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Wu Ch’êng-ên | |
Monkeys Pilgerfahrt | |
Nach der englischen Übersetzung von Arthur Waley übertragen von Georgette Boner und Maria Nils. | |
ERSTES KAPITEL | |
Die Geburt des magischen Affen Monkey | |
Es war ein Fels, den hatten seit der Erschaffung der Welt die reinen Essenzen des Himmels, die feinen Düfte der Erde, die Kraft der Sonne und die Anmut des Mondlichts solange umspielt und umwirkt, bis er magisch geschwängert eines Tages auseinanderbarst und ein steinernes Ei von der Größe eines Spielballs gebar. Vom Winde befruchtet entwickelte es sich zu einem Affen aus Stein, vollkommen an Leib und Gliedern. Alsbald lernte dieser Affe klettern und laufen; doch das erste, was er tat, war, sich nach allen vier Himmelsrichtungen zu verneigen. Dabei schoß ein stahlhelles Licht aus seinen Affenaugen, das bis zum Palast des Polarsterns leuchtete. Ob diesem Lichtstrahl erstaunte der Jade-Kaiser, der im Wolkenpalast der Goldenen Pforten, in der Schatzkammer der Heiligen Nebel, umgeben von seinen Ministern thronte. Als er das seltsame Licht aufblitzen sah, befahl er Tausend-Meilen-Auge und In-Alle-Winde-Ohr die Pforte des Südlichen Himmels aufzutun und hinauszuspähen. Auf sein Geheiß begaben sich diese beiden Hauptleute zur Pforte und spähten so scharf und horchten so gut, daß sie bald darauf berichten konnten: »Dieses stahlhelle Licht kommt von den Grenzen des kleinen Landes Ao-lai, das im Osten des Heiligen Erdteils liegt, vom Berge der Blumen und Früchte. Auf diesem Berge ist ein Zauberfelsen, der ein Ei gebar. Das Ei verwandelte sich in einen Affen aus Stein, und als er sich nach den vier Himmelsrichtungen verneigte, schoß ein stahlhelles Licht aus seinen Augen, dessen Strahl bis zum Palast des Polarsterns blitzte. Aber jetzt ist der Affe am Trinken und das Licht am Verdämmern.« | |
Der Jade-Kaiser geruhte einen gnädigen Standpunkt einzunehmen: »Die Geschöpfe in der Welt dort unten«, sagte er, »wurden aus den Essenzen des Himmels und der Erde gebildet, und nichts, was dort geschieht, sollte uns wundern.« Der Affe ging, rannte, hüpfte und sprang über die Hügel, stillte seinen Hunger an Gras und Sträuchern, löschte seinen Durst in Bächen und Quellen, pflückte Bergblumen und hielt Ausschau nach Früchten. Wolf, Panther und Tiger waren seine Gefährten, das Reh und das Zibet seine Freunde, Gibbons und Paviane seine Verwandten. Nachts ruhte er unter Felsenklippen, tagsüber streifte er umher zwischen Gipfeln und Schluchten. An einem heißen Morgen badeten er und die andern Affen, nachdem sie im Schatten einiger Föhren gespielt hatten, in einem Bergbach. Seht, wie die Wasser hüpfen und purzeln wie rollende Melonen! | |
Ein alter Spruch lautet: ›Vögel haben ihre Vogelsprache, Tiere ihre Tiersprache.‹ Die Affen sagten: »Keiner von uns weiß, woher dieser Bach kommt. Wäre es nicht lustig, da wir heute nichts besonderes vorhaben, bis zu seiner Quelle hinaufzugehen?« Unter Freudenjauchzern eilte die ganze Schar, die Söhne mitschleifend, die Töchter auf den Schultern tragend, nach den älteren und jüngeren Geschwistern rufend, den Bach entlang und kletterte die steilen Hänge hinauf bis zur Quelle. Nun standen sie vor dem Vorhang eines großen Wasserfalls. | |
