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SOG 2006 Nr. 5 Art. 144 Abs. 3 StGB. Keine Addition von einzelnen Schadensbeträgen bei der Sachbeschädigung. Über längere Zeit verübte Sprayereien gegen verschiedene Geschädigte sind als Einzeldelikte zu behandeln. Dies gilt bezüglich der Qualifikation wie auch der sich daraus ergebenden Folgen für die Verjährung (E. 4). Abgrenzung der einfachen von der qualifizierten Sachbeschädigung. Die Grenze für den grossen Schaden ist bei Fr. 10'000.-- anzusetzen (E. 5). Sachverhalt: Mehrere Beschuldigte verübten in den Jahren 1992 bis 1998 Sprayereien in verschiedenen Regionen. Es wurde ihnen in der Schlussverfügung vorgehalten, sie hätten alleine, zusammen mit anderen Mitbeschuldigten oder mit unbekannten Mittätern verschiedene fremde Sachen – vorzugsweise Bauten oder Zugskompositionen – grossflächig mit Sprayfarben besprüht und dadurch erheblich beschädigt. Mit Urteil des Amtsgerichts vom 1. September 2003 wurden mehrere Vorhalte wegen Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung eingestellt und es ergingen diverse Freisprüche. Bezüglich etlicher Vorhalte erfolgen Schuldsprüche wegen qualifizierter Sachbeschädigung gemäss Art. 144 Abs. 3 StGB (Schweizerisches Strafgesetzbuch, SR 311.0). Vier der Verurteilten appellierten gegen den Entscheid. Die Strafkammer stellt zufolge Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung das Verfahren betreffend diejenigen Vorhalte ein, bei denen ein Schaden von nicht mehr als Fr. 10'000.-- geltend gemacht worden ist. Soweit es sich um Delikte handelt, die einen grösseren Schaden zur Folge hatten, werden die Schuldsprüche bestätigt. Aus den Erwägungen: 1. Der Grundtatbestand der Sachbeschädigung verjährt als Vergehen nach den zur Tatzeit geltenden Verjährungsregeln des Art. 70 ff. aStGB (das neue Verjährungsrecht ist nicht milder bzw. in einem Fall sogar strenger, weshalb das alte Recht anzuwenden ist, Art. 337 StGB) absolut nach siebeneinhalb Jahren, der qualifizierte Tatbestand (“schwere Sachbeschädigung”) von Art. 144 Abs. 3 StGB als Verbrechen nach fünfzehn Jahren. Auf den 1. Januar 1995 trat das revidierte Vermögensstrafrecht in Kraft, das eine relevante Änderung der qualifizierten Sachbeschädigung mit sich brachte: Musste vorher zur Erfüllung der schweren Sachbeschädigung – nebst der Verursachung eines grossen Schadens – mit “gemeiner Gesinnung” gehandelt worden sein (Art. 145 aStGB), genügt es nun, einen grossen Schaden verursacht zu haben (im Gegenzug wurde die Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus fallen gelassen). 2. Die Vorinstanz hat bezüglich Verjährung wie folgt geurteilt: Nachdem die Beweiswürdigung bei allen 70 Einzeldelikten durchgeführt worden war, entschied das Amtsgericht, für die Vorfälle vor dem 1. Januar 1995 sei das alte Recht gemäss Art. 145 aStGB anzuwenden, den Beschuldigten könne aber nicht eine besonders niederträchtige Grundhaltung, mithin keine gemeine Gesinnung, vorgehalten werden. Aus diesen Gründen wurde das Verfahren bezüglich aller Delikte, die vor dem 1. Januar 1995 begangen worden seien, wegen Eintritts der absoluten Verjährung eingestellt. Mit Bezug auf die nach dem 1. Januar 1995 verübten Delikte führte das Amtsgericht aus: “Es stellt sich nun die Frage, ob jedes einzelne Delikt unter dem Merkmal des grossen Schadens zu prüfen ist oder ob die Summen addiert, mithin zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasst werden können. Grundsätzlich ist dies möglich (Stefan Trechsel: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1997, N 9 zu Art. 144 StGB; RS 1969 Nr. 191). Wendet man Art. 172 ter StGB analog an, wo man sich die Frage stellt, ob bei mehreren geringfügigen Vermögensdelikten die Privilegierung entfällt, so kann man auch bezogen auf die Sachbeschädigung Folgendes sagen: Die einzelnen Deliktssummen können addiert werden, wenn ein andauernd pflichtwidriges Verhalten, Gleichartigkeit der Begehungsweise und Beeinträchtigung desselben Rechtsgutes vorliegen. Die einzelnen Delikte müssen Teilakte eines einheitlichen Geschehens und von einem Gesamtvorsatz getragen sein. Dies trifft vorliegend bei allen Beschuldigten zu. Insbesondere die Intensität der deliktischen Tätigkeit zeigt, dass die Beschuldigten bei jeder sich bietenden Gelegenheit sprayen wollten. Es ging ihnen neben dem erstrebten Ruhm und der Verbreitung des Namens in der Szene auch um die Verwirklichung der Philosophie der Hip-Hop-Bewegung. Ein einheitlicher Willensentschluss und der Gesamtvorsatz sind aufgrund der gesamten Umstände bei allen Beschuldigten zu bejahen. Zudem ist bei objektiver Betrachtungsweise von einem einheitlichen Geschehen auszugehen und dieses richtete sich stets gegen das gleiche Rechtsgut. Gestützt auf diese Erwägungen ist im Ergebnis von einer Einheitstat auszugehen, was auch die Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB ausschliesst. Die Schadenssummen sind bei allen Beschuldigten zu addieren. Es ist nun für jeden Beschuldigten einzeln zu prüfen, ob das Merkmal des grossen Schadens gegeben ist.” In der Folge gelangte das Amtsgericht zum Schluss, dass das Erfordernis des grossen Schadens bei den vorliegend zu beurteilenden Appellanten erfüllt sei, und sprach diese der qualifizierten Sachbeschädigung schuldig (ohne Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB). Bereits der Untersuchungsrichter hatte in der Schlussverfügung darauf hingewiesen, dass die Delikte als “verjährungsrechtliche Einheit” gemäss der entsprechenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu betrachten seien. 3. Mit Eingabe vom 13. Januar 2006 lassen die Appellanten nun beantragen, es seien sämtliche Verfahren wegen Eintritts der absoluten Verjährung einzustellen. Im vorliegenden Fall stehe die Frage der Verjährung in einem engen Zusammenhang mit der Frage der Qualifikation der Tatbestände. Grundsätzlich stelle sich die Frage, ob sämtliche zu beurteilenden Handlungen als Verjährungseinheit anzusehen oder ob diese jeweils als einzelne Tatbestände zu behandeln resp. zu beurteilen seien. Im Rahmen des Urteils der Vorinstanz sei keine einheitliche Qualifikation vorgenommen worden. Die Vorinstanz habe in Bezug auf das anwendbare Recht diejenigen Taten, die vor der Revision des Strafgesetzbuches vom 1. Januar 1995 erfolgt seien, dem alten und diejenigen Taten, die nach dem 1. Januar 1995 geschehen seien, dem neuen Strafrecht unterstellt. Hinsichtlich der Qualifikation bei der Frage nach dem Vorliegen eines grossen Schadens gemäss Art. 144 Abs. 3 StGB habe sie jedoch die einzelnen Taten zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasst. Diese inkohärente Vorgehensweise der Vorinstanz sei rechtsstaatlich nicht vertretbar. Die beiden Fragen der Qualifikation des Tatbestandes und des anwendbaren Rechts seien im Zusammenhang mit der Verjährung einheitlich zu behandeln. Es gehe keineswegs an, die Vorhalte zunächst verjährungsrechtlich einzeln zu betrachten und in Bezug auf die rechtliche Qualifikation als Handlungseinheit zu beurteilen. Korrekterweise seien vorliegend sämtliche den Beschuldigten vorgehaltenen Taten als Handlungseinheit zu betrachten. Die Taten seien gleichartig hinsichtlich der Begehungsweise und der Beeinträchtigung des Rechtsgutes. Ein einheitlicher Willensentschluss und ein Gesamtvorsatz seien ebenfalls gegeben. Wie im Urteil der Vorinstanz nachvollziehbar begründet worden sei, müsse vorliegend von einer Einheitstat ausgegangen werden. Folgerichtig müssten alle im Zeitraum vom 24. Mai 1992 bis zum 18. April 1998 den Beschuldigten vorgehaltenen Straftaten unter demselben anwendbaren Recht abgehandelt werden. Dies wäre nach dem Grundsatz der lex mitior Art. 145 aStGB. Da vorliegend, wie die Vorinstanz ebenfalls korrekt festgestellt habe, bei den Beschuldigten eine gemeine Gesinnung nicht vorhanden gewesen sei, liege keine qualifizierte Sachbeschädigung vor. Als einfache Sachbeschädigung sei die Tat absolut verjährt, da seit dem 18. April 1998 mehr als siebeneinhalb Jahre vergangen seien. Sollte man entgegen diesen Ausführungen davon ausgehen, dass es sich bei den vorgehaltenen Tathandlungen nicht um eine Einheitstat handle, so ergebe sich auch bei dieser Betrachtungsweise eine Verjährung sämtlicher Straftatbestände. Diesfalls sei nämlich für jede vorgehaltene Straftat für jeden Beschuldigten abzuklären, ob es sich um eine einfache oder um eine qualifizierte Sachbeschädigung handle. Dem Richter öffne sich hier ein relativ grosser Ermessensspielraum, denn was genau als grosser Schaden zu gelten habe, sei nicht klar und in der Doktrin umstritten. Zu berücksichtigen sei insbesondere, wie hart das Opfer durch den Eingriff getroffen werde. Das Bundesgericht habe den grossen Schaden in BGE 106 IV 25 auf Fr. 40'000.-- beziffert. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts habe diese Praxis in ihren Entscheiden vom 2. und 14. Juni 2005 bestätigt. Vorliegend erfülle keine der vorgehaltenen Straftaten dieses Kriterium der Qualifikation gemäss Art. 144 Abs. 3 StGB. Alle Taten seien demnach – auch bei Verneinung des Vorliegens einer Einheitstat – als einfache Sachbeschädigungen absolut verjährt. 4.a) Die vom Amtsgericht für die Zusammenfassung der einzelnen Sachbeschädigungen zu einem “Einheitsdelikt” verwendete Begründung entspricht praktisch wörtlich den Erwägungen des Bundesgerichts zur (mittlerweile fallen gelassenen, vgl. BGE 131 IV 83 ff.) Rechtsfigur der “verjährungsrechtlichen Einheit” in BGE 117 IV 413 f. Angefügt hatte das Bundesgericht, die andauende Pflichtverletzung müsse dabei “vom in Frage stehenden gesetzlichen Straftatbestand mitumfasst sein”. Trechsel führt an der von der Vorinstanz zitierten Stelle zum Begriff des geringen Vermögenswertes nach Art. 172 ter StGB aus: “Bei mehreren Taten wurde nach altem Recht summiert, sofern ein Fortsetzungszusammenhang bestand. Ein solcher Zusammenhang setzt nunmehr ein ‘andauerndes pflichtwidriges Verhalten’ voraus, die Gleichheit der Begehungsweise und die Beeinträchtigung desselben Rechtsgutes (BGE 118 IV 318, 117 IV 413 f., im Einzelnen N 4 zu Art. 71 StGB). Addition ist gerechtfertigt, wenn die einzelnen Delikte Teilakte eines einheitlichen Geschehens darstellen und von einem Gesamtvorsatz getragen werden, z.B. wenn sich jemand systematisch und häufig durch Ladendiebstahl mit gewissen Gütern eindeckt. BGE 122 IV 155: Das Einlösen eines ungedeckten Postchecks von Fr. 300.-- fällt unter Art. 172 ter StGB, aber nicht das gleichzeitige Einlösen mehrerer Checks. Albrecht und Stratenwerth verneinen Tateinheit bei wiederholten Ladendiebstählen durch Aussenstehende im Gegensatz zur Delinquenz des Personals.” Trechsel beruft sich somit explizit auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Einheitstat bezüglich Verjährung. Es rechtfertigt sich daher, die Entwicklung der diesbezüglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung darzustellen: Vorerst wurde von der Rechtsprechung die Rechtsfigur des “fortgesetzten Delikts” entwickelt. Dieses sei gegeben, wenn gleichartige oder ähnliche Handlungen, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet seien, auf ein und denselben Willensentschluss zurückgingen. Das fortgesetzte Delikt setze sich zusammen aus mehreren strafbaren Handlungen, werde rechtlich aber als ein Delikt angesehen. Entsprechend befand das Bundesgericht, dass erstens eine Strafschärfung nach Art. 68 StGB ausscheide, dass sich zweitens die Rechtskraft einer Verurteilung wegen eines fortgesetzten Delikts auch auf jene Straftaten beziehe, die dem Richter nicht bekannt gewesen seien, dass drittens beim fortgesetzten Delikt im Falle eines Antragsdelikts die Strafverfolgung nicht auf die dreimonatige Frist des Art. 29 StGB beschränkt bleibe, sondern der Täter auch wegen weiter zurückliegender Delikte verfolgt werden dürfe und dass viertens beim fortgesetzten Delikt die Verjährung für sämtliche Einzelakte erst mit der letzten Teilhandlung beginne; sei diese nicht verjährt, blieben auch alle übrigen Einzelhandlungen strafbar (vgl. Zusammenfassung in BGE 117 IV 411). Der von der Lehre dagegen erhobenen Kritik (die Rechtsfigur sei hinsichtlich Art. 68 StGB nicht vereinbar mit dem Schuldprinzip; die Verlängerung der Verjährung lasse sich beim fortgesetzten Delikt nicht begründen; die Konstruktion sei im schweizerischen Recht entbehrlich) kam das Bundesgericht zuerst in BGE 116 IV 121 ff. nach, indem es die Konstruktion des fortgesetzten Delikts bezüglich Art. 68 Ziff. 1 StGB aufgab. In BGE 117 IV 408 ff. erfolgte der gänzliche Verzicht auf die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts. Zu fragen sei, ob und unter welchen Bedingungen es in den Bereichen, in denen das fortgesetzte Delikt bisher Anwendung gefunden habe (Strafzumessung, Verjährung, res iudicata, Strafantrag), gerechtfertigt oder sogar geboten sei, mehrere selbständige Straftaten zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen. Die Antwort darauf könne angesichts der Verschiedenartigkeit der Problemstellungen und in Anbetracht dessen, dass die massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen voneinander abweichen würden, nicht eine einheitliche sein. Die anstehenden Fragen seien in den einzelnen Sachbereichen vielmehr gesondert zu erörtern. In Bezug auf die Verjährung stelle sich die Frage, wie die einzelnen strafbaren Tätigkeiten nach der Aufgabe des fortgesetzten Delikts untereinander verbunden sein müssten, damit sie unter dem Gesichtspunkt des Verjährungsbeginns nach Art. 72 Abs. 2 StGB mit der letzten strafbaren Handlung als ein Ganzes betrachtet werden dürften (sog. “verjährungsrechtliche Einheit”). Massgeblich müssten nicht subjektive, sondern objektive Kriterien sein. Erforderlich sei – wie beim bisherigen fortgesetzten Delikt – die Gleichartigkeit der Begehungsweise und die Beeinträchtigung desselben Rechtsguts. Die erforderliche Einheit sei zu bejahen, wenn die gleichartigen und gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlungen – ohne dass bereits ein Dauerdelikt gegeben wäre – ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten bildeten. Unter welchen genauen Voraussetzungen dies der Fall sei, könne nicht abschliessend in einer abstrakten Formel umschrieben werden. Es werde vielmehr Sache der Praxis sein, im Einzelnen die Kriterien dafür herauszubilden, wobei sich der Richter von Sinn und Zweck der Verjährung leiten zu lassen habe. Klar sei, dass die andauernde Pflichtverletzung vom in Frage stehenden gesetzlichen Straftatbestand ausdrücklich oder sinngemäss mitumfasst sein müsse. Eine verjährungsrechtliche Einheit wurde in der Folge bei Vernachlässigung der Unterstützungspflichten, ungetreuer Geschäftsführung, gewohnheitsmässiger Widerhandlung gegen das Zollgesetz, sexuellen Handlungen eines Lehrers mit seinen Schülern, illegaler Einfuhr von pornographischem Material zwecks Weiterveräusserung bejaht, verneint wurde sie bei der Annahme von Geschenken, bei Ehrverletzungen, bei gewerbsmässigem Betrug und bei mehreren Widerhandlungen im Sinne von Art. 105 des Arbeitslosengesetzes (BGE 131 IV 91). In BGE 131 IV 83 ff. wurde auch die Rechtsfigur der verjährungsrechtlichen Einheit aufgegeben. Das Bundesgericht stellte fest, es habe in seiner bisherigen Rechtsprechung die dritte Voraussetzung, dass das andauernde pflichtwidrige Verhalten von dem in Frage stehenden gesetzlichen Straftatbestand ausdrücklich oder zumindest sinngemäss mitumfasst sein müsse, vereinzelt nur sehr wenig Gewicht beigemessen und dadurch den Anwendungsbereich der Verjährungsbestimmungen überdehnt. Bei Annahme einer verjährungsrechtlichen Einheit beginne die Verfolgungsverjährung erst mit der letzten Tat. Dies sei eine Entscheidung zu Ungunsten des Beschuldigten. Sie bedürfe daher einer gesetzlichen Grundlage. Es erscheine nicht länger gerechtfertigt, anhand des wenig klaren Kriteriums des andauernden pflichtwidrigen Verhaltens in gewissen Fällen mehrere Handlungen zu einer verjährungsrechtlichen Einheit zusammenzufassen, in anderen dagegen nicht. Die Aufgabe der verjährungsrechtlichen Einheit vereinfache die Anwendung des Verjährungsrechts und gewährleiste die Rechtssicherheit besser. Die Aufgabe der Rechtsfigur der verjährungsrechtlichen Einheit führe jedoch nicht zu einem gänzlichen Verzicht, mehrere tatsächliche Handlungen in gewissen Fällen rechtlich als Einheit zu betrachten: