfindung, Zukunftsplanung, Lebenswandel, soziale Bezüge und Strukturen etc.) - Erarbeitung der Kernelemente von Sozialisation, Sozialisationsinstanzen und Krise - Auseinandersetzung mit besonderen Sozialisationsschwierigkeiten für Menschen mit Fluchterfahrungen - Ableiten von Handlungsstrategien aus der Resilienzforschung - Unterstützungsmöglichkeiten in Krisensituationen für sich und andere ermitteln Methoden: Durchführung einer Befragung; Auswertung von Statistiken; Fallberarbeitung (biografische Portraits); - Empathie durch Perspektivwechsel Unterrichtsfächer Politik / SoWi / Gesellschaftslehre Themenbezug Identität(-sfindung), Zukunftsplanung, Lebenswandel, soziale Bezüge und Strukturen, Resilienz, Flucht, Krise; Befragungsmethoden, Neue Medien, Fallstudien, Statistiken auswerten Dauer 2 - 4 Wochen, je nach Baustein-Auswahl Aufwand Je nach Schwerpunktsetzung und Umfang Materialien - je Baustein: Schema des Unterrichtsverlaufs und didaktische Hinweise, Sachinformationen und Unterrichtsmaterialien - Onlinefragebogen für Klassenbefragung zur zeitsparenden Teilnahme Alle Materialien stehen im Bereich Forschen mit GrafStat unter Interner Link: www.bpb.de/grafstat zur Verfügung. Autor/innen Prof. Dr. Andrea Szukala, Prof. Dr. Wolfgang Sander, Cornelius Knab, Sabine Kühmichel unter Mitwirkung von Katrin Wedeking, Lisa Schenkel, Nane Knümann und Jan Schröter Einführung Ambivalenzen und Krisenerfahrungen sind für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mehr denn je eine geteilte Erfahrung – was ihnen selbst häufig kaum bewusst ist. Sie sind wirksamer Bestandteil der Sozialisation, der sie bestimmenden Entwicklungsprozesse und der darin stattfindenden Problemverarbeitungen. Anders als jungen Menschen vielfach suggeriert wird, sind sie auch heute nicht die autonomen Autoren ihres Lebens, sondern sie sind vielfachen Anforderungen und Belastungen in Feldern ausgesetzt, in denen sie keine oder eine nur geringe Situationskontrolle erleben. Dies gilt namentlich für die Aspirationen der sozialen Umgebung, für Ortswechsel und Migration (auch nach Flucht und Vertreibung), für die erlebte Unsicherheit der ökonomischen Lebensgrundlagen, beispielweise durch Prekarisierung nach Arbeitsplatzverlust. Der gleichzeitige Anspruch, „alles sein“ zu können, als Manager der eigenen Identität(en) zu agieren und sich selbst zu präsentieren, überfordert viele Kinder und Jugendliche, die unter diesen Randbedingungen nicht stabil befähigt werden, Handlungsfähigkeit und Resilienz auszubilden, um tatsächliche Krisen zu verstehen, zu bearbeiten und zu bewältigen. Inhalt des Projektes Der inhaltliche Kern dieses Forschen-mit-GrafStat-Projektes besteht in der forschenden Auseinandersetzung mit Verarbeitungsprozessen von Ereignissen im Lebensverlauf und ihrer Rahmung durch den Prozess der Sozialisation. Zentrale Fragestellungen lauten: Wie bin ich der geworden, der ich bin? Wie kann ich meinen Lebensweg beschreiben und verstehen? Welche gesellschaftlichen Prozesse beeinflussen diese Entwicklung? Welche Wirkungen haben Krisen und Brüche im Lebensverlauf und wie kann man/ich sie (mit Hilfe anderer) bewältigen? Durch die sozialwissenschaftliche Perspektivierung („Vom Ich zum Du und zum Wir“) gelingt Menschen so zu befähigen, ihren eigenen Weg zu verstehen, zu be- und verarbeiten und zugleich Empathie für andere zu entwickeln. Ziele des Projektes Auch sozialkundliche Curricula fordern, dass Jugendliche lernen, mit ihrer Identität und deren gesellschaftlichen Rahmungen umzugehen („Das Ich in der Gesellschaft“). Dabei ist die Milieugebundenheit der politischen und sozialen Erfahrung in vielen Bildungsprojekten als Ausgangspunkt häufig heikel, denn sie erzeugen bei Jugendlichen fatalistische Sichtweisen vom eigenen Lebensweg. Das Projekt „Krisenerfahrung und Sozialisation“ will einen Beitrag dazu leisten, dass durch das Aufarbeiten von sozio-ökonomisch und historisch bestimmten Kontinuitäten und biographischen Brüchen das „Ich-Projekt“ in seiner gesellschaftlichen Bestimmtheit neu verstanden und behandelt werden kann. Dieser Zugang wird gewählt, um auf zwei Ebenen zum politischen und gesellschaftlichen Lernen (s. Reinhardt 2012, 161ff.; Petrik 2012) beizutragen: Zum einen können persönliche Krisenerfahrungen auf einer neuen Ebene bearbeitet, kontextualisiert und somit entlastet betrachtet werden; zum anderen wird die Empathie für Personen, für die die Kontrolle des eigenen Lebensverlaufs prekär oder brüchig wird (zum Beispiel Flüchtlinge oder Betroffene schwerer Wirtschafts- oder Sozialkrisen), verbessert; durch die Perspektive auf das Thema der Wirksamkeit und Resilienz werden Handlungswege der Krisenbewältigung aufgezeigt. Methode des Projektes Mit Hilfe der aktivierenden Befragung im Format Forschen-mit-GrafStat können Jugendliche untersuchen, inwieweit das eigene Leben in familiale und gesellschaftliche Prozesse eingebunden ist und inwieweit politische und gesellschaftliche Ereignisse sich in eigenen/gemeinsamen Narrativen widerspiegeln (oder auch nicht). Es geht darum, die Bedeutung von biographischen Ereignissen für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Konzepte und Methoden exemplarisch deutlich zu machen. So können Jugendliche in selbst erhobenen biographischen Daten ihre eigene Lebensgeschichte sichtbar machen. Sie stellen im Lernprozess Bezüge zu Lebensverläufen Gleichaltriger her und machen Übereinstimmungen, Brüche, Unterschiede und Gegensätze im Vergleich mit anderen Geburtskohorten ausfindig. Dazu greifen sie auf repräsentative Daten ausgewählter anderer Studien (z.B. SHELL-Jugendstudie, World Vision Kinderstudien, Jugend.Leben, LiFE etc.) zu, die für eine weiterführende sozialwissenschaftliche Deutung wesentliche Anknüpfungspunkte bieten. A. Die zentralen inhaltlichen Leitideen des Unterrichtsmodells 1. Die Relevanz biographischer Daten Diese für die politische und gesellschaftliche Bildung wichtige Verbindung von eigentheoretischem, biographischem Alltagswissen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen zum Lebensverlauf herzustellen, gelingt Jugendlichen besonders dann, wenn sie sich Praxen der Selbstbeschreibung und des Vergleichs aneignen, die sie befähigen, sich in eine methodisch vermittelte Distanz zur eigenen Lebenswelt zu bringen, um sich diese in einem zweiten Schritt auf eine neue Weise anzueignen. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn Jugendliche ihre eigenen Untersuchungsergebnisse als Beschreibungen mit begrifflichen Präzisierungen verknüpfen, mit repräsentativen Daten vergleichen und die Ergebnisse ihrer Arbeit einer schulischen Öffentlichkeit präsentieren können. Auf diese Weise initiieren sie thematisch orientierte Gespräche in der Schule, Diskussionen mit anderen Schülerinnen und Schülern oder auch Lehrpersonen (vielleicht auch unter Berücksichtigung historischer Vergleiche) und regen in überschaubarem Rahmen Reflexions- und Diskussionsanlässe an. Die Relevanz biographischer Reflexionen wird auch sichtbar im Vergleich der eigenen biographischen Ansprüche und Zielvorstellungen, die Jugendliche aus Elternhaus oder Milieuerfahrungen schöpfen. An ihnen lassen sich Realisierungschancen und -hürden ebenso veranschaulichen wie auch die Frage nach den persönlichen Verwirklichungspotenzialen oder auch Zumutungen thematisieren, die sich aus den Ansprüchen von Eltern oder den soziokulturellen Normierungen ergeben. 2. Ergebnisse repräsentativer Studien zum Lebensverlauf Eine Reihe von Studien beschäftigt sich mit der Entwicklung und Sozialisation von Jugendlichen, deren Meinungen und Einstellungen sowie deren Beeinflussung durch wichtige Sozialisationsinstanzen wie Familie, soziale Umgebung und Peers. Die LiFE-Studie zählt beispielsweise zu den wichtigsten Studien über die menschliche Entwicklung in Deutschland. Im Zentrum der Betrachtung stehen Fragen zur Bedeutung früherer Sozialisationsschritte und kritischer Lebensereignisse für den weiteren Lebensverlauf (Fend 2009). Der lange Untersuchungshorizont dieser Studie (über 30 Jahre) macht ihre Ergebnisse zu einem wertvollen Beitrag zum Wissen über die soziale Entwicklung der Menschen in Deutschland zum Beispiel in den Feldern Bildung, politische Einstellungen und Bindungen. 3. Sozialisation und Lebensverlauf Bei der schulischen Bearbeitung von Lebensverläufen steht naturgemäß zunächst stets die persönliche Geschichte des Einzelnen und seiner Familie im Vordergrund. Wichtiger Ausgangspunkt für das Nachdenken über die „große“ deutsche Gesellschaftsgeschichte sind eigene Geschichten. Am Anfang steht somit die Frage: Wie bin ich geworden, der ich bin? Die Lebensgeschichten und Lebensverläufe von Jugendlichen bilden den Ausgangspunkt eines sozialwissenschaftlichen Zugangs zur Biographie. Aber im Unterricht mit bis zu 25 oder mehr Schülerinnen und Schülern ist es zeitlich und methodisch anspruchsvoll, die einzelnen Geschichten in ihrer Besonderheit so zur Geltung kommen zu lassen, wie das wünschenswert wäre. Auch möchte nicht jeder seine Geschichte in allen Details erzählen; hier ist das Recht auf Anonymität und Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten. Das Projekt vermittelt daher einen strukturierten Zugang zu Lebensläufen in Form von Fallstudien sowie mit Hilfe von Vergleichsdaten und selbst erhobenen anonymen Daten. Im Format Forschen-mit-GrafStat geschieht dies zum Beispiel dadurch, dass eine anonyme Befragung zu biographischen Ereignissen durchgeführt wird, und dass die Jugendlichen eigene Daten mit denen anderer vergleichen sowie mit repräsentativen Daten in Verbindung setzen. Die eigene Lebensgeschichte lässt sich gut entlang markanter Übergänge im Lebensverlauf nachzeichnen, wie beispielsweise Wohnortwechsel, Kennenlernen bedeutsamer Bezugspersonen oder aber auch Krankheiten und andere kritische Lebensereignisse. Das gilt auch schon für das Verstehen des eigenen Geworden-Seins von Jugendlichen, die auf diese Weise erkennen, welchen spezifischen Anforderungen sie in ihrem Leben ausgesetzt waren und wie sie diese bewältigt haben. 4. Krisenerfahrungen und Familiengeschichte Mögliche Gesichtspunkte, die a) den diagnostischen Blick für krisenhafte Konstellationen schärfen und zugleich b) in der eigenen Befragung von Jugendlichen berücksichtigt werden können und zudem c) den Vergleich mit repräsentativen Vergleichsdaten ermöglichen, sind z.B.: Elternhaus: Schulische Erwartungen, Schulgeschichte Freunde, Bekanntenkreis Schulabschluss und Berufsperspektive Gesundheit, Lebensstil Migration, Umzüge, Heimat Sport, Urlaub, Reisen Entlang solcher biographischer Marker lassen sich Biographien vergleichen und ausarbeiten. 5. Chancen des Befragungsprojektes „Forschen mit GrafStat“ Das Format „Forschen-mit-Grafstat“ bietet einen projektorientierten Ansatz, um durch eine Befragung von Schülerinnen und Schülern sowie von anderen Personen/Jugendlichen in der Schule und außerhalb der Schule biographische Erfahrungen/Erinnerungen zu erheben. Zu dieser fragebogengestützten Methode können andere Zugänge der Datenerhebung, auch qualitative, kombiniert werden. Die Ergebnisse eines solchen Unterrichtsprojektes mit aktivierender Befragung haben auch Auswirkungen in die Schulgemeinschaft hinein, da die erarbeiteten Ergebnisse der schulischen Öffentlichkeit vorgestellt, anschließend auch eingehend diskutiert werden sowie in weiterführende Projekte der schulischen Arbeit in fächerübergreifenden Projekten eingebracht werden. Dieser Multiplikatoreffekt knüpft an die Lebenswelt und biographischen Erinnerungen der Jugendlichen und der mit ihnen verbundenen Erwachsenen an. Auf diese Art und Weise ist eine enge Verzahnung zwischen dem Thema der Reihe und den alltäglichen Einstellungen und Vorstellungen der Menschen in der Schulgemeinde gegeben. Befragung und Selbstreflexion tragen dazu bei, über Vorurteile aufzuklären und die Bedeutung von Lebensbrüchen wahrzunehmen und zu reflektieren. 6. Krisenbewältigung – Resilienz fördern Ferner kann dieser Ansatz dazu beitragen, auch kollektive Traumata und radikale Lebensbrüche, Umbrüche und problematische Schnittstellenerfahrungen zu verarbeiten und zu bewältigen. So können Jugendliche mit Unterstützung der Lehrperson fallweise solide Kenntnisse darüber gewinnen, welche Mechanismen die Wahrnehmung eigener Handlungswirksamkeit stützen, welche Ressourcen (z.B. Vertrauenspersonen, soziale Anerkennung) Personen in Krisensituationen zur Verfügung stehen sollten, damit sie schwierige Lebensphasen aushalten und vielleicht auch bewältigen können. B. Vier didaktische Bausteine zum Thema Krisenerfahrung und Sozialisation Das hier vorgestellte Unterrichtsmodell besteht entsprechend aus vier didaktischen Bausteinen, die die entwickelten Grundgedanken abbilden und die Unterrichtsreihe strukturieren. Innerhalb der Bausteine können, je nach der zur Verfügung stehenden Zeit und den von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern gewünschten Inhalten, Schwerpunkte gesetzt werden. Die einzelnen Bausteine werden hier nur skizziert. Die konkrete Ausarbeitung (jeweils mit Verlaufsplan, didaktischem Kommentar und den dazugehörigen Unterrichtsmaterialien) finden Sie in den jeweiligen Baustein-Bereichen des Projektes. In einer Sachanalyse werden zudem die zentralen Aussagen des Projektes kurz im fachwissenschaftlichen Kontext entfaltet und mit den Grundbegriffen, Theorien und Methoden verknüpft. 1. Baustein: "Alles Zufall, oder was?" - Befragung zu Lebensverlauf und Einflussfaktoren Im Einstiegsbaustein setzen sich die Schülerinnen und Schüler auf einer persönlichen aber zugleich geschützten Ebene mit ihrem eigenen Lebensverlauf und dem anderer Jugendlicher auseinander. Nach einem spielerischen Einstieg untersuchen sie mithilfe einer selbst durchgeführten anonymen Befragung sowie einer Einordnung mittels Vergleichsdaten aus renommierten Studien, welche Faktoren (z.B. Krisen) den Lebensverlauf relevant beeinflussen können. Um der Lehrperson die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Befragung zu erleichtern, wird auf Basis von relevanten empirischen Untersuchungen Studien ein für die Schule geeigneter Musterfragebogen in den Arbeitsmaterialien bereitgestellt, welcher – je nach Kompetenz und Wunsch der Akteure – erweitert und modifiziert werden kann. Nach bekanntem Muster machen die Schülerinnen und Schüler von den Arbeitshilfen Gebrauch und führen die Befragung mit Unterstützung der Lehrperson durch. Die Befürchtung, eine solche Befragung könnte möglicherweise persönliche, intime oder auch heikle Ergebnisse aus dem Leben des Einzelnen oder der Familie zu Tage fördern, kann durch die unbedingte Anonymität entkräftet werden. Die Lehrperson sollte auf diese Grenzfälle achten und dahingehend die Form der Datenauswertung auswählen. Eine zentrale Leitfrage sollte die Frage nach der Selbstwahrnehmung in Bezug auf Selbst- und Fremdbestimmung sein. 2. Baustein: Sozialisation im Kontext von Krise, Flucht und Vertreibung Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Sozialisation, insbesondere im Hinblick auf prägende Personen und Umfeld (Sozialisationsinstanzen und –agenten) wird in Baustein 2 ermittelt, wie der Prozess der Sozialisation und die Entwicklungsaufgaben von den eigenen Lebensereignissen und Krisen (z.B. Flucht) beeinflusst werden. Der Lernschritt des zweiten Bausteins soll die in Baustein 1 erarbeiteten empirischen Daten an wissenschaftlichen Konzepten ankern und sie mit dem Vorwissen der Schülerinnen und Schüler verknüpfen. Da die gesamte Reihe von einer zugleich forschenden und emphatisch-lebenslaufbezogenen Auseinandersetzung mit Flucht, Entwurzelung und Traumatisierung ausgeht, wird auch im zweiten Baustein zunächst an die Wahrnehmungen von Geflüchteten angeschlossen und anschließend in einer Erarbeitungsphase ermittelt, wie der Prozess der Sozialisation und die Entwicklungsaufgaben von kritischen Lebensereignissen wie Flucht, die als Krise erlebt werden, beeinflusst werden. Auch hier ist angesichts des sehr sensiblen Themas die Feinfühligkeit der Lehrperson gefragt, besonderes Augenmerk darauf zu haben, was den individuellen Schülerinnen und Schülern zugemutet werden kann oder was zu sehr belasten könnte. Der Baustein kann auf verschiedene Weise konkret ausgestaltet werden, entsprechend der spezifischen Orientierung der Reihe auf einen aktualitätsbezogenen Lernprozess zum Flüchtlingsthema oder zur stärker retrospektiven Bearbeitung mit Bezug auf die deutsche Geschichte als eine Geschichte, in der Flucht und Wanderung eine zentrale Rolle haben. 3. Baustein: Fallstudien: Wie und Was kann ich werden? In diesem Baustein arbeiten Schülerinnen und Schüler an vier Fallstudien wobei sie die Befunde des ersten Bausteins sowie die begrifflichen Werkzeuge des zweiten Bausteins als Basis nutzen. Zentral sind bei den ausgewählten Fällen vor allem jene Scharnierstellen und Wendepunkte, an denen die Personen in Krisen geraten, Kontrolle gewinnen oder verlieren und die, an denen deutlich wird, welche Rolle dabei die soziale Umwelt (in den Augen der Akteure) spielt. Als Alternative denkbar wären hier auch fiktive-interaktive Fallgeschichten (s. in einer frühen Variante: Jost/Sander 1977, 78ff. ), die die Schülerinnen und Schüler selbst fortschreiben bzw. die unterschiedliche Ausgänge haben, je nachdem, wie die Schülerinnen und Schüler an bestimmten Punkten den Lebensverlauf „umstellen“ und so direkt oder indirekt ihre „Sicht der Dinge“ oder Definition der Situation mit einbringen. 4. Baustein: Was das seelische Immunsystem stark macht - Resilienzforschung und Handlungsstrategien Der abschließende Baustein des Projekts widmet sich dem Thema der Wirksamkeit und Resilienz. Nach einer Erarbeitung des Begriffs Resilienz werden Handlungswege der Krisenbewältigung aufgezeigt, die den Jugendlichen helfen können, Handlungsfähigkeit und Resilienz auszubilden, um tatsächliche Krisen zu verstehen, zu bearbeiten und zu bewältigen.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-05-16T00:00:00"
"2016-02-15T00:00:00"
"2022-05-16T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/krise-und-sozialisation/220830/didaktische-konzeption/
Das Projekt beschäftigt sich mit Verarbeitungsprozessen von Ereignissen im Lebensverlauf und dem Prozess der Sozialisation. Hier finden Sie Informationen zur didaktischen Konzeption und deren Umsetzung in Ihrem Unterricht.
[ "Grafstat", "Krise", "Sozialisation" ]
30,606
2. Festival // Ost-West-Connection – Dresden 1993 | bpb.de
Die Entscheidung über eine Fortsetzung des Festivalprojekts fiel zeitlich mit dem Prozess der Vereinigung beider deutschen Staaten zusammen. Vor diesem Hintergrund lag der Entschluss, Politik im Freien Theater in einem der neuen Bundesländer auszutragen, auf der Hand. Auch wenn eine Freie Theaterszene im Osten erst im Aufbau begriffen und diese Theaterform noch nicht weithin bekannt war, erhoffte die bpb doch, über das Festival den ‚Endverbraucher‘ direkt anzusprechen zu können. Denn wie Umfragen ergeben hatten, ließ politische Bildung sich über herkömmliche Bildungsträger nur schwer vermitteln, zumal das Vertrauen bei der ostdeutschen Bevölkerung in staatliche Institutionen minimal und das Politikinteresse bereits ein Jahr nach der Vereinigung wieder auf das Niveau des Interesses an Politik in der ehemaligen DDR zurückgegangen waren (vgl. u.a. Aus Politik und Zeitgeschichte 38/1992). Grafik: Manfred Grund Dass die Wahl auf Dresden fiel, hatte mehrere Gründe. Neben einer allgemeinen Aufgeschlossenheit für die Künste war Dresden – von Berlin einmal abgesehen – die einzige Stadt in den neuen Bundesländern, die bereits 1990 etwas vorwies, was man mit Recht als Freie Theaterszene bezeichnen konnte. Das Theatersystem der DDR hatte eine solche Theaterform nicht vorgesehen und zugelassen. Erst in der Endphase der DDR war es zu vereinzelten Gründungen Freier Theater gekommen. Dazu zählte unter anderen das in Dresden ansässige statt-theater FASSUNGSLOS, von dem wesentliche Impulse dafür ausgingen, dass es unmittelbar nach der Vereinigung zur Neugründung von weiteren sieben Freien Theatern in Dresden kam. Andererseits hatte Dresden nach der Vereinigung den Ruf erworben, ein Hochburg des neu erstarkenden Rechtsradikalismus zu sein, der seinen unrühmlichen ‚Höhepunkt‘ im Aufmarsch von Neonazis im Juni 1991 anlässlich der Beerdigung der Dresdner Nazi-Größe Rainer Sonntag fand. Nicht zuletzt das in Dresden präsente Gewaltpotenzial hatte wesentlich dazu beigetragen, dass die Auslastung der Theater rapide gesunken war, weil viele Menschen das Haus am Abend nur noch ungern verließen. Das Ende des Armenhauses Foto: David Baltzer Gerade aufgrund einer solchen Kollision von großer kultureller Tradition und einer lebendigen Freien Theaterszene auf der einen Seite und neuem Rechtsradikalismus auf der anderen entschied sich die bpb für die Ausrichtung des 2. Festivals Politik im Freien Theater vom 28. Oktober bis 7. November 1993 in Dresden. Diese Besonderheit spiegelte sich im Spielplan wider, dem manch einer zunächst mit – unbegründeter – Skepsis begegnete: „Ob so viel politisches Theater – sechzig Aufführungen in zehn Tagen – gerade in den neuen Bundesländern gut platziert ist, war sehr die Frage. Umso überraschender die Reaktion in Dresden, wo fast alle Vorstellungen gut besucht, viele sogar überfüllt waren.“ (Frankfurter Rundschau, 13.11.1993) Die inhaltlichen Schwerpunkte des Festivals lassen sich in zwei großen Blöcken zusammenfassen, nämlich: Deutsche Vereinigung, Untergang des Sozialismus und die sozialen Folgen („Bruderbande“, „Das Notwendige und das Überflüssige oder Freiheit in Krähwinkel“, „Kohlhass“, „Der Untergang des Egoisten Fatzer“, „Die Dixtinische Kapelle“, „Kondensmilchpanorama“, „Der Obelisk“, „Sink Big“, „Der Frieden“, „Denn es ist die Maschine in ihnen, die von Zärtlichkeit träumt“);Faschismus in Deutschland, Rechtsradikalismus und Rassismus, jüdische Lebenswelten, Umgang mit Fremdem („Polenweiher“, „Bent – Rosa Winkel“, „Heilige Kühe“, „Weisman und Rotgesicht“, „Einmal lebt ich“, „Das Ende des Armenhauses“, „Jonteff – Ein Festtag mit meinen Dibbuks“, „My Mother’s Courage“, „Das Schloß“, „Der Zwerg“, „Wanya Capac“). Der Obelisk Foto: Hans-Ludwig Böhme Als Folie für die Auseinandersetzungen mit den Konflikten der Zeit dienten meist literarische Vorlagen. Autoren waren im Freien Theater wieder gefragt: Aristophanes und Shakespeare, Nestroy und Kleist, Kafka und Tabori, Babel und Sorokin, Brecht und Seidel, Sherman und Strittmatter, Wildenhain und Czeslik. Verstörendes, Experimentelles gab es insbesondere von den westdeutschen Theatern nur wenig; stattdessen Sprechtheater auf hohem Niveau. Es zeigte sich hier ein Trend, dem einen großer Teil der Freien Theater folgte. Eigene, eigenwillige Formen und Spielweisen waren nur noch selten zu sehen. Selbst das Wu Wei Theater, eine Nachfolge der legendären Frankfurter Schlicksupp-Theatertrupp, hatte im Zuge seiner Etablierung den Rückzug auf eine bruchlose Ästhetik angetreten. Dominant war insgesamt eine überbordende Bildersprache, die gelegentlich bis zur Verrätselung oder gar zu einem unbeabsichtigten Ästhetizismus getrieben wurde. Dennoch: „Beim Off-Theatertreffen gab es zwar keine kühnen Regie-Entwürfe zu sehen und auch keine theatralischen Provokationen, früher ein Merkmal der Freien Szene. Doch die meisten Gastspiele waren allemal spannender als so manche lustlose Klassiker-Bearbeitung am Stadttheater.“ (Berliner Zeitung, 11.11.1993) Akzente setzten insbesondere ostdeutsche Produktionen. So Brechts „Fatzer“-Material, das in einer ekstatisch choreografierten, chorisch expressiven Fassung des Ostberliner Orphtheaters als Modell für das Scheitern der DDR-Opposition fungierte; Kleists „Kohlhaas“ als wild-anarchische, vor Spielwitz sprühende Clowns-Farce über die Unversöhnlichkeit von Staatsmacht vom Kleinen Theater aus Frankfurt/Oder; die Adaption des Romans „Der Obelisk“ des Moskauer Soz-Art-Autors Wladimir Sorokin vor dem Festspielhaus in Hellerau zwischen glühenden Kohlenbecken im Mondschein und bei einer Temperatur um den Gefrierpunkt; oder Georg Seidels „Kondensmilchpanorama“ über typische DDR-Befindlichkeit zwischen Stillstand und Bewegung in der strikt stilisierten Inszenierung des Theater 89 aus Ostberlin. Kondensmilchpanorama Foto: Wolfgang Falk In Dresden war eine Freie Theaterszene zu erleben, die sich im Umbruch befand: „[...] ein Theatermodell scheint seine Eigentümlichkeit zu verlieren. Agitatorisches und Zielgruppentheater gab es nicht, aber auch die moralisierenden Stücke mit klarer Farbe und eindeutigen Wahrheiten bleiben die Ausnahme“ (Der Tagesspiegel, 12.11.93). Doch auf solch eindeutigen politischen Aussagen wollten die Freien Theater sich auch immer weniger festlegen und festlegen lassen. Ihre Intention war vielmehr, das Publikum zu aktivieren, es zur Befragung der gesellschaftlichen Wirklichkeit herauszufordern und es nicht mit vorgefertigten Antworten und wohlfeilen Welterklärungen zu bedienen. Und gerade darin korrespondierten Freies Theater und politische Bildung, die auf Qualifizierung von Handlungskompetenz setzte, was die Sächsische Zeitung vom 10.11.1993 zu dem Resümee veranlasste: „Vielleicht wurde eine Idee verbreitet. Und vielleicht gewinnt eine Ahnung Gestalt, dass es Wege gibt aus der fruchtlosen Alternative heraus: Aufklärung oder Unterhaltung.“ Festivalbeiträge: „Bent – Rosa Winkel“ von Martin Sherman, Theater in der Basilika, Hamburg, Regie: Friedrich Briesemeister„Bruderbande“ von Rainer Iwersen, bremer shakespeare company, Regie: Rainer Iwersen„Das Ende des Armenhauses“ nach Isaak Babel, Teatr Kreatur, Berlin, Regie: Andrej Woron„Das Notwendige und das Überflüssige oder Die Freiheit in Krähwinkel“ von Johann Nestroy/Karl Kraus, Wu Wei Theater, Frankfurt/M., Regie: Rolf Johannsmeier„Das Schloß“ nach Franz Kafka, Healing Theatre, Köln, Regie: Michael Dick„Denn es ist die Maschine in ihnen, die von Zärtlichkeiten träumt“ von Michael Wildenhain, Freies Schauspiel Berlin, Regie: Bernd Mottl„Der Frieden“ von Aristophanes, Compagnie de Comédie, Rostock, Regie: Joachim Lemke„Der Obelisk“ nach Wladimir Sorokin, Europäische Werkstatt für Kunst und Kultur Hellerau, Dresden, Regie: Carsten Ludwig„Der Untergang des Egoisten Fatzer“ von Bertolt Brecht, Orphtheater, Berlin, Regie: Thomas Roth„Der Zwerg“ nach Pär Lagerkvist, Teatron Theater, Arnsberg, Regie: Yehuda Almagor„Die Dixtinische Kapelle“ von Matthias Dix, statt-theater FASSUNSGSLOS, Dresden, Regie: Frank Schubert„Dirty Work“ von Maishe Maponya, DIALOGtheater Dresden, Regie: Pieter Hannecom„Einmal lebt ich“ von Natascha Wodin, Gilla Cremer, Hamburg, Regie: Max Eipp„Heilige Kühe“ von Oliver Czeslik, Theater Viel Lärm um Nichts, München, Regie: Eugenia Naef„Jonteff – Ein Festtag mit meinen Dibbuks“, Adriana Altaras, Berlin, Regie: Peter Kock„Kohlhass“ nach Heinrich von Kleist, Das Kleine Theater – Theater des Lachens, Frankfurt/O., Regie: Astrid Griesbach„Kondensmilchpanorama“ von Georg Seidel, theater 89, Berlin, Regie: Hans-Joachim Frank„My Mother’s Courage“ von George Tabori, Zelt Ensemble Theater, Tübingen, Regie: Otto Kukla„Polenweiher“ nach Thomas Strittmatter, Theater Lindenhof, Melchingen, Regie: Bernhard Hurm„Sink Big“, Die Traumtänzer, Frankfurt, Regie: Michael Kaiser„Titus Andronicus“ von William Shakespeare, bremer shakespeare company, Regie: Pit Holzwarth„Wayna Capac“, L.O.T. Theater, Braunschweig, Regie: Carlos Cueva„Weisman und Rotgesicht“ von George Tabori, Theater Mahagoni, Hildesheim, Regie: Ensemble Jury: Silvia Brendenal, Direktorin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst, BochumGabriele Hänel, Schauspielerin und Regisseurin, BerlinManfred Karge (Vorsitzender), Schauspieler, Regisseur, Autor, Professor für Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, BerlinDr. Werner Schulze-Reimpell, Theaterkritiker, HamburgHerbert Wulfekuhl, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Bremen Preisträger: theater 89, Berlin (Kondensmilchpanorama)statt-theater FASSUNGSLOS, Dresden („Die Dixtinische Kapelle“)Europäische Werkstatt für Kunst und Kultur Hellerau, Dresden („Der Obelisk“)Susanne Truckenbrodt, Orphtheater, Berlin (Darstellerin-Preis)Dietlinde Elsässer, Theater Lindenhof, Melchingen (Darstellerin-Preis)Ralf Bockholdt, Thomas Jahn und Frank Pannhans, Das Kleines Theater – Theater des Lachens, Frankfurt/Oder (Darsteller-Preis) Grafik: Manfred Grund Das Ende des Armenhauses Foto: David Baltzer Der Obelisk Foto: Hans-Ludwig Böhme Kondensmilchpanorama Foto: Wolfgang Falk
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-06-21T00:00:00"
"2012-04-11T00:00:00"
"2023-06-21T00:00:00"
https://www.bpb.de/pift2022/127899/2-festival-ost-west-connection-dresden-1993/
Das 2. Festival fand vom 28. Oktober bis 7. November 1993 in Dresden statt. Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung sollte Politik im Freien Theater in einem der neuen Bundesländer stattfinden.
[ "Politik im Freien Theater" ]
30,607
Es soll ja alles besser werden | AV-Medienkatalog | bpb.de
Produktion: ZDF, Bundesrepublik Deutschland 1991 Format: 45 Min. - VHS-Video - farbig Stichworte: DDR - Einigung Deutschlands - Frauen - Sozialwesen FSK: o. Altersbeschränkung Kategorie: Fernsehreportage Inhalt: Filmbericht über die Situation der Frauen in den neuen Bundesländern nach der Einigung Deutschlands. Der Beitrag setzt sich vorwiegend aus Interviews zusammen und skizziert die Probleme und Schwierigkeiten des gesellschaftlichen Umstellungsprozesses der Frauen, wobei deren Situation nicht paradigmatisch, sondern als Sonderfall geschildert wird. Die Reportage macht deutlich, daß die Frauen in den neuen Ländern härter und nachhaltiger betroffen sind als der männliche Bevölkerungsteil. Als Gründe werden genannt: Wegfall sozialer Vergünstigungen, welche (wie die Kindergärten) die Berufstätigkeit ermöglichten, Fortbestand alter Rollenklischees, die nun zum Tragen kommen etc. Daran anschließend werden Maßnahmen erörtert, die zu einer Emanzipation sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch bezüglich eines Wertewandels führen können. Der Film weckt Betroffenheit und regt zur Diskussion an.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-10-17T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/filmbildung/146400/es-soll-ja-alles-besser-werden/
Die Reportage macht deutlich, daß die Frauen in den neuen Ländern vom gesellschaftlichen Umstellungsprozess härter und nachhaltiger betroffen sind als der männliche Bevölkerungsteil. Daran anschließend werden Maßnahmen erörtert, die zu einer Emanzipa
[ "Einigung Deutschlands", "Frauen", "Sozialwesen", "DDR" ]
30,608
Hinweise zur Einreichung von Beitragsvorschlägen | bpb.de
Sie haben Themenvorschläge oder möchten für APuZ schreiben? Die Redaktion "Aus Politik und Zeitgeschichte" freut sich über Ideen und Themenvorschläge von möglichen Autorinnen und Autoren. Um uns die Entscheidung über Beitragsangebote zu erleichtern, bitten wir um ein kurzes Exposé (1-2 Seiten oder bis zu 3.000 Zeichen), in dem Thema, Zuschnitt und zentrale Fragestellungen des angebotenen Beitrags deutlich werden, sowie um kurze biografische Angaben. Kontakt Bundeszentrale für politische Bildung Redaktion "Aus Politik und Zeitgeschichte" Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99-515-0 Fax +49 (0)228 99-515-585 E-Mail Link: apuz@bpb.bund.de
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-04T00:00:00"
"2013-05-21T00:00:00"
"2022-02-04T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/160636/hinweise-zur-einreichung-von-beitragsvorschlaegen/
Sie haben Vorschläge für Beiträge oder möchten einen Beitrag für die Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" einreichen? Hier finden Sie Hinweise und Kontaktmöglichkeiten.
[ "Aus Politik und Zeitgeschichte" ]
30,609
Which Effects Do Global Environmental Changes Have for Migration Relations? | Zuwanderung, Flucht und Asyl: Aktuelle Themen | bpb.de
Volume of environmental migration It is indisputable that the extent of ecologically unstable regions is growing year after year due to salinization, erosion, flooding and pollution, and desertification, that is, the expansion of deserts . Despite the reality of the problem and the many debates on the reach of global climate change, our knowledge is still relatively limited regarding the meaning environmental determinants have on migration movements and, conversely, the role of migration flows in global environmental changes. The differing assessments on the scope of environmentally determined global migration alone show this. At the beginning of the 21st century the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) estimated that 24 million people were forced to move due to growing environmental degradation. In contrast, the International Committee of the Red Cross estimates the number at 500 million. Most recent estimates by the German government’s scientific advisory board on "Global Environmental Changes" refer to 25 to 60 million people so far that have had to leave their region of origin because of climate change. The UN-Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) predicts that this number will climb to 150 million by the year 2050 . Lack of a standard definition of the term "environmental refugee" The wide range of different estimates leads back to a lack of clarity in definition . The use of the definition "environmental refugee" or "climate refugee" for the various forms of environmental migration rather obscures the complexity of the underlying causes and motivations to migrate because it does not evaluate environmental and other determining factors. The environmental strain on one’s place of origin is rarely the only cause for emigration, but generally works in cooperation with other economic, social, cultural and political factors. Table 3: Selected Estimates and Projections on the Extent of Environmental Migration Worldwide SourceEstimations on the number of "envrionmental refugees" at time of publicationProjections of the number of future "environmental refugees" Source: Aufenvenne/Felgentreff [2013]. Global Humanitarian Forum 2009: The Anatomy of a Silent Crisis. Geneva, pp. 48-4926 million "climate refugees"72 million "climate refugees" by 2030 Environmental Justice Foundation (EJF) 2009: No Place Like Home. Where Next for Climate Refugees. London, p. 4200 million "environmental refugees", which 150 million are "climate refugees" by 2050 United Nations University - Institute for Environment and Human Security 2007: Control, Adapt or Flee. How To Face Environmental Migration? Bonn, pp.15-1810 million "environmental refugees"50 million "environmental refugees" by 2010 Friends of the Earth 2007: A Citizen´s Guide to Climate Refugees. Amsterdam, p. 8200 million "climate refugees" by 2050 Greenpeace 2007: Klimaflüchtlinge. Die verleugnete Katastrophe. Hamburg, pp. 1-2, 2720 million "climate refugees"150-200 million "climate refugees" in the course of the next 30 years Nicholas Stern 2007: The Economics of Climate Change. The Stern Review. Cambridge, pp. 128-130150-200 million "climate refugees" by 2050 Christian Aid 2007: Human Tide: The real Migration Crisis. London, p. 5-625 million "environmental refugees"50 million "environmental" and 250 million "climate" regufees by 2050; plus a possible 645 million more people displaced by development projects like dams United Nations 2005: Millennium Ecosystem Assessment Report. Washington.20 million "environmental refugees"50 million "environmental refugees" by 2050 United Nations High Commissioner on Refugees (UNHCR) 2002: Environmental Migrants and Refugees. Refugees No.127. Geneva, p. 1224 million "environmental refugees" International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies: World Disaster Report 2001, Focus on recovery. Geneva, p.1125 million "environmental refugees" WorldWatch Institute 1988: Environmental Refugees: A Yardstick of Habitability. Washington, p. 3810 million "environmental refugees" United Nations Environmental Program (UNEP) 1985: Environmental Refugees. Nairobi, p. 830 million refugees, of which many are "environmental refugees" Affected regions Climate changes take effect immediately where areas are threatened because of rising sea levels due to flooding or salinization . Climate research assumes that the sea level rose a total of 15 to 20 centimeters in the 20th century. Since the beginning of the 1990s, it has risen about 3 centimeters per decade. Current model calculations predict a rise of one meter by the year 2100 . A large portion of the world population is distributed across the edges of the continents. Around two-thirds of all people currently live in zones that are within 100 kilometers from the ocean . Of the 50 largest cities of the world, 30 are located on the ocean. In the Pacific, around 7 million people live on islands that are threatened by a rise in sea level, among which are the "Sinking Islands" such as the Maldives, the Marshall Islands, Palau and the Salmon Islands, among others. Low-lying regions on the Gulf of Bengal, which in the past have already been confronted year after year with extensive flooding, are likewise endangered. This is also the case, for example, for the coastal zone in Bangladesh, where the rise in sea level due to climate change can reach between 1.44 and 2.09 meters by 2050. This would result in a reduction of the residential area by 16 to 18 percent, in which 13 to 15 percent of the population lives. Against this backdrop, apart from movement within the country, emigration from Bangladesh to India could increase. India is already the most significant destination of migration from Bangladesh. India’s present efforts to secure the border to Bangladesh against migrants have thus far shown limited effectiveness, despite great effort and expense in the erection of a strongly secured fence stretching almost 3,500 kilometers . For Egypt, estimates for 2050 show an increase in sea level between 1.01 and 1.44 meters which will result in a 15 to 19 percent loss of possible livable surface area and could affect 14 to 16 percent of the total population. The largest proportion of those affected may be able to relocate inside the county . The rise in sea level leads not only to a loss in potential residential surface area, but also to a loss of farmland. This in turn has effects for food security. Many of the low-lying coastal regions of Asia are "granaries" of the world in so far as a large share of the global rice production is concentrated there, on which millions of people are directly or indirectly dependent. Estimates are that the rice supply of around 200 million people is immediately threatened by the rise in sea level. Effects of environmental crises Environmental crises usually worsen already precarious economic structures, so that the temporary or permanent emigration appears to offer an improvement in living conditions. They often also appear at the same time to be culture crises, and are often politically exploited or lead to political conflicts, which in turn causes migration. In regions where there is little political stability, weakly developed state problem-solving capacities, and economies prone to crisis and social unrest, environmental crises will only increase the vulnerability of the region. They could even act in this regard as a catalyst and initiate a collapse of an already unstable political, social and economic order. On the other hand, it can be that stable political, social and economic systems develop reaction patterns that raise expectations of a more or less conflict-free resolution of the effect of environmental crises . Yet looking at environmental migration also raises the question of potential migration destinations and with that also of the areas that could profit from climate change. The increased weight of environmental determinants in global migration is not expected to lead to trans- or intercontinental mass migration. The long history of avoiding famines and migration reactions to "failed states" makes it clear that due to limited resources of many of those affected, the reactions to climate and environmental change will especially influence the local and regional migration movements in areas of the world particularly at risk. According to estimates by the German government’s scientific advisory board, "Global Environmental Changes", the rich "North" will, as a main contributor to climate change, likely be affected little or not at all by migration in the "Global South" due to environmental changes because the largest part of these movements will remain on a small-scale or occur as "South-South migration". Political and legal treatment of environmental migrants Various aid organizations call for an extension of the Geneva Convention on Refugees and the recognition of the effects of climate change as grounds for protection. This request has thus far been rejected because the various overlapping motives those persons affected have for migrating make environmental causes almost impossible to determine. Moreover, the expansion of the right to asylum leads to the strengthening of restrictive asylum policies of some states that wish to limit immigration opportunities . The majority of those affected do not cross national borders anyway and thus are categorized under "internally displaced persons" (IDPs), a group of people who do not fall under the protection of the Geneva Convention on Refugees . Until now only Sweden and Finland have created a legal framework in the context of environmental migration. In Finland those affected can receive humanitarian protection and receive a temporary residency permit e.g. in the case of an environmental catastrophe, whereas asylum or subsidiary protection is not granted. This text is part of the policy brief on Interner Link: "Global Migration in the Future". For a short overview: Latif (2010). Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen" (2008); further estimates are summarized in Hummitzsch (2009); McLeman/Brown (2011, pp. 175-177). White (2011, pp. 20f.). Oliver-Smith (2011). Rahmstorf/Schellnhuber (2012); Latif (2012). Small/Nicholls (2003); McGranahan et al. (2008). N.N. (2010, p. 411); Arnold (2012, pp. 217f.). On Bangladesh and Egypt see Jacobson (1988, pp. 32-35). Concerning this see e.g. McDowell/Morell (2010, pp. 117-136). McAdam (2011, p. 56). Guidelines on dealing with internally displaced persons: Externer Link: www.idpguidingprinciples.org
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2013-09-10T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/168682/which-effects-do-global-environmental-changes-have-for-migration-relations/
It is indisputable that the extent of ecologically unstable regions is growing year after year. Despite the reality of the problem and the many debates on the reach of global climate change, our knowledge is still relatively limited regarding the mea
[ "environmental migration", "environmental Changes", "migration relations", "environmental refugee", "environmental crises", "climate change" ]
30,610
Kommentar: Poroschenko setzt auf die patriotischen Wähler | Ukraine-Analysen | bpb.de
Die jüngsten Entscheidungen im Bereich der Identitätspolitik haben gezeigt, dass der ukrainischen Präsident Petro Poroschenko für die nächsten Wahlen mehr auf patriotische als auf konformistische Wähler setzt. Es ist aber nicht klar, ob ihm diese Strategie Erfolg bringen wird. Der vor Kurzem verabschiedete Präsidialerlass, der es ukrainischen Internet-Anbietern verbietet, ihren Nutzern den Zugang zu russischen sozialen Netzwerken und Suchmaschinen zu ermöglichen, gehört zu den Schritten, die von den Befürwortern eines Abbruchs der Beziehungen mit dem russischen Aggressor schon lange gefordert wurden. Sie finden, dass die tägliche Nutzung dieser Internetressourcen durch Millionen ukrainischer Bürger sowohl aus ideologischer Sicht (im Hinblick auf Feindpropaganda und Kollaboration mit dem Feind in Kriegszeiten) als auch aus Sicherheitsgründen (Zugriffsmöglichkeiten auf Daten ukrainischer Nutzer für den russischen Geheimdienst) nicht akzeptabel ist. Experten weisen auch auf den wirtschaftlichen Aspekt hin, da die russischen Unternehmen Werbeeinnahmen aus der Werbung erzielen, die ukrainische Unternehmer auf ihren Internetseiten platzieren, um vor allem ukrainische Kunden zu erreichen. Während es in der Ukraine kaum öffentliche Kritik daran gab, dass den Russen eine Quelle der Bereicherung auf Kosten der nicht besonders wählerischen Ukrainer genommen wird, wurde das Recht des Staates auf die Bekämpfung der Leichtsinnigkeit der Ukrainer bei weitem nicht von allen akzeptiert, wie sich herausstellte. Viele Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben die Zugangsbeschränkung zu wichtigen und professionellen Internetressourcen kritisiert und einige verurteilten sie sogar als ein Zeichen von Zensur. Für die meisten normalen Internetnutzer hingegen waren die Zugangsschwierigkeiten zu russischen Internetressourcen ein Grund, sich ukrainische oder westliche Alternativen zu suchen, statt sich mit den weitverbreiteten und technisch einfachen Umgehungsmöglichkeiten zu befassen. Nach einer Schätzung haben von 14 Millionen ukrainischen Nutzern dieser Internetseiten nur 2,5 Millionen (ca. 18 %) technische Wege genutzt, um die Zugangsbeschränkung zu umgehen. Bezogen auf die wirtschaftliche und sicherheitstechnische Ausschaltung russischer Internetressourcen war die Maßnahme also sehr effektiv. Gleichzeitig kann diese Maßnahme als Beitrag zur Erhöhung der Popularität der aktuellen politischen Führung – durch die Demonstration von Entschlossenheit bei der Bekämpfung des Feindes – problematisch sein. Für die meisten ukrainischen Wähler hat dieser Kampf nicht die absolute Priorität, und bei denjenigen, für die er wichtig ist, dominieren andere Forderungen an die Politik, die sich nicht nur auf die Außen- und Sicherheitspolitik beschränken. Obwohl die Einführung von Quoten für die Nutzung der ukrainischen Sprache im Fernsehen nicht von der Regierung sondern vom Parlament beschlossen wurde, war auch dies ein Schritt in die gleiche Richtung, um die Zustimmung der Wähler zu erreichen, die unzufrieden mit der Dominanz der russischen Sprache im Allgemeinen und insbesondere mit aus Russland importierten Filmen und Sendungen sind. Initiiert von Abgeordneten, die aus dem Medienbereich kommen, und aktiv unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die für eine stärkere öffentliche Rolle der ukrainischen Sprache kämpfen, wurde dieses Gesetz nur dank der Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Abgeordneten der Regierungskoalition, insbesondere des Blocks Petro Poroschenko, durchgesetzt. Zweifellos fördert die Festlegung klarer Anforderungen an den Anteil der ukrainischen Sprache in verschiedenen Arten von TV-Sendungen ihre aktivere Nutzung in diesem wichtigen öffentlichen Bereich und trägt zur Wiederherstellung ihrer Position bei, die in Folge des unter Präsident Janukowitsch genehmigten Sprachengesetzes verloren ging, in dem der aus Sowjetzeiten geerbten russischen Sprache der Vorzug gewährt wurde. Allerdings sind die Gesetzesbestimmungen ein Kompromiss zwischen den Forderungen der Anhänger der ukrainischen Sprache und dem Beharren der Fernseh-Lobby auf wesentlicher Präsenz der russischen Sprache. Denn trotz der formalen Mindestquote von 75 Prozent für den Anteil der ukrainischen Sprache an nationalen TV-Sendungen wird der entsprechende Anteil in der Realität deutlich niedriger liegen. Es ist ebenso wichtig, dass Poroschenko und die Mitglieder der Regierungskoalition im Parlament nur einzelne Maßnahmen zur Bekämpfung der Marginalisierung der ukrainischen Sprache in einigen Bereichen wie Fernsehen und Radio (hier wurde eine Quote für die ukrainische Sprache vor einem Jahr eingeführt) vornehmen, statt ein umfassendes Programm zur Förderung der ukrainischen Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verfolgen. Ihre Abneigung gegen solche umfassenden Maßnahmen wird durch die Tatsache bestätigt, dass weder Poroschenko noch wichtige Regierungsmitglieder oder Vertreter der Regierungskoalition den vor einem halben Jahr in das Parlament eingebrachten Gesetzentwurf über die Staatssprache unterstützen, der sehr hohe Anforderungen an die Nutzung der ukrainischen Sprache stellt. Wir können davon ausgehen, dass diese fehlende Unterstützung durch prominente Politiker bedeutet, dass auch die ihnen gegenüber loyalen Abgeordneten nicht für diesen Entwurf stimmen werden. Offensichtlich findet jeder Schritt zur Überwindung der Abhängigkeit von Russland und der sprachlichen und kulturellen De-Russifizierung in der Ukraine Zustimmung unter Anhängern des Maidans, die zum größten Teil eine europäische Orientierung mit gemäßigtem Nationalismus verbinden. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Poroschenko und seine Partei sich die Stimmen dieser Wähler bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2019 sichern können. Denn für diese Wähler ist nicht nur eine kulturelle und außenpolitische Neuorientierung "weg von Moskau" wichtig, sondern auch die liberalen Reformen in Politik und Wirtschaft, deren Umsetzung durch die Regierung meist kritisch bewertet wird – vor allem wegen fehlender durchgreifender Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption. Es kann daher passieren, dass Poroschenko die gegenüber nationalistischen Prioritäten distanzierten Wähler abschreckt, ohne die Unterstützung der gemäßigt nationalistischen Wähler zu gewinnen. In der entscheidenden zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen wird die zweite Wählergruppe für ihn stimmen. Aber diese Unterstützung könnte für einen Sieg nicht reichen, wenn Poroschenko nicht gegen den eindeutig pro-russischen Kandidaten des Oppositionsblockes, Juri Boiko, sondern gegen die kluge Populistin Julia Timoschenko antreten muss, die gemäßigt nationalistische Parolen mit einer aggressiven Rhetorik des Sozialschutzes und der Bekämpfung der angeblich allmächtigen Oligarchen verbindet. Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines
Article
Von Volodymyr Kulyk, Kiew
"2021-06-23T00:00:00"
"2017-06-20T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/250427/kommentar-poroschenko-setzt-auf-die-patriotischen-waehler/
Die jüngsten Sanktionen gegenüber russischen sozialen Netzwerken und Suchmaschinen stehen laut Volodymyr Kulyk auch stellvertretend für den aktuellen ukrainischen Regierungskurs. Mit dieser Linie könnte Petro Poroschenko langfristig jedoch die gemäßi
[ "Ukraine-Analyse", "V-Kontakte", "Yandex", "Odnoklassniki", "Sanktionen", "Präsidialerlass", "Russische Internetanbieter", "Ukraine", "Russland" ]
30,611
1968 im Westen - was ging uns die DDR an? | Deutsche Teilung - Deutsche Einheit | bpb.de
Für die Geburtsjahrgänge 1938 bis 1948 linksorientierter westdeutscher Studentinnen und Studenten, die heute gemeinhin als "68er" oder als "Neue Linke" gelten und deren Kern der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) ausmachte, hatte das Land zwischen Elbe und Oder nur verschwommene Konturen. Die DDR war "Terra incognita", ein Terrain, um das man, wenn nicht unvermeidliche Verwandtenbesuche anstanden, einen möglichst großen Bogen machte. Das galt insbesondere für das Gros der Studenten, die nach dem Bau der Mauer 1961 ihr Studium in Berlin aufgenommen hatten. Sie waren Inhaber bundesrepublikanischer Pässe, es wäre ihnen also im Gegensatz zu den West-Berlinern jederzeit möglich gewesen, ohne Formalitäten den Ostteil der Stadt zu besuchen. Aber diese Chance wurde kaum ergriffen. Die sechziger Jahre, besonders deren zweite Hälfte, bezeichnen den Beginn einer spezifischen neulinken Subkultur in West-Berlin, die sich von den Verhältnissen in Westdeutschland ebenso abnabelte, wie sie ignorierte, was sich auf der anderen Seite der Mauer abspielte. Es gibt Beispiele von linken Intellektuellen, die ein Menschenalter in West-Berlin verbrachten, ohne jemals einen Fuß in den Osten gesetzt zu haben. Obwohl diese Haltung in schroffem Gegensatz zur veröffentlichten Mehrheitsmeinung stand, war es mit den tatsächlichen Kenntnissen und dem Interesse der Bevölkerungsmehrheit am Schicksal der Ost-Berliner bzw. der Ostdeutschen ebenfalls nicht weit her. Vor dem Mauerbau hatte es enge familiäre wie berufliche Kontakte in den Ostteil hinein gegeben. Aber schon damals galt es für einen West-Berliner als anstößig, am kulturellen und sozialen Leben Ost-Berlins teilzunehmen. Wer sich allzu oft dort aufhielt, geriet leicht in Verdacht, zum Familienumkreis von "Herrn Schimpf und Frau Schande" zu gehören, mithin jener Gewissenlosen, die sich unter Ausnutzung des Währungsgefälles billig mit Ostwaren versorgten. Nach dem Mauerbau und der vorübergehenden völligen Abschottung wurde die Passierscheinregelung für die West-Berliner zwar zu einem vollen Erfolg, aber die Besuche führten nur selten dazu, dass sich über private Kontakte hinaus ein dauerhaftes Interesse am Schicksal der "Brüder und Schwestern" artikulierte, geschweige denn, dass sich informelle Gruppen oder Initiativen aus beiden Teilen der Stadt gebildet hätten. Der in West-Berlin während der APO-Zeit massenhaft den Linken erteilte Ratschlag "Geh doch nach drüben" erwies sich als doppelsinnig: Auch nur besuchsweise nach "drüben" gehen wollte kaum jemand, weder die Linken noch ihre Widersacher. In West-Berlin dominierte eine Gefühlsmelange aus Stolz, der kommunistischen Blockade 1948 widerstanden zu haben, und nagender Unzufriedenheit, dass dieser Helden- und Opferstatus, der nach dem Mauerbau reaktiviert wurde, von "den Westdeutschen" nicht die gebührende Anerkennung erfuhr. Die West-Berliner waren auf ihren Leidensstatus geradezu fixiert. Diese Fixierung wurde in dem Maße unlösbar, wie West-Berlin nach dem auf die Einmauerung folgenden Aderlass zum Kostgänger der Westdeutschen herabsank. Umso zäher klammerte man sich an den Helden- und Opfermythos, und umso aggressiver verfuhr man mit denen, die den Teufelsanbetern gleich dem Sozialismus huldigten. Woher aber rührte das Desinteresse gerade der Neuen Linken in West-Berlin an einem Land, dessen führende Partei sich nicht nur sozialistisch nannte, sondern auch beanspruchte, die Emanzipation aller auf ihre Fahne geschrieben zu haben? Zu nennen wäre hier an erster Stelle die absolute kulturelle Fremdheit gegenüber der Lebenspraxis im später so genannten Realsozialismus. Man halte sich vor Augen, dass die Rebellion der Neuen Linken ihre Schubkraft aus Erfahrungen mit dem Paternalismus und den autoritären Erziehungsidealen der Nachkriegszeit bezog. Was aber den westlichen Linken bei Kontakten mit den Einheitssozialisten gegenübertrat, war nichts als rot gewandete, traditionelle deutsche Kleinbürgerlichkeit. Neben dem autoritären Politikstil im Namen des "demokratischen Zentralismus" sprang den Besucher in Kleidung, Mobiliar, Umgangsformen und Freizeitbeschäftigungen der allzu vertraute Spießer an. Im Milieu der westlichen Linken, später der ganzen 68er-Generation, war beispielsweise das "Du" zur allein gebräuchlichen Anredeform geworden. Im Osten siezten sich die Genossen. Entgegen der Doktrin der "sozialistischen Lebensführung" und den von Walter Ulbricht proklamierten "Geboten der sozialistischen Moral" trennten die östlichen Genossen (die Bevölkerung sowieso) säuberlich zwischen der politischen und der privaten Sphäre. War aber nicht gerade die Politisierung ehelicher bzw. elterlicher Unterdrückungsverhältnisse die Schlussfolgerung, welche die Westlinken aus einschlägigen Erfahrungen in Schule und Familie gezogen hatten? Gerade wegen der offiziellen Wiedervereinigungsrhetorik neigten viele der Neuen Linken der Zwei-Staaten-These zu. Trotz einer antikapitalistischen Grundhaltung und der Befürchtung, die Bundesrepublik werde in ein autoritäres Notstandsregime abgleiten, waren sie Fleisch vom Fleisch dieser Republik, fühlten sich als Motor im Prozess der gesellschaftlichen Zivilisierung. Ihrer Wertorientierung wie ihren Lebensgewohnheiten nach wurzelten sie fest im Westen. Man täusche sich nicht: Die schroffen Angriffe auf den "US-Imperialismus" vor allem im Gefolge des Vietnamkrieges bis hin zur Parole "USA-SA-SS" waren nicht etwa das Produkt einer antiamerikanischen Grundhaltung. Die Linken fühlten sich vielmehr im Einklang mit der kulturellen Avantgarde in den USA. Aber das sah die Bevölkerung West-Berlins natürlich ganz anders. Im Gegensatz hierzu war die Haltung der ostdeutschen linken Milieus einschließlich der Einheitspartei von einem Antiamerikanismus geprägt, der seine Herkunft aus dem deutschen Konservatismus, aus der Abwertung amerikanischer "Zivilisation" gegenüber europäischer "Kultur" nicht verleugnen konnte. Avantgardistische gesellschaftliche Strömungen und Szenen in den USA waren der SED nur Ausdruck eines geistigen Zersetzungsprozesses. Die Westlinken hielten es mit Woodstock, die SED, beileibe nicht nur die Führung, hielt sich an die Barden des "anderen", des besseren Amerika, die ihre Zugehörigkeit zu diesem Kreis der Auserwählten mit bedingungsloser Loyalität zum "sozialistischen Lager" entgelten mussten. Es war gerade diese westliche Orientierung, welche die Neuen Linken so leicht Abschied nehmen ließ nicht nur von jedem Gedanken an eine Wiedervereinigung, sondern auch von jedem Interesse am Wohl und Wehe der Menschen im sowjetischen Hegemonialbereich. Hier handelt es sich nicht nur um ein Phänomen kulturellen Wandels, sondern auch um handfeste Interessen, waren die Westler einschließlich der Neuen Linken doch eindeutig die Profiteure der Nachkriegsentwicklung, ganz so, als ob allein die Ostdeutschen die Folgen des NS-Regimes zu tragen hatten. Die Kritik der West-Linken an der Konsumverfallenheit der Ostdeutschen, ihr Ekel vor deren Anbetung jeglichen Westprodukts hatten deshalb etwas Selbstgefälliges, ja Obszönes. Denn die Konsumkritik der Neuen Linken, die selbstgewählte Ärmlichkeit im Erscheinungsbild brachte Distinktions- und damit Lustgewinn. Sie operierte im Kontrast zur jederzeit erreichbaren Warenvielfalt und setzte diese voraus. Es gab allerdings eine Bresche, welche die SED indie neulinke Mauer der Ablehnung ihres Regimes schlagen konnte: der "Antifaschismus" der DDR. War in der SBZ und in der frühen DDR nicht konsequent mit der NS-Vergangenheit gebrochen, war - im Gegensatz zum Westen - der Beamtenapparat nicht von Nazis "gesäubert" worden, wurde nicht konsequent gegen Militarismus und Rassismus vorgegangen? Mochte die DDR auch potthässlich, obrigkeits- und staatsfixiert, unterdrückerisch und noch dazu ökonomisch notorisch uneffektiv sein - sie war wenigstens antifaschistisch. Deshalb galt sie oft unterm Strich als "das bessere Deutschland" - eine Qualifizierung, die kaum praktische Konsequenzen nach sich zog, wenn man von der Bereitschaft linker Publizisten absieht, sich im Kampf gegen alte und neue Nazis allzu bedenkenlos trüber Quellen "von drüben" zu bedienen. Insbesondere Forderungen nach Aufhebung des KPD-Verbots von 1956 sowie nach Anerkennung der DDR waren nicht etwa Ausdruck von Sympathie mit dem östlichen Herrschaftssystem, sondern Produkte eines demokratischen Kalküls, das sich vom Abbau des Feindbildes "Kommunismus" mehr linke Bewegungsfreiheit im Westen versprach. Die "sozialen Errungenschaften" der DDR, also das Bildungs- und Gesundheitssystem, die Vollbeschäftigung, die Mitwirkungs- und Schutzrechte der "Werktätigen" im Betrieb, entfalteten dagegen nur im engen Umkreis junger, linker Gewerkschafter eine gewisse Attraktivität. Das Gleiche traf auf die vor allem in München und Köln beheimateten Gruppen linker Studenten zu, die nicht umsonst beim SDS "Traditionalisten" hießen, weil sie programmatisch und oft auch organisatorisch am Gängelband der illegalen KPD, das hieß praktisch, der SED hingen. Sicher war die Herkunft der meisten Neulinken aus dem Bildungsbürgertum und ihr Hang zum Grundsätzlichen eine Erklärung dafür, dass es über Anspruch und Wirklichkeit des gesellschaftlichen Systems in der DDR kaum eine ernsthafte Auseinandersetzung gab. Die Kommandowirtschaft als Modell widersprach zu sehr den Grundlagen neulinken Selbstverständnisses vom Sozialismus, das in erstaunlicher Einheitlichkeit auf drei ehernen Grundpfeilern ruhte: direkte Demokratie, Selbstverwaltung in Betrieb und Gesellschaft, unbedingte, praktische Solidarität mit den gegen den Imperialismus kämpfenden Völkern und Staaten der Dritten Welt. Aus diesen Voraussetzungen erklärt sich die ambivalente Haltung vieler junger Linker zum Rechtsstaat, zu Gewaltenteilung und Parlamentarismus, die häufig nur als Herrschaftsinstrumente der Bourgeoisie angesehen wurden. Daher hatte die systematische Verletzung bzw. Perversion dieser Prinzipien in der DDR bei der radikalen neuen Linken nicht den Stellenwert, den sie in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit einnahm. Auch die Auseinandersetzung mit der Totalitarismustheorie, die berechtigte Kritik an der Formel Rot gleich Braun, trug in ihrer Abstraktheit nicht dazu bei, sich Kenntnis über die realen Lebensumstände der DDR-Bevölkerung zu beschaffen. Symptomatisch für diese Selbstverortung vieler Neuer Linker war ihre Haltung zum 17. Juni 1953. Hervorgehoben wurden der Aspekt der Arbeiterrevolte, die Tendenzen zur Selbstorganisation und Selbsttätigkeit, die in ihr wirksam gewesen waren. Vernachlässigt wurden aber die Elemente, die den Arbeiter- zum Volksaufstand weiteten. Wo auf politische Forderungen eingegangen wurde, etwa der nach der deutschen Einheit, galt die Aufmerksamkeit jenen Stimmen, die auch für Westdeutschland eine Reform an Haupt und Gliedern gefordert hatten. Diese linke Symptomatik wird nur verständlich, wenn man sich das Verhältnis der zwei Millionen DDR-Flüchtlinge bzw. Ausreiser zu den 16 Millionen Daheimgebliebenen vor Augen führt. In jedem Land Ostmitteleuropas, das nach dem Krieg unter sowjetische Hegemonie geraten war, entwickelten sich in der Emigration politische und kulturelle Kristallisationskerne, die in einer oft komplizierten, aber stets fruchtbaren Beziehung zu den demokratischen Oppositionskräften des Heimatlandes standen. Für eine solche Beziehung fehlte in der Bundesrepublik die Grundlage. Obwohl die neuen Verhältnisse den Flüchtlingen oft fremd waren, bewegten sie sich doch niemals in der Fremde. Westdeutschland samt West-Berlin hatten einen großen Magen. Und selbst im Verhältnis zu zurückgebliebenen Familienangehörigen trat oft genug pflichtgemäße Wohltätigkeit an die Stelle der Anteilnahme. Das begann sich erst nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns zu ändern, als vor allem in West-Berlin Rudimente einer exilierten linken DDR-Kultur entstanden. Aber noch in den achtziger Jahren klagten die "Hiergebliebenen" darüber, dass nach der Abschiebung Rudolf Bahros die Beziehungen zu demokratischen Gruppen in der DDR versandeten. Natürlich gab es Ausnahmen von diesem Prozess des Verschluckt- und Verdautwerdens, wofür in erster Linie die Evangelische Kirche in Deutschland steht. Speziell in den sechziger Jahren funktionierte noch das gemeinsame Dach. Wichtiger als die Institutionen wurden informelle Gruppen wie der "Unterwegs-Kreis" in Berlin, wo neben der Bibelexegese über das Schicksal der beiden deutschen Staaten debattiert wurde und wo gegenüber beiden politischen Systemen eine heilsame Distanz herrschte. Zum Schluss sei eine Gruppe der Neuen Linken in West-Berlin erwähnt, die dem linken Mainstream im Verhältnis zur DDR diametral entgegenstand. Diese Gruppe, aus deren Reihen beispielhaft Rudi Dutschke, Bernd Rabehl und Peter Rambausek zu nennen sind, war noch im Schüleralter aus der DDR geflüchtet und hatte sich später dem Berliner SDS angeschlossen. Ihre Erfahrungen mit dem Staatssozialismus führten sie nicht zur Abwendung von jedwedem sozialistischen Projekt. Vielmehr durchkämmten sie auf der Suche nach dem authentischen Sozialismus die Werke der linken Verfemten wie die Geschichte der fehlgeschlagenen Emanzipationsbewegungen, um schließlich bei einer antiautoritären Version des Rätekommunismus zu landen. Charakteristisch für diese Strömung war, dass sie die Existenz zweier deutscher Staaten nicht für den Endpunkt der Geschichte hielt, vielmehr in der deutschen Spaltung einen wesentlichen Grund für den Immobilismus der Arbeiterklasse sah, weshalb im Prozess der sozialen Revolution die Einheit der Arbeiterklasse und, ihr folgend, die deutsche Einheit wiederhergestellt werden müsse. Freilich konnte aus diesen Prämissen keine kohärente Politik folgen. Utopische Visionen über ein rotes Räte-West-Berlin überkreuzten sich mit untauglichen Versuchen, die Einheitssozialisten von links aufzurollen, womit es freilich nach der Besetzung der Tschechoslowakei ein Ende hatte. Nach der Zersplitterung der Neuen Linken und der Selbstauflösung des SDS 1970 können wir vor allem bei Rudi Dutschke eine erstaunliche Kontinuität der Beschäftigung mit der nationalen Frage in ihrer Verschränkung mit der sozialen Emanzipation konstatieren. Ob die Ergebnisse der Realgeschichte seit 1990 allerdings seine Zustimmung gefunden hätten, steht auf einem anderen Blatt. aus: Deutsche Zeitgeschichte: 60er und 70er Jahre, Aus Politik und Zeitgeschichte (B 45/2003)
Article
Christian Semler
"2021-12-20T00:00:00"
"2011-11-29T00:00:00"
"2021-12-20T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/deutsche-teilung-deutsche-einheit/43660/1968-im-westen-was-ging-uns-die-ddr-an/
Für die linksorientierten westdeutschen Studierenden, die heute gemeinhin als "68er" gelten, stand eines fest: Die DDR war "Terra incognita". Ein Terrain, um das man, wenn nicht unvermeidliche Verwandtenbesuche anstanden, einen großen Bogen machte.
[ "68er", "SDS", "Sozialistischer Deutscher Studentenbund", "Rudi-Dutschke", "West-Berlin", "Deutschland" ]
30,612
Meinung: Möglichkeiten und Grenzen der Krisenprävention – das Beispiel Mali | Kriege und Konflikte | bpb.de
Winrich Kühne (© Winrich Kühne) Die völlige Unfähigkeit von Regierung, Staat und Militär in Mali, auf das Wiederaufflammen des Tuareg-Konflikts Anfang 2012 wirkungsvoll zu reagieren, hat international überrascht. Das Land, das seit Anfang der 1990er Jahre als einer der Hoffnungsträger einer erfolgreichen Demokratisierung in Afrika galt, brach innerhalb nur weniger Wochen zusammen. Die Armee setzte den von Norden aus schnell vorrückenden Tuareg-Truppen so gut wie keinen Widerstand entgegen. Stattdessen putschten Teile von ihr unter der Führung eines bis dato völlig unbekannten Hauptmanns gegen die politische und militärische Führung des Landes, die sich seit Jahren auf Kosten der Gehälter und Ausrüstung der Armee bereichert und die Einheiten bei den Kämpfen im Norden allein gelassen hatte. Es war dieser Putsch, der mit einem Schlag den trügerischen Schleier einer vermeintlich erfolgreichen Demokratisierung Malis wegriss und den Blick auf eine erschreckende Wirklichkeit freigab. Die politische Elite, an ihrer Spitze Präsident Amadou Toumani Touré, hatte sich seit Jahren nicht um eine Konsolidierung des Landes, sondern vor allem um ihre persönliche Bereicherung und ihren Machterhalt gekümmert. Wie immer, wenn die internationale Öffentlichkeit vom Ausbruch eines gewaltsamen Konflikts überrascht wird, hat es auch in diesem Fall nicht an kurzatmigen Versuchen gefehlt, den plötzlichen Gewaltausbruch zu erklären. Die internationale, insbesondere die westliche Politik habe es wieder einmal – so eine gängige Version – versäumt, dieser Entwicklung durch den Einsatz von mehr Entwicklungshilfe, entschiedeneres Eintreten für Menschenrechte, Demokratie etc. rechtzeitig konfliktpräventiv entgegenzuwirken. Niemand wird der Weisheit, dass "Vorsorgen besser ist als Nachsorgen", prinzipiell widersprechen. Zugleich liegt aber auch auf der Hand, dass diese Weisheit sich in der harschen Realität internationaler Politik und Konflikte nur ausnahmsweise durchsetzen kann – ganz ähnlich übrigens wie in der Medizin, in der das Konzept seinen Ursprung hat. Insbesondere lassen es die Rufer mit dem erhobenen Präventionsfinger in der Regel an überzeugenden Argumenten missen, wie denn die Prävention im konkreten Falle hätte funktionieren sollen. Wann und wie hätte sie mit Aussicht auf Erfolg einsetzen müssen – Jahre oder Jahrzehnte vorher? Auch im Falle Malis erhob sich der Ruf nach Prävention wie üblich erst, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war – konkret: als der Militärputsch die Illusion von einer Musterdemokratie beiseite fegte. Mali – hoffnungsvolle Demokratisierungstendenzen Anfang der 1990er Jahre Natürlich konnte in Mali nie von einer "Modell- oder Musterdemokratie" die Rede sein. Dennoch hatten dort die Demokratisierungsbemühungen Anfang der 1990er Jahre durchaus eine realistische Perspektive. Sie scheiterten vor allem an einem Umstand - so die Analyse dieses Beitrags – nämlich an den fatalen, destabilisierenden Tendenzen, die sich in Westafrika, und speziell Mali, ab Ende der 1990er Jahre durch das Auftauchen der lateinamerikanischen Drogenmafia aufbauten. Es lohnt sich, einen Blick zurück auf die Ereignisse in Mali Anfang der 1990er Jahre zu werfen, den Zeitpunkt also, als durch Subsahara-Afrika eine mächtige Welle der Demokratisierung lief, ähnlich wie zwei Jahrzehnte später der "Arabische Frühling". Damals formierte sich in Mali der Widerstand von Studenten und gewerkschaftlichen Gruppen gegen das diktatorisch-korrupte Regime von Moussa Traoré. Die Tatsache, dass er selbst 1968 das autoritär-korrupte Regime von Modibo Keita gestürzt hatte, hinderte ihn nicht daran, den Widerstand der Studenten, Gewerkschaft und weiter Teile der malischen Gesellschaften ebenfalls blutig niederzuschlagen. Durchführen sollte das ein Mann, der zu diesem Zeitpunkt Oberst und Kommandant der Präsidentengarde war, Amadou Toumani Touré. Er jedoch, später in Afrika hochachtungsvoll nur noch ATT genannt, vollzog eine überraschende Wende. Er verweigerte mit seinen Einheiten den Befehl, verhaftete Präsident Traoré und weitere Politiker und übernahm übergangsweise selbst die Macht. Anders als bei der großen Mehrzahl der Militärputsche innerhalb und außerhalb Afrikas üblich, setzten Touré und seine Mitstreiter kurze Zeit nach ihrer Machtübernahme den von den Studenten und Gewerkschaften geforderten Demokratisierungsprozess in Gang. Im Februar 1992 fanden Wahlen für ein neues Parlament und das Präsidentenamt statt. Präsident wurde Alpha Oumar Konaré, ein Oppositioneller des alten Regimes. Touré und seine Offiziere kehrten in die Kasernen zurück. Die Präsidentschaft von Konaré soll hier nicht im Einzelnen beurteilt werden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Stabilität des Landes und auch der Demokratisierungsprozess Malis in dieser Zeit gefestigt wurden, trotz zahlreicher Probleme. Beweis dafür ist unter anderem die Tatsache, dass Konaré 2002 bereit war, sein Amt nach der zweiten Amtsperiode verfassungsgemäß abzugeben – ganz anders als eine Reihe anderer afrikanischer Präsidenten, die versuchen, genau diese Errungenschaft der Demokratisierung in Afrika mit allen Mittel zu unterlaufen. Nachfolger Konarés wurde Touré. Er hatte 2001 seinen Militärdienst quittiert und gewann die Wahlen 2002 mit deutlicher Mehrheit, ebenso wie die in 2007. In Afrika, ebenso wie weltweit, knüpften sich an die Präsidentschaft Tourés große Hoffnungen. Unter Afrikanern war er als "Soldier of Democracy" populär und vermittelte in den 1990er Jahren erst für die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und dann die UNO in der von Militärrevolten und Rebellengruppen geschüttelten Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Ab Mitte der 1990er Jahre war Touré, wie der Autor selbst, Mitglied der internationalen Lessons Learned-Beratergruppe der UN. Niemand hatte Zweifel an seiner Integrität. Die Ausgangssituation Tourés bei seinem Amtsantritt 2002 war alles andere als einfach. Mali gehörte damals schon zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Hinzu kommt die enorme ethnisch-regionale Zerklüftung des Landes, angeheizt durch wiederholt schwere Dürren und zusätzlich kompliziert durch das Spannungsverhältnis zwischen der Lebensweise der sesshaften Bevölkerung, wie den Bambara im Süden und den Songhai, und den nomadischen oder halb-nomadischen Gruppen im Norden, wie insbesondere den Tuareg. Entscheidend für den unerwarteten Verfall Malis und der Regierung Touré waren die Auswirkungen von zwei Entwicklungen, die das Land mit voller Wucht trafen: die Bevölkerungsexplosion und das Auftauchen der lateinamerikanischen Drogenmafia in Westafrika. Ein Bevölkerungswachstum von jährlich 2,5-3%, wie es Mali in den letzten Jahrzehnten der Falle war, bedeutet de facto, dass die Bevölkerung sich in einem Zeitraum von rund 25 Jahren (1987-2012) verdoppelte. Es liegt auf der Hand, dass es in einem so ressourcenschwachen Land wie Mali fast einem Wunder gleichkäme, wenn eine Wirtschaftspolitik gefunden würde, die diese Bevölkerungsexplosion mit entsprechend hohen wirtschaftlichen Zuwachsraten auffangen kann. Macht man sich vor allem eine Folge dieser Bevölkerungsexplosion klar, nämlich das extreme Anwachsen der Zahl von Jugendlichen, die keine Perspektive auf eine ordentliche Beschäftigung oder eine Familie haben, dann versteht man, warum Westafrika und der Sahel einen so fruchtbaren Boden für das Vordringen der organisierten Kriminalität und des islamistischen Terrorismus bot. Westafrika und die lateinamerikanische Drogenmafia Es ist noch nicht lange her, dass die Stimmung in Westafrika im Hinblick auf Demokratisierung im Wesentlichen positiv war. Die Region schien sich nach den schwierigen 1990er Jahren mit den Konflikten in Sierra Leone, Liberia und anderen Ländern in einer zwar langsamen, aber insgesamt positiven Aufwärtsbewegung zu befinden. Neben den erfolgreichen Friedenseinsätzen der UN in Sierra Leone und Liberia war das Erstarken der Economic Community of West African States (ECOWAS) ab Anfang der 1990er Jahre dafür ein maßgeblicher Grund. Diese Stimmung hat sich im letzten Jahrzehnt jedoch grundlegend gewandelt. Auslöser hierfür war das Auftauchen der lateinamerikanischen Drogenmafia in Westafrika ab Ende der 1990er Jahre. Sie ist dorthin ausgewichen, weil ihr der traditionelle Weg über Mexiko von der erstarkenden mexikanischen Drogenmafia streitig gemacht wurde. Westafrika mit seinen schwachen Staaten und wenig kontrollierten Grenzen, Küstenstreifen und einer Vielzahl von Inseln bot sich als geradezu ideale Ausweichroute an. Außerdem gab es in den meisten westafrikanischen Ländern immer schon beträchtliche Korruption und organisierte Kriminalität auf "niedrigerem" Niveau. Für die lateinamerikanischen Profis war es ein Leichtes, Fuß zu fassen. Es wird geschätzt, dass heute ca. 10-15% des in Europa konsumierten Kokains über Westafrika nach Europa gelangen. In absoluten Zahlen wurde der Wert des in Europa umgesetzten Kokains 2007 bis 2009 auf fast 50 Tonnen jährlich im Wert von ca. einer Milliarde US-Dollar geschätzt. Danach soll nach Angaben des UN Office on Drugs and Crime (UNODC) der Umsatz auf ca. 15-18 Tonnen zurückgegangen sein. Ob es diesen Rückgang des Drogentransports jedoch tatsächlich gegeben hat, ist unklar. Denn die Schätzungen beruhen auf den beschlagnahmten, nicht auf den tatsächlich gehandelten Mengen. Es sind vor allem Guinea-Bissau, Mali und Guinea, die als erste genannt werden, wenn es um das Ausmaß der Verquickung des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität mit Politik, Staat und Wirtschaft geht. Mohammed Ibn Chambas, lange Zeit Generalsekretär und Präsident der ECOWAS und intimer Kenner der westafrikanischen Politik, hat in einer Studie einige spektakuläre Fälle aufgezählt: "… die Beschlagnahme eines Jets am Flughafen von Lunghi in Sierra Leone im Juli 2008, der mit 700 Kilogramm Drogen im Verkaufswert von etwa 60 Millionen US-Dollar beladen war, zwei mit Drogen beladene Jets, die am Flughafen von Bissau im September 2008 beschlagnahmt wurden und eines ähnlichen Jets, der in Boké in Guinea-Conakry landete. UNODC meldete den Fall einer Boeing, die 2009 auf einer Piste in der Wüste im Norden Malis landete. Man glaubt, dass die Händler ihre Drogenfracht auf Allradfahrzeuge luden und dann das Flugzeug verbrannten. Und in Guinea gestand der Sohn des verstorbenen Präsidenten Lansana Conté […] seine aktive Beteiligung am Drogenhandel, während im benachbarten Guinea-Bissau Mitarbeiter des Militärs angeblich einen Menschenkorridor bildeten, um das Abladen mit Drogen beladener Jets zu erleichtern." Westafrikanische Experten, ebenso wie die UNDOC, sind sich einig, dass die Drogenmafia inzwischen in den meisten Staaten der Region tätig ist. Neben Benin, Gambia und anderen kleineren Staaten wird insbesondere auch Nigeria mit den speziellen kriminellen Verbindungen der nigerianischen Drogenmafia nach Brasilien als ein Hauptakteur genannt. Darüber hinaus scheinen selbst so relativ stabile Demokratien, wie Ghana und der Senegal, zunehmend von der organisierten Kriminalität unterwandert zu sein. Und der Äußerung Chambas über die kriminellen Verwicklungen des Sohns von Präsident Conté in Guinea ist hinzuzufügen, dass es Ähnliches in Bezug auf Präsident Touré und seine Familie in Mali zu berichten gibt: Er soll 2009 zu ihren Gunsten die genaue Aufklärung des Falls der ausgebrannten Boeing im Norden Malis verhindert haben. Dramatischer noch ist das Ausmaß der kriminellen Durchdringung von Guinea-Bissau: So gelang es im April dieses Jahres der US-amerikanischen Drug Enforcement Administration (DEA), den ehemaligen Chef der Marine Guinea-Bissaus, Admiral Bubo Na Tchuto, zusammen mit einer Reihe weiterer Verdächtigen in internationalen Gewässern festzunehmen. Zugleich setzte die Bundesstaatsanwaltschaft in New York den Chef der Armee Guinea-Bissaus, General Antonio Injai, wegen seiner Beteiligung am Drogenhandel auf die Strafverfolgungsliste. Zusammen mit anderen sollen beide Offiziere eine Schlüsselrolle beim Import tausender Kilos von Kokain nach Guinea-Bissau im Austausch für Waffen für die kolumbianische FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) gespielt haben, darunter Boden-Luft-Raketen. Injai war an verschiedenen Militärcoups gegen demokratisch gewählte Regierungen in Guinea-Bissau führend beteiligt, der letzte im April 2012. Mali – Schaltstelle der organisierten transnationalen Kriminalität und des islamistischen Terrorismus Die lateinamerikanische Mafia bedient sich beim Drogenhandel nach Europa verschiedener Routen. Mali war dabei bisher eine der wichtigsten Schaltstellen. Ein Grund ist, dass die Tuareg und andere nomadische Gruppen im Norden schon seit vorkolonialen Zeiten viel Erfahrung im Trans-Sahara-Handel haben, mit wechselnden Gütern. Sie kennen also bestens das Gelände sowie die praktischen Anforderungen an einen solchen Handel. Außerdem lässt die Verknappung ihrer Lebensressourcen durch Dürren und entwicklungspolitische Vernachlässigung seitens der Hauptstadt Bamako ihnen häufig gar keine andere Wahl, als nach neuen Einkommensmöglichkeiten zu suchen. Jobs bei der organisierten Kriminalität sind durchaus willkommen, auch wenn die daraus folgende Kriminalisierung der Tuareg-Kultur bei einer Reihe von Tuareg-Gruppen und ihren Führern nicht unbedingt populär ist. Einen zweiten Grund für das Abgleiten des Nordens in Kriminalität und Terrorismus, und schließlich seinen eigenen Sturz, lieferte Touré selbst. Denn trotz seiner an sich bemerkenswerten demokratischen Vita setzte er die fatale Praxis seiner Vorgänger fort, den Norden und die dortigen Netzwerke durch Manipulation der ethnischen Divergenzen zu kontrollieren, anstatt alles daran zu setzen, ihn in einen funktionierenden Staat zu integrieren. Zwar bemühte er sich nach seinem Amtsantritt 2002 um einen konstruktiven Dialog und Aussöhnung mit den Tuareg. Er ließ es dabei aber an der notwendigen Entschiedenheit fehlen, nicht zuletzt auch was das Vorgehen gegen problematische Praktiken seiner eigenen politischen Umgebung in Bamako betraf – und fiel schließlich in die alten Muster zurück. Einen fatalen Quantensprung machte diese Politik ungefähr ab 2007, als die islamistische Terrorbewegung AQIM (Al-Qaeda in the Islamic Maghreb) – hervorgegangen aus den vom algerischen Staat erfolgreich bekämpften GSCP (Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat) und GIA (Group Islamique Armé) – sich nach Mali zurückzog. Das Auftauchen ihrer kampferprobten Kader brachte eine neue Qualität in die kriminell-terroristischen Gruppen des Nordens. Zugleich machte die AQIM-Führung etwas sehr Geschicktes: Sie animierte ihre Kämpfer, in lokale Tuareg-Familien einzuheiraten, wohl wissend, dass in der Tuareg-Kultur Eingeheiratete Teil der Familie und des Clans werden und damit alle Privilegien und deren volle Solidarität genießen. Das Erstarken von AQIM und in ihrem Gefolge von zwei weiteren, sich als islamistisch proklamierenden Bewegungen, Ansar Dine (Unterstützung des Glaubens) und MUJAO (Mouvement pour l’Unicité et le Jihad en Afrique de l’Ouest), hatte schließlich eine dritte, fatale Folge: Geiselnahmen, vor allem von Europäern (darunter auch Deutschen), wurden eine entscheidende Einnahmequelle für die Finanzierung ihres Kampfes. Damit schloss sich der Kreis einer Entwicklung: Geiselnahmen, Drogenhandel und terroristische Aktivitäten fanden sich mehr und mehr in kriminell-terroristischen Netzwerken zusammen – Netzwerke, die von außen sehr schwierig zu bekämpfen sind. Was schließlich Touré selbst betrifft, hatte seine Politik eine unausweichliche Folge. Er und seine politisch-militärische Entourage wurden zunehmend zu Kollaborateuren dieser kriminellen Netzwerke. Sie profitierten nicht unbeträchtlich. Zugleich setzte Touré den 2006 mit den Tuareg geschlossenen Friedensvertrag nur mehr schlecht als recht um. Es war daher nur eine Frage der Zeit, dass die Tuaregs die nächstbeste Gelegenheit zu einem erneuten Aufstand ergreifen würden. Diese Gelegenheit kam mit dem Sturz Gaddafis und der Rückkehr einer Reihe gut ausgebildeter und ausgerüsteter Tuareg-Einheiten nach Niger und Mali Ende 2011. Schlussfolgerungen Kehren wir zur Eingangsfrage dieses Beitrags zurück: Wo und wann wurde im Falle Malis die Chance zu einer erfolgreichen Prävention verpasst? Hätte man durch eine strenge Einführung der Geburtenkontrolle gleich nach der Unabhängigkeit des Landes das dramatische Bevölkerungswachstum und damit die sich ausweitende Jugendarbeitslosigkeit verhindern sollen? Die weitgehende Erfolgslosigkeit derartiger Programme, prominent in der früheren Entwicklungshilfepolitik, ist hinlänglich bekannt. Oder wäre der richtige Zeitpunkt Anfang der 2000er Jahre gewesen, als nichts gegen das Auftauchen der lateinamerikanischen Drogenmafia in Westafrika unternommen wurde? Tatsächlich wurden diese Entwicklungen und die damit einhergehende Gefahren von den Westafrikanern erst sehr langsam und von den Europäern und den USA bis vor kurzem überhaupt nicht bemerkt. Selbst wenn das anders verlaufen wäre, muss man bezweifeln, dass die Europäer und Amerikaner dazu imstande gewesen wären, der Drogenmafia den Boden für ihr kriminelles Vorgehen zu entziehen. Voraussetzung dafür wäre entweder eine nachhaltige Eindämmung des Drogenkonsums, die Erfolgsaussichten dafür sind gering, oder aber die Legalisierung des Kokains. Genau dieses fordert ein kürzlich erschienener Bericht der 2013 von Kofi Annan gegründeten West African Commission on Drugs (WACD) als letztlich allein erfolgversprechenden Weg, die Kokainmafia zu schwächen. Sie steht mit ihrer Forderung keineswegs allein. Dennoch gibt es zu diesem Thema bis heute in Deutschland keine wirklich zielführende Diskussion. Sie wird vielmehr mit Glaubenssätzen und Ideologien geführt, die mit den Fakten wenig zu tun haben. Hätte man schließlich eine Entwicklungspolitik konzipieren müssen, die bei der Schaffung von Wirtschaftswachstum (mit gerechter Verteilung) so erfolgreich ist, dass die beschriebenen destabilisierenden Entwicklungen ausgeblieben wären? Leider hat man eine solche Politik auch nach gut fünf Jahrzehnten des entwicklungspolitischen Laborierens und Experimentierens nicht gefunden. Im Gegenteil, die Bilanz ist ernüchternd: Ihr Beitrag zu einem dauerhaften Wirtschaftswachstum ist gering bis nicht existent und in verschiedenen Fällen sogar kontraproduktiv im Hinblick auf ein verantwortungsvolles Verhalten der Eliten gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung. Winrich Kühne (© Winrich Kühne) Quellen / Literatur Wiedemann, Charlotte (2012): Die Krise in Mali. Heinrich Boell Foundation, Berlin, December 2012. Lebovich, Andrew (2013): Mali’s Bad Trip: Field Notes from the West African Drug Trade, in: Foreign Policy, 03/15/2013. Lacher, Wolfram (2012): Organized Crime and Conflict in the Sahel-Sahara Region. The Carnegie Papers, Washington, September 2012. Aning, Kwesi/ Pokoo, John (2012): Drug Trafficking and Threat to National and Regional Security in West Africa, WACD (West Africa Commission on Drugs), Background Paper No. 1, Accra, January 2012. Links Externer Link: West African Commission on Drugs (WACD) (2014): Report, Not just in Transit. Drugs, the State and Society in West Africa. Accra, June 2014, S. 8-9. Externer Link: UN Office on Drugs and Crime (UNODC) (2013): Organized Crime in West Africa: A Threat Assessment. Vienna, February 2013. Wiedemann, Charlotte (2012): Die Krise in Mali. Heinrich Boell Foundation, Berlin, December 2012. Lebovich, Andrew (2013): Mali’s Bad Trip: Field Notes from the West African Drug Trade, in: Foreign Policy, 03/15/2013. Lacher, Wolfram (2012): Organized Crime and Conflict in the Sahel-Sahara Region. The Carnegie Papers, Washington, September 2012. Aning, Kwesi/ Pokoo, John (2012): Drug Trafficking and Threat to National and Regional Security in West Africa, WACD (West Africa Commission on Drugs), Background Paper No. 1, Accra, January 2012. Links Externer Link: West African Commission on Drugs (WACD) (2014): Report, Not just in Transit. Drugs, the State and Society in West Africa. Accra, June 2014, S. 8-9. Externer Link: UN Office on Drugs and Crime (UNODC) (2013): Organized Crime in West Africa: A Threat Assessment. Vienna, February 2013.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-20T00:00:00"
"2014-09-15T00:00:00"
"2022-01-20T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/kriege-konflikte/dossier-kriege-konflikte/191577/meinung-moeglichkeiten-und-grenzen-der-krisenpraevention-das-beispiel-mali/
Die Mali-Krise hätte durch präventive Maßnahmen nicht verhindert werden können. Denn bislang gibt es keine Entwicklungspolitik, die eine Verdopplung der Bevölkerung innerhalb von nur 25 Jahren kompensieren könnte. Und die internationale Gemeinschaft
[ "Innerstaatliche Konflikte", "Mali" ]
30,613
Religion – eine Ressource in der Radikalisierungsprävention? | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de
Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & Hintergrund-InfosNewsletter zu Radikalisierung & Prävention abonnieren Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Die pädagogische Prävention von demokratiefeindlichem und gewaltorientiertem Islamismus hat sich in den 2010er Jahren als neues Arbeitsfeld entwickelt. Durch Soziale Arbeit, politische Bildung und zum Teil durch Elemente religiöser Bildung zielt diese Arbeit darauf ab, junge Menschen gegen mögliche Radikalisierungsgefährdungen zu stärken oder die Distanzierung von gewaltorientierten oder demokratiefeindlichen islamistischen Kontexten zu fördern. In dieser Praxis spielen teilweise religiöse Elemente des Islams eine Rolle, was sie von etablierteren Arbeitsfeldern wie der Rechtsextremismusprävention unterscheidet. Ausschlaggebend dafür ist unter anderem, dass sich demokratiefeindlicher Islamismus in vielfältiger Weise auf den Islam bezieht und Religion im Radikalisierungsprozess selbst eine Rolle spielen kann (vgl. Kiefer 2020). Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, inwiefern ausgewählte Angebote der Radikalisierungsprävention Religion als eine Ressource ihrer Arbeit nutzen und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. Das zugrundeliegende Datenmaterial ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Programmbereichs "Radikalisierungsprävention" im Bundesprogramm "Demokratie leben!" in den Jahren 2015 bis 2019 erhoben und ausgewertet worden (vgl. Figlestahler et al. 2020). "Demokratie leben!" wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. Im Programmbereich "Radikalisierungsprävention" erprobten über 40 Modellprojekte Ansätze der (sozial-)pädagogischen Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichem und gewaltorientiertem Islamismus. Die wissenschaftliche Begleitung am Deutschen Jugendinstitut (DJI) untersuchte den Programmbereich unter anderem mit dem Ziel, die unterschiedlichen pädagogischen Strategien der Projekte zu systematisieren sowie projektübergreifend pädagogische Lernerfahrungen zu bündeln. Dabei wurden unterschiedliche qualitative und quantitative Forschungsmethoden genutzt, wie (Online-)Umfragen für Projektmitarbeitende, Adressatenfragebögen, Leitfaden-Interviews mit Projektmitarbeitenden, Gruppendiskussionen mit jungen Projektteilnehmenden, teilnehmende Beobachtung bei pädagogischen Maßnahmen und Dokumentenanalyse. Der vorliegende Beitrag bündelt einige Ergebnisse und Zwischenergebnisse dieser Erhebungen. Schwerpunktmäßig wurden dafür Interviews mit Mitarbeitenden von acht Projekten und Teilnehmenden von drei Projekten einbezogen, in deren Angeboten Religion eine besondere Rolle zukam. Für die Darstellung der Ergebnisse wurden die Projektnamen anonymisiert und durch internationale Städtenamen ersetzt. Vorgehensweisen religionsbezogener Radikalisierungsprävention Viele der untersuchten Projekte thematisieren und adressieren religionsbezogene Ebenen in ihren Angeboten. Sie wenden sich dabei vor allem an religiös praktizierende junge Musliminnen und Muslime. In Bezug auf den Umgang mit Religion finden sich unter diesen Angeboten zwei grundsätzliche Typen: (1) Vorgehensweisen, die sich von einer religiösen Perspektive ableiten; (2) Vorgehensweisen politischer Bildung und Sozialer Arbeit mit einem Fokus auf religiöse Themen (Figlestahler/Langner 2019). Das prägende Merkmal des ersten Typs ist, dass der Islam selbst eine zentrale Rolle in der präventiven Handlungslogik der Arbeit einnimmt; so dass der Islam "Teil der Lösung" sei, wie ein Projektmitarbeiter im Interview sagt (Interview "Budapest" 2018). Dabei nehmen innerislamische Perspektiven eine relevante Rolle ein, das heißt religiöses Sprechen und theologisches Argumentieren. Die Vorgehensweisen beinhalten dabei Anleihen aus dem Feld der religiösen Bildung. Beispielhaft sind hier Projekte, die in Moscheegemeinden Beratungsstellen oder Jugendarbeit mit inhaltlichen Diskussionen anbieten. Häufig sind islamische Organisationen wie Dachverbände islamischer Gemeinden die Träger der Projekte (gegebenenfalls in Kooperation mit anderen Organisationen). Der zweite Typ zeichnet sich dadurch aus, dass den Adressatinnen und Adressaten gegenüber eine besondere Aufmerksamkeit auf religionsbezogene Themen und den Aspekt des Muslimischseins gelegt wird. Die Projekte versuchen dabei für muslimische Jugendliche einen geschützten Raum für offene Diskussionen über politische und religiöse Themen zu schaffen. Der Islam ist ein explizites Thema der pädagogischen Arbeit – im Gegensatz zu Typ 1 steht aber nicht das religiöse Sprechen, sondern das Sprechen über Religion im Mittelpunkt. In diesem Typ finden sich verschiedene etablierte Träger der Sozialen Arbeit beziehungsweise der Jugend- und der Bildungsarbeit. Sie können häufig auf langjährige Erfahrungen in diesen Feldern aufbauen. Ihre Arbeit in der Radikalisierungsprävention zielt letztlich darauf ab, die Teilnehmenden gegen mögliche Angebote demokratiefeindlicher islamistischer Gruppen in ihrem sozialen Umfeld zu stärken – beispielsweise durch die Festigung eines demokratischen Verständnisses und einer positiven Einstellung gegenüber Vielfältigkeit. Darüber hinaus haben einige Projekte keinen Bezug zu Religion in ihrer pädagogischen Praxis, beispielsweise da sie Extremismus nur auf einer allgemeinen und abstrakten Ebene thematisieren. Der Fokus dieses Beitrags soll jedoch auf Angeboten liegen, in denen Religion relevant ist. Nutzung von Religion als Ressource der Radikalisierungsprävention Die empirische Analyse gibt einen systematischen Einblick, ob und wie die Angebote Religion als Ressource, also als etwas dem (sozial-)pädagogischen Prozess Zuträgliches nutzen. Es zeigt sich, dass die Angebote Religion für die folgenden Zwecke adressieren: (1) Um einen Zugang zu den Adressatinnen und Adressaten zu erschließen; (2) Um sich inhaltlich mit extremistischer Ideologie auseinanderzusetzen; (3) Um die Eigenposition der Teilnehmenden gegenüber extremistischen Angeboten zu stärken. 1) Religion in der Zugangserschließung Eine grundsätzliche Herausforderung der (sozial-)pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischer Radikalisierung ist es, junge Menschen zu erreichen, die bereits Bindungen zu extremistischen Gruppen oder Ideologien haben oder sich von diesen angesprochen fühlen (Figlestahler et al. 2020, S. 60 ff.). Dabei gilt es sowohl, die adressierten Zielgruppen zur (in der Regel freiwilligen) Teilnahme an dem Angebot, als auch zur aktiven Beteiligung und Aneignung zu motivieren. Den hier dargestellten Projekten mit religionsbezogenen Vorgehensweisen gelingt es, diese Zielgruppen in ihre pädagogischen Prozesse einzubeziehen. Einige Projekte betonen in diesem Zusammenhang die Rolle religiöser Themen und Rahmungen. Beispielsweise haben Mitarbeitende eines Projekts die Erfahrung gemacht, dass es ihnen gelingt, mit den Adressatinnen und Adressaten über ernsthafte persönliche Problemlagen ins Gespräch zu kommen, wenn sie sich "von der religiösen Seite an sie wenden" (Interview "Bangkok" 2017). Diese "religiöse Seite" könnten sie unter anderem darüber ansprechen, dass sie das Angebot in einer Moschee umsetzen, deren Atmosphäre die Teilnehmenden dazu bewege, sich zu öffnen. Durch die Beteiligung haben diese das Gefühl, etwas Religiöses zu tun. Die Projektmitarbeitenden sehen gerade darin auch ein generelles Attraktivitätsmoment des Angebots für die Teilnehmenden. So habe die Moschee das Angebot authentisch gemacht, sei für die Arbeit Türöffner und Vertrauensbonus gewesen (Interview "Bangkok" 2019). Diese religionsbezogene Rahmung bettet hier die Beziehungen so ein, dass die von den Adressatinnen und Adressaten als vertrauenswürdig empfundene religiöse Ebene den Kontakt zu dem Angebot der Radikalisierungsprävention bestimmt. Die religiöse Rahmung des Angebots trägt somit dazu bei, dass das Angebot überhaupt in Anspruch genommen wird. Auch in der aufsuchenden Arbeit beschreiben Projektmitarbeitende in Typ 1 (der Islam nimmt eine zentrale Rolle in der präventiven Handlungslogik ein), wie sie eine islamische Rahmung herstellen, um Vertrauen und eine Offenheit für ihr Angebot zu schaffen. So beschreibt ein Mitarbeiter, wie er einen Klienten beim ersten Treffen bewusst mit der islamischen Begrüßungsformel "Salam Aleikum" begrüßt, und so als "Glaubensbruder" den Zugang realisiert (Interview "Budapest" 2018). Auch in den Projekten des Typ 2 (besonderes Augenmerk auf religiöse Themen) ist Religion ein relevanter Aspekt, wenn es darum geht, mit Teilnehmenden eine Arbeitsbeziehung aufzubauen: Dazu trägt beispielsweise bei, dass die Angebote auf Flyern und Ankündigungen über eine Sprache und Ästhetik kommuniziert werden, die auf den Islam verweisen – etwa über religiös konnotierte arabische Begriffe. Damit werden religiös interessierte muslimische Adressatinnen und Adressaten angesprochen. Für eben diese bieten die Angebote einen geschützten Diskussionsraum. Das Muslimischsein ist dabei ein verbindendes Element der Gruppe, das die Art und Weise, wie die Themen diskutiert werden, prägt und maßgeblich zur Beteiligung an dem Angebot beiträgt. 2) Religion in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit extremistischer Ideologie Ein Teil der Projekte – vor allem aus Typ 1 – nutzt Religion als eine wesentliche Ebene der Auseinandersetzung mit islamistisch-extremistischer Ideologie. Dabei dekonstruieren sie ideologische Narrative und vermitteln fachlich fundierte und kritische Umgangsweisen mit islamischen Quellen. So diskutieren beispielsweise Projektmitarbeitende mit den Klientinnen und Klienten über islamische Begriffe, die in islamistisch-extremistischen Ideologien von Bedeutung sind. In diesem Gespräch arbeiten sie erst die Vorstellungen der Klientinnen und Klienten zu diesen Begriffen heraus. Über Quellenarbeit, beispielsweise am Koran, ergründen sie dann alternative Bedeutungen und zeigen innerreligiöse Pluralität auf. Sie erweitern so den Blick auf den Islam und ermöglichen dabei eine Neubewertung demokratiefeindlicher Positionen (Interview "Brasilia" 2019). Mit ähnlichen Vorgehensweisen versuchen verschiedene Projekte das Islambild der Adressierten um neue Perspektiven zu erweitern. Diese Arbeit liegt zumeist im Aufgabenbereich einzelner Mitarbeitender, die über theologisches Spezialwissen verfügen. Die Angebote in Typ 2 setzen sich zwar nicht auf einer religiösen Ebene mit islamistisch-extremistischer Ideologie auseinander, sie adressieren und konfrontieren aber problematische Aussagen der Teilnehmenden, indem sie offene Diskussionen anregen und dabei problematische Themen durch sachliche Gespräche differenzieren. 3) Religion zur Stärkung der Eigenposition gegenüber extremistischen Angeboten Einige Angebote versuchen junge Menschen auf genau den Ebenen zu stärken, an denen extremistische Argumentationen häufig ansetzen. So soll deren Anfälligkeit für extremistische Angebote reduziert und damit ihre Widerständigkeit gestärkt werden. Bei Typ 1 steht dabei die Stärkung des islamischen Grundverständnisses der Teilnehmenden durch religiöse Bildung im Vordergrund. Die Projekte warnen davor, sich auf Internetquellen zum Islam zu verlassen und sie vermitteln Wissen über den Islam, sowie grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit den islamischen Quellentexten und Autoritäten. Den Projektmitarbeitenden ist wichtig, dass sie mit dieser religiösen Bildung an die Fragen der Jugendlichen und deren Lebenswelt anschließen. Einige Projekte vermitteln außerdem, dass Laieninterpretationen grundsätzlich fehleranfällig seien und verweisen auf Expertinnen und Experten in den Moscheen. Dazu vermitteln sie Kriterien zur Auswahl geeigneter Ansprechpersonen – beispielsweise, dass sie den lokalen Kontext der Fragen verstehen und einschätzen können und dass sie eine theologische Ausbildung haben sollten. Vereinzelt stärken Projekte auch die regulären Angebotsstrukturen religiöser Bildung. Sie bilden zum Beispiel Mitarbeitende islamischer Gemeinden darin weiter, wie sie besser auf die Fragen junger Menschen reagieren können oder wie es ihnen gelingen kann, mit Jugendlichen über Extremismus zu sprechen. Bei Typ 2 finden sich ebenfalls Elemente der Bildung zum Islam, die jedoch in der Regel nicht explizit als Ziel formuliert werden. Stattdessen werden eher Konfliktthemen mit Islambezug aufgegriffen und diskutiert – wie die Situation in der Türkei, Erfahrungen mit Diskriminierung oder Diskussionen zu Islam und Demokratie. Religion und religiösen Perspektiven kommt eine wichtige Rolle in der Diskussion zu, die häufig auf eine Reflexion von Vorstellungen des Muslimischseins abzielt. Religion als Ressource der Fachkräfte oder der Teilnehmenden? Die untersuchten Angebote nutzen Religion auf unterschiedliche Weisen als Ressource für ihre Arbeit in der Radikalisierungsprävention. Für einige Fachkräfte ist Religion ein Mittel, um die Zielstellung ihrer pädagogischen Strategie zu erreichen: Religion soll dabei insbesondere Nähe herstellen, so dass eine Kommunikation auf einer gemeinsamen religionsbezogenen Gesprächsebene stattfindet. Diese Gesprächsebene ermöglicht sowohl Beziehungsarbeit als auch eine Auseinandersetzung mit inhaltlichen und ideologischen Positionen. Für andere steht Religion als zu fördernde Ressource der Adressatinnen und Adressaten im Vordergrund, die es zu aktivieren gilt, um Eigenpositionen zu stärken und ideologische Positionen zu reflektieren. Diese beiden Perspektiven auf Religion als Ressource in der Arbeit ergänzen einander zum Teil. Beide finden sich in beiden Typen, jedoch jeweils stärker in Typ 1. Herausforderungen religionsbezogener Radikalisierungsprävention Auch wenn sich Religion in der Analyse als eine zentrale Ressource vieler Projekte zeigt, nennen die meisten der interviewten Projektmitarbeitenden, "Religion" als eine ihrer größten Herausforderungen (Figlestahler et al. 2020, S. 86). Für Projekte, deren (sozial-)pädagogische Arbeit von einer Kooperation mit islamischen Akteurinnen beziehungsweise Akteuren abhängt, ist es eine zentrale Herausforderung, belastbare Kooperationsbeziehungen mit islamischen Organisationen und den darin relevanten Autoritäten aufzubauen und dauerhaft zu etablieren. Als einen Grund für diese Schwierigkeiten führen fast alle Projekte eine grundsätzliche Skepsis dieser Organisationen gegenüber der Präventionsarbeit an (vgl. Figlestahler/Langner 2019, S. 228 f.). Diese Skepsis begründet sich unter anderem in Vorbehalten gegenüber sogenannter mehrheitsgesellschaftlicher Interventionen im migrantischen Kontext. Zum Teil sind aber auch habituelle und weltanschauliche Unterschiede zwischen jungen Projektmitarbeitenden und älteren Autoritäten ausschlaggebend oder die Befürchtung, dass Maßnahmen der Radikalisierungsprävention die Gemeinde als potenziell radikalisiert stigmatisieren könnten. Insgesamt müssen die Projekte mit stetiger Beziehungsarbeit in den Erhalt der jeweiligen Kooperationen investieren. Außerdem beschreiben einige der Projekte von Typ 1 es als herausfordernd, Mitarbeitende zu finden, die pädagogische Fachlichkeit mitbringen und sich zugleich in der jeweiligen islamischen Communitys und ihren Institutionen zurechtfinden. Dieses spezifische Doppelprofil zu erfüllen, bedeutet für die Mitarbeitenden mitunter, unterschiedliche Rollenerwartungen abzuwägen. Auf der pädagogischen Ebene ist anzumerken, dass beiden oben genannten Perspektiven auf Religion als Ressource eine hierarchische Ebene innewohnen kann – beispielsweise im Umgang mit Ansprüchen religiöser Wahrheit –, die mitunter in Spannung zu den Zielen der (sozial-)pädagogischen Arbeit steht. Für die Praxis empfiehlt es sich, diese Spannungsfelder in der Arbeit fortwährend zu reflektieren. Fazit Die untersuchten Angebote beider Typen nutzen Religion, um einen Zugang zu den Adressatinnen und Adressaten zu erschließen, um sich inhaltlich mit extremistischer Ideologie auseinanderzusetzen und um die Eigenposition der Teilnehmenden zu stärken. Insbesondere findet sich Religion in den Angeboten aus Typ 1, für die Religion eine zentrale Ebene der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichem Islamismus ist. Damit geht einher, dass die Angebote stärker mit religionsbezogenen Herausforderungen konfrontiert sind. In Typ 2 hingegen kommt Religion eher indirekt zum Tragen, indem über Religion gesprochen wird und Erfahrungen als Musliminnen und Muslime geteilt werden. Für beide Typen zeigen sich Herausforderungen, unter anderem dabei, belastbare Kooperationsbeziehungen zu islamischen "Gatekeepern" aufzubauen und zu erhalten. Es ist davon auszugehen, dass beide vorgestellten Typen für bestimmte Gruppen von Adressatinnen und Adressaten ein passendes Angebot darstellen. Die verschiedenen Wege, auf denen Religion in die (sozial-)pädagogische Arbeit der Projekte einfließt, zeigen sich dabei als ein Teil der innovativen Leistung des Programmbereichs "Modellprojekte zur Radikalisierungsprävention" in Demokratie Leben! Die Umgangsweisen mit Religion erscheinen aber zugleich noch sehr experimentell: Als Suchbewegungen in einem Feld sich überlappender fachlicher Logiken religiöser und nichtreligiöser (sozial-)pädagogischer Arbeit müssen nachhaltige Strukturen und ein angemessenes Fachlichkeitsfundament mit einer weiteren Entwicklung solcher Angebote erst noch wachsen. Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des Beitrags "Religion als Ressource in der Radikalisierungsprävention", der in dem Band "Religion in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus" (Herausgegeben von Joachim Langner, Maruta Herding, Sally Hohnstein und Björn Milbradt) erschienen ist. Der Band ist abrufbar unter Externer Link: www.dji.de/afs. Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite Quellen / Literatur Figlestahler, Carmen/Langner, Joachim (2019): Religion as a Challenge in Preventing Radicalization? Empirical Insights from Germany. In: Gutzwiller-Helfendinger, Eveline/Abs, Hermann J./Müller, Paulena (Hrsg.): Thematic papers based on the Conference. Migration, Social Transformation, and Education for Democratic Citizenship, S. 219-232. Figlestahler, Carmen/Greuel, Frank/Grunow, Daniel/Langner, Joachim/Schott, Marco/Zierold, Diana/Zschach, Maren (2020): Fünfter Bericht: Modellprojekte. Programmevaluation "Demokratie leben!". Wissenschaftliche Begleitung der Modellprojekte Radikalisierungsprävention. Abschlussbericht 2019. DJI Halle (Saale). Kiefer, Michael (2020): Religion in der Radikalisierung. In: Langner, Joachim/Herding, Maruta/Hohnstein, Sally/Milbradt, Björn (Hrsg.): Religion in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus. DJI Halle (Saale), S. 75-94. Figlestahler, Carmen/Langner, Joachim (2019): Religion as a Challenge in Preventing Radicalization? Empirical Insights from Germany. In: Gutzwiller-Helfendinger, Eveline/Abs, Hermann J./Müller, Paulena (Hrsg.): Thematic papers based on the Conference. Migration, Social Transformation, and Education for Democratic Citizenship, S. 219-232. Figlestahler, Carmen/Greuel, Frank/Grunow, Daniel/Langner, Joachim/Schott, Marco/Zierold, Diana/Zschach, Maren (2020): Fünfter Bericht: Modellprojekte. Programmevaluation "Demokratie leben!". Wissenschaftliche Begleitung der Modellprojekte Radikalisierungsprävention. Abschlussbericht 2019. DJI Halle (Saale). Kiefer, Michael (2020): Religion in der Radikalisierung. In: Langner, Joachim/Herding, Maruta/Hohnstein, Sally/Milbradt, Björn (Hrsg.): Religion in der pädagogischen Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus. DJI Halle (Saale), S. 75-94. In dem Programmbereich wurden darüber hinaus Projekte zu Rechtsextremismus und Linker Militanz gefördert. Herzlicher Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen der wissenschaftlichen Begleitung für die gemeinsame Erhebung und Auswertung und insbesondere Carmen Figlestahler, Katja Schau und Diana Zierold für die gemeinsamen Diskussionen!
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-02-15T00:00:00"
"2020-09-28T00:00:00"
"2023-02-15T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/infodienst/316249/religion-eine-ressource-in-der-radikalisierungspraevention/
Modellprojekte nutzen Religion, um einen Zugang zu ihren Adressaten zu erschließen, sich inhaltlich mit Ideologie auseinanderzusetzen und die Eigenposition der Teilnehmenden zu stärken.
[ "Religion", "Ressource", "Radikalisierungsprävention", "Deutsche Jugendinstitut", "DJI", "Modellprojekte", "Prävention", "Präventionsarbeit", "Demokratie leben!", "Forschungsergebnisse", "Herausforderungen", "Pädagogische Praxis", "politische Bildung", "Soziale Arbeit", "Kinder- und Jugendarbeit" ]
30,614
Stimmt’s? Jungen sind in der Schule benachteiligt, da es dort mehr Lehrerinnen als Lehrer gibt | bpb.de
Seit Anfang der 1980er Jahre sind Mädchen in deutschen Schulen erfolgreicher als Jungen (Helbig, 2010). Jungen werden sogar als Bildungsverlierer bezeichnet (Kessels, 2014). Verständlicherweise gibt es in der Öffentlichkeit viele Diskussionen über die Ursachen dieser Geschlechterunterschiede. Eine häufig diskutierte Erklärung ist die sogenannte Feminisierung der Schulen (Hannover & Wolter, 2020). Damit ist gemeint, dass immer mehr Lehrerinnen an deutschen Schulen unterrichten und folglich die gesamte Schulkultur „weiblicher“ geworden sei. Diese feminisierte Schulkultur entspreche mehr den Lernbedürfnissen von Mädchen und benachteilige dabei Jungen. Allerdings ist es wissenschaftlich nicht erwiesen, dass sich ein hoher Anteil weiblicher Lehrkräfte nachteilig auf den Schulerfolg von Jungen auswirkt. Tatsächlich erzielen Jungen im Durchschnitt schlechtere Ergebnisse in Kompetenztests (mit Ausnahme von Mathe und Naturwissenschaften), werden seltener für das Gymnasium empfohlen, erreichen im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse und verlassen die Schule häufiger ohne einen Schulabschluss (Schipolowski, u.a., 2019; Stanat, u.a., 2018). Gleichzeitig ist der Anteil weiblicher Lehrkräfte gestiegen (Neugebauer & Gerth, 2013). Im Schuljahr 2021/2022 waren laut dem Statistischen Bundesamt insgesamt 708.967 Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland angestellt (Destatis, 2022). Davon waren 517.410, also 73 Prozent der Lehrkräfte weiblich (Destatis, 2022). An Grundschulen lag der Anteil weiblicher Lehrkräfte sogar bei 89 Prozent (Destatis, 2022). Leitet man aus diesem Zusammenhang allerdings eine Ursache-Wirkung-Beziehung ab, begeht man einen sogenannten kausalen Fehlschluss. Nur weil es mehr Lehrerinnen an Schulen gibt und Jungen gleichzeitig in der Schule weniger erfolgreich sind, bedeutet das noch lange nicht, dass der hohe Anteil an Lehrerinnen auch die Ursache für den geringeren Bildungserfolg von Jungen ist. In wissenschaftlichen Studien, die die Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen dem Geschlecht der Lehrperson und dem Schulerfolg untersucht haben, zeigen sich meistens keine Effekte auf den Kompetenzerwerb und die Schulnoten der Schüler:innen (Coenen u.a., 2018; Kleen u.a., 2022; Neugebauer & Gerth, 2013). Nur in wenigen Studien konnten leichte Tendenzen festgestellt werden, nach denen Mädchen bessere Leistungen zeigten, wenn sie von einer weiblichen im Vergleich zu einer männlichen Lehrkraft unterrichtet wurden (Helbig, 2012; Hwang & Fitzpatrick, 2021; Lee u.a., 2018). Gleichzeitig machte es für die Leistung von Jungen allerdings keinen Unterschied, welches Geschlecht die Lehrkraft hatte. Warum Jungen im Bildungssystem weniger erfolgreich sind als Mädchen, bleibt dennoch eine wichtige Frage, für die es breiter interdisziplinärer Forschungsanstrengungen bedarf. Neben der Feminisierung der Schule gibt es andere Erklärungsansätze, wie zum Beispiel, dass Mädchen nachweislich eher über lernförderliche Eigenschaften, wie Selbstdisziplin, soziale Fähigkeiten oder lernförderliche Motivation verfügen, die mit besseren Noten einhergehen (Hannover & Wolter, 2020). Lange Zeit, so das Argument, waren Mädchen wegen geschlechterstereotypischer Rollenbilder und Begabungsvorstellungen im Bildungssystem benachteiligt und insbesondere in den höheren Bildungsgängen wenig vertreten. Mit dem Abbau solcher Stereotype und der zunehmenden Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern würden Mädchen jetzt jedoch die Möglichkeit erhalten ihr tatsächliches akademisches Potenzial zu verwirklichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine gesicherten Befunde gibt, die Grund zu der Annahme geben, dass der hohe Anteil weiblicher Lehrkräfte in den Schulen ausschlaggebend für das schlechtere Abschneiden von Jungen ist. Eine Erhöhung des Anteils männlicher Lehrkräfte, wie sie immer wieder gefordert worden ist, dürfte daher wenig dazu beitragen, die bestehenden Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg zu vermindern. Quellen / Literatur Coenen, J., Cornelisz, I., Groot, W., Maassen van den Brink, H. & Van Klaveren, C. (2018). Teacher characteristics and their effects on student test scores: A systematic review. Journal of economic surveys, 32(3), 848-877. https://doi.org/10.1111/joes.12210 Hannover, B. & Wolter, I. (2020). Schule und Geschlecht. In T. Hascher, T.-S. Idel & W. Helsper (Hrsg.), Handbuch Schulforschung (S.827-847). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24734-8_38-1 Helbig, M. (2010). Sind Lehrerinnen für den geringeren Schulerfolg von Jungen verantwortlich? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 62, 93–111. https://doi.org/10.1007/s11577-010-0095-0 Helbig, M. (2012). Boys do not benefit from male teachers in their reading and mathematics skills: Empirical evidence from 21 European Union and OECD countries. British Journal of Sociology of Education, 33(5), 661-677. https://doi.org/10.1080/01425692.2012.674782 Hwang, N. & Fitzpatrick, B. (2021). Student–teacher gender matching and academic achievement. AERA Open, 7. https://doi.org/10.1177/23328584211040058 Kessels, U. (2014). Sind Jungen die neuen Bildungsverlierer?. In: B. Spinath (Hrsg.), Empirische Bildungsforschung. (S.3-19). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65631-0_1 Kleen, H., Baumann, T. & Glock, S. (2022). Der demografische Match zwischen Schüler*innen und Lehrer*innenmerkmalen: Geschlecht, sozialer Status, Migrationshintergrund – wer profitiert am meisten?. In S. Glock (Hrsg), Stereotype in der Schule II (S.379-400). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_10 Lee, J., Rhee, D. E. & Rudolf, R. (2019). Teacher gender, student gender, and primary school achievement: Evidence from ten Francophone African countries. The Journal of Development Studies, 55(4), 661-679. https://doi.org/10.1080/00220388.2018.1453604 Neugebauer, M. & Gerth, M. (2013). Weiblicher Schulkontext und Schulerfolg von Jungen. In R. Becker & A. Schulze (Hrsg.), Bildungskontexte (S.431-455). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18985-7_15 Schipolowski, S., Wittig, J., Mahler, N. & Stanat, P. (2019). Geschlechtsbezogene Disparitäten. In P. Stanat, S. Schipolowski, N. Mahler, S. Weirich & S. Henschel (Hrsg.), IQB-Bildungstrend 2018 (S. 237-263). Waxmann. Stanat, P., Bergann, S. & Taraszow, T. (2018). Geschlechtsbezogene Disparitäten im deutschen Bildungswesen. In R. Tippelt & B. Schmidt-Hertha (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung (S. 1321-1338). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19981-8_59 Statistisches Bundesamt (Destatis) (2022). Statistischer Bundesbericht. Schulstatistik – Allgemeinbildende Schulen. Schuljahr 2021/22. Statistisches Bundesamt: Tab. 21111-18. Zum Weiterlesen: Neugebauer, M. (2014). Sind Lehrerinnen für die „Bildungskrise“ der Jungen verantwortlich?. In: B. Spinath (Hrsg.), Empirische Bildungsforschung (S.39-48). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41698-9_3 Coenen, J., Cornelisz, I., Groot, W., Maassen van den Brink, H. & Van Klaveren, C. (2018). Teacher characteristics and their effects on student test scores: A systematic review. Journal of economic surveys, 32(3), 848-877. https://doi.org/10.1111/joes.12210 Hannover, B. & Wolter, I. (2020). Schule und Geschlecht. In T. Hascher, T.-S. Idel & W. Helsper (Hrsg.), Handbuch Schulforschung (S.827-847). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24734-8_38-1 Helbig, M. (2010). Sind Lehrerinnen für den geringeren Schulerfolg von Jungen verantwortlich? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 62, 93–111. https://doi.org/10.1007/s11577-010-0095-0 Helbig, M. (2012). Boys do not benefit from male teachers in their reading and mathematics skills: Empirical evidence from 21 European Union and OECD countries. British Journal of Sociology of Education, 33(5), 661-677. https://doi.org/10.1080/01425692.2012.674782 Hwang, N. & Fitzpatrick, B. (2021). Student–teacher gender matching and academic achievement. AERA Open, 7. https://doi.org/10.1177/23328584211040058 Kessels, U. (2014). Sind Jungen die neuen Bildungsverlierer?. In: B. Spinath (Hrsg.), Empirische Bildungsforschung. (S.3-19). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65631-0_1 Kleen, H., Baumann, T. & Glock, S. (2022). Der demografische Match zwischen Schüler*innen und Lehrer*innenmerkmalen: Geschlecht, sozialer Status, Migrationshintergrund – wer profitiert am meisten?. In S. Glock (Hrsg), Stereotype in der Schule II (S.379-400). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_10 Lee, J., Rhee, D. E. & Rudolf, R. (2019). Teacher gender, student gender, and primary school achievement: Evidence from ten Francophone African countries. The Journal of Development Studies, 55(4), 661-679. https://doi.org/10.1080/00220388.2018.1453604 Neugebauer, M. & Gerth, M. (2013). Weiblicher Schulkontext und Schulerfolg von Jungen. In R. Becker & A. Schulze (Hrsg.), Bildungskontexte (S.431-455). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18985-7_15 Schipolowski, S., Wittig, J., Mahler, N. & Stanat, P. (2019). Geschlechtsbezogene Disparitäten. In P. Stanat, S. Schipolowski, N. Mahler, S. Weirich & S. Henschel (Hrsg.), IQB-Bildungstrend 2018 (S. 237-263). Waxmann. Stanat, P., Bergann, S. & Taraszow, T. (2018). Geschlechtsbezogene Disparitäten im deutschen Bildungswesen. In R. Tippelt & B. Schmidt-Hertha (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung (S. 1321-1338). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19981-8_59 Statistisches Bundesamt (Destatis) (2022). Statistischer Bundesbericht. Schulstatistik – Allgemeinbildende Schulen. Schuljahr 2021/22. Statistisches Bundesamt: Tab. 21111-18. Zum Weiterlesen: Neugebauer, M. (2014). Sind Lehrerinnen für die „Bildungskrise“ der Jungen verantwortlich?. In: B. Spinath (Hrsg.), Empirische Bildungsforschung (S.39-48). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41698-9_3 Bisherige Forschungsbefunde zu Geschlechterunterschieden sind von einem binären Geschlechterkonzept geprägt. Sowohl in der gesellschaftlichen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion um geschlechtsspezifische Lern- und Leistungsunterschiede fehlt bislang ein geschlechtsdiverser Ansatz.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-07-24T00:00:00"
"2023-06-22T00:00:00"
"2023-07-24T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/522258/stimmt-s-jungen-sind-in-der-schule-benachteiligt-da-es-dort-mehr-lehrerinnen-als-lehrer-gibt/
Stimmt's? Einige Argumente werden in Debatten über Bildung sehr oft angeführt – aber stimmen sie auch?
[ "Faktencheck", "Benachteiligung", "Jungen", "Lehrerinnen", "Feminisierung", "Schule" ]
30,615
Kommentar: Aus der Comedyserie auf den politischen Olymp – und nun? | Ukraine-Analysen | bpb.de
Die von der Zentralen Wahlkommission veröffentlichten offiziellen Wahlergebnisse zeigen, dass Wolodymyr Selenskyj bei der Stichwahl der Präsidentschaftswahlen am 21. April fast drei Mal so viele Stimmen wie Petro Poroschenko erhielt. Mit 73 Prozent Unterstützung tritt Selenskyj sein Amt als sechster ukrainischer Präsident mit dem in der Geschichte der unabhängigen Ukraine bisher klarsten gesellschaftlichen Mandat an. Der Grundstein zum Erfolg: Volk gegen Elite Es kam zu diesem Erdrutschsieg, weil Selenskyj nicht als Teil der politischen Klasse wahrgenommen wird und weil er mit modernen Mitteln und gegen die bestehende Elite einen erfolgreichen Wahlkampf geführt hat. Selenskyj ist es gelungen, die Unterstützung von Wählern aus allen Altersgruppen und Regionen des Landes zu gewinnen, die eine starke Unzufriedenheit mit der Politik von Poroschenko (einem Berufspolitiker und Oligarchen) und dessen Partei teilen. Meinungsumfragen zufolge stimmten 40 Prozent der Wähler für Selenskyj, um ihrem Protest gegen die gegenwärtige politische Klasse Ausdruck zu verleihen. Er erhielt sowohl Unterstützung von Befürwortern entschlossenerer Reformen, die vom Stagnieren des staatlichen Modernisierungsprozesses enttäuscht sind, als auch von den für einen Wohlfahrtsstaat plädierenden relativ prorussischen Wählern, die von den Auswirkungen der post-Maidan-Transformation und von der antirussischen patriotischen Rhetorik der Regierung genug haben. Die Spontanität von Selenskyj stand im Gegensatz zur banalen Kampagne Poroschenkos, die aus streberhaften Reden, Versprechungen und Besuchen von Städten und Arbeitsstätten bestand. Davon abgesehen hat der Schauspieler einen ausgesprochen positiven Wahlkampf geführt: Bis dahin ohne konkretes Manifest rief er seine Anhänger dazu auf, sich am Schreiben eines solchen Manifests zu beteiligen – ein Schritt der die normale Logik von Wahlen auf den Kopf stellte und Selenskyjs Wählern das Gefühl der Ermächtigung gab. Selenskyj bot ihnen eine Art gemeinsames Handeln an, anstatt ihnen zu versprechen, in ihrem Namen zu agieren. Diese Vorgehensweise verbindet ihn mit seinen Wählern und erzeugt die Illusion einer Beziehung auf Augenhöhe, einer geringeren Distanz zwischen Menschen und Machthabern sowie die Illusion von Zusammenarbeit anstelle von Abhängigkeit. Auch wenn es nicht beabsichtigt gewesen sein sollte – das entspricht sowohl den Forderungen des Maidan als auch der Stimmung vieler junger Menschen. Ein Schaf unter Wölfen? Es ist zu erwarten, dass Selenskyj ein schwaches Staatsoberhaupt sein wird, das es schwer haben wird, die unterschiedlichen Interessengruppen in seinem Umfeld zu kontrollieren, und dass sich die Ukraine unter seiner Führung in Richtung eines parlamentarischen Regierungssystems bewegen wird. Das unmittelbare Umfeld des neuen Präsidenten ist vielfältig. Man kann jedoch drei Hauptgruppen in seinem Umfeld unterscheiden: Freunde und Mitarbeiter aus dem Unternehmen Kwartal-95, die Leute des Oligarchen Ihor Kolomojskyj und Experten für einzelne Bereiche der Regierungsführung (Sicherheit, Außenpolitik, Bildung, Gesundheitsfürsorge usw.). Bisher hatten, so scheint es, die Menschen, mit denen Selenskyj schon lange zusammenarbeitet, und die mit Kolomojskyj verbundenen Berater den größten Einfluss auf Selenskyj. Kolomojskyj, mehrheitlicher Eigentümer des Fernsehsenders "1+1", auf dem die Produktionen von Kwartal-95 ausgestrahlt werden, strebt als Gegenspieler von Präsident Poroschenko nach Rache. Vieles deutet darauf hin, dass Selenskyjs Verbindungen zu Kolomojskyj weit über Geschäftsbeziehungen hinausgehen. Berichten ukrainischer investigativer Journalisten zufolge hat Selenskyj Kolomojskyj innerhalb der letzten zwei Jahre dreizehn Mal in der Schweiz und in Israel besucht. Ein weiterer Oligarch, der versucht, Einfluss auf Selenskyj zu nehmen, ist Wiktor Pintschuk – Schwiegersohn des früheren Präsidenten Leonid Kutschma, Eigentümer von drei beliebten Fernsehsendern und Befürworter der Integration der Ukraine in die transatlantische Gemeinschaft. Erst die Berufungen in die Regierung werden jedoch zeigen, wie das Kräfteverhältnis im Umfeld des neuen Präsidenten wirklich beschaffen ist. Was ist kurzfristig zu erwarten? In den kommenden sechs Monaten wird sich Selenskyj darum bemühen, die Mobilisierung seiner Wählerschaft auf einem Höchststand zu halten und davon in den Parlamentswahlen im Oktober zu profitieren, um möglichst viele Abgeordnete seiner Partei "Diener des Volkes" ins Parlament zu holen. Ohne eine starke Repräsentation im Parlament und eine Beteiligung an der Regierungskoalition wird Selenskyjs Einfluss auf die politischen Prozesse im Land vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Einschränkungen gering sein. Das bedeutet, dass der neue Präsident versuchen wird, eine Politik der unumstrittenen Schritte zu betreiben. Der zu erwartende Konflikt mit dem Parlament wird als Entschuldigung für das Scheitern der Reformen dienen. Im jetzigen Parlament wird es schwierig, allerdings nicht unmöglich sein, eine für die Verabschiedung wichtiger Gesetze erforderliche Mehrheit zu erreichen. Bisher ist die Gruppe von Abgeordneten, die bereit wäre, den neuen Präsidenten zu unterstützen, in der Werchowna Rada noch nicht groß genug. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich eine solche Gruppe innerhalb der kommenden Wochen herausbildet. Die politischen Parteien bereiten sich gerade auf die Parlamentswahlen vor und werden eine Initiative von einem Politiker, der nicht zu ihrem Kreis gehört, nicht unterstützen. Es ist weiterhin möglich, dass der neue Präsident versuchen wird, das ukrainische Parlament aufzulösen und kurzfristig Wahlen anzusetzen. In der Ukraine gibt es verschiedene Auslegungen des Gesetzes, nach dem das Parlament aufgelöst werden kann. Für eine Auflösung des Parlaments wäre allerdings eine politische Einigung zwischen den Lagern des vorherigen und des neuen Präsidenten erforderlich. Im Grunde ist es möglich, dass dieses Szenario eintritt, und es wäre politisch vorteilhaft für beide Kandidaten. Die Mobilisierung ihrer Wähler bliebe erhalten, und beide hätten die Chance, mit ihren Parteien ein gutes Ergebnis zu erzielen. Für andere parlamentarische und außerparlamentarische Kräfte wäre das Szenario allerdings unvorteilhaft. Jene Kräfte haben die Hoffnung, dass sich Poroschenkos Lager auflösen und dass Selenskyj bald diskreditiert sein wird. Eine solche Entwicklung würde zu einem Rückgang der Wählerunterstützung für beide Politiker und ihre Parteien führen. Die verbleibenden sechs Monate vor der Parlamentswahl werden eine Zeit der populistischen Forderungen und der chaotischen politischen Aktivitäten aller wichtigen Akteure sein. Es wird die Zeit des aktiven Wahlkampfs vor der Parlamentswahl – die schließlich über das Kräfteverhältnis in der Ukraine und über den Einfluss des Präsidenten entscheiden wird. Vor der Parlamentswahl wird sich das Reformtempo insofern noch verringern, und es kann sein, dass einige der bereits umgesetzten Reformen revidiert werden. Übersetzung aus dem Englischen: Katharina Hinz
Article
Von Tadeusz Iwański (Zentrum für Osteuropastudien – OSW, Warschau)
"2021-06-23T00:00:00"
"2019-05-22T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/291664/kommentar-aus-der-comedyserie-auf-den-politischen-olymp-und-nun/
Vor der Parlamentswahl im Oktober steht für den neu gewählten Präsidenten noch einiges an Arbeit an. So gilt es, einen aktiven Wahlkampf zu führen, um eine breite Repräsentation parteieigener Abgeordneter im Parlament vorzubereiten oder auch die Mögl
[ "Wahlen", "Präsidentschaftswahlen", "Wolodymyr Selenskyj", "Ukraine" ]
30,616
"Früher war alles besser..." | Jugendkulturen in Deutschland | bpb.de
Früher war alles besser, möchte man fast glauben, wenn man "die Älteren" so reden hört. Weniger Gewalt, mehr Engagement, "Pflichtbewusstsein", statt "Immer nur Spaß haben wollen", und "wenn wir uns mal geprügelt haben und einer lag am Boden, dann haben wir dem wieder aufgeholfen und nicht noch mit zwanzig Mann draufgetreten wie die heute". Moderne Mythen. Modern allerdings nur in der thematischen Fokussierung. Aus dem Blickwinkel der Älteren war die gerade aktuelle Jugend schon immer die schlimmste, dümmste, respektloseste etc. – nur noch übertroffen durch die demnächst folgende, die garantiert noch schlimmer, dümmer, respektloser etc. ausfallen wird. So sahen Beobachter bereits in den frühen 60er-Jahren die Jugend fest im Griff der "Konsum- und Kulturindustrie". Die Folge: "Gelegentliche Formen des Ernstes und der Sammlung erweisen sich als Ausnahmen", stelllt Friedrich Tenbruck in seinem Standardwerk "Jugend und Gesellschaft" fest. Die Jugend im Eventtaumel: "Unstetigkeit, Impulsivität und Unsicherheit gelten herkömmlich als jugendliche Merkmale. Sie blieben jedoch früher Einsprengsel innerhalb umfassenderer Verhaltensstrukturen von größerer Festigkeit. Bei der modernen Jugend herrschen sie vor. Labilität und Gestaltlosigkeit sind Kennzeichen des normalen jugendlichen Verhaltens geworden. Das zeigt sich sinnfällig schon an den in Musik, Tanz, Sprache, Umgang gepflegten Formen. Zu dem Formverlust gesellt sich ein Erlebnisdrang, der ebenso sinnfällig an den Mitteln und Inhalten der Unterhaltung, der Freizeit und des Umgangs hervortritt. Auch hier ist die Radikalisierung unverkennbar. Aus dem Hunger nach dem bewegenden Erlebnis, der Teile der europäischen Jugend bereits um die Jahrhundertwende erfasst hatte, ist der Traum geworden, das Leben als eine bloße Folge von Ereignissen zu verbringen" (Tenbruck 1962, S. 47f.). "Wenn nicht ein grundsätzlicher Wandel eintritt, kann eine Umkehrung des Machtverhältnisses der Generationen in naher Zukunft die Folge sein, zumal bei der älteren Generation teilweise schon deutliche Anzeichen der Resignation und Kapitulation vor der neuen Jugendmacht festzustellen sind", versuchte neun Jahre später der 29-jährige Horst Opaschowski (1971, S. 34) die Alten vor seiner eigenen Generation zu warnen und dokumentierte in seinem erschütternden Report "Der Jugendkult in der Bundesrepublik" schauerliche Fallbeispiele einer entarteten Jugend: "Wussten Sie schon, dass der Protest-Sänger Bob Dylan die Losung ausgab: "Trau keinem über 30"; dass ein 25-köpfiges Gremium 14 bis 21-jähriger Jugendlicher ("Jugendrat") das Recht hat, in allen "gesamtpolitischen Interessen und Bedürfnissen" der Jugend Anträge an den Stadtrat der Stadt Nürnberg zu stellen, über die innerhalb von drei Monaten beraten werden muss; dass sich 1968 westdeutsche Schülerzeitungsredakteure in Bad Lauterberg versammelten und dafür plädierten, Leute über 60 einzuschläfern ..." (a.a.O., S. 15f.). "Tatsächlich waren Rebellionen der Jugend gegen die Generation ihrer Eltern und gegen Obrigkeiten selten und nur auf Minderheiten beschränkt", stellt dagegen Klaus Wahl vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. "Der Großteil der Jugend war zu allen Zeiten recht angepasst, er imitierte die ältere Generation in vielen Dingen." (Das Parlament 3- 4/1996) Dennoch muss man wirklich nicht lange suchen, um beinahe aus jedem Jahrhundert seit Aristoteles entnervte Kommentare meist älterer Männer über die nachrückende Jugend aufzuspüren. Auch die meist überdeutlich mitschwingenden Motive für diese konstante Jugendfeindlichkeit sind immer die gleichen: die Glorifizierung und Verschönerung der eigenen Jugendzeit bei gleichzeitiger Verdrängung der eigenen Fehltritte; Konkurrenzgefühle und Neid nicht nur im Wettstreit um die schwindenden materiellen Ressourcen: In einer Gesellschaft, in der Jugend zum Kult erhoben wird und Ältere mangels einer eigenen Lebensstilidentität nur die Wahl haben zwischen jung oder peinlich, signalisieren reale Jugendliche, dass man selbst nicht mehr dazugehört, so sehr man sich auch anstrengt, "jung" zu bleiben. "Hinter dem Jugendkult der Erwachsenen verbergen sich unterschwellige Gefühle des Lebensneides. Was sie in ihrer Jugend mit Mühen aufgebaut und geschaffen haben, kostet die heutige Jugend nun ganz selbstverständlich aus. Sie müssen täglich mitansehen, wie die Jugend ihr Jungsein erlebt und genießt; sie fühlen sich betrogen. Hinter ihren oft massiven Klagen über die heutige Jugend verstecken sich Traurigkeit und Bitterkeit darüber, dass sie eine bedauernswert "normale Jugend verlebt haben. Ihr verständlicher Wunsch, sich wenigstens heute die Privilegien des Jungseins zurückzuholen, bleibt unerfüllt. Je mehr sie ihrer verlorenen Jugend nachlaufen, umso mehr tragen ihre vergeblichen Versuche die Züge einer Zivilisationsneurose, die die Jugendlichen nur noch jünger und die Erwachsenen älter erscheinen lässt" (Opaschowski 1971, S. 46). Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenslage und der Gesellschaft und Politik im Allgemeinen: Jugend als Blitzableiter und Sündenbock für die Erwachsenenwelt. Eigene Unsicherheit: Die Gesellschaft unterliegt einem steten Wandel, und der Motor dieses Wandels scheinen die Jungen zu sein. Also sind diese schuld, wenn ich nicht mehr mit dem Tempo des Wandels mithalten kann, das Neue nicht mehr verstehe. Richtig ist: Die Welt wird immer komplexer, jeder Einzelne von uns immer abhängiger von anonymen Instanzen und Prozessen, deren Logik und Funktionsweisen wir nicht mehr vollständig erfassen. So gibt es inzwischen neben den nationalen, gewählten Regierungen mehr als 15000 transnationale Institutionen, die sich mit globalen oder zumindest mehrere Länder betreffenden Themen befassen, von denen 90 Prozent erst nach 1960 gegründet wurden. "Während es in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur zwei oder drei Konferenzen im Jahr gab, die von internationalen Regierungsorganisationen ausgerichtet bzw. unterstützt wurden, sind es gegenwärtig nahezu 4000 jährlich." (Roth 2002, S. 23) Globalisierung und der gewaltige Sprung von der traditionell organisierten Industriegesellschaft in das komplexe Netzwerk der "Risikogesellschaft" bedeuten vor allem "Zerstörung des Vertrauten (der Natur und Um-/Mitwelt, der Traditionen und der traditionellen Sozialstruktur und Kultur sowie des Glaubens an Wissenschaft, Politik und Fortschritt), d.h. Unsicherheit und "neue Unübersichtlichkeit" (Habermas) in der Gegenwart, Ungewissheit und Angst mit Blick auf die Zukunft" (Griese 2000, S. 28). Allerdings: Ausgerechnet die Jugend für den Wandel – und die Fehlentwicklungen – der Gesellschaft verantwortlich zu machen, hieße wohl, den Einfluss der Jugend krass zu überschätzen. Oder wie viele einflussreiche Politiker, Firmenbosse, NGO-Manager oder Chefredakteure unter 30 kennen Sie? Gerade weil die Jugend eben nicht über gesellschaftliche Macht verfügt, eignet sie sich so hervorragend als Blitzableiter für die Sorgen und Probleme der Erwachsenen. "Die Erwachsenengesellschaft setzt ihre Ratlosigkeit gern in Jugenddebatten um", bemerkte schon die Shell-Studie "Jugend 2000" (Deutsche Shell 2000, Bd. 1, S. 94). Richtig ist, dass die Jugend für die Gesellschaft eine Art Frühwarnsystem darstellt, denn sie reagiert auf gesellschaftliche Wandlungen schneller als die Älteren – weil sie es muss: Während für die meisten Menschen ab 30, 35 die wesentlichen Weichen für ihre berufliche und private Zukunft in der Welt schon gestellt sind, müssen Jugendliche sich noch ihren Platz in der Welt erkämpfen, sehr wach die Trends verfolgen und bei Bedarf sehr flexibel reagieren, wollen sie z.B. nicht morgen schon arbeitslos sein, weil sie einen Beruf erlernt haben, der zum Auslaufmodell geworden ist. "Die Mittelschichtsvorstellung, dass man mit Mitte zwanzig ins Berufsleben eintritt, irgendwann eine Familie gründet, ein Häuschen baut, die Kinder das Haus verlassen und man sich mit der Rente auch den Lebensabend verdient hat, gehört für die heute Heranwachsenden einer märchenhaften Vergangenheit an. Es werden immer mehr speziellere Lebenswege möglich und auch nötig, die sich nicht mehr als Ausnahmen darstellen lassen." (Leander Scholz, 2003) Flexibilität macht den Kern der Anforderungen aus, die Gesellschaft und insbesondere der Arbeitsmarkt (nicht nur) an Jugendliche stellen. Der heimatverbundene, sesshafte Jugendliche, der sich darauf fixiert, bis zu seinem Lebensabend in dem Betrieb zu arbeiten, in dem auch schon sein Vater beschäftigt ist, ist evolutionär gesehen ein Auslaufmodell. Die Gesellschaft wandelt sich und die Jugend muss, ob sie will oder nicht, bei dieser immer rasanter werdenden Fahrt ganz vorne auf der Lokomotive mitreisen, will sie nicht Gefahr laufen, als Ballast hinten abgeworfen zu werden. Und wenn Menschen in einem zentralen Bereich ihres Lebens, dem Arbeitsmarkt, immer wieder bedeutet wird, nicht Kontinuität, sondern nur steter Wandel garantiere ihnen eine Zukunft, so ist es wohl kaum überraschend, dass sie diese Lehre auch auf andere Bereiche ihres Lebensalltags übertragen. Die Jugend hat sich in den letzten 25 Jahren in eine für die meisten Angehörigen älterer Generationen und sogar für viele Jugendliche selbst unüberschaubare Vielfalt oft widersprüchlichster Kulturen ausdifferenziert. Inmitten eines zahlenmäßig nach wie vor dominanten jugendlichen Mainstreams entstanden unzählige subkulturelle Szenen und Cliquen, Gangs und Posses, Tribes und Families mit jeweils eigener Mode und eigener Musik, eigener Sprache und eigenen Ritualen, mit zum Teil fließenden Übergängen und gleichzeitig scharf bewachten Grenzlinien, die für Außenstehende oft nicht einmal erkennbar sind. "Szenen sind "wolkige" Formationen: Sie sind ständig in Bewegung und ändern fortwährend ihre Gestalt. Aus der Ferne scheinen die Ränder scharf zu sein und eine klare Gestalt zu ergeben. Je mehr man sich ihnen jedoch nähert, desto stärker verliert sich dieser Eindruck. Abgrenzungen erweisen sich als äußerst diffus, die Ränder überlappen sich mit anderen Szenerändern oder erstrecken sich – nach unterschiedlichen Richtungen ausfransend – in heterogene Publika hinein" (Hitzler/Bucher/Niederbacher 2001, S. 211). Die Zahl und Vielfalt dieser Kulturen stieg in dem Moment explosionsartig an, in dem der Prozess der "Individualisierung" der bundesdeutschen Gesellschaft einen ersten Höhepunkt erreichte. Soziale Milieus und andere einstmals verbindliche Grenzen zwischen Klassen und Ethnien, Religionen und Regionen erodierten zusehends, traditionelle Familienstrukturen verloren ihre Monopolstellung zugunsten von Wohngemeinschaften, Single- und Alleinerziehenden-Haushalten; informelle Gleichaltrigencliquen, die neuen faszinierenden Welten der Computerkulturen (Techno, Internet) und weitere attraktive Konsum- und Identifikationsangebote des kommerziellen Freizeitmarktes verdrängten die Partizipationsangebote der konventionellen Erwachsenenstrukturen (Parteien, Kirchen, Jugendverbände etc.) von der Agenda des jugendlichen Lebensalltags. Mit dem formalen Ende der DDR brach schließlich der wohl letzte Versuch auf deutschem Boden zusammen, eine staatlich gelenkte, generationsübergreifende "Monokultur" heranzuzüchten. Die Kirchen, für breite Gesellschaftsschichten längst nicht mehr Orte spiritueller Erfahrungen, leerten sich spätestens nach der Konfirmationsfeier; fortbestehende religiöse Bedürfnisse verlagerten sich zunehmend in die säkularisierteren Bereiche der Pop- und Alltagskultur. Die Politik schließlich büßte spätestens in dem Moment ihre Legitimation als "moralsetzende Instanz" ein, in dem sie sich als unfähig oder nicht willens erwies, ihrer Rolle umfassend gerecht zu werden, z.B. die langfristige Sicherung des materiellen Wohlstandes und die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl an Arbeits- und Ausbildungsplätzen voll gewährleisten zu können. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Lebensgestaltung sind so zunehmend individualisiert worden. So bewirkten die soziostrukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt zwar einerseits den Anstieg des durchschnittlichen Einkommens und der frei verfügbaren Zeit, setzten aber andererseits den Einzelnen "immer größeren Kompetenz-, Flexibilitäts- und Mobilisierungserwartungen und einem immer höheren und "unberechenbareren" Konkurrenzdruck aus. Einerseits wird das Individuum aus überkommenen Beziehungen freigesetzt, wodurch es mehr Entscheidungschancen und Lebensoptionen erhält. Andererseits verliert es nicht nur gemeinschaftliche, sondern zusehends auch bislang gesellschaftlich "garantierte" Verlässlichkeiten" (Hitzler/ Bucher 2000, S. 42). Die Individualisierung von Lebenslagen führt also einerseits zu einer Vermehrung von Handlungsoptionen, bedeutet aber zugleich auch einen höheren Risikofaktor sowie die Notwendigkeit, in einer zunehmend komplexen Welt seine Positionierung selbst vorzunehmen. Mit dem Legitimationsverlust der staatlichen Institutionen und der Flexibilisierung sozialer und wirtschaftlicher Lebensverhältnisse reduzierten sich entgegen den Unkenrufen vieler Älterer zwar nicht die Moral oder der individuelle Wertekanon als solche, wohl aber der von Staat und Mehrheitsgesellschaft vorgegebene und für alle Bürger zumindest moralisch verpflichtende Wertekanon auf ein notwendiges Minimum. Zahlreiche Entscheidungen des Lebensalltags, die noch vor gar nicht so langer Zeit gesetzlich oder durch sehr enge moralische Konventionen geregelt wurden, blieben nun dem und der Einzelnen überlassen: Bleibe ich Mitglied der Amtskirche oder schließe ich mich lieber einer der 120 weiteren religiösen Gemeinschaften in Deutschland an? Organisiere ich mich in einer Partei, einem Jugendverband, einem Verein...? Lebe ich allein oder gründe ich eine Familie, mit einer Frau oder lieber mit einem Mann ...? Talkshows und Soap-Operas führen alltäglich nicht nur Jugendlichen vor Augen, wie extrem, vielfältig und schnelllebig die Palette der Handlungsoptionen und Lebensstile inzwischen gestaltet ist. Da die herkömmlichen Institutionen und Einrichtungen mit ihren traditionellen Verbindlichkeitsansprüchen und Gesellungsformen jedoch dieser komplexen Realität nicht mehr gerecht werden, begibt sich der Einzelne notgedrungen selbst auf die Suche nach (post)modernen Teilzeit-Gemeinschaften. Die Jugendkulturen befriedigen dieses Bedürfnis nach temporären Sinn-Gemeinschaften, sie bringen Ordnung und Orientierung in die überbordende Flut neuer Erlebniswelten. Künstliche Grenzziehungen halten die verwirrende Außenwelt auf Distanz und schaffen zugleich unter den Gleichgesinnten und -gestylten der eigenen (Sub-)Kultur ein Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit. Denn – trotz aller "Individualisierung" – der Mensch ist nun mal ein Herdentier, ein im Wortsinn sozialisiertes, also vergesellschaftetes Wesen, das sich selbst erst im Spiegelbild der Mitbürger zu erkennen und zu schätzen weiß. So hat die Befreiung aus dem engen Korsett vermeintlich unhinterfragbarer Normen entgegen den Unkenrufen vieler Älterer keine Generation von Egoisten gezeugt, sondern lediglich tradierte Widersprüchlichkeiten in unserem Bild von "der Jugend" aufgelöst: Jugendliche des 21. Jahrhunderts sind kollektive Individualisten, "be different – inscene yourself!" Letztendlich geht es also um ein uraltes Ding: die Suche nach Geborgenheit in einer Gemeinschaft von Individualisten, die Organisation von Freizeitaktivitäten im Kreise möglichst Gleichaltriger, um wahre Freundschaft. Quellen / Literatur Griese, Hartmut M.: Chancen und Risiken in Kindheit und Jugend. In: Gernert/Janssen (Hrsg.) 2000, S. 26 – 40. Hitzler, Ronald/Bucher, Thomas/ Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Opladen 2001. Opaschowski, Horst W.: Der Jugendkult in der Bundesrepublik. Düsseldorf 1971. Roth, Roland: Globalisierungsprozesse und Jugendkulturen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/2002. Bonn 2002, S. 20 – 27. Scholz, Leander: Schuld hat, wen es trifft. Ein paar Anmerkungen zum Verteilungs- kampf zwischen Jung und Alt. In: Freitag vom 10. Januar 2003, S. 16. Tenbruck, Friedrich H.: Jugend und Gesellschaft. Freiburg im Breisgau 1962. Griese, Hartmut M.: Chancen und Risiken in Kindheit und Jugend. In: Gernert/Janssen (Hrsg.) 2000, S. 26 – 40. Hitzler, Ronald/Bucher, Thomas/ Niederbacher, Arne: Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute. Opladen 2001. Opaschowski, Horst W.: Der Jugendkult in der Bundesrepublik. Düsseldorf 1971. Roth, Roland: Globalisierungsprozesse und Jugendkulturen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/2002. Bonn 2002, S. 20 – 27. Scholz, Leander: Schuld hat, wen es trifft. Ein paar Anmerkungen zum Verteilungs- kampf zwischen Jung und Alt. In: Freitag vom 10. Januar 2003, S. 16. Tenbruck, Friedrich H.: Jugend und Gesellschaft. Freiburg im Breisgau 1962.
Article
Klaus Farin
"2021-12-02T00:00:00"
"2011-10-13T00:00:00"
"2021-12-02T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/jugendkulturen-in-deutschland/36303/frueher-war-alles-besser/
Früher war alles besser, möchte man fast glauben, wenn man "die Älteren" so reden hört. Weniger Gewalt, mehr Engagement, "Pflichtbewusstsein", statt "Immer nur Spaß haben wollen".
[ "Jugendkulturen", "Jugend", "Erwachsenwerden", "Individualisierung" ]
30,617
Biografien & Autobiografien | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de
Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & Hintergrund-InfosNewsletter zu Radikalisierung & Prävention abonnieren Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Mein Zimmer im Haus des Krieges – 351 Tage gefangen in SyrienJanina Findeisen Interner Link: Leonora. Wie ich meine Tochter an den IS verlor – und um sie kämpfteMaik Messing, Volkmar Kabisch, Georg Heil Interner Link: Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des DschihadSouad Mekhennet Interner Link: Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzähltChristoph Reuter Interner Link: Meine falschen Brüder. Wie ich mich als 16-Jähriger dem Islamischen Staat anschlossOliver N. und Sebastian Christ Interner Link: Zwei Schwestern. Im Bann des DschihadÅsne Seierstad Interner Link: Mitten unter uns: Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholteMasoud Aqil Interner Link: Undercover Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierteAnna Erelle Interner Link: Mein Sohn, der Salafist. Wie sich mein Kind radikalisierte und ich es nicht verhindern konnteNeriman Yaman Interner Link: Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen SöhnenJoachim Gerhard, Denise Linke Interner Link: Ich war ein Salafist. Meine Zeit in der islamischen ParallelweltDominic Musa Schmitz Interner Link: Black Box DschihadMartin Schäuble Mein Zimmer im Haus des Krieges – 351 Tage gefangen in Syrien Janina Findeisen Die Journalistin Janina Findeisen wird 2015 auf einer Recherchereise in Syrien gekidnappt und anschließend 351 Tage gefangen gehalten. Sie war nach Syrien gereist, um ihre zum Islam konvertierte Schulfreundin zu treffen und um zu verstehen, wie es zu deren Radikalisierung kam. Kurz nach dem Treffen wird sie entführt. Sie verbringt fast ein Jahr an unterschiedlichen Orten, wird in wechselnde Zimmer eingesperrt und stets von bewaffneten Männern bewacht. 7/2020 | Piper | 336 Seiten | Taschenbuch: 11,00 Euro | E-Book: 9,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: piper.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora. Wie ich meine Tochter an den IS verlor – und um sie kämpfte Maik Messing, Volkmar Kabisch, Georg Heil Leonora Messing war 15 Jahre alt, als sie aus ihrem Dorf in Sachsen-Anhalt verschwand. In Syrien schloss sie sich dem „Islamischen Staat“ an und wurde Drittfrau eines deutschen „IS“-Terroristen. Wie konnte sich Leonora so schnell so stark radikalisieren? Wie sieht ihr Leben in den Kriegswirren aus und was bedeutet das für die verzweifelten Angehörigen? Der Vater kämpft darum, Leonora aus Rakka zurückzuholen – und geht dafür gefährliche Risiken ein. 9/2019 | Ullstein | 334 Seiten | Taschenbuch: 18,00 Euro | E-Book: 16,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: ullstein-buchverlage.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad Souad Mekhennet Was passiert hinter den Fronten des Dschihad? Wie ticken Warlords und jugendliche Attentäter? Die Journalistin Souad Mekhennet berichtet von ihren Recherchen in sogenannten No-Go-Areas des Terrors und ihren Treffen mit Dschihadisten. 9/2017 | C. H. Beck | 384 Seiten | Hardcover: 24,95 Euro | E-Book: 18,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: chbeck.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt Christoph Reuter Als sie 2014 mit ihrem Mann nach Syrien reist, um sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, ist Maryam A. Mitte zwanzig. Doch das Leben im „Kalifat“ ist nicht geprägt von Glauben und Gemeinschaft, wie sie es sich erhofft hatte. Stattdessen erlebt sie Terror, Gängelung und ständige Bombardierungen sowie den zermürbenden Kleinkrieg der Dschihadistinnen und Dschihadisten untereinander. Unter Lebensgefahr gelingt es ihr zu fliehen, aber bis heute muss sie versteckt in Nordsyrien leben. Christoph Reuter hat Maryams Bericht über ihre Zeit beim „Islamischen Staat“ aufgeschrieben. 11/2017 | Penguin Random House | 256 Seiten |Taschenbuch: 18,00 Euro | E-Book: 13,99 Euro) Zur Bestellung auf Externer Link: randomhouse.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Meine falschen Brüder. Wie ich mich als 16-Jähriger dem Islamischen Staat anschloss Oliver N. und Sebastian Christ Oliver N., in der Nähe von Wien aufgewachsen, ist gerade 16 geworden, als er sich in Syrien dem sogenannten Islamischen Staat anschließt. Ein halbes Jahr verbringt er im "Kalifat", erlebt die Brutalität der islamistischen Kämpfer und kann sich nach einer schweren Verwundung zurück nach Österreich retten. 10/2017 | Kiepenheuer & Witsch | 288 Seiten |Taschenbuch: 14,99 Euro | E-Book: 12,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: kiwi-verlag.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Zwei Schwestern. Im Bann des Dschihad Åsne Seierstad An einem Nachmittag im Oktober 2013 kommen die norwegischen Schwestern Ayan und Leila nach der Schule nicht nach Hause. Stattdessen schicken sie eine E-Mail: Sie befinden sich auf der Reise nach Syrien, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Für ihr dokumentarisches Buch hat Åsne Seierstad eine norwegische Familie bei den dramatischen Versuchen begleitet, ihre beiden Töchter aus dem „IS“-Gebiet zurückzuholen. 10/2017 | Kein & Aber | 528 Seiten | Hardcover: 26,00 Euro | E-Book: 20,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: keinundaber.ch Auch erhältlich in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung | Print: 4,50 Euro Zur Bestellung auf Interner Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Mitten unter uns: Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte Masoud Aqil Der kurdische Journalist Masoud Aqil hat neun Monate in Syrien in der Gewalt der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verbracht. In Deutschland angekommen sagt er: "Es sind mehr islamistische Terroristen in diesem Land, als wir ahnen". In "Mitten unter uns" beschreibt Aqil, dass der "IS" die die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 genutzt hätte, um Terroristen nach Europa zu schleusen. 8/2017 | Europa Verlag | 256 Seiten | Hardcover: 18,90 Euro Auf der Verlagswebsite nicht mehr bestellbar, aber anderweitig verfügbar Interner Link: Zum Anfang der Seite Undercover Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte Anna Erelle Anna Erelle recherchiert in den sozialen Netzwerken, mit welchen Methoden radikale islamistische Organisationen in Europa Jugendliche für den Krieg in Syrien anwerben. Unter dem Deckmantel der jungen Konvertitin Melodie nimmt sie auf Facebook Kontakt mit einem Kommandanten des IS auf und entlockt ihm Informationen über das Söldnerleben in der Kampfzone. Bereitwillig gibt der Mann Auskunft, denn er will Melodie an sich binden. Nach dem Erscheinen ihres Buchs wurde die Autorin vom "IS" mit einer Fatwa bedroht und lebt nun unter Polizeischutz. 4/2016 | Knaur TB | 272 Seiten | Taschenbuch: 9,99 Euro | E-Book: 9,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: droemer-knaur.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Mein Sohn, der Salafist. Wie sich mein Kind radikalisierte und ich es nicht verhindern konnte Neriman Yaman Was ist, wenn man bemerkt, wie sich der eigene Sohn radikalisiert? Neriman Yaman ist die Mutter von Yusuf, der im April 2016 im Alter von 16 Jahren ein Sprengstoffattentat auf einen Sikh-Tempel in Essen verübte. Neriman Yaman schildert, wie Yusuf sich immer weiter von seiner Familie entfremdete und immer tiefer in die Parallelwelt des Salafismus abrutschte. Yaman versuchte, ihn von seinen neuen Freunden zu lösen. Sie suchte Hilfe bei den verschiedensten Stellen: Bei Moscheen, beim Jugendamt, beim Schulamt, bei der Beratungsstelle "Wegweiser". Dennoch kam es zu dem Anschlag. 10/2016 | mvgverlag | 256 Seiten | Hardcover: 19,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: m-vg.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen Söhnen Joachim Gerhard, Denise Linke Joachim Gerhard erzählt, wie seine beiden Söhne innerhalb kurzer Zeit zum Islam konvertierten, sich radikalisierten und sich im Alter von 19 und 23 Jahren in Syrien dem "Islamischen Staat" angeschlossen haben. Das Buch berichtet von den Versuchen des Vaters, Kontakt zu ihnen aufzunehmen und sie aus Syrien zurückzuholen. 9/2016 | Fischer Taschenbuch | 224 Seiten | Taschenbuch: 14,99 Euro | E-Book: 12,99 Euro) Zur Bestellung auf Externer Link: fischerverlage.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Ich war ein Salafist. Meine Zeit in der islamischen Parallelwelt Dominic Musa Schmitz Dominic Musa Schmitz konvertierte als 17-Jähriger zum Islam und war in der deutschen Salafisten-Szene aktiv. Er begleitete den Prediger Pierre Vogel und arbeitete mit Sven Lau zusammen. Schmitz ist aus der Szene ausgestiegen und hat seine Erfahrungen dokumentiert. In seinem Buch schildert er, warum er als junger Deutscher den radikalen Islam attraktiv fand, wie er die Zeit in Salafisten-Kreisen erlebte und wie die Szene-Netzwerke in Deutschland funktionieren. Zudem geht es darum, wie er sich Schritt für Schritt von der Bewegung löste. 2/2016 | Ullstein | 256 Seiten | E-Book: 14,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: ullstein-buchverlage.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Black Box Dschihad Martin Schäuble Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine, Daniel, wächst in einer gut situierten deutschen Familie auf, besucht das Gymnasium und begeistert sich für Hip-Hop. Der andere, Sa'ed, stammt aus den Palästinensergebieten, teilt sich ein Zimmer mit acht Geschwistern und bricht früh die Schule ab. Trotz aller Unterschiede vereint die beiden ein Ziel: Sie wollen kämpfen im Dschihad. In parallel erzählten Biografien zeichnet Martin Schäuble ihr Leben und ihren Weg in den "heiligen" Krieg nach. 3/2011 | Hanser Verlag | 224 Seiten | Taschenbuch: 14,90 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: hanser-literaturverlage.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-02-06T00:00:00"
"2021-08-05T00:00:00"
"2023-02-06T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/infodienst/337775/biografien-autobiografien/
Warum und wie radikalisierten sich Jugendliche? Was unternehmen Familien, um ihre Töchter und Söhne aus dem "IS"-Gebiet zurückzuholen? Wie sah das Leben im "Islamischen Staat" aus?
[ "Biografien", "Autobiografien", "Islamismus", "IS-Rückkehrer", "IS-Rückkehrerinnen", "IS-Anhänger", "Islamischer Staat (IS)", "Radikalisierung", "Prävention" ]
30,618
M 01.07 Datenauswertung AG 1: Politische Einstellungen | Bundestagswahl 2017 | bpb.de
Arbeitsaufträge Partnerarbeit: Beschreibt, worum es bei den Diagrammen geht. Notiert stichpunktartig, welche Informationen ihr den Diagrammen entnehmen könnt. Überprüft in Abb. 1, ob es im zeitlichen Verlauf (von 2002 zu 2015) markante Unterschiede bzw. Verschiebungen gibt. Kann man eine generelle Tendenz zu mehr oder weniger Politikinteresse im Verlauf des Zweiraums ablesen? Vergleicht: Gibt es im zeitlichen Verlauf (von 2009 zu 2013) markante Unterschiede bzw. Verschiebungen? Kann man eine generelle Tendenz zu … ablesen? Bringt in Abb. 2. die genannten Möglichkeiten in einer Rangfolge: Welche Möglichkeit wird als besonders geeignet angesehen, das politische Interesse junger Leute zu verstärken, welche am wenigsten? Gruppenarbeit: Vergleicht die Ergebnisse der Studie mit den entsprechenden Ergebnissen aus eurer eigenen Befragung (Fragen 1 und den Block 36-41 des Musterfragebogens, ggf. auch weitere Fragen zur Thematik, z.B. 35): Erstellt, sofern noch nicht geschehen, auf Basis eurer selbst erhobenen Daten Auswertungsdiagramme passend zu den Themen der Vergleichsdaten. Analysiert eure Diagramme und vergleicht die Ergebnisse mit denen der Vergleichsstudien: Arbeitet heraus, inwieweit eure Ergebnisse sich mit den Ergebnissen der anderen Studien decken bzw. wo sie voneinander abweichen. Diskutiert mögliche Gründe für Abweichungen. Haltet schriftlich fest, welche Haupterkenntnisse ihr euch aus der Analyse der Daten merken und für euer Plakat verwenden möchtet. Das Arbeitsmaterial ist alsInterner Link: PDF-Datei abrufbar
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2017-07-03T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/grafstat-bundestagswahl-2017/251677/m-01-07-datenauswertung-ag-1-politische-einstellungen/
Mithilfe von Vergleichsdaten aus ausgewählten Studien können die Schülerinnen und Schüler die Ergebnisse der eigenen Erhebung einordnen.