Alle Affen patschten in die Hände und riefen: »Feines Wasser, feines Wasser! Und sich vorzustellen, daß es in einer Höhle tief unter dem Fuße des Berges anfängt und den ganzen weiten Weg bis ins Große Meer fließt! Wer von uns wäre kühn genug, durch diesen Vorhang zu springen und bis dorthin vorzudringen, wo das Wasser herkommt! Wenn er unversehrt zu uns zurückkehrt, soll er unser König sein!« Dreimal erscholl dieser Ruf. Da sprang plötzlich der Steinerne Affe aus der Schar und rief mit lauter Stimme: »Ich wage es, ich wage es!« Und seht! Er kneift die Augen zusammen, duckt sich und springt mit einem Satz mitten durch den Wasserfall. Als er die Augen öffnete, erblickte er um sich herum trockene Erde. Vor ihm dehnte sich leuchtend und glitzernd eine große Brücke. Er besah sie genau, sie war aus blankem Eisen. Das Wasser kam aus einem Loch im Felsen und füllte den Raum unter dem Brückenbogen aus. Monkey, der Steinerne Affe, kletterte auf die Brücke. Um sich schauend bemerkte er etwas, das einem Hause glich. Da gab es steinerne Sitze und Ruhelager, Tische mit steinernen Schüsseln und Bechern. Er hüpfte zurück auf den Brückenbogen und entdeckte auf der Klippe in großen eckigen Buchstaben die Inschrift: »Diese Höhle des Wasservorhangs im gesegneten Lande des Berges der Blumen und Früchte führt zum Himmel.« Monkey war außer sich vor Freude. Er eilte zurück, duckte sich abermals, schloß die Augen und sprang durch den Wasservorhang. | |
»So ein Glück«, rief er, »so ein Glück!« »Wie sieht es auf der andern Seite aus?« fragten die Affen sich um ihn drängend. »Ist das Wasser sehr tief?« »Da ist gar kein Wasser«, sagte der Steinerne Affe. »Eine eiserne Brücke ist da, und daneben ein vom Himmel geschenkter Erdenwinkel. Dort sollten wir leben.« »Wie kommst du auf den Gedanken, man könnte dort leben?« fragten die Affen. »Das Wasser«, erklärte der Steinerne Affe, »fließt aus einem Loch im Felsen und füllt den Raum unter der Brücke. Neben ihr gibt es Blumen und Bäume und ein Haus; darinnen sind Tische, Becher, Schüsseln, Ruhelager, Stühle, alles aus Stein. Wir könnten uns dort wirklich recht gemütlich einrichten. Es ist Platz genug für Hunderte und Tausende der Unsrigen, Junge und Alte. Kommt, laßt uns alle dorthin übersiedeln; wir werden bei jedem Wetter herrlich geborgen sein.« »Geh du voran und zeig uns den Weg!« riefen die Affen begeistert. Wiederum schloß Monkey seine Augen und war mit einem Satze drüben. »Vorwärts, kommt alle!« schrie er zurück. Die Kühneren sprangen sogleich; die Zaghafteren streckten die Köpfe vor und zogen sie wieder zurück, kratzten sich in den Ohren, rieben sich die Wangen, und mit einem Mal sprang die ganze Schar unter lautem Aufkreischen nach vorne. Bald darauf bemächtigten sie sich der Schüsseln, rissen die Becher an sich, drängten um den Herd und rauften um die Betten, schleppten Gegenstände herum oder schoben sie hin und her; kurz sie benahmen sich, wie es von der mutwilligen Affen-Natur nicht anders zu erwarten ist; keinen Augenblick gönnten sie sich Ruhe, bis sie zuletzt völlig erschöpft waren. Da setzte Monkey sich auf einen erhöhten Sitz und sagte: »Meine Herren! ›Mit jemandem, dessen Wort man nicht trauen kann, ist nichts anzufangen!‹* Ihr verspracht, wer immer von uns es fertig brächte, unversehrt durch den Wasserfall und zurück zu kommen, sollte euer König sein. Ich bin nicht nur gekommen, gegangen und wiedergekommen, sondern habe euch überdies einen behaglichen Schlafplatz entdeckt und euch in die beneidenswerte Lage versetzt, Hausbesitzer zu sein. Warum verneigt ihr euch nicht vor mir als eurem König?« | |
* Analekten des Confucius, II, 22. | |