Zunächst sei an die Fälle der “tatbeständlichen Handlungseinheit” zu denken: beispielsweise wenn das tatbestandsmässige Verhalten schon begrifflich, faktisch oder doch typischerweise mehrere Einzelhandlungen voraussetze (wie der Raub: Widerstandsunfähigmachen des Opfers, Wegnahmehandlung). Ausserdem könne der Tatbestand ein typischerweise länger dauerndes Verhalten umschreiben, wie bei Misswirtschaft. Letztlich bilde bei Dauerdelikten die Handlung, die den rechtswidrigen Zustand herbeiführe, eine Einheit mit den weiteren Akten, die zur Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes notwendig seien (Beispiel Freiheitsberaubung). Mehrere Handlungen seien weiter als rechtliche Einheit anzusehen, wenn sie auf einem einheitlichen Willensakt beruhen würden und wegen des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs bei objektiver Betrachtung noch als ein einheitliches zusammengehörendes Geschehen erscheinen würden, bei so genannter “natürlicher Handlungseinheit”. Dazu zählten namentlich Fälle der iterativen Tatbestandsverwirklichung (z.B. eine “Tracht Prügel”) oder der sukzessiven Tatbegehung (z.B. Besprayen einer Mauer mit Graffiti in mehreren aufeinander folgenden Nächten). Eine natürliche Handlungseinheit falle jedoch ausser Betracht, wenn zwischen den einzelnen Handlungen – selbst wenn diese aufeinander bezogen seien – ein längerer Zeitraum liege. Abgesehen von diesen Konstellationen der Tateinheit sei der Lauf der Verjährung für jede Tathandlung gesondert zu beurteilen. Eine weitergehende Ausdehnung der Handlungseinheit spezifisch für den Lauf der Verjährung, wie sie die bisherige Figur der verjährungsrechtlichen Einheit dargestellt habe, sei mit dem Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB) nicht länger vereinbar. b) Vorliegend geht es um die Frage der Qualifikation des Straftatbestandes: Art. 144 Abs. 1 StGB: Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder Busse bestraft. Abs. 3: Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Tat wird von Amtes wegen verfolgt. Der Tatbestand der Sachbeschädigung geht typischerweise von einem Einzelakt aus und nicht von einer Handlungsmehrheit oder gar einem andauernden pflichtwidrigen Verhalten. Es handelt sich weder um ein Dauerdelikt noch um ein Kollektivdelikt wie die gewerbsmässig verübten Delikte, bei denen mehrere an sich selbständige Handlungen kraft Gesetzes zu einer Einheit verbunden werden. Trechsel (a.a.O., N 10 zu Art. 144 StGB) weist auf RS 1969 Nr. 191 hin, wonach viele kleinere Schäden summiert einen “grossen Schaden” ausmachen könnten. Eine Begründung, ob und weshalb die Schadensummen bei verschiedenen Geschädigten addiert werden könnten, ist dem Entscheid des Kantonsgerichts VS nicht zu entnehmen, es wird einzig festgehalten, dass “viele während einer bestimmten Zeit gegen zahlreiche Eigentümer begangene, relativ geringe Sachbeschädigungen, die aber insgesamt einen Schaden von Fr. 9'000.-- ausmachen, nicht unter den Begriff des grossen Schadens fallen”. Zur Frage der Addition der einzelnen Schadensbeträge bei der Sachbeschädigung finden sich keine weiteren Hinweise in Lehre und Praxis. Die von der Vorinstanz angeführte Begründung – eine analoge Anwendung der Meinungsäusserung von Trechsel bezüglich Art. 172 ter StGB (welche sich auf die verjährungsrechtliche Einheit stützte) – kann spätestens seit der Praxisänderung des Bundesgerichts zur verjährungsrechtlichen Einheit nicht mehr standhalten. Stratenwerth forderte bereits unter der alten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass eine verjährungsrechtliche Einheit nur angenommen werden könne, wenn bei Rechtsgütern mit individuellem Einschlag stets dieselbe Person betroffen sei (Günter Stratenwerth: Schweizerisches Strafrecht, AT I, Bern 2005, § 19 N 18). Tatsächlich kann es unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips nicht angehen, über Monate bzw. gar über Jahre gegen verschiedene Geschädigte in verschiedener Zusammensetzung verübte Sachbeschädigungen als Einheitsdelikt zu betrachten. Die vom Bundesgericht in BGE 131 IV 95 geäusserten diesbezüglichen Bedenken müssen erst recht gelten, wenn es um die Frage der Qualifikation der Straftat geht. Im vorliegenden Bereich der Sprayereien könnte somit einzig dann von einer Handlungseinheit, mithin einem einzigen Delikt ausgegangen werden, wenn bei mehreren Handlungen gegen den gleichen Geschädigten ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, wie dies in dem vom Bundesgericht genannten Beispiel, Versprayen einer Mauer mit Graffiti während mehreren aufeinanderfolgenden Nächten, der Fall ist. Die vorliegend zu beurteilenden Delikte sind daher als Einzeltaten zu behandeln, und zwar bezüglich der Qualifikation wie auch der sich daraus ergebenden Folgen für die Verjährung. c) Nur der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass der Argumentation der Verteidigung, es seien sämtliche Delikte gemäss dem milderen Recht, wie es bis zum 31. Dezember 1994 gegolten hatte, als absolut verjährt zu betrachten, nicht gefolgt werden könnte, selbst wenn man tatsächlich alle Einzeltaten ab 1992 zu einem rechtlichen Einheitsdelikt zusammenfassen würde: Trechsel (a.a.O., N 5 zu Art. 2 StGB) postuliert unter Hinweis auf mehrere Zitatstellen, dass bei Dauerdelikten das neue Recht anzuwenden sei (gleicher Meinung Peter Popp in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.]: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel 2003, N 6 zu Art. 2 StGB). Es könne jedoch bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn die Tat begonnen worden sei, als sie (nach altem Recht) noch straflos oder minder strafbar gewesen sei. 5.a) Zur Abgrenzung der Qualifikation ist zu entscheiden, was einen “grossen Schaden” darstellt. Vorerst ist dabei zu klären, was überhaupt als “Schaden” im Sinne von Art. 144 StGB zu verstehen ist (zum Folgenden: Philippe Weissenberger in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, a.a.O., N 35 zu Art. 144 StGB). Der Begriff des Schadens ist in einem weiteren Sinne zu verstehen. In Frage kommen sowohl materielle Schäden als auch solche immaterieller, ideeller Art. Zu berücksichtigen sind namentlich Kosten für die Wiederbeschaffung, Reparatur oder Schadensbegrenzung. Zum Schaden zählen auch die Folgeschäden, der Verlust des Affektionswertes, allfällige schwer bezifferbare Imageschäden und anderes mehr. Im vorliegenden Fall sind demnach sowohl die Material- und Arbeitskosten für die Entfernung der Sprayereien wie auch – bei Zügen – die Kosten für die dadurch notwendig gewordenen Standzeiten der beschädigten Wagen zu berücksichtigen. b) Umstritten ist in Lehre und Praxis, wann ein Schaden als “gross” zu gelten hat. Im Basler Kommentar (a.a.O., N 36 f.) wird dazu ausgeführt: “Das Bundesgericht hat dies bei Gesamtschäden von Fr. 40'000.-- und Fr. 82'000.-- bejaht (BGE 106 IV 24; 117 IV 437), ohne sich jedoch mit der Problematik zu befassen. In der kantonalen Rechtsprechung finden sich unterschiedliche Ansätze (OGer ZH: objektive Grenze ab ca. Fr. 10'000.--; OGer BE, 30. April 1982, in: ZBJV 1985, 511 ff.: individueller Massstab nach den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen; KGer GR, 2. Oktober 1978, in: PKG 1978, 45 ff., Nr. 12: grosser Schaden ab Fr. 5'000.--; KGer GR, 11. Mai 1960, 159 f., Nr. 63: grosser Schaden nur, wenn der Geschädigte ‘in jeder Beziehung schwer getroffen wurde’; wie Letzteres: KGer VS, 10. Dezember 1968, RS 1969, Nr. 191, das einen grossen Schaden – wie oben erwähnt – von insgesamt Fr. 9'000.-- aus mehreren Handlungen verneinte). In der Lehre werden vier Positionen vertreten. Nach einem Standpunkt soll allein ein – nicht näher eingegrenzter – objektiver Schadensmassstab massgebend sein (Martin Schubarth/Peter Albrecht: Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Bd 2, Bern 1990, N 40 zu Art. 145 StGB). Eine zweite Meinung will (nur) bei frankenmässig bemessbaren Schäden eine fixe Schadensumme in der Grössenordnung von über Fr. 100'000.-- voraussetzen (Niklaus Schmid: Computer- sowie Check- und Kreditkarten-Kriminalität, Zürich 1994, § 6 N 46). Eine dritte Auffassung nennt als Untergrenze für den grossen Schaden grundsätzlich Fr. 10'000.--, will aber auch die persönlichen Verhältnisse des beeinträchtigten Berechtigten berücksichtigt wissen (Trechsel, a.a.O., N 9 zu Art. 144 StGB). Eine letzte Ansicht stellt schliesslich auf die persönlichen Verhältnisse des beeinträchtigten Berechtigten ab, mit Ausnahme von juristischen Personen, bei denen ein objektiver Massstab (mehr als Fr. 10'000.--) gelten soll (Marcel Andreas Niggli: Das Verhältnis von Eigentum, Vermögen und Schaden nach schweizerischem Strafgesetz, Diss. Zürich 1992, S. 233 ff.). Eine fixe Betragsgrenze kommt zum vornherein nur in Betracht, wo sich der Schaden eindeutig beziffern lässt. Ist der Schaden zumindest teilweise materieller Art, drängt es sich auf, als Richtlinie für den Durchschnittsfall eine objektive Untergrenze im Bereich von Fr. 10'000.-- festzusetzen. Diese ist jedoch flexibel zu handhaben, um besonderen Opfermerkmalen und möglichen zusätzlichen immateriellen Schäden Rechnung zu tragen. Art. 144 StGB schützt nicht die abstrakte Rechtsposition, sondern knüpft – wie die anderen Vermögenstatbestände auch – in gewissem Umfang an die jeweilige Interessenlage des Rechtsgutträgers an (vgl. Marcel Alexander Niggli: Ultima Ratio?, in: ZStrR 1993, 252 ff.; Niggli: Eigentum, a.a.O., S. 213 ff., 221 f.). Ob ein Schaden als gross zu werten ist, hängt somit nicht nur von der bezifferbaren Vermögenseinbusse ab, sondern auch davon, wie stark der Geschädigte durch die Tat anderweitig getroffen wurde. Die genannte zahlenmässige Limite ist folglich bei besonderen persönlichen Verhältnissen des Betroffenen (z.B. ungewöhnlich schwache oder komfortable wirtschaftliche Verhältnisse) oder beim Vorliegen zusätzlicher immaterieller Schäden nach oben oder unten anzupassen, ja u.U. sogar weitgehend unbeachtlich. Bei der Gesamtwürdigung ist zu prüfen, ob auch bei einer Vermögenseinbusse von weniger als Fr. 10'000.-- die Beeinträchtigungen den Geschädigten insgesamt vergleichbar stark treffen, wie dies bei einer Vermögenseinbusse von Fr. 10'000.-- durchschnittlich der Fall wäre.” c) Beim Erfordernis des “grossen Schadens” handelt es sich um ein rein objektives Tatbestandsmerkmal. Ein vergleichbares Tatbestandsmerkmal findet sich in Art. 172 ter Abs. 1 StGB (“Richtet sich die Tat nur auf einen geringen Vermögenswert oder auf einen geringen Schaden, so wird der Täter, auf Antrag, mit Haft oder mit Busse bestraft.”). Vor der Schaffung dieser allgemein privilegierenden Strafnorm im revidierten Vermögensstrafrecht gab es einzelne privilegierte Straftaten, wenn es um eine Sache von “geringem Wert” ging (Art. 138 und 142 aStGB). Nach der ursprünglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung waren bei der Beantwortung der Frage, ob eine Sache von geringem Wert sei, sowohl die objektiven wie die subjektiven Umstände des konkreten Falles zu würdigen (BGE 98 IV 27; 80 IV 242). Diese Rechtsprechung wurde von der Lehre abgelehnt und von verschiedenen kantonalen Gerichten nicht befolgt: Es könne nicht sein, dass eine Sache von einem bestimmten Wert von beispielsweise Fr. 100.-- für einen wohlhabenden Täter geringwertig, für einen mittellosen Täter dagegen nicht von geringem Wert sei. Das Bundesgericht änderte denn auch seine Rechtsprechung in BGE 116 IV 190 ff. wie folgt: Bei Sachen mit einem Marktwert bzw. einem objektiv bestimmbaren Wert ist allein dieser entscheidend. Bei Sachen ohne Marktwert bzw. ohne bestimmbaren Wert ist massgebend, welchen Wert die Sache im konkreten Fall für das Opfer hat; dabei kann auch berücksichtigt werden, welchen Geldbetrag der Täter dem Opfer für die Sache zu zahlen bereit wäre. Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht nach Inkrafttreten des revidierten Vermögensstrafrechts in Bezug auf Art. 172 ter StGB beibehalten: Der unbestimmte Rechtsbegriff des geringen Vermögenswertes sei objektiv, einheitlich und ziffernmässig festzulegen. Solchen Grenzziehungen möge etwas Zufälliges anhaften, zu vermeiden seien sie aber nicht. Sie seien durch Rechtsgleichheit und gleiche Rechtsanwendung geboten. Dieses Vorgehen sei der Rechtsprechung denn auch nicht fremd (z.B. Festlegung der 0,8 Promille-Grenze, Rechtsprechung zum schweren Fall nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a des Betäubungsmittelgesetzes [SR 812.121] oder zu Art. 90 Ziff. 2 des Strassenverkehrsgesetzes [SR 741.01] bei Geschwindigkeitsüberschreitungen). Während in den genannten Beispielen wissenschaftliche Untersuchungen Entscheidhilfen liefern würden, sei im zu beurteilenden Fall der Grenzwert letztlich nach Recht und Billigkeit festzusetzen (BGE 121 IV 261 ff., festgelegt hat das Bundesgericht den Grenzwert in der Folge auf Fr. 300.--; für den Schaden BGE 123 IV 113 ff.). Diese überzeugenden Motive müssen auch für die Beurteilung des grossen Schadens nach Art. 144 Abs. 3 StGB gelten, die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit erfordern eine objektive, einheitliche und ziffernmässig festgelegte Grenzziehung, soweit der Schaden objektiv bestimmbar ist. Im Übrigen gibt der Strafrahmen genügend Spielraum, um der individuellen Opfersituation, soweit sie vom Täter erkannt wurde, Rechnung zu tragen. Bei der Festlegung dieser Grenze und damit der Auslegung des Straftatbestandes ist auch der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (vgl. BGE 116 IV 312). Die Sachbeschädigung ist grundsätzlich mit Gefängnis oder Busse zu bestrafen. Beim Vorliegen eines grossen Schadens erweitert sich der zur Verfügung stehende Strafrahmen fakultativ auf bis zu 5 Jahre Zuchthaus. Im Vergleich zu anderen qualifizierten Straftatbeständen oder der früheren Regelung der qualifizierten Sachbeschädigung (mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe) ändert sich an der minimalen Strafdrohung überhaupt nichts. Deshalb ist es nicht angebracht, die Grenze für den grossen Schaden allzu hoch anzusetzen, und der in der Lehre und kantonalen Praxis zumeist genannte Betrag von Fr. 10'000.-- erscheint als angemessen. Das Verursachen eines solchen Schadens setzt in der Regel einiges an deliktischem Verhalten voraus und dieser Schaden trifft den durchschnittlichen Geschädigten erheblich. Zur Argumentation der Appellanten ist zu bemerken, dass das Bundesgericht den grossen Schaden in BGE 106 IV 25 keineswegs auf Fr. 40'000.-- beziffert hat. Aus den betreffenden Erwägungen geht wohl hervor, dass es in diesem Fall um einen Schaden von Fr. 40'000.-- ging, das Bundesgericht hat sich dazu, mithin zur hier interessierenden Frage, aber überhaupt nicht geäussert. Überdies führte in jenem Zeitpunkt die Verurteilung wegen qualifizierter Sachbeschädigung zwingend zu einer Zuchthausstrafe von mindestens einem Jahr. Das Bundesstrafgericht hat in den (zusammengefassten) Entscheiden vom 2. und 14. Juni 2005 (SK.2004.14 und SK.2004.15) bei einem Schaden von Fr. 46'000.-- einzig auf BGE 106 IV 24 verwiesen und bemerkt, die Praxis betrachte eine Vermögensverminderung von Fr. 40'000.-- als grossen Schaden im Sinne von Art. 144 Abs. 3 StGB. Zur Frage, ab welchem Betrag der Schaden als “gross” zu betrachten ist, ergibt sich aus den von den Appellanten angeführten Entscheiden somit nichts. Sollten neben dem Schaden auch andere Umstände der Tat zu berücksichtigen sein, würde dies vorliegend am Resultat nichts ändern: Bei den Geschädigten handelt es sich um öffentlich-rechtliche Gesellschaften, die nicht gewinnorientiert arbeiten und die Grundversorgung des öffentlichen Verkehrs sicherstellen. Den – damals unbemittelten – Beschuldigten war durchaus bewusst, dass die Sprayereien an Zügen einen deutlich höheren Schaden verursachen (aufwändige Instandstellungsarbeiten), weshalb sie auch als Könige unter den illegalen Sprayern galten. Zudem handelten sie über einen längeren Zeitraum und in vielen Fällen, wie zu zeigen sein wird. Gründe, in den vorliegend zu beurteilenden Fällen die Grenze des “grossen Schadens” aufgrund der übrigen Umstände heraufzusetzen, liegen somit nicht vor. Obergericht Strafkammer, Urteil vom 26. Januar 2006 (STAPA.2004.1) Die gegen diesen Entscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden hat das Bundesgericht am 3. Juli 2006 abgewiesen; BGE 1P.216/2006.)