[ "Bundestagswahl 2017" ]
30,619
Einleitung | VorBild – Politische Bildung für Förderschulen und inklusive Schulen | bpb.de
Lebendige politische Bildung an Förderschulen VorBild besteht aus thematischen Unterrichtsmodulen, die jeweils mehrere Bausteine bzw. Unterrichtseinheiten mit Unterrichtsmaterialien beinhalten. Das Besondere am VorBild-Projekt ist die Verknüpfung von eher unbewusst und beiläufig erlebter, impliziter mit absichtlich und bewusst aufgenommener, expliziter politischer Bildung: Die Verbesserung von sozialen Kompetenzen der Schüler:innen kann einerseits helfen, die politischen Aspekte des sozialen Lernens ganz allgemein zu entfalten. Anderseits adressiert VorBild direkt die Stärkung demokratischer Kompetenzen und widmet sich den Themen politischer Bildung im engeren Sinne. Im VorBild-Projekt wurden bisher Unterrichtsmaterialien zu den folgenden Themen erarbeitet: Interner Link: Basiskompetenzen sozialen Lernens Interner Link: Selbstvertrauen und Vertrauen in Andere Interner Link: Demokratie und Partizipation Interner Link: Menschenrechte und Grundrechte Die VorBild-Module stellen konkrete Vorschläge für den Unterrichtsablauf und multimediale Arbeitsmaterialien (Filme, Hörstücke und Arbeitsblätter) zur Verfügung: Die Schulungsfilme richten sich insbesondere an Lehrkräfte. Sie führen allgemein in die jeweilige Thematik eines Moduls ein und enthalten zur Vorbereitung und Orientierung Unterrichtsbeispiele aus der Schulpraxis der VorBild-Kooperationsschulen. Die Unterrichtsfilme und Hörspiele für Schüler:innen sind direkt für den Einsatz im Unterricht konzipiert, sodass sie die VorBild-Module multimedial unterstützen. Die zur Verfügung stehenden pdf-Arbeitsblätter können ausgedruckt und vervielfältigt werden; sie vereinfachen die Durchführung der Unterrichtseinheiten. VorBild ist gestartet als ein Angebot zur Vermittlung politischer Bildung an Förderschulen. Dort ist politische Bildung nach wie vor eine Ausnahme, denn in den meisten Bundesländern gab es und gibt es bis heute keinen expliziten Politikunterricht an Förderschulen. Aus demokratischer Perspektive wird so eine problematische Entwicklung festgeschrieben: Die fehlende Verankerung politischer Bildung führt zu einer geringen Beteiligung von (ehemaligen) Förderschüler:innen an politischen Prozessen. Ihre Interessen werden kaum politisch vertreten. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, wurden im VorBild-Projekt zielgruppengerechte Unterrichtsmaterialien entwickelt. Im Zuge der Etablierung inklusiver Schulen haben Kinder mit besonderem Förderbedarf, die an Regelschulen unterrichtet werden undnoch immer bundesweit die Minderheit sind, Zugang erhalten zu regulärem Politikunterricht. Allerdings sind die politikdidaktischen Unterrichtsmaterialien noch nicht genügend auf Inklusion abgestimmt. Die entwickelten VorBild-Materialien tragen auf zweifache Weise zu einer inklusiven politischen Bildung bei: zum einen dadurch, dass die Unterrichtsmaterialien für Kinder mit und ohne besonderen Förderbedarf, das heißt für schulische Inklusion geeignet sind, und zum anderen dadurch, dass durch den Einsatz in inklusiven Schulsettings, inklusive Haltungen und Kompetenzen aller Schüler:innen und Lehrpersonen gestärkt werden. Die Module eignen sich besonders für den Einsatz im Unterricht der Jahrgangsstufen 5 bis 7. Die vollständigen VorBild-Materialien stehen auf den Seiten dieses Dossiers zur Verfügung. Die Module "Die Basiskompetenzen des sozialen Lernens" und "Demokratie und Partizipation " können zudem auf DVD bestellt werden: Interner Link: DVD1: VorBild Politische Bildung für Förderschulen-Zielgruppenspezifische Unterrichtsmodule 1+4 Interner Link: Hintergrund 2013: Zur Notwendigkeit des "VorBild"-Projektes aus der Startphase Lebendige politische Bildung an Förderschulen
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-07-20T00:00:00"
"2012-12-18T00:00:00"
"2022-07-20T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/vorbild/151980/einleitung/
VorBild ist ein Angebot zur Vermittlung politischer Bildung mit und ohne besonderen Förderbedarf. Grundlegende Kompetenzen für demokratische Handlungsbefähigung wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl werden ebenso vermittelt wie
[ "VorBild", "Politische Bildung", "Förderschulen" ]
30,620
Partei der Humanisten (Die Humanisten) | Europawahl 2019 | bpb.de
Gründungsjahr 2014* Mitgliederzahl 800* Vorsitz Robin Tiedemann* Wahlergebnis 2014 nicht angetreten *nach Angaben der Partei Die "Partei der Humanisten" (Die Humanisten) wurde 2014 in Berlin gegründet und ging aus einer Facebook-Gruppe mit dem Namen "Initiative Humanismus" hervor. Sie versteht sich als "liberal, sozial und progressiv". Bislang unterhalten Die Humanisten Landesverbände in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Sie traten bei der Bundestagswahl 2017 zum ersten Mal bei einer Wahl an. Zwischen ihnen und der seit 2006 inaktiven "Humanistischen Partei" (HP) bestehen keine Verbindungen. Die Humanisten vertreten nach eigener Darstellung einen säkularen Humanismus und gehen davon aus, "dass die Vorgänge im Universum Naturgesetzen folgen, ohne Eingriffe durch Götter oder höhere Mächte". Die Partei legt Wert auf ein "naturalistisches, kritisch-rationales und wissenschaftliches Weltbild" und eine Perspektive, "die den Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt". Wichtiges Kernthema der Partei ist die Säkularisierung, denn aus ihrer Sicht werden die Stimmen von Atheisten und Konfessionslosen in der Politik nicht ausreichend gehört. Aus historischen und organisatorischen Gründen bestehe ein politisches Ungleichgewicht zwischen dem Einfluss der Kirchen und den Stimmen von Nicht-Gläubigen und Konfessionslosen. Die Humanisten beschreiben Religion als Privatsache. Die HUMANISTEN treten mit einer gemeinsamen Liste für alle Bundesländer an. (© TUBS/bpb) Die Humanisten treten neben der Säkularisierung des Staates für die schrittweise Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein. Der Besitz und Handel mit Rauschmitteln wie etwa Cannabis soll legalisiert werden. Netzpolitisch fordern sie, das Konzept der Netzneutralität gesetzlich zu verankern. Für mehr Wettbewerb und Innovationen wird auch eine Verkürzung der Nutzungsdauer von Patenten angestrebt. Steuerfinanzierte Forschungsergebnisse sollen für die Öffentlichkeit frei verfügbar sein. Außerdem tritt die Partei für ein Recht auf aktive Sterbehilfe ein. Die Europäische Union soll, so die Humanisten, zu einer Bundesrepublik Europa werden. Die Humanisten fordern zudem eine europaweite Armee, eine einheitliche Migrationspolitik sowie gemeinsame zentrale Ministerien für Außen-, Sicherheits- und Handelspolitik. Gründungsjahr 2014* Mitgliederzahl 800* Vorsitz Robin Tiedemann* Wahlergebnis 2014 nicht angetreten *nach Angaben der Partei Die HUMANISTEN treten mit einer gemeinsamen Liste für alle Bundesländer an. (© TUBS/bpb)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2019-05-07T00:00:00"
"2019-04-11T00:00:00"
"2019-05-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/parteien/wer-steht-zur-wahl/europawahl-2019/289317/partei-der-humanisten-die-humanisten/
Die Humanisten vertreten eine Weltsicht, die auf Naturgesetzen und Wissenschaft und nicht auf Göttern oder höheren Mächten gründet. Sie treten daher für eine Säkularisierung des Staates ein. Die EU soll zu einer Bundesrepublik Europa werden, mit geme
[ "Die Partei der Humanisten (Die Humanisten)" ]
30,621
Analyse: Die Autokephaliebestrebung als Spiegelbild des Kampfs um die Unabhängigkeit von Russland | Ukraine-Analysen | bpb.de
Zusammenfassung Seit dem Euromaidan und den Folgeereignissen wie der Annexion der Krim durch Russland und dem Konflikt im Donbass versucht die ukrainische Regierung, den Einfluss Russlands zu unterbinden. Mit dem russisch-ukrainischen Konflikt wird nun auch die Frage der Religion stark politisiert und die Versuche, sich weiter von Russland abzugrenzen, erreichen die religiöse Ebene. Mit der jüngsten Entscheidung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche die Autokephalie verleihen zu wollen, scheint die kirchliche Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat nur noch eine Frage der Zeit. Das birgt einerseits die Chance, innerukrainische Kirchenkonflikte zu beenden, sorgt aber gleichzeitig für neue Spannungen im Verhältnis zu Russland. Innen- und außenpolitische Aspekte Seit April dieses Jahres wird in der Ukraine intensiv über eine Ukrainische Autokephale Kirche diskutiert. Autokephale Kirchen sind orthodoxe Kirchen, die unabhängig sind. Im Vordergrund steht dabei die Annahme eines Einflusses Moskaus auf die Orthodoxe Kirche in der Ukraine, der unterbunden werden soll. Autokephale Kirchen unterstehen nicht dem Patriarchen eines anderen Landes, sondern haben ihr eigenes Oberhaupt und sind offiziell von den anderen orthodoxen Kirchen als eigenständig anerkannt. Das Streben nach Autokephalie und die Verleihung der Autokephalie sind im Prinzip kirchliche Angelegenheiten, in welche eine Einmischung der Politik nicht vorgesehen ist, zumal die Trennung von Staat und Kirche auch in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben ist. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat nun im April den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomäus I., welcher als "Primus inter Pares" den Ehrenvorsitz unter den orthodoxen Patriarchen hat, um die Gewährung eines Tomos (kirchlicher Erlass) zur Autokephalie für die orthodoxe Kirche in der Ukraine gebeten und damit eine Kette von Ereignissen und Reaktionen sowohl auf kirchlicher als auch auf politischer Ebene ausgelöst. Er betonte, die Autokephalie sei für sein Land ebenso wichtig wie der Schutz der Sprache, die Stärkung der Armee und das Streben nach einer EU- und NATO-Mitgliedschaft. Bei einer Abstimmung am 19. April sprach sich dann auch das ukrainische Parlament mit großer Mehrheit für eine autokephale Kirche in der Ukraine aus und bekräftigte die Bitte des Präsidenten. Damit haben sich politische Institutionen eindeutig in den religiösen Bereich eingemischt. In der Geschichte der Ukraine stand die Frage nach der Autokephalie schon mehrfach auf der politischen Agenda und jedes Mal stand das Streben nach Unabhängigkeit von Russland dabei im Vordergrund, mit der Argumentation, dass ein unabhängiger ukrainischer Staat eine unabhängige Kirche benötige. Dies wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert, als sich unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges für kurze Zeit ein erster ukrainischer Staat konstituiert hatte. Es war die Geburtsstunde der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK), die 1918 entstand und – nachdem sie in der Sowjetunion verboten und zu Beginn der 1990er Jahre wieder aktiv wurde – heute eine der drei orthodoxen Kirchen in der Ukraine ist. In den 1990er Jahren wiederholten sich die Bemühungen um eine unabhängige ukrainische Kirche. Gleich nach der Unabhängigkeit der Ukraine, im Jahre 1991, hatte der erste ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk die Bemühungen um eine unabhängige ukrainische Kirche unterstützt, was damals aber lediglich zu einer weiteren Kirchenspaltung geführt hatte, da das Projekt nicht von allen Bischöfen unterstützt worden war. Aus der damaligen Abspaltung entstand das Kiewer Patriarchat. Auch der dritte ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko hatte den Versuch unternommen, eine ukrainische Nationalkirche zu etablieren, war aber ebenfalls gescheitert. Die aktuelle Politisierung der Autokephalie-Bestrebungen hängt mit dem ukrainisch-russischen Konflikt zusammen. Der ukrainische Präsident enthob das Bestreben nach Autokephalie seines eigentlich religiösen Charakters, indem er es nationalpolitisch interpretierte und gar nicht erst verhehlte, dass es sich um Geopolitik handele. Poroschenko räumte ein, dass eine eigene Kirche auch der Garant geistiger Freiheit sei, doch vor allem verknüpfte er die Frage nach der Autokephalie von Beginn an mit der Frage der ukrainischen Unabhängigkeit. So betonte er immer wieder, wie wichtig eine unabhängige orthodoxe Kirche für den unabhängigen Staat sei. Er bezeichnete diese sogar als Säule sowohl der ukrainischen Nation als auch der ukrainischen nationalen Sicherheit. Russland verliere – so Poroschenko wörtlich – nun seinen letzten Einflusshebel auf seine frühere Kolonie. Aus kirchlicher Perspektive geht es bei der Autokephalie weniger um nationale Sicherheit als vielmehr darum, eine Einheit der orthodoxen Gläubigen in der Ukraine wiederherzustellen – eine mehr als schwierige Herausforderung. Die konfessionelle Situation in der Ukraine In der Ukraine existieren seit der Mitte der 1990er Jahre drei orthodoxe ukrainische Kirchen. Es ist gerade die größte Kirche, nämlich die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK-MP), welche mit dem Moskauer Patriarchat zumindest strukturell verbunden ist. Sie weist zahlenmäßig die meisten Gemeinden (mehr als 12.000) und Klöster auf. Offiziell gehört sie zwar zum Moskauer Patriarchat, dessen Oberhaupt der russische Patriarch Kyrill I. ist, aber seit 1990 ist sie in ihrer Verwaltung selbstständig und auch ihr Oberhaupt wird in der Ukraine von den dortigen Bischöfen gewählt. Vor 1990 existierte in der sowjetischen Ukraine ein ukrainisches Exarchat (Verwaltungsbereich) der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK), welches dann die oben erwähnten Rechte erhielt und in Ukrainisch-Orthodoxe Kirche umbenannt wurde. Die anderen beiden orthodoxen Kirchen waren aus dem Bestreben heraus entstanden, sich vom Moskauer Patriarchat zu lösen, wurden von der Weltorthodoxie aber bis vor kurzem noch nicht anerkannt. Die zweite große orthodoxe Kirche ist die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK-KP). Diese ging 1992 aus einer Abspaltung von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche hervor und verfügt mit etwas mehr als 5.000 Kirchengemeinden zwar nur halb so viele die die UOK-MP. Jedoch zählt sich die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen heute zum Kiewer Patriarchat zugehörig (s. Grafik 3 auf S. 7 und Grafik 4 auf S. 8). Die dritte orthodoxe Kirche ist die erwähnte Ukrainische Autokephale Kirche, die im Vergleich zu den beiden anderen orthodoxen Kirchen jedoch nur wenige Gemeinden besitzt. Zwischen den Anhängern der einzelnen Kirchen kam es seit den 1990er Jahren immer wieder zu – teils gewalttätigen – Auseinandersetzungen um Kirchenbesitz oder den Wechsel von Gemeinden von einer orthodoxen Kirche zur anderen. Diese Konflikte würden mit einer Vereinigung der orthodoxen Kirchen wegfallen. Wie russisch ist die UOK-MP? Im Kontext des russisch-ukrainischen Konfliktes beobachtet man die UOK-MP kritisch und unterstellt ihr, das Sprachrohr Moskaus in der Ukraine zu sein. Gleichzeitig ist der Einfluss des Moskauer Patriarchates auf die UOK-MP begrenzt. Bereits seit 1990 bestimmt in Kiew ein eigenes Bischofskonzil über die Belange der Kirche. Die 1990 vom Moskauer Patriarchat ausgearbeitete Kirchensatzung wurde 2007 ohne Rücksprache mit dem Patriarchat geändert. Die UOK-MP unterstützte 2013 und 2014 in ihren offiziellen Stellungnahmen die von der ROK und der russischen Politik dämonisierte Europapolitik der Ukraine, schloss sich also nicht der Position aus Moskau an. Festzuhalten bleibt aber auch, dass ein Kurswechsel innerhalb der UOK-MP stattgefunden hat. Hatte das frühere Oberhaupt Metropolit Wolodymyr (Sabodan, 1992–2014) die Frage der Autokephalie in seiner Amtszeit offengelassen und diese in seinem geistlichen Testament gar als Krönung aller Bemühungen bezeichnet und das Ukrainische als Liturgiesprache erlaubt, so nahm sein Nachfolger Metropolit Onufrij (Beresowskyj, seit 2014) eine konservative Haltung ein. Onufrij lehnt die momentanen Bestrebungen nach einer autokephalen Kirche ab und fordert eine Rückkehr zum Kirchenslawischen als Liturgiesprache. Dennoch sollte Onufrij weniger als prorussisch oder gar antiukrainisch, sondern insgesamt als konservativ und wenig sensibel für die aktuelle Situation in der Ukraine bezeichnet werden. Vor allem die fehlende Kritik des Moskauer Patriarchates an der aktuellen Politik Russlands gegenüber der Ukraine wirkte sich negativ auf die UOK-MP aus und machte diese zusätzlich unbeliebt. Auch wenn einige Metropoliten und Priester prorussische Einstellungen vertreten, haben sich seit 2014 auch im Klerus der UOK-MP neue Formen des nationalen Bewusstseins entwickelt. So gibt es durchaus proukrainische Vertreter der UOK-MP, die z. B. die Rückgabe der Krim an die Ukraine fordern. Dennoch bekam die UOK-MP die Folgen des Konflikts unmittelbar zu spüren: viele ihrer Gemeinden wandten sich dem Kiewer Patriarchat zu. Schon einmal war vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine versucht worden, die UOK-MP vom Moskauer Patriarchat zu trennen und klarzustellen, dass das Kirchenoberhaupt ein Problem sei, da es in Russland residiere. Abgeordnete des ukrainischen Parlaments hatten mit Gesetzentwürfen versucht, die UOK-MP zu marginalisieren (siehe Ukraine-Analysen 187, Externer Link: http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen187.pdf). Bis heute hat das Parlament jedoch nicht über die Entwürfe abgestimmt. Moskau vs. Konstantinopel Obwohl sich der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., bis vor kurzem geweigert hatte, neben der UOK-MP eine weitere orthodoxe Kirche in der Ukraine anzuerkennen – Delegationen des Kiewer Patriarchats hatten seit den 1990er Jahren immer wieder versucht beim Patriarchen vorzusprechen, jedoch ohne Erfolg – versprach er nun, sich der Frage einer autokephalen Kirche in der Ukraine anzunehmen. Der Protest aus Moskau folgte umgehend. Am 31. August kam es zu einem Treffen zwischen Bartholomäus I. und Kyrill I., welches aber keine Ergebnisse in der Autokephalie-Frage brachte. Die Frage, wer berechtigt sei, die Autokephalie für eine ukrainische orthodoxe Kirche zu verleihen, blieb strittig. Sowohl der Patriarch von Konstantinopel als auch der Moskauer Patriarch nahmen dieses Recht für sich in Anspruch. Über die Frage, wie man den Status der Autokephalie erlangen kann, sollte ursprünglich auf dem Panorthoxen Konzil 2016 auf Kreta entschieden werden, doch im Vorfeld konnte kein Konsens erreicht werden und schließlich sagte u. a. die ROK das Treffen ab. Beide Patriarchate stehen nicht erst seitdem in einem angespannten Verhältnis, was unter anderem damit zusammenhängt, dass das Moskauer Patriarchat als größte der orthodoxen Kirchen den Ehrenvorsitz von Bartholomäus I. in der orthodoxen Welt nur widerwillig anerkennt. Die Kiewer Metropolie, deren Oberhäupter seit 1686 offiziell vom Moskauer Patriarchat eingesetzt werden – worauf sich auch der Anspruch der ROK gründet, für Kirchenfragen in der Ukraine zuständig zu sein – war davor dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellt gewesen. Die Ankündigung des Ökumenischen Patriarchen, dass er sich der der Autokephalie-Frage annehmen werde, wurde bei dem Treffen vom russischen Patriarchen hingenommen, welcher im Anschluss sogar angab, das Gespräch sei gut verlaufen. Kaum war die russische Delegation wieder in Moskau eingetroffen, ließ das Moskauer Patriarchat verkünden, dass man überlege, die Beziehungen zum Ökumenischen Patriarchat einzustellen, sollte sich dieses in der Ukraine einmischen. Am 7. September entsandte Bartholomäus I. zwei Exarchen (Vertreter des Patriarchen) nach Kiew, welche vor Ort mit den Vorbereitungen für eine autokephale Kirche in der Ukraine betraut wurden. Entsendungen dieser Art sind üblich, wenn es vor Ort keine kanonische Kirche gibt. In diesem Fall war sie ungewöhnlich, da es mit der UOK-MP bereits eine kanonische Kirche gab. Am 11. Oktober wurden auf der Synode des Ökumenischen Patriarchats in einer Art Fünf-Punkte-Programm Beschlüsse gefasst, welche unter anderem die bis dahin unkanonischen orthodoxen Kirchen in der Ukraine offiziell für kanonisch erklärten. Die Exkommunizierung geistlicher Hierarchen der bis dahin als nichtkanonisch geltenden Kirchen durch die Russisch-Orthodoxe Kirche wurde aufgehoben. Damit ist der Schritt für Gespräche auf Augenhöhe gegeben. Mit einer historischen und kirchenrechtlichen Argumentation enthob die Synode das Moskauer Patriarchat von jeder Zuständigkeit die Kiewer Kirche betreffende Belange: Die Übertragung der Zuständigkeit für die Kiewer Metropolie 1686 an das Moskauer Patriarchat wurde als widerrechtlich eingestuft. Zuständig sei allein das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel. Während in der Ukraine diese Entscheidung selbst bei nichtgläubigen gefeiert wurde und Präsident Poroschenko vom Sieg des Guten über das Böse sprach, hagelte es Kritik aus Moskau. Reaktionen aus Russland Der Pressesprecher des Kremls, Dmitri Peskow, erklärte noch im September, dass man im Kreml beunruhigt sei über eine mögliche Gewährung der Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Man trete in Moskau für die Erhaltung der Einheit der orthodoxen Welt ein, erwarte eine Berücksichtigung der Interessen der Russisch-Orthodoxen Kirche, würde sich jedoch nicht einmischen. Nach der Entscheidung aus Konstantinopel machte jedoch der russische Außenminister die USA für die Spaltung in der Orthodoxie verantwortlich. Die Autokephaliebestrebungen würden von Washington unterstützt. Das Moskauer Patriarchat wertet die Ereignisse als Einmischung in ihr kanonisches Territorium. Festzuhalten bleibt, dass der Verlust der UOK-MP einen Prestigeverlust für die ROK darstellt, welche bisher von den Gemeindezahlen die größte aller orthodoxen Kirchen war. Mit der Autokephalie droht der UOK-MP jedoch der Verlust von bis zu zwei Drittel der Kirchengemeinden in der Ukraine, die wiederum einen beachtlichen Teil der gesamten Kirchengemeinden unter Obhut des Moskauer Patriarchats stellen. Aus Protest über die Entscheidungen des Ökumenischen Patriarchen beschloss der Heilige Synod der ROK am 15. Oktober den Bruch mit dem Ökumenischen Patriarchat. Damit sind alle Kontakte eingestellt und die Gläubigen der beiden Kirchen können nicht mehr zusammen die Kommunion empfangen. Die Folgen Der Prozess zur Erlangung eines Tomos und damit zur Bildung einer vereinigten Ukrainischen Autokephalen Kirche ist mit den jüngsten Entscheidungen in Konstantinopel weiter vorangeschritten. Abgeschlossen werden kann dieser Prozess aber erst, wenn die UOK-KP, die UAOK und die Bischöfe der UOK-MP, die für eine Autokephale Kirche sind, sich in einem vereinigten Konzil versammeln und einen gemeinsamen neuen Vorsteher wählen. Einige Kirchenvertreter halten dies schon Ende 2018 für möglich. Wie und wer das Konzil organisiert ist aber nach wie vor unklar. Vorher sind noch einige Fragen zu klären. Abgesehen von kirchenrechtlichen Aspekten (z. B. die Frage, wer den Tomos wie übergibt) ist nicht geklärt, wie die neue Kirche zukünftig heißen und ob es überhaupt ein Patriarchat werden soll. Poroschenko hatte im Parlament als neuen Namen "Ukrainisch-Orthodoxe Kirche" verkündet. Die UOK-MP müsste sich dann umbenennen. Ob dies geschieht, bleibt offen. Ebenso offen bleibt, ob es zu einer Spaltung der UOK-MP kommt. Eine Petition an den Ökumenischen Patriarchen, eine vereinigte ukrainische Kirche zu unterstützen, hatten nur 10 der 90 Bischöfe der UOK-MP unterstützt, nur zwei davon hatten sich öffentlich dazu bekannt. Jeder Gemeinde ist jedoch offengestellt, sich der neuen Kirche anzuschließen, wenn die Mehrheit dafür plädiert, unabhängig von der Entscheidung des jeweiligen Bischofs. Poroschenko betonte wiederholt, dass es für jeden Gläubigen auch weiterhin möglich sein soll, bei seiner Kirche zu bleiben – auch wenn diese weiterhin mit der ROK verbunden bleiben wolle. Gleichfalls garantiere der Staat den Schutz der Rechte eines jeden Priesters und Gläubigen, sich von der UOK-MP und den Moskauer Strukturen zu lösen und sich dem neuen Kirchenmodell anzuschließen. Die Vereinigung aller in einer autokephalen Kirche sei ein Weg des Friedens und des Verständnisses. Sollte beobachtet werden, wie Kirchen und Klöster mit Gewalt besetzt würden, so sei dies vom Kreml mit dem Ziel organisiert, in der Ukraine einen Religionskrieg zu entfachen. Fazit Poroschenko bezweckt mit seinem Vorgehen zweierlei. Zum einen eine international kirchliche Anerkennung einer ukrainischen Nationalkirche, und zum anderen eine Marginalisierung kirchlicher Verbindungen zum Moskauer Patriarchat. Bei einem Erfolg seines Vorgehens könnte er davon bei den Präsidentschaftswahlen im März 2019 profitieren. Dass das Streben nach Autokephalie in erster Linie nicht unbedingt ein Bedürfnis der gesamten Bevölkerung ist – auch wenn mehr Gläubige für die Autokephalie sind als dagegen – sondern vor allem ein politisches Unterfangen, zeigen die Umfragen des Rasumkow-Zentrums (s. Grafik 1 auf S. 6 und Grafik 2 auf S. 7). Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten der orthodoxen Kirchen steht bei den Gläubigen nicht im Vordergrund. Die meisten Ukrainer besuchen schlicht die Kirche in ihrer Nähe. So ist auch der scheinbare Widerspruch zu erklären, dass die UOK-MP zwar mit Abstand die meisten Gemeinden besitzt, aber bei Umfragen die UOK-KP vorne liegt, wenn es darum geht, welcher Kirche man sich zugehörig fühlte. Die Vereinigung der orthodoxen Kirchen der Ukraine könnte bisherige immer wieder aufflammende Konflikte zwischen den einzelnen Kirchen um Kirchennutzung und -besitz beenden. Auch theologisch könnten von dieser Kirche neue Impulse ausgehen. Die Instrumentalisierung der Politik und der Konflikt zwischen dem Ökumenischen und dem Moskauer Patriarchat erscheinen dagegen weniger positiv. In jedem Fall wird eine neue vereinte Autokephale Ukrainisch-Orthodoxe Kirche die Politiker in Moskau ebenso verärgern wie das Moskauer Patriarchat. Der Anspruch des Moskauer Patriarchats, die Ukraine als historisches Einflussgebiet und Russland, die Ukraine und Belarus als religiös kulturelle Einheit zu betrachten, in welcher keine Separierungen vorgesehen sind, wird energisch zurückgewiesen. Die bisher größte und bis vor kurzem einige UOK-MP wird an Bedeutung verlieren. Den russischen Einfluss und die Aggressionen auf und gegen die Ukraine wird man mit der Entscheidung wohl ebenso wenig vermeiden. Lesetipps Katrin Boeckh, Oleh Turij (Hrsg.): Religiöse Pluralität als Faktor des Politischen. München 2015, ISBN: 978-3-86688-504-2Thomas Bremer, Sophia Senyk: Kann die Geschichte den Konflikt um die ukrainische Autokephalie lösen? Externer Link: https://noek.info/hintergrund/784-kann-die-geschichte-den-konflikt-um-die-ukrainische-autokephalie-loesen?idU=1&idU=1Thomas Bremer: Zur kirchlichen Situation in der Ukraine, Ukraine-Analysen Nr. 43, 09.09.2008, S. 21–24, Externer Link: http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen43.pdf
Article
Von Martin-Paul Buchholz (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz)
"2021-06-23T00:00:00"
"2018-10-29T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/279226/analyse-die-autokephaliebestrebung-als-spiegelbild-des-kampfs-um-die-unabhaengigkeit-von-russland/
Am 11. Oktober hat das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel nach einer Synode der Loslösung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche von Moskau zugestimmt. Weshalb die Autokephaliefrage in der Ukraine als Spiegelbild des Kampfs um die Unabhängigkeit vo
[ "Ukraine-Analyse" ]
30,622
Bevölkerung nach Bundesländern | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
Ende 2018 entfiel die Hälfte der gesamten Bevölkerung Deutschlands auf die drei bevölkerungsreichsten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Gleichzeitig lebten in acht der sechzehn Bundesländer jeweils weniger als drei Millionen Menschen und damit weniger als in Berlin. In allen ostdeutschen Flächenländern sank die Bevölkerungszahl zwischen 1990 und 2018. In Westdeutschland galt dies nur für das Saarland. Fakten Von den 83,0 Millionen Einwohnern in Deutschland Ende 2018 lebte mehr als jeder Fünfte in Nordrhein-Westfalen – der Anteil an der Gesamtbevölkerung lag bei 21,6 Prozent (17,9 Millionen Einwohner). Weitere 15,8 bzw. 13,3 Prozent lebten in Bayern und Baden-Württemberg (13,1 bzw. 11,1 Mio.). Damit entfiel 2018 die Hälfte der gesamten Bevölkerung auf die drei bevölkerungsreichsten Bundesländer (50,7 Prozent). Auf der anderen Seite lebten in den drei bevölkerungsärmsten Ländern Bremen, Saarland und Mecklenburg-Vorpommern zusammen lediglich 3,3 Millionen Einwohner bzw. 4,0 Prozent der Bevölkerung. Ende 2018 lebten in acht der sechzehn Bundesländer jeweils weniger als drei Millionen Menschen und damit weniger als in Berlin (3,6 Mio.). Zwischen 1990 und 2018 (jeweils 31.12.) entwickelte sich die Bevölkerungszahl in den Ländern sehr unterschiedlich. Während die Bevölkerung in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und Schleswig-Holstein um mehr als 10 Prozent zunahm, sank sie – mit Ausnahme von Brandenburg – in den ostdeutschen Flächenländern drastisch. Den prozentual größten Bevölkerungsrückgang zwischen 1990 und 2018 verzeichnete Sachsen-Anhalt: Die Bevölkerungszahl fiel von 2,9 auf 2,2 Millionen und damit um knapp ein Viertel (minus 23,2 Prozent). In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern lag der Bevölkerungsrückgang im selben Zeitraum bei 17,9 bzw. 16,3 Prozent, in Sachsen bei 14,4 Prozent. Das Saarland ist das einzige westdeutsche Bundesland, bei dem zwischen 1990 und 2018 der Bevölkerungsstand insgesamt gesunken ist (minus 7,7 Prozent). Allerdings gab es auch in anderen westdeutschen Bundesländern Phasen des Bevölkerungsrückgangs. So reduzierte sich in den Jahren 2004 bis 2010 die Bevölkerungszahl in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in allen Jahren und in Hessen in fast allen Jahren. Der Grund für den Bevölkerungsrückgang ist, dass in diesem Zeitraum der Wanderungssaldo den Überschuss der Gestorbenen gegenüber den Geborenen nicht ausgeglichen hat. Entsprechend führten die hohen positiven Wanderungssalden ab 2011 zu einer Bevölkerungszunahme in allen westdeutschen Bundesländern (außer dem Saarland) sowie in Berlin. Dies gilt für alle Jahre des Zeitraums 2011 bis 2018. Insgesamt würde die Bevölkerung in Deutschland ohne Nettozuwanderung seit Langem schrumpfen, da seit 1972 die Zahl der Gestorbenen die Zahl der Geborenen jedes Jahr übersteigt und somit die sogenannte natürliche Bevölkerungsbilanz negativ ist. Bayern hat mit 70.542 Quadratkilometern (km²) einen Anteil von knapp 20 Prozent an der Gesamtfläche Deutschlands (357.582 km²). Es folgen die Bundesländer Niedersachsen (13,3 Prozent), Baden-Württemberg (10,0 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (9,5 Prozent). Abgesehen von den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen, auf die lediglich 0,6 Prozent der Gesamtfläche entfallen, sind das Saarland (0,7 Prozent), Schleswig-Holstein und Thüringen (4,4 bzw. 4,5 Prozent) die flächenmäßig kleinsten Länder. Bei einer Betrachtung der Bevölkerungsdichte lagen Ende 2018 die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen mit 4.090, 2.438 bzw. 1.629 Einwohnern je Quadratkilometer an erster Stelle. Aber auch Nordrhein-Westfalen ist auffallend dicht besiedelt: Mit 526 Einwohnern je km² war die Bevölkerungsdichte dort im Jahr 2018 mehr als doppelt so hoch wie in ganz Deutschland (232 Einwohner je km²). Die niedrigste Bevölkerungsdichte fand sich im selben Jahr mit 69 Einwohnern je km² in Mecklenburg-Vorpommern. Es folgten die anderen ostdeutschen Länder Brandenburg (85 Einw. je km²), Sachsen-Anhalt (108 Einw. je km²) und Thüringen (132 Einw. je km²). In Westdeutschland waren im Jahr 2018 Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit 167 bzw. 183 Einwohnern je Quadratkilometer die Bundesländer mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte. Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen Weitere Informationen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland erhalten Sie Interner Link: hier... Zusammen mit der natürlichen Bevölkerungsentwicklung (Differenz Lebendgeburten/Sterbefälle) bestimmen die Wanderungsbewegungen den Bevölkerungsstand insgesamt. Der Anteil beider Faktoren hat sich im Zeitverlauf erheblich verändert. Informationen zu diesem Thema finden Sie Interner Link: hier... Der Wanderungssaldo ist die Differenz zwischen Zu- und Abwanderung. Der Saldo ist positiv, wenn mehr Personen zuwandern als abwandern und negativ, wenn die Abwanderung überwiegt. Quellen / Literatur Statistisches Bundesamt: GENESIS-Online: Bevölkerung: Bundesländer (04/2020); Statistische Ämter des Bundes und der Länder: www.statistikportal.de Statistisches Bundesamt: GENESIS-Online: Bevölkerung: Bundesländer (04/2020); Statistische Ämter des Bundes und der Länder: www.statistikportal.de
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-14T00:00:00"
"2012-02-01T00:00:00"
"2022-01-14T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61535/bevoelkerung-nach-bundeslaendern/
Ende 2018 entfiel die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands auf Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Gleichzeitig lebten in acht Bundesländern jeweils weniger als drei Millionen Menschen.
[ "Bevölkerung nach Ländern", "Bundesländer", "Bevölkerungszahl", "Ostdeutschland", "Westdeutschland", "Bevölkerungsbilanz", "Zahlen und Fakten", "Bevölkerung", "soziale Situation" ]
30,623
Memorial - Diffamiert als "ausländische Agenten" | Deutschland Archiv | bpb.de
Ist Memorial nun verboten? Ja und nein. Memorial ist eine Konföderation von etwas mehr als 60 Organisationen, die meisten davon in Russland, aber beispielsweise auch in der Ukraine, in Deutschland, in Italien, in Tschechien und in Frankreich. Sie alle sind, mit einer Ausnahme, Mitglieder oder Untergliederungen von Memorial International (MI). Die Ausnahme ist Memorial St. Petersburg, das vor einem Jahr ausgetreten ist, um dem Risiko zu entgehen, mit MI unterzugehen. Nicht sonderlich solidarisch (wie auch in internen Memorial-Diskussionen immer wieder bemerkt), aber (soweit vorerst zu sehen) praktisch weitsichtig. Alle russischen Memorial-Organisationen (mit Ausnahme von Memorial St. Petersburg) sind noch einmal Mitglied bei Memorial Russland. Der Grund liegt vor allem in der russischen Gesetzgebung, die MI mit ihren ausländischen Mitgliedsorganisationen nicht alles erlaubt, was dem ausschließlich russischen Memorial Russland möglich ist. Hinzu kommt, dass die russische Öffentlichkeit (und mehr noch die Kreml-Propaganda) Interventionen nicht ausschließlich russischer Organisationen zu russlandinternen Fragen in der Regel nicht gutheißt. Die repräsentativste Memorial-Organisation, auf die sich meist bezogen wird, wenn schlicht von Memorial die Rede ist, MI, dem seit dem Tod des langjährigen Vorstandsvorsitzenden Arsenij Roginskij vor vier Jahren Jan Ratschinskij vorsteht. Er führt einen gegenwärtig 25-köpfigen Vorstand. Zum Vorstand gehören viele Vorsitzende regionaler Memorial-Organisationen, Vorstand und Mitglieder des MRZ und Vertreter/innen nicht-russischer Memorial-Mitgliedsorganisationen. Wie in einer Konföderation üblich, gibt es selbstverständlich mitunter Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Einschätzungen. Allerdings bemühen sich die Memorial-Mitgliedsorganisationen über den Vorstand von MI um eine konsolidierte Position zu den wichtigsten politischen und rechtlichen Fragen. Bisher gelingt das, trotz der zunehmend gefährlichen Zeiten, recht gut. Berufung und Weg zum Europäischen Gerichtshof Wie eingangs geschrieben, sind die beiden am 28. und 29. Dezember 2021 ergangenen Urteile noch nicht rechtskräftig. MI und MRZ werden beide in die Berufung gehen. Dafür haben sie jeweils 30 Tage Zeit. Sollten die Schließungsurteile in der nächsten Instanz bestätigt werden (wovon gegenwärtig auszugehen ist), werden die Urteile rechtskräftig, unabhängig von weiteren juristischen Schritten von MI und MRZ, die beide erklärt haben, letztlich bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen. Solange die Urteile nicht rechtskräftig sind, arbeiten MI und MRZ weiter wie bisher. Doch auch, wie es danach weitergeht (weitergehen kann) ist noch unklar. Zwar liegen auch die schriftlichen Urteilsbegründungen inzwischen vor. Das Gericht hat aber nicht erklärt, was mit dem Besitz von MI passieren soll. Auch die Frage, was das Gericht unter Untergliederungen versteht, die im Urteil ausdrücklich ebenfalls liquidiert worden sind, bleibt unklar. Überblick: Die Geschichte, Bedeutung und Verfolgung vom Memorial Der Name Memorial („Denkmal“ und auch "Gewissen") ist Programm. Es geht um Erinnerung. Erinnerung an die finstersten Momente in der sowjetischen (und damit auch der russischen) Geschichte des 20. Jahrhunderts, in erster Linie an die stalinistischen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung. Gegründet wurde Memorial gewissermaßen dreimal. Einmal 1987, als noch nicht klar war, wohin die von Michail Gorbatschow ausgerufenen Perestroika und Glasnost führen würden. Das war eine informelle Gründung. 1987 durfte es in der Sowjetunion noch keine vom Staat (sprich: der Kommunistischen Partei KPdSU) unabhängige Organisationen geben. Im Januar 1989, kurz vor den ersten wirklich freien Parlamentswahlen, folgte dann die formale Gründung mit dem ehemaligen Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow an der Spitze. Dies geschah auf einer Welle breiter Unterstützung aus der Bevölkerung. Millionen Menschen gingen unter dem Motto „Wir wollen wissen“ auf die Straße. Sie wollten wissen, was unter Stalin mit ihren Angehörigen, Freund*innen und Kolleg*innen passiert war. Sie forderten die Öffnung der Archive. Memorial war ihr Zusammenschluss. Kurz darauf zerfiel die Sowjetunion und Memorial gründete sich ein drittes Mal. Nun als Memorial International (MI), da sich viele Mitgliedsorganisationen, von Moskau aus gesehen, nun im Ausland wiederfanden. Damit ist das wichtigste Strukturmerkmal Memorials angesprochen. Es handelt sich um ein demokratisches Netzwerk. Die meisten der rund 60 Mitgliedsorganisationen dieses Netzwerks, heute etwa vier Fünftel, befinden sich in Russland, einige in der Ukraine und je eine in Deutschland, Tschechien, Belgien, Frankreich und Italien. Neben vielen territorialen Memorial-Mitgliedern, wie Memorial Perm, Memorial Woronesch oder Memorial Rjasan gibt es einige fachlich orientierte Memorial-Organisationen, wie das in Moskau angesiedelte Menschrechtszentrum (MRZ), das Wissenschaftlich-Historische Aufklärungszentrum (NIPC) und das St. Petersburger Wissenschaftlich-Historische Zentrum (NIC). Letztere widmen sich der Erforschung politischer Verfolgung in der und durch die Sowjetunion. Grundlage der Arbeit von Memorial war von Beginn an ein Dreiklang: Die Erinnerung an Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit, die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in der Gegenwart und die soziale Sorge um Opfer politischer Verfolgung. Dahinter steht die Überzeugung, dass es kein demokratisches Gemeinwesen geben kann, in dem eine dieser drei Komponenten fehlt. Gleichzeitig wird hier deutlich, warum Memorial für keinen Staat ein bequemer Partner werden konnte und sein kann. Schon in den 1990er Jahren, noch unter Präsident Boris Jelzin, störte Memorial (wie andere Menschenrechtsorganisationen auch) mit seiner Kritik vor allem am blutigen Bürgerkrieg in Tschetschenien. Allerdings verhinderte das verbindende Band, unter allen Umständen eine kommunistische Renaissance zu verhindern, einen Bruch zwischen dem Netzwerk und der Jelzin-Regierung. Das wurde ab 2000 unter dem neuen Präsidenten Wladimir Putin schnell anders. Memorial und der russische Staat unter Putin Der Mitte der 1960er-Jahre im ersten nach-stalinschen Dissidentenprozess angeklagte Schriftsteller Andrej Sinjawskij prägte das Bonmot, er habe „mit der Sowjetmacht ausschließlich stilistische Differenzen“. Memorial bekam mit Putin von Anfang ebenfalls solche „stilistischen“ Probleme. Marina Pawlowa-Silwanskaja, eine Journalistin und enge Freundin von Memorial, sagte in jenen Jahren einmal, Putin erinnere sie an einen KGB-Agenten, der mit einer Akte unter den Achseln durch die Korridore des KGB-Hauptquartiers Lubjanka laufe. Größere stilistische Unterschiede als die zwischen dem quirligen zweistöckigen, roten und für alle offenen Backsteingebäude Memorials und dem massiven, durch Zäune, Gitter und Wachen abgesicherten Gebäudeblocks des sich nun Föderaler Sicherheitsdienst (FSB) nennenden russischen Geheimdienstes am Lubjanka-Platz sind tatsächlich kaum vorstellbar. Putin und Memorial stießen aber von Anfang an auch in zumindest drei sehr politisch-inhaltlichen Fragen zusammen: in der Frage wie an die sowjetischen Verbrechen erinnert werden sollte, in der Frage der Einhaltung von Menschenrechte im neuen, russischen Staat und in der Frage, wie frei und unabhängig (vom Staat) sich Bürgerinnen und Bürger organisieren und für ihre Interessen einsetzen (dürfen). Die Notwendigkeit der Erinnerung an die stalinistischen Verbrechen und politische Verfolgung in der Sowjetunion steht dabei nicht grundsätzlich in Frage. Wladimir Putin selbst hat 2007 bei einem Besuch des Erschießungsplatzes Butowo im Süden Moskaus davon gesprochen, dass sich der Terror nicht wiederholen dürfe. In Butowo wurden zwischen August 1937 und Oktober 1938, während des sogenannten Großen Terrors, über 20.000 Moskauerinnen und Moskauer erschossen und verscharrt. Heute erinnert eine Gedenkstätte an sie, die von Memorial, der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Staat gemeinsam geschaffen wurde. Im Moskauer Zentrum weihte Putin 2017 ein zentrales Denkmal zur Erinnerung an die Opfer politischer Verfolgung, die so genannte Klagemauer, ein. Auch an ihrer Konzeption hatte Memorial mitgearbeitet. Hier beginnt aber auch schon der Unterschied, den wohl der 2017 verstorbene langjährige Memorial-Vorsitzende Arsenij Roginskij in einem 2008 gehaltenen Vortrag zur Erinnerung an den Stalinimus am deutlichsten herausgearbeitet hat: Der russische Staat unter Putin erinnere an die Opfer, aber er verschweige die Täter(schaft). Das präge sich dann so aus: Die Täter haben keine Namen, vor allem aber bleibt unbenannt, dass sie im Namen des sowjetischen Staates handelten, als dessen Nachfolger sich der heutige russische Staat versteht. Der Terror wird so zu einer Art Naturkatastrophe. Schrecklich ohne Frage. Aber die Verantwortung für den Terror bleibt im Ungefähren. Zusammen mit dem (verständlichen) Kult um den Sieg im Zweiten Weltkrieg, der unter Führung Stalins vom sowjetischen Volk errungen wurde, führe diese Namenlosigkeit dann, so Roginskij, hinter dem Rücken der Akteure zu einer Rehabilitation Stalins, die sich in steigenden Zustimmungsraten für den sowjetischen Diktator ausdrücke. Memorial erinnert immer wieder an diesen Widerspruch und eckt damit an einer staatlichen Geschichtskonzeption an, die vor allem die positiven Seiten betont und Russland als ein immer wieder angegriffenes Land darstellt, dass sich nur verteidige. Der Tschetschenienkrieg als Dauerthema Am Beginn von Putins Präsidentschaft steht der zweite Tschetschenienkrieg. Memorial gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritiker*innen der in diesem Krieg begangenen Menschenrechtsverletzungen. Memorial kritisiert auch heute noch das Terrorregime, das der Putin-Verbündete Ramsam Kadyrow in Tschetschenien aufgebaut hat. Memorial verurteilt die mitunter wahllose Einordnung von Menschen und Organisationen als extremistisch oder gar terroristisch. Das betrifft islamistische Organisatioen wie Hizb ut-Tahrir ebenso wie die Zeugen Jehovas, deren Angehörige nach Zählung von Memorial heute die größte Gruppe von Gefangenen in russischen Gefängnissen ausmachen, die allein wegen ihres Glaubens inhaftiert sind. Memorial unterstützt Opfer politischer Verfolgung juristisch gegen den russischen Staat, wenn es sein muss, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Und Memorial hat damit Erfolg. Das MRZ hat zusammen mit seinen Anwälten bereits mehr als 100 Verfahren vor dem EGMR gewonnen. Die Memorial-Mitgliedsorganisation Bürgerbeteiligung (russisch: Graschdanskoje Sodejstwije) betreibt ein Netzwerk von über 50 Beratungspunkten für Flüchtlingen und Binnenmigrant*innen. Wladimir Putin hat, seit er 2000 Präsident wurde, alle gesellschaftlichen Institute unter Kontrolle des Staates und somit seine Kontrolle gebracht. Das war oft nicht leicht und geschah mitunter gegen harten und langanhaltenden Widerstand. Im Fall der unabhängigen russischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) stand Memorial ganz vorne in der Front. Memorial gehörte Anfang der 2000er-Jahre zu den Initiator*innen eines Klubs von NGOs namens Narodnaja Assambleja (deutsch etwa: Volksversammlung), der vom Kreml de facto als Verhandlungspartner in NGO-Fragen anerkannt wurde. Memorial focht 2005/2006 an vorderster Front gegen das damals alle NOG-Arbeit erheblich erschwerende NGO-Gesetz. Memorial organisierte 2011 Trainings für Wahlbeobachter*innen, die die flächendeckende zivilgesellschaftliche Kontrolle der Parlamentswahlen am 4. Dezember des Jahres in Moskau erst möglich machten. Aktivistinnen und Aktivisten von Memorial gründeten in der auf den Protestwinter 2011/2012 folgenden Repressionswelle OWD-Info, das bis heute aufmerksam und minutiös Rechtsverletzungen von Polizei und anderen Sicherheitsorganen registriert, veröffentlicht und den Festgenommenen mit juristischer Hilfe zur Seite steht. OWD-Info ist heute Teil des Moskauer Menschenrechtszentrums MRZ. So war es kein Wunder, dass Memorial International, ebenso wie das MRZ und eine Reihe anderer Memorial-Organisationen zu den ersten gehörten, die ab 2014 vom Staat zu sogenannten ausländischen Agenten erklärt wurden. Auch dagegen legte Memorial, zusammen mit zahlreichen anderen russischen Menschrechtsorganisationen vor dem EGMR Beschwerde ein. Memorial und die russische (Zivil-)Gesellschaft unter Putin Mit seiner Größe, seiner inneren demokratischen Struktur und eines über lange Jahre in der Menschenrechts- und der Erinnerungsarbeit erworbenen hohen moralischen Ansehens ist Memorial zu einer Organisation geworden, die man ohne Übertreibung, in Anlehnung an das Bankenwesen, als systemrelevant bezeichnen kann. Dazu trägt auch die landesweite Präsenz durch die insgesamt knapp 50 regionalen Memorial-Organisationen bei. Nicht nur in Moskau und St. Petersburg hat sich Memorial zu einem Kern der ja mit 30 Jahren noch recht jungen russischen Zivilgesellschaft entwickelt. Das gelang selbstverständlich nicht allein, sondern immer, siehe Narodnaja Assambleja, in enger Zusammenarbeit mit anderen unabhängigen NGOs. Aber die Rolle Memorials ist fraglos eine herausragende. Dazu hat auch die schrittweise Öffnung der Organisation für andere zivilgesellschaftliche Anliegen eine Rolle gespielt. Während noch in den frühen 2000er-Jahren Umweltschützer*innen, Feministinnen, Verbraucherschützer*innen oder Menschenrechtler*innen weitgehend nebeneinander her lebten und arbeiteten, hat sich das mit der Zeit geändert. Die gemeinsamen Abwehrkämpfe gegen die zunehmende Einengung unabhängigen zivilgesellschaftlichen Engagements durch den Staat haben die NGOs zusätzlich einander nähergebracht. Memorial unterscheidet sich nach wie vor von den meisten russischen NGOs durch eine ausgewiesene innere demokratische Kultur und Verfassung. Das macht alles manchmal schwieriger und schwerfälliger, wie schon der 25-köpfige Vorstand von Memorial International vermuten lässt. Aber es ist eben auch eine bemerkenswerte demokratische Schule und setzt Maßstäbe für andere NGOs. Die Zunahme staatlicher Angriffe seit der Wahl 2011 In den 2000er-Jahren war das Verhältnis des russischen Staats gegenüber unabhängigen NGOs noch ambivalent. Die Regierung versuchte sukzessive die NGOs immer stärker zu kontrollieren, war aber gleichzeitig auch oft an der Kompetenz der NGOs in ihren jeweiligen Bereichen und an Zusammenarbeit interessiert. Das galt auch für Memorial. Das änderte sich spätestens nach den Winterprotesten 2011/2012 gegen die massiven Fälschungen der Parlamentswahl am 4. Dezember 2011. Einschneidendste Neuerung des Staates war nun das bereits erwähnte Ausländische-Agenten-Gesetz. Dieses einschneidende Gesetz zielt (erfolgreich, wie Umfragen zeigen) darauf ab, die vom Staat mit diesem Label versehenen NGOs öffentlich zu diskreditieren. Außerdem bindet es große Ressourcen bei den Organisationen für erheblich erweiterte Berichtspflichten. Viele NGOs haben dem Druck nicht standgehalten. Sie haben sich entweder aufgelöst oder auf ausländische Finanzierung verzichtet. Da ein großer Teil der inländischen Finanzen direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert werden, lassen sich NGOs so erfolgreich disziplinieren. Nicht wenige NGOs, darunter Memorial, begannen sich allerdings gegen das Gesetz zu wehren (vor russischen Gerichten weitgehend erfolglos, der EGMR hat noch nicht entschieden). Memorial erklärte, das Gesetz sei aus seiner Sicht verfassungswidrig und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Man werde aber, wohl oder übel, wie vom Gesetz gefordert künftig alle öffentlichen Äußerungen mit dem Hinweis versehen, sie kämen von einem ausländischen Agenten. Ab 2019 begann das Justizministerium Memorial für die angebliche Nichtbeachtung dieser Pflicht, vor allem in den sozialen Netzwerken, zu rügen und Geldstrafen zu verhängen. Memorial wehrte sich dagegen vor Gericht, wurde aber in allen bis auf einen der mehr als 20 Fälle zur Zahlung verurteilt. Die gesamte Strafsumme übertraf umgerechnet 60.000 Euro, die Memorial in einer sehr erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne einzusammeln gelang. Diese Strafen spielen beim Schließungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft gegen Memorial International eine wichtige Rolle. Doch dazu später. Schon seit den Winterprotesten 2011/2012 hat sich der zum staatlichen Gasriesen Gazprom gehörende landesweite Fernsehsender NTW Memorial zum Ziel auserkoren. Der Sender hat enge Beziehungen zu den Sicherheits- und Justizorganen. Praktisch immer, wenn eine Kontrolle ansteht oder eine Untersuchung von Polizei oder Staatsanwaltschaften, ist NTW informiert und dabei. Das Ergebnis sind sogenannte Reportagen, in denen über Memorial systematische Lügen verbreitet werden. Die beliebteste Anklage sind Memorials Auslandskontakte. Die Behauptung, die Menschenrechtsorganisation würde im Auftrag anderer Staaten und für deren Geld arbeiten, gehört zum Standardrepertoire. Auch bei den jüngsten Angriffen, wie dem Überfall auf eine Filmvorführung bei Memorial durch etwa 30 junge Männer Mitte Oktober 2021, war eine NTW-Aufnahmeteam vor Ort. NTW ist zwar besonders aktiv, steht aber nicht allein. Memorial diskreditierende Berichterstattung gibt es immer wieder in allen staatlichen und staatsnahen Medien. Vor allem nationalistische Gruppen stört die Erinnerungsarbeit von Memorial. Mit offenkundiger Zustimmung der Behörden, oft, wie es scheint, auch in Absprache mit ihnen, versuchen sie immer wieder Veranstaltungen von Memorial zu stören. Besonders hervor tut sich eine einschlägig bekannte Gruppe namens Nationale Befreiungsbewegung (NOD). 2017 lauerte sie Gästen bei der Preisverleihungszeremonie zu Memorials seit 1999 jährlich durchgeführten Schülergeschichtswettbewerb Der Mensch in der Geschichte. Russland im XX. Jahrhundert auf und bespritzten sie mit dem russischen Desinfektionsmittel Seljonka, das die Haut unabwaschbar grün färbt. Die herbeigerufene Polizei schritt nicht ein. Das Geschilderte ist nur ein kleiner Ausschnitt der Bedrängungen, denen Memorial seit zehn Jahren ausgesetzt ist. Oft ist es der Staat direkt, oft sind es aber auch private Gruppen oder Einzelpersonen. Selten ist klar, ob sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend aus eigenem Antrieb handeln oder von staatlichen Stellen dazu angestiftet oder gar beauftragt wurden. Fast immer aber bleiben Polizei, andere Sicherheitsdienst und die Justiz tatenlos. Nicht selten kommt es zu einer Art Schuldumkehr, wie Mitte Oktober beim Überfall der etwa 30 jungen Männer auf die Filmvorführung. Die Männer konnten ungehindert abziehen. Die herbeigerufene Polizei setzte dagegen die Memorial-Mitarbeiter*innen und die Gäste der Filmvorführung für sechs Stunden fest und befragten sie wie Verdächtige. Die jüngsten Verbotsanträge Vom vielleicht finalen Angriff auf Memorial erfuhren die Mitarbeiter*innen während einer internen Versammlung am 11. Oktober 2021, an der ich zufällig auch teilnahm. Inmitten einer regen Diskussion ergriff Jelena Schemkowa, Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin von Memorial International, das Wort und las aus einer just eingetroffene E-Mail des russischen Obersten Gerichts vor. Die Generalstaatsanwaltschaft habe die Schließung (im russischen Original: Liquidierung) von Memorial International beantragt und die Verhandlung auf den 25. November 2021 angesetzt. Kurze Zeit später traf die Nachricht ein, dass vor dem Moskauer Stadtgericht bereits zwei Tage zuvor, am 23. November, wegen einer von der Moskauer Staatsanwaltschaft geforderten Schließung des Menschenrechtszentrums verhandelt werden solle. Allen Versammelten, darunter dem Vorstandsvorsitzenden des Dachverbands Memorial International Jan Ratschinskij, dem langjährigen Vorsitzenden des Menschenrechtszentrums und zahlreichen anderen Vorstandsmitgliedern, wurde schnell bewusst, dass dies ein Generalangriff war und es nun für alle betroffenen NGOs um Leben und Tod gehen sollte. Wie so oft, gab es wohl niemand im Raum, die oder der so einen Angriff nicht für möglich gehalten hatte. Und trotzdem war und ist die Lage, nachdem es nun passiert war, plötzlich eine andere. Die Vorstellung, dies alles, Memorial, das Archiv, die Bibliothek, den (zumindest einigermaßen) geschützten Raum am Moskauer Karetnyj Rjad zu verlieren, wurde augenblicklich sehr konkret. So wenig irgendjemand der Versammelten sich darüber Illusionen machte, dass der russische Staat Memorial jederzeit vernichten kann, wenn er oder besser seine Führung das ernsthaft will, so wenig, da waren sich die Versammelten einig, durfte das ohne Widerstand geschehen. Zum einen natürlich, weil eben niemand wirklich wissen kann, was der oder die dort oben erreichen wollen und was sie für ihr Wollen in Kauf zu nehmen bereit sind. Zum anderen aber auch, weil es ohnehin ein ständiger Kampf ist, in Putins Russland als Memorial zu bestehen. Eine vorgegebene Entscheidung? Entsprechend vorbereitet und entschlossen gingen die Vertreter*innen von Memorial gemeinsam mit ihren Anwältinnen und Anwälten in die beiden Gerichtsverhandlungen. Das Moskauer Stadtgericht vertagte am 23. November 2021, nach ein paar eher lustlosen Scharmützeln, die Verhandlung gegen das MRZ sehr schnell um eine Woche. Wie es aussieht, wollte der Richter erst einmal abwarten, wie das Oberste Gericht vorgehen wollte. Die erste Verhandlung gegen MI am 25. November dauerte länger. Die im Gerichtssaal anwesenden Memorial-Mitarbeiter*innen hatten den Eindruck, dass die Vertreter*innen der Anklage (Generalstaatsanwaltschaft, Justizministerium und die unter anderem für die Internetkontrolle zuständige Aufsichtsbehörde Roskomnadsor) ernsthaft darauf aus waren, die Schließung zügig über die Bühne zu bringen. Allerdings zeigten sie sich schlecht vorbereitet, einen (aus juristischer Sicht) noch schlechter erstellten Schließungsantrag zu rechtfertigen. Beides kann übrigens darauf hindeuten, dass die Schließung von Memorial längst von oben angeordnet ist, und das Gericht entsprechend instruiert wurde. Warum also sich Mühe machen, wenn ohnehin alles vorentschieden ist? Taktische Urteils-Vertagungen auf Ende Dezember 2021 Memorials Anwälte begannen, den Schließungsantrag auseinanderzunehmen. Das machte anscheinend Eindruck. Erst beim Gericht und dann auch bei den Anklagevertreter*innen. Es kam zu einer richtigen Gerichtsverhandlung, an deren Ende sich das Gericht auf den 14. Dezember vertagte. Am 14. wurde zwar erneut lange verhandelt, aber wiederum verschoben - auf den 28. Dezember 2021. Die Hauptverhandlung gegen Memorials Menschenrechtszentrum vor dem Moskauer Stadtgericht wurde ebenfalls vertagt, zunächst auf den 16.12., dann aber schon nach einer halbstündigen Sitzung weiter auf den 23.12.2021 und dann wiederum auf den 29. Dezember. Die Verschiebungen schienen nicht zufällig gewählt, möglicherweise erwartete man zwischen Feiertagen und Jahreswechsel weniger internationalen Gegenwind und hoffte zugleich auf eine Ermüdung von Sympathisant*innen auch im eigenen Land. Dennoch setzen sich die Proteste nun fort, nachdem Russlands Oberstes Gericht am 28.12. die Auflösung von Memorial International, dem Dachverband der Menschenrechtler verfügt hat und am Folgetag das Moskauer Stadtgericht auch das Rechtsschutzzentrum von Memorial für „liquidiert“ erklärte. Wie zu erwarten, wurde zur Begründung auf unterbliebene Pflichtmarkierungen als „ausländischer Agent“ verwiesen,. Außerdem habe, so lautete das Plädoyer der Staatsanwaltschaft, die Organisation mit seiner Listung von politischen Gefangenen ein negatives Bild des russischen Justizsystems vermittelt und beabsichtigt, das Land zu destailisieren. Putins zahnloser Menschenrechtsrat Überraschend hatten die beiden Gerichte zunächst das alljährliche Treffen Wladimir Putins mit Russlands Menschenrechtsrat beim Präsidenten abgewartet. Der Menschenrechtsrat, ein offizielles, aber zahnloses Gremium, dessen Vorsitzender Mitarbeiter der Präsidentenadministration mit Büro und Stab am Moskauer Alten Platz ist, hatte sich in einer Erklärung, wenn auch verklausuliert und auffallend vorsichtig formuliert, gegen eine Schließung von Memorial ausgesprochen. 2021 fand Putins Treffen mit dem Menschenrechtsrat virtuell am 9. Dezember statt. Putin nannte Memorial eine „lange Zeit von allen respektierte Organisation“, bemängelte aber, dass das MRZ „Terroristen“ zur politischen Gefangenen erklärt habe. Außerdem wiederholte er einen alten, wenn auch unzutreffenden Vorwurf, der israelische Geheimdienst habe nachgewiesen, dass Memorial Nazis als Opfer politscher Verfolgung ausgegeben habe. Erwartungsgemäß machte Putin keine konkrete Aussage zu den anhängenden Schließungsverfahren. Die Gerichte mussten also entweder zwischen den Zeilen lesen oder versuchen, sich auf andere Weise abzusichern. 106 Petitionen Vor den beiden Urteilen vom 28.und 29.12.2021 hatte es noch eine vorsichtig hoffnungsfrohe Lesart gegeben: Offenbar ließ die öffentliche Solidaritätskampagne zugunsten Memorials auch die Gerichte nicht unbeeindruckt. Immerhin verzeichnete Memorial auf seiner Website Mitte Dezember 106 Petitionen, Solidaritätserklärungen, offene Briefe und vieles mehr. Und offenbar war das Signal von oben, Memorial zu schließen, nicht ganz so klar und eindeutig, um die Gerichte nicht doch zu veranlassen, sich vor Vollzug lieber noch einmal rückzuversichern. Die Anweisung, gegen Memorial vorzugehen, könnte auch nicht direkt aus dem Kreml gekommen, sondern eine konzertierte Aktion der drei beteiligten Behörden sein, von denen allen bekannt ist, dass sie keine sonderlichen Freunde von Memorial sind. Andererseits sind, soweit erkennbar, in auch nur einigermaßen einflussreichen Positionen schon längst keine Freund*innen von Memorial mehr übriggeblieben. Alles Teil eines Theaterstücks? Eine weniger optimistische Lesart wäre, dass das alles Teil eines Theaterstücks namens unabhängige russische Gerichte war, dass auch das Treffen Putins mit dem Menschenrechtsrat zu diesem Spektakel gehörte und dass dann, als lange geplantes Finale, sowohl Memorial International als auch das Menschenrechtszentrum "liuidiert" worden sind. Doch das alles kann niemand außerhalb des Kremls wissen, weshalb ich hier nur Vermutungen anstelle (wie gut informiert oder argumentiert die auch immer sein mögen). Entsprechend wird Memorial zusammen mit seinen Anwälten weiter so tun, als handele es sich um ganz normale Gerichtsverhandlungen mit nun anstehenden ganz normalen Revisionsverfahren. Memorial wird auf Recht, Gesetz und einzuhaltende Verfahrensregeln verweisen und diesen Rechtsweg bis zum Schluss beschreiten, wobei am Ende, wie so oft in Russland, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Entscheidung stehen dürfte, vor dem Memorial zweifellos Recht bekommen wird. Aber mehr als eine moralische Genugtuung wird das kaum bedeuten. Zitierweise: Jens Siegert, Memorial - Diffamiert als "ausländische Agenten". Die Geschichte der Verfolgung von „Memorial“ in Russland unter Wladimir Putin, in: Deutschland Archiv, 14.12.2021, zuletzt aktualisiert am 6.1.2022. Link: Externer Link: www.bpb.de/344723. Alle Texte im Deutschland Archiv sind Recherchen und Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. Ergänzungen: Enrico Heitzer: Externer Link: Ein Historiker-Netzwerk für Memorial! Deutschlandarchiv vom 9.12.2022 Anna Schor-Tschudnowskaja; "Interner Link: Was bedeutet die Liquidierung von Memorial?", Deutschland Archiv 5.1.2022 Wolfgang Templin; Interner Link: Der Wert von Erinnerung. Eine Würdigung von Memorial aus historischer Perspektive. Deutschland Archiv 29.12.2021. Ekkehard Maaß; Interner Link: "Ein Rückfall Russlands in finsterste Zeiten", Deutschland Archiv 5.1.2022 Außerdem zum Thema: Irina Scherbakowa, Interner Link: Sackgasse Sowjetvergangenheit, APuZ vom 16.4.2021 Zugeschaltet aus Moskau, Irina Scherbakowa am 15.12.2021 im 80-minütigen Externer Link: Live-Gespräch mit der Berliner Stiftung Aufarbeitung. "Wir sind in keinem Rechtsstaat". Video-Chat der Stiftung Aufarbeitung mit Irina Scherbakowa vom 15.12.2021: Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=WAJDFC7N5aE Weitere Hintergrundinformationen in den Interner Link: Russland-Nachrichten der bpb Konrad Felber, Externer Link: Der Dienstausweis Putins im Stasi-Archiv Anna Schor-Tschudnowskaja, "Interner Link: Das Stasi-Vorbild KGB" Die Externer Link: russische und englische Website sowie die Externer Link: deutsche Websitevon Memorial. Zugeschaltet aus Moskau, Irina Scherbakowa am 15.12.2021 im 80-minütigen Externer Link: Live-Gespräch mit der Berliner Stiftung Aufarbeitung. Hierzu mehr Details in meinem Blog https://russland.boellblog.org/2022/01/05/ist-memorial-nun-verboten-ja-und-nein-ein-kleiner-wegweiser-durch-eine-zugegeben-komplizierte-struktur-und-ein-kompliziertes-verbotsverfahren/#, letzter Zugriff 6.1.2022 Arsenij Roginskij, Erinnerungen an den Stalinismus, Vortrag in der Heinrich-Böll-Stiftung am 15. Dezember 2008, https://www.boell.de/de/navigation/europa-nordamerika-5709.html (letzter Zugriff am 9.12.2021) Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russland-auch-rechtsschutzzentrum-von-memorial-aufgeloest-17707080.html,letzter Zugriff 30.12.2021 https://taz.de/Russland-geht-gegen-NGO-vor/!5822050/, letzter Zugriff 30.12.2021 http://president-sovet.ru/presscenter/news/spch_obespokoen_situatsiey_vokrug_memoriala/ (letzter Zugriff am 8.12.2021) Vgl. auch Friedrich Schmidt, "Mit Putin als Ankläger und Richter", FAZ 14.12.2021, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russland-memorial-prozess-mit-putin-als-anklaeger-und-richter-17683803-p2.htm (letzter Zugriff am 14.12.2021) https://www.memo.ru/ru-ru/memorial/departments/intermemorial/news/627 (letzter Zugriff am 8.12.2021)
Article
Jens Siegert
"2022-12-09T00:00:00"
"2021-12-13T00:00:00"
"2022-12-09T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/344723/memorial-diffamiert-als-auslaendische-agenten/
Jens Siegert aus Moskau über die Geschichte der Verfolgung von „Memorial“ als Russlands ältester unabhängiger NGO. Sie versteht sich als Gewissen und historisches Gedächtnis eines demokratischen Russlands. Nun gelten der Dachverband "Memorial Intern
[ "Memorial", "Moskau", "Menschenrechte", "Verbot", "Russland" ]
30,624
Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) | Geschichte der Bundeszentrale für politische Bildung | bpb.de
(1) Die Bundeszentrale für politische Bildung ist eine nichtrechtsfähige Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. (2) Sie hat ihren Sitz in Bonn. § 2 Die Bundeszentrale hat die Aufgabe, durch Maßnahmen der politischen Bildung Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken. § 3 (1) Die Bundeszentrale wird durch den Präsidenten geleitet. (2) Der Präsident wird vom Bundesminister des Innern in das Amt berufen. Der Bundesminister des Innern ist Dienstvorgesetzter des Präsidenten. § 4 Der Präsident vertritt die Bundeszentrale bei allen Rechtshandlungen. § 5 (1) Die Bundeszentrale wird in grundsätzlichen Angelegenheiten der politischen Bildung durch einen wissenschaftlichen Beirat aus bis zu zwölf sachverständigen Persönlichkeiten unterstützt, die der Bundesminister des Innern auf die Dauer von jeweils vier Jahren beruft. Einmalige Wiederberufung ist möglich. Der Beirat kann Vorschläge für die Berufung neuer Mitglieder unterbreiten. Er wird angehört, bevor ein neues Mitglied berufen wird. (2) Der Beirat tritt mindestens zweimal jährlich zusammen. (3) Der Beirat wählt aus seiner Mitte eine/n Vorsitzende/n und eine/n Vertreter/in und kann sich eine Geschäftsordnung geben, die der Genehmigung des Bundesministeriums des Innern bedarf. (4) An den Sitzungen des Beirats können Mitglieder des Kuratoriums der Bundeszentrale und Vertreter des Bundesministeriums des Innern teilnehmen. (5) Der Präsident hat die Entscheidung des Bundesministeriums des Innern einzuholen, wenn er von einstimmig gefassten Empfehlungen des Beirats abweichen will. § 6 (1) Die politisch ausgewogene Haltung und die politische Wirksamkeit der Arbeit der Bundeszentrale werden von einem aus 22 Mitgliedern des Deutschen Bundestages bestehenden Kuratorium kontrolliert. (2) Die Mitglieder des Kuratoriums werden vom Präsidenten des Deutschen Bundestages auf Vorschlag der Fraktionen des Deutschen Bundestages berufen. (3) Der Präsident leitet dem Kuratorium die jährlichen Haushaltsvoranschläge, Planungsberichte und Tätigkeitsberichte zur Stellungnahme zu. Er unterrichtet das Kuratorium rechtzeitig über alle bedeutsamen Vorhaben sowie über Empfehlungen und Stellungnahmen des Beirats. (4) Der Präsident und Vertreter des Bundesministeriums des Innern nehmen an den Sitzungen des Kuratoriums teil. § 7 Die Bundeszentrale hält in allen Angelegenheiten, welche die Zuständigkeit der Länder berühren, enge Verbindungen zu den obersten Landesbehörden. § 8 Dieser Erlass tritt mit Wirkung vom 24. Januar 2001 in Kraft. Der Erlass über die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) in der Fassung vom 24. Juni 1992 - Z 6 -006 101 - 035/3 (GMBl S. 526) ist aufgehoben. Berlin, den 24. Januar 2001 - Z 2a - 006 101 BpB/3 Der Bundesminister des Innern Otto Schily
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-12-09T00:00:00"
"2013-01-10T00:00:00"
"2021-12-09T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/geschichte-der-bpb/152799/erlass-ueber-die-bundeszentrale-fuer-politische-bildung-bpb/
Erlass vom 24. Januar 2001
[ "Erlass", "Bundeszentrale für politische Bildung", "Bundeszentrale für Heimatdienst" ]
30,625
Rap und Gegenidentitäten in der Migrationsgesellschaft | Rap | bpb.de
Bereits an den Titeln wichtiger Alben wird deutlich: Ob Advanced Chemistry’s "Fremd im eigenen Land" (1992), B-Tight’s "Der Neger" (2002) oder Celo und Abdis "Diaspora" (2017) – Fremdheit und Migration sind ein zentraler Bezugspunkt deutscher Rapmusik. Der vorliegende Text nähert sich diesem Themenkomplex in drei Schritten: Zunächst wird die deutsche Einwanderungsgeschichte im Zusammenhang mit der Adaption von Rap als Kulturform aus den Vereinigten Staaten ab Anfang der 1980er Jahre rekonstruiert und herausgearbeitet, warum im Rap migrantische Identitäten eher sichtbar werden als in anderen Bereichen. Daraufhin wird der Krisendiskurs über gesellschaftliche Integration und dessen Wechselwirkungen mit den im Subgenre des Gangsta-Rap vorherrschenden Images diskutiert, bevor abschließend nach dem Potenzial von Rap für den Zusammenhalt der (Post-)Migrationsgesellschaft gefragt wird. Historische Zusammenhänge von Rap und Migration Um die Ursprünge von Rap in Deutschland zu verstehen, ist die Geschichte bis zu den Tagen des sogenannten Wirtschaftswunders zurückzuverfolgen. Die Restauration der westdeutschen Ökonomie nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung ausländischer Arbeiter, die im Rahmen einer Reihe von Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal und Jugoslawien ins Land eingeladen wurden. Das vor allem für die Periode der wohlstandsgesättigten Nachkriegsprosperität vorherrschende Bild einer egalitären Bundesrepublik überlagert in der Rückschau die Kultur- und Verteilungskonflikte, die die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte bereits in dieser Zeit auslöste. Die randständige soziale Position der sogenannten Gastarbeiter spiegelte sich nicht nur in ihrer Unterbringung abseits der bei Deutschen beliebten Wohngebiete wider. Gesellschaftliche Ausgrenzung brach sich immer wieder auch im Rahmen manifester Konflikte Bahn. Beispielsweise folgten auf eine Ausgabe der "Bild"-Zeitung 1966 mit dem Titel "Gastarbeiter fleißiger als deutsche Arbeiter?" Warnstreiks in zahlreichen Betrieben. Integration in den Arbeitsmarkt erfolgte – dies zeigte anschaulich Günter Wallraff in seiner bekannten Reportage, für die er in die Undercover-Rolle des türkischen Arbeiters "Ali" schlüpfte – in Form prekärer und häufig gefährlicher Beschäftigung. Und auch in den bildungspolitischen Debatten der Zeit spielten Migranten wenn überhaupt eine untergeordnete Rolle. Daran, wie fragwürdig diese Entwicklung unter humanitären Aspekten erscheint, erinnerte der Schriftsteller Max Frisch mit den Worten "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen". Anfang der 1970er Jahre spitzte sich die Situation weiter zu: Im Kontext wirtschaftlicher Stagnation wurden "Gastarbeiter" in der öffentlichen Wahrnehmung zu "Ausländern", die weiterhin – teils kommunalpolitisch gesteuert, teils bedingt durch ein geringes Mietniveau – in speziellen Quartieren unterkamen und damit relativ isoliert vom Rest der Gesellschaft lebten. Den Beginn der 1980er Jahre markiert der Soziologe Rainer Geißler als Beginn einer "Abwehrphase" der deutschen Integrationspolitik. Der öffentliche Diskurs drehte sich zunehmend um "Ausländerfluten" und "volle Boote" und wurde angeheizt durch rechtspopulistische Beiträge wie das sogenannte Heidelberger Manifest von 1981, in dem eine Reihe deutscher Hochschullehrer vor einer "Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von Millionen von Ausländern und ihren Familien" und einer "Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums" warnte. Der Zeitpunkt, zu dem Rap seinen Weg aus den USA in die Bundesrepublik fand, fiel nicht zufällig in diese Phase der deutschen Einwanderungsgeschichte. Eine wichtige Erklärung liefern in diesem Zusammenhang die Soziologen Malte Friedrich und Gabriele Klein mit ihrer Untersuchung zu Rap als "glokaler Kulturform", in der sie die Verbreitung des Genres aus den Vereinigten Staaten in praktisch alle Teile der Welt rekonstruieren: Indem Jugendliche Rap hören oder sich selbst am Schreiben und Intonieren entsprechender Texte versuchen, beziehen sie sich auf einen Ursprungsmythos, der seinen Anfang in der New Yorker Bronx der 1970er Jahre findet. Ein grundlegender Ausgangspunkt ergibt sich hier aus der gesellschaftlichen Randständigkeit schwarzer Jugendlicher, die aufgrund ihres sozialen Status nicht nur von vielen Aktivitäten ausgeschlossen waren, sondern auch über geringe wirtschaftliche Mittel verfügten. Unter diesen Bedingungen war die Beteiligung an der HipHop-Kultur nicht nur unter materiellen Aspekten wenig voraussetzungsreich – zum Rappen benötigt man schließlich weder Instrumente noch einen eigenen Probenraum. Sie stellte gleichzeitig einen Ort dar, an dem die Jugendlichen ihre Randständigkeitserfahrungen sowohl untereinander als auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft thematisieren konnten. Vor diesem Hintergrund bot die in den US-amerikanischen Rapsongs dargestellte soziale Wirklichkeit auch für jugendliche Migrantinnen und Migranten in Deutschland eine attraktive Identifikationsfläche. Es scheint bemerkenswert, dass die ersten deutschen Rapsongs keineswegs in deutscher, sondern gemäß der elterlichen Herkunft etwa in türkischer, jugoslawischer oder auch italienischer Sprache geschrieben wurden. Eine weitere Wendung nahm die Geschichte des Genres in Deutschland Anfang der 1990er Jahre. Nachdem die "Ausländerpolitik" im Anschluss an die deutsche Wiedervereinigung und unter Bedingungen der rassistischen Ausschreitungen von Rostock, Mölln, Solingen und Hoyerswerda erneut in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung geraten war, spiegelten sich diese Entwicklungen in einer offensiven Selbstbehauptung migrantischer Protagonisten im Bereich der HipHop-Kultur wider. Beispielhaft ist hier die bereits eingangs erwähnte Gruppe Advanced Chemistry mit ihrem Album "Fremd im eigenen Land" zu nennen, aus dem der folgende Textauszug aus dem gleichnamigen Song stammt: Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf Dies bedingt, dass ich mir oft die Haare rauf Jetzt mal ohne Spaß: Ärger hab’ ich zuhauf Obwohl ich langsam Auto fahre und niemals sauf (All das Gerede von europäischem Zusammenschluss) Fahr’ ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus Frag’ ich mich, warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss Identität beweisen muss! Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Afro-Deutscher seine Sprache spricht Und nicht so blass ist im Gesicht? Das Problem sind die Ideen im System (Ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen) Blaue Augen, blondes Haar, keine Gefahr Gab’s da nicht ’ne Zeit wo’s schon mal so war? "Gehst du mal später zurück in deine Heimat?" Wohin? nach Heidelberg? Wo ich ein Heim hab? "Nein du weißt, was ich mein …" Komm lass es sein, ich kenn diese Fragen, seitdem ich klein Bin, in diesem Land vor zwei Jahrzehnten gebor’n Doch frag’ ich mich manchmal: Was hab ich hier verlor’n? Doch während die Bundesregierung 1992 das Asylrecht verschärfte und die öffentliche Diskussion schließlich im Totem eines "Scheiterns der multikulturellen Gesellschaft" mündete, verschob sich auch der inhaltliche Schwerpunkt deutscher Rapmusik: Mit dem Durchbruch der Fantastischen Vier erlebte der Rap in Deutschland eine wesentliche Abweichung von der US-amerikanischen Ursprungserzählung. Das "Mainstreaming", das Rap in der Folge ins Zentrum der deutschen Populärkultur rückte, kam zum Preis einer Vernachlässigung seiner originären Herkunft: den migrantischen Milieus. "Dass Gastarbeiterkinder die ersten waren, die ihre Reime auf Türkisch kickten, dass die Szene in Deutschland von Jugendlichen türkischer, kurdischer, jugoslawischer oder afrodeutscher Abstammung aufgebaut wurde, all das passt nicht so gut zu der Erzählung von den deutschen Kindern in den Reihenhäusern, die in die Fußstapfen der großen Dichter und Denker treten." Neben den klassischen Rap migrantischer Prägung trat eine stärker an der "Mitte der Gesellschaft" orientierte Ausdrucksform, wie sie etwa Künstler wie Blumentopf oder EinsZwo verfolgen. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Einwanderungsgeschichte seitdem weiterhin ein zentraler Bestandteil deutscher Rapmusik. Einen neuen Höhepunkt erreichte die migrantische Präsenz in den Bildwelten des Rap mit dem Aufstieg von Gangsta-Rap als Subgenre deutscher HipHop-Kultur. Nachdem Künstler wie Moses Pelham oder Kool Savas dieser Entwicklung durch explizite (wenn auch stilistisch übertriebene) Texte bereits seit einigen Jahren Vorschub geleistet hatten, setzten nach der Jahrtausendwende Rapper wie der Frankfurter Azad oder der Durchbruch des Labels Aggro Berlin eine Entwicklung in Gang, im Zuge derer Gangsta-Rap heute als das wohl populärste Genre moderner deutscher Popmusik gelten kann. Integrationsgeschichtlich verlief der Aufstieg des Gangsta-Rap erneut parallel zu einer Zuspitzung des öffentlichen Diskurses um Migration im Anschluss an die Terroranschläge des 11. September 2001. In der Diskussion über Ursachen und Konsequenzen des Anschlags sowie über ähnliche Ereignisse, wie den 2008 verhinderten Mordanschlag auf den dänischen Zeichner Kurt Vestergaard im Zuge des Streits um die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen, kam es zu einer Verquickung von Einwanderungskritik und Islamophobie. Nach dieser Lesart nehmen vor allem arabische Migranten und deren Nachkommen nicht mehr nur Arbeitsplätze weg, sondern stellen darüber hinaus auch ein Risiko für die öffentliche Sicherheit dar. Vor diesem Hintergrund mehrte sich in der bereits zuvor vom damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bundestag Friedrich Merz unter dem Begriff der "Leitkultur" initiierten Diskussion auch die Kritik an islamischen Kulturpraktiken wie dem Tragen eines Kopftuchs oder der Vollverschleierung. Einen weiteren Höhepunkt erreichte diese Auseinandersetzung mit dem Beitrag Thilo Sarrazins, der 2010 in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" die Rolle muslimischer Einwanderer für Zusammenleben und Standortpolitik in Deutschland problematisierte. In einem Interview fasste Sarrazin seine integrationspolitische Linie zusammen und erklärte, er müsse niemanden "anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert". Als Sachbuch-Bestseller des Jahres wurde "Deutschland schafft sich ab" zur zentralen Referenzgröße eines "populistisch vorgetragenen Sozialdarwinismus", der sich politisch seitdem in den Rufen nach einer neuen Hardliner-Politik manifestiert. Popkultur als Konfliktkultur Der Zusammenhang dieser Entwicklungen lässt sich aus sozialwissenschaftlicher Sicht besonders gut aus dem Blickwinkel der Cultural Studies aufzeigen. Grundannahme dieses Forschungszweiges ist, dass sich Inszenierungen im popkulturellen Bereich häufig entlang der großen Linien gesellschaftlicher Auseinandersetzungen abspielen: "Popular Culture is always a culture of conflict, it always involves the struggle to make social meanings that are in the interest of the subordinate and that are not those preferred by the dominant ideology. The victories, however fleeting or limited, in this struggle produce popular pleasure, for popular pleasure is always social and political." Dass popkulturelle Genres Auseinandersetzungen um die Darstellung sozialer Gegebenheiten darstellen, zeigt sich am Beispiel Rap besonders anschaulich im Subgenre des Gangsta-Rap. Ein wesentliches, wenn nicht sogar das wesentliche Bestimmungsmerkmal von Gangsta-Rap ergibt sich aus der mal kontemplativen, mal verherrlichenden, jedoch immer offenen Thematisierung von Gewalthandeln und Kriminalität. Der stereotype Sprecher tritt im Gangsta-Rap keineswegs als Biodeutscher in Erscheinung, sondern wird in der Regel durch einen jungen Mann mit Migrations- und ohne Bildungshintergrund mit Hang zu Misogynie und Homophobie verkörpert. Es ist diese Sozialfigur, die die öffentliche Diskussion um die gesellschaftlichen Folgen von Einwanderung aus dem Bereich des Rapgenres heraus am meisten prägt. Demnach lässt sich die popkulturelle Konstruktion von Gangsta-Rap-Images als Bezugspunkte in der Auseinandersetzung um Integration in der (Post-)Einwanderungsgesellschaft auf das Zusammenwirken von zwei Dynamiken zurückführen: einem Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten und der Inszenierung von Gangsta-Rappern unter Bezug auf diesen Diskurs. Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten Die besondere Rolle der Medien im Verhältnis von Migration und Gesellschaft wurde bereits in einer Vielzahl von Studien herausgearbeitet. Diese Rolle erfüllen sie keineswegs im Rahmen leidenschaftsloser Berichterstattung. Eine genuin politische Tendenz medialer Berichterstattung folgt stattdessen aus der Tatsache, "dass die Massenmedien nicht nur Selbstbeschreibungen der Gesellschaft anfertigen, Wissen archivieren, eine gesellschaftsweit gleichförmige Realität vermitteln und als ent-/bezaubernde Unterhaltungsindustrie dienen, sondern auch mittels moralischer Kriterien und Beobachtungsweisen die Gesellschaft (über sich selbst) alarmieren". Vor allem seit der Jahrtausendwende intensiviert sich in deutschen Medien ein Krisendiskurs um die Delinquenz junger Männer mit oft türkischem oder arabischem Migrationshintergrund. Getrieben von mehrheitsdeutschem "Überfremdungsempfinden" verweisen hier stilisierte Fallbeispiele auf ein insgesamt oft nicht näher benanntes Scheitern der Integration. Einen Meilenstein dieser Entwicklung stellt die Anfang 2008 erschienene Ausgabe des "Spiegels" mit dem Titel "Migration der Gewalt. Junge Männer – Die gefährlichste Spezies der Welt" dar. Anlässlich eines brutalen Überfalls zweier Jugendlicher migrantischer Herkunft auf einen pensionierten Münchner Hauptschuldirektor wird in der Titelgeschichte adoleszente Gewalttätigkeit bei migrantischen Männern zum "Naturgesetz" stilisiert. "Wenn nicht schnell Rezepte gefunden werden", so heißt es dort weiter, "die Infektion der Zuwanderer und ihrer Familien mit der Gewaltseuche zu stoppen", drohe "eine Explosion". Ein wesentlicher Bestandteil dieses Krisendiskurses ist weiterhin die Schilderung des Alltags in bestimmten Stadtteilen. "An anderen Orten", berichtet "Der Spiegel" 2010, "gibt es Gewinner und Verlierer – in Neukölln gibt es Leute, die Respekt verdienen, und es gibt Opfer." Und auch der ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky steuert im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" einen Bericht aus seinem Verantwortungsbereich bei: "Studenten, die der billigen Mieten wegen im Bezirk wohnen, berichten, es sei absolut unangemessen, Gruppen von türkischen oder arabischen Jugendlichen nach Einbruch der Dunkelheit mit offenem Blick zu begegnen, man habe den Blick unbedingt zu senken." Indem der Autor des zugehörigen Artikels gleichzeitig auf das vermeintliche Problem verweist, dass man an manchen Berliner Schulen "besser kein Salamibrot isst. Weil Schweinefleisch drin ist", markiert er weiterhin die Fremdheit der betreffenden Gruppe. Die Stigmatisierung männlicher Jugendlicher mit arabischem Migrationshintergrund ergibt sich demnach aus dem Zusammenwirken einer Fremdheits- und einer Risikozuschreibung. Demgegenüber erkennen einwanderungskritische Kommentatoren wie zuletzt auch Alice Schwarzer ein "Problem der falschen Toleranz", also eine "Haltung, die im Namen dieser falschen Toleranz die Probleme lieber vertuscht oder verharmlost, statt sie zu benennen und zu bekämpfen". Diese tendenziöse Form der Berichterstattung ist nicht unreflektiert geblieben. "Der ‚Migrant‘", bemerkt der Soziologe Erol Yildiz, "taucht fast nur in Problemsituationen auf, wird mit bildungsfernen Milieus in Verbindung gebracht und zumeist als nicht anpassungsfähiges und therapiebedürftiges Objekt wahrgenommen." Eine grundsätzliche Schwachstelle in der öffentlichen Debatte identifiziert der Migrationsforscher Mark Terkessidis, demzufolge der Begriff der Integration ohnehin "stets eine negative Diagnose" impliziert: "Es gibt Probleme und die werden verursacht durch die Defizite von bestimmten Personen, die wiederum bestimmten Gruppen angehören." Ein Defizit der öffentlichen Auseinandersetzung ergibt sich auch aus der Tatsache, dass Migrantenjugendliche "als Normalbürger kein interessanter Gegenstand" sind. Inszenierung von Gegenidentitäten im Gangsta-Rap Ganz im Sinne des dargestellten Verständnisses von Popkultur als Konfliktkultur lässt sich im Bereich des Gangsta-Rap allerdings eine kreative Dynamik erkennen: Indem Gangsta-Rapper sich der Elemente dieses Krisendiskurses bedienen, gelingt es ihnen nicht nur, aufmerksamkeitsökonomische Erfolge zu erzielen. Sie gewinnen teilweise auch diejenige Deutungsmacht zurück, die die Bilder dieses Diskurses zumindest anfangs geprägt hat. Dem Medienwissenschaftler Marcus Kleiner und dem Politologen Jörg-Uwe Nieland zufolge erzählen Gangsta-Rapper eine "Geschichte von Grenzerfahrungen und Grenzziehungen, der es nicht um Versöhnung und Dialog mit der Gesellschaft geht, von der sie marginalisiert und ausgeschlossen werden". Dass Kinder aus Einwandererfamilien über Generationen nicht nur vom gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeit, sondern so auch vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen sind, spiegelt sich in der Darstellung der Sprecher auch in einem beständig erlebten Anerkennungsdefizit. Besonders anschaulich bringt das Biopic des Berliner Rappers Bushido dieses Lebensgefühl auf den Punkt. Darin führt die Szene bei den Eltern seiner Jugendliebe Celina dem Zuschauer die soziale Kluft vor Augen, die Bushido von der Familie seiner Partnerin (und damit letztlich auch von ihr selbst) trennt. "Ich bin nicht so ein Scheiß-Kanacke, den man das Klo runterspülen kann!", ruft Bushido Celina später im Streit zu. Die Symbolkraft des Satzes ist immens. Denn auch wenn Bushido von Celinas Eltern, die für eine bourgeois-arrivierte Mehrheitsgesellschaft stehen, nicht akzeptiert wird, bringt er hier klar zum Ausdruck, dass er die Geringschätzung nicht auf sich sitzen lassen wird. Verherrlichung von Kriminalität, das offensive Thematisieren männlicher Privilegien oder aggressiv inszeniertes Gewalthandeln dienen damit einer Etablierung von "Gegenidentitäten als Reaktion auf mangelnde Integrationsleistungen moderner Gesellschaften". Dass Genrevertreter wie Bushido bei der Inszenierung solcher Gegenidentitäten symbolisch aus dem Vollen schöpfen können, ist zu wesentlichen Teilen dem skizzierten Krisendiskurs geschuldet. Die reißerischen Darstellungen migrantischer Delinquenz bieten daher den symbolischen Rohstoff für die kulturindustrielle Inszenierung von Gangsta-Rap-Images. Es ist zu vermuten, dass die heroisierte Darstellung von (vor allem migrantischen) Dominanz- und Delinquenzmotiven hierbei eine besondere Attraktivität auf das Publikum ausübt, weil sich darin latente eigene Fantasien verwirklichen lassen. Die Figur des migrantischen Fremden wirkt bedrohlich und verlockend zugleich und bietet durch die Distanz zum Selbst des Betrachters eine geeignete Projektionsfläche für verdeckte Wünsche und Sehnsüchte. Ähnliche Konstruktionsmodi finden sich seit einigen Jahren auch in anderen kulturindustriellen Bereichen, etwa in Form von Buchveröffentlichungen mit Titeln wie "Türken Sam" oder "Der große Bruder von Neukölln", in denen Kriminellenbiografien von (Post-)Migranten in einseitiger und voreingenommener Weise wiedergegeben werden, oder der Serie "4 Blocks", die ebenfalls kriminelle Aktivitäten im Berliner Migrantenmilieu thematisiert. Zum Potential von Rap im Umgang mit (Post-)Migration Wie die Rekonstruktion des Skandaldiskurses um migrantische Männlichkeiten gezeigt hat, gelingt es den Gestaltern der deutschsprachigen Medienöffentlichkeit bislang nicht, einen insgesamt sachlichen Zugang zum Problemfeld der Integrationspolitik zu finden. Für die wissenschaftliche ebenso wie für die journalistische Beschäftigung mit dem Thema gilt es, das Postulat einer kritischen Migrationsforschung zu beachten, die der Sichtweise der zentralen Akteure auch eine entsprechend zentrale Stellung einräumt: "Der dominanten und von anderen Leuten ausgeheckten Erzählung haben sie alle ihre eigene Sicht der Dinge entgegenzusetzen." Für eine vernünftige öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema stellt die offene Proklamation der eigenen Weltsicht durch die Betroffenen, wie sie etwa im Gangsta-Rap erfolgt, einen ersten Schritt dar. Solange dieser Sichtweise allerdings vor allem im Rahmen kulturindustrieller Inszenierungen öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwird, die in erster Linie darauf ausgelegt sind, sich am Markt zu bewähren, erscheint eine seriöse Darbietung nur schwer oder gar nicht zu gewährleisten. Die Darstellungen beruhen auf meinen früheren Arbeiten zum Thema. Vgl. Marc Dietrich/Martin Seeliger (Hrsg.), Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen, Bielefeld 2012; dies. (Hrsg.), Deutscher Gangsta-Rap II. Popkultur als Kampf um Anerkenung und Integration, Bielefeld 2017. Vgl. Günter Wallraff, Ganz unten, Köln 1985. Max Frisch, Überfremdung 1, in: ders., Öffentlichkeit als Partner, Frankfurt/M. 1967, S. 100–104, hier S. 100. Rainer Geißler, Die Sozialstruktur Deutschlands, Wiesbaden 2006, S. 235. Vgl. Malte Friedrich/Gabriele Klein, Is This Real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt/M. 2003. Siehe auch den Beitrag von Jeffrey O.G. Ogbar in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Vgl. Hannes Loh, Deutschrap zwischen Ghetto-Talk und rechter Vereinnahmung, in: Klaus Neumann-Braun/Birgit Richard (Hrsg.), Coolhunters. Jugendkulturen zwischen Medien und Markt, Frankfurt/M. 2005, S. 111–126. Aufgrund der relativ geringen Aufmerksamkeit, die der HipHop-Kultur in ihren Anfängen in deutschen Medien zuteilwurde, kann in der gängigen Literatur kaum auf Originalquellen zurückgegriffen werden. Da weder Tonträger produziert wurden noch HipHop-Medien existierten, die die Entwicklungen hätten dokumentieren können, bleiben wir bei der historischen Auseinandersetzung heute fast ausschließlich auf Überlieferungen der oral history angewiesen. Vgl. ders./Sascha Verlan, 25 Jahre HipHop in Deutschland, Höfen 2006, S. 161. Dietrich Thränhardt, Deutsche – Ausländer, in: Stephan Lessenich/Frank Nullmeier (Hrsg.), Deutschland. Eine gespaltene Gesellschaft, Bonn 2006, S. 273–294, hier S. 276. Der Spiegel 16/1997, Titel. Vgl. Loh (Anm. 6), S. 113. Ders./Murat Güngör, Fear of a Kanak Planet – HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap, Höfen 2002, S. 122. Vgl. ebd. Die Verbindung feministischer und xenophober Argumente erscheint hier nicht zuletzt deswegen bemerkenswert, weil sie – der Sache gegenüber eher untypisch – in aller Regel nicht von einem feministischen, sondern (rechts-)konservativen Standpunkt aus erfolgt. Frank Berberich/Thilo Sarrazin, Klasse statt Masse. Von der Hauptstadt der Transferleistung zur Metropole der Eliten, in: Lettre International 86/2009, S. 197–201, hier S. 200f. Wolfgang Benz, Anmerkungen zur Entstehung und Tradition des Feindbildes Islam, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Verhärtete Fronten. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik, Wiesbaden 2012, S. 15–23, hier S. 15. Vgl. etwa Oliver Marchart, Cultural Studies, Konstanz 2008. John Fiske, Reading the Popular, London 1993, S. 3. Siehe auch den Beitrag von Fabian Wolbring in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Vgl. Martin Seeliger, Deutscher Gangsta-Rap. Zwischen Affirmation und Empowerment, Berlin 2013. Vgl. etwa Rainer Geißler/Horst Pöttker (Hrsg.), Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss, Forschungsstand, Bibliograhpie, Bielefeld 2005. Andreas Ziemann, Soziologie der Medien, Bielefeld 2006, S. 72. Anette Treibel, Integriert Euch!, Frankfurt/M.–New York 2015, S. 22. Vgl. exemplarisch Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter, Freiburg/Br. 2010. Matthias Bartsch, Exempel des Bösen, in: Der Spiegel 2/2008, S. 22, Externer Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-55294620.html. Thomas Hüetlin, Moks Revier, in: Der Spiegel 6/2010, S. 51, Externer Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-69003634.html. Zit. nach Birk Meinhardt, Mensch ärgere Dich, in: Süddeutsche Zeitung, 21./22.11.2009, S. 3. Ebd. Alice Schwarzer, Silvester 2015, Tahrir-Platz in Köln, in: dies. (Hrsg.), Der Schock – die Silvesternacht in Köln, Köln 2016, S. 7–35, hier S. 35. Erol Yildiz, Migration bewegt die Gesellschaft, in: Bartholomäus Figatowski et al. (Hrsg.), The Making of Migration. Repräsentationen – Erfahrungen – Analysen, Münster 2007, S. 33–45, hier S. 37. Mark Terkessidis, Interkultur, Berlin 2010, S. 9. Rainer Leenen/Harald Grosch, Migrantenjugendliche in deutschsprachigen Medien, in: Markus Ottersbach/Thomas Zitzmann (Hrsg.), Jugendliche im Abseits. Zur Situation in französischen und deutschen marginalisierten Stadtquartieren, Wiesbaden 2009, S. 215–241, hier S. 216f. Marcus S. Kleiner/Jörg-Uwe Nieland, HipHop und Gewalt: Mythen, Vermarktungsstrategien und Haltungen des deutschen Gangsta-Raps am Beispiel von Shok-Muzik, in: Karin Bock/Stefan Meier/Gunter Süss (Hrsg.), HipHop Meets Academia. Globale Spuren eines lokalen Kulturphänomens, Bielefeld 2007, S. 215–244, hier S. 239. Vgl. Marc Dietrich/Martin Seeliger, Gangsta-Rap im zeitgenössischen Kinofilm, in: dies. 2012 (Anm. 1), S. 345–363. Naika Foroutan, Hybride Identitäten, in: Heinz Ulrich Brinkmann/Hacı-Halil Uslucan (Hrsg.), Dabeisein und Dazugehören. Integration in Deutschland, Wiesbaden 2013, S. 85–99, hier S. 97. Es erscheint vielversprechend, diesem Umstand unter psychoanalytischen Aspekten nachzugehen. Bartholomäus Figatowski et al., Vorwort: The Making of Migration, in: dies. (Anm. 27), S. 14–23, hier S. 18.
Article
, Martin Seeliger
"2022-02-17T00:00:00"
"2018-02-21T00:00:00"
"2022-02-17T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/265102/rap-und-gegenidentitaeten-in-der-migrationsgesellschaft/
Fremdheit und Migration sind zentrale Bezugspunkte deutscher Rapmusik. Woher kommt das? Aufschlussreich sind neben den historischen Zusammenhängen die Wechselwirkungen zwischen dem Integrationskrisendiskurs und den Inszenierungspraktiken im Gangsta-R
[ "HipHop", "Rap", "Musik", "Jugendkultur", "Authentizität", "Männlichkeit", "Kriminalität", "Herkunft", "Migration", "Integration" ]
30,626
M 04.01 Themenfindung | Partizipation vor Ort | bpb.de
Materialvorschau M 04.01 Klicken Sie Interner Link: hier, um zu dem Material im pdf-Format zu gelangen. Materialvorschau M 04.01
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-08-15T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/partizipation-vor-ort/142516/m-04-01-themenfindung/
Dieses Material ist eine tabellarische Übersicht, in der wichtige Details, Ziele und Planungsschritte zu möglichen Projekten abgefragt werden. Es dient zur Themenfindung für ein Projekt.
[ "" ]
30,627
Die SPD (West) und die deutsche Einheit 1989/90 | Deutschland Archiv | bpb.de
Durch ihre Ost- und Deutschlandpolitik schuf die SPD über Jahrzehnte hinweg wesentliche Voraussetzungen für die deutsche Einheit. Dennoch wird ihr Beitrag im Einigungsprozess selbst oft kaum wahrgenommen oder eher kritisch gesehen. Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass der Einfluss, den die SPD 1989/90 als Opposition im Deutschen Bundestag hatte, begrenzt war. Innerhalb der Partei gab es in diesen Monaten neben intensiven Diskussionen und konstruktiven Vorschlägen für den Weg zur Einheit auch tiefgreifende Differenzen über den einzuschlagenden Kurs. Rückblick: Die Deutschlandpolitik der SPD vor 1989/90 Nach dem Mauerbau 1961 und der Verfestigung der politischen Blöcke war die SPD früher als andere Parteien bereit, an politischen Tabus zu rühren. 1963 skizzierte Egon Bahr ein Konzept der kleinen Schritte, den "Wandel durch Annäherung". Mit den Ostverträgen, die erst nach heftigem Widerstand von CDU und CSU im Bundestag ratifiziert werden konnten, schuf die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt zugleich die Basis für den Grundlagenvertrag mit der DDR 1972 und die Entspannungspolitik in Europa. Auch wenn die Beziehungen zur DDR immer wieder Rückschlägen ausgesetzt waren und Menschenrechtsverletzungen weiterhin zum Alltag gehörten, kam es über die Jahre hinweg zu einem Geflecht bilateraler Beziehungen und zum Abbau ideologischer Konfrontationen. Der politische Spielraum, der von den SALT-Verhandlungen (Strategic Arms Limitation Talks) zur Abrüstung strategischer Nuklearwaffen und dem KSZE-Prozess (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) flankiert wurde, war allerdings immer auch von der Großwetterlage zwischen den Blöcken dominiert. Unter dem Eindruck der sowjetischen Aufrüstung mit SS-20-Raketen und dem NATO-Doppelbeschluss von 1979 propagierte die SPD ein umfassendes Konzept der gemeinsamen Sicherheit. Auch nach der Regierungsübernahme durch die Koalition von CDU, CSU und FDP unter Helmut Kohl im Oktober 1982 – die entgegen manchen Befürchtungen nicht mit einem grundsätzlichen Politikwechsel im Verhältnis zur DDR verbunden war – arbeitete die SPD mit der SED weiter an sicherheitspolitischen Konzepten. 1987 erschien die von der Grundwertekommission der SPD und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee (ZK) der SED herausgegebene Schrift "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit". Sie enthielt die Zusicherung, dass keine Seite der anderen die Existenzberechtigung absprechen dürfe. Allerdings betonte das Papier auch, dass eine offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme und deren Vorzüge und Nachteile innerhalb jedes Systems möglich sein müsse. Die SPD hoffte, damit Oppositionellen in der DDR wie auch kritischen SED-Mitgliedern eine Basis zu bieten, auf die sie sich berufen konnten. Direkte Kontakte zu Gegnern des SED-Regimes wurden jedoch nur von wenigen Sozialdemokraten gepflegt. Die Ausrichtung auf staatliche und staatsnahe Strukturen in der DDR und in Osteuropa – hinter der die Hoffnung stand, durch den Abbau von Feindbildern Voraussetzungen für gesicherte politische Transformationsprozesse zu schaffen – brachte der SPD vor allem im Rückblick den Vorwurf der Einseitigkeit und der mangelhaften Unterstützung der oppositionellen Bewegungen in diesen Ländern ein. Nach Wahlverlusten der CDU in den Jahren 1988/89 konnte sich die SPD Hoffnungen auf eine Ablösung der Regierung Kohl bei den Bundestagswahlen 1990 machen. Mit Schwerpunkten im Bereich Ökologie, der Rolle der Arbeit in der modernen Gesellschaft, der Gleichstellung der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie mit Konzepten zu einer umfassenden Entspannungs- und Friedenspolitik bot die SPD einen Gegenentwurf zur Politik der Bundesregierung. 1989 sollte ein neues Parteiprogramm verabschiedet werden. Die Wahl des Kanzlerkandidaten stand noch bevor, doch zeichnete sich ab, dass die Sozialdemokraten mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine auch einen Generationswechsel in den Spitzenpositionen vollziehen würden. Reaktionen auf die eskalierende Situation in der DDR 1989 Seit dem Frühjahr 1989 mehrten sich in Teilen der SPD die Bedenken gegenüber den innerparteilich durchaus umstrittenen Kontakten mit der SED. Das DDR-Regime reagierte auf die Umbrüche in Osteuropa und die wachsende Unzufriedenheit im eigenen Land mit Härte und Repression. Vor dem Hintergrund der Fälschungen bei den DDR-Kommunalwahlen im Mai und der Verteidigung des sogenannten Tian’anmen-Massakers in Peking durch die DDR-Führung im Juni 1989 wandte sich der Sozialdemokrat Erhard Eppler in seiner Gedenkrede zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 im Deutschen Bundestag mahnend an die Verantwortlichen in der DDR: Keine Seite könne die andere daran hindern, "sich selbst zugrunde zu richten". Eppler forderte auch die Westdeutschen auf, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, was geschehen solle, wenn der Eiserne Vorhang "rascher als erwartet durchrostet". Dennoch überraschten die Massenflucht von DDR-Bürgern und später die Dynamik der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 die SPD ebenso wie die Bundesregierung, die noch im August 1989 ihr Interesse an der Stabilität der DDR bekundet hatte. Im Frühherbst 1989 kreiste die Diskussion in den Führungsgremien der SPD um die Frage, ob die Politik der "kleinen Schritte" als gescheitert angesehen werden müsse und nun eher "Wandel durch Abstand" (Norbert Gansel) angesagt sei. Die SPD und ihre Schwesterpartei SDP in der DDR Ein wichtiger Impuls für die weitere Diskussion kam aus der DDR. Am 7. Oktober 1989 gründeten Markus Meckel und Martin Gutzeit in Schwante bei Oranienburg die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP, ab Januar 1990 SPD). Sie verstand sich ausdrücklich als Neugründung, nicht als Teil der westdeutschen SPD. Im Unterschied zu den Diskussionsforen anderer Gruppierungen hatte man mit der Gründung einer richtigen Partei gegenüber der Einheitspartei SED demonstrativ die "Machtfrage" gestellt. Die Führungsgremien der westdeutschen SPD bekundeten den ostdeutschen Sozialdemokraten wie auch den Mitgliedern anderer politischer Gruppen in der DDR gleichermaßen ihre Solidarität, verhielten sich aber zunächst abwartend. Nachdem Steffen Reiche, einer der Gründer der SDP, Ende Oktober während eines spontanen Besuchs in Bonn mit Hans-Jochen Vogel und weiteren führenden Sozialdemokraten zusammengetroffen war, zeichnete sich jedoch ab, dass die SDP nun die eigentliche Ansprechpartnerin für die SPD sein würde. Zu den Zielen der SDP gehörte die Umwandlung der DDR in einen demokratischen Staat und die Verwirklichung einer sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft. Die Mitglieder kamen überwiegend aus dem kirchlichen Milieu und aus naturwissenschaftlich-technischen Berufen, so gut wie gar nicht aus der Arbeiterschaft. Nach der Zwangsvereinigung zwischen SPD und SED im Jahr 1946 waren alle Relikte einer sozialdemokratischen Tradition in der DDR ausgetilgt worden. Die Diskussion über den Weg zur deutschen Einheit Die überraschende Maueröffnung am 9. November 1989 sowie Umstrukturierungen auf Regierungsebene in der DDR boten die Chance zur Etablierung gemeinsamer zwischenstaatlicher Strukturen, noch bevor eines Tages eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten möglich sein würde. Bundeskanzler Helmut Kohl ging diese Fragen zunächst eher zögerlich an. Die Aussichten für die SPD, in dieser Diskussion eine führende Rolle spielen zu können, schienen gut. Ihr Ehrenvorsitzender Willy Brandt genoss auch zwei Jahrzehnte nach seinem legendären Besuch in Erfurt 1970 noch immer hohes Ansehen bei den Ostdeutschen. Sein Satz "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" wurde zum vielzitierten Motto der deutschen Einheit. Die Existenz einer politisch unbelasteten "Schwesterpartei" in der DDR konnte als weiterer Vorteil gesehen werden. Am 28. November 1989 stellte der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel im Deutschen Bundestag einen Fünf-Punkte-Plan zur deutschen Einheit vor. Er ging an diesem Tag und auch im historischen Rückblick jedoch völlig unter, da der Bundeskanzler am gleichen Tag mit einem bis dahin geheim gehaltenen Zehn-Punkte-Plan in die Offensive ging. Beide Initiativen unterschieden sich nur wenig. Während Hans-Jochen Vogel eine Konföderation mit frei gewählten Institutionen und Gremien vorschlug und die enge Verknüpfung mit dem KSZE-Prozess und der europäischen Einigung betonte, sprach Helmut Kohl von einer Föderation und lenkte den Blick suggestiv auf das Bild eines wiedervereinigten Deutschland. Über die – in den Augen führender Sozialdemokraten dennoch nur folgerichtige –Zustimmung zu Kohls Plan durch den außenpolitischen Sprecher der SPD Karsten Voigt im Bundestag, kam es anschließend zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen. Kohl, der die Brisanz des Einheitsthemas inzwischen erkannt hatte, wies von nun an alle Vorschläge des SPD-Vorsitzenden zurück, den Weg zur deutschen Einheit im Konsens zu gestalten. Zwar gelang es der SPD noch einmal, mit dem von Ingrid Matthäus-Maier ausgearbeiteten Vorschlag einer Währungsunion im Januar 1990 eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Doch schon am 6. Februar 1990 stellte der Kanzler seinerseits die Währungsunion in Aussicht. Im Vergleich zur SPD, die sich inhaltlich und auch moralisch den Oppositionsgruppen in der DDR und ihren Zielen verpflichtet fühlte, orientierte sich der Bundeskanzler in den nächsten Monaten sehr viel mehr an der Stimmung der breiten Masse der DDR-Bevölkerung, die von einer eigenständigen DDR nichts mehr wissen wollte. Deutsche Einheit und europäische Integration In der SPD gab es unterschiedliche Meinungen über den einzuschlagenden Kurs in der Frage der deutschen Einheit. Sie waren für Vogel ein Grund dafür, dass er relativ spät mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen war. Dabei lässt sich der Verlauf der Diskussionslinien weder generell mit der Zugehörigkeit zum "rechten" oder "linken" Parteiflügel, noch ausschließlich mit der Generationenzugehörigkeit der jeweiligen Protagonisten verknüpfen. Während Egon Bahr mahnte, nur ein vereintes Europa könne ein vereintes Deutschland ertragen, erklärte Willy Brandt in seiner Rede auf dem Berliner Programm-Parteitag der SPD im Dezember 1989, die Deutschen seien nicht verpflichtet, auf einem "Abstellgleis" zu verharren, "bis irgendwann ein gesamteuropäischer Zug den Bahnhof erreicht hat". Aber auch Oskar Lafontaine, Ministerpräsident des Saarlandes und zukünftiger Kanzlerkandidat der SPD, erntete auf dem Parteitag mit seiner bewussten Betonung der internationalen Fragen und der Warnung vor nationalem Pathos große Zustimmung. Dass die Lösung der deutschen Frage nur im Rahmen einer europäischen Integration möglich sein würde, gehörte zu den festen Bestandteilen im Denken westdeutscher Sozialdemokraten. Gerade für die Nachkriegsgeneration war nach Nationalsozialismus und Krieg die Rückkehr zu einem deutschen Nationalstaat traditioneller Prägung nicht mehr vorstellbar. Ein vereintes Europa, in dem Grenzen bedeutungslos geworden waren, schien zugleich den Rahmen für ein neues postnationales Verhältnis der beiden deutschen Staaten zu bieten. Hinzu kam, dass es in Teilen der Partei wie auch innerhalb der westdeutschen Gesellschaft in den 1988er Jahren Tendenzen gab, sich mit einem post-nationalen, westeuropäisch und ökologisch orientierten Lebensgefühl zu identifizieren und sich weniger mit der Realität in der DDR zu befassen. Ängste vor einem wieder erstarkenden deutschen Nationalismus und einem machtpolitisch auftrumpfenden vereinten Deutschland waren durchaus real. Sie wurden zum Beispiel dadurch geschürt, dass in Teilen der Union die polnische Westgrenze, die im Warschauer Vertrag längst anerkannt war, mit Rücksicht auf die Vertriebenenverbände unter einen Friedensvertragsvorbehalt gestellt wurde. Über den Umgang mit Polen in dieser Frage, das eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung seiner Grenzen noch vor der deutschen Einigung anstrebte, kam es im Frühjahr und Sommer 1990 zu anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen SPD und Bundesregierung. Am 21. Juni 1990 verabschiedeten Bundestag und Volkskammer eine gleichlautende Erklärung zur Grenze zwischen Polen und Deutschland. Entscheidend für den weiteren Verlauf der innerparteilichen Diskussion war, dass Oskar Lafontaine die Zweistaatlichkeit und eine ökonomische Stabilisierung der DDR favorisierte. Mit Blick auf die dramatisch ansteigende Zahl der DDR-Übersiedler nach der Maueröffnung schlug er vor, DDR-Bürger nicht automatisch als bundesdeutsche Staatsbürger anzuerkennen, denen westdeutsche Sozialleistungen zustanden – ein Vorstoß, der von den Führungsgremien der SPD sofort zurückgewiesen wurde. Lafontaines Wahlsieg im Saarland im Januar 1990 schien seine Linie zu bestätigen. Am 19. März 1990 wurde Lafontaine vom SPD-Parteivorstand zum Kanzlerkandidaten bestimmt. Künftige Konflikte waren allerdings absehbar, machte er die Annahme der Kandidatur doch von der Akzeptanz seiner persönlichen Wahlkampfstrategie abhängig. Eine rasche Währungsunion lehnte er aus ökonomischen und sozialen Gründen ab. Dabei setzte er auf Konfrontationskurs gegenüber der Regierung Kohl und ging zunächst noch vom Scheitern der für den 1. Juli 1990 angekündigten Währungsunion aus. Dagegen forderte inzwischen auch die ostdeutsche SPD ein stärkeres Bekenntnis zur deutschen Einheit. "Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen", erklärte eine Delegiertenkonferenz im Januar 1990. Die Volkskammerwahlen in der DDR Bei den ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 rechneten die Sozialdemokraten mit einem guten Ergebnis. Dafür schienen anfangs nicht nur einige Meinungsumfragen zu sprechen; Die ostdeutschen Sozialdemokraten sahen sich mit ihrem neu verabschiedeten Parteiprogramm und einem Wahlprogramm, das die DDR demokratisieren und strukturell auf die deutsche Einheit vorbereiten sollte, in einer guten Ausgangsposition. Das Ergebnis – nur 21,9 Prozent der Stimmen für die SPD, 48,1 Prozent dagegen für die "Allianz für Deutschland" und 16,4 Prozent für die PDS – war daher ein Schock. Die "Allianz", bestehend aus der DDR-Blockpartei CDU, der rechts stehenden DSU und dem Demokratischen Aufbruch, hatte mit Unterstützung der westdeutschen CDU einen äußerst aggressiven Wahlkampf geführt, der sich insbesondere gegen die SPD richtete. Helmut Kohl war es überdies gelungen, durch zahlreiche Wahlkampfauftritte die Hoffnungen der Ostdeutschen auf seine Person zu lenken, wobei ihm Aussagen zur 1:1-Umstellung der Kleinsparerkonten in Verbindung mit dem "Kanzlerbonus" zweifellos zugutekamen. Nach dem Eintritt in die Regierungskoalition hatte die SPD in der DDR an vielen Gesetzgebungsvorhaben wesentlichen oder auch initiierenden Anteil. Die Einheit sozial gestalten: Das Ringen um den Vertrag zur Währungsunion Bei der Vorbereitung des Staatsvertrags zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion blieb die Regierung Kohl bei ihrer Linie, die SPD so weit wie möglich aus der Gestaltung des Einigungsprozesses herauszuhalten. Erst die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen am 13. Mai 1990, die der SPD eine Mehrheit im Bundesrat brachten, veranlassten Helmut Kohl zu Zugeständnissen. Oskar Lafontaine, durch ein Attentat im April 1990 schwer verletzt, lehnte eine schlagartige Währungsumstellung zum 1. Juli 1990 aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen ab. Nach seiner Genesung wandte er sich vehement gegen eine Zustimmung zum Staatsvertrag. Die Finanz- beziehungsweise Wirtschaftsexperten der SPD, Ingrid Matthäus-Maier und Wolfgang Roth, sahen dagegen in der Einführung der D-Mark eine Chance für die marode DDR-Wirtschaft. Bedenken gegen den unter großem Zeitdruck ausgearbeiteten Vertrag und die zu erwartenden ökonomischen und sozialen Verwerfungen gab es bei vielen Sozialdemokraten. Allerdings war auch den Kritikern klar, dass bei Ablehnung des Vertrags ein Chaos in der DDR drohte. Die Gewissheit, dass die Sozialdemokraten dies nicht in Kauf nehmen würden, stärkte wiederum die Position der Bundesregierung. In der DDR, wo die SPD auch der Regierungskoalition angehörte, signalisierte die SPD-Volkskammerfraktion schon nach der ersten Lesung des Vertrags am 21. Mai 1990 bis auf wenige Punkte ihre Zustimmung; die Position Oskar Lafontaines stieß auf Unverständnis. Die westdeutsche SPD lehnte den Vertrag zunächst ab und forderte weitere Maßnahmen zur Abfederung des Strukturwandels in der DDR. Die Änderungen, die schließlich innerhalb und außerhalb des Vertragstextes durchgesetzt werden konnten, betrafen unter anderem Regelungen zur Erhaltung überlebensfähiger Betriebe, die Kurzarbeiterregelung, Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose, temporäre Einfuhrsondersteuern zum Schutz von Konsumgütern in der DDR, Verbesserungen bei der Rentenüberleitung, Kontrollmöglichkeiten bei der Kontenumstellung, die Heranziehung des zu Unrecht angehäuften Vermögens von SED/PDS und der Blockparteien für Zwecke der Allgemeinheit, die Übertragung des bundesdeutschen Umweltrechts auf die DDR und die Abschaltung einzelner Blöcke des Kernkraftwerks Greifswald. Einige wesentliche Punkte waren schon zuvor von Seiten der ostdeutschen SPD durchgesetzt worden, unter anderem die Aufrechterhaltung der Mindestrenten, die Gültigkeit des gesamten Betriebsverfassungsrechts und die Streichung einer Passage über die Zulässigkeit von Aussperrungen. Trotz noch bestehender Bedenken und genereller Kritik am Verhandlungsstil der Regierung stimmte die SPD-Bundestagsfraktion dem Vertrag am 21. Juni 1990 mehrheitlich zu. 25 SPD-Abgeordnete votierten dagegen. Im Bundesrat stimmten das Saarland und Niedersachsen als sozialdemokratisch beziehungsweise rot-grün regierte Länder gegen den Vertrag. Der Einigungsvertrag Für die Herstellung der deutschen Einheit hätten viele Sozialdemokraten ein Verfahren nach Artikel 146 bevorzugt, wonach die bundesstaatliche Einheit im Anschluss an vertragliche Vereinbarungen durch das Inkrafttreten einer durch Volksabstimmung beschlossenen neuen Verfassung zustande kommen sollte. Einen Beitritt nach Artikel 23 lehnte man mit Blick auf die Dynamik der politischen Entwicklung jedoch nicht generell ab. Bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag, für den eine grundgesetzändernde Zweidrittelmehrheit notwendig war, konzentrierte sich die SPD auf die Frage der Finanzausstattung der Länder und Gemeinden und die offenen Vermögensfragen. Bei den nach DDR-Recht vollzogenen Enteignungen forderte sie gemeinsam mit den ostdeutschen Sozialdemokraten, für enteignetes Grundvermögen Entschädigungen zu zahlen, während die Bundesregierung den Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" vertrat. Hier konnte sich die SPD nicht durchsetzen, doch es gab spezielle Regelungen bei unredlichem Eigentumserwerb, zur Investitionssicherheit und bei den Ansprüchen von NS-Verfolgten. Die Zustimmung zum Einigungsvertrag wurde für die Sozialdemokraten durch den Erhalt des Artikels 146 und die Option einer späteren Volksabstimmung erleichtert. Von Bedeutung für die SPD war ferner, dass eine Einigung über die Bestimmungen für den Schwangerschaftsabbruch herbeigeführt werden konnte. In der Bundesrepublik galt eine – umstrittene – Indikationslösung, in der DDR eine Fristenlösung. Der Kompromiss sah deren Weiterbestehen bis zu einer neuen gesetzlichen Regelung nach zwei Jahren vor. Ein ungelöstes Problem stellte die Finanzierung der deutschen Einheit dar, die vom Bundeskanzler stets heruntergespielt wurde. Hier hakte die SPD immer wieder ein und forderte, die Kosten offenzulegen. Sie warnte vor dem Griff in die Sozialkassen und einer Neuverschuldung anstelle von Einsparungen, die man sich durch Subventionsabbau, Verzicht auf die Absenkung der Vermögenssteuer, Senkung der Rüstungsausgaben und Heranziehung des Vermögens der Blockparteien in der DDR vorstellte. Allerdings wurde auch von sozialdemokratischer Seite das Ausmaß der erforderlichen Mittel unterschätzt. Vereinigungsparteitag und Bundestagswahlen 1990 Noch vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten schlossen sich ost- und westdeutsche Sozialdemokraten auf einem gemeinsamen Parteitag in Berlin am 27. September 1990 zu einer Partei zusammen. Der erhoffte Sieg bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen am 2. Dezember 1990 blieb allerdings aus. Der Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, vermochte weder die Westdeutschen durch die vorrangige Thematisierung der Kosten der Einheit zu überzeugen, noch die Erwartungen und Gefühle der Ostdeutschen anzusprechen. Auch die Hoffnungen der SPD, in Sachsen und Thüringen, den ursprünglichen "Stammlanden" der deutschen Sozialdemokratie, an alte Erfolge anzuknüpfen, erfüllten sich nicht; die SPD kam insgesamt nur auf 33,5 Prozent der Wählerstimmen. SPD und deutsche Einheit Die SPD wurde von der Friedlichen Revolution in der DDR ebenso überrascht wie die die Westdeutschen insgesamt. Stärker als die CDU/CSU war sie bemüht, Rücksicht auf die Vorstellungen der Oppositionsbewegungen in der DDR zu nehmen. Vorbehalte gegenüber einem starken deutschen Nationalstaat in der Mitte Europas und Befürchtungen vor einem neuen deutschen Nationalismus waren bei den Sozialdemokraten ausgeprägter als in anderen Parteien. Als Oppositionspartei war die SPD in ihren Einflussmöglichkeiten beschränkt. Dennoch trug die SPD durch Initiativen wie Hans-Jochen Vogels Stufenplan zur deutschen Einheit und die währungspolitischen Vorschläge von Ingrid Matthäus-Maier zur politischen Diskussion über den Weg zur deutschen Einheit bei. Durch die hartnäckige Thematisierung der mit dem Einigungsprozess verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme konnte sie auch bei den unter großem Zeitdruck verhandelten Staatsverträgen eine Reihe von Nachbesserungen durchsetzen; dabei wirkte sich die Regierungsbeteiligung der SPD in der DDR unterstützend aus. Gegenüber dem Bundeskanzler, der den Ostdeutschen raschen Wohlstand und den Westdeutschen die Verschonung vor größeren finanziellen Opfern versprach, war die SPD allerdings in einer schlechten Position. Ihre Außenwirkung wurde zudem durch die Konflikte mit Oskar Lafontaine beeinträchtigt. Dennoch überwogen in der SPD und insbesondere in der SPD-Bundestagsfraktion jene Kräfte, die – nach Schaffung der außenpolitischen Rahmenbedingungen durch die Zustimmung Michail Gorbatschows – die außerordentliche Chance erkannt hatten, die sich in den entscheidenden Monaten des Jahres 1990 bot. Dass die Handlungsfähigkeit der SPD vor allem im Sommer 1990 trotz aller innerparteilicher Differenzen erhalten blieb, war nicht zuletzt das Verdienst des Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel, der dabei allerdings mehrfach an die Grenzen seiner Einflussmöglichkeiten stieß. Zitierweise: Ilse Fischer, Die SPD (West) und die deutsche Einheit 1989/90, in: Deutschland Archiv, 31.1.2017, Link: www.bpb.de/241665 Vgl. Daniel Friedrich Sturm, Uneinig in die Einheit. Die Sozialdemokratie und die Vereinigung Deutschlands 1989/90, Bonn 2006; Hans-Jochen Vogel, Erhard Eppler und Wolfgang Thierse, Was zusammengehört. Die SPD und die deutsche Einheit 1989/90, Freiburg 2014, insbes. S. 141 ff.; Ilse Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten. Dokumente aus den Akten der SPD-Führung 1989/90, Bonn 2009, S. 36–42, S. 51 f. Vgl. Andreas Vogtmeier, Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik von Kriegsende bis zur Vereinigung, Bonn 1996, S. 59 ff.; Heinrich Potthoff, Im Schatten der Mauer. Deutschlandpolitik 1962–1990, Berlin 1999, S. 31–43; Peter Bender, Die "Neue Ostpolitik" und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Vereinigung, München 1996; Wolfgang Schmidt, Willy Brandts Ost- und Deutschlandpolitik, in: Bernd Rother (Hg.), Willy Brandts Außenpolitik, Wiesbaden 2014, S. 161–257. Vgl. Klaus Moseleit, Die "Zweite" Phase der Entspannungspolitik der SPD 1983–1989, Frankfurt a. M. 1991; zum SPD-SED-Papier vgl. Erhard Eppler, Die Einheit im Hinterkopf, in: Vogel, Eppler und Thierse, Was zusammengehört (Anm. 1), S. 195–210; Zur Kritik an der Außenpolitik in den 1980er Jahren vgl. u. a. Timothy Garton Ash, Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, München 1993, S. 465, S. 479 f. und S. 500 f; Sturm, Uneinig in die Einheit (Anm. 1), S. 97–99; Bernd Faulenbach, Zur Bedeutung der Umwälzung 1989/90 für die deutsche Sozialdemokratie im europäischen Kontext, in: Archiv für Sozialgeschichte, 53 (2013), S. 389–392. Vgl. Hans-Jochen Vogel, Nachsichten. Meine Bonner und Berliner Jahre, München 1996, S. 276–289 und S. 233–236. Vgl. Potthoff, Im Schatten der Mauer (Anm. 2), S. 295; Rede Erhard Epplers am 17. Juni 1989 im Deutschen Bundestag. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 149, Gedenkstunde am 17. Juni 1989, S. 11300 und S. 11297, abgedruckt in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument 1, S. 73, S. 78; Protokoll über die Sitzung des SPD-Partei-Vorstandes, 18. September 1989, in: ebd., Dokument 6, S. 96 und S. 100 ff. Vgl. Peter Gohle, Von der SDP-Gründung zur gesamtdeutschen SPD. Die Sozialdemokratie in der DDR und die Deutsche Einheit 1989/90, Bonn 2014; zur Reaktion der westdeutschen SPD vgl. Georgios Chatzoudis, Die Deutschlandpolitik der SPD in der zweiten Hälfte des Jahres 1989, Friedrich-Ebert-Stiftung, Gesprächskreis Geschichte (Hg.), Heft 60, Bonn 2005, S. 62–65; vgl. Erklärung des Präsidiums der SPD zur Entwicklung in der DDR und zur Gründung der SDP, 9.10.1989, in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument 12, S. 115 f. Zur Entstehung des Zitats vgl. Bernd Rother, „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, in: Bernd Faulenbach und Andreas Helle (Hg,), Menschen, Ideen, Wegmarken. Aus 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie, Berlin 2013, S. 384–391. Rede Hans-Jochen Vogels im Deutschen Bundestag, 28. November 1989, Abdruck in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 24, S. 164–174; zu Kohls Ausführungen vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages (Anm. 5), Bd. 151, 177. Sitzung, 26. November 1989, S. 13510–13514; Ingrid Matthäus-Maier, Signal zum Bleiben, in: Die Zeit, Nr. 4, 19. Januar 1990, Abdruck in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 31, S. 220–223. Vgl. u. a. Bernd Faulenbach, Die demokratische Linie und die Umwälzung 1989/90, in: Mike Schmeitzner (Hg.), Totalitarismuskritik von links. Deutsche Diskurse im 20. Jahrhundert, Göttingen 2007, S. 33; Sturm, Uneinig in die Einheit (Anm. 1), S. 468–471; Chatzoudis: SPD und deutsche Einheit, S. 52 f.; vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums der SPD am 11. September 1989, Abdruck in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 4, S. 91 f.; Rede Willy Brandts auf dem SPD-Parteitag in Berlin, 18. Dezember 1989, Abdruck in: ebd., Dokument Nr. 29, Zitat S. 209; zu Lafontaine vgl. Protokoll vom Programm-Parteitag Berlin 18.–20.12.1989, Bonn o.J. [1990], S. 241–260. Vgl. Petra Schuh, Die SPD (West) im Einigungsprozeß 1989/90, in: Petra Schuh und Bianca M. von der Weiden, Die deutsche Sozialdemokratie 1989/90, S. 307–313. Vgl. Sturm, Uneinig in die Einheit (Anm. 1), S. 232 ff.; vgl. Protokoll der Sitzung des Präsidiums und Pressemitteilung vom 27. November 1989; Protokoll der Sitzung des Präsidiums vom 10. Dezember 1989, Abdruck in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokumente Nr. 22, 23 und 26, S. 159–163, S. 164 und S. 183–190; zur Kandidatenwahl vgl. ebd., Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung des Parteivorstandes, 19. März 1990, Dokument 37, S. 265–270; Erklärung der Delegiertenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Berlin am 14. Januar 1990 zur deutschen Frage. Abdruck in: ebd., Dokument Nr. 30, S. 219; Hans-Jochen Vogel: Der Anteil der SPD am deutschen Einigungsprozess, in: Vogel, Eppler und Thierse: Was zusammengehört (Anm. 1), S. 107 ff. Vgl. Gohle, SDP-Gründung, S. 178–192; Sturm, Uneinig in die Einheit (Anm. 1), S. 296–310; Ilse Fischer (Hg.), Von der frei gewählten Volkskammer zum vereinten Deutschland. Politik und Alltagserfahrungen sozialdemokratischer Volkskammerabgeordneter. Dokumentation einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 23./24. September 2010 in Berlin, Bonn 2013. Vgl. Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Einleitung, S. 50 f. Vgl. „Ausschuß ‘Deutsche Einheit‘: Position und Änderungsverlangen der SPD“, in: Die SPD im Deutschen Bundestag, Nr. 1058, 16. Mai 1990, Abdruck in: Fischer (Hg.): Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 42, S. 307 ff.; Mitteilung für die Presse. Presseservice der SPD, Nr. 205/90, 21. Mai 1990, Abdruck in: ebd., Dokument Nr. 44, S. 319 f.; Vogel, Nachsichten (Anm. 4), S. 332–337; Sturm, Uneinig in die Einheit (Anm. 1), S. 399–417; Erklärung nach § 31 GO, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 153, 217. Sitzung, 21. Juni 1990, Anlage 14, S. 17293–17294, in: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 48, S. 343–346. Vgl. Entschließung des SPD-Parteivorstandes über Schritte zur deutschen Einheit, 7. März 1990, in: Fischer (Hg.): Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), Dokument Nr. 36, S. 264. Vgl. das Resümee von Hans-Jochen Vogel in der Gemeinsamen Sitzung des SPD-Parteivorstandes West und Ost zum Einigungsvertrag, 31. August 1990. Abdruck in: ebd., Dokument Nr. 54, S. 367–376; vgl. Schuh, Die SPD (West) im Einigungsprozess (Anm. 10), S. 287–306. Vgl. u. a. Ingrid Matthäus-Maier, DDR-Sonderfonds. Deutsche Einheit auf Pump, in: Die SPD im Deutschen Bundestag, Nr. 1051, 16. Mai 1990. Weitere Hinweise: Fischer (Hg.), Die Einheit sozial gestalten (Anm. 1), S. 55, Anm.143–145. Zum Vereinigungsparteitag vgl. Protokoll vom Parteitag Berlin 27.–28.9.1990, Bonn o. J. [1990]. Vgl. Franz Walter, Sachsen – ein Stammland der Sozialdemokratie?, in: Politische Vierteljahresschrift 32 (1991) 2, S. 207–231.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-07T00:00:00"
"2017-01-30T00:00:00"
"2022-02-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/241665/die-spd-west-und-die-deutsche-einheit-1989-90/
Welche Haltung hatten die SPD-Führungsgremien im Prozess des politischen Umbruchs 1989/90? Ilse Fischer beschreibt die Rolle der SPD auf dem Weg zur deutschen Einheit und das Zusammenwachsen der westdeutschen Sozialdemokratie mit der ostdeutschen SDP
[ "SPD", "SDP", "Vogel", "Lafontaine", "Meckel" ]
30,628
Politische Bildung mit Gefühl | 14. Bundeskongress politische Bildung 2019 | bpb.de
Bestimmen Emotionen unsere Entscheidungen? Wie rational ist Politik? Sind Ratio und Emotion überhaupt Gegensätze? Was geht das die politische Bildung an? Ein neuer Band unserer Schriftenreihe diskutiert die Bedeutung von Emotionen in Politik und Gesellschaft sowie Folgerungen für Theorie und Praxis der politischen Bildung. Mit dem 14. Bundeskongress Politische Bildung widmen wir uns explizit den Fragestellungen um Emotionen in Politik und Gesellschaft. Wer sich allerdings tiefer gehend mit den oben genannten Fragestellungen auseinandersetzen möchte, dem möchten wir den neuen Schriftenreiheband "Politische Bildung mit Gefühl", herausgegeben von Anja Besand, Bernd Overwien und Peter Zorn ans Herz legen. Die folgende Kurzbeschreibung mach bereits deutlich, wie umfassend sich die vertretenen Autorinnen und Autoren mit Fragestellungen rund um Emotionen in politischer Bildung auseinandergesetzt haben: Liebe und Hass sind keine Kleinigkeiten. Dennoch wird die Frage nach der Bedeutung von Gefühlswelten oder Emotionen in den Debatten über Theorie und Praxis politischer Bildung bisher nur am Rande bearbeitet. Zugleich wird vermehrt darüber diskutiert, ob Politik mit neuen Formen der "Emotionalisierung" konfrontiert ist. Dabei geht es um das Phänomen der "Wutbürger" oder um die These, Populismus und Extremismus würden Affekte adressieren und die Rationalität demokratischer Prozesse untergraben. Gibt es also eine professionsspezifische "Blindheit" der politischen Bildung? Liegt dieser eine historisch begründete Fixierung auf die Rationalisierung politischer Diskurse zugrunde? Gibt es überzeugende Gründe, sich intensiver mit der Rolle von Emotionen als Gegenstand, aber auch als pädagogische Einflussgröße in der politischen Bildung zu befassen? Der Band nimmt eine Bestandsaufnahme der Fachdebatte über die Bedeutung von Emotionen in der politischen Bildung vor und will deren Weiterentwicklung anstoßen. Emotionen werden als Gegenstand sowie als konstituierende Größe in politischen Bildungsprozessen diskutiert. Relevante Diskurse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen werden einbezogen. Alle Interessierten gelangen über diesen Link zu unserer Shop-Seite. Viel Spaß bei der Lektüre!
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2019-03-05T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/veranstaltungen/reihen/bundeskongress-politische-bildung/286924/politische-bildung-mit-gefuehl/
Bestimmen Emotionen unsere Entscheidungen? Wie rational ist Politik? Sind Ratio und Emotion überhaupt Gegensätze? Was geht das die politische Bildung an? Ein neuer Band unserer Schriftenreihe diskutiert die Bedeutung von Emotionen in Politik und Gese
[ "Emotionen" ]
30,629
Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Alter | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
Im Jahr 2020 hatten 26,7 Prozent aller Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund. Dabei gilt: Je jünger die Altersgruppe ist, desto höher ist der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund. So hatten beispielsweise im Jahr 2020 bei den Kindern unter fünf Jahren vier von zehn Kindern einen Migrationshintergrund (40,3 Prozent). Noch größer sind die Unterschiede auf der Ebene der Bundesländer: In Bremen hatten 2020 fast zwei Drittel der unter 6-Jährigen einen Migrationshintergrund (64,3 Prozent), in Sachsen waren es bei dieser Altersgruppe lediglich 15,2 Prozent. Fakten Im Jahr 2020 hatten 21,9 Millionen der insgesamt 81,9 Millionen Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund. Von den Personen mit Migrationshintergrund waren 53 Prozent Deutsche und 47 Prozent Ausländer. 62 Prozent sind selbst eingewandert, 38 Prozent sind in Deutschland geboren. Insgesamt hatte 2020 gut jede vierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund (26,7 Prozent). Jedoch hat das Alter erheblichen Einfluss darauf, ob ein Migrationshintergrund in der eigenen Generation eher eine Ausnahme darstellt oder nicht: Bei den im Jahr 2020 85- bis unter 95-Jährigen hatten lediglich 8,4 Prozent aller Personen einen Migrationshintergrund. In der Gruppe der 45- bis unter 55-Jährigen steigt der entsprechende Anteil auf 25,9 Prozent. Und bei den Kindern unter fünf Jahren hatten 2020 vier von zehn Kindern einen Migrationshintergrund (40,3 Prozent). Von dem insgesamt hohen Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei den jüngeren Altersgruppen lässt sich jedoch nicht ableiten, dass in der jüngeren Generation ein Migrationshintergrund überall in Deutschland gewöhnlich ist. So lag der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in der Gruppe der unter 6-Jährigen in Westdeutschland (einschließlich Berlin) mit 43,8 Prozent etwa zweieinhalbmal höher als der Anteil in Ostdeutschland mit 16,9 Prozent. In Bremen hatten 2020 fast zwei Drittel der unter 6-Jährigen einen Migrationshintergrund (64,3 Prozent) und auch in Hessen und Berlin stellten die unter 6-jährigen mit Migrationshintergrund die Bevölkerungsmehrheit (51,5 bzw. 50,7 Prozent). In Bremen und Hessen galt Letzteres auch für die Gruppe der 6- bis unter 15-Jährigen. Hingegen lag der Anteil der unter 6-Jährigen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bei lediglich 15,2 bzw. 15,9 Prozent. Erwartungsgemäß nimmt bei den einzelnen Altersgruppen der Anteil der Personen mit eigener Migrationserfahrung mit steigendem Alter zu: Bei den unter 5-jährigen Personen mit Migrationshintergrund hatten 2020 lediglich 8,7 Prozent eigene Migrationserfahrungen. Bei den 5- bis unter 10-Jährigen steigt der entsprechende Anteil auf 27,5 Prozent und bei den 20- bis unter 25-Jährigen auf 47,8 Prozent. Schließlich hatten im selben Jahr bei den 45-jährigen und älteren Personen mit Migrationshintergrund mehr als 80 Prozent eigene Migrationserfahrungen. Von den 13,56 Millionen Personen mit eigener Migrationserfahrung, die 2020 in Deutschland lebten, waren bei ihrer Einreise 18,1 Prozent unter 10 Jahre alt. 13,1 Prozent waren zwischen 10 und unter 18 Jahre alt. Zur Gruppe der 18- bis unter 25-Jährigen gehörten 23,2 Prozent und 43,3 Prozent der Personen mit eigener Migrationserfahrung reisten in einem Alter zwischen 25 und unter 65 Jahren nach Deutschland ein. Bezogen auf alle in Deutschland lebenden Personen mit eigener Migrationserfahrung lag das durchschnittliche Alter bei der Einreise bei 23,1 Jahren. Im Jahr 2020 lebten von den Personen mit Migrationshintergrund 63,4 Prozent als Eltern oder Kinder in Familienhaushalten. 19,0 Prozent lebten in einer Paargemeinschaft ohne Kinder und 17,6 Prozent waren Alleinstehend. Bei den Personen ohne Migrationshintergrund lebten lediglich 43,4 Prozent als Eltern oder Kinder in einem Familienhaushalt. Entsprechend lag der Anteil der Paargemeinschaften ohne Kinder bzw. der Anteil der Alleinstehenden mit 32,9 bzw. 23,7 Prozent deutlich höher als bei den Personen mit Migrationshintergrund. Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt: Zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländer, zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte, (Spät-)Aussiedler, Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Adoption durch einen deutschen Elternteil erhalten haben sowie die mit deutscher Staatsangehörigkeit geborenen Kinder der vier zuvor genannten Gruppen. Eine Person hat dann eine eigene Migrationserfahrung, wenn sie im Ausland geboren und zugewandert ist. Eine Person hat keine eigene Migrationserfahrung, wenn sie in Deutschland geboren ist. Ausländer/innen sind Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Externer Link: Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes sind. Dazu zählen auch Staatenlose und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Sie können in Deutschland geboren oder zugewandert sein. Weitere Informationen erhalten Sie Interner Link: hier... Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Alter Altersgruppen, in absoluten Zahlen und Anteil an der jeweiligen Altersgruppe in Prozent, 2020 im Alter von … bis unter ... Jahre Gesamt- bevölkerung Bevölkerung mit Migrationshintergrund 1 in Tsd. in Tsd. Anteil an der Gesamtbevölkerung, in Prozent unter 5 3.888 1.565 40,3 5 bis 10 3.751 1.494 39,8 10 bis 15 3.758 1.436 38,2 15 bis 20 3.866 1.372 35,5 20 bis 25 4.468 1.524 34,1 25 bis 35 10.454 3.515 33,6 35 bis 45 10.205 3.537 34,7 45 bis 55 11.704 3.034 25,9 55 bis 65 12.431 2.154 17,3 65 bis 75 8.549 1.374 16,1 75 bis 85 6.842 683 10,0 85 bis 95 1.864 157 8,4 ≥ 95 89 (9) 2 (10,1) 2 insgesamt 81.870 21.853 26,7 Fußnote: 1 Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im weiteren Sinn umfasst auch in Deutschland geborene Deutsche mit Migrationshintergrund, die nicht mehr mit ihren Eltern in einem Haushalt leben. Fußnote: 2 Geringe Fallzahl, Zahlenwert nicht sicher. Quelle: Statistisches Bundesamt: Mikrozensus – Bevölkerung mit Migrationshintergrund Quellen / Literatur Statistisches Bundesamt: Mikrozensus – Bevölkerung mit Migrationshintergrund Statistisches Bundesamt: Mikrozensus – Bevölkerung mit Migrationshintergrund
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-12T00:00:00"
"2012-11-28T00:00:00"
"2022-01-12T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/150599/bevoelkerung-mit-migrationshintergrund-nach-alter/
Im Jahr 2020 hatten 26,7 % aller Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund. Dabei gilt: Je jünger die Altersgruppe ist, desto höher ist der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund.
[ "Zahlen und Fakten", "Migration", "Migrationshintergrund", "Zuwanderung", "Bevölkerung mit Migrationshintergrund", "Alter", "Altersgruppen", "Ausländer", "Migranten", " Migrationserfahrung", "soziale Situation" ]
30,630
تعليم المواطنة في بولندا | Country Profiles: Citizenship Education Around the World | bpb.de
تعرفوا على تعليم المواطنة في بولندا حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة الغير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بعرض نعلومات مرجعية عن تاريخ تأسيس [لجنة التربية الوطنية] في بولندا لتوضيح أثرها على مفهوم المواطنة في بولندا. المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. البيئة القانونية (التشريع والسياسات) Interner Link: 5. الجهات المعنية Interner Link: 6. التحديات Interner Link: 7. الحواشي 1. معلومات مرجعية ترجع بدايات تعليم المواطنة في بولندا إلى تاريخ تأسيس Komisja Edukacji Narodowej [لجنة التربية الوطنية]. وقد تأسست هذه الهيئة العلمانية التي تُعادل وزارات التعليم الحديثة عام ١٧٧٢. ويعكس تاريخ تعليم المواطنة في بولندا التاريخ المضطرب لهذا البلد: تقسيمه عام ١٧٧٢، واستعادته لاستقلاله في عام ١٩١٨، وحقبة الحرب العالمية الثانية (١٩٣٩-١٩٤٥)، والوقوع تحت مظلة نفوذ الاتحاد السوفيتي مباشرةً عقب الحرب. وفي حقيقة الأمر، لم تبدأ بولندا في إعادة بناء نظامها المدرسي إلا في عام ١٩٨٩، أي بعد سقوط الشيوعية. تمَّ وضع أوَّل منهجٍ مُتَّسِق لتعليم المواطنة، والذي حمل مُسمَّى Nauka o Polsce Współczesnej [معرفة بولندا المعاصرة] في عام ١٩٢٢ [1]. وفي عام ١٩٣٢، أعيد تنظيمه وجرى دمجه مع موادَ أخرى، وبصفةٍ أساسية مع مادتَي الجغرافيا والتاريخ [2]. وفي الأعوام ما بين ١٩١٨- ١٩٣٩، ركَّزَ تعليم المواطنة على القضايا المحلية والوطنية وقضايا الدولة. وأصبح، عقب الحرب، أداةً لتلقين العقائد السياسية. كان الناس ينظرون إلى المشاركة المدنية على أنَّها عملٌ لصالح السلطات الشيوعية، ومن ثَمَّ تمَّ تقييمها من زاوية سلبية. ولسوء الحظ، تبيَّن أنَّ صورتها السلبية – والتي ولَّدَها شك الناس عمومًا في كل ما كانت الدولة تمثله في ذاك الحين – تُشكِّل عقبةً أمام التغييرات التي أُجرِيَت إبان التحول السياسي في بولندا [3]. وفي الثلاثين عامًا الماضية، جرى إصلاح هيكل النظام المدرسي في بولندا مرتَين (في عامَي ١٩٩٩ و٢٠١٧). وعُدِّلت المناهج الأساسية مرات عديدة – كان آخرها بسبب الإصلاح التعليمي الأخير (الذي يجري تنفيذه منذ عام ٢٠١٧). وترتبط هذه التغييرات ارتباطًا وثيقًا بأحد التحولات الطارئة على السياسة البولندية. ففي عام ٢٠١٥، تولى حزب Prawo i prawiedliwość [القانون والعدالة] السلطة في بولندا، وهو أحد الأحزاب المحافظة والمتشككة في أوروبا. وقد دفعت أفكار برنامج الحزب وخطابه وقراراته السياسية بشكلٍ واضح برؤية المواطنة نحو مجتمعٍ حصري (4]؛ الأمر الذي كان له أثرٌ على التعليم وإصلاحه [5]. 2. تعريف تعليم المواطنة من حيث المبدأ، يتمُّ تطبيق تعليم المواطنة في بولندا كموضوع مشترك بين المناهج الدراسية ومدرج ضمن موادَ أخرى، وكمادةٍ مستقلة بعنوان Wiedza o społeczeństwie ]المعرفة بالمجتمع[. لا يوجد تعريفٌ رسمي لتعليم المواطنة. ومع ذلك، يمكن استرجاعه من واقع المناهج الأساسية التي وضعتها وزارة التربية الوطنية [6]. يُحدِّد مخطط المناهج هذا مهام المدارس، ومن بينها ومن جملة أمور أخرى ما يلي: "التعليم والتنشئة في المدارس الابتدائي [7] يُغذِّيان تنمية المواطنة والمواقف الوطنية والاجتماعية للمتعلمين. وتتمثل مهمة المدرسة في تعزيز الشعور بالهوية الوطنية، والتعلُّق بالتاريخ والتقاليد الوطنية، والإعداد لاتخاذ إجراءات تدعم المدرسة والبيئات المحلية والتشجيع عليها، بما في ذلك المشاركة في الخدمة التطوعية. وتهتم المدرسة بتنشئة الأطفال والشباب على روح قبول الآخرين واحترامهم [...]" [8]. يؤكد إدراج هذه الفقرة ضمن المهام الموكلة إلى المدارس على أهمية تعليم المواطنة في منظومة التعليم البولندي. ويُفهَم تعليم المواطنة هذا على أنَّه تعليمٌ يُولي الأولوية للمجتمع الوطني، ومن ثَمَّ يضعه ضمن مفاهيمَ مبنية على مقاربة محافِظة للمواطنة [9]. ومع ذلك، وكما يُوضِّح المقتطف المُقتَبس، فإنَّ المشاركة المدنية لا تُشكِّل التزامًا – ومن ثَمَّ، فهي أصبحت غير مُسيَّسة، في حين تمَّ تخفيف ميولها إلى الانحصار داخل الحدود المجتمعية من خلال الإشارة إلى القِيَم العالمية [10]. إنَّ التحليل التفصيلي للأهداف العامة ونتائج التعلُّم ذات الصلة بالكفاءات المدنية المحددة في المناهج الأساسية على ما يبدو يؤكد على هذا الإعلان المتعلق بتعليم المواطنة على نحوٍ جزئيٍّ فحسب. فبالفعل الغرض من التعليم هو التركيز على الحفاظ على التقاليد، ونقل التراث الوطني، والتشديد على تاريخ البلاد والمعرفة بها، والإلمام بمؤسساتها وقوانينها [11]، إلا أنَّه، وعلى النقيض، يتمُّ تناول كلٍّ من الأهداف العامة ونتائج التعلُّم المحددة ذات الصلة بالمشاركة المدنية بشكلٍ هامشي. ومن بين ما سبق، وما تمَّ تحديده بشأن جميع المواد في جميع مراحل التعليم، تتناول مادة واحدة فقط الإسهام المدني. وفي الوقت ذاته، من بين ١٧٣٦ نتيجة تعلُّم خاصة بالكفاءات الاجتماعية والمدنية في جميع مراحل التعليم، هناك ثلاث عشرة نتيجة منها فقط تشير إلى المشاركة المدنية، وعشرة منها ذات صلة بمجال المعرفة لا المهارات أو المواقف المدنية [12]. لا يساهم الهيكل القانوني للحكم الذاتي للطلبة في تنمية مشاركة الأطفال ولا الشباب. وفي حين أنَّ هيئات الحكم الذاتي إلزامية وموجودة في جميع المدارس، إلا أنَّها لا تتمتع بأي أهلية قانونية لإصدار قراراتٍ ملزمة [13]. وفقًا للدراسة الدولية لتدريس التربية المدنية والمواطنة (ICCS) ٢٠٠٩ [14]، يُقيِّم الطلاب البولنديون تأثيرهم في قرارات المدرسة على أنَّه منخفضٌ للغاية. وفضلًا عن ذلك، وبالمقارنة مع البلدان الأخرى المشمولة في الدراسة، ثَبَتَ أنَّ التناقض بين تقييمات المعلمين والطلاب هو الأكبر في بولندا [15]. وقد كشفت دراسةٌ أخرى أُجرِيَت في عام ٢٠١٥ بين الشباب الذين تتراوح أعمارهم بين ثلاثة عشر وخمسة عشر عامًا عن طبيعة واجهة الحكم الذاتي للطلاب في بولندا [16]. وفي ضوء ما سبق، فإنَّ تعزيز الإجراءات التي تهدف إلى دعم البيئات المدرسية والمحلية، والمشار إليها كواحدة من المهام العامة للمدرسة، لا يحظى بانعكاسٍ كافٍ، سواء في الأهداف العامة أو المحددة للمناهج الأساسية، أو في إطار الهيكل القانوني للحكم الذاتي للطلاب. ومن ثَمَّ، فإنَّ حيز الديمقراطية في المدرسة، وهي تجربة تتيح التطوير الفعلي لمهارات الطالب المدنية، يعتمد على المدرسة نفسها وعلى مدى اهتمام المعلمين وقدرتهم على تهيئة الظروف اللازمة لخوض مثل هذه التجربة الديمقراطية. ويتأكَّد ذلك من خلال البحث الذي يُشار فيه إلى المدرسة كمتغير يميِّز فيما بين ما يُقارَن ببعضه من تقييمات لأجهزة الحكم الذاتي في المدارس وأدائها [17]. تُعتبر الإشارة إلى القِيَم العالمية وقبول الآخرين واحترامهم في المناهج الأساسية ضمن وصفها لمهام المدارس أيضًا ذات طابعٍ بياني. ويُظهِر التحليل المفصل للمناهج الأساسية أنَّ هذه القضايا يتمُّ تناولها بشكلٍ هامشي. ولم يتغير ذلك لسنوات عديدة؛ ومع ذلك، فقد ساهم إصلاح التعليم الذي أُجرِيَ عام ٢٠١٧ في زيادة تدهور الوضع في هذا الصدد. أولًا، تمَّ حذف القاعدة التي تُلزِم المدارس بالقيام بأنشطة مناهضة للتمييز من القوانين المعمول بها؛ وثانيًا، تَغيَّر السياق السياسي لتعليم المواطنة [18]. يشمل النطاق الحالي لتعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة على مستوى مرحلة التعليم الأساسي اثنتي عشرة مجموعة مواضعية، هي: الطبيعة الاجتماعية للبشر، والأسرة، والمدرسة والتعليم، وحقوق الإنسان، والقاصرون (الأحداث) إزاء القانون، والمجتمع المحلي، والمجتمع الإقليمي، والمجتمعات القومية والعرقية والوطن، والمشاركة المدنية في الحياة العامة – المجتمع المدني، ووسائل الإعلام الجماهيري، والديمقراطية في جمهورية بولندا، والشؤون الدولية [19]. وعلى مستوى المدرسة الثانوية (النطاق الأساسي)، توجد سبع وحدات مواضيعية، هي: الإنسان والمجتمع، والمجتمع المدني، والسلطات العامة في جمهورية بولندا، وحقوق الإنسان وحمايتها، والقانون في جمهورية بولندا، ومشاكل مختارة للسياسة العامة في جمهورية بولندا، والعلاقات الدولية المعاصرة [20]. تضطلع المنظمات غير الحكومية بشكلٍ أساسي بتطبيق تعليم المواطنة غير الرسمي في بولندا، ويكون ذلك غالبًا بالتعاون مع الحكومات المحلية والمؤسسات الثقافية والتعليمية. هناك ما يقرب من ١٤٣ ألف مؤسسة ورابطة مسجلة في بولندا، النَّشِط منها حوالي مائة ألف. كما يركِّز نحو ١٣٪ منها على التعليم وتربية الأطفال، و٧٪ على الخدمات الاجتماعية والرعاية، ويتناول رقمٌ مماثل حقوق الإنسان والديمقراطية [21]. تحصل المنظمات على التمويل من مجموعة متنوعة من المصادر: ٣٩٪ من التمويل العام الوطني، و١٥٪ من التمويل العامّ الأجنبي، والباقي يُموَّل من العمليات التجارية والأعمال، والعمل الخيري الشخصي والمؤسسي، ورسوم اشتراكات العضوية، والأصول المملوكة، وما إلى ذلك. كانت التحديات التي تواجه الاستدامة المالية هي الشاغل الأكبر للمنظمات لسنوات. وكانت الميزانية السنوية لمنظمة متوسطة الحجم في عام ٢٠١٧ تبلغ ٢٨ ألف زلوتي بولندي (حوالي ٦٥٠٠ يورو). ومع ذلك، هناك تحدٍّ متزايد يتمثل في ضمان الثروة البشرية [22]. إنَّ المنظمة غير الحكومية التعليمية الأكبر في بولندا هي Centrum Edukacji Obywatelskiej[مركز تعليم المواطنة]. وتشمل المنظمات الأخرى ذات السمات المشابهة على سبيل المثال Fundacja Edukacja dla Demokracji [مؤسسة التعليم من أجل الديمقراطية]، وFundacja im. Stefana Batorego [مؤسسة باتوري]، وFundusz Inicjatyw Obywatelskich ]صندوق المبادرات المدنية[، وPolsko-Amerykańska Fundacja Wolności [مؤسسة الحرية البولندية الأمريكية]، وFundacja Civis Polonus [مؤسسة المواطن البولندي]، وInstytut Spraw Publicznyo [معهد الشؤون العامة]، وFundacja Rozwoju Systemu Edukacji [مؤسسة تطوير نظام التعليم]. 4. البيئة القانونية يخضع تنظيم تعليم المواطنة ونطاقه لقرارات وزير التربية الوطنية: بشأن الخطط التعليمية الإطارية [23] والمناهج الأساسية للتعليم العام [24]. لا يوجد خلال السنوات الثلاثة الأولى من التعليم المدرسي في بولندا (الأطفال الذين تتراوح أعمارهم بين سبع وتسع سنوات) تقسيمٌ للمواد المدرسية. ومع ذلك، تعرض المناهج الأساسية المجالات التعليمية المختلفة (مثل اللغات والرياضيات) وفقًا لأهدافٍ تعليميةٍ محددة [25]. ويندرج تعليم المواطنة تحت المجال المُسمَّى بالتربية الاجتماعية. وفي السنوات اللاحقة من مرحلة التعليم الأساسي، ينبغي تدريس تعليم المواطنة بشكلٍ أساسي كموضوعٍ مشترك بين المناهج الدراسية ومُدمَج مع المواد الأخرى. وعندما نأتِ للممارسة العملية، يؤول الأمر إلى بضع مواد بصفةٍ أساسية، وهي التاريخ واللغة البولندية والجغرافيا [26]. وفي الصف الثامن (الأخير) ضمن مرحلة التعليم الأساسي (أي بالنسبة إلى الأطفال الذين يبلغون من العمر أربعة عشر عامًا)، يتمُّ تدريس مادةٍ منفصلة مخصصة لتعليم المواطنة لمدة ساعتَين في الأسبوع. وفي المدارس الثانوية، يتمُّ تدريس تعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة على مدار عامَين لمدة ساعة واحدة في الأسبوع (وزارة التربية الوطنية ٢٠١٩ [27]. 5. الجهات المعنية تشمل الجهات المعنية الرئيسية المنخرطة في مجال تعليم المواطنة في بولندا: - وزارة التربية الوطنية التي تُحدِّد المناهج الدراسية الأساسية المشمولة في هذا المجال، وتضع الأولويات التعليمية للسنوات المعنية، وتُشرِف على التعليم على مستوى الدولة؛ - مكاتب التعليم التي تُشرِف على تنفيذ السياسة التعليمية على مستوى المقاطعات، وتُقيِّم آثار الأنشطة التربوية في المدارس؛ - المدارس والمعلمين القائمين بتطبيق المناهج الدراسية الأساسية والذين تعتبر مشاركتهم في تنمية الكفاءات المدنية للطلاب ذات أهميةٍ رئيسية؛ - الحكومات المحلية التي تُنفِّذ مجموعةً متنوعة من البرامج المحلية المتعلقة بتعليم المواطنة بمفهومها الواسع، وتُقدِّم برامج موجهة إلى المدارس، وتُفوِّض المهام ذات الصلة إلى المنظمات غير الحكومية، وتكافئ المعلمين على مشاركتهم في هذا المجال، وتخلق فرصًا لتشكيل مجالس الشباب؛ - المنظمات غير الحكومية التي تُعتبر القوة الدافعة إلى تعليم المواطنة المؤيِّد للديمقراطية وتقوم بتنفيذ مشاريعَ مختلفة، سواء في المدارس أو خارج إطار التعليم الرسمي؛ - المراكز الأكاديمية التي تقوم بتثقيف المعلمين، بما في ذلك معلمو تعليم المواطنة، وتجذب الباحثين الذين يساهم عملهم في إثراء المعرفة المتعلقة بتعليم المواطنة ووضع أسس التوصيات، سواء من حيث التغييرات المنهجية أو الحلول العملية؛ - المؤسسات التعليمية والثقافية الأخرى. 6. التحديات يمكن تحديد نوعَين مترابطَين من التحديات ذوَي صلة بتعليم المواطنة وتطبيقه في بولندا: - التحدي المتعلق بمفهوم تغيير تعليم المواطنة. - التحدي المتعلق بشاكلة تعليم المواطنة في حدِّ ذاته. يعتبر التحدي الأول صعبًا لأنَّه مرتبطٌ بالمخطط العامّ لتغيير التعليم المدرسي في بولندا. وقد جاءت حقيقة أنَّ تعليم المواطنة الموجود بالفعل على مستوى المناهج الأساسية يُركِّز بشكلٍ أساسي على نقل المعرفة، وإلى حدٍّ صغير فقط على تطوير المهارات والمواقف، نتيجةً للطابع العامّ للمناهج الأساسية. وتتناول التعديلات المُدخَلة الأهداف الفردية أو نتائج التعلُّم، بينما يظل المفهوم العام للمناهج الأساسية (وبالتالي مفهوم تعليم المواطنة) كما هو. ولا تساهم الطريقة الحالية والوتيرة التي يتمُّ بها تطبيق التغييرات في ضمان اتساق الوثيقة. وعلاوةً على ذلك، فإنَّ التغييرات تكون منطقيةً، شريطة أن تقوم على تشخيصٍ موثوق لواقع المدرسة. وتكون الموافقة الاجتماعية على التغييرات أعظم عندما تكون التغيرات حصيلة جهدٍ مشترك لجميع الجهات المعنية. ويعتبر التحدي الثاني أكثر صعوبةً في إطار المناهج الأساسية؛ لأنَّه يتطَّلب زيادة استقلالية المدارس،. وحينها فقط، يمكن تطوير تعليم المواطنة في شكلٍ لا تكون التعديلات الطارئة عليه ناتجةً عن تغييراتٍ سياسية بعد ذلك. وفي الوقت الراهن، تتيح المناهج الأساسية، التي هي شديدة التفصيل ومتمتعةٌ بمكانةٍ عالية في نظام التعليم البولندي، قدرًا كبيرًا من التحكُّم في التعليم من حيث محتواه، الأمر الذي ينطبق كذلك على تعليم المواطنة. وعلى الرغم من أنَّ الأفكار الموضوعة لبرامج الأحزاب الحاكمة لا تنصبّ بشكلٍ مباشر في قالب التعليم [28]، إلا أنَّ تطبيقها على التغييرات يُعدُّ ملحوظًا في مجال التعليم في بولندا [29]. وبالنسبة إلى التحديات الأكثر تحديدًا، تدعو الحاجة إلى تحويل التركيز من نقل المعرفة إلى تطوير المهارات. وينطبق هذا بشكلٍ خاص على المهارات الاجتماعية التي تسمح للناس بالمشاركة النشطة في مجتمعٍ ديمقراطيٍّ متنوع، وحيث لا يكون التوافق ممكنًا دائمًا. ومن المهم كذلك تنمية قدرة المتعلمين على إجراء تقييمٍ نقدي للعمليات والظواهر التي يختبرونها. 7. الحواشي [1] ويوكوميرسكا، إيه. ٢٠١٣. Wiedzieć i rozumieć, aby być obywatelem. Studium empiryczne [معرفة وفهم كيفية المواطنة. دراسة تجريبية] وارسو: دار نشر جامعة وارسو. [2] ويوكوميرسكا، إيه. ٢٠١٣. [3] ونوك- ليبينسكي، إي. ٢٠٠٥. Socjologia życia publicznego [علم اجتماع الحياة العامة]. وارسو: Wydawnictwo Naukowe ‘Scholar’. [4] كوبينسكا، في. ٢٠١٩. تقرير قطري: التربية المدنية وتعليم المواطنة في المدرسة البولندية. في: مجلة تعليم العلوم الاجتماعية، ١٨(١)، ص ١٧٢ - ٢٠٢. [5] كوبينسكا، في. ٢٠٢٠. مفهوم المواطنة في التعليم المدرسي البولندي. التغيير السياسي وتغيير المناهج الأساسية. تحليل الخطاب. في: Przegląd Badań Edukacyjnych، ١(٣٠)، ص ٦٥-٨٦. [6] وزارة التربية الوطنية. ٢٠١٧. الملحق رقم ٢ لمرسوم وزير التربية الوطنية المؤرخ في ١٤ شباط/فبراير ٢٠١٧ بشأن المناهج الأساسية للتعليم ما قبل المدرسي والمنهج الأساسي للتعليم العامّ في مرحلة التعليم الأساسي، بما في ذلك التلاميذ ذوو الإعاقات الذهنية المتوسطة أو الشديدة، والتعليم الفني العامّ من الدرجة الأولى، والتعليم المهني العامّ، وكذلك التعليم العامّ فيما بعد المدرسة الثانوية، الجريدة الرسمية ٢٠١٧، البند ٣٥٦ مع التغييرات. وزارة التربية الوطنية. ٢٠١٨. الملحق رقم ١ لمرسوم وزير التربية الوطنية الصادر في ٣٠ كانون الثاني/يناير ٢٠١٨ بشأن المناهج الأساسية للتعليم العامّ لمرحلة الثانوية العامة والثانوية الفنية والمدرسة الثانوية المهنية من الدرجة الثانية، الجريدة الرسمية ٢٠١٨، البند ٤٦٧. [7] تَرِد الصياغة نفسها على صعيد المناهج الأساسية للمدارس الثانوية، حيث تُستَبدَل عبارة "المدرسة الابتدائية" باسم نوع المدرسة المعنية. [8] وزارة التربية الوطنية .٢٠١٧. [9] أبوفيتز، كاي. كاي. وهارنيش، جيه. ٢٠٠٦. خطابات معاصرة عن المواطنة. في: مراجعة البحوث التربوية، ٧٦(٤)، ص ٦٥٣-٦٩٠. [10] كوبينسكا، في. ٢٠٢٠. [11] كوبينسكا، في. ٢٠١٩. [12] كوبينسكا، في. ٢٠١٩-أ. Szkoła jako miejsce antyedukacji obywatelskiej [المدرسة كمكان مناهض لتعليم المواطنة]. في: كاي. شافرانيِّتش (محررة). Młodzi 2018 [شباب ٢٠١٨]. Cywilizacyjne wyzwania, edukacyjne konieczności [تحديات الحضارة. الضرورات التعليمية]. وارسو: A PROPOS Serwis Wydawniczy. [13] القانون المعنيّ بنظام التعليم (UPO). ٢٠١٦. قانون ١٤ كانون الأول/ديسمبر ٢٠١٦ – قانون التعليم، نَصّ موحد، الجريدة الرسمية ٢٠٢٠، البند ٩١٠. [14] لم تشارك بولندا في الدراسة الدولية لتدريس التربية المدنية والمواطنة في ٢٠١٦. [15] ويوكوميرسكا، إيه. ٢٠١٣. [16] شيرزنيِّفسكا، آر.، وغاكوفسكا، إم.، وليفيكا، إم. ٢٠١٧. Młodzież o sobie i codzienności szkolnej. Obok dyskursu jakości [الشباب يتحدثون عن أنفسهم والحياة اليومية في المدرسة. بجانب خطاب النوعية]. تورون: دار نشر آدم مرشاوِك. [17] شيرزنيِّفسكا، آر.، وغاكوفسكا، إم.، وليفيكا، إم. ٢٠١٧. [18] كوبينسكا، في. ٢٠١٩. [19] وزارة التربية الوطنية. ٢٠١٧. [20] وزارة التربية الوطنية .٢٠١٨. [21] جمعية كلون/جاوور. ٢٠١٨. قدرة المنظمات غير الحكومية في بولندا – حقائق أساسية. تمَّ استخلاصها في ١٠ تموز/يوليو ٢٠٢٠ من موقع: Externer Link: https://api.ngo.pl/media/get/110579 [آخر دخول بتاريخ ٢٩/٠٦/٢٠٢١] [22] جمعية كلون/جاوور. ٢٠١٨. [23] وزارة التربية الوطنية. ٢٠١٩. المرسوم الصادر عن وزير التربية الوطنية في ٣ نيسان/أبريل ٢٠١٩ بشأن الخطط الإطارية للتدريس في المدارس الحكومية، الجريدة الرسمية ٢٠١٩، البند ٦٣٩ مع التغييرات. [24] وزارة التربية الوطنية. ٢٠١٧. [25] المرجع نفسه. [26] كوبينسكا، في. ٢٠١٩. [27] في المدارس الثانوية التي تستعد لامتحان matura [امتحان القبول في الجامعة]، يمكن تطبيق النسخة الموسَّعة من منهج تعليم المواطنة بناءً على وضع الفصل أو قرار الطلاب بشأن خوض امتحان القبول في الجامعة في التربية المدنية. وفي نطاقها الموسع، تُدرَّس التربية المدنية في ثماني ساعات إضافية في الأسبوع (وزارة التربية الوطنية ٢٠١٩). [28] شتاينر-خامسي، جي. ٢٠١٣. ما الخطأ في مقاربة "ما سار على النحو الصحيح" في السياسة التعليمية؟ مجلة البحوث التربوية الأوروبية، ١٢(١)، ص ٢٠ - ٣٣. [29] كوبينسكا، في. ٢٠٢٠. Interner Link: English Version المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. البيئة القانونية (التشريع والسياسات) Interner Link: 5. الجهات المعنية Interner Link: 6. التحديات Interner Link: 7. الحواشي 1. معلومات مرجعية ترجع بدايات تعليم المواطنة في بولندا إلى تاريخ تأسيس Komisja Edukacji Narodowej [لجنة التربية الوطنية]. وقد تأسست هذه الهيئة العلمانية التي تُعادل وزارات التعليم الحديثة عام ١٧٧٢. ويعكس تاريخ تعليم المواطنة في بولندا التاريخ المضطرب لهذا البلد: تقسيمه عام ١٧٧٢، واستعادته لاستقلاله في عام ١٩١٨، وحقبة الحرب العالمية الثانية (١٩٣٩-١٩٤٥)، والوقوع تحت مظلة نفوذ الاتحاد السوفيتي مباشرةً عقب الحرب. وفي حقيقة الأمر، لم تبدأ بولندا في إعادة بناء نظامها المدرسي إلا في عام ١٩٨٩، أي بعد سقوط الشيوعية. تمَّ وضع أوَّل منهجٍ مُتَّسِق لتعليم المواطنة، والذي حمل مُسمَّى Nauka o Polsce Współczesnej [معرفة بولندا المعاصرة] في عام ١٩٢٢ [1]. وفي عام ١٩٣٢، أعيد تنظيمه وجرى دمجه مع موادَ أخرى، وبصفةٍ أساسية مع مادتَي الجغرافيا والتاريخ [2]. وفي الأعوام ما بين ١٩١٨- ١٩٣٩، ركَّزَ تعليم المواطنة على القضايا المحلية والوطنية وقضايا الدولة. وأصبح، عقب الحرب، أداةً لتلقين العقائد السياسية. كان الناس ينظرون إلى المشاركة المدنية على أنَّها عملٌ لصالح السلطات الشيوعية، ومن ثَمَّ تمَّ تقييمها من زاوية سلبية. ولسوء الحظ، تبيَّن أنَّ صورتها السلبية – والتي ولَّدَها شك الناس عمومًا في كل ما كانت الدولة تمثله في ذاك الحين – تُشكِّل عقبةً أمام التغييرات التي أُجرِيَت إبان التحول السياسي في بولندا [3]. وفي الثلاثين عامًا الماضية، جرى إصلاح هيكل النظام المدرسي في بولندا مرتَين (في عامَي ١٩٩٩ و٢٠١٧). وعُدِّلت المناهج الأساسية مرات عديدة – كان آخرها بسبب الإصلاح التعليمي الأخير (الذي يجري تنفيذه منذ عام ٢٠١٧). وترتبط هذه التغييرات ارتباطًا وثيقًا بأحد التحولات الطارئة على السياسة البولندية. ففي عام ٢٠١٥، تولى حزب Prawo i prawiedliwość [القانون والعدالة] السلطة في بولندا، وهو أحد الأحزاب المحافظة والمتشككة في أوروبا. وقد دفعت أفكار برنامج الحزب وخطابه وقراراته السياسية بشكلٍ واضح برؤية المواطنة نحو مجتمعٍ حصري (4]؛ الأمر الذي كان له أثرٌ على التعليم وإصلاحه [5]. 2. تعريف تعليم المواطنة من حيث المبدأ، يتمُّ تطبيق تعليم المواطنة في بولندا كموضوع مشترك بين المناهج الدراسية ومدرج ضمن موادَ أخرى، وكمادةٍ مستقلة بعنوان Wiedza o społeczeństwie ]المعرفة بالمجتمع[. لا يوجد تعريفٌ رسمي لتعليم المواطنة. ومع ذلك، يمكن استرجاعه من واقع المناهج الأساسية التي وضعتها وزارة التربية الوطنية [6]. يُحدِّد مخطط المناهج هذا مهام المدارس، ومن بينها ومن جملة أمور أخرى ما يلي: "التعليم والتنشئة في المدارس الابتدائي [7] يُغذِّيان تنمية المواطنة والمواقف الوطنية والاجتماعية للمتعلمين. وتتمثل مهمة المدرسة في تعزيز الشعور بالهوية الوطنية، والتعلُّق بالتاريخ والتقاليد الوطنية، والإعداد لاتخاذ إجراءات تدعم المدرسة والبيئات المحلية والتشجيع عليها، بما في ذلك المشاركة في الخدمة التطوعية. وتهتم المدرسة بتنشئة الأطفال والشباب على روح قبول الآخرين واحترامهم [...]" [8]. يؤكد إدراج هذه الفقرة ضمن المهام الموكلة إلى المدارس على أهمية تعليم المواطنة في منظومة التعليم البولندي. ويُفهَم تعليم المواطنة هذا على أنَّه تعليمٌ يُولي الأولوية للمجتمع الوطني، ومن ثَمَّ يضعه ضمن مفاهيمَ مبنية على مقاربة محافِظة للمواطنة [9]. ومع ذلك، وكما يُوضِّح المقتطف المُقتَبس، فإنَّ المشاركة المدنية لا تُشكِّل التزامًا – ومن ثَمَّ، فهي أصبحت غير مُسيَّسة، في حين تمَّ تخفيف ميولها إلى الانحصار داخل الحدود المجتمعية من خلال الإشارة إلى القِيَم العالمية [10]. إنَّ التحليل التفصيلي للأهداف العامة ونتائج التعلُّم ذات الصلة بالكفاءات المدنية المحددة في المناهج الأساسية على ما يبدو يؤكد على هذا الإعلان المتعلق بتعليم المواطنة على نحوٍ جزئيٍّ فحسب. فبالفعل الغرض من التعليم هو التركيز على الحفاظ على التقاليد، ونقل التراث الوطني، والتشديد على تاريخ البلاد والمعرفة بها، والإلمام بمؤسساتها وقوانينها [11]، إلا أنَّه، وعلى النقيض، يتمُّ تناول كلٍّ من الأهداف العامة ونتائج التعلُّم المحددة ذات الصلة بالمشاركة المدنية بشكلٍ هامشي. ومن بين ما سبق، وما تمَّ تحديده بشأن جميع المواد في جميع مراحل التعليم، تتناول مادة واحدة فقط الإسهام المدني. وفي الوقت ذاته، من بين ١٧٣٦ نتيجة تعلُّم خاصة بالكفاءات الاجتماعية والمدنية في جميع مراحل التعليم، هناك ثلاث عشرة نتيجة منها فقط تشير إلى المشاركة المدنية، وعشرة منها ذات صلة بمجال المعرفة لا المهارات أو المواقف المدنية [12]. لا يساهم الهيكل القانوني للحكم الذاتي للطلبة في تنمية مشاركة الأطفال ولا الشباب. وفي حين أنَّ هيئات الحكم الذاتي إلزامية وموجودة في جميع المدارس، إلا أنَّها لا تتمتع بأي أهلية قانونية لإصدار قراراتٍ ملزمة [13]. وفقًا للدراسة الدولية لتدريس التربية المدنية والمواطنة (ICCS) ٢٠٠٩ [14]، يُقيِّم الطلاب البولنديون تأثيرهم في قرارات المدرسة على أنَّه منخفضٌ للغاية. وفضلًا عن ذلك، وبالمقارنة مع البلدان الأخرى المشمولة في الدراسة، ثَبَتَ أنَّ التناقض بين تقييمات المعلمين والطلاب هو الأكبر في بولندا [15]. وقد كشفت دراسةٌ أخرى أُجرِيَت في عام ٢٠١٥ بين الشباب الذين تتراوح أعمارهم بين ثلاثة عشر وخمسة عشر عامًا عن طبيعة واجهة الحكم الذاتي للطلاب في بولندا [16]. وفي ضوء ما سبق، فإنَّ تعزيز الإجراءات التي تهدف إلى دعم البيئات المدرسية والمحلية، والمشار إليها كواحدة من المهام العامة للمدرسة، لا يحظى بانعكاسٍ كافٍ، سواء في الأهداف العامة أو المحددة للمناهج الأساسية، أو في إطار الهيكل القانوني للحكم الذاتي للطلاب. ومن ثَمَّ، فإنَّ حيز الديمقراطية في المدرسة، وهي تجربة تتيح التطوير الفعلي لمهارات الطالب المدنية، يعتمد على المدرسة نفسها وعلى مدى اهتمام المعلمين وقدرتهم على تهيئة الظروف اللازمة لخوض مثل هذه التجربة الديمقراطية. ويتأكَّد ذلك من خلال البحث الذي يُشار فيه إلى المدرسة كمتغير يميِّز فيما بين ما يُقارَن ببعضه من تقييمات لأجهزة الحكم الذاتي في المدارس وأدائها [17]. تُعتبر الإشارة إلى القِيَم العالمية وقبول الآخرين واحترامهم في المناهج الأساسية ضمن وصفها لمهام المدارس أيضًا ذات طابعٍ بياني. ويُظهِر التحليل المفصل للمناهج الأساسية أنَّ هذه القضايا يتمُّ تناولها بشكلٍ هامشي. ولم يتغير ذلك لسنوات عديدة؛ ومع ذلك، فقد ساهم إصلاح التعليم الذي أُجرِيَ عام ٢٠١٧ في زيادة تدهور الوضع في هذا الصدد. أولًا، تمَّ حذف القاعدة التي تُلزِم المدارس بالقيام بأنشطة مناهضة للتمييز من القوانين المعمول بها؛ وثانيًا، تَغيَّر السياق السياسي لتعليم المواطنة [18]. يشمل النطاق الحالي لتعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة على مستوى مرحلة التعليم الأساسي اثنتي عشرة مجموعة مواضعية، هي: الطبيعة الاجتماعية للبشر، والأسرة، والمدرسة والتعليم، وحقوق الإنسان، والقاصرون (الأحداث) إزاء القانون، والمجتمع المحلي، والمجتمع الإقليمي، والمجتمعات القومية والعرقية والوطن، والمشاركة المدنية في الحياة العامة – المجتمع المدني، ووسائل الإعلام الجماهيري، والديمقراطية في جمهورية بولندا، والشؤون الدولية [19]. وعلى مستوى المدرسة الثانوية (النطاق الأساسي)، توجد سبع وحدات مواضيعية، هي: الإنسان والمجتمع، والمجتمع المدني، والسلطات العامة في جمهورية بولندا، وحقوق الإنسان وحمايتها، والقانون في جمهورية بولندا، ومشاكل مختارة للسياسة العامة في جمهورية بولندا، والعلاقات الدولية المعاصرة [20]. تضطلع المنظمات غير الحكومية بشكلٍ أساسي بتطبيق تعليم المواطنة غير الرسمي في بولندا، ويكون ذلك غالبًا بالتعاون مع الحكومات المحلية والمؤسسات الثقافية والتعليمية. هناك ما يقرب من ١٤٣ ألف مؤسسة ورابطة مسجلة في بولندا، النَّشِط منها حوالي مائة ألف. كما يركِّز نحو ١٣٪ منها على التعليم وتربية الأطفال، و٧٪ على الخدمات الاجتماعية والرعاية، ويتناول رقمٌ مماثل حقوق الإنسان والديمقراطية [21]. تحصل المنظمات على التمويل من مجموعة متنوعة من المصادر: ٣٩٪ من التمويل العام الوطني، و١٥٪ من التمويل العامّ الأجنبي، والباقي يُموَّل من العمليات التجارية والأعمال، والعمل الخيري الشخصي والمؤسسي، ورسوم اشتراكات العضوية، والأصول المملوكة، وما إلى ذلك. كانت التحديات التي تواجه الاستدامة المالية هي الشاغل الأكبر للمنظمات لسنوات. وكانت الميزانية السنوية لمنظمة متوسطة الحجم في عام ٢٠١٧ تبلغ ٢٨ ألف زلوتي بولندي (حوالي ٦٥٠٠ يورو). ومع ذلك، هناك تحدٍّ متزايد يتمثل في ضمان الثروة البشرية [22]. إنَّ المنظمة غير الحكومية التعليمية الأكبر في بولندا هي Centrum Edukacji Obywatelskiej[مركز تعليم المواطنة]. وتشمل المنظمات الأخرى ذات السمات المشابهة على سبيل المثال Fundacja Edukacja dla Demokracji [مؤسسة التعليم من أجل الديمقراطية]، وFundacja im. Stefana Batorego [مؤسسة باتوري]، وFundusz Inicjatyw Obywatelskich ]صندوق المبادرات المدنية[، وPolsko-Amerykańska Fundacja Wolności [مؤسسة الحرية البولندية الأمريكية]، وFundacja Civis Polonus [مؤسسة المواطن البولندي]، وInstytut Spraw Publicznyo [معهد الشؤون العامة]، وFundacja Rozwoju Systemu Edukacji [مؤسسة تطوير نظام التعليم]. 4. البيئة القانونية يخضع تنظيم تعليم المواطنة ونطاقه لقرارات وزير التربية الوطنية: بشأن الخطط التعليمية الإطارية [23] والمناهج الأساسية للتعليم العام [24]. لا يوجد خلال السنوات الثلاثة الأولى من التعليم المدرسي في بولندا (الأطفال الذين تتراوح أعمارهم بين سبع وتسع سنوات) تقسيمٌ للمواد المدرسية. ومع ذلك، تعرض المناهج الأساسية المجالات التعليمية المختلفة (مثل اللغات والرياضيات) وفقًا لأهدافٍ تعليميةٍ محددة [25]. ويندرج تعليم المواطنة تحت المجال المُسمَّى بالتربية الاجتماعية. وفي السنوات اللاحقة من مرحلة التعليم الأساسي، ينبغي تدريس تعليم المواطنة بشكلٍ أساسي كموضوعٍ مشترك بين المناهج الدراسية ومُدمَج مع المواد الأخرى. وعندما نأتِ للممارسة العملية، يؤول الأمر إلى بضع مواد بصفةٍ أساسية، وهي التاريخ واللغة البولندية والجغرافيا [26]. وفي الصف الثامن (الأخير) ضمن مرحلة التعليم الأساسي (أي بالنسبة إلى الأطفال الذين يبلغون من العمر أربعة عشر عامًا)، يتمُّ تدريس مادةٍ منفصلة مخصصة لتعليم المواطنة لمدة ساعتَين في الأسبوع. وفي المدارس الثانوية، يتمُّ تدريس تعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة على مدار عامَين لمدة ساعة واحدة في الأسبوع (وزارة التربية الوطنية ٢٠١٩ [27]. 5. الجهات المعنية تشمل الجهات المعنية الرئيسية المنخرطة في مجال تعليم المواطنة في بولندا: - وزارة التربية الوطنية التي تُحدِّد المناهج الدراسية الأساسية المشمولة في هذا المجال، وتضع الأولويات التعليمية للسنوات المعنية، وتُشرِف على التعليم على مستوى الدولة؛ - مكاتب التعليم التي تُشرِف على تنفيذ السياسة التعليمية على مستوى المقاطعات، وتُقيِّم آثار الأنشطة التربوية في المدارس؛ - المدارس والمعلمين القائمين بتطبيق المناهج الدراسية الأساسية والذين تعتبر مشاركتهم في تنمية الكفاءات المدنية للطلاب ذات أهميةٍ رئيسية؛ - الحكومات المحلية التي تُنفِّذ مجموعةً متنوعة من البرامج المحلية المتعلقة بتعليم المواطنة بمفهومها الواسع، وتُقدِّم برامج موجهة إلى المدارس، وتُفوِّض المهام ذات الصلة إلى المنظمات غير الحكومية، وتكافئ المعلمين على مشاركتهم في هذا المجال، وتخلق فرصًا لتشكيل مجالس الشباب؛ - المنظمات غير الحكومية التي تُعتبر القوة الدافعة إلى تعليم المواطنة المؤيِّد للديمقراطية وتقوم بتنفيذ مشاريعَ مختلفة، سواء في المدارس أو خارج إطار التعليم الرسمي؛ - المراكز الأكاديمية التي تقوم بتثقيف المعلمين، بما في ذلك معلمو تعليم المواطنة، وتجذب الباحثين الذين يساهم عملهم في إثراء المعرفة المتعلقة بتعليم المواطنة ووضع أسس التوصيات، سواء من حيث التغييرات المنهجية أو الحلول العملية؛ - المؤسسات التعليمية والثقافية الأخرى.جامعة نيكولاوس كوبرنيكوس في تورون، بولندا
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-16T00:00:00"
"2021-01-29T00:00:00"
"2022-02-16T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/partner/nece/326313/t-lym-almwatnt-fy-bwlnda/
تعرفوا على تعليم المواطنة في بولندا حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة الغير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بعرض نعلومات مرجعية عن تاريخ تأسيس [لجنة التربية الوطنية] في بولندا لتوض
[ "NECE", "political education" ]
30,631
Nie wieder "normal" arbeiten! | Zukunft der Arbeit | bpb.de
Die Zukunft der Arbeit hat längst begonnen. Und dennoch bestehen sie noch, die alten Strukturen: die 40-Stunden-Woche, Agenturprogramme, die wie Externer Link: digitale Stechuhren funktionieren, Großraumbüros. Durch die Digitalisierung hat sich die Arbeit verändert, wird an einigen Stellen weniger. Auf der anderen Seite müssen in einer alternden Gesellschaft immer weniger junge Menschen die Versorgung immer mehr alter Menschen schultern. Werden wir in Zukunft also trotz digitaler Technologien mehr arbeiten? Oder weniger? Genauso viel? Fest steht: Die Arbeitswelt wird sich verändern. Wir stellen drei Lebensentwürfe vor, die die Zukunft der Arbeit bereits in sich tragen. Sie arbeiten arbeitsplatzungebunden, selbstständig, als Digitalnomaden oder Crowdworker/-innen. Sie sind vor allem gelebte Haltungen zur Arbeit, Einstellungen, die sich im Arbeitsalltag dieser Menschen manifestieren. Aber wie zukunftsfähig sind ihre Arbeitsmodelle? Ein neues Verständnis von Arbeit entwickeln Patrick Spät hat ein Ziel. Er will die Gesellschaft zum Umdenken bewegen. Für diesen Zweck ist er durchaus auch bereit, selbst Arbeit zu investieren. Stolze fünf Bücher veröffentlichte der in Berlin lebende freie Journalist und Autor seit 2010. Die Kernbotschaft lautet stets: Unser heutiges Verständnis von Arbeit ist grundlegend falsch. Er sieht die Zeit gekommen, den in den Köpfen verankerten Arbeitsfetisch ein für alle Mal zu verabschieden. Das ist auch das Anliegen des Externer Link: Haus Bartleby, zu dessen Mitgliedern Spät sich in der Gründungsphase noch zählte, das sich selbst Zentrum für Karriereverweigerung nennt und zunächst nur online existierte, mittlerweile aber auch reale Räumlichkeiten unterhält. Laut der manifestartigen Selbstbeschreibung ist den Menschen rund um das Haus Bartleby "Arbeit, wie wir sie kennen, […] eine Krankheit und Eigentum, wie wir es vorfinden, […] ein Verbrechen in historischer Dimension". Das Haus Bartleby verstehe sich als Platz, an dem sich Menschen mit ähnlichen Ideen austauschen können – als "Lobby der Freien Menschen". Es gibt keine schlechte Arbeit, sondern nur miese Jobs Eine ganz andere Einstellung zur Arbeit hat Catharina Bruns. Auch sie hat mit "Work is not a job: Was Arbeit ist, entscheidest du!" bereits ein Buch zum Thema veröffentlicht. Ein Gegenentwurf zu den Karriereverweigerern vom Haus Bartleby: Für Bruns ist Arbeit alles. Und damit eben kein Job, den man halbherzig ausführt, um Geld zu verdienen, sondern eine Tätigkeit mit Verantwortung. Dass Arbeit immer noch größtenteils als angestellte Erwerbsarbeit wahrgenommen wird, sei ein Fehler. Denn Arbeit ist viel mehr als die Aneinanderreihung schlechter Jobs. Bruns glaubt an Arbeit, die nicht an Personalabteilungen vorbei muss und für die man keine Vorstellungsgespräche braucht – Catharina Bruns glaubt an die Selbstständigkeit. Die Annehmlichkeiten einer Festanstellung bedeuten ihr nichts und sie sagt, seit sie selbstständig ist, will sie ihre Arbeit gar nicht mehr von ihrem Leben trennen. Schließlich sei es ja auch ein ziemlich schlechter Deal, sich fünf Tage die Woche mit etwas zu beschäftigen, mit dem man am Wochenende nichts zu tun haben möchte. Ihrer Meinung nach haben alle Menschen ihr Schicksal selbst in der Hand – und wir alle sollten selbstverantwortlicher handeln, um glücklich und selbstbestimmt arbeiten zu können. Beachoffice statt Homeoffice Glücklich und selbstbestimmt wirken auch Felicia Hargarten und Marcus Meurer. Während unseres Interviews sitzen sie gerade in Brasilien am Strand. Weil sie gerne Kitesurfen. Die beiden sind Digitale Nomaden, leben und arbeiten von da, wo sie gerade sein möchten. Und benötigen dafür nur eins: funktionierendes Internet. Feste Arbeitszeiten und eigene Büros brauchen sie nicht mehr. Beide hatten vorher eine Festanstellung, Nine-to-Five-Bürojobs und irgendwann keine Lust mehr, immer nur auf den nächsten Urlaub warten zu müssen. Jetzt sind sie Reiseblogger/-in, Online-Unternehmer/-in und Event-Manager/in. Und immer unterwegs. Auch sie haben eine sehr spezielle Einstellung zu Arbeit. Arbeit ist für die beiden etwas, wofür man brennen muss. Etwas, das Leidenschaft verlangt, aber nicht weh tut. Ähnlich wie Catharina Bruns haben auch sie sich für die Selbstständigkeit entschieden und wollen diese selbstbestimmte, teilweise aber auch unsichere und komplizierte Arbeits- und Lebensweise nicht mehr gegen eine Festanstellung tauschen. Nur Versicherungssysteme und Verwaltung bereiten den beiden Digitalnomaden ab und zu Probleme. Während sie die Zukunft der Arbeit bereits leben, hinkt die Bürokratie eben noch hinterher, sagen sie.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-07T00:00:00"
"2016-02-09T00:00:00"
"2022-02-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/netzdebatte/219101/nie-wieder-normal-arbeiten/
In der Debatte um Arbeit geht es doch eigentlich um eine entscheidende Frage: Wie wollen wir leben? Wir haben drei Menschen getroffen, die ihre ganz persönliche Antwort darauf gefunden haben: als Karriereverweigerer, Selbstständigkeits-Enthusiastin o
[ "Zukunft der Arbeit", "Digitale Nomaden", "Arbeitszeit", "Work-Life-Balance", "Homeoffice" ]
30,632
Dokumentation: Memorandum des Telefongesprächs zwischen US-Präsident Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj vom 25. Juli 2019* | Ukraine-Analysen | bpb.de
Donald Trump: Congratulations on a great victory. We all watched from the United States and you did a terrific job. The way you came from behind, somebody who wasn’t given much of a chance, and you ended up winning easily. It’s a fantastic achievement. Congratulations. Wolodymyr Zelenskyy: You are absolutely right Mr. President. We did win big and we worked hard for this. We worked a lot but I would like to confess to you that I had an opportunity to learn from you. We used quite a few of your skills and knowledge and were able to use it as an example for our elections and yes it is true that these were unique elections. We were in a unique situation that we were able to achieve a unique success. I’m able to tell you the following; the first time, you called me to congratulate me when I won my presidential election, and the second time you are now calling me when my party won the parliamentary election. I think I should run more often so you can call me more often and we can talk over the phone more often. Donald Trump: [laughter] That’s a very good idea. I think your country is very happy about that. Wolodymyr Zelenskyy: Well yes, to tell you the truth, we are trying to work hard because we wanted to drain the swamp here in our country. We brought in many many new people. Not the old politicians, not the typical politicians, because we want to have a new format and a new type of government. You are a great teacher for us and in that. Donald Trump: Well it’s very nice of you to say that. I will say that we do a lot for Ukraine. We spend a lot of effort and a lot of time. Much more than the European countries are doing and they should be helping you more than they are. Germany does almost nothing for you. All they do is talk and I think it’s something that you should really ask them about. When I was speaking to Angela Merkel she talks Ukraine, but she doesn’t do anything. A lot of the European countries are the same way so I think it’s something you want to look at but the United States has been very very good to Ukraine. I wouldn’t say that it’s reciprocal necessarily because things are happening that are not good but the United States has been very very good to Ukraine. Wolodymyr Zelenskyy: Yes you are absolutely right. Not only. 100%, but actually 1000% and I can tell you the following; I did talk to Angela Merkel and I did meet with her. I also met and talked with Macron and I told them that they are not doing quite as much as they need to be doing on the issues with the sanctions. They are not enforcing the sanctions. They are not working as much as they should work for Ukraine. It turns out that even though logically, the European Union should be our biggest partner but technically the United States is a much bigger partner than the European Union and I’m very grateful to you for that because the United States is doing quite a lot for Ukraine. Much more than the European Union especially when we are talking about sanctions against the Russian Federation. I would also like to thank you for your great support in the area of defense. We are ready to continue to cooperate for the next steps. specifically we are almost ready to buy more Javelins from the United States for defense purposes. Donald Trump: I would like you to do us a favor though because our country has been through a lot and Ukraine knows a lot about it. I would like you to find out what happened with this whole situation with Ukraine, they say Crowdstrike… I guess you have one of your wealthy people… The server, they say Ukraine has it. There are a lot of things that went on, the whole situation. I think you’re surrounding yourself with some of the same people. I would like to have the Attorney General call you or your people and I would like you to get to the bottom of it. As you saw yesterday, that whole nonsense ended with a very poor performance by a man named Robert Mueller, an incompetent performance, but they say a lot of it started with Ukraine. Whatever you can do, it’s very important that you do it if that’s possible. Wolodymyr Zelenskyy: Yes it is very important for me and everything that you just mentioned earlier. For me as a President, it is very important and we are open for any future cooperation. We are ready to open a new page on cooperation in relations between the United States and Ukraine. For that. purpose, I just recalled our ambassador from United States and he will be replaced by a very competent and very experienced ambassador who will work hard on making sure that our two nations are getting closer. I would also like and hope to see him having your trust and your confidence and have personal relations with you so we can cooperate even more so. I will personally tell you that one of my assistants spoke with Mr. Giuliani just recently and we are hoping very much that Mr. Giuliani will be able to travel to Ukraine and we will meet once he comes to Ukraine. I just wanted to assure you once again that you have nobody but friends around us. I will make sure that I surround myself with the best and most experienced people. I also wanted to tell you that we are friends. We are great friends and you Mr. President have, friends in our country so we can continue our strategic partnership. I also plan to surround myself with great people and in addition to that investigation, I guarantee as the President of Ukraine that all the investigations will be done openly and candidly. That I can assure you. Donald Trump: Good because I heard you had a prosecutor who was very good and he was shut down and that’s really unfair. A lot of people are talking about that, the way they shut your very good prosecutor down and you had some very bad people involved. Mr. Giuliani is a highly respected man. He was the mayor of New York City, a great mayor, and I would like him to call you. I will ask him to call you along with the Attorney General. Rudy very much knows what’s happening and he is a very capable guy. If you could speak to him that would be great. The former ambassador from the United States, the woman, was bad news and the people she was dealing with in the Ukraine were bad news so I just want to let you know that. The other thing, There’s a lot of talk about Biden’s son, that Biden stopped the prosecution and a lot of people want to find out about that so whatever you can do with the Attorney General would be great. Biden went around bragging that he stopped the prosecution so if you can look into it… It sounds horrible to me. Wolodymyr Zelenskyy: I wanted to tell you about the prosecutor. First of all I understand and I’m knowledgeable about the situation. Since we have won the absolute majority in our Parliament, the next prosecutor general will be 100% my person, my candidate, who will be approved by the parliament and will start as a new prosecutor in September. He or she will look into the situation, specifically to the company that you mentioned in this issue. The issue of the investigation of the case is actually the issue of making sure to restore the honesty so we will take care of that and will work on the investigation of the case. On top of that, I would kindly ask you if you have any additional information that you can provide to us, it would be very helpful for the investigation to make sure that we administer justice in our country with regard to the Ambassador to the United States from Ukraine as far as I recall her name was Ivanovich. It was great that you were the first one, who told me that she was a bad ambassador because I agree with you 100%. Her attitude towards me was far from the best as she admired the previous President and she was on his side. She would not accept me as a new President: well enough. Donald Trump: Well, she’s going to go through some things. I will have Mr. Giuliani give you a call and I am also going to have Attorney General Barr call and we will get to the bottom of it. I’m sure you will figure it out. I heard the prosecutor was treated very badly and he was a very fair prosecutor so good luck with everything. Your economy is going to get better and better I predict. You have a lot of assets. It’s a great country. I have many Ukrainian friends, their incredible people. Wolodymyr Zelenskyy: I would like to tell you that I also have quite a few Ukrainian friends that live in the United States. Actually last time I traveled to the United States, I stayed in New York near Central Park and I stayed at the Trump Tower. I will talk to them and I hope to see them again in the future. I also wanted to thank you for your invitation to visit the United States, specifically Washington DC. On the other hand, I also want to ensure you that we will be very serious about the case and will work on the investigation. As to the economy, there is much potential for our two countries and one of the issues that is very important for Ukraine is energy independence. I believe we can be very successful and cooperating on energy independence with United States. We are already working on cooperation. We are buying American oil but I am very hopeful for a future meeting. We will have more time and more opportunities to discuss these opportunities and get to know each other better. I would like to thank you very much for your support. Donald Trump: Good. Well, thank you very much and I appreciate that. I will tell Rudy and Attorney General Barr to call. Thank you. Whenever you would like to come to the White House, feel free to call. Give us a date and we’ll work that out. I look forward to seeing you. Wolodymyr Zelenskyy: Thank you very much. I would be very happy to come and would be happy to meet with you personally and get to know you better. I am looking forward to our meeting and I also would like to invite you to visit Ukraine and come to the city of Kyiv which is a beautiful city. We have a beautiful country which would welcome you. On the other hand, I believe that on September 1 we will be in Poland and we can meet in Poland hopefully. After that, it might be a very good idea for you to travel to Ukraine. We can either take my plane and go to Ukraine or we can take your plane, which is probably much better than mine. Donald Trump: Okay, we can work that out. I look forward to seeing you in Washington and maybe in Poland because I think we are going to be there at that time. Wolodymyr Zelenskyy: Thank you very much Mr. President. Donald Trump: Congratulations on a fantastic job you’ve done. The whole world was watching. I’m not sure it was so much of an upset but congratulations. Wolodymyr Zelenskyy: Thank you Mr. President bye-bye. Quelle: The White House, 24.09.2019, Externer Link: https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2019/09/Unclassified09.2019.pdf. *Anmerkung: Das Memorandum ist keine wortgetreue Wiedergabe der Konversation zwischen den beiden Präsidenten, sondern beruht auf Notizen von beteiligten Zuhörern des Gesprächs.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2019-10-02T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/297958/dokumentation-memorandum-des-telefongespraechs-zwischen-us-praesident-donald-trump-und-wolodymyr-selenskyj-vom-25-juli-2019/
In der Dokumentation wird das Telefonat von Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj, das am 25. Juli 2019 zwischen den Präsidenten stattfand, auf Basis von Mitschriften beteiligter Zuhörer des Gesprächs nachgezeichnet.