Also an ihr Versprechen erinnert, preßten die Affen die Handflächen zusammen, fielen auf die Knie, nach Alter und Würde in einer Linie ausgerichtet, und riefen, sich beflissen verneigend: »Großer König, auf tausend Jahre!« Danach legte der Steinerne Affe seinen ursprünglichen Namen ab und nannte sich als König ›Schöner König Monkey‹. Er machte verschiedene Affen, Gibbons und Paviane zu seinen Ministern und Beamten. Tagsüber schweiften sie alle auf dem Berg der Blumen und Früchte umher; nachts schliefen sie in der Höhle des Wasservorhangs. Sie lebten in vollkommener Eintracht und Harmonie, ohne sich unter die Vögel oder Tiere zu mischen, in Unabhängigkeit und Glückseligkeit. | |
Einige hundert Jahre lang hatte der Affenkönig dieses unbeschwerte Dasein genossen, als ihn während eines Festes, an dem alle Affen teilnahmen, jäh tiefe Traurigkeit befiel und er in Tränen ausbrach. Da reihten sich seine Untertanen vor ihm auf, verneigten sich und sprachen: »Was betrübt Eure Majestät so sehr?« »Augenblicklich«, antwortete der König, »habe ich keinen Grund, unglücklich zu sein. Aber mir ahnt Böses für die Zukunft, und das bekümmert mich.« »Eure Majestät ist sehr schwer zu befriedigen«, sagten die Affen lachend. »Tagtäglich begehen wir fröhliche Feste auf Zauberbergen, in gesegneten Erdenwinkeln, in uralten Grotten und auf heiligen Inseln. Wir sind weder dem Einhorn noch dem Phoenix untertan, noch beugen wir uns den Geboten eines Menschenkönigs. Ist nicht solche Freiheit ein unermeßlicher Segen? Was mag in Eurer Majestät diese trüben Ahnungen erregen?« »Es stimmt«, antwortete Monkey, »daß ich heute an kein Gesetz eines Menschenkönigs gebunden bin, noch Tier oder Vogel zu fürchten habe. Aber die Zeit wird kommen, da ich alt und schwach werde. Yama, der König des Todes, liegt heimlich auf der Lauer, mich zu verderben. Gibt es kein Mittel, das mir erlaubte, statt auf Erden wiedergeboren zu werden, unter den himmlischen Wesen ewig zu leben?« | |
Als die Affen das vernahmen, bedeckten sie ihr Gesicht mit den Händen und weinten, denn jeder gedachte seines eigenen Todes. Doch seht! Aus der Schar hüpft ein ganz gewöhnlicher Affenwicht und ruft mit lauter Stimme: »Ist es dies, was Eure Majestät betrübt, so bedeutet es, daß Euer Herz sich der Religion geöffnet hat. Unter allen Geschöpfen gibt es drei Arten, die Yama, dem König des Todes, nicht untertan sind.« »Und weißt du auch, welche?« fragte Monkey. »Buddhas, Unsterbliche und Weise«, antwortete er. »Diese Drei stehen jenseits des sich drehenden Rades, jenseits von Geburt und Zerstörung. Sie sind ewig, wie Himmel und Erde, Hügel und Fluß.« »Wo findet man sie?« fragte Monkey. »Hier auf der Erde«, sagte der Affe, »in uralten Höhlen, zwischen verzauberten Hügeln.« | |
Der König war entzückt über diese Nachricht. »Morgen werde ich euch Lebewohl sagen, den Berg hinuntergehen, wie eine Wolke an die Grenzen des Meeres wandern, weit weg ans Ende der Welt, bis ich diese drei Arten von Unsterblichen gefunden habe. Von ihnen will ich lernen, ewige Jugend zu bewahren und dem Verhängnis des Todes zu entrinnen.« Dieser Entschluß war es, der ihn dazu führte, aus dem Netze der Reinkarnation zu springen und endlich sich in den Großen Weisen Monkey, den Himmelsebenbürtigen, zu wandeln. Das Affen-Volk klatschte in die Hände und rief laut: »Herrlich! Herrlich! Morgen werden wir die Hügel nach Früchten und Beeren absuchen und ein großes Abschiedsmahl zu Ehren unseres Königs veranstalten.« | |
Am nächsten Tage gingen sie pflichtgemäß und sammelten Pfirsiche und seltene Früchte, Bergkräuter, Gelbsamen, Wurzelknollen, Orchideen, seltsame Pflanzen und Blumen aller Arten, schmückten Steintische und Bänke und stellten wundersame Speisen und Getränke auf. Sie setzten ihren König an den Ehrenplatz, sich selber nach Alter und Rang. Blumen und Früchte brachten sie ihm zum Geschenk, und der Ehrenbecher wanderte von Hand zu Hand. Den ganzen Tag über tranken sie. Am nächsten Morgen in der Frühe erhob sich der König und sagte: »Kinder, schneidet Föhrenholz und baut mir ein Floß; sucht ein großes Bambusrohr als Ruderstange und macht mir ein paar Früchte und dergleichen zurecht. Ich möchte aufbrechen.« | |