6,816
5,137
SG_OG_005
SG_OG
SG
Eastern_Switzerland
SG_OG_005_STAPA-2004-1_2006-01-26
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STAPA.2004.1
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nan
f5817911-4a75-4687-8455-1829aa91857d
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2,006
de
SOG 2006 Nr. 13 §§ 105 Abs. 5, 204, 205 StPO. Differenzierung zwischen der Zulässigkeit einer Beschwerde und der unmittelbaren Beschwernis als Voraussetzung für die Beschwerdelegitimation im Zusammenhang mit vom Amtsgerichtspräsidenten abgewiesenen Beweisanträgen. Sachverhalt: Im Verfahren vor dem Amtsgerichtspräsidenten stellte Rechtsanwalt X. diverse Beweisanträge. Der Amtsgerichtspräsident verfügte, die Befragung der von den Parteien beantragten Zeugen sei abgewiesen. Gegen diese Verfügung erhob Rechtsanwalt X. Beschwerde an die Beschwerdekammer und beantragte, die bei der Vorinstanz abgewiesenen Zeugen seien zu bewilligen. Die Beschwerdekammer tritt auf die Beschwerde nicht ein. Aus den Erwägungen: 3. Gemäss § 204 Abs. 1 StPO (Strafprozessordnung, BGS 321.1) kann gegen alle Anordnungen und Entscheide, unter anderem des Amtsgerichtspräsidenten, Beschwerde erhoben werden, “soweit nicht ein anderes Rechtsmittel gegeben ist und das Gesetz die Anfechtung nicht ausschliesst”. Gegenüber der vor dem 1. August 2005 geltenden Fassung von § 204 Abs. 1 StPO wurde die Zulässigkeit der Beschwerde von Entscheiden auf Anordnungen ausgedehnt. Gemäss Botschaft zu § 204 StPO der Reform der Strafverfolgung sollte die Beschwerde in Übereinstimmung mit Art. 461 VE CH-StPO (Vorentwurf zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung) zu einem Rechtsmittel werden, mit dem generell die Verfahrenshandlungen wie auch die Entscheide der aufgeführten Behörden, aber auch deren Säumnis, angefochten werden kann. Unverändert blieb allerdings § 205 StPO, gemäss dem Beschwerde erheben kann, wer durch den angefochtenen Entscheid oder die Säumnis unmittelbar beschwert ist. Aus § 204 Abs. 3 StPO könnte nun geschlossen werden, das Gesetz sehe eine unmittelbare Beschwernis per se vor, wenn im Hauptverfahren der Gerichtspräsident einen Beweisantrag abweist. Diese auf § 204 StPO beschränkte Betrachtungsweise würde allerdings zu kurz greifen. Gemäss § 105 Abs. 5 StPO entscheidet der Gerichtspräsident über die Beweisanträge und abgelehnte Anträge können in der Hauptverhandlung wiederholt werden. Diese Regelung kann dann Sinn machen, wenn erste oder überhaupt die Befragungen an der Hauptverhandlung zeigen, dass sich die beantragten Beweise als nötig oder eben als unnötig erweisen. Die Beweisanträge können unter diesen veränderten bzw. geklärten Voraussetzungen dem Gerichtspräsidenten neu unterbreitet werden. Dieser Betrachtungsweise kann entgegengehalten werden, dass dem betroffenen Antragsteller das Beschwerderecht dann nicht mehr zur Verfügung steht (§ 204 Abs. 3 lit. b StPO) und er an die zweite Instanz verwiesen wird. Betrachtet man die Sache aber anders, stellt sich heraus, dass § 105 Abs. 5 StPO zum toten Buchstaben würde, wenn durch die Abweisung eines Beweisantrages eine unmittelbare Beschwernis angenommen würde, die zur Beschwerdeerhebung legitimiert: Der Gerichtspräsident wäre durch den Entscheid der Beschwerdeinstanz gebunden und nicht mehr in der Lage, im Sinne von § 105 Abs. 5 StPO zu agieren, was vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt war und auch einen Nachteil für die Prozessbeteiligten darzustellen vermag. Eine unmittelbare Beschwernis wurde unter den altrechtlichen Bestimmungen der Strafprozessordnung bei der Abweisung eines Beweisantrages nur dann angenommen, wenn die Natur der beantragten Beweise deren unverzügliche Abnahme erfordert, weil eine spätere Beweisabnahme ausgeschlossen wäre oder ein bedeutend weniger aussagekräftiges resp. falsches Bild ergeben würde. Wenn dies der Fall sei, würde der Beschwerdeführer auf Grund der Ablehnung seiner Beweisanträge irreversibel benachteiligt. Es wurde geprüft, ob der angefochtene Ablehnungsentscheid materielles Recht in unheilbarer oder schwer heilbarer Weise zu beeinträchtigen drohe (Strafkammer in STBES.2004.59 und STBES.2004.13 mit Hinweis auf Andreas Donatsch/Niklaus Schmid: Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1996, § 402 N 22). Die angeführten Entscheide betrafen zwar Verfügungen des Untersuchungsrichters. Mit Blick auf § 105 Abs. 5 StPO besteht aber keine Veranlassung für eine andere Betrachtungsweise, wenn der Entscheid vom Gerichtspräsidenten im Hauptverfahren gefällt wird. Der Entscheid über die Abnahme von Beweisen stellt einen prozessleitenden Entscheid dar, welcher das Verfahren nicht abschliesst. Diese Entscheide sind abänderbar, das heisst, die Amtsstelle kann, solange sie mit der Sache befasst ist, die Anordnung zurücknehmen oder abändern. Daraus ergibt sich auch die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, Wiedererwägungsgesuche zu stellen (Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann: Schweizerisches Strafprozessrecht, Basel 2005, § 45 N 18 und 21). Die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels der Beschwerde (a.a.O., § 100 N 5 ff.) unterscheidet sich von jener der Legitimation gemäss § 205 StPO, welche die unmittelbare Beschwernis betrifft. Diese wurde vom Beschwerdeführer nicht dargelegt und ist – aus den dargelegten Gründen – auch nicht zu erkennen. Geht man davon aus, dass es zusätzliche Kosten verursachen kann, wenn man den Entscheid über einen Beweisantrag auf die Hauptverhandlung hinausschiebt, ist darin immer noch keine unmittelbare Beschwernis für den – im vorliegenden Falle – Beschuldigten zu erkennen, weil dann noch offensteht, ob es zu einem Schuld- oder zu einem Freispruch mit den entsprechenden Kostenfolgen kommt. Überdies erscheint diese Betrachtungsweise gerade im vorliegenden Fall nicht angebracht, weil damit zu rechnen ist, dass die beantragten Zeugeneinvernahmen erhebliche Kosten verursachen werden. Umso mehr erscheint das in § 105 Abs. 5 StPO vorgesehene Vorgehen sinnvoll. Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten nicht einzutreten. Obergericht Beschwerdekammer, Beschluss vom 12. Mai 2006 (BKBES.2006.37)
1,170
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SG_OG_002
SG_OG
SG
Eastern_Switzerland
SG_OG_002_BKBES-2006-37_2006-05-12
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BKBES.2006.37
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nan
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1,517,184,000,000
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de
Obergericht Zivilkammer Beschluss vom 29. Januar 2018 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , Beschwerdeführerin gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwältin Marie-Christine Müller Leu, Beschwerdegegner betreffend Kostenvorschuss hat die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung, dass: die Parteien vor dem Richteramt Olten-Gösgen ein Eheschutzverfahren führen, die Amtsgerichtspräsidentin mit Verfügung vom 20. Dezember 2017 von Amtes wegen einen Bericht über die Regelung der Obhut über die drei Kinder und die Betreuungsanteile der Eltern in Auftrag gab (Ziffer 11), die Ehefrau vorläufig von der Kostenvorschusspflicht befreite (Ziffer 27) und dem Ehemann Frist zur Bezahlung eines Kostenvorschusses von CHF 3'000.00 bis 31. Januar 2018 setzte, ansonsten das Verfahren als erledigt abgeschrieben werde, A._ (im Folgenden die Beschwerdeführerin) dagegen am 19. Januar 2018 form- und fristgerecht Beschwerde ans Obergericht erhob und verlangte, die Ziffer 28 sei in Bezug auf die Androhung der Abschreibung des Verfahrens für den Fall der Nichtbezahlung des Kostenvorschusses durch den Ehemann aufzuheben, u.K.u.E.F., sich die Beschwerde alleine gegen die Androhung der Abschreibung des Verfahrens richtet, da die Beschwerdeführerin befürchtet, der Ehemann könne das Einholen eines Gutachtens durch Nichtbezahlen des Kostenvorschusses und damit eine mögliche Abänderung der Obhutszuteilung im Voraus vereiteln, die angefochtene Androhung indessen nicht umsetzbar ist, nachdem die Einholung des Zuteilungsberichtes nach Ziffer 11 der Verfügung von Amtes wegen erfolgt ist, der Bericht mit anderen Worten auch eingeholt wird, wenn der Ehemann den einverlangten Kostenvorschuss nicht bezahlt, im Übrigen grundsätzlich auch die Beschwerdeführerin die Kosten für das auch von ihr beantragte Gutachten vorschiessen müsste (Erwägung Ziffer 7 der angefochtenen Verfügung), sie aber wie erwähnt vorläufig von der Kostenvorschusspflicht befreit wurde, in Kinderbelangen überdies die Offizialmaxime gilt (Art. 296 Abs. 3 ZPO), was in der vorliegenden Konstellation einem Nichteintretensentscheid ebenfalls entgegensteht, die angedrohte Säumnisfolge demnach wirkungslos ist, womit es an einem tauglichen Anfechtungsobjekt und damit auch am Rechtsschutzinteresse an einer Anfechtung fehlt, die Beschwerde im Sinne von Art. 322 ZPO offensichtlich unzulässig ist, weshalb darauf sogleich ohne Stellungnahme der Gegenpartei nicht eingetreten werden kann, bei dieser Sachlage auf eine Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten ist, beschlossen : 1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 2. Es werden keine Kosten erhoben. Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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SG_OG_003
SG_OG
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SG_OG_003_ZKBES-2018-7_2018-01-29
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de
Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 5. April 2018 Es wirken mit: Vizepräsident Müller Oberrichter Frey Oberrichter Flückiger Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt Mathias Ammann, Beschwerdeführer gegen 1. Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Beschwerdegegnerin 2. B._ , 3. C._ , Beschuldigte betreffend Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1.1 A._ lebt getrennt von seiner Ehefrau D._. Beim Richteramt [...] ist ein Eheschutzverfahren hängig. Im Rahmen dieses Verfahrens forderte das Richteramt [...] die [...] auf, einen Bericht über den Aufbau und die Ausgestaltung des Kontaktrechts zwischen dem Vater und den beiden Kindern E._, geb. [...], und F._, geb. [...], auszuarbeiten. Die [...] führte in diesem Zusammenhang u.a. auch ein Gespräch mit den Grosseltern mütterlicherseits, B._ und C._, welche dieses anschliessend in einem schriftlichen Bericht festhielten und der Abklärungsperson zukommen liessen (Stellungnahme vom 17. September 2017). Am 21. Dezember 2017 liess A._ gegen B._ und C._ Strafanzeige wegen Ehrverletzung stellen. Er warf ihnen vor, ihn im erwähnten Schreiben gegenüber der [...] bzw. im Endeffekt gegenüber dem Richteramt [...] zu Unrecht als illiquid und unzuverlässig bezeichnet zu haben. Im Weiteren hätten sie ausgeführt, es handle sich bei ihm um einen Hochstapler und einen Narzissten und er verfüge über eine gestörte Empathie. Diese Stellungnahme diene einzig dazu, ihn bei der zuständigen Behörde in ein schlechtes Licht zu rücken. Er sei befremdet von der Tonalität dieses Schreibens. 1.2 Mit Verfügung vom 4. Januar 2018 nahm die Staatsanwaltschaft die Strafanzeige mit der Begründung nicht an die Hand, es sei zwar nicht von der Hand zu weisen, dass gewisse Aussagen der beiden Beschuldigten allenfalls nicht in die Stellungnahme gehört hätten. Dessen ungeachtet sei jedoch nach objektiven Kriterien der Sinn der einzelnen Äusserungen zu ermitteln und auf den Gesamtzusammenhang des Textes abzustellen. Daraus erhelle, dass es den Grosseltern in ihrer Stellungnahme einzig um das Wohl ihrer beiden Enkelinnen gegangen sei und sie möglichst detailliert über die familiäre Situation und ihre diesbezüglichen Wahrnehmungen und Ansichten hätten berichten wollen. In subjektiver Hinsicht könne ihnen jedenfalls nicht angelastet werden, den Privatkläger mit Vorsatz in seiner Ehre angegriffen zu haben. Es bestehe kein Zweifel daran, dass das urteilende Gericht die Stellungnahme als Bemühung um das Wohl der beiden Kinder auffassen und keinen vorsätzlichen Angriff auf die Ehre des Privatklägers erkennen werde. 2. Gegen diese Verfügung liess A._ am 17. Januar 2018 Beschwerde erheben mit den Anträgen auf deren Aufhebung sowie auf Anweisung der Staatsanwaltschaft, gegen die Beschuldigten ein Strafverfahren wegen Ehrverletzungen zu eröffnen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe ihre Verfügung nur pauschal und oberflächlich begründet. Dabei habe sie sich teilweise einer anderen Terminologie bedient als die Beschuldigten und deren Aussagen verharmlost. Der Beschwerdeführer werde von den Beschuldigten in jeder Hinsicht als unzuverlässig bezeichnet. Weiter werde ihm vorgehalten, die Kinder zum Verbleib in seiner Wohnung gezwungen zu haben. Dies sei eine Verleumdung. Es sei den Beschuldigten offensichtlich ein Anliegen gewesen, dass ihre ehrverletzenden Äusserungen Eingang in den Bericht der [...] fänden. Der Begriff «Hochstapler» sei ohne weiteres negativ behaftet. Der Beschwerdeführer werde damit ein weiteres Mal als Lügner und damit als nicht integrer Mensch dargestellt. Ehrverletzend seien auch die Vorhalte einer gestörten Empathie und des Narzissmus. Insbesondere B._ als [...] und [...] wisse genau, was für Ausdrücke er in seiner Stellungnahme für die Beschreibung des Beschuldigten benutzt habe. Er habe diese aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung mit Wissen und Willen, und damit vorsätzlich, in diffamierender Absicht gebraucht. Es könne nicht von einer definitiven Aussichtslosigkeit des Strafantrags / -anzeige ausgegangen werden. Es handle sich um mehrere Aussagen, welche für sich allein, aber insbesondere im Gesamtzusammenhang und im Hinblick auf den Zweck des Textes, ehrverletzend seien. 3. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 1. Februar 2018 die Abweisung der Beschwerde. Auf eine Vernehmlassung wurde mit Verweis auf die angefochtene Verfügung verzichtet. 4. B._ und C._ führten am 12. Februar 2018 aus, sie hielten an ihren Aussagen im internen Arbeitspapier fest und seien mit der Begründung der Nichtanhandnahmeverfügung einverstanden. Es werde zutreffend beschrieben, was sie mit ihrer Stellungnahme gemeint hätten. Sie bedauerten, dass ihre Darstellung für A._ verletzend gewirkt und zu dieser Anklage geführt habe. Genau dies hätten sie nicht erreichen wollen. Als Befragte hätten sie sich aber in der Pflicht gesehen, möglichst präzis ihre Sicht festzuhalten, denn nur so könnten für Aussenstehende klare Grundlagen für ein möglichst gerechtes Urteil zum Wohle der Kinder geschaffen werden. II. 1. Nach Art. 310 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a), Verfahrenshindernisse bestehen (lit. b) oder aus den in Art. 8 genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c). Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Bestimmungen über die Verfahrenseinstellung (Abs. 2). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil 1C_633/2013 vom 23. April 2014 mit Hinweisen) richtet sich der Entscheid über die Anhandnahme oder Einstellung eines Strafverfahrens nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore». Dieser fliesst aus dem Legalitätsprinzip. Er bedeutet, dass eine Einstellung – oder Nichtanhandnahme – durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden darf. Hingegen ist (sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt) Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Falls sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruches oder einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, ebenfalls eine Anklageerhebung auf. 2. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, wer eine solche Beschuldigung oder Verdächtigung weiterverbreitet, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bestraft (üble Nachrede, Art. 173 Ziff. 1 des Strafgesetzbuches, StGB, SR 311.0). Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, wer eine solche Beschuldigung oder Verdächtigung wider besseres Wissen verbreitet, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Verleumdung, Art. 174 Ziff. 1 StGB). Der objektive Tatbestand der Verleumdung ist durch das Wissen um die Unwahrheit der behaupteten Tatsache qualifizierte üble Nachrede (Trechsel/Lieber in: Trechsel/Pieth, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Auflage 2018, Art. 174 N 1). Das Bundesgericht versteht unter Ehre den Ruf, ein ehrbarer Mensch zu sein, d.h. sich so zu benehmen, wie nach allgemeiner Anschauung ein charakterlich anständiger Mensch sich zu verhalten pflegt. Die Ehre wird verletzt durch jede Äusserung, welche jemanden allgemein eines Mangels an Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit oder sonst einer Eigenschaft bezichtigt, die geeignet wäre, ihn als Mensch verächtlich zu machen oder seinen Charakter in ein ungünstiges Licht zu rücken. Der Angriff muss von einiger Erheblichkeit sein: verhältnismässig unbedeutende Übertreibungen bleiben straflos. Das Bundesgericht beschränkt den Ehrenschutz auf ethische Integrität: Äusserungen, die sich lediglich eignen, jemanden in anderer Hinsicht, z.B. als Geschäfts- oder Berufsmann, als Politiker oder Künstler in der gesellschaftlichen Geltung herabzusetzen, gelten nicht als ehrverletzend, vorausgesetzt, dass die Kritik an den strafrechtlich nicht geschützten Seiten des Ansehens nicht zugleich seine Geltung als ehrbarer Mensch trifft. Ehrverletzend ist neben den Formalinjurien, Schimpfwörtern, die unzweifelhaft als Angriff auf die Ehre verwendet und verstanden werden, grundsätzlich der Vorwurf strafbaren Verhaltens (Trechsel/Lieber, a.a.O., vor Art. 173 N 1 ff.). Massgebend für den Richter sind nicht die Wertmassstäbe des Verletzers oder des Betroffenen, sondern derjenigen, die von der Eingriffshandlung Kenntnis erhalten, d.h. in der Regel eine Durchschnittsmoral bzw. eine Durchschnittsauffassung über die Bedeutung der zur Diskussion stehenden Ausdrucksweisen. Es spielt auch eine Rolle, ob ein Angriff quantitativ eine gewisse Erheblichkeit aufweist; unbedeutende Übertreibungen sind unerheblich und bleiben straflos (Franz Riklin in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Auflage 2013, vor Art. 173 StGB, N 28 ff.). Handelt es sich um einen Text, so ist er nicht allein anhand der verwendeten Ausdrücke – je für sich allein genommen – zu würdigen, sondern auch nach dem Sinn, der sich aus ihm als Ganzes ergibt (Urteil 6B_15/2011 vom 22. Februar 2011). Die üble Nachrede setzt stets Vorsatz voraus. Dieser muss sich auf die ehrverletzende Mitteilung und deren Kenntnisnahme beziehen, aber nicht auf die Unwahrheit der Äusserung. Auch eine besondere Beleidigungsabsicht («animus inurandi») ist nicht gefordert. Der Täter muss alle objektiven Tatbestandsmerkmale mit Wissen und Willen erfüllen. Eventualvorsatz genügt. Der Vorsatz braucht sich nicht auf die tatsächliche Schädigung des Rufs zu beziehen; der Täter muss sich nur der Ehrenrührigkeit seiner Behauptung bewusst sein und sie trotzdem erhoben haben. Der «animus inurandi» ist kein Element des subjektiven Tatbestandes von Art. 173; er erlangt lediglich im Zusammenhang mit der Zulassung zu den Entlastungsbeweisen Bedeutung. Falls eine Aussage unwahr ist, gehört zum Vorsatz nicht das Bewusstsein ihrer Unwahrheit (Franz Riklin in: BSK StGB II., a.a.O., Art. 173 N 9 f.; Trechsel/Lieber, a.a.O., Art. 173 N 11). Bei der Verleumdung muss sich der Vorsatz auch auf die Gewissheit über die Unwahrheit der Behauptung beziehen (Trechsel/Lieber, a.a.O., Art. 174 N 1). 3. Die [...] wurde vom Richteramt [...] damit beauftragt, einen Bericht über den Aufbau und die Ausgestaltung des Kontaktrechts zwischen den beiden Kindern und dem Vater auszuarbeiten. Da die beiden Mädchen einen engen Bezug zu den Grosseltern mütterlicherseits haben und der Beschwerdeführer in einem Erstgespräch grundsätzlich wohlwollend über die Grosseltern gesprochen hatte, erwog die abklärende Person offensichtlich die Möglichkeit, eine erste Aufnahme des Kinder-Vater-Kontakts unter Mithilfe und Zuzug der Grosseltern zu prüfen (vgl. Bericht S. 12). Diese Möglichkeit lehnten die Grosseltern während des Telefonats, die die abklärende Person mit ihnen geführt hatte, ab und hielten das Gespräch anschliessend im fraglichen Bericht vom 17. September 2017 schriftlich fest. In diesem Bericht thematisieren sie die Verlässlichkeit des Beschwerdeführers und dessen Beziehung zu seinen Kindern. Im Weiteren schildern sie unter den Begriffen «Hochstaplerei» und «Narzissmus» dessen Geschäftsverhalten und die Herstellung eines Kontaktes zwischen ihm und seinen Kindern. Dass der Beschwerdeführer die Ausdrucksweise der Beschuldigten in diesem Schreiben als beleidigend und ehrverletzend empfindet, ist nachvollziehbar und es ist begreiflich, dass er sich vom Ton dieses Berichts befremdet zeigt. So ist es in der Tat wenig verständlich, dass die Beschuldigten den fraglichen Bericht, in dem es darum gegangen war, sich zu einer Kontaktaufnahme zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Kindern zu äussern und dazu Stellung zu nehmen, ob sie allenfalls für die Anbahnung eines Kontaktes zwischen ihm und den Kindern zur Verfügung stehen könnten, in diesem Ton abgefasst haben, insbesondere was die Ausdrücke «Hochstaplerei» und «Narzissmus» anbelangt. Andererseits geht es ihnen in diesem Bericht offensichtlich um das Wohl ihrer Enkelinnen und sie sahen sich aufgrund der Anfrage der [...] veranlasst, die familiäre Situation aus ihrer Sicht zu schildern. Dass es dabei zu negativen Äusserungen gegenüber dem Beschwerdeführer kam, liegt in der Natur der Sache, nachdem sie offenbar der Auffassung waren, eine Kontaktaufnahme zwischen ihm und seinen Kindern sei im Moment für die Mädchen kontraproduktiv. Auch wenn diese Schilderungen vom Beschwerdeführer als ehrverletzend empfunden wurden (und sie dies, insbesondere die Ausdrücke «Hochstaplerei» und «Narzissmus», auch sein können), geht aus dem Schreiben als Ganzes klar die Sorge um ihre Enkelinnen hervor und nicht die Absicht, den Beschwerdeführer als unehrenhaften Menschen oder gar als Straftäter zu diskreditieren. Die Beschuldigten erlebten den Beschwerdeführer, insbesondere aufgrund seiner starken beruflichen Beanspruchung, offensichtlich als nicht immer verlässlichen Vater für seine Kinder, sie empfanden die Beziehung zwischen ihm und den Töchtern als oberflächlich und sie sind der Auffassung, seit der Trennung komme er nicht sämtlichen finanziellen Verpflichtungen ihnen resp. ihrer Tochter gegenüber nach. Diese Auffassung wollten sie der abklärenden Person gegenüber kundtun und auch entsprechend begründen, was sie nicht auf – in strafrechtlicher Hinsicht – ehrverletzende Weise getan haben, auch wenn der Beschwerdeführer dies so empfindet. Nicht den Vorwurf einer strafbaren Handlung erheben sie ihm gegenüber auch durch den Hinweis darauf, er habe die Kinder gezwungen bei ihm in der Wohnung zu bleiben. Sie erwähnen dies nur als Beispiel dafür, weshalb die Kinder ihrer Auffassung nach Angst hätten, dem Vater gegenüberzustehen. Ein Delikt steht in diesem Zusammenhang nicht zur Diskussion. Ebenso wenig steht beim Ausdruck «Hochstaplerei» ein Delikt zur Diskussion. Wie erwähnt, ist dieser Ausdruck zwar im Ton vergriffen, aus dem Kontext ist aber auch hier ersichtlich, dass es den Beschuldigten nur darum gegangen war, aufzuzeigen, dass sich ihr Bild des Beschwerdeführers als eine grosszügige und spendable Person in letzter Zeit geändert hatte. Dieser Hinweis steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Thematik des Berichts, nämlich dem Kontaktaufbau der Töchter zu ihrem Vater, für die Beschuldigten hat aber die finanzielle Situation der Familie einen Einfluss auf die Beziehung zwischen ihm und seinen Kindern, erwähnen sie doch, die beiden Mädchen hätten in dieser Umbruchzeit vermehrt existentielle Bedrohungen erfahren. Unnötig verletzend war schliesslich auch der Begriff des «Narzissmus», indessen geht auch hier aus dem Kontext des Abschnitts hervor, dass sich die Beschuldigten in erster Linie darum sorgen, die Kinder könnten gegen deren Willen zu einem Kontakt mit ihrem Vater gezwungen werden. Zusammenfassend ist somit aufgrund des Gesamtzusammenhang des Textes festzuhalten, dass es den Beschuldigten kaum darum gegangen war, den Beschwerdeführer in seiner Ehre zu verletzen. Sie waren in Sorge um das Befinden ihrer Enkelinnen und wollten der [...] ihre Sicht der familiären Situation darlegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre in diesem Kontext getätigten Äusserungen in einer zu eröffnenden Strafuntersuchung als ehrverletzend qualifiziert resp. sie wegen übler Nachrede oder Verleumdung schuldig gesprochen würden, erscheint deshalb nicht höher als ein Freispruch. Angesichts der geringen Schwere des Vorhalts drängt sich deshalb keine Strafuntersuchung gegen die Beschuldigten auf. Die Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft ist nicht zu beanstanden und die Beschwerde entsprechend abzuweisen. Ergänzend anzufügen ist, dass das Gericht, an welches der Bericht mit der fraglichen Stellungnahme der Beschuldigten gesandt wurde, in der Lage sein wird, diesen auch entsprechend zu würdigen, nämlich als Stellungnahme der Eltern einer der Parteien. 4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 gehen bei diesem Ausgang des Verfahrens zu Lasten des Beschwerdeführers und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen. Die Beschuldigten haben keine Entschädigung geltend gemacht. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 zu bezahlen. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Der Vizepräsident Die Gerichtsschreiberin Müller Ramseier Das Bundesgericht ist mit Urteil vom 4. Juni 2018 auf die dagegen erhobene Beschwerde nicht eingetreten (BGer 6B_502/2018).