[ "Telefonat", "Donald Trump", "Wolodymyr Selenskyj", "Ukraine" ]
30,633
Analyse: Die Palikot-Bewegung | Polen-Analysen | bpb.de
Zusammenfassung Die Palikot-Bewegung (Ruch Palikota) hat in den Parlamentswahlen 2011 einen überraschenden Wahlerfolg erzielt und ist drittstärkste Kraft im Sejm. Entstanden war sie erst im Sommer 2010, als es zum Bruch von Janusz Palikot mit seiner damaligen Partei PO gekommen war, in der er intern sowie gegenüber anderen Parteien streitbare Positionen verfochten hatte. Die starke Seite der Palikot-Bewegung ist ihr Talent, die Sehnsucht nach einem modernen und effektiven Staat anzusprechen, und ihre Fähigkeit, sich an die Erwartungen des Infotainment anzupassen. Sie hätte die Chance, die Radikalisierung von PiS, die Ermüdung der Regierungspartei PO und die Führungsschwäche in der SLD für sich zu nutzen. Doch stehen die mangelnde Glaubwürdigkeit des Parteichefs und anderer Politiker, unklare politische Botschaften und die Unterordnung der Parteistrategie unter taktische Erwägungen ihren Ambitionen entgegen, eine dauerhaft prägende Kraft auf der politischen Bühne zu werden. Die Position der Palikot-Bewegung auf der politischen Bühne Polens lässt sich nicht verstehen, wenn man nicht Tatsachen und die Geschichte mitberücksichtigt, die schon im Jahr 2006 beginnen. Damals war gerade das Projekt einer gemeinsamen Regierung aus Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) gescheitert, das vor den Wahlen 2005 angekündigt worden war. Die PO entschied sich, sich als prinzipielles Gegengewicht zu PiS darzustellen. Die sich so positionierende PO nahm einen großen Teil der politischen Landkarte Polens ein und siedelte sich auf der ökonomischen Achse als diejenige Gruppierung mit der wirtschaftlich liberalsten Haltung an (s. Grafik 1). Gleichzeitig umfasste sie ein sehr breites Spektrum auf der Achse der Wertefragen: Sie hatte auch ihren konservativen Flügel, aber – infolge des Konflikts mit PiS – vergrößerte sich auch die Unterstützung von Seiten eines Wählerspektrums, das der Tradition und der öffentlichen Rolle der Religion gegenüber kritisch eingestellt ist. In diesem Koordinatensystem nahm Janusz Palikot als einer der führenden Köpfe der PO eine Position auf ihrem linken Flügel ein, was Wertefragen betraf, und war dessen bekannteste Persönlichkeit. Dies bedeutete die größte Distanz zu der regierenden PiS, und es tauchten auch deutliche Akzente in Richtung einer Zusammenarbeit mit der Linken auf (was symbolisch darin Ausdruck fand, dass Palikot während des PO-Parteitags ein T-Shirt mit der Aufschrift »Ich bin aus der SLD« trug). Der Wahlerfolg der PO im Jahr 2007 war so groß, dass das linksliberale Bündnis Linke und Demokraten (Lewica i Demokraci – LiD), das sich um die Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) gebildet hatte, in die Opposition gedrängt wurde und die PO gemeinsam mit der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) die Regierung bilden konnte. Die Bildung einer solchen Regierung erlaubte, eine mittlere Position auf der Werteachse der polnischen Politik einzunehmen. Dies rief eine deutliche Enttäuschung einflussreicher Kreise hervor, die wirtschaftlichen Liberalismus mit einer linken Position auf der Werteachse verbanden, insbesondere also im Kreis um die Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«. Das frustrierende Wahlergebnis von LiD führte zu ihrem Zerfall und zu Veränderungen in der SLD-Führung, die in der Opposition blieb. Ihr Vorsitzender wurde Grzegorz Napieralski. In dieser Zeit wurde Janusz Palikot Vorsitzender des Ausschusses »Freundschaftlicher Staat« (Przyjazny Państwo), ein Leuchtturmprojekt der PO in der neuen Legislaturperiode, das die Verschlankung des Staates zum Ziel hatte. Sieht man sich die internen Beziehungen in der PO an, so blieb Palikot sowohl mit den Vertretern des rechten Flügels der PO, allen voran mit Jarosław Gowin, als auch mit dem einflussreichen Innenminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Grzegorz Schetyna im Konflikt. Charakteristisch für Janusz Palikot waren in dieser Zeit seine Verbalattacken gegenüber den führenden Köpfen von PiS, insbesondere Staatspräsident Lech Kaczyński. Dabei überschritt er sehr häufig die Grenzen des guten Geschmacks, unterstellte den Opponenten Alkoholismus oder verlangte öffentlich Auskunft über eine angeblich homosexuelle Neigung Jarosław Kaczyńskis. Darüber hinaus begann Janusz Palikot, Happenings im Kontakt mit den Medien einzusetzen, bei denen er ebenfalls die Vorstellungen dessen, was sich gehört, überschritt. Ein solches Verhalten zog drei Arten von Reaktionen nach sich: Ein Teil des Personenkreises, der starke Antipathien gegenüber PiS und den Brüdern Kaczyński hegte, lobte ein derartiges Verhalten und bezeichnete es als »ehrlich«. Ein Teil der PO-Politiker mit Ministerpräsident Donald Tusk an der Spitze zeigte sich ambivalent gegenüber den Aktionen Palikots; zwar sei das Verhalten nicht in Ordnung, jedoch im Rahmen der Redefreiheit zuzulassen. Die dritte Reaktion waren öffentliche Entschuldigungen und Schambekundungen von Seiten der konservativen Vertreter der PO. Viele Gegner der PO unterstrichen, dass das Verhalten von Janusz Palikot zur Strategie der Partei gehöre und in vollkommenem Einvernehmen mit der Parteiführung zum Ausdruck komme. Dies bestätigte später übrigens der Betreffende selbst. Ein wesentlicher Aspekt der Beziehungen innerhalb der PO waren Konflikte, vor allem die sogenannte Glücksspielaffäre, die im Oktober 2009 zur Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Grzegorz Schetyna führte. Zusammen mit den Begleitkommentaren von Janusz Palikot führte dieses Ereignis zu zunehmenden Spannungen zwischen ihm und dem immer noch einflussreichen Schetyna sowie Jarosław Gowin. Die Spannungen in der Partei kulminierten im März 2010, als Ministerpräsident Donald Tusk darauf verzichtete, in den Präsidentschaftswahlen anzutreten und ein neuer Kandidat mit Hilfe von Vorwahlen bestimmt wurde. Janusz Palikot unterstützte eindeutig Bronisław Komorowski, obwohl dieser als Mensch mit konservativer Einstellung präsentiert wurde. Unterstrichen wurde aber dabei, dass er sich von den Hauptkonfliktlinien in der Partei fern halten würde und sicherlich auch nicht mit der Gruppe von eng zusammenarbeitenden Politikern auf dem konservativen Flügel der PO assoziiert werden konnte. Jarosław Gowin unterstützte in den Vorwahlen Radosław Sikorski, der sie schließlich verlor. Janusz Palikot legte Radosław Sikorski gegenüber ein ähnliches Verhalten an den Tag wie zuvor gegenüber anderen Parteien. In seinem Blog suggerierte er, dass sich Sikorski nicht mit der Partei identifiziert und sie in die Spaltung führen wird. Dadurch heizte er die Spannungen in der PO zusätzlich an und geriet in weitere Konflikte mit seinen Gegnern in der Partei. Ein weiteres Schlüsselereignis für das politische Schicksal von Janusz Palikot war die Flugzeugkatastrophe von Smolensk im April 2010. In deren Folge kam es zu einer Veränderung in der Haltung Jarosław Kaczyńskis. Er bewegte sich auf die politische Mitte zu, reichte verschiedenen Milieus seine Hand zur Versöhnung und entschied sich, seine bisher konfrontative Rhetorik einzuschränken. Die Antwort von Seiten der PO und insbesondere von Palikot war, die Ehrlichkeit dieses Verhaltens anzuzweifeln, und eine Eskalation von Äußerungen, die eine heftige Reaktion der PiS und die Aufgabe ihrer konzilianten Strategie herbeiführen sollte. Der Plan zeitigte nicht die erwünschten Ergebnisse, dennoch gewann Bronisław Komorowski die Präsidentschaftswahl. Dies aber erhöhte wiederum die Temperatur der Konflikte auf der politischen Bühne, wo einerseits öffentlich der Wille zur Zusammenarbeit kundgetan wurde, aber gleichzeitig im Hintergrund deutlich emotionalere und negativere Botschaften formuliert wurden. So wuchsen gleichzeitig zwei Konflikte, einer in der PO zwischen Palikot und den anderen Politikern, insbesondere mit Grzegorz Schetyna, der nach dem Wahlsieg von Bronisław Komorowski Sejmmarschall wurde. Der andere Konflikt war der mit PiS. Jarosław Kaczyński stellte nach den verlorenen Präsidentschaftswahlen seine gesamte vorherige Strategie in Frage und verschärfte entschieden seine Rhetorik. Ein wichtiges Element war hier der Streit um das Gedenkkreuz für die Opfer des Flugzeugunglücks von Smolensk, das vor dem Präsidentenpalast an der Krakowskie Przedmieście-Straße im Warschauer Zentrum aufgestellt worden war. Im August 2010 kam es zu einer spektakulären Eskalation dieses Konflikts. Janusz Palikot, bedrängt von internen Spannungen in der PO, verkündete angesichts des heftigen Anstiegs der Emotionen um das Kreuz und der Sichtbarwerdung antiklerikaler Bewegungen die Gründung einer eigenen Bewegung, an deren Spitze er selbst zu stehen gedachte. Gleich nach Abklingen des Sturms um das Gedenkkreuz kam es zum Gründungskongress der Palikot-Bewegung, deren Gründer auf seine Mitgliedschaft in der PO verzichtete. Allerdings gelang es nicht, bedeutende Politiker in diese Initiative mit zu integrieren, weder aus der PO noch aus der Linken, trotz verschiedener Spekulationen in diese Richtung. Palikot selbst gab sein Abgeordnetenmandat zurück. Die Palikot-Bewegung existierte in den Umfragen allerdings nicht. Ende 2010 und noch viele Monate im Jahr 2011 balancierte die neue Gruppierung an der Grenze eines statistischen Irrtums. Der Schlüssel zum Verstehen der Bedingungen, unter denen es zum Erfolg der Palikot-Bewegung kommen konnte, ist die Position von Grzegorz Napieralski als SLD-Vorsitzender. Anfang 2011 fiel die PO infolge einiger krisenhafter Situationen und dadurch bedingter weiterer interner Spannungen in den Umfragen zurück. Zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigten die Umfragen, dass die SLD gegenüber der größten Oppositionspartei, PiS, aufholt. Diese Tendenz schien sich zu verstärken. Der einzige Effekt war dann allerdings das steigende Selbstbewusstsein des jungen SLD-Chefs, der es zu einer Reihe von Konflikten mit anderen Akteuren in seiner Partei kommen ließ, die er als Konkurrenz in Sachen Führung betrachtete. Dies führte zu einer Schwächung der Partei kurz vor dem Wahlkampf; einige wichtige Politiker der Linken begannen, mit der PO zusammenzuarbeiten. Dies war eine doppelte Schwächung Napieralskis, denn es zwang ihn zu Zugeständnissen denjenigen gegenüber, die in der Partei geblieben waren. Diese Schwächung verstärkte sich noch durch die öffentlich geäußerten Zweifel an ihm von Seiten des einflussreichen Akteurs der Linken, des ehemaligen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski. Auf den Wahllisten der SLD gab es keine Plätze für den Kreis von Akteuren der Linken, denen der Führer der neuen Bewegung, Palikot, einen zwar riskanten, aber immerhin nicht chancenlosen Start anbieten konnte. In Hinblick auf die Umfragewerte der SLD konnte eh nur davon ausgegangen werden, dass die Partei ein, maximal zwei Mandate in bestimmten Wahlkreisen erhalten würde. Die Palikot-Bewegung hatte dagegen überhaupt keine bekannten Persönlichkeiten, die von ihrer Liste hätten starten können, daher war eine große Freizügigkeit bei der Vergabe der ersten Listenplätze möglich. Diese Plätze gaben im Falle eines Einzugs ins Parlament denjenigen die größten Chancen auf ein Mandat, die nicht mit einer Führungsposition in der SLD rechnen konnten. Auf diese Weise kamen Akteure wie beispielsweise die Feministin Wanda Nowicka, Robert Biedroń, führender Kopf der »Kampagne gegen Homophobie«, Anna Grodzka, transsexuelle gesellschaftliche Aktivistin, oder Andrzej Rozenek, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Nie«, die im postkommunistischen Milieu eine wichtige Rolle spielt, auf die Liste der Palikot-Bewegung. Auf den Wahllisten befand sich auch eine so kontroverse Person wie Marek Kotliński, ein ehemaliger katholischer Priester, jetzt Chefredakteur der antiklerikalen Zeitschrift »Fakty i Mity«. Trotzdem oszillierten die Umfragewerte der Palikot-Bewegung zu Beginn des Wahlkampfes noch um den Wert eines Messfehlers herum und ließen einen Einzug in den Sejm weit entfernt erscheinen. Der Erfolg dieser Gruppierung setzte wortwörtlich in letzter Minute ein. In der letzten Woche vor den Wahlen erschienen Prognosen, die die Möglichkeit ihres Einzugs voraussagten. Außerdem konzentrierten sich auch die anderen Parteien auf die Palikot-Bewegung: PiS attackierte die PO, indem sie auf die Wahrscheinlichkeit hinwies, dass es zu einer Koalitionsvereinbarung zwischen der Regierungspartei PO und der Palikot-Bewegung kommen könne. Das Ziel dabei war, Wähler vom rechten Rand der PO zur Stimmabgabe für PiS zu gewinnen. Zusammengefasst: Die Entstehung und Gründung der Palikot-Bewegung war ein Ergebnis vorangegangener Spannungen zwischen und innerhalb der bestehenden Parteien. Diese Spannungen drückten die neue Gruppierung zwar aus dem Regierungslager heraus, boten dann aber die Chance eines Wahlerfolgs – diese Chance hat die Palikot-Bewegung genutzt. Die Palikot-Bewegung im Sejm Eine nähere Analyse des Wahlergebnisses birgt gewisse Schwierigkeiten, denn die Befragten, die für die Palikot-Bewegung gestimmt hatten, gaben an, früher PO gewählt zu haben. Dies könnte auf die Hauptrichtung der Wählerabwanderung hinweisen. Der Erfolg der neuen Gruppierung könnte dann damit erklärt werden, dass PO die Position des Verteidigers des status quo übernommen hat, sowie mit fehlenden Erfolgen auf dem Feld der wirtschaftlichen Deregulierung. Allerdings zeigt die vergleichende Analyse der Ergebnisse verschiedener Parteien auf der Ebene der Wahlkreise, dass die eindeutig stärkere Quelle für die Palikot-Bewegung die Wählerschaft von LiD aus dem Jahr 2007 war. Die Analyse zeigt, dass die Hälfte der Wähler der Palikot-Bewegung Wähler von LiD waren und weniger als ein Sechstel Wähler der PO. Der Verlust der Unterstützung letzterer in der Wahl 2011 war deutlich geringer als die Verluste der SLD. Jedenfalls situiert sich diese neue Bewegung zweifellos in der linken oberen Ecke der bereits angeführten Grafik. Die Palikot-Bewegung erlangte 40 Mandate und ist die drittgrößte Fraktion im Sejm. Dennoch war der Erfolg der neuen Gruppierung auch nicht so groß, als dass die nur minimal geschwächten PO und PSL ihre Mehrheit im Sejm nicht hätten behalten können. Demzufolge befindet sich die Palikot-Bewegung in der Opposition. Die Spekulationen um ihre Ausgangsposition wiesen zwei wesentliche Optionen auf. Erstens, dass die Palikot-Bewegung anstelle der PSL ein alternativer Koalitionspartner für die PO werden könnte, was eine Umsetzung liberaler Projekte ermöglichen könnte, für die die PSL bisher die regierungsinterne Opposition gewesen war. Zweitens kam die Frage auf, ob die Palikot-Bewegung nicht letzten Endes in Gänze die Aktiva der SLD übernehmen würde, die von ihrer Wahlniederlage geschwächt war. Die SLD gewann nur die Hälfte der Sitze, die sie vorher innehatte, was Grzegorz Napieralski als Parteichef vollständig kompromittierte. Er übernahm dafür die Verantwortung und verzichtete auf das Amt des Vorsitzenden. Als Problem erwies sich, dass es keinen alternativen Kandidaten für den SLD-Vorsitz gab. Die Suche nach einem neuen Vorsitzenden endete bei dem ehemaligen Ministerpräsidenten Leszek Miller, der 2003 vom Amt des Regierungschefs in einer skandalumwitterten Atmosphäre zurückgetreten war und dessen späteres politisches Schicksal seine vollständige Marginalisierung zu bestätigen schien. Die Beziehungen zwischen den Parteien der linken Opposition im Sejm gestalteten sich nicht gut; es trennte sie beispielsweise der Streit um den Bezug hochwertiger Büros. Außerdem hatte jede von ihnen vollkommen andere Ambitionen und eine andere organisatorische Basis. Auch unterschied sie die Anzahl der erfahrenen Akteure in der zweiten Reihe sowie die Position auf der Ebene der Selbstverwaltung – die Politiker der SLD besetzen zwar nicht viele, aber doch einige Positionen in Woiwodschaftsverwaltungen und einige Ämter als Stadtpräsidenten. Nach dem überraschenden Wahlsieg standen vor der Palikot-Bewegung fundamentale Dilemmata. Die grundsätzliche Frage war, in welcher Richtung Wählerschaft hinzugewonnen werden sollte, wollte man doch aus der Ecke herauskommen, die von Extrempositionen im Bereich von Wertefragen und von wirtschaftlichen Fragen gekennzeichnet war. Möglich war nun, sich in Richtung Zentrum zu bewegen, indem die Aussagen in jenen beiden Bereichen abgemildert wurden. Möglich war aber auch, zu versuchen, das Monopol in der Linken zu übernehmen und dafür auf der Achse der Wertefragen auf einer Außenposition zu bleiben, während auf der Wirtschaftsachse die Sorge um sozial Schwache, das regulierende Eingreifen des Staates im Bereich des wirtschaftlichen Umsatzes, die Aufstockung der Sozialtransfers usw. mehr in den Vordergrund rücken müssten. Bis heute ist hier das Fehlen einer eindeutigen Botschaft feststellbar. Einerseits nimmt die Palikot-Bewegung an Initiativen teil, die die Linke in Wertefragen vereinen und ihre verschiedenen Flügel im Bereich Wirtschaftspolitik zusammenführen sollen. Solche Initiativen werden unter der Schirmherrschaft von Aleksander Kwaśniewski unternommen, der hier eindeutig einen Platz für die Palikot-Bewegung sieht. Aus seiner persönlichen Vorliebe resultiert der Wunsch, zur Formulierung Linke und Demokraten zurückzukehren und die Spaltung der Parteienlandschaft (postkommunistisch-post-Solidarność) zu überwinden, und insbesondere die Palikot-Bewegung soll ein Element des Puzzles sein. Andererseits werden derlei Initiativen seitens der SLD mit deutlichem Missfallen aufgenommen. Die Erfahrung mit LiD im Jahr 2007 wird als Niederlage der SLD und Schwächung der Partei gewertet, daher auch das deutlich fehlende Engagement von Leszek Miller. Zwei konkrete Angelegenheiten spalteten die Parteien im Sejm, die sich als links bezeichnen. Die eine ist die Rentenreform. Die SLD stand eindeutig in Opposition zu den Plänen der Regierung und stellte sich als Verteidiger der Beute des Sozialstaates dar. Die Haltung der Palikot-Bewegung war dagegen nicht eindeutig – der Wunsch, mit der SLD zu rivalisieren und sie an den Rand zu drängen, bewegte sie dazu, soziale Forderungen zu erheben und die Regierungsentwürfe abzumildern. Andererseits tauchte aber auch die Versuchung auf, die Regierungskoalition zu zerschlagen. Der Koalitionspartner PSL bekundete Zweifel an den Forderungen des Ministerpräsidenten und der PO. In der öffentlichen Debatte kam die Vision auf, die PSL durch die Palikot-Bewegung zu ersetzen, die dann in einer Regierungskoalition als die Partei auftreten würde, die die liberalen Vorschläge akzeptieren würde. Dieses Spiel gründet auch auf politischer Taktik, auf dem Wunsch, der PO ihre dominierende Position zu entziehen, indem eine politische Destabilisierung herbeigeführt wird. Stabilisierung war einer der Trümpfe, der für den Wahlerfolg der PO im Jahr 2011 wesentliche Bedeutung hatte. Die fehlende Eindeutigkeit der Palikot-Bewegung, ihre wechselnden Präferenzen und Botschaften, die die politische Taktik auf Kosten einer eindeutigen strategischen Orientierung hervorhoben, brachten keinen Nutzen, vielmehr zeichneten sich Verluste in den Umfragen ab. Das Gefühl, auf einem aufstrebenden Ast zu sein, das die Palikot-Bewegung direkt nach den Wahlen begleitet hatte, erlosch. Ausdruck dessen waren die Parteiübertritte eines SLD- und eines PO-Abgeordneten in die Palikot-Bewegung gewesen. Die Ankündigungen in den Medien von weiteren Übertritten aus diesen Parteien haben sich nicht bestätigt. Das zweite Konfliktfeld waren die Gefängnisse des CIA, die in Polen unter der Regierung von Leszek Miller in Dienst genommen worden waren. Dies war eine Gelegenheit für Janusz Palikot, den ehemaligen Ministerpräsidenten scharf zu attackieren, was sich in einem breiten Medienecho niederschlug. Allerdings teilten in den meisten Fällen nicht einmal die Milieus, die die Palikot-Bewegung gerade in dieser Angelegenheit unterstützten, seine Position. Zu seinen Attacken verhielten sie sich eher skeptisch und nahmen zweifelsohne eine ausgewogenere Haltung ein. Theoretisch wäre die Koexistenz zweier Parteien auf der linken Seite der politischen Bühne Polens möglich, einer wirtschaftlich eher liberalen und einer stärker sozialen. Das Hindernis ist hier die Frage der Ambitionen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass diese beiden Parteien gleichgewichtig wären. Das würde eine schädliche Rivalität bedeuten, die aus institutionellen Interessen oder persönlichem Ehrgeiz resultieren würde. Andererseits würde gegen diese Lösung die Wahlarithmetik sprechen. Im polnischen Wahlsystem führt eine Teilung in zwei Gruppierungen unvermeidlich zu einer mathematischen Schwächung, was die Anzahl der Mandate im Verhältnis zur erhaltenen Unterstützung betrifft. Stärken und Schwächen, Chancen und Gefahren Man kann sagen, dass die starke Seite der Palikot-Bewegung ihr Talent ist, die Sehnsucht nach einem modernen und effektiven Staat ausnutzen. Dieses Bedürfnis hatte vorher die PO für sich genutzt, aber mit Ausübung des Regierungsamtes, der unvermeidlichen Bewegung in Richtung Zentrum und Zweifeln an der Effektivität der Partei traten immer größere Unsicherheiten in der Wählerschaft der PO auf, ob dies tatsächlich die Partei ist, die diese Sehnsucht befriedigen kann. Eine weitere starke Seite der Palikot-Bewegung ist ihr Medientalent, d. h. ihre Fähigkeit, sich an die Erwartungen des Infotainment anzupassen. Entscheidend ist dafür die vollständige Akzeptanz der Logik der Medien, die an emotionalen Botschaften, Konflikten, Skandalen und Kontroversen interessiert sind. Über den Erfolg der Palikot-Bewegung entschied aber nicht nur, dass sie sich in die Medien durchgeschlagen und die Sympathie der Journalisten erlangt hat, sondern auch, dass sie sich außerhalb der Medien bewegt und sich bewusst ist, dass das politische Leben nicht nur im Fernsehstudio gestaltet wird. Dieser Erfolg wäre ohne intensive Aktivitäten auf lokaler Ebene, in Form von Veranstaltungen in Kleinstädten und des Aufbaus verzweigter Strukturen, nicht möglich gewesen. Eine Chance für die Palikot-Bewegung ist die Radikalisierung von PiS. Das macht PiS einerseits weniger gefährlich, in Zukunft die Regierung zu übernehmen, was wiederum einer Polarisierung in Richtung Zwei-Parteien-System entgegenwirkt. Andererseits wecken die Radikalisierung der PiS-Botschaften, die Bezugnahme auf die Religion und die offene Feindschaft gegenüber Gegnern das Bedürfnis nach Antiklerikalismus unter den PiS-Gegnern und danach, deutliche Antipathie gegenüber PiS zum Ausdruck zu bringen. Eine weitere Chance für die Palikot-Bewegung ist auch die Ermüdung der PO und die Konsequenzen dessen, eine Partei der Macht geworden zu sein, die ihre Unterstützung nicht mehr auf Aufruhr und Hoffnung auf Veränderung gründet, sondern auf der Akzeptanz des status quo. Nicht ohne Bedeutung sind für die Palikot-Bewegung außerdem die Schwächen der SLD, insbesondere die Schwäche der Parteiführung, in der keine Persönlichkeit zu sehen ist, die den unbestrittenen Trumpf in der Hand hält, um die Wählergunst zu gewinnen. Eine Chance ist außerdem der Wahlkalender – die Europawahlen (2014) und vor allem auch die Präsidentschaftswahlen in Polen (2015) können eine Gelegenheit sein, mit neuen Initiativen die Unterstützung seitens der Wähler auszubauen. Zu den Schwächen der Palikot-Bewegung gehört die mangelnde Glaubwürdigkeit ihres Parteichefs selbst. Palikot liefert sich regelmäßig mit Jarosław Kaczyński einen »Kampf« um die letzten Plätze bei Umfragen zum Vertrauen gegenüber Politikern. Sein politischer Lebenslauf weist zahlreiche schwache Punkte auf, beispielsweise die zurückliegende Gründung der radikal-konservativen Zeitung »Ozon«, der Erwerb von Vermögen durch die Produktion von Obstweinen, was sich kaum als prestigeträchtiges Unternehmen bezeichnen lässt, das Auslagern von Vermögen in »Steuerparadiese« und der Prozess mit seiner Exfrau in diesem Zusammenhang – all dies wird immer wieder von seinen Gegnern in Erinnerung gebracht. Wiederkehrend sind auch die Bedenken hinsichtlich der Finanzierungsquellen seines Wahlkampfes, als er noch von der Liste der PO startete, sowie der zahlreichen Indiskretionen, die er in seinem Buch beging, in dem er Privatgespräche wiedergab. Dabei sparte er nicht an persönlichen und nicht überprüfbaren Beschuldigungen gegenüber seinen Parteikollegen aus der PO und anderen Personen der rechten und linken politischen Szene, mit denen er Kontakte unterhielt. Ein weiteres Problem ist auch die Widersprüchlichkeit seines Auftretens. Auf der einen Seite baut er seine Botschaft auf einer Anti-Establishment-Haltung auf, auf dem Protest gegen die bisherige Politik, auf der anderen Seite pflegt er sehr gute Beziehungen mit Medienstars und dem doch so kritisierten Establishment, zu dem er selbst lange Jahre gehörte. Eine Schwäche der Palikot-Bewegung ist die Unberechenbarkeit der Politiker der zweiten Reihe, unter denen sich viele mit einer sehr kontroversen Biographie befinden. Die Liste der Schwächen wird schließlich von der fehlenden Konsequenz im Bereich der Parteistrategie und der Unterordnung strategischer Entscheidungen unter die aktuelle Taktik vervollständigt. Eine Erklärung dafür könnte die Abhängigkeit von den Medien sein, davon, dass die eigene Position über Medienkontakte aufgebaut wird, weshalb die eigenen politischen Initiativen der Notwendigkeit untergeordnet werden, dass man in den Medien wahrgenommen wird. Ein Problem ist darüber hinaus die Tatsache, dass die ganze Gruppierung von Janusz Palikot um seine Führungsperson herum aufgebaut ist und die übrigen bekannten Personen in dieser Partei eindeutige Bedenken auch unter Sympathisanten hervorrufen. Ein solcher Einzelspieler hat Schwierigkeiten, seine Botschaft zu differenzieren, mit unterschiedlichen Flügeln zu spielen, die Wählerschaft zu erweitern, indem bestimmten Wählergruppen bestimmte »Botschafter« innerhalb der Partei zugeordnet werden. Darüber hinaus ist es langfristig auch eine Gefahr für die Kohärenz der Gruppierung, wenn ihr charakteristische Persönlichkeiten fehlen. Solange eine Partei auf Entwicklung zählen kann, kann sie auch mit der Loyalität ihrer Mitglieder rechnen. Sollten aber irgendwelche Bedenken aufkommen, was auch schon bei anderen Protestparteien in Polen der Fall war, zum Beispiel bei Selbstverteidigung (Samoobrona), dann kann es sehr leicht zu internen Konflikten und Spaltungen kommen, was den Wechsel einzelner Akteure zu anderen Parteien nach sich ziehen kann. Eine Gefahr, die von außen auftritt, können die Selbstverwaltungswahlen sein, die in naher Zukunft stattfinden werden und eine große Herausforderung für eine Partei darstellen, die trotz allem lokal sehr schwach verwurzelt ist. Heute ist es schwer vorstellbar, dass die Palikot-Bewegung eine dauerhaft prägende Kraft auf der politischen Bühne Polens werden wird, obwohl genau dies die aktuelle Botschaft des Parteiführers ist. Wahrscheinlicher ist, dass sie ähnliche Schwierigkeiten wie Selbstverteidigung durchmachen wird – eine andere Partei, die gegen den status quo mit einer Anti-Establishment-Rhetorik anging und nach einigen Jahren Anwesenheit in der Politik der vollkommenen Zerstörung anheimfiel. Im Vergleich mit Selbstverteidigung hat die Palikot-Bewegung allerdings eine deutlich stärkere Position inne – vor allem aufgrund der Sympathie einiger einflussreicher Medien. Das kann bedeuten, dass sie einen dauerhaften Platz in der Politik einnehmen wird, als eine Gruppierung, die sowohl in Werte- als auch in Wirtschaftsfragen liberal ist und die ihre Nische finden wird, wenn nicht gar ihr Potential, als Koalitionspartner zu agieren. Bis dahin muss aber noch eine Probe bestanden werden, und zwar eine besonders schwierige Probe. In den Jahren 2014/15 wird eine Reihe von Wahlen stattfinden, angefangen mit der Europawahl über die Selbstverwaltungswahlen, die Präsidentschaftswahlen und schließlich die entscheidende, die Parlamentswahl. Diese Probe stellte eine grundsätzliche Herausforderung für die neue Gruppierung dar. Sie kann ihre Position bestätigen und ein Schlüsselelement in den Koalitionsspielchen werden. Es kann sich aber auch zeigen, dass eine solche Probe ihre organisatorischen Fähigkeiten und auch ihr politisches Konzept übersteigt. Die aktuelle Phase der politischen Stabilisierung muss als Vorbereitung auf die bevorstehende Probe gewertet werden. Unschlüssigkeit und Entscheidungen von heute können für die Wahlergebnisse im Jahr 2015 ähnlich entscheidend sein, wie die vermeintlich fernen Konsequenzen und zweitrangigen Fehler der Konkurrenz, die über den Erfolg der Palikot-Bewegung in den Wahlen von 2011 entschieden haben. Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-05-21T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/polen-analysen/136798/analyse-die-palikot-bewegung/
Die Palikot-Bewegung (Ruch Palikota) hat in den Parlamentswahlen 2011 einen überraschenden Wahlerfolg erzielt und ist drittstärkste Kraft im Sejm. Entstanden war sie erst im Sommer 2010, als es zum Bruch von Janusz Palikot mit seiner damaligen Partei
[ "" ]
30,634
Zu den Zwangsräumungen in Berlin nach dem Mauerbau 1961 | Deutschland Archiv | bpb.de
I. Am 1. August 1961 besprachen Nikita Chruschtschow und Walter Ulbricht bei einem Treffen in Moskau einige Details der Grenzschließung, die sie gemeinsam planten. Chruschtschow wollte es genau wissen und fragte nach dem Umgang mit denjenigen Straßen in der Stadt, "deren eine Seite sich in der DDR befindet und die andere in West-Berlin." Ulbricht antwortete: "Wir haben einen bestimmten Plan. In den Häusern, die einen Ausgang nach West-Berlin haben, werden wir diesen Ausgang zumauern." Damit war das Schicksal der Häuser in der Bernauer Straße besiegelt. Anscheinend hatte die SED-Führung zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine genauen Pläne, wie sie mit den Bewohnern dieser Grenzhäuser verfahren wollte. Die Schließung der innerstädtischen Grenze in Berlin war zu diesem Zeitpunkt noch als Provisorium gedacht, um die Fluchtbewegung bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zu stoppen. Mit dem Friedensvertrag, so die Vorstellung Chruschtschows und Ulbrichts, wäre auch das Fluchtproblem erledigt und für die SED keine Gefahr mehr, weil die DDR die Kontrolle über alle Transitwege von West-Berlin in den Westen einschließlich der Flugverbindungen erhalten würde. Die wenigen Flüchtlinge, die es dann noch geben würde, säßen in West-Berlin fest. Außerdem hatte Ulbricht schon Mitte Juni einem westlichen Journalisten mitgeteilt, dass nach dem Friedensvertrag die "sogenannten Flüchtlingslager in Westberlin" geschlossen würden und die sich mit dem "Menschenhandel" befassenden "Agenten" West-Berlin zu verlassen hätten. Ulbricht ging also davon aus, die Aufnahme von Flüchtlingen in West-Berlin unterbinden zu können; damit war für ihn das Fluchtproblem langfristig gelöst. Auch wenn die SED-Führung aufgrund dieser Vorstellungen noch keine Planungen für die Bewohner grenznaher Gebiete an der innerstädtischen Sektorengrenze hatte, gab es jedoch für den Umgang mit unliebsamen Bevölkerungsgruppen im Grenzgebiet historische Vorbilder, auf die Walter Ulbricht, Erich Honecker und ihre Mitplaner zurückgreifen konnten. Nachdem Stalin in der Sowjetunion die Wende zum "Aufbau des Sozialismus in einem Land" eingeleitet hatte, wurden die Grenzen zu den nichtkommunistischen Staaten hermetisch abgeriegelt. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren wurde in den an diese Grenze anschließenden Regionen ein besonderes Grenzregime eingeführt, das die zwangsweise Umsiedlung großer Bevölkerungsgruppen und in den Jahren des stalinistischen Terrors auch die Ermordung Tausender einschloss. Im Nachkriegseuropa wurden diese Maßnahmen von den neuen Diktaturen in Osteuropa kopiert und Bevölkerungsteile, die aus ethnischen oder politischen Gründen als verdächtig galten, ins Landesinnere umgesiedelt. Bisher wurde hierzu erst wenig geforscht, doch sind solche Aktionen aus Rumänien, wo 1951 etwa 45.000 Menschen aus dem Gebiet an der Grenze zu Jugoslawien ausgesiedelt wurden, und aus Bulgarien bekannt, das auf ähnliche Weise seine Grenze zu Griechenland und zur Türkei absicherte. Auch die SED selbst hatte 1952 bereits mehrere Tausend Menschen von der innerdeutschen Grenze umgesiedelt. Es gab somit Handlungsmuster für den Umgang mit störenden Personengruppen an den Grenzen, auf welche die SED-Führung zurückgreifen konnte. II. Der Charakter der Zwangsumsiedlungen in Berlin unterschied sich jedoch von denen an der innerdeutschen Grenze 1952 und 1961. Anders als dort wurden in Berlin nicht nur die politisch Verdächtigen ausgesiedelt, sondern letztlich alle Menschen, die, vor allem in den Stadtbezirken Treptow und Mitte, direkt in den an der Grenze liegenden Häusern wohnten. Und anders als bei den Zwangsumsiedlungen an der Westgrenze der DDR wurden die Umgesiedelten, soweit wir heute wissen, nach der Umsiedlung nicht besonders überwacht und galten offensichtlich nicht als potentielle Feinde der DDR. Was die SED-Führung dazu brachte, die Zwangsumsiedlung von Menschen an der innerstädtischen Sektorengrenze in Berlin zu erwägen, waren das Ausmaß und die Aufsehen erregende Form der Fluchtbewegung aus den Grenzhäusern und deren medial vermittelte weltweite Wahrnehmung. Offensichtlich war die SED-Führung nach dem Mauerbau von der Intensität der Fluchtbewegung überrascht. Sie hatte anscheinend nicht bedacht, dass sie mit Stacheldraht und Mauer gerade in Berlin einen neuen, einen zusätzlichen Fluchtgrund geschaffen hatte. Zusätzlich zu den politischen und wirtschaftlichen Motiven trat jetzt das Motiv, dass viele Menschen in Ost-Berlin von Freunden und Verwandten, aber auch von Ausbildungs- und Arbeitsstätten getrennt worden waren. Viele von ihnen versuchten deshalb in der Phase direkt nach der Grenzschließung, als die Grenzsperren noch nicht so dicht und die Bewachung noch nicht perfekt war, noch nach West-Berlin zu gelangen. Zur Unterbindung von Fluchtversuchen wurden bereits kurz nach dem Mauerbau bei Häusern, die direkt an der Grenze lagen, Hauseingänge und Fenster zugemauert. Aufnahme aus der Bernauer Straße vom 6. Oktober. (© AP, Foto: Eddie Worth) Außerdem bewog die Atmosphäre in den Grenzhäusern an der Bernauer Straße viele der Bewohner zur Flucht. In den ersten Tagen nach dem 13. August 1961 waren die meisten in den Westen führenden Haustüren zugenagelt und zum Teil bereits vermauert worden. Die notdürftig in die rückwärtigen Mauern gebrochenen neuen Eingänge, die Hinterhöfe, die Aufgänge und Treppen waren von Volkspolizisten und Angehörigen der Kampfgruppen besetzt, sodass die Bewohner wie in einem Kriegsgebiet lebten. Die Überwachung, die etwa dadurch fühlbar wurde, dass sie sich auf einem einzigen Einkaufgang mehrfach ausweisen mussten, war omnipräsent. Schließlich erlebten sie die Fluchtversuche der Nachbarn und die direkten Auseinandersetzungen der Volkspolizei mit West-Berliner Polizisten und Demonstranten hautnah mit. Dies veranschaulicht der Bericht einer Betroffenen, Frieda Schultz: "Wissen Sie, das war furchtbar in der letzten Zeit. Keine Zeitung mehr aus West-Berlin. Und ich war Stammleser. Um das Radio wurden Kissen gepackt – hinten und an den Seiten – und man traute sich nur noch leise einzustellen. [...] Und dann die Gerüchte! Am Freitag hieß es, es stünden 400 Wagen bereit für die Deportation. Ich wurde immer unruhiger. 'Volkspolizei' kam und brach die Wohnung meines Nachbarn auf, der schon weg war. Das war aufgefallen. In der verlassenen Wohnung richtete sich ein Vopo in Zivil ein. Ein Aufpasser! [...] Und dann haben sie am Sonnabendvormittag einen Mieter ausquartiert, der wohnte fast 40 Jahre in diesem Haus. Ich übrigens fünfzehn. Da habe ich gedacht: jetzt geht's nicht mehr. [...] Noch ein paar schlaflose Nächte und ich wäre verrückt geworden." Die SED und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) registrierten die Fluchtversuche und insbesondere die erfolgreichen und medial dokumentierten Fluchten sehr genau. Besonders ihre weltweite mediale Wirkung alarmierte das MfS. Hierzu zählten unter anderem die teilweise spektakulären und deshalb medienwirksamen Fluchten in der Bernauer Straße. Später, im Dezember, ordnete der MfS-General Bruno Beater deshalb an, spektakuläre Fluchtversuche, besonders die von Grenzwächtern, über die in den westlichen Medien umfangreich berichtet werde und die als Symbol für den Zwangscharakter des SED-Staates präsentiert würden, seien auf jeden Fall zu unterbinden, um die durch den Mauerbau gesicherte weitere "Festigung" der DDR nicht zu gefährden. Eine vergleichbare Wahrnehmung dürfte auch schon im August dazu geführt haben, die Fluchtbewegung in der Bernauer Straße, wo bis Oktober 1961 bereits 113 erfolgreiche Fluchten zu verzeichnen waren, als Anlass für die dann umgesetzten drastischen Maßnahmen zu nehmen. III. Zwangsräumung von Häusern an der Bernauer Straße, August 1961. (© Ullsteinbild, Foto: Jung) Die Zwangsumsiedlungen in Berlin betrafen hauptsächlich Gegenden an der Grenze zwischen den Stadtbezirken Treptow und Neukölln sowie zwischen Mitte und Wedding und dort besonders die Bernauer Straße. Dort gehörten die Häuser auf der einen Straßenseite zu Ost-Berlin und die Gehwege davor bereits zu West-Berlin. Die Räumungen geschahen dort in mehreren Wellen. Zunächst wurden im August Wohnungen geräumt, die im Erdgeschoss lagen und die deshalb die besten Fluchtchancen boten. Die Bewohner, und das zeigt das Provisorische, das diesen Maßnahmen im August noch anhaftete, wurden zunächst innerhalb der Bernauer Straße in Wohnungen umgesiedelt, die in den oberen Geschossen lagen und aus denen die Bewohner bereits geflohen waren. Außerdem wurden die ersten Familien, die als politisch unzuverlässig galten oder verdächtigt wurden, eine Flucht vorzubereiten, ganz aus der Bernauer Straße entfernt. Hierbei spielten Denunziationen eine gewisse Rolle, wenn Nachbarn die Ost-Berliner Ordnungskräfte auf solche Fluchtneigungen hinwiesen. Die ersten Räumungen, die im Westen wahrgenommen wurden, erfolgten am 21. August, weitere folgten in den nächsten Tagen. Die zweite und größte Welle fand Ende September 1961 statt. Seit dem 14. September begann die Volkspolizei erneut damit, Bewohner einzelner Häuser an der Sektorengrenze umzusiedeln. Eine Woche später, am 20. September, begann in der Harzer Straße an der Grenze zwischen den Bezirken Treptow und Neukölln die von Volkspolizei, SED-Ordnern und Freiwilligen durchgeführte vollständige Zwangsräumung der Grenzhäuser. Dort bildeten wie in der Bernauer Straße die Vorderseite der Häuser die Grenzlinie. Schon am ersten Tag der Aktion mussten 250 Familien ihre Wohnungen räumen. Am selben Tag, als in der Harzer Straße die Räumungen bereits begannen, wurde in einer Lagebesprechung des zentralen Einsatzstabes für den Mauerbau beschlossen, auch in der Bernauer Straße "unzuverlässige Elmente" schnell und vollständig aus ihren Wohnungen zu entfernen, um weitere "Fälle des Abseilens" zu verhindern. Insbesondere Generalmajor Willi Seifert, stellvertretender Innenminister, forderte in der Sitzung am 20. September, in der Bernauer Straße, "wo die Grenzlinie entlang der Hausgrundstücke verläuft", seien "entschiedene Maßnahmen" zu treffen. Hier müsse entweder eine "vollständige Räumung oder schnellere Räumung unzuverlässiger Elemente erfolgen." Offensichtlich entschieden die Verantwortlichen sich kurzfristig für eine vollständige Räumung. Die Räumungen selbst wurden vom Zentralen Stab angewiesen, in den Details jedoch in konkurrierender Planung von der soeben gebildeten 1. Grenz¬brigade und der Bezirksleitung Berlin der SED geplant. Die Bezirksleitung wollte in den Stadtbezirken Mitte, Treptow und Pankow 982 Wohnungen räumen und mindestens 1.220 Einwohner zwangsweise in andere Wohnungen verbringen lassen. Allein aus der Bernauer Straße sollten nach diesen Planungen etwa 500 Haushalte geräumt werden. Bei einer Massenaktion in der Bernauer Straße mussten am 24. September etwa 2.000 Menschen ihre Häuser verlassen und wurden zum Teil vorerst in Notunterkünften, zum Teil aber auch in Wohnungen untergebracht, die durch die Massenflucht im Vorfeld des Mauerbaus frei geworden waren. 50 bis 80 Häuser wurden im Lauf des Vormittages geräumt. Die Räumungen wurden in den nächsten Tagen in zahlreichen Einzelaktionen fortgesetzt, bei denen jeweils ein Haus oder ein Häuserblock geräumt wurden. Auch Wohnungen in den Seitenstraßen der Bernauer Straße waren davon betroffen. Nachdem Ende September die Räumungen für einige Tages ausgesetzt wurden, begannen sie seit dem 6. Oktober erneut und wurden bis zum 19. Oktober fortgesetzt. Allein am 17. Oktober wurden in der Bernauer Straße noch einmal zehn Gebäude geräumt. Am 21. Oktober konnte der Stabschef der 1. Grenzbrigade für die Zwangsumsiedlungen an der innerstädtischen Sektorengrenze Vollzug melden. Allerdings war die Aktion noch nicht vollständig abgeschlossen. An den Grenzen zu den West-Berliner Bezirken Neukölln und Kreuzberg wurden sie bis Ende Oktober fortgesetzt, und auch in der Bernauer Straße wurden noch einzelne Häuser geräumt, so etwa das Pfarrhaus der Versöhnungskirche am 23. Oktober. Ende Oktober und Anfang November wurden in den Seitenstraßen weitere Räumungen beobachtet. Die genaue Anzahl der in Berlin zwischen dem 13. August und Anfang November umgesiedelten Menschen ist bisher nicht bekannt. IV. Volkspolizisten überwachen die Räumung von Häusern in der Bernauer Straße, 24. September 1961. (© Picture alliance, dpa) Diese Aktionen verliefen immer gleich. Am frühen Morgen fuhren an den Nebenstraßen der Bernauer Straße zahlreiche Lastwagen auf, die von FDJlern, Studenten und Angehörigen der Kampfgruppen als Möbelpacker begleitet wurden. Gemeinsam mit Volkspolizisten betraten sie Häuser und Wohnungen an der Bernauer Straße. Zunächst besetzten Bewaffnete die Fenster, damit niemand mehr flüchten konnte, dann wurden die Bewohner aufgefordert, sich – unter den Blicken der Bewacher – anzukleiden und ihre Habe zusammenzupacken. Da es in der Regel nicht möglich war, einen ganzen Hausstand in ein oder zwei Stunden zu packen, übernahmen das die freiwilligen Helfer, die die Möbel und den sonstigen Besitz auf die Lastwagen verluden. Dann brachen die LKW-Kolonnen auf, um die Menschen wegzubringen. Diese wussten, nach den überlieferten Zeitzeugenaussagen zu urteilen, zumeist nicht, in welchen Stadtbezirk und in welche Wohnung sie kommen würden und ob sie überhaupt in Berlin bleiben durften. Nachdem die Bewohner weg waren, rückten am nächsten Tag Maurer an, die die Fenster zu Straße vermauerten, bis im November die ganze Gebäudefront der Bernauer Straße eine geschlossene Steinfassade bildete. Am 7. November wurden die letzten Fenster im Haus Bernauer Straße 13 zugemauert. Während der Räumungen gelang einigen überraschten Bewohner, teilweise unter dramatischen Umständen, noch die Flucht nach West-Berlin. Eine 57-jährige Frau sprang aus dem zweiten Stock auf den Bürgersteig, weil sie nicht auf die Feuerwehr mit ihrem Sprungtuch warten konnte, da das Räumkommando bereits an ihrer Wohnungstür war. Am 24. September 1961 flieht die 77-jährige Frieda Schulze aus dem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Straße. (© Ullsteinbild, Foto: Alex Waidmann) Die 77-jährige Frieda Schulze versuchte, sich und ihre Katze aus dem ersten Stock des Hauses Bernauer Straße 29 in ein bereit gehaltenes Sprungtuch der Feuerwehr fallen zu lassen. Während sie noch zögerte, den Sprung zu wagen, drangen Volkspolizisten in ihre Wohnung ein und versuchten, sie unter Abgabe von Warnschüssen am Sprung zu hindern und wieder in die Wohnung hochzuziehen. Junge West-Berliner zogen sie in das Sprungtuch der Feuerwehr. Bei einem Ehepaar verlief der Fluchtversuch tragisch. Zwar konnte die Frau noch springen und sich verletzt in die rettenden Hände der Feuerwehr flüchten, ihr Mann aber wurde, als er eben im Begriff war zu springen, von Volkspolizisten, die just in diesem Moment die Wohnungstür erbrachen, ins Zimmer zurückgerissen. Seine Flucht wurde verhindert und er selbst verhaftet. Als die 80-jährige Olga Segler versuchte, in letzter Minute der Räumung zu entkommen, verunglückte sie bei ihrem Sprung aus dem 2. Stock ins Sprungtuch der Feuerwehr, verletzte sich schwer und verstarb im Krankenhaus. Jedoch gelang am 24. September 13 Menschen die Flucht aus den Fenstern. Zahlreiche weitere Fluchten und Fluchtversuche begleiteten die Räumungen. Im Osten wurde die Räumungsaktion als menschliche Geste gegenüber den Grenzbewohnern dargestellt, die in ruhigere Stadtviertel umgesiedelt würden, wo sie den Belästigungen durch Lautsprecherwagen und westliche "Rowdies" nicht ausgesetzt seien. Um den deutlich sichtbaren Zwangscharakter der Aktion zu vertuschen, wurden zuschauende West-Berliner sowie die anwesende Presse durch Tränengaseinsatz, Wasserwerfer und Blendspiegel behindert. Dies führte mehrfach zu regelrechten Tränengasduellen zwischen Volkspolizisten und West-Berliner Polizisten. Diese deckten einige der Fluchten, wenn die Volkspolizei sie mit gezogener Waffe zu verhindern suchte, mit ihren Schusswaffen und dem Einsatz von Tränengas. Dass nicht alle Volkspolizisten und Helfer diese Maßnahmen billigten und nicht alle freiwillig daran teilnahmen, sieht man daran, dass mehrere von ihnen ebenfalls die Fluchtchance nutzten. Am 25. September beispielsweise gelang einem der in den Räumkommandos eingesetzten Männer die Flucht. Auch der Kampfgruppenmann Heinz V. nutzte einen unbeobachteten Moment, um aus dem Fenster zu springen. V. Auch nachdem die große Welle der Zwangsaussiedlungen und die damit verbundenen Betriebsverlegungen vorbei war, erfolgten beispielsweise 1962 noch einzelne Räumungen und weitere Betriebe wurden aus dem Grenzbereich entfernt. Schon seit dem Mauerbau bestand in den grenznahen Gebieten in Berlin eine besondere Ordnung, die durch restriktiven Zugang und höhere Überwachungsintensität gekennzeichnet war. Legalisiert wurde diese Situation erst 1963, als durch eine Verordnung des Ministerrats der DDR und eine Anordnung des Verteidigungsministers ein besonderes Grenzgebiet geschaffen wurde. Eigentlich hatte die SED-Führung dies schon Anfang 1962 einführen wollen. Die Verzögerung war erheblichen Bedenken der Moskauer Regierung und insbesondere des sowjetischen Botschafters in Ost-Berlin geschuldet. Erst nachdem diese in langwierigen Verhandlungen ausgeräumt worden waren, ließ die SED-Führung im Sommer 1963 das Sperrgebiet durch legislativen Akt schaffen und in der Topographie der Stadt durch Schilder und Markierungen kenntlich machen. Untersagt war seitdem das Betreten, der Aufenthalt und die Wohnsitznahme ohne ausdrückliche Genehmigung. Ebenso bedurften Besucher und Arbeitnehmer besonderer Genehmigungen (sogenannte Passierscheine), um das Grenzgebiet zu betreten. Das galt beispielsweise auch für Ärzte und Handwerker, was das Alltagsleben erheblich beeinträchtigte. Davon waren 1963 immerhin etwa 16.000 Menschen betroffen, die im Grenzgebiet lebten, und weitere 16.000 Beschäftigte, deren Betriebe im Grenzgebiet lagen. Mit den zentral gelenkten Umsiedlungsaktionen im September und Oktober 1961 waren die Zwangsaussiedlungen nicht abgeschlossen. Es folgten später kleinere Aktionen, bei denen Menschen, deren Häuser an der Mauer lagen, den immer weiter ausgreifenden Sicherheitsbedürfnissen der SED für das Grenzregime weichen mussten. 1965 bis 1967 wurden Menschen ausgesiedelt, deren Häuser dem entstehenden Grenzstreifen weichen mussten, der im Zuge des Grenzausbaus und der Schaffung der "modernen Grenze" angelegt wurde. 1985 plante die SED-Führung als Vorbereitung für das Stadtjubiläum 1987 ein umfangreiches Maßnahmepaket, zu dem auch die Verschönerung und die bessere Absicherung der Mauer gehörte. In diesem Kontext wurden 1985 einzelne Gebäude und Gebäudeteile nahe der Mauer noch abgerissen. Das betraf beispielsweise die Ruine des Hotels Adlon und die Versöhnungskirche, die im Januar 1985 gesprengt wurde. An der Bernauer Straße wurden 1984 und 1985 mehrere bis dahin noch bewohnte Gebäudeteile und Wohnhäuser im Hinterland der Mauer abgerissen. Außerdem galt an der Mauer – und das wird häufig vergessen – immer ein besonderes Sicherheitskonzept, das es ermöglichte, Menschen aus dem Grenzgebiet auszuweisen. Für diese Bewohner Ost-Berlins bestand – wie auch für die Menschen im Grenzgebiet an der innerdeutschen Grenze – immer die Gefahr, aus dem Grenzgebiet ausgewiesen zu werden, wenn sie sich politisch verdächtig machten oder sich auffällig verhielten. Mit dieser dauerhaft angelegten Drohung erhöhte sich der Konformitätsdruck im Grenzgebiet im Vergleich zu anderen Territorien in der DDR erheblich, da jede Form von Abweichung mit dem Verlust des angestammten Wohnortes bestraft werden konnte. Hiervon war nicht nur politische Dissidenz betroffen, sondern auch Lebensweisen, die als asozial eingestuft wurden oder unangepasst waren. Der vorstehende Beitrag wurde als Vortrag gehalten auf der Tagung der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG): Zwangsausgesiedelte als Opfer von Mauer und deutscher Teilung Berlin, 24.9.2011. Zur Unterbindung von Fluchtversuchen wurden bereits kurz nach dem Mauerbau bei Häusern, die direkt an der Grenze lagen, Hauseingänge und Fenster zugemauert. Aufnahme aus der Bernauer Straße vom 6. Oktober. (© AP, Foto: Eddie Worth) Zwangsräumung von Häusern an der Bernauer Straße, August 1961. (© Ullsteinbild, Foto: Jung) Volkspolizisten überwachen die Räumung von Häusern in der Bernauer Straße, 24. September 1961. (© Picture alliance, dpa) Am 24. September 1961 flieht die 77-jährige Frieda Schulze aus dem Fenster ihrer Wohnung in der Bernauer Straße. (© Ullsteinbild, Foto: Alex Waidmann) Zit.: Manfred Wilke, Der Weg zur Mauer. Stationen der Teilungsgeschichte, Berlin 2011, S. 314. Zit.: Manfred Wilke, Der Weg zur Mauer. Stationen der Teilungsgeschichte, Berlin 2011, S. 299. Zur zweiten Berlin-Krise siehe neben dem Buch von Wilke Michael Lemke, Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im Ost-West-Konflikt, Berlin 1995; Hope M. Harrison, Driving the Soviets Up the Wall. Soviet-East German Relations, 1953–1961, Princeton 2003; Gerhard Wettig, Chruschtschows Berlin-Krise 1958 bis 1963. Drohpolitik und Mauerbau, München 2006; Matthias Uhl, Krieg um Berlin? Die sowjetische Militär- und Sicherheitspolitik in der zweiten Berlin-Krise 1958 bis 1962, München 2008. Thomas Lindenberger, Grenzregime und Gesellschaftskonstruktion im SED-Staat; in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011, S. 111–121, hier 113f. Dan Draghia, Bordering with Tito. Romanian berders under the pressure of the Sviet-Yugoslav conflict; Nikolai Vukov, The Guarding and Breaking of the Bulkgarian-Turkish Boder in Communist Bulgaria. Practices, Experiences and memory Traces; Vorträge auf der Tagung: From the Iron Curtain to the Schengen Area: Bordering in Communist and Postcommunist Europe, Wien, Sept. 2011. Inge Bennewitz/Rainer Potratz, Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente, 2. Aufl., Berlin 1997. Zum Mauerbau jetzt Gerhard Sälter/Manfred Wilke, Ultima ratio: Der 13. August 1961. Der Mauerbau, die Blockkonfrontation und die Gesellschaft der DDR, Berlin 2011; Jens Schöne, Ende einer Utopie. Der Mauerbau in Berlin 1961, Berlin 2011; Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011. Gerhard Sälter/Manfred Wilke, Ultima ratio: Der 13. August 1961. Der Mauerbau, die Blockkonfrontation und die Gesellschaft der DDR, Berlin 2011, S. 56–59. Siehe Externer Link: Gerhard Sälter, Reaktionen auf den Mauerbau in Berlin und der DDR, in: DA-Online, 6/2011. J. Mühlberg, Berliner Morgenpost, 15.10.1961. Bericht für das Kollegium des MfS, Mitte Dez. 1961, BStU, AS 19/82, S. 31–85. BA-MA, VA-01/14835, Bl. 269. Christian Bahr, Mauerstadt Berlin. Brennpunkt Bernauer Straße, Berlin 2009. Der Tagesspiegel, 22., 25. u. 29.8.1961. Torsten Diedrich, Die Grenzpolizei der SBZ/DDR (1946–1961), in: Hans Ehlert/Rüdiger Wenzke (Hg.), Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998, S. 201–224, hier 219; Der Telegraf, Der Tagesspiegel, Der Tag, 21.9.1961. Protokoll über die Lagebesprechung des zentralen Stabes, 20.9.1961, zit.: Werner Filmer/Heribert Schwan, Opfer der Mauer, München 1991, S. 374. Zur Bildung der Berliner Grenzbrigaden Gerhard Sälter, Zur Restrukturierung von Polizei-einheiten der DDR im Kontext des Mauerbaus, in: Archiv für Polizeigeschichte 13 (2002), S. 66–73. Stellungnahme der Abt. Sicherheitsfragen gegenüber Honecker über die Räumung von Gebäuden in der Berliner Innenstadt, 11.10.1961, BArch, DY 30/IV 2/12/80, Bl. 2, 5–8. Der Tagesspiegel 26. u. 28.9.1961; Der Telegraf, 26.9.1961; Der Tag, 26.9.1961; Verletzungen der Menschenrechte. Unrechtshandlungen und Zwischenfälle an der Berliner Sektorengrenze seit Errichtung der Mauer (13.08.1961–15.08.1962), Hg. Bundesmin. f. Gesamtdeutsche Fragen, Bonn/Berlin 1962, S. 14. Der Tagesspiegel 7., 15., 17. u. 18.10.1961; Der Tag, 7., 12. u. 18.10.1961; Berliner Morgenpost, 15., 18. u. 19.10.1961; Der Telegraf, 18.10.1961. Betroffen waren am 17.10. Wohnungen in den Gebäuden Bernauer Straße 8, 9, 10a, 15, 16, 23, 40, 41, 42, sowie Brunnenstraße 138 und 139. MdI, Bereitschaftspolizei, Stabschef der 1. Grenzbrigade (B), Bericht über die Räumung von Häusern an der Staatsgrenze zu Westberlin, 31.10.1961, BA-MA, VA-07/8447, Bl. 118. Berliner Morgenpost, 24. u. 26.10. sowie 8.11.1961; Der Tagesspiegel, 26.10. u. 5.11.1961; Der Tag, 31.10.1961; Der Telegraf 4.11.1961. Berliner Morgenpost, 26.9.1961. Der Tagesspiegel, Der Tag, 26.9.1961; siehe auch Berliner Morgenpost, 15.10. u. 1.11.1961. Der Telegraf, 26.9.1961. Der Telegraf, Der Tag, 27.9.1961. Der Telegraf, 26.9.1961. Der Tag, 26.9.1961. Der Tag, 26.9.1961. Interview mit Heinz V., Gedenkstätte Berliner Mauer. Protokoll über durchzuführende Pionierarbeiten im Grenzabschnitt der II./1. Grenzbrigade, 5.12.1962, BA-MA, VA-07/9057, Bl. 70–75. Übersichtsplan, Schaffung eines Grenzgebiets, undat. [1963], BA-MA, VA-07/9057, Bl. 175. Gerhard Sälter, Die Sperranlagen, oder: Der unendliche Mauerbau; in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011, S. 122–137; Johannes Cramer u.a., Die Baugeschichte der Berliner Mauer, Petersberg 2011. Landesarchiv Berlin, C-Rep. 903-01-04, Nr. 1364 u. C-Rep. 902, Nr. 5400.
Article
Gerhard Sälter
"2023-02-28T00:00:00"
"2012-01-11T00:00:00"
"2023-02-28T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/53114/zu-den-zwangsraeumungen-in-berlin-nach-dem-mauerbau-1961/
Neben den Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze 1952 und 1961 wurden auch in Berlin 1961 umfassende Zwangsräumungen an der entstehenden Mauer angeordnet. Diese Maßnahmen gehören zu einem immer ausgreifenderen Konzept von Sicherheit zur Ver
[ "Zeitgeschichte", "Mauerbau", "Mauer", "Kalter Krieg", "Deutschland", "DDR" ]
30,635
Die Wissenschaften in der Klimadebatte - Essay | Klimadiskurse | bpb.de
Wenn man etwas über die Rolle der Klimawissenschaften in der Klimadebatte sagen will, sind zunächst einige begriffliche Klärungen vorzunehmen. Es sollen drei Dimensionen der Wissenschaft unterschieden werden: erstens Wissenschaft als Corpus des gesammelten Fachwissens, zweitens Wissenschaft als Kollektivunternehmen, verkörpert durch Institutionen und Organisationen, sowie drittens Wissenschaft als durch Wissenschaftler verkörperte Lehrmeinung. Ich werde im Folgenden auf alle drei Aspekte eingehen, mit einem Schwerpunkt auf den ersten und den dritten Aspekt, da es oft Wissenschaftler sind, die als Akteure in der öffentlichen Debatte auftreten und dabei wissenschaftliche Argumente vorbringen. Stand des Wissens Im öffentlichen Diskurs werden die wissenschaftlichen Aspekte des Klimawandels häufig als geklärt angesehen, und es wird von einem Konsens unter den Klimawissenschaftlern gesprochen. Dies bezieht sich auf die Frage, ob der beobachtete Temperaturanstieg menschengemacht ist, sowie auf die Tatsache, dass die globale Durchschnittstemperatur um etwa ein Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter gestiegen ist. Dem kann ein relevanter Klimaeffekt, der Anstieg des Meeresspiegels, hinzugefügt werden. Dieser hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt und wird bis zum Jahrhundertende auf bis zu 1,1 Meter geschätzt. Andere Klimawandelfolgen sind die Belastungen der Ökosysteme und die Zunahme extremer Wetterereignisse wie Starkregen, Hitzewellen oder tropische Stürme. Zugleich werden in der öffentlichen Debatte oft alle Auswirkungen zusammengenommen und unter Berufung auf "die" Wissenschaft behauptet, der Klimawandel bedeute die Klimakatastrophe. Es kursieren sehr viel höhere Zahlen etwa in Bezug auf den wahrscheinlichen Meeresspiegelanstieg (über zehn Meter) oder die Häufigkeit beziehungsweise Stärke von Wirbelstürmen. Diese dramatischen Aussagen werden vom Weltklimarat (IPCC) allerdings nicht gedeckt. Tatsächlich gibt es nach wie vor große wissenschaftliche Unsicherheiten. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Klimasensitivität, eine Messgröße der durchschnittlichen Temperaturerhöhung infolge einer Verdopplung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Dieser Wert wird seit 1979 in einer Bandbreite von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius angegeben. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob die Mitteltemperaturen um 1,5 oder 4,5 Grad steigen werden, denn dieser Parameter hat einen direkten Einfluss auf alle weiteren Auswirkungen des Klimawandels: Höhere Temperaturen führen zu höheren Meeresspiegeln, größerem Druck auf ökologische Systeme und die Landwirtschaft, zu höheren ökonomischen Kosten und sozialen Herausforderungen. Die Größenordnung der Veränderung ist also von entscheidender Bedeutung. Zu dieser Frage hat die Klimawissenschaft jedoch keinen Fortschritt gemacht. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Klimawandel haben in jüngster Zeit zugenommen, der Umfang der IPCC-Berichte ebenfalls. Dennoch ist keine Reduktion der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu beobachten, nicht einmal ein Rückgang der jährlichen globalen Emissionen. In dieser Hinsicht wird die Wirkmächtigkeit von Forschungsergebnissen überschätzt. Der viel zitierte wissenschaftliche Konsens, der über die Jahre gewachsen sein und mittlerweile bei 97 Prozent liegen soll, hat also bislang den Erfolg von Klimapolitik nicht sichtbar beeinflusst. Wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Maßnahmen und Auswirkungen in der Realität sind im besten Fall lose gekoppelt. Gerade Klimawissenschaftler sperren sich zuweilen dieser grundlegenden Einsicht, wenn sie beklagen, dass Regierungen zu wenige Wissenschaftler als Berater hätten, dass es nicht genug Regierungschefs mit wissenschaftlicher Ausbildung gebe oder dass der Mangel an Fortschritt der Desinformation von Klimaskeptikern geschuldet sei. Die USA waren mit Blick auf die Genese der modernen Klimaforschung und ihren Bezug zur Politik Vorreiter. Den dortigen wissenschaftlichen Eliten gelang es frühzeitig, Gelegenheitsfenster zu nutzen, um das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, Forschungsförderung einzuwerben und Netzwerke aufzubauen, auch zu politischen Entscheidungsträgern. Dabei wurde wissenschaftliche Forschung als grundlegend für politisches Handeln angesehen. Anfangs herrschte großer Optimismus mit Blick auf den Zeitrahmen: 1973 wurde davon ausgegangen, dass die wissenschaftliche Basis bis 1980 komplettiert werden könne. Tatsächlich ist sie heute immer noch unvollkommen, und politische Initiativen haben sich unabhängig von Erkenntnisfortschritten entwickelt. Die Hoffnung, dass mehr und besseres Wissen zu effektiver Klimapolitik führen werde, hat sich als verfehlt erwiesen. Dennoch wurde die politische Brisanz des Themas immer wieder angesprochen. Außergewöhnliche Wetterereignisse wie der Hitzesommer in der Sowjetunion oder der Kälteeinbruch in den USA Anfang der 1970er Jahre spielten dabei eine wichtige Rolle. Der damalige US-Außenminister Henry Kissinger forderte eine bessere internationale Forschung zu Klimadesastern und deutete an, dass die USA bereit seien, hier voranzugehen. Mit etwas "Hilfe von Mutter Natur" erreichte die Klimaforschung also die Aufmerksamkeit führender US-Politiker. Dieses Muster hat sich in den folgenden Jahrzehnten wiederholt, vor allem durch das Anführen von Wetteranomalien als Beleg für den Klimawandel und die Dringlichkeit zu handeln. Wissenschaftler als Akteure Die Rolle von Wissenschaftlern in der Klimadebatte ist seither immer wieder thematisiert worden. Je nach Fokus wurden beispielsweise Überzeugungen, Annahmen und Kommunikationsstrategien von Klimawissenschaftlern untersucht, der Gebrauch von Metaphern und das Engagement im öffentlichen Diskurs. Die Aktivitäten der Klimawissenschaftler lassen sich in verschiedene Rollen aufgliedern: "Reine Wissenschaftler" kümmern sich wenig um öffentliche Debatten und politische Entscheidungen; "engagierte Wissenschaftler" treten als "Advokaten" oder "Aktivisten" für bestimmte politische Optionen in der Öffentlichkeit ein; und "ehrliche Makler" erweitern die Handlungsoptionen. Dabei wird häufig eine Variante des engagierten Wissenschaftlers übersehen, der behauptet, ausschließlich wissenschaftliche Fakten darzustellen, aber versteckt parteilich handelt. Dies ermöglicht es, unter Berufung auf die Autorität und Objektivität der Wissenschaft gleichzeitig über den Dingen zu stehen, aber auch bestimmte politische Optionen zu befördern. Hier operieren Wissenschaftler in einer Grauzone, in der die Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft beziehungsweise in diesem Fall Politik unscharf wird. Der Begriff dafür lautet boundary work. Im 1988 gegründeten Weltklimarat wird diese Praxis institutionalisiert, daher wird das IPCC auch als boundary organization bezeichnet. Die Architekten des IPCC zielten auf einen allgemeinen wissenschaftlichen Konsens, den sie für politische Entscheidungen als notwendig ansahen. Die wichtigen Abschlussdokumente der drei Arbeitsgruppen des IPCC, die als Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger fungieren, werden von Wissenschaftlern gemeinsam mit Regierungsvertretern in einem langwierigen Verfahren abgesegnet. Wetter, Klima, Drama Ein weiteres Beispiel für boundary work ist die öffentliche Dramatisierung bestimmter Entwicklungen und Risiken. Der Klimawissenschaftler, der das Thema als erster medienwirksam kommunizierte, ist James Hansen, der für seine Anhörung als Experte im US-Kongress im Juni 1988 berühmt wurde. Er machte die legendäre Aussage, dass er "zu 99 Prozent" sicher sei, dass die globale Erwärmung real existiere: "Meiner Meinung nach ist der Treibhauseffekt nachgewiesen, und er verändert das Klima jetzt." Er wurde noch deutlicher, als er einem Reporter der "New York Times" sagte: "Es ist jetzt an der Zeit, aufzuhören, um den heißen Brei herumzureden, und stattdessen festzustellen, dass die Beweislage mehr als eindeutig ist und der Treibhauseffekt bereits da ist." Die Anhörung fand während einer Hitzewelle statt und wurde entsprechend inszeniert. Patrick Michaels, Professor für Ökologie an der University of Virginia und Fellow am Cato-Institut, stellte den Zusammenhang infrage und bezeichnete Hansen als einzigen Wissenschaftler, der eine Kausalität zwischen den gegenwärtigen Temperaturen und menschlich bedingten Veränderungen in der Atmosphäre postuliere. Zehn Jahre später trafen die beiden in einer Debatte aufeinander. Hansen benutzte damals die Metapher der "gezinkten Würfel", um die Einordnung von Wetterereignissen in globale Trends zu beschreiben. Diese wurde seither immer wieder als plastische Analogie gepriesen: "When people ask if global warming is responsible for the recent streak of heat waves, floods, wildfires, and intense hurricanes, you can say that by loading the atmosphere with excess greenhouse gases, we are loading the dice toward more of these extreme weather events." Klimawissenschaftler sind heute in den Medien allgemein sehr präsent, und auch in Deutschland sind ihre Äußerungen von einem gewissen Hang zur Dramatisierung geprägt. Am häufigsten werden in deutschen Medien der mittlerweile pensionierte Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, und der Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK, Stefan Rahmstorf, zitiert. Beide gaben auch in der zweiten Jahreshälfte 2018 Interviews, als der besonders heiße Sommer wieder einmal die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Klima und Wetter aufwarf, die die Tendenz zur Übertreibung illustrieren. Schellnhuber sagte über den Hitzesommer 2018: "Unsere Forschungen haben gezeigt, dass ein solches Ereignis durch den Klimawandel um einiges wahrscheinlicher geworden ist. Dieses Beispiel zeigt: Die Art, wie der Klimawandel sich vollzieht, ist für jede Menge Überraschungen gut. Ich bin selbst bestürzt, dass sich mit dem einen Grad Erwärmung bereits so durchgreifende Veränderungen manifestieren." Auf den Hinweis, dass man ihm Alarmismus vorwerfe, und die Nachfrage, ob er besonders dick auftrage, antwortete er: "Ich bin Physiker und achte professionell auf präzisen Umgang mit den Fakten. In der öffentlichen Kommunikation verwende ich natürlich auch Symbole und Metaphern, um mich den Menschen verständlich zu machen – aber ich wähle diese Hilfsmittel sorgfältig. Überhaupt: Was ist ein Alarmist? Jemand, der aus einem brennenden Haus auf die Straße läuft und ‚Feuer‘ schreit?" Wissenschaftlich gesehen sind Kausalnachweise einzelner Wetterphänomene als Resultat des anthropogenen Klimawandels schwierig – deshalb die Formulierung, dass der Klimawandel solche Ereignisse wahrscheinlicher macht. Dennoch wird behauptet, dass der heiße Sommer überraschend war und zu Bestürzung geführt hat, ja dass das Haus schon brennt. Der Zusammenhang zwischen Hitzesommer und Klimawandel, oder präziser, dass der Hitzesommer ein Beleg für den Klimawandel sei, ist ein Stück öffentlicher Rhetorik, die nicht von wissenschaftlichen Studien gedeckt ist. Die Zuversicht, mit der beides verknüpft wird, kann die Argumentation aber auch schwächen. Ein besonders kalter Winter wird – meist auf der anderen Seite des Atlantiks – gern von klimaskeptischen Akteuren als Argument gegen die Erderwärmung vorgebracht, worauf sich viele Wissenschaftler mit dem Satz melden, Wetter sei mit Klima nicht gleichzusetzen. Es stellt sich die Frage, welche Funktion die rhetorische Übertreibung im deutschen Kontext haben soll. Stefan Rahmstorf erinnerte seinerseits daran, dass bei der Hitzewelle 2003 allein in Europa über 70.000 Menschen gestorben seien. "Stellen Sie sich mal vor, Terroristen würden in Europa 70.000 Menschen umbringen – wir wären bereit, den Rechtsstaat aufzugeben, nur um dagegen anzukämpfen! Bei einer extremen Hitzewelle aber zucken die Leute mit den Schultern." Hier ist eine Andeutung der Grenzen der Demokratie zu erkennen, die das Problem des Klimawandels nicht in den Griff bekommt. Ohne nahelegen zu wollen, Rahmstorf wolle den Rechtsstaat abschaffen, so ist doch seine Hintergrundannahme, dass nicht genug Aufregung herrscht und zu wenig Bereitschaft zum "Kampf" besteht. Sozialwissenschaftler erklären das Phänomen des Übertreibens in der Klimadebatte mit der Prädisposition der Wissenschaftler, gegenüber Massenmedien "korrigierend einzugreifen". In einer Studie zu deutschen Klimawissenschaftlern wurde festgestellt, dass diese bestimmten Annahmen über den Effekt folgen, den Medienberichte auf Politiker haben. Je stärker sie der Ansicht sind, die Medien würden den Klimawandel herunterspielen, desto mehr glauben sie, dass die Medien Zweifel bei Politikern verstärken, was wiederum ihre Bereitschaft rechtfertigt, wissenschaftliche Ergebnisse in der Öffentlichkeit zu übertreiben. Ein Teil des Problems besteht darin, dass Journalisten Naturwissenschaftler gern zu ihrer Meinung zu klimapolitischen Zielen und Instrumenten befragen. Die Wissenschaftler machen ihrerseits bei der Formulierung ihrer Antwort stillschweigende Annahmen über den Zusammenhang von Medienberichterstattung, öffentlicher Meinung und politischer Effektivität, die nicht im Vordergrund stehen. In der Vorstellung, dass die Öffentlichkeit überzeugt werden muss, damit die Politik auf die richtige Linie einschwenkt, ist politischer Fortschritt von besserer Wissenschaftskommunikation abhängig. Daraus entsteht eine Dynamik, in der Klimawissenschaftler ständig vor wachsenden Gefahren warnen, um den Druck auf die Politik aufrechtzuerhalten oder zu verstärken. Es ist immer "fünf vor zwölf". In diese Dynamik passt die Polemik gegenüber Kritikern, die diese Rhetorik als alarmistisch brandmarken. Dadurch wird eine wissenschaftliche Ersatzdebatte befeuert, die wenig am realen Klimaproblem ändert. Wie man auf Englisch so schön sagt, produziert diese Debatte "more heat than light". Ausblick Politiker benutzen viele verschiedene Arten von Information als Grundlage für ihre Entscheidungen, nicht nur wissenschaftliche. Die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen müssen potenzielle Wähler ansprechen. Daraus folgt, dass eine Klientel, die auf ambitionierte Klimapolitik drängt, die wichtigste Komponente der Entscheidungsfindung sein kann, egal ob die Wissenschaft von sich meint, sie hätte gesicherte Erkenntnisse oder nicht. In diesem Sinne hat die Präsenz der Grünen in der deutschen Politik vermutlich mehr erreicht als die Klimawissenschaft. Deren Einzug ins Parlament 1983 signalisierte den etablierten Parteien, dass Umweltpolitik zum Mainstream wird. Ähnliches könnte durch die Bewegung Fridays for Future angestoßen werden. Doch es gibt auch andere Klientelen, zum Beispiel wirtschaftliche Interessengruppen oder Wähler, die durch Klimapolitik verursachte höhere Kosten ablehnen. Der Protest der französischen "Gelbwesten" zeigte die problematischen sozio-ökonomischen Aspekte der Klimapolitik auf. Regierungen versuchen, beiden Perspektiven, den ökologischen und ökonomischen, Rechnung zu tragen. Das Klimaproblem ist kein allein technisches Problem, für das es eine klare Lösung gibt. Aufgrund der globalen Dimension des Problems sind internationale Abkommen erforderlich. Die Geschichte der internationalen Klimapolitik zeigt eine unterschiedliche Bereitschaft von Staaten zu effektiver Klimapolitik. Es ist im Interesse jedes Landes, Treibhausgasemissionen global zu begrenzen und gleichzeitig die Kosten dafür so weit wie möglich auf andere abzuwälzen. Im Pariser Abkommen von 2015 verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, Maßnahmen der Klimapolitik zu entwickeln. Diese werden verifiziert und in einem Fünfjahresrhythmus evaluiert. Es gibt keinen Sanktionsmechanismus beim Verfehlen der Ziele. Länder, die ihre selbst gesteckten Ziele verfehlen oder zu wenig ambitioniert sind, werden wahrscheinlich an den Pranger gestellt werden. Klimaaktivisten und engagierte Klimawissenschaftler sehen hier ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Damit dreht sich die Spirale der Dramatisierung weiter. Siehe auch Sheila Jasanoff, Science and Society. Testing Time for Climate Science, in: Science 5979/2010, S. 695f. Vgl. John Cook et al., Quantifying the Consensus on Anthropogenic Global Warming in the Scientific Literature, in: Environmental Research Letters 2/2013. Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Special Report: The Ocean and Cryosphere in a Changing Climate, Genf 2019. Vgl. Peter Weingart/Anita Engels/Petra Pansegrau, Risks of Communication: Discourses on Climate Change in Science, Politics, and the Mass Media, in: Public Understanding of Science 3/2000, S. 261–283. Vgl. IPCC, Climate Change 2013: The Physical Science Basis, Cambridge 2013. Vgl. Ad Hoc Study Group on Carbon Dioxide and Climate, Carbon Dioxide and Climate, Washington, D.C. 1979; Jeroen van der Sluijs et al., Anchoring Devices in Science for Policy: The Case of Consensus around Climate Sensitivity, in: Social Studies of Science 2/1998, S. 291–323. Die Zahl der klimawissenschaftlichen Publikationen ist im Zeitraum von 1980 bis 2012 exponentiell gewachsen und verdoppelt sich jeweils innerhalb von fünf bis sechs Jahren. Vgl. Robin Haunschild/Lutz Bornmann/Werner Marx, Climate Change Research in View of Bibliometrics, 29.7.2016, Externer Link: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0160393. Vgl. Warren Pearce et al., Beyond Counting Climate Consensus, in: Environmental Communication 6/2017, S. 723–730. Daniel Sarewitz, Does Climate Change Knowledge really Matter?, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change 4/2011, S. 475–481. Spencer R. Weart, The Discovery of Global Warming, Cambridge MA 2003; David M. Hart/David G. Victor, Scientific Elites and the Making of US Policy for Climate Change Research, 1957–74, in: Social Studies of Science 4/1993, S. 643–680. Vgl. National Research Council, Weather & Climate Modification: Problems and Progress, Washington, D.C. 1973. Vgl. Matthew C. Nisbet/Ezra M. Markowitz, Expertise in an Age of Polarization: Evaluating Scientists’ Political Awareness and Communication Behaviors, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 1/2015, S. 136–154; Senja Post/Natalia Ramirez, Politicized Science Communication: Predicting Scientists’ Acceptance of Overstatements by Their Knowledge Certainty, Media Perceptions, and Presumed Media Effects, in: Journalism and Mass Communication Quarterly 4/2018, S. 1150–1170. Vgl. Brigitte Nerlich/Nelya Koteyko/Brian Brown, Theory and Language of Climate Change Communication, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change 1/2010, S. 97–110. Vgl. Senja Post/Katharina Kleinen-von Königslöw/Mike S. Schäfer, Between Guilt and Obligation: Debating the Responsibility for Climate Change and Climate Politics in the Media, in: Environmental Communication 6/2019, S. 723–739. Vgl. hier und im Folgenden Roger Pielke Jr., The Honest Broker, Cambridge 2007. Vgl. Thomas F. Gieryn, Boundary-Work and the Demarcation of Science From Non-Science: Strains and Interests in Professional Ideologies of Scientists, in: American Sociological Review 6/1983, S. 781–795. Vgl. Rob Hoppe/Anna Wesselink/Rose Cairns, Lost in the Problem: The Role of Boundary Organisations in the Governance of Climate Change, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climate Change 4/2013, S. 283–300. Vgl. Tora Skodvin, Structure and Agent in the Scientific Diplomacy of Climate Change, Dordrecht u.a. 2000. Philip Shabecoff, Global Warming Has Begun, Expert Tells Senate, in: New York Times, 24.6.1988, S. A1. Vgl. Steinar Andresen/Shardul Agrawala, Leaders, Pushers and Laggards in the Making of the Climate Regime, in: Global Environmental Change 1/2002, S. 41–51. Patrick Michael, The Greenhouse Climate of Fear, in: Washington Post, 8.1.1989, S. C3.9. Vgl. Timothy O’Donnell, Of Loaded Dice and Heated Arguments: Putting the Hansen-Michaels Global Warming Debate in Context, in: Social Epistemology 3/2000, S. 109–127. Susan Joy Hassol, Improving How Scientists Communicate about Climate Change, in: Eos, Transactions American Geophysical Union 11/2008, S. 106f. Vgl. Reiner Grundmann/Mike Scott, Disputed Climate Science in the Media: Do Countries Matter?, in: Public Understanding of Science 2/2014, S. 220–235. Zit. nach Joachim Wille, Die Haut und die Freiheit retten, in: Frankfurter Rundschau, 1.9.2018, S. 18. Zit. nach Sabine Rennefanz, Wacht auf, Zombies!, in: Berliner Zeitung, 9.8.2018, S. 8. Hernando Rojas, "Corrective" Actions in the Public Sphere: How Perceptions of Media and Media Effects Shape Political Behaviors, in: International Journal of Public Opinion Research 3/2010, S. 343–363. Vgl. Post/Ramirez (Anm. 12). Vgl. Sunniva Eikeland Tøsse, Aiming for Social or Political Robustness? Media Strategies Among Climate Scientists, in: Science Communication 1/2013, S. 32–55. Vgl. Oliver Geden, Politically Informed Advice for Climate Action, in: Nature Geoscience 6/2018, S. 380–383. Vgl. Reiner Grundmann, Transnationale Umweltpolitik zum Schutz der Ozonschicht: USA und Deutschland im Vergleich, Frankfurt/M. 1999. Vgl. Martin L. Weitzman, A Review of the Stern Review on the Economics of Climate Change, in: Journal of Economic Literature 3/2007, S. 703–724. Vgl. Reiner Grundmann, Climate Change as a Wicked Social Problem, in: Nature Geosciences 9/2016, 562–563; Steve Rayner, Wicked Problems, in: International Encyclopedia of Geography: People, the Earth, Environment and Technology, Oxford 2017, S. 1f. Vgl. Robert Falkner, The Paris Agreement and the New Logic of International Climate Politics, in: International Affairs 5/2016, S. 1107–1125.
Article
, Reiner Grundmann
"2022-02-16T00:00:00"
"2019-11-13T00:00:00"
"2022-02-16T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/300420/die-wissenschaften-in-der-klimadebatte-essay/
Der öffentliche Diskurs über den Klimawandel ist stark von Dramatisierung geprägt. Klimawissenschaftler tragen einen Teil dazu bei, wenn sie etwa versuchen, durch eine überspitzte Darstellung in der Medienkommunikation den Druck auf die politische Eb
[ "Klima", "Klimadebatte", "Klimawandel", "Umwelt", "Wissenschaft", "Medien", "Journalismus", "Alarmismus" ]
30,636
„Es wäre traurig, wenn man mit 17 Jahren nicht die Illusion hätte, die Welt verbessern zu können.“ | Deutschland Archiv | bpb.de
DA: In diesem Jahr schauen wir auf das Jahr 1968, in dem insbesondere junge Menschen in Westeuropa und Nordamerika im Wortsinne auf die Barrikaden gingen. Wie haben Sie persönlich das Jahr 1968 erlebt? Stefan Wolle: Ich war damals 17 Jahre alt und ging in die 12. Klasse der Oberschule in Ost-Berlin, war politisch sehr interessiert und habe die Ereignisse seit 1967 – wie den Tod von Benno Ohnesorg, die Demonstrationen, die Attentate auf Rudi Dutschke, Martin Luther King und später Robert Kennedy – aufmerksam verfolgt. Ich habe bewusst diese West-Ereignisse genannt, weil mich beispielsweise der Mord an Martin Luther King mindestens genauso empörte wie der der Einmarsch der Staaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Wie viele meiner Freunde und Klassenkameraden, mit denen ich damals diskutierte, fühlte ich mich mit denen verbunden, die da protestierten, in den USA gegen den Vietnamkrieg, in Paris gegen de Gaulle und in West-Berlin gegen ein verstaubtes System. Diese Proteste waren auch unsere Bezugspunkte. Wir wollten nicht den Kapitalismus, schon gar nicht den Imperialismus, sondern irgendwie einen dritten Weg zwischen diesen beiden Systemen, der alles Schöne und Gute auf der Welt miteinander verbinden sollte. Und es wäre traurig, wenn man mit 17 Jahren nicht die Illusion hätte, die Welt verbessern zu können. Wir fühlten uns durchaus einig mit den Leuten aus dem Westen, die teilweise auch Parolen absonderten, die bei unsereins Kopfschütteln erregten. Aber es war natürlich auch interessant, auf so abwegige Meinungen wie die der radikalen West-Linken zu stoßen. Die normalen West-Oberschüler oder West-Studenten, mit denen ich damals diskutierte, waren keine radikalen Kommunisten. Das war damals eher ein emotionaler Aufstand gegen eine Welt der Eltern, die sie als langweilig und altertümlich empfanden. DA: Sie sprechen von Kontakten zu den West-Berliner Jugendlichen und Teilen der APO. Wo haben Sie sich getroffen? Stefan Wolle: Es kamen ja sehr viele Schulklassen nach Berlin. Jede Abiturklasse aus der Bundesrepublik machte so eine Fahrt, das wurde auch bezahlt, vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, und die schwärmten dann hier im Zentrum von Berlin aus. Viele setzten sich in die Kaffeehäuser im Stadtzentrum oder sprachen einen auf der Straße an. Ich war damals Lehrling im Buchhandel – Schule war immer parallel zur Lehrausbildung – und meine Ausbildungsstätte war die Universitätsbuchhandlung, direkt am Brandenburger Tor, das letzte Haus vor den Sperranlagen. Da kamen viele Westdeutsche vorbei, die ihr umgetauschtes Geld ausgeben wollten. Sie kauften vor allem Bücher, und zwar die Werke des Marxismus-Leninismus. Die waren ja schön billig, sie wurden subventioniert, damit sie sich jeder treue Genosse kaufen konnte. Man kam dann schnell ins Gespräch. Sie fragten: Wir sind in zehn Minuten hier gegenüber im Kaffeehaus, können wir dort weiter diskutieren? Ich habe dann meine Mittagspause gemacht oder bin nach Feierabend rüber gegangen. Sie erzählten auch – das war sehr spannend – direkt vom Pariser Mai. Einige waren ziemlich radikal gegen die französische Kommunistische Partei eingestellt, die sie als Verräter betrachteten. Manchmal kamen iranische Studenten, die über die Auseinandersetzungen mit dem Schah erzählten. Ich erinnere mich auch an zwei nette Oberschülerinnen aus Husum. Auch in Husum war 1968! Die habe ich dann noch zur Grenzübergangsstelle gebracht. Das hat nicht jeder erlebt, klar, nicht jeder hatte dieses Chancen, aber viele. DA: Inwiefern haben Sie über die Medien von den Geschehnissen mitbekommen? Stefan Wolle: Für uns waren auch die West-Berliner Medien wichtig, speziell der Sender Freies Berlin (SFB). Dort war man offen für diese linke Bewegung und hat viel darüber berichtet. Ich habe im SFB eine Vorlesung von Herbert Marcuse gehört. Habe zwar kein Wort verstanden, war aber absolut fasziniert – von diesem Gestus, dieser radikalen Intellektualität, diesen vielen Fremdwörtern. Und mich hat beeindruckt, dass man sich in West-Berlin einfach an der Universität hinstellen und ganz massiv gegen das System vom Leder ziehen konnte. Wenn jemand an der hiesigen Universität, ein paar Kilometer weiter östlich, ein Zehntel der Kritik gebracht hätte, wäre der sofort in den Knast gegangen. Mir war schon klar, was Freiheit ist. Ich habe zu denen im Westen immer gesagt: Ihr habt so viel Freiheit und wisst es nicht zu schätzen. Ihr regt Euch über dies und jenes auf… Dann haben die gesagt: Ja, wir haben die Freiheit, alles zu sagen, aber es tut sich nichts! Das war das Grundmuster der Debatte, das sich sehr oft wiederholte. Und dieses plurale Spektrum tauchte dann auch plötzlich in der Tschechoslowakei auf. Hier am Bahnhof Friedrichstraße war ein tschechisches Kulturzentrum. Da gab es Kunstbände und Schallplatten, die es bei uns nicht gab: moderne Jazz-Musik oder auch Publikationen, die seit Januar 1968 über die internen Veränderungen in der ČSSR informierten. Es gab das Prager Volksblatt und andere Publikationen in deutscher Sprache, darüber knirschten die Behörden hier mit den Zähnen. Aber das Kulturzentrum unterstand der tschechischen Botschaft, und die ließen sich da nicht reinreden. DA: Aber gab es an der Ost-Berliner Humboldt-Universität nicht auch zaghafte Diskussionen? Stefan Wolle: An den Schulen und Universitäten bei uns dominierte der absolute Dogmatismus. So schnell schalteten die Lehrer und Dozenten nicht um, dass sie gleich auf Reformkurs gingen. Diskutiert wurden diese Dinge schon, aber eher im vertrauten Kreis. Das war diese Doppel-Gesichtigkeit, die sich durch die gesamte Geschichte der DDR und die kommunistischen Systeme zog. In der Schulstunde oder im Seminar hielt man entweder den Mund, was oft das Beste war, oder man sonderte die üblichen Phrasen ab. Also ein echter Zwiespalt, der übrigens durchaus die Intelligenz schulte. Es gab eine richtige Bilingualität in der DDR, die Funktionäre sprachen ja eine ganz andere Sprache. Und je weniger man daran glaubte, desto einfacher war es, dieses Kauderwelsch nachzuahmen. Das artete natürlich oft in Satire aus. DA: Nun stürmten die DDR-Jugendlichen nach Prag. Es gibt über 250.000 Reisende in dem Jahr. Was erwartete sie dort? Stefan Wolle: Die Tschechoslowakei war eines der wenigen Länder, das zu diesem Zeitpunkt de facto offen war, man brauchte nur eine Bescheinigung von der Polizei. Zunächst einmal ist es ja eine schöne, lebendige Stadt. Es gab ein paar Kneipen und Cafés und eine gewisse Freiheit in der Öffentlichkeit. Die Leute, die in Prag waren, erzählten Wunderdinge: dass man dort die westlichen Zeitschriften kaufen konnte, den Stern, den Spiegel, die Beatles-Platten, die es bei uns auch nicht mehr zu kaufen gab, die Rolling Stones und andere westliche Beatgruppen – und natürlich Karel Gott. Es liefen Filme auf Englisch mit tschechischen Untertiteln, man konnte sich das anschauen, was aktuell war und in der DDR nicht lief. Es gab ab Ostern 1968 einen richtigen Run auf die Tschechoslowakei. Wer etwas auf sich hielt, fuhr dort hin und erlebte diese interessante Stadt und diese gewaltige Aufbruchsstimmung. Da die meisten nur sehr wenig Geld eintauschen konnten – der Tagessatz reichte nicht für ein Hotel – kam man privat unter. So entstanden sofort sehr enge Beziehungen zwischen den Gästen und den Tschechen. Viele kauften sich dort auch die deutschsprachigen Publikationen der KPČ, darunter das Parteiprogramm. Ich habe die Reformen des Prager Frühlings ziemlich intensiv verfolgt. Ich empfand es als Normalität, dass der existierende Sozialismus der DDR und der anderen Staaten jetzt etwas freiheitlicher, offener und reformierbarer wurde. Und in diese Situation platzte am 21. August 1968 der Einmarsch der Bruderstaaten hinein. Der kam sehr überraschend. Noch einige Tage zuvor war der Grundtenor der westlichen Berichterstattung, dass es grünes Licht für Reformen gibt. Ich war ziemlich vor den Kopf gestoßen. Das war für mich der totale und unwiderrufliche Bruch mit dem SED-System. DA: Das führt uns zur nächsten Frage: Welche Auswirkungen hatte der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes auf die Menschen in der DDR? Stefan Wolle: Der 21. August 1968 spielte für eine gewisse Alterskohorte, etwa die Jahrgänge 1945 bis 1950, eine sehr große Rolle. Sie haben diese Erfahrung über die Jahre tief im Herzen mit sich getragen, bis 1989. Die Älteren oder Jüngeren hat das gar nicht so interessiert. Vor allem passierte bei uns in der DDR ja nichts… DA: Aber ganz ohne Spuren ist es ja in der DDR auch nicht abgelaufen, es gab viele Ermittlungsverfahren. Stefan Wolle: Ja, das stimmt, insgesamt gab es aber keine großen öffentlichen Proteste in der DDR, das war auch ziemlich undenkbar. Vereinzelt gab es Aktionen in Erfurt oder in anderen thüringischen Städten, dort hat die Polizei die Leute auseinandergetrieben. Aber viele Jugendliche sind nachts um die Häuser gezogen und haben mit Farbe etwas an die Wände geschrieben, Dubček oder Svoboda, das ist so schön doppeldeutig, denn Ludvík Svoboda war damals der Staatspräsident und „Svoboda" heißt auf Tschechisch auch „Freiheit“. Oder sie haben handgeschriebene Flugblätter in Briefkästen geworfen oder mit der Post verschickt. Da gab es eine ganze Welle von „Besonderen Vorkommnissen“, um es im Stasi-Jargon zu sagen, mehr als seit dem 17. Juni 1953 und mehr als jemals später bis 1989. Also in diesen Jahren zwischen 1953 und 1989 war es die größte Welle des Protests, allerdings unorganisierte Einzelaktionen, oft von Naivität getragen, ohne Erfahrung in der konspirativen Arbeit. In diese Geschichten war ich indirekt involviert. Die Schule begann am 1. September 1968, ich begann die 12. Klasse. Der Stadtschulrat kam und hielt eine Rede, und die Stasi legte ihre Netze aus. Ich war kein Held, aber dennoch stolz darauf, dass ich mich nicht von den Tschechen distanziert habe. Ich musste damit rechnen, von der Schule verwiesen zu werden, was auch fast passiert wäre. Aber dann hielten bestimmte Umstände schützende Hände über mich, da spielten wohl meine Eltern eine Rolle. Andere Mitschüler wurden aber verhaftet. DA: In der DDR gärt es jetzt … Stefan Wolle: Ja, aber streng analytisch betrachtet war es keine Situation des Aufbegehrens. Machen wir mal etwas Revolutionstheorie, ganz im Sinne von Lenin. Eine Revolution erfordert immer drei Voraussetzungen: Erstens muss eine intellektuelle Elite da sein, die die Systemveränderung erstrebt, zweitens müssen die Massen unzufrieden und drittens muss die Macht verunsichert, desorientiert und reformbereit sein. 1968 gab es in der DDR möglicherweise eine intellektuelle Elite, die Systemveränderung im Sinne Dubčeks erstrebte, einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz; keine Systemüberwindung, aber dennoch eine tiefgreifende Reform. Aber die große Masse der Bevölkerung war in der Zeit relativ zufrieden. Die hatten durchaus das Gefühl, dass es allmählich immer besser geht. In die Haushalte zog die moderne Heimelektronik ein, elektrische Waschmaschinen und Kühlschränke, und immer mehr Leute konnten sich ein Auto leisten. Aber entscheidend ist, dass die Staatsmacht der DDR die sowjetische Führung zu 100 Prozent hinter sich hatte. Die saß fest im Sattel, war sich dieser Macht auch bewusst und bereit, sie gegen jeden Widerstand auszuspielen. Das war 1953 noch ganz anders, da waren die Verhältnisse in der Sowjetunion völlig unsicher, kein Mensch wusste, wie es weitergehen würde. Und vor allem 1989 war es ganz anders, da hatte sich die Sowjetunion regelrecht losgesagt von der DDR. Die Macht war tief verunsichert und die Leute in der DDR schauten nach Westen und sagten: So ein Mist, weg mit diesem Staat, der uns weder Freiheit noch Haribos Gummibärchen bietet. DA: Sie haben dann 1969 Abitur gemacht und an der Humboldt Universität Geschichte studiert. 1972 verloren Sie Ihren Studienplatz. Was war passiert? Stefan Wolle: Das stimmt, ich war Ende 1971 noch im ersten Semester, gerade frisch von der Armee zurückgekommen, voller Euphorie und sehr glücklich, dass ich diesen Studienplatz für Geschichte bekommen hatte, was ja nicht einfach war. Ich habe mit meinen Kommilitonen viel und gern diskutiert. Dabei war ich recht offen, nicht naiv, habe aber meine Meinung gesagt und kritische Fragen gestellt. Das gefiel manchen Seminarleitern durchaus, weil lebendige Diskussionen entstanden, aber anderen gefiel das überhaupt nicht. Und dann kam es zur Denunziation. Zwei Kommilitonen aus der FDJ-Gruppe erschienen beim Parteisekretär – das Protokoll gibt es noch – und brachten massive Vorwürfe politischer Art vor. Es war so eine verhängnisvolle Mischung aus Wahrheit, Halbwahrheit und ausgedachten Sachen. Man hätte auch alles unter den Teppich kehren können. Aber die Stasi hatte in den Semesterferien zwei Studenten der Sektion Geschichte verhaftet, die andere belastet hatten, und es kam zu einer Verfolgungswelle. Eine ganze Reihe von Studenten wurden exmatrikuliert, andere festgenommen. Es gab sogar das Gerücht, man wolle die Sektion Geschichte schließen. Die Professoren versuchten nun, ein Exempel zu statuieren, und dafür bot ich mich an. Ich habe dann den Kopf aus der Schlinge gezogen, indem ich mich „freiwillig“ dazu verpflichtete, mich ein Jahr in der Produktion zu bewähren, das war in der DDR eine übliche Verfahrensweise. Ich habe ein Jahr in einem Betrieb gearbeitet, im Transformatorenwerk Oberschöneweide, und mich danach wieder in der Sektion Geschichte gemeldet. Der Betrieb hatte mir eine hervorragende Beurteilung geschrieben, die waren einfach begeistert, dass jemand jeden Morgen pünktlich zur Schicht kam und seine Norm erfüllte. Nun hatte ich eine Art Gesinnungsprüfung zu bestehen; es fiel mir leicht, all die Phrasen wiederzugeben, die sie von mir hören wollten. Die Pointe an der Geschichte ist, dass der Dozent, der diese Gesinnungsprüfung abnahm, einige Monate später in den Westen abgehauen ist. So war das in der DDR, jeder trug eine Maske und spielte das Spiel mit oder nicht. Ich habe dann mein Studium zu Ende gebracht, indem ich mich auf das Mittelalter spezialisiert habe. Das ist rund 1000 Jahre von der Gegenwart entfernt, und eben auch nicht so politisch brisant. DA: Wie sehen Sie 1968 in der Rückschau, ist damals etwas gesät worden, was 1989 geerntet wurde? Stefan Wolle: Ja, das war eine Etappe auf diesem Weg. Aber, und das ist genauso wichtig, die Idee eines demokratischen Sozialismus war nicht die Massenmeinung. Die schweigende Mehrheit war der Meinung, dass im Westen alles besser ist, sie entweder als Einzelperson so schnell wie möglich in den Westen möchten oder sich dem Westen anschließen. Dieser Meinung war durchgehend die Mehrheit in der DDR, von 1949 bis 1990. Die Rentner kamen aus dem Westen wieder und erzählten Wunderdinge und wie schön dort alles ist. Dort gäbe es alles zu kaufen, die Verkäuferinnen und auch die Schaffner in der Eisenbahn seien höflich. Das kannten wir ja gar nicht. Höfliche Verkäufer gab es in der DDR nicht. Die schweigende Mehrheit wurde erst politisch aktiv, als es die reale Chance gab, etwas zu verändern. Das war im Oktober/November 1989. Der entscheidende Wendepunkt war der Oktober in Leipzig, das ist klar, aber die erste wirkliche Volksbewegung, jedenfalls in Berlin, war die, die die 100 D-Mark Begrüßungsgeld abholte. Da rannten auf einmal alle los. Ich habe mich gefragt: Wo waren die Leute all die Jahre? DA: Was haben Sie für Ihre 100 D-Mark gekauft? Stefan Wolle: Einen Jogginganzug für meine Tochter, sie hat am 11. November Geburtstag. Ich fuhr in die Stadt, früh am 10. November, mit dem Befehl von meiner Frau: Guck doch mal, ob Du einen Jogginganzug kriegst. Um in der DDR einen Jogginganzug zu suchen, musstest Du schon weltfremd sein. Aber da ich nun schon in West-Berlin war, nutzte ich die Gelegenheit, ihn zu kaufen. Und das Unglück war, er war ihr zu klein. Die 100 D-Mark waren dann fast alle. DA: Zurück zur Idee eines demokratischen Sozialismus. Da waren die 20-Jährigen, die 1968 die Ereignisse in Westdeutschland und Prag erlebten, 1989 sind die 40 Jahre alt. Wie wirkte das nach? Stefan Wolle: Also, die Idee eines demokratischen Sozialismus war immer noch da, sie wurde aber zwischen dem 9. November 1989 und dem 18. März 1990, den ersten demokratischen Volkskammerwahlen, einfach hinweggespült. So wichtig die Gruppierungen historisch waren, die die Meinung vertraten, dass die DDR sich erhalten solle und die sozialen Errungenschaften bewahren – dies war jetzt eine Randmeinung geworden. Nach dem 21. August 1968 waren diejenigen, die einen demokratischen Sozialismus wollten, ob das nun Wolf Biermann war, Robert Havemann, Stefan Heim, Christa Wolf und viele andere, nicht deprimiert oder desillusioniert. Sie nahmen an, dies sei nun die Auseinandersetzung der Zukunft. Aber es gab ja kein politisches Handeln in der DDR. Politisches Handeln war in den meisten Fällen nur Geschwätz. Wir haben irgendwo im Kaffeehaus gesessen und uns unterhalten, darüber diskutiert, über alles lustig gemacht und keine politischen Aktivitäten entwickelt, weil es keine Möglichkeiten gab. Es sei denn die totale Konfrontation, die aber entweder im Knast oder im Westen geendet hätte. Das wusste jeder. Erst ab 1979/80 entwickelten sich im Schutzraum der Kirche unter dem Einfluss des Pazifismus neue gesellschaftspolitische Entwürfe. Und dazu gehörte auch wieder sehr stark der Entwurf eines demokratisierten, sozialistischen Systems. Einige waren getragen von der Meinung, dass der wahre Sozialismus eigentlich noch kommen würde. Und diese Meinung wurde seit 1985 befördert, durch den Umbruch in der Sowjetunion, durch Perestroika und Glasnost. DA: Sie haben sich dann mit der Vermittlung der DDR-Geschichte beschäftigt und sind heute wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums. Wie kamen Sie dazu? Stefan Wolle: Ich war damals beim Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität. Dort wäre ich auch sehr gerne geblieben, aber das Projekt war ausgelaufen. Und so freute ich mich, dass die Gründer des DDR-Museums auf mich zukamen und fragten, ob ich hier als Berater mitarbeiten möchte. Kurz darauf ergab sich das Angebot, die Leitung zu übernehmen. Das habe ich sehr gerne angenommen und bin nun seit zwölf Jahren wissenschaftlicher Leiter. DA: Dann können Sie mir sicher sagen, warum wir ein DDR-Museum brauchen? Stefan Wolle: Um das Jahr 2000 und in den Jahren danach gab es eine große Leerstelle. Die Wissenschaft und das interessierte Publikum dürsteten nach mehr Geschichten aus der Wirklichkeit, nach Alltagsgeschichten. In der ersten Zeit nach der Wende standen naturgemäß die Staatssicherheit, die Mauer und ihre Opfer, das Repressionssystem und die Unterdrückung im Fokus. Das war auch vollkommen logisch, daran war auch nichts falsch, aber es war eben nicht genug. Viele Leute sagten, es stimmt schon, was ihr hier alles erzählt, über die Schrecklichkeiten des Sozialismus. Die Mauer war schrecklich, die Stasi auch, aber das war nicht unser Leben. Unser Leben war bunt, reichhaltig und eben auch glücklich. Wir haben unser Leben teilweise vollkommen unabhängig von Staat, Partei, Regierung und Ideologie gestaltet, zumindest haben wir uns das eingebildet oder uns darum bemüht. Interessanterweise gab es in der Wissenschaft eine parallele Diskussion. Das haben wir aufgegriffen in unserem Museum, das 2006 eröffnet wurde. DA: Wie wurde die Ausstellung aufgenommen? Stefan Wolle: Anfangs gab es auch Kritik, aber die haben wir angenommen und sie 2010 in unserer zweiten, doppelt so großen Ausstellung versucht zu beherzigen. Dort wird, stärker als zuvor, das politische System thematisiert; natürlich weiterhin aus der Lebenswirklichkeit der einfachen Menschen heraus, aber auch mehr über Repression, Partei und ökonomische Situation. Und da waren auch die Reaktionen der Öffentlichkeit sehr viel positiver. Dazu kam, dass es in der Öffentlichkeit ein großes Misstrauen gegen ein Privatunternehmen gab. Wir sind eine private GmbH, bekommen keine Steuergelder und finanzieren uns hauptsächlich über die Eintrittsgelder und über den Shop. Da hieß es anfangs: Das ist nur Kommerz und Klamauk und die wollen vor allem Geld verdienen, was auch keine Schande ist. Aber für uns stand von Anfang an die Aufgabe im Mittelpunkt, ein Teil der Demokratieerziehung zu sein. Das haben wir auch die ganzen Jahre ernst genommen, und ich denke, wir erfüllen das auch. Ein Museum ist ein Teil von Freizeitkultur und Tourismus. Museum muss auch Spaß machen. Unser Publikum wird immer jünger und besteht zu einem großen Teil aus den nach 1989 Geborenen, und es wird immer internationaler. Wir haben im ersten Quartal 2018 erstmals mehr fremd- als deutschsprachige Führungen gehabt. DA: Das ist ein interessanter Punkt, weil es den Eindruck machte, als sei die Zielgruppe der ersten Ausstellung ehemalige DDR-Bürger gewesen. Stefan Wolle: Das stimmt, dessen war ich mir lange nicht bewusst. 2005/2006 war ich selbst noch in diesem Modus der Konfrontation, es ging um den Kampf gegen die Ostalgie und darum, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Nach der Eröffnung gab es dann zwei Gruppen: Diejenigen, denen das Museum viel zu sanft und zu lustig war und die sagten, so eine schreckliche Diktatur wie die der DDR könne man nicht mit Ironie und Spaß darstellen, und diejenigen, die der gegenteiligen Meinung waren, ihre schöne DDR würde hier durch den Kakao gezogen. Die konfrontative Auseinandersetzung spürt man heute gelegentlich noch bei einzelnen Veranstaltungen. Wenn man irgendwo in einer kleineren Stadt eine Lesung hält, sitzen auf der einen Seite die ehemaligen SED-Funktionäre und Stasi-Leute und auf der anderen Seite die ehemaligen Gegner des Systems. Beide sind inzwischen gemeinsam alt geworden, beschimpfen sich aber noch mal tüchtig. Das spielt in der Ausstellung keine Rolle mehr. Ich stelle heute ein neues Interesse von Jugendlichen fest, die einfach wissen wollen, wie das Leben so war, welches ihnen reichlich fremd geworden ist. Unser Museum ist mehr und mehr ein Museum der verlorenen und vergessenen Dinge. DA: Gibt es nicht die Gefahr, dass das Museum einer gewissen DDR-Nostalgie Vorschub leistet? Stefan Wolle: Doch. Ein gewisser Teil der Besucherinnen und Besucher sucht ja die Nostalgie. Es kommen hier Leute rein, die auf den Spuren ihrer Kindheit und Jugend sind. Andere sagen: Das war bei uns im Westen doch ganz genauso, und meine Oma hatte auch so eine Tischdecke und so ein Geschirr. Es ist aber vollkommen normal, dass sich der Besucher in einem Museum mit den Dingen identifizieren möchte. Der Mensch hat das Bestreben, die positiven Erinnerungen herauszufiltern, insbesondere wenn es um Kindheit und Jugend geht. Da ist es Aufgabe des Museums, die Exponate zum Sprechen zu bringen. Das ist immer wieder eine Herausforderung – die Dinge müssen aus sich selbst heraus erklären. Die Besucher des Museums sind Menschen jeden Alters, Bildungsgrades und sozialen Status, sie repräsentieren Ost-West, Ausland-Deutschland. Wir müssen für alle den ersten Impuls umwandeln in eine Erzählung: Ein Teddy! – Was bedeutete Kindheit in der DDR? DA: Und in Zukunft – welche Rolle sehen Sie für das DDR-Museum? Stefan Wolle: Wir haben große Pläne: In der Alten Münze am Werderschen Markt zeigen wir über drei Jahre eine große Schau zum Berlin der 1990er Jahre, beginnend mit dem Mauerfall. Das wird weniger ein Museum als eine Performance mit Spiel, Action, Filmen und Musik. Es ist ein Experiment, was es in dieser Art meines Wissens noch nicht gibt. Unter musealen Gesichtspunkten wird nun eine stärkere Öffnung auf die Jahre danach interessant, also sozusagen die DDR nach der DDR. Das spielt auch in der medialen Wahrnehmung zunehmend eine Rolle: beispielsweise die Treuhand und die Stasi-Aufarbeitung. Diese Sachen sind inzwischen auch schon Geschichte geworden. Für die meisten DDR-Museen ist 1989, spätestens am 3. Oktober 1990, sozusagen das Ende der Geschichte eingetreten. Das ist nach fast 30 Jahren kein Zustand mehr. Zudem möchten wir noch stärker das gesellschaftliche Leben einbeziehen. Weg von dem, was jedes kleine DDR-Museum oder jede Ostalgie-Stube der DDR macht; also stärker kontextualisieren, in die politischen Zusammenhänge einbetten. Es ist natürlich jedes Mal von Neuem schwierig, den Weg von der Florena Cremedose oder vom Hühnchen-Eierbecher zur kommunistischen Diktatur zu zeichnen. Aber es ist machbar. Und ich denke, die Besucher lassen uns nicht im Stich, die sind nach wie vor mächtig interessiert und kommen zuhauf. Interview: Clemens Maier-Wolthausen und Katharina Barnstedt, 17. Mai 2018, DDR-Museum in Berlin Zitierweise: „Es wäre traurig, wenn man mit 17 Jahren nicht die Illusion hätte, die Welt verbessern zu können.“ Interview mit Stefan Wolle am 17. Mai 2018 im DDR-Museum in Berlin, in: Deutschland Archiv, 8.6.2018, Link: www.bpb.de/270038
Article
Interview
"2023-05-16T00:00:00"
"2018-05-31T00:00:00"
"2023-05-16T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/270038/es-waere-traurig-wenn-man-mit-17-jahren-nicht-die-illusion-haette-die-welt-verbessern-zu-koennen/
Der Historiker Stefan Wolle leitet das DDR-Museum in Berlin-Mitte. Als junger Erwachsener verfolgte er in Ost-Berlin das Entstehen einer außerparlamentarischen Opposition (APO) in Westdeutschland, die Studentenunruhen von 1968 sowie den Prager Frühli
[ "DDR-Museum", "1968 DDR", "Revolte" ]
30,637
Die politische Situation von Gebärdensprachgemeinschaften - Essay | Menschen mit Behinderungen | bpb.de
Es gibt 70 Millionen Gehörlose auf der Welt, die mithilfe von über 300 Gebärdensprachen kommunizieren. Ihre Gemeinschaften, auch als Sign Language Peoples (SLPs) bezeichnet, kämpfen seit mehr als einem Jahrhundert für die Anerkennung ihres einzigartigen politischen Status. Ihre Mitglieder betrachten sich selbst weder als defizitäre Wesen, wie sie das medizinische Modell von Behinderung definiert, noch als Klienten im Rahmen eines sozialen Modells von Behinderung, das davon ausgeht, dass manche Menschen durch die Gesellschaft behindert werden. Vielmehr verstehen sie ihre Gemeinschaften als kultursprachliche Einheiten und fordern, dass ihre kollektiven Menschenrechte ebenso gesetzlich geschützt werden wie die von Angehörigen anderer Minderheitensprachen und -kulturen. Gehörlose erfahren Audismus – eine Diskriminierung, die auf der kulturellen Annahme der "Überlegenheit von Sprache und der Repression nicht-phonetischer Kommunikationsformen" basiert. Die besondere Situation der Gehörlosengemeinschaften und ihrer Kulturen findet selten Eingang in den breiten politischen Diskurs, und auch ein großer Teil der bemerkenswerten neueren Forschungsliteratur über Gehörlosengemeinschaften erreicht kein großes Publikum, sodass die Benachteiligungen weitgehend unangefochten bestehen bleiben. Im Folgenden möchte ich daher eine allgemeine, weniger akademische Einführung in deren komplexe Natur geben. Dabei beziehe ich mich auf das Konzept der Deafhood Theory, das audistische Unterdrückung dekonstruiert, und nehme metapolitische Ebenen sowie die Frage in den Blick, wie kulturelle Einstellungen und Werte sich gesellschaftspolitisch äußern. Diese betrachte ich als "Bewusstseinsebenen", also als Stufen kultureller Erkenntnis über Gehörlose und ihre Gemeinschaften. Soziopolitischer Hintergrund der Gehörlosenkulturen Obwohl Gehörlose unter die Kategorie "Behinderte" subsumiert werden, handelt es sich bei SLPs in erster Linie um Sprachgemeinschaften. Die Gebärdensprachen ermöglichen Gehörlosen seit über drei Jahrhunderten, auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene Netzwerke, Clubs und Vereine sowie Schulen aufzubauen, in denen ihre gesellschaftlichen Werte, Geschichten und Kunstformen über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Zentrale Sprachmittler waren dabei häufig bis in die achte Generation zurückreichende Gehörlosenfamilien, die in den Gemeinschaften entsprechend verehrt werden. Von spezifischen kulturellen Anschauungen, Werten und Normen ausgehend, besitzen SLPs eigene Kulturen und sind daher kulturelle Gemeinschaften. Allerdings findet von Generation zu Generation im Vergleich zu anderen Kulturen eine geringe Weitergabe statt, da 95 Prozent der Eltern gehörloser Kinder selbst hören. Daher sind Gehörlosenschulen entscheidende Orte der Sozialisation: Eine zweisprachige, multikulturelle Bildung durch Gehörlosenlehrer bietet ein solides Fundament für die Identitätsentwicklung und den Glauben an sich selbst, sodass die Absolventen befähigt werden, sowohl die zukünftige Lebensqualität ihrer Gemeinschaften zu verbessern als auch vollwertige Bürgerinnen und Bürger der Mehrheitsgesellschaften zu sein. Von den Anfängen des Gehörlosenunterrichts um 1760 an waren Gebärdensprachen zentrales Medium der Gehörlosenbildung. Viele selbst gehörlose Lehrer gründeten Schulen. Während der Aufklärung und auch im Osmanischen Reich wurden Gebärdensprachen und ihre Träger positiv gesehen, und Gehörlose nahmen an den allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskursen teil, in denen sie mit ihrer ganz eigenen Art, zur Erweiterung menschlicher Erkenntnis beizutragen, anerkannt wurden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts blühten die Gebärdensprachgemeinschaften durch die Gründung von Gehörlosenclubs und -gesellschaften kulturell auf, und immer mehr Gehörlose waren als Fachleute, Künstler oder Politiker erfolgreich. Doch mit dem Ende des 19. Jahrhunderts führten Szientismus, Rassentheorie und Medikalisierung zur Entwicklung von Tropen wie dem des "Fortschritts", entlang dem Gebärdensprachgemeinschaften wie auch indigene Völker als "rückwärtsgewandt" und "wild" markiert wurden. Die Ideologie des Sozialdarwinismus gebrauchte das Konzept vom "Überleben des Stärkeren", um die Unterdrückung von Minderheiten zu rechtfertigen, und mündete zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Eugenik. Daraus entwickelte sich das audistisch-medizinische Modell einer Gehörlosenbildung und mit ihm das lautsprachlich orientierte Erziehungsprinzip des sogenannten Oralismus, dessen Vorherrschaft und Einfluss bis heute andauern. Vertreter des Oralismus definierten diesen Ansatz als eine Philosophie des Sprechens und Hörens. Zwar hatten die Gebärdensprachgemeinschaften selbst bereits die Entwicklung dieser Fähigkeiten als Teil einer zweisprachigen Philosophie der Gehörlosenbildung unterstützt. Doch nun wurde der Oralismus zum einen durch die physische Misshandlung von gehörlosen Kindern – auf dem Rücken oder an der Schulbank festgebundene Hände, Prügel und vieles mehr – und zum anderen durch die Verdrängung von Gehörlosenlehrern durchgesetzt. Es kam zu eugenischen Maßnahmen: Von Eheschließungen unter Gehörlosen wurde abgeraten, Sterilisierungen wurden vorgenommen. Später dienten Hörgeräte dazu, "teilweise gehörlose" Kinder weiter von den Gehörlosengemeinschaften und -kulturen zu trennen. Gehörlosigkeit wurde als "abgeschafft" erklärt. Vor diesem Hintergrund kann der Oralismus als ein Vorsatz betrachtet werden, alles Gehörlose in gehörlosen Kindern zu löschen, um sie so "normal" wie möglich zu machen, indem ihnen der Zugang zur Gehörlosenkultur, -geschichte und -forschung, zu gebärdensprachlichen Kunstformen und nicht zuletzt zu den Gehörlosengemeinschaften selbst verweigert wird. Dies weist Parallelen zum Umgang mit indigenen Völkern in den USA, Australien und andernorts auf, wo Kinder von ihren Familien und Sippen getrennt und in eine weiße Bildungsumgebung gebracht wurden. Der Oralismus hat weltweit beträchtlichen Schaden unter Gehörlosen verursacht, sowohl auf individueller als auch auf gemeinschaftlicher Ebene. Generationen von Gehörlosen litten unter akutem Analphabetismus und erkrankten doppelt so häufig an psychischen Störungen wie Hörende. Die Gehörlosenidentität und der Glaube an sich selbst litten in einem solchen Ausmaß, dass Gehörlosenkunst schließlich vollkommen verschwand. Doch die Gebärdensprachgemeinschaften wehrten sich im Laufe des 20. Jahrhunderts und erhielten ihre Organisationen am Leben, um Gehörlose im Anschluss an ihre Schulbildung nachträglich zu unterrichten. Erst mit den postkolonialen und kulturpolitischen Bewegungen der 1960er-Jahre und deren Kritik am (natur)wissenschaftlichen Materialismus, ihrem Respekt vor Diversität sowie ihrer Neubestimmung der Beziehungen zu Natur und Umwelt begann das Blatt, sich zu wenden. Nachdem Forschungen Gebärdensprachen als authentische Sprachen bestätigten, die also der allgemeinen Definition einer Sprache entsprechen und ein jeweils eigenes grammatisches Regelwerk besitzen, setzte eine "Wiederauferstehung der Gehörlosen" ein. Millionen hörender Menschen weltweit lernten Gebärdensprachen, der Beruf des Gebärdensprachdolmetschers entwickelte sich, und in der Folge verbesserte sich der Zugang Gehörloser zum öffentlichen Leben spürbar. Das Gehörlosenfernsehen etablierte sich, Gehörlosenkunstformen kamen wieder auf, und an den Universitäten entwickelten sich die Deaf Studies. Internationale Organisationen gediehen – allen voran der von den Vereinten Nationen anerkannte Weltverband der Gehörlosen (WFD) mit 133 Mitgliedsstaaten und acht Regionalsekretariaten. Vor allem aber kehrten die zweisprachige Bildung und die Gehörlosenlehrer zurück. Forschungen bestätigten zunehmend, dass es sich bei Gehörlosenkulturen um authentische Kulturen handelt – dass, wenn Menschen ihre eigenen Sprachen haben, sie daher auch ihre eigenen Kulturen haben. So wurde etwa eine breite Palette von Gehörlosenkulturwerten und -normen für Gehörlosengemeinschaften der USA aufgezeigt. Weitere neue Konzepte wie das der SLPs, von Deafhood und Deaf-Gain entwickelten sich; Letzteres beschreibt, wie Gesellschaften von den visuellen Fähigkeiten und Sprachen Gehörloser profitieren können. Das in dieser Hinsicht offensichtlichste "Geschenk" der Gebärdensprachgemeinschaften sind "Babyzeichen", die Nutzung der Gebärdensprache zur Kommunikation mit hörenden Kleinkindern. Diese positiven Entwicklungen gerieten jedoch von drei Seiten unter Druck. Eine erste Herausforderung erwuchs aus dem sich verbreitenden sozialen Modell von Behinderung, das Menschen mit Behinderungen als Individuen betrachtet und auf deren gesellschaftliche "Integration" fokussiert ist, ohne jedoch die kollektiven Lebenswege von Gruppen zu beachten. Zwar wurden dadurch gesellschaftliche Zugangsmöglichkeiten für einzelne erwachsene Gehörlose geschaffen. Aber der diesem Modell innewohnende Audismus verhinderte die Anerkennung der kollektiven kulturellen Existenz von SLPs – und damit auch der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Gehörlosenschulen. So erhielten Oralisten nicht nur Gelegenheit, sich der Zweisprachigkeit zu widersetzen, sondern auch Gehörlosengemeinschaften auseinanderzureißen, indem gehörlose Kinder unter dem Vorwand der "Inklusion" an Regelschulen kamen. Diese Politik wurde durch eine neue medizinisch-technologische Entwicklung verstärkt: den Cochlea-Implantaten – elektronische Hörprothesen, die Oralisten mit beträchtlichem Medienecho als "Wunderkuren" darstellten, sodass sich der Ruf "Taubheit ist abgeschafft" erneut verbreitete. Dieser doppelte Druck hatte verheerende Folgen für die Gehörlosengemeinschaften. In Großbritannien etwa wurden inzwischen 81 Prozent der Kinder mit Implantaten versehen und integriert – und die meisten Gehörlosenschulen geschlossen. Es gibt erste Hinweise darauf, dass für Kinder ohne gestärkte Gehörlosenidentität ein höheres Risiko bestehen könnte, psychisch zu erkranken. Eine dritte Herausforderung erwuchs aus dem Bereich der Gentechnik, die verdeckte Schritte in Richtung einer neuen Eugenik unternahm. Der "wissenschaftliche Fortschritt" legte nahe, dass bald keine gehörlosen Kinder mehr geboren werden und die Gebärdensprachgemeinschaften vollständig verschwinden könnten. Aufgrund des mangelnden Zugangs zu gesellschaftspolitischen Diskursen entwickelten SLPs neue Strategien zum Schutz ihrer Kinder und Gemeinschaften. Die britische Gehörlosenvereinigung etwa trat für die Gleichstellung ihrer Gebärdensprache mit dem Englischen, dem Walisischen und dem Gälischen ein. Die neu gegründete Europäische Gemeinschaft der Gehörlosen kämpfte anschließend erfolgreich für ihre 1998 erfolgte Anerkennung durch die EU; dies blieb jedoch rein nominell, da die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen von 1992 sowie das Europäische Büro für weniger verbreitete Sprachen die Annahme der Gebärdensprachen verweigerte, weil sie erstens nicht gebietsspezifisch und zweitens keine gesprochenen Sprachen seien. Gleichwohl kämpfen der WFD und zahlreiche nationale Vereinigungen weiterhin für sprachliche, wenn schon nicht kulturelle Menschenrechte. Kulturelle Bewusstseinsebenen Trotz weitreichender Kritik am Audismus ist bisher nicht versucht worden, einen Bezug zwischen kultureller Wirklichkeit von gebärdensprachgemeinschaftlichem Leben und audistischen Perspektiven westlicher Gesellschaften herzustellen. Andere Gesellschaften betrachten aus religiösen oder anderweitigen kulturellen Gründen Gehörlose als negativ oder positiv. Im Folgenden soll daher ein Modell aus fünf "Ebenen" eines kulturellen Bewusstseins von Hörenden und Gehörlosen vorgestellt werden, die sich je nach Individuum und gesellschaftlicher Situation überschneiden. Beginnen wir zunächst mit den Gehörlosen. Auf der ersten Ebene, der medizinischen Ebene, befinden sich Personen, die erst im späteren Verlauf ihres Lebens ertaubt sind, mit einer geringen Hörschwäche geboren oder unter dem Druck des Oralismus integriert wurden, sich selbst in erster Linie als hörgeschädigt wahrnehmen und kaum Kontakt untereinander haben. Viele von ihnen betrachten sich möglicherweise nicht einmal als behindert. Die zweite Ebene, die soziale Wohlfahrtsebene, spiegelt das "soziale Wohlfahrtsmodell" der Gehörlosigkeit wider, in dem sich Mitglieder von SLPs einerseits als Gemeinschaft, andererseits aber durch verinnerlichten Oralismus und Audismus als Empfänger von Fürsorgeleistungen betrachten. Die dritte Ebene, die Menschenrechtsebene, ist insofern nah am sozialen Modell von Behinderung, als Menschenrechte im Sinne individueller Zugangsvoraussetzungen zur Gesellschaft eingefordert werden. Auf der vierten Ebene, der Sprachminderheitsebene, befinden sich diejenigen, die sich aufgrund ihrer Sprache und weniger in biologischer Hinsicht als unterdrückt wahrnehmen und sich daher für Zweisprachigkeit in der Gehörlosenbildung und in anderen Bereichen einsetzen. Auf der fünften Ebene, der kultursprachlichen Ebene, wird über Gebärdensprachen hinaus gedacht: Der Stellenwert von Gehörlosenkulturen, -geschichten, -kunstformen sowie von der Vielfalt der Gemeinschaft ist mit Blick auf ihre gesellschaftliche Anerkennung hoch. Dieser Kulturstolz sorgt für eine offene Freude bei der Geburt von gehörlosen Kindern. Im Verständnis von Parallelen zu indigenen und anderen Minderheitskulturen wird Gehörlosenpädagogik, die auf gehörlosenkulturellem Wissen basiert, als Grundlage für ein genuin auf das gehörlose Kind zugeschnittenes Bildungssystem gesehen. Nachdem über 130 Jahre Oralismus und Audismus die Identität von Gehörlosen und ihren Glauben an sich selbst grundlegend geschädigt haben, ist das kulturelle Bewusstsein vieler Mitglieder von SLPs auf der ersten und zweiten Ebene zu verorten. Einige haben das Bewusstsein der dritten Ebene gewonnen, sehen aber nur geringe Perspektiven für ihre Sprachen und Kulturen. Eine kleine Zahl von vorwiegend im gebärdensprachlichen Kontext beruflich Tätigen hat die vierte Ebene erreicht, und eine noch kleinere, wenngleich stetig wachsende Gruppe hat erkannt, dass sie als Gemeinschaften mit spezifischen kollektiven Kulturen und Geschichten wahrgenommen werden sollten. Setzen wir diese Bewusstseinsebenen in Bezug zur Wahrnehmung von SLPs durch die Mehrheitsgesellschaft. Auf der ersten Ebene befinden sich Defizitdiskurse von Angehörigen medizinischer Berufe, Oralisten und oralistisch geprägten Eltern von gehörlosen Kindern sowie (natur)wissenschaftlich begründete Diskurse, in denen sich die Auffassung spiegelt, dass "hörgeschädigte Individuen" entweder "repariert" oder "geheilt" werden müssen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Auf der zweiten Ebene werden Gehörlose mitunter zwar als Gruppe wahrgenommen, dann aber als defizitäre, deren "Bedürfnisse" durch Fürsorge und Wohlfahrt erfüllt werden müssen. Allgemein wird ihnen kaum zugetraut, irgendetwas von Bedeutung erreichen zu können. Die dritte Ebene spiegelt zugleich Wahrnehmungen des sozialen Modells wider und klassifiziert Gehörlose als Gruppe. Man ist sich der Existenz von Gebärdensprachen bewusst, hat aber keine oder nur eine rudimentäre Vorstellung davon, was dies für Gehörlosengemeinschaften mit ihren eigenen Geschichten und Kulturen bedeutet. Die Bewusstseinsebenen nahezu aller Mehrheitsgesellschaften befinden sich auf diesen drei Ebenen. Eine geringe Zahl Hörender befindet sich auf der vierten Ebene, meist jene, die eine Gebärdensprache erlernt oder mit Deaf Studies in Berührung gekommen sind. Diese Personen wissen, dass SLPs Sprachminderheiten sind, haben aber nur wenige Kenntnisse über die kulturellen Dimensionen des gebärdensprachgemeinschaftlichen Lebens. Um dahingehend politische Veränderungen zu bewirken, müssen Gesellschaften und ihre politischen Entscheidungsträger akzeptieren, dass ihre Perspektiven durch eigene kulturelle Annahmen und Werte bestimmt und begrenzt sind, und zugleich bereit sein, ihr Bewusstsein durch ein wachsendes Verständnis der gesellschaftlichen und sprachlichen Realitäten von Gebärdensprachgemeinschaften zu erweitern. Ausblick Den Beginn des 21. Jahrhundert prägen drei politische Entwicklungen. Zum einen bleiben die Erfolge der weltweiten Kampagnen zur vollen Anerkennung der Gebärdensprachen begrenzt. Zwar erkennen 33 Länder derzeit Gebärdensprachen nominell an. Dies beschränkt sich vielfach aber auf eine rein symbolische Erklärung oder bleibt einem Ansatz verhaftet, der mit einem verstärkten Angebot von Gebärdensprachdolmetschern und Gebärdensprachkursen für Hörende nicht weit über das soziale Modell von Behinderung hinausweist. Im politischen Raum dominieren offenbar die ersten Bewusstseinsebenen. Zum anderen wurde 2006 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) verabschiedet. An ihrem Entwurf waren der WFD als zentrale Vertretung der Gebärdensprachgemeinschaften beteiligt, und es gelang, die Begriffe "Gebärdensprachen" und "Gehörlosenkultur" in einigen Abschnitten aufzunehmen. Allerdings wird im zentralen Passus zum Thema Bildung, in Artikel 24, einzig Inklusion als politisch zu fördernder Ansatz festgeschrieben. Die UN-BRK ist somit ein Produkt der dritten Bewusstseinsebene und offenbart das mangelnde Verständnis dafür, was die Existenz von Gebärdenspachgemeinschaften und -kulturen bedeutet und welche Relevanz in diesem Zusammenhang Gehörlosenschulen zukommt. Ferner macht die mit Millionen geförderte Gentechnik rapide Fortschritte, während die damit einhergehenden ethischen Fragen und Implikationen gesellschaftspolitisch nur minimal diskutiert werden. Das führt für Minderheiten wie Gebärdensprachgemeinschaften zu akuten Problemen, zumal die Identifizierung von "Taubheitsgenen" zu den Prioritäten der Gentechnik gehört. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, Diskurse auf der dritten, vierten und fünften Bewusstseinsebene wieder hinunterzuziehen, und ermöglicht eine Rückkehr zum Sozialdarwinismus und neue Formen der Eugenik, die "nicht länger eine Regulierung von Leben im Nachhinein, sondern vielmehr im Vorgriff auf ungeborenes Leben" betreibt. Zugleich werden hier die Grenzen der UN-BRK deutlich, deren Artikel 10 keine eindeutige Aussage über den genetischen Schutz von Ungeborenen enthält. Diesem Druck zu widerstehen, fordert immense Kraft von den Gehörlosengemeinschaften, deren Ressourcen bereits stark strapaziert sind. Mangelhafte Bildung über Generationen hinweg hat zu einem Mangel an gehörlosen Führungspersönlichkeiten geführt, die gleichzeitig für die 80 Prozent der gehörlosen Kinder kämpfen, die weltweit überhaupt keine Bildung erhalten. Gleichwohl treiben neue Generationen gehörloser wie hörender Wissenschaftler und Organisationen die Entwicklung neuer Strategien voran. So bleiben im Lichte des einzigartigen Status der Gebärdensprachkulturen die Gesellschaften aufgefordert, den eigenen Audismus zu hinterfragen. Sollte einem (natur)wissenschaftlichen Materialismus erlaubt sein, in kulturelle Bereiche einzugreifen? Wie könnten die weitreichenden gesellschaftlichen Vorteile von Deaf-Gain und Deafhood verstanden werden und eine Wertschätzung erfahren, bevor Eugenik eingreift? Und könnten die SLPs sich vor dem Hintergrund ihrer langen Geschichte des Widerstands nicht tatsächlich als die Kanarienvögel in den Kohlebergwerken der Gesellschaften erweisen: als kulturelle Gemeinschaften, die nicht nur positive Diversität beweisen, sondern auch vor zukünftigen Gefahren warnen? Übersetzung aus dem Englischen: Kirsten E. Lehmann, Köln. Für den englischen Begriff "Deaf communities" wurde vor rund 30 Jahren die Schreibung mit einem großen "D" eingeführt, um diejenigen, die sich zu Gemeinschaften der Gebärdensprachkultur zugehörig fühlen, von den knapp 14 Prozent der Bevölkerung zu unterscheiden, die ihr Hörvermögen im späteren Verlauf ihres Lebens verloren haben. Vgl. Michael Oliver, The Politics of Disablement, Basingstoke 1990. Vgl. Paddy Ladd, Was ist Deafhood? Gehörlosenkultur im Aufbruch, Seedorf 2008. H-Dirksen L. Bauman, Audism: Exploring the Metaphysics of Oppression, in: The Journal of Deaf Studies and Deaf Education 2/2004, S. 239–246, hier S. 244. Vgl. Harlan Lane/Robert Hoffmeister/Ben Bahan, Journey Into The Deaf-World, San Diego 1996. Vgl. Harlan Lane, Mit der Seele hören: Die Geschichte der Taubheit, München 1988. Vgl. Richard Winefield, Never the Twain Shall Meet, Washington, D.C. 1987. Vgl. Lane (Anm. 6). Vgl. ders., Die Maske der Barmherzigkeit: Unterdrückung von Sprache und Kultur der Gehörlosengemeinschaft, Hamburg 1994. Vgl. Reuben Conrad, The Deaf Schoolchild, London 1979; Peter Hindley/Nick Kitson, Mental Health and Deafness, London 2000. Vgl. Nicholas Mirzoeff, Silent Poetry, Princeton 1995. Vgl. William Stokoe, Sign Language Structure, Silver Spring 1960; Rachel Sutton-Spenser/Bencie Woll, The Linguistics of British Sign Language, Cambridge 1999. Vgl. Oliver Sacks, Stumme Stimmen: Reise in die Welt der Gehörlosen, Reinbek 1990. Vgl. Ladd (Anm. 3). Vgl. Carol Padden/Tom Humphries, Gehörlose: Eine Kultur bringt sich zur Sprache, Hamburg 1991; Anna Mindess, Reading Between the Signs, Yarmouth 2000; Thomas K. Holcomb, Introduction to American Deaf Culture, Oxford 2013. Vgl. H-Dirksen L. Bauman/Joseph Murray (Hrsg.), Deaf Gain, Minneapolis 2014. Vgl. Linda Komesaroff, Surgical Consent: Bioethics and Cochlear Implantation, Washington, D.C. 2007. Vgl. Paul Simpson, The Education of Deaf Pupils in Mainstream Schools, 29.11.2017, Externer Link: http://www.batod.org.uk/information/the-education-of-deaf-pupils-in-mainstream-schools. Vgl. Hindley/Kitson (Anm. 10). Vgl. Peter Burns, BSL – Britain’s Fourth Language, London 1987. Vgl. Maartje de Meulder/Joseph J. Murray, The Recognition of Sign Languages and the Aspirations of Deaf Communities, in: Language Problems & Language Planning 2/2017, S. 136–158. Guenther Witzany, No Time to Waste on the Road to a Liberal Eugenics?, 5.2.2016, Externer Link: http://embor.embopress.org/content/17/3/281. Vgl. etwa Ladd (Anm. 3); Tove Skutnabb-Kangas, Implication of Deaf Gain, in: Bauman/Murray (Anm. 16), S. 492–502.
Article
, Paddy Ladd
"2023-01-11T00:00:00"
"2019-01-30T00:00:00"
"2023-01-11T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/284898/die-politische-situation-von-gebaerdensprachgemeinschaften-essay/
Es gibt 70 Millionen Gehörlose auf der Welt, die mithilfe von über 300 Gebärdensprachen kommunizieren. Ihre Gemeinschaften, auch als Sign Language Peoples (SLPs) bezeichnet, kämpfen seit mehr als einem Jahrhundert für die Anerkennung ihres einzigarti
[ "Behinderung", "Beeinträchtigung", "Gehörlose", "Gehörlosenkultur", "Identität", "Inklusion", "Teilhabe", "Deaf Studies", "Disability Studies", "Minderheiten", "Sprache" ]
30,638
Jüdisches Leben in Deutschland: Relaunch der Internetseite www.chotzen.de | Presse | bpb.de
Die multimediale Chronik Externer Link: www.chotzen.de, die anhand zahlreicher Audiodateien, Videos und Originaldokumente die Geschichte der deutsch-jüdischen Familie Chotzen erzählt, ist vollständig überarbeitet und steht nun mit neuem Seitenkonzept online. Das Webangebot ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und des Deutschen Historischen Museums (DHM) mit Unterstützung der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Die Erinnerung an den Holocaust ist heute einerseits Teil der allgemeinen Zeitgeschichte, andererseits lebt sie in Einzelschicksalen fort. Ein ganz besonderes Beispiel dafür ist die deutsch-jüdische Familie Chotzen aus Berlin-Wilmersdorf. Ihre bewegte Geschichte gehört zu den bestdokumentierten Verfolgungschroniken aus der Zeit des Nationalsozialismus. Seit 2005 können Interessierte auf der Internetseite Externer Link: www.chotzen.de den Lebensweg der Chotzens über mehrere Generationen und nahezu 100 Jahre hinweg am Computer nachverfolgen. Nach der Überarbeitung bietet das Onlineangebot eine noch eindrücklichere Schilderung deutschjüdischen Lebens von 1914 bis heute und zeichnet sich vor allem durch eine erhöhte Nutzerfreundlichkeit aus. Persönliche Dokumente aus dem Nachlass der Chotzens sind anschaulich und übersichtlich aufgearbeitet. Parallel dazu gibt es eine Fülle an historischen Daten und Fakten zur politischen Entwicklung – ebenfalls umfangreich in Bild und Ton präsentiert. So zeigt Externer Link: www.chotzen.de exemplarisch die Höhen und Tiefen jüdischer Geschichte in Deutschland: Emanzipation und Integration, Verfolgung und Völkermord, aber auch Neubeginn und Neugründung ab 1945 und deutschjüdische Kultur im vereinten Deutschland. Weitere Informationen zum Projekt und Bildmaterial erhalten Sie auf Anfrage bei: E-Mail Link: Inga.Jochimsen@bpb.de Pressekontakt Deutsches Historisches Museum Dr. Rudolf Trabold Unter den Linden 2 10117 Berlin Tel +49 (0)30 20304-410 Fax +49 (0)30 20304-412 E-Mail Link: trabold@dhm.de Externer Link: www.dhm.de/news/presse.htm Pressemitteilung als Interner Link: PDF-Version (473 KB) Pressekontakt Bundeszentrale für politische Bildung Daniel Kraft Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: presse@bpb.de
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2011-12-23T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/49869/juedisches-leben-in-deutschland-relaunch-der-internetseite-www-chotzen-de/
Die multimediale Chronik www.chotzen.de wurde überarbeitet und bietet eine eindrückliche Schilderung deutschjüdischen Lebens von 1914 bis heute und zeichnet sich durch eine erhöhte Nutzerfreundlichkeit aus.
[ "Unbekannt (5273)" ]
30,639
Kosmische Katastrophen | Weltuntergang | bpb.de
Die Lust an Katastrophen aus dem All ist groß in der heutigen Zeit: Man beachte nur die zahlreichen Filme über Themen wie Asteroidenimpakte, Sonnenstürme oder das Zusammenbrechen des Erdmagnetfeldes. Weltuntergangsprophezeihungen haben Konjunktur, und mittlerweile ist ein richtiges Geschäft daraus geworden. Aufgeheizt wird die Hysterie in diesem Jahr durch das Ende des Maya-Kalenders, welches als Ende der Welt missgedeutet wird. Vorhersagen, die Welt gehe unter, hat es in der Geschichte der Menschheit viele gegeben, insbesondere die Jahrtausendwende wurde als Endzeitdatum strapaziert. Aber gibt es auch reale Bedrohungen, etwa durch kosmische Katastrophen? Als solche werden Katastrophen bezeichnet, die von außen auf die Erde einwirken oder bewirken, dass sich wichtige gegebene Größen der Erde ändern (wie beispielsweise das Magnetfeld oder die Rotation der Erde). In diesem Beitrag werden derartige Szenarien im Hinblick darauf untersucht, ob sie tatsächlich eine Gefahr für uns auf der Erde darstellen beziehungsweise wie wahrscheinlich sie überhaupt sind. Müssen wir uns demnächst vor einem Weltuntergang fürchten? Hat es kosmische Katastrophen im Verlauf der Erdgeschichte gegeben? Entstehung der Erde und des Mondes Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren ereignete sich im Universum etwas für uns Besonderes: Das Sonnensystem formte sich aus einem präsolaren Gas- und Staubnebel. Wir wissen durch Beobachtungen, dass die Bildung von Sternen keineswegs abgeschlossen ist, sondern dass sich auch heute noch Sterne und Planetensysteme bilden. Junge Sterne leuchten meist sehr schwach beziehungsweise Teile des Staubes leuchten im Infrarot-Licht. Mit Hilfe von Infrarotsatelliten hat man daher die Bildung von Planetensystemen untersucht. Die Entstehung von Sternen durch Kontraktion einer interstellaren Gaswolke lässt sich sehr einfach durch Computerrechnungen nachvollziehen. Die Bildung von Sternen aus einem Gas- und Staubnebel dauert im Vergleich zur Lebensdauer eines Sternes (unsere Sonne hat eine Lebensdauer von etwa 9 Milliarden Jahren) nur sehr kurz, einige Hunderttausend bis einige Millionen von Jahren. Planeten entstehen ebenfalls in den frühen Phasen der Sternentwicklung. Zunächst formten sich Planetesimale, Meter bis einige Kilometer große Gesteins- und Eisbrocken, die kollidierten und so immer größere Klumpen bildeten. Selbst als durch solche Akkretion (Anwachsen) schon ein relativ großer Planet wie die Erde geformt war, gab es immer noch sehr häufig Einstürze von Restmaterial, das im Sonnensystem umher schwebte. Diese Phase der frühen Erdgeschichte bezeichnet man als kosmisches Bombardement. In dieser Zeit, als die Bildung der Erde bereits abgeschlossen war, also vor etwa 4,5 Milliarden Jahren, kam es zu einer wahren Katastrophe im Sonnensystem. Die Erde stieß mit einem Planeten etwa von der Größe des Mars zusammen, und aus dem herausgeschlagenen Material bildete sich in wenigen Monaten unser Mond. Diese Annahme wird bestätigt durch die Tatsache, dass die Gesteine der Mondoberfläche, welche zum Beispiel die Apollo-Astronauten zur Erde gebracht haben, im Wesentlichen dieselbe Zusammensetzung und Isotopenanteile zeigen wie Gesteine des Erdmantels. Für die Erde blieb dieser Zusammenstoß nicht ohne Folgen. Vor allem wurde die Rotation der frühen Erde deutlich verlangsamt. Leben konnte es zur damaligen Zeit mit Sicherheit nicht auf der Erde geben, da die Erdoberfläche infolge des dauernden Bombardements glutflüssig war. Nicht nur die Erde war von einer solchen Katastrophe betroffen. Unser Nachbarplanet Venus rotiert sehr langsam und im entgegengesetzten Sinne zu seiner Umlaufrichtung um die Sonne, die Rotationsachse des Gasplaneten Uranus liegt fast in seiner Bahnebene um die Sonne, und es gibt weitere Beispiele von Besonderheiten in unserem Planetensystem, die man nur durch solche Riesenimpakte erklären kann. Die Reste des kosmischen Bombardements kann man auch heute noch auf Oberflächen von Körpern im Sonnensystem beobachten, die keiner Verwitterung oder tektonischen Veränderungen ausgesetzt waren. Beinahe alle Krater der Mondoberfläche sind sehr alt und stammen aus dieser Zeit. Neben den von einigen Metern bis zu mehr als hundert Kilometern im Durchmesser reichenden Krater gibt es auch die sogenannten Mondmeere (lat. Maria), große ebene Flächen, die mit dunklen Basalten aufgefüllt worden sind. Die Oberfläche der Maria ist auffällig arm an Kratern, sie müssen also erst nach dem kosmischen Bombardement durch Einschläge von großen asteroidenähnlichen Objekten entstanden sein. Durch die beim Aufprall freiwerdende Energie wurde das Material aufgeschmolzen und der entstandene Krater mit Lava gefüllt. Auch auf der Erde gibt es Einschlagkrater, allerdings sind hier die Spuren durch Erosion (Wind, Wasser, Frost, tektonische Vorgänge) weitgehend verwischt. Aussterben der Dinosaurier Bis vor etwa 65 Millionen Jahren beherrschten die Dinosaurier das Leben auf der Erdoberfläche, doch dies änderte sich schlagartig. Innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes sind neben den Sauriern etwa 70 bis 80 Prozent aller damaligen Tier- und Pflanzenarten ausgestorben. Untersucht man Ablagerungen aus dieser Zeit, dann findet sich neben anderen Anomalien eine anomale Iridiumhäufigkeit. Iridium ist ein relativ schweres Metall, das in der Erdkruste nur sehr selten vorkommt. Grund dafür ist, dass in der Frühgeschichte die Erde weitgehend flüssig war und so die schwereren Metalle nach unten abgesunken sind. Diesen Prozess bezeichnet man als Differentiation. Alle erdähnlichen Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) sind differenzierte Himmelskörper, die leichteren chemischen Elemente findet man an deren Oberflächen, die schwereren Elemente sind größtenteils in das Innere des Planetenkörpers durch die Schwerkraft abgesunken. Lag jedoch ein Himmelskörper unterhalb einer kritischen Größe, kam es nicht zu einem derartigen Differentiationsprozess. Ein Beispiel dafür sind Asteroiden, also Kleinplaneten. Bis auf wenige Ausnahmen liegen deren Durchmesser unterhalb von hundert Kilometern und deshalb kam es nie zu einer Trennung von leichten und schweren Elementen. Eine weltweit entdeckte, etwa 65 Millionen Jahre alte Schicht mit erhöhter Iridiumkonzentration deutet also auf den Impakt eines Asteroiden hin. Man kann aus der wenige Zentimeter umfassenden Dicke der Schicht auf die Masse und damit grob auf den Durchmesser des eingeschlagenen Körpers schließen: Er besaß einen Durchmesser von weniger als 15 Kilometern. Das sind typische Werte für kleine Asteroiden, von denen man heute sehr viele (mehrere Hunderttausend) kennt. Die einzige Unklarheit bestand noch darin, den Ort des Einsturzes zu finden. Durch Erdölbohrungen ist man dann eher zufällig auf einen heute unter dem Meer gelegenen Krater nahe der mexikanischen Halbinsel Yucatán gekommen, der als Chicxulub-Krater bezeichnet wird. Der Einschlag eines Asteroiden vor 65 Millionen Jahren gilt als gesichert, allerdings gab es zu dieser Zeit auch eine Phase intensiven Vulkanismus im Hochland von Dekkan (Indien). Die dabei freigesetzten Staubteilchen und Asche könnten zu einer starken Absorption des Sonnenlichtes geführt haben und damit zu einer globalen Abkühlung. Einige Hypothesen gehen sogar davon aus, dass dieser Vulkanismus mit dem Asteroidenimpakt in Verbindung stehen könnten, also praktisch durch den Einschlag ausgelöst wurde. Das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren ist nicht die einzige Episode von Massensterben in der Erdgeschichte. Innerhalb der vergangenen 500 Millionen Jahre gab es mehrere Massensterben, bei denen bis zu 80 Prozent des tierischen und pflanzlichen Lebens vernichtet wurde. Vom Standpunkt der Evolution muss dies sogar als positiv gesehen werden. Neue Lebensformen entwickelten sich viel rascher, das Leben war gezwungen, sich in sehr kurzer Zeit den neuen klimatischen Gegebenheiten anzupassen, und nur solche Arten überlebten, die den Anpassungsprozess relativ schnell vollzogen. Der Darwin’sche Ausleseprozess wurde erheblich beschleunigt, und das Leben entwickelte sich nicht linear, sondern machte quasi einen Quantensprung. Impakte durch Asteroiden und Kometen Bei einem Impaktereignis denkt man zunächst an die unmittelbaren Schäden und Zerstörungen an der Einschlagstelle. Doch diese Schäden sind minimal im Vergleich zu den globalen Schäden, die ein Objekt ab einem Durchmesser von etwa drei Kilometer anrichten kann. Klima: Stürzt das Objekt in den Ozean, werden riesige Mengen an Wasserdampf freigesetzt. Wasserdampf ist bekanntlich das effektivste Treibhausgas, und so kommt es zu einer globalen Klimaerwärmung um mehrere Grad. Stürzt das Objekt hingegen auf eine Landfläche, werden Staubmengen in die Erdatmosphäre hochgewirbelt, die dort viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte verbleiben und das Sonnenlicht absorbieren. Es wird also global um mehrere Grad kälter. Erdatmosphäre: Es kann zu einer Schädigung der Ozonschicht kommen, die uns vor UV-Strahlung der Sonne schützt. Folgen können beispielsweise Mutationen sein, da die energiereichere UV-Strahlung DNS-Strukturen zerstören kann. Oberfläche: Infolge der Umwandlung der Aufprallenergie in Hitze kann es bei einem Aufschlag auf der Landoberfläche zu riesigen Feuersbrünsten kommen, die Leben zerstören beziehungsweise durch Abgase die Erdatmosphäre verändern und Aerosole über Jahre bis zu Jahrzehnten dort ablagern. Giftige Substanzen werden dann mit dem Regen ausgewaschen. Saurer Regen zerstört zusätzlich die Pflanzen- und die Tierwelt. Die Folgen des Einschlags eines Asteroiden mit einem Durchmesser, der größer als etwa drei Kilometer ist, sind also global und dauern von einigen hundert bis zu tausend Jahren, etwa wenn man an den durch den Einsturz hervorgerufenen Vulkanismus oder Mutationen denkt (Vgl. Abbildung 1 in der PDF-Version). Kometen stellen eine weitere Impaktquelle dar. Sie stammen aus einer Kometenwolke, die das gesamte Sonnensystem umgibt, als Oort’sche Wolke bezeichnet wird und einige Milliarden Kometen enthält. Diese bestehen zu einem großen Teil aus volatilen gefrorenen Elementen (auch Wassereis), die auftauen, wenn sich der Komet auf seiner Bahn der Sonne nähert. Chemische Verbindungen an der Kometenoberfläche beginnen zu verdampfen, und eine Hülle (Koma) von bis zu zehntausend Kilometern und mehr bildet sich um den nur einige zehn Kilometer großen Kometenkern. Durch den Strahlungsdruck von der Sonne sowie durch Sonnenwinde formt sich dann der berühmte Kometenschweif, der mehrere Millionen Kilometer lang sein kann. Die Verdampfungsprozesse machen Kometenbahnen unberechenbarer als Asteroidenbahnen. Man kann nie genau sagen, welcher Massenbruchteil eines Kometen verdampft und wie sich die Bahn und die Helligkeit eines Kometen genau verändern. Würde man daher einen Kometen finden, welcher der Erde sehr nahekommt, dann lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen, ob es zu einer Kollision kommt oder nicht. Andererseits könnten es gerade die in der Geschichte immer als Unheilsbringer dargestellten Kometen gewesen sein, die das Wasser auf die Erde in ihrer Frühphase gebracht haben. Gefahr von der Sonne? Die Sonne ist unser nächster Stern. Ohne die Leuchtkraft der Sonne, die seit mehr als vier Milliarden Jahren nahezu konstant ist, wäre die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten unmöglich gewesen. Genauere Untersuchungen zeigten jedoch, dass unsere Sonne keineswegs so konstant ist, wie auf den ersten Blick vermutet werden könnte. Bereits Galileo Galilei (1564–1642) hat mit seinem Teleskop Sonnenflecken erkannt. Genauere Aufzeichnungen der Flecken und ihrer Wanderung – bedingt durch die Rotation der Sonne – führten zur Entdeckung des etwa elfjährigen Aktivitätszyklus der Sonne durch den Astronomen Samuel Heinrich Schwabe 1843. Alle elf Jahre sind besonders viele Sonnenflecken zu sehen, die physikalisch betrachtet Gebiete mit sehr starken Magnetfeldern sind. Dabei verbinden in einer Fleckengruppe die Magnetfeldlinien die beiden magnetischen Pole. In den äußeren Schichten der Sonne wird die Energie zur Sonnenoberfläche durch Konvektion transportiert: Heißes Sonnenplasma bewegt sich nach oben, kühlt sich ab und der Vorgang beginnt von Neuem. Dies nennt man konvektiven Energietransport. Bei starken Magnetfeldern ist die Bewegung des Plasmas eingeschränkt und es wird weniger Energie nach oben transportiert. In den Flecken, die eine Ausdehnung von mehreren tausend Kilometern bis über die Größe der Erde hin besitzen, herrscht eine Temperatur von etwa 4.000 Kelvin, in der umgebenden Sonnenoberfläche (Photosphäre) ist es um fast 2.000 Kelvin heißer. Deshalb erscheinen die kühleren Flecken als dunkel. Die sichtbare Oberfläche der Sonne ist also etwa 6.000 Kelvin heiß. In den darüber liegenden Schichten der Sonne, die man im UV-Licht beziehungsweise im Röntgenlicht mit Hilfe von Satelliten oder während einer totalen Sonnenfinsternis schwach leuchtend im sichtbaren Licht beobachten kann, nimmt die Temperatur stark zu. In der Chromosphäre, deren Ausdehnung mehrere zehntausend Kilometer beträgt, erhitzt sie sich auf einige zehntausend Kelvin, in der Korona, die sich über mehrere Sonnenradien (der Radius der Sonne beträgt etwa 700.000 Kilometer) erstreckt, erreicht die Temperatur Werte über mehrere Millionen Kelvin. Allerdings ist hier das Plasma extrem dünn. In der Chromosphäre und in der Korona spielen sich für uns sehr wichtige Prozesse ab. Die in der Photosphäre verankerten Magnetfelder können sich verdrehen und es kommt zu einer magnetischen Rekonnexion. Dabei wird magnetische Energie in Form von Wärme frei, Teilchen werden beschleunigt, kurzwellige Strahlung extrem verstärkt. Es kommt zu Sonneneruptionen. In der Chromosphäre und unteren Korona beobachtet man eine Art der Sonneneruption, die Flares. Bei den Flares werden innerhalb von einigen Minuten Energien freigesetzt, die mehreren Millionen Atombombenexplosionen auf der Erde entsprechen. In der Korona gibt es die sogenannten coronal mass ejections (CMEs), koronale Massenauswürfe (vgl. Abbildung 2 in der PDF-Version). Bei den CMEs wird Plasma in den interplanetaren Raum gestoßen, und die geladenen Teilchen können sich auch in Richtung Erde bewegen. In dem Film "2012" (2009) wird behauptet, dass durch eine gewaltige Sonneneruption Neutrinos entstehen, die den Erdkern erwärmen, sich dieser ausdehnt und als Folge die Erdkruste aufbricht. Neutrinos sind elektrisch neutrale Teilchen mit extrem geringer Masse und extrem geringen Wirkungsquerschnitt, das heißt, sie reagieren kaum mit Materie. Im Inneren der Sonne werden Neutrinos bei der Kernfusion erzeugt, diese durchdringen den gesamten Sonnenkörper praktisch ungehindert und können nur durch spezielle Experimente auf der Erde nachgewiesen werden. Eine Erwärmung des Erdkerns ist völlig unmöglich, ein einzelner Mensch wird pro Sekunde von mehreren Trillionen Sonnenneutrinos durchdrungen, ohne davon etwas zu bemerken. Die Produktion von Neutrinos während einer Sonneneruption, ob Flare oder CME, ist ebenfalls ausgeschlossen. Die Sonne wird nach einer etwas längeren Minimumphase im Jahre 2014 wieder ihr Aktivitätsmaximum erreichen. Dann ist mit vielen Sonnenflecken, verstärkter Flare- und CME-Aktivität zu rechnen. Hat dies Auswirkungen auf uns? Die Erde und das Weltraumwetter Wir sind auf der Erde vor schädlicher kurzwelliger Strahlung sowie vor geladenen Teilchen geschützt. In der Erdatmosphäre wird kurzwellige Strahlung (UV- und Röntgenstrahlung) in unterschiedlichen Höhen absorbiert, UV-Strahlung beispielsweise in der Ozonschicht in 20 bis 60 Kilometern Höhe. Während eines starken Flare-Ausbruchs wird die obere Atmosphäre gestört, es ändert sich vor allem die Ionisation und dies hat Auswirkungen auf den Funkverkehr. Funkwellen werden teils in der höheren Erdatmosphäre reflektiert, teils durchgelassen, und ermöglichen die Kommunikation mit Satelliten. Diese Reflexion hängt stark von der Elektronendichte ab, also wie viele Elektronen infolge der kurzwelligen Strahlung von der Sonne von den Atomen abgespalten wurden. So kann es zu Funkausfällen sowie Ungenauigkeiten in der GPS-Navigation kommen. Auch die Strahlungsbelastung stellt ein Problem dar, vor allem für lange Passagierflüge oder für die Besatzungsmitglieder von bemannten Raumstationen. Im August 1972 ereignete sich um 6 Uhr früh ein starker Flare-Ausbruch. Nach etwa zwölf Stunden wäre die Strahlungsbelastung tödlich für einen Astronauten gewesen. Durch diese Ereignisse können auch Spannungen in Stromversorgungsleitungen induziert werden, und durch die daraus resultierende Überspannung brennen Transformatoren durch, die Stromversorgung bricht zusammen. Dies war 1989 in der kanadischen Provinz der Fall. Weiterhin können sich Satelliten elektrostatisch aufladen. Zwar schützt uns das Magnetfeld der Erde weitgehend vor den geladenen Teilchen der Sonne, aber nicht vollständig. Insgesamt bedeutet die Sonnenaktivität eine Gefahr für Langzeit-Raumflüge im Sonnensystem. Auf einer Reise zum Mars würde die Besatzung das Magnetfeld der Erde verlassen und wäre dann den geladenen Teilchen von der Sonne (Sonnenwind) ausgesetzt. Auch auf dem Mars selbst gibt es kein permanentes Magnetfeld. Die Auswirkungen vor allem der Sonne auf die Erde und den erdnahen Weltraum fasst man heute als Weltraumwetter (spaceweather) zusammen. Sie sind problematisch für unsere hochkomplexe, an Kommunikation orientierte Gesellschaft. Horrorszenarien, wie der Zusammenbruch aller Funkverbindungen oder der Totalausfall der Stromversorgung über längere Zeit, sind allerdings sehr unwahrscheinlich, da sich die Sonnenaktivität innerhalb gewisser Grenzen bewegt. Immer wieder wird von der Gefahr des Verlustes des Erdmagnetfeldes beziehungsweise einer bevorstehenden Umpolung verbunden mit einer starken Abschwächung des magnetischen Schutzschildes gesprochen. Tatsache ist, dass es in den vergangenen Millionen Jahren immer wieder derartige, in unregelmäßigen Abständen auftretende Umpolungen gegeben hat. Man findet jedoch keinen Zusammenhang zwischen dem Massensterben von Tier- und Pflanzenarten mit Phasen dieser Umpolungen. Computersimulationen zeigen, dass diese Umpolungen erstens langsam vor sich gehen (einige hundert Jahre), und zweitens selbst während dieser Umpolungen immer ein Restmagnetfeld vorhanden ist. Weitere Szenarien Mond und Planeten: Können bestimmte Stellungen des Mondes oder der Planeten Auswirkungen auf die Erde haben? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mondphasen, oder Mondnähe/Mondferne mit dem Auftreten von Erdbeben? Ein Zusammenhang zwischen Planetenkonstellationen (beispielsweise wenn alle großen Planeten in einer Linie stehen) oder Mondstellungen mit Ereignissen auf der Erde ist statistisch nicht nachweisbar. Der Einfluss des größten Planeten im Sonnensystem, Jupiter, auf die Erde beträgt beispielsweise nur etwa ein Millionstel der des Mondes. Selbst wenn es einen Zusammenhang gäbe, wäre die Erkenntnis nicht sehr hilfreich. Man stelle sich vor, wir wüssten, dass durch eine Planetenstellung die Gefahr eines verheerenden Erdbebens stark erhöht wäre. Was sollten wir dann unternehmen? Die Menschen in San Francisco und Los Angeles, sowie in Tokyo, Istanbul und anderen Städten evakuieren? Niemand könnte genau sagen, wo ein Erdbeben auftreten würde. Supernovae: Am Ende ihrer Entwicklung explodieren massereiche Sterne zu einer Supernova. Im Inneren ist der Brennstoffvorrat für Kernfusion verbraucht, es bleibt ein Eisenkern, dessen Masse größer als 1,4 Sonnenmassen ist. Hier reicht der Druck nicht mehr aus und der Kern fällt in sich zusammen, durch die entstehende energiereiche Druckwelle werden die Außenbereiche eines Sternes abgestoßen. Als Überrest einer Supernova finden wir dann einen Neutronenstern, der etwa zehn Kilometer Ausdehnung besitzt, oder ein Schwarzes Loch, wenn der Druck der Neutronen der Gravitation nicht mehr Stand halten kann. Im Jahre 1054 n. Chr. beobachteten chinesische Astronomen einen hellen, auch am Tageshimmel zu sehenden Stern. Nach einigen Wochen war er wieder verschwunden. Es handelte sich um einen Supernovaausbruch, und an der Position, wo sich der Stern befand, sehen wir heute den Crabnebel (vgl. Abbildung 3 in der PDF-Version). Die Supernova ereignete sich in einer Entfernung von etwa 7.000 Lichtjahren. Man hat keinerlei Auswirkungen auf die Erde (beispielsweise anomale Isotope) festgestellt. Modellrechnungen zeigen aber, dass ein Supernovaausbruch in weniger als hundert Lichtjahren Entfernung sehr starke Auswirkungen auf die Erdatmosphäre hätte, es könnte sogar zu einer vorübergehenden Zerstörung der Ozonschicht kommen und dann würde harte UV- und auch Röntgenstrahlung die Erdoberfläche treffen. Ein Massensterben stünde bevor, die Zahl der Mutationen und Krebsfälle würde drastisch zunehmen. Sind wir in also Gefahr? Gibt es innerhalb von hundert Lichtjahren Radius einen Kandidaten für eine Supernova? Gegenwärtig ist die Antwort ein deutliches Nein. Aber unsere Sonne bewegt sich um das galaktische Zentrum und somit ändert sich auch unsere kosmische Nachbarschaft. Vorsichtige Abschätzungen rechnen mit der Möglichkeit von etwa drei bis fünf Supernovaexplosionen in unserer Nachbarschaft während der vergangenen 4,5 Milliarden Jahre. Galaktisches Zentrum: Immer wieder taucht die Behauptung auf, die Sonne würde sich durch das galaktische Zentrum bewegen oder durch die galaktische Ebene, was dann zu gewaltigen Veränderungen beziehungsweise Katastrophen für die Erde führte. Unsere Sonne und damit das Sonnensystem befinden sich in der Milchstraße, eine von vielen Milliarden Galaxien. Die Milchstraße enthält etwa 400 Milliarden Sonnenmassen. Die Sonne bewegt sich wie alle Sterne in ihrer Nachbarschaft um das Zentrum der Milchstraße. Wir sind etwa 27.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt, und ein Umlauf dauert mehr als 200 Millionen Jahre. Im Zentrum der Milchstraße befindet sich ein mehrere Millionen Sonnenmassen schweres Supermassives Schwarzes Loch. Aber wie schon erwähnt ist die Bahn der Sonne um das galaktische Zentrum seit mehr als 4,6 Milliarden Jahren stabil und die Entfernung vom Zentrum ist groß. Es besteht also keine Gefahr, in dieses Schwarze Loch zu stürzen. Unsere Sonne pendelt alle 30 bis 45 Millionen Jahre durch die galaktische Ebene, die durch den galaktischen Äquator definiert ist. Von der Kante her gesehen erscheint unsere Milchstraße als stark abgeplattete Scheibe mit zentraler Verdickung. Durch die Mitte der Scheibe geht die galaktische Ebene entlang ihres größten Durchmessers. Das letzte Mal passierten wir vor etwa 1,5 Millionen Jahren diese Ebene. Allerdings ist auch hier nichts Außergewöhnliches passiert, es handelt sich ja lediglich um eine imaginäre Ebene. Sterben der Sonne: Unsere Sonne wird nicht plötzlich erlöschen, aber ihre Lebensdauer ist begrenzt. Sie wird sich langsam, in etwa vier Milliarden Jahren zu einem "Roten Riesen" mit hoher Leuchtkraft und vergrößertem Radius entwickeln, die Erde wird sich dann innerhalb der Atmosphäre der Sonne um den Sonnenkern bewegen – astronomisch äußerst interessant, aber die Erde wird dann eine extrem heiße, ausgetrocknete, menschenleere Wüste sein. Schließlich bleibt von der der Sonne nur noch ein strahlender Rest, der als Weißer Zwerg bezeichnet wird, übrig. Angst vor kosmischen Katastrophen? Kosmische Katastrophen gibt es, gab es und wird es auch immer geben. Am relativ wahrscheinlichsten ist der Einschlag eines großen Asteroiden oder Kometen. Es gibt weltweite Beobachtungsprogramme, um möglichst alle potenziell gefährlichen Objekte zu finden. Als die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes der Erde mit dem Objekt Apophis im Jahre 2029 zunächst mit einem Prozent angegeben wurde, witterten unkritische Medien gleich einen Weltuntergang. Neuere Beobachtung dieses Erdbahnkreuzers ergeben aber, dass er in etwa ein Zehntel der Mondentfernung an der Erde vorbeiziehen wird. Sonnenausbrüche können zwar Störungen in unseren vernetzten Telekommunikations- und Stromversorgungsleitungen verursachen, eine globale Katastrophe ist aber sehr unwahrscheinlich. Auch eine in unserer kosmischen Nachbarschaft explodierende Supernova, bestimmte Planetenstellungen oder Bewegungen der Sonne um das galaktische Zentrum können uns nicht gefährlich werden. So bleibt letztlich der Mensch verantwortlich für das weitere Leben auf der Erde und sein eigenes Überleben. Siehe dazu den Beitrag von Alex Gertschen in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Der Nullpunkt der Kelvinskala liegt bei minus 273 Grad Celsius. 1.000 Kelvin sind also 727 Grad Celsius.