Ganz allein bestieg er das Floß, stieß kräftig ab und fuhr weiter und weiter, geradeswegs ins Meer hinaus, bis er, von günstigen Winden getrieben, an die Gestade der Südlichen Welt gelangte. Das Schicksal war ihm hold; vom Augenblick an, da er das Floß betreten hatte, wehte tagelang ein heftiger Südost und trug ihn bis zum nordwestlichen Ufer an den Grenzen der Südlichen Welt. Er prüfte das Wasser mit seiner Stange und stellte fest, daß es seicht war; da verließ er das Floß und kletterte an die Küste. Am Strande waren Leute, die fischten, wilde Gänse schossen, Austern schöpften, Salz trockneten. Er lief auf sie zu und begann vor lauter Übermut absonderliche Possen zu treiben. Vor Schreck ließen sie ihre Körbe und Netze fallen und rannten davon, als gälte es ihr Leben. Einen von ihnen, der an seinem Platz blieb, packte Monkey, riß ihm die Kleider vom Leibe und schlüpfte selber hinein. Also ausstaffiert stolzierte er durch Städte und Dörfer, auf Märkten und in Basaren umher und ahmte Sitten und Sprache der Leute nach. Sein Herz aber lechzte einzig danach, die Unsterblichen zu finden und von ihnen das Geheimnis ewiger Jugend zu erfahren. Doch er sah die Kinder der Welt alle von der Sucht nach Gewinn oder Ruhm ergriffen; kein Einziger war unter ihnen, der sich um das Ende, das ihm beschieden sein sollte, gekümmert hätte. So suchte Monkey nach dem Wege zur Unsterblichkeit, doch fand er ihn nicht. | |
Während acht oder neun Jahren zog er von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, bis er eines Tages an den Westlichen Ozean gelangte. Es schien ihm gewiß, daß es jenseits dieses Ozeans Unsterbliche gäbe, und so machte er sich ein Floß wie das früher benutzte. Er trieb hinaus über den Westlichen Ozean, bis er zum Westlichen Erdteil kam, wo er landete. Und als er sich eine Weile umgesehen hatte, bemerkte er einen sehr hohen und schönen Berg mit dichtbewaldetem Fuße. Er fürchtete sich nicht vor Wölfen, Tigern oder Panthern und stieg hinauf bis zum Gipfel. Um sich blickend vernahm er mit einem Male aus der Tiefe der Wälder eine Menschenstimme. Gespannt horchte er. | |
Jemand sang ein Lied, und er konnte die Worte unterscheiden: | |
Pläne nicht plan’ ich, | |
Ränke nicht schmied’ ich; | |
Eins sind mir Schande und Ruhm. | |
Langsam verlängert | |
Einfaches Leben Mir meine Tage. | |
Die mir begegnen auf meinem Wege, | |
Ein wie der andre, Unsterbliche sind es, | |
Die von erhabenen Sitzen gelassen | |
Schriften des Gelben Hofes erklären. | |
Als Monkey diese Worte hörte, wurde er sehr froh. »Es muß also irgendwo hier herum Unsterbliche geben«, überlegte er. Er sprang tief in den Wald hinein und gewahrte, vorsichtig umherspähend, daß der Sänger ein Holzfäller war, der Reisig sammelte. »Ehrwürdiger Unsterblicher«, sagte Monkey vortretend: »Euer Jünger erhebt seine Hände.« Der Holzfäller war so erstaunt, daß er seine Axt fallen ließ. »Ihr irrt Euch«, antwortete er, sich umwendend und den Gruß erwidernd. »Ich bin nur ein elender, hungriger Holzfäller. Wie kommt Ihr darauf, mich ›Unsterblicher‹ anzureden?« »Wenn Ihr kein Unsterblicher seid«, sagte Monkey, »warum habt Ihr geredet, als wäret Ihr einer?« »Was hab’ ich denn geredet?« fragte der Holzfäller, »das so klang, als wäre ich ein Unsterblicher?« »Wie ich an den Waldrand kam«, erklärte Monkey, »hörte ich Euch singen: | |
Die mir begegnen auf meinem Wege, | |