3,768
2,952
SG_OG_002
SG_OG
SG
Eastern_Switzerland
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BKBES.2018.10
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Obergericht Strafkammer Urteil vom 4. März 2020 Es wirken mit: Präsident Marti Oberrichter von Felten Oberrichter Kiefer Gerichtsschreiberin Lupi De Bruycker In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anschlussberufungsklägerin gegen A._ , DE- [Ort 1], vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, Beschuldigter und Berufungskläger betreffend qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln, Führen eines Motorfahrzeuges ohne erforderlichen Führerausweis Es erscheinen zur Hauptverhandlung vor Obergericht vom 4. März 2020 um 8:30 Uhr: 1. Staatsanwalt B._, für die Staatsanwaltschaft als Anschlussberufungsklägerin; 2. A._, Beschuldigter und Berufungskläger; 3. Rechtsanwalt Konrad Jeker, privater Verteidiger des Beschuldigten. Der Vorsitzende eröffnet die Verhandlung, stellt die Anwesenden fest und gibt die Besetzung des Berufungsgerichts bekannt. Er fasst in der Folge das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 15. November 2018 zusammen, gegen welches der Beschuldigte die Berufung und die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung ergriff. Er legt dar, in welchen Punkten das erstinstanzliche Urteil von den Parteien angefochten wird und teilt mit, welche Abänderungen im Berufungsverfahren verlangt werden (vgl. hierzu ausführlich nachfolgende Ziff. I.15. und 16.). Er skizziert den vorgesehenen weiteren Verhandlungsablauf wie folgt: 1. Vorbemerkungen und Vorfragen der Parteivertreter; 2. Einvernahme des Beschuldigten; 3. etwaige weitere Beweisanträge und Abschluss des Beweisverfahrens; 4. Parteivorträge; 5. letztes Wort des Beschuldigten; 6. geheime Urteilsberatung; 7. Urteilseröffnung, vorgesehen um 16:30 Uhr. Der Vorsitzende richtet sich mit den folgenden einleitenden Bemerkungen an die Parteien: - Er eröffnet den Parteien, dass sich das Berufungsgericht im Sinne von Art. 344 StPO vorbehalte, den Sachverhalt gemäss Ziff. 2 der Anklageschrift vom 31. Oktober 2017 (Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis) rechtlich abweichend als Führen eines Motorfahrzeuges trotz Führerausweisentzugs zu würdigen. - Des Weiteren weist der Vorsitzende darauf hin, dass die vom Kraftfahrt-Bundesamt [Ort 3] (D) via Bundesamt für Justiz zugestellten Unterlagen über die Eintragungen des Beschuldigten im deutschen Fahreignungsregister (FAER) unmittelbar nach deren Eingang am 2. März 2020 an die Parteien weitergeleitet worden seien. Erst nach dem Versand dieser Unterlagen sei festgestellt worden, dass das Kraftfahrt-Bundesamt versehentlich zwei Eintragungen eines französischen Staatsbürgers mitgeteilt habe, die für das vorliegende Verfahren selbstverständlich unbeachtlich seien. Zudem sei aufgefallen, dass das Kraftfahrt-Bundesamt der Vorinstanz diverse weitere Eintragungen im FAER gemeldet habe. Das Berufungsgericht sehe vor, sich auf die aktuell vom Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilten Eintragungen sowie auf die vom Bundesamt für Justiz (D) eingeholte Auskunft aus dem Zentralregister zu beschränken. Die Parteivertreter könnten sich zu beiden Aspekten äussern. Staatsanwalt B._ wirft keine Vorfragen auf und hat keine Vorbemerkungen. Rechtsanwalt Konrad Jeker reicht in Kopie Steuerunterlagen des Beschuldigten ein. Die Steuerbescheide betreffend Einkommenssteuer für die Jahre 2016 und 2017 seien zwar noch nicht rechtskräftig, strittig seien aber nur noch Details. Ebenso reicht er eine (nicht amtliche) Zusammenstellung über das Vermögen des Beschuldigten (erworbene Wohnung in [Ort 1] und privates Vermögen) ein. Beide Dokumente werden zu den Akten genommen. Des Weiteren gibt Rechtsanwalt Konrad Jeker bekannt, dass er für seinen Mandanten die Einstellung des Strafverfahrens beantragen werde, da eine rechtskräftig abgeurteilte Strafsache vorliege und der Grundsatz «ne bis in idem» greife. Er schlage vor, dass er diesen Antrag nicht vorab, sondern nach dem Beweisverfahren im Rahmen des Parteivortrages ausführlich begründen werde. Staatsanwalt B._ erklärt sich mit diesem Vorgehen ausdrücklich einverstanden. Nachdem der Beschuldigte auf sein Recht, die Aussage und Mitwirkung verweigern zu dürfen, hingewiesen worden ist, wird er vom Gericht zur Sache und Person befragt (vgl. Audio-Dokument und separates Einvernahmeprotokoll vom 4.3.2020). Da keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, schliesst der Vorsitzende das Beweisverfahren. Staatsanwalt B._ stellt und begründet für die Anschlussberufungsklägerin folgende Anträge (vgl. auch Audio-Dokument vom 4.3.2020): « 1. Der Beschuldigte A._ sei gemäss Anklage zu verurteilen wegen qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG gemäss Ziff. 1 der Anklage sowie wegen Führens eines Personenwagens trotz Entzugs des Führerausweises nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG gemäss Ziff. 2 der Anklage. 2. Der Beschuldigte A._ sei zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu bestrafen, davon 9 Monate bedingt bei einer Probezeit von 4 Jahren. 3. Die Kosten des Verfahrens seien dem Beschuldigten aufzuerlegen. Rechtsanwalt Konrad Jeker stellt und begründet im Namen und Auftrag des Beschuldigten und Berufungsklägers folgende Anträge (vgl. auch Audio-Dokument vom 4.3.2020): « 1. Das Strafverfahren gegen A._ sei einzustellen; eventualiter sei A._ von den Vorwürfen gemäss Anklageschrift vom 31. Oktober 2017 freizusprechen. 2. Der Beschlagnahmebefehl vom 2. Juli 2015 sowie allfällige weitere Zwangsmassnahmen seien aufzuheben. 3. Die Auslagen für das Privatgutachten seien A._ zu ersetzen. 4. Die Kosten des Verfahrens seien dem Kanton Solothurn aufzuerlegen. 5. A._ seien die Aufwendungen der Verteidigung gemäss Kostennote für beide Instanzen zu ersetzen.» In der Folge halten Staatsanwalt B._ und Rechtsanwalt Konrad Jeker je einen zweiten Parteivortrag. Der Beschuldigte verzichtet auf das letzte Wort . Zum Schluss erklärt der Vorsitzende die unterschiedlichen Modalitäten der schriftlichen und mündlichen Urteilseröffnung. Der Beschuldigten spricht sich für eine schriftliche Urteilseröffnung aus. Staatsanwalt B._ erklärt hierauf, er schliesse sich dem Wunsch des Beschuldigten an. Der Vorsitzende erklärt, dass das Urteil des Berufungsgerichts schriftlich eröffnet und die Gerichtsschreiberin im Anschluss an die Urteilsberatung den Parteivertretern die wesentlichen Urteilspunkte telefonisch bekanntgeben werde. Um 10:40 Uhr erklärt der Vorsitzende die Hauptverhandlung für geschlossen und das Gericht zieht sich zur geheimen Urteilsberatung zurück. Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung : I. Prozessgeschichte 1. Am 8. April 2014 reichte die Polizei Kanton Solothurn eine Strafanzeige gegen den Lenker des PW Porsche mit dem deutschen Kontrollschild [...] wegen Überschreiten der signalisierten Höchstgeschwindigkeit ein. Auf der Autobahn A1 (Gemeindegebiet Oberbuchsiten, Fahrtrichtung Bern) wurde am 3. April 2014, 23:40 Uhr, bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 120 km/h nach Abzug einer Sicherheitsmarge von 7 km/h eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 110 km/h festgestellt (AS 1 ff.). 2. Die Polizei Kanton Solothurn gelangte am 7. Mai 2014 schriftlich an die Halterin des gemessenen PWs, die Firma C._ GmbH, D-[Ort 5], zwecks Bezeichnung des verantwortlichen Fahrzeuglenkers (AS 12; 23). Geschäftsführer dieser Gesellschaft ist der Beschuldigte (AS 220). Auf der Webseite www.[...] (besucht am 11.2.2020) ist der Beschuldigte als «Geschäftsführer» aufgeführt bzw. wird er als «managing director» zitiert. Mit Datum vom 26. Mai 2014 wurde das Formular mit den Personalien des verantwortlichen Lenkers ausgefüllt an die Polizei Kanton Solothurn gefaxt. Gemäss diesem Formular handelte es sich beim verantwortlichen Lenker um D._, türkischer Staatsangehöriger, wohnhaft in DE-[Ort 2] (AS 11). 3. Die Polizei Kanton Solothurn stellte in der Folge am 25. Juni 2014 an die Deutschen Behörden das Gesuch um Befragung des Fahrzeuglenkers D._ (AS 8). Nachdem ihr mitgeteilt worden war, dass dieser an seiner Wohnadresse in DE-[Ort 2] nicht habe aufgefunden werden können und ein Vergleich des Tatfotos mit den Bildern von D._ aus dem Ausländerzentralregister (AS 6) keine eindeutige Identifizierung zulasse (vgl. AS 4 und 5), stellte die Polizei Kanton Solothurn am 24. September 2014 ein weiteres Gesuch an die deutschen Behörden (AS 15). 4. Die Erkenntnisse der polizeilichen Abklärungen teilte die Oberstaatsanwaltschaft DE-[Ort 2] der Polizei des Kantons Solothurn am 22. Oktober 2014 wie folgt mit (AS 13): D._ sei an seiner Wohnanschrift persönlich aufgesucht worden. Nach Meinung des Sachbearbeiters scheide dieser jedoch als Fahrer aus. Herr D._ habe nach Vorlage des Beweisfotos selbst angegeben, nicht der Fahrer gewesen zu sein. Bei seiner weiteren Befragung habe er erklärt, nur Angestellter der Firma C._ GmbH zu sein (AS 14). 5. Am 19. Juni 2015 eröffnete die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten eine Strafuntersuchung wegen Widerhandlung gegen das SVG gemäss Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG (AS 231). 6.1 Am 2. Juli 2015 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn ein Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft [Ort 1] mit den Anträgen, die Geschäftsräumlichkeiten der C._ GmbH sowie die Wohnräumlichkeiten des Beschuldigten zu durchsuchen, den Beschuldigten zu befragen sowie von diesem Lichtbilder zu erstellen (AS 283 ff.). 6.2 Die Durchsuchung der Halterfirma erfolgte am 13. Oktober 2015 (vgl. AS 25 ff., sichergestellte Dokumente: AS 157 ff.). Auf eine Durchsuchung der Privatwohnung des Beschuldigten wurde verzichtet (AS 26). 6.3 Am 20. Oktober 2015 teilte der mit der Interessenwahrung des Beschuldigten beauftragte Rechtsanwalt E._ der Polizeiinspektion [Ort 1] mit, dass sein Mandant derzeit keine Angaben zur Sache machen werde (AS 27). In der Folge meldete sich der Beschuldigte bei der Polizei für einen Termin zur Fertigung der Lichtbilder. Die Aufnahmen konnten in der Folge am 27. Oktober 2015 erstellt werden (AS 135 - 138). Wie dies sein Rechtsanwalt E._ bereits im Vorfeld angekündigt hatte, machte er bei diesem Termin von seinem Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter Gebrauch (AS 27). 7. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2016 stellte die Staatsanwaltschaft [Ort 1] I das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mangels Tatnachweis ein (T-G 98 f.). 8. Die Anklageschrift datiert vom 31. Oktober 2017 (T-G 2 f.). 9. Der Beschuldigte wurde auf den 5. März 2018 zur Hauptverhandlung vor den Gerichtspräsidenten von Thal-Gäu vorgeladen, zu welcher er unentschuldigt nicht erschien (T-G 4; 41). Der Beschuldigte wurde in der Folge zur Festnahme ausgeschrieben (T-G 45). 10. Am 24. Mai 2018 stellte der Beschuldigte ein Ausstandsgesuch gegen den fallführenden Staatsanwalt (T-G 149 ff.). Mit Verfügung vom 30. Mai 2018 verfügte der Gerichtspräsident, dass die auf den 4. Juni 2018 vorgesehene Hauptverhandlung trotz dieses Gesuches durchgeführt und gegebenenfalls – bei Gutheissung des Gesuches – wiederholt würde (T-G 154). 11. Die zweite Hauptverhandlung vor dem Gerichtspräsidenten wurde auf den 4. Juni 2018 festgelegt (T-G 49). Der Beschuldigte wurde gehörig vorgeladen (vgl. Kopie Vorladung und unterzeichnete Empfangsbescheinigung im Dossier unter «Ballast», nicht paginiert), erschien aber wiederum unentschuldigt nicht (T-G 122). 12. Das Ausstandsgesuch gegen den Staatsanwalt wurde mit Beschluss der Beschwerdekammer vom 13. Juni 2018 abgewiesen (T-G 156 ff.). Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde an das Bundesgericht wurde am 18. Oktober 2018 ebenfalls abgewiesen (T-G 190 ff.). 13. Nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens betreffend Ausstand fällte der Gerichtspräsident am 15. November 2018 folgendes Urteil: « 1. A._ hat sich schuldig gemacht: - der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn um 110 km/h (Art. 90 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG); - des Führens eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG); beides begangen am 3. April 2014 in Oberbuchsiten. 2. A._ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, davon 8 Monate bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 4 Jahren. 3. Die Gerichtskosten mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 2'000.00, hat A._ zu bezahlen.» Dem damaligen Vertreter des Beschuldigten wurde das Urteilsdispositiv am 16. November 2018 schriftlich eröffnet (T-G 207). Am 19. November 2018 liess der Beschuldigte gegen das Urteil die Berufung anmelden (T-G 209). 14. Das begründete Urteil ging dem vormaligen Verteidiger des Beschuldigten am 21. August 2019 zu (T-G 231). 15. Am 10. September 2019 liess der Beschuldigte durch seinen neuen Privatverteidiger, Rechtsanwalt Konrad Jeker, die Berufungserklärung einreichen. Diese richtet sich gegen das gesamte Urteil, beantragt wird ein Freispruch des Beschuldigten und eine Kostenauflage zu Lasten des Staates. 16. Mit Eingabe vom 1. Oktober 2019 erklärte die Staatsanwaltschaft die Anschlussberufung gegen Ziff. 2 des erstinstanzlichen Urteils (Strafzumessung). Verlangt wird die Ausfällung einer höheren Freiheitsstrafe. 17. Die Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht fand am 4. März 2020 statt. Zu Beginn der Hauptverhandlung gab der Vorsitzende den Parteien bekannt, dass sich das Berufungsgericht in Anwendung von Art. 344 StPO vorbehalte, Ziff. 2 der Anklageschrift (Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis) rechtlich abweichend als Führen eines Motorfahrzeuges trotz Führerausweisentzugs zu würdigen. Der Beschuldigte, dem mit Verfügung vom 20. November 2019 freies Geleit i.S. von Art. 204 StPO zugesichert worden war, leistete der Vorladung Folge und wurde zur Sache und zur Person befragt (vgl. nachfolgende Ziff. III.2.1.2). II. Prozessuales 1.1 Der Beschuldigte lässt vor Obergericht mit seinem Hauptantrag die Einstellung des Strafverfahrens mit zusammengefasst folgender Begründung verlangen: Die Staatsanwaltschaft [Ort 1] I habe mit Verfügung vom 12. Oktober 2016 aus materiellen Gründen (mangels Tatnachweis) das Strafverfahren gegen den Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis rechtskräftig eingestellt. Es liege folglich eine abgeurteilte Strafsache vor, welche nach dem Grundsatz von «ne bis in idem» Sperrwirkung für andere Strafverfahren entfalte. Dies gelte auch im zwischenstaatlichen Bereich gestützt auf Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni (SDÜ) sowie Art. XII Abs. 6 lit. a des Vertrages vom 13. November 1969 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung (SR 0.351.913.61). Entscheidend sei gemäss der hierzu ergangenen Rechtsprechung, ob es derselbe Lebenssachverhalt sei. Gegenstand des deutschen Ermittlungsverfahrens sei zwar nur der Vorhalt des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gewesen. Wenn aber gar nicht bewiesen sei, wer das Fahrzeug gelenkt habe, dann falle nicht nur eine Bestrafung des Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, sondern zwangsläufig auch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ausser Betracht; denn das eine gehe nicht ohne das andere: Es gehe um denselben Lebenssachverhalt und es liege eine Tateinheit vor. 1.2 Es ist aktenkundig, dass das deutsche Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis von der Staatsanwaltschaft [Ort 1] I mit Verfügung vom 12. Oktober 2016 rechtskräftig eingestellt worden ist (vgl. T-G 98 f.). Diese Einstellung entfaltet jedoch für das Schweizer Strafverfahren, wie nachfolgend darzulegen ist, keine Sperrwirkung. 1.3 Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (SDÜ, nicht in der SR veröffentlicht, abrufbar unter dem Link: https://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/strafrecht/rechtsgrundlagen/multilateral/sdue.html), auf welchen sich die Verteidigung beruft, hält folgenden Grundsatz fest: Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Art. 55 SDÜ sieht aber im Sinne einer Ausnahme vom Verbot der Doppelbestrafung vor, dass eine Vertragspartei bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären kann, dass sie in einem oder mehreren der folgenden Fälle nicht an Art. 54 SDÜ gebunden ist: a) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde; im letzteren Fall gilt diese Ausnahme jedoch nicht, wenn diese Tat teilweise im Hoheitsgebiet der Vertragspartei begangen wurde, in dem das Urteil ergangen ist; b) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, eine gegen die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen dieser Vertragspartei gerichtete Straftat darstellt; c) wenn die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, von einem Bediensteten dieser Vertragspartei unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wurde. Von dieser Möglichkeit im Sinne von Art. 55 SDÜ (Ausnahmen vom Verbot der Doppelbestrafung) hat die Schweiz Gebrauch gemacht: Im Abkommen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstandes (SR 0.362.31), abgeschlossen am 26. Oktober 2004, von der Bundesversammlung genehmigt am 17. Dezember 2004, in Kraft getreten am 1. März 2008, gab die Schweizerische Eidgenossenschaft im Sinne von Art. 55 SDÜ die Erklärung ab, in den vorgenannten Fällen (Art. 55 lit. a - c SDÜ) nicht an Artikel 54 SDÜ gebunden zu sein. Da die dem Beschuldigten im vorliegenden Verfahren vorgehaltenen Taten ausschliesslich im Hoheitsgebiet der Schweiz begangen wurden, liegt ein Anwendungsfall von Art. 55 lit. a SDÜ vor. Aufgrund der von der Schweiz hierzu abgegebenen Erklärung war sie folglich nicht an Art. 54 SDÜ gebunden. 