Article
, Arnold Hanslmeier
"2021-12-07T00:00:00"
"2012-12-11T00:00:00"
"2021-12-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/151312/kosmische-katastrophen/
Kosmische Katastrophen gibt es, gab es und wird es auch immer geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese zum Untergang der Welt führen, ist gering. Der Mensch bleibt letztlich selbst verantwortlich für sein Überleben.
[ "Kosmos", "Katastrophe", "Dinosaurier", "Massensterben", "Asteroide", "Komet", "Ozonschicht", "Weltraumwetter" ]
30,640
Zuwanderung und Transitmigration | Marokko | bpb.de
In der Zeit nach der Unabhängigkeit war Zuwanderung nach Marokko sehr begrenzt geblieben, wenn auch Studierende und hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Subsahara-Staaten wie dem Senegal, Mali und Zaire in geringer Zahl nach Marokko gekommen waren. Dies änderte sich ab Mitte der 1990er Jahre, als immer mehr Migranten über die Sahara nach Marokko zogen, oftmals mit der Absicht, von der marokkanischen Küste aus das Mittelmeer zu überqueren. Zunächst schien dieser Strom aus Subsahara-Staaten eine Folge politischer Unruhen und Bürgerkriegen in verschiedenen westafrikanischen Staaten und dem damit auch in den Zielländern dieser Region wie der Elfenbeinküste einhergehenden wirtschaftlichen Abschwung zu sein. Seit dem Jahr 2000 veranlassten zuwandererfeindliche Reaktionen in Libyen immer mehr der dort arbeitenden Migranten aus Staaten südlich der Sahara, sich dem seit den frühen 1990er Jahren bestehenden Abwanderungstrom von Marokkanern und anderen Staatsbürgern aus der Maghreb-Region nach Südeuropa anzuschließen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Migranten aus Subsahara-Staaten nach Marokko kommen, um von dort nach Europa weiter zu ziehen. In wachsender Zahl gehen diese Migranten in Marokko einer Arbeit oder einem Studium nach, zuweilen verbunden mit der Absicht, dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erlangen. Im Jahr 2005 hielten sich 25.000 afrikanische Migranten legal in Marokko auf, und diese Zahl scheint weiter zuzunehmen. Zur gleichen Zeit residierten weitere 28.000 Europäer in Marokko, darunter in steigender Zahl Rentner aus Frankreich, die sich in Städten wie Marrakesch niederlassen. Dies sind jedoch nur die Daten über offiziell registrierte afrikanische und europäische Siedler. Die tatsächliche Zahl von Migranten auf marokkanischem Gebiet dürfte weitaus höher liegen und, allem Anschein nach, noch weiter zunehmen. Siehe Fargues (2005) und Berriane (2007).
Article
Hein de Haas
"2022-01-11T00:00:00"
"2012-01-25T00:00:00"
"2022-01-11T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/laenderprofile/57716/zuwanderung-und-transitmigration/
Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich Marokko – obwohl generell als typisches Auswanderungsland bekannt – zu einem Ziel und einer Transitzone für Migranten von südlich der Sahara, hauptsächlich aus westafrikanischen Staaten entwickelt.
[ "Marokko", "Zuwanderung", "Transitmigration", "Zuwanderer", "Migration" ]
30,641
Großstädte Afrikas - Kairo, Lagos und Johannesburg | Afrika | bpb.de
Zuwanderungsmagnet Stadt In Afrika südlich der Sahara ist trotz einer raschen Zunahme der Stadtbevölkerung die Verstädterungsquote mit etwa 30 Prozent im Vergleich zu anderen Regionen gering; schon allein nördlich der Sahara ist diese doppelt so hoch. Mehr als zwei Drittel der subsaharischen Bevölkerung Afrikas lebt heute noch im ländlichen Raum und ist überwiegend von einer Beschäftigung in der Landwirtschaft abhängig. Obwohl der Prozess der Verstädterung neue Dynamik hervorbrachte, hat sich diese bisher nicht spürbar auf das wirtschaftliche Wachstum der jeweiligen Länder ausgewirkt. Zwischen 1980 und 2001 nahm die städtische Bevölkerung in Afrika im Durchschnitt um 4,7 Prozent pro Jahr zu, während das wirtschaftliche Wachstum pro Kopf um 0,6 Prozent pro Jahr zurückging. Die geringe Einbindung Afrikas in die Weltwirtschaft hatte zur Folge, dass von der zunehmenden Globalisierung nur wenig positive Impulse auf die städtische Entwicklung ausgegangen sind. Der Großteil der Bevölkerung lebt an der ökonomischen, sozialen und räumlichen Peripherie. Ausnahmen bilden einzelne Städte im südlichen Afrika, wie Johannesburg, Kapstadt oder Windhuk sowie die nordafrikanischen Großstädte. Informelles Handeln Eine hohe Zuwanderung in die Großstädte Afrikas hat bei einem gleichzeitigen Rückgang der formellen Beschäftigungsverhältnisse eine sichtbare Informalisierung der Privatwirtschaft bewirkt. Der informelle Sektor, auch Schattenwirtschaft genannt, ist von einer hohen Flexibilität und Dynamik geprägt. Die Menschen stellen sich auf die wechselnden Bedürfnisse der Stadt und ihrer Bewohner ein und bieten entsprechende Dienstleistungen oder ihre Arbeitskraft an. Die Palette der für diesen Bereich typischen Berufe und Gewerbe ist bunt, sie umfasst unter anderem die Textilverarbeitung, das Friseurhandwerk oder den Verkauf von Alltagswaren auf der Straße. Diese Verrichtungen und die daraus gewonnenen Einkünfte werden in der Regel nicht behördlich registriert und bleiben unversteuert. In Ländern wie Mosambik oder Malawi gehen mehr als 80 Prozent der Beschäftigten informellen Tätigkeiten nach. Hierunter befinden sich viele Menschen, die sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten, jedoch auch Inhaber von Filialen und immer häufiger global agierende Unternehmer und Unternehmerinnen, die z.B. im Schmuckgewerbe, im Verkauf von Naturarzneien oder in der Videoindustrie eine nicht unerhebliche Anzahl neuer Arbeitsplätze schaffen. Eigendynamik in der städtischen Verwaltung Standardhäuser und Hinterhausbebauung in Soweto. (© Ulrich Jürgens) Fehlende Steuereinnahmen und eine ineffiziente Stadtverwaltung haben in Großstädten wie Kinshasa, Luanda, oder Lagos eine unzureichende städtische Infrastruktur sowie mangelhafte öffentliche Basisdienstleistungen zur Folge. So kann z.B. eine flächendeckende Wasserversorgung oder Müllbeseitigung nicht sichergestellt werden. Deutlich wird das auch beim Wohnungsbau. Kommt der Staat dem Bedarf an Wohnraum nicht nach, helfen sich die Menschen in diesem Fall meist selbst durch den Bau von Siedlungen, durch bauliche Nachverdichtung mittels Aufstockung der Häuser, die Errichtung von Backyard-Häusern in Hinterhöfen oder durch das Leben am Rande der Straße; man nennt diese Menschen "pavement dwellers". Wo formelle städtische Planungsstrukturen nur inselhaft existieren, werden urbane Abläufe zumindest kleinräumig durch Eigenmanagement und Selbsthilfe organisiert. Eine Grundinfrastruktur wird häufig mit (illegalen) Strom- und Wasseranschlüssen bewerkstelligt. Informelle Landzuweiser, auch "squatter-lords" genannt, verteilen in Randgemeinden wie Thembalihle bei Johannesburg Land und Wohnraum und zur Garantie der öffentlichen Sicherheit werden in nahezu allen südafrikanischen Vorstädten Privatpatrouillen eingesetzt. Global City Johannesburg Johannesburg wird mit seinen ca. 2,5 Mio. Einwohnern als einzige afrikanische Stadt den "global cities" zugeordnet. Hier befinden sich international bedeutsame Steuerungszentralen, z.B. der Bergbaukonzerne, und die Börse, die in ihren Entscheidungen globale Bedeutung haben. Nach Abschaffung der Apartheid ist Johannesburg deshalb zu einem internationalen Zuwanderungsmagneten geworden, der vor allem Menschen aus allen Teilen des subsaharischen Afrikas anzieht. Ursprünglich multikulturell europäisch geprägte Wohngebiete wurden von einem neuen afrikanischen Multikulturalismus verdrängt. Die ideologisch bestimmte, ethnische Ausdifferenzierung zur Apartheid in schwarze "townships" und weiß geprägte Stadtteile wurde von neuen Formen sozialer und baulicher Abgrenzung ersetzt, letztere vor allem in Gestalt ummauerter Wohnbereiche, den "gated communities". Megastadt Lagos Auch im Senegal sind mit Dakar so genannte Megastädte entstanden (© Adelheid Hahmann) Wie viele afrikanische Länder wird Nigeria in seinen städtischen Strukturen von einer Primatstadt geprägt, die alle nachgeordneten Städte sowohl demografisch als auch funktional dominiert. Im Jahr 2000 wies Lagos 13,4 Mio. Einwohner auf. Damit zählt Lagos zu den Megastädten. Die Stadt wächst zur Zeit um etwa 1.000 Menschen pro Tag und die Einwohnerzahl wird sich nach heutigen Schätzungen bis zum Jahr 2015 nahezu verdoppeln. Die städtische Verwaltung kann diesem explosiven Wachstum nicht folgen, weshalb das Leben in der Stadt weitestgehend von informellen Wohn- und Arbeitsstrukturen geprägt ist. Die soziale Polarisierung zwischen so genannten "survivalists" auf der einen Seite und der politischen und Petro-Elite Nigerias auf der anderen Seite ist exorbitant und spiegelt sich in fragmentierten Stadtstrukturen wider. Orientalisches Afrika: Kairo Als bevölkerungsreichste Stadt Afrikas und zugleich eines der kulturellen, geistigen, – als Sitz der Arabischen Liga – politischen und wirtschaftlichen Zentren der arabischen Welt liegt Kairo im Schnittpunkt zwischen Nordafrika und Mittlerem Osten. Wie Lagos ist Kairo mit seinen 16 Mio. Einwohnern eine Megastadt, blickt jedoch im Gegensatz zu den Metropolen im subsaharischen Afrika, die weitestgehend erst kolonial angelegt sind, auf eine lange urbane Genese zurück. Trotz der Tatsache, dass auch Kairo große "Squattergebiete" besitzt – mehr als 250.000 Menschen wohnen auf den städtischen Friedhöfen –, unterliegt die Stadt einer eher zielgerichteten Planung. Der Bau von Entlastungsstädten am Rande der Kernstadt und die einzige Untergrundbahn Afrikas bezwecken, Kairos Wohnbedingungen und Effizienz zu steigern. Perspektiven Das Bevölkerungswachstum wirkt sich in Städten wie Cotonou deutlich auf den Berufsverkehr aus. (© Adelheid Hahmann) Die Spannweite urbaner Entwicklungen in Afrika von orientalischen, europäisch geprägten kolonial-imperialistischen bis hin zu autochthonen afrikanischen Einflüssen macht deutlich, dass es rein genetisch nicht möglich ist, von "der" afrikanischen Stadt zu sprechen. Was die Großstädte aber eint, ist ihr enormes städtisches Bevölkerungs-Wachstum seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Weil die Urbanisierung in Afrika bei weitem nicht abgeschlossen ist, werden sich die Regierungen in naher Zukunft verstärkt um eine städtische Planung bemühen müssen, um den gleichzeitig wachsenden Problemen im sozialen sowie im Umweltbereich zu begegnen. Wo Staat und Stadtverwaltung zu schwach sind, gewinnen informelle "governance"-Strukturen an Bedeutung, um ein Funktionieren der Städte zu gewährleisten. Durch die Bereitstellung einer urbanen Infrastruktur wird auch das wirtschaftliche Potenzial der Städte gestärkt, deren industrielle Basis noch kolonial bedingt sehr schwach ausgeprägt ist. Beispielgebend sind einige Städte und Regionen im südlichen Afrika, die sich in ihrer Produktionsstruktur teilweise spezialisieren konnten und zu industriellen Clustern geführt haben, z.B. im Großraum Johannesburg oder im Kupfergürtel in Sambia. Literatur Bähr, J./ U. Jürgens: Stadtgeographie II: Braunschweig, 2005. Brunn, S. u.a. (Hrsg.): Cities of the world, Lanham, Maryland, 2003. Gandy, M.: Lagos trotz Koolhaas, in: StadtBauwelt 95/2004 (4), S. 20-31. Jürgens, U./ J. Bähr: Das südliche Afrika, Gotha, 2002. Standardhäuser und Hinterhausbebauung in Soweto. (© Ulrich Jürgens) Auch im Senegal sind mit Dakar so genannte Megastädte entstanden (© Adelheid Hahmann) Das Bevölkerungswachstum wirkt sich in Städten wie Cotonou deutlich auf den Berufsverkehr aus. (© Adelheid Hahmann)
Article
Ulrich Jürgens
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-01-25T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/afrika/dossier-afrika/58898/grossstaedte-afrikas-kairo-lagos-und-johannesburg/
In Afrika südlich der Sahara ist trotz einer raschen Zunahme der Stadtbevölkerung die Verstädterungsquote mit etwa 30 Prozent im Vergleich zu anderen Regionen gering. Schon allein nördlich der Sahara ist diese doppelt so hoch. Mehr als zwei Drittel d
[ "Afrika", "Stadt", "Urbanisierung", "Zuwanderung", "Landflucht", "Verwaltung", "Nigeria", "Südafrika", "Ägypten", "Kairo", "Lagos", "Johannesburg" ]
30,642
1. Vorboten von Umbruch und Mauerfall | Deutschland Archiv | bpb.de
Gitta (Berlin-Treptow, Sekretärin, im November 1989 28 Jahre alt) entschloss sich im September 1989 mit ihrem Mann und den beiden Kindern in die BRD über Prag zu flüchten, nachdem sie Hans-Dietrich Genschers Rede dort gehört hatten. Wie tausende anderer DDR-Bürger gelangt die Familie auf höchst abenteuerliche Weise erfolgreich über die Prager Botschaft nach Westdeutschland. Gitta erzählt ihre Ausreise VOR dem Mauerfall in dramatischer und emotionaler Weise. Als ein Beispiel unter vielen. Interner Link: 1 (a) Interview mit Gitta über ihre Ausreise über Prag im Oktober 1989 Interner Link: Individueller und gesellschaftspolitischer Hintergrund Interner Link: Ausschnitt des Interviews mit Gitta und Transkription Interner Link: Situativer Kontext Interner Link: Sprache und Kontext Interner Link: 1 (b) Interview mit Wolf über die Demonstration am 1. November 1989 auf dem Alexanderplatz Interner Link: Individueller und gesellschaftspolitischer Hintergrund Interner Link: Ausschnitt des Interviews mit Wolf und Transkription Interner Link: Situativer Kontext Interner Link: Sprache und Kontext 1 (a) BW 10 Gitta (Ost) Ausreise über Prag im Oktober 1989 Individueller und gesellschaftspolitischer Hintergrund Gitta (Berlin-Treptow, Sekretärin, im November 1989 28 Jahre alt) entschloss sich im September 1989 mit ihrem Mann und den beiden Kindern in die BRD über Prag zu flüchten, nachdem sie Genschers Rede dort gehört hatten. Wie tausende anderer DDR-Bürger gelangt die Familie auf höchst abenteuerliche Weise erfolgreich über die Prager Botschaft nach Westdeutschland. Gitta erzählt ihre Ausreise VOR dem Mauerfall in dramatischer und emotionaler Weise. Ausschnitt des Interviews mit Gitta und Transkription Gitta (Berlin-Treptow, Sekretärin, im November 1989 28 Jahre alt) entschloss sich im September 1989 mit ihrem Mann und den beiden Kindern in die BRD über Prag zu flüchten, nachdem sie Genschers Rede dort gehört hatten. Wie tausende anderer DDR-Bürger gelangt die Familie auf höchst abenteuerliche Weise erfolgreich über die Prager Botschaft nach Westdeutschland. Gitta erzählt ihre Ausreise VOR dem Mauerfall in dramatischer und emotionaler Weise. 001 GITTA und denn saßen wa bei meim bruda ina wohnung und ham jefeiert und da ham wa halt gesehn daß der herr genscher auf em balkon stand in der prager botschaft^ ((Ausatmen)) und daß die leute dort ausreisen durften was uns natürlich noch mehr mut jege:bm hat^ * ja * und damit ham wir uns eigntlich die nacht entschlossen * wir fahren auch als familie wir versuchen dis auch * wir ham uns jesacht wenn so viele leute mit kindan die ganzen familien ((Ausatmen)) * wenn wir alle zusamm sind und zusammhalten dann kann uns eigntlich nich 'viel passiern sag ich mal 0002 GITTA (1.3) u:nd naja dann bin ich halt nachts mit meiner schwägerin erst zu mein eltern gefahrn_ * hab mich dort verabschiedet * was uns sehr schwer fiel_ * aber wir ham jesacht wir gehn unsern eignen weg wir versuchen die möglichkeit * machen das beste aus unsam lebm ((Ausatmen)) dann sind wa halt inne wohnung gefahrn^ und ham die wichtigsten unterlagen geholt * paar * sachen noch * für die kinda * u:nd naja dann sind wa halt nächstn morgen losgefahrn zu den kindan ham wa gesacht wir fahrn in urlaub^ weil das warn montag gewesen^ * und dann sind wa üba die prager grenze gefahrn^ * wo wir halt dachten wir werden jetzt stark kontrolliert was nich war_ * da warn ja die kontrolln schon sehr verschärft jewesen_ * jedenfalls warn wa froh daß wir halt drübm warn_ * hattn wa die erste hürde schon geschafft^ * dann * sind wir rein zur prager botschaft was eigntlich 'auch erst nich so einfach war wir mußten erstmal die prager botschaft 'su'chen da hat uns halt n taxifahra geholfen_ ich bin vorgefahrn mit ihm und mein mann mit dem trabi hintaher^ * 'so_ * und dann ((Ausatmen)) ham wa * der ähm der taxifahra sagte ((Ausatmen)) wir solln uns nach leutn umschaun die halt auch aus der de-de-er sind nach merkmaln kindawagen und so 0003 OL hm_ ja ja_ 0004 GITTA was ja doch einheitlich war * ((Ausatmen)) u:nd naja gut ham wa uns halt n paar leute gesucht^ und ham auch guten kontakt gleich gehabt wir warn erst essen_ und da hatten se uns halt erzählt ((Ausatmen)) daß sie schon zur botschaft jegangn sind und daß die sehr streng bewacht wird ringsherum * und daß da erstma gar kein reinkomm wäre ((Ausatmen)) und da ham wir uns entschlossn wir schaun uns die sache auch erstmal einmal an ham alles im 'auto gelassen_ wir ham gar nix mitgenomm und sind erstma hoch und ham uns würklich an diesen posten vorbeijeschlichen^ ((Ausatmen)) und da standn wa halt denn vor der botschaft und da warn fernsehteam jewesen und die frachten? wollt ihr 'rein^? *? o:da^ * wollt ihr ebend halt nur gucken_? und da ham wir jesacht na wir möchten unbedingt rein und da ham die denn jesacht wir solln klopfen wat det zeug hält * ((Ausatmen)) wat wir denn och gleich jemacht ham 0005 OL hm_ hm_ * 0006 GITTA und son herzklopfen glob ick hat ick noch nie dit war sone angst jewesen_ und wie die türn aufgingn auch sone erleichterung daß wir erstmal alle jeheult ham_ * ja_ * wir warn so froh jewesen uns war allet egal 0007 OL hm naja sicher hm 0008 GITTA was hintaher war nich^ 0009 GITTA papiere warn im auto was wa au nich mehr wiederjekricht habm * 0010 OL hm hm 0011 GITTA den trabi den ham meine eltern denn nachher aufjespürt ((Ausatmen)) mit einzelteilen von sachen den rest ham se jeklaut ne^ 0012 OL hm 0013 GITTA samt unterlagen und so * also es-vau-ausweis und so 0014 OL ach so dit hattest haste au nich weita mit ne ach so 0015 GITTA nee na ick hab ja nüscht von mir hat ja nur ein 0016 OL (in-a tasche oda so) ach gar nüscht von dir 0017 GITTA nee_ w. hat halt seinn alten noch aber der neue 0018 OL hm 0019 GITTA is ebend auch weg ((Ausatmen)) naja denn warn wa in der botschaft gewesen ((Ausatmen)) * die sich würklich nach und nach würklich füllte_ * und denn ham wa immer schon ausschau gehalten nach den 'andern leuten die wa da jetroffen hatten in prag 0020 OL ja 0021 GITTA die ja nun och reinwollten ((Ausatmen)) und da ham wa denn nachher vom fenster vom 'toilettenfenster aus jesehen daß die ne barrikade jebildet ham kinda vor mit fraun und kinda ja^ ((Ausatmen)) und die männer hinterher weil die würklich 0022 OL hm 0023 GITTA mit waffen auf die jezielt hatten * und die sind einfach den leuten entgegenjegangn_ * und und die polizisten sind denn denn auch ausjewichen ja^ 0024 OL hm^ 0025 GITTA und denn warn ebend viele drinne die füllte sich so schnell die botschaft erst hatten wa 'ein bett für jedes kind^ * zum schluß lagen fünf kinder^ in eim bett und die mütter standen da rum_ * ja_ mipm essen war o:ch knapp jewesen^ 0026 OL hm hm 0027 GITTA det war hieß immer lange anstehn^ * trinken war och wenich aber die de-r-ka schwestern ham würklich * für die klein kinder^ ham die 0028 OL hm 0029 GITTA jemacht und jeta:n wir hatten windeln da? ja? ((Ausatmen)) und babynahrung hat man jekricht 0030 OL hm hm^ 0031 GITTA ja_ ((Ausatmen)) * naja_ und denn * denn hießet wir komm 'nich raus aus der botschaft ((unverständlich))/ doch erst hieß es wir sollten raus nach dem zweiten tag ((Ausatmen)) und da sachte honecker aba nee_ * wir komm nich raus * dann kam noch der vogel der anwalt und hat jesacht für die leute die mit rauskomm: die kriegen denn n richtjen ausreiseantrach und keine schwierichkeiten und so ja_ naja und da ham wir 'dem aber nich jeglaubt und einje ham sich och bereit erklärt da mit rauszugehn^ ja^ 0032 OL hm^ 0033 GITTA ham 'dem jeglaubt und die wurdn würklich 'ausjebuht die leute (0.6) denn kam der botschafter rein in die botschaft^ 0034 OL hm hm^ 0035 GITTA und sachte paßt uff eure kinder uff die stasileute locken kinder raus mit schokolade und spielsachen 0036 OL (damit se) die eltern (rauskriegn) 0037 GITTA daß die eltern rauskomm ja 0038 OL ach du schande_ 0039 GITTA na und so entwickelte sich ne unheimliche solidarität zwischen den 'eltern zwischen den 'müttern 0040 OL ja_ ja 0041 GITTA manche hatten ja mehrere kinder eigntlich die meisten ja und die eine mutter hat 'essen besorgt die andere hat uff die kinda uffjepaßt 0042 OL hm hm^ 0043 GITTA und 'babys je'windelt also war doll jewesen 0044 OL hm 0045 GITTA unheimlich solidarität war jewesen_ muß ick sagn * 0046 OL hm_ 0047 GITTA ((Ausatmen)) naja und denn hießes ((Ausatmen)) * gorbatschaw sachte * er kommt nich zum siembten oktober wenn die leute aus da prager botschaft nich rauskomm_ da 'ein radio war da inner janzen botschaft gewesen_ hm 0048 OL uh^ hmhm_ * 0049 GITTA ja naja_ und da ham wa uns natürlich halt riesenhoffnung gemacht ((Ausatmen)) was och jeklappt hatte (da) sind wa nachts raus zum bus jelaufen ane amibotschaft vorbei * die dann och jejubelt habm und alles 0050 OL hmhm_ 0051 GITTA und dann sind wa zum bahnhof jefahrn wordn^ * aber allet richtich abjeschürmt ja^ 0052 OL hmhm 0053 GITTA von den * bürgern da von von prag * ((Ausatmen)) ja und denn sind wa halt in zug rein^ ((Ausatmen)) * die dann von außen verriegelt wurdn mit ketten^ 0054 OL ja^ 0055 GITTA * worüber wir eigntlich sehr entsetzt warn muß ick sagn_ wenn da wat passiert wär dann wärt reinste chaos jewesen ja^ 0056 OL wärst gar nich rausgekomm^ 0057 GITTA nee_ überhaupt nich hättste scheiben einschlagn müssn_ naja dann ham wa jesehen halt an den gleisen an den schien 0058 OL ja^ 0059 GITTA stanse von den janzen fabriken und so und ham alle jejubelt da war unheimlich die hölle los jewesen ja^ 0060 OL hmhm 61 GITTA dann sind wa halt im frankenwald anjekomm_ * und da kam dann schon die ersten mit kakao schokolade und ham uns in-n zug Situativer Kontext Gittas Familie verlässt die DDR (und die Verwandten) von einem Tag auf den anderen, ohne Hab und Gut. Es gibt offenbar eine resolute Entschlossenheit, "schlechtes" Leben mit einem "besseren" tauschen zu wollen. Für das Ziel, in den Westen zu kommen, opfert Gitta und ihre Familie viel: u.a. den Verlust des Autos ("Trabi") und der gültigen Papiere. Gitta und ihr Mann handeln unter dem Stern der großen Zuversicht: wir wollen in den Westen (=BRD), und wir schaffen das. Die Weggefährten, eine Familie mit Kindern, lässt sich von der tschechischen Polizei nicht von ihrem Ziel, die BRD-Botschaft, abbringen: mutig mit den Kindern vorneweg (als Schutz gegen Gewalt) gehen sie an den Polizisten vorbei hin zur Botschaft. Als der DDR-Anwalt Vogel via Antrag einen "sicheren" Grenzübergang in den Westen verspricht, wird ihm kein Vertrauen geschcnkt. Die DDR-Politik hat für die DDR-Bürger jede Glaubwürdigkeit verloren. Mehrmals hat die Familie grösste Angst – sie hält aber an ihrem Ziel fest; als sie dem Ziel näher kommen, gibt es Tränen des Glücks. "Umbruch" heisst hier: entschlossen sein, ein hohes Risiko für ein besseres Leben einzugehen – und jeder Schritt in Richtung auf die "neue Welt" ist von starken Gefühlen begleitet. Mit der Entschlossenheit, koste es was es wolle in den Westen zu gelangen, teilt die Familie mit vielen anderen große gegenseitige Solidarität. QuellentextSprache und Kotext Wie fügen sich die Äußerungen zu einer Erzählung zusammen? Einer erzählt – die andern hören zu. Das erzählende Ego vermittelt dem zuhörenden Alter (Anderen) neue, diesem nicht bekannte Erfahrungen. Wie narrative Äußerungen aneinandergereiht werden, regeln Prinzipien (Verfahren) des Kotextes. Typisch für die kommunikative Gattung "Erzählung" ist, dass zunächst situative Umstände (Wer, wo, wann, wie …) angegeben werden, die eine Kette von Ereignissen rahmen, die meist in Vergangenheitsform (Präteritum, Perfekt) aufeinander abfolgen. Schließlich werden die Ereignisse bewertet. Oft geschieht das so, dass solche Bewertungen wieder den Bezug zum hier & jetzt der Erzälsituation herstellen. Erzählen ist eines der wichtigsten sprachlichen Handlungsmuster im Alltag. "Erzählen im Umbruch" handelt meist von extremen Ausnahmesituationen. Eine solche ist die Ausreise der Familie aus der DDR in die BRD über die Prager Botschaft. Für Bredel (2019, siehe Internet-Link zum Buch Dittmar/Paul im Anhang) nennt das mit Bewertungen eng verwobene Erzählen von Ereignissen im Umbruch "exploratives Erzählen". In den ersten drei Redebeiträgen stellt die Ich-Erzählerin (Gitta) die Ausgangslage dar ("Rahmen"), die Ereignisse und Handlungen finden sich in den Redebeiträgen 4 bis 37, wobei diese oft durch mehr oder weniger lange Bewertungen einzelner Umstände und Geschehnisse unterfüttert werden. In den Redebeiträgen 51 bis 61 wird schließlich das Ergebnis ("Resultat") der Ereignisse präsentiert – wobei auch hier wieder Bewertungen eingeblendet werden. Typisch für das Erzählen im Umbruch ist somit das narrative Wechselspiel von Handlungsfolgen und Bewertungen, die auch durch "andere" Stimmen ergänzt werden und das Erzählen somit "vielstimmig" (polyphon) machen. Gitta erzählt rasch und flüssig. Wenn die Situation unterstreicht sie ihre Gefühle (Angst, Tränen) durch stärkeres Berlinern. In den dramatischen Passagen flicht sie – zur Erhöhung der Spannung – direkte Rede ein (Redebeiträge 31, 35). Typisch für das Berlinische sind reduplikative Formen der Vergangenheitsmarkierung wie in (i) dit war sone angst jewesen (ii) da war'n fernsehteam jewesen Es handelt sich um typische mündliche Muster. Weitere Hinweise finden sich unter (9) "Doppelte Perfekt- und Präteritummarkierung". BW 27 Wolf (West) Die Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz Individueller und gesellschaftspolitischer Hintergrund WOLF (47, als Ingenieur ausgebildet, wohnhaft in Berlin-Mitte, später als Fliesenleger tätig) wohnte in Berlin-Mitte. Er war langjähriger Parteifunktionär (Mitglied der Kreisleitung) und arbeitete auch für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), bekannter unter dem Kurzwort Stasi (in der DDR zugleich Nachrichtendienst und Geheimpolizei). WOLF war am 4. November 1989 angewiesen worden, den Verlauf der Demonstration auf dem Alexanderplatz und die Verhaltensweisen der Demonstranten zu beobachten und auftretende Aufftälligkeiten unverzüglich an das MfS zu melden. WOLFs Erzählung ist eines der (raren) Dokumente für die Innensicht der Kader auf den fortlaufenden Prozess der Korrosion des Staates. Er gibt die Stimmung auf der Demonstration authentisch wieder – etwa so wie die psychologische Gemengelage (,"die DDR muss weg") auf einen teilnehmenden Beobachter wie WOLF gewirkt haben muss. WOLFs lntuition ist glaubwürdig und realistisch. Die Sensibilität, mit der er die Stimmung der Demonstranten an ihrem körperlichen Habitus abliest, ist ein Hinweis auf die umfassenden psychologischen Diagnosefähigkeiten der Stasi-Miarbeiter. Der Ausschnitt beginnt mit dem Hinweis, dass der "Mauerfall" selber für ihn (Wolf) keine wirkliche Überraschung dargestellt habe. Die Demo vom 4. November sei für ihn ein klarer Hinweis darauf gewesen, dass das DDR-Regime ausgedient habe. Ausschnitt des Interviews mit Wolf und Transkription Gittas Familie verlässt die DDR (und die Verwandten) von einem Tag auf den anderen, ohne Hab und Gut. Es gibt offenbar eine resolute Entschlossenheit, "schlechtes" Leben mit einem "besseren" tauschen zu wollen. Für das Ziel, in den Westen zu kommen, opfert Gitta und ihre Familie viel: u.a. den Verlust des Autos ("Trabi") und der gültigen Papiere. Gitta und ihr Mann handeln unter dem Stern der großen Zuversicht: wir wollen in den Westen (=BRD), und wir schaffen das. Die Weggefährten, eine Familie mit Kindern, lässt sich von der tschechischen Polizei nicht von ihrem Ziel, die BRD-Botschaft, abbringen: mutig mit den Kindern vorneweg (als Schutz gegen Gewalt) gehen sie an den Polizisten vorbei hin zur Botschaft. Als der DDR-Anwalt Vogel via Antrag einen "sicheren" Grenzübergang in den Westen verspricht, wird ihm kein Vertrauen geschcnkt. Die DDR-Politik hat für die DDR-Bürger jede Glaubwürdigkeit verloren. Mehrmals hat die Familie grösste Angst – sie hält aber an ihrem Ziel fest; als sie dem Ziel näher kommen, gibt es Tränen des Glücks. "Umbruch" heisst hier: entschlossen sein, ein hohes Risiko für ein besseres Leben einzugehen – und jeder Schritt in Richtung auf die "neue Welt" ist von starken Gefühlen begleitet. Mit der Entschlossenheit, koste es was es wolle in den Westen zu gelangen, teilt die Familie mit vielen anderen große gegenseitige Solidarität. Wie fügen sich die Äußerungen zu einer Erzählung zusammen? Einer erzählt – die andern hören zu. Das erzählende Ego vermittelt dem zuhörenden Alter (Anderen) neue, diesem nicht bekannte Erfahrungen. Wie narrative Äußerungen aneinandergereiht werden, regeln Prinzipien (Verfahren) des Kotextes. Typisch für die kommunikative Gattung "Erzählung" ist, dass zunächst situative Umstände (Wer, wo, wann, wie …) angegeben werden, die eine Kette von Ereignissen rahmen, die meist in Vergangenheitsform (Präteritum, Perfekt) aufeinander abfolgen. Schließlich werden die Ereignisse bewertet. Oft geschieht das so, dass solche Bewertungen wieder den Bezug zum hier & jetzt der Erzälsituation herstellen. Erzählen ist eines der wichtigsten sprachlichen Handlungsmuster im Alltag. "Erzählen im Umbruch" handelt meist von extremen Ausnahmesituationen. Eine solche ist die Ausreise der Familie aus der DDR in die BRD über die Prager Botschaft. Für Bredel (2019, siehe Internet-Link zum Buch Dittmar/Paul im Anhang) nennt das mit Bewertungen eng verwobene Erzählen von Ereignissen im Umbruch "exploratives Erzählen". In den ersten drei Redebeiträgen stellt die Ich-Erzählerin (Gitta) die Ausgangslage dar ("Rahmen"), die Ereignisse und Handlungen finden sich in den Redebeiträgen 4 bis 37, wobei diese oft durch mehr oder weniger lange Bewertungen einzelner Umstände und Geschehnisse unterfüttert werden. In den Redebeiträgen 51 bis 61 wird schließlich das Ergebnis ("Resultat") der Ereignisse präsentiert – wobei auch hier wieder Bewertungen eingeblendet werden. Typisch für das Erzählen im Umbruch ist somit das narrative Wechselspiel von Handlungsfolgen und Bewertungen, die auch durch "andere" Stimmen ergänzt werden und das Erzählen somit "vielstimmig" (polyphon) machen. Gitta erzählt rasch und flüssig. Wenn die Situation unterstreicht sie ihre Gefühle (Angst, Tränen) durch stärkeres Berlinern. In den dramatischen Passagen flicht sie – zur Erhöhung der Spannung – direkte Rede ein (Redebeiträge 31, 35). Typisch für das Berlinische sind reduplikative Formen der Vergangenheitsmarkierung wie in (i) dit war sone angst jewesen (ii) da war'n fernsehteam jewesen Es handelt sich um typische mündliche Muster. Weitere Hinweise finden sich unter (9) "Doppelte Perfekt- und Präteritummarkierung". WOLF (47, als Ingenieur ausgebildet, wohnhaft in Berlin-Mitte, später als Fliesenleger tätig) wohnte in Berlin-Mitte. Er war langjähriger Parteifunktionär (Mitglied der Kreisleitung) und arbeitete auch für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), bekannter unter dem Kurzwort Stasi (in der DDR zugleich Nachrichtendienst und Geheimpolizei). WOLF war am 4. November 1989 angewiesen worden, den Verlauf der Demonstration auf dem Alexanderplatz und die Verhaltensweisen der Demonstranten zu beobachten und auftretende Aufftälligkeiten unverzüglich an das MfS zu melden. WOLFs Erzählung ist eines der (raren) Dokumente für die Innensicht der Kader auf den fortlaufenden Prozess der Korrosion des Staates. Er gibt die Stimmung auf der Demonstration authentisch wieder – etwa so wie die psychologische Gemengelage (,"die DDR muss weg") auf einen teilnehmenden Beobachter wie WOLF gewirkt haben muss. WOLFs lntuition ist glaubwürdig und realistisch. Die Sensibilität, mit der er die Stimmung der Demonstranten an ihrem körperlichen Habitus abliest, ist ein Hinweis auf die umfassenden psychologischen Diagnosefähigkeiten der Stasi-Miarbeiter. Der Ausschnitt beginnt mit dem Hinweis, dass der "Mauerfall" selber für ihn (Wolf) keine wirkliche Überraschung dargestellt habe. Die Demo vom 4. November sei für ihn ein klarer Hinweis darauf gewesen, dass das DDR-Regime ausgedient habe. Ausschnitt WOLF BW 27 Ost "für mich war eigentlich der víerte november der entscheidende tag. nicht der neunte" 21JD hmhm; 22WOLF das war eigentlich dann schon wiederum * eh nur noch ein logischer schrítt; was mich vielleicht überrascht hat; das war eher der zéitpunkt, aber nich die tatsache ansich. (0.9) und wíe das nun gewesen is; ist völlig unabhängig jetzt aber * eh für mich hat sich die eh wénde am vierten * vollzogen. 23 JD aufm alex. 24 WOLF aufm alex. 25 JD bei der demo. 26 WOLF ja da war ich dabéi; 27 JD hm: 28 WOLF eh * sozusagen im áuftrag; das wird is auch ne story schon wieder für sich. also wir hattn auftrag bekommen von der kreisleitung oder bezirksleitung kreisleitung. eh an der demo téilzunehmen. * und eh (2.0) einfach mitzubekommen was da so läuft. da trafen wir uns; * in eh in der ehemaligen kreisleitung für bauwesen, da in * kleinoldstraße heißt die (glaub ich xx) und eh * wir sind dann lósgezogen; (1.2) sehr frühzeitig schon; bevor also die víelen hunderttausend menschen (0.1) aufm platz kamen; u:nd zu einem zeitpunkt als * sagen wir vielleicht erstmal * zwei drei vier tausend da warn. * zu einem sehr zu einem séhr eh frühen zéitpunkt eh schon. und eh * ich hab dann so das treiben beobachtet was sich dort so * tat. * eh * die plakate * mir angeguckt (1.3) (2.0) transparente * und die menschen; vor allen dingen in die gesichter geschaut; (0.2) und eh (2.0) ab und zu wieder hingegangen * eh zu unserm treffpunkt um da zu berichten; es war nüscht zu berichten. 29 JD ((lacht)) ((lacht)) 30 WOLF ich bin dann auch ich bin dann auch nich wieder hingegangen, 31 JD ja, 32 WOLF eh * weil * ick so ein blóedsinn zu berichten was da passiert; jeder wéiß was da passiert; und warum soll ich da noch noch was berichten. 33 JD da gab es also nichts zu berichten von dem eh 34 WOLF ich bin dann auch nicht wieder ich bin dann auch nicht wieder hingegangen um irgendwas zu berichten. ich hab mir die leute so angeguckt, * und eh hab mich auch ne zéitlang genau entgegen des * eh stromes bewegt der da zum alex strömte; 35 JD hmhm; 36 WOLF vor allen dingen die gesichter zu sehen. * und eh (0.7) was mir damals so aufgefallen war; erstmal diese enorme ruhe; nich wie das sonst so üblich is wa bei demos so marschmusik oder; 37 JD hmhm; 38 WOLF oder soetwas. sondern éinfach diese ruhe. * das geräusch des láufens hab ich so (0.2) im ohr. so das die die trítte; ja, oder auch der der wind der so durch die sachen so so fegte. das hab ich noch genau im ohr. * die gespräche; * eh die die sagen wir mal die blicke die sehr intressíert warn; néugierig; spannung eh * auch in den gesíchtern verrieten; * und auch wiederum spannung auslösten. (1.4) eh aber ich ich hab das mit schwerem herzen ges eh eigentlich erlebt. mit schmerzen in der brust; * 39 JD warum? 40 WOLF es gab plakate die eh * die störten mich. 41 JD zum beispiel? 42 WOLF eh also * man spricht ja hinterher immer oder man hat hinterher gesprochen von * von sehr lústigen plakaten oder sehr intressánten plakaten; aber eh * man mag zu honecker oder krenz oder wem auch stehn wie man will; aber ihn am gálgen zu sehn; (0.8) eh das is das maß der dinge bei weitem überschritten. (0.8) und sólche plakate eh * gab es öfter. und eh das hat mir das hat mir schón angst gemacht, weil ich eigentlich so im hinterkopf och so hatte; * richtig angst gemacht. also honecker und krenz und co und wie auch immer eh hängen is die eine sache; aber das wirda nie bléiben, * es gab schon öfter situationen in der deutschen geschichte; wo ürgendwann mal etwas ángefangen hat; und das ende ganz woanders nachher war. also solche solche dinge ham mir sehr mißfallen. also zu diesem tag eigentlich war mir bewußt; nee die ddr die wird es wahrscheinlich nicht mehr lange geben. die die führung is is óhnmächtig; unfähig * eh die wird die wird hinweggespült werden. wann das sein wird weiß ich nich; aber für mich war eigentlich der víerte november der entscheidende tag. nicht der neunte. Situativer Kontext Wolf schildert im ersten Teil seiner Erzählung detailliert und situationsgetreu die Stimmung auf der Demo. Der narrative Teil endet mit es war niischt zu berichten. Durch Wiederholen der Konsequenz "ich bin dann auch nich wieder hingegangen" unterstreicht Wolf, dass es nichts gab, was meldepflichtig gewesen wäre. Stattdessen aber zeichnet der stimmungssensible Flaneur ein feinsinniges Porträt der Stimmung der Demonstranten. Stasigeschulter Kenner der Befindlichkeiten Opositioneller sieht er deutlich, dass die DDR am Ende ist. Das steht für ihn fest, er erlebt es mit "schmerzen in der brust". Die kompromisslose Härte, mit der der Staatsapparat abgelehnt wird, findet seinen radikalsten Ausdruck in den Plakaten, auf denen die ,,Genossen" Honecker und Krenz am Galgen gezeigt werden. Solche Plakate haben Wolf "sehr missfallen", andererseits erkennt er an ihrer Radikalität, dass es ,die ddr ...nicht mehr lange geben" wird. Diese Gesamtstimmung führt ihn zu der Schlußfolgerung, dass die DDR reif ist für den Untergang. Manche Plakate findet er stark übertrieben ("das hat mir schon angst gemacht"), den Untergang der DDR erahnt er schon – die Ohnmacht der Führung ist seiner Meinung nach Schuld. QuellentextSprache und Kotext Wolfs Darstellung ist ein Beispiel für exemplifizierendes Erzählens (siehe Bredel in Dittmar / Paul 2019, ). Am Beispiel der Demomanstration vom 4. November auf dem Alexanderplatz, von deren Beobachtung er erzählt, gelangt er zu dem Schluss, dass es die DDR nicht mehr lange geben wird. Die erzählten Ereignisse dienen vor allem den schlussfolgernden Bewertungen: die DDR wird untergehen. Dies ist eine andere Variante des Erzählens vom Umbruch. Wolfs Darstellung ist eine Art Stimmungsbericht, teilweise historisch-philsophisch. Sie drückt Distanz anm Geschehen aus. Die sprachliche Präsentation ist eher intellektuell gefärbt. Dazu passt, dass Wolf Hochdeutsch spricht. Es fehlt das dialektale Kolorit der Nähe, mit dem Sprecher die emotionale Betroffenheit von bestimmten Ereignissen ausdrücken. Wolf schildert im ersten Teil seiner Erzählung detailliert und situationsgetreu die Stimmung auf der Demo. Der narrative Teil endet mit es war niischt zu berichten. Durch Wiederholen der Konsequenz "ich bin dann auch nich wieder hingegangen" unterstreicht Wolf, dass es nichts gab, was meldepflichtig gewesen wäre. Stattdessen aber zeichnet der stimmungssensible Flaneur ein feinsinniges Porträt der Stimmung der Demonstranten. Stasigeschulter Kenner der Befindlichkeiten Opositioneller sieht er deutlich, dass die DDR am Ende ist. Das steht für ihn fest, er erlebt es mit "schmerzen in der brust". Die kompromisslose Härte, mit der der Staatsapparat abgelehnt wird, findet seinen radikalsten Ausdruck in den Plakaten, auf denen die ,,Genossen" Honecker und Krenz am Galgen gezeigt werden. Solche Plakate haben Wolf "sehr missfallen", andererseits erkennt er an ihrer Radikalität, dass es ,die ddr ...nicht mehr lange geben" wird. Diese Gesamtstimmung führt ihn zu der Schlußfolgerung, dass die DDR reif ist für den Untergang. Manche Plakate findet er stark übertrieben ("das hat mir schon angst gemacht"), den Untergang der DDR erahnt er schon – die Ohnmacht der Führung ist seiner Meinung nach Schuld. Wolfs Darstellung ist ein Beispiel für exemplifizierendes Erzählens (siehe Bredel in Dittmar / Paul 2019, ). Am Beispiel der Demomanstration vom 4. November auf dem Alexanderplatz, von deren Beobachtung er erzählt, gelangt er zu dem Schluss, dass es die DDR nicht mehr lange geben wird. Die erzählten Ereignisse dienen vor allem den schlussfolgernden Bewertungen: die DDR wird untergehen. Dies ist eine andere Variante des Erzählens vom Umbruch. Wolfs Darstellung ist eine Art Stimmungsbericht, teilweise historisch-philsophisch. Sie drückt Distanz anm Geschehen aus. Die sprachliche Präsentation ist eher intellektuell gefärbt. Dazu passt, dass Wolf Hochdeutsch spricht. Es fehlt das dialektale Kolorit der Nähe, mit dem Sprecher die emotionale Betroffenheit von bestimmten Ereignissen ausdrücken.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2020-09-29T00:00:00"
"2019-12-05T00:00:00"
"2020-09-29T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/301595/1-vorboten-von-umbruch-und-mauerfall/
Gitta (Berlin-Treptow, Sekretärin, im November 1989 28 Jahre alt) entschloss sich im September 1989 mit ihrem Mann und den beiden Kindern in die BRD über Prag zu flüchten, nachdem sie Hans-Dietrich Genschers Rede dort gehört hatten. Wie tausende ande
[ "DDR", "Mauerfall", "Ausreise", "Prag" ]
30,643
Quellen | Israel | bpb.de
Balfour-Erklärung Ministerium des Äußeren, 2. November 1917 Mein lieber Lord Rothschild! Zu meiner großen Genugtuung übermittle ich Ihnen namens Seiner Majestät Regierung die folgende Sympathie-Erklärung mit den jüdisch-zionistischen Bestrebungen, die vom Kabinett geprüft und gebilligt worden ist: "Seiner Majestät Regierung betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei klar verstanden werde, dass nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Lande beeinträchtigen könnte." Ich bitte Sie, diese Erklärung zur Kenntnis der Zionistischen Förderation zu bringen. gez.: Arthur James Balfour Der McMahon-Brief an Scherif Hussein von Mekka (1915) Am 24. Oktober 1915 schrieb der damalige Hochkommissar Großbritanniens in Ägypten, McMahon, einen Brief an den Scherifen Hussein Ibn Ali von Mekka: "Die beiden Distrikte von Mersina und Alexandretta sowie Teile Syriens, die westlich der Distrikte von Damaskus, Homs, Hama und Aleppo liegen, kann man nicht rein arabisch bezeichnen. Daher sollten sie von den geforderten Staatsgrenzen ausgeschlossen werden. [...] Abgesehen von den genannten Änderungsvorschlägen ist Großbritannien bereit, die Unabhängigkeit der Araber in allen vom Scherifen von Mekka geforderten Gebieten anzuerkennen und zu unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Erklärung Sie zweifellos von der Sympathie überzeugt, die Großbritannien ihren arabischen Freunden entgegenbringt. Sie wird eine feste und dauerhafte Allianz begründen, deren sofortiges Ergebnis die Vertreibung der Türken aus arabischen Ländern und die Befreiung der arabischen Völker vom türkischen Joch sein wird, das so lange auf ihnen lastete." Britisches Weißbuch 17. Mai 1939 (Auszüge) I/4: Die Regierung Seiner Majestät verkündet jetzt unzweideutig, dass es nicht ihre Politik ist, aus Palästina einen jüdischen werden zu lassen. I/10/1: Das Ziel der Regierung seiner Majestät ist die Errichtung eines unabhängigen Palästina-Staates innerhalb von zehn Jahren, der Vertragsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich in der Weise hat, dass die wirtschaftlichen und strategischen Interessen beider Länder berücksichtigt werden. I/10/2: In dem unabhängigen Staat sollen Araber und Juden gemeinsam in der Weise regieren, dass die wesentlichen Interessen jeder Gemeinschaft gesichert sind. II/13/1: Die jüdische Einwanderung wird in den nächsten fünf Jahren so geregelt, dass die Zahl der jüdischen Einwanderer ungefähr ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes erreicht - vorausgesetzt, die wirtschaftliche Aufnahmefähigkeit des Landes erlaubt dies [...] Vom April dieses Jahres an werden innerhalb der nächsten fünf Jahre 75000 Einwanderer zugelassen. II/13/3: Nach fünf Jahren wird keine jüdische Einwanderung mehr gestattet, es sei denn, die Araber Palästinas wären hierzu bereit. II/13/4: Die Regierung Seiner Majestät ist entschlossen, die illegale Einwanderung zu verhindern. III/16: Der Hochkommissar erhält Vollmachten, den Landverkauf zu verbieten und zu steuern. Unabhängigkeitserklärung Tel Aviv, 14. Mai 1948 (Auszüge) Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig. Hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das Ewige Buch der Bücher. [...] Beseelt von der Kraft der Geschichte und Überlieferung, suchten Juden aller Generationen in ihrem alten Lande wieder Fuß zu fassen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte kamen sie in großen Scharen. Pioniere, Verteidiger und Einwanderer, die trotz der Blockade den Weg in das Land unternahmen, erweckten Einöden zur Blüte, belebten aufs Neue die hebräische Sprache, bauten Dörfer und Städte und errichteten eine stets wachsende Gemeinschaft mit eigener Wirtschaft und Kultur, die nach Frieden strebte, aber sich auch zu schützen wusste, die allen im Lande die Segnungen des Fortschritts brachte und sich vollkommene Unabhängigkeit zum Ziel setzte. [...] Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offen stehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert. [...] Am 29. November 1947 fasste die Vollversammlung der Vereinten Nationen einen Beschluss, der die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel forderte. [...] Die damalige Anerkennung der staatlichen Existenzberechtigung des jüdischen Volkes durch die Vereinten Nationen ist unwiderruflich. [...] Wir beschließen, dass vom Augenblick der Beendigung des Mandates, heute um Mitternacht, [...] bis zur Amtsübernahme durch verfassungsmäßig zu bestimmende Staatsbehörden, doch nicht später als bis zum 1. Oktober 1948, der Nationalrat als vorläufiger Staatsrat und dessen ausführendes Organ, die Volksverwaltung, als zeitweilige Regierung des jüdischen Staates wirken sollen. Der Name des Staates lautet Israel. Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen. [...] Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten. [...] Wir bieten allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft [...]. UN-Resolutionen Nr. 242 & Nr. 338 Resolution Nr. 242 vom 22. November 1967 Der Sicherheitsrat in Bekundung seiner ständigen Sorge über die ernste Lage in Nahostin Betonung der Unzulässigkeit, Gebiete durch Krieg zu erwerben, und der Notwendigkeit, für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu arbeiten, in dem jeder Staat des Gebietes in Sicherheit leben kann,in Betonung ferner, dass alle Mitgliedstaaten durch die Annahme der Charta der Vereinten Nationen die Verpflichtung eingegangen sind, in Übereinstimmung mit Artikel 2 der Charta zu handeln, 1. bekräftigt, dass die Erfüllung der Grundsätze der Charta die Errichtung eines gerechten und dauerhaften Friedens in Nahost verlangt, der die Anwendung der beiden folgenden Grundsätze einschließt: (i) Rückzug der israelischen Streitkräfte aus Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden; (ii) Einstellung aller Behauptungen oder Formen eines Kriegszustandes sowie die Beachtung und Anerkennung der Souveränität der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in diesem Gebiet und die seines Rechtes, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Drohungen und Akten der Gewalt in Frieden zu leben; 2. bekräftigt ferner die Notwendigkeit [...] b) eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems zu verwirklichen; c) die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit eines jeden Staates in dem Gebiet durch Maßnahmen sicherzustellen, zu denen die Schaffung entmilitarisierter Zonen zählt; [...] Nr. 338 vom 21./22. Oktober 1973 Der Sicherheitsrat, 1. fordert alle an den gegenwärtigen Kämpfen beteiligten Parteien auf, unverzüglich, spätestens jedoch zwölf Stunden nach Annahme dieses Beschlusses, jedes Feuer einzustellen und alle militärischen Handlungen in den Stellungen, die sie jetzt besetzen, zu beenden; 2. fordert die betroffenen Parteien auf, nach der Feuereinstellung unverzüglich mit der Erfüllung der Entschließung des Sicherheitsrats 242 (1967) in allen ihren Teilen zu beginnen; 3. bestimmt, dass Verhandlungen unverzüglich und gleichzeitig mit der Feuereinstellung zwischen den betroffenen Parteien unter geeigneter Schirmherrschaft mit dem Ziel beginnen, einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten herzustellen. Vereinte Nationen 6/67, S. 203 und 6/73, S. 206.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-27T00:00:00"
"2011-12-02T00:00:00"
"2022-01-27T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/israel/45184/quellen/
Hier finden Sie Quellentexte zum Dossier Israel.
[ "Israel", "Historische Quelle" ]
30,644
Europäische Streamingkonferenz vor der Europawahl | Die bpb in Bonn | bpb.de
Wenige Tage vor der Europawahl. Allein in Deutschland sind 64,8 Mio. wahlberechtigt - davon 3,9 Mio. zum ersten Mal. In unseren europäischen Streamingkonferenz blickten wir über den Tellerrand. Wie beeinflusst der Brexit die EP-Wahl? Welche Themen werden in anderen EU-Ländern rund um die Europawahl diskutiert. Wie soll die EU in Zukunft aussehen? Zu diesen und anderen Fragen baten wir unsere europäsichen Korrespondenten aus dem Projekt Externer Link: euro|topics zum Gespräch. Die Presseschau euro|topics zeigt, welche Themen Europa bewegen und spiegelt die Vielfalt an Meinungen, Ideen und Stimmungen wider. Ob Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Kultur: euro|topics blickt täglich in die europäische Presse und zitiert die wichtigsten Stimmen. Zusätzlich stellten wir unsere Angebote zur Europawahl vor. Aufzeichnung des Livestreams – Teil 1 Aufzeichnung des Livestreams – Teil 2 Programm 9.00-9.15 Good Morning Europe Begrüßung und Programmvorstellung Andreas Bock (euro|topics) und Daniel Kraft (bpb-Pressesprecher) 9.30-9.45 Wie der Brexit die EU-Wahl beeinflusst Gespräch mit dem euro|topics Korrespondenten Nicholas Bukovec (Dublin) Moderation: Andreas Bock 9.45-10.00 Präsentation des Projekts Talking Europe Gespräch mit Malte Steuber Moderation: Daniel Kraft 10.30-10.45 Let's play: Votematch Interview mit Pamela Brandt (bpb) - Verantwortliche Wahl-O-Mat Moderation: Daniel Kraft 10.45-11.00 15 Jahre EU-Osterweiterung: Wie wählen die Neuen? Gespräch mit den euro|topics Korrespondenten Hans-Jörg Schmidt (Prag) und Ksenija Smaradzia-Matul (Maribor) Moderation: Andreas Bock und Daniel Kraft 11.15-11.30 Europa-Visionen Gesrpäch mit den euro|topics Korrespondenten Nina Henkelmann (Rennes, Frankreich) und Mar Engelhardt (Genf) Moderation: Andreas Bock 12.00-12.15 Estland wählt als einziges Land elektronisch Gespräch mit der euro|topics Korrespondentin Maris Hellrand (Tallinn) Moderation: Andreas Bock 12.30-12.45 Spanien: Warum sind die Spanier/-innen so pro-europäisch? Gespräch mit euro|topics Korrespondent Tom Gebhardt (Mallorca) Moderation: Daniel Kraft und Miriam Vogel 13.00-13.15 Polen vor der Europawahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondentin Olivia Kortas (Warschau) Moderation: Andreas Bock 13.15-13.30 Wie entsteht der Wahl-O-Mat? Erfahrungsbericht eines Jugendredakteurs Gespräch mit Paul Burgbacher (Jugendredaktion Wahl-O-Mat) Moderation: Miriam Vogel 13.30-13.45 Warum gibt es keine Populisten in Portugal? Gespräch mit euro|topics-Korrespondent Simon Kamm Moderation: Andreas Bock 14.00-14.15 Rechtsextremismus und -populismus in Frankreich und Niederlande Gespräch mit euro|topics-Korrespondentinnen Nina Henkelmann (Rennes) und Annette Birschel (Amsterdam) Moderation: Miriam Vogel 14.17-14.30 Europawahl und politische Bildung: Virtueller Rundgang durch die EU-Institutionen Gespräch mit Sabine Berthold (bpb) Moderation: Daniel Kraft 14.30-14.45 Litauen vor der Europawahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondent Aukse Bruveriene (Vilnius) Moderation: Andreas Bock und Daniel Kraft 15.00-15.15 Griechenland und die Europwahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondentin Chrissi Wilkens (Athen) Moderation: Andreas Bock 15.15-15.30 Let's play: Wahl-O-Mat Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Marschall (Redaktion Wahl-O-Mat) Moderation: Daniel Kraft 16.00-16.15 Dänemark und die Europwahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondentin Claudia Knauer (Aabenraa, Dänemark) Moderation: Andreas Bock 16.15-17.00 bpb-Salon: das Print-Angebot der bpb zu Europa Gespräche mit Dr. Hans-Georg Golz, Dr. Birgitta Gruber-Corr, Jan Piepenbrink und Dr. André Hein (alle bpb) Moderation: Miriam Vogel 17.00-17.15 Rolle der proeuropäischen Opposition in Ungarn Gespräch mit Sugarka Sielaff (Ungarn) Moderation: Andreas Bock 18.00-18.15 Finnland und die Europwahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondent Claudius Technau (Helsinki) Moderation: Andreas Bock 18.30-18.45 Schweden und die Europwahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondent Dieter Weiand (Schweden) Moderation: Miriam Vogel 18.45-19.30 Let's play: Wahl-O-Mat 19.30-19.45 Irland und die Europawahl Gespräch mit euro|topics-Korrespondent Nicholas Bukovec (Dublin) Moderation: Andreas Bock 19.45-21.00 Gespräch mit Björn Döring, Kurator von "Babylon Europa": Kultur verbindet? + Restreaming von "Babylon Europa" Moderation: Daniel Kraft
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-04T00:00:00"
"2019-05-28T00:00:00"
"2022-02-04T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/standorte/bonn/291958/europaeische-streamingkonferenz-vor-der-europawahl/
12 Stunden Europa: Die europäische Streamingkonferenz vor der Europawahl 2019 - aus Deutschland und und weiteren 27 Ländern. Gemeinsam mit der Redaktion und den Korrespondentinnen und Korrespondenten von euro|topics.
[ "Europäische Streamingkonferenz", "Europawahl 2019", "eurotopics", "12 Stunden Europa", "Brexit", "VoteMatch", "Wahl-O-Mat", "EU-Osterweiterung", "Talking Europe", "Rechtsextremismus und -populismus" ]
30,645
Preisverleihung Generation 14plus | Presse | bpb.de
Am Freitagabend, den 17. Februar 2017, wurden im Rahmen der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Kategorie Generation 14plus der Große Preis sowie der Spezialpreis der Internationalen Jury vergeben. Die von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb gestifteten Preise in Höhe von insgesamt 10.000 Euro wurden im Haus der Kulturen der Welt verliehen. Der mit 7.500 Euro dotierte Große Preis für den besten Spielfilm ging an die ukrainisch-deutsche Koproduktion "Shkola nomer 3" ("School Number 3") von Yelizaveta Smith und Georg Genoux. Mit dem Spezialpreis für den besten Kurzfilm, dotiert mit 2.500 Euro, wurde der belgisch-kolumbianische Film "The Jungle Knows You Better Than You Do" von Juanita Onzaga ausgezeichnet. Die unabhängige Jury bestand aus dem deutsch-ungarischen Regisseur Benjamin Cantu, der US-amerikanischen Regisseurin Jennifer Reeder sowie dem chilenischen Filmemacher Roberto Doveris, der im Vorjahr mit dem Großen Preis der Internationalen Jury ausgezeichnet worden war. "Die Gewinnerfilme zeigen eindrücklich und auf Augenhöhe die Lebenswelten von Jugendlichen, mal ganz privat und mal im Kontext großer politischer Konflikte. Der Wettbewerb Generation 14plus repräsentiert auch in diesem Jahr die globale Vielfalt jugendlicher Perspektiven und regt zur Diskussion an – für ein demokratisches Miteinander ist das unverzichtbar", so Thomas Krüger, Präsident der bpb. Lobende Erwähnungen bei der Verleihung erhielten der chinesische Spielfilm "Ben Niao" ("The Foolish Bird") von Huang Ji und Ryuji Otsuka sowie der in Kroatien, Slowenien und Schweden koproduzierte Kurzfilm "U Plavetnilo" ("Into the Blue") von Antoneta Alamat Kusijanović. Mit der Preisvergabe wird ein zusätzlicher Anreiz zur Produktion sehenswerter Filme für Jugendliche geschaffen und die Bedeutung von filmischen Angeboten für diese Zielgruppe hervorgehoben. Pressemitteilung als Interner Link: PDF. Pressekontakt: Bundeszentrale für politische Bildung Stabsstelle Kommunikation Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: presse@bpb.de
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2017-02-21T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/243042/preisverleihung-generation-14plus/
Am Freitagabend, den 17. Februar 2017, wurden im Rahmen der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Kategorie Generation 14plus der Große Preis sowie der Spezialpreis der Internationalen Jury vergeben. Die von der Bundeszentrale für politisc
[ "Berlinale" ]
30,646
Wer hat die Internetseite gemacht? | einfach POLITIK | bpb.de
Herausgeber Bundeszentrale für politische Bildung / bpb Adenauerallee 86, 53113 Bonn E-Mail Link: edu@bpb.de Redaktion Wolfram Hilpert Text Dorothee Meyer, Katrin Ehrenberg, Liza Holetzek Mitgearbeitet haben: Florentine Schröter, Bianca Zschornak, Andreas Finken Mitgewirkt bei der Texterstellung haben von der Idee bis zur Fertigstellung des Textes Menschen von verschiedenen Institutionen: Abteilung Allgemeine Behindertenpädagogik und -soziologie des Instituts für Sonderpädagogik der Leibniz Universität HannoverBüro für Leichte Sprache HannoverFachbereich "Zielgruppenspezifische Angebote" der Bundeszentrale für politische Bildung Fachliche Begutachtung Monika Oberle Illustrationen und Layout Leitwerk. Büro für Kommunikation, Köln Externer Link: www.leitwerk.com Hörbuchproduktion Externer Link: narando GmbH Web-Umsetzung Externer Link: 3PC Für das gesamte Dossier gilt:
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-12T00:00:00"
"2018-11-07T00:00:00"
"2022-01-12T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/politisches-system/politik-einfach-fuer-alle/279795/wer-hat-die-internetseite-gemacht/
Die Bundeszentrale für Politische Bildung stellt Ihnen "Europa" in ihrem Angebot "einfach POLITIK" zur Verfügung. Mehr über die Mitwirkenden erfahren Sie hier.
[ "Einfache Erklärung", "europäische Union", "leichte Sprache", "Einfache Sprache", "Einfach Politik", "Europa", "EU", "Wer hat die Internetseite gemacht?" ]
30,647
Kommentar: Die Rolle der Oligarchen bleibt unverändert | Ukraine-Analysen | bpb.de
Am 4. März 2020 setzte die Rada die Hontscharuk-Regierung ab. Sie wählte Denys Schmyhal zum neuen Premierminister und ernannte fünfzehn neue Minister, von denen fünf bereits der vorherigen Regierung angehört hatten. Da nicht sofort alle Posten besetzt werden konnten, wurden zwei Wochen später, am 17. März 2020, noch einige weitere vakante Posten besetzt (z. B. Wirtschaftsminister und Generalstaatsanwalt). Der Regierungswechsel fand kurz vor – und unabhängig von – der einschneidenden Veränderung der globalen Wirtschaftslage statt [infolge der Coronavirus-Pandemie, Anm. d. Red.] und hatte daher vor allem interne Gründe. Denn kurz zuvor hatte der Leiter des Präsidentenbüros Andrij Bohdan seinen Posten verloren. Er war nach dem erdrutschartigen Sieg Selenskyjs und dessen Partei 2019 der Architekt der neuen ukrainischen Machtstrukturen. Im engeren Umfeld des Präsidenten besaß Bohdan die größte Erfahrung in der Arbeit mit zentralen Regierungs- und Machtstrukturen. Er empfahl Präsident Selenskyj zahlreiche Personen, die sich dann in Hontscharuks Kabinett wiederfanden, aber auch in den Strafverfolgungsbehörden und an der Spitze der meisten Regionen. Die daraus entstandenen Konstellationen von Beamten und Politikern waren jedoch oft nicht ideal, und die Konflikte innerhalb des Teams von Selenskyj wuchsen ständig. Andrij Bohdan gelang es nicht, Mechanismen zur Konfliktlösung und -prävention zu etablieren. Am 11. Februar 2020 wurde er entlassen. Das löste eine Kettenreaktion innerhalb der Machtstrukturen aus, und auch zahlreiche von Bohdans Verbündeten verloren ihre Posten. Der neue Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, will nun Vertraute fördern, die sich für eine erfolgreiche Umsetzung des Reformprogramms von Präsident Selenskyj aussprechen. Das kurzlebige Kabinett von Hontscharuk erwies sich als nicht sonderlich effektiv bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und Umsetzung der Reformen. Die sozioökonomischen Wahlkampfversprechen von Selenskyj ließ es links liegen. Auch wurden Hontscharuk und sein Team zum Gegenstand zahlreicher Medienskandale. Der Premier und seine Minister wurden immer toxischer für die Zustimmungswerte zur Regierung. Viele ukrainische und internationale Experten sehen den Wechsel des Kabinetts und des Generalstaatsanwalts als ein Zeichen für die wachsende Rolle der Oligarchen. Dafür sehe ich allerdings keine Anzeichen, zumindest noch nicht. Die Tatsache, dass der neue Premierminister Schmyhal von 2017–19 in der Westukraine für DTEK (das Unternehmen des Oligarchen Rinat Achmetow) arbeitete, ruft Skepsis hervor. Schmyhals Position war jedoch eher bescheiden und seine Arbeit war vor allem mit den lokalen Gemeinden und Behörden verbunden. Seine lange Karriere in der Wirtschaft, Politik und Verwaltung der Region Galizien zeigt eher, dass Schmyhal zur regionalen Elite der Westukraine gehört. Das macht ihn zum ersten galizischen Premierminister in der Geschichte der unabhängigen Ukraine. Der neue Wirtschaftsminister Ihor Petraschko verfügt über gute Verbindungen zum ukrainischen Magnaten Oleh Bachmatjuk, für dessen Agrarkonzern er früher arbeitete; jedoch waren diese nicht ausschlaggebend für seine Ernennung. Petraschko ist, wie Schmyhal, Absolvent der Polytechnischen Universität Lwiw und genießt das persönliche Vertrauen des neuen Premiers. Außerdem gilt Petraschko aufgrund seiner beruflichen Erfahrung bei Enron und Ernst & Young als Wirtschaftsfachmann. Durch den Regierungswechsel hat Präsident Selenskyj seine Politik der "neuen Gesichter" (die Ernennung junger Personen ohne politische und administrative Erfahrung in Schlüsselpositionen der nationalen Regierung) durch eine Politik der "neuen Gesichter mit Verstand und Herz" (bei der es nicht auf das Alter ankommt, sondern auf Erfahrung) ersetzt. Diese kompromissbasierte Politik hat einige neue Minister hervorgebracht, die bereits Regierungserfahrung vor der Maidan-Ära sammelten (etwas, das sie z. B. mit Ex-Präsident Petro Poroschenko gemeinsam haben). Präsident Selenskyj ist sich der Gefahr, die die Oligarchen für die Ukraine darstellen, sicherlich bewusst. Dafür spricht auch die Ernennung von Iryna Wenediktowa zur neuen (und ersten weiblichen) Generalstaatsanwältin. Wenediktowa hat in ihrer früheren Position als Leiterin des Staatlichen Ermittlungsbüros bereits bewiesen, dass sie auch Oligarchen und ihnen nahestehende Politiker wie z. B. Innenminister Awakow in die Schranken weisen kann. Aus Perspektive der oligarchischen Clans bleibt das neue Kabinett eine vom Präsidenten kontrollierte Exekutive. Die neuen Regierungsmitglieder wissen jedoch besser mit dem Big Business umzugehen als ihre Vorgänger und könnten auch offener sein für Zugeständnisse an die Oligarchen. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob sich diese Befürchtungen bewahrheiten. Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Eduard Klein
Article
Von Michajlo Minakow (Kennan Institute, Kiew und Mailand)
"2021-06-23T00:00:00"
"2020-03-30T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/307143/kommentar-die-rolle-der-oligarchen-bleibt-unveraendert/
Viele ukrainische und internationale Experten sehen den Wechsel des Kabinetts und des Generalstaatsanwalts als ein Zeichen für die wachsende Rolle der Oligarchen. Sind ihre Zweifel berechtigt?
[ "Oligarchen Ukraine", "Ukraine", "Oligarchen" ]
30,648
Citizenship | Brazil | bpb.de
A person also, however, acquires a right to Brazilian citizenship through descent from Brazilian parents (ius sanguinis) provided that the person moves to Brazil, applies for citizenship and has reached the age of legal majority (regulated by Constitutional Amendment No. 54 of 2007). The constitution also allows for naturalisation, whereby citizenship can be acquired according to the principles of "residence" or "marriage". For naturalisation without marriage a person has to have lived in Brazil continuously for four years and have no previous convictions. The person must also have the ability to speak and write Portuguese, a permanent residence and sufficient resources to support themself and their family. In order to protect the rights of its emigrant citizens, in 1996 Brazil introduced dual citizenship. The initiative to amend the law originated from the government and may be regarded as a reaction to the rapidly increasing number of Brazilian emigrants. Especially after immigration laws were tightened in the USA at the start of the 1990s, thereby making circular migration more difficult, the Brazilian government wanted to make it easier for emigrants to maintain formal ties with their country of origin. Extraterritorial rights such as the right to vote outside the country provide a further instrument in this regard. For nationals of Portuguese-speaking countries the period is reduced to one year. Reduced periods of residence also apply to persons with Brazilian relatives, those in special professions, in the service of the state or who own certain goods. Based on the 1965 law and the 1988 constitution. See Escobar (2007).
Article
Sabina Stelzig
"2022-01-18T00:00:00"
"2012-01-25T00:00:00"
"2022-01-18T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/laenderprofile/english-version-country-profiles/58261/citizenship/
Brazilian citizenship is regulated by the 1988 constitution (Article 12). It is obtained through birth on Brazilian soil (ius soli) regardless of the parents' citizenship. A person also, however, acquires a right to Brazilian citizenship through desc
[ "Brazil", "Brasilien", "citizenship", "Staatsbürgerschaft", "Immigrationspolitik" ]
30,649
BRICS: Realität oder Rhetorik? | BRICS | bpb.de
Bis vor Kurzem war die Beschreibung der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) einfach: Die BRICS sind die "neuen Giganten", die Schwellenländer auf der Überholspur, die neuen Mächte der Weltpolitik. Die Zahlen sprachen für sich – beispielsweise vergrößerte sich der Anteil der BRICS an der globalen Produktion von 16 auf 22 Prozent und der Anteil der BRICS-Gruppe am Welt-Bruttosozialprodukt (BSP) in Kaufkraftparität steigerte sich von 2000 bis 2010 um etwa zehn Prozentpunkte auf nahezu 30 Prozent (vgl. Abbildung 1 in der PDF-Version). Die Wirtschaftszahlen blieben während der 2008 beginnenden globalen Rezession im Vergleich zu den meisten anderen Akteuren relativ stabil. So entstand der Eindruck, dass sich eine neue, multipolare Welt schneller entwickelt, als so manchen lieb ist. "BRICS" bezeichnet damit nicht nur die Gruppe der fünf (anfangs vier) großen Wachstumsmärkte, sondern fungiert auch als eine Art "Container" oder Fixpunkt für ein "ungutes Gefühl" in den USA und in der EU, dass die "natürliche" Weltordnung – aufgeteilt in Führungsstaaten aus dem Norden und Folgende (beziehungsweise Bittsteller) aus dem Süden – zu einem Ende kommt. Die BRICS sind also Projektionsfläche sowohl für Hoffnung als auch für Sorge. 2013 scheint vor diesem Hintergrund ein schlechtes Jahr für die BRICS gewesen zu sein. Statt von aufstrebenden Giganten wird nun – in Anspielung auf das englische Wort brick – von "Ziegelsteinen ohne Mörtel" gesprochen und davon, dass China eigentlich als einziger Staat die positive Etikettierung verdiene. In den deutschen Medien spiegelt sich dies insbesondere in Reflexionen über die Auswirkungen der BRICS auf das deutsche Exportvolumen wider. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beschreibt das wirtschaftliche Nachlassen der BRICS als beträchtlich. Im Vergleich zu 2011 wurden im "World Economic Outlook" die zu erwartenden Wachstumsraten für China, Indien, Russland und Südafrika 2013 um 1,5 bis 4,25 Prozentpunkte gesenkt. Der einzige Grund, warum sich die brasilianische Wirtschaft nur wenig verlangsame, sei der bereits 2011 verzeichnete Rückgang der Wachstumsrate um fünf Prozent. Zwar war eine gewisse Abnahme der wirtschaftlichen Dynamik stets zu erwarten, die Schnelligkeit und die Intensität des Einbruchs haben aber selbst Experten überrascht. Zudem kämpfen alle BRICS-Länder mit innenpolitischen oder wirtschaftlichen Problemen, von denen hier nur einige exemplarisch aufgezählt werden können: Für China lässt sich beispielsweise auf interne Unsicherheiten über die Richtung notwendiger ökonomischer und politischer Reformen hinweisen. Außerdem belasten potenziell faule Kredite das chinesische Bankensystem. Sowohl Indien als auch Brasilien leiden unter dem enormen Wertverlust ihrer Währungen. Es fließen nicht nur weniger Investitionen in diese Länder, vielmehr wird sogar Kapital von ausländischen Investoren abgezogen – unter anderem als Folge der US-amerikanischen Währungspolitik. Brasilien kämpft innenpolitisch mit den Folgen gesellschaftlicher Polarisierung, die sich durch gewaltsame Proteste vor allem in den Metropolen äußern. Südafrika ist weltweit eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit. Die Folgen der jahrelangen Apartheid sind nicht überwunden, und die Legitimität der politischen Elite wird unter anderem durch diese beiden Faktoren untergraben. Russlands Wirtschaftswachstum ist auf ungesunde Weise von den internationalen Rohstoffmärkten abhängig. Ferner verschlechterten sich 2013 die Beziehungen des Landes zu den USA auf rasante Weise. Obwohl keiner dieser Faktoren etwas an der Realität der mittel- bis langfristigen Verschiebung des Kräftegleichgewichts in der Weltwirtschaft verändert, stellen die dargestellten Herausforderungen dennoch die Erwartung kontinuierlich hoher Wachstumsraten infrage. Da die Definition der BRICS aber genau daran geknüpft ist, ist es nicht überraschend, dass eine Abschwächung in diesem Bereich vielerorts mit einer Infragestellung des Konzepts und der damit heutzutage verbundenen "politischen Institution" einhergeht. Es scheint daher ein guter Zeitpunkt für eine Reflexion über das Phänomen BRICS gekommen zu sein – denn längst weckt der Name Erwartungen über das reine Stützen der Weltwirtschaft hinaus, beispielsweise als treibende Kraft in den Reformen internationaler Institutionen, als wichtiger Faktor in den internationalen Klimaverhandlungen, als neue Entwicklungshelfer und als Vorbilder für ein (eher) staatszentriertes Modell wirtschaftlicher Entwicklung. Hat dabei die Institution eine Bedeutung über die B-R-I-C-S, also die Ansammlung der Einzelstaaten, hinaus? Gibt es ein "Kollektiv BRICS", welches als Akteur in die Weltpolitik wirkt? Funktioniert eine solche Institution heute (oder in der Zukunft), auch wenn die Gründungsprämisse (hohe, dynamische Wachstumsraten) nicht mehr grundsätzlich erfüllt wird? Im Folgenden wird zunächst die etwas kuriose Entwicklungsgeschichte der BRICS als Institution nachgezeichnet, ehe anschließend einige Antworten auf diese Fragen skizziert werden. Entstehung der BRICS Der Begriff "BRIC" wurde 2001 durch Jim O’Neill geprägt, damals Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs. Durch die Analyse und den Vergleich von Wachstumsprognosen identifizierte er vier Länder, die bis zum Jahr 2050 die G7-Staaten in ihrer Wirtschaftskraft überholen werden: Brasilien, Russland, Indien und China. Er verknüpfte seine Prognose über den Wandel der Kräfteverhältnisse mit einem Aufruf zur entsprechenden Erweiterung der G7. Es sollte aber noch einige Jahre dauern, bis sich die BRIC-Staaten dieses Konzept zu eigen machten. Die direkten Konsequenzen aus O’Neills Veröffentlichung waren vielmehr die Schaffung von BRIC-Investmentfonds. Erste Vorläufer der BRIC(S) als Institution waren trilaterale Treffen von China, Indien und Russland, den "RIC", die außerhalb Asiens allerdings kaum Beachtung fanden. Die Außenminister der drei Staaten trafen sich zwischen 2002 und 2006 jährlich am Rande anderer Veranstaltungen. Dann begannen sie, eigenständige Treffen zu organisieren; thematisch wurden dabei insbesondere gemeinsame regionale und sicherheitspolitische Anliegen diskutiert. Die RIC-Länder treffen sich nun häufig vor oder nach den BRICS-Gipfeln. Dennoch sind die beiden Foren separat zu verstehen: RIC dient als zielgerichtetes Dialogforum dreier Großmächte einer Region mit teilweise konfliktiven Auseinandersetzungen um Grenzen, Sicherheit und Handel. BRICS hingegen ist sogar nach den Worten des ehemaligen brasilianischen Außenministers Celse Amorim "eine Gruppe, die zunächst in den Köpfen von Analysten existierte und dann als eine Art Praxis zwischen den Ländern entstand". In der Tabelle (vgl. PDF-Version) werden einige der wichtigen Entwicklungsschritte der BRICS als politische Institution zusammengefasst. Erst nach und nach entwickelte sich ein gemeinsames Verständnis über die Funktion dieser neuen Institution, die in der Erklärung zum vierten BRICS-Gipfel in Neu-Delhi wie folgt formuliert wurde: "BRICS is a platform for dialogue and cooperation amongst countries that represent 43% of the world’s population, for the promotion of peace, security and development in a multi-polar, inter-dependent and increasingly complex, globalizing world. Coming, as we do, from Asia, Africa, Europe and Latin America, the transcontinental dimension of our interaction adds to its value and significance." Die mittlerweile fünf Staaten eint also zudem das Streben nach einer multipolaren – sprich: mehr durch die BRICS geprägten – Welt, in welcher internationale Institutionen, insbesondere im Bereich der Finanzen, entsprechend der neuen Machtverhältnisse reformiert werden. Bei BRICS handelt es sich also um eine "künstliche" Institution, deren Namen und Mitgliedschaft am Reißbrett entworfen wurden, und für die dann nach einer aktiven Vereinnahmung durch die designierten Mitglieder ein Sinn gesucht wurde. In der Disziplin der Internationalen Beziehungen gehen wir normalerweise davon aus, dass Staaten internationale Institutionen gründen, um bestimmte Interessen zu verfolgen. Diese Institutionen können geografisch oder funktionell verankert sein. Sie können universell oder exklusiv, also wie ein Club, organisiert sein. Das BRICS-Forum unterscheidet sich hiervon also fundamental, und es wird vielfach hinterfragt, ob sich auf einer solchen Basis überhaupt eine stimmige, effektive Institution entwickeln kann. BRICS in der Analyse Die politikwissenschaftliche Literatur hat sich intensiv mit dem Thema BRICS auseinandergesetzt. Meistens – wie auch in dieser Ausgabe von APuZ – wird überblickartig die Entstehungsgeschichte der BRICS nachgezeichnet; es folgen Kapitel zu den einzelnen Staaten. Vielleicht spricht diese Charakteristik der Literatur bereits für sich: Es ist momentan nicht unmittelbar erkennbar, welchen Mehrwert diese Institution den einzelnen Mitgliedstaaten sowie der internationalen Politik im Allgemeinen gebracht hat. Es gibt aus politischer, strategischer und interessanterweise auch aus wirtschaftlicher Sicht keinen unerlässlichen Grund, warum genau diese fünf Länder als Gruppe wichtiger sein sollten als eine mögliche andere Zusammenstellung, die beispielsweise Indonesien, Mexiko, Südkorea oder die Türkei umfasst. Die BRICS-Staaten haben bei nüchterner Betrachtung zunächst nicht viel gemeinsam. Die Politikwissenschaftlerin Leslie Elliott Armijo hat eine umfassende, aber sicherlich nicht abschließende Auflistung der grundlegenden Unterschiede erstellt: Sie reichen von Differenzen der innenpolitischen Regime (drei Demokratien, zwei autoritäre Regime), über divergierende Wirtschaftsordnungen, Exportprofile und Globalisierungsraten bis zu unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Traditionen. Das Ausmaß dieser Unterschiede lässt erahnen, dass diese Konsequenzen für die weltpolitische Wirkung der Gruppe haben müssen. In Fragen, welche die nationalen Interessen der Staaten unmittelbar betreffen, wird daher eine effektive und verlässliche Kooperation nicht realistisch zu erwarten sein. Eine weitere Herausforderung ist die Dominanz Chinas innerhalb der BRICS. Wenn man den Anstieg des Anteils der BRICS am Welt-BIP aufschlüsselt, relativiert sich der in Abbildung 1 gewonnene Eindruck (vgl. Abbildung 2 in der PDF-Version). Ähnliche Grafiken ließen sich für die Anteile an den weltweiten Devisenreserven, an den ausländischen Direktinvestitionen, an der industriellen Produktion und vielen anderen wichtigen Indikatoren zeichnen. Dies schürt Ängste weltweit, aber eben auch in den anderen BRICS-Staaten, die alle Besorgnis über die Überflutung ihrer Märkte durch billige chinesische Produkte äußern. Hinzu kommen andere Formen des Wettbewerbs oder sogar Rivalität unter den BRICS-Staaten, wie etwa der andauernde indisch-chinesische Grenzkonflikt. Insgesamt ist die Dominanz Chinas so ausgeprägt, dass wir uns die Frage stellen sollten, ob wir – in Bezug auf die Auswirkungen und den Einfluss auf die Welt(-wirtschaft) – zwar stets BRICS sagen, aber eigentlich nur China meinen. Die genannten Probleme schlagen sich zum Beispiel auch in der relativ geringen Handelsquote der BRICS untereinander nieder. 2012 betrug der Handel unter den BRICS-Staaten etwa 230 Milliarden US-Dollar. Das ist zwar elfmal so viel wie im Jahr 2002, anteilsmäßig aber dennoch nur etwa zehn Prozent des gesamten Handels der BRICS-Staaten. Das bedeutet auch, dass die jeweils bilateralen Beziehungen, insbesondere wirtschaftlicher und politischer Art, zu den USA häufig stärker sind als zu den anderen BRICS. Dies senkt die Wahrscheinlichkeit, dass die BRICS als Gegenpol der USA für eine radikal andere Weltordnung kämpfen werden – was aber viele Beobachter von den BRICS erwarten. Die Differenzen unter den BRICS werden verstärkt durch ein ausgeprägtes Souveränitätsdenken, vor allem bei Indien, China und Russland. Die Staaten konnten sich beispielsweise nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Position des Weltbank-Präsidenten einigen, als 2012 die Möglichkeit bestand, den Anspruch der USA auf diese Position zu durchbrechen. Insgesamt haben die BRICS nur wenige konkrete Ergebnisse vorzuweisen. Zwar gibt es regelmäßige Treffen unterschiedlicher Ministerien sowie Foren für Handelskammern, wissenschaftliche Institutionen und Zivilgesellschaft, aber der Eindruck, es handele sich vor allem um einen "talk shop", ist nicht unbedingt von der Hand zu weisen. Vielleicht ist aber genau das auch ausreichend, um die Existenz der BRICS zu rechtfertigen. Eine alternative Sichtweise, die weniger auf den Output der Organisation schaut als auf die ihr zugrunde liegenden Prozesse, kann zu einer positiveren Beurteilung führen. Außerdem gibt es mit der Ankündigung der Gründung einer BRICS-Entwicklungsbank erste Hinweise, dass mittelfristig auch greifbare Resultate folgen könnten. Relevanz für die Mitglieder Als gemeinsames Interesse der Mitglieder an der Institution BRICS lässt sich ihre symbolische Kraft identifizieren. Wie erwähnt, eint die BRICS-Staaten das Streben nach einer Weltordnung und internationalen Institutionen, welche die BRICS zumindest als gleichwertige Partner begreifen. Viele Politiker und Experten aus den BRICS-Staaten empfinden den Umgang mit ihnen in der internationalen Politik immer noch als "Behandlung zweiter Klasse". Dabei sind die einzelnen BRICS-Staaten in vielen Belangen bereits Teil der etablierten Ordnung: Zwei von ihnen sind Vetomächte im UN-Sicherheitsrat, und alle sind Mitglieder von IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO). Der BRICS-Zusammenschluss bietet den Mitgliedern aber darüber hinaus die Möglichkeit, ihre jeweils individuellen Verhandlungspositionen gegenüber den traditionellen Mächten zu stärken. Wenn eine Kohärenz zwischen den nationalen Interessen besteht, werden sie im BRICS-Forum koordiniert, vor allem im Vorfeld zu Treffen der G20, der UN-Vollversammlung und anderen wichtigen internationalen Foren. Obwohl es sich bei den BRICS-Staaten um Schwellenländer handelt, äußern sie den Anspruch, für den globalen Süden zu sprechen; damit sichern sie sich auch bestimmte Privilegien, die nur Entwicklungsländern zustehen – bisher war dieser Vorgang insbesondere im Rahmen des globalen Klimaregimes zu erkennen. Das BRICS-Forum erfüllt darüber hinaus für die einzelnen Staaten weitere, unterschiedliche Zwecke. Als größter Mitgliedstaat ist China zur Durchsetzung seiner Interessen am wenigsten auf die BRICS angewiesen. Allerdings kann ein "Verstecken" hinter und eine symbolisch nach außen getragene Koordination mit den anderen Ländern eine solche Durchsetzung für den Rest der Welt akzeptabler machen. Russland scheint die BRICS-Strategie so aktiv zu ergreifen, um den eigenen Abstieg zu verhindern und Chinas Dominanz zu begrenzen. Für Indien bedeutet die BRICS-Mitgliedschaft vermutlich in erster Linie eine weitere Möglichkeit, den langersehnten internationalen Respekt zu bekommen, den es für sich in Anspruch nimmt. Ähnliches gilt für Brasilien, das als moderierender Faktor zu den drei RIC-Giganten wirken kann, und für Südafrika, das mittels der BRICS einen kontinentalen und globalen Führungsanspruch demonstriert, welchen die "Mittelmacht" für sich allein nicht glaubhaft vortragen könnte. Insgesamt kann die BRICS-Gruppe als Institution also trotz aller Schwächen nicht ignoriert werden, da sie – zumindest für die Mitglieder – wichtige Funktionen erfüllt. BRICS-Entwicklungsbank: Erfolg oder schöner Schein? Im März 2013 haben die BRICS-Staaten als eines der Resultate ihres fünften Gipfeltreffens in Durban angekündigt, eine eigene Entwicklungsbank (BRICS Development Bank, BDB) als Alternative zur Weltbank zu gründen. Diese soll in den fünf Ländern sowie – potenziell – in anderen aufstrebenden Märkten in Infrastruktur und andere Projekte investieren. Eine solche Zielsetzung könnte definitiv zur Verbreiterung der Machtbasis der BRICS beitragen, denn im Bereich der Infrastruktur gibt es weltweit eine Finanzierungslücke, deren Schließung insgesamt zu einer nachhaltigeren wirtschaftlichen Entwicklung führen könnte. Die BDB könnte damit ein wichtiger Faktor in der internationalen Finanzarchitektur werden und für eine bessere Repräsentation der Schwellen- und Entwicklungsländer sorgen. Es wird bisweilen außerdem vermutet, dass die BDB als Hebel für die raschere Durchsetzung für seit Langem überfällige Reformen in der Weltbank und dem IWF wirken könnte. Im September 2013 wurden erste Vorschläge zur institutionellen Struktur und finanziellen Ausstattung der Bank angekündigt, dennoch sind viele Fragen bislang offen geblieben. So stehen zum Beispiel noch schwierige Beschlüsse aus über den Standort der Bank, ihren theoretischen Ansatz, ihr Personal und ihre Stellung in der globalen Entwicklungsarchitektur (neben anderen internationalen, aber auch neben den jeweils nationalen Entwicklungsbanken der einzelnen BRICS-Staaten). Auch ist die grundsätzliche Frage nach der Kapitalausstattung der Bank noch ungeklärt. Beispielsweise würde der momentan geplante Kapitalgrundstock von 50 Milliarden US-Dollar bei paritätischer Teilnahme aller Staaten bedeuten, dass Südafrika etwa 2,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die BDB aufwenden müsste, während China vermutlich keinerlei Probleme hätte, diesen Betrag beizusteuern. Dies weist nochmals auf die bereits angesprochene Herausforderung der Dominanz Chinas für die BRICS hin; eine zu offensichtliche Führungsrolle Chinas in der BDB wäre für die anderen Staaten vermutlich nicht akzeptabel. Bis zur Gründung der BDB, die für 2015 geplant ist, ist also in grundlegenden Punkten noch ein Konsens zu finden beziehungsweise sind entsprechende schwierige Entscheidungen zu treffen. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und politischen Differenzen innerhalb der BRICS ist daher ein gehöriges Maß an Skepsis bezüglich der tatsächlichen Implementierung des Projekts angebracht. Fazit Die Einschätzungen über die momentane und zukünftige Bedeutung der BRICS sind zweigeteilt. Die jeweiligen Lager stimmen dabei nicht ganz überraschend zum Großteil mit der geografischen Herkunft der urteilenden Beobachter überein. Vor allem in den BRICS-Staaten selbst wird die politische Institution BRICS mit sehr viel Hoffnung und sogar Enthusiasmus betrachtet, vor allem als Dialogforum zwischen aufsteigenden Mächten, denen bisher zumindest in gewissem Maße der Zugang zur "ersten Liga" der Weltpolitik durch die traditionellen Mächte verwehrt wurde. Insbesondere von europäischen und US-amerikanischen Beobachtern sind im Gegensatz dazu eher pessimistische Stimmen über die Zukunftsfähigkeit der Institution zu vernehmen. Für eine eher skeptische Haltung spricht insgesamt, dass die BRICS ihr Profil als Institution bisher nur so scharf gefasst haben, dass es ihrem individuellen Spielraum nicht im Wege steht – zum Beispiel auch beim Ausbau der Beziehungen zu den transozeanischen Partnern USA und EU. In diesem Sinne lassen sich etwa auch die gemeinsamen Erklärungen der Staaten im Anschluss an die jährlichen Gipfeltreffen verstehen: Stets sind sie auf kleinstem gemeinsamem Nenner formuliert, sodass das Risiko eines Interessenkonflikts und einer Abspaltung eines oder mehrerer Staaten minimiert wird (im Falle Syriens zum Beispiel haben sich die BRICS-Staaten zunächst darauf beschränkt, den ungefährdeten Zugang humanitärer Organisationen zum Krisengebiet zu fordern). Dass sich die kollektive wirtschaftliche Macht der Staaten nicht in direkten Einfluss in der Weltpolitik ummünzen lässt, ist auch eine Folge innenpolitischer Hürden in allen BRICS-Staaten. Zudem wird wohl auch häufig der Nutzen der BRICS für eine demokratischere Weltregierung überschätzt, die sich die Staaten dennoch gerne auf die Fahnen schreiben. Je mehr sich die Schwellenländer den Industriestaaten annähern, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, desto größer und intensiver könnte die Marginalisierung der weniger entwickelten Staaten werden. Eine optimistischere Sichtweise lässt sich rechtfertigen, wenn wir uns auf die BRICS als klare ökonomische Kategorie konzentrieren. Wie der US-amerikanische Autor Zachary Karabell schreibt, werden wir in Zukunft auf das erste Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends zurückblicken und den Aufstieg der Schwellenländer und die darauffolgende globale Machtverschiebung als zentrales Element sehen, insbesondere wenn wir das Wachstum einer signifikanten Mittelschicht in Indien und China und die Erfolge bei der Armutsbekämpfung in Asien und Afrika betrachten. Zwar mag die Möglichkeit der BRICS des direkten Transfers wirtschaftlicher Dynamik in politischen Einfluss momentan noch überschätzt werden; mittelfristig kann sich dies aber sicherlich ändern, vor allem, wenn die BRICS-Staaten die in ihren Ländern jeweils notwendigen innenpolitischen und wirtschaftlichen Reformen auf den Weg bringen. Selbst wenn man aber die Gegenwart betrachtet, kann die Institution BRICS zumindest als Teilerfolg gewertet werden. Regelmäßige Treffen, Kommunikation und Erfahrungsaustausch zwischen einigen der wichtigsten aufstrebenden Ländern ist per se positiv zu bewerten. Das BRICS-Forum zeichnet sich dabei dadurch aus, dass Brücken zwischen Regionen und Wirtschaftssystemen geschlagen werden. Mit dem Versuch einer Einschätzung zu den BRICS begibt man sich also auf unsicheres Terrain zwischen zwei sich diametral gegenüberstehenden Lagern. Realistisch ist aber wohl, dass die BRICS sehr gut als ein Forum für die "Koordinierung gewisser diplomatischer Taktiken" funktionieren. Die Institution dient der Verfolgung von Eigeninteressen in Bereichen, in denen die Differenzen der Mitglieder kleiner sind als die potenziellen Gewinne aus der Verfolgung einer gemeinsamen Strategie. In jedem anderen Fall hält die Existenz der Institution BRICS ihre Mitglieder aber auch nicht davon ab, andere Koalitionen zu schmieden und alternative Wege der Interessenverfolgung zu gehen. Im Falle des Klimaregimes etwa gibt es zwar gemeinsame Stellungnahmen der BRICS, de facto arbeiten aber Brasilien, China, Indien und Südafrika unter Ausschluss Russlands als "BASIC"-Koalition zusammen und verfolgen dort eine Agenda, die häufig der russischen widerspricht. So hängt die Zukunft des BRICS-Forums in großem Maße auch von der Verfügbarkeit anderer, möglicherweise effektiverer Institutionen ab (wie der G20, BASIC und diversen Regionalorganisationen). BRICS ist damit kein Selbstläufer. Ebenso ist von den BRICS nicht zu erwarten, dass sie als radikaler Gegenpol zu den etablierten Mächten wirken. Dennoch schafft der Aufstieg der BRICS als Einzelstaaten für die internationale Gemeinschaft die Notwendigkeit, diese Staaten besser und partnerschaftlicher in bestehende internationale Institutionen einzubinden. Dies ist vermutlich der einzige Weg, diese Institutionen auf längere Sicht hin funktional zu halten. Die BRICS werden diesen schwierigen Prozess der Adaption sicherlich als gemeinschaftliche Institution, aber auch als Einzelstaaten mitgestalten; es liegt aber sicherlich nicht in ihrem Interesse, die gegebene Weltordnung zu revolutionieren. Sargon Nissan, BRICS Without Mortar, 5.9.2013, Externer Link: http://blogs.ft.com/beyond-brics/2013/09/05/guest-post-brics-without-water (11.11.2013). Vgl. Luciana Magalhaes, China only BRIC Country Currently Worthy of the Name, 23.8.2013, Externer Link: http://blogs.wsj.com/moneybeat/2013/08/23/china-only-bric-country-currently-worthy-of-the-title-oneill/ (11.11.2013). Vgl. Nicolai Kwasniewski, Schwache Schwellenländer bremsen deutsches Exportwunder, 30.9.2013, Externer Link: http://www.spiegel.de/wirtschaft/a-924983.html (11.11.2013). Vgl. Internationaler Währungsfonds, World Economic Outlook, Washington, DC 2013, S. 41ff. Vgl. Michael A. Glosny, China and the BRICs: A Real (but Limited) Partnership in a Unipolar World, in: Polity, 42 (2010) 1, S. 100–129. Zit. nach: Arthur Stein, The Creation of Clubs: The BRIC, 11.6.2008, Externer Link: http://blog.risingbricsam.com/?p=58 (11.11.2013). Fourth BRICS Summit Delhi Declaration, 29.3.2012, Externer Link: http://www.brics.utoronto.ca/docs/120329-delhi-declaration.html (11.11.2013). Vgl. Leslie Elliott Armijo, The BRICS Countries as Analytical Category: Mirage or Insight?, in: Asian Perspective, 31 (2007) 4, S. 8f. Vgl. Standard Bank Team, Roundtable Talk on Intra-BRICS Trade, 26.3.2013, Externer Link: http://www.blog.standardbank.com/blog/2013/03/roundtable-talk-intra-brics-trade (11.11.2013). Vgl. M.A. Glosny (Anm. 5), S. 126. Vgl. ebd. (Anm. 5), S. 109. Vgl. Christian Brütsch/Mihaela Papa, Deconstructing the BRICS: Bargaining Coalition, Imagined Community or Geopolitical Fad?, CRP Working Paper 5/2012, S. 5f. Vgl. Helmut Reisen, Noch eine Entwicklungsbank: die BRICS-Bank, 13.5.2013, Externer Link: http://www.die-gdi.de/CMS-Homepage/openwebcms3.nsf/%28ynDK_contentByKey%29/MPHG-97NBTL?Open (11.11.2013). Vgl. Peter Guest, BRICS: Unfinished Business, 12.10.2013, Externer Link: http://www.emergingmarkets.org/Article/3266222/BRICS-Unfinished-business.html (11.11.2013). Vgl. C. Brütsch/M. Papa (Anm. 12), S. 10. Vgl. Miles Kahler, Rising Powers and Global Governance, in: International Affairs, 89 (2013) 4, S. 711–729. Vgl. Zachary Karabell, Our Imperial Disdain for the Emerging World, 23.8.2013, Externer Link: http://blogs.reuters.com/edgy-optimist/2013/08/23/our-imperial-disdain-for-the-emerging-world/ (11.11.2013). Joseph S. Nye, Das fehlende Bindemittel zwischen den BRICS, 3.4.2013, Externer Link: http://www.project-syndicate.org/commentary/why-brics-will-not-work-by-joseph-s--nye/german (11.11.2013).
Article
, Miriam Prys
"2022-11-02T00:00:00"
"2013-11-25T00:00:00"
"2022-11-02T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/173789/brics-realitaet-oder-rhetorik/
Von den BRICS ist nicht zu erwarten, dass sie als radikaler Gegenpol zu den etablierten Mächten wirken. Ihr Aufstieg schafft die Notwendigkeit für die internationale Gemeinschaft, sie partnerschaftlicher einzubinden.
[ "APuZ 50-51/2013", "BRIC", "BRICS", "Brasilien", "Russland", "Indien", "China", "Südafrika" ]
30,650
Wie weiter – offene Fragen und neue Positionen | Frauenbewegung | bpb.de
Viel ist erreicht, trotzdem leben Frauen in Deutschland nicht im feministischen Paradies, noch nicht einmal in einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Obwohl mehr Frauen in den politischen Parteien sogar hohe Ämter besetzen, haben sich die Lebensbedingungen für viele Frauen verschärft. Bis in die 1990er Jahre hatten sich aus den verschiedenen Initiativen der Frauenbewegung heraus Beratungsstrukturen und ein hoher Grad an Professionalisierung entwickelt. Das hatte jedoch den Nachteil, dass die konkrete Arbeit immer weniger Kraft ließ, zusätzlich noch Vernetzung voranzutreiben und politischen Druck zu erzeugen. Dabei ging und geht es den Frauenprojekten nicht nur darum, "Klientinnen zu versorgen", sondern die Verhältnisse zu ändern. Dieses Problem wird inzwischen auch als "Versozialarbeiterisierung der Bewegung" beschrieben. In Zeiten, in denen zahlreiche Frauenprojekte um ihr finanzielles Überleben kämpfen, stellt sich die Frage der Repolitisierung mit neuer Dringlichkeit, sowie die der Einbindung nachfolgender Generationen. Ausreichende Sensibilisierung und gesellschaftlichen Druck zu erzeugen, um die ehrenamtliche wie professionelle Infrastruktur der Frauenbewegung zu bewahren, bleibt eine zentrale Herausforderung. Dabei ist es nicht so leicht wie in der Vergangenheit, eine klassifizierbare Bewegung zu orten. Vielmehr sind es vielfältige Themen und Problemfelder, für die sich heutige Feministinnen engagieren. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit Mit Blick auf den EU-Gleichstellungsbericht 2007 spricht der Deutsche Frauenrat von einer "grundlegenden Diskriminierung": Verdienen Frauen in Europa durchschnittlich 15 Prozent weniger als Männer, sind es in Deutschland gut 20 Prozent. Laut ver.di sind 29,6 Prozent aller Arbeitnehmerinnen im Niedriglohnsektor tätig im Vergleich zu 12,6 Prozent der männlichen Arbeitnehmer. Die Folgen sind eine eklatante Altersarmut von Frauen, die wohl in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Darüber hinaus wird wieder das Thema Arbeitsbedingungen in den Blick genommen, auch dies ein Bereich, in dem Frauen sehr stark von Diskriminierungen betroffen sind. Erwähnt seien z. B. die CleanClothCampaign, die gegen unwürdige Arbeitsbedingungen in der Textilbranche mobilisiert, oder die gewerkschaftlichen Solidaritätsaktionen mit Verkäuferinnen, die bei verschiedenen großen Ketten diskriminierenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Die Philosophin Frigga Haug wagt den Entwurf einer anderen geschlechtergerechten Gesellschaft und fordert den 16-Stunden-Tag für alle. Das würde für Frauen wie Männer bedeuten, vier Stunden für die Lohnarbeit aufzubringen, vier Stunden für Reproduktion und Familienarbeit, vier Stunden für Bildung und Kulturarbeit sowie vier Stunden für politische Partizipation. Girls Day Noch immer wählen über 50 Prozent aller Mädchen so genannte "typische Frauenberufe" wie Arzthelferin, Friseurin, Hotelfachfrau oder Bürofachfrau – Berufe mit geringem Lohn und niedriger sozialer Anerkennung. Um Mädchen auch für andere Berufe, insbesondere in Industrie und Handwerk, zu interessieren, laden Firmen seit 2001 am vierten Aprildonnerstag Schülerinnen ab der 5. Klasse zum "Girls Day" ein. Das Konzept zeigt Erfolge, inzwischen stammen 20 Prozent aller Bewerbungen in handwerklichen Betrieben von Teilnehmerinnen des Girls Days. Der Girls'Day - Mädchen-Zukunftstag 2008 brachte einen neuen Teilnahmerekord. Seit Beginn des Aktionstags haben insgesamt etwa 800.000 Mädchen am Girls'Day teilgenommen. (© www.girls-day.de ) Insgesamt bleibt das Interesse an vermeintlich männlichen Berufsfeldern bei Mädchen jedoch eher gering, nicht zuletzt, weil sie schon früh und anders als ihre Altersgenossen über die Vereinbarkeit von Job und Familie nachdenken. In den Vorstellungen der Jungen ist "einen Beruf haben" quasi Voraussetzung dafür, später eine Familie zu gründen. Mädchen dagegen ziehen schon früh den Schluss, dass Berufstätigkeit und Familienleben miteinander in Konflikt stehen und sie diejenigen sein werden, die ihn zu lösen haben. Dieser Eindruck wird durch die moralisch aufgeladene Debatte um die vermeintlich unersetzliche Rund-um-die-Uhr-Präsenz von Müttern in den ersten Lebensjahren noch verschärft. Mehr als die Hälfte aller Eltern unterscheidet in Mädchen- und Jungenfächer. So werden – vereinfacht gesprochen – mathematische Misserfolge für Jungen gerne mit einem Formtief, bei Mädchen als quasi "natürliches Desinteresse" oder mangelnde Eignung interpretiert. Die hohe Wirksamkeit von Erwartungen seitens Eltern, Lehrenden, Gleichaltrigen und entsprechende Medienbotschaften ist hinreichend belegt. Starten Jungen und Mädchen ihre Schullaufbahn noch mit gleichen Leistungen und Potenzialen, haben sie bis zum Ende der Adoleszenz verinnerlicht, dass Sprache ein Mädchenressort, Mathe und Technik hingegen "Männersache" seien. Im Wintersemester 2007/2008 schrieben sich im Bereich der Ingenieurwissenschaften erstmals 27 Prozent weibliche Studienanfänger ein. Dabei lag in der DDR der Anteil von Studentinnen in naturwissenschaftlichen Fächern stets bei einem Viertel, in der BRD bei nicht einmal 5 Prozent. Zwei Jahre nach dem Mauerfall waren es auch im Osten nur noch 5 Prozent. In Umfragen antworteten ostdeutsche Studentinnen, sie gingen davon aus, im wiedervereinten Deutschland mit einem technisch-naturwissenschaftlichen Abschluss keinen Job zu bekommen. Von den Riot Grrrls zu den Ladyfesten Anfang der 1990er Jahre war der Begriff Feminismus wieder einmal für kurze Zeit "hip" und sprach vor allem junge Frauen an. Auslöserinnen waren die Riot Grrrls, eine Bewegung von alternativen Musikerinnen, die gegen ihren persönlichen und strukturellen Ausschluss aus der Pop- und Subkulturproduktion vorgingen. Damit stellten sie zum ersten Mal das Lebensgefühl von jungen Frauen in den Fokus öffentlichen Interesses. Das Manifest der Riot-Grrrl-Bewegung stammte von den feministischen Bands Bratmobile und Bikini Kill. Das zweiseitige Papier wandte sich "gegen den Seelentod". Ihm voraus ging das Verstummen von Mädchen in der Pubertät. Mädchen verstummen, so Carol Gilligan, weil das, was sie denken und fühlen, nicht gesagt werden darf. Der "Seelentod" setze ein, wenn das Ungesagte auch nicht länger gefühlt und gedacht wird. Der enorme Druck, sich anzupassen und der Norm vom "perfekten Mädchen" zu genügen, vermittele sich nach Gilligan gerade auch in klassischen Mädchenfreundschaften. Copyright: Bikini Kill Die Gegenstrategien der Riot Grrrls bestanden darin, Mädchenfreundschaften neu zu denken und Stereotype zurückzuspiegeln und dadurch zu entlarven. So schrieb sich Kathleen Hanna von der Band Bikini Kill "Fotze" auf den Bauch, als Solidaritätsbekundung mit den anderen Frauen im Musikbusiness, die allgemein als Fotzen abgewertet werden, und um gleichzeitig die vulgäre Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan zurückzuerobern. Darüber hinaus ging es auch darum, zu wagen, genauso wie "die Jungs" drei Akkorde zu lernen und auf die Bühne zu gehen. Bis dahin mussten Frauen im Rockbusiness nach wie vor eine "schöne" Stimme haben, um singen zu dürfen, was perfiderweise jedoch gleichzeitig als Bravheit und fehlende Kraft bemängelt wurde. Das überwältigende Bedürfnis danach, die eigene sexuelle wie kreative Tat-Kraft positiv bejaht zu hören, machte einen großen Teil der musikalischen und literarischen Anziehungskraft der Riot Grrrls aus. Nicht zufällig ist die am häufigsten zitierte Textzeile der von Liz Phair gesungene Satz: "I fuck you till your dick is blue" (Auf ihrem ersten Album "Exile in Guyville"). In den USA beziehen sich die so genannten fourth-wave-Feministinnen auf diese aktive und zum Teil aggressive Sexualität und grenzen sich damit teilweise von den second-wave-Feministinnen ab, die sich bis in die 1990er Jahren noch dafür einsetzen mussten, dass die Vergewaltigung in der Ehe überhaupt als Straftat anerkannt wurde. Als Folge des Riot-Grrrl-Hypes wurde das Feld der Popkultur als subversive kulturelle Praxis erschlossen. In Deutschland stehen für diese Spielart der feministischen Praxis Journalistinnen wie Kerstin Grether und Sonja Eismann. Da die Grrrls unmittelbar vom Mainstream vereinnahmt und auf den Aspekt des Girlie reduziert wurden, musste ein neuer Begriff her, wie beispielsweise die Lady. Sie unterscheidet sich allerdings sehr von der klassischen Oberklassendame mit klarer Geschlechteridentität, und bezieht stattdessen bewusst queere und transgender-Identitäten mit ein. Lady steht für Souveränität, Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Seit 2000 finden weltweit Ladyfeste statt, die die subkulturellen Strategien der Riot-Grrrl- und Do-It-Yourself-Bewegung aufgreifen. Da diese Veranstaltungen stets selbstorganisiert, dezentral und nichtkommerziell sind, unterscheiden sie sich gewaltig in ihrer Schwerpunktsetzung und Ausgestaltung. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie der Unterrepräsentation von Frauen in der Popkulturproduktion entgegentreten und Geschlechteridentitäten hinterfragen. Zum Programm gehören neben Vorträgen, beispielsweise über Judith Butler, und Konzerten von Frauenbands vor allem Workshops, um Wissen weiterzugeben und Fähigkeiten zu entwickeln. Hoher Beliebtheit erfreuen sich Drag-King-Workshops, in denen Frauen kulturelle Männlichkeitscodes entlarven, imitieren und parodieren und somit die Geschlechtergrenzen mit dem eigenen Leib überschreiten. In diesem Rahmen ist das Interesse an feministischen Pornos (Ja oder nein? Und wenn ja, dann wie?) gestiegen. Auch rücken die "radical Handcraft"-Workshops ins Zentrum des Interesses – also Nähen, Sticken, Stricken –, Tätigkeiten, die man eher mit Großmüttern denn mit Ladys verbindet. Ziel ist es, gegen kommerzielle Multis zu produzieren – Anti-Sweatshop sozusagen – und in Größen, die echten Frauen passen und nicht nur Models. Third-Wave-Feminismus In der BRD ist spätestens seit 2005 die dritte Welle des Feminismus angekommen, hier interpretiert als die Wiederentdeckung des Feminismus von "neuen deutschen" und "Alphamädchen" – so zwei Buchtitel zum Thema. Junge Frauen aus der vermeintlichen "Es ist doch alles erreicht"-Generation erklären, dass es nach wie vor strukturelle Unterdrückung gebe und es zwar wichtig sei, biologische Identitäten in Frage zu stellen, die politische Identität Frau jedoch verteidigt werden müsse. Feministinnen wie Charlotte Roche dagegen entwerfen in ihren Büchern provokativ Protagonistinnen, die zu Prostituierten gehen, und erkunden den weiblichen Körper so explizit wie nie zuvor. Politisiert wurden und werden sie u. a. durch die "gläserne Decke", die Frauen mit Aufstiegsambitionen noch immer von höheren Positionen trennt, und die Einschränkungen, denen sie hierzulande ausgesetzt sind, sobald sie Mütter werden. Der eigentliche third-wave-Feminismus wurde von farbigen Feministinnen wie bell hooks, Audre Lourde, Gloria Anzaldua, Maxine Hong Kingston und Trinh T. Minh-ha initiiert, die kritisierten, dass die zweite Welle eine Bewegung weißer Mittelschichtsfrauen sei und Rassismus außer Acht lasse. Unter dem Slogan "Müssen wir alle Frauen Schwester nennen?" bestanden sie darauf, nicht alle Frauen über einen Kamm zu scheren. Die Auseinandersetzung mit Rassismus – dem fremden wie dem eigenen – hat auch in Deutschland neue Relevanz erfahren. Die Hälfte des Kuchens oder eine andere Welt? Im November 2005 erlangte Angela Merkel das Amt der Bundeskanzlerin und setzte damit auch in Deutschland ein deutliches Signal: Bis in die höchsten Ämter hinein bleiben Männer nun nicht mehr länger unter sich, Frauen fordern lautstark ihren Anteil an Macht, Einfluss und Repräsentation. Insbesondere die bürgerliche Frauenbewegung sah belegt, dass von nun an alles möglich sei und begrüßte die Kanzlerin als neues Rollenmodell. Andere kritisierten diesen so genannten "Karrierefeminismus", der suggeriere, der Damm sei gebrochen und jede könne es bis in die Machtzentren schaffen, wenn sie nur hart genug (an sich) arbeite. Dabei sei Angela Merkel eine Ausnahme, die eben nicht die Regel bestätige. Die Frage ist: Wollen wir "die Hälfte vom verschimmelten Kuchen"[1] oder streiten wir lieber für eine andere Welt, in der die patriarchalen Spielregeln selbst außer Kraft gesetzt sind? [1] Gisela Notz: Zur politischen Teilhabe der Frauen in der Bundesrepublik. In: George Sand und Luise Otto-Peters. Wegbereiterinnen der Frauenemanzipation. Leipzig 2005, S. 229. Der Girls'Day - Mädchen-Zukunftstag 2008 brachte einen neuen Teilnahmerekord. Seit Beginn des Aktionstags haben insgesamt etwa 800.000 Mädchen am Girls'Day teilgenommen. (© www.girls-day.de ) Copyright: Bikini Kill Quellen / Literatur Jana Hensel, Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen. Reinbek bei Hamburg 2008. Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl: Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht. Hamburg 2008. Charlotte Roche: Feuchtgebiete. Köln 2008. Jana Hensel, Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen. Reinbek bei Hamburg 2008. Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl: Wir Alphamädchen – Warum Feminismus das Leben schöner macht. Hamburg 2008. Charlotte Roche: Feuchtgebiete. Köln 2008.
Article
Mithu Sanyal
"2021-12-09T00:00:00"
"2011-10-12T00:00:00"
"2021-12-09T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/35301/wie-weiter-offene-fragen-und-neue-positionen/
Und heute? Frauen leben nach wie vor nicht in einem feministischen Paradies. Viel bleibt noch zu tun. Was macht die Frauenbewegung heute? Wo ist sie und was wird diskutiert?
[ "Frauenbewegung", "Gleichberechtigung", "Emanzipation", "Feminismus", "Arbeit" ]
30,651
Entgrenzungsdynamiken: Geschlechterverhältnisse im Umbruch | Mannsbilder | bpb.de
Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist wie andere Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten von einem sich ständig beschleunigenden sozialen Wandel geprägt. Globalisierung, Digitalisierung, neoliberale Umstrukturierung der Erwerbsarbeit und die Umbrüche in den Geschlechterverhältnissen sind die zentralen Dynamiken in diesem Prozess. In der Soziologie wird dies unter dem Stichwort der "Entgrenzung“ diskutiert; vormals feste Grenzen werden flexibel. Wann die Berufsarbeit endet und die Freizeit beginnt, ist heute für eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr klar zu bestimmen. Auch die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verschwimmen zusehends, desgleichen die zwischen den Lebensphasen. Insofern ist die Entgrenzungsdynamik in den Geschlechterverhältnissen kein isoliertes Phänomen, wohl aber eines, das in erheblichem Maße zum gesellschaftlichen Wandel beiträgt. In einer, historisch betrachtet, kurzen Zeitspanne von vier Jahrzehnten haben sich weitreichende Veränderungen der Beziehungen zwischen Männern und Frauen ereignet. Wäre man in den 1970er Jahren bei einer Verkehrskontrolle von einer Polizistin aufgefordert worden, den Führerschein zu zeigen, hätte dies Erstaunen, wenn nicht gar Irritation ausgelöst; heute sind gemischte Streifen die Regel. Während bis in die 1970er Jahre Vätern der Zutritt zum Kreißsaal in der Regel verwehrt wurde, sind heute rund 90 Prozent der Väter bei der Geburt des Kindes anwesend. Nicht ihre Anwesenheit, sondern die Abwesenheit ist heute begründungsbedürftig. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, die darauf hinweisen, dass tradierte Grenzen zwischen den Geschlechtern aufbrechen, dass sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich Sphären, die vormals mehr oder minder entweder Männern oder Frauen vorbehalten waren, ihren geschlechtlich exklusiven Charakter verloren haben. Ein gravierender Wandel ist bei den Einstellungen zu konstatieren. In den zurückliegenden 30 Jahren haben egalitäre Werthaltungen deutlich zugenommen: 1982 lag der Anteil derjenigen, die egalitären Äußerungen zur Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zustimmen, in der Bundesrepublik Deutschland bei 32 Prozent, 2008 betrug er in den westlichen Bundesländern 69 Prozent und in den östlichen 88 Prozent. Hinsichtlich der Erwerbstätigkeit von Frauen sieht die Entwicklung ähnlich aus: 1982 betrug die Zustimmungsrate im Westen 29 Prozent, 2008 waren es 66 Prozent beziehungsweise 92 Prozent im Osten. In ihrer Einstellung zur Rollenverteilung unterscheiden sich Männer und Frauen nur geringfügig: Der Anteil der Männer mit einer egalitären Einstellung ist 2008 im Westen und Osten um jeweils drei Prozent niedriger als der der Frauen. Bei der Frage einer Erwerbstätigkeit der Frau sind die westdeutschen Männer allerdings deutlich weniger egalitär eingestellt als die Frauen; die Differenz beträgt neun Prozent, im Osten hingegen nur zwei Prozent. Gleichwohl hat Geschlecht wenig an Gewicht als ein zentrales Ordnungsmerkmal verloren. Mit der Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Geschlecht sind immer noch unterschiedliche gesellschaftliche Teilhabechancen verbunden. Die Entwicklungsdynamik der Geschlechterverhältnisse ist von einer eigentümlichen Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Veränderung gekennzeichnet. Dies soll im Folgenden auf der Basis aktueller Daten und Studien differenziert nach verschiedenen Handlungsfeldern dargestellt werden. Erwerbsbeteiligung Die Entwicklungen im Erwerbsleben verlaufen unterschiedlich. Zunächst lässt sich ein stetiger Anstieg der Beschäftigungsquote von Frauen feststellen. Im Zeitraum von 1999 bis 2009 ist sie im Westen Deutschlands von 61 auf 70 und im Osten von 58 auf 68 Prozent angestiegen. Die Beschäftigungsquote der Männer hat sich im gleichen Zeitraum nur geringfügig verändert. Das Ausmaß der Veränderung wird deutlich, wenn man die Differenz zwischen Männer- und Frauenquote betrachtet: Sie ist im Westen von 20 auf elf Prozent und im Osten von 16 auf sieben Prozent gesunken. Dies deutet auf eine tendenzielle Angleichung der Beschäftigungsquoten hin. Diese Entwicklung ist bei den 16- bis 34-Jährigen noch stärker ausgeprägt, allerdings nur im Westen. Hier lag die Differenz der Beschäftigungsquoten 1999 bei 18 Prozent, 2009 betrug sie nur noch drei Prozent. Im Osten ist sie in dieser Altersgruppe von 19 auf zehn Prozent gesunken. Der Anstieg der Beschäftigungsquote der Frauen bedeutet jedoch nicht, und dies gilt vor allem für den Westen, dass sich die Arbeitsvolumina gleichfalls angeglichen haben. 34 Prozent der Frauen im Westen und 27 Prozent im Osten arbeiten in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen oder sind geringfügig beschäftigt, hingegen jeweils nur sechs Prozent der Männer. Der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung bei erwerbstätigen Frauen hängt in großem Maße mit der gerade im Westen gegebenen Unterversorgung mit Kindertagesstätten und -horten zusammen und damit, dass in Deutschland mehr als in anderen europäischen Ländern die Kinderbetreuung als Aufgabe der Mutter gesehen wird. Die höhere Teilzeitquote bei den Frauen ist ein Grund für die sogenannte Gender Pay Gap, den Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen. Er betrug 2010 23 Prozent. In der Europäischen Union gehört Deutschland zu den Ländern, in denen dieser Unterschied am stärksten ausgeprägt ist. Gegen die Berechnung des Gender Pay Gap wird häufig eingewendet, sie vergleiche Unvergleichbares, unterscheide nicht nach Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung und berücksichtige nicht, dass Männer und Frauen oft über unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen und Berufserfahrungen verfügen. Bei Berücksichtigung dieser und weiterer Faktoren bleibt allerdings noch immer eine Differenz von acht Prozent. Zudem ist der Umstand, dass Frauen häufig in Teilzeit arbeiten und dass sie im Schnitt über weniger Jahre an Berufserfahrung verfügen als Männer, selbst eine Folge der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die den Frauen immer noch die (Haupt-)Verantwortung für Kinderbetreuung und Haushalt zuweist. Eine moderate Umkehrung der jahrzehntelangen Geschlechterrelation ist in der Arbeitslosenstatistik festzustellen. Seit 2000 ist die Arbeitslosenrate der Frauen in den meisten Jahren geringer als die der Männer. Dies hängt mit Verschiebungen zwischen dem sekundären und dem tertiären Sektor zusammen: Im Zuge des Übergangs von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft wird die Zahl der Industriearbeitsplätze, die traditionell überwiegend von Männern eingenommen werden, geringer, während neue Arbeitsplätze in größerer Anzahl vorwiegend in den Dienstleistungsberufen entstehen, in denen Frauen überwiegend tätig sind. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei vielen Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor um Teilzeitstellen oder Minijobs handelt und dass das Lohnniveau gerade in den von Frauen typischerweise gewählten Berufen oft sehr gering ist. Auch melden sich viele aus dem Erwerbsleben ausscheidende Frauen nicht arbeitslos. Berufsfelder und Berufspositionen Viele Berufe haben ihren vormaligen geschlechtsexklusiven Charakter verloren. Das trifft weitaus mehr auf klassische Männerberufe als auf Frauenberufe zu. In der Polizei etwa liegt der Frauenanteil je nach Bundesland zwischen 14 und 20 Prozent. Seitdem die Bundeswehr durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gezwungen wurde, Frauen auch zum Dienst an der Waffe zuzulassen, ist der Anteil von Soldatinnen stetig gestiegen. Er lag Anfang 2012 insgesamt bei 9,7 Prozent, in den kämpfenden Einheiten (Heer, Luftwaffe und Marine) bei 5,8 Prozent. Solche in der öffentlichen Wahrnehmung präsenten Entwicklungen sollten aber nicht dazu verleiten, außer Acht zu lassen, dass der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin sehr stark geschlechtlich segregiert ist. Die Entwicklungen sind zudem nicht einheitlich, zum Teil auch gegenläufig. Der "Eroberung“ mancher Männerberufe durch Frauen steht eine zunehmende "Feminisierung“ einiger Frauenberufe gegenüber. So ist der Anteil der Frauen im Grundschullehramt, der immer schon sehr hoch war, in den vergangenen 15 Jahren noch einmal angestiegen, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel von 86 Prozent 1996 auf 90 Prozent im Jahr 2008. Auch haben die Polizei und das Militär durch den gestiegenen Frauenanteil nicht ihren Charakter als männlich konnotierte Organisationen verloren. Frauen unterliegen in männlich dominierten Berufsfeldern einem hohen Druck, one of the boys zu werden. Sie müssen sich bemühen, ihre Weiblichkeit nicht zu akzentuieren und so ihre "Andersartigkeit“ zu verbergen. Die wenigen Studien über Männer in Frauenberufen zeigen, dass sie offensichtlich mit einer anderen Strategie erfolgreich sind: ihre Männlichkeit zu akzentuieren und damit die "Andersartigkeit“ sichtbar zu machen. Ähnliche gegenläufige Tendenzen zeigen sich auch bei den Berufswahlentscheidungen. Auf der einen Seite haben manche Ausbildungsberufe einen "Geschlechtswechsel“ zu verzeichnen – so lag etwa der Frauenanteil unter den Auszubildenden im Konditoreiberuf 1977 bei 19,4 Prozent, 2008 hingegen bei 63,6 Prozent –, auf der anderen Seite ist das Spektrum der von Frauen realisierten Berufswahlen nach wie vor deutlich geringer als das der Männer. Bei den Frauen machten 2010 die 25 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe 75,9 Prozent der Wahlen aus, bei den Männern betrug der entsprechende Wert 59,8 Prozent. Zudem zeigt sich in der Wahl der Berufe eine weithin ungebrochene Geschlechtstypik: Die jungen Frauen wählen in hohem Maße Berufe im Dienstleistungssektor, die jungen Männer technische Berufe. Der am häufigsten gewählte Beruf ist bei den Frauen Verkäuferin, bei den Männern Kraftfahrzeugmechatroniker. Wenig aufgebrochen ist die vertikale Segregation in den Organisationen. Mit steigender Hierarchieebene sinkt der Frauenanteil. Führungspositionen sind trotz vielfältiger Forderungen aus der Politik und der Wirtschaft, mehr Frauen in solche Positionen zu bringen, nach wie vor weitestgehend mit Männern besetzt. Der Frauenanteil in Führungspositionen in der Privatwirtschaft lag 2008 bei 27 Prozent. Unter den Angestellten mit umfassenden Führungsaufgaben befanden sich 17 Prozent Frauen. In den Top-200-Unternehmen betrug der Frauenanteil unter den Vorstandsmitgliedern 2,5 Prozent, in den Top-100-Unternehmen lag er unter einem Prozent. Im öffentlichen Dienst stellt sich die Geschlechterrelation hingegen günstiger für die Frauen dar; hier lag der Frauenanteil in Führungspositionen bei den Angestellten bei 48 Prozent und unter der Beamtenschaft bei 35 Prozent. Die männliche Dominanz in Führungspositionen insbesondere in der Privatwirtschaft begünstigt, dass Erwartungen an Führungskräfte am typisch männlichen Lebenslauf orientiert sind. Leitbild der Organisationskultur ist in den meisten Unternehmen ein Mitarbeiter, dessen Leben um die Berufsarbeit und die berufliche Karriere zentriert ist, der alle anderen Lebensbereiche dem beruflichen unterordnet und prinzipiell immer verfügbar ist. Dieser Typus hat in der jüngeren Zeit, im Zeichen verstärkter Deregulierung und verschärfter Konkurrenz um Arbeitsplätze, an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der weithin ungebrochenen Zuständigkeit der Frauen für die Kinderbetreuung beeinträchtigt dies die Karrierechancen insbesondere von Frauen mit Kindern. Während die männliche Dominanz in Führungspositionen weiterhin auffällig ist, erfährt das Feld der Erwerbsarbeit in jüngerer Zeit in anderer Hinsicht Umbrüche, deren Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis bereits in Ansätzen sichtbar sind. Infolge der zunehmenden Flexibilisierung der Märkte und der gesetzlichen Deregulierungen des Arbeitsmarktes löst sich das sogenannte Normalarbeitsverhältnis auf, das durch eine weitgehende Arbeitsplatzkontinuität und soziale Sicherung geprägt ist. Eine diskontinuierliche Erwerbsbiografie, ein häufiger Wechsel zwischen Phasen der Vollbeschäftigung, Arbeitslosigkeit, Teilzeitbeschäftigung und Minijobs, wird für immer mehr Beschäftigte zu einem realistischen Szenario. Ein großer Teil typischer Frauenarbeitsplätze war immer schon mehr oder weniger von diesen Bedingungen gekennzeichnet. Neu ist, dass dies eine geschlechterübergreifende Normalität zu werden beginnt, die in wachsendem Maße auch die Erwerbslage von Männern kennzeichnet. Um die Bedeutung dessen zu ermessen, muss man berücksichtigen, in welch hohem Maße männliche Hegemonie und männliche Geschlechtsidentität auf einer festen Verankerung in einem Beruf beruhen. Klaus Dörre hat in einer Studie über Leiharbeiter in der Automobilindustrie gezeigt, dass die von ihm untersuchten qualifizierten Facharbeiter ihre unterwertige Beschäftigung als eine Verunsicherung ihrer männlichen Identität erfahren. Sie fühlen sich in ihrem männlich geprägten Arbeitsethos entwertet. Mit dem Strukturwandel der Erwerbsarbeit ist eine zentrale Basis traditioneller Männlichkeit und männlicher Dominanz gefährdet. Bildung Erhebliche Veränderungen der Geschlechterrelation kennzeichnen die Entwicklungen im Bildungssystem. Im Schuljahr 1960/1961 betrug der Jungenanteil im Gymnasium 60 Prozent, der Mädchenanteil 40 Prozent, bis zum Schuljahr 2008/2009 war der Jungenanteil auf 47 Prozent gesunken, der der Mädchen auf 53 Prozent gestiegen. Die Hauptschule hat sich im gleichen Zeitraum von einer Schulform mit ausgeglichener Geschlechterrelation zu einer mehr von Jungen (55,5 Prozent) als von Mädchen (44,5 Prozent) besuchten Schule entwickelt. In den PISA-Studien zum Leistungsstand von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern sind die Leseleistungen der Mädchen erheblich besser als die der Jungen, während in Mathematik und in den Naturwissenschaften die Jungen ein höheres Leistungsniveau aufweisen, allerdings nicht im gleichen Maße wie die Mädchen beim Lesen. Die PISA-Studie 2006 ergab eine im Mittel um 42 Leistungspunkte höhere Lesekompetenz der Mädchen (517 gegenüber 475) und eine um 19 Punkte höhere Kompetenz in Mathematik sowie eine um sieben Punkte höhere Kompetenz in Naturwissenschaften bei den Jungen. Diese Daten sowie der Umstand, dass die Schülerinnen im Durchschnitt die Schule mit besseren Noten abschließen als die Schüler, haben eine Diskussion über eine vermeintliche Bildungsbenachteiligung der Jungen ausgelöst. In diesem Zusammenhang wird die "Feminisierung“ des Lehramts, insbesondere in der Grundschule, als ein Grund hierfür angeführt, also der Umstand, dass Schülerinnen und Schüler überwiegend und in der Grundschule nahezu ausschließlich von Frauen unterrichtet werden. Allerdings ist der Unterschied in den Leseleistungen zwischen Jungen und Mädchen am Ende der Grundschule nur gering ausgeprägt. Er wird größer in den weiterführenden Schulen, in denen deutlich mehr Männer unterrichten (in den Gymnasien sind knapp 50 Prozent der Lehrkräfte männlich). Zudem zeigt ein historischer Rückblick, dass auch in den 1950er und 1960er Jahren, als mit Ausnahme des Primarbereichs das Lehramt nicht "feminisiert“ war, die Mädchen im Schnitt bessere Noten als die Jungen hatten. Das schlechtere Bildungsniveau der Jungen wird augenscheinlich dann zu einem Problem, wenn eine wachsende Zahl von männlichen Hauptschulabsolventen wegen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt keinen Ausbildungsplatz mehr findet. Hinsichtlich der Frage nach einer möglichen Bildungsbenachteiligung der Jungen ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass es sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen eine erhebliche Streuung der Leistungswerte gibt. Zwar sind die Jungen mit ihren Leseleistungen in der PISA-Studie 2009 auf den unteren Kompetenzstufen stärker vertreten als die Mädchen und umgekehrt die Mädchen auf den oberen stärker als die Jungen, doch ist der Anteil von Jungen und Mädchen auf der mittleren, am häufigsten besetzten Kompetenzstufe nahezu gleich. Weder Jungen noch Mädchen sind eine einheitliche Gruppe, eine generelle Bildungsbenachteiligung von Jungen ist nicht gegeben. Die größten Unterschiede finden sich nicht zwischen Jungen und Mädchen, sondern zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund und aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass junge Frauen heute im Schnitt mit besseren Bildungsabschlüssen in die Berufswelt gehen als junge Männer. Bislang hat sich dieses Bildungskapital allerdings nicht in entsprechende Vorteile bei Berufskarrieren umsetzen lassen. Dies liegt vor allem daran, dass die Mehrzahl der Frauen bei der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit reduziert oder für einige Jahre unterbricht, was nahezu zwangsläufig einen Karriereknick zur Folge hat. Familie Trotz gestiegener Erwerbsquote der Frauen und eines gesellschaftlichen Diskurses, der der Figur des männlichen Familienernährers ihre vormalige fraglose Gültigkeit entzogen hat, sind in der Mehrzahl der deutschen Paarhaushalte die Männer weiterhin in der Position des Allein- oder Haupternährers. Daten des Sozio-oekonomischen Panels zufolge war dies 2007 in 64,3 Prozent der Haushalte der Fall, wobei es allerdings deutliche Ost-West-Unterschiede gibt. In Ostdeutschland betrug der Wert nur 45,1 Prozent, in Westdeutschland hingegen 68,8 Prozent. Eine egalitäre Einkommenserwirtschaftung fand in 28,1 Prozent der Haushalte statt (43,7 Prozent im Osten, 24,4 Prozent im Westen), die Frau in der Position der Familienernährerin gab es in 7,6 Prozent der Haushalte (11,2 Prozent im Osten, 6,8 Prozent im Westen). Letztere Konstellation ist in den meisten Fällen jedoch nicht Ausdruck einer entsprechenden Absicht, sondern durch eine ungewollte Arbeitslosigkeit oder ein sehr geringes Einkommen des Mannes bedingt. Untersuchungen, die danach fragen, welche Bedeutung die Befragten verschiedenen Lebensbereichen zumessen, zeigen, dass jungen Männern und Frauen Beruf und Familie nahezu gleichermaßen wichtig sind. Der Beruf rangiert ein wenig höher als die Familie, für Männer wie für Frauen. Jungen Männern sind Familie und Kinder nur um ein Geringes weniger wichtig als jungen Frauen. Das heißt jedoch nicht, dass es eine große Bereitschaft unter Männern gibt, berufliche Belange zugunsten familiärer zurückzustellen. Zwar sagten in einer Befragung nahezu 95 Prozent der Männer sowohl, es sei Aufgabe des Vaters, das Familieneinkommen zu sichern, als auch, es sei seine Aufgabe, Zeit für die Kinder zu haben, doch sind nur 43 Prozent bereit, dafür Einbußen bei der eigenen Karriere in Kauf zu nehmen. Wie eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeigt, erhöhen Männer die für Erwerbsarbeit aufgewendete Zeit, wenn sie Vater werden. 56 Prozent der kinderlosen Männer arbeiten 36 Stunden pro Woche und mehr. Dieser Wert steigt auf 75 Prozent nach der Geburt des ersten Kindes und auf 82 Prozent mit einem zweiten Kind. Aus weiteren Studien ist bekannt, dass die Partnerschaften junger Paare ohne Kind zwar nicht völlig egalitär sind, dass aber die Männer an der Hausarbeit in nicht geringem Maße beteiligt sind. Mit der Geburt des ersten Kindes setzt ein Prozess der Retraditionalisierung ein. Hausarbeit und Kinderbetreuung werden mehr und mehr zur Aufgabe der Frauen. Väter wenden weniger Zeit für Haus- und Familienarbeit auf als kinderlose Männer (187 gegenüber 211 Minuten pro Tag). Gemäß den Daten des European Social Survey gehört Deutschland zu den europäischen Ländern mit der geringsten Kooperationsrate der Männer bei Haushaltstätigkeiten. In den Familien besteht eine hohe Diskrepanz zwischen dem von beiden Partnern präferierten und dem tatsächlich praktizierten Arrangement. Obwohl diese Daten auf die Persistenz, die Hartnäckigkeit der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung hinweisen, lässt sich daraus nicht schließen, in den privaten Geschlechterbeziehungen habe es keine Veränderungen gegeben. Mit der Funktion des Ernährers ist nicht mehr ein selbstverständlicher Anspruch auf die Position des Familienoberhaupts verknüpft. Des Weiteren wollen zwar die meisten Männer die Ernährerfunktion als Teil ihres Vaterschaftskonzeptes bewahren, betrachten sie aber nicht als die "Essenz“ von Vaterschaft. Vaterschaft erschöpft sich nicht mehr in einem Engagement für die Familie. Die von Vätern für Kinderbetreuung aufgewendete Zeit hat sich in einem Zeitraum von 20 Jahren (1985 bis 2004) erhöht, allerdings in beträchtlichem Maße nur am Sonntag (von 4,4 auf 5,7 Stunden bei den westdeutschen Vätern), während der Wert für die Wochentage nur leicht (von 2,3 auf 2,7 Stunden) gestiegen ist. Ein Engagement des Vaters in der Familie bedeutet nicht zwangsläufig eine zeitliche Entlastung der Mutter. Eine australische Studie zur familialen Zeitverwendung von Vätern und Müttern hat ergeben, dass Väter deutlich weniger Zeit mit ihren Kindern allein verbringen als Mütter. In 92 Prozent der Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, sind auch die Mütter anwesend. Der entsprechende Wert für die Mütter beträgt 71 Prozent. Fazit Mit der Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Geschlecht sind immer noch unterschiedliche Teilhabechancen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen verbunden. Diese sind, wie die Entwicklungen im Bildungssystem zeigen, nicht mehr durchgängig zu Lasten der Frauen verteilt. Im Erwerbsleben und in der Familie reproduzieren sich hingegen – und dies oft gegen die Intentionen von Frauen und Männern – in hohem Maße tradierte Strukturen. In der Politik, auf die hier nicht detailliert eingegangen wurde, stellen sich die Verhältnisse offener dar. Dies ist nicht nur daran zu sehen, dass Deutschland seit nunmehr sieben Jahren von einer Frau regiert wird. Allerdings darf die symbolische Wirkung einer vermehrten Präsenz von Frauen in Spitzenpositionen der Politik in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Der Wandel der Geschlechterverhältnisse im politischen Feld zeigt sich neben der stärkeren Präsenz von Frauen in Bundes- und Landesregierungen in dem Anstieg der Zahl weiblicher Abgeordneter in den Parlamenten und den Parteigremien. Im Deutschen Bundestag etwa lag der Frauenanteil bis Mitte der 1980er Jahre unter zehn Prozent, danach stieg er bis Ende der 1990er Jahre auf 30 Prozent an. Seitdem pendelt er zwischen diesem Wert und 33 Prozent. In den Spitzengremien der im Bundestag vertretenen Parteien liegt der Frauenanteil zwischen 25 (FDP) und 50 Prozent (Bündnis 90/Grüne und Linke). Der männerbündische Charakter, der für das politische Feld lange Zeit gleichermaßen wie für die Wirtschaft charakteristisch war, ist in der Politik ein Stück weit aufgebrochen worden. Resümiert man die zuvor referierten Befunde, so zeigt sich, dass die Veränderungsdynamik der Geschlechterverhältnisse von einer Parallelität von Kontinuität und Wandel geprägt ist. Festzuhalten ist, dass als Folge der erheblichen Veränderungen im Wertesystem die gesellschaftliche Dominanz des männlichen Geschlechts nicht mehr fraglos gegeben ist. Sie ist zwar in vielen Bereichen weiterhin präsent, allerdings setzt sich "die männliche Herrschaft nicht mehr mit der Evidenz des Selbstverständlichen“ durch, sondern muss in wachsendem Maße begründet und legitimiert werden. Die Entwicklung verläuft in den verschiedenen Bereichen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und auch nicht immer in die gleiche Richtung. Insbesondere lässt sich eine Ungleichzeitigkeit im Vergleich von beruflicher und privater Sphäre feststellen. Einer fortschreitenden Entgrenzung in der Sphäre des Berufs (wachsende Inklusion der Frauen in die Erwerbsarbeit, tendenzielle Auflösung der Unterscheidung von sogenannten Männer- und Frauenberufen) steht eine hartnäckige Kontinuität tradierter Aufgabenverteilungen in Partnerschaft und Familie gegenüber. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass sich, wie bei mehreren Punkten deutlich wurde, die Verhältnisse in den östlichen und den westlichen Bundesländern zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Als Folge der Unterschiede der Gesellschaftssysteme zwischen 1945 und 1990 stehen die Geschlechterverhältnisse in den östlichen Bundesländern in einer anderen gesellschaftlichen Tradition als in den westlichen. Dies betrifft insbesondere die Figur des männlichen Familienernährers, die es in der DDR, in der die Vollerwerbstätigkeit beider Partner die Regel war, faktisch nicht gab. Daraus resultierten zwar keine vollkommen gleichberechtigten Geschlechterverhältnisse, wohl aber in Teilen stärker egalitäre Arrangements als im Westen. Diese haben sich in abgeschwächter Form bis heute gehalten, was sich unter anderem in deutlich egalitäreren Werthaltungen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit von Frauen und der weitaus größeren Verbreitung einer egalitären Einkommenserwirtschaftung bei ostdeutschen Paaren zeigt. Wenn mit Blick auf die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse von einer Enttraditionalisierung gesprochen wird, dann ist das aus westlicher Perspektive formuliert und verkennt bisweilen, dass in manchen Dimensionen das, was sich im Westen herauszubilden beginnt, im Osten bereits über eine längere Tradition verfügt. Vgl. Statistisches Bundesamt/WZB/SOEP (Hrsg.), Datenreport 2011, Bonn 2011, Bd. 2, S. 394f. Dies wird, wenn man einen längeren Zeitraum in den Blick nimmt, noch deutlicher: 1972 lag die Differenz in Westdeutschland einschließlich Berlin noch bei über 40 Prozent. Vgl. Kathrin Dressel/Susanne Wanger, Erwerbsarbeit: Zur Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in: Ruth Becker/Beate Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden 20103, S. 490. Vgl. Datenreport 2011 (Anm. 1), S. 110f. Vgl. ebd., S. 122f. Vgl. Eurostat, Europe in Figures. Eurostat Yearbook 2011, Luxembourg 2011, S. 256. Vgl. Datenreport 2011 (Anm. 1), S. 123. Vgl. ebd., S. 106. Vgl. Deutsche Polizeigewerkschaft, 25.8.2009, online: Externer Link: www.dpolg.de/upload/pdf/FrauenanteilimPolizeidienst.pdf (11.9.2012). Eigene Berechnung, Quelle: Bundeswehr, Normalität: Frauen in der Bundeswehr, 10.1.2012, online: Externer Link: www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/FcwxDoAgDADAH9HdzVcoLqTYQhqhmgryfTW3H2zwUXwkY5NTscAKfpcpDhcHsbubsbTDkFNjl60rFcysLhl21iAaiC3EAcs_lQyeGK5a5xd9LVrg/ (11.9.2012). Vgl. Britta Matthes/Wolfgang Biersack, Frauenberufe Männerberufe. Karten neu gemischt, in: IAB-Forum, (2009) 1. Vgl. Gerd Große-Venhaus, Der Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen wird weiblicher, in: Statistische Analysen und Studien Nordrhein-Westfalen, Bd. 65, Düsseldorf 2010, S. 16–18. Vgl. Maja Apelt/Cordula Dittmer, "Under pressure“ – Militärische Männlichkeiten im Zeichen Neuer Kriege und veränderter Geschlechterverhältnisse, in: Mechthild Bereswill/Michael Meuser/Sylka Scholz (Hrsg.), Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit,Münster 2007, S. 68–83; Rafael Behr, Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols, Opladen 2000. Vgl. Bettina Heintz et al., Ungleich unter Gleichen. Studien zur geschlechtsspezifischen Segregation des Arbeitsmarktes, Frankfurt/M.–New York 1997. Die Forderungen nach mehr Männern in Kitas und im Grundschullehramt setzen explizit auf deren Andersartigkeit. Vgl. Alexandra Uhly et al., Schaubilder zur Berufsausbildung. Strukturen und Entwicklungen in der dualen Berufsausbildung Deutschlands, Bonn 2010, S. 40, online: Externer Link: www.bibb.de/dokumente/pdf/schaubilder_gesamtausgabe_2010.pdf (11.9.2012). Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2011, Berlin 2011, S. 22f. Vgl. Elke Holst/Anne Busch, Führungskräfte-Monitor 2010, DIW Politikberatung kompakt 56/2010. Vgl. Klaus Dörre, Prekarisierung und Geschlecht. Ein Versuch über unsichere Beschäftigung und männliche Herrschaft in nachfordistischen Arbeitsgesellschaften, in: Brigitte Aulenbacher et al. (Hrsg.), Arbeit und Geschlecht im Umbruch der modernen Gesellschaft, Wiesbaden 2007, S. 285–301; Diana Lengersdorf/Michael Meuser, Karriereverläufe von Männern in unsicheren Zeiten – Hegemoniale Männlichkeit am Ende?, in: Freie Assoziation, 14 (2011) 3–4, S. 57–73. Vgl. Klaus Dörre, Prekäre Beschäftigung – ein unterschätztes Phänomen in der Debatte um die Marktsteuerung und Subjektivierung von Arbeit, in: Karin Lohr/Hildegard Maria Nickel (Hrsg.), Subjektivierung von Arbeit. Riskante Chancen, Münster 2005, S. 180–206. Vgl. Waltraud Cornelißen, Gender-Datenreport, München 2005, S. 30; Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2010, Wiesbaden 2010, S. 135. Vgl. Manfred Prenzel et al., PISA 2006 in Deutschland, Münster 2008, S. 81, S. 115, S. 140. Vgl. Wilfried Bos et al., IGLU-E 2006, Münster 2008, S. 77f. Vgl. Klaus Rodax/Klaus Hurrelmann, Die Bildungsbeteiligung der Mädchen und Frauen – ein Indikator für wachsende Chancengleichheit?, in: Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 6 (1986), S. 138–146, hier: S. 139. Vgl. Eckhard Klieme et al., PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt, Münster 2010, S. 53. Vgl. Margrit Stamm, Underachievement von Jungen: Perspektiven eines internationalen Diskurses, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 11 (2008) 1, S. 106–124. Vgl. Ute Klammer/Sabine Neukirch/Dagmar Weßler-Poßberg, Wenn Mama das Geld verdient. Familienernährerinnen zwischen Prekarität und neuen Rollenbildern, Berlin 2012, S. 43, S. 59ff. Vgl. Martina Gille, Familien- und Lebensmodelle junger Männer, in: Karin Jurczyk/Andreas Lange (Hrsg.), Vaterwerden und Vatersein heute. Neue Wege – neue Chancen!, Gütersloh 2009, S. 97–120, hier: S. 110. Vgl. Claudia Zerle/Isabelle Krok, Null Bock auf Familie!? Schwierige Wege junger Männer in die Vaterschaft, in: K. Jurczyk/A. Lange (Anm. 26), S. 121–140, hier S. 130. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik, Berlin 2003, S. 114. Vgl. Rotraut Oberndorfer/Harald Rost, Auf der Suche nach den neuen Vätern, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (2004) 55, S. 490–499; Florian Schulz/Hans-Peter Blossfeld, Wie verändert sich die häusliche Arbeitsteilung im Eheverlauf? Eine Längsschnittstudie der ersten 14 Ehejahre in Westdeutschland, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 58 (2006), S. 23–49; Wassilios E. Fthenakis/Beate Minsel, Die Rolle des Vaters in der Familie, Stuttgart 2002. Vgl. Peter Döge, Männer – Paschas oder Nestflüchter?, Opladen 2006, S. 31. Vgl. M. José Gonzáles/Teresa Jurado-Guerrero/Manuela Naldini, What Made Him Change? An Individual and National Analysis of Men’s Participation in Housework in 26 Countries, DemoSoc Working Paper 30/2009, online: Externer Link: www.recercat.net/bitstream/2072/41841/1/DEMOSOC30[1].pdf (11.9.2012). Vgl. Stephen Williams, What is Fatherhood? Searching for the Reflexive Father, in: Sociology, (2008) 42, S. 487–502. Siehe auch den Beitrag von Diana Baumgarten in dieser Ausgabe (). Vgl. Daniela Grunow, Wandel der Geschlechterrollen und Väterhandeln im Alltag, in: Tanja Mühling/Harald Rost (Hrsg.), Väter im Blickpunkt, Opladen 2007, S. 49–76, hier: S. 63f. Vgl. Lyn Craig, Does Father Care Means Fathers Share? A Comparison of How Mothers and Fathers in Intact Families Spend Time with Children, in: Gender & Society, 20 (2006), S. 259–281, hier: S. 272. Gesine Fuchs, Politische Partizipation von Frauen in Deutschland, in: Beate Hoecker (Hrsg.), Politische Partizipation zwischen Konvention und Protest, Opladen 2006, S. 235–260; Deutscher Bundestag, Juni 2011, online: Externer Link: www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete17/mdb_zahlen/frauen_maenner.html (11.9.2012). Pierre Bourdieu, Eine sanfte Gewalt, in: Irene Dölling/Beate Krais (Hrsg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt/M. 1997, S. 218–230, hier: S. 226. Vgl. Sylka Scholz, Männlichkeiten erzählen. Lebensgeschichtliche Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer, Münster 2004.
Article
, Michael Meuser
"2021-12-07T00:00:00"
"2012-09-24T00:00:00"
"2021-12-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/144851/entgrenzungsdynamiken-geschlechterverhaeltnisse-im-umbruch/
Mit dem Geschlecht sind immer noch unterschiedliche Teilhabechancen verbunden. Diese sind nicht mehr durchgängig zu Lasten der Frauen verteilt, aber im Erwerbsleben und in der Familie reproduzieren sich tradierte Strukturen.
[ "APuZ; Männer", "Geschlechterpolitk", "Geschlechterverhältnisse" ]
30,652
Kommentar: Deutschland in den russischen staatsnahen Medien | Russland-Analysen | bpb.de
Waffenlieferungen für die Ukraine Beim Treffen der "Ukraine Defense Consultative Group" auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein am 26.4. erklärte die deutsche Verteidigungsministerin, dass Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern werde. Die russische Propaganda interpretierte die Entscheidung als "Nachgeben auf Druck der USA". Der staatliche Erste Kanal strahlte so einen Externer Link: Bericht über das Treffen aus, in dem die "Demütigung" Deutschlands durch die Amerikaner beschrieben wurde: "Auf dem Stützpunkt Ramstein wurde heute die "Gastgeberin des Abends" – also die Gastgeberseite – Deutschland gedemütigt. Das Treffen im "Officers’ Club" – dem Stützpunkt der US-Streitkräfte in Ramstein in Deutschland – geriet zu einer demonstrativen Demütigung der deutschen Seite. In der Halle hatten die Amerikaner, als wäre es ihre Absicht gewesen, nur die US-amerikanische und die ukrainische Flagge aufgestellt […] Die deutsche Ministerin hatte, wie sich herausstellte, sogar den Text ihrer Rede an die Presse geschickt – sie hatte geplant, nach Lloyd Austin zu sprechen, bekam aber von den Amerikanern einfach nicht das Wort. […] Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in den letzten Wochen gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gewehrt, was mit dem lauwarmen Empfang auf der US-Airbase Rammstein zu tun haben könnte – die USA zwingen ihre Verbündeten, immer mehr Waffen an Kiew zu liefern." Tatsächlich saß die deutsche Verteidigungsministerin bei der Veranstaltung direkt neben den beiden amerikanischen Vertretern am Tischende. Sie bestätigte die Lieferung von Panzern in einer Externer Link: eigenen Pressekonferenz. Zusätzlich begannen russische regierungsnahe Medien vermehrt, die Unterstützung deutscher Politiker für die Ukraine mit dem "gemeinsamen Nazi-Nenner" zu erklären. Dies fügt sich in eines der Hauptnarrativen der russischen Propaganda über die Ukraine ein, nämlich die Rechtfertigung der Invasion mit der angeblichen Herrschaft von Nazi-Bataillone in der Ukraine. Ein Beispiel bietet der Fernsehkanal Ren-TV in seiner Externer Link: Nachrichtensendung: "Das deutsche Unternehmen Rheinmetall, das die Nazis im Zweiten Weltkrieg mit Waffen belieferte, war nun bereit, die Neonazis in der Ukraine mit gebrauchten Panzern zu versorgen. Bundeskanzler Scholz hat sich jedoch eine kompliziertere Variante ausgedacht: mit garantierten Gewinnen auf Jahre hinaus. Deutschland bietet seinen osteuropäischen Partnern an, sowjetische Waffen an die Ukraine zu übergeben, und im Gegenzug wird Berlin neue Modelle einer "Wunderwaffe" liefern." Beliebt ist auch der Verweis auf scheinbar belanglose Details, denen im Stil einer Verschwörungstheorie eine größere Bedeutung zugeschrieben wird. In der populären politischen Externer Link: Talkshow des staatlichen Fernsehsenders Rossiya-1 wurde so auf die Zahl der schweren Waffen hingewiesen, die Deutschland der Ukraine zugesagt hat, konkret 88 Leopard-Panzer: "Was ist die Zahl 88? 88 Grundsätze des Neonazismus, die auf Kapitel 8, 88 Worte aus dem Buch "Mein Kampf" von Hitler basieren", argumentiert der eingeladene Politikexperte. "Es gibt eine schlimmere Geschichte", antwortet die Moderatorin der Sendung, "die erste Ladung Waffen sollte am 14. April geliefert werden." "Ja", fährt der Experte fort, "das heißt, Deutschland hat in der Tat bestätigt, dass es sich auf den Neonazismus eingelassen hat. Das heißt, wir erleben ein Wiederaufleben des Faschismus im wahrsten Sinne des Wortes innerhalb der NATO". "Flüchtlingskrise" in Deutschland Ein weiteres häufig verwendetes Narrativ der russischen Staatsmedien ist die sogenannte ukrainische Flüchtlingskrise in Europa und Deutschland. Die staatlichen Medien betonen das "schlechte Verhalten der Flüchtlinge", mit dem die Deutschen angeblich unzufrieden seien, sowie die "Begeisterung" der Ukrainer für nationalistische Ideen. Der staatliche Fernsehkanal Rossiya-24 Externer Link: berichtet so: "Die Flüchtlinge in Russland und Europa unterscheiden sich deutlich voneinander. Im Westen hat man die Nationalisten bereits gespürt – gelbe- blaue Fahnen tauchen dort auf, wo sie nicht hingehören" Externer Link: und in einem anderen Bericht geht es um die "Unzufriedenheit von Scholz" mit dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland. "Die Handschrift der ukrainischen Flüchtlinge ist in jedem Gastland dieselbe: Frechheit und Unhöflichkeit sind nur ein kleiner Teil dessen, was uns die Einheimischen erzählen. Scholz nennt den Zustrom von Flüchtlingen ein großes Problem und fordert Polen auf, Züge auszusetzen." Das "schlechte Verhalten der Flüchtlinge" ist ein häufiges Thema staatlicher Medien. Der nationale Fernsehsender "360" brachte eine Externer Link: Sendung mit dem Titel "Die Deutschen haben die Nase voll von der Russophobie der Flüchtlinge". Darin heißt es, dass "die nationalsozialistische Gesinnung der ukrainischen Flüchtlinge den Deutschen große Sorgen bereitet." Der Fernsehsender Ren-TV brachte ebenfalls einen Externer Link: Bericht über die angebliche Unzufriedenheit der Deutschen: "Ein zusätzlicher Grund für die Unzufriedenheit war das Verhalten der ukrainischen Flüchtlinge – viele von ihnen kamen mit Luxusautos nach Deutschland und begannen sofort, die Regeln zu brechen, einschließlich des Parkens dort, wo es nicht erlaubt ist. Die Polizei schreitet nicht ein, selbst wenn sie von den Anwohnern darum gebeten wird." Tatsächlich zeigt eine Umfrage des Externer Link: DeutschlandTrends der ARD, dass Ende April 75 % der deutschen Bevölkerung "Aufnahme und Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge" in Deutschland für "angemessen" hielten und nur 11 % erklärten sie "gehe zu weit". Weitere 10 % waren der Ansicht sie "ginge nicht weit genug" "Verarmung" Deutschlands wegen der Sanktionen Nach Darstellung der russischen Propaganda spart die deutsche Gesellschaft aufgrund der gegen Russland verhängten Sanktionen überall am Nötigsten und überdenkt sogar ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine. Zum Beispiel berichtet der Sender Rossiya-24 in einem Externer Link: Nachrichtenbeitrag: "Unbezahlbarer Kraftstoff, explodierende Preise, leere Ladenregale und düstere Preisprognosen für Brot – wie wäre es mit einem Brot für 10 Euro?" Der "Erste Kanal" Externer Link: beschreibt eine Schlägerei um Pflanzenöl in einem deutschen Supermarkt. "Die Lücken in den Lebensmittelregalen sind unübersehbar – Butter, Mehl, Toilettenpapier sind ausverkauft." In Deutschland gibt es in der Tat Engpässe bei bestimmten Produkten wie Mehl oder Pflanzenöl, aber von landesweitem Mangel, unbezahlbaren Preisen und Schlägereien als "typischer" Folge kann nicht die Rede sein. Deutsche Politiker für Russland In der russischen Propaganda findet man häufig Hinweise auf deutsche Abgeordnete, die Russland unterstützen, die Ukraine und die Europäische Union verurteilen und den Zusammenbruch des Westens vorhersagen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Vertreter der „Alternative für Deutschland“, die für ihre euroskeptische und russlandfreundliche Haltung bekannt ist. So hat zum Beispiel das Nachrichtenprogramm "Vesti" des staatlichen Fernsehsenders Rossiya-1 eine Reportage gesendet mit dem Titel "Ex-Bundestagsabgeordneter: Soros’ Spione fordern die Entsendung von Panzern in die Ukraine". Darin beschuldigte der ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, Waldemar Herdt, Lobbyisten, Waffen an die Ukraine zu liefern. "Diejenigen, die das tun wollen, sind der Abschaum von Soros. Das sind Leute, die jahrelang aus dem Ausland finanziert wurden und jetzt für ihr Geld arbeiten müssen." Die russischen regierungsnahen Medien berichten auch prominent über Stellungnahmen von Tino Chrupalla, dem Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, in denen er die Externer Link: deutschen Sanktionen gegen Russland verurteilt und als destruktiv bezeichnet oder die Wiederaufnahme des Externer Link: Nord-Stream-2-Projekts verlangt. Resümee Die russische Propaganda übertreibt und verzerrt die deutsche Realität ins Katastrophale. Damit soll dem russischen Publikum gezeigt werden, dass die deutsche und europäische Gesellschaft angeblich mehr unter den Sanktionen leidet als die russische Gesellschaft. Ein weiteres Leitmotiv der Propaganda ist, dass Europa ins Wanken gerät – viele in Deutschland beginnen angeblich, ihre Unterstützung für die Ukraine zurückzunehmen und ihre Haltung gegenüber Russland in eine positive Richtung zu überdenken.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-06-30T00:00:00"
"2022-05-13T00:00:00"
"2023-06-30T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/nr-419/508287/kommentar-deutschland-in-den-russischen-staatsnahen-medien/
Daria Zakharova: "Die russische Propaganda übertreibt und verzerrt die deutsche Realität ins Katastrophale."