Ein wie der andre, Unsterbliche sind es, | |
Die von erhabenen Sitzen gelassen | |
Schriften des Gelben Hofes erklären. | |
Das sind geheime taoistische Texte. Was könntet Ihr anderes sein als ein Unsterblicher?« »Ich will Euch nicht täuschen«, entgegnete der Holzfäller. »Dies Lied hat mich in der Tat ein Unsterblicher gelehrt, der nicht weit von meiner Hütte wohnt. Er sah, daß ich hart für meinen Lebensunterhalt arbeiten und viel Mühsal ertragen muß; so riet er mir, wenn etwas mich bedrücke, die Worte dieses Liedes vor mich herzusagen. Es würde mich trösten und mir in meinen Schwierigkeiten helfen. Eben jetzt habe ich mich aufgeregt und darum das Lied gesungen. Ich hatte keine Ahnung, daß Ihr mir zuhörtet.« | |
»Wenn der Unsterbliche hier in der Nähe wohnt«, sagte Monkey, »wie kommt es, daß du nicht sein Schüler geworden bist? Hättest du nicht von ihm lernen können, niemals alt zu werden?« »Ich habe ein hartes Leben«, antwortete der Holzfäller. »Mit acht oder neun Jahren verlor ich meinen Vater. Ich habe weder Brüder noch Schwestern und muß ganz allein meine verwitwete Mutter unterstützen. Da gab es nichts als schwere Arbeit von früh bis spät. Nun ist meine Mutter alt, und ich getraue mich nicht, sie allein zu lassen. Der Garten ist verwildert, und wir haben weder genug zu essen noch anzuziehen. Das äußerste, was ich leisten kann, ist zwei Bündel Brennholz schneiden, sie zu Markte tragen und mit den paar Münzen, die ich dafür erhalte, einige Handvoll Reis kaufen, den ich selber zubereite und meiner greisen Mutter vorsetze. Ich habe keine Zeit hinzugehen und Magie zu lernen.« »Aus deiner Erzählung«, sagte Monkey, »ersehe ich, daß du ein guter und pflichtgetreuer Sohn bist. Deine Frömmigkeit wird gewiß belohnt werden. Alles, worum ich dich bitte, ist, mir zu zeigen, wo der Unsterbliche wohnt, denn es drängt mich ihn aufzusuchen.« | |
»Er wohnt ganz in der Nähe«, sagte der Holzfäller. »Dieser Berg wird der Berg der Heiligen Terrasse genannt, und oben ist die Höhle des Schiefen Mondes und der Drei Sterne. In dieser Höhle lebt ein Unsterblicher, der Patriarch Subodhi. Seinerzeit hatte er unzählige Schüler; gegenwärtig genießen etwa dreißig bis vierzig seinen Unterricht. Du mußt auf diesem Pfad acht oder neun Meilen in südlicher Richtung gehen, dann kommst du zu seiner Wohnung.« »Verehrter Bruder«, bat Monkey, den Holzfäller am Arm packend, »komm mit! Und wenn der Besuch mir von Nutzen ist, will ich nicht vergessen, daß du mir den Weg gezeigt hast.« »Manche Leute sind doch wirklich schwer von Begriff«, knurrte der Holzfäller. »Habe ich dir nicht eben erzählt, weshalb ich nicht fortkann? Was würde aus meiner Arbeit, wenn ich mit dir ginge? Wer würde meiner alten Mutter das Essen geben? Nein, ich muß weiter mein Holz schneiden, und du mußt deinen Weg allein finden.« | |
So blieb Monkey nichts anderes übrig als Lebewohl zu sagen. Er verließ den Wald, fand den Pfad, ging etwa sieben oder acht Meilen hügelaufwärts und stieß wahrhaftig auf eine Höhlenwohnung. Die Türe war jedoch verschlossen. Ringsum herrschte Stille; nichts verriet die Gegenwart eines Lebewesens. Den Kopf wendend, erblickte er auf der Spitze des Felsens eine steinerne, etwa dreißig Fuß hohe und acht Fuß breite Tafel mit der in riesigen Buchstaben prangenden Inschrift: ›Höhle des Schiefen Mondes und der Drei Sterne auf dem Berge der Heiligen Terrasse‹. »Die Leute hierzulande«, sagte Monkey, »sind in der Tat sehr zuverlässig. Es gibt also wirklich solch einen Berg und solch eine Höhle!