1.4 Zu keinem abweichenden Schluss führt der ebenfalls von der Verteidigung herangezogene Art. XII Abs. 6 lit. a des Zusatzvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen (SR 0.351.913.61). Diese Bestimmung regelt den Verzicht auf weitere Verfolgungs- oder Vollstreckungsmassnahmen durch die Behörden des ersuchenden Staates gegen den Beschuldigten wegen derselben Tat, wenn das Verfahren von einem Gericht oder einer Strafverfolgungsbehörde aus materiell-rechtlichen Gründen endgültig eingestellt worden ist. Die Bestimmung setzt stets voraus, dass ein Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet eine Straftat verübt wurde, den anderen Staat um Übernahme der Strafverfolgung ersucht hat. Im vorliegenden Fall ersuchten die Behörden der Schweiz jedoch nie die deutschen Behörden, die Strafverfolgung für die vorgehaltenen Delikte zu übernehmen, sondern diese leisteten lediglich auf Ersuchen der Schweiz Rechtshilfe, so dass auch diese Bestimmung keine Anwendung findet. Die Verfügung der Staatsanwaltschaft [Ort 1] I vom 12. Oktober 2016 entfaltete folglich für das vorliegende Strafverfahren keine Sperrwirkung. Der Antrag des Beschuldigten auf Einstellung des Strafverfahrens ist deshalb abzuweisen. 2.1 Die Verteidigung macht vor Obergericht in prozessualer Hinsicht eine Verletzung des Spezialitätsprinzips im Rechtshilfeverfahren geltend: Die beiden Rechtshilfegesuche vom 25. Juni 2014 und 24. September 2014 seien im Strafverfahren gegen den Beschuldigten D._ gestellt worden. D._ sei nämlich ins Visier der Ermittler geraten, nachdem dieser das polizeiliche Formular betreffend Lenkerermittlung selber unterzeichnet habe. Im Rechtshilfeverfahren gelte das Spezialitätsprinzip. Die gelieferten Informationen dürften nur für das Strafverfahren, welches diesem Ersuchen zu Grunde liege, verwertet werden, folglich betreffend D._. Eine Verwertung zu Lasten des Beschuldigten verletze dagegen internationales Recht und sei unzulässig. Zudem sei sein Mandant während des Beweisverfahrens nicht gehörig vertreten gewesen. Der Beschuldigte sei erst ab dem 21. März 2017 durch Rechtsanwalt F._ vertreten gewesen. Da es sich aber genau genommen nur um einen Korrespondenzanwalt gehandelt habe, sei auch zu diesem Zeitpunkt die erforderliche notwendige Verteidigung nicht sichergestellt gewesen. 2.2 Beide Einwände halten einer Überprüfung nicht stand: Es ist einerseits zwischen der polizeilichen Amtshilfe und der Rechtshilfe zu differenzieren. Die von der Verteidigung genannten Gesuche vom 25. Juni 2014 (AS 8) und 24. September 2014 (AS 15) richtete die Polizei Kanton Solothurn im Rahmen des polizeilichen Amtshilfeverkehrs an die zuständigen Stellen in Deutschland (vgl. Ziff. I.3.). Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn stellte aber, nachdem sie am 19. Juni 2015 eine Untersuchung gegen den Beschuldigten eröffnet hatte (AS 231), mit Datum vom 2. Juli 2015 ausdrücklich in Sachen A._ (AS 283 ff.) ein Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft [Ort 1] (vgl. Ziff. I.6.1). Die in der Folge in Deutschland erhobenen Beweismittel stützen sich auf dieses Gesuch und sind demnach ohne Weiteres verwertbar. Hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte ist festzuhalten, dass mit Schreiben vom 21. März 2017 der Staatsanwaltschaft lediglich der Wechsel des Korrespondenzanwaltes (bislang RA G._, neu: RA F._) angezeigt wurde (T-G AS 263). Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn stellte jedoch schon in ihrem Rechtshilfeersuchen vom 2. Juli 2015 klar, dass der Beschuldigte bei einer Befragung gestützt auf Art. 130 lit. b StPO notwendigerweise anwaltlich vertreten sein müsse (AS 285) und die erforderliche Verteidigung des Beschuldigten war aktenkundig bereits ab dem 20. Oktober 2015 sichergestellt. Der vom Beschuldigten in Deutschland mit der Interessenwahrung beauftragte Rechtsanwalt E._ verlangte an jenem Tag Einsicht in die Verfügung der Staatsanwaltschaft Solothurn betreffend Fertigung von Beweisfotos und teilte mit, dass sein Klient im Moment keine Aussagen zur Sache machen werde (AS 27). Er nahm die Vertretung des Beschuldigten auch im weiteren Untersuchungsverfahren wahr (vgl. die diversen Eingaben von Rechtsanwalt E._: AS 247 ff.). Der Vorwurf einer nicht gehörigen Vertretung des Beschuldigten erweist sich deshalb als unbegründet. III. Sachverhalt 1. Vorhalte Dem Beschuldigten werden folgende Vorhalte in der Anklageschrift vom 31. Oktober 2017 zur Last gelegt: « 1. Qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 3 SVG i.V. mit Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG) durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn (Art. 32 Abs. 2 SVG, Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV) begangen am 3. April 2014 um 23:40 Uhr auf der Autobahn A1 in Oberbuchsiten Fahrtrichtung Bern, indem der Beschuldigte A._ als Lenker des Personenwagens Porsche mit deutschem Kontrollschild [...] die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h auf Autobahnen nach Abzug der Toleranz von 7 km/h um 110 km/h überschritt. Durch die krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verletzte der Beschuldigte vorsätzlich eine elementare Verkehrsregel und ging damit bewusst das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern ein. 2. Führen eines Motorfahrzeugs ohne Führerausweis (Art. 10 Abs. 2 SVG, Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG) begangen am 3. April 2014 um 23:40 Uhr auf der Autobahn A1 in Oberbuchsiten Fahrtrichtung Bern, indem der Beschuldigte A._ den Personenwagen Porsche mit deutschem Kontrollschild [...] lenkte, obwohl er nicht über den erforderlichen Führerausweis verfügte. Dieser war ihm von der zuständigen deutschen Behörde für die Zeit vom 23. Juli 2013 bis am 12. Mai 2015 entzogen worden.» 2. Aussagen 2.1 Aussagen des Beschuldigten 2.1.1 Wie bereits dargelegt (Ziff. I.6.3), machte der Beschuldigte anlässlich der Erstellung von Lichtbildern durch die Polizei am 27. Oktober 2015 zur Sache keine Aussagen (AS 27 unten). Der Beschuldigte wurde in der Folge von der Staatsanwaltschaft Solothurn zwei Mal zur Einvernahme vorgeladen (vgl. 269, 276), blieb diesen Terminen aber unter Hinweis auf seine fehlende Kooperationspflicht fern (vgl. hierzu die Eingaben von Rechtsanwalt E._: AS 255 ff.). Trotz zweimaliger Vorladung zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung erschien er auch nicht vor der Vorinstanz (T-G 41, 122). 2.1.2 Anlässlich der Hauptverhandlung vor Obergericht machte der Beschuldigte zur Sache folgende Aussagen (vgl. Audio-Dokument sowie separates Einvernahmeprotokoll vom 4.3.2020): Die Firma C._ GmbH, welche Halterin des PW Porsche 911 Turbo sei, gehöre ihm. Er halte 100 % der Gesellschaftsanteile und sei deren Geschäftsführer. Auf die Frage, wer alles berechtigt gewesen sei, das Tatfahrzeug zu nutzen, welches erst ca. 3 Wochen vor der Radarmessung im Kanton Solothurn für den Verkehr zugelassen worden sei, antwortete er: «vermutlich meine Frau». (Auf die entsprechende Nachfrage) Nein, neben ihm und seiner Frau sei niemand sonst dazu berechtigt gewesen. In der Folge kam der Beschuldigte auf diese Fragestellung zurück und führte aus, er habe sie womöglich falsch verstanden: Seine Frau habe damals das Auto angemeldet, es habe sich um ein Firmenauto gehandelt, das von allen Mitarbeitenden (6 Personen) sowie auch von den Subunternehmern der Firma (knapp 10 Personen) habe gefahren werden dürfen. Auch sehr gute Freunde hätten es nutzen dürfen. (Auf entsprechende Frage) Ja, auch H._, der ein sehr guter Freund von ihm sei, habe das Fahrzeug ein paar Mal gefahren. Er bestätigte zudem, zum Autofahren jeweils eine Brille zu tragen, wobei er das Brillenmodell etwa alle zwei bis drei Jahre wechsle. Vor 4, 5 oder 6 Jahren sei es mit Sicherheit nicht die Brille gewesen, die er heute trage. Am 3. April 2014 (= Tattag) sei der Porsche geschäftlich unterwegs gewesen. Auf dem Messfoto seien im hinteren Teil des Autos Grafiken zu erkennen. So wie er dies beurteile, sei das Fahrzeug auf dem Weg von [Ort 1] nach Genf gewesen, um Grafiken für die Stände an einer Messe in Genf zu liefern. Er wisse, wer das Fahrzeug gelenkt habe, wolle hierzu aber keine Aussage machen. Ebenso wenig könne und wolle er sich dazu äussern, weshalb auf dem Formular, welches die Firma C._ GmbH der Polizei Kanton Solothurn retourniert habe, Herr D._ als Lenker bezeichnet worden sei. 2.2 Einvernahmen von Drittpersonen (insbesondere von Angestellten der C._ GmbH) Rechtshilfeweise wurden folgende Personen aus dem beruflichen und privaten Umfeld des Beschuldigten befragt: - H._, Freund des Beschuldigten ohne berufliche Verbindung zur C._ GmbH (AS 41 ff., 29); - I._, Angestellter der C._ GmbH (AS 64 ff., 29); - N._, Angestellter der C._ GmbH (AS 90 ff., 29); - J._, Angestellter der der C._ GmbH (AS 98 ff., 28); - K._, Projektleiterin bei der C._ GmbH und zugleich Schwester des Beschuldigten, sie machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch (AS 140); - L._, Architektin bei der der C._ GmbH (AS 141 ff.); - M._, Teamassistentin bei der C._ GmbH (AS 145 ff.). Sämtliche befragten männlichen Personen gaben auf Vorlage des Beweisfotos zu Protokoll, den Wagen am 3. April 2014 nicht gelenkt zu haben. Die Angestellten I._ und J._ führten aus, alle Mitarbeiter hätten Zugriff auf den Porsche bzw. auf den Fahrzeugschlüssel gehabt (AS 66 f., 100), alle dürften dieses Auto nutzen (so auch die Aussagen der Mitarbeiterinnen L._ und M._: vgl. AS 142 und 146). Im Grundsatz bestätigte dies auch der Mitarbeiter N._, der jedoch hinzufügte, er fahre normalerweise einen Lkw oder einen Sprinter, wenn er für die Firma unterwegs sei (AS 91 f.). Eine tatsächliche Nutzung des Porsches räumten nur J._ (AS 99) und H._ (AS 46, Unterzeichnung des Protokolls verweigert) ein. 3. Sachliche Beweismittel 3.1 Messgerät und Messfoto Die Geschwindigkeitsmessung vom 3. April 2014 wurde mit dem stationären Messsystem Traffi Star S 330 durchgeführt. Die letzte Eichung des Geräts erfolgte am 17. Juni 2013 und war gültig bis zum 30. Juni 2014 (Eichzertifikat Nr. 258-18527: AS 213). Die vom stationären Messsystem festgestellte Fahrgeschwindigkeit betrug (vor Berücksichtigung der Sicherheitsmarge) 237 km/h (vgl. Ausdruck auf Fotopapier gemäss AS 214). Die Funktionstüchtigkeit des Messgeräts und die Richtigkeit der Messung wurden anlässlich des Berufungsverhandlung von der Verteidigung erstmals in Frage gestellt. Die geltend gemachten Einwände werden im Rahmen der Beweiswürdigung unter nachfolgender Ziff. III.4.12 behandelt. Auf dem Messfoto ist neben dem männlichen Lenker des Fahrzeuges zu erkennen, dass auf dem Beifahrersitz und Hintersitz Material transportiert wurde (Ausdruck auf Fotopapier: AS 214, in digitaler Form: AS 215, 225 sowie in stark vergrösserter Version unter AS 246). 3.2 Tatfahrzeug Beim Tatfahrzeug handelt es sich um einen Porsche 911 Turbo. Das Fahrzeug der Luxusklasse mit einem Wert von EUR 140'000.00 wurde am 14. März 2014, mithin also ca. 3 Wochen vor der Messung, erstmals für den Verkehr zugelassen. Halterin des Fahrzeugs ist die C._ GmbH in D-[Ort 5] (AS 28, 36, 159). Gemäss Versicherungsschein der AXA Versicherungen AG vom 31. Juli 2014 besteht betreffend Nutzung des Fahrzeugs einzig die Einschränkung, dass ein Mindestalter des Nutzers von 23 Jahren vorgesehen ist. Aus dem Versicherungsschein geht zudem hervor, dass es sich beim Fahrzeug um ein Leasingobjekt handelt und die jährliche Fahrleistung auf maximal 15'000 km beschränkt wurde (AS 159). 3.3 Durchsuchungen Die Staatsanwaltschaft [Ort 1] veranlasste in Erledigung des Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Solothurn am 13. Oktober 2015 die Durchsuchung der Geschäftsräumlichkeiten der C._ GmbH in [Ort 1] (AS 153 ff.). Es wurden Versicherungsunterlagen für das Tatfahrzeug (vgl. hierzu auch vorstehende Ziff. III.3.2) sowie Dokumente der Führerscheinstelle [Ort 1] betreffend Fahreignungsüberprüfung des Beschuldigten sichergestellt. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Belege: - Gemäss Bestätigung der verkehrspsychologischen Praxis [...] vom 16. Dezember 2014 über die Teilnahme des Beschuldigten an einer verkehrstherapeutischen Massnahme wurde diesem die Fahrerlaubnis im September 2009 nach einem früheren Entzug wieder erteilt. Nach diversen begangenen Verstössen gegen Verkehrsvorschriften, welche mit 21 Punkten bewertet wurden (vgl. AS 1084), musste die Fahrerlaubnis jedoch im Juni 2013 wieder entzogen werden (vgl. hierzu auch nachfolgende Ziff. III.3.7.2 und 3.7.3). - Am 10. Januar 2014 wurde der Beschuldigte zu einer Begutachtung seiner Fahreignung aufgefordert. Der Beschuldigte wirkte an der Erstellung des entsprechenden Gutachtens, wie aus einem Schreiben der Hauptabteilung III Strassenverkehr [Ort 1] vom 26. Mai 2014 geschlossen werden muss, nicht mit (AS 182). Am 2. Oktober 2014 wurde der Beschuldigte erneut aufgefordert, ein Gutachten beizubringen (AS 194). - Der Beschuldigte führte zwischen dem 12. November 2014 und 16. Dezember 2014 während insgesamt 8 Stunden Einzelgespräche für verkehrsrechtlich auffällige Fahrer (AS 202). - Auszüge eines verkehrspsychologischen Gutachtens wurden beschlagnahmt, wobei das Datum der Erstellung dieses Gutachtens unklar ist (AS 184 ff.). - Beschlagnahmt wurden schliesslich diverse Auszüge des Kraftfahrt-Bundesamtes (AS 168 ff., es wird hierzu auf die weiteren Ausführungen unter Ziff. III.3.7.1 und 3.7.2 verwiesen). 3.4 Lichtbilder des Beschuldigten Am 27. Oktober 2015 erstellte die Polizei von [Ort 1] in Erledigung des Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Solothurn vom Beschuldigten vier Lichtbilder, zwei mit, zwei ohne Brille (AS 27; 135 ff.). 3.5 Aufnahmen von Drittpersonen In den Akten befinden sich auch fotografische Aufnahmen folgender Personen: - D._: AS 6; - H._: AS 51; - I._ : AS 75 - 77; - N._: AS 82 f.; - J._: AS 101. 3.6 Belege/Abrechnungen Der Beschuldigte legte der Polizei [Ort 1] anlässlich der Erstellung der Lichtbilder seiner Person vom 27. Oktober 2015 diverse Belege und Abrechnungen der Buchhaltung der C._ GmbH vor. Diesen Belegen kann Folgendes entnommen werden: - Kreditkartenabrechnung Für die Kreditkarte Visa (Inhaber: A._ C._ GmbH) existieren für den Tattag (= 3.4.2014) sowohl Buchungen in Düsseldorf als auch in Istanbul (vgl. die Buchungsdaten gemäss AS 115). Zudem belegt die Visa-Monatsabrechnung vom April 2014, dass die Karte am 2. und 3. April 2014 in Düsseldorf sowie am 2. April 2014 in Istanbul als Zahlungsmittel eingesetzt wurde (vgl. die Belegdaten gemäss AS 115). Diese Tatsachen weisen darauf hin, dass von der Kreditkarte offenbar mehrere Exemplare mit der gleichen Kreditkartennummer existieren und sie dementsprechend von mehreren Personen genutzt wird (AS 28). Die Belege lassen deshalb keine Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort des Beschuldigten am 3. April 2014 zu. - Tankbelege Die diversen Tankquittungen belegen eine Betankung am 3. April 2014 in Österreich und Deutschland mit dem Treibstoff Super 98 Add (AS 116, 117), der für den Porsche 911 Turbo üblicherweise verwendet wird. Die Betankung wurde jeweils bar bezahlt, so dass sich daraus kein Hinweis auf die Person, welche tankte, ergibt (AS 28, 116). - Spesenauflistungen Die Firma C._ GmbH führte an der Messe [...] in Genf, welche vom 8. - 11. April 2014 stattfand, Abbauarbeiten durch. Vom 31. März - 8. April 2014 waren die Angestellten J._, D._ und I._ in Genf tätig. Ab dem 11. April 2014 erfolgte der Abbau durch die Angestellten O._, N._ und P._ (AS 28, 120 ff.). 3.7 Administrativakten 3.7.1 Im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens edierte die Polizei in [Ort 1] bei der zuständigen Administrativbehörde für den Strassenverkehr die Administrativakten des Beschuldigten. Diese umfassen insgesamt zwei Bundesordner (AS 401 ff. sowie AS 1000 ff.), darunter eine Vielzahl von Verstössen gegen Verkehrsvorschriften, welche im Fahreignungsregister (FAER) festgehalten wurden. 