[ "Russland", "Russland", "Russland", "Russlands Angriffskrieg 2022", "Beziehungen zu sonstigen Staaten", "Massenmedien" ]
30,653
M 04.04.03 Jorginho - Ex-Profi hilft Kindern aus der Armut | Fußball und Nationalbewusstsein - Fußball-Welmeisterschaft 2014 in Brasilien! | bpb.de
Nach zwei Jahren merkte er, dass es so nicht funktionierte. Jorginho , mit bürgerlichem Namen Jorge José de Amorim, Ex-Profi bei Bayern München und 1994 Weltmeister mit Brasilien, hatte zum Ende der Karriere sein Geld in die Gründung einer Fußballschule gesteckt. Sie liegt in einer der vielen vergessenen Ecken im Norden Rio de Janeiros, dem Complexo do Muquiço. Das Viertel zeichnet sich durch einen der längsten Sozialwohnungsriegel Lateinamerikas aus; durch einen verseuchten und stinkenden Abwasserkanal, in dem furchtlose Zwölfjährige baden, und durch die Gewaltherrschaft wechselnder Drogengangs. Bis heute hat Muquiço im Gegensatz zu den Favelas in Rios Südzone, wo sich die Touristen während der Fußball-WM aufhalten werden, keine Einheit von Rios Befriedungspolizei UPP erhalten. Die Bewohner in Muquiço gehören zur brasilianischen Unterschicht oder leben im Elend unter einer Betonbrücke, über welche die mehrspurige Avenida Brasil rauscht. Jorginho war in Muquiço aufgewachsen, zunächst in einer Holzhütte, später in Block 19. Zu Hause schlug der Vater die Mutter, ehe er genau wie Jorginhos Schwester starb – da war der spätere Profi elf Jahre alt. Draußen musste er mit ansehen, wie seine Freunde im sinnlosen Drogenkrieg umkamen. Nun wollte Jorginho, der längst in den noblen Süden Rios entkommen war, seinem Viertel etwas zurückgeben. Im Jahr 2000 startete er „Bola Pra Frente“ – „Den Ball nach vorne spielen“. Die Idee: Jugendliche werden zu Fußballern ausgebildet und entkommen der Armut. „Wir wollen keine Athleten ausbilden. Wir wollen Bürger formen“ „Das klappt gar nicht“, sagt Jorginho heute. „Wenn es wirklich mal einer schaffen sollte, ist das ein Wunder. Die Kids kamen damals mit Erwartungen, die enttäuscht wurden.“ Jorginho sitzt in Jeans und T-Shirt im Büro seiner Schule. Er ist braun gebrannt, was seine grünen Augen gut zur Geltung bringt, am Handgelenk prangt die Riesenrolex. Der 49-Jährige ist auf Jobsuche, seit er 2013 als Trainer von Rios Club Flamengo entlassen wurde. Ein Fußballplatz in einer Favella in Rio de Janeiro (© S. Kühmichel) „Nach zwei Jahren“, sagt er, „haben wir das Konzept der Schule umgeworfen.“ Klar, der ummauerte Kunstrasenplatz blieb, dort wird heute gekickt und getobt. Doch hinzu kamen nun Klassenräume, in denen die Sechs- bis 17-Jährigen eine Art Nachhilfe bekamen. Die öffentlichen Schulen Brasiliens waren schon damals schlecht, man wollte die Defizite ausgleichen. Kopfdribbling statt Schussübungen. Es war die Abkehr vom Gedanken, dass der Fußball für die Jugend aus den Armenvierteln ein Ausweg ist – wie es Sportprojekte rund um die Welt suggerieren. Und natürlich öffnete man sich auch für Mädchen. Das Logo von „Bola Pra Frente“ ist heute ein Fußballplatz, der sich zu einem Buch wellt. Das heißt nicht, dass Fußball in Muquiço keine Rolle mehr spielt. Im Gegenteil: Seine Rhetorik und Regeln bilden die Basis einer eigens entwickelten Pädagogik, bei welcher der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund steht. Der Klassenraum ist zur Mannschaftskabine geworden und vor dem Unterricht wärmt man sich auf: mit Palaver, um erst mal alles loszuwerden, was einen bedrückt. Beim Besuch in einem der kleinen Unterrichtsräume erklärt eine Lehrerin gerade das Alphabet anhand von Begriffen, die hier natürlich alle kennen: K wie Kaká (Fußballstar), P wie Pênalti (Elfmeter), S wie Seleção (das brasilianische Nationalteam). Für Mathe nutzt sie Fußballresultate und Tabellen. Benimmt sich ein Schüler daneben, wird erst die Gelbe Karte und später die Rote verliehen. Darüber stimmt die Klasse ab. „Der Karton geht nicht ans Kind, sondern ans unsportliche Verhalten“, sagt die Lehrerin. „Wir wollen keine Athleten ausbilden. Wir wollen Bürger formen.“ Bei den Älteren wandelt sich dann der Fokus. Es geht um Kunst, Kultur, die Persönlichkeitsbildung. „Kleidung, Körpersprache, verbaler Ausdruck“ Jorginho, der früher seinen evangelikalen Glauben offensiv ausstellte, heute aber diskret damit umgeht, hat große Sponsoren für seine Schule gefunden, darunter Unternehmen mit zweifelhafter Reputation, was Arbeitsrechte und Demokratieverständnis angeht: Nike, Nestlé, das Globo-Medienhaus sowie das von Daimler und dem Schweizer Richemont-Konzern finanzierte Heiße-Luft-Event „Laureus Awards“. Beim Gang übers Gelände wird man von einer Pressefrau darauf hingewiesen, dass man niemanden fotografieren dürfe, der nicht die komplette Nike-Uniform trage, was dann aber – sehr brasilianisch – nach dem Hinweis nicht mehr zu gelten scheint. Ebenso solle man sich bitte schön an die ausgewählten Gesprächspartner halten – was ebenso lax gehandhabt wird. Wie dem auch sei: 98 Prozent der Jugend Muquiços besucht „Bola Pra Frente“ und man verzeichnet 14 000 Abgänger. Eine, die gerade fertig wird, ist die 17-jährige Darine Rodriguez, ein schwarzes Mädchen mit leuchtend blauen Augen. Sie sitzt mit Gleichaltrigen in einem Klassenraum. Alle hier haben gerade eine Ausbildung oder einen Job begonnen, viele in einem der Partnerunternehmen der Schule. „Nun lernen wir, wie man sich in der Berufswelt verhält“, sagt Darine. „Kleidung, Körpersprache, verbaler Ausdruck.“ 90 Prozent der Jugendlichen, die „Bola Pra Frente“ besucht haben, finden anschließend Arbeit. Das ist ein unfassbar starker Wert, weil Jugendliche aus Favelas – zumal wenn sie schwarz sind – meistens nur im informellen Sektor unterkommen: Putzfrau, Straßenverkäufer, Aushilfsarbeiter. Darine hilft hingegen heute ihrer Mutter, die Rechnungen zu bezahlen. „Ich muss doch kein Fußballer sein, um etwas zu gelten“, sagt sie. Aus: Philipp Lichterbeck: Was haben wir von der WM zu erwarten?, in Der Tagesspiegel vom 28.04.2014 Externer Link: http://www.tagesspiegel.de/politik/fussball-weltmeisterschaft-2014-was-haben-wir-von-der-wm-zu-erwarten/9810036.html (26.05.2014). Info Der Fußballprofi Preda Pasic baute zur Zeit des Bosnienkrieges (1993) in Sarajevo eine Fußballschule für Kinder auf (vgl. SZ vom 7.6.2014). Ein Verein zur Förderung brasilianischer Straßenkinder hat 1994 Giovane Elber gegründet s. Externer Link: http://www.giovane-elber-stiftung.de/ Beachte auch den Dokumentationsfilm „Rebellen am Ball“ vom Ex-Fußallprofi und Schauspieler Eric Cantona (ARD 2012), in dem fünf Profikickern vorgestellt werden, die ihre Prominenz nutzten, um gegen das politische Regime ihres Landes zu protestieren oder sich für eine gute Sache einsetzen. Arbeitsaufträge: Lies den Text durch und fasse die wichtigsten Aussagen zum Projekt zusammen. Warum ist das Logo von „Bola Pra Frente“ heute ein Fußballplatz, der sich zu einem Buch wellt? Welche Empfehlung würdet ihr den Organisatoren der Fußball-WM in Anlehnung an dieses Projekt aussprechen? (z.B. hinsichtlich Aufwand und Ertrag) Bereite dich darauf vor, in der Talkshow das Projekt Jorginhos vorzustellen. Eine Druckversion des Arbeitsblatts steht als Interner Link: PDF-Datei zur Verfügung. Ein Fußballplatz in einer Favella in Rio de Janeiro (© S. Kühmichel) Jorge de Amorim Campos, geboren am 17.August 1964 in Cascadura, einem Stadtteil von Rio de Janeiro, wuchs in ärmlichen Verhältnissen mit sechs Geschwistern auf. Seine sportliche Laufbahn begann er bei FC America Rio de Janeiro, von wo er zum brasilianischen Weltverein Flamengo Rio de Janeiro wechselte. Im Jahre 1989 wechselte er zu Bayer Leverkusen und entwickelte sich dort zu einem Weltklassefußballer. Im Anschluss wechselte er zum FC Bayern München und wurde 1994 Deutscher Meister. Aus: Externer Link: http://www.rock-for-rio.de/jorginho.html
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2014-06-11T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/fussball-und-nationalbewusstsein/186031/m-04-04-03-jorginho-ex-profi-hilft-kindern-aus-der-armut/
Jorginho berichtet über sein Projekt "„Bola Pra Frente“". Als er seine Fußballschule eröffnete, hoffte er über Fußball Jugendliche auch für Bildung zu erreichen und sie so aus der Armut zu holen.
[ "" ]
30,654
تعليم المواطنة في الجزائر | Country Profiles: Citizenship Education Around the World | bpb.de
تعرفوا على تعليم المواطنة في الجزائر حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بعرض مراجعة قصيرة لتاريخ الجزائر لتوضيح أثر النظام البيئي غير الرسمي على مفهوم المواطنة في الجزائر. المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. البيئة القانونية (التشريع والسياسات) Interner Link: 5. الجهات المعنية و التحديات Interner Link: 6. الحواشي 1. معلومات مرجعية منذ التأسيس الرسمي لـ "الدولة الجزائرية" بعد الاستقلال عن الاستعمار الفرنسي عام ١٩٦٢، ركَّزت الحكومة بالتعاون مع وزارة التربية الوطنية على إضفاء الطابع الرسمي على تعليم المواطنة في الجزائر. ومع ذلك، يوجد هناك أيضًا نوعٌ غير رسمي لتعليم المواطنة، يستمد فيه الشباب قِيَم المواطنة من مؤسساتٍ أخرى غير المؤسسات التعليمية الرسمية. وتتمثل هذه المؤسسات غير الرسمية في المساجد، والجمعيات الأهلية، والبرامج التي تُقدِّمها بيوت الشباب، وفي حقبةٍ معينة في الجزائر أيضًا في "ملاعب كرة القدم"، حتى إنَّ هناك أغنيات لبعض أندية كرة القدم قد تحوَّلت على اعتبارها صورة من صور التعبير إلى أناشيدَ وطنيةٍ سياسية. وفي الواقع، أشعلت بعض من هذه الأغنيات شرارة حراك "فيفري" (شباط/ فبراير) الأخير عام ٢٠١٩، والذي قاده الشباب أنفسهم في المقام الأول. ولفهم تأثير البيئة الحاضنة غير الرسمية في تعريف تعليم المواطنة في الجزائر، لا بد من تقديم عرضٍ سريع عن تاريخ البلاد. وعلى خلاف غيرها من بلدان شمال أفريقيا، حظت الجزائر بتاريخ طويل وممتد من الوقوع تحت الاستعمار. وقد أثر ذلك التاريخ لسنواتٍ عديدة في سوسيولوجيا وأنثروبولوجيا المجتمع الجزائري بأسره على حدّ سواء، حتى بعد نيل الاستقلال، فقد خلَّفت ١٣٢ عامًا كاملةً من الاستعمار علامةً بارزة في كيفية تحديد الهوية الجزائرية وتشكيلها. وفي الواقع، وخلال سنوات الاستعمار الطوال، جعل الفرنسيون من ضمن أهدافهم فصل المجتمع الجزائري عن هويته الأصيلة؛ فعَمَدَ الاستعمار إلى إغلاق المدارس العربية وحظر التعليم الإسلامي، وحاول أن يمنع المجتمعات المحلية عن الإكثار من إقامة الاحتفالات الدينية على مدار العام. ومن ثَمَّ، وخلال تلك الفترة، كان تعليم المواطنة بمثابة الركيزة الوحيدة التي يمكن أن يعتمد عليها المجتمع للاحتفاظ بهويته. وازداد نفوذ المؤسسات غير الرسمية أكثر فأكثر لاضطلاعها بهذا الدور الفعال على مرِّ هذه السنوات الطويلة، فلعبت دورًا هائلًا في تأكيد هذه الهوية والحفاظ على مكانتها. ولعبت جمعية العلماء المسلمين [1] دورًا بارزًا في إبقاء قِيَم الدين الإسلامي واللغة العربية قيد الحياة، لا سيما خلال فترة الاستعمار، وواصلت الكشافة الإسلامية الوطنية [2] على هذا الدرب فيما بعد. كما قدَّمت كذلك المساجد والزوايا [3] في واقع الأمر إسهامًا جليلًا في الحفاظ على هوية الشعب. وبعد مرور أكثر من قرن على الاستعمار، أشعل أربعة وعشرين فردًا من الشباب فتيل الثورة التي مهدت الطريق نحو الاستقلال، وحدث ذلك بفضل تعليم القومية غير الرسمي. بعد الاستقلال، بقِيَ نفس النظام المُعتمِد على منظومة تعليم المواطنة غير الرسمية قائمًا، ويرجع ذلك بشكلٍ خاص إلى واقع إيلاء تركيزٍ أكبر خلال فترة الستينيات على بناء الأمة واستعادة الاستقرار السياسي والاقتصادي للبلاد بدلًا من وضع نظامٍ متين للتعليم الرسمي. وبعد بضع سنوات، وخلال فترة السبعينيات، ومع ظهور موجة القومية العربية، تحوَّل التركيز صوب بناء نظامٍ تعليميٍّ قوي، يضرب بجذوره في الهوية العربية. واعتمدت هذه العملية اعتمادًا مكثفًا على المعلمين الوافدين من مصر والعراق والبلدان العربية الأخرى للتدريس للجزائريين في مراحل التعليم الثلاث جميعها، الابتدائية والمتوسطة والثانوية. ونتيجةً لذلك، لعب تعليم المواطنة الرسمي دورًا بالغ الأهمية في تعزيز أواصر الروابط التي حظت بها الجزائر مع الدول العربية الشقيقة، وأكَّد ذلك على فكرة أن مصير كل تلك البلدان واحد في واقع الأمر. وقد عكس الرئيس الجزائري في ذلك الوقت، هواري بومدين، هذه الأيدولوجية على الصعيدَين الداخلي والخارجي في سياسته الخارجية كما غيره من الزعماء العرب الذين اتبعوا أيدولوجية الوحدة العربية للرئيس المصري جمال عبد الناصر. تعززت هذه الأيدولوجية في منهج تعليم المواطنة الرسمي وقتها، وانعكست بشكلٍ خاص في سلسلة من الأحداث ذات الصلة، كما محاولات اتحاد الجمهوريات العربية (ليبيا، ومصر، وسوريا، والسودان)، وكذلك في الحرب العربية الإسرائيلية عام ١٩٧٦. وبعدئذٍ، ومع فترة الكساد العالمي الكبير في الثمانينيات، كانت لدى الشباب وعامة الشعب في الجزائر مواضع أخرى للقلق، وتحديدًا مصادر كسب الرزق. وفي العقد التالي، شهدت الجزائر حربًا أهليةً ضارية أدَّت إلى تفلُّت جميع مبادئ المشاركة المدنية من أذهان الشباب ولم تُخلِّف إلا حبرًا على ورق في الكتب المدرسية. وبسبب تلك الحرب الأهلية الطويلة التي دامت منذ عام ١٩٩١ وحتى عام ٢٠٠٠، لاذ الكثير من الأفراد النوابغ من الشباب بالفرار من البلاد، وتفاقم سوء الوضع الاقتصادي، وازداد معدل البطالة بصورةٍ مطردة، وأمست المدراس تفرغ تدريجيًا من طلابها. وما إن انتهت الحرب الأهلية، وقَدِم قانون المصالحة الوطنية إلى حيز الوجود، انتعشت الدولة والقومية الجزائرية إلى حدٍّ ما، ومن ثمَّ، اضطلع النظام التعليم الرسمي من جديد بتعليم المواطنة. ورغم ذلك، أُضيفت جهةٌ فاعلةٌ جديدة للبيئة الحاضنة لتعليم المواطنة غير الرسمي خلال تلك الفترة؛ إذ بدأ الشباب بالانخراط بقدرٍ أكبر في الجمعيات المدنية لأجل خدمة المجتمعات المحيطة بهم، وشرعوا في غناء الأناشيد السياسية في ملاعب كرة القدم للتعبير عن آرائهم السياسية. وهكذا، وخلال العقدَين الأولَين من الألفية الثانية، أُضيفت كلٌّ من الجمعيات المدنية وملاعب كرة القدم الآن إلى قائمة الجهات الفاعلة الراسخة في البيئة الحاضنة لتعليم المواطنة غير الرسمي والقومية في الجزائر. وأخيرًا، وعندما وقع حراك "فيفري" في العام الماضي في ذاك اليوم ٢٢ شباط/ فبراير ٢٠١٩، بزغ عصرٌ جديدٌ كليًّا للقومية. وعلى عكس الربيع العربي، لم يحدث الحراك نتيجة الموجة المفاجئة للرغبة في تحقيق الديمقراطية، بل حدث بالأحرى نتيجةً لتراكم عدة حوادث انتُهِكَت فيها الحقوق المدنية لأشخاصٍ جزائريين. وعلاوةً على ذلك، تأجَّجت مظاهرات الحراك من خلال الحماس للأناشيد الآتية من ملاعب كرة القدم وتطبيقها عمليًّا [4]. ففي كل أيام الثلاثاء والجمعة، كان الشباب أعضاء الجمعيات المدنية هم من يراقبون ويديرون هذه المظاهرات في الشوارع. 2. تعريف تعليم المواطنة من الناحية الرسمية، "تعليم المواطنة" هو مادة دراسية مُصمَّمة لطلاب كلٍّ من المدارس الابتدائية والمتوسطة الذين تبلغ أعمارهم من ستة أعوام إلى خمسة عشر عامًا. ويشمل المقرر نماذج لتثقيف الشباب من عمرٍ مبكر بشأن حقوقهم وواجباتهم داخل المجتمع، كالاقتراع، والعضوية في رابطةٍ ما، والمشاركة في عمل المجموعات، والتعبير عن آرائهم. كما يهدف المقرر كذلك إلى المساعدة في فهم مؤسسات الدولة الرسمية، وكيفية عمل الدولة، والتعرُّف على القوانين التي تحكمها. ويحظى الطلاب بفرصة لمعرفة المزيد عن الدستور، وهوية الشعب، وسبل المشاركة في الحياة المدنية. ومن ناحيةٍ أخرى، وفي حين أنَّ المدراس الجزائرية كانت هي المصدر الرسمي لتعليم المواطنة، توجد كذلك العديد من المؤسسات غير الرسمية في الجزائر التي كانت قد اضطلعت بوضع إطار لمعنى المواطنة بالنسبة إلى الأفراد منذ فترة بعيدة. وقد يجادل البعض بأنَّ الأطفال في المدرسة يتعلمون بشأن المواطنة فقط من الناحية النظرية وأنَّهم في الواقع يتعلمونها ويمارسونها في مكانٍ آخر. هذا وقد تنوَّع مصدر القِيَم الحقيقية للتربية المدنية عبر تاريخ الجزائر. 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة إذًا، وعلى مدى تاريخ الجزائر، كان من الواضح أنَّ النظام غير الرسمي لتعليم المواطنة هو الأكثر تأثيرًا. ومن ناحيةٍ أخرى، لم يكن للنظام التعليمي الرسمي سوى تأثير ضئيل في هذا الشأن في تاريخ البلد ككل، ولا سيما خلال فترة السبعينيات فحسب. وفعليًّا، أتى الأثر الحقيقي للحضارة المدنية في الجزائر من المؤسسات غير الرسمية والبيئة الحاضنة، من الجمعيات والمساجد إلى الكشافة وملاعب كرة القدم، وأخيرًا إلى الشوارع. 4. البيئة القانونية واليوم، لم يُضْفِ الدستور الجزائري الطابع الرسمي على تعريف تعليم المواطنة في التشريع، وبدلًا من ذلك، أضفى الطابع الرسمي على مشاركة الشباب والنشء وانخراطهم في مختلف المؤسسات التابعة للدولة والعاكفة على تمكين وخدمة الشباب في البلاد، والذين يشكِّلون نسبة ٣٠٪ من إجمالي السكان. وفي عام ٢٠١٦، أكَّد الدستور الجزائري على ضرورة إنشاء مجلسٍ وطنيٍّ للشباب، وسيكون لمثل هذه المجالس ممثلون من الشباب من مختلف المحافظات، يعرضون مشكلاتهم وتطلعاتهم على قادة البلاد وعلى الحكومة والرئيس. ويكمن أحد الأهداف الرئيسية لمجلس الشباب، وفقًا للدستور، في دعوة الشباب الجزائري إلى المشاركة المدنية.[5] 5. الجهات المعنية والتحديات تواجه هذه الخطط العديد من التحديات، فعلى الرغم من وجود تشريعاتٍ خاصة بالمجلس الوطني للشباب، إلا أنَّها لم تتبلور بعدُ بسبب عدم وجود آليات لتطبيقها. وعلاوةً على ذلك، فإنَّ أحد التحديات الرئيسية لمنهج تعليم المواطنة هو إيجاد طريقة تجعل منه منهجًا عمليًّا أكثر منه نظريًّا [6]. وتنبع فعالية النظام البيئي غير الرسمي لتعليم المواطنة في الجزائر من قربه الشديد من المشكلات اليومية للأشخاص، كما أنَّه يجد طريقة لتحقيق المشاركة المدنية بطريقةٍ فعالة للغاية. ويترتب على ذلك احتياج المنهج الرسمي لتعليم المواطنة إلى أن يتسم بالمزيد من العملية من حيث العمل مع المؤسسات بشكلٍ وطيد والدخول معها في شراكات، ومنها الكشافة، والجمعيات، وما إلى ذلك. وحينها فقط، تتحقق النتائج المرجوة. 6. الحواشي [1] جمعية العلماء المسلمين: جمعية لرجال الدين الجزائريين، Externer Link: https://www.oulamadz.org [2] لكشافة الإسلامية الجزائرية: Externer Link: https://www.scouts-dz.org [3] الزوايا: مكان ديني يشبه مساجد الصلاة، ولكنه أكثر تخصصًا في التربية الدينية. [4] ملاعب شمال أفريقيا لكرة القدم تلعب دورًا مزدوجًا كساحات سياسية. في: صحيفة البنينسولا القطرية. ٤ شباط/٢٠٢٠. http://wap.thepeninsulaqatar.com/article/04/02/2020/North-Africa-football-stadiums-double-as-political-arenas (تمَّ الولوج إلى الموقع بتاريخ ١/١٠/٢٠٢٠) [5] الجزائر. أمين عامّ الحكومة الجزائرية. الجريدة الرسمية الجزائرية. الجزائر العاصمة، ٢٠٢٠. الدستور. ٢٠٢٠. الموقع الإلكتروني. ٢٦ أيلول/ سبتمبر ٢٠٢٠. [6] بن محسن، شذى الإسلام (٢٠١٤). التربية المدنية في الجزائر... كيف نُمهِّد الطريق لمنهج يتسم بمزيد من العملية؟ في: مجلة العلوم البيئية والبيولوجية التطبيقية، ٤ (٩س) ص ٣٢٧-٣٣٢. Externer Link: https://www.academia.edu/14281238/Civic_Education_in_Algeria_How_to_Shape_the_Road_for_a_More_Practical_Curriculum (تمَّ الولوج إلى الموقع بتاريخ ١/١٠/٢٠٢٠) Interner Link: English Version المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. البيئة القانونية (التشريع والسياسات) Interner Link: 5. الجهات المعنية و التحديات Interner Link: 6. الحواشي 1. معلومات مرجعية منذ التأسيس الرسمي لـ "الدولة الجزائرية" بعد الاستقلال عن الاستعمار الفرنسي عام ١٩٦٢، ركَّزت الحكومة بالتعاون مع وزارة التربية الوطنية على إضفاء الطابع الرسمي على تعليم المواطنة في الجزائر. ومع ذلك، يوجد هناك أيضًا نوعٌ غير رسمي لتعليم المواطنة، يستمد فيه الشباب قِيَم المواطنة من مؤسساتٍ أخرى غير المؤسسات التعليمية الرسمية. وتتمثل هذه المؤسسات غير الرسمية في المساجد، والجمعيات الأهلية، والبرامج التي تُقدِّمها بيوت الشباب، وفي حقبةٍ معينة في الجزائر أيضًا في "ملاعب كرة القدم"، حتى إنَّ هناك أغنيات لبعض أندية كرة القدم قد تحوَّلت على اعتبارها صورة من صور التعبير إلى أناشيدَ وطنيةٍ سياسية. وفي الواقع، أشعلت بعض من هذه الأغنيات شرارة حراك "فيفري" (شباط/ فبراير) الأخير عام ٢٠١٩، والذي قاده الشباب أنفسهم في المقام الأول. ولفهم تأثير البيئة الحاضنة غير الرسمية في تعريف تعليم المواطنة في الجزائر، لا بد من تقديم عرضٍ سريع عن تاريخ البلاد. وعلى خلاف غيرها من بلدان شمال أفريقيا، حظت الجزائر بتاريخ طويل وممتد من الوقوع تحت الاستعمار. وقد أثر ذلك التاريخ لسنواتٍ عديدة في سوسيولوجيا وأنثروبولوجيا المجتمع الجزائري بأسره على حدّ سواء، حتى بعد نيل الاستقلال، فقد خلَّفت ١٣٢ عامًا كاملةً من الاستعمار علامةً بارزة في كيفية تحديد الهوية الجزائرية وتشكيلها. وفي الواقع، وخلال سنوات الاستعمار الطوال، جعل الفرنسيون من ضمن أهدافهم فصل المجتمع الجزائري عن هويته الأصيلة؛ فعَمَدَ الاستعمار إلى إغلاق المدارس العربية وحظر التعليم الإسلامي، وحاول أن يمنع المجتمعات المحلية عن الإكثار من إقامة الاحتفالات الدينية على مدار العام. ومن ثَمَّ، وخلال تلك الفترة، كان تعليم المواطنة بمثابة الركيزة الوحيدة التي يمكن أن يعتمد عليها المجتمع للاحتفاظ بهويته. وازداد نفوذ المؤسسات غير الرسمية أكثر فأكثر لاضطلاعها بهذا الدور الفعال على مرِّ هذه السنوات الطويلة، فلعبت دورًا هائلًا في تأكيد هذه الهوية والحفاظ على مكانتها. ولعبت جمعية العلماء المسلمين [1] دورًا بارزًا في إبقاء قِيَم الدين الإسلامي واللغة العربية قيد الحياة، لا سيما خلال فترة الاستعمار، وواصلت الكشافة الإسلامية الوطنية [2] على هذا الدرب فيما بعد. كما قدَّمت كذلك المساجد والزوايا [3] في واقع الأمر إسهامًا جليلًا في الحفاظ على هوية الشعب. وبعد مرور أكثر من قرن على الاستعمار، أشعل أربعة وعشرين فردًا من الشباب فتيل الثورة التي مهدت الطريق نحو الاستقلال، وحدث ذلك بفضل تعليم القومية غير الرسمي. بعد الاستقلال، بقِيَ نفس النظام المُعتمِد على منظومة تعليم المواطنة غير الرسمية قائمًا، ويرجع ذلك بشكلٍ خاص إلى واقع إيلاء تركيزٍ أكبر خلال فترة الستينيات على بناء الأمة واستعادة الاستقرار السياسي والاقتصادي للبلاد بدلًا من وضع نظامٍ متين للتعليم الرسمي. وبعد بضع سنوات، وخلال فترة السبعينيات، ومع ظهور موجة القومية العربية، تحوَّل التركيز صوب بناء نظامٍ تعليميٍّ قوي، يضرب بجذوره في الهوية العربية. واعتمدت هذه العملية اعتمادًا مكثفًا على المعلمين الوافدين من مصر والعراق والبلدان العربية الأخرى للتدريس للجزائريين في مراحل التعليم الثلاث جميعها، الابتدائية والمتوسطة والثانوية. ونتيجةً لذلك، لعب تعليم المواطنة الرسمي دورًا بالغ الأهمية في تعزيز أواصر الروابط التي حظت بها الجزائر مع الدول العربية الشقيقة، وأكَّد ذلك على فكرة أن مصير كل تلك البلدان واحد في واقع الأمر. وقد عكس الرئيس الجزائري في ذلك الوقت، هواري بومدين، هذه الأيدولوجية على الصعيدَين الداخلي والخارجي في سياسته الخارجية كما غيره من الزعماء العرب الذين اتبعوا أيدولوجية الوحدة العربية للرئيس المصري جمال عبد الناصر. تعززت هذه الأيدولوجية في منهج تعليم المواطنة الرسمي وقتها، وانعكست بشكلٍ خاص في سلسلة من الأحداث ذات الصلة، كما محاولات اتحاد الجمهوريات العربية (ليبيا، ومصر، وسوريا، والسودان)، وكذلك في الحرب العربية الإسرائيلية عام ١٩٧٦. وبعدئذٍ، ومع فترة الكساد العالمي الكبير في الثمانينيات، كانت لدى الشباب وعامة الشعب في الجزائر مواضع أخرى للقلق، وتحديدًا مصادر كسب الرزق. وفي العقد التالي، شهدت الجزائر حربًا أهليةً ضارية أدَّت إلى تفلُّت جميع مبادئ المشاركة المدنية من أذهان الشباب ولم تُخلِّف إلا حبرًا على ورق في الكتب المدرسية. وبسبب تلك الحرب الأهلية الطويلة التي دامت منذ عام ١٩٩١ وحتى عام ٢٠٠٠، لاذ الكثير من الأفراد النوابغ من الشباب بالفرار من البلاد، وتفاقم سوء الوضع الاقتصادي، وازداد معدل البطالة بصورةٍ مطردة، وأمست المدراس تفرغ تدريجيًا من طلابها. وما إن انتهت الحرب الأهلية، وقَدِم قانون المصالحة الوطنية إلى حيز الوجود، انتعشت الدولة والقومية الجزائرية إلى حدٍّ ما، ومن ثمَّ، اضطلع النظام التعليم الرسمي من جديد بتعليم المواطنة. ورغم ذلك، أُضيفت جهةٌ فاعلةٌ جديدة للبيئة الحاضنة لتعليم المواطنة غير الرسمي خلال تلك الفترة؛ إذ بدأ الشباب بالانخراط بقدرٍ أكبر في الجمعيات المدنية لأجل خدمة المجتمعات المحيطة بهم، وشرعوا في غناء الأناشيد السياسية في ملاعب كرة القدم للتعبير عن آرائهم السياسية. وهكذا، وخلال العقدَين الأولَين من الألفية الثانية، أُضيفت كلٌّ من الجمعيات المدنية وملاعب كرة القدم الآن إلى قائمة الجهات الفاعلة الراسخة في البيئة الحاضنة لتعليم المواطنة غير الرسمي والقومية في الجزائر. وأخيرًا، وعندما وقع حراك "فيفري" في العام الماضي في ذاك اليوم ٢٢ شباط/ فبراير ٢٠١٩، بزغ عصرٌ جديدٌ كليًّا للقومية. وعلى عكس الربيع العربي، لم يحدث الحراك نتيجة الموجة المفاجئة للرغبة في تحقيق الديمقراطية، بل حدث بالأحرى نتيجةً لتراكم عدة حوادث انتُهِكَت فيها الحقوق المدنية لأشخاصٍ جزائريين. وعلاوةً على ذلك، تأجَّجت مظاهرات الحراك من خلال الحماس للأناشيد الآتية من ملاعب كرة القدم وتطبيقها عمليًّا [4]. ففي كل أيام الثلاثاء والجمعة، كان الشباب أعضاء الجمعيات المدنية هم من يراقبون ويديرون هذه المظاهرات في الشوارع. 2. تعريف تعليم المواطنة من الناحية الرسمية، "تعليم المواطنة" هو مادة دراسية مُصمَّمة لطلاب كلٍّ من المدارس الابتدائية والمتوسطة الذين تبلغ أعمارهم من ستة أعوام إلى خمسة عشر عامًا. ويشمل المقرر نماذج لتثقيف الشباب من عمرٍ مبكر بشأن حقوقهم وواجباتهم داخل المجتمع، كالاقتراع، والعضوية في رابطةٍ ما، والمشاركة في عمل المجموعات، والتعبير عن آرائهم. كما يهدف المقرر كذلك إلى المساعدة في فهم مؤسسات الدولة الرسمية، وكيفية عمل الدولة، والتعرُّف على القوانين التي تحكمها. ويحظى الطلاب بفرصة لمعرفة المزيد عن الدستور، وهوية الشعب، وسبل المشاركة في الحياة المدنية. ومن ناحيةٍ أخرى، وفي حين أنَّ المدراس الجزائرية كانت هي المصدر الرسمي لتعليم المواطنة، توجد كذلك العديد من المؤسسات غير الرسمية في الجزائر التي كانت قد اضطلعت بوضع إطار لمعنى المواطنة بالنسبة إلى الأفراد منذ فترة بعيدة. وقد يجادل البعض بأنَّ الأطفال في المدرسة يتعلمون بشأن المواطنة فقط من الناحية النظرية وأنَّهم في الواقع يتعلمونها ويمارسونها في مكانٍ آخر. هذا وقد تنوَّع مصدر القِيَم الحقيقية للتربية المدنية عبر تاريخ الجزائر. 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة إذًا، وعلى مدى تاريخ الجزائر، كان من الواضح أنَّ النظام غير الرسمي لتعليم المواطنة هو الأكثر تأثيرًا. ومن ناحيةٍ أخرى، لم يكن للنظام التعليمي الرسمي سوى تأثير ضئيل في هذا الشأن في تاريخ البلد ككل، ولا سيما خلال فترة السبعينيات فحسب. وفعليًّا، أتى الأثر الحقيقي للحضارة المدنية في الجزائر من المؤسسات غير الرسمية والبيئة الحاضنة، من الجمعيات والمساجد إلى الكشافة وملاعب كرة القدم، وأخيرًا إلى الشوارع. 4. البيئة القانونية واليوم، لم يُضْفِ الدستور الجزائري الطابع الرسمي على تعريف تعليم المواطنة في التشريع، وبدلًا من ذلك، أضفى الطابع الرسمي على مشاركة الشباب والنشء وانخراطهم في مختلف المؤسسات التابعة للدولة والعاكفة على تمكين وخدمة الشباب في البلاد، والذين يشكِّلون نسبة ٣٠٪ من إجمالي السكان. وفي عام ٢٠١٦، أكَّد الدستور الجزائري على ضرورة إنشاء مجلسٍ وطنيٍّ للشباب، وسيكون لمثل هذه المجالس ممثلون من الشباب من مختلف المحافظات، يعرضون مشكلاتهم وتطلعاتهم على قادة البلاد وعلى الحكومة والرئيس. ويكمن أحد الأهداف الرئيسية لمجلس الشباب، وفقًا للدستور، في دعوة الشباب الجزائري إلى المشاركة المدنية.[5] 5. الجهات المعنية والتحديات تواجه هذه الخطط العديد من التحديات، فعلى الرغم من وجود تشريعاتٍ خاصة بالمجلس الوطني للشباب، إلا أنَّها لم تتبلور بعدُ بسبب عدم وجود آليات لتطبيقها. وعلاوةً على ذلك، فإنَّ أحد التحديات الرئيسية لمنهج تعليم المواطنة هو إيجاد طريقة تجعل منه منهجًا عمليًّا أكثر منه نظريًّا [6]. وتنبع فعالية النظام البيئي غير الرسمي لتعليم المواطنة في الجزائر من قربه الشديد من المشكلات اليومية للأشخاص، كما أنَّه يجد طريقة لتحقيق المشاركة المدنية بطريقةٍ فعالة للغاية. ويترتب على ذلك احتياج المنهج الرسمي لتعليم المواطنة إلى أن يتسم بالمزيد من العملية من حيث العمل مع المؤسسات بشكلٍ وطيد والدخول معها في شراكات، ومنها الكشافة، والجمعيات، وما إلى ذلك. وحينها فقط، تتحقق النتائج المرجوة. 6. الحواشي [1] جمعية العلماء المسلمين: جمعية لرجال الدين الجزائريين، Externer Link: https://www.oulamadz.org [2] لكشافة الإسلامية الجزائرية: Externer Link: https://www.scouts-dz.org [3] الزوايا: مكان ديني يشبه مساجد الصلاة، ولكنه أكثر تخصصًا في التربية الدينية. [4] ملاعب شمال أفريقيا لكرة القدم تلعب دورًا مزدوجًا كساحات سياسية. في: صحيفة البنينسولا القطرية. ٤ شباط/٢٠٢٠. http://wap.thepeninsulaqatar.com/article/04/02/2020/North-Africa-football-stadiums-double-as-political-arenas (تمَّ الولوج إلى الموقع بتاريخ ١/١٠/٢٠٢٠) [5] الجزائر. أمين عامّ الحكومة الجزائرية. الجريدة الرسمية الجزائرية. الجزائر العاصمة، ٢٠٢٠. الدستور. ٢٠٢٠. الموقع الإلكتروني. ٢٦ أيلول/ سبتمبر ٢٠٢٠. [6] بن محسن، شذى الإسلام (٢٠١٤). التربية المدنية في الجزائر... كيف نُمهِّد الطريق لمنهج يتسم بمزيد من العملية؟ في: مجلة العلوم البيئية والبيولوجية التطبيقية، ٤ (٩س) ص ٣٢٧-٣٣٢. Externer Link: https://www.academia.edu/14281238/Civic_Education_in_Algeria_How_to_Shape_the_Road_for_a_More_Practical_Curriculum (تمَّ الولوج إلى الموقع بتاريخ ١/١٠/٢٠٢٠) Interner Link: English Version
Article
شذى الإسلام بن محسن
"2022-06-13T00:00:00"
"2021-01-26T00:00:00"
"2022-06-13T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/partner/nece/326044/t-lym-almwatnt-fy-aljzayr/
تعرفوا على تعليم المواطنة في الجزائر حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بعرض مراجعة قصيرة لتاريخ الجزائر لتوضيح أثر النظام البيئي غير الرسمي على
[ "Country Profile", "arabisch", "Algeria", "political education", "politische Bildung" ]
30,655
Struktur und Entwicklung der Bevölkerung | Sozialer Wandel in Deutschland | bpb.de
Die Bevölkerung Deutschlands (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 24 111; Quelle: Destatis) Unter Bevölkerung versteht man die Gesamtzahl der Bewohner innerhalb eines politisch abgrenzbaren Gebietes. Sie ist ein Grundelement jeder Gesellschaft. Als Demografie bezeichnet man die wissenschaftliche Betrachtung von Bevölkerungen, ihren Strukturen und Entwicklungen. Die Bevölkerungsbewegung – Geburtenziffern, Lebenserwartung sowie Wanderungen – wird wesentlich durch soziale Faktoren mitbestimmt. So haben zum Beispiel die gesellschaftlichen Vorstellungen von Ehe und Familie Einfluss darauf, wie viele Kinder zur Welt gebracht werden, und das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft wirkt sich sowohl auf die Höhe der Lebenserwartung als auch auf die Aus- und Einwanderungen aus: Not produziert Auswanderungsdruck, Wohlstand zieht Einwanderer an. Andererseits haben die quantitativen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur vielfältige Rückwirkungen auf die Gesellschaft, auf die sozialen Institutionen und die Lebenschancen der Menschen – beispielsweise auf das Wirtschaftsleben, die Erwerbs- und Einkommenschancen, die Familien- und Haushaltsformen, das Bildungswesen und die Bildungschancen sowie auf das System der sozialen Sicherung und die verschiedenen Lebensrisiken. Deutschland war in den vergangenen Jahrzehnten langfristigen demografischen Tendenzen unterworfen, die alle industriellen Dienstleistungsgesellschaften Europas und Nordamerikas in ähnlicher Form erfasst haben: Geburtenrückgang: Die Geburtenraten sind gesunken und bewegen sich seit Langem auf einem niedrigen Niveau. Steigende Lebenserwartung: Die Menschen werden immer älter – ein Prozess, der seit fast eineinhalb Jahrhunderten anhält und dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung: Die einheimische Bevölkerung nimmt ab und wird immer älter. Einwanderung und Multiethnizität: Aufgrund der skizzierten Entwicklungen entsteht in vielen Ländern ein demografisch und ökonomisch bedingter Zuwanderungsbedarf; es kommt zu Einwanderungen mit entsprechenden Integrationsproblemen, weil die Eingewanderten verschiedenen Ländern und kulturellen Hintergründen entstammen (Multiethnizität). In Deutschland wurde und wird die Wanderungsdynamik noch durch die Folgen und Spätfolgen des Zweiten Weltkrieges verstärkt: Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, (Spät-)Aussiedler aus Osteuropa, Flüchtlinge und Übersiedler aus Ostdeutschland sind die diesbezüglichen Stichworte. Bevölkerungswachstum Nach der Volkszählung im Jahr 2011 – Zensus 2011 genannt – leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik 80,3 Millionen Menschen, das sind 15,6 Millionen oder fast ein Viertel mehr als 1946. 64,3 Millionen wohnen im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin), 12,7 Millionen in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) und 3,3 Millionen in Berlin. Dieses Bevölkerungswachstum setzt einen langfristigen, bis etwa zur Jahrtausendwende andauernden Trend fort, der sich in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts beobachten lässt. 1814 lebten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches erst knapp 25 Millionen Einwohner. Die Bevölkerung nahm nach 1948 ausschließlich in Westdeutschland zu; dort erfolgten zwei Wachstumsschübe, denen unterschiedliche Ursachen zugrunde lagen. Der erste Schub in den 1950er- und 1960er-Jahren wurde durch drei große Zuwanderungswellen ausgelöst – Flüchtlinge bzw. Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (etwa 8 Millionen), Übersiedler aus der DDR (gut 3 Millionen), angeworbene Arbeitsmigranten aus Südeuropa (etwa 3,5 Millionen) –, aber auch durch die hohen Geburtenziffern während des sogenannten Babybooms. Der zweite Schub (etwa 6 Millionen) erfolgte zwischen 1985 und 2000 und ist ausschließlich auf weitere Zuwanderungen zurückzuführen. Im Jahr 2002 ist die langfristige Wachstumsphase bei etwa 67,5 Millionen beendet, es gibt nur noch geringfügige Auf- und Ab-Bewegungen. Während die Bundesrepublik zu den wichtigsten Einwanderungsländern der westlichen Welt gehörte, stellte die DDR einen "Sonderfall" mit umgekehrten Vorzeichen dar. Sie war das einzige Land der Erde, dessen Bevölkerungsentwicklung seit den 1950er-Jahren durchgängig durch schrumpfende Zahlen gekennzeichnet war. Ihre Einwohnerzahl ging von 19,1 Millionen im Jahr 1948 auf 16,4 Millionen 1989 zurück. Nach der deutschen Vereinigung sank sie in den fünf neuen Bundesländern weiter, und zwar um 15 Prozent von 14,8 Millionen im Jahr 1990 auf 12,7 Millionen im Jahr 2011. Geburtenrückgang Der westdeutsche Babyboom in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren war eine Spätfolge des Zweiten Weltkrieges. Aufgeschobene Eheschließungen wurden nachgeholt, und die wirtschaftliche Stabilisierung nach den Wirren der Nachkriegszeit ermutigte zur Gründung von Mehrkinderfamilien. Dem Gipfel des Geburtenanstiegs Mitte der 1960er-Jahre folgte allerdings eine rasante Talfahrt. Innerhalb eines Jahrzehnts halbierte sich die Zahl der Geburten nahezu: 1965 brachten 100 Frauen noch durchschnittlich 250 Kinder zur Welt, 1975 nur noch 145, und 1985 war mit 128 Kindern die bisherige Talsohle erreicht. Im vergangenen Jahrzehnt lag die Zahl im früheren Bundesgebiet unter 140 Kindern – 2012 waren es 137. Soll die Kindergeneration über Geburten zahlenmäßig genauso stark werden wie die Elterngeneration, müssten 100 Frauen durchschnittlich 208 Kinder zur Welt bringen. In diesem Fall läge die "Nettoreproduktionsrate" der Bevölkerung – wie die Bevölkerungswissenschaftler sagen – bei 100 Prozent. Seit 1975 beträgt sie in Westdeutschland lediglich etwa zwei Drittel. Jede Kindergeneration schrumpft also im Vergleich zur Elterngeneration um circa ein Drittel. Familienleben 1900 und 2012 (© Datenquelle: Statistisches Bundesamt) In der DDR hatten die Geburtenziffern über den westdeutschen gelegen. Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems löste jedoch schockartige Lähmungserscheinungen im Familienleben der Ostdeutschen aus. So halbierten sich quasi über Nacht die Geburtenzahlen, und auch die Zahl der Eheschließungen und Scheidungen ging in einem ähnlich dramatischen Ausmaß zurück. Nach 1993 stiegen die Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern wieder langsam an. Seit 2008 liegen sie über dem westdeutschen Niveau – 2012 bei 145 im Vergleich zu 137 im Westen. Geburten je 100 Frauen (1950-2012) (© Datenquelle: Statistische Jahrbücher, Statistisches Bundesamt) Der Geburtenrückgang ist ein langfristiger Prozess, der alle modernen Gesellschaften erfasst hat. Deutschland gehört allerdings zu den Ländern mit besonders niedrigen Geburtenraten. Diese hängen mit dem enormen Anstieg der Kinderlosigkeit und dem starken Rückgang kinderreicher Familien zusammen: Von den westdeutschen Frauen des Geburtsjahrganges 1935 brachten nur 9 Prozent kein Kind zur Welt. Unter den 1945 Geborenen waren es 15 Prozent, und von den Geburtsjahrgängen 1964 bis 1968 sind es bereits 24 Prozent. Auf der anderen Seite hat sich der Anteil von Müttern mit mehr als zwei Kindern innerhalb von drei Jahrzehnten halbiert: Von den 1933 bis 1938 geborenen Frauen hatten 33 Prozent mindestens drei Kinder, von den 1964 bis 1968 geborenen sind es nur noch 17 Prozent. Es dominiert das Ideal der Zweikinderfamilie. Dem Geburtenrückgang liegt in Deutschland ein vielschichtiges Bedingungsgefüge zugrunde. Es lassen sich mindestens vier zentrale Ursachenkomplexe ausmachen: Der Funktions- und Strukturwandel der Familie: Der kontinuierliche Rückgang der Familienbetriebe und die stärkere Übernahme von Fürsorgeleistungen durch den Sozial- und Wohlfahrtsstaat vermindern die "ökonomische" Bedeutung der Kinder für die Eltern. Kinder sind heute in erster Linie "ein Wert an sich"; sie sollen Freude machen und die Lebensintensität steigern. Die Emanzipation der Frau und Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die große Mehrheit der jungen Frauen möchte Beruf und Familie miteinander in Einklang bringen. Bei der Umsetzung dieses "doppelten weiblichen Lebensentwurfs" stoßen sie in der Arbeitswelt weiterhin auf große Probleme. Deren Strukturen orientieren sich auch heute noch stark an der für Männer typischen Lebenswirklichkeit wie Zeitsouveränität und Abkömmlichkeit. In Westdeutschland kommt hinzu, dass sich der Staat erst in den vergangenen Jahren intensiver um den Ausbau der Kinderbetreuung außerhalb der Familie bemüht. Es fehlt weiterhin an Kinderkrippen und Tagesmüttern sowie an Kindergärten und schulischer Ganztagsbetreuung. Auch die Höherqualifizierung der Frauen im Zuge der Bildungsexpansion spielt in diesem Ursachengeflecht eine Rolle. Von den Frauen ohne Schulabschluss, die in den Jahren 1964 bis 1968 geboren sind, hat noch fast jede Zweite (46 Prozent) drei oder mehr Kinder; von den Müttern mit Hochschulabschluss sind es lediglich 12 Prozent. Die Ausbreitung von anspruchsvollen und individualistischen Lebensstilen: Gestiegene materielle und individualistische Ansprüche geraten zunehmend in Konflikt mit den Kosten, den zeitlichen Bindungen und den langfristigen Festlegungen, die Kinder verursachen. Die "strukturelle Rücksichtslosigkeit" gegenüber der Familie (wie es der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann nennt): Die gesellschaftlichen Strukturen sind stark auf die Bedürfnisse der Erwachsenen zugeschnitten. Kinder werden zwar nicht abgelehnt, aber den familialen Leistungen fehlt es an gesellschaftlicher Anerkennung und materieller Unterstützung. Mehr noch: Die bereits erwähnte Arbeitswelt, die Steuer- und Versicherungssysteme und andere Gegebenheiten verschaffen denjenigen Vorteile, die auf die Übernahme von Elternverantwortung verzichten. Diese vier Hauptkomplexe sind mit weiteren Entwicklungstendenzen verknüpft, die ebenfalls zu den Ursachen für sinkende Geburtenziffern gezählt werden können: Zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Kinderlosigkeit: Private Lebensformen ohne Kinder werden zunehmend gesellschaftlich akzeptiert und als legitime Alternative zur "Normalfamilie" angesehen. Fehlende (verlässliche) Partnerschaften: Kinderwünsche werden aufgeschoben oder nicht realisiert, weil der geeignete Partner oder die geeignete Partnerin fehlt. Die Tragfähigkeit bestehender Beziehungen wird oft bezweifelt. Emotionalisierte und verengte Paarbeziehungen: Die Ergebnisse der Familienforschung zeigen, dass bei der Partnerwahl ökonomische und soziale Gründe tendenziell an Gewicht verlieren und Emotionen (Liebe) in den Vordergrund getreten sind. In stark emotionalisierten Zweierbeziehungen, die sich manchmal zum "Zweck an sich" verengen, können Kinder als Last, Konkurrenz oder Störung erlebt werden. "Pädagogisierung" der Elternrolle: Eltern sind bei der Erziehung nachweislich zunehmend verunsichert, weil sich die Anforderungen an die Elternrolle erheblich erhöht haben. In Deutschland befürchten Eltern stärker als in anderen Ländern, bei der Erziehung Fehler zu machen. Lebenserwartung und Alterung Neben dem Geburtenrückgang ist der Anstieg der Lebenserwartung der zweite langfristige Trend von Bedeutung. Fortschritte in Medizin, Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Unfallverhütung sowie die allgemeine Wohlstandssteigerung hatten zur Folge, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung westdeutscher Frauen von 68,2 Jahren im Jahr 1950 auf 83,1 im Jahr 2012 erhöht hat, die der westdeutschen Männer von 64,3 auf 78,5 Jahre. Frauen leben im Durchschnitt also gut viereinhalb Jahre länger als Männer. Anstieg der Lebenserwartung (© Zusammengestellt nach Marc Luy, Lebenserwartung in West- und Ostdeutschland, Wien 2014) Die Gründe für die höhere Lebenserwartung der Frauen sind nicht bis in alle Einzelheiten geklärt; es ist jedoch sicher, dass soziale Ursachen, die mit den traditionellen geschlechtstypischen Rollenbildern zusammenhängen, eine wichtige Rolle spielen. So pflegen Frauen einen gesundheitsbewussteren Lebensstil als Männer, gehen weniger Risiken ein und leben unter Bedingungen, die teilweise der Gesundheit förderlicher sind: Sie haben weniger belastende und gefährliche Arbeitsplätze, sie gehen schonender und achtsamer mit ihrem Körper um, sie ernähren sich gesünder und konsumieren weniger Tabak, Alkohol und Drogen. Zudem werden sie seltener Opfer von Unfällen mit Todesfolge oder von Mord und Totschlag, und ihre Selbstmordrate ist deutlich niedriger (2010: 2600 Frauen im Vergleich zu 7500 Männern). In Ostdeutschland lag die Lebenserwartung 1990 niedriger als in Westdeutschland – bei den Frauen um 2,9 und bei den Männern um 3,5 Jahre. Nach der Vereinigung sind diese Differenzen bei den Frauen 2012 verschwunden, bei den Männern sind sie um fast zwei Drittel auf 1,2 Jahre gesunken. Bedeutung für die soziale Sicherung Demografische Alterung (© Eigene Grafik nach Daten des Statistischen Bundesamtes) Geburtenrückgang und steigende Lebenserwartungen haben eine demografische Alterung der Bevölkerung mit erheblichen Auswirkungen und Problemen für die sozialen Sicherungssysteme zur Folge. Demografische Alterung bedeutet: Der Anteil der jüngeren Menschen an der Gesamtbevölkerung geht zurück, während gleichzeitig derjenige älterer Menschen zunimmt. 1950 entfielen auf einen Menschen im "Ruhestandsalter" (über 60 Jahre) fast vier Personen im erwerbsfähigen Alter von 20 bis 60 Jahren, 2010 waren es nur noch gut zwei. Obwohl Prognosen und Modellrechnungen einen jährlichen Überschuss von 200.000 Einwanderern voraussetzen, zeigen sie, dass sich die Relationen immer mehr zuungunsten der erwerbsfähigen Jahrgänge verschieben werden. Ab 2030 werden auf einen "Ruheständler" nur noch 1,3 "Erwerbsfähige" kommen. Aus der internationalen Perspektive kann Deutschland als das "Altersheim Europas" angesehen werden: Im Jahrbuch des Europäischen Statistikamtes hat die deutsche Gesellschaft das höchste Durchschnittsalter (44,2 Jahre), den geringsten Anteil an Jugendlichen und den größten Anteil an Rentnern. Der ausgedehnte "moderne Ruhestand" ist durchaus eine demografische "Erfolgsgeschichte" (Martin Kohli 2001), verwirklicht er doch einen lang gehegten Wunsch der arbeitenden Menschen. Auf der anderen Seite bringt die Alterung enorme Belastungen für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen mit sich. So ist der traditionelle "Generationenvertrag" der Alterssicherung – das heißt, die erwerbstätige Generation finanziert über ihre Beiträge zur Rentenversicherung im Wesentlichen die Renten der Ruhestandsgeneration (Umlageverfahren) – bereits seit Längerem auf zusätzliche Steuermittel angewiesen Daher wird derzeit neben dem Generationenvertrag eine zweite Säule der Alterssicherung aufgebaut, die auf privater Vorsorge beruht ("Riester-Rente", "Rürup-Rente", Eigentum, Pensionsfonds, Lebensversicherungen). Die große Mehrheit der Expertinnen und Experten geht davon aus, dass eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch die schrittweise Anhebung des Renteneinstiegs vom 65. auf (vorläufig) das 67. Lebensjahr erforderlich ist. Sonst sind die Probleme der Alterssicherung nicht zu lösen, zumal es absehbar ist, dass die umfangreiche "Babyboom-Generation" demnächst in den Ruhestand gehen wird. Manche Ökonomen argumentieren, dass auch eine gleichmäßigere Verteilung der Gewinne aus dem Wirtschaftswachstum einen Beitrag zur Lösung der Rentenprobleme leisten kann. Wanderungen Wanderungen sind in Deutschland ein wesentlicher Bestimmungsfaktor der Bevölkerungsentwicklung; sie beeinflussen maßgeblich die Einwohnerzahl und wichtige Aspekte der Sozialstruktur wie etwa die Alters-, Geschlechts- und Schichtstrukturen. Die Migration innerhalb Deutschlands ist in ihrem Ausmaß und in ihrer Größenordnung nahezu einzigartig unter den Industriegesellschaften. Die Bundesrepublik hätte ohne Vertriebene, Flüchtlinge und Übersiedler im Jahr 1989 nur etwa 41 statt 62 Millionen Einwohner gezählt, und in der DDR hätten ohne Ost-West-Wanderungen 1987 etwa 20 statt lediglich 16,6 Millionen Menschen gelebt. Während der Geburtenrückgang und die Alterung der Bevölkerung in beiden deutschen Gesellschaften – trotz aller Unterschiede – ähnlich verlief, vollzogen sich in der Bundesrepublik und in der DDR völlig gegensätzliche Wanderungsprozesse mit sehr unterschiedlichen Folgen für das Bevölkerungswachstum und für die damit zusammenhängenden sozioökonomischen und auch politischen Entwicklungen. Die Bundesrepublik zählt seit ihrer Gründung zu den wichtigsten Einwanderungsländern der Welt. Hier lösten Einwanderungen ein starkes Bevölkerungswachstum aus und stimulierten die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. In der DDR dagegen verursachten Abwanderungen ein Schrumpfen der Bevölkerung und waren eine der Ursachen für wirtschaftliche, soziale und politische Krisen. Der Auswanderungsdruck und die Massenflucht am Ende der 1980er-Jahre waren schließlich ein wichtiger Grund für den Zusammenbruch der DDR. In Deutschland lassen sich nach dem Zweiten Weltkrieg fünf bedeutende, sich teilweise überlagernde Wanderungsströme unterscheiden. So kamen über 12 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aus dem ehemaligen deutschen Osten, davon zogen etwa 8 Millionen in die Bundesrepublik und circa 4 Millionen in die DDR (1944-1950); bis zur Wiedervereinigung 4,6 Millionen Flüchtlinge und Übersiedler aus der Sowjetischen Besatzungszone / DDR in die Bundesrepublik (1945-1990); Arbeitsmigranten, vor allem aus der Türkei, aus (Ex-)Jugoslawien, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal (insbesondere 1961-1973 sowie seit 1987); 2011 lebten 6 Millionen von ihnen – einschließlich ihrer Familienangehörigen – in Deutschland, davon 2 Millionen mit deutschem Pass; seit 1950 4,5 Millionen deutschstämmige (Spät-)Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa, davon allein etwa 2,5 Millionen zwischen 1990 und 2004; von ihnen leben 2011 noch 3,2 Millionen mit einer weiteren Million hier geborener Nachkommen in Deutschland; seit der Krise und dem Zusammenbruch der DDR 2,6 Millionen Übersiedler aus Ostdeutschland nach Westdeutschland (1989–2011); diesen stehen etwa 1,6 Millionen Umzüge von Westdeutschland in die neuen Bundesländer gegenüber. Vertriebene und Flüchtlinge In der Folge des Zweiten Weltkrieges wurden über 14 Millionen Deutsche durch Flucht und Vertreibung gezwungen, Ostmitteleuropa zu verlassen. Die größten Gruppen stellten neben den Schlesiern mit knapp 3,2 Millionen die Sudetendeutschen mit 2,9 Millionen und die Ostpreußen mit 1,9 Millionen. Bis 1950 waren etwa 8 Millionen in die Bundesrepublik gezogen und knapp 4 Millionen in die DDR, wo sie schönfärberisch als "Umsiedler" bezeichnet wurden. Etwa 1,7 Millionen Menschen überlebten Flucht und Vertreibung nicht. Die erzwungene Ost-West-Wanderung war von herausragender Bedeutung für die ost- wie westdeutsche Nachkriegsentwicklung. Einerseits stellte die Integration der Flüchtlinge in die sich gerade erst etablierenden beiden neuen deutschen Gesellschaften eine große Herausforderung und Belastung dar. Nach anfänglichen erheblichen Integrationsproblemen – 1950 war zum Beispiel jeder dritte Arbeitslose in der Bundesrepublik ein Vertriebener – gelang in Westdeutschland die rasche wirtschaftliche und gesellschaftliche Eingliederung. Sie war bereits Anfang der 1960er-Jahre vollzogen und wird häufig als "Nachkriegswunder" bezeichnet. Die Zuwanderer waren für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik von erheblicher Bedeutung, und ihr Arbeitskräftepotenzial wurde zu einem "strukturellen Wachstumsfaktor" für die westdeutsche Wirtschaft. Wegen ihres Flüchtlingsstatus und weil sie ihr Vermögen verloren hatten, waren die Vertriebenen besonders motiviert und aufstiegsorientiert. Die Aufnahme der Flüchtlinge leitete überdies einen neuen religionsgeschichtlichen Abschnitt ein: Die bis dahin charakteristischen Regionen mit konfessionell homogenen Milieus wurden aufgebrochen und verwandelten sich in Mischzonen. Deutschstämmige Einwanderer aus Ost- und Südosteuropa werden seit 1950 nicht mehr als "Flüchtlinge" oder "Vertriebene" registriert, sondern wurden zunächst "Aussiedler" und seit 1993 "Spätaussiedler" genannt. Heute zählen sie statistisch zu den "Deutschen mit Migrationshintergrund". Deutsch-deutsche Flüchtlinge und Übersiedler Seit der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten war ihre Bevölkerungsgeschichte durch deutsch-deutsche Migrationen gekennzeichnet. Von Ost nach West stellten sich umfangreiche Fluchtbewegungen ein. Die Bevölkerungszahl der DDR sank zwischen 1947 und 1961 kontinuierlich – insbesondere deshalb, weil der von der sowjetischen Besatzungsmacht erzwungene und von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vollzogene Umbau von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft viele Menschen veranlasste, der DDR den Rücken zu kehren. Die Zwangskollektivierung der Bauern im Jahr 1960 und andere Sozialisierungs- und Kollektivierungsmaßnahmen sowie die sich ankündigende Absperrung der Grenze ließen die Flüchtlingszahlen noch einmal dramatisch ansteigen. Zwang und Benachteiligungen durch die Umwälzungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Mangel an Freiheit und Demokratie, aber auch das zunehmende West-Ost-Wohlstandsgefälle waren die wichtigsten Motive für die Massenabwanderung aus der DDR. Unter den Übersiedlern waren auch circa 700.000 Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten; ihnen wurden nach 1950 in der DDR keine staatlichen Integrationshilfen mehr gewährt. Die Gesamtzahl aller, die von 1945 bis 1990 die Sowjetische Besatzungszone oder DDR verließen, beläuft sich auf 4,6 Millionen Personen. Die deutsch-deutsche Grenze wurde nicht nur von Ost nach West, sondern auch umgekehrt von West nach Ost überquert. Zwischen 1950 und 1961 zogen circa 400.000 Bundesbürger in die DDR, eine vergleichsweise niedrige, aber gleichwohl beachtenswerte Zahl. Ein Teil dieser Menschen waren DDR-Flüchtlinge, die der Bundesrepublik wieder den Rücken kehrten. Die Massenwanderungen wirkten sich in den beiden Gesellschaften sehr unterschiedlich aus. Die Wirtschaft der DDR geriet durch die anhaltende Flucht von hoch qualifizierten Arbeitskräften mit Hoch- und Fachschulabschluss sowie vieler Unternehmer, Handwerker, Facharbeiter und Bauern zunehmend in Schwierigkeiten. Zwar wurde die DDR dadurch von systemkritischem Potenzial teilweise entlastet. Unter dem Strich erwies sich jedoch der ständige Verlust von qualifizierten Arbeitskräften als eine einschneidende wirtschaftliche Belastung. 1957 wurde daher die Auswanderung als "Republikflucht" kriminalisiert, und im August 1961 stoppte die SED-Führung die Auswanderung gewaltsam durch den Bau der Berliner Mauer und die Abriegelung der innerdeutschen Grenze. Die Bundesrepublik profitierte erheblich von der Zuwanderung. Die häufig hohen Qualifikationen der Flüchtlinge und Übersiedler wurden auf dem Arbeitsmarkt für den wirtschaftlichen Aufschwung benötigt. Da die Zuwanderer aus der DDR meist auch sehr leistungsorientiert und einsatzfreudig waren, brachte ihre wirtschaftliche Integration keine ernsthaften Probleme mit sich. Allerdings waren ihre schulischen und beruflichen Chancen nicht so gut wie die der einheimischen Bevölkerung. Deutsch-deutsche Binnenwanderung Die Krise und der Zusammenbruch der DDR lösten die letzte große Auswanderungswelle von Ost- nach Westdeutschland aus, und im vereinten Deutschland setzte sich dann infolge des Wohlstandsgefälles der Zug gen Westen als Binnenwanderung fort. 1989, im Jahr der Grenzöffnung, schnellte die Zahl der Übersiedler auf 388.000 hoch, und 1990 zogen sogar 395.000 Menschen in die alten Bundesländer um. Gleichzeitig setzt allmählich eine Gegenbewegung von West nach Ost ein; neben Rückkehrern suchen auch immer mehr Westdeutsche ihre Chance in den neuen Bundesländern – darunter neben Selbstständigen vor allem leitendes Personal in verschiedenen Dienstleistungssektoren (z. B. Verwaltung, Justiz, Universitäten) und Industrie. Nach der Jahrtausendwende ging die Zahl der Zuwanderer aus Ostdeutschland kontinuierlich von 177.000 im Jahr 2002 auf 105.000 im Jahr 2012 zurück. Die Zahl der West-Ost-Wanderer schwankte in diesem Zeitraum um die 90.000. Von 1990 bis 2011 sind per Saldo mehr als 1,7 Millionen Menschen von Ost- nach Westdeutschland abgewandert. Obwohl das Wanderungsdefizit der neuen Länder in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist und 2012 nur noch 15.000 Personen umfasst, ist ein Ende der angespannten demografischen Situation in Ostdeutschland nicht in Sicht. Die ländlichen Regionen, allen voran in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, verzeichnen weiterhin große Wanderungsverluste. Durch die Abwanderung junger und gut qualifizierter Frauen haben sich bereits in vielen ostdeutschen Landkreisen sogenannte disproportionale Geschlechterverhältnisse entwickelt: Gegenwärtig stehen 100 jungen 18- bis 24-jährigen Männern weniger als 80 Frauen gleichen Alters gegenüber. Mit den unausgewogenen Partnerschafts- und Heiratsmärkten verbindet sich das Problem, dass sich die Chancen auf Familienbildung erheblich verringern. Die Prozesse der Alterung und Bevölkerungsschrumpfung werden sich in den neuen Ländern noch rascher fortsetzen als im Westen. Der Demografiebericht 2011 der Bundesregierung geht davon aus, dass in den neuen Ländern 2060 ein Drittel weniger Menschen leben wird als heute (in Westdeutschland nur 18 Prozent weniger). Die Einwanderer aus dem Ausland – (Spät-)Aussiedler, Arbeitsmigranten und Flüchtlinge – werden im Kapitel über Migration und Integration behandelt. Perspektiven Aussagen über künftige Entwicklungen sind eine Rechnung mit vielen Unbekannten und lassen sich nur mit großer Vorsicht formulieren. Gleichwohl sind mehrere langfristige Trends erkennbar: Bevölkerungsrückgang: Selbst wenn in Zukunft jährlich 200.000 Migrantinnen und Migranten nach Deutschland zuwandern werden – ein realistischer Wert, der in vielen Szenarien zugrunde gelegt wird –, wird die Bevölkerung von derzeit 80 Millionen bis 2060 auf 65 bis 70 Millionen Einwohner zurückgehen. Die neuen Bundesländer – insbesondere ihre peripheren ländlichen Regionen – werden davon besonders stark betroffen sein. Alterung: Die Bevölkerung wird älter werden, der Anteil von Hochbetagten und Pflegebedürftigen wird sich deutlich erhöhen. Da gleichzeitig der Anteil der kinderlosen Lebensformen zugenommen hat, werden immer mehr Menschen im höheren Lebensalter nicht über ausreichende familiäre Unterstützung verfügen und auf gesellschaftliche Hilfe angewiesen sein. Einwanderungen: Da das Arbeitskräftepotenzial schrumpft und altert, gehen Expertinnen und Experten von einem Bedarf an weiteren Einwanderern aus, der nicht nur ökonomisch, sondern auch demografisch bedingt ist (System der sozialen Sicherung). Er liegt nach den meisten Schätzungen in den nächsten Jahren bei mindestens 100.000 Personen pro Jahr und in den kommenden Jahrzehnten (ab 2020) bei etwa 200.000 pro Jahr. Die Bevölkerung Deutschlands (© Bergmoser + Höller Verlag AG, Zahlenbild 24 111; Quelle: Destatis) Familienleben 1900 und 2012 (© Datenquelle: Statistisches Bundesamt) Geburten je 100 Frauen (1950-2012) (© Datenquelle: Statistische Jahrbücher, Statistisches Bundesamt) Anstieg der Lebenserwartung (© Zusammengestellt nach Marc Luy, Lebenserwartung in West- und Ostdeutschland, Wien 2014) Demografische Alterung (© Eigene Grafik nach Daten des Statistischen Bundesamtes)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-12-07T00:00:00"
"2014-12-16T00:00:00"
"2021-12-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/sozialer-wandel-in-deutschland-324/197987/struktur-und-entwicklung-der-bevoelkerung/
Die Struktur und Entwicklung einer Bevölkerung stehen in enger Wechselbeziehung zu anderen Teilen der Sozialstruktur. Weil die Geburtenraten hierzulande seit Jahrzehnten sehr niedrig sind und die Bevölkerung zunehmend altert, braucht Deutschland aus
[ "Sozialer Wandel", "Bevölkerung", "Sozialstruktur", "Geburtenrate", "Demographie", "Migration", "Einwanderung", "Deutschland" ]
30,656
Jüdische Emanzipation in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert | Jüdisches Leben in Deutschland – Vergangenheit und Gegenwart | bpb.de
Seit in der Folge der europäischen Aufklärung und der im deutschsprachigen Raum einsetzenden Reformpolitik die Durchsetzung eines modernen Staatsbürgerrechts zum Tragen kam, wurde auch die Forderung nach der politischen Gleichstellung der Juden zum Gegenstand der öffentlichen Debatte. Exemplarisch steht dafür die Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden des preußischen Juristen und Diplomaten Christian Konrad Wilhelm Dohms (1751-1820) aus dem Jahre 1781. Dohm prangert in dieser an, die Ursachen für die den Juden zugeschriebenen negativen Eigenschaften beruhten auf ihrer jahrhundertlangen rechtlichen und gesellschaftlichen Diskriminierung. Mit dem Wunsch nach gesellschaftlicher Verbesserung einher ging auch die Forderung nach religiöser Toleranz sowie die gleichzeitige Bereitschaft, sich in die christliche Mehrheitsgesellschaft einzugliedern. Vor allem der Kreis um Interner Link: Moses Mendelssohn wollte das Judentum und die Jüdinnen und Juden durch Erziehung zu deutscher Sprache und Kultur in die christliche Gesellschaft eingliedern: In Berlin wurde 1778 die jüdische Freischule gegründet, in der zum ersten Mal neben jüdischen Fächern auch Deutsch, Französisch, Mathematik und Geografie gelehrt wurde. Einer der Schulgründer war der aus Königsberg stammende David Friedländer (1750-1806), der nach dem Tod Mendelssohns (verstorben 1786) zu einem der treibenden Kräfte der Modernisierung des Judentums wurde. Er verfasste das erste Lesebuch für jüdische Kinder und übersetzte das hebräische Gebetbuch ins Deutsche. Friedländer setzte Mendelssohns Bemühungen um Annäherung zwischen Judentum und Christentum fort, denn seiner Meinung nach handelte es sich um eine "gemeinsame, natürliche Religion". So schrieb er 1799 ein Externer Link: Sendschreiben von einigen Hausvätern jüdischer Religion an den evangelischen Theologen Wilhelm Abraham Teller, in dem er praktische Vorschläge für den "Versuch einer Glaubensvereinigung" von Judentum und Protestantismus machte. Jüdinnen und Juden sollten zwar von einigen christlichen Riten und dem Glauben an Jesus als Messias befreit werden, aber die Taufe hielt er durchaus für annehmbar. Friedländer hatte keinen Erfolg mit seinem Versuch, die "bürgerliche Verbesserung" auf diese Art voranzubringen, sondern wurde vielmehr von christlichen wie jüdischen Kritikern gleichermaßen beschuldigt, sie erkaufen zu wollen. Zu seinen Kritikern gehörten etwa Rabbiner Meyer Simon Weyl (1744-1826) sowie der Theologe Friedrich Schleiermacher (1786-1834) und der Dichter, Theologe und Philosoph Johann Gottfried Herder (1744-1803). Zu den Vertretern dieser ersten Emanzipationsbestrebungen gehörte auch Friedländers Schwager, der Bankier Isaak Daniel Itzig (1750-1806). Itzig wurde im Jahre 1791 von Friedrich Wilhelm II., von 1786 bis zu seinem Tode 1797 König von Preußen, zu einem der ersten jüdischen Beamten in Preußen ernannt. Doch diese Anerkennung blieb die Ausnahme – der breiten jüdischen Bevölkerung blieben Emanzipation und politische Partizipation nach wie vor verwehrt. Das Leben des größten Teils der jüdischen Bevölkerung spielte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach wie vor im Geist der jüdischen Tradition ab – im Kreise der Familie und der jüdischen Gemeinde. Die meisten lebten in ärmsten Verhältnissen und ihr Kontakt zum christlichen Umfeld war auf ein Minimum beschränkt. Nur in Berlin gelang es einer intellektuellen Elite, den Anschluss an die aufgeklärte, gebildete Welt zu finden. Zu dieser Gruppe gehörten unter anderem die Familien Herz und Levin. Der in Berlin geborene Marcus Herz (1747-1803) war der Sohn eines Thora-Schreibers, ein traditioneller jüdischer Beruf. Während er auf Wunsch seines Vaters eine Kaufmannslehre in Königsberg absolvierte, wurde der Philosoph Immanuel Kant auf ihn aufmerksam. Er empfahl Herz, zurück nach Berlin zu gehen und dort ein Medizinstudium aufzunehmen, das ihm wiederum David Friedländer finanziell ermöglichte. Herz wurde zu einem der renommiertesten Ärzte seiner Zeit. Er leitete das damals neu gegründete Jüdische Krankenhaus und wurde 1787 von Friedrich Wilhelm II. zum Professor ernannt. Herz war mit Henriette Herz (geb. Lemos) verheiratet. Gemeinsam betrieben sie in ihrer Wohnung einen literarischen Salon, der zu einem Treffpunkt des intellektuellen Berlins wurde. Während Marcus Herz Vorlesungen und Gesprächsrunden über Kants Philosophie und andere wissenschaftliche und philosophische Themen führte, versammelte Henriette wiederum einen Kreis junger literaturinteressierter Männer und Frauen um sich, die vor allem die Werke Goethes diskutierten. Für Henriettes Gäste machten gesellschaftlicher Rang oder akademische Titel zumindest im Salon keinen Unterschied. Ihr Ehemann dagegen empfing bewusst hochgestellte Gäste aus Politik und Kultur. So trafen sich in diesem "Doppelsalon" bald ganz unterschiedliche Gesellschaftskreise; zu den berühmten und gesellschaftlich einflussreichen Besucher*innen gehörten unter anderem die Brüder von Humboldt, der Journalist Ludwig Börne oder Rahel Levin. Henriette Herz schloss sich nach dem frühen Tod ihres Mannes 1803 dem zweiten Zentrum des intellektuellen Berliner Lebens an: dem Salon ihrer Freundin Rahel Levin (1771-1833). Diese galt als "geistreichste Frau" ihrer Zeit und betrieb von 1790 bis 1806 in ihrer Wohnung eine "Republik des freien Denkens". Levins Lebenslauf steht beispielhaft für die Zerrissenheit des intellektuellen, nach politischer und gesellschaftlicher Partizipation strebenden jüdischen Bürgertums Preußens: In ihrem Salon spielten Standesunterschiede, Religion und Geschlecht keine Rolle; zu ihren Besuchern und Freunden gehörten unter anderem die Dichter Interner Link: Friedrich Schiller und Clemens von Brentano. Laut Interner Link: Hannah Arendt, die erste Biographin Rahel Levins, waren es vor allem die jüdischen Frauen mit ihren literarischen Salons, welche die eigentliche gesellschaftliche Partizipation vollzogen: "Gerade weil Juden außerhalb der Gesellschaft standen, wurden [die jüdischen Salons] für kurze Zeit eine Art neutraler Boden, auf dem sich die Gebildeten trafen." Und doch: Um 1814 den Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense heiraten zu können, musste Levin zum Christentum übertreten. Zeit ihres Lebens war sie in ihrer Identität hin und hergerissen. Mal sprach sie von ihrer jüdischen Herkunft als von einem "Dolch, den man ihr ins Herz gestoßen" habe, dann wieder, kurz vor ihrem Tod, von einer Tatsache, die sie "um keinen Preis missen möchte". Dieses christlich-jüdische gesellschaftliche intellektuelle Leben fand noch vor des teilweise rechtlichen Fortschritts, der mit dem 1812 vom preußischen König erlassenen "Edikts betreffend der bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate" einsetzte, statt. Das Edikt stufte die in Preußen lebende jüdische Bevölkerung juristisch nicht mehr als "Fremde" ein und machte sie von vormaligen "Schutzjuden" zu Staatsbürgern, doch hieß das noch lange nicht, dass die jüdische Bevölkerung nun von der christlichen Mehrheitsgesellschaft als gleichwertig akzeptiert wurde. Der, wenn auch mit Einschränkungen versehene, rechtliche Fortschritt, den die Verleihung des Bürgerrechts für die Juden in Preußen bedeutete, wurde mit der Neuordnung Europas nach dem Sieg über Napoleon in Frage gestellt und währte nicht lange. Das gilt auch für das Königreich Westphalen, das als französischer Satellitenstaat und in Anlehnung an die napoleonische Gesetzgebung in Frankreich von 1807 bis 1813 seiner jüdischen Bevölkerung die weitreichendsten Rechte unter den deutschen Staaten gewährte. Auch diese wurden zum Teil wieder aufgehoben, so dass letztendlich zahlreiche Jüdinnen und Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Christentum übertraten. Mit dem Taufzettel erhofften sie sich endlich das "Entreébillet zur europäischen Kultur", wie es der berühmteste deutsch-jüdische Dichter seiner Zeit, Interner Link: Heinrich Heine (1797-1856) nannte. Ebenso wie Rahel Levin-Varnhagen war auch Heine nicht nur enttäuscht von der Nutzlosigkeit seines Übertritts zum Christentum, sondern litt bis zu seinem Tod unter einem zwiespältigen Verhältnis zur jüdischen Religion. So machte er sich einerseits bisweilen über "jüdische Eigenschaften" lustig, andererseits blieb er dem Judentum emotional stets verhaftet: in seinen Hebräischen Melodien schrieb er "und es welke / meine rechte Hand, vergäße ich / Jemals dein, Jerusalem!" Heinrich Heine und Rahel Levin-Varnhagen sollten die politische und gesellschaftliche Emanzipation der Jüdinnen und Juden nicht mehr erleben. Diese ließ noch bis 1862 auf sich warten, als das Großherzogtum Baden als erster deutscher Staat die uneingeschränkte Gleichberechtigung gewährte. Und erst 1871 wurde die bürgerliche und religiöse Gleichstellung aller Konfessionen im Interner Link: Deutschen Kaiserreich zu einem gesamtstaatlichen Gesetz.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-21T00:00:00"
"2021-05-18T00:00:00"
"2022-01-21T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/juedischesleben/333300/juedische-emanzipation-in-deutschland-im-18-und-19-jahrhundert/
In Folge der europäischen Aufklärung wuchsen Ende des 18. Jahrhunderts auch im deutschsprachigen Raum das jüdische Streben und die Forderung nach Gleichberechtigung, ebenso wie die Bereitschaft, sich in die christliche Mehrheitsgesellschaft einzuglie
[ "Aufklärung", "Geschichte des Judentums", "Judentum", "jüdische Emanzipation", "Moses Mendelssohn", "Hannah Arendt", "Heinrich Heine", "Deutsches Kaiserreich" ]
30,657
M 03.12 Biografie Mesut Özil | Fußball und Nationalbewusstsein - Fußball-Welmeisterschaft 2014 in Brasilien! | bpb.de
Der Nationalspieler Mesut Özil. (Steindy) Lizenz: cc by-sa/3.0/de Als JPG herunterladen (137.3kB) Mesut Özil wird am 15. Oktober 1988 in Gelsenkirchen als Kind türkischer Eltern geboren. Dort spielt er für Westfalia 04, Teutonia Schalke und DJK Falke, ehe er mit 13 Jahren zu Rot-Weiß Essen wechselt. 2005 holt ihn der FC Schalke 04 zurück. Mit ihm gewinnt der Klub erstmals nach 30 Jahren die Deutsche A-Jugend-Meisterschaft. Schon mit 17 erhält der Mittelfeldspieler, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, einen Profivertrag und bestreitet als Teenager 30 Bundesligaspiele. Sein erstes Tor erzielt er aber für Werder Bremen, das Özil im Januar 2008 verpflichtet. In der folgenden Saison avanciert er zum Stammspieler und sorgt mit dem einzigen Tor im DFB-Pokalfinale gegen Leverkusen selbst für seinen ersten Titel bei den Profis. Vier Wochen später gewinnt er mit der U 21 die EM in Schweden und wird nach dem Finale gegen England zum „Man of the Match“ gewählt. Seit Februar 2009 ist er A-Nationalspieler. Bei der WM 2010 steht er in allen sieben Partien von Beginn an auf dem Platz. Sein Siegtor gegen Ghana sichert den Einzug ins Achtelfinale. Özil ist einer der auffälligsten Spieler im deutschen Team, das am Ende den dritten Platz belegt. Seine Leistungen wecken das Interesse verschiedener Spitzenvereine. Jose Mourinho lockt Özil schließlich nach Spanien. Von Juli 2010 bis Ende August 2013 trug Özil das Trikot von Real Madrid. Dort avancierte er schnell zum Leistungsträger und Publikumsliebling. An der Seite von Sami Khedira gewinnt er in seinem ersten Jahr in Spanien den Königspokal, in der zweiten Saison folgt die Meisterschaft. Bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine steht Özil bei allen fünf Partien von Beginn an auf dem Rasen. Seit dem 2. September 2013 ist der Spielmacher nun in Diensten des englischen Traditionsvereins FC Arsenal. Bei den Londonern hat Özil seine Nationalmannschaftskollegen Per Mertesacker und Lukas Podolski an der Seite. Quelle: Externer Link: http://team.dfb.de/de/das-team/mittelfeld/mesut-Oezil/biografie/page/227.html?1384946223 (10.06.2014). Eine Druckversion des Arbeitsblatts steht als Interner Link: PDF-Datei zur Verfügung. Der Nationalspieler Mesut Özil. (Steindy) Lizenz: cc by-sa/3.0/de Als JPG herunterladen (137.3kB)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2014-06-10T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/fussball-und-nationalbewusstsein/185941/m-03-12-biografie-mesut-oezil/
In diesem Material wird der Nationalspieler Mesut Özil vorgestellt.
[ "" ]
30,658
Rassenordnung als Machtordnung | Black America | bpb.de
2018 blickt man zum 50. Mal auf das Jahr 1968 als "Höhepunkt einer transnationalen Revolte" (Heinrich August Winkler) zurück. In diesem Kontext jährt sich auch der Jahrestag der Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr. zum 50. Mal. King wurde am 4. April 1968 in Memphis erschossen, genau ein Jahr nachdem er sich in einer Rede in New York gegen den Vietnamkrieg ausgesprochen und den Kampf gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern in einen postkolonialen Kontext gestellt hatte – und kurz bevor er ihn mit einem erneuten Marsch nach Washington mit dem Kampf gegen Armut verknüpfen wollte. Kings Werk kann 50 Jahre nach dem Attentat als unvollendet gelten, obwohl er und die Bürgerrechtsbewegung mit den Gesetzen gegen die Wahlrechtdiskriminierung und die Segregation 1964 einen großen Erfolg verzeichnen konnten. Die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und zuletzt auch das selbstbewusste Auftreten offen rassistischer Gruppen in Charlottesville, Virginia, am 11. August 2017 haben gezeigt, dass sich in Amerika weniger verändert hat, als viele gehofft hatten – ein Zeitalter, in dem "Rasse" keine Rolle mehr spielt, hat offensichtlich nicht begonnen. Damit muss es über den Zeitraum der 1960er Jahre und der sich daran anschließenden sozialen Revolten hinweg Kontinuitäten gegeben haben, die möglicherweise übersehen wurden. Dieses Phänomen wird in diesem Beitrag behandelt: die erstaunliche Stabilität des Verhältnisses von weißen und schwarzen Amerikanern, das über "Rasse" gerechtfertigt wird. Im Folgenden vertiefe ich zunächst den Befund der Kontinuität trotz scheinbar einschneidender Ereignisse kulturhistorisch und erläutere, warum man hier von der Kontinuität einer Machtordnung sprechen sollte und nicht von der Kontinuität des Rassismus. Anschließend beleuchte ich zwei gesellschaftliche Bereiche – das Bildungswesen und das Recht – näher, um zu zeigen, wie über ökonomische Ungleichheit die Rassenordnung als Machtordnung aufrechterhalten wird. Doppeltes Bewusstsein In seinem Aufsatz "The Evolution of the Race Problem" lieferte der afroamerikanische Soziologe W.E.B. Du Bois bereits 1909 eine Diagnose, die auch auf die heutigen Verhältnisse zutrifft. Du Bois befasste sich empirisch und theoretisch mit dem Konzept "Rasse". Die Geschichte der Afroamerikaner seit der Abschaffung der Sklaverei ist ihm zufolge zugleich evolutionär und zyklisch: Ereignisse wie die Erlässe der Emanzipationserklärung 1863 und die Ratifizierung des 15. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten 1870, der den Ausschluss vom Wahlrecht aufgrund der Hautfarbe oder früherer Versklavung verbietet, hätten wiederholt grundlegende Veränderungen versprochen. Durch eine Reihe von Umständen – zum Beispiel dem Fehlen nachhaltiger föderaler Unterstützung der freigelassenen Sklaven, etwa durch eine Landreform – sei das Machtverhältnis zugunsten der weißen Bevölkerung jedoch weitgehend unangetastet geblieben. Das mit solchen Prozessen verbundene Auf und Ab von Hoffnung und Enttäuschung ist auch in die afroamerikanische Literatur- und Kulturgeschichte eingegangen. Man findet es im Blues und explizit in den Blues-Gedichten von Langston Hughes zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie in seinem Langgedicht "Montage of a Dream Deferred" (1951). Ein aktuelles Beispiel ist der Roman "John Henry Days" von Colson Whitehead (2001): Über Variationen der Figur des afroamerikanischen Helden John Henry werden wiederholt ähnliche Situation im Zusammentreffen mit weißen US-Amerikanern vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart dargestellt, die für junge schwarze Männer fatale, oft tödliche Folgen haben. Die Figur der Wiederholung mit Variationen legt nahe, dass trotz – oder wegen – etlicher Veränderungen vieles gleich bleibt: Im Verhältnis der "Rassen" in den USA gibt es offenbar "Invarianten" und "Konstanten", wie sie der französische Soziologe Pierre Bourdieu in "Die männliche Herrschaft" 1998 auch für das Geschlechterverhältnis konstatierte. Es ist irreführend zu glauben, es ginge hier primär um ein psychologisches Problem von hartnäckigen Vorurteilsstrukturen oder um individuelle diffamierende Handlungen und Äußerungen. Rassismus ist auch nicht die unglückliche Folge unterschiedlicher Hautpigmentierung oder Nasenformen – also letztlich biologischer Unterschiede, die unter dem Begriff "Rasse" subsumiert werden. Tatsächlich ist "Rasse" bereits eine rassistische Kategorie, nämlich die Rechtfertigung eines Unterdrückungsverhältnisses, die sich auf vermeintliche Unterschiede in der Biologie des menschlichen Körpers bezieht und diese um Zuschreibungen erweitert. Tatsächlich unterdrücken wir Menschen nicht, weil sie anders sind, sondern nennen sie anders, weil wir sie unterdrücken (können). Durch eine Reihe komplexer psychosozialer Mechanismen können diese Zuschreibungen, wenn ein solches Unterdrückungsverhältnis lange genug besteht, zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden: Durch die Internalisierung von Zuschreibungen können sich Mitglieder der unterdrückten Gruppe irgendwann so verhalten, wie man es von ihnen ständig erwartet – auch deshalb, weil es auf Dauer schwer ist, dem negativen Bild, das andere von einem haben, ein anderes positives Selbstbild entgegenzusetzen, also mit einem doppelten Bewusstsein zu leben. Du Bois hat dafür den Begriff "double consciousness" (doppeltes Bewusstsein) geprägt, und auch dieses Phänomen ist ein Topos der afroamerikanischen Literatur. Durch eine "pars-pro-toto-Verzerrung" können für die Zuschreibungen auch immer Beispiele gefunden und auf die gesamte unterdrückte Gruppe angewendet werden. Das liegt auch an einer Vertauschung von Ursache und Wirkung: Einer Gruppe wird der Zugang zu verschiedensten Tätigkeitsfeldern verweigert oder zumindest erschwert, dann wird ihnen eine Neigung zu den übrig gebliebenen Tätigkeiten nachgesagt, etwa der physischen Arbeit, dem Sport, dem Kreditwesen oder kriminellem Handeln. Schließlich konstruiert lang anhaltende Unterdrückung die Gruppe, die sie postuliert: Wer eine spezifische historische Erfahrung von Diskriminierung teilt, versteht sich irgendwann als Gruppe, und die Solidarität, die hier entstehen kann, ist sowohl Selbstschutz als auch ein erster Schritt der Ermächtigung – aber auch dies wird wieder als Bestätigung der Postulierung einer Gruppe verstanden. Den Soziologen Matthew Desmond und Mustafa Emirbayer zufolge wird "Rasse" so zu einer "begründeten Fiktion" – zugrunde aber liegt der "Rasse" ein Machtverhältnis. Deshalb ist es falsch, von der Langlebigkeit des Rassismus zu reden. Vielmehr muss die Beständigkeit einer ungerechten Machtordnung reflektiert werden, in diesem Fall der Rassenordnung (racial order), die in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen wirksam ist. Rassenordnung in Bildung und Wirtschaft Die Erfahrungen von Unterdrückung und Widerstand, von wiederholten Versprechen, Hoffnungen und Enttäuschungen, von gespaltenem Bewusstsein und der Formierung kollektiven Widerstands sind nicht nur tief in die afroamerikanische Literatur eingeschrieben, die somit von der Rassenordnung Zeugnis ablegt. Literatur kann diese auch an vielen Stellen reproduzieren: Die Literaturkritik, der Literaturunterricht, die Literaturtheorie und die Literaturwissenschaft überhaupt waren sicher und sind möglicherweise immer noch Komplizen in der Aufrechterhaltung dieser Ordnung. Diese unbequeme Einsicht existiert schon lange, aber erst in den 1960er Jahren hat sie zu massiven Veränderungen an US-amerikanischen Universitäten geführt: zur Revision des Literaturkanons, zur Einrichtung neuer Studiengänge und neuer Departments, zur statistischen Erfassung der Zusammensetzung der Studentenschaft, zur aktiven Rekrutierung afroamerikanischer Studenten und Dozenten. Gleichwohl hat dies nicht zu einer gleichen und gerechten Verteilung der Ressource Bildung geführt: Unter Studierenden sind Afroamerikaner wie auch Hispanics gemessen am Bevölkerungsanteil in der entsprechenden Altersgruppe weiterhin unterrepräsentiert. Die Entwicklung der Studierendenzahlen verdeutlicht, dass affirmative action zwar den Anteil dieser Minderheiten steigern, aber die Kluft nicht schließen kann. Die fortlebende Unterrepräsentation deutet darauf hin, dass ihre Ursachen nicht allein in den Quotenregelungen der Universitäten zu suchen sind, sondern tiefer liegen: im Bildungssystem insgesamt, in der Verteilung von Wohlstand und Armut, in den Bildungsambitionen einzelner Familien und in der Geschichte all dieser Faktoren. Um dieses Zusammenspiel in aller Kürze darzulegen: Qualität und Ausstattung selbst staatlicher Kindergärten und Grundschulen sind in den USA stark standortabhängig, nämlich vom Wohlstand des Schulbezirkes. Familien, die Wert auf gute oder auch nur gewaltfreie Bildungseinrichtungen legen, werden ihren Wohnort entsprechend wählen, wenn sie sich dies leisten können. Der Sozialwissenschaftler Thomas Shapiro zeigte, dass die Einkommensdiskrepanz zwischen schwarzen und weißen Amerikanern seit den 1960er Jahren zwar gesunken, die Schere bei Kapital und Vermögen sowie Immobilieneigentum jedoch gewachsen ist. Dies hat vor allem damit zu tun, dass weiße Arbeitnehmer vom Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit sehr viel stärker profitierten als Afroamerikaner und dass dieser Vorteil immer weiter vererbt wird. Viele weiße Familien nutzen ererbtes Vermögen oder Hauseigentum für Entscheidungen, die letztlich die Segregation von Wohngebieten und Bildungseinrichtungen fortführen und ihren Kindern Chancen geben, die Kinder aus schwarzen Familien mit demselben Einkommen nicht haben: Die Unterschiede im Vermögen verstärken die soziale Ungleichheit zwischen schwarzen und weißen Familien und erhalten so die Rassenordnung aufrecht. Maßnahmen wie affirmative action ändern nichts an der Ungleichheit der Chancen, diese sind das Resultat historischer Ungleichheit, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Offenbar wohnt der Rassenordnung als Machtordnung eine Trägheit inne, die vergangene Benachteiligung in der Gegenwart weiterleben lässt – und zwar trotz der Versuche, in der Gegenwart Ungleichheiten zu verringern. Zugespitzt: Selbst wenn es möglich wäre, eine Reset-Taste zu drücken und eine historisch lang anhaltende systematische Ungleichheit im Verhältnis zweier Gruppen heute auf Null zu stellen, so würde es morgen immer noch systematische Ungleichheiten geben. Diese Trägheit der Ordnung findet ihre Entsprechung in der Trägheit der Einstellungen und Wahrnehmungsdispositionen einzelner Menschen und Gruppen. Pierre Bourdieu spricht hier von der "Hysteresis" des Habitus, der die Vergangenheit in der Gegenwart weiterleben lässt. Er hat dieses Phänomen zuerst in einem postkolonialen Kontext untersucht, was wie die Hinweise auf die Geschlechterordnung darauf hindeutet, dass wir es mit zum Teil verallgemeinerbaren Beobachtungen über ungerechte Ordnungen zu tun haben. Festzuhalten ist auch, dass die Stabilisierung durch das Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Bereiche geschieht, in die Ungleichheiten in jeweils bereichsspezifischen Weisen eingeschrieben sind. In dem geschilderten Beispiel der Bildung ist es der rechtliche Rahmen von Privateigentum, der über wirtschaftliches Handeln von Familien zum Erhalt der Rassenordnung beiträgt, obwohl die Gesetze zu affirmative action sie gleichzeitig abschwächen sollen. Weil Gesetze und ihre Umsetzungen viele soziale Beziehungen regeln, spielt das Rechtssystem in Hinblick auf die Rassenordnung eine besondere Rolle. Je unabhängiger es ist, desto mehr Möglichkeiten bietet es zur Gegenwehr. Komplizenschaft des Rechts mit der Rassenordnung Bereits um die Jahrhundertwende hatte die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) damit begonnen, über das Rechtssystem gegen die Rassenordnung zu kämpfen. Unterstützt durch die Mobilisierung einer schwarzen Mittelschicht und vieler sich solidarisierender weißer Amerikaner war diese Strategie in der Nachkriegszeit auch erfolgreich: Über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren – zwischen 1954, dem Jahr, in dem der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Segregation von Schulen nicht verfassungsgemäß ist, und der Verabschiedung des Civil Rights Act 1964 – wurde der Segregation im öffentlichen Raum die rechtliche Grundlage entzogen. Gleichzeitig engagierte sich die NAACP auch gegen das Rechtssystem – etwa gegen die Praxis, die Verdächtigen in Lynchmorden vor lokale Gerichten zu stellen, wo sie in der Regel freigesprochen wurden. Die NAACP forderte vergeblich, den Lynchmord stattdessen als Fall für höher geordnete Gerichte anzusehen. Somit kann das Recht, also die geschriebenen Gesetze und ihre Umsetzung, sowohl der Affirmation der Rassenordnung dienen als auch als Mittel zu ihrer Bekämpfung. Es ist vor allem die Komplizenschaft des Rechtssystems – sowohl im engeren Sinne der Gerichtsbarkeit als auch im weiteren Sinne unter Einschluss von Polizei und Gefängnissen –, die immer wieder in den Blick einer breiten Öffentlichkeit gerät: Amnesty International etwa wies 2003 anlässlich der 300. Hinrichtung eines Afroamerikaners seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1977 darauf hin, dass Schwarze überproportional häufig zum Tode verurteilt werden. Zwischen 1977 und 2003 wurden in den USA etwa eine halbe Million Menschen Opfer eines Mordes – zu fast gleichen Teilen handelte es sich um schwarze und weiße Amerikaner. Dennoch waren 80 Prozent der Hingerichteten wegen eines Mordes an Weißen verurteilt worden. Die Rechtswissenschaftlerin Michelle Alexander erregte 2010 mit dem Buch "The New Jim Crow" Aufsehen: Alexander sieht im war on drugs ein Bündel an Maßnahmen, mit denen über das Strafrecht vor allem junge afroamerikanische Männer unter rigide soziale Kontrolle durch die Polizei und ins Gefängnis gebracht werden. Sie sieht die Masseninhaftierung von Afroamerikanern in einer funktionalen Analogie zur Sklaverei, in denen eine rigide Kontrolle der Afroamerikaner über ihre rechtliche Definition als Eigentum ermöglicht wurde, wie auch in Analogie zur "alten" Jim-Crow-Ära, also der Zeit, in der die Segregation durch Gesetze festgelegt war. Ein Unterschied zu dieser Zeit besteht allerdings darin, dass damals Einkommen und sozialer Status keine Rolle spielten, weil die Kategorisierung "Colored" alles dominierte. Heute dagegen spielen diese Faktoren eine Rolle, weil Familien mit höherem Einkommen sich, etwa über den Wohnort, der Wahrscheinlichkeit in Polizeikontrollen oder kriminelle Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, stärker entziehen können, als dies Bewohner der Ghettos amerikanischer Innenstädte können. Dennoch: Der Anteil von Afroamerikanern an der ohnehin in der westlichen Welt ungewöhnlich hohen Gefängnispopulation ist ein weiteres klares Indiz für das Wirken der Rassenordnung in das Rechtssystem hinein. 2009 machten Afroamerikaner 39,4 Prozent der Gefangenenpopulation in den USA aus. Signifikant sind diese Zahlen auch deshalb, weil in fast allen Bundesstaaten der USA strafrechtlich verurteilte Gefängnisinsassen das Wahlrecht verlieren, was entsprechend wieder überproportional viele Afroamerikaner trifft. Es überrascht nicht, dass eine wichtige neue soziale Bewegung, die gegen die Rassenordnung und das damit verbundene Unrecht mobilisiert, Black Lives Matter, aus der Reaktion auf ein Gerichtsurteil entsprungen ist, nämlich dem Freispruch für den Nachbarschaftswächter George Zimmerman, der im Februar 2012 den Jugendlichen Trayvon Martin erschossen hatte. Der Eindruck, dass schwarze Leben weniger zählen, wurde im August 2014 durch den Tod Michael Browns in Ferguson bestärkt – ein weiterer junger schwarzer Mann, der in diesem Fall von einem Polizisten erschossen wurde, der wiederum freigesprochen wurde. Zu den vielen ähnlichen Fällen gehört auch der von Freddie Grey, der im April 2015 nach einer Verhaftung gefesselt in einem Polizeiwagen abtransportiert wurde und sich auf der Fahrt so schwere Rückenverletzungen zuzog, dass er eine Woche später an den Folgen starb. Der Fall ist auch deshalb bemerkenswert, weil nicht nur das Opfer, sondern auch ein freigesprochener Polizist, die anklagende Staatsanwältin und der urteilende Richter Afroamerikaner waren. Die Verstrickungen der Rassenordnung mit dem Rechtssystem ist so komplex, dass systemisches Unrecht oft nicht direkt aus dem individuellen Handeln Einzelner herausgelesen werden kann. Zur Annäherung an die Komplexität der Verstrickungen eignet sich ein literarisches Werk aus den 1960er Jahren. Systemisches Unrecht im Strafrecht 1960 erschien in den USA Harper Lees Roman "Wer die Nachtigall stört". Die Handlung spielt im US-amerikanischen Süden der 1930er Jahre, in dem ein weißer Anwalt sein Leben riskiert, um einen schwarzen Mann, zu verteidigen, der eine weiße Frau vergewaltigt haben soll. Lange Zeit wurde der Roman als Darstellung eines vorbildhaften Rechtsanwaltes gelesen. Heute stören sich viele an der Idealisierung des weißen Mannes und der Passivität der schwarzen Charaktere. Man kann den Roman aber auch als Beispiel lesen für die Stabilität der Rassenordnung und für das Scheitern einer weißen Elite, die dem Mann ein gerechtes Verfahren gewähren will: Zwar kann diese Elite ein Verfahren erkämpfen und zunächst verhindern, dass der Beschuldigte, Tom Robinson, gelyncht wird. In diesem aber spricht die weiße Jury allen Indizien zum Trotz den Angeklagten schuldig: Er kommt ins Gefängnis und wird dann bei einem Fluchtversuch erschossen. Die Anzahl der Kugeln, von denen Robinson durchlöchert wird, deutet an, dass doch eine Art Lynchmord mit legalen Mitteln stattgefunden hat. Damit beleuchtet der Roman die Verstrickungen von Recht und Rassenordnung sowohl außerhalb als auch innerhalb des Gerichtssaals, nämlich anhand des (historisch älteren) Lynchmordes und des (jüngeren) Strafrechtsverfahrens. Der Lynchmord an Afroamerikanern nach der Abschaffung der Sklaverei war Teil des Terrors, der Schwarze von Positionen der Macht fernhalten und sie davon abbringen sollte, ihre Rechte einzuklagen. Über den Zeitraum von 1890 bis etwa 1930 sank die Anzahl von Lynchmorden an Afroamerikanern fast proportional zum Anstieg an ihren legalen Exekutionen, und zwar sowohl auf gesamt- als auch auf einzelstaatlicher Ebene. Dieses Phänomen bildet einen argumentativen Baustein für die These, dass die Todesstrafe in den USA im Grunde die Fortsetzung des Lynchmordes mit legalen Mitteln ist. Schließlich kann man historisch (1920er und 1930er Jahre) einen Übergang von offenen Lynchmorden zu verdeckteren Formen rekonstruieren, in denen zunächst kurze Schauprozesse und dann öffentliche Exekutionen durchgeführt werden. In "Wer die Nachtigall stört" gibt es einen entscheidenden Dialog zwischen Atticus Finch und seiner Tochter: Der Rechtsanwalt legt nahe, dass es die weiße männliche Jury war, die ihre Ressentiments unzulässigerweise ins Spiel gebracht hatte. Eine solche Diagnose ist vorhersehbar nicht nur, weil sie so plausibel ist, sondern auch weil die Jurymitglieder als Laien das schwächste Element in dem ansonsten von ausgebildeten Juristen dominierten Gerichtsverfahren sind. Laien kann man am leichtesten die Schuld zuschieben. Richter und Staatsanwälte hingegen sind im Roman von der Kritik am Gerichtsverfahren noch ausgeschlossen. Darin äußert sich eine auf schrittweise Verbesserung setzende Haltung, die die tiefe Verstrickung der scheinbar unabhängigen Experten in die Rassenordnung verkennt. Symbolisch zentral sind die Richter. An ihnen hängt die Fiktion einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, in der Menschen mit Robe quasi entkörperlichte Wesen sind: Ihrer Sozialisation und allem, was sie zu Menschen macht, enthoben, sollen sie zu Repräsentanten des Gesetzes werden. Tatsächlich sind es in den Südstaaten häufig die Richter, die sich bei der Entscheidung über das Strafmaß – oft auch gegen die Empfehlung der Jury – für die Todesstrafe aussprechen. Während man bei Jurymitgliedern durchaus den Verdacht der Voreingenommenheit haben kann und sie entsprechend genau befragt und belehrt, ist dies bei Richtern anders: Obwohl auch Richter in eine Machtordnung hineinsozialisiert worden sind und sich in der Regel der entsprechenden Haltungen und Einstellungen kaum bewusst sind, gilt die Fiktion ihrer Unvoreingenommenheit oft als notwendig für das Funktionieren der Justiz. So schrieb, bezogen auf den Fall eines französischen Gerichtspräsidenten, der seine Befangenheit in einem Verfahren um sexuelle Belästigung zugab, der Philosoph und Soziologe François Ewald: "Wie sähe eine Justiz aus, in der die Parteien ihre Richter auswählen könnten, abhängig davon, wie sie deren Urteile einschätzten, deren Geschlecht, Hautfarbe, soziale Herkunft oder andere Eigenschaften?" Er beantwortete seine rhetorische Frage mit der Dystopie eines "ewigen Krieges". Folglich fällt es schwer, für eine proportionale Repräsentation schwarzer Richter im Rechtssystem der USA oder analog für die Repräsentation von Minderheiten auf Schlüsselpositionen im Rechtssystem zu argumentieren. Eine solche Schlüsselposition in US-amerikanischen Strafrechtsverfahren kommt den Staatsanwälten zu. Sie können etwa Menschen von der Liste der Juroren streichen – wenngleich der Oberste Gerichtshof 1986 entschied, dass es nicht verfassungsgemäß ist, eine identifizierbare Menschengruppe systematisch von der Jury auszuschließen. Staatsanwälte entscheiden über die Art der Anklage und führen vor Beginn des eigentlichen Verfahrens eine Reihe von Gesprächen hinter verschlossenen Türen, in denen sie dem Angeklagten verschiedene Optionen eröffnen können, aber nicht müssen, darunter etwa den Verzicht auf ein Verfahren vor einer Jury, ein Schuldgeständnis gegen verringertes Strafmaß. Da etwa 95 Prozent der Strafrechtsverfahren über Schuldgeständnisse abgeschlossen werden, haben die Staatsanwälte eine außergewöhnliche Macht – zumal sie bei ihren Verhandlungen niemandem Rechenschaft schuldig sind und ihre Entscheidungen kaum transparent machen müssen. Auch bei der Todesstrafe sind die Staatsanwälte ganz entscheidend: In den USA gibt es 16 Bezirke, in denen seit 2010 fünf oder mehr Menschen zum Tode verurteilt wurden. Diese Bezirke zeichnen sich durch aggressive Staatsanwälte und überforderte Pflichtverteidiger aus – für Angeklagte, die sich keinen Anwalt leisten können, eine fatale Kombination. Hinzu kommt in einigen Bezirken eine Geschichte von Rassismus und Ausgrenzung, die über komplizierte Mechanismen in die Konstellation von Staasanwalt und Pflichtverteidiger hineinwirkt. Im Gegensatz zum Amt des Richters nämlich, ist das des Staatsanwaltes in den USA politisiert: In den allermeisten Bezirken werden die Staatsanwälte lokal gewählt oder müssen zumindest durch eine Wahl in ihrem Amt bestätigt werden. Um einen Wahlkampf zu führen, braucht man Geld, und wie anderswo in Amerika auch investieren Lobbyorganisationen gezielt in solche Wahlkämpfe: Hier kann man mit relativ wenig Geld relativ nachhaltig Politik gestalten. So trifft die Relevanz von "Rasse" für die Wahrscheinlichkeit, vor Gericht gerecht behandelt zu werden, auf die offene Politisierung und Ökonomisierung der Gerichtsbarkeit. Schluss Die Rassenordnung ist mit leichten, aber nicht unwichtigen Modifizierungen erhalten geblieben: Mit hohem Einkommen und Vermögen können sich heute auch Afroamerikaner Bildung und Gerechtigkeit leisten. Tatsächlich gibt es, stärker noch als vor 50 Jahren, eine schwarze Elite an Ärzten, Wissenschaftlern, Juristen, Geschäftsleuten, Sportlern, Politikern oder Schauspielern, die mit den Ghettos der Innenstädte, mit Gewalt, schlecht ausgestatteten Schulen oder gar Drogen und Beschaffungskriminalität kaum in Berührung kommen. Wenn sie sich nicht aus Überzeugung dennoch gegen Armut und Diskriminierung engagieren, bedeutet eine solche Differenzierung in der Erfahrung von Afroamerikanern auch eine Spaltung der Gruppe der Unterdrückten und dies wiederum einen relativen Machtverlust. Zu kompensieren wäre er allenfalls durch eine Solidarisierung von armen Menschen über die Grenzen der Rassenordnung hinweg, was unwahrscheinlich ist: Die historische Erfahrung ist ja gerade umgekehrt die Spaltung von ökonomisch Benachteiligten durch die Rassenordnung. So verdeutlicht die Langlebigkeit dieser ungerechten Ordnung, dass Stabilität und Wandel, verstanden als gerichtete Veränderungen, nicht notwendig Gegensätze sind. Die Rassenordnung reproduziert sich auch durch Wandel. Die vielen Reformen, zum Beispiel die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, sind sicher Verbesserungen, aber sie ließen die darunterliegende Machtordnung weitgehend unangetastet: Sie kleideten sie in ein neues, feineres Gewand – nicht so hässlich wie das des 19. Jahrhunderts mit seinen Lynchmorden oder das der 1950er Jahre, in denen Diskriminierung noch explizit in Gesetzen festgeschrieben war. Nachhaltig zu erschüttern wäre die Machtordnung nur durch tiefgreifende Veränderungen und Umverteilungen: nicht nur im Rechts- und Bildungswesen, sondern in den ökonomischen Bedingungen, die ihnen zugrunde liegen. Dies war der Grund, warum Martin Luther King 1968 erneut nach Washington marschieren wollte. W.E.B. Du Bois, The Evolution of the Race Problem, in: National Negro Conference (Hrsg.), Proceedings of the National Negro Conference, New York 1909, S. 142–158. Vgl. hier und im Folgenden Norbert Elias/John L. Scotson, Etablierte und Außenseiter, Frankfurt/M. 2002, S. 27. Ich widerspreche mit Elias der geläufigen Auffassung, dass sich Menschen über andere erheben, "weil diese irgendwie anders sind". Dies wurde von Laura Cwiertnia et al. in Bezug auf den Antisemitismus behauptet, Wie antisemitisch ist Deutschland?, in: Die Zeit, 1.2.2018, S. 14. Elias/Scotson (Anm. 2), S. 13. Matthew Desmond/Mustafa Emirbayer, What is Racial Domination?, in: Du Bois Review 2/2009, S. 335–355, hier S. 339. Vgl. Jeremy Ashkenas/Haeyoun Park/Adam Pearce, Even With Affirmative Action, Blacks and Hispanics Are More Underrepresented at Top Colleges Than 35 Years Ago, 24.8.2017, Externer Link: http://www.nytimes.com/interactive/2017/08/24/us/affirmative-action.html. Affirmative action bezeichnet die gezielte Bevorteilung von sozialen Gruppen, um gesellschaftliche Benachteiligung zu kompensieren. Vgl. Thomas M. Shapiro, The Hidden Cost of Being African American: How Wealth Perpetuates Inequality, Oxford 2004, S. 1–18. Pierre Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1976, S. 168 und S. 183. Amnesty International, United States of America. Death by Discrimination – the Continuing Role of Race in Capital Cases, 23.4.2003, Externer Link: http://www.amnesty.org/en/documents/AMR51/046/2003/en. Michelle Alexander, The New Jim Crow. Mass Incarceration in the Age of Colorblindness, New York 2010. Siehe hierzu auch den Beitrag von Michael Hochgeschwender in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Vgl. Katharina Motyl, Der War on Drugs. Die Hyperinhaftierung sozial schwacher Amerikaner und Perspektive der Strafrechtsreform, in: Michael Butter/Astrid Franke/Horst Tonn (Hrsg.), Von Selma bis Ferguson. Rasse und Rassismus in den USA, Bielefeld 2016, S. 191–214, hier S. 191f. Vgl. Nicole Hirschfelder, #BlackLivesMatter: Protest und Widerstand heute, in: Butter/Franke/Tonn (Anm. 11), S. 231–260. Vgl. Manfred Berg, Popular Justice. A History of Lynching in America, Chicago 2011. Vgl. Carol S. Steiker, Things Fall Apart, But the Center Holds. The Supreme Court and the Death Penalty, in: New York University Law Review 77/2002, S. 1475–1490. François Ewald, Justitia ist keine Frau, 11.1.2018, Externer Link: http://www.nzz.ch/feuilleton/das-geschlecht-der-richter-ld.1346025. Vgl. Angela J. Davis, Arbitrary Justice. The Power of the American Prosecutor, Oxford 2007. Vgl. Emily Bazelon, Where the Death Penalty Still Lives, 23.8.2016, Externer Link: http://www.nytimes.com/2016/08/28/magazine/where-the-death-penalty-still-lives.html.
Article
, Astrid Franke
"2022-02-17T00:00:00"
"2018-03-14T00:00:00"
"2022-02-17T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/266281/rassenordnung-als-machtordnung/
Warum ist das Verhältnis von weißen und schwarzen Amerikanern seit Jahrhunderten stabil? Die Kontinuität der Ordnung wird in den Bereichen Bildung und Justiz deutlich.
[ "USA", "Rassismus", "Bürgerrechtsbewegung", "Polizei", "Armut", "Literatur", "APuZ 12/2018", "APuZ", "Black America", "USA" ]
30,659
Von der Redaktion: На дачу – in die Sommerpause | Ukraine-Analysen | bpb.de
Die Ukraine-Analysen machen wie üblich eine Sommerpause. Die nächste Ausgabe – Ukraine-Analysen 255 – erscheint im September 2021. Darin kommentieren mehrere Autorinnen und Autoren, welche Bedeutung das Ende der Sowjetunion vor 30 Jahren für die heutige Ukraine hat. Außerdem sind in der zweiten Jahreshälfte Analysen u. a. zur Militärreform, Digitalisierung, Agrarholdings und Corporate Governance geplant. Die Entwicklung der Coronavirus-Pandemie in der Ukraine wird nach der Sommerpause weniger Raum einnehmen. Die regelmäßige Covid-19-Statistik erscheint in dieser Ausgabe zum letzten Mal und wird danach eingestellt. Die tagesaktuellen Covid-19 Zahlen für die Ukraine sind u a. frei zugänglich unter: Externer Link: https://www.pravda.com.ua/cdn/covid-19/cpa/. Auch wird es keine eigenständige Covid-19-Chronik mehr geben: Wichtige Meldungen zur Covid-19-Situation finden sich ab September in der "normalen" Chronik der Ukraine-Analysen. In der Online-Chronik (Externer Link: https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/chronik) gibt es die Möglichkeit, anhand der Suchbegriffe "Corona" oder "Covid-19" alle Meldungen zum Thema zu filtern, so dass Sie sich für beliebige Zeiträume und alle von den Länder-Analysen erfassten Länder eigene Corona-Chroniken erstellen können. Falls Sie auch während unserer Sommerpause aktuelle Analysen und Kommentare der Redaktion der Länder-Analysen sowie der herausgebenden Institutionen lesen wollen, finden Sie regelmäßig aktuelle Links beim (auch ohne Anmeldung) frei zugänglichen Twitter-Konto der Länder-Analysen: Externer Link: https://twitter.com/laenderanalysen. Wir wüschen unseren Leserinnen und Lesern einen erholsamen Sommer – und bleiben Sie gesund! Die Redaktion der Ukraine-Analysen Dr. Eduard Klein, Dr. Fabian Burkhardt, Matthias Neumann
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-09-30T00:00:00"
"2021-08-10T00:00:00"
"2021-09-30T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/338101/von-der-redaktion-na-dachu-in-die-sommerpause/
Die Ukraine-Analysen machen wie üblich eine Sommerpause. Die nächste Ausgabe – Ukraine-Analysen 255 – erscheint im September 2021.
[ "Ukraine" ]
30,660
9. Statusbericht (2019) | Netzwerk Bürgerhaushalt | bpb.de
Der aktuelle Trend geht hierbei in Richtung Bürgerbudget, bei dem der Rat der Stadt den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern einen festgelegten Betrag zur Verteilung auf Projekte und Vorhaben zur Verfügung stellt. Wenngleich die ursprüngliche Idee des Bürgerhaushalts damit weiterhin (und bis auf Weiteres) unerreicht bleibt, sorgen doch, so die Beobachtung, die Burgerbudgets für eine relativ hohes Maß an Beteiligung. Die drei Beispiele (Eberswalde, Stuttgart, Gelsenkirchen) sollen den Bericht illustrieren und zeigen, wie vielfältig ausdifferenziert die Bürgerhaushaltslandschaft mittlerweile ist. Zum neunten Statusbericht geht`s hier: Interner Link: 9. Statusbericht (PDF)
Article
Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt
"2022-11-18T00:00:00"
"2022-08-25T00:00:00"
"2022-11-18T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/stadt-land/buergerhaushalt/512383/9-statusbericht-2019/
Was darf eigentlich als Bürgerhaushalt zählen? Der 9. Statusbericht liefert eine Definition, die die Bewegung in Deutschland vermisst, aber gleichzeitig möglichst viele Varianten erfasst.
[ "Bürgerhaushalt - Bürgerbudget", "Bürgerhaushalt ", "Bürgerbudget" ]
30,661
Bürgerliche Bekenntniskultur statt Identitätspolitik - Essay | Identitätspolitik | bpb.de
Ich, Ich, Ich. Ich großgeschrieben, Ich durchgestreckt. Überall Ich. Francis Fukuyamas neue Großthese lautet, dass Politik weltweit von einer ökonomisch grundierten Rechts-links-Unterscheidung auf eine "identity axis", eine "Identitätsachse", umschwenkt, die Fortschritt anhand von Kleingruppenbildung nach den Kriterien Ethnie, Religion oder Geschlecht misst. Identitätspolitik wird dann gefährlich, so Fukuyama, wenn sie nicht mehr nur Gleichheit herstellen, sondern bestimmte Charakteristika hervorheben und gegenüber anderen als überlegen konstituieren will. Wenn also das Ich über das Wir siegt, Differenzen stärker betont werden als Gemeinsamkeiten. Ihren symbolischen Ausdruck findet diese allgemeine "Tendenzwende" in den unterschiedlichsten Sphären: In der deutschen Theaterlandschaft etwa spiegelt sie sich eindrücklich in der Ablösung der sozialkritischen Berliner Volksbühne durch das diversitätszentrierte Maxim-Gorki-Theater als maßgebliches Schauspielhaus mit politischem Anspruch. Das Gorki ist in der Tat das erste "identitäre Theater" Deutschlands, weil es sich von dem universellen Freiheitsversprechen der Kunst verabschiedet und zum Ritualplatz einer abgrenzenden Selbstvergewisserung für einzelne Identitätskollektive geworden ist. Nicht mehr auf den Nachvollzug eines überindividuellen Arguments wird hier die Hoffnung gesetzt, sondern auf Identifikationsangebote für eine je nach Hautfarbe und Herkunft changierende Minderheit. Von der Beschäftigung mit der – berechtigten – Frage nach der Repräsentanz benachteiligter Gruppen auf deutschen Bühnen führt kein Weg mehr zum Ideal der Gesamtgesellschaft und der Frage nach ihrem utopischen Potenzial. Dabei erscheint die identitäre Agenda genau genommen als inkonsequent. Zwar toleriert man es auf vielen Bühnen nicht mehr, wenn eine schwarze Rolle mit einer nicht schwarzen Schauspielerin besetzt wird, und kritisiert, wenn ein türkischer Gemüsehändler nicht von einem türkischstämmigen Darsteller gespielt wird. Aber, so der Journalist Christian Baron: "Interessanterweise verlangt niemand, dass der türkische Gemüsehändler auch von einem Gemüsehändler oder zumindest vom Sohn eines solchen gespielt wird. Bei ethnischen Zuschreibungen ist die Echtheit für die tonangebende Kulturkaste also ein moralisches Gebot, im Falle der sozialen Klassenlage dagegen ist die Mimesis nach wie vor erlaubt und erwünscht." Identität ist das Schlagwort der Stunde. Was früher die Konfession war, später die Ideologie wurde, ist heute die Identität: das erfolgversprechendste Mittel, um Zugehörigkeit zu signalisieren. Identität ist ein Begriff, der auch deshalb im bedrohlich unübersichtlichen 21. Jahrhundert eine solche Anziehung entwickelt, weil er einen Anspruch auf besonderen Schutz geltend macht. Er lässt sich einsetzen wie ein Schild, hinter dem man sich verschanzen und angegriffen fühlen kann. Denn gegen Identität lässt sich nur schwer argumentieren. Angesiedelt in einer "Zwischenzone zwischen Selbstauskunft und Fremdbeschreibung" behauptet der Begriff, Tatsache zu sein, ohne auf seinen transitiven Status verzichten zu wollen: Jede Identitätsbehauptung ist durch faktische Entwicklungen sowie durch ein komplexes Sprachspiel der Identitätszuschreibungen konstituiert. Damit ist Identität an sich eine offene Bestimmung, etwas, "das noch nicht ganz oder noch nicht genug da ist und das vervollständigt werden muss". Begriffsgeschichtlich lässt sich Identität bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Erstmals gebraucht wurde der lateinische Begriff "identitas" im 12. Jahrhundert als Bezeichnung für diejenigen Merkmale, die verschiedenen Elementen einer Gruppe gemeinsam waren. Von diesem logischen oder ontologischen Identitätsbegriff, der die Zugehörigkeit verschiedener Gegenstände oder Personen zu einer einheitlichen Klasse oder Art beschreibt, unterscheidet sich der Begriff der individuellen Identität. Während der Begriff in der Metaphysik, Logik und Mathematik lange Zeit verwendet wurde, um die Übereinstimmung zweier oder mehrerer Bezugsgegenstände zu bezeichnen, machte der US-amerikanische Psychoanalytiker Erik H. Erikson den Begriff in den 1950er Jahren als Ausdruck eines einzigartigen Selbst populär. Unter Identität verstand er nun die subjektive Selbstdefinition verbunden mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Erikson ging es darum, die weitverbreiteten Gefühle von Unsicherheit und Entfremdung in den USA des Kalten Krieges zu beschreiben. Pointiert gesagt, brachte er Identität in Stellung, um von einer "Identitätskrise" sprechen zu können. In der Psychoanalyse liegt somit die Wurzel unserer Vorstellung von individueller Identität. Identität als politisches Mittel Die Stärkung partikularer Interessen, vor allem auch das Aufbegehren gegen Diskriminierung und der Kampf um Gleichstellung, wurden zuerst in den USA zum Inhalt einer sogenannten Identitätspolitik (identity politics), da sich hier das Versprechen der allgemeinen Gleichheit und Freiheit für Teile der Bevölkerung nicht erfüllte. Die Erfüllung einer liberalen Agenda sollte in den USA in einer Gesellschaft geschehen, die durch rassistische Segregation und Diskriminierung geprägt war. Folglich verwundert es nicht, dass sich der Kampf um Freiheit mit einer affirmativen Aneignung ethnischer oder kultureller Typen zur Bildung von Interessenverbänden verknüpfte. Die Festlegung ethnischer und kultureller Typen bemüht jedoch, wenn er als überzeitliche Wahrheit genommen wird und nicht als Ausdruck lokal durchzusetzender Interessen, einen starren Begriff von kollektiver Identität, wie er auch rassistische Vorstellungen auszeichnet. Immer wieder ist heute nun mit Blick auf die politische Linke von Identitätspolitik oder identity politics die Rede. Was damit bezeichnet wird, verbindet die psychoanalytisch beschriebene Ich-Identität als ideales Ziel, die Emanzipation, mit dem Mittel der Affirmation und Stärkung teils zugeschriebener, teils selbstgewählter Kollektividentitäten. Solange das ideale Ziel der Emanzipation nicht erreicht ist, macht aber das, was eigentlich als Mittel gedacht war, das Ziel des politischen Handelns aus: das Bekenntnis zur diskriminierten Gruppe. Darüber hinaus begegnet uns das Wort Identität aber auch am politisch gegensätzlichen Ende, im Namen der "Identitären Bewegung". Im Gegensatz zu denjenigen, die in der Rücksichtnahme auf oder in der Angleichung des Allgemeinen an das Besondere das höchste politische Gut sehen, sehen sich die Anhänger der "Identitären Bewegung" als Verteidiger einer lokalen kollektiven Identität, die sich im Prozess der Globalisierung aufzulösen drohe. Beiden politischen Mobilisierungen des Identitätsbegriffs geht eine vorpolitische Fixierung auf das Individuelle voraus. Wandel des kulturellen Bewusstseins Welche gesellschaftlichen Strukturprobleme verbergen sich hinter einer solchen Fixierung auf das eigene Ich? Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt unsere Gesellschaft als eine "Gesellschaft der Singularitäten", die nicht mehr von allgemeinen Standards geprägt sei, sondern von Prozessen der Vereinzelung, der Herausbildung von individualistischer Identität. Der radikale Wandel von der industriellen zur digitalen Spätmoderne hinterlasse seine Spuren nicht nur im Arbeitsleben, wo nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Erwerbstätigen im industriellen Sektor tätig sei, während die Dienstleistungsberufe absolut dominierten, sondern auch im kulturellen Bewusstsein, also der Mentalität: Reckwitz beobachtet für den Zeitraum seit den 1980er Jahren eine "Erosion klassischer Pflicht- und Akzeptanzwerte (…) und dafür einen Aufstieg von Selbstentfaltungs- und Selbstverwirklichungswerten, eine singularistische Wertestruktur, in der der Einzelne sich selber und seine eigenen Bedürfnisse und deren Entfaltung mehr ins Zentrum stellt". Die Folge sei die Fragmentierung der Gesellschaft. Immer mehr Identitäten erheben Anspruch auf Anerkennung und Schutz, wollen sich aber nicht mehr zu einem Ganzen bekennen – außer dem Ganzen, das sie selbst zu sein meinen. Der ökonomische Individualismus geht einher mit einem kulturellen. In diesem Zuge wird das politische Links-rechts-Schema überlagert von einem neuen Gegensatz: Auf der einen Seite steht eine Wertestruktur, die Öffnung als zentrales Leitmotiv setzt: Öffnung der Identitäten, der Märkte und der Grenzen werden zusammengedacht und somit linke wie wirtschaftsliberal-rechte Werte miteinander gemischt. Auf der anderen Seite findet sich ein starker Hang zur Regulierung, Ordnung und Kollektivität, zu nationaler Homogenität, traditionelleren Geschlechterrollen, religiösen Bindungen. Genauso finden sich aber auch Versatzstücke traditionell linker Sozialpolitik wie etwa stärkere staatliche Regulierung des Marktgeschehens, nicht selten verbunden mit einem Bezug auf die Interessen des Arbeitermilieus. Grundsätzlich steht das Lebensgefühl eines liberalen Kosmopolitismus einer von Entwertungserfahrungen gekennzeichneten Lebenslage moralisch oder materiell Deklassierter gegenüber. Immer stärker wird deutlich, dass Begriffe wie "Emanzipation", "Migration" oder "Digitalisierung" unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Dass der globale Erfolg populistischer Politik auf fatale Weise mit der linken Hinwendung zu Identitätspolitik und Moralthemen und der Vernachlässigung der sozialen Frage zusammenhängt, hat der US-amerikanische Politikwissenschaftler Mark Lilla vielleicht nicht als erster, aber auf besonders prägnante Weise erkannt. In einem Artikel für die "New York Times" forderte er im November 2016 ein Ende der euphorischen Differenzaufzählung als Fundament Demokratischer Politik. Wer über Gesellschaft nur als Ansammlung von Minderheiten spreche, befeuere eine narzisstische Opfermentalität, die sich nur noch für die eigenen Lebensumstände interessiere. Der universale Anspruch, über Gesellschaft als Ganzes zu sprechen, werde als diskriminierend und homogenisierend diffamiert und das Engagement für benachteiligte Gruppen zum höchsten politischen Ziel erklärt. Folgt man Mark Lillas Ansicht, lässt sich erkennen, wie sehr der vorpolitische Individualismus mit dem identitätspolitischen Bemühen verbunden ist, diskriminierten Minderheiten allein mittels einer "identitären" Symbolpolitik einen besseren Stand zu verschaffen. Einerseits hat der Einsatz für eine sogenannte diskriminierungsfreie Sprache durchaus Berechtigung, weil er uns daran erinnert, dass im kommunikativen Umgang Stereotypisierungen zu meiden sind. Es wäre jedoch fatal, beispielsweise anzunehmen, die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter sei mit Sprachregelungen durchzusetzen. Bei faktischer Gleichstellung wäre es gar nicht nötig, das Wort "man" als "Mann" misszuverstehen. Denn der Sinn der Vokabel besteht ja gerade darin, dass er allumfassend beziehungsweise generisch alle Mitglieder einer nicht näher bestimmten Gruppe umfasst. Wie gesagt, die reine Symbolpolitik hat die Tendenz, das Ziel wirklicher Gleichstellung innerhalb eines politischen Gefüges zu verschleiern. An dessen Stelle tritt dann unter Umständen auch die Zielvorstellung einer vorpolitischen Freiheit, die einer "singularistischen Wertestruktur" das Wort redet. Jene ist aber per se nicht politisch, betrifft nicht die Organisation des Gemeinwesens, sondern nur die Befriedigung von Konsum- und Schutzbedürfnissen Einzelner. Dann wird eben durch das Bekenntnis der Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Minderheit kein politischer Kampf um Gleichstellung mehr geführt, sondern es dient als Schutzmantel, um sich ungestört der Befriedigung eigener Bedürfnisse zu widmen. Lilla attestiert den amerikanischen Linksliberalen eine "obsession with diversity" und erinnert dagegen an den bindenden Wert des Gemeinsinns: "National politics in healthy periods is not about ‚difference‘, it is about commonality." Nur wenn sich die Linke von ihrem neuen moralpolitischen Kurs verabschiede und sich wieder Fragen der Klasse, der Wirtschaft und der Solidarität zuwende, habe sie eine Chance gegen den grassierenden Populismus. Identitätspolitik ist nicht politisch Inzwischen werden auch Stimmen laut, die hierzulande eine Hinwendung von Linksliberalen zu Identitätspolitik scharf kritisieren: Der Kultursoziologe Wolfgang Engler etwa argumentiert, dass sich "der globalisierungsaffine Teil der ökonomisch Beherrschten mittels Identitätspolitik und politischer Korrektheit kulturelle Herrschaft über die Zurückgebliebenen" anmaße und diese durch ihren eigenen bewussten Konsum, ihre eigene besonnene ökologische und achtsame Lebensführung in einen ständigen Rechtfertigungszwang versetze. Ihr individualistischer Slogan laute "Weltveränderung als Selbstveränderung" und passe hervorragend in das Anforderungsprofil des Kapitalismus. Auch der Philosoph Robert Pfaller bringt die Vernachlässigung sozialer Konflikte gegen eine identitäre Kultur der Achtsamkeit in Stellung: "Auf der einen Seite haben sich die Verhältnisse brutalisiert, wenn jedes fünfte Kind unter der Armutsgrenze lebt in so einem reichen Land. Auf der anderen Seite sind genau diese Entwicklungen, die dann immer härtere Verhältnisse hervorgebracht haben, von einer Kultur begleitet worden, die ein immer zartfühlenderes Verständnis für irgendwelche Verletzlichen entwickelt hat." Polemisch zugespitzt lässt sich sagen: Eine Politik, die an vereinzelten Identitäten orientiert ist, statt unter Anerkennung von Unterschieden das Gemeinsame zu suchen, hört auf, Politik zu sein, und begünstigt sozialen Partikularismus. Dann interessiert sich das Bewusstsein eines politischen Subjekts nicht mehr für institutionelle Machtzusammenhänge und die Verteilungskämpfe zwischen legislativer, judikativer und exekutiver Gewalt. Eine solche politische Haltung spielt einem ideologischen Neoliberalismus durchaus in die Hände. Denn die einzelnen Personen werden insgeheim nur noch als Konsumenten oder Produktivkräfte gedacht: Wenn aber die Dienstleistung für Lohn als Selbstverwirklichung gelten kann, ist sie kein Problem mehr, sondern das höchste Gut einer individualistischen Ethik. So bewirkt Identitätspolitik gerade nicht die politische Emanzipation von Benachteiligten. Vielmehr negiert sie den selbstbewussten Freiheitssinn des Einzelnen, weil er sich nicht mehr durch seine aktive Tätigkeit als Bürger, sondern nur noch über Äußerlichkeiten wie Hautfarbe, sexuelle Vorlieben und Migrationserfahrungen, aber denkbarerweise auch Körpergewicht, Alter oder den Grad an individueller Sensibilität bestimmen kann. Vielmehr als Emanzipation bedeutet Identitätspolitik deshalb Einordnung unter kleinkollektive Identitätsmarken. Die "Identitäre Bewegung" ist dann nur die radikale Gegenseite derselben Medaille. Nur wird hier unter Identität nicht das Selbstverständnis als Frau, Schwarzer oder Homosexueller verstanden, sondern die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die sich durch Ethnizität bestimmt und damit essenzialistisch auf Partikularität fixiert bleibt. Jedes Hantieren mit Identität hat somit immer einen antiuniversalistischen Effekt. Es geht, wie Lilla pointiert dargestellt hat, um subjektive Expression, nicht um allgemeine Überzeugung – man könnte auch sagen um Gefühl, nicht um Verantwortung. Im Grunde bedeutet die Tendenzwende hin zur Identitätspolitik eine Schwächung wirklicher Politik, also des Strebens nach dem größtmöglichen Gemeinwohl. Bürgerliche Bekenntniskultur Es ist heute dringend nötig, an einer neuen Form von Bekenntniskultur zu arbeiten, die sich der politischen Auseinandersetzung über das gemeinsame Gut stellt. Ausgangspunkt einer solchen Arbeit wäre eine prinzipielle Neuverhandlung dessen, was unter dem "Allgemeinen" zu verstehen ist. Denn Politik ist, wenn nicht viel mehr, so zumindest das: die Organisation des gemeinsamen Zusammenlebens über das Private hinaus. Worauf könnte sich also ein "Wir" beziehen lassen, wenn nicht auf Kleingruppen oder auf eine neovölkische Vorstellung von schicksalhafter Zugehörigkeit? Zwar hat der israelische Philosoph Omri Boehm nicht Unrecht, wenn er mit Blick auf die USA im patriotischen Liberalismus nur eine weitere Spielart des Identitätsliberalismus erkennt, "eine Variante nicht für Frauen, Schwarze, LGBTQ oder Muslime, sondern für all jene, die politische Debatten mit dem Ausdruck ‚wir Amerikaner‘ beginnen können". Allerdings ist die Kategorie des Nationalstaates eben umfassender, gleichsam beweglicher und damit integrativer als andere Bezugsgrößen. Von Europa als Zentrum der politischen Integration zu träumen, ist trotzdem weiterhin erlaubt. Entscheidend ist die Frage, ob man sich heute gesellschaftliche Veränderung im Ganzen jenseits eines Kampfes für Partikularrechte überhaupt noch vorstellen kann. Ob es eine Rückkehr vom unternehmerischen Individualismus zur gemeinsamen Bestimmung geben kann und wie sich erneut ein universales Interesse am Schicksal der umgebenden Welt jenseits der eigenen vier Identitätswände stimulieren ließe. Die Kategorien "Rasse" und "Klasse" sind verbraucht. Zu viel schandhaft Schreckliches wurde in ihren Namen getan. Die Kategorie "Bürger" hingegen ist einigermaßen unbeschadet aus den Verheerungen der Jahrhunderte hervorgegangen. Sie kann noch heute Anziehung und Bindungskraft entwickeln, auch wenn ihre Ursprünge bis in die Antike, insbesondere in die römische Republik, zurückreichen. Politische Integration der Gesellschaft Roms Oberschicht war nicht einfach nur eine für vormoderne Hochkulturen typische Form der Aristokratie, die Ehre, Reichtum und Macht qua Erbfolge bei sich monopolisierte. Sie musste sich vielmehr ihrer Prestigestellung durch die Teilnahme an der politischen Organisationsstruktur stets neu versichern und ihre individuelle soziale Schätzung durch die Wahl in politische Ämter bestätigen lassen. Nur wer ein hohes Amt bekleidete, wurde auch hoch angesehen. Politik beziehungsweise die Ausübung politischer Ämter war in der stratifizierten römischen Gesellschaft somit das entscheidende Mittel der Rangmanifestation. Der Historiker Aloys Winterling bringt diesen Umstand auf die Formel einer "politischen Integration der Gesellschaft" und verweist gleichzeitig auf den besonderen, weil antimonarchisch-städtischen Kontext dieser Ordnung, die mit einer Trennung von Amt und Person einherging und deren Integrationswirkung sich auch auf alle wählenden männlichen Vollbürger übertrug, die durch die Teilnahme an der Volksversammlung ihre Zugehörigkeit zum Gemeinwesen beglaubigten. Der antike Bürgerbegriff ist bekanntlich beschränkt, schließt Frauen, Unfreie und Ausländer aus. Aber in einer modernisierten, rechtlich erweiterten Form könnte er dem ideologiemüden und populismusgefährdeten 21. Jahrhundert durchaus wieder von Nutzen sein. Denn wenn Bürgerlichkeit heute unter dem Eindruck der technologischen Transformationen nicht mehr allein von der Erwerbsarbeit her gedacht werden kann, gesellschaftliche Teilhabe unabhängig von Lohnarbeit definiert werden muss, dann bietet sich die Politik wieder als geeignetes Integrationsfeld an. Dabei ist Bürgerlichkeit immer als ein Status zu verstehen, der durch Teilnahme gewonnen wird, nicht als unbestreitbare Eigenschaft vorhanden ist. Eine solche "bürgerliche Bekenntniskultur" würde das Individuum zuallererst wieder zum selbstverantwortlichen Subjekt machen und es aus seinem identitären Kokon, seiner Rolle als einem von Staat und Gesellschaft schlecht behandelten Kunden befreien. Die Wiederbelebung des Bürgerempfindens hätte zur Folge, dass der soziale Partikularismus zugunsten eines politischen Universalismus verabschiedet würde, damit gemeinwohlorientierte Ziele formuliert und überindividuelle Fragen nach Gerechtigkeit, Machtverteilungen und Verantwortungen gestellt werden können. Übergeordnetes Ziel wäre eine Versöhnung der verschiedenen Identitätskollektive und Subjektgruppen, denn nur eine versöhnte oder zumindest versöhnliche Gemeinschaft kann auf Dauer stark bleiben, eine Demokratie sich nur halten, wenn die Teilhabe an ihr nicht nur individuelle Vorteile, sondern auch kollektive Verantwortung bedeutet – wenn Solidaritätserfahrungen und Pflichtanforderungen Hand in Hand gehen. Aufruf zum republikanischen Wir Im Sinne Kennedys berühmten "ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country" ginge es einer postidentitären Bekenntniskultur darum, wieder das Leitbild einer möglichen gemeinsamen Handlung ins Zentrum zu stellen. Das bedeutet, dass die Politik ihre Bürger eben nicht im Stil einer wohlfeilen Pseudopädagogik dort abholt, wo sie stehen, sondern ihnen die Möglichkeit gibt, auf eigene Faust zu handeln. Also ihnen Lust macht auf ein bürgerschaftliches Selbstbewusstsein und darauf, Verantwortung für eine größere Sache als den eigenen Gartenzaun zu übernehmen. Im Grunde ist die politische Gemeinschaft auch eine Möglichkeit, sich von der Überforderung der Einzel-Existenz zu entlasten. Die Notwendigkeit des Miteinanders, des Gefühls eines "republikanischen Wir", ergibt sich aus der Unvollkommenheit des Einzelnen. Der Bürger ist als politisches, nicht als biedermeierliches, Subjekt eine zwischen lokaler Gemeinschaft und globaler Gesellschaft verantwortlich vermittelnde Person, die ohne Bevormundung nach milieu-übergreifenden Gemeinsamkeiten sucht. Damit ist für den Bürger Politik ein nie endender Prozess der Einigung und Versöhnung von Unterschieden. Auf welches Ideal weist das schlussendlich hin? Gefordert wäre ein Begriff von Gemeinwohl, der jenseits von Konsum und Moral auch für bürgerliche Verantwortung und politische Integration steht. Dieses Bekenntnis zum Gemeinwohl impliziert erstens, dass die Kategorie des Bürgers gegenüber dem Konsumentendasein zurückerobert wird; zweitens, dass die soziale Frage nach universaler Gerechtigkeit über die identitäre Frage nach individueller Gruppenzugehörigkeit gestellt wird; und drittens, dass der verbale Konflikt neu wertgeschätzt wird. Harmonie an sich ist kein Gut: Politik lebt von der Debatte, stetige Konsensbehauptung hat den Rückzug ins Private zur Folge, wenn dieser Konsens nicht erreicht wird – mit der Konsequenz, dass wir nicht mehr in einer Gesellschaft der Freiheit, sondern der Freizeit leben. Politik im 21. Jahrhundert kann nicht nur heißen: schnelles Internet, kundenfreundliche Bedienung und richtige Anrede auf Behördenformularen. Es muss auch um Fragen des politischen Bewusstseins gehen: Wie kann der kollektiv aufgekratzte und von allen technischen Revolutionen enorm in Mitleidenschaft gezogene menschliche Geist beruhigt werden? Welche Art der Bildung kann für uns eine gute Zukunft bedeuten? Wie reagieren wir als säkularisierter Westen auf die durch Migration und Kulturtransfer initiierte Renaissance der Religion? Eine bürgerliche Bekenntniskultur erlaubt es, sich diesen Fragen mit Enthusiasmus und Zuversicht zu stellen. Der Bürger ist nämlich, anders als der Identitäre, nicht von seinem Gewissen gefangen, sondern hat ein freies Bewusstsein. Ihm geht es ums Ganze. Denn er weiß sich als Teil davon. Vgl. Francis Fukuyama, Ideology Is Out, Identity Is In, 25.12.2018, Externer Link: https://reason.com/archives/2018/12/25/ideology-is-out-identity-is-in. Christian Baron, Wir schreiben Gedichte im Kollektiv. Männerdämmerung: Wieder einmal ist die Geschlechtergerechtigkeit das große Thema beim Theatertreffen, 17.5.2018, Externer Link: http://www.neues-deutschland.de/artikel/1088546.berliner-theatertreffen-wir-schreiben-gedichte-im-kollektiv.html. Valentin Gröbner, Identität. Anmerkungen zu einem politischen Schlagwort, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 3/2018, S. 109–115, hier S. 111. Ebd., S. 110. Vgl. Erik H. Erikson, The Problem of Ego Identity, in: Journal of the American Psychoanalytic Association 1/1956, S. 56–121. Vgl. Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Frankfurt/M. 2017. Ders., Die Drei-Drittel-Gesellschaften, in: Theater heute Jahrbuch 2018, S. 40. Mark Lilla, The End of Identiy Liberalism, 18.11.2016, Externer Link: http://www.nytimes.com/2016/11/20/opinion/sunday/the-end-of-identity-liberalism.html. "Mehr als Gegenwart plus Zinssatz", Klaus Lederer und Wolfgang Engler im Gespräch, in: Theater der Zeit 2/2018, S. 12f. Ebd., S. 14. Zit. nach Baron (Anm. 2). Omri Boehm, Wer ist das Wir?, 16.8.2017, Externer Link: http://www.zeit.de/2017/34/mark-lilla-usa-linke-donald-trump. Omri Boehm verwendet den Ausdruck "liberal", um Positionen zu kennzeichnen, die andernorts wohl eher als linksliberal bezeichnet werden. Der patriotische Liberalismus meint damit eine linksliberale Haltung, die die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft betont. Paradigmatisch für diese Haltung steht, so Boehm, der Appell des Philosophen Richard Rorty, dass das "Wir-Gefühl" konstitutiv für liberale Politik ist. Vgl. Aloys Winterling, "Staat", "Gesellschaft" und politische Integration in der römischen Kaiserzeit, in: Klio 1/2001, S. 93–112. Vgl. Carolin Emcke, Wir, 16.6.2017, Externer Link: http://www.sueddeutsche.de/politik/kolumne-wir-1.3547382.
Article
, Simon Strauß
"2022-02-17T00:00:00"
"2019-02-22T00:00:00"
"2022-02-17T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/286501/buergerliche-bekenntniskultur-statt-identitaetspolitik-essay/
Identitätspolitik bedeutet eine Schwächung wirklicher Politik, also des Strebens nach dem größtmöglichen Gemeinwohl. Es ist deshalb nötig, an einer neuen Form von Bekenntniskultur zu arbeiten, die sich der politischen Auseinandersetzung über das geme
[ "Gesellschaft", "Demokratie", "Rassismus", "Partizipation", "USA", "Minderheiten", "Identität", "Identitätspolitik" ]
30,662
Endlagersuche für Atommüll | Hintergrund aktuell | bpb.de
Vor zehn Jahren, am 28. Juni 2013, beschloss der Bundestag das sogenannte Standortauswahlgesetz. Das war der Beginn der geordneten Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll in Deutschland. Es folgten zwei Jahre, in denen die Endlagerkommission Vorschläge zum Standortauswahlverfahren ausarbeitete. 2017 wurde das Standortauswahlgesetz um Auswahlkriterien für ein Endlager ergänzt – zentral ist auch die Beteiligung der Öffentlichkeit. Was ist Atommüll? Unter Atommüll werden alle radioaktiven Abfälle verstanden, die aus der Nutzung von Kerntechnologie entstehen. Die weitaus größte Menge des Atommülls, etwa 95 Prozent, stammt aus Kernkraftwerken – er entsteht bei der Erforschung von Kerntechnologie sowie beim Betrieb und beim Rückbau kommerziell genutzter Reaktoren. Daneben fallen kleinere Mengen radioaktiven Abfalls in Medizin und Forschung an. Für die Entsorgung entscheidend ist die Stärke der radioaktiven Strahlung, die Halbwertszeit für den Zerfall, die gesundheitsschädliche Wirkung (Radiotoxizität) und die beim Zerfall freigesetzten Temperaturen. Eine hohe Wärmeabgabe belastet das Endlagergestein zusätzlich. Schwachradioaktiver und der meiste mittelradioaktive Atommüll zählen zu den radioaktiven Abfällen mit geringerer Wärmeentwicklung. Sie machen den überwiegenden Teil des Atommülls in Deutschland aus. Für sie gibt es bereits ein genehmigtes Endlager: die ehemalige Zeche Konrad im niedersächsischen Salzgitter. Das Lager soll Anfang der 2030er-Jahre in Betrieb gehen. Allerdings wird hier nur gut die Hälfte des deutschen schwach- und mittelradioaktiven Abfalls gelagert werden können. Was bedeutet Halbwertszeit? Beim radioaktivem Kernzerfall zerfallen instabile Atomkerne, sogenannte radioaktive Isotope. Die Halbwertszeit gibt an, nach welcher Zeitspanne sich die Anzahl der radioaktiven Isotope halbiert hat. Jedes radioaktive Isotop hat seine eigene Halbwertszeit. Bisher kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll Anders sieht es bei den etwa 27 000 Kubikmetern radioaktiven Abfalls mit nennenswerter Wärmeentwicklung aus. Dazu zählen vor allem abgebrannte Brennelemente und Stoffe aus deren Wiederaufbereitung. Für diese hochradioaktiven Abfälle gibt es bisher zwar einige Zwischenlager, jedoch kein Endlager. Die Suche nach einem Endlager gestaltet sich als schwierig, weil hochradioaktiver Atommüll – besonders aus den Reaktorbrennstäben – mehrere Hunderttausend Jahre lang gefährliche Strahlung absondert. Ein solcher Atommüll strahlt erst nach 200 000 Jahren wieder so schwach wie das natürlich verkommende Uran, aus dem er gemacht wurde. Die beiden zentralen deutschen Zwischenlager für stark radioaktiven Atommüll befinden sich in Ahaus (Nordrhein-Westfalen) und in Gorleben (Niedersachsen). Daneben gibt es zwölf dezentrale Zwischenlager, die von den Energieunternehmen nach der Jahrtausendwende auf den Geländen von Atomkraftwerken errichtet wurden, sowie zwei staatlich errichtete. Außerdem lagern radioaktive Abfälle aus Deutschland in Wiederaufarbeitungsanlagen in Großbritannien und Frankreich. Doch auch sie müssen in Zukunft nach Deutschland zurückgeführt und irgendwann endgelagert werden – mit Frankreich einigte man sich auf die Rückführung bis 2024. Beim radioaktivem Kernzerfall zerfallen instabile Atomkerne, sogenannte radioaktive Isotope. Die Halbwertszeit gibt an, nach welcher Zeitspanne sich die Anzahl der radioaktiven Isotope halbiert hat. Jedes radioaktive Isotop hat seine eigene Halbwertszeit. Endlagersuche verzögert sich Für die Suche nach einem Endlager hat die Bundesregierung im Jahr 2016 die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gegründet. Sie gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und wird vom Bundesamt für die Sicherheit in der nuklearen Entsorgung (BASE) beaufsichtigt. Zusätzlich wird das Verfahren von einem unabhängigen Nationalen Begleitgremium (NBG) betreut, das vor allem die Bürgerbeteiligung stärken und vermittelnd wirken soll. Ursprünglich war geplant, bis 2031 ein Endlager für stark radioaktiven Atommüll zu finden. Laut einer von der BGE im Dezember 2022 veröffentlichten Rahmenterminplanung ist davon auszugehen, dass es frühestens in den 2040er-Jahren ein entsprechendes Endlager geben wird. Zwar wird auch über neue technologische Verfahren zur Lösung des Endlagerproblems diskutiert, doch hat sich Deutschland auf die konventionelle Endlagerung festgelegt. Das Beispiel Transmutation Neue technologische Verfahren könnten zur Endlagerung des hochradioaktiven Abfalls beitragen. Bei der sogenannten Transmutation wird zum Beispiel der Atommüll mit Neutronen beschossen und spaltet sich auf. So verkürzt sich die Halbwertszeit der radioaktiven Isotope deutlich. Seit einigen Jahren wird die Technologie intensiv erforscht, in Europa etwa am Teilchenbeschleuniger “MYRRHA” in Belgien. Europäische Länder wie Frankreich, Italien oder Großbritannien versprechen sich eine einfachere Endlagerung durch Transmutation. Das Verfahren bietet einige Vorteile: Der transmutierte Atommüll strahlt viel kürzer – 500 bis 1000 Jahre statt etwa 200 000 Jahre. Ein entsprechendes Endlager müsste entsprechend kürzer gesichert werden. Transmutation würde auch das Volumen des hochradioaktiven Mülls deutlich verringern. Ein Endlager könnte also wesentlich kleiner sein, was die Endlagersuche erleichtern würde. Demgegenüber stehen aber auch Nachteile: Transmutierter Atommüll strahlt nach seiner Behandlung zunächst deutlich stärker als zuvor – bis zu 150 Jahre könnte die Transmutation des deutschen Abfalls dauern, bis zu 300 Jahre müsste er danach oberirdisch abklingen, bevor er endgelagert werden kann. Das Verfahren könnte laut der deutschen Endlagerkommission bis zu 400 Milliarden Euro kosten. Durch die Transmutation des deutschen Atommülls würden enorme Mengen schwach- und mittelradioaktiven Abfalls entstehen, für die entsprechende Zwischen- und Endlager gefunden werden müssten. Zwar ist die Transmutation im Labor erprobt. Doch das Verfahren auf einen Maßstab von hunderten Tonnen zu übertragen, ist deutlich komplexer. Große Anlagen zur Transmutation gibt es noch nicht, bis zur industriellen Reife kann es noch 20 bis 50 Jahre dauern. Endlagersuche mit "weißer Landkarte" Das Verfahren für die Endlagersuche ist komplex. Mit der sogenannten weißen Landkarte brachte die Bundesregierung zum Ausdruck, dass bundesweit und ohne Einschränkungen nach einem möglichen Standort gesucht wird. In der ersten Phase sammelte die BGE geologische Daten und wertete sie nach den zuvor gesetzlich festgelegten Kriterien aus. Zu den Mindestanforderungen für einen Endlagerstandort gehört etwa, dass das Endlager in einer Tiefe von 300 Metern liegt und Gestein den Atommüll von der Erdoberfläche trennt. Außerdem muss das Lager selbst von einer mindestens 100 Meter dicken Schicht aus Granit, Ton oder Salz umgeben sein. Das Standortauswahlgesetz schreibt vor, dass ein Endlager die "bestmögliche Sicherheit" gegen die Folgen von Strahlung und anderer schädlicher Wirkungen "für einen Zeitraum von einer Million Jahren" gewährleisten muss. Am 28. September 2020 veröffentlichte die BGE einen ersten Zwischenbericht. Darin benannte sie Regionen in Deutschland, die den geologischen Mindestanforderungen genügen: etwa 54 Prozent der deutschen Landesfläche eignen sich demnach als Endlagerort. Dabei wurden 90 sogenannte Teilgebiete identifiziert, die im weiteren Verfahren intensiver untersucht werden sollen. Bürgerinnen und Bürger können sich im Rahmen von Regionalkonferenzen in den jeweiligen Teilgebieten an der Standortsuche beteiligen. Im Laufe des Suchverfahrens wird die BGE die Standorte weiter eingrenzen. Welche Regionen näher geprüft werden, muss schließlich der Bundestag per Gesetz beschließen. Streit um Gorleben In der zweiten Phase des Suchprozesses finden oberirdische Erkundungen statt, zum Beispiel durch Probebohrungen. Auf Basis dieser Ergebnisse schlägt die BGE die Standorte vor, die in einer dritten Phase unterirdisch erkundet werden. Das BASE prüft die Vorschläge, der Bundestag fällt die Entscheidung. In der dritten Phase müssen noch mindestens zwei Standorte übrig sein, zwischen denen eine Entscheidung gefällt werden kann. Die aktuelle Standortsuche ist nicht der erste Versuch, ein Endlager für Atommüll in Deutschland zu finden. Als Anfang der 1960er-Jahre die ersten Kernenergieanlagen in Betrieb gingen, wurde das Thema der Endlagerung nicht öffentlich thematisiert. Ende der 1970er-Jahre wollte die niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) in Gorleben eine Wiederaufbereitungsanlage und ein nationales Endlager errichten lassen. 1979 verzichtete die Landesregierung auf die Wiederaufbereitungsanlage, hielt aber an der Errichtung eines Endlagers fest. Im Wendland kam es zu heftigen Protesten, die zur Bildung einer weit über die Region hinaus vernetzten Anti-Atom-Bewegung führten. 1982 begann der Bau des Zwischenlagers Gorleben. Obwohl es Zweifel gab, ob der Salzstock in Gorleben als Endlager geeignet ist, konzentrierte sich die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) vor allem auf diesen Standort. Von 2010 bis 2013 gab es wegen dieser Standortpolitik einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Im Jahr 2013 trat das Standortauswahlgesetz in Kraft, mit dem die Suche nach einem Endlager neu begonnen wurde. Auch in anderen Ländern müssen Kapazitäten zur Endlagerung von Atommüll geschaffen werden. In Finnland gibt es bereits zwei Endlager für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle. Ein Endlager für hochradioaktiven Abfall soll Mitte der 2020er-Jahre in Betrieb gehen. Auch in Frankreich ist die Standortentscheidung für ein Endlager gefallen. Die Baugenehmigung für das Lager im nordfranzösischen Bure soll in den kommenden Jahren erteilt werden. In der Schweiz erwartet man eine Standortentscheidung bis 2031. In Litauen begann ein Auswahlprozess für ein tiefes geologisches Endlager im Jahr 2019. Eine Entscheidung wird für das Jahr 2047 angestrebt, Einlagerungsbeginn ist voraussichtlich 2068. Mehr zum Thema Interner Link: Atomausstieg – Deutschland verabschiedet sich endgültig von der Kernkraft (Hintergrund aktuell, April 2023) Interner Link: Atommüll: Endlagersuche neu angestoßen (Hintergrund aktuell, April 2013) Interner Link: Podcast: Auf Endlagersuche. Der deutsche Weg zu einem sicheren Atommülllager Interner Link: Endlagersuche (APuZ 21-23/2021) Interner Link: Achim Brunnengräber: Ewigkeitslasten (Schriftenreihe, Bd. 10361) Neue technologische Verfahren könnten zur Endlagerung des hochradioaktiven Abfalls beitragen. Bei der sogenannten Transmutation wird zum Beispiel der Atommüll mit Neutronen beschossen und spaltet sich auf. So verkürzt sich die Halbwertszeit der radioaktiven Isotope deutlich. Seit einigen Jahren wird die Technologie intensiv erforscht, in Europa etwa am Teilchenbeschleuniger “MYRRHA” in Belgien. Europäische Länder wie Frankreich, Italien oder Großbritannien versprechen sich eine einfachere Endlagerung durch Transmutation. Das Verfahren bietet einige Vorteile: Der transmutierte Atommüll strahlt viel kürzer – 500 bis 1000 Jahre statt etwa 200 000 Jahre. Ein entsprechendes Endlager müsste entsprechend kürzer gesichert werden. Transmutation würde auch das Volumen des hochradioaktiven Mülls deutlich verringern. Ein Endlager könnte also wesentlich kleiner sein, was die Endlagersuche erleichtern würde. Demgegenüber stehen aber auch Nachteile: Transmutierter Atommüll strahlt nach seiner Behandlung zunächst deutlich stärker als zuvor – bis zu 150 Jahre könnte die Transmutation des deutschen Abfalls dauern, bis zu 300 Jahre müsste er danach oberirdisch abklingen, bevor er endgelagert werden kann. Das Verfahren könnte laut der deutschen Endlagerkommission bis zu 400 Milliarden Euro kosten. Durch die Transmutation des deutschen Atommülls würden enorme Mengen schwach- und mittelradioaktiven Abfalls entstehen, für die entsprechende Zwischen- und Endlager gefunden werden müssten. Zwar ist die Transmutation im Labor erprobt. Doch das Verfahren auf einen Maßstab von hunderten Tonnen zu übertragen, ist deutlich komplexer. Große Anlagen zur Transmutation gibt es noch nicht, bis zur industriellen Reife kann es noch 20 bis 50 Jahre dauern.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-06-28T00:00:00"
"2023-06-26T00:00:00"
"2023-06-28T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/522316/endlagersuche-fuer-atommuell/
Mit dem Standortauswahlgesetz beschloss der Bundestag am 28. Juni 2013 die geordnete Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Bis heute wurden 90 mögliche Gebiete identifiziert.