« Er sah sich eine Weile um, getraute sich aber nicht an die Türe zu klopfen. Statt dessen hüpfte er auf eine Föhre und fing an Föhrensamen zu essen und zwischen den Zweigen herumzuspielen. Nach einiger Zeit hörte er jemanden rufen. Die Tür der Höhle ging auf, und ein wunderschöner Elfenjüngling trat heraus, von Erscheinung gänzlich anders als die gewöhnlichen Knaben, die Monkey bisher gesehen hatte. Er rief: »Wer untersteht sich, die Ruhe hier draußen zu stören?« Monkey hüpfte von seinem Baume, trat näher, verneigte sich und sagte: »Schöner Elfenknabe, ich bin ein Schüler, der gekommen ist Unsterblichkeit zu erlernen. Nicht im Traume möchte ich gestört haben.« »Du ein Schüler!« lachte der Knabe. »Freilich«, beteuerte Monkey. »Mein Meister unterrichtet eben«, sagte der Knabe. »Aber ehe er die Aufgabe stellte, hieß er mich an die Türe gehen und nachsehen, ob noch jemand am Unterricht teilzunehmen wünsche. Ich nehme an, er meinte dich.« »Selbstverständlich meinte er mich«, bestätigte Monkey. »So folge mir denn«, sagte der Knabe. Monkey machte sich schön zurecht und betrat, dem Jüngling folgend, die Höhle. Weite Räume taten sich vor ihnen auf. Sie gingen von Gemach zu Gemach, durch luftige Hallen, unzählige Gänge und Zellen, bis sie zu einer Plattform aus grünem Jadestein kamen, auf welcher der Patriarch Subodhi im Kreise von dreißig geringeren Unsterblichen thronte. Monkey fiel vor ihm nieder, schlug seinen Kopf dreimal auf den Boden und flüsterte: »Meister, Meister! Empfangt als Lehrer den ehrerbietigen Gruß Eures Schülers!« »Von wannen kommst du?« fragte der Patriarch. »Nenne mir deine Heimat und deinen Namen; danach erweise mir nochmals die Ehrerbietung.« »Ich komme aus der Höhle des Wasservorhanges«, antwortete Monkey, »auf dem Berge der Blumen und Früchte im Lande Ao-lai.« »Fort mit dir!« schrie der Patriarch. »Ich kenne die Leute dort; es sind Gauner und Schwindler. Es taugt nicht, daß einer von ihnen sich anmaßt, Erleuchtung zu erstreben.« Mehrmals heftig sich verneigend beteuerte Monkey: »Das ist kein Schwindel. Ich sage Euch nichts als die reine Wahrheit.« »Wenn du vorgibst die Wahrheit zu sprechen«, entgegnete der Patriarch, »wie wagst du zu behaupten, daß du von Ao-lai kommst? Zwischen dort und hier liegen zwei Ozeane und der gesamte Südliche Erdteil. Wie bist du hierher gekommen?« »Ich trieb über die Ozeane und durchwanderte die Länder mehr als zehn Jahre«, sagte Monkey, »bis ich endlich hier war.« »Nun gut«, meinte der Patriarch, »wenn du es gemütlich genommen hast, wäre es nicht ganz ausgeschlossen. Doch sage mir, aus welcher Familie stammst du? Wie nennt sie sich?« »Ich bin aus keiner Familie«, erwiderte Monkey, »habe weder Vater noch Mutter.« »Was du nicht sagst!« brummte der Patriarch, »bist du vielleicht auf einem Baume gewachsen?« »Das nicht gerade«, erklärte Monkey. »Ich komme aus einem Stein. Es gab einen verzauberten Felsen auf dem Berg der Blumen und Früchte. Als seine Zeit erfüllt war, barst er, und ich war da.« | |
»Wir müssen dir einen Schulnamen geben«, sagte der Patriarch. »Wir haben zwölf Worte, die wir in diesen Namen verwenden, je nach dem Grad des Schülers. Du kommst in den zehnten Grad.« »Welches sind die zwölf Worte?« fragte Monkey. »Sie heißen: Weit, Groß, Weise, Klug, Wahr, Ausgeglichen, Natur, Ozean, Lebhaft, Gewahr, Vollkommen und Erleuchtet. Da du zum zehnten Grad gehörst, muß dein Name das Wort Gewahr enthalten. Wie wäre: Der Leere Gewahr?« »Herrlich«, lachte Monkey. »Von nun an heiße ich Der Leere Gewahr.« | |
So wurde dies sein Name in der Religion. | |
Und wenn Ihr nicht wißt, ob er, ausgerüstet mit diesem Namen, am Ende Erleuchtung erlangte oder nicht, so hört, was Euch im nächsten Kapitel erzählt wird. | |