3.7.2 Gemäss der vom Obergericht beim Kraftfahrt-Bundesamt in [Ort 3] (D) eingeholten Auskunft vom 21. Februar 2020 (eingegangen am 2.3.2020) ist der Beschuldigte aktuell mit den folgenden zwei Eintragungen im FAER erfasst: - Entziehung der Fahrerlaubnis mit Entscheid vom 12. Juli 2013 gestützt auf § 4 Abs. 3 Ziff. 3 StVG (Erreichen von 18 oder mehr Punkten); - Mitteilung der Erteilung der allgemeinen Fahrerlaubnis am 12. Mai 2015 nach vorangegangener Negativ-Entscheidung. Aus den auf dem Rechtshilfeweg erlangten Unterlagen gehen diverse weitere Einträge hervor, die aber zwischenzeitlich zufolge Zeitablaufes getilgt worden sind und nach deutschem Recht dem Beschuldigten nicht mehr entgegengehalten werden dürfen. Diese Einschränkung ist auch für das vorliegende Strafverfahren massgeblich. Dementsprechend dürfen Entscheide, die aktuell weder aus dem FAER noch aus dem Zentralregister des deutschen Bundesamtes für Justiz (vgl. hierzu nachfolgende Ziff. V.2.3 [Vorstrafen]) hervorgehen, nicht mehr zu Lasten des Beschuldigten berücksichtigt werden. 3.7.3 Die Administrativakten enthalten mehrere Fahreignungsgutachten, welche über den Beschuldigten erstellt wurden. Am 6. Juli 2005 stellte die Begutachtungsstelle für Fahreignung, [Ort 1], dem Beschuldigten in Bezug auf die Frage, ob dieser in Zukunft erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche und/oder andere allgemeine Strafbestimmungen verstossen werde, insgesamt eine ungünstige Prognose (AS 564 ff., insbesondere AS 576). Ihm wurde in der Folge die Wiedererteilung des damals entzogenen Führerausweises verweigert (AS 578). Am 4. September 2009 wurde – nach mehreren SVG-Widerhandlungen (mehrfaches vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen am 3. und 24.5.2005, 18.8.2007 und 29.5.2008, vgl. hierzu den Auszug aus dem Zentralregister des deutschen Bundesamtes für Justiz sowie nachfolgende Ziff. V.2.3 [Vorstrafen]) – ein medizinisch-psychologisches Gutachten über den Beschuldigten erstellt (AS 737 ff.). Die Frage nach einer weiteren zukünftigen verkehrsrechtlichen oder anderen Delinquenz des Beschuldigten wurde in diesem Gutachten verneint. In der Folge wurde dem Beschuldigten mit Schreiben vom 23. September 2009 mitgeteilt, dass der Führerschein abholbereit sei (AS 754). Die Einschätzung des Gutachters bestätigte sich nicht: Mit Entscheid vom 12. Juli 2013 wurde dem Beschuldigten das Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen verboten. Aus der Begründung des Entscheides (AS 1082 ff.) geht hervor, dass gemäss § 4 Abs. 3 Ziff. 3 StVG der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt, wenn sich Eintragungen im Verkehrszentralregister ergeben, die mit 18 oder mehr Punkten zu bewerten sind. Die vom Beschuldigten begangenen Verstösse gegen Verkehrsvorschriften seien mit 21 Punkten zu bewerten, so dass dessen fehlende Eignung feststehe (AS 1084). Am 12. Mai 2015 wurde ein erneutes medizinisch-psychologisches Gutachten erstellt (AS 1396 ff.). Die Gutachter kamen zum Schluss, dass die Angaben des Beschuldigten auf eine noch ausreichend selbstkritische Analyse seines Fehlverhaltens hinweisen würden. Er betone zwar die äusseren ungünstigen Faktoren, sehe jedoch auch seinen Anteil am Zustandekommen der Auffälligkeiten. Es sei deshalb zusammenfassend nicht zu erwarten, dass der Beschuldigte zukünftig gegen verkehrsrechtliche und/oder strafrechtliche Bestimmungen verstossen werde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei. Am 12. Mai 2015 wurde ihm deshalb die allgemeine Fahrerlaubnis wieder erteilt (vgl. Ziff. III.3.7.2). 3.8 Foto-anthropologisches Gutachten Mit Schreiben vom 19. Februar 2018 reichte der Verteidiger des Beschuldigten ein foto-anthropologisches Gutachten von Q._ von der R._ GmbH vom 28. Dezember 2017 ein, welches sich zur Identität der auf dem Messfoto abgebildeten Person mit dem Beschuldigten äussert. Gemäss diesem Gutachten wird die Nichtidentität der beiden Personen auf 90 - 95 % mit Tendenz zum höheren Wert eingeschätzt (T-G 10 ff.). 4. Beweiswürdigung 4.1 Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: Es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff., 127 I 40 f.) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen. 4.2 Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden oder Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl oder Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft oder Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist oder nicht. 4.3 Nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich für Halter und Lenker von Motorfahrzeugen aus ihrer Akzeptanz der Strassenverkehrsgesetzgebung sowie ihrer Fahrberechtigung gewisse Obliegenheiten. Der Führerausweis wird erteilt, wenn die amtliche Prüfung ergeben hat, dass der Bewerber die Verkehrsregeln kennt und Fahrzeuge der Kategorie, für die der Ausweis gilt, sicher zu führen versteht. Der Führerausweis wird ihm nur unter der Bedingung des gesetzeskonformen Verhaltens ausgestellt. Es treffen ihn deshalb neben den Verhaltenspflichten vielfältige Auskunftspflichten gegenüber den Behörden. Weigert er sich, kann er dazu nicht gezwungen werden. Er muss aber trotzdem die Konsequenzen tragen. Die Behörden haben den Sachverhalt abzuklären und gesetzmässig in einem fairen Verfahren zu entscheiden. Verzichtet der Betroffene auf jegliche Mitwirkung, begibt er sich der Möglichkeit, auf sein Verfahren einzuwirken und seine Interessen aktiv wahrzunehmen. Das kann aber die Behörden nicht an ihrer gesetzlichen Aufgabe hindern. Zu prüfen ist dann insoweit nur noch, ob die Behörden wirksame Verteidigungsmöglichkeiten gewährt und das Beweismaterial gesetzmässig verwendet haben (6B_439/2010 vom 29.6.2010 E. 5.4 und 5.6). Diese Rechtslage ist Ausdruck der allgemein anerkannten Praxis, dass Schweigen (oder Bestreiten) die Annahme der Täterschaft nicht ausschliesst, wenn diese nicht zweifelhaft ist (6B_515/2014 vom 26.8.2014 E. 3). 4.4. Gemäss dem Grundsatz «nemo tenetur se ipsum accusare» ist im Strafverfahren niemand gehalten, zu seiner Belastung beizutragen (Art. 113 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte ist nicht zur Aussage verpflichtet, sein Schweigen darf aber im Rahmen der Beweiswürdigung mitberücksichtigt werden (6B_1064/2015 vom 6.9.2016 E. 2.4.1). Der betroffene Halter muss demnach, um einer Bestrafung zu entgehen, den Rückschluss auf seine Urheberschaft auf Grund seiner Haltereigenschaft und der Tatsache, dass die weitere Beweislage ihn nicht ausschliesst, irgendwie entkräften (Philippe Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrs- und Ordnungsbussengesetz, Zürich/St. Gallen 2015, nachfolgend zit. Kommentar SVG, Art. 90 SVG N 32). Diesen Grundsatz hat das Bundesgericht in mehreren Entscheiden betont. Beispielhaft wird auf folgende Urteile verwiesen: Mit Urteil 6B_812/2011 vom 19. April 2012 führte das Bundesgericht aus (E.1.5), die Vorinstanz erwäge zutreffend, dass sich der Beschwerdegegner als Angeklagter grundsätzlich nicht selbst belasten müsse und nicht zur Mitwirkung bei seiner Überführung verpflichtet sei. Gleichwohl hätte sie sein Aussageverhalten in ihrer Beweiswürdigung mitberücksichtigen müssen, da aufgrund seiner Haltereigenschaft eine Situation vorliege, die einer Erklärung bedürfe (mit Hinweis auf Urteil 6B_628/2010 vom 7.10.2010 E. 2.3). Wenn sich ein Halter auf das Aussageverweigerungsrecht berufe oder die Möglichkeit ins Spiel bringe, nicht gefahren zu sein, hindere dies das Gericht nicht daran, eine Täterschaft anzunehmen (mit Hinweis auf die Urteile 6B_439/2010 vom 29.6.2010 E. 5.1 und 6B_41/2009 vom 1.5.2009). Aufgrund der frappanten und nicht bloss gewissen Ähnlichkeit des Beschwerdegegners mit dem auf den Radarbildern abgelichteten Lenker verblieben bei objektiver Betrachtung keine vernünftigen Zweifel an dessen Täterschaft. Das Bundesgericht hob deshalb das vorinstanzliche Urteil auf, welches den Beschwerdegegner und materiellen Halter des auf den Radaraufnahmen abgebildeten Personenwagens vom Vorwurf der Missachtung der Höchstgeschwindigkeit «in dubio pro reo» freigesprochen hatte. Mit Urteil 6B_41/2009 vom 1. Mai 2009 bestätigte das Bundesgericht den vorinstanzlichen Schuldspruch wegen einfacher Verkehrsregelverletzung (Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit). Der vom Beschwerdeführer erhobenen Rüge, die Vorinstanz habe eine willkürliche Beweiswürdigung vorgenommen, hielt das Bundesgericht Folgendes entgegen: Die Vorinstanz habe nicht verkannt, dass die Haltereigenschaft des Beschwerdeführers nur ein Indiz für die Täterschaft darstelle, und sie habe auch nicht übersehen, dass die Radarfotos nicht deutlich genug seien, um darauf Gesichtszüge unterscheiden zu können. Vielmehr habe die Vorinstanz festgehalten, der Beschwerdeführer habe bestritten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben, ohne den Rückschluss auf seine Urheberschaft auf Grund seiner Haltereigenschaft und der Tatsache, dass die Radaraufnahmen ihn nicht ausschliessen würden, irgendwie zu entkräften. Eine solche Beweiswürdigung sei nicht zu beanstanden (E. 5). 4.5 Halterin des Tatfahrzeugs ist die C._ GmbH und somit nicht der Beschuldigte als natürliche Person. Vor Obergericht wendete sein Verteidiger denn auch ein, die bundesgerichtliche Rechtsprechung, welche an die Haltereigenschaft anknüpfe (vgl. hierzu vorstehende Ziff. III.4.3 und 4.4), sei im Zusammenhang mit einer natürlichen Person als Halterin entwickelt worden und lasse sich deshalb nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Dieser Einwand vermag nicht zu überzeugen. Eine GmbH als juristische Person ist ein rechtliches Konstrukt und fällt als tatsächliche Lenkerin eines Fahrzeuges immer ausser Betracht. Es ist deshalb zu prüfen, welche natürliche Person für diese juristische Person steht und dies ist vorliegend zweifellos allein der Beschuldigte: Er war zum Tatzeitpunkt und ist auch heute noch Geschäftsführer und Inhaber der C._ GmbH. Wie er vor Obergericht ausführte, hält er 100 % der Gesellschaftsanteile. Die zitierte Rechtsprechung ist demzufolge auch auf den Beschuldigten anwendbar: Seine faktische Haltereigenschaft ist als Indiz dafür zu werten, dass er das Fahrzeug auch selber gebraucht hat (6B_439/2010 vom 29.6.2010 E 5.7). Als weiteres Indiz tritt die Tatsache hinzu, dass das von der Polizei Kanton Solothurn an die C._ GmbH gerichtete Formular vom 7. Mai 2014 (Mitteilung der Personalien des verantwortlichen Lenkers) anlässlich der Durchsuchung der Firma in einem persönlichen Ordner des Beschuldigten sichergestellt werden konnte (vgl. AS 26 und AS 164 f.). 4.6 Es liegen keinerlei Hinweise auf eine Dritt-Täterschaft vor: D._, der auf dem der C._ GmbH zugestellten Formular noch als verantwortlicher Lenker genannt worden war (AS 11), kam als Fahrer nicht in Frage (vgl. vorstehende Ziff. I.4.). Er (D._) sowie die beiden weiteren Angestellten I._ und J._ trafen bereits am 31. März 2014 in Genf ein, wo sie für die C._ GmbH den Aufbau für die [...]-Messe erledigten und bis zum Messebeginn (= 8.4.2014) blieben (es sind auf der Reisekostenabrechnung acht Übernachtungen vermerkt, vgl. AS 120 f.). Die Annahme, dass einer dieser drei Mitarbeiter am 3. April 2014 tagsüber zum Firmensitz in Deutschland aufgebrochen und noch gleichentags wiederum nach Genf zurückgefahren und unterwegs in Oberbuchsiten in eine Radarkontrolle geraten wäre, ist mit Blick auf die Fahrdistanz (Genf - [Ort 1], je ca. 650 km) derart unwahrscheinlich, dass sie zu verwerfen ist. Dies muss erst recht geltend, wenn man berücksichtigt, um was für ein Tatfahrzeug es sich handelte (vgl. hierzu nachfolgende Ziff. III.4.7). Es kommt hinzu, dass sich die in den Akten liegenden Fotoaufnahmen der drei Mitarbeiter (vgl. AS 6, 75 – 77, und 101) deutlich vom Messfoto unterscheiden. Die vernehmenden Beamten, die einen unmittelbaren visuellen Eindruck der Befragten gewinnen konnten, schlossen denn auch gestützt auf das Messfoto alle drei Mitarbeiter als Fahrzeugführer aus (vgl. AS 14, 29 sowie AS 64). Gleiches gilt auch für N._, der sich gemäss Reisekostenabrechnung zum Abbau der Messe vom 11. bis 14. April 2014 in Genf aufhielt. Auch er wurde aufgrund seines äusseren Erscheinungsbildes als verantwortlicher Fahrzeugführer von der vernehmenden Polizeimeisterin ausgeschlossen (AS 78, Bild: AS: 82). Gegen die Täterschaft von H._, der in seiner Einvernahme angab, den Porsche auch schon einige Male benutzt zu haben (AS 46) und den der Beschuldigte als sehr guten Freund bezeichnete (vgl. vorstehende Ziff. III.2.1.2), sprechen ebenfalls mehrere Gründe: H._ weist keine berufliche Verbindung mit der Firma auf, währenddem im Tatzeitpunkt eine geschäftliche Nutzung des Autos als erstellt zu betrachten ist: Der Beschuldigte führte vor Obergericht aus, dass das Fahrzeug am Tattag geschäftlich unterwegs gewesen sei und auch die konkreten Umstände (Aufbauarbeiten der C._ GmbH für die Messe in Genf am Tattag, Radarmessung in Oberbuchsiten, das auf dem Weg von [Ort 1] nach Genf liegt, im Auto mitgeführtes grossformatiges Material, das nach Genf geliefert werden sollte) lassen diesen Schluss ohne Weiteres zu. Schliesslich stellte auch in diesem Fall der vernehmende Beamte fest, dass das äussere Erscheinungsbild von H._ nicht mit dem abgebildeten verantwortlichen Fahrzeugführer korrespondiere (AS 41). 4.7 Beim Tatfahrzeug handelt es sich um einen Porsche 911 Turbo, dessen Wert gemäss Versicherungsschein der Axa-Versicherungen EUR 140'000.00 betrug. Das Fahrzeug wurde ca. 3 Wochen vor der Geschwindigkeitsmessung erstmals für den Verkehr zugelassen. Es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass der Firmeninhaber der Halterin dieses teure und noch ganz neue Luxusfahrzeug, das zugleich ein Leasingobjekt war, sämtlichen Mitarbeitern und auch den Subunternehmern zum Gebrauch überlässt. Die Angestellten verwiesen anlässlich der rechtshilfeweise durchgeführten Befragungen auf die Möglichkeit des Zugriffs auf das besagte Fahrzeug und die Berechtigung zur Nutzung (vgl. hierzu vorstehende Ziff. III.2.2). Eine tatsächliche Nutzung gab von den Angestellten jedoch nur J._ an, wobei dieser als Lenker für die vorgehaltene Fahrt vom 3. April 2014 nicht in Frage kommt (vgl. vorstehende Ziff. III.4.6). Besonders unwahrscheinlich erweist sich die vom Beschuldigten behauptete Nutzung des Luxusautos von allen Angestellten über lange Distanzen, was aber vorliegend gerade der Fall war: Der Porsche wurde in Oberbuchsiten in einer Fahrdistanz von annähernd 400 km zum Firmensitz in [Ort 5] geblitzt. 4.8. Der Beschuldigte hat, wie bereits erwähnt, keinerlei Aussagen dazu gemacht, wer das Tatfahrzeug gelenkt hat (vgl. hierzu ausführlich vorstehende Ziff. III.2.1.1 und 2.1.2). Vor Obergericht sagte er zwar erstmals zur Sache aus, begnügte sich aber damit, auf die geschäftliche Nutzung des Fahrzeuges zu verweisen, und auszuführen, dass er selber den Porsche am 3. April 2014 nicht gefahren sei, ihm der Lenker dieser Fahrt bekannt sei, er aber zu diesem keine Aussagen machen wolle. Als faktischer Halter wäre aber von seiner Seite zu dieser Thematik eine Aussage zu erwarten gewesen. Eine Erklärung drängte sich auf, um die ihn belastende Beweislage zu entkräften. Das diesbezügliche Schweigen des Beschuldigten bzw. sein Bestreiten sprechen für seine Täterschaft. 4.9 In den Akten finden sich vier Fotos des Beschuldigten, die am 27. Oktober 2015, somit ca. 1 1⁄2 Jahre nach der Geschwindigkeitsmessung, erstellt wurden (AS 135 ff.). Das Referenzfoto, welches der Privatgutachter mit dem Messfoto verglich, findet sich auf AS 135. In vergrösserter Form findet es sich im Ordner T-G 23 (S. 14 des Privatgutachtens von Q._) sowie unter AS 246, AS 214, in digitaler Version unter AS 215. Nachfolgend sind diese Fotos zu vergleichen, dies unter Berücksichtigung des foto-anthropologischen Gutachtens von Q._ vom 28. Dezember 2017 (T-G 10 ff.), welches ein Parteigutachten darstellt, dessen Ergebnisse lediglich die Bedeutung einer der freien Beweiswürdigung unterliegenden Parteibehauptung zukommt (vgl. hierzu ausführlich BGE 141 IV 369 E. 6.2). Nicht belegt ist, dass der vom Beschuldigten beauftragte Gutachter über eine spezifische forensisch-anthropologische Ausbildung verfügt, welche für die Erstellung eines solchen Gutachtens erforderlich ist; es kann hierzu auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (US 6 f./T-G 217 f.). 4.9.1 Vorweg ist festzuhalten, dass der Beschuldigte auf dem vom Privatgutachter beigezogenen Referenzfoto den Kopf leicht nach hinten neigt, während die Person auf dem Messfoto den Kopf gerade hält. Wie der Privatgutachter ausführt (T-G 25), wurden die beiden Bilder zudem mit verschiedenen Brennweiten aufgenommen, was die Gesichter unterschiedlich breit wirken lassen könne. Zudem wurde das Messbild aus einem erhöhten Blickwinkel aufgenommen, auch dies ein Umstand, der gemäss Privatgutachter Gesichtsmerkmale leicht verändern könne. 4.9.2 Der Privatgutachter führt aus, dass der Hals des Beschuldigten «breiter» sei (T-G 27). Es trifft zu, dass auf dem Referenzbild (T-G 135) der Hals dominant und damit breit wirkt, weil der Beschuldigte den Kopf auf diesem Bild leicht nach hinten neigt. Auf dem Bild AS 136 hält der Beschuldigte den Kopf gerade, so dass der Hals auf diesem Bild schmaler wirkt. Auf dem Messfoto (T-G 23) ist der Hals zu Folge Schatten gar nicht sichtbar, so dass Form und Breite des Halses des Beschuldigten nicht gegen dessen Täterschaft spricht. 