[ "Atommüll", "Endlagersuche", "Nukleares Zeitalter", "Hintergrund aktuell" ]
30,663
تعليم المواطنة في ألمانيا | Country Profiles: Citizenship Education Around the World | bpb.de
تعرفوا على تعليم المواطنة في ألمانيا حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة الغير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بشرح العروض التعليمية في ألمانيا و أثرها على مفهوم المواطنة في ألمانيا. المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. العروض التعليمية من حيث المحتوى، والغرض، والمنهجية، والانتساب الفلسفي Interner Link: 5. البيئة القانونية لتعليم المواطنة الرسمية Interner Link: 6. الجهات المعنية Interner Link: 7. التحديات Interner Link: 8. الحواشي 1. معلومات مرجعية يرتبط تاريخ تعليم المواطنة في ألمانيا ارتباطًا وثيقًا بتجربة الحكم الشمولي في أيامه الديمقراطية الأولى. كان من المفهوم أنَّ تطوُّر المواقف الديمقراطية داخل ألمانيا عنصرٌ لا غنى عنه في تأسيس ديمقراطيةٍ مستقرة في الجمهورية الاتحادية بعد عام ١٩٤٥ وفي ألمانيا التي توحدت مرةً أخرى في عام ١٩٨٩. كان يُنظَر إلى فشل تجربة فايمار الديمقراطية والسهولة التي استولى بها هتلر على السلطة في ألمانيا في عام ١٩٣٣ على أنَّهما يُرجَعان بصفةٍ جزئية إلى الأنظمة التعليمية التي كانت سلطوية ومناهضة للديمقراطية في حد ذاتها، وغير قادرة على نشر فكرة القيم الديمقراطية [1]. وعلى الرغم من اختلاف إستراتيجيات قوى الاحتلال الأربع اختلافًا ملحوظًا من حيث الهدف والمحتوى والمنهجية، إلا أنَّ الجميع قد اتفقوا على أنَّ إقامة ديمقراطيةٍ مستقرة تتطلب ما هو أكثر من مواطنين يتشدَّقون بالكلام عن المبادئ الديمقراطية بينما هم يتقبلون على مضض النظام الديمقراطي الذي فرضته عليهم سلطات الاحتلال [2].وقد أكَّد هذا التشخيص أنَّ مجرد نقل المعلومات على أساس المنطق الكامن وراء الأنظمة الديمقراطية لم يكن كافيًا. كان من المطلوب التركيز على تنمية المواقف والممارسات الديمقراطية بدلًا من فرض بعض الأفكار "من قِبَل السلطات العليا". وسرعان ما ظهرت عقيدة أنَّ "الديمقراطيات بحاجة إلى ديمقراطيين" كعقيدةٍ أساسية لمفهوم تعليم المواطنة، وهي لا تزال سارية حتى اليوم. بحلول الستينيات من القرن الماضي، أخذت المقاربات اليسارية الجديدة الجدل لما هو أبعد من ذلك، حيث طالبت باكتساب تعليم المواطنة لمزيدٍ من التحرر، وشجعت الشعب على التشكيك في السلطة ومقاومتها إذا لزم الأمر. وعلى نقيض ذلك، وُجِدت مقاربات اتخذت موقفًا أكثر "عقلانية" وأقل تسييسًا، تؤكد على اكتساء المعلومات والتفكُّر قيمةً أكبر من النشاط السياسي. اعتقد أحدهم أنَّ الهدف من تعليم المواطنة كان مساعدة المواطنين على التوصل إلى أحكامٍ رشيدة؛ واعتقد الآخر أنَّ تعليم المواطنة تمثَّل في تعليم المواطنين كيفية تحرير أنفسهم من أولئك الذين قد يسعون للاستيلاء على السلطة. وبسبب المطالب الاجتماعية والسياسية التي طرحها تعليم المواطنة، كان النقاش في بعض الأحيان محل نزاع شديد. وفي صميمه، أعاد إثارة الجدل حول النظرية العلمية القائمة بين العقلانية الانتقادية والنظرية الانتقادية. بعد إعادة توحيد ألمانيا في عام ١٩٨٩، كان يُنظَر إلى "إعادة التعليم" على أنَّه ترياقٍ ضروري لسنواتٍ من التلقين المُكثَّف في ظل النظام الشمولي. ومرةً أخرى، تمَّ التأكيد على أنَّ تضمين القيم والممارسات الديمقراطية واستيعابها سيكون الأكثر فعاليةً في القضاء على الأفكار المعادية للديمقراطية بين صفوف الشعب. ولا يعتبر تعليم المواطنة في ألمانيا متحيزًا ولكنه أيضًا غير محايد؛ فهو متجذر في قيم الديمقراطية وتفسيرها الموجود في الدستور، أي في القانون الأساسي الألماني.و في مرحلة ظهوره الأولى، تمَّ اشتقاق تعليم المواطنة من مجالات التعليم والعلوم السياسية وثيقة الصلة، ولم يتطور البرنامج إلى تخصصٍ أكاديميٍّ مستقل إلا في فترة الستينيات. ومنذ ذلك الحين، طالب بالحق في مداولة المسائل المتعلقة بوضع خطط عمليات تعليم المواطنة وتنفيذها وتقييمها؛ ويتضمن هذا الدور البحث التجريبي، والتفكير (المعياري)، وتصميم عمليات التعلُّم وتنفيذها. 2. التعريف تعليم المواطنة لطالما كان التعريف الدقيق لتعليم المواطنة موضع خلاف. ويتمحور النقاش حول ماهية المعارف التي يجب تطبيقها، والتخصصات الأكاديمية التي يجدر وضعها بعين الاعتبار فيما يتعلق بموضوعات محتوى تعليم المواطنة، والأطر المفاهيمية الأكثر تبشيرًا على صعيد عمليتَي التدريس والتعلُّم المُتَّسمتَين بالفاعلية والجدوى. اجتمعت مواقفُ مختلفة خلال النقاش الأكاديمي المستمر [3]، وبُذِلت المحاولات الأولى في إعادة ترسيخ العلوم السياسية على أنَّها التخصص المرجعي لتعليم المواطنة [4]. يستخدم النموذج الثاني مجالات شتى ضمن إطار العلوم الاجتماعية، مع إعطاء كل مجال منها أهميته الخاصة، في مسعى لجعل تعليم المواطنة مادة وسيطة [5]. يشير المنظور الثالث بقدرٍ كبير إلى الخطاب الديمقراطي والإسهام المدني [6]. ويؤكد الموقف الرابع على أهمية المادة المستقلة، ويستخدم المعرفة السابقة للمتعلمين كنقطته المرجعية [7]. ما تشترك فيه المقاربات الثلاث الأولى هو أنَّها تُشدِّد على وضع مرتكز تعليم المواطنة في الإطار الأكاديمي، سواء في العلوم السياسية، أو العلوم الاجتماعية، أو دراسة الديمقراطية. أما المقاربة الرابعة، فقد ابتعدت عن المطالب التي قدمتها الدوائر الأكاديمية المؤسسية، وتُحبِّذ بدلًا من ذلك استخدام تصورات الأفراد كنقطة انطلاق من أجل تطوير مقاربات يتمحور تركيزها حول المواطنين. تُترجَم كلٌّ من أطر العمل المختلفة إلى أهداف وغايات تعليمية مختلفة يتمُّ اتباعها في الفصل الدراسي، وتتطرق في الحديث بدرجاتٍ متفاوتة إلى النماذج النظرية للمواطنة، مثل الليبرالية، والمواطنة الجمهورية، والنموذج النقدي [8]. وتُركِّز المقاربة الليبرالية لتعليم المواطنة على تنشئة مواطنين مستقلين يمكنهم العمل من أجل دعم مصلحتهم الخاصة، كما تُركِّز على تعزيز المستوى الأساسي من معرفة المواطنة لدى الأفراد وتعزيز ميولهم نحو الإسهام. وتؤكد مقاربة المواطنة الجمهورية على ضرورة انخراط المواطنين بفاعلية في المجتمع كمواطنين متساوين وأحرار. وتُشدِّد المقاربة على مسؤولية المواطنة في العمل من أجل تحقيق الصالح العامّ. وتُركِّز المقاربة النقدية على تحسين المجتمع ونقده من خلال العمل السياسي والتغيير الاجتماعي. وتعتمد هذه المقاربة على فكرة التمكين، والعدالة الاجتماعية، ونقد الوضع الراهن. وفي عام ٢٠١٦، نشر علماء من المدرسة النقدية للفكر دليلًا للمبادئ الأساسية، وهو "إعلان فرانكفورت: من أجل تربية سياسية متحررة ونقدية" [9]. وكان الدليل يهدف إلى إعادة توجيه النقاش القائم حول أهداف تعليم المواطنة وموضوعاته نحو مقاربة أقدر على إحداث تغيير في تعليم المواطنة. ويُركِّز الإعلان على ستة مجالات رئيسية، هي: الأزمة، والجدل، وانتقاد السلطة، والانعكاسية، والتمكين، والتغييرات. وعلى الرغم من الأفكار المتنافسة لتعليم المواطنة، يوجد اتفاقٌ واسع النطاق يتمثل في ثلاثة مبادئ أساسية يُعرَف باسم "اتفاق بويتلزباخ". في عام ١٩٧٦، شكَّل مؤتمر علماء التربية مدارس بيداغوجية مختلفة تناولت الحاجة إلى تجنُّب التلقين. وكان التعليم كواسطة دعائية وكوسيلة لغسل أدمغة المواطنين قضيةً ذات حساسية خاصة في الجمهورية الاتحادية بسبب سياسات التلقين النازية والشيوعية السابقة [10]. اتفق المشاركون في المؤتمر على مجموعة من المبادئ التوجيهية التي تؤكد على مفهوم التعليم "الموضوعي"، حيادي القِيَم [11]. يحظر المبدأ الأول على التربويين إغراق الطلاب وتحميلهم فوق قدرتهم بالآراء أو المواقف أو القيم السياسية. ويتعارض أي نوع من التلقين مع الفكرة الأساسية المتمثلة في تنشئة فردٍ يتحلى بالثقة بالنفس ويُقيِّم الأمور بعينٍ ناقدة، ومن ثَمَّ يتعذر التوافق بين التلقين وتعليم المواطنة بوجهٍ عامّ. وبموجب المبدأ الثاني، يُتوَقع من التربويين إمعان التفكير في تنوع وجهات النظر وتعدد المصالح وما ينطرح جراء ذلك من مشكلات. وإذا كان هناك موضوعٌ ما مثيرٌ للجدل في العلوم أو السياسة أو المجتمع بشكلٍ عامّ، فيجب أن يُدرَّس على هذا النحو أيضًا بمادة تعليم المواطنة. أما المبدأ الثالث، فيفترض أنَّ الطلاب يتعين تدريبهم على كيفية تحليل مصالحهم السياسية والتأثير في المجتمع بطريقةٍ واقعية من أجل تحقيق تلك المصالح. وقد لعب "اتفاق بويتلزباخ" دورًا بارزًا في مجال تعليم المواطنة في ألمانيا ولا يزال يُمثِّل ركيزةً أساسية. ومع ذلك، كان النُّقاد الجدد يطالبون بضرورة التشكيك بشكلٍ صريح في الافتراضات المعيارية والضمنية والآثار المترتبة على الاتفاق؛ إذ إنَّها تتحدث ضمنيًّا لصالح الوضع الراهن بدلًا من الحديث عن المفاهيم التحررية الحقيقية. تحوَّل "الاتفاق" إلى محور للنقاش العامّ في عام ٢٠١٨. وقد طالب حزب أقصى اليمين السياسي في ألمانيا "البديل من أجل ألمانيا " (AFD) بالتزام "الحيادية" بشكلٍ تام في تعليم المواطنة عند تدريس القضايا السياسية أو المثيرة للجدل. وأشار الحزب، من بين أمورٍ أخرى، إلى المبدأَين الأول والثاني لـ "اتفاق بويتلزباخ" عندما حاجوا بأنَّ المعلمين لا بد ألا يروِّجوا لوجهات نظرٍ سياسية أو تستند إلى القيم في الفصول الدراسية، بل بالأحرى عليهم أن يعرضوا وجهات النظر المعارِضة على نحوٍ متوازن، بما في ذلك وجهات النظر اليمينية. وقد أجَّج تقدُّم "حزب البديل من أجل ألمانيا" احتجاجًا شعبيًّا. وأوضحت السلطات والمؤسسات التعليمية وجماعات المناصرة أنَّ موقف الحيادية تجاه وجهات النظر اليمينية يعتبر في حد ذاته خيارًا سياسيًّا، وهو خيار يُعزِّز العنصرية ومعاداة السامية. وسرعان ما نشرت هيئة المدارس الألمانية إعلانًا توضح فيه أنَّ الممارسة داخل الفصول الدراسية لا ينبغي أن تكون حيادية بشأن القِيَم، ولكنها ملزمة باتخاذ موقفٍ مؤيد لحقوق الإنسان والقِيَم الديمقراطية [12]. في الواقع، يُحظَر على المعلمين قانونًا مناصرة الأحزاب السياسية أو الاستخفاف بها، ومع ذلك وفي الوقت نفسه، تقع على عاتقهم مسؤولية قانونية لمواجهة المواقف التي تطرح معاداة السامية والعنصرية، وكذلك التمييز ضد المثليات والمثليين، ومزدوجي الميول الجنسية، ومغايري الهوية الجنسانية، أو أي شكلٍ آخر من أشكال التمييز [13]. 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي يتميز نظام تعليم المواطنة غير الرسمي في ألمانيا بتنوعه بتنوع ست عشرة ولاية اتحادية، تُعرَف باسم Länder، تُحدِّد كلٌّ منها أولوياتها وأهدافها المتعلقة بالتعليم؛ ما يسمح بالتالي بوجود نظامٍ لامركزي للتعليم غير الرسمي. ومع ذلك، هناك بعض السياسات العامة والشاملة وبعض صناديق التمويل الاتحادية. يعتبر صندوق "Kinder- und Jugendplan des Bundes" (خطة الاتحاد بشأن الأطفال والشباب) هو الصندوق الرئيسي التابع للاتحاد الذي يسمح بالتنوع في تعليم المواطنة غير الرسمي، فهو يُموِّل مجموعة متنوعة من المنظمات غير الحكومية والمراكز الإقليمية؛ ما يضمن وجود مقارباتٍ متنوعة ومحايدة لتعليم المواطنة.و يتميز وضع تعليم المواطنة غير الرسمي بنطاقٍ من الإعالة من وكالات تقع خارج حيز المسؤولية المباشرة للحكومة الاتحادية أو الحكومات الإقليمية، مع التركيز بشكلٍ خاص على تنوع التعليم. منذ عامَي ٢٠١٩ و٢٠٢٠، عندما فقدت مجموعة من منظمات المجتمع المدني العاملة في مجال تعليم الكبار وضعها غير الربحي، خَشِيَ مقدمو الخدمات التعليمية غير الرسمية في ألمانيا من تقييد السلطات للخطاب السياسي في المجتمع المدني.و في قرارٍ نُشِر في عام ٢٠١٩، قضت محكمة ألمانيا العليا لشؤون الضرائب والجمارك بأنَّ المجموعة الناشطة "أتاك" (الرابطة المعنية بفرض الضرائب على المعاملات المالية لمساعدة المواطنين، ATTAC) لم تَعُد مؤهلة للتمتع بصفة المنظمة غير الربحية بسبب نشاطها السياسي العامّ ودعواتها لتقديم المطالبات واتخاذ الإجراءات الملموسة[14]. وينص القانون الضريبي الألماني على أنَّ الشركات التي تخدم الصالح العامّ بشكلٍ مباشر مؤهلةٌ للتمتع بحق الإعفاء الضريبي. ووفقًا للمحكمة، فإن تعزيز تعليم الكبار يتطلب مناقشة المسائل السياسية بذهنٍ متفتح، إلا أنَّه لا يجوز استخدامه لتحقيق أهدافٍ سياسيةٍ محددة. ويتعرض بقاء العديد من مؤسسات التعليم غير الرسمي للخطر إذا ما تمَّ إلغاء صفتها غير الربحية. 4. العروض التعليمية من حيث المحتوى، والغرض، والمنهجية، والانتساب الفلسفي تضطلع مجموعةٌ متنوعة من الوكالات الحكومية وغير الحكومية بتطبيق تعليم المواطنة غير الرسمي، وهي تشمل المدارس، والكليات، ومؤسسات تعليم الكبار الممولة من القطاع العامّ، والنقابات، والكنائس. ويُفسِّر تاريخ ألمانيا الدور المهم الذي تلعبه المؤسسات التي تكون بالضرورة، في بعض الحالات، فريدة من نوعها بالنسبة إلى ألمانيا؛ وينطبق ذلك بشكلٍ خاص على مجموعة متنوعة من المؤسسات السياسية والدينية وعلى الوكالة الاتحادية لتعليم المواطنة (BpB). وتعتبر الأخيرة من ضمن الوكالات التنفيذية التابعة لوزارة الداخلية الاتحادية، وتشارك في تطبيق كلٍّ من تعليم المواطنة الرسمي وغير الرسمي. ولديها مكاتب فرعية إقليمية في خمس عشرة ولاية. وترتبط المؤسسات من حيث توجهها السياسي أو الفكري أو الفلسفي أو الديني بمجتمعات دينية أو أحزاب سياسية راسخة، غير أنها مستقلة عن الأحزاب والكنائس وتقدم خدمات تعليمية متنوعة. 5. البيئة القانونية لتعليم المواطنة الرسمية يندرج تصنيف تعليم المواطنة في المدارس تحت مظلة السلطة الثقافية للولايات الألمانية المعنية؛ ما يعني أنَّ أهميتها كمادة تختلف من ولايةٍ اتحادية إلى أخرى. وفيما يتعلق بمكانتها ضمن المناهج الدراسية، يتمُّ إدراج تعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة بذاتها. وفي حين أنَّها تقع في إطارٍ معياريٍّ للقيم الديمقراطية وحقوق الإنسان، إلا أنَّها مادةٌ غير متحيزة، حيث لا تعمل على توعية المواطنين في إطار علاقتهم بالدولة على وجه الحصر. فهي لا تهدف فحسب إلى الحفاظ على الوضع الديمقراطي الراهن؛ بل تسعى إلى تطوير قدرة المواطنين على الحكم والتصرف؛ مما يمكنهم بالتالي من إعادة التفكير وإعادة صياغة مبادئ وهياكل المواطنة، ولا سيما تلك التي تنطوي على التفكير النقدي والمشاركة السياسية [15]. يُزعَم أنَّه تمَّ إضفاء الطابع المؤسسي على تعليم المواطنة باعتباره مقررًا دراسيًّا أساسيًّا في جميع المرافق التعليمية الرسمية المتنوعة في ألمانيا وعلى كل مستوى من مستويات التعليم. ومع ذلك، توفِّر معظم المدارس على الصعيد العملي أقل من الساعتَين النموذجيتَين من تعليم المواطنة كل أسبوع. 6. الجهات المعنية إلى جانب الأنشطة المدرسية، هناك جانبٌ مهمٌ آخر من تعليم المواطنة يتمثل في إشراك الطلاب الصغار والكبار خارج الفصل الدراسي في مجموعةٍ متنوعة من فرص التعلُّم غير الرسمية التي ترعاها الدولة والهيئات الاجتماعية. تُدعَّم أنشطة تعليم المواطنة الخارجة عن المنهج الدراسي أو كانت تُموَّل من قِبَل الأحزاب السياسية، والنقابات، والجمعيات التجارية، والمؤسسات، والمجتمعات الدينية والروحية، ووسائل الإعلام، والأكاديميات، والمؤسسات المستقلة، والمبادرات التي تسعى لتطبيق تعليم المواطنة بموجب التزامها بالمُثل السياسية. ومع ذلك، فقد قامت المؤسسات العامة مؤخرًا بسحب الدعم المالي المُقدَّم في إطار هذا المجال؛ ما تسبَّب في زيادة التمويل الخاص من أجل تعليم المواطنة، والذي غالبًا ما يدعو بشكلٍ ضمنيٍّ أو صريح إلى مناصرة المعايير والقيم الجزئية. يتنافس تعليم المواطنة غير الرسمي بشكلٍ متزايد مع العروض التعليمية التي ترتبط ارتباطًا وثيقًا بمسألة الصلاحية للعمل والاحتياجات الاقتصادية؛ ما يستدعي الحاجة إلى النقاش لضمان أنَّ الصلاحية للعمل والبرامج التعليمية الخاصة بها لا تحل محل المواطنة الانتقادية. 7. التحديات فيما يتعلق بالاحتياجات البحثية، يتمثل التحدي الرئيسي لتعليم المواطنة في ألمانيا في الوقت الحالي في مواصلة البناء على الخطاب الدولي وقاعدة البحث الدولية الموجودة بالفعل؛ وذلك لمواصلة تطوُّر تعليم المواطنة إلى تخصصٍ أكاديميٍّ مستقل. وفيما يتعلق بالبحث التجريبي، يجب إيلاء الانتباه إلى ما يُعرَف بالوعي بالمواطنة [16]، وهي مقاربة تُركِّز على المواطنين وتشير إلى الأفكار البديهية لدى الأفراد بشأن العالم الاجتماعي والسياسي. وتدعو مقاربة الوعي بالمواطنة إلى التشكيك في أي عملية تدريس تُركِّز على التغطية الشاملة لمعارف تعليم المواطنة أو الأحكام المعيارية التي لا تُدرِج المعنى الذي تحويه بشكلٍ ضمني للمتعلمين. وبدلًا من ذلك، تشرع المقاربة في اقتراح بديل للمقاربات المعيارية لتعليم المواطنة التي عادةً ما تُستَمد من النظريات الليبرالية والجمهورية والنقدية (انظر "التعريف") من خلال سكب مزيدٍ من الالتزام والقيمة على المغزى الفردي. وتعني مقاربة الوعي بالمواطنة وضع المتعلم في صميم العملية. إنَّ الإسهاب في الافتراضات التي تسترشِد بها القوالب الفكرية للأفراد والقدرة على مناقشتها سيساعدان الطلاب على الفهم الحقيقي لقضايا المواطنة، وليس فقط التعلُّم بغية غايةٍ محددة. وبناءً على ذلك، من المُرجَّح اعتبار المعرفة العملية بنتائج البحث حول تصورات المتعلمين عن الواقع السياسي والاجتماعي أمرًا جوهريًّا لإعداد المعلمين مهنيًّا في هذا المجال. في السنوات الأخيرة، تزايدت الكراهية للأجانب بالخطاب العامّ الألماني، كما أصبح الحديث الذي يحض على الكراهية أكثر شيوعًا [17]. وأصبح الصعود السريع لشعبوبية جناح اليمين والهجمات العنصرية مدعاةً رئيسية للقلق، ولا سيما في أوقات الأزمات؛ إذ تُحرِز المواقف اليمينية تقدُّمًا باستخدام شعاراتٍ إقصائية و"حلولٍ" ساذجة مزعومة لأي مشكلة متوخاة. كان للخطاب المستمر حول الخوف من الإسلام وكراهية الأجانب المنبثق عن اليمين المتطرف تأثير في الخطاب السياسي السائد وحظي بتأثيرٍ ملموس في النقاش عبر الإنترنت [18]. ويلعب تعليم المواطنة في ألمانيا دورًا رئيسيًّا بلا منازع في تعزيز الخطاب السياسي للمجتمع عن التوجهات المناهضة للديمقراطية وعن التعددية في ألمانيا، وفي المساهمة في بزوغ مجتمعٍ أكثر تكاملًا تندمج فيه الأقليات والطبقات الاجتماعية [19]. ثمة مجال راهن آخر يتعين النهوض به، ألا وهو الدور المحوري الذي تلعبه المواطنة التشاركية في التعاطي مع تغيُّر المناخ والتحول إلى نموذج مستدام للنمو الاقتصادي (أو لتراجعه). ثالثًا، يتمُّ التركيز على تعليم المواطنة الرقمية؛ إذ تلعب الرقمنة دورًا مهمًّا في صياغة الحياة السياسية والاقتصادية والاجتماعية، وتحتاج إلى أن تنعكس بصورةٍ انتقادية عبر جميع أبعادها الاجتماعية، والبيئية، والاقتصادية، والسياسية. وتشمل الجوانب الأساسية آلية وإمكانات وحدود المنصات الإلكترونية، مثل إنستغرام وفيسبوك وغوغل، وتأثيرها في الثقافة الديمقراطية، والاقتصاد العالمي المستدام، والاستقلالية الفردية. 8. الحواشي [1] روبرتس، جيوفري. ٢٠٠٢. التربية السياسية في ألمانيا. في: الشؤون البرلمانية (٥٥)، ٥٥٦-٥٦٨. [2] المرجع نفسه. [3] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. وعي المواطن. صور وتصورات المعني في التربية السياسية. (Bürgerbewusstsein. Sinnbilder und Sinnbildungen in der Politischen Bildung.) في: مجتمع-اقتصاد-سياسة (GWP) (٣)، ص ٤٣١-٤٣٩. [4] فايسينو، عيورغ، وديتيين، ويوآخيم، ويوخلِر، إنغو. ٢٠١٠. مفاهيم السياسة. نموذج كفاءات. (Konzepte der Politik. Ein Kompetenzmodell.). بون: الوكالة الاتحادية للتربية السياسية (نُشرت السلسلة من قِبَل الوكالة الاتحادية للتربية السياسية، المجلد ١٠١٦). [5] فريق المؤلفين المعنيّ بوضع البيداغوجيا المتخصصة. بيساند، أنيا، وغرامِّس، تيلمان، وهيدتكه، راينهولد، ولانغيه، ديرك، وبِتريك، أندرياس، وراينهاردت، سِبيليه (محررون). ٢٠١١. مفاهيم التربية السياسية. مناظرة خطية. (Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift.). شفالباخ آم تاونوس: Wochenschau Verlag، سلسلة السياسة والتعليم، المجلد ٦٤. [6] هيمِلمان، غيرهارد. ٢٠١٣. الكفاءات المطلوبة لتدريس المواطنة الديمقراطية وتعلُّمها والعيش بها. في: موراي برينت وديرك لانيغه (محرران): التربية المدنية والكفاءات المطلوبة لإشراك المواطنين في الديمقراطيات. روتردام: دار نشر سينس، ص ٣-٧. بيرمان، غونتر سي.، وغرامّس، تيلمان، وراينهاردت، سِبيليه (٢٠٠٤). السياسة: المنهج الأساسي للعلوم الاجتماعية في الثانوية العامة. (Politik: Kerncurriculum Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe). في: هاينز إلمار تينورت (محرر): المنهج الأساسي في المراحل العليا. خبرات. (Kerncurriculum Oberstufe. Expertisen.). فاينهايم: بيلتز (بيداغوجيا بيلتز)، ص ٣٢٢-٤٠٦. [7] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. [8] هوسكينز، بريوني. ٢٠١٣. ماذا تحتاج الديمقراطية من مواطنيها؟ تحديد الصفات المطلوبة للمواطنة الفاعلة وتوضيح القيم. في: موراي برينت وديرك لانغيه (محرران): المدارس والمناهج وتعليم المواطنة لتنشئة مواطنين ديمقراطيين. روتردام، بوسطن: دار نشر سينس (المواطنة والتثقيف السياسي، ٢)، ص ٢٣-٣٥. [9] أيس، أندرياس، ولوش، بيتينا، وشرودِر، أخيم، وشتيفينس، غيرد. ٢٠١٦. إعلان فرانكفورت: من أجل تربية سياسية متحررة ونقدية. في: مجلة تعليم العلوم الاجتماعية، المجلد ١٥، رقم ١، ص ٧٤-٧٥. [10] روبرتس، جيوفري. ٢٠٠٢. [11] شيليه، سيغفريد، وشنايدِر، هِربِرت، وفيشر، كورت غيرهارد. ١٩٧٧. مشكلة الإجماع في التربية السياسية. (Das Konsensproblem in der politischen Bildung.). شتوتغارت: إيه. كليت (ملاحظات وحجج بشأن تعليم التاريخ والتربية السياسية، ١٧). [12] مؤتمر وزراء التربية والتعليم. ٢٠١٨. الديمقراطية كهدف وموضوع وممارسة للتربية والتعليم السياسي والتاريخي في المدرسة. قرار مؤتمر وزراء التربية والتعليم بتاريخ ٠٦/٠٣/٢٠٠٩ بصيغته الصادرة بتاريخ ١١/١٠/٢٠١٨. مؤتمر وزراء التربية والتعليم. بون. [13] هيلدت، إنكين. ٢٠٢٠. تعليم حقوق الإنسان. في: سابين عاشور، وماتياس بوش، وبيتر ماسينغ، وكريستيان ماير-هايدِمان (محررون): قاموس درس التاريخ. (Wörterbuch Politikunterricht). فرانكفورت: Wochenschau Verlag، ص ١٣٩-١٤١. [14] غيسلي، جيني. ٢٠١٩. ألمانيا: المحكمة المالية الاتحادية تنزع عن رابطة "أتاك" الصفة غير الربحية. مكتبة الكونغرس (المرصد القانوني العالمي). مُتاح عبر الإنترنت على موقع: Externer Link: https://www.loc.gov/law/foreign-news/article/germany-federal-fiscal-court-revokes-nonprofit-status-of-attac/،[ آخر دخول بتاريخ ١٥/٠٧/٢٠٢٠.] [15] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-ب. تعليم المواطنة في ألمانيا. في: فيولا بي. جورجي (محررة): تنشئة المواطنين في أوروبا. آفاق جديدة حول التربية المدنية. بون: الوكالة الاتحادية للتربية السياسية (Bpb) (نُشِرت السلسة من قِبَل الوكالة الاتحادية للتربية السياسية، المجلد ٦٦٦)، ص ٨٩-٩٥. [16] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. [17] اللجنة الأوروبية لمكافحة العنصرية والتعصُّب ٢٠٢٠. [Externer Link: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjU9-3u6fbwAhULDOwKHfpUCWwQFjAAegQIBhAD&url=https%3A%2F%2Frm.coe.int%2Fecri-report-on-germany-sixth-monitoring-cycle-german-translation-%2F16809ce4c0&usg=AOvVaw2ogS-s4wQWvvCFzernCMNZ [آخر دخول بتاريخ ٢٩/٠٦/٢٠٢١] [18] اللجنة الأوروبية لمكافحة العنصرية والتعصُّب ٢٠٢٠. [19] هيلدت، إنكين. ٢٠٢٠. المدرسة بتكليف حقوق الإنسان. في: جريدة Pädagogische Rundschau ٧٤. ٢٠٢٠ (٢)، ص ٣٢٣-٣٣٤. DOI: 10.3726 / PR032020.0032. Interner Link: English Version المحتوى: Interner Link: 1. معلومات مرجعية Interner Link: 2. تعريف تعليم المواطنة Interner Link: 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي Interner Link: 4. العروض التعليمية من حيث المحتوى، والغرض، والمنهجية، والانتساب الفلسفي Interner Link: 5. البيئة القانونية لتعليم المواطنة الرسمية Interner Link: 6. الجهات المعنية Interner Link: 7. التحديات Interner Link: 8. الحواشي 1. معلومات مرجعية يرتبط تاريخ تعليم المواطنة في ألمانيا ارتباطًا وثيقًا بتجربة الحكم الشمولي في أيامه الديمقراطية الأولى. كان من المفهوم أنَّ تطوُّر المواقف الديمقراطية داخل ألمانيا عنصرٌ لا غنى عنه في تأسيس ديمقراطيةٍ مستقرة في الجمهورية الاتحادية بعد عام ١٩٤٥ وفي ألمانيا التي توحدت مرةً أخرى في عام ١٩٨٩. كان يُنظَر إلى فشل تجربة فايمار الديمقراطية والسهولة التي استولى بها هتلر على السلطة في ألمانيا في عام ١٩٣٣ على أنَّهما يُرجَعان بصفةٍ جزئية إلى الأنظمة التعليمية التي كانت سلطوية ومناهضة للديمقراطية في حد ذاتها، وغير قادرة على نشر فكرة القيم الديمقراطية [1]. وعلى الرغم من اختلاف إستراتيجيات قوى الاحتلال الأربع اختلافًا ملحوظًا من حيث الهدف والمحتوى والمنهجية، إلا أنَّ الجميع قد اتفقوا على أنَّ إقامة ديمقراطيةٍ مستقرة تتطلب ما هو أكثر من مواطنين يتشدَّقون بالكلام عن المبادئ الديمقراطية بينما هم يتقبلون على مضض النظام الديمقراطي الذي فرضته عليهم سلطات الاحتلال [2].وقد أكَّد هذا التشخيص أنَّ مجرد نقل المعلومات على أساس المنطق الكامن وراء الأنظمة الديمقراطية لم يكن كافيًا. كان من المطلوب التركيز على تنمية المواقف والممارسات الديمقراطية بدلًا من فرض بعض الأفكار "من قِبَل السلطات العليا". وسرعان ما ظهرت عقيدة أنَّ "الديمقراطيات بحاجة إلى ديمقراطيين" كعقيدةٍ أساسية لمفهوم تعليم المواطنة، وهي لا تزال سارية حتى اليوم. بحلول الستينيات من القرن الماضي، أخذت المقاربات اليسارية الجديدة الجدل لما هو أبعد من ذلك، حيث طالبت باكتساب تعليم المواطنة لمزيدٍ من التحرر، وشجعت الشعب على التشكيك في السلطة ومقاومتها إذا لزم الأمر. وعلى نقيض ذلك، وُجِدت مقاربات اتخذت موقفًا أكثر "عقلانية" وأقل تسييسًا، تؤكد على اكتساء المعلومات والتفكُّر قيمةً أكبر من النشاط السياسي. اعتقد أحدهم أنَّ الهدف من تعليم المواطنة كان مساعدة المواطنين على التوصل إلى أحكامٍ رشيدة؛ واعتقد الآخر أنَّ تعليم المواطنة تمثَّل في تعليم المواطنين كيفية تحرير أنفسهم من أولئك الذين قد يسعون للاستيلاء على السلطة. وبسبب المطالب الاجتماعية والسياسية التي طرحها تعليم المواطنة، كان النقاش في بعض الأحيان محل نزاع شديد. وفي صميمه، أعاد إثارة الجدل حول النظرية العلمية القائمة بين العقلانية الانتقادية والنظرية الانتقادية. بعد إعادة توحيد ألمانيا في عام ١٩٨٩، كان يُنظَر إلى "إعادة التعليم" على أنَّه ترياقٍ ضروري لسنواتٍ من التلقين المُكثَّف في ظل النظام الشمولي. ومرةً أخرى، تمَّ التأكيد على أنَّ تضمين القيم والممارسات الديمقراطية واستيعابها سيكون الأكثر فعاليةً في القضاء على الأفكار المعادية للديمقراطية بين صفوف الشعب. ولا يعتبر تعليم المواطنة في ألمانيا متحيزًا ولكنه أيضًا غير محايد؛ فهو متجذر في قيم الديمقراطية وتفسيرها الموجود في الدستور، أي في القانون الأساسي الألماني.و في مرحلة ظهوره الأولى، تمَّ اشتقاق تعليم المواطنة من مجالات التعليم والعلوم السياسية وثيقة الصلة، ولم يتطور البرنامج إلى تخصصٍ أكاديميٍّ مستقل إلا في فترة الستينيات. ومنذ ذلك الحين، طالب بالحق في مداولة المسائل المتعلقة بوضع خطط عمليات تعليم المواطنة وتنفيذها وتقييمها؛ ويتضمن هذا الدور البحث التجريبي، والتفكير (المعياري)، وتصميم عمليات التعلُّم وتنفيذها. 2. التعريف تعليم المواطنة لطالما كان التعريف الدقيق لتعليم المواطنة موضع خلاف. ويتمحور النقاش حول ماهية المعارف التي يجب تطبيقها، والتخصصات الأكاديمية التي يجدر وضعها بعين الاعتبار فيما يتعلق بموضوعات محتوى تعليم المواطنة، والأطر المفاهيمية الأكثر تبشيرًا على صعيد عمليتَي التدريس والتعلُّم المُتَّسمتَين بالفاعلية والجدوى. اجتمعت مواقفُ مختلفة خلال النقاش الأكاديمي المستمر [3]، وبُذِلت المحاولات الأولى في إعادة ترسيخ العلوم السياسية على أنَّها التخصص المرجعي لتعليم المواطنة [4]. يستخدم النموذج الثاني مجالات شتى ضمن إطار العلوم الاجتماعية، مع إعطاء كل مجال منها أهميته الخاصة، في مسعى لجعل تعليم المواطنة مادة وسيطة [5]. يشير المنظور الثالث بقدرٍ كبير إلى الخطاب الديمقراطي والإسهام المدني [6]. ويؤكد الموقف الرابع على أهمية المادة المستقلة، ويستخدم المعرفة السابقة للمتعلمين كنقطته المرجعية [7]. ما تشترك فيه المقاربات الثلاث الأولى هو أنَّها تُشدِّد على وضع مرتكز تعليم المواطنة في الإطار الأكاديمي، سواء في العلوم السياسية، أو العلوم الاجتماعية، أو دراسة الديمقراطية. أما المقاربة الرابعة، فقد ابتعدت عن المطالب التي قدمتها الدوائر الأكاديمية المؤسسية، وتُحبِّذ بدلًا من ذلك استخدام تصورات الأفراد كنقطة انطلاق من أجل تطوير مقاربات يتمحور تركيزها حول المواطنين. تُترجَم كلٌّ من أطر العمل المختلفة إلى أهداف وغايات تعليمية مختلفة يتمُّ اتباعها في الفصل الدراسي، وتتطرق في الحديث بدرجاتٍ متفاوتة إلى النماذج النظرية للمواطنة، مثل الليبرالية، والمواطنة الجمهورية، والنموذج النقدي [8]. وتُركِّز المقاربة الليبرالية لتعليم المواطنة على تنشئة مواطنين مستقلين يمكنهم العمل من أجل دعم مصلحتهم الخاصة، كما تُركِّز على تعزيز المستوى الأساسي من معرفة المواطنة لدى الأفراد وتعزيز ميولهم نحو الإسهام. وتؤكد مقاربة المواطنة الجمهورية على ضرورة انخراط المواطنين بفاعلية في المجتمع كمواطنين متساوين وأحرار. وتُشدِّد المقاربة على مسؤولية المواطنة في العمل من أجل تحقيق الصالح العامّ. وتُركِّز المقاربة النقدية على تحسين المجتمع ونقده من خلال العمل السياسي والتغيير الاجتماعي. وتعتمد هذه المقاربة على فكرة التمكين، والعدالة الاجتماعية، ونقد الوضع الراهن. وفي عام ٢٠١٦، نشر علماء من المدرسة النقدية للفكر دليلًا للمبادئ الأساسية، وهو "إعلان فرانكفورت: من أجل تربية سياسية متحررة ونقدية" [9]. وكان الدليل يهدف إلى إعادة توجيه النقاش القائم حول أهداف تعليم المواطنة وموضوعاته نحو مقاربة أقدر على إحداث تغيير في تعليم المواطنة. ويُركِّز الإعلان على ستة مجالات رئيسية، هي: الأزمة، والجدل، وانتقاد السلطة، والانعكاسية، والتمكين، والتغييرات. وعلى الرغم من الأفكار المتنافسة لتعليم المواطنة، يوجد اتفاقٌ واسع النطاق يتمثل في ثلاثة مبادئ أساسية يُعرَف باسم "اتفاق بويتلزباخ". في عام ١٩٧٦، شكَّل مؤتمر علماء التربية مدارس بيداغوجية مختلفة تناولت الحاجة إلى تجنُّب التلقين. وكان التعليم كواسطة دعائية وكوسيلة لغسل أدمغة المواطنين قضيةً ذات حساسية خاصة في الجمهورية الاتحادية بسبب سياسات التلقين النازية والشيوعية السابقة [10]. اتفق المشاركون في المؤتمر على مجموعة من المبادئ التوجيهية التي تؤكد على مفهوم التعليم "الموضوعي"، حيادي القِيَم [11]. يحظر المبدأ الأول على التربويين إغراق الطلاب وتحميلهم فوق قدرتهم بالآراء أو المواقف أو القيم السياسية. ويتعارض أي نوع من التلقين مع الفكرة الأساسية المتمثلة في تنشئة فردٍ يتحلى بالثقة بالنفس ويُقيِّم الأمور بعينٍ ناقدة، ومن ثَمَّ يتعذر التوافق بين التلقين وتعليم المواطنة بوجهٍ عامّ. وبموجب المبدأ الثاني، يُتوَقع من التربويين إمعان التفكير في تنوع وجهات النظر وتعدد المصالح وما ينطرح جراء ذلك من مشكلات. وإذا كان هناك موضوعٌ ما مثيرٌ للجدل في العلوم أو السياسة أو المجتمع بشكلٍ عامّ، فيجب أن يُدرَّس على هذا النحو أيضًا بمادة تعليم المواطنة. أما المبدأ الثالث، فيفترض أنَّ الطلاب يتعين تدريبهم على كيفية تحليل مصالحهم السياسية والتأثير في المجتمع بطريقةٍ واقعية من أجل تحقيق تلك المصالح. وقد لعب "اتفاق بويتلزباخ" دورًا بارزًا في مجال تعليم المواطنة في ألمانيا ولا يزال يُمثِّل ركيزةً أساسية. ومع ذلك، كان النُّقاد الجدد يطالبون بضرورة التشكيك بشكلٍ صريح في الافتراضات المعيارية والضمنية والآثار المترتبة على الاتفاق؛ إذ إنَّها تتحدث ضمنيًّا لصالح الوضع الراهن بدلًا من الحديث عن المفاهيم التحررية الحقيقية. تحوَّل "الاتفاق" إلى محور للنقاش العامّ في عام ٢٠١٨. وقد طالب حزب أقصى اليمين السياسي في ألمانيا "البديل من أجل ألمانيا " (AFD) بالتزام "الحيادية" بشكلٍ تام في تعليم المواطنة عند تدريس القضايا السياسية أو المثيرة للجدل. وأشار الحزب، من بين أمورٍ أخرى، إلى المبدأَين الأول والثاني لـ "اتفاق بويتلزباخ" عندما حاجوا بأنَّ المعلمين لا بد ألا يروِّجوا لوجهات نظرٍ سياسية أو تستند إلى القيم في الفصول الدراسية، بل بالأحرى عليهم أن يعرضوا وجهات النظر المعارِضة على نحوٍ متوازن، بما في ذلك وجهات النظر اليمينية. وقد أجَّج تقدُّم "حزب البديل من أجل ألمانيا" احتجاجًا شعبيًّا. وأوضحت السلطات والمؤسسات التعليمية وجماعات المناصرة أنَّ موقف الحيادية تجاه وجهات النظر اليمينية يعتبر في حد ذاته خيارًا سياسيًّا، وهو خيار يُعزِّز العنصرية ومعاداة السامية. وسرعان ما نشرت هيئة المدارس الألمانية إعلانًا توضح فيه أنَّ الممارسة داخل الفصول الدراسية لا ينبغي أن تكون حيادية بشأن القِيَم، ولكنها ملزمة باتخاذ موقفٍ مؤيد لحقوق الإنسان والقِيَم الديمقراطية [12]. في الواقع، يُحظَر على المعلمين قانونًا مناصرة الأحزاب السياسية أو الاستخفاف بها، ومع ذلك وفي الوقت نفسه، تقع على عاتقهم مسؤولية قانونية لمواجهة المواقف التي تطرح معاداة السامية والعنصرية، وكذلك التمييز ضد المثليات والمثليين، ومزدوجي الميول الجنسية، ومغايري الهوية الجنسانية، أو أي شكلٍ آخر من أشكال التمييز [13]. 3. النظام البيئي لتعليم المواطنة غير الرسمي يتميز نظام تعليم المواطنة غير الرسمي في ألمانيا بتنوعه بتنوع ست عشرة ولاية اتحادية، تُعرَف باسم Länder، تُحدِّد كلٌّ منها أولوياتها وأهدافها المتعلقة بالتعليم؛ ما يسمح بالتالي بوجود نظامٍ لامركزي للتعليم غير الرسمي. ومع ذلك، هناك بعض السياسات العامة والشاملة وبعض صناديق التمويل الاتحادية. يعتبر صندوق "Kinder- und Jugendplan des Bundes" (خطة الاتحاد بشأن الأطفال والشباب) هو الصندوق الرئيسي التابع للاتحاد الذي يسمح بالتنوع في تعليم المواطنة غير الرسمي، فهو يُموِّل مجموعة متنوعة من المنظمات غير الحكومية والمراكز الإقليمية؛ ما يضمن وجود مقارباتٍ متنوعة ومحايدة لتعليم المواطنة.و يتميز وضع تعليم المواطنة غير الرسمي بنطاقٍ من الإعالة من وكالات تقع خارج حيز المسؤولية المباشرة للحكومة الاتحادية أو الحكومات الإقليمية، مع التركيز بشكلٍ خاص على تنوع التعليم. منذ عامَي ٢٠١٩ و٢٠٢٠، عندما فقدت مجموعة من منظمات المجتمع المدني العاملة في مجال تعليم الكبار وضعها غير الربحي، خَشِيَ مقدمو الخدمات التعليمية غير الرسمية في ألمانيا من تقييد السلطات للخطاب السياسي في المجتمع المدني.و في قرارٍ نُشِر في عام ٢٠١٩، قضت محكمة ألمانيا العليا لشؤون الضرائب والجمارك بأنَّ المجموعة الناشطة "أتاك" (الرابطة المعنية بفرض الضرائب على المعاملات المالية لمساعدة المواطنين، ATTAC) لم تَعُد مؤهلة للتمتع بصفة المنظمة غير الربحية بسبب نشاطها السياسي العامّ ودعواتها لتقديم المطالبات واتخاذ الإجراءات الملموسة[14]. وينص القانون الضريبي الألماني على أنَّ الشركات التي تخدم الصالح العامّ بشكلٍ مباشر مؤهلةٌ للتمتع بحق الإعفاء الضريبي. ووفقًا للمحكمة، فإن تعزيز تعليم الكبار يتطلب مناقشة المسائل السياسية بذهنٍ متفتح، إلا أنَّه لا يجوز استخدامه لتحقيق أهدافٍ سياسيةٍ محددة. ويتعرض بقاء العديد من مؤسسات التعليم غير الرسمي للخطر إذا ما تمَّ إلغاء صفتها غير الربحية. 4. العروض التعليمية من حيث المحتوى، والغرض، والمنهجية، والانتساب الفلسفي تضطلع مجموعةٌ متنوعة من الوكالات الحكومية وغير الحكومية بتطبيق تعليم المواطنة غير الرسمي، وهي تشمل المدارس، والكليات، ومؤسسات تعليم الكبار الممولة من القطاع العامّ، والنقابات، والكنائس. ويُفسِّر تاريخ ألمانيا الدور المهم الذي تلعبه المؤسسات التي تكون بالضرورة، في بعض الحالات، فريدة من نوعها بالنسبة إلى ألمانيا؛ وينطبق ذلك بشكلٍ خاص على مجموعة متنوعة من المؤسسات السياسية والدينية وعلى الوكالة الاتحادية لتعليم المواطنة (BpB). وتعتبر الأخيرة من ضمن الوكالات التنفيذية التابعة لوزارة الداخلية الاتحادية، وتشارك في تطبيق كلٍّ من تعليم المواطنة الرسمي وغير الرسمي. ولديها مكاتب فرعية إقليمية في خمس عشرة ولاية. وترتبط المؤسسات من حيث توجهها السياسي أو الفكري أو الفلسفي أو الديني بمجتمعات دينية أو أحزاب سياسية راسخة، غير أنها مستقلة عن الأحزاب والكنائس وتقدم خدمات تعليمية متنوعة. 5. البيئة القانونية لتعليم المواطنة الرسمية يندرج تصنيف تعليم المواطنة في المدارس تحت مظلة السلطة الثقافية للولايات الألمانية المعنية؛ ما يعني أنَّ أهميتها كمادة تختلف من ولايةٍ اتحادية إلى أخرى. وفيما يتعلق بمكانتها ضمن المناهج الدراسية، يتمُّ إدراج تعليم المواطنة كمادةٍ مستقلة بذاتها. وفي حين أنَّها تقع في إطارٍ معياريٍّ للقيم الديمقراطية وحقوق الإنسان، إلا أنَّها مادةٌ غير متحيزة، حيث لا تعمل على توعية المواطنين في إطار علاقتهم بالدولة على وجه الحصر. فهي لا تهدف فحسب إلى الحفاظ على الوضع الديمقراطي الراهن؛ بل تسعى إلى تطوير قدرة المواطنين على الحكم والتصرف؛ مما يمكنهم بالتالي من إعادة التفكير وإعادة صياغة مبادئ وهياكل المواطنة، ولا سيما تلك التي تنطوي على التفكير النقدي والمشاركة السياسية [15]. يُزعَم أنَّه تمَّ إضفاء الطابع المؤسسي على تعليم المواطنة باعتباره مقررًا دراسيًّا أساسيًّا في جميع المرافق التعليمية الرسمية المتنوعة في ألمانيا وعلى كل مستوى من مستويات التعليم. ومع ذلك، توفِّر معظم المدارس على الصعيد العملي أقل من الساعتَين النموذجيتَين من تعليم المواطنة كل أسبوع. 6. الجهات المعنية إلى جانب الأنشطة المدرسية، هناك جانبٌ مهمٌ آخر من تعليم المواطنة يتمثل في إشراك الطلاب الصغار والكبار خارج الفصل الدراسي في مجموعةٍ متنوعة من فرص التعلُّم غير الرسمية التي ترعاها الدولة والهيئات الاجتماعية. تُدعَّم أنشطة تعليم المواطنة الخارجة عن المنهج الدراسي أو كانت تُموَّل من قِبَل الأحزاب السياسية، والنقابات، والجمعيات التجارية، والمؤسسات، والمجتمعات الدينية والروحية، ووسائل الإعلام، والأكاديميات، والمؤسسات المستقلة، والمبادرات التي تسعى لتطبيق تعليم المواطنة بموجب التزامها بالمُثل السياسية. ومع ذلك، فقد قامت المؤسسات العامة مؤخرًا بسحب الدعم المالي المُقدَّم في إطار هذا المجال؛ ما تسبَّب في زيادة التمويل الخاص من أجل تعليم المواطنة، والذي غالبًا ما يدعو بشكلٍ ضمنيٍّ أو صريح إلى مناصرة المعايير والقيم الجزئية. يتنافس تعليم المواطنة غير الرسمي بشكلٍ متزايد مع العروض التعليمية التي ترتبط ارتباطًا وثيقًا بمسألة الصلاحية للعمل والاحتياجات الاقتصادية؛ ما يستدعي الحاجة إلى النقاش لضمان أنَّ الصلاحية للعمل والبرامج التعليمية الخاصة بها لا تحل محل المواطنة الانتقادية. 7. التحديات فيما يتعلق بالاحتياجات البحثية، يتمثل التحدي الرئيسي لتعليم المواطنة في ألمانيا في الوقت الحالي في مواصلة البناء على الخطاب الدولي وقاعدة البحث الدولية الموجودة بالفعل؛ وذلك لمواصلة تطوُّر تعليم المواطنة إلى تخصصٍ أكاديميٍّ مستقل. وفيما يتعلق بالبحث التجريبي، يجب إيلاء الانتباه إلى ما يُعرَف بالوعي بالمواطنة [16]، وهي مقاربة تُركِّز على المواطنين وتشير إلى الأفكار البديهية لدى الأفراد بشأن العالم الاجتماعي والسياسي. وتدعو مقاربة الوعي بالمواطنة إلى التشكيك في أي عملية تدريس تُركِّز على التغطية الشاملة لمعارف تعليم المواطنة أو الأحكام المعيارية التي لا تُدرِج المعنى الذي تحويه بشكلٍ ضمني للمتعلمين. وبدلًا من ذلك، تشرع المقاربة في اقتراح بديل للمقاربات المعيارية لتعليم المواطنة التي عادةً ما تُستَمد من النظريات الليبرالية والجمهورية والنقدية (انظر "التعريف") من خلال سكب مزيدٍ من الالتزام والقيمة على المغزى الفردي. وتعني مقاربة الوعي بالمواطنة وضع المتعلم في صميم العملية. إنَّ الإسهاب في الافتراضات التي تسترشِد بها القوالب الفكرية للأفراد والقدرة على مناقشتها سيساعدان الطلاب على الفهم الحقيقي لقضايا المواطنة، وليس فقط التعلُّم بغية غايةٍ محددة. وبناءً على ذلك، من المُرجَّح اعتبار المعرفة العملية بنتائج البحث حول تصورات المتعلمين عن الواقع السياسي والاجتماعي أمرًا جوهريًّا لإعداد المعلمين مهنيًّا في هذا المجال. في السنوات الأخيرة، تزايدت الكراهية للأجانب بالخطاب العامّ الألماني، كما أصبح الحديث الذي يحض على الكراهية أكثر شيوعًا [17]. وأصبح الصعود السريع لشعبوبية جناح اليمين والهجمات العنصرية مدعاةً رئيسية للقلق، ولا سيما في أوقات الأزمات؛ إذ تُحرِز المواقف اليمينية تقدُّمًا باستخدام شعاراتٍ إقصائية و"حلولٍ" ساذجة مزعومة لأي مشكلة متوخاة. كان للخطاب المستمر حول الخوف من الإسلام وكراهية الأجانب المنبثق عن اليمين المتطرف تأثير في الخطاب السياسي السائد وحظي بتأثيرٍ ملموس في النقاش عبر الإنترنت [18]. ويلعب تعليم المواطنة في ألمانيا دورًا رئيسيًّا بلا منازع في تعزيز الخطاب السياسي للمجتمع عن التوجهات المناهضة للديمقراطية وعن التعددية في ألمانيا، وفي المساهمة في بزوغ مجتمعٍ أكثر تكاملًا تندمج فيه الأقليات والطبقات الاجتماعية [19]. ثمة مجال راهن آخر يتعين النهوض به، ألا وهو الدور المحوري الذي تلعبه المواطنة التشاركية في التعاطي مع تغيُّر المناخ والتحول إلى نموذج مستدام للنمو الاقتصادي (أو لتراجعه). ثالثًا، يتمُّ التركيز على تعليم المواطنة الرقمية؛ إذ تلعب الرقمنة دورًا مهمًّا في صياغة الحياة السياسية والاقتصادية والاجتماعية، وتحتاج إلى أن تنعكس بصورةٍ انتقادية عبر جميع أبعادها الاجتماعية، والبيئية، والاقتصادية، والسياسية. وتشمل الجوانب الأساسية آلية وإمكانات وحدود المنصات الإلكترونية، مثل إنستغرام وفيسبوك وغوغل، وتأثيرها في الثقافة الديمقراطية، والاقتصاد العالمي المستدام، والاستقلالية الفردية. 8. الحواشي [1] روبرتس، جيوفري. ٢٠٠٢. التربية السياسية في ألمانيا. في: الشؤون البرلمانية (٥٥)، ٥٥٦-٥٦٨. [2] المرجع نفسه. [3] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. وعي المواطن. صور وتصورات المعني في التربية السياسية. (Bürgerbewusstsein. Sinnbilder und Sinnbildungen in der Politischen Bildung.) في: مجتمع-اقتصاد-سياسة (GWP) (٣)، ص ٤٣١-٤٣٩. [4] فايسينو، عيورغ، وديتيين، ويوآخيم، ويوخلِر، إنغو. ٢٠١٠. مفاهيم السياسة. نموذج كفاءات. (Konzepte der Politik. Ein Kompetenzmodell.). بون: الوكالة الاتحادية للتربية السياسية (نُشرت السلسلة من قِبَل الوكالة الاتحادية للتربية السياسية، المجلد ١٠١٦). [5] فريق المؤلفين المعنيّ بوضع البيداغوجيا المتخصصة. بيساند، أنيا، وغرامِّس، تيلمان، وهيدتكه، راينهولد، ولانغيه، ديرك، وبِتريك، أندرياس، وراينهاردت، سِبيليه (محررون). ٢٠١١. مفاهيم التربية السياسية. مناظرة خطية. (Konzepte der politischen Bildung. Eine Streitschrift.). شفالباخ آم تاونوس: Wochenschau Verlag، سلسلة السياسة والتعليم، المجلد ٦٤. [6] هيمِلمان، غيرهارد. ٢٠١٣. الكفاءات المطلوبة لتدريس المواطنة الديمقراطية وتعلُّمها والعيش بها. في: موراي برينت وديرك لانيغه (محرران): التربية المدنية والكفاءات المطلوبة لإشراك المواطنين في الديمقراطيات. روتردام: دار نشر سينس، ص ٣-٧. بيرمان، غونتر سي.، وغرامّس، تيلمان، وراينهاردت، سِبيليه (٢٠٠٤). السياسة: المنهج الأساسي للعلوم الاجتماعية في الثانوية العامة. (Politik: Kerncurriculum Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe). في: هاينز إلمار تينورت (محرر): المنهج الأساسي في المراحل العليا. خبرات. (Kerncurriculum Oberstufe. Expertisen.). فاينهايم: بيلتز (بيداغوجيا بيلتز)، ص ٣٢٢-٤٠٦. [7] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. [8] هوسكينز، بريوني. ٢٠١٣. ماذا تحتاج الديمقراطية من مواطنيها؟ تحديد الصفات المطلوبة للمواطنة الفاعلة وتوضيح القيم. في: موراي برينت وديرك لانغيه (محرران): المدارس والمناهج وتعليم المواطنة لتنشئة مواطنين ديمقراطيين. روتردام، بوسطن: دار نشر سينس (المواطنة والتثقيف السياسي، ٢)، ص ٢٣-٣٥. [9] أيس، أندرياس، ولوش، بيتينا، وشرودِر، أخيم، وشتيفينس، غيرد. ٢٠١٦. إعلان فرانكفورت: من أجل تربية سياسية متحررة ونقدية. في: مجلة تعليم العلوم الاجتماعية، المجلد ١٥، رقم ١، ص ٧٤-٧٥. [10] روبرتس، جيوفري. ٢٠٠٢. [11] شيليه، سيغفريد، وشنايدِر، هِربِرت، وفيشر، كورت غيرهارد. ١٩٧٧. مشكلة الإجماع في التربية السياسية. (Das Konsensproblem in der politischen Bildung.). شتوتغارت: إيه. كليت (ملاحظات وحجج بشأن تعليم التاريخ والتربية السياسية، ١٧). [12] مؤتمر وزراء التربية والتعليم. ٢٠١٨. الديمقراطية كهدف وموضوع وممارسة للتربية والتعليم السياسي والتاريخي في المدرسة. قرار مؤتمر وزراء التربية والتعليم بتاريخ ٠٦/٠٣/٢٠٠٩ بصيغته الصادرة بتاريخ ١١/١٠/٢٠١٨. مؤتمر وزراء التربية والتعليم. بون. [13] هيلدت، إنكين. ٢٠٢٠. تعليم حقوق الإنسان. في: سابين عاشور، وماتياس بوش، وبيتر ماسينغ، وكريستيان ماير-هايدِمان (محررون): قاموس درس التاريخ. (Wörterbuch Politikunterricht). فرانكفورت: Wochenschau Verlag، ص ١٣٩-١٤١. [14] غيسلي، جيني. ٢٠١٩. ألمانيا: المحكمة المالية الاتحادية تنزع عن رابطة "أتاك" الصفة غير الربحية. مكتبة الكونغرس (المرصد القانوني العالمي). مُتاح عبر الإنترنت على موقع: Externer Link: https://www.loc.gov/law/foreign-news/article/germany-federal-fiscal-court-revokes-nonprofit-status-of-attac/،[ آخر دخول بتاريخ ١٥/٠٧/٢٠٢٠.] [15] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-ب. تعليم المواطنة في ألمانيا. في: فيولا بي. جورجي (محررة): تنشئة المواطنين في أوروبا. آفاق جديدة حول التربية المدنية. بون: الوكالة الاتحادية للتربية السياسية (Bpb) (نُشِرت السلسة من قِبَل الوكالة الاتحادية للتربية السياسية، المجلد ٦٦٦)، ص ٨٩-٩٥. [16] لانغيه، ديرك. ٢٠٠٨-أ. [17] اللجنة الأوروبية لمكافحة العنصرية والتعصُّب ٢٠٢٠. [Externer Link: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjU9-3u6fbwAhULDOwKHfpUCWwQFjAAegQIBhAD&url=https%3A%2F%2Frm.coe.int%2Fecri-report-on-germany-sixth-monitoring-cycle-german-translation-%2F16809ce4c0&usg=AOvVaw2ogS-s4wQWvvCFzernCMNZ [آخر دخول بتاريخ ٢٩/٠٦/٢٠٢١] [18] اللجنة الأوروبية لمكافحة العنصرية والتعصُّب ٢٠٢٠. [19] هيلدت، إنكين. ٢٠٢٠. المدرسة بتكليف حقوق الإنسان. في: جريدة Pädagogische Rundschau ٧٤. ٢٠٢٠ (٢)، ص ٣٢٣-٣٣٤. DOI: 10.3726 / PR032020.0032. Interner Link: English Version
Article
ديرك لانغن , اينكن هلدت
"2022-05-24T00:00:00"
"2021-02-18T00:00:00"
"2022-05-24T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/partner/nece/327145/t-lym-almwatnt-fy-almanya/
تعرفوا على تعليم المواطنة في ألمانيا حيث ستجدون معلومات عن تعريف المواطنة، النظام البيئي لتعليم المواطنة الغير الرسمي، البيئة القانونية، الجهات المعنية و التحديات. بالإضافة سنقوم بشرح العروض التعليمية في ألمانيا و أثرها على مفهوم المواطنة في ألمانيا.
[ "politische Bildunng", "NECE", "Country Profile" ]
30,664
Neugründung der Länder und Rückkehr zur kommunalen Selbstverwaltung | Lange Wege der Deutschen Einheit | bpb.de
Die Binnenstruktur der Verwaltung in der DDR Das Prinzip des so genannten "demokratischen Zentralismus" war grundlegend für den Staatsaufbau der DDR. Festgelegt war dies in Artikel 47 Abs. 2 der Verfassung aus dem Jahr 1968: "Die Souveränität des werktätigen Volkes, verwirklicht auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus, ist das tragende Prinzip des Staatsaufbaus." Dieses Prinzip war auch für die Verwaltungsorganisation maßgeblich. Damit war eine Hierarchie der Institutionen des politischen Systems vorgegeben: unter Führung der SED existierten weder föderalistische Strukturen noch Autonomieräume in Gestalt einer kommunalen oder berufsständischen Selbstverwaltung. Vielmehr bestand eine "Kommandostruktur". Zwar konnte auch in der DDR zwischen einer verwaltenden, einer gesetzgebenden und einer rechtsprechenden Staatstätigkeit unterschieden werden. Jedoch gab es keine Gewaltenteilung im Sinne eines liberalen Rechtsstaats. Vielmehr galt das "Dogma der Gewalteneinheit" als bloßer Ausdruck einer formal absoluten Herrschaft durch das Volk ("identitäre Demokratie"). Verwaltung war nach DDR-Verfassung und DDR-Staatslehre daher keine zweite Gewalt, sondern nur die "verfügend-vollziehende Staatstätigkeit". An der Spitze der Verwaltungsorganisation der DDR stand der Ministerrat als Regierung der DDR (Art. 76 Abs. 1 DDR-Verfassung von 1968). Er leitete, koordinierte und kontrollierte die Tätigkeit der Ministerien, der anderen zentralen Staatsorgane sowie der Räte der Bezirke (vgl. Art. 78 Abs. 1). Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag bei der staatlichen Leitung und Planung der Volkswirtschaft der DDR nach den politischen Leitlinien der SED (vgl. § 1 Abs. 2 Ministerratsgesetz der DDR). Hinzu traten weitere wichtige Aufgaben auf dem Gebiet der Außenpolitik (Art. 76 Abs. 3). Der Ministerrat sollte durch die Volkskammer politisch kontrolliert werden. Anders als in dem gewaltenteilig eingebetteten Regierungssystem einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik spielte diese Verantwortlichkeit de facto aber keine große Rolle. Eine enge Verzahnung mit der Staatspartei SED bestand hingegen bereits deshalb, weil der SED als stärkster Volkskammerfraktion das Vorschlagsrecht für die Person des Ratsvorsitzenden zustand (vgl. Art. 79 Abs. 2). Dem Ministerrat nachgeordnet waren die Ministerien und die sonstigen Verwaltungsbehörden. Den größten Einfluss hatte dabei das Ressort Wirtschaftsverwaltung. Der Ministerrat verwaltete in diesem Bereich durch Industrieministerien jeweils einen oder mehrere Industriezweige. Diese entstanden nach Auflösung des Volkswirtschaftsrates im Jahre 1965 durch die Umbildung seiner Industrieabteilungen in selbstständige Ministerien. Auch die Kombinate waren den Ministerien unterstellt, soweit diese nicht von Bezirken selbst geleitet wurden. Neben den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) waren Kombinate prägend für die Struktur der DDR-Wirtschaft. In Kombinaten waren volkseigene Betriebe (VEB) zu großen Wirtschaftseinheiten zusammengeschlossen (vgl. Kombinatsverordnung vom 8. 11. 1979, Gesetzblatt/ GBl. DDR I S. 355). Auf zentraler Ebene bestanden neben den Ministerien weitere staatliche Ämter: Zum Beispiel war die Staatliche Plankommission als oberste Planungsbehörde der DDR dem Ministerrat direkt unterstellt. Ferner existierten das Amt für Jugendfragen beim Ministerrat, das Amt für Standardisierung und andere mehr. Auf der Grundlage eines Volkskammergesetzes aus dem Jahre 1952 (Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. 7. 1952) wurde die DDR neu gegliedert. An die Stelle der bis dahin bestehenden fünf Länder traten 14 ihrerseits in Kreise untergliederte Bezirke als größte Gebietseinheiten in der neuen Verwaltungsgliederung. Ohne Rücksicht auf den alliierten Sonderstatus als Viersektorenstadt wurde Ostberlin 1961 zum 15. Bezirk der DDR erklärt. Die Volksvertretung auf regionaler Ebene war der Bezirkstag. Anders als zuvor die nun aufgelösten Länder besaß er kaum eigene politische Kompetenzen. Der Bezirkstag wählte den Rat des Bezirks als Exekutivorgan des Bezirks. Für die Wirtschaftsverwaltung auf Bezirksebene war der Bezirkswirtschaftsrat (BWR) als staatliches Organ für die Planung und Leitung der bezirksseitig geleiteten Industrie von Bedeutung. Der BWR wurde vom Ministerium für bezirksgeleitete Industrie angeleitet und war dem Bezirkstag rechenschaftspflichtig. Dem BWR waren alle VEBs direkt unterstellt. Die Bezirksplankommission agierte als ein für die regionale Planung zuständiges Organ der Räte der Bezirke. Unterhalb der regionalen Verwaltungseinheiten in Gestalt der Bezirksverwaltungsbehörden handelten als örtliche Verwaltungseinheiten die Kreisverwaltungsbehörden sowie die Städte- und Gemeindeverwaltungen. Man unterschied (1) kreisangehörige Gemeinden bzw. Städte und (2) kreisfreie Städte (Stadtkreise), die in großen Stadtkreisen in Stadtbezirke als unterste Verwaltungsebenen untergliedert waren, sowie (3) Gemeindeverbände. Die Kommunen besaßen kein Selbstverwaltungsrecht. Ein Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen regelte die Aufgabenzuweisung an diese Gremien (G. v. 4. 7. 1985 [GöV 1985], GBl. DDR I S. 213). Neben die örtlichen Volksvertretungen traten die jeweiligen Räte als Exekutivorgane. Ebenso wie auf Bezirksebene galt auch auf lokaler Ebene das Prinzip der "doppelten Unterstellung" der Räte: Danach war der Rat sowohl der jeweiligen Volksvertretung gleicher Ebene als auch dem übergeordneten Rat verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Die kreisangehörigen Gemeinden und Kreisstädte hatten im Staats- und Verwaltungssystem der DDR nur geringe Verwaltungskraft und verfügten nur über bescheidene Einnahmen. Oftmals gewährleisteten erst Zuwendungen von örtlich ansässigen Betrieben die Finanzierung von Verwaltungsaufgaben. Nachgeordnete Organe der Bezirksplankommission waren die Kreisplankommissionen, die Aufgaben im Rahmen der örtlichen Planung wahrnahmen. Die so genannte kommunale Wohnungsverwaltung war als VEB organisiert und dem örtlichen Rat unterstellt (trotz Umbildung zu VEB blieb die Bezeichnung als "kommunale Wohnungsverwaltung" zu DDR-Zeiten gebräuchlich). Betriebe, Kombinate und Produktionsgenossenschaften waren als Teil der Staatswirtschaft selbst Verwaltung im materiellen Sinn – neben Behörden der Wirtschaftsverwaltung im formellen Sinne, wie die Plankommissionen oder die Wirtschaftsräte. Die große Anzahl und Bedeutung von Behörden der Wirtschaftsverwaltung war Ausdruck einer zentral gelenkten Verwaltungswirtschaft. Da die DDR in weitaus stärkerem Maße als die Bundesrepublik die Bereiche Soziales und Kultur steuerte, nahm auch die Behördenorganisation in diesen Verwaltungsbereichen mehr Raum ein als in der Bundesrepublik. Die Unterschiede zwischen den Verwaltungen beider deutscher Teilstaaten werden durch einen Vergleich des Verwaltungsorganisationsrechts allein nicht hinreichend deutlich. Für das Verständnis der DDR-Verwaltung ist in weit größerem Maß die Kenntnis der Verwaltungspraxis von Bedeutung. Zu berücksichtigen sind insoweit vor allem eine Rechtswirklichkeit jenseits der Gesetze und der vielschichtige Einfluss des Parteiapparates, der kennzeichnend für die DDR-Verwaltung war und diese beherrschte. Der unmittelbar und mittelbar bestimmende Einfluss der SED auf die Verwaltung in all ihren Ebenen war durch eine zur Staatsorganisation spiegelbildlich organisierte und jener übergestülpten Parteiorganisation sichergestellt. Einflussnahme erfolgte nicht nur durch förmlich geregelte Weisungsverhältnisse, sondern auch durch informelle Strukturen. Zudem wurden die Leitungspositionen der meisten Verwaltungsbereiche mit SED-Mitgliedern besetzt. Die Neuordnung der DDR-Verwaltung im Jahr 1990 Eine grundlegende Reform der DDR-Behördenorganisation erfolgte 1990 kurz vor der Wiedervereinigung durch die erste (und letzte) frei gewählte Volkskammer sowie die Regierung Modrow. Zunächst wurde die Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei aus Art. 1 Abs. 1 der DDR-Verfassung getilgt. Das Ministerium für Staatssicherheit und die noch vom Ministerrat eingerichtete Nachfolgeorganisation (Amt für nationale Sicherheit) wurden aufgelöst. Die Volkskammer hob die Bestimmungen der DDR-Verfassung über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe auf und führte mit der neuen Kommunalverfassung der DDR das kommunale Selbstverwaltungsrecht wieder ein (ebenso § 3 Abs. 3 des Ländereinführungsgesetzes vom 22. 7. 1990). Das Kommunalvermögensgesetz (KVG) vom 6. 7. 1990 (GBl. DDR I S. 660) bestimmte den Übergang zahlreicher zuvor volkseigener Vermögenswerte in das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise. Das KVG führte zur Übertragung ganzer Verwaltungseinheiten als Bestandteile der vormaligen volkseigenen Betriebe und Einrichtungen auf die Kommunen, etwa in den Bereichen des öffentlichen Personennahverkehrs oder der Elektrizitäts- und Wasserversorgung. Die Wiedereinführung der Länder Die DDR war zu diesem Zeitpunkt von Rechts wegen noch zentralstaatlich organisiert. Das System des demokratischen Zentralismus prägte vorerst weiterhin den Staatsaufbau. Die Umwandlung in einen Bundesstaat erfolgte wenig später, Ende Juli 1990, auf Grundlage des Ländereinführungsgesetzes. Die fünf neugebildeten Bundesländer waren bis zu ihrem späteren Beitritt zur Bundesrepublik Länder der DDR. Das Gesetz regelte des Weiteren die Zuordnung der Kreise (deren Fortbestand unangetastet blieb – vgl. § 78 Abs. 1 Kommunalverfassung) zu den neuen Ländern (§ 1 Ländereinführungsgesetz sowie Anlage hierzu). Die neuen Länder in Ostdeutschland waren 1990 anders geschnitten als die im Westen. Im Vergleich zu den westlichen Bundesländern weisen sie mit Ausnahme von Sachsen in der Größe ihres Gebiets und ihrer Bevölkerungszahl eine große Zersplitterung auf hinsichtlich der Anzahl an Landkreisen und vor allem an Gemeinden (gemessen an Gebiet und Bevölkerungsdichte). Im rasanten Einigungsprozess Deutschlands konnte es nicht auf Anhieb gelingen, die Bundesländer insgesamt nach objektiven, gesicherten und rationellen Kriterien neu zuzuschneiden. Womöglich wäre dadurch in Ostdeutschland eine neue strukturelle Kommunalbasis, eine effektivere Kreis- und Gemeindegliederung geschaffen worden. Die Bevölkerung wollte indes ihre Identität in den Ländern wieder hergestellt wissen, wie sie nach 1945 schon einmal bestanden hatten. Vor diesem Hintergrund ist die neue territoriale Kleinteiligkeit verständlich, die allerdings auch der alten Bundesrepublik nicht fremd war, wenn man z.B. an das Saarland denkt. Ein genereller Neuzuschnitt der Bundesländer wäre auch weder bis zum 3. Oktober 1990 noch bis zum Tag der Landtagswahlen in den neuen Ländern am 14. Oktober 1990 zu bewältigen gewesen. Ein nur Wochen dauerndes Schnellverfahren für einen generellen Länderneuzuschnitt war unmöglich im komplizierten demokratischen und föderativen Gefüge Deutschlands, in dem Meinungspluralismus herrscht, konkurrierende Lobbygruppen eine große Rolle spielen, die notwendigen parlamentarischen Verfahren langwierig sind sowie die Verfassungsgerichtsbarkeit angerufen werden kann. Daher hätte auch ein Versuch, die neuen Bundesländer auf zwei oder drei zu reduzieren, kaum Erfolg versprochen. In der föderalen Ordnung und im Bundesrat als dem föderalen Organ haben die ostdeutschen Länder wiederholt durch parteiunabhängige Kooperationen ihre gemeinsamen Interessen geltend gemacht, zuletzt im Zusammenhang mit dem Braunkohleausstieg. Zudem beeinflusst das im Osten Deutschlands größere politische Gewicht der Partei Die Linke, insbesondere dadurch, dass sie seit 2014 den Ministerpräsidenten in Thüringen stellt, auch die politischen Strukturen im Bundesrat. Umbau der Landesverwaltungen der DDR im Einigungsjahr 1990 Entsprechend dem grundgesetzlichen System der Verteilung der Verwaltungskompetenzen bestimmte Art. 12 des Ländereinführungsgesetzes, dass die Länder die Gesetze der DDR als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das jeweilige Gesetz es nicht anderes bestimmt oder zulässt. Im Falle des Vollzugs der DDR-Gesetze als eigene Angelegenheit regelten die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Gesetze der DDR etwas anderes bestimmen (Art. 13 Abs. 1). Der Ministerrat konnte dazu allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (ebd.) und übte die Rechtsaufsicht darüber aus, dass die Länder die DDR-Gesetze dem geltenden Recht gemäß ausführten (ebd.). Zu diesem Zweck durfte er Beauftragte zu den obersten Landesbehörden – und mit deren Zustimmung auch zu den nachgeordneten Behörden – entsenden (ebd.). Das Vermögen der Bezirke ging auf das Land über, dem sie angehörten (Art. 21). DDR-Vermögen, das überwiegend Verwaltungsaufgaben der DDR zu dienen bestimmt war, wurde auf die neuen Aufgabenträger – bzw. soweit die Aufgaben nun den Ländern oblagen – auf die jeweiligen Länder übertragen (Art. 21 Abs. 2). Sonstiges Vermögen übertrug die DDR auf ihre Länder (Art. 21 Abs. 3). Mit der Bildung der Länder gingen die Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung dienende Einrichtungen der Republik, soweit sie nach dem Ländereinführungsgesetz Aufgaben der Länder wahrnehmen, auf die Länder über (Art. 22). Die Bestimmungen des Einigungsvertrages über die Behördenorganisation Der Einigungsvertrag (EV) vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) enthielt in seinem fünften Kapitel "Öffentliche Verwaltung und Rechtspflege" die zentralen Aussagen zur Umwandlung der DDR-Verwaltung. Nach dem Grundsatz des Art. 13 Abs. 1 EV wurden Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung dienende Einrichtungen in dem Beitrittsgebiet der Regierung desjenigen Landes unterstellt, in dem sie örtlich gelegen waren. Einrichtungen mit länderübergreifendem Wirkungskreis gingen in die gemeinsame Trägerschaft der betroffenen Länder, ebenso Länderübergreifende Einrichtungen. Selbstständige Teileinrichtungen wurden der Regierung des Landes, in dem sie sich befanden, unterstellt. Die Landesregierungen hatten die Überführung und Abwicklung zu regeln. Abweichend von dem Grundsatz des Art. 13 Abs. 1 EV bestimmte Abs. 2 der Vorschrift, dass Einrichtungen und Teileinrichtungen i. S. d. Abs. 1, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllt haben, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vom Bund wahrzunehmen sind, den zuständigen obersten Bundesbehörden unterstehen. Diese hatten auch die Überführung an neue Eigentümer oder Abwicklung, d.h. Schließung, zu regeln. Den kommunalverfassungsrechtlichen Rahmen der Selbstverwaltung in Gestalt der neuen DDR-Kommunalverfassung ließ der Einigungsvertrag in Kraft (Anl. II zum EV, Kapitel II, Sachgebiet B: Verwaltung, Abschnitt I). Der Einigungsvertrag enthielt für alle Verwaltungsebenen den Grundsatz, dass die Angehörigen des Staatsapparates im Interesse der "Verwaltungskontinuität" auf ihren Arbeitsplätzen bleiben sollten, was allerdings nur für die Verwaltungen galt, die fortgeführt wurden, wie z.B. die Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Für die Zuordnung von Behördenstrukturen waren auch die Bestimmungen über den Übergang des Verwaltungsvermögens auf die neuen Verwaltungsträger von großer Bedeutung. Das Verwaltungsvermögen der DDR wurde Bundesvermögen, soweit es nicht nach seiner Zweckbestimmung für Verwaltungsaufgaben der Länder, Gemeinden oder sonstigen Träger öffentlicher Verwaltung bestimmt war (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV). Soweit Verwaltungsvermögen nicht dem Bund zugewiesen wurde, stand es mit dem Wirksamwerden des Beitritts demjenigen Träger öffentlicher Aufgaben zu, der nach dem Grundgesetz für die Verwaltungsaufgabe zuständig war (Art. 21 Abs. 2 EV). Der Treuhandanstalt war bereits durch das Treuhandgesetz der Volkskammer die Aufgabe der Rekommunalisierung des volkseigenen Vermögens, das kommunalen Aufgaben und kommunalen Dienstleistungen diente, übertragen worden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 TreuhandG vom 17. 6. 1990 [GBl. DDR I S. 300]). Von Bedeutung für die Behördenorganisation im Beitrittsgebiet war zudem, dass der Einigungsvertrag die Geltung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes im Beitrittsgebiet anordnete, wobei das Gesetz für den Vollzug von Landesrecht bis zum Inkrafttreten von Landesverwaltungsverfahrensgesetzen galt. Angleichung der Verwaltungsinstitutionen Die Umwandlung der Behördenorganisation in den neuen Bundesländern erfolgte im Rahmen des Partnerländer-Modells. Dabei wurden jedem der neuen Bundesländer ein oder zwei West-Bundesländer zugeordnet, die durch entsandtes Verwaltungspersonal und sonstige Berater die Anpassung der Verwaltungen an den neuen rechtlichen Rahmen unterstützten. Es handelt sich also um sachliche und personelle Aufbauhilfe (zur Leistung von Verwaltungshilfe waren die Altbundesländer gem. Art. 15 Abs. 2 EV verpflichtet). Zahlreiche erfahrene Verwaltungsbeamte aus den Altbundesländern wurden in das jeweilige Partnerland zeitweilig abgeordnet. Schätzungen zufolge beträgt das Kontingent der "Leihbeamten" rund 35.000. Mitte 1991 waren etwa 4.000 westdeutsche Landesbedienstete für kürzere oder längere Dauer nach Ostdeutschland abgeordnet (vgl. Holtmann 2005, S. 366). Viele Leitungspositionen in den erneuerten Verwaltungen wurden schrittweise mit Personen aus den alten Bundesländern besetzt. In den Verwaltungen und der Bevölkerung entwickelten sich daraufhin anfänglich Vorbehalte gegen diese Form der sogenannten "Ostkolonisation" durch West-Beamte. Aufgrund früherer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit, infolge der Neuordnungen der Verwaltungsbehörden und des schrittweisen Abbaus des Personalüberhangs verloren zahlreiche Verwaltungsbeschäftigte der DDR-Verwaltung ihre Anstellung. Andererseits waren, wie Untersuchungen zeigen, die Unterschiede im Rollenverständnis west- und ostdeutscher Verwaltungsbediensteter von Anfang an bemerkenswert gering (vgl. Reichard/Schröder 1993, Glaeßner/Reichard/Röber 1996 und folgende Abbildung). Während die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Landesverwaltung dreistufig aufbauten, entschieden sich die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern für einen zweistufigen Aufbau ohne Mittelinstanz (Bezirksregierung). In Sachsen-Anhalt und Thüringen wird die Funktion der Mittelinstanz inzwischen durch ein Landesverwaltungsamt wahrgenommen (siehe Abbildung Dreistufiger Behördenaufbau). Der Umbau der Verwaltung war bis Mitte der neunziger Jahre im Wesentlichen abgeschlossen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war die Verwaltung in den neuen Bundesländern bereits - wenn auch zögerlicher als in den alten Ländern - ebenfalls mit Fragen der Verwaltungsmodernisierung und der Einführung des Neuen Steuerungsmodells beschäftigt. Mit Ausnahme von Brandenburg und Thüringen wurde die Zahl der Landkreise und Gemeinden durch in der Regel gründlich vorbereitete Funktions- und Gebietsreformen deutlich reduziert und in Größe und Zahl westlichen Maßstäben angeglichen. Die ostdeutschen Länder weisen heute 58 Landkreise auf (14 in Brandburg, 6 Mecklenburg-Vorpommern, 10 in Sachsen, 11 in Sachsen-Anhalt und 17 in Thüringen). Die Gesamtanzahl der Gemeinden in den neuen Bundesländern beläuft sich auf 2.414, (417 in Brandenburg, 726 in Mecklenburg-Vorpommern, 419 in Sachsen, 218 in Sachsen-Anhalt und 634 in Thüringen), einschließlich der 18 kreisfreien Städte. Die Zahl der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer ist von 1,4 Millionen im Jahr 1991 über 836383 im Jahr 2002 auf 698.225 im Jahr 2019 zurückgegangen (siehe auch folgende Abbildung). Die Gehälter bewegten sich 1991 auf 84 Prozent des Westniveaus und wurden über zwei Jahrzehnte hinweg schrittweise weitgehend angeglichen. Kommunale Verwaltung während der Besatzungszeit und in der DDR In der sowjetischen Besatzungszone war 1946 die "Demokratische Gemeindeordnung" erlassen worden, die im Hinblick auf das Selbstverwaltungsrecht mit den Regelungen in den Gemeindeordnungen in den westlichen Besatzungszonen vergleichbar war, die ihrerseits an den Stand der Zeit vor 1933 anknüpften. In der Praxis wurde das demokratische Selbstverwaltungsrecht mit dem Aufbau der SED-Diktatur aber beseitigt. Die formale Bestätigung des Verlusts kommunaler Autonomie erfolgte mit dem "Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht" von 1957. Durch dieses Gesetz wurde auch für die Kommunen das Prinzip des "demokratischen Zentralismus" verwirklicht. Die Gemeinden wurden damit zu unteren staatlichen Verwaltungsbehörden ohne eigenen Wirkungskreis und ohne Rechtsfähigkeit. Das "Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR" von 1985 hat diesen Zustand verfestigt (vgl. König 1993). Die demokratisierte DDR-Kommunalverfassung von 1990 Nach der Öffnung der Mauer und den ersten freien Wahlen zur Volkskammer wurde noch vor der Neubildung der ostdeutschen Länder mit dem Gesetz vom 17. Mai 1990 eine neue Kommunalverfassung der DDR eingeführt, auf deren Grundlage im gesamten Gebiet der DDR Gemeinden und Landkreise anknüpfend an den alten Rechtszustand vor 1933 gebildet wurden (zu Einzelheiten Bretzinger, Die Kommunalverfassung der DDR, 1994). Die demokratisierte Kommunalverfassung der DDR definierte die Gemeinde als eine Bürgergemeinschaft, die "in bürgerschaftlicher Selbstverantwortung das Wohl und das gesellschaftliche Zusammenleben ihrer Einwohner" fördern sollte. Noch vor der Einigung wurden somit in Ostdeutschland institutionelle Grundlagen für eine demokratische lokale Politik geschaffen, die an die historische Selbstverwaltungs-tradition anknüpft und punktuell weiterentwickelt (u.a. durch eine Zurücknahme der Regelungsdichte, die Erweiterung der bürgerschaftlichen Partizipation und Neuerungen in den Organstrukturen). Die kommunale Selbstverwaltung wurde insbesondere durch die eigene Verantwortung über die Finanzen, die Satzungshoheit sowie durch einen umfassenden Katalog von Selbstverwaltungsaufgaben gesichert. Letzterer wurde durch die Möglichkeit ergänzt, öffentliche Aufgaben per Gesetz an die Kommunen zu übertragen. Als Selbstverwaltungsorgane der Gemeinde fungierten die Gemeindevertretung und der Bürgermeister. Ausführlich ausgestaltet waren die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürger am Gemeindeleben, bis hin zu den volksunmittelbaren Instrumenten von Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Die Kommunalgesetze der neuen Bundesländer Nach der Neubildung der Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen durch das Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 auf Beschluss der Volkskammer der DDR erließen diese ab 1991 eigene Kommunalgesetze. Während Mecklenburg-Vorpommern ein einheitliches Kommunalverfassungsgesetz und Thüringen eine einheitliche Kommunalordnung erlassen haben, welche sowohl die Gemeinden als auch die Landkreise erfassen, wurden in den drei übrigen neuen Bundesländern getrennte Gemeinde- und Landkreisordnungen sowie Gesetze über die kommunale Gemeinschaftsarbeit erlassen. In den Gesetzen spiegelt sich sowohl in der Gesetzessystematik und Terminologie als auch in einzelnen Regelungen der Einfluss der jeweiligen westdeutschen Partnerländer und ihrer kommunalrechtlichen Traditionen wider. Allerdings mussten zum Teil auch andere Wege beschritten werden. So konnte z.B. im dünn besiedelten Brandenburg nicht das nordrhein-westfälische Modell großer Einheitsgemeinden umgesetzt werden, sondern es wurde auf die Tradition der Ämter, die viele kleine Gemeinden zu einer Verwaltungseinheit bündeln, zurückgegriffen. Insgesamt sind diese Gesetzeswerke aber auch ein Zeichen für die Angleichung der Kommunalgesetze, die seit den achtziger Jahren in ganz Deutschland zu verzeichnen ist. Diese Tendenz zur Gleichgestaltung kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass heute Bürgermeister und Landräte direkt von den Bürgern gewählt werden, und nicht mehr von den Vertretungskörperschaften. Auch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sind inzwischen in alle Kommunalgesetze aufgenommen worden. Kommunale Neuordnung als ein fortschreitender Prozess Die Neuordnung der Behördenorganisation auf kommunaler Ebene war nur ein (wichtiger) Mosaikstein der Verwaltungsreform und ebenso Bestandteil eines umfassenden Systemwandels. Zugleich mussten im Rahmen von Gebietsreformen neue und größere, leistungsfähige territoriale Einheiten geschaffen, qualifizierte Bedienstete gewonnen und Bedienstete, die aus der DDR-Verwaltung übernommen wurden, für den Vollzug des "neuen" Rechts qualifiziert werden. Untersuchungen zufolge war Anfang der 1990er Jahre auf kommunaler Ebene bis zu 70 Prozent altes Verwaltungspersonal weiterhin im Dienst, wenngleich häufig in anderer Funktion (vgl. Berg/Möller 1993, Däumer 1997, Wollmann/ Jaedicke 1993). Dabei mussten auch ein anderes Rechtsverständnis sowie eine andere Verwaltungskultur vermittelt werden, zumal das realsozialistische Rechtssystem zu einem erheblichen Funktionsverlust des Rechts und zu einer neben dem geschriebenen Gesetz rechtsstaatswidrigen Rechtswirklichkeit geführt hatte (vgl. Kluth 2001). Angesichts dessen sprachen Verwaltungsforscher wie Heinz-Ulrich Derlien von der DDR-Erblast einer "politisierten Inkompetenz" im Verwaltungspersonal, die schrittweise abgebaut werden musste. Vor allem angesichts des enormen Bedeutungs- und Verantwortungszuwachses der Kommunen, der mit der Wiederherstellung ihrer freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben sowie den übertragenen staatlichen Aufgaben einherging, ließ sich eine gewisse Überforderung dieser Ebene nicht übersehen. Im zentralistischen Verwaltungssystem der DDR waren die Bezirke und Kreise die verwaltungsstarken Organisationseinheiten gewesen, während die Gemeinden eine eher randständige Rolle spielten. So waren etwa wegen der Aufhebung der gemeindlichen Planungshoheit in der DDR bei den Gemeinden zu Beginn der 1990er Jahre noch keine Erfahrungen mit dieser Aufgabe vorhanden. Das schwierige bundesdeutsche Bauplanungsrecht musste nun (schrittweise) umgesetzt werden. Da bei der Neubildung der Gemeinden und Kreise an historische Strukturen aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg angeknüpft wurde, stellte sich auch in den neuen Bundesländern das Problem der Notwendigkeit einer kommunalen Gebietsreform. Dies umso mehr, als von den rund 7.500 Gemeinden viele weniger als 500 Einwohner zählten und somit nicht über eine ausreichende Verwaltungskraft verfügten. Im Zuge von Verwaltungs- und Gemeindegebietsreformen wurde durch die Schaffung von Einheitsgemeinden (mit in der Regel mindestens 10.000 Einwohnern) oder Verbandsgemeinden (so in Sachsen-Anhalt ab 2010) die Zahl der Gemeinden drastisch reduziert. Zudem wurde durch die Zusammenlegung der Verwaltungseinheiten kleiner Gemeinden in Ämtern (so in Brandenburg) bzw. Verwaltungsgemeinschaften (so in Sachsen-Anhalt bis 2010) eine Zwischenlösung gefunden. Die Landkreise wurden ähnlichen Reformen unterzogen. Im Ergebnis ist in den meisten neuen Bundesländern in den vergangenen Jahren eine Funktional- und Gebietsreform durchgeführt worden oder ist diese noch im Gange. Diese Entwicklungen, die bei betroffenen Bürgern (ähnlich wie bei den westdeutschen Vorläuferreformen in den 1960er und 1970er Jahren) häufig Widerspruch auslösten, spiegeln sich auch in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte wider (zuletzt sachsen-anhaltisches VerfG, NVwZ-RR 2009, 545). Besonders radikal wurde die Neugliederung der Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern in Angriff genommen, wo der Gesetzgeber eine Reduktion auf fünf Landkreise beschlossen hatte. Dieses Gesetz scheiterte aber vor dem dortigen Landesverfassungsgericht, welches unter anderem durch die geplante Großräumigkeit der neuen Kreise die ehrenamtliche Mitwirkung an der kommunalen Selbstverwaltung unverhältnismäßig erschwert sah. Als Folge der Schaffung größerer kommunaler Verwaltungseinheiten ist aus heutiger Sicht der Rückgang des ehrenamtlichen Engagements vor allem in den früher selbständigen Ortsteilen kritisch zu bewerten. Hier stellt sich die Frage, ob und wie durch die Stärkung der Entscheidungszuständigkeiten der Ortschaftsräte eine Neubelebung des kommunalen Ehrenamtes erreicht werden kann. Zudem könnten auch weitere Instrumente der Förderung von bürgerschaftlichem Engagement, wie z.B. Infrastrukturgenossenschaften, gefördert werden (Kluth, 2017). Quellen / Literatur Berg, Frank/ Möller, Bärbel, Transformationsprobleme kommunaler Verwaltungsinstitutionen und kommunaler Parteienentwicklung, Berlin 1993. Bundesamt für Statistik, Fachserie 14 Reihe 6 zum Personal des öffentlichen Dienstes im Jahr 2018, Wiesbaden 2019. Däumer, Roland, Vom demokratischen Zentralismus zur Selbstverwaltung: Verwaltungen und Vertretungen kleiner kreisangehöriger Gemeinden Ostdeutschlands im Transformationsprozeß (Raum Halle: Saalkreis), phil. Dissertation Halle-Wittenberg 1997. Glaeßner, Gert-Joachim/ Reichard, Christoph/ Röber, Manfred (Hrsg.), Datenreport zum Projekt Verwaltungskultur in den neuen Bundesländern, Teil I und II, Berlin 1996. Dolzer, Rudolf, Die Identität Deutschlands vor und nach der Wiedervereinigung, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Historische Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 2003, § 13. Holtmann, Everhard, Die öffentliche Verwaltung, in: Gabriel, Oscar W./ Holtmann, Everhard (Hrsg.), Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 3.Auflage München und Wien 2005, S. 333 – 371. Kilian, Michael, Der Vorgang der deutschen Wiedervereinigung, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Historische Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 2003, § 12. Kluth, Winfried (Hrsg.), Verwaltungskultur, Baden-Baden 2001. Kluth, Winfried (Hrsg.), Infrastrukturgenossenschaften, Halle, 2017. König, Klaus, Öffentlicher Dienst und Verwaltungsaufbau, Baden-Baden 1993. Kuhlmann, Sabine / Seyfried, Markus / Siegel, John, Wirkungen kommunaler Gebietsreformen: Stand der Forschung und Empfehlungen für Politik und Verwaltung, Baden-Baden, 2018. Reichard, Christoph/ Röber, M., Was kommt nach der Einheit? Die öffentliche Verwaltung in der ehemaligen DDR zwischen Blaupause und Reform, in: Glaeßner, G.-J., Der lange Weg zur Einheit, Berlin 1993, S. 215 – 247. Wollmann, Hellmut, Institutionenbildung in Ostdeutschland: Neubau, Umbau und "schöpferische Zerstörung", in: Kaase, Max u.a., Politisches System (Bericht 3 zum sozialen und politischen Wandel in Ostdeutschland), Opladen 1996, S. 47 – 153. Wollmann, Hellmut/ Jaedicke Wolfgang, Neubau der Kommunalverwaltung in Ostdeutschland - zwischen Kontinuität und Umbruch. In: Seibel, W./Benz, A./Mäding, H. (Hrsg.): Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung. Baden-Baden, 1993. Berg, Frank/ Möller, Bärbel, Transformationsprobleme kommunaler Verwaltungsinstitutionen und kommunaler Parteienentwicklung, Berlin 1993. Bundesamt für Statistik, Fachserie 14 Reihe 6 zum Personal des öffentlichen Dienstes im Jahr 2018, Wiesbaden 2019. Däumer, Roland, Vom demokratischen Zentralismus zur Selbstverwaltung: Verwaltungen und Vertretungen kleiner kreisangehöriger Gemeinden Ostdeutschlands im Transformationsprozeß (Raum Halle: Saalkreis), phil. Dissertation Halle-Wittenberg 1997. Glaeßner, Gert-Joachim/ Reichard, Christoph/ Röber, Manfred (Hrsg.), Datenreport zum Projekt Verwaltungskultur in den neuen Bundesländern, Teil I und II, Berlin 1996. Dolzer, Rudolf, Die Identität Deutschlands vor und nach der Wiedervereinigung, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Historische Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 2003, § 13. Holtmann, Everhard, Die öffentliche Verwaltung, in: Gabriel, Oscar W./ Holtmann, Everhard (Hrsg.), Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, 3.Auflage München und Wien 2005, S. 333 – 371. Kilian, Michael, Der Vorgang der deutschen Wiedervereinigung, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, Historische Grundlagen, 3. Aufl., Heidelberg 2003, § 12. Kluth, Winfried (Hrsg.), Verwaltungskultur, Baden-Baden 2001. Kluth, Winfried (Hrsg.), Infrastrukturgenossenschaften, Halle, 2017. König, Klaus, Öffentlicher Dienst und Verwaltungsaufbau, Baden-Baden 1993. Kuhlmann, Sabine / Seyfried, Markus / Siegel, John, Wirkungen kommunaler Gebietsreformen: Stand der Forschung und Empfehlungen für Politik und Verwaltung, Baden-Baden, 2018. Reichard, Christoph/ Röber, M., Was kommt nach der Einheit? Die öffentliche Verwaltung in der ehemaligen DDR zwischen Blaupause und Reform, in: Glaeßner, G.-J., Der lange Weg zur Einheit, Berlin 1993, S. 215 – 247. Wollmann, Hellmut, Institutionenbildung in Ostdeutschland: Neubau, Umbau und "schöpferische Zerstörung", in: Kaase, Max u.a., Politisches System (Bericht 3 zum sozialen und politischen Wandel in Ostdeutschland), Opladen 1996, S. 47 – 153. Wollmann, Hellmut/ Jaedicke Wolfgang, Neubau der Kommunalverwaltung in Ostdeutschland - zwischen Kontinuität und Umbruch. In: Seibel, W./Benz, A./Mäding, H. (Hrsg.): Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung. Baden-Baden, 1993. Alle weiteren Bezugnahmen auf Artikel beziehen sich auf die DDR-Verfassung von 1968. Gesetz vom 17. 5. 1990 GBl. DDR I S. 255. Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik - Ländereinführungsgesetz vom 22. 7. 1990, GBl. DDR I S. 955.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-12-07T00:00:00"
"2011-12-08T00:00:00"
"2021-12-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47200/neugruendung-der-laender-und-rueckkehr-zur-kommunalen-selbstverwaltung/
Vom "demokratischen Zentralismus" bis zu den fünf "Neuen Ländern": Wie war die Verwaltung der DDR aufgebaut? Wie erfolgte ihr Umbau im Einigungsjahr? Und wie weit ist die Angleichung der Verwaltungsinstitutionen fortgeschritten?
[ "Verwaltung", "Ostdeutschland", "Einheit", "Zentralismus", "neue Länder", "Ostdeutschland", "DDR" ]
30,665
Die Eurokrise ist eine Zahlungsbilanzkrise | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de
Heiner Flassbeck (© picture-alliance) Wie können unsere weltweiten Exporterfolge ein Problem sein, fragen sich viele Menschen in Deutschland. Wenn die Verbraucher und Investoren in einigen Ländern unsere Produkte lieber kaufen als ihre eigenen oder die anderer Länder, dann ist das doch deren gutes Recht – jedenfalls solange sie es bezahlen können. Genau beim Bezahlen aber fängt das Problem an. Wenn private Haushalte oder private Unternehmen neue Kredite bekommen, obwohl sie eigentlich zahlungsunfähig sind, würde jeder vernünftige Mensch das als problematisch ansehen. Fast jeder würde sagen, jawohl, wer dauernd über seine Verhältnisse lebt, darf nicht einfach lustig weitermachen, sondern muss früher oder später gezwungen werden, sich an seine Verhältnisse – genauer: seine Einkommensverhältnisse – anzupassen. Das heißt: Er muss ohne neue Schulden auskommen. Daraus ergibt sich eine einfache weitere Erkenntnis: Das Problem der Überschüsse der einen sind die Defizite der anderen. Die Welt als Ganzes kennt weder Überschüsse noch Defizite, sondern hat immer eine ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanz, da sie ja nicht mit anderen Planeten im Austausch steht. Daher sind die Überschüsse immer ganz genau so groß wie die Defizite, und genau deswegen dürfen die einen nicht so tun, als gingen sie die anderen und deren Schulden nichts an. Denn wenn die bisherigen Defizitländer ihre Defizite abbauen und vielleicht sogar ihre Schulden zurückzahlen sollen, dann müssen die Überschussländer im Gegenzug ihre Überschüsse abbauen und (im Fall der Rückzahlung der Schulden) ihrerseits langfristig Defizite in Kauf nehmen. Diese Logik ist absolut zwingend für die Welt als Ganzes, sie gilt aber auch für einen Währungsraum wie die Europäische Währungsunion (EWU). "Sollen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden, müssen die Überschussländer sich genauso anpassen wie die Defizitländer." Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de Als PDF herunterladen (2MB) Die EWU muss insgesamt mit einem schwankenden Wert des Euro gegenüber dem Rest der Welt zurechtkommen. Würden alle Euro-Länder versuchen, wie Deutschland Überschüsse im Außenhandel zu bilden, könnte das nur gehen, wenn der Rest der Welt bereit wäre, hohe Defizite in der Leistungsbilanz (also eine hohe jährliche Verschuldung gegenüber den Ländern der EWU) zu akzeptieren und wenn der Wechselkurs des Euro gegenüber den anderen wichtigen Währungen unverändert bliebe. Beides ist nicht zu erwarten. Es gibt schon jetzt erheblichen politischen Widerstand gegen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (vor allem aus den USA, die schon jahrzehntelang Defizite aufweisen). Ein politischer Konflikt würde auf lange Sicht dazu führen, dass der Euro aufgewertet würde. Dies wiederum würde die Bildung hoher Leistungsbilanzüberschüsse unmöglich machen, weil die europäischen Güter auf dem Weltmarkt schlicht zu teuer wären. Sollen also die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone vermindert werden, müssen die Überschussländer sich genauso anpassen wie die Defizitländer. Das heißt, dass Deutschland seinen Überschuss unbedingt vermindern muss. Es gibt es exakt zwei Wege, wie das geschehen kann. Erstens: Nur die Defizitländer in der Eurozone senken Löhne und Preise, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, während die Überschussländer (mit Deutschland als größtem Überschussland vorneweg) bei ihrem bisherigen Kurs bleiben. Die Lohnstückkosten sind erwiesenermaßen die wichtigste Determinante der Preisentwicklung. Deutschland weist jedoch nur Lohnstückkostenzuwächse von weit unter zwei Prozent auf. Dies bedeutet, dass die Lohn- und Preisentwicklung deflationär wird, zumindest aber, dass die Preissteigerungsraten unter das Interner Link: Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von knapp zwei Prozent fallen. Das ist derzeit längst der Fall. Deshalb unternimmt die Interner Link: EZB alles, um eine offene Interner Link: Deflation, also fallende Preise auf breiter Front zu vermeiden. "Deutschland hat mit seiner Politik der Lohnzurückhaltung maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und Überschussländer gesorgt." Zweitens: Auch Deutschland passt sich an und übt politischen Druck auf die Tarifpartner aus, um eine stärkere Zunahme der Löhne (und der Preise) zu erreichen. In dem Fall kann eine Deflation verhindert werden, weil Deutschland ein Gegengewicht zu fallenden Lohnstückkosten und Preisen vor allem in Südeuropa schafft. Genau diese zweite Variante, die derzeit in Deutschland heftig und kontrovers diskutiert wird, ist in jeder Hinsicht angemessen, weil es Deutschland war, das seit Beginn der Währungsunion mit seiner Politik der Lohnzurückhaltung maßgeblich für die Spaltung der EWU in Defizit- und Überschussländer gesorgt hat. Die massive Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eines großen Landes durch relative Lohnsenkung und der Aufbau hoher Leistungsbilanzüberschüsse ist für die Eurozone ein schier unlösbares Problem, weil eine Lohnsenkung, die dann früher oder später in den Defizitländern stattfinden muss, Deflation zur Folge hat. Dies wiederum führt in den betroffenen Ländern wegen einbrechender Binnennachfrage zu hoher Arbeitslosigkeit. Die dramatischen Folgen dieser Art der Anpassung kann man derzeit in Spanien, Griechenland und Portugal beobachten. Würden Italien und Frankreich versuchen, diesen Weg, den Südeuropa schon gegangen ist, ebenfalls zu gehen, würde die gesamte EWU politisch destabilisiert, weil anti-europäische Kräfte die Oberhand gewännen. Der Sieg des Front National bei den Europawahlen in Frankreich zeigt, dass man Demokratien nicht mit falscher europäischer Politik beliebig strapazieren kann, ohne nationalistischen Kräften in die Hände zu spielen. Michael Hüther (© Institut der deutschen Wirtschaft Köln) Standpunkt Michael Hüther: Interner Link: "Die seit Jahren ansteigende Beschäftigung in Deutschland ist ein Beleg dafür, dass die Exporterfolge sich positiv auf die Binnenwirtschaft auswirken." Heiner Flassbeck (© picture-alliance) Leistungsbilanz ausgewählter Euroländer (bpb) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de Als PDF herunterladen (2MB) Michael Hüther (© Institut der deutschen Wirtschaft Köln)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-25T00:00:00"
"2014-10-14T00:00:00"
"2022-01-25T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/wirtschaft/europa-wirtschaft/193043/die-eurokrise-ist-eine-zahlungsbilanzkrise/
Überschussländer wie Deutschland dürften nicht so tun, als gingen sie die Krisenländer und deren Schulden nichts an, meint Heiner Flassbeck. Wenn die Defizitländer ihre Defizite abbauen sollen, müssen die Überschussländer im Gegenzug auch ihre Übersc
[ "Staatsverschuldung", "europäische Schuldenkrise", "Euro-Krise" ]
30,666
Einleitung: Der bewaffnete Konflikt in der Ost-Ukraine: Einschätzungen deutscher Experten im Überblick | Ukraine-Analysen | bpb.de
Der bewaffnete Konflikt in der Ost-Ukraine dauert bereits im vierten Jahr an. Nach Schätzungen der UNO sind dabei schon mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Seit knapp drei Jahren hat sich die militärische Lage jedoch nicht mehr nennenswert verändert. Der Konflikt ist deshalb von vielen Beobachtern bereits als "vergessen" bzw. "weitgehend eingefroren" bezeichnet worden. Zuletzt gab es aber wieder zunehmend internationale Schlagzeilen zur Lage in der Ost-Ukraine. Ende November 2017 kam es in der "Volksrepublik Luhansk" zu einem gewaltsamen Machtwechsel. Ende Dezember wurde dann bekannt, dass die USA umfangreiche Waffenlieferungen an die Ukraine planen. Russland reagierte auf die Meldung mit scharfer Kritik. Einige Tage später erfolgte nach langen Verhandlungen ein teilweiser Gefangenenaustausch, bei dem die Separatisten 74 Gefangene freiließen und die ukrainische Regierung 233. Ebenfalls im Dezember beschloss Russland den Abzug der russischen Offiziere aus dem Gemeinsamen (ukrainisch-russischen) Zentrum für Kontrolle und Koordination (JCCC) in der Ostukraine, das im September 2014 zur Überwachung der Einhaltung des Minsker Friedensabkommens eingerichtet worden war. Hoffnungen auf nachhaltige Fortschritte zur Beilegung des Konfliktes waren im September 2017 durch den Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin geweckt worden, der den Einsatz von UN-Friedenstruppen vorsieht. Der Vorschlag ist in den Externer Link: Ukraine-Analysen Nr. 188 dokumentiert worden. Wir haben nun führende deutsche Ukraine-Experten gebeten, ihre Einschätzung der Perspektiven des Konfliktes in einer kurzen Stellungnahme zusammenzufassen. Die rechtzeitig bei uns eingegangen Texte werden hier im Autorenalphabet veröffentlicht. Die Redaktion der Ukraine-Analysen
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2018-01-29T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/263703/einleitung-der-bewaffnete-konflikt-in-der-ost-ukraine-einschaetzungen-deutscher-experten-im-ueberblick/
Der Krieg in der Ost-Ukraine dauert bereits im vierten Jahr an, doch militärisch hat sich die Lage seit längerem kaum nennenswert verändert. Führende deutsche Ukraine-Experten beleuchten die Perspektiven des Konflikts.
[ "Ukraine-Analyse" ]
30,667
Gemeinden | Deutsche Demokratie | bpb.de
Artikel 28 (1) (...) In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. (...) In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten. (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. (...) In den Gemeinden kommt der Einzelne am unmittelbarsten mit öffentlichen Angelegenheiten in Berührung. Zugleich hat der Bürger in der Gemeinde am ehesten Möglichkeiten, an den öffentlichen Angelegenheiten mitzuwirken. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Art. 28 GG garantiert, hat in Deutschland eine lange Tradition. Ihre Anfänge gehen zurück auf das Mittelalter, als in den Städten die Gilden der Kaufleute und die Zünfte der Handwerker die Beteiligung an der Stadtregierung durchsetzten. Als Geburtsstunde der kommunalen Selbstverwaltung gilt die preußische Städteordnung des Freiherrn vom Stein von 1808, auch wenn nur jenen Bürgern das Recht zur Wahl der Stadtverordneten zustand, die über Grundbesitz verfügten oder die selbstständig ein Gewerbe ausübten, und Frauen überhaupt kein Wahlrecht hatten. Rechtliche Stellung Im föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland stehen die Gemeinden nach dem Bund und den Ländern auf der untersten Ebene des dreistufigen Verwaltungsaufbaus. Sie haben im Rahmen der Selbstverwaltung eigene Zuständigkeiten und eine eigene Finanzwirtschaft. Staatsrechtlich gehören sie aber zur Ebene der Länder. Die Landtage bestimmen die Kommunalverfassungen und die Gemeindegrenzen. Bund und Land weisen ihnen Aufgaben zu und entscheiden, welche Finanzmittel ihnen zustehen. Die Landesregierungen üben die Aufsicht über die Gemeindeverwaltungen aus. Die Kommunen haben keine Vertretung mit weitreichenden verfassungsrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen, wie etwa die Länder im Bundesrat. GemeindenSytematik des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden Die Personalhoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht ein, das Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen. Die Organisationshoheit: Sie umfasst das Recht der Gemeinden zur eigenen Gestaltung der Verwaltungsorganisation. Die Planungshoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht ein, Bauleitpläne (Flächennutzungs- und Bebauungspläne) in eigener Verantwortung aufzustellen, um das Gemeindegebiet zu ordnen und zu gestalten. Die Rechtsetzungshoheit: Sie enthält das Recht, kommunale Satzungen zu erlassen. Die Finanzhoheit: Sie gibt den Gemeinden das Recht zu eigenverantwortlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft. Die Steuerhoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht zur Erhebung von Steuern ein (soweit dieses Recht nicht durch übergeordnete Gesetze zum Finanzausgleich wieder rückgängig gemacht wurde). Quelle: Wolfgang Gisevius, Leitfaden durch die Kommunalpolitik, Bonn 1991, S. 24. Aufgaben Aus dieser rechtlichen Stellung der Kommunen folgt, dass sie eigene Aufgaben im Rahmen der Selbstverwaltung und Aufgaben im Auftrag von Bund und Land wahrnehmen. Eigene Aufgaben sind die ursprünglichen Angelegenheiten einer jeden Gemeinde; sie gehören zum "eigenen Wirkungskreis". Sie können freiwillig sein oder vom Staat als Pflicht vorgeschrieben werden. Hier mischt sich der Staat nicht in die Ausführung ein, er gibt keine Weisungen. Die Gemeinden haben aber auch viele Aufgaben zu erfüllen, die ihnen der Staat überträgt, das sind Aufgaben des "übertragenen Wirkungskreises". Der Staat bedient sich der Behördenorganisation der Gemeinden und überwacht mittels Weisungen die Ausführung, damit sie überall im Lande einheitlich erfolgt. Freiwillige Aufgaben erfüllt eine Gemeinde nach eigenem Ermessen und nach ihren finanziellen Möglichkeiten. Sie entscheidet, ob sie ein neues Schwimmbad baut, neue Busse anschafft, ein Heimatmuseum einrichtet, welche Zuschüsse das Stadttheater und die örtlichen Vereine erhalten. Pflichtaufgaben ohne Weisung sind beispielsweise die Müllabfuhr, die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, der Bau von Kindergärten und Schulen. Der Kommune ist überlassen, wie sie das regelt. Zunehmend werden diese Aufgaben privaten Unternehmen übertragen. Pflichtaufgaben nach Weisung müssen von der Gemeinde nach staatlichen Vorgaben erledigt werden; dazu gehören die Auszahlung von Sozialhilfe und Wohngeld, die Bereitstellung von Feuerwehr, Rettungsdiensten und Katastrophenschutz, die Durchführung von Gemeindewahlen. Staatliche Auftragsangelegenheiten führt die Kommunalverwaltung für ihren Bereich als unterste staatliche Behörde aus, zum Beispiel eine Volkszählung, die Erfassung der Wehrpflichtigen, die Durchführung der Bundestags- und Landtagswahlen. Die Personalhoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht ein, das Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen. Die Organisationshoheit: Sie umfasst das Recht der Gemeinden zur eigenen Gestaltung der Verwaltungsorganisation. Die Planungshoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht ein, Bauleitpläne (Flächennutzungs- und Bebauungspläne) in eigener Verantwortung aufzustellen, um das Gemeindegebiet zu ordnen und zu gestalten. Die Rechtsetzungshoheit: Sie enthält das Recht, kommunale Satzungen zu erlassen. Die Finanzhoheit: Sie gibt den Gemeinden das Recht zu eigenverantwortlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft. Die Steuerhoheit: Sie räumt den Gemeinden das Recht zur Erhebung von Steuern ein (soweit dieses Recht nicht durch übergeordnete Gesetze zum Finanzausgleich wieder rückgängig gemacht wurde). Quelle: Wolfgang Gisevius, Leitfaden durch die Kommunalpolitik, Bonn 1991, S. 24. Finanzen Die Einnahmen der Gemeinden kommen etwa zu je einem Drittel aus folgenden Quellen: Steuern werden von der Gemeinde selbst festgesetzt: Gewerbesteuer, Grundsteuer und verschiedene Steuern mit geringem Aufkommen, wie die Getränkesteuer und die Hundesteuer. Außerdem erhalten die Gemeinden 15 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer ihrer Bürger. Dafür müssen sie einen Teil ihrer Gewerbesteuereinnahmen an den Bund und das Land abgeben. Gebühren und Beiträge werden erhoben für Dienstleistungen und Einrichtungen, zum Beispiel Eintrittsgelder für Bäder, Teilnehmerentgelte für Volkshochschulen, Gebühren für die Ausstellung eines Personalausweises und für die standesamtliche Trauung. Finanzzuweisungen von Bund und Ländern: Den Gemeinden steht ein Teil der Steuereinnahmen der Länder zu, die nach einem Schlüssel verteilt werden. Dabei werden die Unterschiede zwischen "reichen" und "armen" Gemeinden in einem gewissen Maß ausgeglichen (Finanzausgleich). Die Gemeinden können über diese zugewiesenen Mittel frei verfügen. Durch Gebühreneinnahmen gedeckte Aufwendungen der Gemeinden in 2005 in %. (© Deutscher Städtetag) Darüber hinaus gibt es zweckgebundene Zuweisungen. Das sind Zuschüsse für Investitionen, wie Wohnungsbau, öffentliche Verkehrsmittel, Stadtsanierung oder Erneuerung des Ortskerns. Hier behalten sich die Zuschussgeber vor, über die Verwendung mitzuentscheiden. Manche Projekte werden nur deshalb realisiert, weil es dafür Zuschüsse gibt. Inzwischen können Gemeinden auch zweckgebundene Zuschüsse von der Europäischen Union erhalten. Kommunalverfassungen Im wiedervereinigten Deutschland gab es am 30. Juni 2009 12.137 Gemeinden, davon 8.481 in den alten Bundesländern (ohne Berlin-West) und 3.655 in den neuen Ländern (ohne Berlin-Ost) und Berlin gesamt. Wie zuvor in den alten Bundesländern senken inzwischen Gebietsreformen die Zahl der selbstständigen Gemeinden auch in den neuen Bundesländern drastisch. Das ist notwendig, weil größere Gemeinden ihre Aufgaben organisatorisch und finanziell besser erfüllen können. So lassen sich die kommunalen Einrichtungen vom Schwimmbad bis zur Kläranlage für größere Gebiete besser planen. Gemeinden (auch Kommunen, von lateinisch communis = öffentlich, gemeinsam) im politisch-administrativen Sinne sind alle Gebietskörperschaften vom Dorf bis zur Millionenstadt. Die Gemeinden eines bestimmten Gebietes (Kreisgebiet) bilden einen Gemeindeverband, den Landkreis. Große Städte sind kreisfrei, sie gehören zu keinem Landkreis, sondern bilden selbst einen Stadtkreis. Eine Besonderheit stellen die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen dar. Sie sind zugleich Land und Gemeinde. Die Zuständigkeit für die Gemeinden liegt bei den Ländern. Sie erließen nach 1945 per Gesetz jeweils eigenständige Kommunalverfassungen (Gemeindeordnungen), entsprechend den Traditionen der Selbstverwaltung auf ihrem Gebiet. Auch Einflüsse der Besatzungsmächte haben eine Rolle gespielt und zu vier sehr unterschiedlichen Modellen geführt. Inzwischen hat sich fast überall die Süddeutsche Ratsverfassung durchgesetzt, manchmal mit geringen Abweichungen. Sie wird so genannt, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Baden-Württemberg und Bayern eingeführt worden ist. Lediglich in Hessen gilt noch die Magistratsverfassung, die auf die preußische Städteordnung des Freiherrn vom Stein von 1808 zurückgeht. Rat und Bürgermeister Das oberste beschließende Organ einer Gemeinde ist die gewählte Vertretung der Bürger. Sie trägt unterschiedliche Bezeichnungen: Gemeinderat, Stadtrat, Gemeindevertretung, Stadtverordnetenversammlung. Der Rat ist kein Parlament. Seine Verfahrensabläufe ähneln jedoch denen anderer Volksvertretungen. Es gibt Ausschüsse und Fraktionen, einflussreiche Ausschuss- und Fraktionsvorsitzende. Die Süddeutsche Ratsverfassung. (© Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage) Der Bürgermeister hat in der Süddeutschen Ratsverfassung eine starke Stellung. Er ist Vorsitzender des Rates und zugleich Chef der Verwaltung, schließlich auch Repräsentant und Rechtsvertreter der Gemeinde. Er wird von den Bürgern direkt gewählt und verfügt damit über eine eigenständige demokratische Legitimation. Das verstärkt seine Durchsetzungskraft, weil er seine Vorstellungen unter Berufung auf den Volkswillen in die Tat umsetzen kann. Die Direktwahl des Bürgermeisters ist nicht das einzige basisdemokratische Element, das mit der Übernahme der Süddeutschen Ratsverfassung in ganz Deutschland eingeführt worden ist. Dazu gehört auch das Kumulieren und das Panaschieren bei den Wahlen zum Gemeinderat. Die Wähler müssen sich nicht strikt an die vorgegebenen Listen halten, sondern können als besonders geeignet eingeschätzte Kandidaten durchsetzen. Landkreise Beispiel einer Organisationsübersicht für Stadtverwaltungen. (© Quelle: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage.) Aufgaben, die die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde übersteigen, übernimmt der Landkreis. So unterhalten Landkreise Schulen, Krankenhäuser und Kreisstraßen. Sie sind ferner zuständig für die Müllbeseitigung und den öffentlichen Personennahverkehr. Die Institutionen der Landkreise entsprechen denen der Gemeinden. Die gewählte Vertretung ist der Kreistag, an der Spitze der Verwaltung steht der Landrat. Ebenso wie die Bürgermeister in den Städten werden in den meisten Ländern die Landräte direkt von der Bevölkerung gewählt (Ausnahme: Baden-Württemberg, Brandenburg). Bürgerbegehren und Bürgerentscheid In den Kommunalverfassungen aller Bundesländer gibt es Elemente direkter Demokratie. Die Bürger können dort in einem Bürgerantrag verlangen, dass eine wichtige Gemeindeangelegenheit, beispielsweise die Einrichtung eines Gymnasiums, der Bau eines Schwimmbades oder einer Stadthalle, auf die Tagesordnung des Gemeinderates gesetzt wird. Sie können darüber hinaus in einem Bürgerbegehren verlangen, dass die Entscheidung in einer solchen Angelegenheit von ihnen selbst in einer Abstimmung, dem Bürgerentscheid, getroffen wird. Der Rat kann auch von sich aus einen Bürgerentscheid ansetzen. Alle diese Mitwirkungsrechte sind an eine Mindestbeteiligung gebunden. Einen Bürgerantrag müssen zwischen 5 und 10 Prozent der Abstimmungsberechtigten unterzeichnen, ein Bürgerbegehren muss von 10 bis 15 Prozent unterstützt werden, und um einem Bürgerentscheid zum Erfolg zu verhelfen, muss die Mindestbeteiligung 25 bis 30 Prozent der Abstimmungsberechtigten ausmachen. Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 120-125. Durch Gebühreneinnahmen gedeckte Aufwendungen der Gemeinden in 2005 in %. (© Deutscher Städtetag) Die Süddeutsche Ratsverfassung. (© Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage) Beispiel einer Organisationsübersicht für Stadtverwaltungen. (© Quelle: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage.)
Article
Horst Pötzsch
"2021-06-23T00:00:00"
"2011-11-06T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/politisches-system/deutsche-demokratie/39377/gemeinden/
In den Gemeinden kommt der Einzelne am unmittelbarsten mit öffentlichen Angelegenheiten in Berührung: Stromversorgung, Müllabfuhr und Sozialhilfe sind kommunale Aufgaben. Zugleich hat der Bürger hier am ehesten Möglichkeiten, mitzuwirken.
[ "Deutschland", "Demokratie", "Gemeinden", "Kommunen", "Selbstverwaltung", "Föderalismus", "Kommunalverfassung", "Landkreise" ]
30,668
Kommentar: Die Gasmarktreform vor dem Scheitern: Verwaltungsrisiken von Naftogaz und die verstetigte Monopolisierung | Ukraine-Analysen | bpb.de
Das Sekretariat der Energiegemeinschaft hat im August 2017 mitgeteilt, dass die Ukraine ihre Verpflichtungen verletzt, indem sie die Vorschriften des Erdgasmarktgesetzes nicht implementiert. Seit Herbst 2015 (als das Gesetz beschlossen wurde) existiert die Konzentration des Erdgasmarkts weiter. Zu den Monopolisten gehören nicht nur Staatsunternehmen, sondern auch Privatfirmen. Außerdem stellt die Einmischung der Regierung die Verwaltungsreform von Naftogaz Ukrainy in Frage. Was ist mit einer der bedeutendsten Reformen passiert und was steht der Ukraine bevor? Mahnbriefe vom Sekretariat der Energiegemeinschaft Im Jahr 2011 ist die Ukraine der Energiegemeinschaft beigetreten und hat sich als deren Mitglied zur Schaffung eines wettbewerblichen Erdgassektors verpflichtet. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung eines solchen Marktes wurde mit der Verabschiedung eines Erdgasmarktgesetzes im Jahr 2015 geschaffen (s. Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 177). Ihm zufolge sollte die Regierung einen unabhängigen Betreiber für Transport und Lagerung von Erdgas gründen (unbundling bzw. "Entflechtung"), den Händlern den Zugang zu allen Endkonsumenten ermöglichen und den Verbrauchern die Möglichkeit geben, ihren Lieferanten frei zu wählen. Am 22. August und am 12. September 2017 hat das Sekretariat der Energiegemeinschaft Mahnbriefe an das Ministerkabinett der Ukraine geschickt und auf die Verzögerung bei der Umsetzung der Reformen auf dem Erdgasmarkt hingewiesen. Seit Herbst 2015, als das neue Energiemarktgesetz in Kraft getreten ist, sieht das Sekretariat keine Veränderungen – der Markt ist nach wie vor von wenigen Spielern dominiert und hochgradig konzentriert. Laut dem Sekretariat der Energiegemeinschaft beherrschen zwei Monopolisten den Markt – Naftogaz und regionale Erdgaslieferanten (Oblgaz). Naftogaz dominiert den Markt für die Förderung und den Transport von Erdgas direkt oder indirekt (über seine Tochterunternehmen). Die Tochterunternehmen von Naftogaz –Ukrgazvydobuvannya und Ukrnafta – fördern fast 80 Prozent des Erdgases in der Ukraine (s. Tabelle 2). Gleichzeitig ist Naftogaz führend beim Erdgasimport (mit 74 Prozent des Gesamtvolumens im Jahr 2016). Das Unternehmen kontrolliert auch die Erdgastransporte in der Ukraine und ist ein Top-Verkäufer nicht nur auf dem regulierten Markt für private Haushalte (mit etwa 67 Prozent des gesamten jährlichen Gaskonsums), sondern auch auf dem unregulierten Markt für Firmen. Die Monopolisten beherrschen auch den Großhandelsmarkt – 40 Prozent der gesamten Lieferungen entfallen auf 39 regionale Unternehmen. Gemäß dem Erdgasmarktgesetz müssen private Lieferanten Zugang zu den Konsumenten haben. De jure wurden die unabhängigen Erdgasverkäufer von den Zulieferern (Oblgaz) getrennt. Es gibt de facto aber keine neuen Akteure auf dem Markt. Das Regionale Verwaltungsunternehmen ("Regionalnaya gazovaya kompaniya"), das in den Medien mit Gaztek, dem Unternehmen des Oligarchen Dmytro Firtasch mit seinen Beteiligungen an 14 Oblgaz-Firmen, assoziiert wird, betreibt ungefähr 70 Prozent von Oblgaz und den neuen unabhängigen Erdgaslieferanten. Verstetigte Monopolisierung Zwei Jahre nach Inkrafttreten des neuen Erdgasmarktgesetzes hat die Regierung eine Verstetigung des Zustands des Marktes zugelassen. Zuerst hat der Regierungsbeschluss Nr. 496 vom 1. Juni 2016 die Reform verzögert. Ihm zufolge soll innerhalb von 40 Tagen nach Inkrafttreten der Entscheidung des Schiedsgerichts in Stockholm die "Entflechtung" bzw. die Trennung des Betriebs des Leitungsnetzes von Gasproduktion und -versorgung vollgezogen werden. Die Logik der Regierung ist folgende: Gemäß dem bis 2019 laufenden Transitvertrag ist Naftogaz für den Transit von russischem Gas zuständig; daher kann Naftogaz seine Zuständigkeit erst nach Vertragsende oder einer für die Ukraine positiven Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts an den neuen Betreiber übergeben. Aber wann endet das Gerichtsverfahren? Der Zeitraum, in dem die Entflechtung stattfinden soll, ist im Erdgasmarktgesetz jedoch klar geregelt – das verärgert das Sekretariat der Energiegemeinschaft. Auch der Zugang neuer Lieferanten zum Einzelhandelsmarkt wird von der Regierung nicht gewährleistet. Der Regierungsbeschluss Nr. 187 vom 22. März 2017 bevollmächtigt Naftogaz und alle Tochterunternehmen, Erdgas an regionale und Fernwärmeunternehmen zu verkaufen. Gleichzeitig werden die regionalen Unternehmen bevollmächtigt, Erdgas an die Bevölkerung und religiöse Organisationen zu liefern und zu verteilen. Mit diesen geschlossenen Listen von Erdgaslieferanten hat das Ministerkabinett der Ukraine die Monopole von Naftogaz und den Regionalunternehmen verstetigt. Weil private Haushalte gesetzlich festgelegte Subventionen (die nicht monetarisiert werden können) zur Begleichung ihrer Gasrechnungen bekommen, darf ohne Genehmigung der Regierung kein neuer Lieferant auf den Markt kommen. Regierung stellt Erdgasmarktreform in Frage Laut dem Erdgasmarktgesetz müssen mindestens 51 Prozent des Erdgastransportsystems dem Staat gehören, den Rest können Partner aus Europa oder den USA ankaufen, die bestimmten Kriterien entsprechen. Sie müssen mindestens fünf Jahre Erfahrung im Betrieb von Erdgastransportsystemen auf dem europäischen oder amerikanischen Markt haben. Am ukrainischen Markt gibt es zurzeit keine solche Kandidaten. Offensichtlich glaubt der ukrainische Gesetzgeber, nur die westlichen Methoden der Geschäftsführung könnten die Situation verbessern und Reformen anschieben. Die Ergebnisse in diesem Bereich sind bis jetzt allerdings sehr fragwürdig: So sollte die Regierung die Schaffung eines unabhängigen Betreibers des Transportsystems unterstützend begleiten; sie tut jedoch alles, um die Reformpläne von Naftogaz zu verhindern. Im September 2016 hat das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel die Gründungsdokumente von Ukrtransgaz, Tochterunternehmen von Naftogaz und Betreiber des Gastransportsystems, abgeändert und das Erdgastransportsystem sich selbst statt Naftogaz zugeordnet. Nach Protesten seitens Naftogaz, der Energiegemeinschaft und der Kreditgeber wurde die Entscheidung zurückgenommen. Im Frühjahr 2017 ging der Konflikt zwischen Regierung und Naftogaz weiter, als das Unternehmen im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat den mit der Regierung loyalen Direktor von Ukrtransgaz entließ, welcher später in die Regierung wechselte. Als Reaktion darauf entschied die Regierung, die maximale Mitgliederzahl des Aufsichtsrats anzuheben, was die Interessenskonstellation in diesem Gremium zugunsten der Regierung verschieben könnte. Außerdem hat die Regierung einen Gesetzentwurf vorbereitet, der die Privatisierung des Gastransportsystems verbietet. Die unterschiedlichen Vorstellungen, die Regierung und Naftogaz in Bezug auf die Umsetzung der Reformen haben, zeigt die Spannung in ihren Beziehungen. Als Ergebnis sind die unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrates im September 2017 zurückgetreten. Verwaltungsrisiken von Naftogaz – the last but not the least Die Einmischung der Regierung in die Verwaltungsreform von Naftogaz stellt das bereits existierende Kreditabkommen zwischen Naftogaz und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) sowie künftige Kredite in Frage. Denn Finanzinstitutionen sind heutzutage verpflichtet, nichtfinanzielle Risiken (Verwaltungs-, soziale und Umweltrisiken) bei der Vergabe von Krediten zu berücksichtigen. Weil alle diese Institutionen das Geld am Finanzmarkt einwerben (überwiegend mit Bonds), müssen Kreditnehmer genauso wie Kreditgeber über finanzielle und nichtfinanzielle Ergebnisse Rechenschaft ablegen. Es geht um die sogenannten grünen Anleihen (sustainability/green bonds), die ausschließlich zur Unterstützung nachhaltiger Entwicklung und für die Verbesserung von deren finanziellen wie nichfinanziellen Werten (den sogenannten "blended values") vorgesehen sind. Das Kreditabkommen über 300 Millionen US-Dollar zwischen EBRD und Naftogaz aus dem Jahr 2015 sieht deswegen eine Verwaltungsreform bei Naftogaz gemäß den OSZE-Grundsätzen für Unternehmensführung vor. Daher wurde im April 2016 der fünfköpfige Aufsichtsrat ins Leben gerufen und drei unabhängige Mitglieder für ihn ausgewählt. Gleichzeitig hat dieser Aufsichtsrat breite Kompetenzen für die Verwaltung des Unternehmens erhalten. Die Finanzinstitutionen konnten somit sowohl Ausgaben als auch Finanzergebnisse kontrollieren. Im September 2017 traten jedoch alle unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrates von Naftogaz zurück. Das ist ein klares Signal dafür, dass die Gasmarktreform schiefgegangen ist. Der Fall zeigt deutlich: Fragen nach der Bewertung des Einflusses von Verwaltungsrisiken auf Finanzergebnisse stehen in der Ukraine ganz am Anfang. So sollte die Ukraine im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der EU die Richtlinie 2013/34/EU (nichtfinanzielle Berichterstattung für Großunternehmen) noch bis 2016 implementieren. Dies ist bisher nicht geschehen, so dass die Kreditgeber dementsprechend nicht in der Lage sind, die Risiken in der Ukraine richtig zu bewerten. Im Ergebnis steigen für die Ukraine die Zinsen für finanzielle Ressourcen und die Bedingungen werden verschärft. Dazu kommen die oben erwähnten Probleme mit der verstetigten Monopolisierung der Energiemärkte und die Verzögerung bei der Durchführung der vereinbarten Reformen. Fazit Ein kurzer Überblick über den Erdgasmarkt zeigt, dass die Regierung selbst private und staatliche Monopole zugelassen hat. Die verzögerte Umsetzung der Reformen auf dem Erdgasmarkt hat zum Ergebnis, dass das Sekretariat der Energiegemeinschaft schon zwei Mahnungen ausgesprochen hat. Der Rücktritt der unabhängigen Mitglieder des Aufsichtsrates von Naftogaz könnte dazu führen, dass wichtige Entscheidungen (vor allem im Finanzbereich) verschoben werden. Das könnte gewisse Risiken sowohl für die Finanzierung der Gaskäufe zur Fernwärmeerzeugung als auch für die gesamte Energiesicherheit der Ukraine mit sich bringen. Dazu kommen mögliche Schwierigkeiten in den Beziehungen zu den internationalen Finanzinstitutionen, denn die Verwaltungsreform von Naftogaz und die Deregulierung des Endgasmarktes sind an die Vergabe von Krediten geknüpft. Eine dritte Mahnung kann zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit den internationalen Partnern führen und den Zugang zum Finanzmarkt einschränken, was Probleme in vielen anderen Bereichen mit sich bringen würde.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2017-11-02T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/258838/kommentar-die-gasmarktreform-vor-dem-scheitern-verwaltungsrisiken-von-naftogaz-und-die-verstetigte-monopolisierung/
Ein deutliches Signal: Das Sekretariat der Energiegemeinschaft hat in einem Mahnbrief auf die mangelnde Entflechtung des Energiesektors in der Ukraine hingewiesen. Staatsunternehmen und Privatfirmen haben demnach weiterhin eine starke Monopolstellung
[ "Ukrainische Wirtschaft", "Wirtschaftsmonopole", "Gasmarktreform", "Naftogaz", "Ukraine" ]
30,669
Religiöser und spiritueller Glaube | Europa | bpb.de
Bezogen auf die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gehören mehr als 70 Prozent der Bevölkerung formal einer Religionsgemeinschaft an. Gleichzeitig gaben im Rahmen einer Eurobarometer-Umfrage im Jahr 2010 lediglich 51 Prozent an, dass "es einen Gott gibt". 26 Prozent glaubten an eine andere spirituelle Kraft und 20 Prozent glaubten nicht, dass es "irgendeine Art von Gott, Geist oder Kraft gibt, die das Leben lenkt". Bezüglich der Gottgläubigkeit bestehen große Unterschiede zwischen den europäischen Staaten. Staaten, in denen relativ viele Menschen an einen Gott glauben, sind in Bezug auf die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung sehr homogen – dies gilt insbesondere für Staaten mit einem hohen Anteil an Katholiken oder orthodoxen Christen. Hinsichtlich der Gottgläubigkeit bestehen aber nicht nur Unterschiede zwischen den Staaten: Frauen glauben häufiger an einen Gott als Männer, Alte häufiger als Junge und Personen mit kurzer Ausbildung häufiger als Personen mit langer Ausbildung. Fakten Im Rahmen eines Projekts der Universität Luzern wurde für 50 europäische Staaten die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung erfasst (Zeitraum 2006 bis 2015). Bezogen auf die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gehörten 71 Prozent der Bevölkerung formal einer Religionsgemeinschaft an. Eine Umfrage im Rahmen des Eurobarometers verdeutlicht jedoch, dass diese Mitgliedschaft für die einzelnen Menschen eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben kann: 51 Prozent der Befragten in den EU-27-Staaten glaubten Anfang 2010, dass "es einen Gott gibt" und 26 Prozent glaubten, dass "es einen Geist oder eine andere Art von Kraft gibt, die das Leben lenkt". 20 Prozent glaubten nicht, dass es "irgendeine Art von Gott, Geist oder Kraft gibt, die das Leben lenkt." Drei Prozent machten keine Angaben ("weiß nicht"). Bezüglich der Gottgläubigkeit bestehen große Unterschiede zwischen den europäischen Staaten. Auffällig ist, dass in den fünf EU-Staaten, in denen 79 oder mehr Prozent an einen Gott glauben, der Anteil der Bevölkerung, der einer einzigen christlichen Konfession anhängt, besonders hoch ist. Die Länder sind also in Bezug auf die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung sehr homogen: In Malta und Polen sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung katholisch und in Rumänien, Zypern (hier: Südzypern) sowie Griechenland liegt der Anteil der orthodoxen Christen jeweils bei mehr als 85 Prozent. Außerhalb der EU gilt auch für die Türkei, dass der hohe Bevölkerungsanteil, der an einen Gott glaubt (94 Prozent), mit einer homogenen religiösen Struktur einhergeht (98 Prozent der Bevölkerung sind Muslime). Die sechs EU-Staaten, die 2010 den nächsthöheren "gottgläubigen" Bevölkerungsanteil hatten, sind Länder, in denen der Katholizismus die meisten Anhänger hat. In Italien, Irland, Portugal, Kroatien, der Slowakei und Spanien lag der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung zwischen 86,3 Prozent in Kroatien und 69,4 Prozent in der Slowakei. Der Anteil der Bevölkerung, der an einen Gott glaubt, lag im Jahr 2010 zwischen 74 Prozent in Italien und 59 Prozent in Spanien. In Island, Finnland, Norwegen und Dänemark lag der Anteil der protestantischen Bevölkerung im Betrachtungszeitraum zwischen 80 und 74 Prozent. Darauf folgte Schweden mit 58 Prozent. Gleichzeitig lag der Anteil der Bevölkerung, der 2010 beim Eurobarometer angab, an eine andere spirituelle Kraft zu glauben, in diesen fünf Staaten zwischen 42 und 49 Prozent. Lediglich in den osteuropäischen Staaten Estland, Lettland, Tschechien und Bulgarien war der Anteil der Bevölkerung, der an eine andere spirituelle Kraft glaubt, vergleichbar hoch. Außer Bulgarien fallen diese Staaten wiederum durch einen hohen Bevölkerungsanteil ohne formale Religionszugehörigkeit auf. Der Anteil der Bevölkerung, der nicht glaubt, dass "es einen Geist oder eine andere Art von Kraft gibt, die das Leben lenkt", war im Jahr 2010 in Frankreich (40 Prozent), Tschechien (37 Prozent), Schweden (34 Prozent) und den Niederlanden (30 Prozent) am höchsten. Darauf folgten Estland und Norwegen (29 Prozent) sowie Deutschland und Belgien (27 Prozent). In sieben dieser acht Staaten lag der Anteil der Bevölkerung ohne formale Religionszugehörigkeit bei mindestens einem Drittel, darunter in zwei bei mehr als zwei Dritteln (Tschechien und Estland). Norwegen fällt hingegen durch den zweithöchsten Anteil an Protestanten in Europa auf. Hinsichtlich der Gottgläubigkeit bestehen nicht nur große Unterschiede zwischen den Staaten, sondern auch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Laut Eurobarometer glaubten Anfang 2010 im Durchschnitt 51 Prozent der befragten Bürger der EU-27-Staaten an einen Gott. Bei den Männern lag der entsprechende Anteil mit 47 Prozent deutlich niedriger als bei den Frauen mit 55 Prozent. Bei einer Differenzierung nach Alter fällt auf, dass der Bevölkerungsanteil, der an einen Gott glaubt, umso höher ist, je älter die Altersgruppe ist. So lag der entsprechende Anteil bei den 15- bis 24-Jährigen bei 43 Prozent. In der Altersgruppe der 25- bis 39-Jährigen bzw. der 40- bis 54-Jährigen lag der Anteil mit 48 Prozent fünf Prozentpunkte höher. Bei der Bevölkerung, die 55 Jahre oder älter ist, erreichte der Anteil der gottgläubigen Bevölkerung schließlich 58 Prozent. Auch die Bildung korreliert mit der Gottgläubigkeit: Im Jahr 2010 gaben von den befragten Personen, die bereits mit 15 Jahren oder früher die Schule verlassen haben, 64 Prozent an, an einen Gott zu glauben. Bei den Personen, die ihre schulische oder außerschulische Ausbildung im Alter zwischen 16 und 19 Jahren beendeten, lag der entsprechende Anteil bei lediglich 51 Prozent. Von den Personen, die ihre Ausbildung im Alter von 20 Jahren oder später beendeten, gaben nur 43 Prozent an, an einen Gott zu glauben. Schließlich lag unter den Befragten, die sich politisch rechts einordnen, der Anteil der gottgläubigen Personen mit 57 Prozent deutlich über dem entsprechenden Anteil der Personen, die sich politisch links einordnen (38 Prozent). Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen Weitere Informationen zur Religionszugehörigkeit finden Sie Interner Link: hier... Das Eurobarometer ist eine in regelmäßigen Abständen von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene, öffentliche Meinungsumfrage in den Ländern der Europäischen Union. Dabei wird in allen Ländern eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung befragt. Quellen / Literatur Europäische Kommission: Eurobarometer Spezial 328, Biotechnologie; Antonius Liedhegener, Anastas Odermatt: Religious Affiliation in Europe. The "Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (SMRE)", SMRE-generated Data Retrieval for: Religious Affiliation in Period 2006-2015, www.smre-data.ch (14.01.2019), Database Contents License: http://opendatacommons.org/licenses/dbcl/1.0/ Europäische Kommission: Eurobarometer Spezial 328, Biotechnologie; Antonius Liedhegener, Anastas Odermatt: Religious Affiliation in Europe. The "Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (SMRE)", SMRE-generated Data Retrieval for: Religious Affiliation in Period 2006-2015, www.smre-data.ch (14.01.2019), Database Contents License: http://opendatacommons.org/licenses/dbcl/1.0/
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-13T00:00:00"
"2012-02-29T00:00:00"
"2022-01-13T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/europa/70645/religioeser-und-spiritueller-glaube/
Bei der Gottgläubigkeit sind die Unterschiede in Europa groß. Staaten, in denen relativ viele Menschen an einen Gott glauben, sind in Bezug auf die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung sehr homogen.
[ "Glaube", "Spiritualität", "Religion", "Gott", "religiöse Überzeugung", "Atheismus", "Agnostizismus", "Atheist", "Agnostiker", "Bürger der Europäischen Union", "Eurobarometer", "Zahlen und Fakten", "Europa", "EU", "EU-28", "EU-27" ]
30,670
Video: Dokumentationen, Filme & Erklärvideos | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de
Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & Hintergrund-InfosNewsletter zu Radikalisierung & Prävention abonnieren Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement 1. Dokumentationen und Reportagen Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. 1.1 Portraits von radikalisierten Menschen und ihren Angehörigen Interner Link: Deutsche im Dschihad. Kämpfen für Allah44 Minuten, ZDF, 2022 Interner Link: Leonora M. – Einmal IS-Terror und zurück3x 30-40 Minuten, NDR, 2022 Interner Link: Das Erbe des Dschihad. Was tun mit Deutschlands "IS"-Terroristen?5 x 10-20 Minuten, ProSieben, 2022 Interner Link: Leonora – Wie ein Vater seine Tochter an den IS verlor59 Minuten, NDR, 2019 Interner Link: Der Gefährder – Ein Islamist packt aus44 Minuten, phoenix, 2018 Interner Link: Tracing Addai30 Minuten, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, 2018 1.2 Prävention, Radikalisierung & Islamismus Interner Link: Mechelen. Wie ein belgischer Bürgermeister gegen Extremismus vorgeht37 Minuten, Der Standard, 2021 Interner Link: Dokumentation zur Präventionspraxis in Deutschland35 Minuten, mobyDOK, 2019 Interner Link: Salafismus im Kinderzimmer20 Minuten, BR24, 2018 Interner Link: Allahs deutsche Schwerter27 Minuten, Landeszentrale für politische Bildung NRW, 2012 1.3 Dschihadismus, Terrorismus & der "Islamische Staat" Interner Link: Gefangen vom "Islamischen Staat": Jesidin Jihan überlebt Genozid18 Minuten, funk: TRU DOKU, 2022 Interner Link: Das Geschäft mit dem Terror. Geheimdienste und der Dschihad60 Minuten, Hessischer Rundfunk, 2022 Interner Link: Anschlag Breitscheidplatz – Neue Spuren3 x 31-38 Minuten, rbb, 2022 Interner Link: 13. November: Angriff auf Paris3 x 47-58 Minuten, Gedeon und Jules Naudet, 2018 Interner Link: Life Inside Islamic State17 Minuten, BBC Radio 4, 2017 1.1 Portraits von radikalisierten Menschen und ihren Angehörigen Deutsche im Dschihad. Kämpfen für Allah 44 Minuten, ZDF, 2022 Über 1.150 deutsche Bürgerinnen und Bürger haben sich in den vergangenen Jahren dem "Islamischen Staat" in Syrien und im Irak angeschlossen. Die Dokumentation erzählt von den (ehemaligen) "IS"-Mitgliedern, ihrem Leben bei der Terrororganisation und ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik. Verfügbar auf Externer Link: zdf.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora M. – Einmal IS-Terror und zurück 3x 30-40 Minuten, NDR, 2022 Mit 15 Jahren schließt sich Leonora M. der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Syrien an und lebt dort sieben Jahre lang mit einem Dschihadisten zusammen. Die dreiteilige Reportage erzählt von den Erlebnissen der jungen Frau beim "IS" und dem jahrelangen Kampf ihres Vaters, seine Tochter zurückzuholen. Wie ist Leonora die Rückkehr gelungen, wie funktioniert ein Neuanfang in Deutschland? Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Das Erbe des Dschihad. Was tun mit Deutschlands "IS"-Terroristen? 5 x 10-20 Minuten, ProSieben, 2022 Wie kommt ein 19-jähriger Deutscher dazu, sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen? Warum tut sich Deutschland so schwer, ehemalige Angehörige des "IS" zurückzuholen? Um diese Fragen zu klären, reist Journalist Thilo Mischke nach Syrien. Mit dabei: die Großmutter eines deutschen "IS"-Kämpfers, die ihren Enkel wiederfinden will. Ganze Folge verfügbar auf Externer Link: prosieben.de Teil 1 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 2 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 3 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 4 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 5 verfügbar auf Externer Link: youtube.com In der Talkshow "Zervakis & Opdenhövel" spricht Mischke über die Dreharbeiten und deren Nachwirkungen. Zum Talk mit Zervakis & Opdenhövel auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora – Wie ein Vater seine Tochter an den IS verlor 59 Minuten, NDR, 2019 Ein Vater kämpft um seine Tochter, die sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien angeschlossen hat. Vier Jahre lang begleiten Reporter den Vater dabei, wie er Schleuser trifft, mit Terroristen verhandelt und versucht, seinen Alltag als Bäcker in Sachsen-Anhalt zu meistern. Über Sprachnachrichten halten Vater und Tochter Kontakt. Verfügbar auf Externer Link: ndr.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Gefährder – Ein Islamist packt aus 44 Minuten, phoenix, 2018 Eren R. gilt bei Sicherheitsbehörden als potenzieller Attentäter. In der Dokumentation spricht er über seinen Lebensweg. Er berichtet, wie er als Mitglied einer kriminellen Bande in die islamistische Szene hineinkam und Geld für den islamistischen Kampf beschaffte. Er saß mehrfach im Gefängnis, dennoch arbeitete er für Sicherheitsfirmen bei großen Veranstaltungen. Verfügbar auf Externer Link: youtube.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Tracing Addai 30 Minuten, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, 2018 Der Dokumentarfilm "Tracing Addai" zeichnet die letzten Spuren des 21-jährigen Deutschen Addai nach, der sich einer salafistischen Vereinigung anschließt und im Syrienkrieg unter mysteriösen Umständen mutmaßlich ums Leben kommt. Mit seiner dokumentarischen Erzählung rekonstruiert der Film fragmentarisch die letzten Monate eines jungen Mannes, dessen Weg ohne Wiederkehr über eine islamistische Gruppe nach Syrien führte und lässt ihn durch animierte szenische Bilder noch einmal lebendig werden. Pädagogische Begleitmaterialien machen den Film für Lernkontexte ideal einsetzbar. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 1.2 Prävention, Radikalisierung & Islamismus Mechelen. Wie ein belgischer Bürgermeister gegen Extremismus vorgeht 37 Minuten, Der Standard, 2021 Von der unsichersten Stadt Belgiens zum Vorzeigemodell für Integration und Extremismusprävention – dank Bart Somers hat die Stadt Mechelen diesen Wandel geschafft. Für ein Porträt hat sich die österreichische Tageszeitung Der Standard mit dem langjährigen Bürgermeister getroffen, um mehr über sein Erfolgsrezept zu erfahren: Wie lässt sich Integration in einer multikulturellen Stadt wie Mechelen fördern? Und welche seiner Strategien haben sich in der Extremismusprävention bewährt? Verfügbar auf Externer Link: derstandard.at Interner Link: Zum Anfang der Seite Dokumentation zur Präventionspraxis in Deutschland 35 Minuten, mobyDOK, 2019 Im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden zahlreiche Präventionsprojekte gefördert. Im Dokumentarfilm berichten Präventionsakteure von ihrer Arbeit. Eine Web-Dokumentation bietet Hintergründe zum Film. In Animationen werden ausschnitthaft Szenen wiedergegeben, die das Filmteam während der Reise durch Deutschland erlebt hat. Verfügbar auf der Externer Link: Dokumentations-Website projekt-praevention.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Salafismus im Kinderzimmer 20 Minuten, BR24, 2018 Der Beitrag des BR-Politmagazins "kontrovers" beschäftigt sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der salafistischen Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen. Die Journalistinnen und Journalisten sprechen mit Verantwortlichen der "Beratungsstelle Radikalisierung" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie beim LKA Bayern. Sie berichten über die bayerischen Präventionsprojekte "MotherSchools" und "ReThink". Sie reden mit der Mutter eines Salafisten über die salafistische Erziehung ihrer Enkelkinder und versuchen – vergeblich – mit salafistischen Moscheen Kontakt zu diesem Thema aufzunehmen. Verfügbar auf Externer Link: br.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Allahs deutsche Schwerter 27 Minuten, Landeszentrale für politische Bildung NRW, 2012 Die Dokumentation zeigt ein weites Spektrum an Islamisten in Deutschland: Von strenggläubigen Salafisten über die Sauerland-Gruppe, die konkrete Anschläge plante, bis zu Pierre Vogel, dem einflussreichsten deutschen Konvertiten und Hassprediger. Ein Aussteiger berichtet über Ziele und Methoden der salafistischen Szene. Auch die moderatere, vom Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung "Millî Görüş" ist Thema. Verfügbar auf Externer Link: politische-bildung.nrw.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 1.3 Dschihadismus, Terrorismus & der "Islamische Staat" Gefangen vom "Islamischen Staat": Jesidin Jihan überlebt Genozid 18 Minuten, funk: TRU DOKU, 2019 Die Reportage erzählt die Geschichte der 18-jährigen Jihan. Die Jesidin überlebt 2014 die Gefangenschaft des sogenannten Islamischen Staates in Syrien. Sie und ihre Familie werden von "IS"-Kämpfern entführt, versklavt und zum Teil vergewaltigt. Jihan konnte entkommen, doch bis heute weiß sie nicht, was mit ihrem Vater und allen Geschwistern passiert ist. Triggerwarnung: Im Video geht es um Krieg und sexualisierte Gewalt. Das kann belastend oder retraumatisierend sein. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Das Geschäft mit dem Terror. Geheimdienste und der Dschihad 60 Minuten, Hessischer Rundfunk, 2022 Wer steht hinter den islamistischen Terroristinnen und Terroristen, die Europa angreifen? Wer plant, beauftragt und finanziert die Anschläge? Die Dokumentation forscht nach den Hintergrundakteuren, die die Terroranschläge der vergangenen Jahre initiierten und koordinierten. Die Spuren führen zum pakistanischen Geheimdienst ISI. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Anschlag Breitscheidplatz – Neue Spuren 3 x 31-38 Minuten, rbb, 2022 Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Journalisten des rbb sprechen für die Video-Serie mit Opfern, Ermittlungsbehörden und Vertrauten des Täters Anis Amri und gehen neuen Spuren nach, um die Hintergründe der Tat aufzuarbeiten. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 13. November: Angriff auf Paris 3 x 47-58 Minuten, Gedeon und Jules Naudet, 2018 Die dokumentarische Mini-Serie "13. November: Angriff auf Paris" ist auf Netflix verfügbar. In drei Episoden zeichnet sie die Geschehnisse der Pariser Terroranschläge im November 2015 nach und erzählt die Geschichten von Überlebenden, Feuerwehr, Polizei und Regierung. Das sei "atemlos spannend", so Spiegel.de. Allerdings wird auch kritisiert, dass die Serie traumatische Erlebnisse funktionalisiere und daraus Unterhaltungsware mache. Verfügbar auf Externer Link: netflix.com (kostenpflichtiges Abo notwendig) Interner Link: Zum Anfang der Seite Life Inside Islamic State 17 Minuten, BBC Radio 4, 2017 In einer animierten Kurzdokumentation berichtet ein Aktivist, der sich gegen den "IS" einsetzt, aus Raqqa vom Horror des alltäglichen Lebens unter der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staats. Für die Dokumentation stand BBC Radio 4 Korrespondent Mike Thomson in sporadischem Kontakt mit dem Aktivisten, der ihm tagebuchartige Aufzeichnungen übermittelte. Verfügbar auf Externer Link: vimeo.com Interner Link: Zum Anfang der Seite 2. Spielfilme und Serien Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Black Crows30 x 30 Minuten, Leen Fares, 2017 Interner Link: Der Himmel wird warten1 Stunde und 55 Minuten, Neue Visionen Filmverleih, 2016 Black Crows 30 x 30 Minuten, Leen Fares, 2017 Auf Netflix ist die fiktive Serie "Black Crows" verfügbar, die das tägliche Leben unter der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staats darstellt. Dabei spielen Frauen zentrale Rollen, wie eine jesidische Sklavin, eine Undercover-Reporterin und eine Mutter, die den "IS" unterstützt. Auch die Ausbildung von Kindern zu Kämpfern wird nacherzählt. Produziert wurde die 30-teilige Serie vom Sender MBC, der seinen Hauptsitz in Dubai hat. Laut kino.de stützt sich die Serie inhaltlich auf Berichte von Augenzeugen, die den Terror überlebt haben oder früher selbst "IS"-Anhänger waren. Verfügbar auf Externer Link: netflix.com (kostenpflichtiges Abo notwendig) Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Himmel wird warten 1 Stunde und 55 Minuten, Neue Visionen Filmverleih, 2016 Was bringt junge Frauen in Europa dazu, sich dem Dschihad anzuschließen? Und wie können sie den Weg zurück in unsere Gesellschaft finden? Diesen Fragen geht das Spielfilmdrama "Der Himmel wird warten" nach. Die Geschichten der Protagonistinnen Mélanie und Sonia beschreiben eine Entwicklung in entgegengesetzte Richtungen: den Weg von der Normalität in die Radikalisierung und umgekehrt. Dabei werden die einzelnen Stufen von Mélanies Radikalisierungsprozess ebenso detailliert nachgezeichnet wie die schrittweisen Erfolge, die Sonia durch die Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm und die Unterstützung ihrer Eltern erlebt. Begleitend zu dem Film stellt die bpb Arbeitsaufgaben zur Verfügung. Neben diesen Unterrichtsmaterialien gibt es auch eine Filmbesprechung, themenbezogene Hintergrundtexte sowie ein Interview mit Pierre Asisi, einem Präventionsexperten von ufuq.de. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 3. Erklärvideos Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Radikalisierung hat kein Geschlecht11 x 11-20 Minuten, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 2022 Interner Link: Forschungsprojekt "Gesellschaft Extrem"6 x 6-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2018 Interner Link: Radikalisierung von Muslimen19 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Interner Link: Strategien gegen Radikalisierung20 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Interner Link: Forschungsprojekt "Salafismus in Deutschland"6 x 7-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2016 Interner Link: Was ist Salafismus?12 Minuten, Arte/Bundeszentrale für politische Bildung, 2013 Radikalisierung hat kein Geschlecht 11 x 11-20 Minuten, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 2022 Wie hängen Geschlecht und Radikalisierung zusammen? Wie beeinflussen Geschlechterklischees die Wahrnehmung von Radikalisierung? Und wie geht geschlechtersensible Präventionsarbeit? Die Videoreihe erklärt Begriffe, thematisiert Vorurteile und beleuchtet praktische Präventionsansätze in Bezug auf Gender und Extremismus phänomenübergreifend. Neben den Videos werden Infomaterialien und Plakate zur Verfügung gestellt. Verfügbar auf Externer Link: stmas.bayern.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Forschungsprojekt "Gesellschaft Extrem" 6 x 6-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2018 In sechs kurzen Videos erläutern Fachleute die zentralen Thesen sowie die wichtigsten Handlungsoptionen ihrer Forschungsprojekte. Die Expertinnen und Experten sind Teil des vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) koordinierten Forschungsprojekts "Gesellschaft Extrem: Radikalisierung und Deradikalisierung in Deutschland". Die Themen: Radikalisierung von Individuen Brücken-Narrative Radikalisierung der Gesellschaft? Herausforderung Deradikalisierung Die Rolle des Internets und sozialer Medien für Radikalisierung und Deradikalisierung Evaluation in der Extremismusprävention Verfügbar auf Externer Link: gesellschaftextrem.hsfk.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Radikalisierung von Muslimen 19 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Viele der Tatbeteiligten der Anschläge in Paris und Brüssel sind in Frankreich und Belgien aufgewachsen und haben sich dort radikalisiert. Auch in Deutschland radikalisieren sich junge Musliminnen und Muslime. Für die Gesellschaft ist das eine enorme Herausforderung. Fachleute beantworten unter anderem diese Fragen: Wer radikalisiert sich, und warum? Ist das vergleichbar mit anderen Extremismen? Und welche Rolle spielt dabei der Islam? Die Interviewten: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Professor für Islamische Religionspädagogik, Universität Münster), Ahmad Mansour (Psychologe, European Foundation for Democracy), Prof. Dr. Christine Schirrmacher (Islamwissenschaftlerin, Universität Bonn), Dr. Guido Steinberg (Islamwissenschaftler, Stiftung Wissenschaft und Politik), Dr. Marwan Abou Taam (Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz) Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite Strategien gegen Radikalisierung 20 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Wie kann man gegen die Radikalisierung junger Menschen vorgehen? Fünf Fachleute legen im Erklärfilm dar, wie Gesellschaft und Sicherheitsbehörden dieser Herausforderung begegnen können. Sie beantworten unter anderem diese Fragen: Wo kann Präventionsarbeit ansetzen, um Radikalisierung zu verhindern? Welche Rolle kann islamischer Religionsunterricht spielen? Wie kann Deradikalisierung gelingen? Welche Sicherheitsmaßnahmen sind sinnvoll? Die Interviewten: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Professor für Islamische Religionspädagogik, Universität Münster), Ahmad Mansour (Psychologe, European Foundation for Democracy), Prof. Dr. Christine Schirrmacher (Islamwissenschaftlerin, Universität Bonn), Dr. Guido Steinberg (Islamwissenschaftler, Stiftung Wissenschaft und Politik), Dr. Marwan Abou Taam (Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz) Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite Forschungsprojekt "Salafismus in Deutschland" 6 x 7-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2016 Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat im Rahmen des Forschungsprojekts "Salafismus in Deutschland" eine Reihe von Video-Beiträgen online veröffentlicht. Die sechs Reports sollen einen differenzierten Blick auf Salafismus und Dschihadismus in Deutschland bieten. In maximal zehn Minuten vermitteln Fachleute die wichtigsten Grundlagen und stellen aktuelle Trends sowie Handlungsempfehlungen vor. Themen sind unter anderem die Organisation und Anwerbungspraxis der salafistischen Bewegung, die Motivationen und Karrieren von Dschihadisten, mögliche Gegennarrative und Ansätze für Präventions- und Deradikalisierungsarbeit. Verfügbar auf Externer Link: salafismus.hsfk.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Was ist Salafismus? 12 Minuten, Arte/Bundeszentrale für politische Bildung, 2013 In dieser Folge der Arte-Sendung "Mit offenen Karten" wird erklärt, was es mit der fundamentalistischen Doktrin des Salafismus auf sich hat. Es wird beschrieben, worum es sich bei dieser sich westlichen Einflüssen verschließenden, ultrakonservativen Strömung des Islam handelt. Darüber hinaus wird die Entwicklung des Salafismus nach den Protesten in der arabischen Welt, bei denen in Nordafrika neue politische Freiräume entstanden sind, untersucht. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 4. Kurzbeiträge Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Gaming und Extremismus: Verfassungsschutz Niedersachsen nimmt Online-Plattformen ins Visier4 Minuten, Sat.1 Regional, 2021 Interner Link: Antisemitismus in islamischen Verbänden8 Minuten, ZDF frontal, 2021 Interner Link: Angeworben im Netz der Dschihadisten9 Minuten, NDR Panorama 3, 2016 Gaming und Extremismus: Verfassungsschutz Niedersachsen nimmt Online-Plattformen ins Visier 4 Minuten, Sat.1 Regional, 2021 Online-Gaming-Plattformen werden von Extremistinnen und Extremisten zur Rekrutierung genutzt. Laut dem niedersächsischen Verfassungsschutz können hier extremistische Aussagen gut "versteckt" platziert werden. Der Verfassungsschutz Niedersachen will daher zukünftig virtuelle Netzwerke und die dortigen Aktivitäten verstärkt ins Visier nehmen – ohne die Gaming-Szene dabei zu stigmatisieren. Verfügbar auf Externer Link: sat1regional.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Antisemitismus in islamischen Verbänden 8 Minuten, ZDF frontal, 2021 Antisemitismus durch Musliminnen und Muslime ist ein zunehmendes Problem in Deutschland, berichtet das ZDF-Magazin frontal. Jüdische Einrichtungen und ihre Mitglieder seien in den letzten Monaten vermehrt mit Angriffen durch Musliminnen und Muslime konfrontiert. Der wieder entfachte Nahostkonflikt führe dazu, dass jüdische Menschen auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken angefeindet würden. Einige islamische Verbände spielten in der Auseinandersetzung eine entscheidende Rolle, heißt es in dem Beitrag. Verfügbar auf Externer Link: zdf.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Angeworben im Netz der Dschihadisten 9 Minuten, NDR Panorama 3, 2016 Wie geraten junge Menschen in Deutschland in die Fänge von Dschihadisten? Wie läuft die Anwerbung im Internet tatsächlich ab? Wie werden aus Jugendlichen Kämpfer? Eine Panorama 3-Autorin nimmt im Selbstversuch Kontakt zu radikalen Salafisten auf. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 5. Gespräche mit Fachleuten Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Diskurse über muslimische Menschen in Deutschland16 Minuten, ufuq.de, 2022 Interner Link: Dschihadismus im Wandel?30 Minuten, ARD: alpha-demokratie, 2022 Interner Link: Der Nahostkonflikt im Unterricht13 Minuten, ufuq.de, 2022 Interner Link: Deutsch-französische Perspektiven zu Islamismus und Rechtsextremismus23 Minuten, France Fraternités & ufuq.de, 2022 Interner Link: Kampf gegen Islamismus – Frankreich zwischen Terror und Polizeigewalt?43 Minuten, Deutsche Welle, 2021 Interner Link: Zwischen rechter Instrumentalisierung und linkem Schweigen: Können wir keine Islamismus-Kritik?108 Minuten, Bildungsstätte Anne Frank: "StreitBar", 2021 Interner Link: Anwerbungstaktiken auf Gaming-Plattformen30 Minuten, Radicalisation Awareness Network, 2021 Interner Link: Aladin El-Mafaalani beim ufuq-Couch Talk: Integrations-Paradox10 Minuten, ufuq.de, 2019 Interner Link: Debatte mit Behnam Said und Götz Nordbruch: Islamistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann63 Minuten, sagwas.net, 2017 Interner Link: Erin Marie Saltman: How young people join violent extremist groups — and how to stop them63 Minuten, TED, 2016 Diskurse über muslimische Menschen in Deutschland 16 Minuten, ufuq.de, 2022 Warum wird in Deutschland und Europa so viel über Musliminnen und Muslime gesprochen? Welche Funktion erfüllen solche "Diskursexplosionen" und wie werden sie von historischen Islamdebatten beeinflusst? Diesen und weiteren Fragen widmet sich ein Fachgespräch von ufuq.de. Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami analysiert aktuelle Debatten und erklärt, warum es wichtig ist, Rassismus in Verbindung mit Religion und Säkularismus zu betrachten. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Dschihadismus im Wandel? 30 Minuten, ARD: alpha-demokratie, 2022 Im Sommer 2021 konnten die Taliban weite Teile Afghanistans einnehmen. Wird das den Dschihadismus international stärken? Wie anpassungsfähig ist er und welche Rolle spielen soziale Medien? Für alpha-demokratie sprach Vera Cornette mit Dr. Guido Steinberg. Der Islamwissenschaftler arbeitet und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und ist Experte für islamistischen Terrorismus. Verfügbar auf Externer Link: br.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Nahostkonflikt im Unterricht 13 Minuten, ufuq.de, 2022 Wie kann man den Nahostkonflikt erfolgreich im Unterricht thematisieren? Darüber spricht Mehmet Can im "ufuq Couch Talk". Er ist Lehrer an einer Berliner Schule und hat gemeinsam mit Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern eine Reise nach Israel und Palästina unternommen. Außerdem hat er eine "Jerusalem AG" ins Leben gerufen und einen Comic zum Thema herausgebracht. Im Gespräch mit Sakina Abushi von ufuq.de erzählt er von seinen Erfahrungen und gibt Tipps für die Praxis. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Deutsch-französische Perspektiven zu Islamismus und Rechtsextremismus 23 Minuten, France Fraternités & ufuq.de, 2022 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen Islamismus und Rechtsextremismus in Deutschland und Frankreich? Wie lassen sich die Erkenntnisse für die Radikalisierungsprävention nutzen? Diesen und weiteren Fragen geht der Film von ufuq.de und France Fraternités nach. Den Ausgangspunkt bilden Gespräche mit deutschen und französischen Fachkräften aus Präventionspraxis und Wissenschaft. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Kampf gegen Islamismus – Frankreich zwischen Terror und Polizeigewalt? 43 Minuten, Deutsche Welle, 2021 In dieser Ausgabe von "Auf den Punkt" wird diskutiert über die Absichten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, radikale Moscheen überwachen zu lassen und ein umstrittenes Gesetz gegen Islamistischen Separatismus durchzusetzen. Journalistin Hélène Kohl, Terrorexperte Raphael Bossong (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Soziologin Yasemin Ural (Universität Leipzig) sind zu Gast; Hajo Schumacher moderiert. Verfügbar auf Externer Link: dw.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Zwischen rechter Instrumentalisierung und linkem Schweigen: Können wir keine Islamismus-Kritik? 108 Minuten, Bildungsstätte Anne Frank: "Streitbar", 2021 Der politischen Linken wird häufig vorgeworden, zu islamistischer Gewalt zu schweigen. Stimmt das? In der "StreitBar" diskutieren Kevin Kühnert und Saba-Nur Cheema unter anderem über die Instrumentalisierung von Opfern islamistischer Gewalt durch das rechte Spektrum sowie die Reaktion der Linken. Außerdem steht die Frage im Raum, wie rassismusfreie Kritik geübt und Islamismus trotzdem angeprangert werden kann. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Anwerbungstaktiken auf Gaming-Plattformen 30 Minuten, Radicalisation Awareness Network, 2021 Mit welchem Taktiken werben Extremisten junge Menschen auf Gaming-Plattformen an? Jordy Nijenhuis und Veera Tuomala sprechen mit Expertinnen und Experten über ihre Erfahrungen in der Praxis. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Aladin El-Mafaalani beim ufuq-Couch Talk: Integrations-Paradox 10 Minuten, ufuq.de, 2019 In der ersten Folge des "Couch Talks" von ufuq.de spricht Aladin El-Mafaalani über seine Thesen vom "Integrations-Paradox": Demnach führt gelungene Integration zu mehr Konflikten. Im Video geht es darum, was dies für die praktische Arbeit mit Jugendlichen bedeutet, wie Lehrkräfte mit Konflikten in der Klasse umgehen können – und mit der Debatte darüber, ob "der Islam" zu Deutschland gehört. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Debatte mit Behnam Said und Götz Nordbruch: Islamistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann 63 Minuten, sagwas.net, 2017 Eine Online-Live-Debatte des Projekts sagwas.net hat sich im Dezember 2017 mit aktuellen Entwicklungen in Bezug auf islamistische Radikalisierung sowie Prävention von Radikalisierung in Deutschland beschäftigt. Dazu hat die Friedrich-Ebert-Stiftung Dr. Götz Nordbruch (Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus) und Dr. Behnam Said (Islamwissenschaftler und Mitarbeiter beim Verfassungsschutz Hamburg) eingeladen, die in einem einstündigen Gespräch die Fragen der Online-Community beantworteten. Verfügbar auf Externer Link: sagwas.net Interner Link: Zum Anfang der Seite Erin Marie Saltman: How young people join violent extremist groups — and how to stop them 63 Minuten, TED, 2016 Erin Marie Saltman ist bei Facebook für Counterterrorism Policy verantwortlich. In ihrem Vortrag spricht sie über Push- und Pull-Faktoren, die dazu führen, dass sich Menschen extremistischen Gruppen anschließen. Außerdem stellt sie innovative Maßnahmen zur Prävention und zur Begegnung von Radikalisierung vor – wie das "One to One"-Programm des Londoner Think Tanks "Institute for Strategic Dialogue". In dem Programm werden zunächst auf Facebook Nutzer/-innen identifiziert, die extremistische Gedanken äußern. Anschließend werden diese mit dem Ziel der Deradikalisierung von ehemaligen Extremisten kontaktiert. Verfügbar auf Externer Link: ted.com Interner Link: Zum Anfang der Seite 6. Präventionsprojekte Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Webvideo-Projekt: Jamal al-Khatib18 x 2-9 Minuten, TURN und bpb, 2017-2020 Interner Link: Webvideo-Projekt: Say My Name15 x 5-25 Minuten, Kooperative Berlin und bpb, 2019 & 2020 Interner Link: Webvideo-Projekt: Reflect Your Past3 x 23-27 Minuten, endemol und bpb, 2019 Interner Link: Junge Muslime gegen Antisemitismus15 Minuten, Jungs e. V., 2019 Webvideo-Projekt: Jamal al-Khatib 18 x 2-9 Minuten, TURN und bpb, 2017-2020 Der Impuls für "Jamal al-Khatib – Mein Weg" ging von einem inhaftierten Jugendlichen aus. Nach seinem Ausstieg aus der dschihadistischen Szene wollte er sich dafür einsetzen, andere Jugendliche davor zu bewahren, die gleichen Fehler zu begehen. Die erste Staffel ist bereits 2017 erschienen, die dritte Staffel ist im April 2020 gestartet. Die Videos sind auf Facebook, Instagram und YouTube verfügbar. Auf bpb.de gibt es eine Themenseite zum Projekt mit den bereits veröffentlichten Videos und umfangreichen Hintergrundinformationen. Verfügbar auf Externer Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Webvideo-Projekt: Say My Name 15 x 5-25 Minuten, Kooperative Berlin und bpb, 2019 und 2020 Das Webvideoprojekt "Say My Name" richtet sich an Frauen und behandelt die Themenkomplexe Zusammenleben, Integration und Identifikation. "Say My Name" arbeitet mit jungen diversen YouTuberinnen beziehungsweise Creatorinnen zusammen, die sich gegen alle Formen von Extremismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Hassrede einsetzen. Die Creatorinnen berichten in ihren Videos über eigene Erfahrungen oder sprechen mit Menschen, die weitere Sichtweisen auf die Themen werfen. Verfügbar auf Interner Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Webvideo-Projekt: Reflect Your Past 3 x 23-27 Minuten, endemol und bpb, 2019 Die Webvideoreihe "Reflect Your Past" veranschaulicht Radikalisierungsprozesse anhand von Lebensgeschichten. Die YouTuberinnen und YouTuber Nihan, Cheng Loew und Diana zur Löwen treffen Aussteigerinnen und Aussteiger aus verschiedenen extremistischen Bereichen. Darunter ist auch der ehemalige Salafist Dominic Schmitz, der von seinem Weg in den Salafismus und seinem Ausstieg berichtet. Verfügbar auf Interner Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Junge Muslime gegen Antisemitismus 15 Minuten, Jungs e. V., 2019 Im Projekt "Junge Muslime in Auschwitz" des Trägers Jungs e. V. werden jährlich Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz für Jugendliche in Duisburg organisiert. Anschließend entwickeln die Teilnehmenden Theaterstücke und Videos. Damit möchten sie sensibilisieren und junge Menschen zum Nachdenken bringen. Sie möchten den online kursierenden antisemitischen Videos, die täglich von Jugendlichen konsumiert und für "die Wahrheit" gehalten werden eine andere Position entgegenstellen. Die Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren. Der Kurzfilm enthält mehrere Episoden zum Thema und ist insgesamt 15 Minuten lang. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-09-05T00:00:00"
"2020-04-03T00:00:00"
"2022-09-05T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/infodienst/307406/video-dokumentationen-filme-erklaervideos/
Die Videos berichten über Islamismus und Präventionsarbeit sowie über den "IS". Sie erklären, was Salafismus ist, und zeichnen Geschichten von Menschen nach, die sich radikalisiert haben.
[ "Islamismus", "Radikalisierung", "Extremismus", "Prävention", "Dokumentationen", "Reportagen", "Filme" ]
30,671
Film ohne Auftrag - Perspektiven, die ausgegrenzt und unterschlagen wurden | Deutschland Archiv | bpb.de
Bald nachdem die Mauer gefallen war, wurde ich wie unzählige andere Ostdeutsche erwerbslos. Fortan arbeitete ich in den damals für uns sehr großzügigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ich schrieb Artikel als Journalistin und redigierte als Redakteurin. Ich malerte ein Büro für einen Verein. Ich organisierte Seniorenfrühstück in einem Kiezklub. In meiner Freizeit jedoch bekam ich die Chance, einen Dokumentarfilm zu drehen. Schnell fand ich ein Thema: vietnamesische Migrant*innen in Ost-Berlin. Auch der Titel fiel mir sofort ein: „Bruderland ist abgebrannt“. Er nahm ironisch Bezug auf die Bezeichnung der sozialistischen Staaten untereinander zur Betonung ihrer Verbundenheit. So interviewte ich im Frühsommer 1991 einen ehemaligen Vertragsarbeiter, eine deutsche Sozialarbeiterin, die Sprecherin eines neu gegründeten Wohnheimbetreibers, zwei ehemalige Studenten, ein deutsch-vietnamesisches Elternpaar, und ich war mit dem Filmteam dabei, als entlassene Vietnames*innen im Transitraum des Flughafens Schönefeld ihre Abfindung bekamen, die Prämie für die „freiwillige“ Ausreise, um in ein Land zurückzukehren, das schwer geschädigt war von Krieg, Wirtschaftsembargo, Entlaubungsgift. Ich hatte keinen Auftrag für den Film. Es gab keine TV-Redaktion, die händeringend auf das Skript wartete. Ich konnte diesen Film nur machen, weil ein Freund mir Technik, Material und einen Kameramann zur Verfügung stellte. Als der Film fertig war, interessierte er niemanden. Außer die ehemaligen, inzwischen selbstorganisierten Vertragsarbeiter*innen selbst, die ihn in ihren Vereinsräumen zeigten, wo er unter zustimmenden Seufzern aufgenommen wurde. Am Ende wurde das patriotische vietnamesische Kinderlied in der letzten Filmszene mitgesungen. Der Film erzählt davon, was die vietnamesischen Migrant*innen seit dem Mauerfall erlebt hatten, in welcher Lebenssituation und Rechtslage sie sich befanden und wie ihre Stimmung war. Auch wenn der Film Rassismus und Gewalt nicht direkt dokumentierte, war beides Thema in den Gesprächen und Kommentaren. So schwang die permanente Bedrohung, der die Protagonist*innen ausgesetzt waren, immer mit. Im Kommentar erwähne ich, dass sich aus der Pogromstimmung in den Straßen „ungeschriebene Regeln für Ausländer“ ergeben, wie zum Beispiel eine Art Ausgangssperre sowie sich nur in Gruppen zu bewegen und auch niemals allein öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, schon gar nicht nachts. Ich fühlte mich den Protagonist*innen nah. Damals waren Drangsalierungen, Tätlichkeiten, Beleidigungen gegenüber allen, die nicht in das zur Norm erklärte Weißsein passten, an der Tagesordnung. Im Dezember 1990 war Amadeo Antonio in Eberswalde von Nazis erschlagen worden, und im April 1991 erlag Jorge Gomondai in Dresden seinen tödlichen Verletzungen, die ihm Nazis zugefügt hatten. Beide waren einst als Vertragsarbeiter aus sozialistischen „Bruderländern“ in die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gekommen und gerade dabei, sich ein neues Leben aufzubauen. Zitat Es waren nicht nur die Taten selbst, die uns entsetzten, es war der Umgang der Gesellschaft mit ihnen, der einen merkwürdigen Freiraum für derartige Verbrechen zu schaffen schien. Dies nannte Ibraim Arslan 26 Jahre nach dem verheerenden Nazi-Brandanschlag auf das bewohnte Haus in Mölln 1992 den „zweiten Anschlag“, der nach dem eigentlichen stets von der Gesellschaft käme. Ibraim Arslan überlebte als Siebenjähriger den Anschlag nur, weil ihn seine Großmutter Bahide Arslan in nasse Tücher gehüllt in die Küche gesetzt hatte. Sie selbst starb zusammen mit zwei ihrer Enkelinnen, den kleinen Mädchen Ayse Yilmaz und Yeliz Arslan. Fatale Signale aus der Politik Die Anteilnahme von Freunden, Kollegen am Leid der Familie der Ermordeten und die Solidarität Tausender vor Ort wurden von den verheerenden Signalen übertönt, die die Politik aussendete. In den Tagen nach dem Mord an Jorge Gomondai sprach ein Vertreter der sächsischen Landesregierung allen Ernstes davon, dass der Freistaat sich bemühen werde, „gesunde attraktive Alternativen für die Freizeitgestaltung zu finden“, als handele es sich hier um Ausfälle gelangweilter Jugendlicher, die Fürsorge bräuchten. Ein Polizeisprecher in Dresden beschrieb die damalige laxe Rechtspflege so: „Seit der Wende denken die Nazis, uns bestraft ja eh keiner.“ Und Polizeirat Erwin Leupold sagte: „Die Bevölkerung geht den Rechtsradikalen aus dem Weg.“ Wie auch nicht? Zitat Dass am Tag des Trauergottesdienstes für Jorge Gomondai gerade mal 100 Nazis den anschließenden Demonstrationszug mit 7.000 Demonstrant*innen angriffen und gezielt auf Schwarze Menschen losgingen, wirft ein Licht darauf, wie sicher sich die Nazis fühlten. Die allgemeine politische Lage gab ihnen recht. Allein in Dresden entstanden neben den bundesweiten Parteien NPD, DVU und REP militante Gruppierungen, die sich „Deutsche Alternative“, „Werwölfe“, „SS-Ost“ nannten und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Die so organisierten ostdeutschen Nazis standen in engem Kontakt mit westdeutschen und österreichischen Nazis. Die Demokratie lag derweil im Tiefschlaf. Die anvisierten Opfer der Rechten konnten sich eine solche Ruhe nicht gönnen. Im September, als ich anfing, meinen Film zu schneiden, wurden im sächsischen Hoyerswerda in einem fünf Tage andauernden Pogrom Wohnheime von Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam und Mosambik mit Brandsätzen und Steinen beworfen. Täter waren Neonazis, Anwohner*innen und angereiste Sympathisant*innen. Nachdem mein Film mit 28 Minuten Spieldauer fertig und von TV-Sendern dankend abgelehnt worden war, aber immerhin auf dem Kurzfilmfestival Oldenburg gezeigt und von etwa 80 Interessent*innen diskutiert, begann das Jahr 1992. Weitere Morde und Pogrome geschahen in diesem Jahr: Im April wurde in Berlin-Marzahn der ehemalige Vertragsarbeiter Nguyen Van Thu von einem Neonazi erstochen. Der 29-Jährige wollte wenige Wochen später nach Vietnam fliegen und dort heiraten. Der Täter erhielt nur eine viereinhalbjährige Haftstrafe, wieder ein geradezu ermutigendes Signal für gewaltbereite Rechte. Im Juli wurde in Esslingen (Baden-Württemberg) der Kosovo-Albaner Sadri Berisha, Arbeiter in einer Baufirma, von Nazis in seinem Bett erschlagen und sein Mitbewohner Sahit Elezaj schwer verletzt. In Rostock-Lichtenhagen tobte im August über mehrere Tage ein Pogrom von Nazis und Anwohner*innen erst vor der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber ZASt gegen rumänische Geflüchtete, dann vor dem Wohnheim vietnamesischer Arbeiter*innen. Überall gleich waren die nachlässige Verfolgung der Täter, die geringen bis ausbleibenden Strafen, die Verharmlosung des rassistischen Hassfaktors und die unterlassene Analyse, woher diese Gewalttäter kamen. Allein gelassen mit den Traumata Auch dass die Überlebenden mit ihrem Trauma allein gelassen wurden, war normal. Hinzu kam die seltsame politische Schlussfolgerung, die Migrant*innen selbst stellten das Problem dar, nicht die Nazis. Eilig und geradezu servil gegenüber den Tätern wurden die Opfer sowohl in Hoyerswerda als auch in Rostock mit Bussen weggeschafft und ins Umland verbracht, wo man sie traumatisiert und ungeschützt zurückließ. Der Höhepunkt dieser Politlogik und auch ganz offen als „Konsequenz“ dieser Gewalttaten bezeichnet, war die Einschränkung des Asylrechts im Mai 1993, womit nicht nur das Grundgesetz angetastet, sondern auch signalisiert wurde, dass es „zu viele“ Migrant*innen in Deutschland gäbe. Ein fatales Zeichen. Nur wenige Tage nach dieser Gesetzesänderung wurden fünf türkisch-deutsche Menschen bei dem Nazi-Brandanschlag in Solingen (NRW) ermordet. Zitat Warum diese detaillierte Erinnerung an damals? Wenn nach einer alten Dichter-Weisheit der heutige Tag „ein Resultat des gestrigen“ ist, dann müssen wir heute wissen, was gestern geschehen ist. Und uns darüber klarwerden, dass all die Anschläge keine singulären Ereignisse waren, sie wurden vielmehr systematisch ermöglicht. Durch das, was wir nicht getan und durch das, was wir geduldet haben. Die Perspektive der Opfer und Migrant*innen auf das, was ihnen geschah, war lange Jahre überhaupt nicht gefragt. Dass ihre Stimme und ihre Analyse jahrzehntelang in Diskursen und Dossiers gar nicht oder nur marginal vorkamen, hat nicht nur Bildungslücken erzeugt, sondern auch rechtsextreme Überzeugungen sich ausbreiten lassen und hoffähig gemacht – bis in die Parlamente hinein. Und es förderte einen einseitigen Geschichtsblick auf den Osten, eine sehr eingeschränkte Erzählung über den Mauerfall und seine Folgen. So formte sich das Bild, dass Rassismus und Rechtsextremismus vor allem im Osten angesiedelt seien. Die vergessen Nazirädelsführer aus dem Westen Dabei wird vergessen, dass bei rechtsextremen Aktionen wie die um die Ostertage 1991 in Dresden und das Pogrom in Rostock 1992 auch ganz gezielt Nazis aus dem Westen beteiligt waren, sie extra dafür anreisten und die Stimmung aufheizten. Und dass die Zahlen der rechtsextremen Taten und der Opfer in dieser Zeit in Ost und West etwa gleich hoch waren. Hartnäckig aber hält sich, insbesondere in der medialen Erzählung, die Ostlastigkeit des Rechtsextremismus nach dem Mauerfall. Der Autor, Schauspieler und Regisseur Dan Thy Nguyen, ein Kind vietnamesischer „Boatpeople“, die in die Bundesrepublik geflüchtet waren, der 2013 über das Pogrom in Rostock ein Theaterstück auf der Basis von Interviews mit den Vietnames*innen schrieb, spricht gar von einer Instrumentalisierung des Rostock-Pogroms für die Verstärkung der Ressentiments gegenüber dem Osten. Zitat Tatsächlich wirkt die diskursive Betonung Ostdeutschlands als ein Ort von Rassismus und Rechtsextremismus wie eine Auslagerung dieser Probleme von West nach Ost. Gern werden Massenarbeitslosigkeit und mangelnde Demokratie-Erfahrung der Ostdeutschen zur Erklärung herangezogen, was impliziert, dass erstens Arbeitslose dazu neigen, gewalttätige Rassist*innen zu werden und zweitens die Westdeutschen ein Muster an Weltoffenheit und frei von der Beschränktheit des Rassismus seien. Als gäbe es keine Nazis, keinen Alltagsrassismus und keine Vorurteile bei ihnen. In Wahrheit wird Verantwortung nur in eine bestimmte Himmelsrichtung abgeschoben. Lässt man jetzt mal, im 32. Jahr der neuen Deutschen Einheit, die Attribute „Ost“ und „West“ weg, dann bleibt nur noch das Wort „Deutschland“ übrig. Ein Deutschland mit bedenklichen Kontinuitäten, die man in den letzten drei Jahrzehnten toleriert und weiter sich entfalten lassen hat. Jetzt haben wir eine Rechtsaußen-Partei, die in allen Landesparlamenten und im Bundestag auch Nazis vertritt. Ich bin eine Ostdeutsche der Mauergeneration. Als Tochter eines Vietnamesen und einer Deutschen habe ich Ausgrenzung, Diskriminierung und Alltagsrassismus seit meinem ersten Schultag erfahren. Ich geriet als Kind in die Zeit der enormen Solidarität gegen den Krieg in Vietnam, der viele Menschen in West und Ost bewegte und mich erst recht – hatte er doch meinen Vater plötzlich aus meinem Leben gerissen. Das angeblich breite Mitgefühl mit dem „tapferen vietnamesischen Volk“ tat jedoch dem von mir täglich erfahrenen Othering auf dem Schulhof, in Straßenbahnen, Klassenzimmern, Ferienlagern, Sportplätzen, FDGB-Erholungsheimen keinen Abbruch. Das reichte von mundoffenem Staunen über Schmähworte und Minipogrome bis zu tätlichen Angriffen. Abwechselnd dazu nahm man mich jedoch zwischendurch auch einfach als DDR-Kind wahr. Manchmal musste ich von einer Minute zur anderen meine Rolle wechseln. Das machte mich aufmerksam nicht nur für meine eigene ständige Gefahrenlage, sondern auch für die von anderen. Zitat Aus dieser Erfahrung bringe ich eine bestimmte Perspektive mit, einen bestimmten Blick auf die Mehrheitsgesellschaft, aus deren Mitte heraus sich blitzschnell eine Bedrohung für Angehörige von Minderheiten entwickeln kann. Das war schon seit Jahrhunderten so, und auch die fragilen Demokratien der Nachkriegszeit seit 1945 haben daran nichts geändert. Deshalb jubelte ich auch nicht mit auf dieser Montagsdemo in Leipzig im November 1989, wo ich kurz nach der Maueröffnung zufällig war. Wenn heute in jenen Demos nichts anderes als die revolutionäre Selbstbefreiung der Ostdeutschen gesehen wird und nicht gleichzeitig ihre rechts-nationale Tendenz, dann gucken wir sie uns schön. Riefen sie noch vor der Maueröffnung „Wir sind das Volk“ – diese verblüffend einfache Retourkutsche für die DDR-Regierung, die das Wort Volk in jeder ihrer Verlautbarungen anführte, so erlebte ich jetzt hautnah den Paradigmenwechsel: „Wir sind ein Volk“, skandierten die Demonstrierenden. Und das reimte sich quasi auf „Wir wollen die DM“ und auf „Deutschland soll bald eins sein“. Was sollte das werden, wenn nicht einfach nur eine vergrößerte Bundesrepublik? Die DDR würde verschwinden und zwar schnell. Ich stahl mich davon, das war ein Slogan, zu dem ich nicht gehörte und nicht gehören wollte. Das letzte Mal war Deutschland eins, als es, von den Nazis angeführt, die halbe Welt in Schutt und Asche legte. Aber nicht nur mein Geschichtswissen trieb mich fort. Es waren auch meine Erfahrungen aus Kindertagen. Sie bewogen mich, im Sommer 1991 diesen Film über entlassene vietnamesische Vertragsarbeiter*innen zu machen. Ausgerechnet dahin zu gehen, wofür sich die gerade staatlich vereinigte und verwirrte Gesellschaft gerade gar nicht interessierte – an ihren Rand. Zu einer kleinen Minderheit, die schlimmer dran war als die entlassenen Ostdeutschen mit ihren bundesdeutschen Pässen. Die lange Zeit vorherrschende Negierung politischer Hassverbrechen Wenn heute, zu den 30. und bald 35. Jahrestagen, Historiker*innen und Referent*innen sagen: Ah ja, die migrantische Perspektive auf den Mauerfall! Wir haben damals nicht gesehen, wie wichtig das ist. Her damit, auf jede Veranstaltung ein Gast zu diesem Thema! Was kann man dann aus diesem Versäumnis lernen? Und was sind eigentlich Randerfahrungen? Was definiert sie als „Randerscheinung“, was ja nichts anderes meint als ihre Unwichtigkeit? Heute finden die Perspektiven von Minderheiten Räume zum Erzählen und Reflektieren. Lange wurden auch die ostdeutschen Erfahrungen in den Medien geringgeschätzt. Allein die West-Erzählung über den Osten war von Belang. Auch das hat sich zumindest etwas geändert. Zitat Aus meinen unzähligen Gesprächen in der vietnamesisch-deutschen Community ergab sich dieses eine unverrückbare Bild: Was ich als Kind eines Vietnamesen in der DDR an Rassismus, Ausgrenzung, Bedrohung erfahren habe, haben andere Kinder vietnamesischer Herkunft in der Bundesrepublik und nach dem Mauerfall in ganz Deutschland auf sehr ähnliche Weise erfahren. Unsere Kindheiten – zu unterschiedlichen historischen Zeiten und in unterschiedlichen deutschen Regionen – kann man übereinanderlegen und stellt eine erstaunliche Kongruenz fest. Für uns ist dieser Rassismus vor allem deutsch, und zwar in allen Himmelsrichtungen: Ost, West, Nord, Süd. Ich bin ein Kind des Kalten Krieges, die Vorsilben Ost und West sind fester Bestandteil der Sprache meiner Sozialisation. Noch heute gehe ich auf die Barrikaden, wenn ein West-Mensch mir erzählen will, wie die Ostler sind. Und ich bin das Kind eines Nordvietnamesen, der in einen heißen Stellvertreter-Krieg zog. Auch in Vietnam gibt es Himmelsrichtungen. Ich kann es auch nicht leiden, wenn mir Leute erklären wollen, wie Migrant*innen sind. Hier wie da. Der Glaubenskampf, ob die Rechten in Ost oder West verbreiteter oder schlimmer sind, lenkt nur vom Wichtigsten ab, nämlich dass wir sie mit allen Mitteln – denen des Rechts, der Medien, der Demos, der Bildung – bekämpfen müssen. Das wurde lange Zeit schon dadurch vernachlässigt, dass man sie nicht als das bezeichnet hat, was sie waren: Nazis. Und ihre Taten: politische Verbrechen aus Hass. Der rassistische Mord an Jorge Gomondai wurde in der Sprache der Staatsanwaltschaft zu einer „Körperverletzung mit Todesfolge“ und einer „Beteiligung an einer Schlägerei“, die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock zu „Ausschreitungen“ oder wahlweise auch „Krawallen“ verharmlost. Diese Tabupolitik von Medien und Behörden half, dass sich rechtes Gedankengut in aller Ruhe immer weiter in der Gesellschaft ausbreiten konnte und zu dem führte, was Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, 2017 beschrieb: „Die rechtsextreme Szene in Deutschland wird diffuser und befindet sich im Aufwind.“ Eine unaufgearbeitete Gleichgültigkeit Die Sprache der Berichterstattung von damals spiegelte die Toleranz gegenüber der Gewalt. „Viele Ausländer in der DDR trauen sich abends nicht auf die Straße“, titelte die Frankfurter Rundschau. Was bedeutet dieser Satz im August 1990, nachdem den Ostdeutschen die Kaufhallen mit Westprodukten gefüllt worden waren und sie die vielfach gewünschte D-Mark auf ihrem Konto vorfanden – viele schon nicht mehr als Gehalt, sondern als Arbeitslosengeld? Er wendet sich an die, die keine „Ausländer“ sind. Es suggeriert ein Randgeschehen, das Problem einer Minderheit, die eben irgendwie nicht dazugehört. Wie anders hätte sich die Schlagzeile ausgenommen, wenn dort gestanden hätte „Viele Menschen in der DDR trauen sich nachts nicht mehr auf die Straße“! Behördenvertreter wie die damalige Ost-Berliner „Ausländerbeauftragte“ Anetta Kahane beklagte im selben Artikel nicht nur die rechte Gewalt gegen Menschen, sondern auch die Gleichgültigkeit der übrigen Bevölkerung, welche diese Gewalt im öffentlichen Raum erlebten, aber weder einschritten noch Hilfe holten. Zitat Wenn unsere Gegenwart also das Resultat der Vergangenheit ist, dann ist unser Heute mit den AfD-Wahlerfolgen in Dresden und Deggendorf, den geschichtsvergessenen Gauland-Zitaten, den Weidel-Ausfällen im Bundestag, mit Nazi Höcke als Garant für viele AfD-Stimmen in Thüringen und mit dem nur zufällig verhinderten Massaker in der Hallenser Synagoge ein Resultat der Toleranz gegenüber den rechten Morden der frühen 1990er Jahre. Das Wort „Toleranz“ ist in unseren Diskursen merkwürdig positiv besetzt, bei Google erscheinen unter dem Suchwort sofort Völkerfreundschaftsmotive. Dabei kann sie viel Schaden anrichten. Man kann Rechtsextremismus tolerieren und Rassismus dulden – mitten unter uns. Das war der Fall in den 1990er, in den 2000er Jahren bei dem Mord an Alberto Adriano und der Verbrennung Oury Yallohs in Polizeigewahrsam, bei der NSU-Mordserie, dem Mord an Marwa El-Sherbini, 2018 bei der Erschießung des Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner Terrasse in Kassel. Es gab keinen gesellschaftlichen Aufschrei. Die Ereignisse verplätscherten so. Ein endgültiges Gerichtsurteil in dem Strafprozess gegen Lübckes mutmaßlichen Mörder gibt es auch bislang noch nicht, noch wird vor dem Bundesgerichtshof um eine Revision gerungen. All das sind Wirklichkeiten in unserem Land. In Yad Vashem in Jerusalem, am Eingang der ständigen Ausstellung über die Geschichte des europäischen Antisemitismus bis zur Shoa gibt der Satz des deutschen Schriftstellers und Journalisten Kurt Tucholsky genau darüber Auskunft: „Ein Land ist nicht nur das, was es tut – es ist auch das, was es toleriert“. Was wir zulassen, macht uns mit aus. Dieses unser Land driftet nach rechts, die soziale Kälte nimmt zu, begleitet von Verharmlosungen der AfD-Wahlerfolge, „Das sind nur Protestwähler“, heißt es. Es wird übersehen, dass diese Partei vor allem Menschengruppen anspricht, die Ressentiments gegen Fremde schüren, dieselben, die auch in den 1990er Jahren bereits Zulauf und ein passives Publikum hatten. Das haben die Rechten gut ausgenutzt. Demnächst wird die AfD politische Bildung im größeren Stil betreiben können, mit ihrer eigenen parteinahen Stiftung – diese sitzt auch schon im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung. Ein Ergebnis demokratischer Prozesse. Wenn die Gegenwart so aussieht, dann haben wir in der Vergangenheit etwas falsch gemacht. Der Film „Bruderland ist abgebrannt“ lag viele Jahre in meinem Regal. 2018 plötzlich bekam ich eine Anfrage vom Frauen-Filmfestival in Köln, wo er zusammen mit dem Mauerfall-Dokument „Former East/Former West“ der US-Amerikanerin Shelly Silver lief. Mit dem 30. Jahrestag des Mauerfalls wurde dann das entdeckt, was man „migrantische Perspektive“ nennt. Der Film lief seit 2019 auf Dutzenden Veranstaltungen, begleitet von vielen guten Gesprächen. In akademischen, künstlerischen, migrantischen, journalistischen Kreisen und Ausstellungen findet er reges Interesse. Aus ihm ist ein Zeitdokument geworden. Zitat Es geht nicht darum, heute schlauer zu sein als gestern. Es geht um die Einbeziehung bestimmter Perspektiven, von denen zu lernen wichtig ist. Es geht um jüdische, um migrantische, um queere Perspektiven und die der People of Color, und, ja, auch um ostdeutsche Perspektiven. Wobei der Plural wichtig ist, denn die eine jeweilige Perspektive gibt es auch nicht innerhalb dieser Gruppen. Es geht um die Stimmen derer, die Ausgrenzung, Abwertung und Gewalt erfahren haben und immer wieder erfahren. Und darum, keine gegen die andere auszuspielen. Die Tatsache des Rechtsextremismus und tiefsitzenden Alltagsrassismus allein dem Osten zuzuschieben, dient nur dazu, den Westen zu entlasten. In der Zwischenzeit gewinnen die Rechten immer mehr Raum, in Ost und West. Längst nicht mehr nur in Springerstiefeln und Bomberjacken, an Stammtischen und bei nächtlichen Anschlägen, nein, in Kostüm und Anzug. Wenn sogar der sich als konservativ verstehende Bundesinnenminister Horst Seehofer Ende 2019 feststellte, dass es ein Problem mit Rechtsextremismus gibt, dann ist es wirklich ernst. Mehr noch, zum ersten Jahrestag der Ermordung Walther Lübckes durch Nazis am 2. Juni 2020 wiederholte Seehofer seinen Satz: „Der Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unseren demokratischen Rechtsstaat.“ Ich bezeichne den Rechtsextremismus als größte Bedrohung für all die Menschen, die in sein Feindbild passten. Zitat Als an jenen Tagen im August 1992 in Rostock das vietnamesische Wohnheim vor laufenden Kameras brannte, begleitet vom Applaus des Mobs, haben vor den TV-Geräten in Westdeutschland die meisten Leute vermutlich nur den Kopf über den Osten geschüttelt und weiter Abendbrot gegessen. In einer Familie in einem Dorf am Rande der Eifel jedoch aß man nicht weiter. Vielmehr brachte der Vater am nächsten Tag aus seiner Fabrik Starkstromkabel mit nach Hause. „Jetzt müssen wir lernen, uns zu verteidigen“, sagte er zu seiner Frau und seinen Kindern. Der Mann war zusammen mit seiner Frau Anfang der 1980er Jahre als Bootsflüchtling aus Vietnam in die Bundesrepublik gekommen. Er verstand das Leid seiner Landsleute im Osten selbstverständlich als sein eigenes. Genau das ist der Unterschied. Zitierweise: Angelika Nguyen, „Film ohne Auftrag - Perspektiven, die ausgegrenzt und unterschlagen wurden“, in: Deutschland Archiv, 24.8.2022, Link: www.bpb.de/512249. Veröffentlichte Texte im Deutschland Archiv sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. Mehr zum Thema unter: Esther Dischereit: Externer Link: Vor aller Augen: Pogrome und der untätige Staat, Deutschlandarchiv vom 18.2.2022. Externer Link: 30 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen. Vier SichtweisenDeutschland Archiv vom 24.8.2022. Externer Link: Ossi? Wessi? geht's noch? Drei Denkanstöße von Antonie Rietzschel, Christian Bangel und Johannes Nichelmann über Mauern - im Kopf. Deutschlandarchiv vom 30.9.2021. „Der zweite Anschlag“, Dokumentarfilm von Mala Reinhardt (2018). Detlef Krell, Trauer um Jorge Gomondai, die tageszeitung, 13.4.1991. o.V., Alltägliche Jagdszenen, in: Der Spiegel, Nr. 16, 1991. Ebd. Heinrich Heine, Französische Zustände, in: Heines Werke, 4. Bd., S. 92, Berlin/Weimar 1978. Weitere Informationen zum Theaterstück "Sonnenblumenhaus" von Dan Thy Nguyen und Iraklis Panagiotopolous, https://www.danthy.net/projekte/sonnenblumenhaus-theaterst%C3%BCck/, letzter Zugriff am 23.8.2022. Angelika Nguyen und Dan Thy Nguyen, Rostock-Lichtenhagen ist Instrument für Ressentiments gegen den Osten, telegraph 133/134, 2018, S. 176. Heidelberger Hochschulrede des Zentralratspräsidenten Dr. Josef Schuster, 25.10.2017, Alte Universität Heidelberg, https://www.zentralratderjuden.de/aktuelle-meldung/artikel/news/reifepruefung-fuer-deutschland-plaedoyer-fuer-eine-demokratie-debatte/, letzter Zugriff am 23.8.2022. Inge Günther, Viele Ausländer in der DDR trauen sich abends nicht auf die Straße, in: Frankfurter Rundschau, 30.8.1990. Vgl. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bgh-3str35921-revision-verhandlung-mord-an-walter-luebcke-beihilfe-markus-h/, letzter Zugriff 23.8.2022. Marina Kormbaki und Markus Decker, Lübcke-Mord: Wie Seehofer und Habeck Rechtsextremismus bekämpfen wollen, Redaktionsnetzwerk Deutschland RND, 1.6.2020, https://www.rnd.de/politik/lubcke-mord-vor-einem-jahr-seehofer-tue-das-menschenmogliche-gegen-rechte-gewalt-UHALSAPWPNHY3OY4CCJ2ZUG74I.html, letzter Zugriff am 22.8.2022.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-09-16T00:00:00"
"2022-08-22T00:00:00"
"2022-09-16T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/512249/film-ohne-auftrag-perspektiven-die-ausgegrenzt-und-unterschlagen-wurden/
"Ein Land ist auch das, was es toleriert". Erinnerungen von Angelika Nguyen an die Zeit rechtsextremer Gewalt vor 30 Jahren, als sich aus Sicht der Autorin "die Demokratie im Tiefschlaf" befand.