4.9.3 Der Privatgutachter führt aus, die buschigen Augenbrauen sollten trotz Brille auf dem Messfoto ebenso sichtbar sein wie die stark ausgeprägten Nasen-Lippen-Furchen (T-G 27). Im Bereich des oberen Randes der Brille sind die Augenbrauen bei beiden Augen ersichtlich. Auf dem Messfoto trägt die abgebildete Person einen Bart. Dieser verläuft zwischen Nasenwurzel und Oberlippe und beidseitig des Mundes nach unten. Es trifft zwar zu, dass der Beschuldigte auf dem Referenzbild stark ausgeprägte Nasen-Lippen-Furchen aufweist; ob auch die Person auf dem Messbild solche Furchen aufweist, ist vor allem wegen des Bartes, aber auch wegen der schlechten Bildqualität und der Dunkelheit nicht bestimmbar. 4.9.4 Der Privatgutachter führt im Weiteren aus, dass die Nase des Beschuldigten wesentlich breiter sei, nach unten einen breiten Nasenrückenlauf aufweise und eine irreguläre Formgebung im Bereich der Nasenwurzel bestehe (T-G 27). Auf dem Messfoto wirkt die Nase der abgebildeten Person tatsächlich schmaler als auf dem Referenzfoto. Auf dem Referenzfoto neigt der Beschuldigte aber, wie bereits erwähnt, den Kopf leicht nach hinten. Auf dem Bild AS 136, wo der Beschuldigte den Kopf gerade hält, wirkt auch die Nase schmaler. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass die Nase des Beschuldigten wesentlich breiter ist als bei der Person auf dem Messfoto. Was dagegen auffällt, ist der breite Nasenrücken sowohl des Beschuldigten als auch der Person auf dem Messfoto. 4.9.5 Der Privatgutachter führt weiter aus, der Winkel des Kinns sei bei der Person auf dem Messfoto wesentlich steiler (T-G 27). Ein Vergleich mit dem Referenzbild bestätigt diese Aussage nicht. Soweit zu Folge Schatten und Bartwuchs überhaupt vergleichbar, erscheint der Winkel des Kinns auf den beiden Bildern durchaus ähnlich. Es lassen sich im Verlauf der unteren Gesichtspartien keine Unterschiede feststellen. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ersichtlich, inwiefern der Kopf und die Kinnlinie des Beschuldigten «markanter» sein sollen als bei der Person auf dem Messfoto, wie dies der Privatgutachter ausführt (T-G 27). «Markant» heisst «einprägsam», «charakteristisch» oder «auffallend». Da der Privatgutachter auf keine weiteren Unterschiede hinweist bzw. die besondere Charakteristik oder Auffälligkeit beim Beschuldigten nicht beschreibt, sind seine diesbezüglichen Feststellungen nicht nachvollziehbar. 4.9.6 Der Privatgutachter führt aus, die Person auf dem Messfoto verfüge entgegen dem Beschuldigten über leicht vorstehende Wangenknochen (T-G 27). Entgegen diesen Ausführungen ist auf dem Messfoto im Wangenbereich kein Unterschied zum Referenzfoto festzustellen. Wie erwähnt, wirkt der Beschuldigte auf dem Referenzfoto (AS 135) zwar etwas breiter im Gesicht als die Person auf dem Messfoto. Dieser Eindruck wird aber auf dem Bild AS 136, wo der Beschuldigte den Kopf gerade hält, nicht bestätigt. Das Gesicht wirkt auf diesem Referenzbild in gleichem Masse schmal wie auf dem Messfoto, im Bereich der Wangen sind ebenfalls keine Unterschiede feststellbar. 4.9.7 Der Privatgutachter beschreibt die Mundpartie der Person auf dem Messfoto mit «generell schmale geradlinige Mundwinkelorientierung. Oberes und unteres Lippenrot mittelmässig ausgeprägt» (T-G 24) Die Lippen der Person auf dem Messfoto sind trotz Dunkelheit und Bart, welcher sie umrundet, deutlich erkennbar. Es handelt sich nicht um schmale Lippen. Im Gegensatz zum Referenzbild, wo die Lippen seitlich leicht nach unten weisen, verlaufen sie auf dem Messfoto in gerader Linie. Allerdings ist auf dem Messfoto zu Folge Bartwuchs und Schatten der genaue seitliche Verlauf der Lippen nicht erkennbar. Die Lippen des Beschuldigten sind ebenfalls nicht schmal. Es ist kein Merkmal feststellbar, welches seine Lippen deutlich von den Lippen auf dem Messfoto unterscheiden würde. 4.9.8 Wie auf den Bildern AS 136 und 137 ersichtlich, trägt der Beschuldigte in bestimmten Situationen eine Brille, so insbesondere auch zum Lenken eines Fahrzeuges, was der Beschuldigte vor Obergericht ausdrücklich bestätigt hat und sich auch aus der anlässlich der Durchsuchung bei der C._ GmbH sichergestellten Sehtestbescheinigung ergibt (vgl. AS 26 und 136). Auch die Person auf dem Messfoto trägt eine Brille. Es handelt sich bei den Brillen auf AS 136 und AS 214 /T-G 25 zwar offensichtlich nicht um dieselben Brillen. Dies lässt aber keine Rückschlüsse zu, die gegen eine Täterschaft des Beschuldigten sprechen, denn die beiden Bilder wurden in einem Zeitabstand von über 18 Monaten gemacht und der Beschuldigte gab vor Obergericht zu Protokoll, die Brille in regelmässigen Abständen zu wechseln. Die Tatsache, dass der Lenker auf dem Messfoto – wie der Beschuldigte – Brillenträger ist, ist aber andererseits auch nicht mehr als ein Indiz für eine Täterschaft des Beschuldigten. 4.9.9 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Aussage des Privatgutachters, wonach zwischen Referenzbild und Messfoto keine Übereinstimmungen bestehen würden (T-G 26), nicht zutrifft. Sowohl der Beschuldigte als auch die Person auf dem Messfoto weisen einen breiten Nasenrücken und eine insgesamt eher schmale Gesichtsform auf. Die Kinnpartie und die Lippen sind vergleichbar und es lässt sich kein Merkmal feststellen, welches bei den beiden abgebildeten Personen einen wesentlichen Unterschied ausmacht. Als Fazit ist damit festzuhalten, dass ein Vergleich des Referenzfotos mit dem Messfoto die Identität der darauf abgebildeten Personen nicht ausschliesst. Das Radarbild schliesst somit die Täterschaft des Beschuldigten nicht aus. 4.10 Anlässlich der obergerichtlichen Hauptverhandlung konnte das Berufungsgericht einen unmittelbaren optischen Eindruck des Beschuldigten gewinnen. Zwischen dem wahrgenommenen äusseren Erscheinungsbild des Beschuldigten und dem auf dem Messfoto abgebildeten Lenker ist eine grosse Ähnlichkeit festzustellen. 4.11 Bei einer Gesamtbetrachtung sprechen alle Umstände für eine Täterschaft des Beschuldigten: Halterin des Fahrzeugs ist die im Eigentum des Beschuldigten stehende Firma C._ GmbH, beim Tatfahrzeug handelte es sich um einen neuen Luxuswagen der Marke Porsche 911 Turbo mit einem Versicherungswert von EUR 140'000.00, der nur kurze Zeit vor der Tat für den Verkehr erstmals zugelassen wurde (14.3.2014). Es entspricht nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Geschäftsführer einer Firma für diese ein Luxusfahrzeug erwirbt und dieses in der Folge den Angestellten zur Benutzung überlässt; vielmehr wird ein solches Fahrzeug in aller Regel vom Firmeninhaber und Geschäftsführer selbst gefahren. Eine Drittperson, die als Lenker in Frage kommt, ist nicht in Sicht; entsprechende Abklärungen der deutschen Behörden bei den Angestellten der Firma C._ GmbH begründeten keinen Tatverdacht, sondern entlasteten diese. Der Beschuldigte machte als faktischer Halter des Fahrzeuges keinerlei Aussagen zur Person des Lenkers, obwohl bei dieser Ausgangslage von seiner Seite Erklärungsbedarf bestanden hätte. Das Messfoto schliesst angesichts der übereinstimmenden physionomischen Erscheinungsmerkmale eine Täterschaft des Beschuldigten nicht aus. Vielmehr ist festzustellen, dass der Beschuldigte gestützt auf den an der Berufungsverhandlung gewonnenen optischen Eindruck dem auf dem Radarfoto abgebildeten Lenker gleicht. Dies hatte schon die Polizei in Deutschland festgestellt (AS 29 f.). Aus all diesen Gründen ist erstellt, dass der Beschuldigte am 3. April 2014, 23:40 Uhr, auf der Autobahn A 1, Gemeindegebiet Oberbuchsiten, Fahrrichtung Bern, den PW Porsche 911 Turbo mit dem Kontrollschild [...] gelenkt hat. 4.12 Der Beschuldigte liess durch seinen Verteidiger vor Obergericht erstmals die durchgeführte Radarmessung mit den folgenden Ausführungen in Zweifel ziehen: Es liege zwar ein Eichzertifikat zum verwendeten Messgerät vor, doch dieses enthalte einen Gültigkeitsvorbehalt. Es werde verlangt, dass das Messmittel den rechtlichen Anforderungen entspreche, keine Sicherungsmechanismen verletzt oder messrelevante Teile repariert worden seien. Vorliegend habe die Staatsanwaltschaft lediglich darauf vertraut, dass diese Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt seien, ohne aber den geforderten Nachweis zu erbringen. Die Folgen dieser Beweislosigkeit habe die Staatsanwaltschaft zu tragen. Es sei nicht die Aufgabe der Verteidigung, die Staatsanwaltschaft auf ihre Versäumnisse, d.h. die unvollständige Beweiserhebung, hinzuweisen. Es könne nicht als bewiesen erachtet werden, dass die Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt worden seien und der Messapparat richtig gemessen habe. Der Beweis, dass der Lenker die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 110 km/h überschritten habe, sei folglich nicht erbracht. Dieser Einwand überzeugt aus folgenden Gründen nicht: Das betreffende Messgerät (Traffi Star S 330, METAS Nr .90230-0) wurde gemäss dem Eichzertifikat in den Akten (AS 213) am 17. Juni 2013 geeicht. Die Eichung war gemäss dem Eichzertifikat bis am 30. Juni 2014 gültig. Im Zeitpunkt der Geschwindigkeitskontrolle vom 3. April 2014 lag damit eine gültige Eichung vor. Daran vermag der Hinweis der Verteidigung auf den Vermerk zur Gültigkeit im Eichzertifikat nichts zu ändern (so ausdrücklich Urteil des Bundesgerichts 6B_197/2016 vom 7.7.2016 E. 1.2). Es handelt sich hierbei um einen standardisierten Hinweis, der auf Art. 24 Abs. 1 Satz 2 der Messmittelverordnung vom 15. Februar 2006 (MessMV; SR 941.210) zurückzuführen ist. Diese Bestimmung hält fest, dass die Messbeständigkeit zusätzlich zu den vorgeschriebenen periodischen Prüfungen (vgl. hierzu Art. 24 Abs. 1 Satz MessMV) immer dann geprüft werden muss, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass das Messmittel nicht mehr den rechtlichen Anforderungen entspricht, Sicherungsmechanismen verletzt sind oder messrelevante Teile repariert wurden. Im vorliegenden Fall liegen keine Hinweise vor, dass das verwendete Radar-Geschwindigkeitsmessgerät den rechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt. Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte, dass Sicherungsmechanismen verletzt oder nach der Eichung messrelevante Teile des Geräts repariert wurden (vgl. auch den polizeilichen Nachtragsrapport vom 29.6.2016, AS 211). Auch die Verteidigung vermochte solche Anhaltspunkte nicht zu nennen, sondern begnügte sich damit, auf die Möglichkeit solcher Unregelmässigkeiten hinzuweisen und verzichtete vor Obergericht darauf, in diesem Zusammenhang Beweisanträge zu stellen. Bei dieser Ausgangslage war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, von sich aus weitere Beweise im Zusammenhang mit dem verwendeten Messgerät abzunehmen. Es durfte vielmehr gestützt auf das gültige Eichzertifikat und angesichts fehlender Anzeichen für Unregelmässigkeiten die Funktionstüchtig- bzw. Messbeständigkeit des Gerätes als erstellt betrachten. Die mit dem zugelassenen und gültig geeichten stationären Messsystem Traffi Star S 330, METAS-Nr. 90230 erhobene Geschwindigkeit von 237 km/h (AS 2) ist folglich rechtsgenüglich nachgewiesen. Der Beschuldigte hat demnach am 3. April 2014, 23:40 Uhr, auf der Autobahn A 1, Gemeindegebiet Oberbuchsiten, Fahrtrichtung Bern, den PW Porsche 911 Turbo mit dem Kontrollschild [...] gelenkt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Abzug einer Sicherheitsmarge von 7 km/h um 110 km/h überschritten. Dieser Sachverhalt ist der nachfolgenden rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen. IV. Rechtliche Subsumtion 1. Qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 3 SVG i.V. mit Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG) 1.1 Nach Art. 90 Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG, SR 741.01), in Kraft seit 1. Januar 2013, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. Abs. 3 ist in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 80 km/h überschritten wird, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt (Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG). Die Raser-Strafnorm droht eine obligatorische Freiheitsstrafe von ein bis vier Jahren an und ist somit als Verbrechen ausgestaltet. Die Bestimmung ist eine qualifizierte Form der groben Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Abs. 2 SVG. Sie ist mit anderen Worten die Qualifikation der Qualifikation. Angesichts der im Raser-Straftatbestand verwendeten unscharfen Rechtsbegriffe, der unklaren Abgrenzungen zu anderen Strafbestimmungen und der für ein Gefährdungsdelikt ausserordentlich hohen Strafandrohung ist die Norm sehr restriktiv auszulegen. Der Gesetzgeber wollte nur für krasse Fälle verantwortungsloser Fahrzeuglenker die Strafen empfindlich verschärfen (Philippe Weissenberger, Kommentar SVG, Art. 90 SVG N 107 ff.). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bedeutet die Verwendung des Begriffes «krass» durch den Gesetzgeber, dass eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nur dann unter Art. 90 Abs. 3 SVG fallen kann, wenn sie im Vergleich mit anderen Verkehrsregelverletzungen einen Ausnahmefall darstellt. Damit Art. 90 Abs. 3 SVG erfüllt ist, muss die Geschwindigkeitsüberschreitung im Vergleich mit anderen Missachtungen der Höchstgeschwindigkeit besonders gefährlich sein, namentlich aufgrund besonders schwieriger Strassen- und Verkehrsverhältnisse (Urteil des Bundesgerichts 6B_1349/2017 vom 2.10.2018 E. 2.1). 1.2 Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG verlangt vorab die Verletzung elementarer Verkehrsregeln. Dazu gehören nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Normen betreffend die Geschwindigkeit (Philippe Weissenberger, Kommentar SVG, Art. 90 SVG N 116). Der Täter muss ein hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingegangen sein. Das in Art. 90 Abs. 3 SVG geforderte Risiko muss somit ein qualifiziertes Ausmass annehmen. Der Erfolgseintritt muss vergleichsweise naheliegen; gefordert ist ein «hohes» Risiko. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine höhere als die in Art. 90 Abs. 2 SVG geforderte «ernstliche» Gefahr handeln muss. Diese muss analog der Lebensgefährdung nach Art. 129 StGB unmittelbar, nicht jedoch unausweichlich sein. Für die Erfüllung von Art. 90 Abs. 3 SVG ist die besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung zu verlangen. Die allgemeine Möglichkeit einer Verwirklichung einer Gefahr kann in Anlehnung an Art. 90 Abs. 2 SVG nur genügen, wenn aufgrund besonderer Umstände wie Tageszeit, Verkehrsdichte, Sichtverhältnisse usw. der Eintritt einer konkreten Gefahr oder gar einer Verletzung besonders nahelag und es letztlich nur vom Zufall abhing, dass sich diese nicht verwirklicht hat. Wird eine krasse Verkehrsregelverletzung i.S. von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG objektiv bejaht, folgt daraus nahezu zwangsläufig, dass auch ein dadurch geschaffenes hohes Risiko von Unfällen mit Todesopfern oder Schwerverletzten angenommen werden muss (Urteil des Bundesgerichts 6B_1349/2017 vom 2.10.2018 E. 2.1). 1.3 Es ist erstellt, dass der Beschuldigte die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 110 km/h überschritten hat. Damit hat er den Schwellenwert gemäss Art. 90 Abs. 4 SVG überschritten und es muss eine Verletzung einer elementaren Verkehrsregel in Form einer krassen Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bejaht werden. 1.4 In Anwendung der zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Ziff. IV.1.2 hiervor) führt die Bejahung einer krassen Verkehrsregelverletzung «nahezu zwangsläufig» auch zur Annahme eines dadurch geschaffenen hohen Risikos von Unfällen mit Todesopfern oder Schwerverletzten. Der Beschuldigte überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn. Es ist zu Gunsten des Beschuldigten von guten Strassenverhältnissen und angesichts der Tatzeit (23:40 Uhr, an einem Werktag) von einem geringen Verkehrsaufkommen auszugehen. Diese Annahmen ändern aber nichts daran, dass der Beschuldigte mit seiner Fahrweise das hohe Risiko eines Unfalls mit Todesopfern oder Schwerverletzten geschaffen hat. Der Beschuldigte überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um nahezu 100 % (nämlich um 91 %). Es ist offensichtlich, dass die Gefahr eines Unfalls mit zunehmender Geschwindigkeit steigt: Einerseits verbleibt dem Lenker beim Auftreten einer unvorhergesehenen Situation (z.B. überraschender Fahrspurwechsel eines PW-Führers) weniger Zeit für eine Reaktion, andererseits verlängert sich der Bremsweg mit zunehmender Geschwindigkeit exponentiell. So beträgt der Bremsweg bei doppelter Geschwindigkeit das Vierfache . Zudem herrschte um 23:40 Uhr Dunkelheit, was die Sicht sehr stark einschränkte. Und schliesslich muss der Fahrzeugführer, der sich rechtskonform verhält und die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsvorschriften einhält, nicht mit einem PW-Führer rechnen, der die Verkehrsvorschriften derart krass verletzt. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG muss deshalb bejaht werden. 