[ "Rechtsextremismus", "Ausländerfeindlichkeit", "Rassismus" ]
30,672
Mehr als ein Weltliterat | Deutschland Archiv | bpb.de
"Die Biographie eines Schriftstellers sind seine Werke" Konventioneller Würdigungen Stefan Heyms bedarf es längst nicht mehr. Bereits 1988 hatte der berühmteste Schriftsteller der DDR seine als "Nachruf" betitelten Memoiren veröffentlicht, ein einzigartig spannendes wie persönliches Dokument deutsch-deutscher Zeitgeschichte. Und als der in Chemnitz als Helmut Flieg geborene Autor am 16. Dezember 2001 88-jährig in Israel verstarb, war die Zahl der Nachrufe von Weggefährten und Kollegen Legion – von Wolf Biermann über Ralph Giordano, Günter Kunert und Johannes Mario Simmel bis zu Rolf Schneider. Heym war schon immer mehr als ein erfolgreicher DDR-Literat, und das sah er selbst genauso. Einem SED-Kulturfunktionär gegenüber äußerte er 1973, schon ein Weltautor gewesen zu sein, als es die DDR noch gar nicht gab. Man möchte ergänzen: Und er war es noch, als es sie schon nicht mehr gab. In über 60 Jahren literarischen Schaffens schrieb er mehr als 30 Romane, die in fast 30 Sprachen übersetzt wurden, über 1.000 (zum Teil bis heute unveröffentlichte) Novellen und Erzählungen sowie zahlreiche Beiträge und Essays für namhafte in- und ausländische Zeitungen und Zeitschriften. Doch nicht der außergewöhnliche Umfang seines literarischen Schaffens und die Zahl seiner Leser und Bewunderer sind es, die Stefan Heym auch im zehnten Jahr nach seinem Tod interessant machen. Es war sein lebenslanges gesellschaftliches Interesse, seine Einsatz- und Kritikbereitschaft in und an den politischen Verhältnissen, in denen er lebte, sowie deren Rezeption und Reflexion in seinen Romanen und Erzählungen. Das wusste niemand besser als Heym selbst, der in seinem "Nachruf" schrieb: "Man sagt, die eigentliche Biographie eines Schriftstellers seien seine Werke. Das stimmt insofern, als die Erfahrungen seines Lebens, seine Ängste, seine Freuden in seine Schriften eingehen, und diese wiederum, durch eine Art Rückkopplung, auf dem Umweg über ihre Wirkung auf seine Zeitgenossen die Haltungen und Handlungen des Autors beeinflussen". Daher wird im folgenden Beitrag versucht, die besondere Rolle Stefan Heyms in den letzten beiden DDR-Jahrzehnten aus sowohl politischer als auch literarischer Perspektive zu beleuchten. Zum einen geht es um Heyms Verhältnis zum DDR-Sozialismus dieser Zeit, darum, welche Probleme und Auseinandersetzungen er mit der Staatsführung hatte, wie er sich dieser widersetzte und welche Konsequenzen dies hatte. Zum anderen soll Heyms Gesellschaftskritik in seinem künstlerischen Werk dargestellt werden. Da es notwendig ist, einige Vorbemerkungen der Situation von Literaten und Intellektuellen in der SED-Diktatur zu widmen, kann dies nur knapp und exemplarisch geschehen. Die Rezeption beschränkt sich deswegen auf zwei der wichtigsten Romane Stefan Heyms – den "König-David-Bericht" für die 1970er- und "Schwarzenberg" für die 1980er-Jahre. Es gilt, versteckte Botschaften in den Büchern, Verbindungen zwischen politischer Realität und literarischer Fiktion sowie deren Wirkung und gesellschaftliche Bedeutung für das deutsch-deutsche Verhältnis aufzuzeigen. Literatur und Schriftsteller in der DDR Mit der Gründung der DDR begann in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone eine offene Instrumentalisierung der Literatur durch die Politik der SED. Literaten und Künstler waren zwar im "Leseland" hoch angesehen, jedoch bei den meisten Kulturfunktionären nur dann, wenn sie ihre Arbeit in den Dienst des Sozialismus stellten. So erklärte Otto Grotewohl 1951 in einer Rede mit dem bezeichnenden Titel "Die Kunst im Kampf für Deutschlands Zukunft": "Literatur und bildende Künste sind der Politik untergeordnet. [...] Die Idee in der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen. Denn nur auf der Ebene der Politik können die Bedürfnisse der Werktätigen richtig erkannt und erfüllt werden." Die neue Phase der "Aufbauliteratur" sollte nicht nur frei sein von Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, sondern vor allem die Errungenschaften und die Entwicklung des Sozialismus darstellen. Viele Literaten folgten, teilweise aus politischer Naivität, teilweise aus Angst vor Repressalien, einige aber auch aus innerer Überzeugung den Ansprüchen der Staatsführung. Der "Bitterfelder Weg" (benannt nach einer Konferenz im dortigen Kulturpalast im Mai 1959) bezeichnete die Idee Walter Ulbrichts, Arbeiter und Schriftsteller in den Fabriken zusammenzuführen und diese selbst zum Schreiben zu inspirieren. Zudem versprach sich die SED-Spitze davon eine Umerziehung der Schriftsteller als Teil des Produktionsprozesses. Die Ergebnisse waren indes kontraproduktiv. Neben einer Unmenge von literarisch wertlosen, dafür stark ideologisch aufgeladenen Produktions- und Werktätigenromanen entstand ein zunehmend kritisches Gedankengut bei zahlreichen DDR-Autoren. Denn viele Literaten und Intellektuelle ließen sich nicht auf die ideologische Linie der Partei bringen. Sie bewahrten sich ihre Kritikfähigkeit – gegenüber der SED-Propaganda und trotz der kulturellen Isolation im Ostblock. Da es nach den Vorstellungen der Ost-Berliner Führung keinerlei Kritik an der Richtigkeit des Sozialismus geben konnte, reagierte sie mit Unverständnis auf Publikationen, die nicht im DDR-Kontext verfasst waren. Offen kritische bzw. systemfeindliche Autoren wurden zu Haftstrafen verurteilt oder nach Westdeutschland abgeschoben, vorsichtigere Kritiker mit Zensur und Veröffentlichungsverboten bestraft. Als Zäsur in die DDR-Kulturgeschichte ging das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 mit seinem kulturpolitischen Kahlschlag ein. Immer wieder forderten namhafte Schriftsteller wie Stefan Heym und Christa Wolf im Rahmen von Schriftstellerbegegnungen und internationalen Symposien die Abkehr vom sozialistischen Dogmatismus in der Literatur. Die SED reagierte darauf mit einschneidenden Maßnahmen. Zahlreichen Autoren wurde die Veröffentlichung ihrer Romane untersagt, unter anderem auch Heyms Roman über den Arbeiteraufstand 1953 "Der Tag X" – 1974 erstmalig im Westen mit dem Titel "5 Tage im Juni" veröffentlicht. Literatur galt als zulässig, solange die Darstellung der Realität in keinerlei Widerspruch zu den ideologischen Vorgaben des Realsozialismus stand. Die Folge war, dass in den Jahren nach dem "Kahlschlag-Plenum" kaum ein auch nur ansatzweise kritisches Buch ohne staatliche Zensur erschien. Der politische Literat Stefan Heym in der Ära Honecker Mit dem Amtsantritt Erich Honeckers als Generalsekretär des ZK der SED im Juni 1971 endete – zumindest vorübergehend – die Zeit massiver Repressalien für DDR-Schriftsteller. Die Ablösung Ulbrichts wurde von Künstlern und Literaten positiv aufgenommen. Sie hofften auf Verjüngung und Veränderung. Tatsächlich zeigte sich die neue SED-Führung offener als früher. Auf dem 8. Parteitag der SED erklärte Honecker: "Wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben." Insbesondere Stefan Heym profitierte vom Kurswechsel der SED. Drei seiner Bücher, die in den Jahren zuvor indiziert worden waren, erschienen nach der Veröffentlichung im Westen nun auch in der DDR: "Der König-David-Bericht" (1973), "Lassalle" – für die Westveröffentlichung war Heym 1969 zu einer Geldstrafe verurteilt worden – und die "Schmähschrift" (1974). Die Anfangsjahre der Ära Honecker galten als die Blütezeit der DDR-Literatur. Stefan Heym signiert am 7. März 1974 in Berlin seinen Roman "Lassalle". Fünf Jahre nachdem der Roman in der Bundesrepublik veröffentlicht worden war, erschien er nun auch endlich in der DDR. (© Bundesarchiv, Bild 183-N0307-0040, Foto: Hartmut Reiche) Viele Schriftsteller nutzten die neuen politischen Freiräume. Allerdings unterschieden sich die Vorstellungen von "einer festen Position zum Sozialismus" der Kulturschaffenden und -funktionäre deutlich. Eine Konsequenz war die erneute Verschärfung von Zensur und Indizierung zahlreicher Veröffentlichungen. Bereits 1973 hatte sich Honecker besorgt über einige kritische Bücher geäußert, was zunächst folgenlos blieb. Das änderte sich ab 1974. Stefan Heyms Roman "5 Tage im Juni" erschien im Westen, im Osten dagegen "entspräche das Buch den geltenden Anschauungen über das Ereignis in keiner Weise und könne daher in der DDR nicht veröffentlicht werden". Den geforderten umfänglichen Änderungen kam Heym nicht nach, die Westveröffentlichung des Originaltextes ließ er unbeeindruckt laufen. Was hatte er zu befürchten? Mit starken Repressionen musste der weltbekannte Autor, von den Nationalsozialisten verfolgte Jude, alliierte Kriegsteilnehmer und remigrierte Ex-Amerikaner nicht rechnen. Er genoss nicht zuletzt in der Sowjetunion einen hervorragenden Ruf. Zudem stand er in keinerlei Anhängigkeitsverhältnis zur SED und besaß durch seine internationalen Veröffentlichungen finanzielle Spielräume. Dessen war Heym sich bewusst und entsprechend lakonisch kommentierte er rückblickend das Veröffentlichungsverbot der "5 Tage im Juni": "Man ist ihm [Heym] böse. Aber die totale Blockade über ihn zu verhängen, scheut man sich doch, der Skandal ist ohnehin groß genug [...]." Die Rede von der Ausbürgerung Wolf Biermanns als dem "Anfang vom Ende der DDR" mag zugespitzt sein; mit Sicherheit war sie das Ende einer gewissen Entspannung in der DDR-Kulturpolitik. Nachdem das "Neue Deutschland" ("ND") über die Ausbürgerung berichtet hatte, kam es unter der Führung Stephan Hermlins zur schnellen Verständigung zahlreicher Schriftsteller, unter ihnen Christa Wolf, Sarah Kirsch, Rolf Schneider, Jurek Becker und natürlich Stefan Heym. Sie protestierten in einer Erklärung, der sich in den folgenden Tagen hunderte Künstler anschlossen, gegen die Ausbürgerung und forderten die SED-Führung auf, ihre Entscheidung zu überdenken. Die Folgen für viele der Unterzeichner waren weitreichend. Einige wurden aus der SED ausgeschlossen, einige – darunter Robert Havemann und Gernulf Pannach – unter Hausarrest gestellt, mit Auftritts- bzw. Veröffentlichungsverboten bestraft, und fast alle waren den Repressalien des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ausgesetzt. In der ersten Reihe agierte – wie immer – Stefan Heym. Die an das "ND" gereichte Biermann-Erklärung wurde nicht veröffentlicht, doch Heym gab die Petition an die Nachrichtenagentur Reuters weiter, worauf hin sie in den Westmedien erschien und großes Aufsehen sowie Unverständnis über die DDR-Kulturpolitik auslöste. Unerschrocken nutzte Heym seinen Sonderstatus. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die freiwillig oder unfreiwillig die DDR verließen, blieb Heym von den "Erziehungsmaßnahmen" der SED und Staatssicherheit verschont, wiewohl die Möglichkeit, einen weiteren Roman in der DDR veröffentlichen zu dürfen, in weite Ferne gerückt war. Der Abkühlung des Verhältnisses zwischen SED-Spitze und kritischen Autoren folge eine kulturpolitische Eiszeit. Die gravierendste Folge war neben dem Exodus zahlreicher Künstler nach Westen der Ausschluss von neun Mitgliedern aus dem DDR-Schriftstellerverband am 7. Juni 1979. Heym, dessen drei neuen Bücher nicht in der DDR erscheinen durften, ließ im Frühjahr des Jahres den Roman "Collin" bei Bertelsmann in München verlegen. Ganz bewusst unterlief er eine Bestimmung, wonach unveröffentlichte Werke erst die DDR-Zensurbehörde passieren mussten. Wieder nutzte Heym seine besondere Rolle und trat mutiger als alle seine Kollegen hervor. Entschieden sprach er sich für Demokratie und Meinungsfreiheit aus und bekundete dies öffentlich. Heym war sich sicher: Je größer die Öffentlichkeit desto geringer die Folgen. Denn einen Strafprozess gegen ihn, den weltbekannten Antifaschisten und "DDR-Freiwilligen", konnte sich die DDR nicht leisten. So erklärte er während des Tribunals des Schriftstellerverbandes: "Es ist leider so, dass gewisse Probleme, die uns betreffen, in unseren Medien nicht debattiert werden. Und dass gewisse Bücher von unseren Verlagen nicht veröffentlicht werden. Obwohl der Artikel 27 der Verfassung allen Bürgern, also auch den Schriftstellern, das Recht auf freie Meinungsäußerung zusichert, gilt nur eine Meinung bei uns." Ein Interview mit dem westdeutschen Fernsehen, in dem Heym zu den Vorfällen um seine Person Stellung nahm, löste international einen Skandal um die Disziplinierungsversuche der SED aus. Als Folge wurde innerhalb der DDR das Strafgesetz so verschärft, dass hohe Gefängnisstrafen bei negativen Aussagen über die DDR drohten. Dieser am 1. August 1979 in Kraft getretene Paragraph wurde schon bald "Lex Heym" genannt. Durch den Künstlerexodus Richtung Bundesrepublik war Stefan Heym (neben Christa Wolf) in den 1980er-Jahren zur am stärksten wahrgenommenen Stimme intellektueller Regimeskepsis mit internationalem Renommee geworden. Sein politischer Spielraum vergrößerte sich. Er hatte weitgehend unbeschadet die Querelen in den späten 1970er-Jahren überstanden. Wenn ihn die DDR-Führung doch noch Richtung Westen abschieben sollte, hatte er sowohl finanzielle Sicherheit als auch einen gesamtdeutsch derart hohen Stellenwert, dass er auch weiterhin im für ihn so wichtigen öffentlichen Interesse stehen würde. Heym, sich seiner telegenen Wirkung wohl bewusst, nutzte im letzten Jahrzehnt der DDR verstärkt das westdeutsche Fernsehen, um seine Meinung dem westdeutschen, aber vielmehr noch seinem ostdeutschen Publikum mitzuteilen. Seine Themenschwerpunkte hatten sich gewandelt. Zu Heyms zentralen Anliegen zählten die Befriedung internationaler Konflikte, atomare Abrüstung und die Zukunft des geteilten Deutschlands, wobei der Sozialist Heym trotz aller Kritik an der DDR nie einen Zweifel daran ließ, welches System er für das bessere hielt. Die Veränderungen in der UdSSR seit der Machtübernahme Michail Gorbatschows nutzte Heym konsequent, um mit indirekter sowjetischer Legitimation Missstände in der DDR noch schärfer anzuprangern, Veränderungen noch vehementer zu fordern und die Machthaber noch offensiver und offensichtlicher zu kritisieren. Dass Stefan Heym in den letzten Wochen der DDR abermals eine bedeutende Rolle spielen würde, verstand sich für ihn selbstredend. Obwohl die Geschehnisse und Veränderungen im Herbst 1989 in seinem Sinne waren, enthielten die meisten seiner Aussagen vorausschauende Mahnungen. Heym beurteilte die Reformen zwar positiv, warnte allerdings vor den Gefahren einer verfrühten Wiedervereinigung – noch bevor die Mauer fiel. In zwei Essays, die im Oktober 1989 in der "Zeit" und im "Spiegel" erschienen, warb er für die Rettung der DDR unter neuer Führung und die Verwirklichung des "wahren" Sozialismus. Am 8. November unterzeichnete er mit zahlreichen DDR-Prominenten den Aufruf "Für unser Land". Die am folgenden Tag beginnende Öffnung der Grenzen und damit die Überwindung der 28-jährigen DDR-Isolation seit dem Bau der Mauer war für Stefan Heym zweifellos eine Stunde des Triumphes. Doch im Gegensatz zum Großteil seiner Landsleute verfiel Heym nicht in Euphorie. In einem Interview am Tag des Mauerfalls äußert er sich – typisch für das kritische, moralisierende, aber auch misstrauische Wesen Heyms – besorgt über die menschlichen und wirtschaftlichen Probleme, die nun folgen würden. Dissidenz im literarischen Schaffen Stefan Heyms Heyms politische Überzeugungen und sein Engagement gegen die Missstände in der DDR sowie seine offenen Kritikbekundungen gegenüber der SED finden sich in zahlreichen seiner Romane. So bezeichnete der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki Heyms epische Formen als Verpackung für zeitkritische Befunde und polemische Diagnosen. Die Breitenwirkung, nicht die Kunstform seiner Bücher stelle Heym in den Vordergrund. Dies sei das Besondere, das Wesentliche seiner Werke, so Reich-Ranicki weiter. Die Qualität der Prosa nennt Reich-Ranicki gelegentlich etwas hausbacken, mit groben Mitteln agierend und daher in der Gefahr, seine Bücher in die Nähe der Kolportage geraten zu lassen. Die direkte und unterhaltsame Weise, wie Heym in seinen Romanen die Auseinandersetzung mit der DDR-Spitze sucht und aufklärerisch die Missstände des Landes offenbart, waren für Reich-Ranicki hingegen das besondere Verdienst um dessen Literatur. Im "König-David-Bericht" erzählt Stefan Heym die biblische Geschichte um die Legende von David gegen Goliath weiter. Die Hauptfigur des Romans, Ethan, hat am Hof von König Salomo in Jerusalem die Aufgabe, die historischen Begebenheiten um den Sieg von Salomos Vater David über den Riesen Goliath niederzuschreiben. Während seiner Recherche erkennt Ethan, dass die Wahrheit jedoch nicht der glanzvolle Sieg Davids und seiner Leute ist, sondern eine umstrittene Geschichte voller Unklarheiten, Lügen und Intrigen. Die Offenlegung seiner Ermittlungen erregt den Hofstab Salomos derart, dass Ethan vor der Verkündung des Todesurteils steht. Nur das "salomonische" Urteil des Königs lässt ihn überleben, allerdings mit der Konsequenz, dass der Inhalt des König-David-Berichtes für alle Zeiten tot geschwiegen werden solle. Offenkundig handelt es sich bei Heyms Roman nicht um ein historisches Werk, sondern um die verschlüsselte Schilderung des Schriftstellerdaseins in einer Diktatur. Heym selbst ist durch die Betonung persönlicher Eigenschaften deutlich als Hauptfigur Ethan auszumachen. Aber auch andere Charaktere sind erkennbar an die DDR-Realität angelehnt. So erscheinen im Roman neben dem Hofstab als dem Heer sozialistischer Funktionäre die Tempelwächter Krethi und Plethi als Angehörige der Staatssicherheit, aber auch mutige Bürger als Oppositionelle der DDR. Zudem belegen nicht nur personelle, sondern auch sprachliche Parallelen, dass die historische Kulisse nur als Stilmittel dient. Heyms Duktus ist nicht altertümlich, sondern im DDR-Jargon geschrieben. Spöttisch nennt er den Schriftsteller Ethan einen "behördlich zugelassenen Erzähler von Geschichten und Legenden". Eine im Buch enthaltene Preisliste ist in sächsischer Mundart geschrieben und ein Verhör mit Ethan im typisch repressiven Stil der Staatssicherheitsrhetorik abgefasst. Reich-Ranicki urteilte, eben dieser Witz und diese Ironie seien die Stärke des Buches, während er Schwachstellen dort sieht, wo Heym versuche, dramatisch und feierlich zu werden. Heinrich Böll hingegen äußerte sich 1972 hochlobend über den Roman, nannte ihn phantasievoll, witzig, frech, verbunden mit dem Wunsch, Heym ständig zitieren zu wollen. Beide unterstrichen den enormen – auch gesamtdeutschen – Stellenwert des "König-David-Berichts" aufgrund der politischen Brisanz des Buches. Wegen der Auseinandersetzungen mit dem Führer- und Personenkult im Sozialismus, den Propagandamethoden der SED, der trotz aller Offensichtlichkeit gewählten Vergleiche mit der DDR, des Mutes, diese zu äußern und sich damit vor allem den DDR-Bürgern mitzuteilen, gilt der "König-David-Bericht" als eines der Schlüsselwerke Stefan Heyms. Zu den Autoren, die im Zuge der "Biermann-Affäre" die DDR verließen, gehörte auch Günter Kunert, hier mit Stefan Heym auf einem Empfang des Bertelsmann Verlages anlässlich der Veröffentlichung von Heyms "Schwarzenberg" in Hamburg, 15. März 1984. (© AP, Foto: Helmut Lohmann) 1984 erschien der Roman "Schwarzenberg" im Bertelsmann-Verlag. Es war das erste Mal, dass Heym im Westen nicht zunächst in englischer Sprache veröffentlichte. Er wählte dieses Mittel gern, um Angriffe und Kritik gegen die DDR-Führung weniger eindeutig und stärker interpretierbar zu formulieren. Dass "Schwarzenberg" gleich in deutscher Sprache verlegt wurde, zeigt deutlich, wie machtlos die SED in ihrer Endphase gegenüber Heyms politischer Einflussnahme und literarischen Äußerungsmöglichkeiten war. Das Buch handelt von der historischen Begebenheit des Gebietes um die erzgebirische Stadt Schwarzenberg, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für sieben Wochen weder von sowjetischen noch von amerikanischen Truppen besetzt wurde. Diese zeitgeschichtliche Vorlage nutzt Heym, um die Illusion einer freien sozialistischen Demokratie in Deutschland darzustellen. Doch seine Utopie einer "Republik Schwarzenberg" ist nichts anderes als eine Generalabrechnung mit den realen Entwicklungen in der DDR. Er beschreibt nicht nur die Greultaten und Hinterlassenschaften der Nationalsozialisten sowie deren Unfähigkeit zur Vergangenheitsbewältigung, sondern auch die heiklen Verhandlungen mit den Siegermächten und die Verbrechen der amerikanischen und sowjetischen Armeen während der Besatzungszeit. Aber nicht nur den Alltag der Nachkriegszeit benutzt er, um zu kritisieren. Vielmehr zeichnet er das Bild von einer freien Entwicklung und Verwirklichung des Sozialismus ohne Bevormundung. Am Ende des Romans scheitert Heyms Vision wie in der Realität an der Besetzung Schwarzenbergs durch die Sowjetunion und deren Interesse am Uran im Erzgebirge. Wie alle (zeit-)historischen Romane Heyms beruht "Schwarzenberg" auf Originalquellen. Im Gegensatz zu anderen Büchern war er hierbei sehr eingeschränkt. Heym selbst recherchierte einen Großteil des Materials über die Enklave im Süden der sowjetischen Besatzungszone. Dies prägt den Stil des Buches. Heym schreibt stark journalistisch, durch die umfassende Anreicherung mit vermeintlichen Fakten wirkt der Text beinahe dokumentarisch. Doch wie die meisten Heym-Romane gewinnt auch "Schwarzenberg" seine besondere Bedeutung nicht aus sprachlich-stilistischen Mitteln, sondern aus der politischen Brisanz des Stoffes. Sowohl Heyms Vision vom "wahren" Sozialismus als auch die Negativdarstellung der Besatzungsmacht Sowjetunion, welche er ironisch als "die Freunde" und "die große ruhmreiche Sowjetarmee" bezeichnet, machen "Schwarzenberg" zu einem der kritischsten DDR-Romane überhaupt. Stefan Heym und die Überwindung der SED-Diktatur Stefan Heym spricht auf der Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-039, Foto: Hubert Link) 1990 traf Stefan Heym das Schicksal vieler ostdeutscher Bürgerrechtler und Dissidenten: Was er wollte, bekam er nicht – eine demokratische und sozialistische DDR –, und was er bekam, wollte er nicht – den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Darum mutet es paradox an, dass gerade Heyms Verdienste um das Ende der SED-Herrschaft – politisch wie literarisch – herauszustellen sind. Kein anderer DDR-Schriftsteller wagte sich beim Widerstand gegen die SED-Herrschaftspraxis soweit hervor wie er, allerdings konnte auch niemand aus einer derart komfortablen Position schreiben wie er. Die meisten seiner Kollegen waren entweder überzeugte Sozialisten oder opportunistische Mitläufer. Kritische Autoren mussten dagegen häufig den Weg der Ausreise nach Westdeutschland wählen. Diese Option stellte sich für Heym nie ernsthaft. Erstens hielt er trotz aller Kritik den Sozialismus für das bessere System, zweitens fühlte er sich stets seinen Lesern in Ost und West verpflichtet und wollte seine Anhänger im Osten nicht im Stich lassen. Drittens war es nicht zuletzt eine gute Portion Eitelkeit, die "den Querulanten" der DDR zu einem stets gern gesehenem Gast in den Westmedien machte. Als ehemaliger Ost-Schriftsteller in der Bundesrepublik wäre er nur einer unter vielen gewesen, was ihn viertens nicht zuletzt aus finanziellen Gründen in der DDR hielt, wo er sich fünftens den Nimbus des Ausnahmeliteraten uneingeschränkt bewahren konnte. Stefan Heyms literarisches Oeuvre zählt in Umfang und Bedeutung zu den wichtigsten Werken der deutschen Nachkriegsliteratur. Viele seiner Bücher wurden zu internationalen Bestsellern und seine verständlichen, häufig ironisch witzigen, wenn auch nicht immer bestechenden und brillanten Ausdrucksformen sind sein Markenzeichen. Doch Stefan Heym spielte unter den DDR-Schriftstellern nicht nur wegen seiner Biografie und seines Renommees eine herausragende Rolle – er nutzte diese auch bei vielen Gelegenheiten. Die gewaltige Wirkung von Heyms Belletristik hat zwei wesentliche Ursachen. Zum einen waren Heyms Bücher keine gesellschaftlich unbedeutenden Individualgeschichten, sondern stets zeitkritische Befunde über Probleme und Missstände in der DDR, die er in seinen Romanen aus literarischer Fiktion und politischer Realität geschickt verknüpfte. Zum anderen machte ihn diese für DDR-Verhältnisse kritische Schreibweise sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR zu einem vielbeachteten Autor. Da die meisten Westschriftsteller im Osten nicht veröffentlichen durften und es außer Heym und Christa Wolf keine DDR-Literaten gab, die es in der Bundesrepublik zu größerem Erfolg gebracht hatten, lässt sich die These aufstellen, dass Stefan Heym in der Zeit des Kalten Krieges der meistgelesene Gegenwartsautor in Gesamtdeutschland war und somit auf künstlerischem Gebiet einen entscheidenden Teil zum Zusammenhalt der beiden deutschen Staaten beigetragen hat. Konsequent zeichnete er ein kritisches Abbild der (real)sozialistischen Diktatur, offerierte somit seinen Lesern, aber auch Künstlerkollegen und Politikern im In- und Ausland die Fehlentwicklungen in seiner Heimat und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur inneren wie äußeren Destabilisierung der DDR. Dies erkannte der deutsche Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll lange vor dem Ende des "sozialistischen Experimentes". 1972 schrieb er treffend wie vorausschauend über Stefan Heym und die DDR: "Was nutzen Verträge, Annäherungen, Normalisierung, Beteuerungen, wenn ein Autor nicht da erscheinen darf, wo die Sprache gesprochen und gelesen wird, in der er schreibt? Das wird letzten Endes nur peinlich und ist eines Staates unwürdig, der international anerkannt sein möchte, aber seine Literatur, die längst international anerkannt ist, selbst nicht anerkennt." Stefan Heym signiert am 7. März 1974 in Berlin seinen Roman "Lassalle". Fünf Jahre nachdem der Roman in der Bundesrepublik veröffentlicht worden war, erschien er nun auch endlich in der DDR. (© Bundesarchiv, Bild 183-N0307-0040, Foto: Hartmut Reiche) Zu den Autoren, die im Zuge der "Biermann-Affäre" die DDR verließen, gehörte auch Günter Kunert, hier mit Stefan Heym auf einem Empfang des Bertelsmann Verlages anlässlich der Veröffentlichung von Heyms "Schwarzenberg" in Hamburg, 15. März 1984. (© AP, Foto: Helmut Lohmann) Stefan Heym spricht auf der Kundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. (© Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-039, Foto: Hubert Link) Ein vollständiges Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur von bzw. über Stefan Heym bietet die Stefan-Heym-Sammlung unter: http://www.stefan-heym-gesellschaft.de/werke/ [5.9.2011]. Siehe ausführlich zu Heyms Nachlass: Peter Hutchinson, Das Stefan-Heym-Archiv an der Universitätsbibliothek Cambridge. Umfang und Bedeutung, in: DA 26 (1993) 10, S. 1192–1195, u. http://www.lib.cam.ac.uk/deptserv/manuskripts/heym.html [31.8.2011]. Stefan Heym, Nachruf, München 1988, S. 786. Zit.: Günther Rüther, Die deutsche Literatur – ein Bindeglied der geteilten Nation, in: Ders. (Hg.), Kulturbetrieb und Literatur in der DDR, 2. Aufl., Köln 1988, S. 7–35, hier 12. Siehe im Einzelnen Günter Agde (Hg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED, 2. Aufl., Berlin 2000, u. Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000, Leipzig 2001, S. 229–239. Zit.: Beschlüsse und Dokumente des 8. Parteitages der SED, Berlin (O.) 1971. Vgl. Peter Hutchinson, Stefan Heym, Dissident auf Lebenszeit, Würzburg 1999. Stefan Heym, Nachruf, München 1988, S. 792. Stefan Heym, Nachruf, München 1988, S. 792. Fritz Pleitgen (Hg.), Die Ausbürgerung. Wolf Biermann und andere Autoren. Anfang vom Ende der DDR, Berlin 2001. Zit.: Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000, Leipzig 2001, S. 312. Vgl. Johannes Raschka, Politische Hintergründe des Strafvollzugsgesetzes von 1977. Widersprüche der Rechtspolitik während der Amtszeit Erich Honeckers, in: Leonore Ansorg u.a. (Hg.), "Das Land ist still – noch!". Herrschaftswandel und politische Gegnerschaft in der DDR (1971–1989), Köln u.a. 2009, S. 57–72, hier 70. Vgl. Peter Hutchinson, Stefan Heym, Dissident auf Lebenszeit, Würzburg 1999, S. 170f. Vgl. hierzu u. i. Folgenden: Robert Grünbaum, Jenseits des Alltags. Die Schriftsteller der DDR und die Revolution von 1989/90, Baden-Baden 2000. Die beiden Essays "Neue Hoffnung für die DDR" ("Die Zeit") und "Zwischenbericht" ("Der Spiegel") in: Stefan Heym, Einmischung. Gespräche, Reden, Essays, München 1990, S. 239–244 u. 249–256. Vgl. Marcel Reich-Ranicki, Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR, Stuttgart 1991, S. 69f. Vgl. Marcel Reich-Ranicki, Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR, Stuttgart 1991, S. 72. Vgl. Heinrich Böll, Der Lorbeer ist immer noch bitter, in: Der Spiegel, 18.9.1972. Vgl. Marcel Reich-Ranicki, Ohne Rabatt. Über Literatur aus der DDR, Stuttgart 1991, S. 71–73. Siehe im Einzelnen Stefan Heym, Schwarzenberg, ungekürzte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1987. Vgl. dazu Lenore Lobeck, Schwarzenberg. Legende und Wirklichkeit, in: DA 38 (2005) 2, S. 244–249. Siehe Eckhard Jesse, Systemwechsel in Deutschland. 1918/19–1933–1945/49–1989/90, Köln u.a. 2010, S. 136–156. Heinrich Böll, Der Lorbeer ist immer noch bitter, in: Der Spiegel, 18.9.1972.
Article
Tom Thieme
"2023-02-28T00:00:00"
"2012-01-11T00:00:00"
"2023-02-28T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/53090/mehr-als-ein-weltliterat/
Stefan Heym war der berühmteste Schriftsteller der DDR und einer ihrer lautesten Dissidenten. Ob im sozialistischen Alltag oder in seinen Werken – als Autor mit Weltruf besaß er eine Sonderstellung. Diese nutzte Heym konsequent, um zu kritisieren und
[ "Zeitgeschichte", "Mauerbau", "Wahl", "Mauer", "Kalter Krieg", "Deutschland", "DDR" ]
30,673
Quiz zum "Earth Day" | Deine tägliche Dosis Politik | bpb.de
🌄 Guten Morgen! Morgen ist, wie jedes Jahr am 22. April, "Tag der Erde" oder "Earth Day" – ein internationaler Aktionstag, der alle Menschen dazu aufruft, sich für Umwelt- und Klimaschutz und einen nachhaltigen Lebensstil einzusetzen. Wie gut kennst du dich mit Ressourcenverbrauch und nachhaltigem Leben aus? 💡 Teste dein Wissen im Interner Link: Quiz! ➡️ Mehr zum Thema Umwelt- und Klimaschutz findest du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp1921 Viele Grüße Diene bpb Social Media Redaktion
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2023-04-21T00:00:00"
"2023-04-21T00:00:00"
"2023-04-21T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/520269/quiz-zum-earth-day/
Morgen ist, wie jedes Jahr am 22. April, "Tag der Erde" oder "Earth Day" – ein internationaler Aktionstag, der alle Menschen dazu aufruft, sich für Umwelt- und Klimaschutz und einen nachhaltigen Lebensstil einzusetzen. Wie gut kennst du dich mit Ress
[ "Deine tägliche Dosis Politik Quiz", "Deine tägliche Dosis Politik", "Earth Day" ]
30,674
Referentinnen | 13. Bundeskongress Politische Bildung – Ungleichheiten in der Demokratie | bpb.de
Steffi Schäfer (© Privat) Steffi Schaefer Steffi Schaefer arbeitet seit Abschluss ihres Studiums der Islam- und Politikwissenschaften in der Politischen Bildung und Dialogarbeit. 2013 schloss sie ihre Ausbildung zur Betzavta-Trainerin ab. Zurzeit ist sie freiberuflich in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig und engagiert sich für die Extremismusprävention. Heike Gess (© Privat) Heike Gess Heike Gess ist Diplompädagogin und arbeitet als freiberufliche Trainerin und Coach mit den Schwerpunktthemen: demokratische und interkulturelle Bildung, Konfliktlösung und Partizipation. Sie arbeitet überwiegend in der außerschulischen Jugend-und Erwachsenenbildung, sowie der Multiplikator_innenbildung. Außerdem ist sie Ausbildungstrainerin für das Trainingsprogramm Betzavta. Steffi Schäfer (© Privat) Heike Gess (© Privat)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2015-02-18T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/veranstaltungen/reihen/bundeskongress-politische-bildung/13-bundeskongress-politische-bildung-ungleichheiten-in-der-demokratie/201413/referentinnen/
[ "" ]
30,675
Video: Dokumentationen, Filme & Erklärvideos | Infodienst Radikalisierungsprävention | bpb.de
Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & Hintergrund-InfosNewsletter zu Radikalisierung & Prävention abonnieren Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement 1. Dokumentationen und Reportagen Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. 1.1 Portraits von radikalisierten Menschen und ihren Angehörigen Interner Link: Deutsche im Dschihad. Kämpfen für Allah44 Minuten, ZDF, 2022 Interner Link: Leonora M. – Einmal IS-Terror und zurück3x 30-40 Minuten, NDR, 2022 Interner Link: Das Erbe des Dschihad. Was tun mit Deutschlands "IS"-Terroristen?5 x 10-20 Minuten, ProSieben, 2022 Interner Link: Leonora – Wie ein Vater seine Tochter an den IS verlor59 Minuten, NDR, 2019 Interner Link: Der Gefährder – Ein Islamist packt aus44 Minuten, phoenix, 2018 Interner Link: Tracing Addai30 Minuten, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, 2018 1.2 Prävention, Radikalisierung & Islamismus Interner Link: Mechelen. Wie ein belgischer Bürgermeister gegen Extremismus vorgeht37 Minuten, Der Standard, 2021 Interner Link: Dokumentation zur Präventionspraxis in Deutschland35 Minuten, mobyDOK, 2019 Interner Link: Salafismus im Kinderzimmer20 Minuten, BR24, 2018 Interner Link: Allahs deutsche Schwerter27 Minuten, Landeszentrale für politische Bildung NRW, 2012 1.3 Dschihadismus, Terrorismus & der "Islamische Staat" Interner Link: Gefangen vom "Islamischen Staat": Jesidin Jihan überlebt Genozid18 Minuten, funk: TRU DOKU, 2022 Interner Link: Das Geschäft mit dem Terror. Geheimdienste und der Dschihad60 Minuten, Hessischer Rundfunk, 2022 Interner Link: Anschlag Breitscheidplatz – Neue Spuren3 x 31-38 Minuten, rbb, 2022 Interner Link: 13. November: Angriff auf Paris3 x 47-58 Minuten, Gedeon und Jules Naudet, 2018 Interner Link: Life Inside Islamic State17 Minuten, BBC Radio 4, 2017 1.1 Portraits von radikalisierten Menschen und ihren Angehörigen Deutsche im Dschihad. Kämpfen für Allah 44 Minuten, ZDF, 2022 Über 1.150 deutsche Bürgerinnen und Bürger haben sich in den vergangenen Jahren dem "Islamischen Staat" in Syrien und im Irak angeschlossen. Die Dokumentation erzählt von den (ehemaligen) "IS"-Mitgliedern, ihrem Leben bei der Terrororganisation und ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik. Verfügbar auf Externer Link: zdf.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora M. – Einmal IS-Terror und zurück 3x 30-40 Minuten, NDR, 2022 Mit 15 Jahren schließt sich Leonora M. der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Syrien an und lebt dort sieben Jahre lang mit einem Dschihadisten zusammen. Die dreiteilige Reportage erzählt von den Erlebnissen der jungen Frau beim "IS" und dem jahrelangen Kampf ihres Vaters, seine Tochter zurückzuholen. Wie ist Leonora die Rückkehr gelungen, wie funktioniert ein Neuanfang in Deutschland? Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Das Erbe des Dschihad. Was tun mit Deutschlands "IS"-Terroristen? 5 x 10-20 Minuten, ProSieben, 2022 Wie kommt ein 19-jähriger Deutscher dazu, sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen? Warum tut sich Deutschland so schwer, ehemalige Angehörige des "IS" zurückzuholen? Um diese Fragen zu klären, reist Journalist Thilo Mischke nach Syrien. Mit dabei: die Großmutter eines deutschen "IS"-Kämpfers, die ihren Enkel wiederfinden will. Ganze Folge verfügbar auf Externer Link: prosieben.de Teil 1 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 2 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 3 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 4 verfügbar auf Externer Link: youtube.com Teil 5 verfügbar auf Externer Link: youtube.com In der Talkshow "Zervakis & Opdenhövel" spricht Mischke über die Dreharbeiten und deren Nachwirkungen. Zum Talk mit Zervakis & Opdenhövel auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora – Wie ein Vater seine Tochter an den IS verlor 59 Minuten, NDR, 2019 Ein Vater kämpft um seine Tochter, die sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien angeschlossen hat. Vier Jahre lang begleiten Reporter den Vater dabei, wie er Schleuser trifft, mit Terroristen verhandelt und versucht, seinen Alltag als Bäcker in Sachsen-Anhalt zu meistern. Über Sprachnachrichten halten Vater und Tochter Kontakt. Verfügbar auf Externer Link: ndr.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Gefährder – Ein Islamist packt aus 44 Minuten, phoenix, 2018 Eren R. gilt bei Sicherheitsbehörden als potenzieller Attentäter. In der Dokumentation spricht er über seinen Lebensweg. Er berichtet, wie er als Mitglied einer kriminellen Bande in die islamistische Szene hineinkam und Geld für den islamistischen Kampf beschaffte. Er saß mehrfach im Gefängnis, dennoch arbeitete er für Sicherheitsfirmen bei großen Veranstaltungen. Verfügbar auf Externer Link: youtube.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Tracing Addai 30 Minuten, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, 2018 Der Dokumentarfilm "Tracing Addai" zeichnet die letzten Spuren des 21-jährigen Deutschen Addai nach, der sich einer salafistischen Vereinigung anschließt und im Syrienkrieg unter mysteriösen Umständen mutmaßlich ums Leben kommt. Mit seiner dokumentarischen Erzählung rekonstruiert der Film fragmentarisch die letzten Monate eines jungen Mannes, dessen Weg ohne Wiederkehr über eine islamistische Gruppe nach Syrien führte und lässt ihn durch animierte szenische Bilder noch einmal lebendig werden. Pädagogische Begleitmaterialien machen den Film für Lernkontexte ideal einsetzbar. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 1.2 Prävention, Radikalisierung & Islamismus Mechelen. Wie ein belgischer Bürgermeister gegen Extremismus vorgeht 37 Minuten, Der Standard, 2021 Von der unsichersten Stadt Belgiens zum Vorzeigemodell für Integration und Extremismusprävention – dank Bart Somers hat die Stadt Mechelen diesen Wandel geschafft. Für ein Porträt hat sich die österreichische Tageszeitung Der Standard mit dem langjährigen Bürgermeister getroffen, um mehr über sein Erfolgsrezept zu erfahren: Wie lässt sich Integration in einer multikulturellen Stadt wie Mechelen fördern? Und welche seiner Strategien haben sich in der Extremismusprävention bewährt? Verfügbar auf Externer Link: derstandard.at Interner Link: Zum Anfang der Seite Dokumentation zur Präventionspraxis in Deutschland 35 Minuten, mobyDOK, 2019 Im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden zahlreiche Präventionsprojekte gefördert. Im Dokumentarfilm berichten Präventionsakteure von ihrer Arbeit. Eine Web-Dokumentation bietet Hintergründe zum Film. In Animationen werden ausschnitthaft Szenen wiedergegeben, die das Filmteam während der Reise durch Deutschland erlebt hat. Verfügbar auf der Externer Link: Dokumentations-Website projekt-praevention.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Salafismus im Kinderzimmer 20 Minuten, BR24, 2018 Der Beitrag des BR-Politmagazins "kontrovers" beschäftigt sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der salafistischen Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen. Die Journalistinnen und Journalisten sprechen mit Verantwortlichen der "Beratungsstelle Radikalisierung" beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie beim LKA Bayern. Sie berichten über die bayerischen Präventionsprojekte "MotherSchools" und "ReThink". Sie reden mit der Mutter eines Salafisten über die salafistische Erziehung ihrer Enkelkinder und versuchen – vergeblich – mit salafistischen Moscheen Kontakt zu diesem Thema aufzunehmen. Verfügbar auf Externer Link: br.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Allahs deutsche Schwerter 27 Minuten, Landeszentrale für politische Bildung NRW, 2012 Die Dokumentation zeigt ein weites Spektrum an Islamisten in Deutschland: Von strenggläubigen Salafisten über die Sauerland-Gruppe, die konkrete Anschläge plante, bis zu Pierre Vogel, dem einflussreichsten deutschen Konvertiten und Hassprediger. Ein Aussteiger berichtet über Ziele und Methoden der salafistischen Szene. Auch die moderatere, vom Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung "Millî Görüş" ist Thema. Verfügbar auf Externer Link: politische-bildung.nrw.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 1.3 Dschihadismus, Terrorismus & der "Islamische Staat" Gefangen vom "Islamischen Staat": Jesidin Jihan überlebt Genozid 18 Minuten, funk: TRU DOKU, 2019 Die Reportage erzählt die Geschichte der 18-jährigen Jihan. Die Jesidin überlebt 2014 die Gefangenschaft des sogenannten Islamischen Staates in Syrien. Sie und ihre Familie werden von "IS"-Kämpfern entführt, versklavt und zum Teil vergewaltigt. Jihan konnte entkommen, doch bis heute weiß sie nicht, was mit ihrem Vater und allen Geschwistern passiert ist. Triggerwarnung: Im Video geht es um Krieg und sexualisierte Gewalt. Das kann belastend oder retraumatisierend sein. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Das Geschäft mit dem Terror. Geheimdienste und der Dschihad 60 Minuten, Hessischer Rundfunk, 2022 Wer steht hinter den islamistischen Terroristinnen und Terroristen, die Europa angreifen? Wer plant, beauftragt und finanziert die Anschläge? Die Dokumentation forscht nach den Hintergrundakteuren, die die Terroranschläge der vergangenen Jahre initiierten und koordinierten. Die Spuren führen zum pakistanischen Geheimdienst ISI. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Anschlag Breitscheidplatz – Neue Spuren 3 x 31-38 Minuten, rbb, 2022 Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Journalisten des rbb sprechen für die Video-Serie mit Opfern, Ermittlungsbehörden und Vertrauten des Täters Anis Amri und gehen neuen Spuren nach, um die Hintergründe der Tat aufzuarbeiten. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 13. November: Angriff auf Paris 3 x 47-58 Minuten, Gedeon und Jules Naudet, 2018 Die dokumentarische Mini-Serie "13. November: Angriff auf Paris" ist auf Netflix verfügbar. In drei Episoden zeichnet sie die Geschehnisse der Pariser Terroranschläge im November 2015 nach und erzählt die Geschichten von Überlebenden, Feuerwehr, Polizei und Regierung. Das sei "atemlos spannend", so Spiegel.de. Allerdings wird auch kritisiert, dass die Serie traumatische Erlebnisse funktionalisiere und daraus Unterhaltungsware mache. Verfügbar auf Externer Link: netflix.com (kostenpflichtiges Abo notwendig) Interner Link: Zum Anfang der Seite Life Inside Islamic State 17 Minuten, BBC Radio 4, 2017 In einer animierten Kurzdokumentation berichtet ein Aktivist, der sich gegen den "IS" einsetzt, aus Raqqa vom Horror des alltäglichen Lebens unter der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staats. Für die Dokumentation stand BBC Radio 4 Korrespondent Mike Thomson in sporadischem Kontakt mit dem Aktivisten, der ihm tagebuchartige Aufzeichnungen übermittelte. Verfügbar auf Externer Link: vimeo.com Interner Link: Zum Anfang der Seite 2. Spielfilme und Serien Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Black Crows30 x 30 Minuten, Leen Fares, 2017 Interner Link: Der Himmel wird warten1 Stunde und 55 Minuten, Neue Visionen Filmverleih, 2016 Black Crows 30 x 30 Minuten, Leen Fares, 2017 Auf Netflix ist die fiktive Serie "Black Crows" verfügbar, die das tägliche Leben unter der Herrschaft des sogenannten Islamischen Staats darstellt. Dabei spielen Frauen zentrale Rollen, wie eine jesidische Sklavin, eine Undercover-Reporterin und eine Mutter, die den "IS" unterstützt. Auch die Ausbildung von Kindern zu Kämpfern wird nacherzählt. Produziert wurde die 30-teilige Serie vom Sender MBC, der seinen Hauptsitz in Dubai hat. Laut kino.de stützt sich die Serie inhaltlich auf Berichte von Augenzeugen, die den Terror überlebt haben oder früher selbst "IS"-Anhänger waren. Verfügbar auf Externer Link: netflix.com (kostenpflichtiges Abo notwendig) Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Himmel wird warten 1 Stunde und 55 Minuten, Neue Visionen Filmverleih, 2016 Was bringt junge Frauen in Europa dazu, sich dem Dschihad anzuschließen? Und wie können sie den Weg zurück in unsere Gesellschaft finden? Diesen Fragen geht das Spielfilmdrama "Der Himmel wird warten" nach. Die Geschichten der Protagonistinnen Mélanie und Sonia beschreiben eine Entwicklung in entgegengesetzte Richtungen: den Weg von der Normalität in die Radikalisierung und umgekehrt. Dabei werden die einzelnen Stufen von Mélanies Radikalisierungsprozess ebenso detailliert nachgezeichnet wie die schrittweisen Erfolge, die Sonia durch die Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm und die Unterstützung ihrer Eltern erlebt. Begleitend zu dem Film stellt die bpb Arbeitsaufgaben zur Verfügung. Neben diesen Unterrichtsmaterialien gibt es auch eine Filmbesprechung, themenbezogene Hintergrundtexte sowie ein Interview mit Pierre Asisi, einem Präventionsexperten von ufuq.de. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 3. Erklärvideos Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Radikalisierung hat kein Geschlecht11 x 11-20 Minuten, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 2022 Interner Link: Forschungsprojekt "Gesellschaft Extrem"6 x 6-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2018 Interner Link: Radikalisierung von Muslimen19 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Interner Link: Strategien gegen Radikalisierung20 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Interner Link: Forschungsprojekt "Salafismus in Deutschland"6 x 7-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2016 Interner Link: Was ist Salafismus?12 Minuten, Arte/Bundeszentrale für politische Bildung, 2013 Radikalisierung hat kein Geschlecht 11 x 11-20 Minuten, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, 2022 Wie hängen Geschlecht und Radikalisierung zusammen? Wie beeinflussen Geschlechterklischees die Wahrnehmung von Radikalisierung? Und wie geht geschlechtersensible Präventionsarbeit? Die Videoreihe erklärt Begriffe, thematisiert Vorurteile und beleuchtet praktische Präventionsansätze in Bezug auf Gender und Extremismus phänomenübergreifend. Neben den Videos werden Infomaterialien und Plakate zur Verfügung gestellt. Verfügbar auf Externer Link: stmas.bayern.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Forschungsprojekt "Gesellschaft Extrem" 6 x 6-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2018 In sechs kurzen Videos erläutern Fachleute die zentralen Thesen sowie die wichtigsten Handlungsoptionen ihrer Forschungsprojekte. Die Expertinnen und Experten sind Teil des vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) koordinierten Forschungsprojekts "Gesellschaft Extrem: Radikalisierung und Deradikalisierung in Deutschland". Die Themen: Radikalisierung von Individuen Brücken-Narrative Radikalisierung der Gesellschaft? Herausforderung Deradikalisierung Die Rolle des Internets und sozialer Medien für Radikalisierung und Deradikalisierung Evaluation in der Extremismusprävention Verfügbar auf Externer Link: gesellschaftextrem.hsfk.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Radikalisierung von Muslimen 19 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Viele der Tatbeteiligten der Anschläge in Paris und Brüssel sind in Frankreich und Belgien aufgewachsen und haben sich dort radikalisiert. Auch in Deutschland radikalisieren sich junge Musliminnen und Muslime. Für die Gesellschaft ist das eine enorme Herausforderung. Fachleute beantworten unter anderem diese Fragen: Wer radikalisiert sich, und warum? Ist das vergleichbar mit anderen Extremismen? Und welche Rolle spielt dabei der Islam? Die Interviewten: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Professor für Islamische Religionspädagogik, Universität Münster), Ahmad Mansour (Psychologe, European Foundation for Democracy), Prof. Dr. Christine Schirrmacher (Islamwissenschaftlerin, Universität Bonn), Dr. Guido Steinberg (Islamwissenschaftler, Stiftung Wissenschaft und Politik), Dr. Marwan Abou Taam (Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz) Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite Strategien gegen Radikalisierung 20 Minuten, Bundeszentrale für politische Bildung, 2017 Wie kann man gegen die Radikalisierung junger Menschen vorgehen? Fünf Fachleute legen im Erklärfilm dar, wie Gesellschaft und Sicherheitsbehörden dieser Herausforderung begegnen können. Sie beantworten unter anderem diese Fragen: Wo kann Präventionsarbeit ansetzen, um Radikalisierung zu verhindern? Welche Rolle kann islamischer Religionsunterricht spielen? Wie kann Deradikalisierung gelingen? Welche Sicherheitsmaßnahmen sind sinnvoll? Die Interviewten: Prof. Dr. Mouhanad Khorchide (Professor für Islamische Religionspädagogik, Universität Münster), Ahmad Mansour (Psychologe, European Foundation for Democracy), Prof. Dr. Christine Schirrmacher (Islamwissenschaftlerin, Universität Bonn), Dr. Guido Steinberg (Islamwissenschaftler, Stiftung Wissenschaft und Politik), Dr. Marwan Abou Taam (Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz) Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite Forschungsprojekt "Salafismus in Deutschland" 6 x 7-10 Minuten, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, 2016 Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat im Rahmen des Forschungsprojekts "Salafismus in Deutschland" eine Reihe von Video-Beiträgen online veröffentlicht. Die sechs Reports sollen einen differenzierten Blick auf Salafismus und Dschihadismus in Deutschland bieten. In maximal zehn Minuten vermitteln Fachleute die wichtigsten Grundlagen und stellen aktuelle Trends sowie Handlungsempfehlungen vor. Themen sind unter anderem die Organisation und Anwerbungspraxis der salafistischen Bewegung, die Motivationen und Karrieren von Dschihadisten, mögliche Gegennarrative und Ansätze für Präventions- und Deradikalisierungsarbeit. Verfügbar auf Externer Link: salafismus.hsfk.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Was ist Salafismus? 12 Minuten, Arte/Bundeszentrale für politische Bildung, 2013 In dieser Folge der Arte-Sendung "Mit offenen Karten" wird erklärt, was es mit der fundamentalistischen Doktrin des Salafismus auf sich hat. Es wird beschrieben, worum es sich bei dieser sich westlichen Einflüssen verschließenden, ultrakonservativen Strömung des Islam handelt. Darüber hinaus wird die Entwicklung des Salafismus nach den Protesten in der arabischen Welt, bei denen in Nordafrika neue politische Freiräume entstanden sind, untersucht. Verfügbar in der Interner Link: Mediathek der bpb Interner Link: Zum Anfang der Seite 4. Kurzbeiträge Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Gaming und Extremismus: Verfassungsschutz Niedersachsen nimmt Online-Plattformen ins Visier4 Minuten, Sat.1 Regional, 2021 Interner Link: Antisemitismus in islamischen Verbänden8 Minuten, ZDF frontal, 2021 Interner Link: Angeworben im Netz der Dschihadisten9 Minuten, NDR Panorama 3, 2016 Gaming und Extremismus: Verfassungsschutz Niedersachsen nimmt Online-Plattformen ins Visier 4 Minuten, Sat.1 Regional, 2021 Online-Gaming-Plattformen werden von Extremistinnen und Extremisten zur Rekrutierung genutzt. Laut dem niedersächsischen Verfassungsschutz können hier extremistische Aussagen gut "versteckt" platziert werden. Der Verfassungsschutz Niedersachen will daher zukünftig virtuelle Netzwerke und die dortigen Aktivitäten verstärkt ins Visier nehmen – ohne die Gaming-Szene dabei zu stigmatisieren. Verfügbar auf Externer Link: sat1regional.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Antisemitismus in islamischen Verbänden 8 Minuten, ZDF frontal, 2021 Antisemitismus durch Musliminnen und Muslime ist ein zunehmendes Problem in Deutschland, berichtet das ZDF-Magazin frontal. Jüdische Einrichtungen und ihre Mitglieder seien in den letzten Monaten vermehrt mit Angriffen durch Musliminnen und Muslime konfrontiert. Der wieder entfachte Nahostkonflikt führe dazu, dass jüdische Menschen auf Demonstrationen und in sozialen Netzwerken angefeindet würden. Einige islamische Verbände spielten in der Auseinandersetzung eine entscheidende Rolle, heißt es in dem Beitrag. Verfügbar auf Externer Link: zdf.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Angeworben im Netz der Dschihadisten 9 Minuten, NDR Panorama 3, 2016 Wie geraten junge Menschen in Deutschland in die Fänge von Dschihadisten? Wie läuft die Anwerbung im Internet tatsächlich ab? Wie werden aus Jugendlichen Kämpfer? Eine Panorama 3-Autorin nimmt im Selbstversuch Kontakt zu radikalen Salafisten auf. Verfügbar auf Externer Link: ardmediathek.de Interner Link: Zum Anfang der Seite 5. Gespräche mit Fachleuten Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Diskurse über muslimische Menschen in Deutschland16 Minuten, ufuq.de, 2022 Interner Link: Dschihadismus im Wandel?30 Minuten, ARD: alpha-demokratie, 2022 Interner Link: Der Nahostkonflikt im Unterricht13 Minuten, ufuq.de, 2022 Interner Link: Deutsch-französische Perspektiven zu Islamismus und Rechtsextremismus23 Minuten, France Fraternités & ufuq.de, 2022 Interner Link: Kampf gegen Islamismus – Frankreich zwischen Terror und Polizeigewalt?43 Minuten, Deutsche Welle, 2021 Interner Link: Zwischen rechter Instrumentalisierung und linkem Schweigen: Können wir keine Islamismus-Kritik?108 Minuten, Bildungsstätte Anne Frank: "StreitBar", 2021 Interner Link: Anwerbungstaktiken auf Gaming-Plattformen30 Minuten, Radicalisation Awareness Network, 2021 Interner Link: Aladin El-Mafaalani beim ufuq-Couch Talk: Integrations-Paradox10 Minuten, ufuq.de, 2019 Interner Link: Debatte mit Behnam Said und Götz Nordbruch: Islamistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann63 Minuten, sagwas.net, 2017 Interner Link: Erin Marie Saltman: How young people join violent extremist groups — and how to stop them63 Minuten, TED, 2016 Diskurse über muslimische Menschen in Deutschland 16 Minuten, ufuq.de, 2022 Warum wird in Deutschland und Europa so viel über Musliminnen und Muslime gesprochen? Welche Funktion erfüllen solche "Diskursexplosionen" und wie werden sie von historischen Islamdebatten beeinflusst? Diesen und weiteren Fragen widmet sich ein Fachgespräch von ufuq.de. Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami analysiert aktuelle Debatten und erklärt, warum es wichtig ist, Rassismus in Verbindung mit Religion und Säkularismus zu betrachten. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Dschihadismus im Wandel? 30 Minuten, ARD: alpha-demokratie, 2022 Im Sommer 2021 konnten die Taliban weite Teile Afghanistans einnehmen. Wird das den Dschihadismus international stärken? Wie anpassungsfähig ist er und welche Rolle spielen soziale Medien? Für alpha-demokratie sprach Vera Cornette mit Dr. Guido Steinberg. Der Islamwissenschaftler arbeitet und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und ist Experte für islamistischen Terrorismus. Verfügbar auf Externer Link: br.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Der Nahostkonflikt im Unterricht 13 Minuten, ufuq.de, 2022 Wie kann man den Nahostkonflikt erfolgreich im Unterricht thematisieren? Darüber spricht Mehmet Can im "ufuq Couch Talk". Er ist Lehrer an einer Berliner Schule und hat gemeinsam mit Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern eine Reise nach Israel und Palästina unternommen. Außerdem hat er eine "Jerusalem AG" ins Leben gerufen und einen Comic zum Thema herausgebracht. Im Gespräch mit Sakina Abushi von ufuq.de erzählt er von seinen Erfahrungen und gibt Tipps für die Praxis. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Deutsch-französische Perspektiven zu Islamismus und Rechtsextremismus 23 Minuten, France Fraternités & ufuq.de, 2022 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen Islamismus und Rechtsextremismus in Deutschland und Frankreich? Wie lassen sich die Erkenntnisse für die Radikalisierungsprävention nutzen? Diesen und weiteren Fragen geht der Film von ufuq.de und France Fraternités nach. Den Ausgangspunkt bilden Gespräche mit deutschen und französischen Fachkräften aus Präventionspraxis und Wissenschaft. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Kampf gegen Islamismus – Frankreich zwischen Terror und Polizeigewalt? 43 Minuten, Deutsche Welle, 2021 In dieser Ausgabe von "Auf den Punkt" wird diskutiert über die Absichten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, radikale Moscheen überwachen zu lassen und ein umstrittenes Gesetz gegen Islamistischen Separatismus durchzusetzen. Journalistin Hélène Kohl, Terrorexperte Raphael Bossong (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Soziologin Yasemin Ural (Universität Leipzig) sind zu Gast; Hajo Schumacher moderiert. Verfügbar auf Externer Link: dw.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Zwischen rechter Instrumentalisierung und linkem Schweigen: Können wir keine Islamismus-Kritik? 108 Minuten, Bildungsstätte Anne Frank: "Streitbar", 2021 Der politischen Linken wird häufig vorgeworden, zu islamistischer Gewalt zu schweigen. Stimmt das? In der "StreitBar" diskutieren Kevin Kühnert und Saba-Nur Cheema unter anderem über die Instrumentalisierung von Opfern islamistischer Gewalt durch das rechte Spektrum sowie die Reaktion der Linken. Außerdem steht die Frage im Raum, wie rassismusfreie Kritik geübt und Islamismus trotzdem angeprangert werden kann. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Anwerbungstaktiken auf Gaming-Plattformen 30 Minuten, Radicalisation Awareness Network, 2021 Mit welchem Taktiken werben Extremisten junge Menschen auf Gaming-Plattformen an? Jordy Nijenhuis und Veera Tuomala sprechen mit Expertinnen und Experten über ihre Erfahrungen in der Praxis. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Aladin El-Mafaalani beim ufuq-Couch Talk: Integrations-Paradox 10 Minuten, ufuq.de, 2019 In der ersten Folge des "Couch Talks" von ufuq.de spricht Aladin El-Mafaalani über seine Thesen vom "Integrations-Paradox": Demnach führt gelungene Integration zu mehr Konflikten. Im Video geht es darum, was dies für die praktische Arbeit mit Jugendlichen bedeutet, wie Lehrkräfte mit Konflikten in der Klasse umgehen können – und mit der Debatte darüber, ob "der Islam" zu Deutschland gehört. Verfügbar auf Externer Link: ufuq.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Debatte mit Behnam Said und Götz Nordbruch: Islamistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann 63 Minuten, sagwas.net, 2017 Eine Online-Live-Debatte des Projekts sagwas.net hat sich im Dezember 2017 mit aktuellen Entwicklungen in Bezug auf islamistische Radikalisierung sowie Prävention von Radikalisierung in Deutschland beschäftigt. Dazu hat die Friedrich-Ebert-Stiftung Dr. Götz Nordbruch (Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus) und Dr. Behnam Said (Islamwissenschaftler und Mitarbeiter beim Verfassungsschutz Hamburg) eingeladen, die in einem einstündigen Gespräch die Fragen der Online-Community beantworteten. Verfügbar auf Externer Link: sagwas.net Interner Link: Zum Anfang der Seite Erin Marie Saltman: How young people join violent extremist groups — and how to stop them 63 Minuten, TED, 2016 Erin Marie Saltman ist bei Facebook für Counterterrorism Policy verantwortlich. In ihrem Vortrag spricht sie über Push- und Pull-Faktoren, die dazu führen, dass sich Menschen extremistischen Gruppen anschließen. Außerdem stellt sie innovative Maßnahmen zur Prävention und zur Begegnung von Radikalisierung vor – wie das "One to One"-Programm des Londoner Think Tanks "Institute for Strategic Dialogue". In dem Programm werden zunächst auf Facebook Nutzer/-innen identifiziert, die extremistische Gedanken äußern. Anschließend werden diese mit dem Ziel der Deradikalisierung von ehemaligen Extremisten kontaktiert. Verfügbar auf Externer Link: ted.com Interner Link: Zum Anfang der Seite 6. Präventionsprojekte Klicken Sie auf die Titel, um zur Beschreibung zu gelangen. Interner Link: Webvideo-Projekt: Jamal al-Khatib18 x 2-9 Minuten, TURN und bpb, 2017-2020 Interner Link: Webvideo-Projekt: Say My Name15 x 5-25 Minuten, Kooperative Berlin und bpb, 2019 & 2020 Interner Link: Webvideo-Projekt: Reflect Your Past3 x 23-27 Minuten, endemol und bpb, 2019 Interner Link: Junge Muslime gegen Antisemitismus15 Minuten, Jungs e. V., 2019 Webvideo-Projekt: Jamal al-Khatib 18 x 2-9 Minuten, TURN und bpb, 2017-2020 Der Impuls für "Jamal al-Khatib – Mein Weg" ging von einem inhaftierten Jugendlichen aus. Nach seinem Ausstieg aus der dschihadistischen Szene wollte er sich dafür einsetzen, andere Jugendliche davor zu bewahren, die gleichen Fehler zu begehen. Die erste Staffel ist bereits 2017 erschienen, die dritte Staffel ist im April 2020 gestartet. Die Videos sind auf Facebook, Instagram und YouTube verfügbar. Auf bpb.de gibt es eine Themenseite zum Projekt mit den bereits veröffentlichten Videos und umfangreichen Hintergrundinformationen. Verfügbar auf Externer Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Webvideo-Projekt: Say My Name 15 x 5-25 Minuten, Kooperative Berlin und bpb, 2019 und 2020 Das Webvideoprojekt "Say My Name" richtet sich an Frauen und behandelt die Themenkomplexe Zusammenleben, Integration und Identifikation. "Say My Name" arbeitet mit jungen diversen YouTuberinnen beziehungsweise Creatorinnen zusammen, die sich gegen alle Formen von Extremismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Hassrede einsetzen. Die Creatorinnen berichten in ihren Videos über eigene Erfahrungen oder sprechen mit Menschen, die weitere Sichtweisen auf die Themen werfen. Verfügbar auf Interner Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Webvideo-Projekt: Reflect Your Past 3 x 23-27 Minuten, endemol und bpb, 2019 Die Webvideoreihe "Reflect Your Past" veranschaulicht Radikalisierungsprozesse anhand von Lebensgeschichten. Die YouTuberinnen und YouTuber Nihan, Cheng Loew und Diana zur Löwen treffen Aussteigerinnen und Aussteiger aus verschiedenen extremistischen Bereichen. Darunter ist auch der ehemalige Salafist Dominic Schmitz, der von seinem Weg in den Salafismus und seinem Ausstieg berichtet. Verfügbar auf Interner Link: bpb.de Interner Link: Zum Anfang der Seite Junge Muslime gegen Antisemitismus 15 Minuten, Jungs e. V., 2019 Im Projekt "Junge Muslime in Auschwitz" des Trägers Jungs e. V. werden jährlich Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz für Jugendliche in Duisburg organisiert. Anschließend entwickeln die Teilnehmenden Theaterstücke und Videos. Damit möchten sie sensibilisieren und junge Menschen zum Nachdenken bringen. Sie möchten den online kursierenden antisemitischen Videos, die täglich von Jugendlichen konsumiert und für "die Wahrheit" gehalten werden eine andere Position entgegenstellen. Die Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren. Der Kurzfilm enthält mehrere Episoden zum Thema und ist insgesamt 15 Minuten lang. Verfügbar auf Externer Link: youtube.com Interner Link: Zum Anfang der Seite Infodienst RadikalisierungspräventionMehr Infos zu Radikalisierung, Prävention & Islamismus Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite Bleiben Sie auf dem Laufenden im Arbeitsfeld Radikalisierungsprävention! Termine, Stellen, News, Materialien, Videos & neue Hintergrund-Beiträge des Infodienst Radikalisierungsprävention – alle sechs Wochen per E-Mail. Interner Link: → Zum Newsletter-Abonnement Das Online-Portal Infodienst Radikalisierungsprävention der bpb bietet Hintergrundwissen, pädagogische Materialien, einen Newsletter und eine Übersicht mit Beratungsangeboten. Interner Link: → Zur Infodienst-Startseite
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-09-05T00:00:00"
"2020-04-03T00:00:00"
"2022-09-05T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/infodienst/307406/video-dokumentationen-filme-erklaervideos/
Die Videos berichten über Islamismus und Präventionsarbeit sowie über den "IS". Sie erklären, was Salafismus ist, und zeichnen Geschichten von Menschen nach, die sich radikalisiert haben.
[ "Islamismus", "Radikalisierung", "Extremismus", "Prävention", "Dokumentationen", "Reportagen", "Filme" ]
30,676
EU – USA – China: Bruttoinlandsprodukt (BIP) | Europa | bpb.de
Das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im Jahr 2017 bei 80,1 Billionen US-Dollar (in konstanten Preisen, Basisjahr 2010). Davon entfielen 23,5 Prozent auf die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), 21,8 Prozent auf die USA und 12,7 Prozent auf China. Im Jahr 1970 lag der Anteil der EU-28 am Welt-BIP noch bei 35,2 Prozent – also 11,7 Prozentpunkte höher. Der Anteil der USA am Welt-BIP hat sich seit dem Jahr 2000 um 3,6 Prozentpunkte reduziert. Hingegen ist der Anteil Chinas am Welt-BIP kontinuierlich von 1,0 Prozent 1970 auf 12,7 Prozent im Jahr 2017 gestiegen – ein Plus von 11,7 Prozentpunkten. Bezogen auf die absoluten Werte hat sich das BIP der EU zwischen 1970 und 2017 knapp verdreifacht und das BIP der USA etwa verdreieinhalbfacht. Das BIP Chinas war 2017 – ausgehend von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau – gut 54-mal höher als 1970. Fakten Das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im Jahr 2017 bei 80,1 Billionen US-Dollar (in konstanten Preisen, Basisjahr 2010). Nach Angaben der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) entfielen davon 23,5 Prozent bzw. 18,8 Billionen US-Dollar auf die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Die USA hatten mit einem realen BIP in Höhe von 17,4 Billionen US-Dollar ebenfalls einen Anteil von mehr als einem Fünftel am Welt-BIP (21,8 Prozent). Chinas Anteil lag mit 12,7 Prozent (10,2 Billionen US-Dollar) hingegen deutlich darunter. Im Jahr 1970 lag der Anteil der EU-28 am realen Welt-BIP bei 35,2 Prozent. Bis zum Jahr 2017 fiel der Anteil auf 23,5 Prozent – das entspricht einem Rückgang um 11,7 Prozentpunkte bzw. um 33,2 Prozent. Der Anteil reduzierte sich dabei stetig und lag 1990 bei 30,8 Prozent sowie bei 27,9 Prozent im Jahr 2005. Der Anteil der USA am Welt-BIP lag im Jahr 2000 zwar leicht höher als 1970 (25,4 gegenüber 25,2 Prozent), seitdem hat er sich allerdings in 16 von 17 Jahren reduziert – zwischen 2000 und 2017 um insgesamt 3,6 Prozentpunkte bzw. um 14,2 Prozent. Die auffälligste Veränderung findet sich bei China: Der Anteil am realen Welt-BIP stieg kontinuierlich von 1,0 Prozent 1970 auf 12,7 Prozent im Jahr 2017 – der Anteil erhöhte sich damit um 11,7 Prozentpunkte bzw. um fast 1.200 Prozent. Bezogen auf die absoluten Werte hat sich das reale BIP der EU zwischen 1970 und 2017 knapp verdreifacht (Faktor 2,8) und das BIP der USA etwa verdreieinhalbfacht (Faktor 3,6). Das BIP Chinas war 2017 – ausgehend von einem deutlich niedrigeren Ausgangsniveau – gut 54-mal höher als 1970. Da die Bevölkerungszahl Chinas zwischen 1970 und 2017 von rund 825 Millionen auf 1,41 Milliarden zunahm bzw. die Rate beim Bevölkerungswachstum höher war als die in Europa und den USA, geht ein Teil der Erhöhung des Anteils am Welt-BIP mit dem Bevölkerungswachstum einher. Jedoch verdeutlicht die Entwicklung des realen BIP pro Kopf, wie überdurchschnittlich stark das BIP Chinas gestiegen ist: Das reale BIP pro Kopf der EU-28 hat sich zwischen 1970 und 2017 von 15.588 auf 36.811 US-Dollar knapp verzweieinhalbfacht (Faktor 2,4). Ebenso das BIP pro Kopf der USA, das von 22.549 auf 53.136 US-Dollar zunahm (Faktor 2,4). Das reale BIP pro Kopf Chinas stieg hingegen von 226 US-Dollar im Jahr 1970 auf 7.207 US-Dollar 2017 – eine Steigerung um den Faktor 31,8. Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden. Das BIP ist gegenwärtig das wichtigste gesamtwirtschaftliche Produktionsmaß. Das reale BIP ist unabhängig von Preisveränderungen, da es zu den Preisen eines Basisjahres (hier: 2010), also in konstanten Preisen, berechnet wird. Weitere Informationen zum BIP pro Kopf (EU/USA/China) erhalten Sie Interner Link: hier... Informationen zur Bevölkerungsentwicklung (EU/USA/China) erhalten Sie Interner Link: hier... Informationen zum BIP pro Kopf (weltweit) erhalten Sie Interner Link: hier... Informationen zum Welt-BIP erhalten Sie Interner Link: hier... China ohne Hongkong und Macao. EU – USA – China: Bruttoinlandsprodukt (BIP) In absoluten Zahlen und Anteile am Welt-BIP in Prozent, in konstanten Preisen (2010), 1970 bis 2017 Welt EU-28 USA China 1 BIP, in Mrd. US-Dollar 2017 80.050 18.816 17.441 10.159 2016 77.669 18.368 17.067 9.507 2015 75.840 18.011 16.806 8.908 2014 73.766 17.595 16.339 8.333 2013 71.746 17.288 15.952 7.767 2012 69.912 17.243 15.665 7.208 2011 68.235 17.314 15.323 6.683 2010 66.146 17.015 15.090 6.101 2000 50.074 14.783 12.717 2.237 1990 38.037 11.725 9.066 830 1980 27.937 9.277 6.542 341 1970 19.024 6.699 4.789 187 Welt EU-28 USA China 1 Anteile am Welt-BIP, in Prozent 2017 100,0 23,5 21,8 12,7 2016 100,0 23,6 22,0 12,2 2015 100,0 23,7 22,2 11,7 2014 100,0 23,9 22,1 11,3 2013 100,0 24,1 22,2 10,8 2012 100,0 24,7 22,4 10,3 2011 100,0 25,4 22,5 9,8 2010 100,0 25,7 22,8 9,2 2000 100,0 29,5 25,4 4,5 1990 100,0 30,8 23,8 2,2 1980 100,0 33,2 23,4 1,2 1970 100,0 35,2 25,2 1,0 Fußnote: 1 ohne Hongkong und Macao Quelle: United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): Online-Datenbank: UNCTADstat (02/2019) Quellen / Literatur United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): Online-Datenbank: UNCTADstat (02/2019) United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): Online-Datenbank: UNCTADstat (02/2019)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-13T00:00:00"
"2012-05-12T00:00:00"
"2022-01-13T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/europa/135823/eu-usa-china-bruttoinlandsprodukt-bip/
Vom Welt-Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2017 entfielen 23,5 % auf die EU-28, 21,8 % auf die USA und 12,7 % auf China. Im Jahr 1970 lag der Anteil der EU noch bei 35,2 % und der Anteil Chinas bei 1,0 %.
[ "Bruttoinlandsprodukt", "BIP", "Wirtschaft", "EU", "USA", "China", "Welt-BIP", "Zahlen und Fakten", "Europa", "EU-28", "EU-27" ]
30,677
Wir alle sind das Volk | Dokumentation der KLASSE DENKEN Veranstaltungen im Rahmen der phil.cologne 2019 | bpb.de
In der KLASSE DENKEN Veranstaltung von Christian Neuhäuser und Jürgen Wiebicke diskutierten die Schüler/-innen, vor welchen Herausforderungen eine Gesellschaft stehe, die ihren Mitgliedern viele Freiheiten gewähre. Gleich zu Beginn der Veranstaltung kritisierten die Schüler/-innen, dass sie zwar vergleichsweise viele Freiheiten haben, aber sie sich mehr Anerkennung von der älteren Generationen wünschen. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, mehr in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden. Darüber hinaus vertrat ein Schüler die These, dass eine freie Gesellschaft für ihn schwer zu greifen sei: Um Freiheit wirklich schätzen zu können, brauche es eine Erfahrung von Unfreiheit. Demokratie versus Ochlokratie Um den anfangs diskutierten Freiheitsbegriff zu konkretisieren, differenzierte Neuhäuser die Staats- und Lebensform Demokratie von der Ochlokratie, der sogenannten Herrschaft des Pöbels. Die Schüler/-innen reflektierten daraufhin ihre Möglichkeiten zu Mitsprache, Partizipation und Empowerment und vertraten die These, dass in einer Demokratie auch die stumme Mehrheit mitdiskutieren müsse, damit die, die am lautesten pöbeln nicht freie Bahn haben. Ein Schüler kritisierte zudem, dass die Bereitschaft zur politischen Mitsprache und Teilhabe der jungen Generation auch ernst genommen werden müsse: Geschlossen kritisierten die Schüler/-innen beispielweise den Vorschlag ihrer Schule, aus der Teilnahme an den Fridays-for-Future-Demonstrationen eine Exkursion zu machen und damit das Schwänzen einiger Schüler/-innen sozusagen zu legalisieren. Für die Schüler/-innen sei dies eine Diskreditierung ihrer Bereitschaft, in demokratischen Prozessen mitzuwirken. Wo steckt überhaupt das Politische? Gemeinsam mit den Referenten diskutierten die Schüler/-innen, was zum Politischen überhaupt gehöre. Dabei bemerkten Neuhäuser und Wiebicke, dass sich in einer Demokratie das Politische auf die alltägliche Lebenswelt und individuelle Entscheidungen beziehe und deshalb mehr sei als ein abstrakter Verwaltungsapparat. Mit Hannah Arendt bekräftigte Neuhäuser, man lebe nur, indem man mit anderen etwas aushandle . Die Schüler/-innen stimmten Neuhäuser grundsätzlich zu, wiederholten zugleich aber ihre Kritik, dass ihnen zu wenig Partizipation und Teilhabe geboten werde. Die Vereinnahmung der Fridays-for-Future-Anliegen durch ihre Schule sei ein Beispiel dafür, dass ihnen zu wenig Mitsprache eingeräumt werde und das Politische dadurch abstrakt bleibe. Wiebicke stellte in diesem Zusammenhang die These auf, dass Menschen immer dann aktiv werden, wenn sie gegen etwas seien. Hervorzuheben seien hier insbesondere Bürgerbegehren gegen Kläranlagen, AKWs aber auch gegen Flüchtlingsheime. Entscheidend dabei sei, nicht das gesamte System Demokratie in Frage zu stellen, sobald das eigene Begehren keine Durchsetzung finde oder man eine Diskussion verliere. Die Demokrat/-innen und Wutbürger/-innen unterscheide letztlich, dass erstere bereit seien, Verantwortung für sich und ihre Gemeinschaft zu übernehmen, während letztere sich in den Prozess der Aushandelns nicht einbrächten, aber zugleich alle getroffenen Entscheidungen bequem kritisierten oder ablehnten. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde deutlich, dass Demokratie nicht nur eine Staats- und Regierungsform, sondern eine Lebensform sei, die es gelte weiterzudenken und zu verteidigen. von Niko Gäb Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, 1960.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2019-09-10T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/296750/wir-alle-sind-das-volk/
In der Veranstaltung von Christian Neuhäuser und Jürgen Wiebicke diskutierten die Schüler/-innen darüber, vor welchen Herausforderungen eine Gesellschaft stehe, die ihren Mitgliedern viele Freiheiten gewähre.
[ "Dokumentation", "phil.cologne 2019", "Philosophie", "Festival", "Klasse denken", "Wir alle sind das Volk", "Demokratieverdruss", "Radikalisierung", "Bundesrepublik Deutschland", "Köln" ]
30,678
Citizenship | Poland | bpb.de
According to article 34, paragraph 1 of the Constitution of April 2, 1997, Polish citizenship is acquired at birth if at least one of the parents already possesses citizenship (ius sanguinis). Naturalisation is possible after a minimum of five years of legal residency in Poland. Although it is not stipulated in national law, multiple citizenships are tolerated in practice. Between 2002 and 2005, 7 623 people were naturalised. Some 2 866 people were naturalised in 2005 alone, a considerable increase compared with the previous year (2004: 1 937 naturalisations). This increase can be attributed primarily to the processing of a backlog of applications. Most of the people who were naturalised in the period between 2002 and 2005 came from Ukraine, Belarus, the Russian Federation, Israel, Lithuania and Germany. See Górny et al. (2003). See Kępińska (2006).
Article
Stefan Alscher
"2022-01-21T00:00:00"
"2012-01-25T00:00:00"
"2022-01-21T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/laenderprofile/english-version-country-profiles/58525/citizenship/
Polish citizenship is acquired at birth if at least one of the parents already possesses citizenship. Naturalisation is possible after a minimum of five years of legal residency in Poland. Although it is not stipulated in national law, multiple citiz
[ "Poland", "Polen", "citizenship", "Staatsbürgerschaft", "Staatsangehörigkeit" ]
30,679
Chronik: 7. Dezember 2015 – 24. Januar 2016 | Ukraine-Analysen | bpb.de
07.12.2015 US-Vizepräsident Joe Biden trifft zu einem zweitägigen Besuch in Kiew ein. Laut Medienberichten wird er unter anderem an Beratungen zur Korruptionsbekämpfung teilnehmen. Das Magazin "Voice of America" berichtet unter Berufung auf einen ranghohen Vertreter des Weißen Hauses, die USA wollten mit diesem Besuch unterstreichen, dass die Ukraine für die nationalen Interessen der USA weiterhin von großer Wichtigkeit sei. 07.12.2015 Der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Johannes Hahn, erklärt, die Verhandlungen mit der Ukraine über eine Abschaffung der Visa-Pflicht befänden sich auf einem guten Weg. Die Ukraine habe nun alle Dokumente eingereicht. Das Ergebnis der Prüfung werde am 15. Dezember bekanntgegeben. 07.12.2015 Die Presseabteilung des Präsidenten Petro Poroschenko zieht eine Meldung von ihrer Website zurück. Ursprünglich hatte sie berichtet, der Präsident habe sein Veto gegen die Verlängerung eines Moratoriums auf den Verkauf von Land eingelegt. Das Parlament hatte das Moratorium im November 2015 um ein Jahr bis zum 01. Januar2017 verlängert. 07.12.2015 Der"Präsident" der Krim, Sergej Aksjonow, erklärt, die Krim benötige keinen elektrischen Strom mehr vom ukrainischen Festland. Zuvor hatte die Verwaltung des ukrainischen Gebietes Cherson angekündigt, dass Reparaturarbeiten an einer beschädigten Stromtrasse aufgenommen worden seien. Im November2015 hatten krimtatarische Aktivisten und ukrainische Nationalisten die Stromversorgung der Krim durch Anschläge auf Strommasten zum Erliegen gebracht. 08.12.2015 Die OSZE-Beobachtermission stellt eine erhöhte Anzahl von Verletzungen der Waffenruhe im Donbass fest. 08.12.2015 Der Internationale Währungsfonds zeigt sich einverstanden mit den Vorschlägen des Finanzministeriums zu einer umfassenden Steuerreform. Zwischen dem Finanzministerium und dem Parlament gibt es jedoch erhebliche Differenzen über die Ausgestaltung des Gesetzespakets. Der IWF stellt dem ukrainischen Staat Hilfskreditezur Verfügung und verlangt im Austausch Reformen. Auch die Kreditprogramme anderer Staaten hängen von einer positiven Beurteilung der ukrainischen Reformen durch den IWF ab. 08.12.2015 Der Staatskonzern Ukrenergo erklärt, dass die Stromversorgung der Krim teilweise wiederaufgenommen worden sei. Die Trasse Kachowska-Titan war zuvor wieder instandgesetzt worden. Der rechtsradikale "Rechte Sektor" erklärt, er beteilige sich nicht mehr an der Blockade der Krim. Die Vertretung der Krimtataren habe ohne Rücksprache mit anderen Kräften entschieden, die Reparatur der Stromtrasse zu gestatten. Zuvor hatten Aktivisten die Reparatur der durch Anschläge beschädigten Stromtrassen blockiert. 08.12.2015 Das Parlament verabschiedet ein vom Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk initiiertes Gesetz zur Schaffung eines Auslandsfernsehsenders. Dieser solle dabei helfen, ein positives Bild der Ukraine im Ausland zu etablieren und zum internationalen Dialog beitragen. 08.12.2015 In den Medien kursieren Gerüchte, nach denen die Staatsanwaltschaft des Gebietes Odessa gegen den Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk ermittle. Er sei, so ein Bericht des Magazins "The Times", an der Veruntreuung eines Staatsunternehmens in Odessa beteiligt. Jazenjuks Presseabteilung streitet die Vorwürfe ab. Beobachtervermuten, dass die Vorwürfe im Zusammenhang mit Spannungen zwischen Jazenjuk und dem Präsidenten Petro Poroschenko stehen. Der auf Poroschenkos Einladung zum Gouverneur von Odessa aufgestiegene ehemalige georgische Präsident Michail Saakaschwili hatte bereits zuvor Jazenjuk indirekt der Korruption beschuldigt. 08.12.2015 Informationsminister Jurij Stez reicht sein Rücktrittsgesuch ein. Er erklärt, dass er bereits bei Antritt des neu geschaffenen Postens vor einem Jahr lediglich ein Jahr lang im Amt bleiben wollte. Stez verteidigt das Ministerium gegen Anschuldigungen, die Zensur ausgebaut zu haben. 09.12.2015 Die trilaterale Kontaktgruppe aus Vertretern der OSZE, der Ukraine und Russlands einigt sich auf einen ersten Plan zur Minenräumung im Donbass. 09.12.2015 Finanzministerin Natalia Jaresko kündigt an, im Jahr 2016 die Staatsausgaben auf 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu kürzen. Im Jahr 2014 hätten sie 46 Prozent betragen. 09.12.2015 Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, Ajwaras Abromawitschus, erklärt, das Jahr 2015 sei in Bezug auf die Einwerbung ausländischer Investitionen nicht besonders erfolgreich gewesen. Für das kommende Jahr plane man, Investitionen in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar anzuziehen. 10.12.2015 Die Organisation Global Financial Integrity berichtet, dass zwischen 2004 und 2013 aus der Ukraine etwa 116 Milliarden US-Dollar illegal abgeflossen seien. 10.12.2015 Das Parlament verabschiedet ein Gesetzespaket zur Reform des Staatsdienstes. Unter anderem sollen politische und administrative Tätigkeiten in Ministerien stärker getrennt werden. Einstellungen sollen künftig nur nach transparenten Ausschreibungen erfolgen. 10.12.2015 Der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission, Alexander Hug, beklagt, dass beide Seiten des Konflikts einander beschuldigen, für den Tod einer Zivilistin am 04. Dezember 2015 im Ort Sajzewe im Donbass verantwortlich zu sein, anstatt die Anstrengungen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen auszubauen. Der russische Fernsehsender LifeNews habe in einem Bericht über den Beschuss des Ortes Aufnahmen gezeigt, die nachweislich von einem anderen Ort stammten. 10.12.2015 Das Ministerkabinett verabschiedet eine Kompromisslösung zur Steuerreform. Die Regierung erklärt, dass auf Basis des Gesetzes, das nun dem Parlament vorliegt, eine Fortführung des Hilfsprogramms des Internationalen Währungsfonds möglich sei. 10.12.2015 Der russische Energieminister Aleksandr Nowak erklärt, Russland habe seine Lieferungen von Kohle zur Stromerzeugung in die Ukraine wieder aufgenommen. Die Lieferungen waren im Zusammenhang mit der unterbrochenen Stromlieferung von der Ukraine auf die Krim ausgesetzt worden. Diese wurde am 08. Dezember 2015 wieder aufgenommen. 11.12.2015 Bei der jährlichen Aussprache des Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk kommt es im Parlament zu einer Rangelei. Der Abgeordnete des Blocks Petro Poroschenko, Oleh Barna, greift Jazenjuk tätlich an und wird daraufhin aus der Fraktion ausgeschlossen. 11.12.2015 Der Minister für Infrastruktur, Andrij Piwowarskij, erklärt, dass er im Laufe der kommenden Wochen aus persönlichen Gründen von seinem Amt zurücktreten werde. In einer Rede beklagt er die schlechte durchschnittliche Bezahlung in seinem Ministerium. 11.12.2015 Der stellvertretende UN-Generalsekretär, Jan Eliasson, erklärt, die Lage im Donbass drohe weiterhin zu eskalieren. Die Mehrheit der Beschlüsse von Minsk seien noch nicht umgesetzt worden. Dies gefährde den politischen Prozess insgesamt. 12.12.2015 Im Donbass kommt es weiterhin zu Kämpfen. Der ukrainische Generalstab meldet, dass ein Soldat der ukrainischen Armee nahe dem Dorf Peski im Gebiet Donezk ums Leben gekommen sei. 13.12.2015 Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk erklärt, dass die Ukraine ihren Gasverbrauch im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gesenkt habe. 14.12.2015 Der Direktor des neu gegründeten Antikorruptionsbüros, Artem Sytnyk, beklagt, dass einige Parlamentsabgeordnete das Ermittlungsbüro für Informationskampagnen nutzen würden. Das Gesetz verpflichte die Behörde dazu, jede eingereichte Beschuldigung in ein zentrales, öffentliches Register einzutragen und Ermittlungen einzuleiten. Das Register werde in den Medien oft dazu herangezogen, die eingetragenen Personen mit Korruption in Verbindung zu bringen. 14.12.2015 Bei einer Sitzung des Nationalen Reformrates, geraten der Gouverneur des Gebietes Odessa, Michail Saakaschwili, und der Innenminister Arsen Awakow in heftigen Streit. Beide beschuldigen einander der Korruption. Awakow fordert den ehemaligen georgischen Staatsbürger auf, die Ukraine zu verlassen. Dieser Forderung habe sich nach Berichten Anwesender auch der Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk angeschlossen. Saakaschwili hatte zuvor wiederholt Jazenjuk und Abgeordnete aus dessen Fraktion der Veruntreuung staatlicher Mittel beschuldigt. In einer Pressekonferenz am Abend bezichtigt Saakaschwili Awakow, unterschlagene Summen zur Unterhaltung illegaler, privater Kampftruppen zu verwenden. 15.12.2015 Ein russisches Gericht verurteilt den ukrainischen Staatsbürger Walentyn Wygowskyj wegen Spionage zu elf Jahren Lagerhaft. Ermittlung und Prozess waren unter strengen Geheimhaltungsauflagen geführt worden. Die Verteidigung kündigt an, in Revision zu gehen. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin verurteilt die Strafe. 15.12.2015 Präsident Petro Poroschenko, Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und Parlamentssprecher Wolodymyr Hrojsman rufen in einer gemeinsamen Ansprache zu Geschlossenheit auf. Der eingeschlagene Weg der Reformen müsse fortgesetzt werden, damit die Ukraine bald EU- und NATO-Mitglied werde. Dazu müssten vorallem die Streitkräfte gestärkt sowie die Staatsfinanzen stabilisiert werden, um die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds fortzusetzen. Explizit wird in dem gemeinsamen Dokument einer Entlassung des Ministerpräsidenten eine Absage erteilt. In der Vergangenheit waren immer wiederGerüchte über Spaltungen innerhalb der Regierungskoalition publik geworden: Beispielsweise hatte der Gouverneur des Gebietes Odessa, Michail Saakaschwili, der Poroschenko nahesteht, schwere Vorwürfe gegen Jazenjuk erhoben. 16.12.2015 Der Vizepräsident des Weltkongresses der Krimtataren, Lenur Isljamow, erklärt, dass Krimtataren und ukrainische Nationalisten zu Beginn des kommenden Jahres die Seewege zur von Russland annektierten Halbinsel blockieren werden. Die Aktivisten hatten zuvor bereits mehrere Tage die Zufahrt zur Krim für LKW blockiert und die Reparaturarbeiten an beschädigten Stromtrassen wochenlang unterbunden. 16.12.2015 Die Regierung verbietet den Handel mit der Krim. Das Verbot erstreckt sich auf Waren und Dienstleistungen, ausgenommen sind lediglich humanitäre Hilfslieferungen. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk erklärt, das Verbot trete nach Ablauf einer Frist von 30 Tagen in Kraft. Ausgenommen sind Grundnahrungsmittel im Umfang von weniger als 50 Kilogramm und unter einem Wert von 10.000 Hrywnja (etwa 380€). Auch Elektrizität wird weiter geliefert. 16.12.2015 Der russische Präsident Wladimir Putin weist das Parlament an, einseitig das Freihandelsabkommen mit der Ukraine, das im Jahr 2011 unterzeichnet worden war, zu kündigen. Er begründet den Schritt mit dem Abkommen über eine Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine, das am 01. Januar 2016 in Kraft tritt. 17.12.2015 Ein Kiewer Verwaltungsgericht verbietet die Tätigkeit der Kommunistischen Partei der Ukraine. Das Urteil basiert auf dem Gesetz zum Verbot von Symbolik und Ideologie kommunistischer und nationalsozialistischer Regime, das im April 2015 verabschiedet worden war. 17.12.2015 Ein russisches Gericht verlängert die Untersuchungshaft der ukrainischen Kampfpilotin Nadeschda Sawtschenko bis zum 16. April 2016. Sie war im Juli 2014 in Russland aufgegriffen und der illegalen Überquerung der Grenze sowie des Mordes an zwei russischen Journalisten in der Ukraine beschuldigt worden. Sie bestreitet die Vorwürfe. 17.12.2015 Die EU stellt der Ukraine fünf Millionen Euro im Rahmen eines Kreditprogramms zur Verbesserung der Energieversorgung zur Verfügung. 18.12.2015 Der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission Alexander Hug bezweifelt die Korrektheit der von den Separatisten der"Volksrepublik Donezk" abgegebenen Informationen zu Waffen in ihrem Besitz. Es sei unwahrscheinlich, dass die Angriffe der Truppen im letzten Jahr mit dieser geringen Anzahl von Waffen durchgeführt werden konnten. Er beklagt zudem, dass Beobachtern auf dem Gebiet der "Volksrepublik" immer wieder der Zutritt zu bestimmten Gebieten verweigert werde. 18.12.2015 Die Regierung untersagt die Rückzahlung des russischen Kredits in Höhe von drei Milliarden US-Dollar, den Russland der Ukraine im Herbst 2013 gewährt hatte und dessen Zahlungsfrist im Dezember 2015 abläuft. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk erklärt, man werde das Geld nicht zurückzahlen, bis man sich mit Russland auf die Restrukturierung der Schulden geeinigt oder ein Gericht eine entsprechende Entscheidung getroffen habe. 18.12.2015 Präsident Petro Poroschenko legt sein Veto gegen ein Gesetz zur Restrukturierung von Krediten in Fremdwährung ein. Das Gesetz, das das Parlament im Juli 2015 verabschiedet hatte, sieht vor, dass alle Kredite, die ukrainische Staatsbürger bei ukrainischen Banken in Fremdwährung aufgenommen haben, zu dem Wechselkurs zurückgezahlt werden müssen, der zum Zeitpunkt ihres Abschlusses galt. Da die ukrainische Hrywnja in den vergangenen zwei Jahren erheblich an Wert verloren hat, würde dieses Vorgehen einen enormen Verlust für die Banken darstellen. Die ukrainische Zentralbank, FinanzministerinNatalja Jaresko sowie zahlreiche Abgeordnete hatten Poroschenko gebeten, sein Veto einzulegen. 19.12.2015 Außenminister Pawlo Klimkin äußert die Hoffnung, dass die EU in fünf bis sieben Monaten den ukrainischen Bürgern die visafreie Einreise gestatten könnte. Zuvor hatte die EU-Kommission den sechsten Bericht der Ukraine über die Erfüllung der gestellten Bedingungen entgegengenommen. Dazu zählenunter anderem die Reformierung der Staatsanwaltschaft und die Schaffung einer unabhängigen Behörde zur Bekämpfung der Korruption. 19.12.2015 Die Venedig-Kommission des Europarates teilt mit, dass das ukrainische Gesetz zum Verbot von Symbolik und Propaganda kommunistischer und nationalsozialistischer Regime nicht mit europäischen Standards übereinstimme. Zwar sei das Verbot grundsätzlich möglich, in der jetzigen Fassung verletze es aber das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Der Terminus "Propaganda" müsse im Gesetzestext eingegrenzt werden. 19.12.2015 In Kiew demonstrieren mehrere hundert Anhänger rechtsradikaler und nationalistischer Gruppen für die Verdächtigen im Mordfall des Journalisten Oles Busyn. Er hatte pro-russische Positionen vertreten und war im April 2015 ermordet worden. Die Beschuldigten Andryj Medwedko und Denis Polischtschuk gehören der rechtsradikalen Partei "Freiheit" bzw. dem "Rechten Sektor" an. 19.12.2015 Präsident Petro Poroschenko entlässt drei Gouverneure ohne Angabe von Gründen: Michail Sahorodnyj (Gebiet Chmelnyzkyj), Andryj Putilow (Gebiet Cherson), und Hrygoryj Samardak (Gebiet Zaporischschja). 21.12.2015 Finanzministerin Natalja Jaresko erklärt, dass die Regierung zweiten Halbjahr 2016 die staatliche Parteienfinanzierung einführen werde. Pro Jahr sollen demnach 400 Millionen Hrywnja (etwa 15 Millionen Euro) zur Verfügung stehen. 21.12.2015 Laut dem russischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Aleksej Uljukaew, verlaufen die trilateralen Gespräche zwischen der EU, Russland und der Ukraine zur Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine bisher ergebnislos. Der Vertrag tritt am 01. Januar 2016 in Kraft. Der russische Ministerpräsident Dimitrij Medwedewerklärt unterdessen, Russland werde am 01. Januar 2016 als Konsequenz des Assoziationsabkommens höhere Zölle für die Einfuhr ukrainischer Waren erheben. Uljukaew betont, dass auch nach Inkrafttreten des Vertrages die Gespräche weitergeführt werden. 22.12.2015 Die Fraktion der Partei"Selbsthilfe", die Teil der Regierungskoalition ist, droht damit, im Parlament nicht mehr abzustimmen, bis für die ostukrainische Stadt Krywyj Rih Neuwahlen angesetzt werden. Dort war ein Kandidat der Partei für das Bürgermeisteramt bei der Stichwahl mit 752 Stimmen dem Kandidaten des Oppositionsblocks unterlegen und hatte Wahlfälschungen beklagt. 22.12.2015 Das Parlament entzieht dem Abgeordneten der Fraktion"Volksfront" Mykolaj Martynenko das Mandat. Ihm wird Korruption vorgeworfen, in der Schweiz wird gegen ihn ermittelt. Martynenko steht dem Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk nahe. Das Parlament entzieht auch einer Abgeordneten der "Radikalen Partei", Slata Ognewitsch, das Mandat. Beide hattenzuvor offiziell um die Entlassung gebeten. 22.12.2015 Die trilaterale Kontaktgruppe aus Vertretern Russlands, der Ukraine und der OSZE einigt sich auf einen Waffenstillstand entlang der Front im Donbass. Dort war es in den vergangenen Tagen wieder vermehrt zu Schusswechseln gekommen. Der Waffenstillstand soll in der Nacht zum 23. Dezember 2015 in Kraft treten. 23.12.2015 Die OSZE-Beobachtermission erklärt, sie habe bisher aufgrund blockierter und verminter Straßen nicht in das Dorf Kominternowe östlich von Mariupol im Gebiet Donezk gelangen können. Der ukrainische Generalstab hatte am 2. Dezember 2015 gemeldet, dass separatistische Truppen das Dorf eingenommen hätten. Das Dorf befindet sichin einer Zone, die von keiner der beiden Seiten vollständig kontrolliert wird. 23.12.2015 Das Parlament entlässt den neu ernannten Bürgermeister der Stadt Krywyj Rih im Gebiet Dnipropetrowsk und setzt für den 27. März 2016 Neuwahlen an. Dort war am 17. November 2015 der Kandidat des Oppositionsblocks, Jurij Wilkul, zum Sieger der Stichwahl um das Bürgermeisteramt erklärt worden. Die anderen Parteienhatten Wahlfälschungen beklagt. Abgeordnete des Oppositionsblocks im nationalen Parlament bezeichnen die Entscheidung für Neuwahlen als verfassungswidrig. 24.12.2015 Der Innenminister Arsen Awakow vermeldet auf seiner Facebook-Seite, dass separatistische Truppen die Dörfer Kominternowe, Saitschenko und Wodjane östlich der Hafenstadt Mariupol eingenommen hätten. Am Abend wird vermeldet, dass die Truppen aus Kominternowe wieder abgezogen seien. Alle drei Dörfer befinden sich in einer Zone, die von keiner der beiden Seiten vollständig kontrolliert wird. 25.12.2015 Das Parlament verabschiedet in einer nächtlichen Sondersitzung mehrere Gesetze, u. a. ein Gesetz, nach dem staatliche Anschaffungen in ein Online-Register eingetragen werden müssen, sowie den Staatshaushalt für das Jahr 2016. Dieser sieht auch die Anhebung von Mindestlohn und Existenzminimum vor. Die Ausgaben für Verteidigung betragen 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Gesetz sieht höhere Ausgaben als Einnahmen vor. Der Abgeordnete des Blocks Petro Poroschenko, Mykolaj Tomenko, tritt aus Protest gegen das Haushaltsgesetz aus der Fraktion sowie aus der Regierungskoalition aus. Er kritisiert, dass das Gesetz zahlreiche Sozialprogramme der Einzelfallentscheidung der Regierungüberantworte, was die Gefahr berge, dass sie im Falle nicht ausreichender Mitteln kurzfristig eingestellt würden. Das Gesetz sei vom Internationalen Währungsfonds mitgeschrieben worden, beklagt der Abgeordnete. 26.12.2015 Die OSZE-Beobachtermission veröffentlicht den Bericht einer Patrouille ins Dorf Kominternowe nordöstlich von Mariupol. Laut der befragten Anwohner sind vom 22. bis zum 24. Dezember 2015 Einheiten der "Volksrepublik Donezk" im Dorf präsent gewesen und haben es danach mitsamt ihrer Ausrüstung wieder verlassen. Das Dorf liegtin einer Zone, die von keiner der Konfliktparteien vollständig kontrolliert wird. 27.12.2015 Der Inlandsgeheimdienst SBU teilt mit, dass er nahe der Frontlinie im Gebiet Luhansk drei verdächtige Personen festgenommen habe, die Anschläge u. a. auf Heizkraftwerke geplant hätten. 27.12.2015 Die Situation im Donbass verschärft sich. In Sajzewe kommt eine Zivilistin durch eine Granate ums Leben. 28.12.2015 Der ehemalige Anführer des rechtsradikalen "Rechten Sektors", Dmytro Jarosch, gibt seinen Austritt aus der Organisation bekannt. Sie sei zum Zweck der Revolution geschaffen worden, und wenngleich diese noch nicht beendet sei, sei das vorrangige Ziel nun der Aufbau des Staates. Jarosch erklärt, er stehe in Opposition zur gegenwärtigen ukrainischen Regierung, halte jedoch gewaltsame Aktionen gegen sie zu diesem Zeitpunkt nicht für zielführend. Er strebe an, mit einigen anderen ehemaligen Mitgliedern des "Rechten Sektors" eine neue Organisation zu gründen. Genaueres wolle er im Februar 2016 bekanntgeben. 28.12.2015 Das Nationale Antikorruptionsbüro nimmt Ermittlungen gegen den ehemaligen Abgeordneten der Partei "Volksfront", Mykolaj Martynenko, auf. Schweizer Behörden hatten zuvor bestätigt, dass sie ebenfalls gegen Martynenko ermitteln – ihm wird vorgeworfen, in seiner Funktion als Vorsitzender der parlamentarischen Energie- und Nuklearkommission für einen Auftrag des Staatsunternehmens Energoatom vom tschechischen Unternehmen Skoda JK eine Bestechungszahlung in Höhe von 30 Millionen Franken erhalten zu haben. Martynenko steht dem Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk nahe. 28.12.2015 Ein Kiewer Gericht ordnet an, den Unternehmer und Politiker Hennadyj Korban in Untersuchungshaft zuüberstellen. Zuvor hatte er unter Hausarrest in Dnipropetrowsk gestanden. Korban, der dem Unternehmer Ihor Kolomojskyj nahesteht, wird vorgeworfen, in die Gründung einer kriminellen Organisation verwickelt und Spendengelder veruntreut und für die Finanzierung illegaler bewaffneter Formationen verwendet zu haben. 29.12.2015 Nach Angaben ukrainischer Medien finden im Donbass erneut vereinzelte Kämpfe zwischen Angehörigen der Armee und den separatistischen Truppen statt. 30.12.2015 Nachdem Präsident Petro Poroschenko am Vortag ein Gesetz unterzeichnet hat, dass es der Regierung erlaubt, Handelssanktionen gegen Russland zu erlassen, kündigt Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk an, die Einfuhr bestimmter russischer Produkte zu untersagen, und auf andere erhöhte Importzölle zu erheben.Diese Maßnahmen seien eine Antwort auf die von Russland verhängten Importverbote ukrainischer Waren zum 01. Januar 2016. Russland hatte damit auf das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU reagiert. 30.12.2015 Der Direktor der Entwicklungsabteilung des ukrainischen Staatskonzerns Naftohaz erklärt, dass der Konzern die Gebühr für den Transit russischen Erdgases durch die Ukraine nach Westeuropa deutlich erhöht habe. Genaue Angaben macht er nicht. 31.12.2015 Nachdem die Regierung am 16. Dezember 2015 den Handel mit der Krim größtenteils verboten hatte, erklären die Aktivisten der Krimblockade, dass sie ihre Kontrollpunkte an der Landgrenze zur Halbinsel aufheben. 31.12.2015 Präsident Petro Poroschenko erklärt in seiner Neujahrsansprache, dass die Ukrainer im vergangenen Jahr stärker und klüger geworden seien. Er wirft Russland vor, der Ukraine kolossale Verluste zugefügt zu haben und verspricht, dass das Land diese in einigen Jahren aufholen werde. 01.01.2016 Mit Beginn des Jahres tritt der wirtschaftliche Teil des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine in Kraft. Es sieht die sukzessive Absenkung von Zöllen und Handelsbeschränkungen vor, für viele Produktgruppen fallen die Zölle sofort weg. Außerdem sollen innerhalb von sieben Jahren europäische Produktionsstandards eingeführt werden. Das Abkommen war am 27. Juni 2014 unterzeichnet worden, das Inkrafttreten des wirtschaftlichen Teils wurdeauf Bitten Russlands jedoch um ein Jahr verschoben. In der Zwischenzeit führten die EU, die Ukraine und Russland Gespräche, um wirtschaftliche Nachteile, die Russland aus dem Abkommen erwachsen könnten, gering zu halten. Die Gespräche verliefen jedoch weitgehend ergebnislos. Russland kündigte daraufhin im Dezember 2015 sein Freihandelsabkommen mit der Ukraine auf und führte zusätzliche Handelsbeschränkungen auf ukrainische Produkte ein. 01.01.2016 Das russische Finanzministerium kündigt an, die Ukraine wegen der bisher ausgebliebenen Rückzahlung eines Kredits in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar vor einem englischen Gericht zu verklagen. Russland hatte, damals noch in Verhandlungen mit dem ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, der Ukraine den Kredit im Herbst 2013 gewährt. Die offizielle Frist zur Rückzahlung war am 31. Dezember 2015 abgelaufen. 02.01.2016 Auch während der Neujahrsfeierlichkeiten werden immer wieder einzelne Schusswechsel von verschiedenen Orten entlang der Frontlinie gemeldet. 03.01.2016 Verteidigungsminister Stepan Poltorak spricht sich gegen die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht aus. Eine Freiwilligenarmee werde keinen Krieg gewinnen, erklärt er. 04.01.2016 Der Botschafter der Ukraine bei der UN, Wolodymyr Jeltschenko, lädt eine Mission des Sekretariats der Organisation in die Ukraine ein, um die Situation im Donbass zu untersuchen. Er setzt sich für eine Blauhelmmission der UN im Konfliktgebiet ein. 04.01.2016 Der Abgeordnete Wiktor Tschumak erklärt, das Haushaltsgesetz für 2016 enthalte einen Absatz, der die Einführung einer Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung verschiebt. So soll die Eintragung aller Vermögensgegenstände von Staatsbediensteten in ein elektronisches Register erst im Jahr 2017 erfolgen. Dieses Register ist jedoch eineBedingung der EU für die Visaliberalisierung, die bereits Mitte des Jahres 2016 erfolgen soll. Aus dem Ministerkabinett heißt es, der Punkt sei nicht Teil des von der Regierung eingereichten Gesetzentwurfs gewesen, er sei von den Abgeordneten hinzugefügt worden. Justizminister Pawlo Petrenko erklärt, man werde so schnell wie möglich eine Gesetzesänderung einleiten. 04.01.2016 Die Regierung verbietet die Vorführung von Kinofilmen, an deren Produktion Personen beteiligt sind, die laut der ukrainischen Behörden die nationale Sicherheit des Staates gefährden. Auf dieser Liste befinden sich zurzeit 83 Personen, darunter viele Kulturschaffende aus Russland. 04.01.2016 Nach Auskunft des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Handel unterbindet Russland zurzeit den Transit ukrainischer Produkte, die über Russland in andere Staaten transportiert werden sollen. 06.01.2016 Justizminister Pawlo Petrenko erklärt, im Jahr 2016 werde die Ukraine Russland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen der Unterstützung von Terrorismus verklagen. 06.01.2016 Der"Ministerpräsident" der "Volksrepublik Luhansk", Ihor Plotnytskyj, kündigt für das orthodoxe Weihnachtsfest die Freilassung mehrerer Gefangener an. Genaue Angaben macht er nicht. Später kommt der Gefangenenaustausch entgegen seiner Ankündigung nicht zustande. Er erklärt, er habe vergeblichversucht, die Verantwortlichen auf ukrainischer Seite zu kontaktieren. 06.01.2016 Ein Berufungsgericht bestätigt das Urteil eines Kiewer Gerichts vom Januar 2013, nach dem ein ehemaliger Mitarbeiter des Innenministeriums, Oleksij Pukatsch, für die Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse im Jahr 2000 verantwortlich ist. 06.01.2016 Das Nationale Antikorruptionsbüro leitet Ermittlungen gegen den hohen Militärstaatsanwalt Konstantin Kulik ein, der im Gebiet der "Anti-Terror-Operation" eingesetzt ist. Journalisten hatten ihm im Dezember 2015 vorgeworfen, in den anderthalb Jahren nach Beginn des Einsatzes der ukrainischen Armee im Donbass mehrere teure Immobilien in Kiew erworben zu haben. Auch seine Familienmitglieder hätten in dieser Zeit Immobilien gekauft. 07.01.2016 Nachdem im Jahr 2015 die ukrainische Wirtschaftsleistung um 12 Prozent zurückgegangen war, prognostiziert die Weltbank für das Jahr 2016 ein Wachstum von einem Prozent, für das Jahr 2017 ein Wachstum von 2 Prozent. 07.01.2016 Der"Präsident" der Krim, Sergej Aksjonow, verlängert den Ausnahmezustand auf der Halbinsel bis Mai 2016. Er war im November 2015 eingeführt worden, nachdem die Stromversorgung der Krim infolge von mehreren Anschlägen auf Strommasten in der Ukraine unterbrochen worden war. 08.01.2016 Das Nationale Antikorruptionsbüro nimmt Ermittlungen im Umfeld des Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk auf. Ihor Skosar, ein ehemaliger Abgeordneter der Partei "Vaterland", hatte bereits im Jahr 2014 erklärt, dass er noch unter Präsident Wiktor Janukowytsch an Jazenjuk sechs Millionen US-Dollar gezahlt habe, um einen Platz auf der Parteiliste zu erhalten. Skosar war im April 2013 aus der Fraktion ausgetreten. Jazenjuk seinerseits hatte damals erklärt, dass Janukowytsch Skosar und einige andere mit Geldzahlungen dazu bewegt habe. 08.01.2016 Der ehemalige Präsident Leonid Krawtschuk erklärt, der Donbass müsse einen besonderen Status genießen, wenn er Teil der Ukraine bleiben solle. Darauf zu setzen, dass man dort "gewinne", und die separatistischen Gebiete wieder normaler Teil der Ukraine würden, werde den Krieg nicht beenden. 09.01.2016 Einer Umfrage in den Niederlanden zufolge beabsichtigt eine Mehrheit der Bevölkerung, bei dem für April 2016 angesetzten Referendum zum Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine abzustimmen. Etwa 78 Prozent der Befragten erklärten, sicher oder wahrscheinlich gegen die Ratifizierung des Abkommens zu stimmen. Zwar hatte das Parlament das Abkommen bereits im Jahr 2015 ratifiziert, doch eine Bürgerinitiative hatte die nachträgliche Durchführung eines Referendums durchgesetzt. Das Referendum ist rein konsultativ, jedoch muss sich ab einer Wahlbeteiligung von 30 Prozent und im Falle einer Ablehnung die Regierung erneut mit dem Dokument befassen. 09.01.2016 Die OSZE-Beobachtermission berichtet von einigen Serien von Schüssen, die aus dem von Separatisten kontrollierten Gebiet der "Volksrepublik Luhansk" abgefeuert worden seien. Außerdem registriert sie auf dem Gebiet mehrere Panzer, die nach den Minsker Vereinbarungen hätten abgezogen werden müssen. In einem Lager der ukrainischen Armee notiert die Organisation das Fehlen einer Haubitze, die bei einer vorangegangenen Kontrolle dort registriert worden war. 10.01.2016 Die Importbeschränkungen für russische Produkte treten in Kraft. Sie sind eine Reaktion auf die russischen Sanktionen. Diese wiederum waren eine Reaktion auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Eine Reihe russischer Produkte, darunter Fleischerzeugnisse und Wodka, dürfen zunächst bis zum 5.August 2016 nicht eingeführt werden. 11.01.2016 Präsident Petro Poroschenko erklärt, dass im März oder April 2016 die in der "Anti-Terror-Operation" eingesetzten Soldaten abgelöst würden. Dazu sollten neue Wehrdienstleistende eingezogen werden. 12.01.2016 Die OSZE-Beobachtermission stellt mehrere Kameras in dem Dorf Schirokineöstlich von Mariupol auf. Dort hatten im Frühjahr vergangenen Jahres heftige Kämpfe zwischen Separatisten und der ukrainischen Armee stattgefunden. 13.01.2016 Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk stellt eine neue Eisenbahnroute für Güterverkehr von der Ukraine nach Kasachstan vor, die den Zweck hat, das russische Transitembargo ukrainischer Exportwaren in zentralasiatische Staaten zu umgehen. So sollen die Waren über Georgien und Aserbaidschan nach Kasachstan gelangen, wobei sowohl das Schwarze als auch das Kaspische Meer überquert werden müssen. 13.01.2016 In einer Umfrage der"Rating"-Gruppe beantworten 54 Prozent der Befragten im ukrainisch kontrollierten Teil des Donbass die Frage, ob dort russischsprachige Menschen aufgrund ihrer Sprache unter Druck gesetzt würden, mit "auf keinen Fall", weitere 28 Prozent wählen die Antwort "eher nein". 2 Prozent antworten mit "auf jeden Fall", weitere 9 Prozent mit "eher ja". 14.01.2016 Die OSZE-Beobachtermission eröffnet zwei neue Basen im Gebiet Donezk. Dies ermögliche eine bessere Kontrolle der Situation und eine schnellere Reaktion im Falle von gemeldeten Zwischenfällen, erklärt der stellvertretende Chef der Mission, Alexander Hug. 14.01.2016 Die Anwälte der beiden in der Ukraine inhaftierten ehemaligen Mitarbeiter des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU erklären, dass beide möglicherweise gegen die in Russland zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilten ukrainischen Staatsbürger Oleg Senzow und Oleksandr Koltschenko ausgetauscht werden könnten. Sie führten entsprechende Gespräche mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU, der sich in dieser Frage kooperationsbereit zeige. Auch die russische Seite habe sich einverstanden erklärt. Später bestreitet der SBU, dass seine Kontaktperson zu den Aussagen befugt gewesen sei. 15.01.2016 Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax treffen sich die Europabeauftrage des US-Außenministerium Victoria Nuland und der Berater des russischen Präsidenten, Wladislaw Surkow, in Kaliningrad zu einem sechsstündigen Gespräch über den Konflikt in der Ostukraine. Zum Inhalt des Gesprächs gibt es keine Informationen. 15.01.2016 Das Energieministerium gibt bekannt, dass die Ukraine im Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr etwa 21 Prozent weniger Erdgas verbraucht habe. Der Verbrauch der Industrie sei dabei um 19 Prozent zurückgegangen, die Haushalte hätten 22 Prozent weniger verbraucht. Die Wirtschaftsleistung ging nach Einschätzungen der Weltbank unterdessen um 12 Prozent zurück. 16.01.2016 Die OSZE-Beobachtermission eröffnet eine neue Basis im Gebiet Luhansk. Der stellvertretende Chef der Mission, Alexander Hug, erklärt, dies ermögliche eine bessere Kontrolle der Situation und eine schnellere Reaktion im Falle von gemeldeten Zwischenfällen. 16.01.2016 Die OSZE-Beobachtermission meldet, dass einer ihrer Autokonvois auf von Separatisten kontrolliertem Gebiet von Scharfschützen beschossen worden sei. Man habe den Ort umgehend verlassen, Menschen seien nicht zu Schaden gekommen. 17.01.2016 Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk erklärt, dass der Staat pro Jahr aufgrund von Korruption bei der Vergabe von Aufträgen etwa 50 Milliarden Hrywnja (etwa 1,85 Milliarden Euro) verliere. 18.01.2016 Der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik Johannes Hahn erklärt, dass die EU-Kommission wahrscheinlich noch im ersten Quartal des Jahres 2016 dem Rat einen Vorschlag zur Abschaffung der Visapflicht für ukrainische Staatsbürger machen könne. 18.01.2016 Der staatliche Statistikdienst veröffentlicht aktuelle Arbeitslosenzahlen. Der Anteil der offiziell als arbeitslos Gemeldeten sei im Jahr 2015 um 0,3 Prozentpunkte auf 1,9 Prozent angestiegen. Die tatsächlichen Zahlen könnten allerdings darüber liegen. 19.01.2016 Die Ukraine reicht beim UN-Sicherheitsrat einen Bericht ein, in dem sie die Separatisten beschuldigt, die Waffenruhe entlang der Frontlinie zu verletzen und so die Umsetzung des politischen Teils der Minsker Vereinbarungen zu untergraben. 19.01.2016 Der russische Energiekonzern Gazprom stellt dem ukrainischen Energieunternehmen Naftohaz eine Rechnungüber 2,55 Milliarden US-Dollar aus. Naftohaz, das einen "take-or-pay"-Vertrag mit Gazprom abgeschlossen hatte, habe im dritten Quartal des Jahres 2015 weniger Erdgas abgerufen als bestellt und müsse die Differenz nun bezahlen. Man erwarte eine Zahlung innerhalb von zehn Tagen. 19.01.2016 Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier fordert eine schnelle Verabschiedung eines Gesetzes zur Durchführung von Wahlen in den von Separatisten kontrollierten Gebieten. Je länger der Prozess dauere, desto größer sei die Gefahr einer erneuten Eskalation des Konflikts. In den Arbeitsgruppen der Minsker Verhandlungen liefen bereits seit sechs Wochen vorbereitende Gespräche. 20.01.2016 Der Botschafter der Ukraine bei der UN, Wolodymyr Jeltschenko, kündigt für den 23. Januar 2016 das Eintreffen einer UN-Delegation an, die dabei helfen solle, die Minenräumung im Donbass zu koordinieren. 20.01.2016 Die Beauftragte des Präsidenten für die friedliche Lösung des Konflikts im Donbass, Irina Heraschtschenko, nennt die Bedingungen der ukrainischen Seite für die Durchführung von Wahlen in den Separatistengebieten. Dazu müssten dort ukrainische Medien zugelassen werden, die OSZE müsse Zugang zu allen Teilen der "Volksrepubliken" erhalten, insbesondere zur ukrainisch-russischen Grenze, über die die Ukraine wieder volle Kontrolle erhalten müsse. Alle ausländischen Einheiten müssten abgezogen werden. 21.01.2016 Dmitrij Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, erklärt, man könne die "Krim-Frage" nicht besprechen, da sie nicht existiere. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor ein diplomatisches Format mit Beteiligung verschiedener Staaten vorgeschlagen, auf dem die Rückgabe der Krim von Russland an die Ukraine besprochenwerden solle. 21.01.2016 Der stellvertretende Chef der OSZE-Beobachtermission, Alexander Hug, erklärt, dass eine Fortsetzung der Angriffe auf Beobachter den Minsker Prozess gefährden würde. Am 16. Januar 2016 hatten Scharfschützen auf separatistisch kontrolliertem Gebiet einen Konvoi der Organisation beschossen. 22.01.2016 Das Verfassungsgericht erklärt einen Gesetzesvorschlag für eine Verfassungsänderung für verfassungsgemäß. Die Korrekturen betreffen die Organisation der Justiz. So soll das Parlament seine Kompetenzen bei der Ernennung von Richtern an den Hohen Justizrat abgeben. Außerdem sollen Richter zukünftig nur noch eine Teilimmunität genießen: In Bezug auf ihre Urteile sollen sie von Strafverfolgung frei sein, nicht aber in Bezug auf Gesetzesverstöße außerhalb davon. 22.01.2016 Die Schweiz stellt der Ukraine Mittel in Höhe von 200 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um ihre Goldreserven aufzufüllen. 23.01.2016 Der Unternehmer und Politiker Hennadyj Korban wird vorerst die Partei"Ukrop" nicht weiter anführen, beschließt das oberste Gremium der Partei. Korban befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft, da gegen ihn wegen des Vorwurfs ermittelt wird, er habe veruntreutes Geld für die Finanzierung einer Privatarmee verwendet. Korban steht dem einflussreichen Unternehmer Ihor Kolomojskij nahe. 24.01.2016 Der"Ministerpräsident" der "Volksrepublik Donezk", Oleksandr Sachartschenko, erklärt, bei den angekündigten Wahlen würden keine ukrainischen Parteien zugelassen, da diese dazu aufrufen würden, gegen den Donbass zu kämpfen. 24.01.2016 Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk fordert, eine Verfassungsreform in einem Referendum dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Die Minsker Vereinbarungen sehen eine Änderung der Verfassung vor, die dem Donbass einen Sonderstatus einräumen soll. Die Chronik wird zeitnah erstellt und basiert ausschließlich auf im Internet frei zugänglichen Quellen. Die Redaktion bemüht sich, bei jeder Meldung die ursprüngliche Quelle eindeutig zu nennen. Aufgrund der großen Zahl von manipulierten und falschen Meldungen kann die Redaktion der Ukraine-Analysen keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernehmen. Zusammengestellt von Jan Matti Dollbaum Sie können die gesamte Chronik seit Februar 2006 auch aufExterner Link: http://www.laender-analysen.de/ukraine/ unter dem Link "Chronik" lesen.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2016-02-01T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/219786/chronik-7-dezember-2015-24-januar-2016/
Aktuelle Ereignisse aus der Ukraine: Die Chronik vom 07. Dezember 2015 bis zum 24. Januar 2015.
[ "Ukraine-Analyse" ]
30,680
Der Fortschritt als Schnecke | Rentenpolitik | bpb.de
Frauenerwerbstätigenquoten in den alten und neuen Bundesländern 1991 und 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Die deutsche Gesellschaft ist durch einen anhaltenden sozialen Wandel geprägt, der sich vor allem in einer Veränderung der Geschlechterrollen sowie der privaten Lebensformen niederschlägt. Die Trends sind bekannt: Steigende Erwerbstätigkeit und Bildungsbeteiligung von Frauen und deren Wunsch nach einer unabhängigen und eigenständigen Lebensführung auf der einen Seite − niedrige Geburtenziffern, späte Heirat, gestiegenen Scheidungszahlen und Tendenzen zur Wiederheirat sowie zu nicht-ehelichen Lebensformen auf der anderen Seite. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöht sich von Kohorte zu Kohorte und die familienbedingten Erwerbsunterbrechungen werden kürzer und seltener. Die noch unmittelbar nach der Wiedervereinigung unterschiedlichen Erwerbstätigenquoten der Frauen in West- und Ostdeutschland haben sich weitgehend eingeebnet (vgl. Abbildung "Frauenerwerbstätigenquoten in den alten und neuen Bundesländern, 1991 und 2017"). Die lebenslange sog. "Nur-Familienhausfrau" ist auch in den alten Bundesländern zu einer seltenen Ausnahme geworden. Deshalb ist zu erwarten, dass die nachfolgenden Frauengenerationen im Durchschnitt längere Versicherungsverläufe aufweisen, auch begünstigt durch die additive Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten, und die in den Rentenbezug nachrückenden Jahrgänge jeweils durchschnittlich höhere Renten erhalten werden. Allerdings: Eine Anpassung an die Männerrenten ist nicht in Sicht. Denn für berufstätige Frauen hat sich an der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nur wenig verändert, nach wie vor beteiligen sich die Männer lediglich nachrangig an der Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit. Die Erwerbstätigkeit von verheirateten Frauen und Müttern in Deutschland (und hier vornehmlich in den alten Bundesländern) beruht zu großen Teilen auf Teilzeitarbeit, um über diesen Weg Familie und Beruf zu vereinbaren (vgl. Bundesregierung 2013; Klammer 2012). Teilzeitquote insgesamt und nach Geschlecht 2000 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Zwischen 2000 und 2016 ist die Frauenerwerbstätigenquote in den alten Bundesländern von 57,7 Prozent auf 70,3 Prozent angestiegen, dies aber weit überwiegend durch Teilzeitbeschäftigung (+ 2,8 Mio.). Das Arbeitsvolumen von Frauen (Produkt aus Beschäftigtenzahl und durchschnittlicher Jahresarbeitszeit) ist deshalb kaum gestiegen. Es ist also zu einer Umverteilung von Arbeitsverhältnissen innerhalb der Frauen gekommen: In früheren Jahren waren weniger Frauen, diese aber mit durchschnittlich längeren Arbeitszeiten erwerbstätig, heute sind die Arbeitszeiten innerhalb der Gruppe der Frauen sehr unterschiedlich und im Durchschnitt kürzer. Die Teilzeitbeschäftigung von Frauen umfasst 2017 nahezu die Hälfte der erwerbstätigen Frauen (vgl. Abbildung "Teilzeitquoten nach Geschlecht, 2000-2017"). Abhängig erwerbstätige Frauen nach normalerweise geleisteter wöchentl. Arbeitszeit 2005 - 2016 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Entsprechend rücklaufend entwickeln sich die durchschnittlichen Arbeitszeiten. Der Anteil der Frauen, die weniger als 32 Stunden in der Woche arbeiten, ist zwischen 2005 und 2016 von 45,5 Prozent auf 46,1 Prozent gestiegen (vgl. Abbildung "Abhängig erwerbstätige Frauen nach geleisteter wöchentlicher Arbeitszeit 2005 −2016"). Dazu trägt auch die Ausweitung der Minijobs bei (vgl. Abbildung "Beschäftigte in Mini-Jobs 2003-2017"). Beschäftigte in Mini-Jobs 2003 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Diese Trends sind auch eine Folge der immer noch unzureichenden Kinderbetreuungsangebote – vor allem für Kleinkinder. Zugleich werden im Steuer- und Sozialrecht monetäre Anreize gesetzt, dass (Ehe)Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine "Zuverdienerinnenrolle" einnehmen. Zu nennen sind vor allem die Auswirkungen des Ehegattensteuersplittings, der kostenfreien Mitversicherung in der Krankenversicherung sowie der Beitrags- und Steuerfreiheit der Minijobs. Berechnungen im Rahmen der Studie Altersvorsorge in Deutschland (AVID) zeigen insofern eine nur leicht positive Entwicklungstendenz der Rentenanwartschaften von Frauen in Westdeutschland für die jeweils nachfolgenden Kohorten. Hingegen entwickeln sich die Entgeltpunkte bei den Männern stark rückläufig – besonders deutlich sogar bei Männern im jüngeren Erwerbsalter bis zum 23. Lebensjahr (vgl. Abbildung "Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten"). Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Westdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Ursachen sind spätere Eintritte in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgrund längerer Bildungszeiten, längere Phasen der Arbeitslosigkeit und anderer atypischer Beschäftigung – die alle (inzwischen) zu keinen oder allenfalls minimalen Rentenansprüchen führen. Und: Bei jeweils jüngeren Kohorten sinkt diese Zahl immer weiter. Hatten z. B. westdeutsche Männer, die zwischen 1940 und 1944 geboren wurden, bis zum 23. Lebensjahr durchschnittlich bereits 4 Entgeltpunkte erworben, so waren es bis zu diesem Alter bei den von 1970 bis 1974 Geborenen nur noch durchschnittlich zwei Entgeltpunkte. Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Ostdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Bei den Frauen gleicht die gestiegene Frauenerwerbstätigkeit diesen Trend der in der Jugend erworbenen geringeren Rentenansprüche zwar im mittleren Lebensalter aus. Da die Frauenerwerbstätigenquote dann aber unter derjenigen der Männer liegt und die verbeitragten Arbeitseinkommen deutlich niedriger sind als bei Männern, entwickeln sich die bis ins höhere Erwerbsalter angesammelten Entgeltpunkte zwischen den Geschlechtern weiterhin stark auseinander. Frauenerwerbstätigenquoten in den alten und neuen Bundesländern 1991 und 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Teilzeitquote insgesamt und nach Geschlecht 2000 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Abhängig erwerbstätige Frauen nach normalerweise geleisteter wöchentl. Arbeitszeit 2005 - 2016 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Beschäftigte in Mini-Jobs 2003 - 2017 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Westdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ Durchschnittliche kumulierte Zahl der Entgeltpunkte im jeweiligen Lebensjahr nach Geburtskohorten in Ostdeutschland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-11T00:00:00"
"2019-06-03T00:00:00"
"2022-01-11T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/soziale-lage/rentenpolitik/292182/der-fortschritt-als-schnecke/
Der Abstand zwischen den durchschnittlichen Versichertenrenten von Männern und Frauen ist in den letzten Jahren gesunken. Eine Angleichung ist noch lange nicht in Sicht. Vor allem die anhaltenden Entlohnungsunterschiede zwischen Männern verhindern di
[ "Rente", "Rentenpolitik", "Alterssicherung", "Alterssicherung von Frauen", "Versichertenrenten von Frauen", "Rentnerin" ]
30,681
Ansichten zum Klimawandel, zu seinen Ursachen und Folgen | Datenreport 2021 | bpb.de
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist davon überzeugt, dass es einen von Menschen verursachten Klimawandel gibt. Im Jahr 2016 erkannten 54 % der Deutschen nicht nur die Existenz des Klimawandels an, sondern führten diesen auch hauptsächlich oder gänzlich auf menschliches Handeln zurück. Weitere 37 % waren der Meinung, dass sich das Weltklima ändert und dass dies zu etwa gleichen Teilen von natürlichen Prozessen und menschlichem Handeln verursacht wird. Diejenigen, die von der Existenz eines menschengemachten Klimawandels überzeugt waren, gingen zudem mehrheitlich davon aus, dass sich dieser negativ für die Menschheit auswirken wird (79 %). Nur eine kleine Minderheit von 4 % glaubte, dass der Klimawandel überwiegend von natürlichen Prozessen (und damit nicht durch menschliche Aktivitäten) verursacht wird. Ähnlich selten (5 %) glaubten die Menschen in Deutschland, dass sich das Weltklima überhaupt nicht ändert. Der Anteil an Personen, die die Existenz eines von Menschen verursachten Klimawandels anzweifeln, war in den meisten europäischen Ländern ebenfalls sehr gering. Lediglich in der Tschechischen Republik und Litauen war jeder oder jede Zehnte der Meinung, dass sich das Weltklima nicht ändert. Die Ansicht, dass der Klimawandel vorwiegend einen natürlichen Ursprung hat, war in den meisten Ländern etwas häufiger anzutreffen. Das gilt besonders für Norwegen (10 %) und einige osteuropäische Länder (beispielsweise Litauen mit 13 % und Polen mit 9 %). Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland und den anderen hier untersuchten europäischen Ländern ist hingegen von einem anthropogenen Klimawandel überzeugt. Auch der Anteil der Menschen, die den Klimawandel hauptsächlich oder sogar gänzlich auf menschliche Aktivitäten zurückführen, ist in Deutschland und den meisten europäischen Ländern hoch. Weit verbreitet ist auch die Ansicht, dass der Klimawandel mit schwerwiegenden Folgen für die Menschheit einhergeht. In Deutschland waren fast 80 % der Menschen dieser Auffassung. In Spanien war der Anteil mit 88 % noch deutlich höher. Schweden (80 %), Island (81 %) und Portugal (82 %) wiesen ähnliche Werte wie Deutschland auf. In Estland (59 %) und den Niederlanden (61 %) war der Anteil der Menschen, die der Meinung sind, dass der Klimawandel negative Auswirkungen für die Menschheit hat, im europäischen Vergleich am geringsten, wenn auch immer noch relativ hoch.
Article
Christiane Lübke
"2021-06-23T00:00:00"
"2021-03-26T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/umwelt-energie-und-mobilitaet/330373/ansichten-zum-klimawandel-zu-seinen-ursachen-und-folgen/
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist davon überzeugt, dass es einen von Menschen verursachten Klimawandel gibt.
[ "Datenreport", "Umwelt", "Mobilität", "räumliche Mobilität", "Verkehr", "Klimawandel" ]
30,682
Neuerscheinung: DVD zum Multimedia-Projekt "Jugendopposition in der DDR" | Presse | bpb.de
Ab heute ist das Multimedia-Projekt "Jugendopposition in der DDR" als DVD erhältlich. Es widmet sich den unterschiedlichen Facetten des Widerstands von Jugendlichen gegen die SED-Diktatur. Das Angebot wurde von der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb entwickelt. Es eignet sich besonders für den Einsatz in Schulen und Bildungseinrichtungen. Die DVD basiert auf der gleichnamigen Website www.jugendopposition.de, die 2005 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde und laufend erweitert wird. Im Mittelpunkt von "Jugendopposition in der DDR" stehen 24 Zeitzeugen, die persönlich und anschaulich über ihr Handeln, ihre Motive und Ziele berichten. Die couragierten Aktionen und Proteste dieser heute weitgehend unbekannten jugendlichen Oppositionellen zeigen, dass es auch in der Diktatur Alternativen zu Anpassung und Mitläufertum gibt. "Was passiert, wenn du nicht zulässt, dass andere über dich entscheiden?"- mit dieser Frage richtet sich das Projekt vor allem an Schülerinnen und Schüler. "Wir möchten jungen Leuten die Möglichkeiten und Grenzen eigenverantwortlichen Handelns aufzeigen, auch wenn die eigene Position mit scheinbarer oder realer Macht kollidiert", sagt Tom Sello, Projektleiter in der Robert-Havemann-Gesellschaft. Die DVD präsentiert - wie die Website - acht Themenschwerpunkte: die Aktionen gegen die undemokratischen Volkskammerwahlen 1950, den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, die Proteste gegen den Bau der Mauer 1961, gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 sowie die Ereignisse um die Friedensgemeinschaft Jena 1983, die Umwelt-Bibliothek Berlin 1987 und die Friedliche Revolution 1989. Zahlreiche Dokumente, Fotos, Audio- und Videosequenzen vertiefen und illustrieren die einzelnen Themen. Ergänzt wird das Angebot durch ein umfangreiches Personen- und Sachlexikon sowie didaktische Materialien zur Unterrichtsgestaltung. Die DVD ist ab sofort bei der Robert-Havemann-Gesellschaft oder bei der bpb für 6 Euro erhältlich. Rezensionsexemplare können bei beiden Institutionen angefordert werden. Interner Link: Pressemitteilung als PDF-Version (180 KB) Pressekontakt Bundeszentrale für politische Bildung Daniel Kraft Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: presse@bpb.de
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2011-12-23T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/49998/neuerscheinung-dvd-zum-multimedia-projekt-jugendopposition-in-der-ddr/
Ab heute ist das Multimedia-Projekt "Jugendopposition in der DDR" als DVD erhältlich. Es widmet sich den unterschiedlichen Facetten des Widerstands von Jugendlichen gegen die SED-Diktatur.
[ "Unbekannt (5273)" ]
30,683
Integrationstheorien und ihr Einfluss auf Integrationspolitik | Integrationspolitik | bpb.de
Eine für die Migrationsforschung zentrale Problemstellung ist die Integration von Migrant_innen. Dabei stützt sie sich auf unterschiedliche Theorien und Begriffe. Gegenwärtig werden neben dem Konzept der Assimilation, das der Inkorporation oder die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion verwendet. Auf welche Weise Integration dabei gefasst wird, trägt wesentlich dazu bei, wie Migration und ihre Folgen wahrgenommen und welche politischen Mittel für ihre Bearbeitung gefordert werden. Von Assimilationstheorien... Die ersten theoretischen Erklärungsversuche der Migrationsforschung nehmen ihren Ausgang in der Auseinandersetzung mit den großen Einwanderungsbewegungen in die USA im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Das Einfügen von Zuwanderer_innen in die Aufnahmegesellschaft wurde – ganz in der Tradition sozialwissenschaftlicher Evolutionstheorien – als ein fortschreitender Prozess gefasst, an dessen Ende die vollständige Anpassung (Assimilation) steht. Später entstanden stärker ausdifferenzierte Assimilationsmodelle. Assimilation verläuft in diesen Modellen nicht mehr linear und unvermeidlich; sie ist auch abhängig von der Bereitschaft im Zuwanderungsland, die gesellschaftliche Partizipation der Migrant_innen zuzulassen. ...zum Modell des 'ethnischen Pluralismus' Das Leitbild der Assimilation ist vor allem aufgrund seiner ethnozentristischen, homogenisierenden Grundhaltung kritisiert worden, die faktisch eine einseitige Anpassung von Migrant_innen an eine 'Kerngesellschaft' fordert. In den 1960er Jahren verloren Assimilationsmodelle, ausgelöst durch die Bürgerrechtsbewegungen, schrittweise ihre Bedeutung und wurden durch das Gegenmodell des 'ethnischen Pluralismus' verdrängt. Dieses Modell geht von einer Beibehaltung ethnischer Besonderheiten von Gruppen in modernen Gesellschaften aus. Auf diesen Konzepten beruhen integrationspolitische Ansätze, die die Anerkennung und den Schutz ethnischer und kultureller Unterschiede betonen und sich gegen einen "Druck" zur Assimilation wenden. Von einer solchen explizit multikulturellen Integrationspolitik haben inzwischen Staaten wie beispielsweise die Interner Link: Niederlande Abstand genommen. In der Migrationsforschung steht der Ansatz in der Kritik, weil er ethnische und kulturelle Gemeinschaften als homogene Gruppen versteht. Diese essentialistische Vorstellung dient z. B. auch rechtsnationalen Bewegungen als argumentative Grundlage einer ausgrenzenden Identitätspolitik. Integrationssoziologische Ansätze der deutschsprachigen Migrationsforschung In der deutschsprachigen Migrationsforschung wurden erstmals in den 1970er Jahren und frühen 1980er Jahren umfassende Konzepte einer Migrations- bzw. Integrationssoziologie vorgelegt. Sie griffen auf Konzeptionen der US-amerikanischen Soziologie zurück und modifizierten diese. Zu den Pionierarbeiten zählen vor allem die Veröffentlichungen von Hoffmann-Nowotny (1973) und Esser (1980). Von Hoffmann-Nowotny stammt unter anderem die Unterschichtungsthese, die heute zum Alltagsvokabular der wissenschaftlichen oder politischen Auseinandersetzung mit Migrations- und Integrationsfragen gehört. Unterschichtung meint, dass Migrant_innen in die untersten Positionen des sozialen Schichtungsgefüges eintreten, während die 'Einheimischen' neue, höhere Positionen besetzen. Zu beobachten sind Interner Link: solche "Fahrstuhleffekte" beispielsweise am Arbeitsmarkt. Anders als die prominente Unterschichtungsthese sind Hoffmann-Nowotnys theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Migration und Integration in den Hintergrund geraten. Deutlich mehr Einfluss auf das in der deutschen Integrationspolitik herangezogene Verständnis von Integration hatte die Theorie des Mannheimer Soziologen Hartmut Esser. Essers handlungstheoretisches Modell orientiert sich an einer kognitiven Theorie des Handelns und Lernens von Individuen. Entsprechend versteht er Handlungen als rationale Entscheidungen von Akteur_innen, die ihren individuellen Nutzen maximieren wollen. Die mit Migration verbundenen Problemstellungen (wie z.B. der Erwerb von Sprachkompetenz und Bildungsqualifikationen oder die Beteiligung am primären Arbeitsmarkt) versteht er somit als individuelle Anpassungsleistung. Im Prozess der Assimilation unterscheidet Esser zwischen vier Dimensionen: kulturelle Assimilation (Übernahme von Wissen, Fertigkeiten, Sprache), strukturelle Assimilation (Übernahme von Rechten, Statuspositionen über Bildung und Arbeitsmarkt), soziale Assimilation (Aufnahme sozialer Beziehungen, Netzwerke) und emotionale Assimilation (Übernahme von Werthaltungen und Loyalitäten). Diese vier Dimensionen stehen nach Esser in einem kausalen Zusammenhang und bestimmen den Grad der gesellschaftlichen Integration des Individuums. Die vollständige Assimilation ist dabei nicht unausweichlich; eine partielle Assimilation ist möglich. Entscheidend ist, ob sich Migrant_innen an der Herkunftsgemeinschaft (ethnische Communities) orientieren oder am Aufnahmekontext. So ergeben sich vier Möglichkeiten der Sozialintegration (siehe Tabelle). Letztlich ist nach Esser die individuelle Assimilation, also die Integration in den Aufnahmekontext bei gleichzeitiger Aufgabe der Bindungen im ethnischen Kontext, alternativlos, um die sozialen Statuspositionen der nicht-migrierten Bevölkerung zu erreichen. Nach wie vor gilt Essers Theorie als der prominenteste Versuch, die US-amerikanischen Assimilationstheorien in die deutsche Migrationsforschung zu übertragen und weiterzuentwickeln. Zahlreiche Forschungsprojekte orientieren sich bis heute an seinem Modell und ziehen die vier Dimensionen der individuellen Assimilation (kulturelle, strukturelle, soziale und identifikative Assimilation) für ihre Untersuchungen heran. Auch die deutsche Integrationspolitik greift auf diese Vorstellung von Integration zurück. Dies gilt insbesondere für das seit den 2000er Jahren auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene im Aufbau begriffene Interner Link: Integrationsmonitoring, das einen Überblick zum Stand der Integration von Migrant_innen und damit eine Planungsgrundlage für politische Entscheidungsprozesse liefern soll. Dabei wird Esser selbst kaum als Referenz benannt und der heute tabuisierte Begriff der Assimilation schlicht durch den der Integration ersetzt. Vor diesem Hintergrund bleibt Assimilation nach wie vor ein wirkmächtiges Konzept der Integrationspolitik. Migrationsforscher_innen haben zahlreiche Einwände gegen Essers Theorie erhoben. So kritisieren sie, dass Probleme der Integration als mangelnde Anpassung der Migrant_innen verhandelt werden, denen im Esserschen Verständnis die Bringschuld für die soziale Integration zufällt. Strukturelle Ungleichheiten, Diskriminierungen oder subtile Mechanismen der Exklusion durch dominante mittelschichtsorientierte Normalitätsvorstellungen würden hingegen vernachlässigt. Stattdessen stelle Essers Integrationstheorie individuelle Orientierungen der Zugewanderten in den Vordergrund und gehe davon aus, dass diese als rational Handelnde ihre individuellen Möglichkeiten als 'Entweder-Oder'-Entscheidungen (Segmentation oder Assimilation) treffen. Multiple Inklusionen (siehe Tabelle) der Migrant_innen seien Essers Theorie zufolge nahezu ausgeschlossen. In einer modernen pluralistischen Gesellschaft könne, so die Kritik, jedoch nicht von normsetzenden Werten oder einer Leitkultur ausgegangen werden, an die sich Zugewanderte stufenweise anpassen. Nur wenige Wissenschaftler_innen kritisieren Esser jedoch von einem explizit theoretischen Standpunkt aus. Transnationale Ansätze Eine neue Perspektive haben transnationale Ansätze in die Migrationsforschung eingeführt. Traditionell wird in der Migrationsforschung Zuwanderung aus der Perspektive der Eingliederung der Migrant_innen betrachtet. Die Transnationalismusforschung kritisiert seit den 1990er Jahren vor allem die Assimilationstheorie sowie den in der Migrationsforschung vorherrschenden "methodologischen Nationalismus", d. h. ihre nationalstaatliche Prägung. Ausgangspunkt für diese neue Perspektive ist die Beobachtung, dass sich die Muster internationaler Wanderungsbewegungen unter dem Einfluss des globalen Kapitalismus deutlich verändert haben. Neben der Beschleunigung von Migrationsprozessen lässt sich eine zunehmende Externer Link: Differenzierung der Migrationsformen feststellen. Grenzüberschreitende Wanderungen sind dabei immer weniger als einmalige Wohnsitzverlagerung anzusehen. Interner Link: Transmigrant_innen lassen sich in einem anderen Land nieder und erhalten gleichzeitig aktiv Verbindungen zum Herkunftsland aufrecht. Damit verlagert sich die transnationale Forschungsperspektive auf verdichtete, relativ stabile und kontinuierliche grenzüberschreitende Interner Link: Netzwerke, die zu einer wichtigen 'Brücke' zwischen Herkunfts- und Zuwanderungskontext werden. Einmal in Gang gesetzte Migrationen lassen sich daher auch nicht einfach abstellen – trotz der auf Kontrolle der Mobilität abzielenden Migrationspolitiken. Sie legen vielmehr Pfade für weitere Migrationen. Aufrechterhalten und verstärkt werden die sozialen Netzwerke der Migrant_innen durch beschleunigte Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten. Mit der Eingebundenheit in zwei oder mehr Gesellschaften entstehen sogenannte "pluri-lokale" Sozialräume. Zwar sind diese Räume auch von nationalstaatlichen Strukturen geprägt (z. B. die nationalen Gesetze), die Lebensführung von Transmigrant_innen ist aber mehr oder weniger dauerhaft länderübergreifend orientiert. Angesichts der Transnationalisierung der Migration wird von dieser Forschungsrichtung ein neues Verständnis von Integration im Sinne eines dynamischen Teilhabemodells für notwendig erachtet. Alternativ zu den Begriffen Assimilation und Integration schlägt der Soziologe und Migrationsforscher Ludger Pries den Begriff Inkorporation vor "als ergebnisoffenen Prozess der ökonomischen, kulturellen, politischen und sozialen Verflechtungen von Migranten auf der lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Ebene". Die Kombination verschiedener Orientierungen begünstigt Interner Link: fluide und multiple Identitäten oder sogenannte Bindestrich-Identitäten, die durch Auswahl von Elementen und ihrer Vermischung zu etwas Neuem zusammengeführt werden können. Dabei wird von einigen Vertreter_innen beider Richtungen, der Assimilationstheorie wie des Transnationalismus, zuweilen übersehen, dass Menschen in der modernen Gesellschaft, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, multiple Identitäten ausbilden. Menschen identifizieren sich mit ihrem Wohnort, einer beruflichen Stellung, ihrer Geschlechts-, Generations- und Klassenzugehörigkeit, ihrer Religion, Ethnizität und/oder Nationalität. Kritiker der Transnationalismusforschung wenden ein, dass es sich hier weniger um eine ausgearbeitete Theorie handelt, als vielmehr um eine bestimmte Forschungsperspektive. Michael Bommes weist darauf hin, dass auch in dieser Perspektive der Nationalstaat der Bezugsrahmen bleibt. Denn transnationale Migrant_innen müssen sich sowohl an die Erwartungen des Herkunftskontextes als auch der Organisationen im Zuwanderungsland kontextspezifisch anpassen, um dort Zugang zu finden. Assimilation findet also statt. Systemtheoretischer Ansatz zur Erklärung von Integration Gestützt auf die soziologische Systemtheorie und die darin ausgeführte Theorie der funktionalen Differenzierung (nach Niklas Luhmann) schlägt Michael Bommes vor, Migration und ihre Folgen unter den Gesichtspunkten der Inklusion/Exklusion zu betrachten und nicht als Problemstellung der sozialen Integration. Die Systemtheorie versteht moderne Gesellschaften nicht als organische Ganzheiten. Innerhalb der modernen Interner Link: Gesellschaft bilden sich vielmehr einzelne autonome Teilsysteme (u.a. Wirtschaft, Recht, Politik, Erziehung) heraus, die als Funktionssysteme bezeichnet werden. Das Individuum gehört nicht nur einem Teilsystem an, sondern ist gleichzeitig und lebensphasenspezifisch in verschiedene Teilsysteme inkludiert bzw. exkludiert, in denen es verschiedene soziale Rollen einnimmt. Der Begriff der Inklusion wird daher dem Begriff der Integration vorgezogen, da in systemtheoretischer Perspektive kein Individuum in 'die Gesellschaft' als solche integriert ist. Die Frage der Inklusion (und entsprechend der Exklusion) überlässt die Gesellschaft ihren Funktionssystemen: So regelt sich z. B. die Teilnahme am Erziehungssystem über Schulen, Schulabschlüsse und Zeugnisse. Personen sind nicht von vornherein in die Funktionssysteme einbezogen, sie müssen den Zugang entlang der spezifischen Bedingungen der Teilsysteme erst finden (so wird der Zugang zu Gymnasien z.B. über eine Bildungsempfehlung, die den Schüler_innen von ihren Lehrer_innen ausgestellt wird, erst möglich). Dies stellt an alle Individuen – nicht nur Migranten_innen – große Anforderungen. Ob dabei ihre Kompetenzen Anerkennung finden, hängt auch von den jeweiligen Bedingungen und Barrieren ab, auf die sie in Organisationen treffen. Denn über Organisationen erhalten Individuen erst die Möglichkeit der Inklusion in die verschiedenen Teilsysteme. So werden auch Phänomene sozialer Ungleichheiten über Organisationen vermittelt (wie z. B. der erschwerte Zugang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu betrieblichen Ausbildungsstellen). Ungleiche Inklusionschancen ergeben sich u.a. dadurch, dass Staaten die Bedingungen für die Zuwanderung und den Aufenthalt von Ausländer_innen festlegen. Damit einher gehen stets auch Möglichkeiten und Verbote der Teilnahme an Funktionssystemen und ihren Organisationen. So dürfen Asylsuchende beispielsweise in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nicht arbeiten. Die Zuordnung zu einer bestimmten Migrationskategorie (ob nun Fluchtmigrant_in oder hochqualifizierte/r Arbeitsmigrant_in) steigert oder verringert also die Möglichkeiten der Inklusion. Da die Integration von Individuen in diesem Ansatz nicht als vollständiger Einschluss in die Gesellschaft betrachtet wird, ermöglicht die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion differenzierte Beschreibungen von Inklusionsbedingungen (in den Arbeitsmarkt, in das Bildungssystem, in das politische System usw.). Die "kritische Migrationsforschung" verkennt diese Forschungslogik, wenn sie dem systemtheoretischen Ansatz von Bommes vorhält, die strukturellen Anforderungen der Teilsysteme zu bekräftigen, statt sie machtkritisch zu hinterfragen. Leichte Anklänge an systemtheoretische Ansätze finden sich immer dann, wenn Integration als gleichberechtigte Teilhabe in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens definiert wird, wie z.B. durch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) oder die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Dabei werden jedoch die Begriffe der Teilhabe und Integration nicht differenziert an theoretische Grundannahmen rückgebunden. Beide Begriffe landen vielmehr in einen Topf, wenn von "gesellschaftlicher Teilhabe" als "Grundvoraussetzung für gelingende Integration" die Rede ist, die empirisch über die Teilhabe zu messen sei. Fazit und Ausblick Assimilation, Multikulturalismus, Inkorporation und Inklusion fungieren als analytische Begriffe, um Integration theoretisch zu fassen. Sie weisen zugleich eine mehr oder minder große Nähe zu den Problembeschreibungen (z.B. Segregation, Integrationsdefizite, kulturelle Differenz) auf, die von verschiedenen Akteur_innen in der Politik (und der Praxis) vorgenommen werden. Der Umgang mit Migration und ihren Folgen ist nicht einfach da; Problembeschreibungen müssen von den davon jeweils betroffenen Organisationen – wie z.B. Verwaltungen – erst definiert werden. Wissenschaftliche Konzeptualisierungen von Integration sind schon immer in politische Problembeschreibungen eingeflossen. Umgekehrt orientiert sich die Migrationsforschung an der dominanten politischen Konzeptualisierung von Integration, die gewissen 'Moden' unterliegt. Die politischen Beschreibungen von Integration weisen heute zwei Bedeutungsebenen auf: Thematisierung von Migration als Problem nicht-integrierter Migrant_innen oder gleichberechtigte ökonomische, soziale, politische und kulturelle Teilhabe. Konkrete Integrationskonzeptionen konzentrieren sich jedoch oftmals auf die Forderung nach individuellen Anpassungsleistungen, die von Migrant_innen erwartet werden. Es liegt also ein Integrationsverständnis zugrunde, das sich eng an die Assimilationstheorie anlehnt. Vor diesem Hintergrund plädieren Wissenschaftler_innen der "kritischen Migrationsforschung" dafür, den Integrationsbegriff ganz abzuschaffen. So berechtigt die Kritik am Integrationsbegriff als Teil der Konstruktion einer (problematisierenden und kulturalisierenden) Erwartungshaltung ist, hilft generell ein Streit um Begriffe der gesellschaftspolitischen Diskussion wenig und sollte hinter ihrer angemessenen theoretischen Fassung und Verwendung zurückstehen. Mehr zum Thema Interner Link: Kohäsion? Integration? Inklusion? Formen und Sphären gesellschaftlicher (Ein-)Bindung Interner Link: Migration und die Veränderung der Gesellschaft Interner Link: Alter Wein in neuen Schläuchen? Integrationskonzepte vor der Bundestagswahl Interner Link: Die Einheit der Verschiedenen: Integration in der postmigrantischen Gesellschaft Die jeweiligen Begriffe werden im Laufe des Textes erläutert. Wichtige Vertreter sind die Chicago School (Robert E. Park und Ernest W. Burgess) und Alain Richardson. Stärker ausdifferenzierte Assimilationsmodelle stammen von Shmuel N. Eisenstadt (1954) und Milton M. Gordon (1964). Einen Überblick über diese klassischen Assimilationstheorien findet sich z. B. bei Aumüller (2009): Assimilation. Kontroversen über ein migrationspolitisches Konzept. Bielefeld. Vgl. Glazer, Nathan/ Moyniham, Daniel P. (1993): Beyond the Melting Pot, Cambridge, Massachusetts. Vgl. z. B. Otto, Hans-Uwe/ Schrödter, Mark (2006): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Von der Assimilation zum Multikulturalismus und zurück?, in: Dies. (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft: Multikulturalismus – Neo-Assimilation – Transkulturalität. Neue Praxis Sonderheft 8, Lahnstein, S. 1-18. Sein theoretischer Ansatz zur Erklärung von Migration und Integration findet sich z. B. in Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1973): Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel der Schweiz. Stuttgart. Vgl. Esser, Hartmut (1980): Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten. Eine handlungstheoretische Analyse. Darmstadt/ Neuwied, S. 14. Vgl. Esser, Hartmut (2004): Welche Alternativen zur 'Assimilation' gibt es eigentlich?, in: IMIS-Beiträge, Heft 23, S. 45. Die Diskussion über die integrative bzw. segregative Wirkung von ethnischen Communities wird seit den 1980er Jahren geführt (Elwert-Esser-Debatte). Während Elwert (1982) in seinem einschlägigen Aufsatz argumentiert, dass die "Binnenintegration" unter bestimmten Voraussetzungen als "Integrationskatalysator" wirken kann, stellt Esser (1986) dies in Frage. Vgl. Elwert, Georg (1982): Gesellschaftliche Integration durch Binnenintegration?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 4, S. 717-732 und Esser, Hartmut (1986): Ethnische Kolonien: Binnenintegration oder gesellschaftliche Isolation?, in: Hoffmann,-Zlotnik, J.H.P. (Hrsg.): Segregation oder Integration? Die Situation der Arbeitsmigranten im Aufnahmeland. Mannheim, S. 106-117. Vgl. Esser (2004): a.a.O. Vgl. Aumüller (2009): a.a.O. Glick Schiller, Nina/ Wimmer, Andreas (2002): Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Sciences, in: Global Networks. 2, Nr. 4, S.301-334. Pries, Ludger (2003): Transnationalismus, Migration und Inkorporation. Herausforderungen an Raum- und Sozialwissenschaften, in: Geographische Revue, Heft 2, S. 25. Pries (2003), a.a.O., S. 32. Vgl. Bommes, Michael (2003): Der Mythos des transnationalen Raumes. Oder: Worin besteht die Herausforderung des Transnationalismus für die Migrationsforschung?, in: Thränhardt, Dietrich/ Hunger, Uwe (Hrsg.): Migration im Spannungsfeld von Globalisierung und Nationalstaat. Wiesbaden, S. 90-116. Vgl. Bommes, Michael (2011): Migration in der modernen Gesellschaft, in: Ders.: Migration und Migrationsforschung in der modernen Gesellschaft. Eine Aufsatzsammlung. IMIS-Beiträge Heft 38. Osnabrück, S. 53-72. Mit 'Kritischer Migrationsforschung' wird eine Richtung innerhalb der Migrationsforschung bezeichnet, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsdimensionen auseinandersetzt. Darunter zählen sich beispielsweise postkoloniale und rassismuskritische Ansätze oder Vertreter_innen der These der Autonomie der Migration. Vgl. Mecheril, Paul (2006): Die Unumgänglichkeit der Unmöglichkeit der Angleichung. Herrschaftskritische Anmerkungen zur Assimilationsdebatte in: Otto, Hans-Uwe/Schrödter, Mark (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft: Multikulturalismus – Neo-Assimilation – Transkulturalität. Neue Praxis Sonderheft 8, Lahnstein, S. 1-18. Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2016): 11. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration - Teilhabe, Chancengleichheit und Rechtsentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Berlin, S. 35; Siehe auch SVR (2012): Integration im Föderalen System: Bund, Länder und die Rolle der Kommunen. Jahresgutachten 2012 mit Integrationsbarometer. Berlin, S. 17. Vgl. z.B. Hess, Sabine/ Moser, Johannes (2009): Jenseits der Integration. Kulturwissenschaftliche Betrachtungen einer Debatte, in: Hess, Sabine u.a. (Hrsg.): no-integration?!. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa. Bielefeld, S. 11-25.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-11-26T00:00:00"
"2018-05-16T00:00:00"
"2021-11-26T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/integrationspolitik/269373/integrationstheorien-und-ihr-einfluss-auf-integrationspolitik/
Was ist eigentlich "Integration" und wie funktioniert sie? Ein Überblick über zentrale Integrationstheorien und ihren Einfluss auf die Integrationspolitik.
[ "Integration", "Inklusion", "Migration", "Trans", "Migrant", "Pluralismus", "Assimilation" ]
30,684
Rede auf dem Sommerempfang des Weiterbildungsverbunds "Kultur Bildet Weiter" des Thüringer Theaterverbands und der LAG Spiel und Theater in Thüringen (6.6.2016, Erfurt) | Presse | bpb.de
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, liebe Theatermacherinnen und -macher! Ich erinnere mich selber an zwei „Weiterbildungen“, die ich in der letzten Zeit besucht habe. Die erste war genau genommen eine Fachtagung: sie hieß „Was darf die Kunst? Über die Freiheit der Kunst und die Wiederkehr des Religiösen“ in der Akademie unter den Bäumen in Genshagen. Es ging bei der Tagung um die ganz großen Fragen unserer Zeit, um den gesellschaftlichen Diskurs seit dem Attentat auf die französische Zeitung Charlie Hebdo und die Frage, was Kunst darf und ob, und von wem ihr Grenzen auferlegt werden dürfen. In einer zweiten Weiterbildung habe ich mich als Behördenleiter mit dem Thema „Diversity Management in der öffentlichen Verwaltung" beschäftigt. Hierbei ging es darum, sich mit der immer größer werdenden Heterogenität unserer Beschäftigten im öffentlichen Dienst auseinanderzusetzen und Techniken und Methoden des Diversity Managements zu lernen, um diese Vielfalt aktiv zu fördern. Wie sie an beiden Weiterbildungen sehen, sowohl im Bereich des Behörden-Managements als auch in der gesellschaftspolitischen Tagung in Genshagen ging es jeweils darum, sich mit den aktuellen Herausforderungen zu beschäftigen, vor denen wir als politische und kulturelle Bildnerinnen und Bildnern, als Theatermacher und Kunstschaffende stehen, inhaltlich wie organisatorisch: Der Herausforderung, dass das Land in dem wir leben sich in unterschiedlicher Hinsicht verändert hat. Die gesellschaftliche Pluralität nimmt zu und wird immer sichtbarer. Kürzlich haben wir den „Datenreport“ der bpb in Berlin vorgestellt: die dort vorgestellten Zahlen und die in den Medien vor allem im Spätsommer und Herbst des letzten Jahres dauerpräsente Entwicklung der Fluchtmigration nach Deutschland sprechen für sich. Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat seine Wurzeln im Ausland. Und es sieht nicht so aus, als ob diese Quote in absehbarer Zeit sinken wird - im Gegenteil. Schauen wir nur auf die Kinder in Deutschland unter sechs Jahren, da hat schon jedes dritte einen Migrationshintergrund. Und wie Sie ja gerade hier in Thüringen auch wissen, gibt es ja nicht gerade wenige Menschen, die sich durch diese faktische Entgrenzung ihres Ankers beraubt sehen und eine Sehnsucht nach Homogenität entwickelt haben, nach Eindeutigkeit und Abgrenzung. Sie glauben tatsächlich daran, dass alles besser funktioniert, wenn Nationalitäten sauber voneinander getrennt leben. Leider neigen der eine oder die andere auch zu Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, also zur Abwertung "anderer" und vermeintlich geschlossener Personengruppen - aktuell sind hier vor allem die Geflüchteten das Ziel. Aber selbst gebürtige Berliner, die es bis in die Fussball-Nationalmannschaft geschafft haben sind vor völkischem Gedankengut nicht sicher. Kultur und Bildung gehören untrennbar zusammen Diesen gesellschaftspolitischen Herausforderungen müssen Sie und wir uns in der täglichen Arbeit stellen und Sie stellen sich Ihnen! Gerade in der letzten Zeit habe ich vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich die Theater dem Bereich der Bildung aus mehreren Gründen intensiver zuwenden als in früheren Jahrzehnten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sich über Bildungs- und vor allem Beteiligungsprojekte zunehmend öffentliche und private Finanzmittel generieren lassen, sondern auch damit, dass sie selbst ihrem – nicht immer explizit zugewiesenen – Bildungsauftrag mehr Bedeutung geben als zuvor. Seitdem der Trend sowohl zum Laientheater – heute sagen wir natürlich dazu: Theater mit den Experten des Alltags - als auch zum dokumentarischen Theater immer stärker wurde, ließen sich die beiden Elemente – künstlerische Produktion und Einbindung besagter Alltagsexperten unter Bildungsvorzeichen – auch besser verbinden. Aber auch das von der künstlerischen Produktivität losgelöste Bildungsprojekt gewinnt sukzessive an Bedeutung. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Gesellschaften des Westens den Individuen selbst den Großteil der Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Lebens zugewiesen haben. Kultur bedeutet Lebensweise und kulturelle Bildung beschäftigt sich mit den Lebensweisen, die von uns als Bildungsaufgaben interpretiert werden. Deshalb gehören Kultur und Bildung untrennbar zusammen. Dies wird leider in Deutschland noch nicht in der gesamten Tragweite erkannt, aber von immer mehr Akteuren erspürt. Und je stärker die Lebensweisen auf die Agenda der öffentlichen Diskussionen kommen, je mehr also beispielsweise über Fragen der Identität und der kulturellen Orientierung debattiert wird, über Werte und die Frage „Wie wollen wir in Zukunft zusammen leben?“, umso mehr fühlen sich die Protagonisten der Kunst und der kulturellen Bildung auf den Plan gerufen. Zu Recht: in Gesprächen wurde mir immer wieder bestätigt, dass die Akteure aus den Künsten bereit sind, angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen eine höhere gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und dies nicht nur in Form gesellschaftskritischer oder sogar politischer Kunst auszudrücken, sondern gerade auch in der Hinwendung zur kulturellen Bildung, die ja selbst auch ein unübersehbares kritisches Potential hat. Meist steht dabei nicht so sehr das Pädagogische im Vordergrund, sondern die Bildungseffekte durch das künstlerische Erleben. Seitens der politischen Bildung ist dazu anzumerken, dass die Zugänge der kulturellen Bildung, die einen ausgesprochen sensuellen Ansatz haben, oftmals eine tiefere Einsicht in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewirken können, als dies Bildungsansätze vermögen, die auf reiner Wissensvermittlung basieren. In der politischen Bildung im engeren Sinne folgen wir noch viel zu oft den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsenses, der eine Selbstdisziplinierung des Staates darstellt, um die Überparteilichkeit zu sichern. Aber auch wenn kulturelle Bildung ein zentraler Baustein einer kritischen demokratischen Persönlichkeitsbildung ist, geschieht sie nicht voraussetzungslos. Kulturelle Bildner und Bildnerinnen sind heute nicht allein kulturvermittelnd tätig, was ja auch eine Kunst für sich ist, sondern in der Regel sind sie auch gefordert, sich auf bildungs- und kulturbenachteiligte Zielgruppen einzulassen. Mit Menschen aus anderen kulturellen Kontexten zu arbeiten, generationsübergreifende Bildungsangebote zu machen und permanent neue Formate zu entwickeln, die einer Reihe von Qualitätskriterien genügen müssen, welche meist erst explorativ zu erschließen sind: z.B. „Wie verwirkliche ich gesellschaftliche Teilhabe? Wie stelle ich meine Institution insgesamt auf die Bildungsanforderungen um, damit Bildung nicht nur die Sache einer einzelnen kulturvermittelnd tätigen Person ist? Wie arbeitet man mit Geflüchteten, die Trauma-Erfahrungen haben? Wie arbeitet man ohne Worte mit Menschen, die unsere Sprache noch nicht sprechen? Wie ist Inklusion zu bewerkstelligen? Was ist bei der Arbeit mit kleineren Kindern zu beachten? Wie kann ich meine eigene Arbeit beobachten und evaluieren? Wie funktioniert Kooperation mit Schulen und anderen Institutionen? Diese Fragen sind keine direkten Fragen der Kunstvermittlung. Erfahrungen und Intuition sind hier aber sehr gut zu gebrauchen, aber oftmals eben nicht ausreichend. Es braucht der Qualifizierung durch Menschen, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigt haben. Und ich freue mich, dass Sie in Ihrer Reihe „KULTUR BILDET WEITER“ gerade auch genau zu diesem Thema eine Weiterbildung im Programm haben, die sich sehr praxisnah mit der interkulturellen Kompetenz in der Kulturarbeit beschäftigt. Ich kann sie dazu nur ermutigen, ein solches Angebot auch anzunehmen! Und ich lade Sie darüber hinaus auch ein, das vielfältige Angebot der bpb und ihrer Kooperationspartner in diesem Kontext zu nutzen! Beuten Sie uns aus! Sie brauchen da kein schlechtes Gewissen zu haben. Wir wollen das sogar! Nonprofit but Management Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt sehr viel über die aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen für Ihre Arbeit, über die (neuen) Ansprüche an Ihre Profession gesprochen. Und mir ist klar, dass alleine diese schon sehr häufig das Maß des - oftmals ehrenamtlichen - Engagements vollkommen ausschöpfen. Aber ich weiß auch ob des Spagates, in dem Sie organisatorisch stecken. Sie müssen als „Non-Profit-Manager“ kleine Betriebe organisieren. Die (staatlichen) Fördermittel sind knapp. Oft wird der Inhalt von rechtlichen Fragen, vom zwingend notwendigen Fundraising und der Einhaltung rechtlicher Vorgaben an den Rand gedrängt. Sie müssen, um bestehen zu können, professionell agieren. Deshalb freut es mich besonders, dass Sie in Ihre Reihe neben der Weiterqualifizierung in genau diesen „Management“ Instrumenten auch ein Seminar aufgenommen haben, das sich mit der „Motivation und Leitung im Ehrenamt“ beschäftigt. Denn das Organisieren des Teams, das immer wieder neue Motivieren, sich den neuen Herausforderungen und eben dem Spagat zwischen Inhalt und Organisation zu stellen, das wird auch in Zukunft eine Schlüsselkompetenz sein, die man in Ihrem – wie übrigens auch in unserem – Bereich braucht! Außerdem möchte ich Ihnen hinsichtlich der Motivationsthematik noch eine Sache mit auf den Weg geben: Sie stehen nicht allein vor den ganzen Herausforderungen. Auch eine Bundesbehörde wie die bpb muss sich heute permanent neu erfinden. Wir haben uns vor einigen Jahren positioniert, eine lernende Behörde zu sein. Wir probieren viel aus, auch mit ganz unterschiedlichen Partnern, um zu sehen, wie diese arbeiten und mit Problemen umgehen. Wir haben dabei begriffen, dass Scheitern immer nur eine Etappe ist und sehr produktiv sein kann. Wir versuchen ständig neue Angebote für neue Zielgruppen zu entwickeln und prüfen, was funktioniert und was nicht so gut funktioniert. Dabei ist es unser Prinzip, mit den Zielgruppen in enge und dauerhafte Gespräche zu gehen. Bildung ist kein Top-Down-Geschäft, sondern beruht auf einer dialogorientierten Partnerschaft auf Augenhöhe. Weiterbildungsangebote sollten sich deshalb auch sehr eng an den Bedürfnissen der Aspirant/innen orientieren. Bleiben Sie darum mit den Anbietern in Kontakt, geben Sie feed back und äußern Sie Ihre Bedarfe. Dort, wo Sie selbst in der Rolle des Bildungsanbieters sind, können Sie mit einem partnerschaftlich orientierten Prozess sehr viel erreichen. Meine Damen und Herren, hier schließt sich für mich wieder der Kreis. Es waren zwei Weiterbildungen zu den gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit und wie man sie als Mitarbeiter einer Einrichtung „managen“ / organisieren kann. Ich vermute, dass auch Sie diese Fragen umtreiben und wünsche Ihnen für Ihre Reihe „KULTUR BILDET WEITER:“ viel Erfolg. Sie sind mit den gewählten Qualifizierungen zu inhaltlichen und organisatorischen Themen in den ersten sechs Seminaren auf dem richtigen Weg! Und ich verstehe den Doppelpunkt hinter dem Verbundnamen so, dass sie ihn mittel- und längerfristig auch weitergehen wollen und werden. Um mit Walter Benjamin zu schließen: „In diesen Tagen darf sich niemand auf das verlassen, was er kann. In der Improvisation liegt die Stärke. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden.“ Oder mit dem Motto, das mir bei Verspätungen der Deutschen Bahn immer Trost spendet: „Kopf hoch - und nicht die Hände!“ - Es gilt das gesprochene Wort -
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2016-06-10T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/229176/rede-auf-dem-sommerempfang-des-weiterbildungsverbunds-kultur-bildet-weiter-des-thueringer-theaterverbands-und-der-lag-spiel-und-theater-in-thueringen-6-6-2016-erfurt/
Gerade in der letzten Zeit habe ich vielfach die Erfahrung gemacht, dass sich die Theater dem Bereich der Bildung aus mehreren Gründen intensiver zuwenden als in früheren Jahrzehnten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass sich über Bildungs- und vor a
[ "" ]
30,685
September 2021 | Deine tägliche Dosis Politik | bpb.de
01.09.2021: Wahlhelfer/-innen Guten Morgen, wer sorgt dafür, dass die Bundestagswahl am 26. September ordnungsgemäß abläuft und wir schon kurz nach Schließung der Wahllokale erste Ergebnisse bekommen? Rund 650.000 Wahlhelfer/-innen sind am Wahltag wieder im Einsatz. Wahlhelfer/-innen? Am Wahltag gehört zu den Aufgaben der Wahlhelfer/-innen u.a., dass sie die Stimmzettel ausgeben, die Wähler/-innen und die abgegebenen Stimmen zählen, das Wahlergebnis feststellen und für Ruhe und Ordnung im Wahlraum sorgen. Sie bilden den Wahlvorstand, zu dem immer ein/-e Wahlvorsteher/-in samt Stellvertreter/-in gehören – und, je nach Größe des Wahlbezirks, 3 bis 6 Beisitzende. Die Tätigkeit ist ein Ehrenamt, es wird aber ein "Erfrischungsgeld" gezahlt. Warum ist die Aufgabe so wichtig? Um Neutralität und Unabhängigkeit zu garantieren, werden Wahlen in D. nicht von der staatlichen Verwaltung durchgeführt. Deswegen können alle Wahlberechtigten von ihrer Gemeinde zur Wahlhilfe berufen werden. Die meisten melden sich aber freiwillig. Alle Mitglieder des Wahlvorstands müssen am Ende der Wahl das Protokoll über ihren Ablauf sowie die Ermittlung und Feststellung des Ergebnisses genehmigen und unterzeichnen. Wahlhelfer/-innen tragen also die Verantwortung für die korrekte Durchführung freier Wahlen und damit für das Funktionieren der Demokratie. Das möchte ich auch machen! Grundsätzlich können alle Wahlberechtigten auch Wahlhelfer/-innen werden. Zur Wahl stehende Kandidat/-innen und ihre Vertrauenspersonen sind nicht zugelassen. An manchen Orten werden noch Wahlhelfer/-innen gesucht. Falls du dich für die Aufgabe interessierst, informiere dich auf der Website deiner Stadt oder Gemeinde. Was ein Wahlhelfer am Wahltag erlebt: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp965 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 02.09.2021: 50 Jahre BAföG Guten Morgen! Das BAföG ist 50 geworden! BAföG? BAföG steht für Bundesausbildungsförderungsgesetz. Das trat am 1. September 1971 in Kraft. Ziel war und ist, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Studium oder höheren Schulabschluss zu ermöglichen – unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund. Außerdem sollte die Zahl qualifizierter Fachkräfte erhöht werden. Seit seiner Einführung wurden über 90 Mrd. Euro an Schüler/-innen und Studierende ausgezahlt. Wer hat Anspruch? BAföG richtet sich vor allem an Studierende. Aber auch Schüler/-innen ab der 10. Klasse und an bestimmten Fach- und berufsbildenden Schulen können es beziehen. Anspruch und Höhe hängen in erster Linie vom eigenen Einkommen sowie dem der Eltern ab. Aber es kommt auch auf die Ausbildungseinrichtung und die Wohnkosten an. Derzeit gibt es maximal 861 Euro pro Monat. Ein Teil des BAföGs muss zurückgezahlt werden – zumindest bei Studierenden. Aber höchstens die Hälfte der Gesamtsumme der Unterstützung. Entwicklung bis heute Das BAföG wurde mehrmals überarbeitet. Zunächst war es z.B. ein Vollzuschuss ohne Rückzahlung. Die Zahl der Empfänger/-innen geht zurück: Wurden im Jahr nach der Einführung 44,6 % der Studierenden gefördert, sind es heute noch 11 %. Die aktuellen Regelungen sind umstritten. Kritiker/-innen beklagen z.B., dass soziale Ungleichheiten durch BAföG nicht ausreichend gemindert und das Ziel der Herstellung von Chancengleichheit verfehlt werde. Mehr Details findest Du im Hintergrund aktuell: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tcq Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 03.09.2021: Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2021 Guten Morgen, welche Partei passt am besten zu deinen politischen Ansichten? Falls du diese Frage nicht sicher beantworten kannst, kein Problem: Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl am 26. September 2021 ist seit gestern online! Die Parteien Eine Partei ist ein Zusammenschluss von politisch gleichgesinnten Menschen, die gemeinsam bestimmte gesellschaftliche oder wirtschaftliche Interessen verfolgen. Unter welchen Voraussetzungen sich eine Partei zur Wahl stellen darf, regeln das Bundeswahlgesetz und die Bundeswahlordnung. Diesmal nehmen an der Bundestagswahl insgesamt 47 Parteien teil, 40 davon mit eigenen Landeslisten. Die Wahlprogramme Jede Partei beschreibt ihre Pläne und Ziele in einem Wahlprogramm, das man auf der Website der jeweiligen Partei findet. Darin geht es zum Beispiel um Themen wie den Mindestlohn, den Ausstieg aus der Kohleverstromung oder die Ausgaben für die Bundeswehr. Die Schlüsselthemen im aktuellen Wahlkampf sind laut Experten/-innen vor allem der Klimaschutz sowie der Umgang mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen. Der Wahl-O-Mat Bei den vielen Parteien und Wahlprogrammen kann man leicht den Überblick verlieren. Der Wahl-O-Mat zeigt dir, zu welchem Grad deine Positionen mit denen der Parteien übereinstimmen. Dafür legt dir der Wahl-O-Mat 38 Thesen vor, z.B.: "Der Bund soll mehr Zuständigkeiten in der Schulpolitik erhalten". Der Wahl-O-Mat fragt, ob du den Thesen zustimmst oder nicht (oder ob du "neutral" bist), und vergleicht deine Antworten mit denen der von dir ausgewählten Parteien. An der Entstehung beteiligt ist eine Redaktion aus 19 Jung- und Erstwähler/-innen. Alle Wahlberechtigten zwischen 18 und 26 Jahren können sich dafür bewerben. Sie erarbeiten zusammen mit Experten/-innen die zentralen Thesen des Wahl-O-Mats. Hier findest du alle Infos rund um den Wahl-O-Mat zur Bundestagwahl 2021: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp966 Direkt zum Wahl-O-Mat kommst du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp967 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 06.09.2021: Vor 30 Jahren: Unabhängigkeit baltischer Staaten Guten Morgen, heute vor 30 Jahren erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit der baltischen Staaten an. Das sind Estland, Lettland und Litauen. Hintergrund Die Unabhängigkeitsbestrebungen waren eng mit dem Reformkurs verknüpft, den Michail Gorbatschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, 1985 ausgerufenen hatte. Die entstandenen politischen Freiräume wurden in den baltischen Staaten zur Gründung von Oppositionsbewegungen genutzt: Ab 1987 wurden sie sichtbar und protestierten z.B. an Gedenktagen und setzten sich gegen Großbauprojekte ein. 1988 gründeten sich sogenannte Volksfronten, die als Dachorganisationen die unterschiedlichen Reformbewegungen bündelten. Die polit. Führungen in Estland, Lettland und Litauen blieben allerdings zunächst auf der Linie Moskaus. Unabhängigkeit Am 11. März 1990 war es dann doch so weit: Litauen erklärte seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Dazu setzte das Parlament die sowjet. Verfassung formell außer Kraft und rief die eigenständige "Republik Litauen" aus. Am 4. und 8. Mai1990 folgten Lettland und Estland und verkündeten ihre Unabhängigkeit. Erst anderthalb Jahre später, am 6. September 1991, gab die sowjet. Führung nach und erkannte die Unabhängigkeit der baltischen Staaten an. Die Europäische Union hatte dies bereits im August getan. Entwicklung bis heute und Verhältnis zu Russland In der Folge orientierten sich die baltischen Staaten in Richtung der westlichen Bündnisse. 2004 wurden sie Mitglieder der Nato und der EU. Bis heute ist das Verhältnis der baltischen Staaten zu Russland gespannt: Gründe sind z.B. Konflikte um Grenzregelungen und der baltische Wunsch nach Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen. In allen baltischen Staaten leben außerdem russische Minderheiten. Befürchtet wird, dass Russland deren Situation zum Vorwand nehmen und, ähnlich wie bei der Annexion der Krim 2014, territoriale Ansprüche erheben könnte. Mehr zum Thema findest Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tdr Deine bpb-Online-Redaktion 07.09.2021: Erweiterung des DAX Guten Morgen, der Deutsche Aktienindex (DAX) bekommt zehn neue Mitglieder. Statt bisher 30, sollen ab dem 20. September 40 Unternehmen vertreten sein. Was ist der DAX? Ein Barometer der deutschen Wirtschaft. Der Aktienindex zeigt an, wie sich der Wert von börsennotierten deutschen Unternehmen entwickelt. Bisher waren im DAX vor allem Unternehmen der "klassischen Industrien" prägend: Chemie- und Autoindustrie (z. B. BASF, Bayer o. Daimler, BMW), Energiewirtschaft (RWE, E.ON), Banken und Finanzdienstleister (Deutsche Bank). Wer ist neu dabei? Die Erweiterung soll die deutsche Wirtschaft breiter abbilden. Dazu werden Unternehmen der Gesundheits- und Medizintechnik (Siemens Healthineers, Qiagen) und des Online-Einzelhandel (Zalando, HelloFresh) ebenso in den DAX aufgenommen wie der Flugzeug- und Rüstungskonzern Airbus. Wer in den Dax aufgenommen und wer wieder rausgeworfen wird (wie kürzlich Wirecard oder Lufthansa) entscheidet die Deutsche Börse gemeinsam mit Bankenvertreter/-innen. Ausschlaggebend sind u. a. Börsenwerte und Kursverläufe der Unternehmen. Nach dem Wirecard-Skandal gelten zudem künftig strengere Regeln für DAX-Unternehmen. Sie müssen u. a. detaillierter Auskünfte über ihre Geschäfte geben. Dies soll mehr Stabilität schaffen und Vertrauen in den Index stärken. Der Aktienhandel boomt In Deutschland gibt es derzeit so viele Aktionär/-innen wie zuletzt vor 20 Jahren. Im letzten Jahr besaßen rund 12,35 Mio. Menschen in D. Anteilsscheine oder Aktienfonds. Das sind 28 % mehr als 2019. ETF-Fonds und Aktien zum Trotz: Girokonto und Sparbuch bleiben in Deutschland die beliebtesten Anlageformen. Wie hat sich der Aktienhandel in den letzten 40 Jahren entwickelt? Und was bedeutet Umschlaghäufigkeit? Mehr dazu findest Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp968 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 08.09.2021: Wahlwerbung Guten Morgen, Plakate, Wurfsendungen oder TV-Spots: Wahlwerbung ist derzeit allgegenwärtig. Doch welche Regeln gelten dabei eigentlich? Die Spielregeln Grundsätzlich ist Wahlwerbung erlaubt und durch das Grundgesetz (GG) geschützt. Wo und ab wann Parteien mit Plakaten oder an Ständen werben dürfen, bestimmt die jeweilige Gemeinde. Einige Regeln gelten aber allgemein: Parteien benötigen eine Genehmigung für öffentliche Wahlwerbung. Die erhalten sie in den letzten Wochen vor der Wahl jedoch in der Regel problemlos. Wahlplakate dürfen die Straßenverkehrsordnung nicht gefährden, also z.B. keine Verkehrsschilder verdecken. Am Wahltag ist an und in Wahllokalen jegliche Beeinflussung der Wählenden verboten. Wahlkampf in den Medien Wahlwerbung im Radio und Fernsehen ist nur zu bestimmten Wahlsendezeiten erlaubt, und sie muss eindeutig gekennzeichnet sein. Das regeln Landesmediengesetze und der Medienstaatsvertrag. Auch in den sozialen Medien können Parteien werben. Kooperieren sie hier mit Influencern gelten jedoch strenge Regeln, die von den Landesmedienanstalten überwacht werden. Bezahlte Werbung für eine Partei ist z.B. verboten. Wahlkampf 2021 Aufgrund der Corona-Pandemie findet der diesjährige Wahlkampf überwiegend im Netz statt. Haustürgespräche oder Großveranstaltungen gibt es weniger als in den letzten Jahren. Für den digitalen Wahlkampf gibt es bislang wenige klare, gesetzliche Regeln. Ob und wie politische Onlinewerbung erlaubt ist, entscheiden Tech-Konzerne wie Facebook größtenteils selbst. Die meisten großen Parteien haben zwar Selbstverpflichtungen zu transparentem und fairem Verhalten im Netz unterzeichnet – dennoch kursieren gerade in sozialen Medien viele Falschinformationen. Mehr zum digitalen Wahlkampf und Gefahren durch die Verbreitung von Fake News gibt’s hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp969 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion P.S.: Vielen Dank für das Testen der Beta-Version unseres Wahl-Bots! Die finale Version des Bots ist jetzt live und wird stetig verbessert. Hier geht's zu unserem Bot zur Bundestagswahl: Externer Link: https://wahl.bundesbots.de/ 09.09.2021: Vor einem Jahr: Flüchtlingslager Moria abgebrannt Guten Morgen, vor genau einem Jahr brannte das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, mehr als 12.000 Menschen wurden obdachlos. Wie kam es zu dem Brand? Das Lager in Moria war für etwa 2.800 Personen ausgelegt, zum Zeitpunkt des Brandes lebten dort aber mehr als 12.600 Menschen. Nach den Richtlinien des EU-Türkei-Deals sollte u.a. dort über die Zulässigkeit ihres Asylantrags entschieden werden. In der Nacht auf den 9.9.2020 brachen in Moria mehrere Feuer aus. Windböen bis zu 60km/h erschwerten die Löscharbeiten. Sechs mutmaßliche Brandstifter wurden in diesem Jahr zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ihre Rechtsanwälte haben Berufung eingelegt. Wo wohnen die Menschen heute? Seit dem Brand wurden viele Asylverfahren rasch bewilligt. Viele Geflüchtete leben nun auf dem Festland, jedoch weiterhin unter sehr schlechten Bedingungen. Die Menschen zogen zuerst von Moria ins provisorische Lager Kara Tepe um – auch "Moria 2" genannt. Das Lager, in dem heute noch rund 3.000 Menschen leben, ist immer noch ein Provisorium und nicht für den anstehenden Winter ausgestattet. NGOs beklagen, dass die Arbeit in Moria 2 schwieriger geworden ist. Journalistinnen und Journalisten haben so gut wie keinen Zutritt mehr. Und wie sind die Reaktionen im Ausland? Die EU stellt mehr als 155 Millionen Euro für zwei Lager auf den griechischen Inseln Lesbos und Chios bereit. Es wurde jedoch noch nicht mit dem Bau begonnen. Eine grundsätzliche Verbesserung der Situation, jenseits der Unterbringung in Lagern, ist derzeit nicht in Sicht. Deutschland hat von den ursprünglichen ca. 12.000 Moria-Geflüchteten 2.750 aufgenommen. Dich interessiert, wie viele Geflüchtete derzeit Zuflucht suchen? Hier haben wir alle wichtigen Infos: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp971 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 10.09.2021: Wahlrecht: Geschichte, Gegenwart und Zukunft Guten Morgen! Wer darf eigentlich zur Bundestagswahl (BTW) wählen? Ein kurzer Blick auf die Geschichte, Gegenwart und Zukunft: Ein langer Weg 1849 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung erstmals im deutschen Raum ein gleiches, direktes und nahezu allgemeines Stimmrecht für Männer ab 25. Frauen mussten noch bis 1918 für ihr Wahlrecht kämpfen. Seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 durften wirklich alle ab 20 an die Wahlurne. Seit 1975 liegt im Bund das Wahlalter für das aktive (wählen) und passive (gewählt werden) Wahlrecht bei 18. Wahlrecht aktuell… Wahlberechtigt zur BTW ist, wer mindestens 18 Jahre alt ist, die deutsche Staatsbürgerschaft hat und seit mindestens 3 Monaten in Deutschland wohnt. Deutsche, die im Ausland leben, können beantragen, ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. Bei Straftaten wie Hochverrat, Landesverrat, Abgeordnetenbestechung oder Wahlbehinderung kann das Wahlrecht für maximal 5 Jahre entzogen werden. Menschen im Gefängnis dürfen in der Regel an Wahl teilnehmen. Das Wahlrecht darf nur persönlich ausgeübt werden. Menschen mit Behinderung können aber z. B. Unterstützung beim Wahlvorgang bekommen. …und in Zukunft? Diskutiert wird über… ein Wahlrecht ab Geburt: Der deutsche Familienverband denkt, das könne mehr Teilhabe und eine kinderfreundlichere Politik ermöglichen. Wählen ab 16: Was bereits bei einigen Landtagswahlen geht, fordern einige Parteien und Jugendverbände auch für die Bundestagswahl. ein Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass: Sie haben bei einer BTW kein Wahlrecht, egal, wie lange sie schon hier leben. Einige Initiativen treten deshalb dafür ein, das Wahlrecht für diese Menschen anzupassen. Bundesweit Wählen ab 16? Ein Pro und Contra: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp972 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 13.09.2021: Vor 20 Jahren: Anschläge am 11.09.2001 Guten Morgen, am Samstag jährten sich die Anschläge vom 11. September 2001. Die Ereignisse von damals wirken bis heute – nicht nur politisch – nach. Was passierte vor 20 Jahren? Am Morgen des 11. September brachten islamistische Terroristen vier US-Linienflugzeuge unter ihre Kontrolle. Zwei Flugzeuge steuerten sie gegen 9 Uhr in den Nord- und Südturm des World Trade Centers in New York. Die Türme stürzten später ein. Ein weiteres Flugzeug lenkten sie in den Westteil des Pentagons – dem Sitz des US-Verteidigungsministeriums. Die vierte Maschine steuerten die Terroristen Richtung Washington – unklar ist, mit welchem Ziel. Passagiere konnten die Entführer überwältigen, das Flugzeug schlug auf einem Feld in Pennsylvania ein. Insgesamt starben bei den Anschlägen etwa 3.000 Menschen aus 92 Nationen, mehr als 6.000 wurden verletzt. Wie reagierten die USA? Schnell deuteten Indizien darauf hin, dass das von Osama bin Laden geführte radikal-islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida hinter den Anschlägen steckte. US-Präsident Bush erklärte in der Folge u. a. Al-Qaida verantwortlich und dem weltweiten Terrorismus den Krieg. Es folgten die umstrittenen Einsätze in Afghanistan und Irak sowie weitere Militärmissionen. Mit dem Gesetzespaket "Patriot Act" erhielten Polizei und Geheimdienste weitreichende Befugnisse, Verdächtige zu überwachen. Internationale Folgen Die NATO rief zum ersten Mal den Bündnisfall aus. Die Vereinten Nationen verabschiedeten mehrere Resolutionen. Darunter die UN-Resolution 1373, die u. a. Staaten untersagt, Terroristen Schutz und finanzielle Unterstützung zu bieten und das Recht eines Landes auf Selbstverteidigung betont. Weltweit beschlossen Staaten weitreichende und oft umstrittene Anti-Terror-Gesetze. Zwischen 2001-2008 wurden allein in D. 26 Gesetze und internationale Abkommen zur Terrorbekämpfung beschlossen. Mehr zu den Anschlägen und den Folgen erfährst Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp973 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 14.09.2021: Afghanistan-Hilfen Guten Morgen, die Grundversorgung der Menschen in Afghanistan ist akut gefährdet. Aktuell wird international darüber beraten, wie geholfen werden kann. Politischer Hintergrund: Nach fast 20 Jahren erklärte die NATO Ende August den Einsatz in Afghanistan für beendet. Die im Land stationierten Truppen zogen ab. Zuletzt waren ca. 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 36 NATO-Mitgliedstaaten und Partnerländern im Einsatz. Sie sollten das Land beim Aufbau einer stabilen Demokratie unterstützen und die Machtübernahme radikaler Kräfte verhindern. Nach dem Abzug haben die islamistischen Taliban mit militärischen Mitteln die Macht ergriffen. Am 15. August nahmen sie die Hauptstadt Kabul ein. Lage im Land: Die UN warnen vor sich ausbreitender Armut, weil die Wirtschaft Afghanistans seit der Machtübernahme faktisch zusammengebrochen ist. Proteste der Bevölkerung gegen die Taliban werden gewaltsam beendet, Kritiker/-innen und Journalist/-innen bedroht und angegriffen. Deshalb sind die Taliban gefürchtet und viele Menschen sind auf der Flucht – allein 3,5 Millionen innerhalb des Landes. Auch Hilfsorganisationen haben die meisten ihrer Mitarbeiter/-innen aus Sicherheitsgründen ausgeflogen. Humanitäre Hilfe: Afghanistan leidet außerdem unter einer schweren Dürre. Ein Großteil der Bevölkerung hat nicht genug zu essen. Besonders in den Lagern Geflüchteter mangelt es an Wasser, Nahrung und Medikamenten. Die UN gehen davon aus, dass min. 500 Mio. Euro Nothilfe bis Jahresende nötig sein werden. EU und internationale Gemeinschaft wollen weiter humanitäre Nothilfe leisten. Darüberhinausgehende Hilfsleistungen sollen aber davon abhängig gemacht werden, ob die Taliban grundlegende Menschenrechte achten. Mehr zur Lage in Afghanistan erfährst Du z. B. in unserer Sicherheitspolitischen Presseschau: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp974 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 15.09.2021: Bundestagswahl - aber wie? Guten Morgen! Die Bundestagswahl rückt näher – Zeit, sich mit den Basics der Stimmabgabe zu beschäftigen: Was gilt es am übernächsten Sonntag zu beachten? Im Wahllokal … zeigst du deinen Perso oder Pass und die Wahlbenachrichtigung her. Dann erhältst du deinen Stimmzettel. Auf dem kannst du 2 Kreuze setzen: Mit der Erststimme wählst du einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus deinem Wahlkreis; mit der Zweitstimme wählst du eine Partei. Wenn du hinter dem Sichtschutz deine 2 Kreuze gemacht hast, steckst du den Stimmzettel in die Wahlurne. Dann wird gezählt ... Wer am Wahlsonntag bis 18 Uhr ansteht, darf noch wählen. Danach ist Schluss. Die Wahlhelfer/-innen haben aber noch keinen Feierabend ... … denn jetzt wird die Wahlurne geleert – und das große Zählen beginnt. Die Stimmenauszählung ist öffentlich. Wer möchte, kann also Wahlbeobachter/-in werden. Auch die Briefwahlstimmen werden am Wahltag nach 18 Uhr ausgezählt. Ein Stimmzettel ist gültig, wenn ... maximal 2 Stimmen vergeben wurden – je eine für Erst- und Zweitstimme (auch mit nur einem Kreuz gilt der Stimmzettel). der Stimmzettel ansonsten am besten leer bleibt (auf keinen Fall unterschreiben – geheime Wahl!). Wann wissen wir das Ergebnis? Die ersten Prognosen gibt es um 18 Uhr. Sie sind ein Stimmungsbild aus anonymen Befragungen von Wählenden nach Verlassen des Wahllokals. Die ersten Hochrechnungen sind dann Zwischenstände mit echten Auszählungen. Im Verlauf der Nacht kommen immer mehr Wahlkreise dazu. Das vorläufige Endergebnis gibt's wohl am frühen Morgen – bei der Wahl 2017 lag es gegen 5.30 Uhr vor. Das endgültige Ergebnis stand damals zweieinhalb Wochen später fest. Noch Fragen? Unser Wahl-Bot beantwortet sie: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp975 Genauere Infos zum Ablauf und was du beachten musst, findest du in unserer Wahlhilfe: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp976 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 16.09.2021: Schutz der Ozonschicht Guten Morgen, kennst du das größte Sonnensegel der Welt? Genau, die Ozonschicht ist gemeint und heute erinnern die Vereinten Nationen daran, sie zu erhalten. Die Ozonschicht… … ist eine Gasschicht und befindet sich größtenteils in der Stratosphäre. Diese Schicht der Erdatmosphäre liegt in etwa 15-50 km Höhe. … schützt Tiere, Pflanzen und Menschen vor der schädlichen ultravioletten (UV) Strahlung der Sonne. Diese verursacht u.a. Hautkrebs und Augenleiden. Das Ozonloch Seit den 70er Jahren wird eine starke Ausdünnung der Ozonschicht über dem Süd- und selten am Nordpol beobachtet. Dieses Phänomen bezeichnet man als Ozonloch. Dazu trugen u.a. bestimmte chemische Substanzen bei: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die z.B. als Kältemittel in Kühlschränken oder Treibgasen in Spraydosen verwendet wurden, und Halone, die beispielsweise in Feuerlöschern eingesetzt wurden. Seit über 20 Jahren verringern sich auch in den mittleren Breiten die Ozonwerte. Über die Gründe sind sich Forschende unsicher, wahrscheinlich trägt u.a. der Klimawandel dazu bei. Maßnahmen zur Regenerierung 1987 verpflichteten sich alle (!) Länder der Welt im Montrealer Protokoll, die Produktion und den Verbrauch ozonabbauender Stoffe schrittweise zu verringern. 2009 legte die EU mit einer neuen Ozonverordnung nach. Diese ist noch wesentlich strikter als das Montrealer Protokoll und verbietet die Verwendung ozonschädigender Stoffe weitgehend. 2016 wurde das Montrealer Protokoll ausgeweitet. Seitdem sind auch nicht-ozonschädliche Stoffe verboten. Diese Treibhausgase beschleunigen stark die Erderwärmung. Zwar erholt sich die Ozonschicht seit ein paar Jahrzehnten, aber Wissenschaftler/-innen geben noch keine Entwarnung. Sie befürchten, dass der Klimawandel den Ozonabbau antreiben könnte. Du möchtest mehr zum Thema Ozon wissen? Eine interaktive Einführung gibt es hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/thr Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 17.09.2021: Wahl-Quiz Guten Morgen! (© picture-alliance, Geisler-Fotopress/Christian Hardt) Bist du startklar für die Bundestagswahl? Erststimme, Zweitstimme, Briefwahl – Teste Dein Wissen mit unserem Interner Link: Wahl-Quiz. Mehr Quiz und viele weitere Infos zur Wahl hat unser Wahl-Bot. Jetzt und rund um die Uhr bis zur Wahl mit ihm chatten: Externer Link: http://wahl.bundesbots.de Dir ein schönes Wochenende! Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 20.09.2021: Facebook löscht "Querdenken"-Kontos Guten Morgen, Ende letzter Woche hat Facebook 150 Konten und Gruppen gelöscht, die der "Querdenken"-Bewegung zugeordnet werden. Zudem können einige Webseiten der Szene nicht länger auf Facebook verlinkt werden. Warum die Löschung? Facebook begründete die Maßnahmen damit, dass die Bewegung für eine "koordinierte Schädigung der Gesellschaft" verantwortlich sei, Falschinformationen verbreite und zu Gewalt aufriefe. Anhänger/-innen von "Querdenken" gehen seit Monaten gegen die staatl. Corona-Maßnahmen auf die Straße. Bei den Demos kam es wiederholt zu Angriffen auf Polizei und Presse. Die Löschung betrifft Konten/Gruppen auf Facebook und Instagram, nicht aber auf WhatsApp. Social Media und "Querdenken" Soziale Netzwerke spielen für Bewegungen wie "Querdenken" eine zentrale Rolle in Bezug auf Organisation, Austausch und Mobilisierung. Die Netzwerke gehen vielfach nur zurückhaltend gegen Falschinformationen und Verschwörungserzählungen vor. Zuletzt hat vor allem der Messenger Telegram wegen laxer Regeln viel Zulauf aus der "Querdenken"-Szene bekommen. Studien haben auch gezeigt, dass die Algorithmen der großen Netzwerke zur Radikalisierung beitragen (Filterblasen). Reaktionen Mitglieder der Bewegung kündigten rechtliche Schritte gegen die Löschung an. Einige kritisieren die zu späte Löschung durch Facebook und dass WhatsApp-Konten nicht betroffen sind. Umstritten ist, ob es Aufgabe von Konzernen oder Justiz ist, die Löschung von problematischen Inhalten zu veranlassen. Warnen oder Löschen: Wie sollen Plattformen mit Desinformationen umgehen? Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp977 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 21.09.2021: Nichtwähler/-innen Guten Morgen, am kommenden Sonntag haben ca. 60 Mio Deutsche die Wahl: Es findet die Bundestagswahl statt. Doch nicht alle lockt der Wahlschein auch in die Wahlkabine. Wie viele wählen nicht? In der Bundesrepublik Deutschland lag die Wahlbeteiligung bis zur Bundestagswahl 2002 meist über oder etwa bei 80%. Seitdem sank die Zahl jedoch. Die Wahl im Jahr 2009 markierte mit einer Beteiligung von 70% einen bisherigen Tiefstand. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2017 lag der Anteil derjenigen, die nicht wählten etwa bei 23,8%. Der Anteil derer, die nicht zur Wahl gehen hängt zudem von der jeweiligen Wahl ab. An der Bundestagswahl beteiligen sich am meisten, gefolgt von den Landtagswahlen und der Europawahl. Bei Kommunalwahlen liegt die Wahlbeteiligung häufig bei unter 50 %. Außerdem dürfen längst nicht alle Menschen, die in Deutschland leben bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. Etwa 10 Millionen Menschen, die in Deutschland leben aber keinen deutschen Pass besitzen, können nicht an der Wahl teilnehmen. Wo liegen die Gründe? Studien kommen zudem zum Schluss, dass Nichtwähler/-innen nicht über weniger Interesse an politischen Fragen verfügen, sondern dass eine Vielzahl anderer Gründe dazu führt, dass sie nicht wählen. Einen besonders wichtigen Aspekt scheinen dabei die Lebensverhältnisse der Menschen zu spielen. So weisen Regionen, in denen Menschen in prekären Verhältnissen leben häufig eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung auf. Warum ist meine Stimme wichtig? Wählen ist der Kern unserer Demokratie. Nur wenn Du wählst, kannst du mitbestimmen! Nichtwählen aus Protest funktioniert nicht. Wenn Du protestieren willst, solltest Du eine Botschaft haben. Gerade bei knappen Wahlen kommt es auf jede Stimme an. Du oder jemand in deinem Umfeld ist noch unentschlossen? Teste die geläufigsten Argumente im Wahlbingo für Nichtwählende: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp978 Oder lass dir deine Fragen von unserem Wahl-Bot beantworten: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp979 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 22.09.2021: Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan Guten Morgen, seit der Machtübernahme der Taliban kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen – das kritisieren Menschenrechtsorganisationen in einem neuen Bericht. Hintergrund Ende August übernahmen die radikal-islamistischen Taliban die Kontrolle im Land. Seitdem verschlechtert sich die humanitäre Lage zusehends: Etwa 3,5 Mio. Menschen sind im Land auf der Flucht. Die Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Lebensmittel werden knapp, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist von Hunger bedroht. Menschenrechtsverletzungen Die Taliban sicherten zu, die Menschenrechte im Land zu achten. Doch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beobachteten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, die sie nun in einem Bericht veröffentlichten. Sie berichten von Tötungen von Zivilist/-innen, von landesweiten Drohungen und Übergriffen gegen Aktivist/-innen sowie Journalist/-innen. Besonders gefährdet sind auch ethnische Minderheiten und Menschen, die mit der früheren Regierung oder den NATO-Staaten zusammengearbeitet haben. Frauen sind u.a. von Arbeitsverboten betroffen. Medien berichten außerdem, dass Mädchen derzeit vom Unterricht an weiterführenden Schulen ausgeschlossen sind. Widerstand Demonstrationen sind seit etwa zwei Wochen verboten, finden aber vereinzelt weiterhin statt. Am Sonntag protestierte etwa eine Gruppe Frauen gegen die Schließung des Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Dieses war zum „Ministerium für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Laster“ umgewandelt worden. Z.T. hat sich der Widerstand auch in die Sozialen Medien verlagert: Unter dem Hashtag #DoNotTouchMyClothes posten junge Frauen Fotos in landestypischer farbenfroher Kleidung, um gegen die strenge Kleiderordnung zu protestieren. Mehr zur Lage in Afghanistan: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tka Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 23.09.2021: Wahl und Corona Guten Morgen! Eine Bundestagswahl unter den Bedingungen einer globalen Pandemie – das hat es bislang noch nicht gegeben. Am Sonntag wird es nun erstmals der Fall sein. Welche Auswirkungen hat das? Infektionsschutz bei der Wahl Auch im Wahllokal gelten die Hygienemaßnahmen entsprechend der Coronaschutzverordnung des jeweiligen Bundeslandes. D.h. in der Regel: Wer eintritt, muss sich an Maskenpflicht und Mindestabstand halten. Ein 3G-Nachweis ("geimpft, genesen, getestet") ist jedoch nicht erforderlich. Denn: Die Stimmabgabe ist ein politisches Grundrecht und soll durch die Pandemie nicht eingeschränkt werden! Wie verändert Corona die Wahl? Im Wahlkampf waren direkte Kontakte zu potenziellen Wähler/-innen (Straßenstände, Haustürbesuche) nur eingeschränkt möglich. Parteien setzten daher verstärkt auf Plakat- oder Social-Media-Kampagnen. Aufgrund der Corona-Pandemie werden dieses Jahr ca. 50 % Briefwähler/-innen erwartet. Bei der Bundestagswahl 2017 waren es noch 28,6 %. Eine Konsequenz: Viele haben schon gewählt und können nicht mehr auf Vorkommnisse/ Entwicklungen unmittelbar vor dem Wahltermin reagieren. Ist die Briefwahl unsicher(er)? Immer wieder gibt es gerade in Social Media Gerüchte und Falschmeldungen, dass die Briefwahl nicht sicher sei. Fachleute widersprechen: Briefwahlunterlagen werden zuverlässig und nach einem festen System beantragt und versandt. Briefwähler/-innen müssen eidesstattlich versichern, ihre Stimme selbst abgegeben zu haben. Wer hier betrügt, macht sich strafbar. Per Briefwahl abgegebene Stimmzettel werden wie alle anderen geprüft und öffentlich ausgezählt. Also gib, sofern Du wahlberechtigt bist, Deine Stimme ab – ob noch schnell per Briefwahl (am besten spätestens heute abschicken!) oder ganz klassisch am Sonntag im Wahllokal! Mehr zum Ablauf am Wahltag erfährst Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp980 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion 26.09.2021: Wählen gehen! Guten Morgen! Du hast die Wahl! (© bpb) "To Do" für heute: Wählen gehen! Wie läuft es ab und was erwartet Dich? Die Wahl im Wahllokal Die Adresse Deines Wahllokals steht auf der Wahlbenachrichtigung. Dort kannst Du zwischen 8 und 18 Uhr Deine Stimme abgeben. Nicht vergessen: Ausweis, Wahlbenachrichtigung und Maske mitnehmen. Ein paar No-Gos gibt es: Selfies oder Videos in der Wahlkabine sind verboten ("geheime Wahl")! Und schreibe bitte nichts auf den Stimmzettel – dadurch wird er ungültig. Du hast vergessen, die Briefwahlunterlagen abzuschicken? Keine Panik: Noch bis 18 Uhr kannst Du sie heute bei deinem Wahllokal abgeben – den Ausweis nicht vergessen! Erst- und Zweitstimme Mit der Erststimme (links auf dem Stimmzettel) wählst Du einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus Deinem Wahlkreis. Die Person mit den meisten Stimmen zieht direkt in den Bundestag ein. Mit der Zweitstimme (rechts auf dem Stimmzettel) wählst Du die Landesliste einer Partei. Die Zweitstimmen sind entscheidend dafür, wie stark die Parteien im Bundestag vertreten sind. Wann kommt das Ergebnis? Die erste Prognose – ein Stimmungsbild aus anonymen Befragungen von Wählenden nach Verlassen des Wahllokals – gibt’s kurz nach 18 Uhr. Die ersten Hochrechnungen sind dann Zwischenstände der Auszählungen. Je mehr Wahlkreise gezählt sind, desto mehr nähert sich die Angabe dem Endergebnis. Das vorläufige Endergebnis verkündet der Bundeswahlleiter meist in der Nacht oder am frühen Morgen – 2017 war das gegen 5.30 Uhr. Wir wünschen Dir einen schönen Wahltag! Deine bpb-Online-Redaktion PS: Du bist noch unentschlossen? Spiel den Wahl-O-Mat und informiere Dich über die Themen und Positionen der Parteien: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp982 PPS: Fragen rund um die Wahl beantwortet Dir auch unser Wahl-Bot:
 Externer Link: https://wahl.bundesbots.de/ PPPS: Jetzt aber – geh wählen! 27.09.2021: Bundestagswahl Guten Morgen! Deutschland hat gewählt! Wie ist die Bundestagswahl 2021 ausgegangen? Und wie geht‘s jetzt weiter? Ein kurzer Überblick. Wahlergebnis Heute Morgen um 6 Uhr hat der Bundeswahlleiter das vorläufige Ergebnis der Wahl verkündet: SPD: 25,7 % CDU/CSU: 24,1 % GRÜNE: 14,8 % FDP: 11,5 % AfD: 10,3 % DIE LINKE: 4,9 % SSW: 0,1 % Sonstige: 8,6 % Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) zieht als Partei nationaler Minderheiten (befreit von Fünf-Prozent-Klausel) in den Bundestag ein. Die Partei Die Linke schafft zwar nicht die Fünf-Prozent-Hürde, kommt aber aufgrund von 3 gewonnenen Direktmandaten in den Bundestag (Grundmandatsklausel). Der neu gewählte Bundestag wird aus 735 Abgeordneten bestehen (2017: 709). Wahlbeteiligung Rund 60,4 Mio. Menschen durften wählen – darunter 2,8 Mio. Erstwähler/-innen. Die Wahlbeteiligung lag laut Bundeswahlleiter bei 76,6 % (2017: 76,2 %). Koalitionen Keine Partei hat die absolute Mehrheit (über 50 %), kann also alleine regieren. Es braucht eine Regierungskoalition. Die Alternative wäre eine Minderheitsregierung. Einige mögliche Koalitionen wurden schon vorab ausgeschlossen: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien will mit der AfD regieren. CDU/CSU und FDP lehnen auch eine Koalition mit der Partei Die Linke ab. Union und SPD wollen keine (rechnerisch mögliche) Neuauflage der Großen Koalition. Diskutiert werden Dreierbündnisse: SPD + Grüne + FDP / CDU/CSU + Grüne + FDP Wie geht’s weiter? Die Parteien beginnen jetzt mit Sondierungsgesprächen (Vorverhandlungen) und dann mit Koalitionsgesprächen (z.B. über inhaltliche Leitlinien, Verteilung der Ministerien). Der neue Bundestag muss spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl zusammenkommen. Eine starre Frist für die Bildung der Bundesregierung gibt es nicht, solange bleibt die bisherige – und auch die Kanzlerin –"geschäftsführend" im Amt. Schalte ein zum bpb-Analysefrühstück nach der Wahl. Ab 10 Uhr im Livestream: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp983 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, wer sorgt dafür, dass die Bundestagswahl am 26. September ordnungsgemäß abläuft und wir schon kurz nach Schließung der Wahllokale erste Ergebnisse bekommen? Rund 650.000 Wahlhelfer/-innen sind am Wahltag wieder im Einsatz. Wahlhelfer/-innen? Am Wahltag gehört zu den Aufgaben der Wahlhelfer/-innen u.a., dass sie die Stimmzettel ausgeben, die Wähler/-innen und die abgegebenen Stimmen zählen, das Wahlergebnis feststellen und für Ruhe und Ordnung im Wahlraum sorgen. Sie bilden den Wahlvorstand, zu dem immer ein/-e Wahlvorsteher/-in samt Stellvertreter/-in gehören – und, je nach Größe des Wahlbezirks, 3 bis 6 Beisitzende. Die Tätigkeit ist ein Ehrenamt, es wird aber ein "Erfrischungsgeld" gezahlt. Warum ist die Aufgabe so wichtig? Um Neutralität und Unabhängigkeit zu garantieren, werden Wahlen in D. nicht von der staatlichen Verwaltung durchgeführt. Deswegen können alle Wahlberechtigten von ihrer Gemeinde zur Wahlhilfe berufen werden. Die meisten melden sich aber freiwillig. Alle Mitglieder des Wahlvorstands müssen am Ende der Wahl das Protokoll über ihren Ablauf sowie die Ermittlung und Feststellung des Ergebnisses genehmigen und unterzeichnen. Wahlhelfer/-innen tragen also die Verantwortung für die korrekte Durchführung freier Wahlen und damit für das Funktionieren der Demokratie. Das möchte ich auch machen! Grundsätzlich können alle Wahlberechtigten auch Wahlhelfer/-innen werden. Zur Wahl stehende Kandidat/-innen und ihre Vertrauenspersonen sind nicht zugelassen. An manchen Orten werden noch Wahlhelfer/-innen gesucht. Falls du dich für die Aufgabe interessierst, informiere dich auf der Website deiner Stadt oder Gemeinde. Was ein Wahlhelfer am Wahltag erlebt: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp965 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! Das BAföG ist 50 geworden! BAföG? BAföG steht für Bundesausbildungsförderungsgesetz. Das trat am 1. September 1971 in Kraft. Ziel war und ist, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Studium oder höheren Schulabschluss zu ermöglichen – unabhängig von ihrem sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund. Außerdem sollte die Zahl qualifizierter Fachkräfte erhöht werden. Seit seiner Einführung wurden über 90 Mrd. Euro an Schüler/-innen und Studierende ausgezahlt. Wer hat Anspruch? BAföG richtet sich vor allem an Studierende. Aber auch Schüler/-innen ab der 10. Klasse und an bestimmten Fach- und berufsbildenden Schulen können es beziehen. Anspruch und Höhe hängen in erster Linie vom eigenen Einkommen sowie dem der Eltern ab. Aber es kommt auch auf die Ausbildungseinrichtung und die Wohnkosten an. Derzeit gibt es maximal 861 Euro pro Monat. Ein Teil des BAföGs muss zurückgezahlt werden – zumindest bei Studierenden. Aber höchstens die Hälfte der Gesamtsumme der Unterstützung. Entwicklung bis heute Das BAföG wurde mehrmals überarbeitet. Zunächst war es z.B. ein Vollzuschuss ohne Rückzahlung. Die Zahl der Empfänger/-innen geht zurück: Wurden im Jahr nach der Einführung 44,6 % der Studierenden gefördert, sind es heute noch 11 %. Die aktuellen Regelungen sind umstritten. Kritiker/-innen beklagen z.B., dass soziale Ungleichheiten durch BAföG nicht ausreichend gemindert und das Ziel der Herstellung von Chancengleichheit verfehlt werde. Mehr Details findest Du im Hintergrund aktuell: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tcq Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, welche Partei passt am besten zu deinen politischen Ansichten? Falls du diese Frage nicht sicher beantworten kannst, kein Problem: Der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl am 26. September 2021 ist seit gestern online! Die Parteien Eine Partei ist ein Zusammenschluss von politisch gleichgesinnten Menschen, die gemeinsam bestimmte gesellschaftliche oder wirtschaftliche Interessen verfolgen. Unter welchen Voraussetzungen sich eine Partei zur Wahl stellen darf, regeln das Bundeswahlgesetz und die Bundeswahlordnung. Diesmal nehmen an der Bundestagswahl insgesamt 47 Parteien teil, 40 davon mit eigenen Landeslisten. Die Wahlprogramme Jede Partei beschreibt ihre Pläne und Ziele in einem Wahlprogramm, das man auf der Website der jeweiligen Partei findet. Darin geht es zum Beispiel um Themen wie den Mindestlohn, den Ausstieg aus der Kohleverstromung oder die Ausgaben für die Bundeswehr. Die Schlüsselthemen im aktuellen Wahlkampf sind laut Experten/-innen vor allem der Klimaschutz sowie der Umgang mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen. Der Wahl-O-Mat Bei den vielen Parteien und Wahlprogrammen kann man leicht den Überblick verlieren. Der Wahl-O-Mat zeigt dir, zu welchem Grad deine Positionen mit denen der Parteien übereinstimmen. Dafür legt dir der Wahl-O-Mat 38 Thesen vor, z.B.: "Der Bund soll mehr Zuständigkeiten in der Schulpolitik erhalten". Der Wahl-O-Mat fragt, ob du den Thesen zustimmst oder nicht (oder ob du "neutral" bist), und vergleicht deine Antworten mit denen der von dir ausgewählten Parteien. An der Entstehung beteiligt ist eine Redaktion aus 19 Jung- und Erstwähler/-innen. Alle Wahlberechtigten zwischen 18 und 26 Jahren können sich dafür bewerben. Sie erarbeiten zusammen mit Experten/-innen die zentralen Thesen des Wahl-O-Mats. Hier findest du alle Infos rund um den Wahl-O-Mat zur Bundestagwahl 2021: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp966 Direkt zum Wahl-O-Mat kommst du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp967 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, heute vor 30 Jahren erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit der baltischen Staaten an. Das sind Estland, Lettland und Litauen. Hintergrund Die Unabhängigkeitsbestrebungen waren eng mit dem Reformkurs verknüpft, den Michail Gorbatschow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, 1985 ausgerufenen hatte. Die entstandenen politischen Freiräume wurden in den baltischen Staaten zur Gründung von Oppositionsbewegungen genutzt: Ab 1987 wurden sie sichtbar und protestierten z.B. an Gedenktagen und setzten sich gegen Großbauprojekte ein. 1988 gründeten sich sogenannte Volksfronten, die als Dachorganisationen die unterschiedlichen Reformbewegungen bündelten. Die polit. Führungen in Estland, Lettland und Litauen blieben allerdings zunächst auf der Linie Moskaus. Unabhängigkeit Am 11. März 1990 war es dann doch so weit: Litauen erklärte seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Dazu setzte das Parlament die sowjet. Verfassung formell außer Kraft und rief die eigenständige "Republik Litauen" aus. Am 4. und 8. Mai1990 folgten Lettland und Estland und verkündeten ihre Unabhängigkeit. Erst anderthalb Jahre später, am 6. September 1991, gab die sowjet. Führung nach und erkannte die Unabhängigkeit der baltischen Staaten an. Die Europäische Union hatte dies bereits im August getan. Entwicklung bis heute und Verhältnis zu Russland In der Folge orientierten sich die baltischen Staaten in Richtung der westlichen Bündnisse. 2004 wurden sie Mitglieder der Nato und der EU. Bis heute ist das Verhältnis der baltischen Staaten zu Russland gespannt: Gründe sind z.B. Konflikte um Grenzregelungen und der baltische Wunsch nach Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen. In allen baltischen Staaten leben außerdem russische Minderheiten. Befürchtet wird, dass Russland deren Situation zum Vorwand nehmen und, ähnlich wie bei der Annexion der Krim 2014, territoriale Ansprüche erheben könnte. Mehr zum Thema findest Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tdr Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, der Deutsche Aktienindex (DAX) bekommt zehn neue Mitglieder. Statt bisher 30, sollen ab dem 20. September 40 Unternehmen vertreten sein. Was ist der DAX? Ein Barometer der deutschen Wirtschaft. Der Aktienindex zeigt an, wie sich der Wert von börsennotierten deutschen Unternehmen entwickelt. Bisher waren im DAX vor allem Unternehmen der "klassischen Industrien" prägend: Chemie- und Autoindustrie (z. B. BASF, Bayer o. Daimler, BMW), Energiewirtschaft (RWE, E.ON), Banken und Finanzdienstleister (Deutsche Bank). Wer ist neu dabei? Die Erweiterung soll die deutsche Wirtschaft breiter abbilden. Dazu werden Unternehmen der Gesundheits- und Medizintechnik (Siemens Healthineers, Qiagen) und des Online-Einzelhandel (Zalando, HelloFresh) ebenso in den DAX aufgenommen wie der Flugzeug- und Rüstungskonzern Airbus. Wer in den Dax aufgenommen und wer wieder rausgeworfen wird (wie kürzlich Wirecard oder Lufthansa) entscheidet die Deutsche Börse gemeinsam mit Bankenvertreter/-innen. Ausschlaggebend sind u. a. Börsenwerte und Kursverläufe der Unternehmen. Nach dem Wirecard-Skandal gelten zudem künftig strengere Regeln für DAX-Unternehmen. Sie müssen u. a. detaillierter Auskünfte über ihre Geschäfte geben. Dies soll mehr Stabilität schaffen und Vertrauen in den Index stärken. Der Aktienhandel boomt In Deutschland gibt es derzeit so viele Aktionär/-innen wie zuletzt vor 20 Jahren. Im letzten Jahr besaßen rund 12,35 Mio. Menschen in D. Anteilsscheine oder Aktienfonds. Das sind 28 % mehr als 2019. ETF-Fonds und Aktien zum Trotz: Girokonto und Sparbuch bleiben in Deutschland die beliebtesten Anlageformen. Wie hat sich der Aktienhandel in den letzten 40 Jahren entwickelt? Und was bedeutet Umschlaghäufigkeit? Mehr dazu findest Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp968 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, Plakate, Wurfsendungen oder TV-Spots: Wahlwerbung ist derzeit allgegenwärtig. Doch welche Regeln gelten dabei eigentlich? Die Spielregeln Grundsätzlich ist Wahlwerbung erlaubt und durch das Grundgesetz (GG) geschützt. Wo und ab wann Parteien mit Plakaten oder an Ständen werben dürfen, bestimmt die jeweilige Gemeinde. Einige Regeln gelten aber allgemein: Parteien benötigen eine Genehmigung für öffentliche Wahlwerbung. Die erhalten sie in den letzten Wochen vor der Wahl jedoch in der Regel problemlos. Wahlplakate dürfen die Straßenverkehrsordnung nicht gefährden, also z.B. keine Verkehrsschilder verdecken. Am Wahltag ist an und in Wahllokalen jegliche Beeinflussung der Wählenden verboten. Wahlkampf in den Medien Wahlwerbung im Radio und Fernsehen ist nur zu bestimmten Wahlsendezeiten erlaubt, und sie muss eindeutig gekennzeichnet sein. Das regeln Landesmediengesetze und der Medienstaatsvertrag. Auch in den sozialen Medien können Parteien werben. Kooperieren sie hier mit Influencern gelten jedoch strenge Regeln, die von den Landesmedienanstalten überwacht werden. Bezahlte Werbung für eine Partei ist z.B. verboten. Wahlkampf 2021 Aufgrund der Corona-Pandemie findet der diesjährige Wahlkampf überwiegend im Netz statt. Haustürgespräche oder Großveranstaltungen gibt es weniger als in den letzten Jahren. Für den digitalen Wahlkampf gibt es bislang wenige klare, gesetzliche Regeln. Ob und wie politische Onlinewerbung erlaubt ist, entscheiden Tech-Konzerne wie Facebook größtenteils selbst. Die meisten großen Parteien haben zwar Selbstverpflichtungen zu transparentem und fairem Verhalten im Netz unterzeichnet – dennoch kursieren gerade in sozialen Medien viele Falschinformationen. Mehr zum digitalen Wahlkampf und Gefahren durch die Verbreitung von Fake News gibt’s hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp969 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion P.S.: Vielen Dank für das Testen der Beta-Version unseres Wahl-Bots! Die finale Version des Bots ist jetzt live und wird stetig verbessert. Hier geht's zu unserem Bot zur Bundestagswahl: Externer Link: https://wahl.bundesbots.de/ Guten Morgen, vor genau einem Jahr brannte das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, mehr als 12.000 Menschen wurden obdachlos. Wie kam es zu dem Brand? Das Lager in Moria war für etwa 2.800 Personen ausgelegt, zum Zeitpunkt des Brandes lebten dort aber mehr als 12.600 Menschen. Nach den Richtlinien des EU-Türkei-Deals sollte u.a. dort über die Zulässigkeit ihres Asylantrags entschieden werden. In der Nacht auf den 9.9.2020 brachen in Moria mehrere Feuer aus. Windböen bis zu 60km/h erschwerten die Löscharbeiten. Sechs mutmaßliche Brandstifter wurden in diesem Jahr zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ihre Rechtsanwälte haben Berufung eingelegt. Wo wohnen die Menschen heute? Seit dem Brand wurden viele Asylverfahren rasch bewilligt. Viele Geflüchtete leben nun auf dem Festland, jedoch weiterhin unter sehr schlechten Bedingungen. Die Menschen zogen zuerst von Moria ins provisorische Lager Kara Tepe um – auch "Moria 2" genannt. Das Lager, in dem heute noch rund 3.000 Menschen leben, ist immer noch ein Provisorium und nicht für den anstehenden Winter ausgestattet. NGOs beklagen, dass die Arbeit in Moria 2 schwieriger geworden ist. Journalistinnen und Journalisten haben so gut wie keinen Zutritt mehr. Und wie sind die Reaktionen im Ausland? Die EU stellt mehr als 155 Millionen Euro für zwei Lager auf den griechischen Inseln Lesbos und Chios bereit. Es wurde jedoch noch nicht mit dem Bau begonnen. Eine grundsätzliche Verbesserung der Situation, jenseits der Unterbringung in Lagern, ist derzeit nicht in Sicht. Deutschland hat von den ursprünglichen ca. 12.000 Moria-Geflüchteten 2.750 aufgenommen. Dich interessiert, wie viele Geflüchtete derzeit Zuflucht suchen? Hier haben wir alle wichtigen Infos: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp971 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! Wer darf eigentlich zur Bundestagswahl (BTW) wählen? Ein kurzer Blick auf die Geschichte, Gegenwart und Zukunft: Ein langer Weg 1849 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung erstmals im deutschen Raum ein gleiches, direktes und nahezu allgemeines Stimmrecht für Männer ab 25. Frauen mussten noch bis 1918 für ihr Wahlrecht kämpfen. Seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 durften wirklich alle ab 20 an die Wahlurne. Seit 1975 liegt im Bund das Wahlalter für das aktive (wählen) und passive (gewählt werden) Wahlrecht bei 18. Wahlrecht aktuell… Wahlberechtigt zur BTW ist, wer mindestens 18 Jahre alt ist, die deutsche Staatsbürgerschaft hat und seit mindestens 3 Monaten in Deutschland wohnt. Deutsche, die im Ausland leben, können beantragen, ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. Bei Straftaten wie Hochverrat, Landesverrat, Abgeordnetenbestechung oder Wahlbehinderung kann das Wahlrecht für maximal 5 Jahre entzogen werden. Menschen im Gefängnis dürfen in der Regel an Wahl teilnehmen. Das Wahlrecht darf nur persönlich ausgeübt werden. Menschen mit Behinderung können aber z. B. Unterstützung beim Wahlvorgang bekommen. …und in Zukunft? Diskutiert wird über… ein Wahlrecht ab Geburt: Der deutsche Familienverband denkt, das könne mehr Teilhabe und eine kinderfreundlichere Politik ermöglichen. Wählen ab 16: Was bereits bei einigen Landtagswahlen geht, fordern einige Parteien und Jugendverbände auch für die Bundestagswahl. ein Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Pass: Sie haben bei einer BTW kein Wahlrecht, egal, wie lange sie schon hier leben. Einige Initiativen treten deshalb dafür ein, das Wahlrecht für diese Menschen anzupassen. Bundesweit Wählen ab 16? Ein Pro und Contra: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp972 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, am Samstag jährten sich die Anschläge vom 11. September 2001. Die Ereignisse von damals wirken bis heute – nicht nur politisch – nach. Was passierte vor 20 Jahren? Am Morgen des 11. September brachten islamistische Terroristen vier US-Linienflugzeuge unter ihre Kontrolle. Zwei Flugzeuge steuerten sie gegen 9 Uhr in den Nord- und Südturm des World Trade Centers in New York. Die Türme stürzten später ein. Ein weiteres Flugzeug lenkten sie in den Westteil des Pentagons – dem Sitz des US-Verteidigungsministeriums. Die vierte Maschine steuerten die Terroristen Richtung Washington – unklar ist, mit welchem Ziel. Passagiere konnten die Entführer überwältigen, das Flugzeug schlug auf einem Feld in Pennsylvania ein. Insgesamt starben bei den Anschlägen etwa 3.000 Menschen aus 92 Nationen, mehr als 6.000 wurden verletzt. Wie reagierten die USA? Schnell deuteten Indizien darauf hin, dass das von Osama bin Laden geführte radikal-islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida hinter den Anschlägen steckte. US-Präsident Bush erklärte in der Folge u. a. Al-Qaida verantwortlich und dem weltweiten Terrorismus den Krieg. Es folgten die umstrittenen Einsätze in Afghanistan und Irak sowie weitere Militärmissionen. Mit dem Gesetzespaket "Patriot Act" erhielten Polizei und Geheimdienste weitreichende Befugnisse, Verdächtige zu überwachen. Internationale Folgen Die NATO rief zum ersten Mal den Bündnisfall aus. Die Vereinten Nationen verabschiedeten mehrere Resolutionen. Darunter die UN-Resolution 1373, die u. a. Staaten untersagt, Terroristen Schutz und finanzielle Unterstützung zu bieten und das Recht eines Landes auf Selbstverteidigung betont. Weltweit beschlossen Staaten weitreichende und oft umstrittene Anti-Terror-Gesetze. Zwischen 2001-2008 wurden allein in D. 26 Gesetze und internationale Abkommen zur Terrorbekämpfung beschlossen. Mehr zu den Anschlägen und den Folgen erfährst Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp973 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, die Grundversorgung der Menschen in Afghanistan ist akut gefährdet. Aktuell wird international darüber beraten, wie geholfen werden kann. Politischer Hintergrund: Nach fast 20 Jahren erklärte die NATO Ende August den Einsatz in Afghanistan für beendet. Die im Land stationierten Truppen zogen ab. Zuletzt waren ca. 10.000 Soldatinnen und Soldaten aus 36 NATO-Mitgliedstaaten und Partnerländern im Einsatz. Sie sollten das Land beim Aufbau einer stabilen Demokratie unterstützen und die Machtübernahme radikaler Kräfte verhindern. Nach dem Abzug haben die islamistischen Taliban mit militärischen Mitteln die Macht ergriffen. Am 15. August nahmen sie die Hauptstadt Kabul ein. Lage im Land: Die UN warnen vor sich ausbreitender Armut, weil die Wirtschaft Afghanistans seit der Machtübernahme faktisch zusammengebrochen ist. Proteste der Bevölkerung gegen die Taliban werden gewaltsam beendet, Kritiker/-innen und Journalist/-innen bedroht und angegriffen. Deshalb sind die Taliban gefürchtet und viele Menschen sind auf der Flucht – allein 3,5 Millionen innerhalb des Landes. Auch Hilfsorganisationen haben die meisten ihrer Mitarbeiter/-innen aus Sicherheitsgründen ausgeflogen. Humanitäre Hilfe: Afghanistan leidet außerdem unter einer schweren Dürre. Ein Großteil der Bevölkerung hat nicht genug zu essen. Besonders in den Lagern Geflüchteter mangelt es an Wasser, Nahrung und Medikamenten. Die UN gehen davon aus, dass min. 500 Mio. Euro Nothilfe bis Jahresende nötig sein werden. EU und internationale Gemeinschaft wollen weiter humanitäre Nothilfe leisten. Darüberhinausgehende Hilfsleistungen sollen aber davon abhängig gemacht werden, ob die Taliban grundlegende Menschenrechte achten. Mehr zur Lage in Afghanistan erfährst Du z. B. in unserer Sicherheitspolitischen Presseschau: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp974 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! Die Bundestagswahl rückt näher – Zeit, sich mit den Basics der Stimmabgabe zu beschäftigen: Was gilt es am übernächsten Sonntag zu beachten? Im Wahllokal … zeigst du deinen Perso oder Pass und die Wahlbenachrichtigung her. Dann erhältst du deinen Stimmzettel. Auf dem kannst du 2 Kreuze setzen: Mit der Erststimme wählst du einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus deinem Wahlkreis; mit der Zweitstimme wählst du eine Partei. Wenn du hinter dem Sichtschutz deine 2 Kreuze gemacht hast, steckst du den Stimmzettel in die Wahlurne. Dann wird gezählt ... Wer am Wahlsonntag bis 18 Uhr ansteht, darf noch wählen. Danach ist Schluss. Die Wahlhelfer/-innen haben aber noch keinen Feierabend ... … denn jetzt wird die Wahlurne geleert – und das große Zählen beginnt. Die Stimmenauszählung ist öffentlich. Wer möchte, kann also Wahlbeobachter/-in werden. Auch die Briefwahlstimmen werden am Wahltag nach 18 Uhr ausgezählt. Ein Stimmzettel ist gültig, wenn ... maximal 2 Stimmen vergeben wurden – je eine für Erst- und Zweitstimme (auch mit nur einem Kreuz gilt der Stimmzettel). der Stimmzettel ansonsten am besten leer bleibt (auf keinen Fall unterschreiben – geheime Wahl!). Wann wissen wir das Ergebnis? Die ersten Prognosen gibt es um 18 Uhr. Sie sind ein Stimmungsbild aus anonymen Befragungen von Wählenden nach Verlassen des Wahllokals. Die ersten Hochrechnungen sind dann Zwischenstände mit echten Auszählungen. Im Verlauf der Nacht kommen immer mehr Wahlkreise dazu. Das vorläufige Endergebnis gibt's wohl am frühen Morgen – bei der Wahl 2017 lag es gegen 5.30 Uhr vor. Das endgültige Ergebnis stand damals zweieinhalb Wochen später fest. Noch Fragen? Unser Wahl-Bot beantwortet sie: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp975 Genauere Infos zum Ablauf und was du beachten musst, findest du in unserer Wahlhilfe: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp976 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, kennst du das größte Sonnensegel der Welt? Genau, die Ozonschicht ist gemeint und heute erinnern die Vereinten Nationen daran, sie zu erhalten. Die Ozonschicht… … ist eine Gasschicht und befindet sich größtenteils in der Stratosphäre. Diese Schicht der Erdatmosphäre liegt in etwa 15-50 km Höhe. … schützt Tiere, Pflanzen und Menschen vor der schädlichen ultravioletten (UV) Strahlung der Sonne. Diese verursacht u.a. Hautkrebs und Augenleiden. Das Ozonloch Seit den 70er Jahren wird eine starke Ausdünnung der Ozonschicht über dem Süd- und selten am Nordpol beobachtet. Dieses Phänomen bezeichnet man als Ozonloch. Dazu trugen u.a. bestimmte chemische Substanzen bei: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die z.B. als Kältemittel in Kühlschränken oder Treibgasen in Spraydosen verwendet wurden, und Halone, die beispielsweise in Feuerlöschern eingesetzt wurden. Seit über 20 Jahren verringern sich auch in den mittleren Breiten die Ozonwerte. Über die Gründe sind sich Forschende unsicher, wahrscheinlich trägt u.a. der Klimawandel dazu bei. Maßnahmen zur Regenerierung 1987 verpflichteten sich alle (!) Länder der Welt im Montrealer Protokoll, die Produktion und den Verbrauch ozonabbauender Stoffe schrittweise zu verringern. 2009 legte die EU mit einer neuen Ozonverordnung nach. Diese ist noch wesentlich strikter als das Montrealer Protokoll und verbietet die Verwendung ozonschädigender Stoffe weitgehend. 2016 wurde das Montrealer Protokoll ausgeweitet. Seitdem sind auch nicht-ozonschädliche Stoffe verboten. Diese Treibhausgase beschleunigen stark die Erderwärmung. Zwar erholt sich die Ozonschicht seit ein paar Jahrzehnten, aber Wissenschaftler/-innen geben noch keine Entwarnung. Sie befürchten, dass der Klimawandel den Ozonabbau antreiben könnte. Du möchtest mehr zum Thema Ozon wissen? Eine interaktive Einführung gibt es hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/thr Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! (© picture-alliance, Geisler-Fotopress/Christian Hardt) Bist du startklar für die Bundestagswahl? Erststimme, Zweitstimme, Briefwahl – Teste Dein Wissen mit unserem Interner Link: Wahl-Quiz. Mehr Quiz und viele weitere Infos zur Wahl hat unser Wahl-Bot. Jetzt und rund um die Uhr bis zur Wahl mit ihm chatten: Externer Link: http://wahl.bundesbots.de Dir ein schönes Wochenende! Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion (© picture-alliance, Geisler-Fotopress/Christian Hardt) Guten Morgen, Ende letzter Woche hat Facebook 150 Konten und Gruppen gelöscht, die der "Querdenken"-Bewegung zugeordnet werden. Zudem können einige Webseiten der Szene nicht länger auf Facebook verlinkt werden. Warum die Löschung? Facebook begründete die Maßnahmen damit, dass die Bewegung für eine "koordinierte Schädigung der Gesellschaft" verantwortlich sei, Falschinformationen verbreite und zu Gewalt aufriefe. Anhänger/-innen von "Querdenken" gehen seit Monaten gegen die staatl. Corona-Maßnahmen auf die Straße. Bei den Demos kam es wiederholt zu Angriffen auf Polizei und Presse. Die Löschung betrifft Konten/Gruppen auf Facebook und Instagram, nicht aber auf WhatsApp. Social Media und "Querdenken" Soziale Netzwerke spielen für Bewegungen wie "Querdenken" eine zentrale Rolle in Bezug auf Organisation, Austausch und Mobilisierung. Die Netzwerke gehen vielfach nur zurückhaltend gegen Falschinformationen und Verschwörungserzählungen vor. Zuletzt hat vor allem der Messenger Telegram wegen laxer Regeln viel Zulauf aus der "Querdenken"-Szene bekommen. Studien haben auch gezeigt, dass die Algorithmen der großen Netzwerke zur Radikalisierung beitragen (Filterblasen). Reaktionen Mitglieder der Bewegung kündigten rechtliche Schritte gegen die Löschung an. Einige kritisieren die zu späte Löschung durch Facebook und dass WhatsApp-Konten nicht betroffen sind. Umstritten ist, ob es Aufgabe von Konzernen oder Justiz ist, die Löschung von problematischen Inhalten zu veranlassen. Warnen oder Löschen: Wie sollen Plattformen mit Desinformationen umgehen? Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp977 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, am kommenden Sonntag haben ca. 60 Mio Deutsche die Wahl: Es findet die Bundestagswahl statt. Doch nicht alle lockt der Wahlschein auch in die Wahlkabine. Wie viele wählen nicht? In der Bundesrepublik Deutschland lag die Wahlbeteiligung bis zur Bundestagswahl 2002 meist über oder etwa bei 80%. Seitdem sank die Zahl jedoch. Die Wahl im Jahr 2009 markierte mit einer Beteiligung von 70% einen bisherigen Tiefstand. Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2017 lag der Anteil derjenigen, die nicht wählten etwa bei 23,8%. Der Anteil derer, die nicht zur Wahl gehen hängt zudem von der jeweiligen Wahl ab. An der Bundestagswahl beteiligen sich am meisten, gefolgt von den Landtagswahlen und der Europawahl. Bei Kommunalwahlen liegt die Wahlbeteiligung häufig bei unter 50 %. Außerdem dürfen längst nicht alle Menschen, die in Deutschland leben bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. Etwa 10 Millionen Menschen, die in Deutschland leben aber keinen deutschen Pass besitzen, können nicht an der Wahl teilnehmen. Wo liegen die Gründe? Studien kommen zudem zum Schluss, dass Nichtwähler/-innen nicht über weniger Interesse an politischen Fragen verfügen, sondern dass eine Vielzahl anderer Gründe dazu führt, dass sie nicht wählen. Einen besonders wichtigen Aspekt scheinen dabei die Lebensverhältnisse der Menschen zu spielen. So weisen Regionen, in denen Menschen in prekären Verhältnissen leben häufig eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung auf. Warum ist meine Stimme wichtig? Wählen ist der Kern unserer Demokratie. Nur wenn Du wählst, kannst du mitbestimmen! Nichtwählen aus Protest funktioniert nicht. Wenn Du protestieren willst, solltest Du eine Botschaft haben. Gerade bei knappen Wahlen kommt es auf jede Stimme an. Du oder jemand in deinem Umfeld ist noch unentschlossen? Teste die geläufigsten Argumente im Wahlbingo für Nichtwählende: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp978 Oder lass dir deine Fragen von unserem Wahl-Bot beantworten: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp979 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen, seit der Machtübernahme der Taliban kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen – das kritisieren Menschenrechtsorganisationen in einem neuen Bericht. Hintergrund Ende August übernahmen die radikal-islamistischen Taliban die Kontrolle im Land. Seitdem verschlechtert sich die humanitäre Lage zusehends: Etwa 3,5 Mio. Menschen sind im Land auf der Flucht. Die Wirtschaft ist weitgehend zusammengebrochen. Lebensmittel werden knapp, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist von Hunger bedroht. Menschenrechtsverletzungen Die Taliban sicherten zu, die Menschenrechte im Land zu achten. Doch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beobachteten zahlreiche Menschenrechtsverletzungen, die sie nun in einem Bericht veröffentlichten. Sie berichten von Tötungen von Zivilist/-innen, von landesweiten Drohungen und Übergriffen gegen Aktivist/-innen sowie Journalist/-innen. Besonders gefährdet sind auch ethnische Minderheiten und Menschen, die mit der früheren Regierung oder den NATO-Staaten zusammengearbeitet haben. Frauen sind u.a. von Arbeitsverboten betroffen. Medien berichten außerdem, dass Mädchen derzeit vom Unterricht an weiterführenden Schulen ausgeschlossen sind. Widerstand Demonstrationen sind seit etwa zwei Wochen verboten, finden aber vereinzelt weiterhin statt. Am Sonntag protestierte etwa eine Gruppe Frauen gegen die Schließung des Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Dieses war zum „Ministerium für Gebet und Orientierung sowie zur Förderung der Tugend und zur Verhinderung von Laster“ umgewandelt worden. Z.T. hat sich der Widerstand auch in die Sozialen Medien verlagert: Unter dem Hashtag #DoNotTouchMyClothes posten junge Frauen Fotos in landestypischer farbenfroher Kleidung, um gegen die strenge Kleiderordnung zu protestieren. Mehr zur Lage in Afghanistan: Externer Link: https://kurz.bpb.de/tka Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! Eine Bundestagswahl unter den Bedingungen einer globalen Pandemie – das hat es bislang noch nicht gegeben. Am Sonntag wird es nun erstmals der Fall sein. Welche Auswirkungen hat das? Infektionsschutz bei der Wahl Auch im Wahllokal gelten die Hygienemaßnahmen entsprechend der Coronaschutzverordnung des jeweiligen Bundeslandes. D.h. in der Regel: Wer eintritt, muss sich an Maskenpflicht und Mindestabstand halten. Ein 3G-Nachweis ("geimpft, genesen, getestet") ist jedoch nicht erforderlich. Denn: Die Stimmabgabe ist ein politisches Grundrecht und soll durch die Pandemie nicht eingeschränkt werden! Wie verändert Corona die Wahl? Im Wahlkampf waren direkte Kontakte zu potenziellen Wähler/-innen (Straßenstände, Haustürbesuche) nur eingeschränkt möglich. Parteien setzten daher verstärkt auf Plakat- oder Social-Media-Kampagnen. Aufgrund der Corona-Pandemie werden dieses Jahr ca. 50 % Briefwähler/-innen erwartet. Bei der Bundestagswahl 2017 waren es noch 28,6 %. Eine Konsequenz: Viele haben schon gewählt und können nicht mehr auf Vorkommnisse/ Entwicklungen unmittelbar vor dem Wahltermin reagieren. Ist die Briefwahl unsicher(er)? Immer wieder gibt es gerade in Social Media Gerüchte und Falschmeldungen, dass die Briefwahl nicht sicher sei. Fachleute widersprechen: Briefwahlunterlagen werden zuverlässig und nach einem festen System beantragt und versandt. Briefwähler/-innen müssen eidesstattlich versichern, ihre Stimme selbst abgegeben zu haben. Wer hier betrügt, macht sich strafbar. Per Briefwahl abgegebene Stimmzettel werden wie alle anderen geprüft und öffentlich ausgezählt. Also gib, sofern Du wahlberechtigt bist, Deine Stimme ab – ob noch schnell per Briefwahl (am besten spätestens heute abschicken!) oder ganz klassisch am Sonntag im Wahllokal! Mehr zum Ablauf am Wahltag erfährst Du hier: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp980 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion Guten Morgen! Du hast die Wahl! (© bpb) "To Do" für heute: Wählen gehen! Wie läuft es ab und was erwartet Dich? Die Wahl im Wahllokal Die Adresse Deines Wahllokals steht auf der Wahlbenachrichtigung. Dort kannst Du zwischen 8 und 18 Uhr Deine Stimme abgeben. Nicht vergessen: Ausweis, Wahlbenachrichtigung und Maske mitnehmen. Ein paar No-Gos gibt es: Selfies oder Videos in der Wahlkabine sind verboten ("geheime Wahl")! Und schreibe bitte nichts auf den Stimmzettel – dadurch wird er ungültig. Du hast vergessen, die Briefwahlunterlagen abzuschicken? Keine Panik: Noch bis 18 Uhr kannst Du sie heute bei deinem Wahllokal abgeben – den Ausweis nicht vergessen! Erst- und Zweitstimme Mit der Erststimme (links auf dem Stimmzettel) wählst Du einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus Deinem Wahlkreis. Die Person mit den meisten Stimmen zieht direkt in den Bundestag ein. Mit der Zweitstimme (rechts auf dem Stimmzettel) wählst Du die Landesliste einer Partei. Die Zweitstimmen sind entscheidend dafür, wie stark die Parteien im Bundestag vertreten sind. Wann kommt das Ergebnis? Die erste Prognose – ein Stimmungsbild aus anonymen Befragungen von Wählenden nach Verlassen des Wahllokals – gibt’s kurz nach 18 Uhr. Die ersten Hochrechnungen sind dann Zwischenstände der Auszählungen. Je mehr Wahlkreise gezählt sind, desto mehr nähert sich die Angabe dem Endergebnis. Das vorläufige Endergebnis verkündet der Bundeswahlleiter meist in der Nacht oder am frühen Morgen – 2017 war das gegen 5.30 Uhr. Wir wünschen Dir einen schönen Wahltag! Deine bpb-Online-Redaktion PS: Du bist noch unentschlossen? Spiel den Wahl-O-Mat und informiere Dich über die Themen und Positionen der Parteien: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp982 PPS: Fragen rund um die Wahl beantwortet Dir auch unser Wahl-Bot:
 Externer Link: https://wahl.bundesbots.de/ PPPS: Jetzt aber – geh wählen! Du hast die Wahl! (© bpb) Guten Morgen! Deutschland hat gewählt! Wie ist die Bundestagswahl 2021 ausgegangen? Und wie geht‘s jetzt weiter? Ein kurzer Überblick. Wahlergebnis Heute Morgen um 6 Uhr hat der Bundeswahlleiter das vorläufige Ergebnis der Wahl verkündet: SPD: 25,7 % CDU/CSU: 24,1 % GRÜNE: 14,8 % FDP: 11,5 % AfD: 10,3 % DIE LINKE: 4,9 % SSW: 0,1 % Sonstige: 8,6 % Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) zieht als Partei nationaler Minderheiten (befreit von Fünf-Prozent-Klausel) in den Bundestag ein. Die Partei Die Linke schafft zwar nicht die Fünf-Prozent-Hürde, kommt aber aufgrund von 3 gewonnenen Direktmandaten in den Bundestag (Grundmandatsklausel). Der neu gewählte Bundestag wird aus 735 Abgeordneten bestehen (2017: 709). Wahlbeteiligung Rund 60,4 Mio. Menschen durften wählen – darunter 2,8 Mio. Erstwähler/-innen. Die Wahlbeteiligung lag laut Bundeswahlleiter bei 76,6 % (2017: 76,2 %). Koalitionen Keine Partei hat die absolute Mehrheit (über 50 %), kann also alleine regieren. Es braucht eine Regierungskoalition. Die Alternative wäre eine Minderheitsregierung. Einige mögliche Koalitionen wurden schon vorab ausgeschlossen: Keine der im Bundestag vertretenen Parteien will mit der AfD regieren. CDU/CSU und FDP lehnen auch eine Koalition mit der Partei Die Linke ab. Union und SPD wollen keine (rechnerisch mögliche) Neuauflage der Großen Koalition. Diskutiert werden Dreierbündnisse: SPD + Grüne + FDP / CDU/CSU + Grüne + FDP Wie geht’s weiter? Die Parteien beginnen jetzt mit Sondierungsgesprächen (Vorverhandlungen) und dann mit Koalitionsgesprächen (z.B. über inhaltliche Leitlinien, Verteilung der Ministerien). Der neue Bundestag muss spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl zusammenkommen. Eine starre Frist für die Bildung der Bundesregierung gibt es nicht, solange bleibt die bisherige – und auch die Kanzlerin –"geschäftsführend" im Amt. Schalte ein zum bpb-Analysefrühstück nach der Wahl. Ab 10 Uhr im Livestream: Externer Link: https://kurz.bpb.de/dtdp983 Viele Grüße Deine bpb-Online-Redaktion
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-07-26T00:00:00"
"2021-09-02T00:00:00"
"2022-07-26T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/339597/september-2021/
Hier findest du alle Beiträge vom September 2021.
[ "Deine tägliche Dosis Politik", "DtDP" ]
30,686
Chronik: 9. bis 22. November 2020 | Ukraine-Analysen | bpb.de
10.11.2020 Die Ukraine öffnet sieben Kontrollpunkte an der Kontaktlinie zu den "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk, nachdem diese wegen der Coronavirus-Pandemie für mehrere Wochen gesperrt waren. 10.11.2020 Der Ausschuss für Außenpolitik im EU-Parlament begrüßt in einem neuen Bericht die Fortschritte der Ukraine in Bereichen wie Landwirtschaft, Dezentralisierung und dem Bankenwesen. Gleichzeitig wird gefordert, dass weitere EU-Hilfen strikt an Konditionen gebunden sein sollen und die Ukraine vor allem bei der Korruptionsbekämpfung und der De-Oligarchisierung mehr unternehmen müsse. 11.11.2020 Das Oberste Antikorruptionsgericht verurteilt einen Abgeordneten des Regionalrats von Poltawa zu einer Gefängnisstrafe von 4,5 Jahren. Er hatte dem Gericht zufolge einem Polizeibeamten eine Bestechung von 35.000 Hrywnja gezahlt. 13.11.2020 Laut jüngsten Zahlen des Statistikamts der Ukraine sind die Importe von Januar bis September 2020 deutlich stärker gesunken als die Exporte, was zu einem Exportüberschuss in diesem Zeitraum von 531 Mio. US-Dollar führte. Im Vorjahreszeitraum stand hingegen ein Handelsdefizit von 4,2 Mrd. US-Dollar zu Buche. Ursächlich für die guten Exportzahlen sind vor allem die Ausfuhren von Gütern nach China, die um 86 Prozent auf 4,8 Mrd. US-Dollar zunahmen. 15.11.2020 In zahlreichen Städten und Gemeinden, in denen es in der ersten Runde der Kommunalwahlen Ende Oktober keine Sieger gab, finden Stichwahlen statt, darunter in Odessa, Cherson und Luzk. Während der umstrittene Bürgermeister von Odessa, Hennadij Truchanow, die Stichwahl für sich entscheiden kann, ist der Bürgermeister von Kramatorsk im Osten der Ukraine der einzige Amtsinhaber in einer Großstadt, der die Stichwahl verliert. 16.11.2020 Laut dem Statistikdienst der Ukraine wuchs die Wirtschaft im dritten Quartal 2020 um 8,5 Prozent gegenüber dem zweiten Quartal, das aufgrund der Coronavirus-Pandemie um 11,4 Prozent gegenüber dem ersten Quartal einbrach. 16.11.2020 Das Kiewer Berufungsgericht hebt die Entscheidung über die "in absentia"-Festnahme des flüchtigen Ex-Präsidenten Wiktor Janukowytsch wegen der gewaltsamen Auflösung der Maidan-Proteste am 18. und 20. Februar 2014 auf. Grund seien Verfahrensfehler, so ein Anwalt von Janukowytsch. Am 12. Mai 2020 hatte das Petscherskyj-Bezirksgericht in Kyjiw die Inhaftierung von Janukowytsch "in absentia" angeordnet, gegen die Janukowytsch in Berufung gegangen war. 16.11.2020 Laut einem neuen Report der OSZE Sonderbeobachtungsmission für die Ukraine gab es in diesem Jahr 18 zivile Todesopfer und 85 Verletzte in der Ostukraine. Aktuell sei die Lage an der Kontaktline "relativ ruhig", so der Bericht. 17.11.2020 Nach einem Telefonat mit der IWF-Direktorin Kristalina Georgiewa teilt Präsident Wolodymyr Selenskyj mit, dass der IWF die Ukraine weiter unterstützen werde, im Gegenzug jedoch die Bekämpfung der Korruption und eine Lösung in der Verfassungskrise fordere. 18.11.2020 Das Ministerkabinett ernennt nach einer längeren Überprüfung Pawel Rjabikin, seit 2017 Generaldirektor des Flughafens Kyjiw-Boryspil, zum neuen Leiter des staatlichen Zolldienstes. 2019 teilte die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAZK) mit, dass Rjabikin 2016 Immobilien und Fahrzeuge in seinen Vermögensangaben verschleiert habe. Sein Vorgänger, Maksym Nefjodow, wurde im April 2020 im Rahmen einer größeren Entlassungswelle von Spitzenbeamten suspendiert, wogegen es viel Kritik aus dem In- und Ausland gab. Nefjodow galt als erfolgreicher Reformer, dem zugetraut wurde, den notorisch korrupten Zoll zu reformierten. 18.11.2020 Ein Sprecher der ukrainischen Delegation der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk teilt mit, dass noch vor dem 24. Dezember ein Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland bzw. den "Volksrepubliken" angestrebt werde. 19.11.2020 Bei einer Videokonferenz mit den Botschaftern der G7-Staaten versichert Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass der Direktor des Nationalen Anti-Korruptionsbüros (NABU), Artem Sytnyk, auch weiterhin Leiter der Behörde bleiben werde. Hintergrund ist eine umstrittene Entscheidung des Verfassungsgerichts, das im August 2020 die Entlassung Sytnyks bis Jahresende forderte, da der frühere Präsident Petro Poroschenko mit der Ernennung Sytnyks seine Vollmachten überschritten hätte. Das NABU kritisierte die Entscheidung als "politisch motiviert", da Sytnyks Behörde gegen ranghohe Richter und Politiker ermittle. 20.11.2020 Der EU-Außenbeauftragte Josip Borrell erklärt, dass sich die Ukraine gemeinsam mit sechs weiteren Staaten offiziell den Sanktionen der EU gegen das Regime des selbsternannten belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko angeschlossen habe. Gegen die landesweiten Proteste infolge der massiven Wahlfälschungen geht das Lukaschenko-Regime gewaltsam vor, weshalb die EU am 2. Oktober Sanktionen gegen 40 Regimevertreter verhängte. Am 6. November wurden weitere 15 Personen in die Sanktionsliste aufgenommen, darunter auch Alexander Lukaschenko. 20.11.2020 Auf einer außerordentlichen Sitzung des Ministerkabinetts wird die amtierende Energieministerin Olha Buslawez entlassen und ihr Stellvertreter, Jurij Bojko (nicht zu verwechseln mit dem Oppositionspolitiker und früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Jurij Boiko), zum Nachfolger ernannt. Der neue Energieminister arbeitete vor seiner Tätigkeit als stellvertretender Energieminister in leitenden Positionen im Energiesektor, darunter beim staatlichen Energieversorger "Enerhorynok". 22.11.2020 In der Ukraine finden in 86 Städten und Gemeinden eine weitere Runde der Kommunalwahl-Stichwahlen statt, darunter in Dnepr, Lwiw, Mykolajiw und anderen Großstädten. Bei den meisten Wahlen setzen sich die Amtsinhaber durch, darunter Andrij Sadowyj in Lwiw und Borys Filatow in Dnipro. Die Chronik wird zeitnah erstellt und basiert ausschließlich auf im Internet frei zugänglichen Quellen. Die Redaktion bemüht sich, bei jeder Meldung die ursprüngliche Quelle eindeutig zu nennen. Aufgrund der großen Zahl von manipulierten und falschen Meldungen kann die Redaktion der Ukraine-Analysen keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernehmen. Zusammengestellt von Dr. Eduard Klein Sie können die gesamte Chronik seit Februar 2006 auch auf Externer Link: http://www.laender-analysen.de/ukraine/ unter dem Link "Chronik" lesen.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2020-12-01T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/322140/chronik-9-bis-22-november-2020/
Die Ereignisse vom 9. bis zum 22. November 2020 in der Chronik.
[ "Ukraine-Analyse" ]
30,687
Todesursachen | Die soziale Situation in Deutschland | bpb.de
Von den im Jahr 2020 Gestorbenen starb rund ein Drittel an Herz-/Kreislauferkrankungen und knapp ein Viertel an Krebs. Jeder Zehnte starb an einer Erkrankung des Atmungs- oder Verdauungssystems. Bei vier Prozent – also jedem fünfundzwanzigsten Gestorbenen – wurde eine nicht natürliche Todesursache festgestellt. Ebenso hoch war der Anteil der Todesfälle, die direkt auf eine Coronavirus-Erkrankung (Covid-19) zurückgingen. Fakten Im Jahr 2020 starben in Deutschland 985.572 Personen – 492.797 Männer und 492.775 Frauen. Wie in den Jahren zuvor waren Herz-/Kreislauferkrankungen die häufigste Todesursache. Ihr Anteil an allen Sterbefällen lag bei 34,3 Prozent. Bei knapp jedem vierten Sterbefall (23,5 Prozent) wurde eine bösartige Neubildung (Krebs) als Todesursache festgestellt. Krankheiten des Atmungssystems waren bei 6,2 Prozent und Krankheiten des Verdauungssystems bei 4,3 Prozent die Todesursache. Mit einem Anteil von 6,0 Prozent im Jahr 2020 haben psychische und Verhaltensstörungen als Todesursache gegenüber früheren Jahren stark zugenommen. Dies vor allem deshalb, weil immer häufiger Demenz als Grundleiden bzw. direkte Todesursache erkannt wird. Bei 4,2 Prozent der Gestorbenen wurde eine nicht natürliche Todesursache festgestellt (vor allem Unfälle und Suizid). 4,0 Prozent aller Todesfälle im Jahr 2020 gehen direkt auf eine Coronavirus-Erkrankung (Covid-19) zurück. Mit zunehmendem Alter wird der Anteil der Herz-/Kreislauferkrankungen an allen Todesursachen immer größer. Entsprechend waren 92,5 Prozent der Personen, die im Jahr 2020 wegen einer Erkrankung des Herz-/Kreislaufsystems starben, 65 Jahre oder älter. Und da Frauen im Durchschnitt älter werden als Männer, sterben diese auch häufiger an einer Herz-/Kreislauferkrankung: Der Anteil an allen Todesursachen lag bei den Frauen bei 36,6 Prozent und bei den Männern bei 32,0 Prozent. Wird in dieser Kategorie jedoch nur der Herzinfarkt als Todesursache betrachtet, liegt der Anteil der Männer über dem der Frauen (5,4 bzw. 3,7 Prozent). An bösartigen Neubildungen – der bedeutendsten Todesursache in den mittleren Altersgruppen – starben im Jahr 2020 231.271 Personen (125.891 Männer / 105.380 Frauen). Bei Männern und Frauen waren vom Krebs am häufigsten die Verdauungsorgane (darunter Bauchspeicheldrüse, Leber, Magen) beziehungsweise die Atmungsorgane (Lungen- und Bronchien) betroffen. Häufigste Einzeldiagnose bei den Krebserkrankungen von Frauen war jedoch der Brustkrebs mit einem Anteil von 3,7 Prozent (18.425 Fälle). Bei den Männern hatte der Prostatakrebs mit 3,1 Prozent einen auffallend hohen Anteil an allen Todesursachen (15.403 Fälle). Bei 41.794 Verstorbenen wurde im Jahr 2020 ein Unfall, Suizid oder eine andere nicht natürliche Todesursache ermittelt (24.579 Männer / 17.215 Frauen). Am häufigsten waren dabei Unfälle, insbesondere Stürze, mit 29.915 Fällen. Weiter starben im Jahr 2020 364 Personen in Folge eines tätlichen Angriffs und 9.206 durch Suizid. Von den Suizidtoten waren 75,4 Prozent Männer und 24,6 Prozent Frauen. Bei den 15- bis unter 25-Jährigen ist Suizid nach wie vor die häufigste Todesursache: Im Jahr 2020 starben 23,1 Prozent der verstorbenen männlichen Personen und 19,8 Prozent der verstorbenen weiblichen Personen dieser Altersgruppe durch Selbsttötung (365 bzw. 118 Fälle). An einer Coronavirus-Erkrankung (Covid-19) als Grundleiden verstarben im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt insgesamt 39.758 Menschen in Deutschland. Damit war Covid-19 bei 4,0 Prozent aller Verstorbenen die ausschlaggebende Todesursache. In dieser Zahl sind die 8.102 Fälle, in denen Covid-19 auf dem Totenschein als Begleiterkrankung dokumentiert wurde, nicht enthalten. 89,4 Prozent der an Covid-19 als Grundleiden verstorbenen Personen waren 70 Jahre oder älter – 69,9 Prozent waren 80 Jahre oder älter. Weiter gibt das Statistische Bundesamt an, dass Covid-19 im Jahr 2020 zu einer Übersterblichkeit geführt hat: Deutschlandweit starben 2020 rund 5 Prozent oder 46.000 Menschen mehr als im Jahr 2019. Allein aufgrund der Alterung der Bevölkerung wäre nur ein Anstieg der Sterbefallzahlen um etwa 2 Prozent oder etwa 20.000 Fälle zu erwarten gewesen. In den ersten zwölf Monaten der Pandemie von März 2020 bis Februar 2021 starben 7,5 Prozent oder fast 71.000 Menschen mehr als in den zwölf Monaten davor. Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen Die Klassifizierung der Todesursachen folgt der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD – International Classification of Diseases): Externer Link: https://www.who.int/classifications/classification-of-diseases Todesursachen In absoluten Zahlen und Anteile in Prozent, 2020 Anzahl Anteil an allen Todesursachen, in Prozent Todesursachen nach Geschlecht, Anteile in Prozent insgesamt insgesamt Männer Frauen insgesamt 985.572 100,0 50,0 50,0 Krankheiten des Kreislaufsystems 338.001 34,3 46,6 53,4 darunter: Hypertonie (Hochdruckkrankheit) 47.900 4,9 33,6 66,4 ischämische Herzkrankheiten 121.462 12,3 56,5 43,5 darunter: akuter oder rezidivierender Myokardinfarkt 44.529 4,5 59,4 40,6 sonstige Formen der Herzkrankheit 73.558 7,5 42,3 57,7 zerebrovaskuläre Krankheiten 53.308 5,4 43,8 56,2 darunter: Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet 10.918 1,1 39,6 60,4 Krankheiten der Arterien, Arteriolen und Kapillare 11.890 1,2 50,4 49,6 Neubildungen 239.552 24,3 54,2 45,8 darunter: bösartige Neubildungen 231.271 23,5 54,4 45,6 darunter: Bronchien und Lunge 44.786 4,5 61,9 38,1 Bauchspeicheldrüse 18.922 1,9 49,9 50,1 Brustdrüse 18.591 1,9 0,9 99,1 Dickdarm 15.692 1,6 52,5 47,5 Prostata 15.403 1,6 100,0 – Leber und intrahepatische Gallengänge 8.457 0,9 67,1 32,9 Leukämie 8.357 0,8 57,2 42,8 Magen 8.353 0,8 60,2 39,8 Speiseröhre 5.954 0,6 76,5 23,5 Harnblase 5.877 0,6 67,1 32,9 Lippe, Mundhöhle und Rachen 5.352 0,5 73,9 26,1 Eierstöcke 5.265 0,5 – 100,0 Niere, ausgenommen Nierenbecken 5.155 0,5 60,5 39,5 bösartiges Melanom der Haut 2.940 0,3 60,5 39,5 Gebärmutter 2.758 0,3 – 100,0 Gebärmutterhals 1.546 0,2 – 100,0 Kehlkopf und Luftröhre 1.299 0,1 83,8 16,2 Krankheiten des Atmungssystems 61.348 6,2 55,3 44,7 darunter: chronische Krankheiten der unteren Atemwege (darunter COPD - dauerhaft atemwegsverengende Lungenerkrankung) 32.922 3,3 54,3 45,7 darunter: Asthma 1.046 0,1 37,2 62,8 Pneumonie (Lungenentzündung) 15.899 1,6 54,2 45,8 Grippe 1.307 0,1 55,9 44,1 psychische und Verhaltensstörungen 59.613 6,0 38,1 61,9 darunter: psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol 5.012 0,5 76,8 23,2 Krankheiten des Verdauungssystems 42.507 4,3 53,3 46,7 darunter: Krankheiten der Leber 16.286 1,7 64,9 35,1 äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität 41.794 4,2 58,8 41,2 darunter: Stürze 17.211 1,7 48,7 51,3 Transportmittelunfälle 3.041 0,3 76,3 23,7 akzidentelle Vergiftung 1.203 0,1 74,5 25,5 Ertrinken und Untergehen 371 0,0 71,4 28,6 Exposition gegenüber Rauch, Feuer und Flammen 336 0,0 64,6 35,4 sonstige Unfälle einschließlich Spätfolgen 7.753 0,8 51,3 48,7 vorsätzliche Selbstbeschädigung 9.206 0,9 75,4 24,6 tätlicher Angriff 364 0,0 53,3 46,7 Ereignis, dessen nähere Umstände unbestimmt sind 2.239 0,2 60,0 40,0 COVID-19 1 39.758 4,0 52,7 47,3 endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten 36.628 3,7 45,5 54,5 darunter: Diabetes mellitus 25.807 2,6 47,1 52,9 Krankheiten des Nervensystems 35.384 3,6 50,4 49,6 darunter: Meningitis 102 0,0 46,1 53,9 Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde 35.229 3,6 58,0 42,0 darunter: plötzlicher Kindstod 84 0,0 64,3 35,7 Krankheiten des Urogenitalsystems 25.390 2,6 45,4 54,6 darunter: Krankheiten der Niere 18.263 1,9 44,2 55,8 bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten 15.085 1,5 48,8 51,2 darunter: Virushepatitis 523 0,1 53,9 46,1 Tuberkulose einschließlich ihrer Folgezustände 275 0,0 60,7 39,3 HIV-Krankheit 272 0,0 84,9 15,1 Meningokokkeninfektion 17 0,0 47,1 52,9 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und Bindegewebes 5.713 0,6 39,1 60,9 darunter: chronische Polyarthritis und Arthrose 1.439 0,1 33,8 66,2 Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe 4.391 0,4 45,0 55,0 angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien 2.030 0,2 51,9 48,1 darunter: Angeborene Fehlbildungen des Kreislaufsystems 584 0,1 51,9 48,1 Angeborene Fehlbildungen des Nervensystems 160 0,0 48,1 51,9 Krankheiten der Haut und der Unterhaut 1.721 0,2 41,0 59,0 bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben 1.351 0,1 54,6 45,4 Krankheiten der Sinnesorgane 46 0,0 67,4 32,6 Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett 28 0,0 – 100,0 Fußnote: 1 ausschließlich COVID-19 als Grundleiden/Todesursache bzw. ohne COVID-19 als Begleiterkrankung / Virus nachgewiesen: 38.510 Fälle, Virus nicht nachgewiesen: 1.248 Fälle. Quelle: GENESIS-Online: Todesursachen Quellen / Literatur GENESIS-Online: Todesursachen GENESIS-Online: Todesursachen
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-12-08T00:00:00"
"2012-02-01T00:00:00"
"2022-12-08T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61832/todesursachen/
Herz-/Kreislauferkrankungen und Krebs sind auch im Jahr 2020 mit Abstand die häufigsten Todesursachen gewesen.
[ "Zahlen und Fakten", "Gesellschaft", "Deutschland", "Gesundheit", "Todesursachen" ]
30,688
M 02.02 Der Bedürfnis-Bazar | Partizipation vor Ort | bpb.de
Aufgabenteil A Einzelarbeit: Welche Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sollten in jedem Falle erfüllt werden? Erstelle eine Liste. Partnerarbeit: Tausche deine Ergebnisse mit einem Partner aus und begründet eure Überzeugung. Aufgabenteil B (Gruppenarbeit) Veranstaltet einen Bazar der Bedürfnisse. Ziel ist es, eure Mitschüler von eurer Bedürfnissammlung zu überzeugen. Stellt euch vor, ihr könntet bestimmen, welche drei Bedürfnisse von Kindern überall auf der Welt erfüllt werden sollen: Welche drei Bedürfnisse sind dies und weshalb? Schreibt jedes der Bedürfnisse auf ein DIN-A-4-Blatt, entwerft ein aussagekräftiges Bild/Symbol und überlegt euch gute Slogans und Argumente für die Berücksichtigung dieser Bedürfnisse. Entscheidet anschließend darüber, welches Gruppenmitglied am besten Werbung für eure drei Bedürfnisse machen kann. Er oder sie wird zum Marktschreier auf dem Bazar ernannt. Schneidet die Münzen aus. Jeder von euch nimmt sich eine Münze. Hängt die Bedürfniskarten in einer Ecke des Raumes auf und schickt euren Marktschreier an den "Stand". Alle außer ihm/ihr laufen nun im Raum herum und besuchen die anderen "Stände" des "Bazars". Wenn ihr von einem Marktschreier überzeugt werdet (nicht der eigene Stand!) gebt ihr ihm/ihr die Münze. Die Bedürfnisse sind dann von euch "gekauft". Das Material steht als Interner Link: PDF-Dokument zum Download bereit.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-07-19T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/lernen/angebote/grafstat/partizipation-vor-ort/141226/m-02-02-der-beduerfnis-bazar/
Die Schülerinnen und Schüler überlegen sich, welche Bedürfnisse unbedingt erfüllt sein müssen und tauschen sich dann darüber mit einem Partner aus. Drei Bedürfnisse werden nun auserkoren und auf Plakaten optisch ansprechend dargestellt. Die Schülerin
[ "" ]
30,689
Sechster deutsch-afrikanischer Stipendiatenaustausch „Go Africa... Go Germany...“ gestartet | Presse | bpb.de
Seit vergangenem Sonntag, dem 12.08.2012, reisen 17 deutsche und afrikanische Stipendiaten im Rahmen des Austauschprogramms „Go Africa… Go Germany…“ durch die Bundesrepublik und absolvieren gemeinsam ein hochrangiges Programm der politischen Bildung. In den vergangenen Tagen erhielten die Stipendiaten zunächst von Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Manfred Görtemaker von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Heinrich Oberreuter, dem ehemaligen Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, eine Einführung in die deutsche Geschichte und in das politische System der Bundesrepublik. Gabriel Tetteh, 28-jähriger Stipendiat aus Ghana, zieht eine Bilanz der ersten Tage: „Die Vorträge über die deutsche Geschichte, soziale Bewegungen und insbesondere die Gruppenarbeit haben mir die Augen geöffnet für gesellschaftliche Probleme, die wir auch in Afrika haben." In der kommenden Woche erwartet die Stipendiaten neben einem Empfang beim Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Hans-Jürgen Beerfeltz in Berlin ein Treffen mit Journalisten und Politikern wie z.B. Dagmar Dehmer vom Tagesspiegel, dem Autor Harald Martenstein, dem Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin Günter Nooke sowie MdB Christoph Strässer. In Köln, der letzten Station der Reise, haben die Stipendiaten Gelegenheit, spezifische Themen wie etwa die Rolle von Religion sowie die Situation afrikanischer Migranten in Deutschland zu diskutieren. Seit 2007 gibt es das Stipendienprogramm für Studierende und junge Graduierte aus Deutschland und Afrika. Gemeinsam absolvieren die Stipendiaten ein umfangreiches Programm zu politischen und gesellschaftlichen Themen und verfassen ein gemeinsames Papier. Das Programm wird mit dem Verein Stiftung Partnerschaft in Afrika e.V. umgesetzt und auch nach dem Programm werden die Stipendiaten in eine Alumni-Arbeit eingebunden. Die Stipendiaten der diesjährigen Gruppe kommen aus Ghana, Mali, Kenia, Senegal und Südafrika. Go Africa... Go Germany... steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt. Seit Juni 2011 ist Go Africa... Go Germany... als „Initiative der Zukunft” für den Ausbau und die Weiterentwicklung eines partnerschaftlichen Wissenstransfers zwischen Deutschland und Afrika Bestandteil des Afrika-Konzepts der Bundesregierung. Weitere Informationen unter Externer Link: www.bpb.de/76283 Pressekontakt Bundeszentrale für politische Bildung Daniel Kraft Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: presse@bpb.de Externer Link: www.bpb.de/presse Interner Link: Pressemitteilung als PDF
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2012-08-23T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/die-bpb/presse/pressemitteilungen/142821/sechster-deutsch-afrikanischer-stipendiatenaustausch-go-africa-go-germany-gestartet/
Seit vergangenem Sonntag, dem 12.08.2012, reisen 17 deutsche und afrikanische Stipendiaten im Rahmen des Austauschprogramms „Go Africa… Go Germany…“ durch die Bundesrepublik und absolvieren gemeinsam ein hochrangiges Programm der politischen Bildung.
[ "Go Africa" ]
30,690
Dr. phil. Michael Willhardt | 13. Bundeskongress Politische Bildung – Ungleichheiten in der Demokratie | bpb.de
Dr. Michael Willhardt (© Napierala) Jahrgang 1956. PR-Fachmann, Publizist, Feldforscher. Themen: Migration und Quartiersentwicklung, Kultur, ökologisches Bauen. Mitgliedschaften: Deutscher Werkbund (dwb); Internationales Künstlergremium (IKG); Dachverband Lehm (DVL) Dr. Michael Willhardt (© Napierala)
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2015-02-12T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/veranstaltungen/reihen/bundeskongress-politische-bildung/13-bundeskongress-politische-bildung-ungleichheiten-in-der-demokratie/201013/dr-phil-michael-willhardt/
[ "" ]
30,691
Welt-Aids-Tag 2012 | Hintergrund aktuell | bpb.de
Rechtzeitig zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember hat UNAIDS, das gemeinsame Programm der UN zu HIV/Aids, seinen neuen Bericht vorgestellt. Auch 30 Jahre nach der Entdeckung des "Menschlichen Immunschwäche-Virus" (HIV) ist die Krankheit lebensbedrohliche Realität: 34 Millionen Menschen waren im Jahr 2011 mit dem HI-Virus infiziert. Nur etwa die Hälfte von ihnen ist sich ihrer Infektion bewusst, schätzen die UN. Weltweit haben sich im vergangenen Jahr 2,5 Millionen Menschen neu infiziert. 1,7 Millionen Menschen starben an Folgeerkrankungen. Man bewege sich langsam von der Verzweiflung zur Hoffnung, sagte UNAIDS-Direktor Michael Sidibé bei der Vorstellung des Reports in Genf. Gerade in afrikanischen Ländern mit sehr hohen Erkrankungszahlen sei die Neuinfektionsrate seit 2001 stark gesunken: in Südafrika um bis zu 40 Prozent, in Botswana und Malawi gar bis zu 70 Prozent. Weniger Infektionen bei Kindern Auch hinsichtlich der Infektionen im Mutterleib gebe es Grund zur Hoffnung, so Sidibé. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl der neuinfizierten Kinder um 24 Prozent verringert. Viele Länder haben trotz einer wirtschaftlich schwierigen Situation ihre Ausgaben für die HIV-Prävention erhöht. Dennoch werden in den kommenden drei Jahren bis zu 24 Milliarden US-Dollar zusätzlich benötigt. Größter Spender weltweit sind die Vereinigten Staaten, die allein für 48 Prozent aller internationaler HIV- und Aids-Hilfsgelder aufkommen. Therapien schlagen an Obwohl weltweit etwa acht Millionen Betroffene immer noch keinen Zugang zu wirksamen Therapien haben, konnte die Zahl der Behandelten bedeutend erhöht werden: immerhin 63 Prozent der Betroffenen erhalten inzwischen medizinische Hilfe. Dadurch konnten die Todesfälle im Vergleich zu 2005 um 24 Prozent verringert werden. UNAIDS UNAIDS ist das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/Aids. Gegründet wurde es 1994 als Ersatz für das seit 1987 bestehende "Global Programme on AIDS". Das Programm soll die Aktivitäten der Trägerorganisationen durch einheitliche Strategieplanung, die Implementierung weltweiter Kampagnen und länderspezifischer Programm bündeln. Rückschritte und Stagnation Misserfolge gibt es unter anderem in Osteuropa. Die Aids-Programme in diesen Ländern seien ineffektiv, weil die politische Bereitschaft fehle, so Bernhard Schwartländer, der strategischer Direktor von UNAIDS. Besonders betroffene Bevölkerungsgruppen sind weltweit weiterhin Prostituierte, homosexuelle Männer und Menschen, die intravenös Drogen konsumieren. Sie konnten durch Präventions- und Behandlungsprogramme noch nicht ausreichend erreicht werden. HIV in Deutschland 78.000 Menschen in Deutschland leben heute mit HIV, schätzen die Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts in ihrer Veröffentlichung zum Welt-AIDS-Tag. Laut der Datenerhebung im Jahr 2012 sind 63.000 Männer, 15.000 Frauen und 200 Kinder infiziert. Ungefähr 3.400 haben sich im Jahr 2012 neu infiziert – ein Anstieg um etwa drei Prozent verglichen mit 2011. Nach Schätzungen kommen etwa 14.000 Menschen hinzu, deren Infektion mit dem HI-Virus noch nicht diagnostiziert wurde. Auch hier lässt sich seit Mitte der 1990er Jahre ein kontinuierlicher Anstieg beobachten. 550 Menschen sind im Jahr 2012 an den Folgen der HIV-Infektion gestorben. Seit der Entdeckung von AIDS gab es in Deutschland circa 27.000 Todesfälle. In Folge der Einführung wirksamer Therapien für die Autoimmunerkrankung sank die Zahl der Todesfälle in Deutschland unter die Zahl der Neuinfektionen. Trotzdem hat sich seit Mitte der neunziger Jahre die Zahl der HIV-Infizierten verdoppelt. Circa 50.000 Menschen in Deutschland erhalten gegenwärtig Medikamente gegen den Virus. Die Motivation zum Schutz mit Kondomen müsse deshalb unbedingt weiterhin ein zentraler Bestandteil der Präventionsstrategie in Deutschland bleiben, fordern die Forscher des Robert-Koch-Instituts. Mehr zum Thema Interner Link: Michael Grimm: Ökonomische Konsequenzen von Aids-Epidemien in Entwicklungsländern Interner Link: Sarah Tietze: Die Aids-Pandemie in Subsahara-Afrika Hintergrund aktuell (01.12.2010): Welt-Aids-Tag 2010 UNAIDS ist das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung von HIV/Aids. Gegründet wurde es 1994 als Ersatz für das seit 1987 bestehende "Global Programme on AIDS". Das Programm soll die Aktivitäten der Trägerorganisationen durch einheitliche Strategieplanung, die Implementierung weltweiter Kampagnen und länderspezifischer Programm bündeln.
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-09-24T00:00:00"
"2012-11-29T00:00:00"
"2021-09-24T00:00:00"
https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/150611/welt-aids-tag-2012/
Die HIV-Neuinfektionsrate hat sich weltweit verringert. Das ist die gute Nachricht des neuen UNAIDS-Berichts. Gleichzeitig fehlt es jedoch an medizinischer Betreuung für 8 Millionen Betroffene. In Deutschland leben derzeit 78.000 Menschen mit dem Vir
[ "AIDS", "HIV", "UNAIDS", "Krankheit", "Gesundheit", "Prävention", "Entwicklungsland", "Pharma" ]
30,692
Von der Redaktion: На дачу – in die Sommerpause | Russland-Analysen | bpb.de
Gemeinsam mit den anderen Länder-Analysen ist sie im September dem Schwerpunkt "Armut, Reichtum, soziale (Un-)Gerechtigkeit" gewidmet. Ferner sind Ausgaben zu Themen wie De-facto-Staaten sowie Agrarpolitik und Agrobusiness geplant. Vorerst wüschen wir unseren Leserinnen und Lesern einen erholsamen Sommer. Die Redaktion der Russland-Analysen Matthias Neumann, Heiko Pleines, Hartmut Schröder, Alena Schwarz und Anastasia Stoll
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2021-06-23T00:00:00"
"2020-07-27T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europa/russland-analysen/nr-389/313295/von-der-redaktion-na-dachu-in-die-sommerpause/
Die Russland-Analysen machen wie üblich im Juli und im August Sommerpause. Die nächste Ausgabe – Russland-Analysen 390 – erscheint voraussichtlich am 18. September 2020.
[ "Sommerpause Redaktion" ]
30,693
"Versucht durchzuhalten!" | Geheimsache Ghettofilm | bpb.de
Der folgende Aufsatz ist dem Buch "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer" aus dem Jahr 1993 entnommen. Verfasst von der polnischen Historikerin Ruta Sakowska. Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz. Ansprache zur Eröffnung einer literarischen Veranstaltungsreihe (gekürzt), vom 14. November 1941, im Warschauer Ghetto Wir leben im Gefängnis. [...] Wenn wir auf die aufgedunsenen, halbnackten Gestalten schauen, die in einer Reihe auf den Straßen liegen, haben wir das Gefühl, daß wir auf das Niveau von Tieren, von Untermenschen, von Obdachlosen und Verwahrlosten herabgedrückt wurden. Die ausgezehrten, einem Totenkopf gleichenden jüdischen Gesichter, der Anblick besonders der vor unseren Augen verlöschenden Kinder [...] lassen in unseren Gedanken Bilder aus Indien oder einem Lepraasyl für Aussätzige entstehen [...]. Die Wirklichkeit des Ghettos übersteigt jedoch noch unsere Phantasie, und nur eines könnte noch Entsetzen in uns auslösen: ein Massenmord statt der systematischen Ausrottung und Vernichtung. Und wenn einem auch die Angst den Mund verschließt, so muß man doch zugeben, daß ein plötzlicher und gewaltsamer Tod für die vor Hunger Verreckenden vielleicht eine Erlösung wäre, weil er ihnen lange Qualen und eine schreckliche Agonie ersparen würde. Und dennoch ... haben wir nicht vergessen, daß wir Menschen und keine primitiven niederen Wesen sind. Wir haben nicht vergessen, daß wir noch vor kurzem, kaum zwei Jahre ist es her, frei waren! [...] Oh, wie gedemütigt und unglücklich sind wir! Und dennoch ... wir wollen weiter als freie Menschen leben, wir wollen leben und schaffen! Wenn unser Leben nicht verlöscht unter dieser dicken Ascheschicht, die uns zu Boden drückt, dann wird dies unsere große Prüfung sein, der Triumph der Menschlichkeit über alles, was unmenschlich ist, der Sieg des menschlichen Willens, der Tapferkeit und des Mutes über die Macht des Bösen, die uns verschlingen will. Wir möchten, daß gerade die literarischen Abende, die wir heute eröffnen, einer der Beweise unseres starken Lebenswillens werden, daß sie uns an unsere Vergangenheit erinnern und daß sie Hoffnungen auf eine bessere Zukunft wecken. [...] Ich glaube, die jüdische Jugend, die in den Jahren des Krieges so tragische Erfahrungen gesammelt hat, eine Jugend, die die süßen Früchte des Lebens noch nicht kosten konnte, die hungert, die der Schule, der Wissenschaft, der Literatur, des Theaters und der anderen materiellen und geistigen Werte der Menschen beraubt ist, wird diese unsere Initiative mit Freude begrüßen; und für die Jungen werden unsere Treffen eine Quelle der Kraft und des Mutes sein im Kampf um ihre Persönlichkeit! [...] AŻIH: Ring II, Nr. 369. Typoskript im Archiv des Ghettos. Original in jiddischer Sprache. aus: Ruta Sakowska, "Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer", Publikation der Gedenkstätte Externer Link: Haus der Wannsee-Konferenz, 1993, Seite 142-143.
Article
Zeitzeugin Ruta Sakowska – Dokument aus dem Ringelblum Archiv
"2022-01-05T00:00:00"
"2013-03-20T00:00:00"
"2022-01-05T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/geheimsache-ghettofilm/156912/versucht-durchzuhalten/
Notiz aus dem Warschauer Ghetto: Warschau war bis Kriegsbeginn 1939 eine Metropole des jüdischen Lebens mit einem breiten Angebot an Musik, Theater und vielem mehr. Im Warschauer Ghetto versuchen sich Menschen trotz aller Widrigkeiten, ein Stück Kult
[ "Zeitzeugenbericht", "Ghetto", "Warschauer Ghetto", "Antisemitismus", "Holocaust", "Erinnerung" ]
30,694
Zwischen Apokalypse und Alltagsunfall | Bevölkerungsschutz | bpb.de
Der Katastrophenbegriff ist in seiner allgemeinsprachlichen Verwendung relativ und somit stark kontextabhängig. Was dem einen eine Katastrophe ist, erscheint jemand anderem lediglich als Unglück, und als "katastrophal" vermag der ausbleibende morgendliche Kaffee ebenso bezeichnet werden wie der GAU eines Kernkraftwerks. Der Begriff verweist demnach nicht zwangsläufig auf das Schlimmstmögliche, sondern auf Ereignisse, die durch kommunikative Zuschreibung zur Katastrophe werden. Aus diesem Grund bietet er sich als Indikator zur Untersuchung der Gefahrenwahrnehmung historischer Akteure an. Im Folgenden werden der sich im Laufe der bundesdeutschen Geschichte dynamisch verändernden Nutzung des Begriffs verschiedene Entwicklungsphasen des hiesigen Zivil- beziehungsweise Bevölkerungsschutzes gegenübergestellt. Dessen Protagonisten sahen sich von Beginn der 1950er Jahre an mit der Aufgabe konfrontiert, potenziell horrende Krisenszenarien vorbereiten zu müssen. Die hierfür erforderliche Imaginationsleistung speiste sich zunächst hingegen weniger aus Zukunftsprognosen als aus dem Erfahrungsraum der jüngeren Vergangenheit. Genese und Grenzen des Zivilschutzes, 1949–1961 Wenn während der Anfangsjahre der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland von einer "Katastrophe" die Rede war, verwies dies zumeist auf den Zweiten Weltkrieg sowie die dort erfahrene totale Niederlage. Dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler zufolge betont die Verwendung des Katastrophenbegriffs, dass ein Geschehenes sich dem Wirken externer Kräfte verdankt und somit nicht intendiert wurde. Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen deckte sich dessen Nutzung in der jungen Bundesrepublik mit der verbreiteten Praxis, jegliche Verantwortung für den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg von sich zu weisen, um sich stattdessen selbst als Opfer zu inszenieren. Eine vergleichbare Rhetorik findet sich auch in zahlreichen frühen Veröffentlichungen des westdeutschen Zivilschutzes. Man sprach von "Katastrophen"; zur Zeit des beginnenden Kalten Krieges und in einem entlang verfeindeter Militärbündnisse geteilten Staat war der Begriff hingegen kaum mehr als ein leicht zu dekodierender Deckmantel für den tatsächlichen Grund des eigenen Wirkens. Da man seitens der verantwortlichen Zivilschutzexperten zumindest während der frühen 1950er Jahre kaum mit der Möglichkeit eines nuklearen Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt rechnete und gesichertes Wissen zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki noch wenig verbreitet war, erschien der frühe westdeutsche Zivilschutz in vielerlei Hinsicht als bruchlose Fortsetzung des nationalsozialistischen Luftschutzes. Dieser war während des Zweiten Weltkrieges zwar keinesfalls wirkungslos gewesen, galt aber in Anbetracht der verlustreichen Bombardierungen von Großstädten wie Dresden oder Hamburg als äußerst umstritten. Die institutionellen Grundlagen dieses neuen Luftschutzes wurden in den 1950er Jahren geschaffen. Eine 1951 gegründete, dem Bundesinnenministerium zugeordnete Kommission zum Schutz der Zivilbevölkerung diente der Politikberatung und verließ sich hierbei auf die Expertise ausgewiesener Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche. Diesen diente die Schutzkommission als eine Art Drittmittelpool zur Erforschung zivilschutzrelevanter Fragestellungen wie etwa des Verlaufs der Strahlenkrankheit oder der Effektivität verschiedener Schutzraumtypen. Die Aufklärung und Ausbildung der Bevölkerung in Luft- beziehungsweise Zivilschutzfragen sollte vorrangig zwei Verbänden übertragen werden. Zu diesem Zweck erhielt der ursprünglich bereits 1946 gegründete Bundesluftschutzverband (BLSV) 1957 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ähnlich verfuhr man mit dem Technischen Hilfswerk (THW), das 1950 gegründet wurde und drei Jahre später die gleiche offizielle Anerkennung erfuhr. 1958 schließlich wurde die institutionelle Gründungsphase mit der Einrichtung des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz (BzB) – dem Vorläufer des heutigen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – als zentrale koordinierende Einrichtung abgeschlossen. Die Akribie dieser Organisation sollte keinesfalls mit Effektivität gleichgesetzt werden. Im Gegenteil: Aus heutiger Sicht erscheint es fast so, als ob die damalige Regierung den institutionellen Aufbau gerade deshalb zügig vorantrieb, um in Sachen Zivilschutz Aktivität vorzuweisen und die eigentliche Hauptforderung damaliger Experten – den forcierten Bau von Schutzräumen für die Zivilbevölkerung – ignorieren zu können. Ungeachtet aller zeitgenössischer Debatten zum Thema und dessen vergleichsweise großer Beachtung auch in der historischen Forschung hat es in der Bundesrepublik zu keiner Zeit einen umfassend betriebenen Schutzraumbau gegeben. Versuche, eine Baupflicht zumindest für Neubauten durchzusetzen, scheiterten wiederholt aus Kostengründen, und auch die Förderung privat finanzierter Schutzräume blieb derart begrenzt, dass selbst auf dem Höhepunkt entsprechender Bemühungen für lediglich drei Prozent der Bevölkerung Plätze zur Verfügung standen. Lange vor der Formierung zivilgesellschaftlichen Widerstands verweigerte sich die Politik dem Schutzraumbau, den man einer als traumatisiert geltenden deutschen Bevölkerung nicht zumuten wollte. Nicht ohne Neid schauten westdeutsche Zivilschutzexperten auf die neutrale Schweiz, die den Schutzraumbau frühzeitig obligatorisch machte und bis in die Gegenwart für alle Bürger*innen Schutzraumplätze vorzuhalten weiß. Und obwohl man den fehlenden politischen Willen frühzeitig erkannte, beharrte man darauf: "Ohne Schutzraum gibt es nun einmal kein luftschutzmäßiges Verhalten, und selbst die beste Organisation müsste ohne dieses Rückgrat im Theoretischen steckenbleiben." Allein – Deutschland war nicht die Schweiz. Der vereinzelt vorgebrachte Wunsch, dem während der 1950er Jahre sukzessive erkannten Ausmaß der atomaren Bedrohung mit einer Art "totalen Verteidigung" zu begegnen, konnte im Frontstaat Deutschland kaum überzeugen. Selbst Hardliner unter den Zivilschutzexperten mussten schließlich einsehen, dass bauliche Schutzmaßnahmen einem nuklearen Flächenbombardement, wie es etwa im NATO-Planspiel "Fallex 62" imaginiert wurde, kaum etwas entgegenzusetzen hatten und man im Kriegsfall von der Gnade des Gegners abhängig blieb. Aber auch aus einer anderen Perspektive wurde der Schutzraumbau graduell zu einer Hypothek für die Verantwortlichen. In den einschlägigen Publikationen sprachen sie oft von "Katastrophen", um das in der Bundesrepublik als unpopulär geltende Wort "Krieg" vermeiden zu können. Gerade der Schutzraumbau entzog sich hingegen jeglicher Nutzbarmachung im ausdrücklich erwünschten Friedensfall, während sich "weichere" Maßnahmen als deutlich flexibler erwiesen. Gemeinsam mit der Tatsache, dass in der Bundesrepublik der Zivilschutz – also der Schutz der Zivilbevölkerung vor den Folgen eines Krieges – stets Sache des Bundes, der Katastrophenschutz hingegen eine Ländersache war, die die Zivilschutzorganisationen nicht genuin betraf, offenbarte das Festhalten am Schutzraumbau, was sich hinter dem gerne verwendeten Katastrophenbegriff verbarg. Von "totaler Verteidigung" zu "all hazards", 1962–1978 Zu Beginn der 1960er Jahre zeigten sich erste Anzeichen einer veränderten Ausrichtung des bundesdeutschen Zivilschutzes. Einerseits nährte der NATO-Strategiewechsel von "Massive Retaliation" zu "Flexible Response" die Hoffnung, dass Weltuntergangsszenarien, wie sie "Fallex 62" in Aussicht gestellt hatte, selbst im Falle eines Krieges vermieden werden könnten. Die Ankündigung, auf Provokationen des Gegners nunmehr "flexibel" reagieren zu wollen, ohne sogleich mit der atomaren Vernichtung zu drohen, gewährte dem Schutzversprechen von Zivilschutzbemühungen eine tendenziell höhere Plausibilität. Gleichzeitig gelang es den Verbänden, ihr während der 1950er Jahre eher rhetorisch gebrauchtes Bekenntnis auch zum zivilen Katastrophenschutz wirkmächtig unter Beweis zu stellen. Insbesondere das THW, aber auch der BLSV unterstützten etwa auf dem Weg der Amtshilfe die zuständigen Einsatzkräfte während der norddeutschen Sturmflutkatastrophe 1962. Passend zur vormaligen Verwendung des Katastrophenbegriffs als Metapher für einen drohenden Krieg, beschrieb man das eigene Wirken im zivilen Szenario nun als Kampfeinsatz: Die Flut wurde als Feind charakterisiert, dem man sich zum Wohl der Gemeinschaft mutig und opferbereit entgegenzustellen hatte. Über die Verwendung derartiger Sprachmuster mochte gerade das uniformierte THW manchem Weltkriegsveteranen die Gelegenheit geboten haben, sich Teile einer wohlvertrauten Ideologie zu bewahren, wenn auch humanitär umgedeutet und ihres vormaligen inhaltlichen Kerns weitgehend beraubt. Das fortdauernde Patt zwischen nach Schutzräumen verlangenden Zivilschutzexperten und den politischen Entscheidungsträgern hatte die allseitige Reformbereitschaft graduell erhöht. Neben der sich insgesamt entspannenden weltpolitischen Lage ebneten auch Ereignisse wie die Sturmflutkatastrophe nun endgültig den Weg zu grundlegenden Veränderungen, die ab Mitte der 1960er Jahre den westdeutschen Zivilschutz zum Bevölkerungsschutz umformten, der zivile ebenso wie militärische Szenarien in den Blick nimmt. Resultat dieser Entwicklungen war das 1968 verabschiedete Gesetz zur Erweiterung des Katastrophenschutzes (KatSG-68). Auch wenn die Verantwortlichen den tendenziell beschönigenden Titel sicher begrüßten, war der Verweis auf Katastrophen inzwischen mehr als eine rhetorische Finte. Vielmehr verknüpfte das Gesetz systematisch die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche: Der Bund versprach die Unterstützung des föderalen Katastrophenschutzes, während dieser im Ernstfall eines Krieges die Bereitstellung seiner Einheiten für den Zivilschutz garantierte. Die Prämisse, dass sich der Zivilschutz im Wesentlichen aus dem vom Bund "erweiterten" Katastrophenschutz der Länder rekrutieren solle, prägte naturgemäß den Charakter der geförderten Maßnahmen. Gefragt war nicht mehr der Schutzraumbau, sondern vielmehr alles, was auch im zivilen Katastrophenschutz sinnvoll genutzt werden konnte, etwa Alarmsysteme oder Ausbildungen in Erster Hilfe. Der Einsatz von Zivilschutzeinheiten des Bundes – vor allem des THW – bei zivilen Katastrophenszenarien, der während der Sturmflut noch eher Ausnahmecharakter gehabt hatte, wurde zum Regelfall. Die Praxis, auf möglichst generalisierbare Maßnahmen zu setzen, wird gegenwärtig oft unter dem Schlagwort all hazards subsumiert. Der Paradigmenwechsel von der Vorbereitung auf einen Krieg hin zu "allen möglichen" Gefahren hinterließ seine Spuren auch in den zentralen Zivilschutzbroschüren der 1960er Jahre, die zur Aufklärung der Bevölkerung millionenfach gedruckt und kostenlos an alle deutschen Haushalte versendet wurden. Der ersten, "Jeder hat eine Chance", wurde gleich nach ihrem Erscheinen 1962 eine Verharmlosung der Atomkriegsgefahr vorgeworfen. Zu einer gewissen Berühmtheit gelangte eine Darstellung auf Seite 17, in der ein auf dem Boden liegender Mann Kopf und Nacken mit einer Aktentasche schützt. Aus heutiger Sicht muss der Broschüre immerhin bescheinigt werden, die Kriegsgefahr klar benannt zu haben, lauteten doch die ersten beiden Sätze: "Es geht uns allen um die Erhaltung des Friedens. Dieser Frieden ist bedroht." Ihr weniger kritisch bewerteter Nachfolger – die 1964 erschienene "Zivilschutzfibel" – begann demgegenüber mit folgenden Worten, unterzeichnet vom damaligen Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU): "Täglich lesen oder hören wir von Unglücksfällen. Sie bedrohen uns im Haus und auf der Straße. Nicht einmal im Urlaub sind wir vor ihnen sicher. Und immer wieder werden die Menschen von Naturkatastrophen bedroht. Es vergeht keine Woche, in der nicht irgendwo auf der Welt Männer, Frauen und Kinder die Hilfe ihrer Mitmenschen brauchen. Selbst vor der größten Katastrophe, dem Krieg, sind viele auf dieser Erde immer noch bedroht." Hier wurde der (Atom-)Krieg vollends zur Katastrophe umgedeutet, zur größten zwar, aber zur größten auf einer Skala, die bei schlichten Unglücksfällen – "Alltagskatastrophen" – begann. Zur nach wie vor nicht verschwiegenen Kriegsgefahr gesellte sich eine Vielzahl alternativer, wahrscheinlicherer und weniger vernichtender Szenarien, für die dieselben Verhaltensregeln als hilfreich ausgewiesen wurden. Aus gegenwärtiger Sicht verharmloste die "Zivilschutzfibel" das Schreckensszenario der atomaren Vernichtung somit mehr als ihr Vorgänger. Gleichwohl muss sie als Vorbote dafür gewertet werden, dass sich der bundesdeutsche Zivilschutz graduell davon verabschiedete, den Katastrophenbegriff nur als Alibi zu verwenden, sondern begann, zivile Schadenspotenziale ernst zu nehmen. An anderer Stelle betonte die "Zivilschutzfibel", wie hilfreich eine Erste-Hilfe-Ausbildung beispielsweise bei einem Autounfall sein könne. Diese Aussage – illustriert mit einem zerstörten PKW – war mit Bedacht gewählt. Zwischen 1960 und 1980 starben jährlich über 15.000 Menschen im westdeutschen Straßenverkehr, mit einem tragischen Höhepunkt von 21.000 Verkehrstoten allein 1970 – eine siebenfach höhere Zahl als 2019, und das bei einem deutlich niedrigeren Verkehrsaufkommen. Diese Zahlen mögen verdeutlichen, wie notwendig seinerzeit nicht allein eine Reform des Zivilschutzes, sondern auch die Stärkung von Katastrophenschutz und Rettungswesen erschien. Der All-hazards-Ansatz suchte, auf möglichst kostengünstigem Wege beides zu erreichen. Vom Zweiten Kalten Krieg zur Risikogesellschaft, 1979–1989 Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 endete die internationale Entspannung, und es begann jener Zeitabschnitt, der in der historischen Forschung gelegentlich als "Zweiter Kalter Krieg" bezeichnet wird. Die im NATO-Doppelbeschluss in Aussicht gestellte Modernisierung der in Europa stationierten Atomwaffenarsenale sowie die beginnende US-Präsidentschaft Ronald Reagans (1981–1989) taten ihr Übriges, um den Katastrophenbegriff erneut zu verengen und ihn nahezu ausschließlich auf einen befürchteten Krieg der Supermächte auszurichten. Das nach wie vor geltende All-hazards-Konzept des Bevölkerungsschutzes erfuhr im emotional und ideologisch hochgradig aufgeladenen gesellschaftlichen Klima der damaligen Bundesrepublik von beiden Seiten des politischen Spektrums harte Kritik, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die sich formierenden Friedensbewegungen betrachteten den Zivilschutz als überkommenes Relikt einer todbringenden Politik der Stärke, dessen pure Existenz einen Atomkrieg wahrscheinlicher machen konnte. Von entgegengesetzter Seite monierte man hingegen, man sei mit der "Katastrophisierung" bereits viel zu weit gegangen. Der nationalkonservative Flügel der Union verortete den Zivilschutz klar im Bereich der Landesverteidigung, verlangte verstärkte Schutzraumbaubemühungen und propagierte abermals das Konzept der Totalverteidigung, das seit Mitte der 1960er Jahre in den Hintergrund gerückt war. Eine pragmatische Diskussion um Sinn und Zweck, Möglichkeiten und Grenzen des Bevölkerungsschutzes war inmitten solch diametral gegenüberstehender Positionen sowie einer zusehends polemischen, auf Ausschluss bedachten Dialogführung kaum möglich und, rückblickend betrachtet, wohl auch nicht beabsichtigt. Die extreme Polarisierung blieb letztlich eine Episode. Neben der 1983 trotz aller Proteste erfolgten Stationierung US-amerikanischer Pershing-II-Raketen in Westdeutschland sowie der graduellen Öffnung der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow als Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU (1985–1991) erwies sich dabei insbesondere die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 als entscheidend. Sie belegte abermals, dass Schadensszenarien vorstellbar waren, die gravierender als ein Unfall, aber weniger aussichtslos als ein Atomkrieg ausfielen und für die ein gewisses Maß weiterführender Vorbereitung lebensrettend sein mochte. Ungeachtet früherer Erfahrungen, etwa während der Sturmflut 1962, hatten Mitglieder der Friedensbewegungen gerne darauf verwiesen, dass die "katastrophenarme" Bundesrepublik keinerlei "erweiterten Katastrophenschutz" benötige. Da zur damaligen Zeit etwa das THW bereits regelmäßig auch im Ausland Hilfe leistete, muss den Friedensbewegungen in Sachen Katastrophenschutz eine nationalistische Lesart attestiert werden, die der grenzüberschreitende Charakter Tschernobyls zunichtemachte und entsprechende Debatten merklich pragmatisierte. Die Aktivist*innen verschoben ihren Fokus graduell vom Protest gegen Kernwaffen hin zum Widerstand gegen die Kernenergie sowie die vielfältigen Unwägbarkeiten einer industrialisierten Moderne, die der Soziologe Ulrich Beck einflussreich als "Risikogesellschaft" bezeichnet hat. Letztlich beschritten sie damit einen ähnlichen Weg, wie es zuvor auch der Bevölkerungsschutz getan hatte: von einem enggeführten zu einem komplexen Verständnis des Katastrophenbegriffs, vom Krieg zu all hazards. Nach einigen gescheiterten Anläufen wurde 1989 schließlich das Katastrophenschutzergänzungsgesetz verabschiedet. Dieses behielt die 1968 eingeschlagene Richtung eines zwischen Bund und Ländern aufgeteilten Systems wechselseitiger Hilfeleistung im Zivil- und Katastrophenschutz dezidiert bei. Gravierende Neuerungen gab es wenige. Am ehesten betroffen waren das Gesundheitswesen – so wurde zum Beispiel die Beteiligung verantwortlicher Ärzt*innen in den Katastrophenstäben garantiert – sowie die im Bevölkerungsschutz tätigen Hilfsorganisationen, deren Bedeutung und Unabhängigkeit besonders betont wurde. Diese Organisationen erwiesen und erweisen sich bis in die Gegenwart als der eigentliche in der Bundesrepublik existierende Bevölkerungsschutz und wussten dies während der 1980er Jahre schlagkräftig geltend zu machen, zählten sie doch zu den stärksten Befürwortern des All-hazards-Prinzip. Weniger staatliche Behörden wie das BzB und seine Nachfolgeorganisationen als vielmehr die ehrenamtlich tätigen Helfer*innen des THW, der freiwilligen Feuerwehren und natürlich der Verbände des Rettungswesens sorgten somit dafür, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland eine vergleichsweise pragmatische Form des Bevölkerungsschutzes verstetigen konnte, ungeachtet aller radikalen, von Abschaffung bis Remilitarisierung reichenden Forderungen Außenstehender. Fazit Zunächst erscheint auffallend, dass es dem westdeutschen Zivilschutz nicht gelang, von den Krisen des Kalten Krieges zu profitieren. Das potenziell apokalyptische Ausmaß der wahrgenommenen Bedrohung erzeugte kaum Handlungsdruck, sondern lähmte die politisch Verantwortlichen eher und provozierte teils berechtigten, teils überzogenen Widerstand selbst gegen minimale Schutzmaßnahmen. In Zeiten der Entspannung jedoch richtete sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf die tatsächlich eintretenden Szenarien. Neben der norddeutschen Sturmflut und dem Tschernobyl-Unglück sei etwa auf die Flugschau-Katastrophe der Ramstein Air Base 1988 hingewiesen, die zu Dutzenden Todesopfern und Hunderten Verletzten führte. Dem unbequemen Gedanken daran, wie viele Menschenleben man bei besserer Vorbereitung hätte retten können, vermochte der Bevölkerungsschutz letztlich ebenso wenig auszuweichen wie weite Teile seiner Kritiker*innen. "Gescheitert" war der bundesdeutsche Zivil- und Bevölkerungsschutz zumal im internationalen Vergleich nicht; mit dem Schutzraumbau verlor sich hierzulande lediglich seine auffälligste Spielart. Die gängigen Narrative der Friedensbewegungen zeigten hingegen eine nachhaltige Wirkung: So wurde der Zivilschutz zeitweise auch von Historiker*innen mit dem Schutzraumbau gleichgesetzt, während man seine zahlreichen Überschneidungen mit dem zivilen Katastrophenschutz kaum beachtete. Die Reproduktion ehemaliger Konfliktlinien des Kalten Krieges wird dem komplexen Handlungsfeld hingegen nicht gerecht. Der bundesdeutsche Bevölkerungsschutz war staatlich ebenso wie nicht-staatlich organisiert und lebte von Behördenarbeit ebenso wie von zivilgesellschaftlichem Aktivismus. Über die Mitwirkung in Hilfsorganisationen wie dem THW oder dem Deutschen Roten Kreuz, aber auch in den Feuerwehren, bei der Polizei sowie im Notfallwesen und in der Katastrophenmedizin war und ist er zudem breitflächig in der Bevölkerung verankert und keineswegs ein Randphänomen. Klar ist, dass die Ausgestaltung des Bevölkerungsschutzes eines Landes unmittelbar damit zusammenhängt, welche Schadensszenarien als möglich beziehungsweise wahrscheinlich imaginiert werden. Das lässt sich am wandelnden Charakter des Katastrophenbegriffs gut ablesen. Dieser diente in der Bundesrepublik während ihrer Gründungsphase oft als Chiffre für den vergangenen Zweiten und, später, einen befürchteten Dritten Weltkrieg. Im Verlauf der Zeit wurden die angenommenen Bedrohungen im Vergleich zur Atomkriegsgefahr zwar weniger vernichtend, potenzierten sich jedoch in ihrer (wahrgenommenen) Anzahl. In der heutigen globalisierten und multipolaren Welt scheint schließlich nahezu alles Katastrophenpotenzial aufzuweisen: Man spricht von "Eurokrise", "Flüchtlingskrise", "Klimanotstand", ist bedroht von gewaltsamen Ausschreitungen, Terrorismus und aktuell der Covid-19-Pandemie. Die Aufgabenfelder des Bevölkerungsschutzes sind im Zuge solcher Entwicklungen nicht kleiner geworden. Trotz einer wünschenswerten Stärkung notwendiger reaktiver Instrumente ist hingegen die Vermeidung einer Katastrophe ihrer Bewältigung stets vorzuziehen, sodass das Hauptaugenmerk von Politik und Gesellschaft darauf liegen sollte. Vgl. Kurt Imhof, Katastrophenkommunikation in der Moderne, in: Peter Rusterholz/Rupert Moser (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung: Perspektiven und Positionen, Bern 2004, S. 145–163, hier S. 145. Eine parallele Schilderung des Zivilschutzes der DDR muss aus Platzgründen unterbleiben. Dieser orientierte sich zumeist an entsprechenden Maßnahmen der Sowjetunion (z.B. Zivilschutzinhalte im Schulunterricht) und weist nur geringe Bezüge zum deutschen Bevölkerungsschutz der Gegenwart auf. Als Einführung vgl. Christian Th. Müller, Im Bann der Bombe: Überlegungen zu Luftschutz und Zivilverteidigung in der DDR, in: ders./Bernd Greiner/Dierk Walter (Hrsg.), Angst im Kalten Krieg, Hamburg 2009, S. 94–122. Männliche Formen werden im Folgenden verwendet, um auf überwiegend oder ausschließlich männliche Akteursgruppen zu verweisen, die rückblickend nicht inklusiver wirken sollten, als sie es gewesen sind. Vgl. Herfried Münkler, Revolution, Krieg & Katastrophe: Ein Diskurs über Domestizierung und Enthegung, in: Leon Hempel/Marie Bartels/Thomas Markwart (Hrsg.), Aufbruch ins Unversicherbare: Zum Katastrophendiskurs der Gegenwart, Bielefeld 2013, S. 97–139, hier S. 135. Vgl. Robert Moeller, Remembering the War in a Nation of Victims, in: Hannah Schissler (Hrsg.), The Miracle Years: A Cultural History of West Germany 1949–1968, Princeton 2001, S. 83–109, hier S. 94. Vgl. Nicholas Steneck, Everybody Has a Chance: Civil Defense and the Creation of Cold War West German Identity, 1950–1968, Dissertation, Ohio State University 2005, S. 126–129. Zum Luftschutz des Zweiten Weltkriegs vgl. Dietmar Süß, Tod aus der Luft: Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England, München 2011. Weitere Details zur Genese der zentralen Institutionen des westdeutschen Zivilschutzes finden sich bei Wolfram Geier, Zwischen Kriegsszenarien und friedenszeitlicher Katastrophenabwehr: Zur Entwicklung der zivilen Verteidigung in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Zivilschutzes und seiner Reformen vor und nach Beendigung des Kalten Krieges, Marburg 2003; Steneck (Anm. 6); Martin Diebel, Atomkrieg und andere Katastrophen: Zivil- und Katastrophenschutz in der Bundesrepublik und Großbritannien nach 1945, Paderborn 2017. Vgl. Nicholas Steneck, Eine verschüttete Nation? Zivilschutzbunker in der Bundesrepublik Deutschland 1950–1965, in: Inge Marszolek/Marc Buggeln (Hrsg.), Bunker: Kriegsort, Zuflucht, Erinnerungsraum, Frankfurt/M. 2008, S. 75–88, hier S. 80f. Vgl. Geier (Anm. 7), S. 56. Vgl. Jochen Molitor, Mit der Bombe überleben: Die Zivilschutzliteratur der Bundesrepublik 1960–1964, Marburg 2011, S. 44–50. Vgl. Silvia Berger Ziauddin, Superpower Underground: Switzerland’s Rise to Global Bunker Expertise in the Atomic Age, in: Technology and Culture 4/2017, S. 921–954. Hermann Sautier, Der Weg des BLSV, in: Zivilschutz 2/1961, S. 44–48, hier S. 47. Ein Bericht des Innenministeriums sprach von 300 angenommenen Atomschlägen auf die Bundesrepublik innerhalb der ersten Kriegswoche, siehe Erfahrungsbericht über die NATO-Herbstübung "Fallex 62" 6.–27.9.1962, Anlage zu BMI VII B 5 (Gekürzte Fassung), S. 10, DRK-Archiv, 4274. Vgl. Christian Tuschhoff, Strategiepoker: Massive Vergeltung – Flexible Antwort, in: Michael Salewski (Hrsg.), Das Zeitalter der Bombe: Die Geschichte der atomaren Bedrohung von Hiroshima bis heute, München 1995, S. 167–188. Zum Einsatz von BLSV und THW während der Flutkatastrophe vgl. Jochen Molitor, Lehren für den Verteidigungsfall: Die Sturmflutkatastrophe von 1962 und der bundesdeutsche Zivilschutz, in: Martina Heßler/Christian Kehrt (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962: Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014, S. 195–221. Vgl. Diebel (Anm. 7), S. 76–79. Vgl. Frank Biess, Jeder hat eine Chance: Die Zivilschutzkampagnen der 1960er Jahre und die Angstgeschichte der Bundesrepublik, in: Greiner/Müller/Walter (Anm. 2), S. 61–93. Vgl. ebd., S. 85. BzB (Hrsg.), Jeder hat eine Chance, Bad Godesberg 1961, S. 3. Dass. (Hrsg.), Zivilschutzfibel, Bad Godesberg 1964, S. 1. Vgl. Nils Kessel, Geschichte des Rettungsdienstes 1945–1990: Vom "Volk von Lebensrettern" zum Berufsbild "Rettungsassistent/in", Frankfurt/M. 2008 sowie die Daten des Statistischen Bundesamtes unter Externer Link: http://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Tabellen/getoetete-alter.html. Vgl. etwa Philipp Gassert/Tim Geiger/Hermann Wentker (Hrsg.), Zweiter Kalter Krieg und Friedensbewegung: Der NATO-Doppelbeschluss in deutsch-deutscher und internationaler Perspektive, München 2011. Für weiterführende Informationen vgl. Christoph Becker-Schaum et al., "Entrüstet Euch!": Nuklearkrise, NATO-Doppelbeschluss und Friedensbewegung, Paderborn 2012. Vgl. etwa Till Bastian, Bunker und Valium: Wie sich die Bundesrepublik Deutschland auf den "Ernstfall" vorbereitet, München 1986. Vg. Diebel (Anm. 7), S. 91. Vgl. ebd., S. 182–186. Vgl. Geier (Anm. 7), S. 275. Vgl. Melanie Arndt, Tschernobyl: Auswirkungen des Reaktorunfalls auf die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, Erfurt 2011. Vgl. z.B. Ist die gegenwärtig betriebene katastrophenmedizinische Fortbildung sinnvoll und ärztlich vertretbar? (Podiumsdiskussion), in: Berliner Ärzteinitiative gegen Atomkrieg (Hrsg.), Medizin und Atomkrieg – hilflos? Ärzte warnen vor dem Atomkrieg, Berlin 1983, S. 114–133. Ulrich Beck, Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. 1986. Zum medizinischen Zivilschutz allgemein vgl. Jochen Molitor, Katastrophe als Beruf: Die bundesdeutsche Ärzteschaft und der nukleare Ernstfall 1950–1990, Weimar–Köln (i.E.). Zum Einfluss der Hilfsorganisationen auf die entsprechende Gesetzgebung der 1980er Jahre vgl. Diebel (Anm. 7), S. 264–267, S. 313ff.
Article
, Jochen Molitor
"2022-02-09T00:00:00"
"2021-03-04T00:00:00"
"2022-02-09T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/bevoelkerungsschutz-2021/327987/zwischen-apokalypse-und-alltagsunfall/
Die Ausrichtung des Bevölkerungsschutzes ergibt sich aus den angenommenen Bedrohungsszenarien. Nach Gründung der Bundesrepublik war dies ein befürchteter Krieg zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt, später hingegen eine Vielzahl verschiedener Sze
[ "Bevölkerungsschutz", "Katastrophe", "Katastrophenschutz", "Katastrophenhilfe", "Zivilschutz", "Luftschutz", "Bundesrepublik", "Atomkrieg", "Nachkriegszeit" ]
30,695
Damals & Heute | Wir waren so frei... | bpb.de
Potsdamer Platz (Urbanus) Lizenz: cc by-sa/3.0/de Seit der Umbruchszeit hat sich vieles verändert. Nicht nur die Lebensumstände der Menschen, sondern ebenso Plätze und Orte haben einen Wandel erfahren, der auf den fotografischen Zeugnissen dokumentiert ist. Durch den Vergleich von Fotos aus www.wir-waren-so-frei.de mit Aufnahmen aus der Gegenwart lässt sich der Wandel der Zeit illustrieren und zugleich die Entwicklungen der Vergangenheit und der Gegenwart verständlich machen. Potsdamer Platz (Urbanus) Lizenz: cc by-sa/3.0/de Unterrichtsmaterial und Leitfaden
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-02-02T00:00:00"
"2018-01-05T00:00:00"
"2022-02-02T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/wir-waren-so-frei/262573/damals-heute/
Die Fotos aus dem Fundus des Internet-Archivs www.wir-waren-so-frei.de sind eindrückliche Zeugnisse der Umbruchszeit von 1989/90. Sie dokumentieren nicht nur Protest, Zivilcourage, Freude und Enttäuschung, die Menschen in Ost und West seinerzeit erle
[ "Wir waren so frei", "damals", "heute", "DDR", "Mauerfall", "Friedliche Revolution" ]
30,696
Editorial | Bertolt Brecht | bpb.de
Am 31. Oktober 1947 bestieg Bertolt Brecht in Washington das Flugzeug, das ihn zurück nach Europa bringen sollte. Am Vortag hatte er die Befragung vor dem "House Committee on Un-American Activities" über sich ergehen lassen. Die Furcht war groß, dass im beginnenden Kalten Krieg mit Brechts Stücken und Drehbüchern der Kommunismus auf dem Broadway und in Hollywood einziehen könnte. Dabei hatte sich Brecht, von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben, in den USA aller politischen Aktivitäten enthalten. Seit den zwanziger Jahren Marxist, sah er sich zeitlebens politischen Systemen gegenüber, die sein Werk entweder zu vereinnahmen oder zu vernichten drohten. Die Machthaber der jungen DDR feierten Brechts Rückkehr und die Gründung des Berliner Ensembles. Doch Brecht erkannte rasch die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit des staatsoffiziellen Sozialismus. Als Augenzeuge des Volksaufstandes vom Juni 1953 bekundete er zunächst seine Verbundenheit mit der SED, distanzierte sich aber von der Partei, als "die große Gelegenheit, die Arbeiter zu gewinnen", nicht genutzt wurde. Brechts Todestag jährt sich am 14. August 2006 zum fünfzigsten Mal. Der aufklärerische Impetus des "Stückeschreibers" gewinnt nach dem Ende der globalen Systemauseinandersetzung unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neuen Reiz. Den Status eines Klassikers des modernen Theaters hat Brecht längst inne. Es ist verblüffend, wie modern Brechts Stücke wirken, nähert man sich ihnen ohne den ideologischen Ballast, der die Rezeption lange dominierte.
Article
Golz, Hans-Georg
"2021-12-07T00:00:00"
"2011-10-05T00:00:00"
"2021-12-07T00:00:00"
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29709/editorial/
Brechts Todestag jährt sich am 14. August 2006 zum fünfzigsten Mal. Nach dem Ende des Kalten Krieges gewinnt der aufklärerische Impetus des "Stückeschreibers" neuen Reiz.
[ "" ]
30,697
Sparen und Investieren I: Geschlossene Volkswirtschaft | Europäische Wirtschaftspolitik | bpb.de
Interner Link: Download "Sparen und Investieren I: Geschlossene Volkswirtschaft" als pdf-Datei Interner Link: Download "Sparen und Investieren I: Geschlossene Volkswirtschaft" als odt-Datei Die Einleitung zum Online-Dossier "Europäische Schuldenkrise" spitzt den Streit um Europas Rettung auf die Kernfrage: "Sparen oder Investieren?" zu. Allerdings betonen die befragten Interner Link: Experten und Expertinnen in ihren Interviewbeiträgen zu Recht, dass hierin kein prinzipieller Widerspruch steht. Wie im Folgenden gezeigt wird, führt die Interner Link: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) sogar zu dem Ergebnis, dass auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Ersparnis immer genau gleich den Investitionen sein muss. Umstritten ist aber, wie erreicht werden kann, dass Ersparnis und Investitionen steigen, und welche Rolle dabei der Staat und der Privatsektor spielen sollen. Sparen und Investieren im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf Der Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren lässt sich am einfachsten aufzeigen, wenn für einen Moment das Gedankenexperiment einer geschlossenen Volkswirtschaft (ohne Exporte und Importe) angenommen wird. Dies ist sozusagen der allgemeine Fall der Weltwirtschaft, die ja keinen Außenhandel mit anderen Planeten betreibt. Die Nachfrageseite des BIP lautet dann: BIP = Konsum (privat und staatlich) + Investitionen (privat und staatlich). Wie man sieht, ist der Außenbeitrag hier nun verschwunden, da es kein Ausland gibt, mit dem die geschlossene Volkswirtschaft Handel betreibt. Zugleich ist das BIP laut der Verteilungsrechnung der VGR gleich den gesamtwirtschaftlichen Einkommen, die wiederum aus Gewinnen und Löhnen bestehen. Da der Staat einen Teil der Gewinne und Löhne über Steuern und Abgaben für sich beansprucht und gleichzeitig Transfers an die privaten Haushalte (z.B. Arbeitslosenunterstützung, Kindergeld, Renten) sowie Subventionen an die privaten Unternehmen zahlt, lässt sich die Verteilungsseite des BIP auch wie folgt schreiben: BIP = Verfügbare Einkommen (privat und staatlich). Das BIP der Nachfrageseite muss immer gleich dem BIP der Verteilungsseite sein. Daraus folgt, dass die gesamtwirtschaftlichen Einkommen den privaten und staatlichen Ausgaben für Konsum und Investitionen entsprechen müssen. Der Teil der verfügbaren Einkommen, der nicht in den Konsum fließt, muss somit gleich den Investitionen sein: Verfügbare Einkommen (privat und staatlich) – Konsum (privat und staatlich) = Investitionen (privat und staatlich). Einkommen, die nicht für Konsum ausgegeben werden, nennt man auch Ersparnis, so dass folgt: Ersparnis (privat und staatlich) = Investitionen (privat und staatlich). Wir haben damit die für die Makroökonomie wichtige Formel: Ersparnis = Investitionen formal hergeleitet. Doch was genau bedeutet diese Formel? Grundsätzlich verstehen wir unter "Sparen" meist, dass wir unser Nettovermögen (Vermögen minus Schulden) vergrößern. Wir haben also am Ende des Zeitraums, den wir betrachten, ein größeres Vermögen oder geringere Schulden als am Anfang. Ökonomen unterscheiden dabei grundsätzlich zwischen Geldvermögen und Sachvermögen. Unter das Geldvermögen fallen z.B. das Bargeld, das ich im Portemonnaie oder unter dem Kopfkissen halte, Geld, das ich auf dem Bankkonto habe, Kredite, die ich anderen gewähre, oder Aktien. Mit Sachvermögen sind z.B. Häuser oder Produktionsanlagen gemeint, die mir gehören. Wenn ich nun spare, habe ich grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Ich kann mein Sachvermögen erweitern, indem ich einen Teil meines Einkommens spare und davon z.B. als Privathaushalt ein neues Haus oder als Unternehmer oder Unternehmerin eine neue Maschine oder eine bessere Software kaufe. Die Bildung von Sachvermögen wird auch als Investition bezeichnet, und in diesem Fall ist die Formel: Ersparnis = Investition unmittelbar verständlich. Andererseits könnte ich auch mein Nettogeldvermögen vergrößern, indem ich einen Teil meines Einkommens, das ich im betrachteten Zeitraum erhalte, einfach nicht für Güter und Dienstleistungen ausgebe, sondern beispielsweise jemandem einen Kredit gebe oder einen Kredit zurückzahle. Wenn ich mein Nettogeldvermögen ausweite, bedeutet dies, dass ich einen Finanzierungsüberschuss erziele: Meine Ausgaben für Güter und Dienstleistungen sind geringer als meine verfügbaren Einkommen. Dies ist aber nur möglich, wenn irgendwo anders in der Wirtschaft ein Finanzierungsdefizit vorliegt, das heißt das Nettogeldvermögen sinkt (zum Beispiel weil jemand sich bei mir zusätzlich verschuldet oder ich ihm einen Teil eines zuvor erhaltenen Kredites zurückzahle). Wenn wir daher die gesamte Welt als eine riesige, geschlossene Volkswirtschaft betrachten, ergibt sich notwendigerweise, dass alle Geldvermögensänderungen (= Finanzierungssalden) zusammengerechnet immer genau null ergeben! Für eine geschlossene Volkswirtschaft als Ganze sind Investitionen somit die einzige Möglichkeit, zu sparen. Sparen und Investieren in verschiedenen Denkschulen Vereinfacht gesagt, argumentiert der Keynesianismus, dass sparen im Sinne von Geldvermögensbildung zwar eine individuelle Tugend sein mag, aber aus makroökonomischer Sicht in die Katastrophe führen kann. Wenn die privaten Haushalte und Unternehmen zusätzliche Nettogeldvermögen bilden möchten, aber nicht zusätzlich investieren möchten, zerstören sie durch das Zurückhalten von Ausgaben für Güter und Dienstleistungen die Einkommen von Unternehmen und Beschäftigten, die entsprechend wenige Güter und Dienstleistungen verkaufen können. Unternehmen, die ihre Güter nicht absetzen können, und Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, dürften nach dieser Sichtweise ihre Ausgaben für Investitionen und Konsum noch weiter einschränken, so dass die Volkswirtschaft in eine Abwärtsspirale geraten kann. Hierdurch fallen die Einkommen der Volkswirtschaft, so dass die ursprünglich geplante Ersparnis in Form von Geldvermögensbildung nicht realisiert werden kann. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als keynesianisches Sparparadox: Die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse fallen, weil die gesamtwirtschaftlichen Einkommen fallen, weil zu viele Haushalte und Unternehmen ihre Geldvermögen erhöhen wollen, statt Güter und Dienstleistungen nachzufragen. Einen Ausweg aus dieser Situation bieten aus dieser keynesianischen Sicht höhere Interner Link: Ausgabenüberschüsse (= Budgetdefizite) des Staates, die die Einkommen der Privaten erhöhen und diesen so die gewünschte Nettogeldvermögensbildung (= Finanzierungsüberschüsse) ermöglichen. Nach keynesianischer Sichtweise steht also stets die (private und staatliche) Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen am Anfang der Betrachtung. Wenn diese hoch ist, werden auch die Produktion und die gesamtwirtschaftlichen Einkommen hoch sein, was dann auch die Bildung von hohen Ersparnissen ermöglicht. So ist es zu verstehen, wenn Interner Link: Ulrike Herrmann in ihrem Interviewbeitrag argumentiert, dass Sparen im Sinne von staatlichen Ausgabenkürzungen als Krisenbewältigungsstrategie nicht funktionieren kann. Denn nach dieser Sicht führt eine geringe staatliche Nachfrage (ob für Konsum oder Investitionen) zu einem geringeren BIP und damit zu einem geringeren gesamtwirtschaftlichen Einkommen. Und wenn die Einkommen fallen, fallen in aller Regel auch die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse. Dies ist eine Variante des keynesianischen Sparparadox: Obwohl bzw. gerade weil der Staat seine Ausgaben mit dem Ziel kürzt, seine Ersparnis zu erhöhen, fällt die gesamtwirtschaftliche Ersparnis, weil durch die fehlende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auch Produktion und Einkommen zurückgehen. Auf ähnliche Weise argumentiert Interner Link: Thomas Fricke in seinem Interviewbeitrag, dass zu starke staatliche Ausgabenkürzungen dazu führen, dass die Wirtschaft einbricht und die Menschen kein Geld mehr zum Ausgeben haben. Deswegen sollte man nach dieser nachfrageorientierten, keynesianisch inspirierten Sichtweise kurzfristig "Geld in die Maschine reingeben", also mehr ausgeben (für Konsum und Investitionen) und gerade nicht sparsam sein. Im Zeitverlauf müsste dies zu "mehr Sparen" und "mehr Investieren" führen, weil die Einkommen und die Wirtschaftsleistung insgesamt steigen. In einem typisch neoklassischen Szenario ist diese keynesianische Ausgabenpolitik zum Scheitern verurteilt, weil hier das BIP nicht ohne weiteres steigen kann, wenn die Nachfrage ausgeweitet wird. Der Grund sind Probleme auf der Angebotsseite: So kann es beispielsweise sein, dass Arbeitslose nicht über die nötigen Qualifikationen verfügen, die für eine Ausweitung der Produktion nötig wären. Wenn gleichzeitig die Mindestlöhne so hoch, und die Gewerkschaften so mächtig sind, dass die Unternehmen hohe Löhne zahlen müssen, kann diese nach neoklassischer Sicht zu Arbeitslosigkeit führen und das BIP auf der Angebotsseite begrenzen. Wenn in einem solchen Szenario die Investitionen steigen sollen, muss der Konsum zurückgehen. Mit anderen Worten: Es müssen Sparanstrengungen unternommen werden, damit mehr investiert werden kann. Dadurch geraten auf der Nachfrageseite die staatlichen und die privaten Ausgaben in Konkurrenz zueinander: Wenn die staatliche Ersparnis fällt, weil der Staat mehr konsumiert (also z.B. mehr Geld für Beamtengehälter oder Sozialtransfers ausgibt), müssen entweder die staatlichen Investitionen (z.B. in Forschung oder Verkehrsinfrastruktur) fallen oder die privaten Ausgaben für Konsum oder Investitionen. In diesem Sinne kritisiert etwa Interner Link: Alexander Kritikos in seinem Debattenbeitrag nicht in erster Linie die "hohen staatlichen Ausgaben" in Griechenland, sondern dass "das Geld […] nicht produktiv investiert (wurde)". Wenn aus neoklassischer Perspektive höhere Investitionen gefordert werden, wird daher in der Regel eine Umschichtung auf der Nachfrageseite der Volkswirtschaft weg von (staatlichen) Konsumausgaben hin zu (staatlichen und privaten) Investitionsausgaben gefordert. Die Neoklassik geht außerdem davon aus, dass der Privatsektor (Haushalte und Unternehmen) längerfristig keine Finanzierungsüberschüsse (= Nettogeldvermögen) bilden möchte. Zwar kann es sein, dass die privaten Haushalte Finanzierungsüberschüsse bilden möchten (z.B. für die Altersvorsorge), diese stehen dann aber den privaten Unternehmen zur Verfügung, um Kredite aufzunehmen und zu investieren. Aus neoklassischer Sicht wird der Finanzmarkt mittelfristig dafür sorgen, dass die Geldersparnisse der privaten Haushalte von den privaten Unternehmen beispielsweise in Form von Krediten aufgenommen und zur Finanzierung von realwirtschaftlichen Investitionen verwendet werden. Wenn also der Interner Link: Staat auf Finanzierungsdefizite verzichtet, können die privaten Ausgaben steigen, weil mehr Ersparnisse zur Verfügung stehen, mit denen die privaten Unternehmen ihre Investitionen finanzieren können. Wenn das BIP längerfristig steigen soll, muss nach neoklassischer Sichtweise an der Angebotsseite angesetzt werden. So argumentiert etwa Interner Link: Michael Hüther in seinem Interviewbeitrag, dass kurzfristig die Staatshaushalte in Ordnung gebracht und Strukturreformen unter anderem auf dem Arbeitsmarkt unternommen werden müssen, um das Vertrauen der privaten Unternehmen zurückzugewinnen. Dies würde in diesem Szenario zu mehr Innovationskraft und deswegen auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft zu höherer Produktivität und geringerer Arbeitslosigkeit führen – und damit letztlich auch zu einem höheren BIP. Auf der Nachfrageseite gäbe es in der Folge Spielraum für höhere Ersparnis und höhere Investitionen. Didaktische Anwendung zum Thema Interner Link: Zur nummerischen Illustration: Sparen und Investieren in der geschlossenen Volkswirtschaft
Article
Bundeszentrale für politische Bildung
"2022-01-25T00:00:00"
"2017-01-06T00:00:00"
"2022-01-25T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/wirtschaft/europa-wirtschaft/239938/sparen-und-investieren-i-geschlossene-volkswirtschaft/
Experten betonen, dass zwischen Sparen und Investieren kein prinzipieller Widerspruch besteht. Das verdeutlicht ein Grundsatz der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung: In einer geschlossenen Wirtschaft muss die Ersparnis immer genau gleich den Invest
[ "Volkswirtschaft", "Wirtschaft", "Sparen", "investieren", "Eurokrise", "Schuldenkrise" ]
30,698
Opposition in Ungarn wohl chancenlos | euro|topics-Wahlmonitor | bpb.de
Interner Link: You can read the article in the English version here. In Ungarn steht die Europawahl im Schatten der Kommunalwahlen, die im Herbst stattfinden werden. Die Oppositionsparteien sind damit beschäftigt, sich dafür in Stellung zu bringen und verhandeln über eine mögliche Zusammenarbeit. So wollen sie versuchen, der Übermacht der Regierungspartei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die aktuellen Prognosen zufolge bei rund 56 Prozent liegt, etwas entgegenzusetzen. Ziel der Opposition ist es, bei den Kommunalwahlen in Bezirken und Städten jeweils nur einen Kandidaten der Oppositionsparteien gegen den Bewerber der Regierungspartei aufzustellen. Bisher gehen diese Bemühungen allerdings nur sehr langsam voran. Die geplante "Vorwahl" eines gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten für die Hauptstadt Budapest wird wohl aufgrund von Meinungsverschiedenheiten nicht mehr stattfinden. Das Internetportal Externer Link: Azonnali kritisiert dieses Tempo: "Wichtige Ereignisse der Weltgeschichte fanden oft innerhalb weniger Wochen statt, aber dafür, dass sich das Universum außerhalb des Fidesz einigt, ist auch ein ganzes Jahr noch zu wenig." Protest gegen "Sklavengesetz" vereinte die Opposition Im Europawahlkampf profitiert die Regierungspartei, die einen monotonen Anti- Einwanderungswahlkampf gegen das in ihren Augen zu dominante "Brüssel" führt, von dieser gespaltenen Opposition. Die regierungsnahe Tageszeitung Externer Link: Magyar Nemzet glaubt ohnehin, dass es nur noch um Posten geht: "Der ungarische Opposition geht es auch wegen ihres engen politischen Spielraums gar nicht mehr um den Sieg, sondern nur noch um ihr Überleben und Auskommen." Auch die Proteste, die Anfang des Jahres gegen das von der Opposition als "Externer Link: Sklavengesetz" bezeichnete Überstundengesetz stattgefunden haben, sind inzwischen wieder abgeflaut. Sie haben gezeigt, dass es durchaus möglich ist, Themen zu setzen, die regierungskritische Wähler mobilisieren. Dies gelingt der zunehmend fragmentierten Opposition aber nur selten, auch weil die Parteien überwiegend mit sich selbst beschäftigt sind. Viele Parteien – wenige Gemeinsamkeiten Im rechten Spektrum hat sich der extreme Flügel der Jobbik-Partei abgespalten. Die neue Partei "Unsere Heimat" liegt in den Umfragen bei etwa zwei Prozent. Genauso hoch wie die kleine grüne Partei "Dialog für Ungarn" (Együtt-PM), die sich schon vor einiger Zeit mit den ungarischen Sozialisten (MSZP) verbündet hat. Denen werfen in Ungarn viele Menschen vor, dass sie das Land zu Beginn der Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008 nahe an den Staatsbankrott gebracht haben, weswegen die Sozialisten als Verbündete für die größere Grüne Partei LMP, die sich 2009 als Anti-Elite-Partei gründete, kaum in Frage kommen. Die LMP ist globalisierungskritisch, fordert die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer und eine ökologische Wende. Aktuell liegt sie bei etwa sechs Prozent und sieht einen potentiellen Verbündeten eher in der nach eigenen Angaben inzwischen gemäßigten rechten Jobbik-Partei, die es vollkommen ablehnt, Flüchtlinge aufzunehmen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit in ganz Europa fordert. Die Partei liegt in den Umfragen mit den Sozialisten gleichauf bei rund elf Prozent. Auch von den Sozialisten hat sich schon vor einigen Jahren ein Teil abgespalten und ist Viktor Orbáns Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, Externer Link: Ferenc Gyurcsány, in seine neue Partei "Demokratische Koalition" (DK) gefolgt. Gyurcsány polarisiert. Er wird für eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik in seiner Amtszeit und den erdrutschartigen Sieg Orbáns 2010 verantwortlich gemacht, was ihn für viele zur Persona non grata macht. Trotzdem hat er etwa acht Prozent Anhänger unter den Wählern. Pro-europäischer Wahlkampf auf der linken Seite Die DK macht den offensivsten Wahlkampf für Europa, sie wirbt für die Vereinigten Staaten von Europa. Auch die kleine liberale Partei Momentum, die aktuell bei vier Prozent liegt, will mehr Europa, den Beitritt zur Eurozone und feierte den Beitritt Ungarns zur EU vor 15 Jahren mit einer Kundgebung. Sie will über einen Handel mit der Flüchtlingsquote dafür sorgen, dass einzelne Staaten sich von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen können. In ihrem Programm spielen soziale Fragen eine geringe Rolle. Die Sozialistische Partei betont diese hingegen. Sie fordert einen europäischen Mindestlohn und eine europäische Arbeitslosenversicherung, um die massive Abwanderung aus Ungarn zu stoppen. Derlei Feinheiten spielen in der Berichterstattung über den Europawahlkampf in Ungarn aber kaum eine Rolle. Die Medien berichten darüber, ob es der Opposition gelingt, sich gegen die Regierungspartei zusammenzuschließen. Die Wochenzeitung hvg schreibt dazu: "Die dauernde Beschäftigung mit dem Zusammenbauen der Opposition ist auch darum schlecht, weil sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in die falsche Richtung lenkt." Jüngste Entwicklungen dieser Partnerfindung werden verfolgt und analysiert. Inhaltliches wird wenig thematisiert. Das kommt der Regierungspartei zugute, da die Opposition so recht selbstbezogen und konfus wirkt. Ende Mai wählen die Europäer ein neues EU-Parlament. Angesichts der zunehmenden Spaltung in ein souveränistisches und ein pro-europäisches Lager blicken Beobachter auf eine Schicksalswahl. In unserem Wahlblog begleiten Redakteure und Korrespondenten der Presseschau Externer Link: euro|topics den Wahlkampf in den Mitgliedstaaten, spiegeln die zentralen Debatten und fassen zusammen, was auf dem Spiel steht.
Article
Sugárka Sielaff
"2021-06-23T00:00:00"
"2019-05-08T00:00:00"
"2021-06-23T00:00:00"
https://www.bpb.de/themen/europawahlen/et-wahlmonitor-2019/290751/opposition-in-ungarn-wohl-chancenlos/
Zersplittert, zerstritten, zermürbt: so stellt sich die Opposition in Ungarn dar und hat damit kaum Chancen, ein Gegengewicht zu Viktor Orbáns regierender Partei Fidesz zu bilden. Zwar gibt es Pläne, sich gemeinsam gegen Orbán zu verbünden. Doch für
[ "euro|topics: Europawahl 2019", "Opposition", "Ungarn", "Viktor Orban" ]
30,699