1.5.1 In subjektiver Hinsicht setzt Art. 90 Abs. 3 SVG eine «vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln» voraus; es handelt sich um ein Vorsatzdelikt. Für eine Verurteilung nach der Raser-Strafnorm gemäss Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG ist sowohl nach Philippe Weissenberger (Kommentar SVG, Art. 90 SVG N 159, 163) wie auch nach Gerhard Fiolka (in: Marcel Alexander Niggli/Thomas Probst/Bernhard Waldmann [Hrsg.], Basler Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, nachfolgend zit. «BSK-SVG», Art. 90 SVG N 149) ein doppelter Vorsatz erforderlich, der sich auf die Verkehrsregelverletzung und die tatbestandsmässige Risikoschaffung bezieht. Für beide Autoren ist klar, dass ein Eventualvorsatz genügt. 1.5.2 Fiolka fordert, dass der Tatbestand des Art. 90 Abs. 3 SVG in subjektiver Hinsicht nur auf besonders verwerfliche, rücksichtslose Verhaltensweisen angewandt werden soll, in welchen eine besondere Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer erblickt wird. Diese Gleichgültigkeit entspreche dem Tatbestandsmerkmal der «Skrupellosigkeit» i.S. von Art. 112 und 129 StGB (BSK-SVG, Art. 90 SVG N 151). 1.5.3 Im Rahmen eines Meinungsaustauschverfahrens gemäss Art. 23 Abs. 1 BGG hat die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts die Frage, ob die Anwendung von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG eine unwiderlegbare Vermutung hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes beinhalte, einhellig negativ beantwortet. Im Entscheid BGE 142 IV 137 (Pra Nr. 42/2017) hat sich das Bundesgericht sodann einlässlich mit dem subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG auseinandergesetzt. Das Bundesgericht kam in Anwendung der historischen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethode sowie unter Berücksichtigung der Lehre zum Schluss, dass keine Auslegungsmethode es erlaube, bezüglich Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung zu Gunsten der Erfüllung der subjektiven Tatbestandselemente von Abs. 3 im Falle einer der in Abs. 4 lit. a-d vorgesehenen Geschwindigkeitsüberschreitungen anzunehmen (E. 11.1). Das Bundesgericht führt in der Folge (E. 11.2) aus, dass derjenige, welcher eine von Art. 90 Abs. 4 SVG erfasste Geschwindigkeitsüberschreitung begehe, objektiv den Tatbestand der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 3 SVG erfülle und im Grundsatz die subjektiven Tatbestandselemente der Widerhandlung verwirkliche. Es gelte (aber) vom Gedanken Abstand zu nehmen, der Lenker habe durch Erreichen eines der in schematischer Art durch Art. 90 Abs. 4 SVG festgelegten Schwellenwertes eine krasse Geschwindigkeitsmissachtung begangen und einerseits mit dem Vorsatz gehandelt, elementare Verkehrsregeln zu verletzen, sowie andererseits das grosse Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern akzeptiert. Gemäss der einhelligen Meinung der Doktrin müsse der Richter einen gewissen, sehr beschränkten Spielraum behalten, um in besonderen Konstellationen die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes bei der besonders krassen Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinne von Art. 90 Abs. 4 SVG auszuschliessen. 1.5.4 Der Beschuldigte hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 120 km/h um 110 km/h, d.h. um nahezu 100 %, überschritten. Es ist ausgeschlossen, dass der Beschuldigte diese massive Geschwindigkeitsüberschreitung nicht bemerkt hat. Bezüglich des objektiven Tatbestandsmerkmals der krassen Verletzung einer elementaren Verkehrsregel hat der Beschuldigte in subjektiver Hinsicht somit vorsätzlich gehandelt. 1.5.5 Bezüglich des objektiven Tatbestandsmerkmales der Eingehung eines hohen Risikos eines Unfalls mit Todesopfern oder Schwerverletzten ist zum Vorsatz Folgendes festzuhalten: Der klare und ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zielt darauf, die krassen Überschreitungen der Geschwindigkeitslimiten im Sinne von Art. 90 Abs. 4 SVG streng zu bestrafen und den Ermessensspielraum des Richters bezüglich der Definition des Rasers und der Strafe einzuschränken (142 IV 137 = Pra Nr. 42/2017 E.11.1). Aus diesem historischen Willen des Gesetzgebers hat das Bundesgericht den vorstehend (Ziff. IV.15.3) erwähnten, sehr beschränkten Spielraum abgeleitet, welcher dem Richter bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG zustehen soll. Worauf sich dieser Spielraum genau bezieht und wie weit er geht, wird im erwähnten Entscheid nicht näher ausgeführt. Das Bundesgericht verneinte in diesem Entscheid die Möglichkeit eines Irrtums des dortigen Beschuldigten über die gültige Signalisation und die bestehenden Geschwindigkeitslimiten und bejahte in der Folge den subjektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG, ohne aber zum Vorsatz bezüglich dem Eingehen eines Risikos für einen Unfall mit Todesopfern oder Schwerverletzten weitere Ausführungen zu machen. Im vorliegenden Fall machte der Beschuldigte keine besonderen Umstände geltend und es sind auch keine solchen ersichtlich, welche gegen eine Inkaufnahme eines hohen Unfallrisikos mit Todesopfern oder Schwerverletzten sprechen würden. Der Beschuldigte fuhr bei Nacht auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 230 km/h. Die Einschätzung von Distanzen und Geschwindigkeit ist bei Nacht ungleich schwerer als bei Tag. Die Gefahr einer Falscheinschätzung der Fahrweise des Beschuldigten durch einen anderen Verkehrsteilnehmer oder die Gefahr einer Falscheinschätzung einer Verkehrssituation durch den Beschuldigten selbst war deshalb ausserordentlich gross. Ein Spurwechsel eines PW-Führers, der Distanz und Geschwindigkeit des Beschuldigten falsch einschätzen würde, wäre deshalb mit einem hohen Risiko eines Unfalls mit Todesopfern oder Schwerverletzten verbunden gewesen. Dieses Risiko hat der Beschuldigte mit der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit zumindest in Kauf genommen; anders kann sein Verhalten angesichts der damit verbundenen Gefahren nicht interpretiert werden. Der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG ist damit erfüllt. 1.5.6 Zusammenfassend ist der Beschuldige gestützt auf Art. 90 Abs. 3 und Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG schuldig zu sprechen. 2. Führen eines Motorfahrzeuges trotz Entzug des Führerausweises (Art. 10 Abs. 2 SVG; Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) 2.1 Dem Beschuldigten wurde am 12. Juli 2013 die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen (AS 1082 ff. und FAER-Eintrag im obergerichtlichen Dossier). Vor Obergericht bestätigte der Beschuldigte auf die entsprechende Frage ausdrücklich, er habe am 3. April 2014 keine Fahrerlaubnis gehabt (Einvernahmeprotokoll vom 4.3.2020, S. 4). Am 12. Mai 2015 wurde ein medizinisch-psychologisches Gutachten betreffend der Fahreignung des Beschuldigten erstellt. Die Fahreignung wurde in diesem Gutachten bejaht (AS 1396 ff.). Die Fahrerlaubnis wurde ihm ebenfalls mit Datum vom 12. Mai 2015 wieder erteilt (vgl. ebenfalls den FAER-Eintrag sowie vorstehende Ziff. III.3.7.2). Demnach ist erstellt, dass der Beschuldigte den PW Porsche mit deutschem Kontrollschild [...] am 3. April 2014 um 23:40 Uhr auf der Autobahn A1 in Oberbuchsiten (Fahrtrichtung Bern) lenkte, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt der Führerausweis bereits entzogen war. Der Beschuldigte unternahm diese Fahrt willentlich und im Wissen um die fehlende Fahrerlaubnis. 2.2 Die von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift genannte Strafnorm von Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG (Führen eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis) erfasst nur Fälle, in denen jemand ein Motorfahrzeug führt, obschon er gar nie im Besitz eines Führerausweises war (Philippe Weissenberger, Kommentar SVG, Art. 95 SVG N 5 mit Hinweis auf BGE 98 IV 55 E. 2 und Urteil des Bundesgerichts 6A.6/2004 vom 8.6.2004 E. 2.4), was vorliegend nicht zutrifft. Eine Verurteilung des Beschuldigten im Sinne von Art. 95 Abs. 1 lit. a SVG fällt somit ausser Betracht. Das Berufungsgericht hat sich die Anwendung von Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG (Führen eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises) zu Beginn der Hauptverhandlung ausdrücklich vorbehalten (vgl. vorstehendes Verfahrensprotokoll). Der in Ziff. 2 der Anklageschrift umschriebene Lebenssachverhalt nennt ausdrücklich die Dauer des gegen den Beschuldigten ausgesprochenen Führerausweisentzugs sowie die in diese Periode fallende und dem Beschuldigten zur Last gelegte Fahrt (vgl. vorstehende Ziff. III.1.1). Damit enthält der Vorhalt alle Elemente, die eine Subsumtion unter die Tatbestandsvariante von Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG erlauben. Der Beschuldigte hat sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandselemente dieser Bestimmung erfüllt und ist demnach des Führens eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises, begangen am 3. April 2014, schuldig zu sprechen. V. Strafzumessung 1. Grundsätze der Strafzumessung 1.1 Nach Art. 47 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Abs. 1). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Abs. 2). 1.2 Bei der Tatkomponente können fünf verschiedene objektive und subjektive Momente unterschieden werden. Beim Aspekt der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes (Ausmass des verschuldeten Erfolgs) geht es sowohl um den Rang des beeinträchtigten Rechtsguts wie um das Ausmass seiner Beeinträchtigung, aber auch um das Mass der Abweichung von einer allgemeinen Verhaltensnorm. Auch die Verwerflichkeit des Handelns (Art und Weise der Herbeiführung des Erfolgs) ist als objektives Kriterium für das Mass des Verschuldens zu berücksichtigen. Unter der subjektiven Seite ist die Intensität des deliktischen Willens (Willensrichtung des Täters) zu beachten. Dabei sprechen für die Stärke des deliktischen Willens insbesondere Umstände wie die der Wiederholung oder Dauer des strafbaren Verhaltens oder auch der Hartnäckigkeit, die der Täter mit erneuter Delinquenz trotz mehrfacher Vorverurteilungen oder sogar während einer laufenden Strafuntersuchung bezeugt. Hier ist auch die Skrupellosigkeit, wie auch umgekehrt der strafmindernde Einfluss, den es haben kann, wenn ein V-Mann bei seiner Einwirkung auf den Verdächtigen die Schranken des zulässigen Verhaltens überschreitet, zu beachten. Hinsichtlich der Willensrichtung ist dem direkten Vorsatz grösseres Gewicht beizumessen als dem Eventualdolus, während sich mit der Unterscheidung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit keine prinzipielle Differenz der Schwere des Unrechts oder der Schuld verbindet. Die Grösse des Verschuldens hängt weiter auch von den Beweggründen und Zielen des Täters ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Delinquenz umso schwerer wiegt, je grösser das Missverhältnis zwischen dem vom Täter verfolgten und dem von ihm dafür aufgeopferten Interesse ist. Schliesslich ist unter dem Aspekt der Tatkomponente die Frage zu stellen, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Hier geht es um den Freiheitsraum, welchen der Täter hatte. Je leichter es für ihn gewesen wäre, die Norm zu respektieren, desto schwerer wiegt die Entscheidung gegen sie und damit seine Schuld (BGE 117 IV 7 E. 3a/aa). Innere Umstände, die den Täter einengen können, sind unter anderem psychische Störungen mit einer Verminderung der Schuldfähigkeit, aber auch unterhalb dieser Schwelle, wie Affekte, die nicht entschuldbar, aber doch von Einfluss sind, Konflikte, die sich aus der Bindung an eine andere Kultur ergeben, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, subjektiv erlebte Ausweglosigkeit oder Verzweiflung. Auch äussere Umstände berühren die Schuld nur, wenn sie die psychische Befindlichkeit des Täters betreffen. 1.3 Bei der Täterkomponente sind einerseits das Vorleben, bei dem vor allem Vorstrafen ins Gewicht fallen – Vorstrafenlosigkeit wird neutral behandelt und bei der Strafzumessung nur berücksichtigt, wenn die Straffreiheit auf aussergewöhnliche Gesetzestreue hinweist (BGE 136 IV 1 E. 2.6) – und andererseits die persönlichen Verhältnisse (Lebensumstände des Täters im Zeitpunkt der Tat), wie Alter, Gesundheitszustand, Vorbildung, Stellung im Beruf und intellektuelle Fähigkeiten zu berücksichtigen. Des Weiteren zählen zur Täterkomponente auch das Verhalten des Täters nach der Tat und im Strafverfahren, also ob er einsichtig ist, Reue gezeigt, ein Geständnis abgelegt oder bei den behördlichen Ermittlungen mitgewirkt hat, wie auch die Strafempfindlichkeit des Täters. 1.4 Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der (schwersten) anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert, worauf innerhalb dieses neuen Rahmens die Strafe nach den üblichen Zumessungskriterien festzusetzen wäre. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu verlassen. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (BGE 136 IV 55 E. 5.8 S. 63 mit Hinweisen). 1.5 Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten. Die Anforderungen an die Prognose der Legalbewährung für den Strafaufschub liegen nach neuem Recht etwas tiefer. Während nach früherem Recht eine günstige Prognose erforderlich war, genügt nunmehr das Fehlen einer ungünstigen Prognose. Der Strafaufschub ist nach neuem Recht die Regel, von der grundsätzlich nur bei ungünstiger Prognose abgewichen werden darf (Urteil des Bundesgerichts 6B_214/2007 vom 13.11.2007 E. 5.3.2). Relevante Faktoren für die Einschätzung des Rückfallrisikos sind etwa die strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen oder Hinweise auf Suchtgefährdungen (BGE 134 IV 1 E. 4.2.1 S. 5). Auch bei der Aussprechung einer teilbedingten Strafe im Sinne von Art. 43 StGB ist Grundvoraussetzung das Bestehen einer begründeten Aussicht auf Bewährung. Die subjektiven Voraussetzungen von Art. 42 StGB gelten somit auch für die Anwendung von Art. 43 StGB. Beim Institut des teilbedingten Strafvollzuges ist der Strafzweck der Spezialprävention in den Vordergrund zu stellen. Der Hauptanwendungsbereich der teilbedingten Strafe liegt bei Freiheitsstrafen zwischen zwei und drei Jahren. Fällt die Legalprognose nicht negativ aus, tritt der teilbedingte Freiheitsentzug an die Stelle des in diesem Bereich nicht mehr möglichen vollbedingten Strafvollzuges. Im überschneidenden Anwendungsbereich von Art. 42 und Art. 43 StGB (zwischen einem und zwei Jahren Freiheitsstrafe) ist hingegen der (vollständige) Strafaufschub die Regel. Der teilbedingte Vollzug kommt nur (subsidiär) zur Anwendung, wenn der Aufschub wenigstens eines Teils der Strafe aus spezialpräventiver Sicht erfordert, dass der andere Strafteil unbedingt ausgesprochen wird (BGE 144 IV 277 E. 3.1.1 S. 280). 2. Konkrete Strafzumessung Das schwerste Delikt ist die qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 3 SVG i.V.m. Abs. 4 lit. d SVG) mit einem ordentlichen Strafrahmen von einem bis vier Jahren Freiheitsstrafe. 2.1 Tatkomponenten - Schwere der Gefährdung des betroffenen Rechtsguts Der Beschuldigte beging eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung, die allerdings vorausgesetzt ist, damit Art. 90 Abs. 3 SVG überhaupt zur Anwendung gelangt. Der Grenzwert im Sinne von Art. 90 Abs. 4 lit. d SVG (80 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von mehr als 80 km/h) ist jedoch erheblich überschritten worden, was im Rahmen der Strafzumessung straferhöhend zu berücksichtigen ist. Strafmindernd ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte die Geschwindigkeitsüberschreitung bei geringem Verkehrsaufkommen und guten Strassenverhältnissen auf der Autobahn beging. Die im Tatzeitpunkt herrschende Dunkelheit erhöhte demgegenüber das Gefährdungspotential. Eine konkrete Gefährdung Dritter– die allerdings Art. 90 Abs. 3 SVG auch nicht voraussetzt – ist jedoch nicht erstellt. - Willensrichtung des Täters, Intensität des verbrecherischen Willens Bezüglich der Geschwindigkeitsüberschreitung liegt direkter Vorsatz vor, bezüglich des hohen Risikos eines Unfalls ist zumindest von Eventualvorsatz auszugehen. - Beweggründe des Täters Es ist nicht klar, ob der Beschuldigte in Eile und unter Druck war oder ob er einfach das neue Auto austesten wollte. - Vermeidbarkeit des deliktischen Handelns Der Beschuldigte hätte sich ohne weiteres rechtskonform verhalten können. Unter Berücksichtigung des gesamten Tatspektrums, das unter die qualifizierte grobe Verkehrsregelverletzung fällt, sowie der Tatsache, dass die äusseren Bedingungen während der Fahrt überwiegend günstig waren, ist von einem leichten Tatverschulden auszugehen, welches im untersten Drittel des Strafrahmens, d.h. zwischen 12 bis 24 Monaten Freiheitsstrafe, anzusiedeln ist. Angemessen erscheint eine Einsatzstrafe von 16 Monaten Freiheitsstrafe. 2.2 Asperation Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG sieht als Sanktion eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Angesichts der mehrfachen einschlägigen Vorstrafen – der Beschuldigte wurde bislang fünf Mal wegen vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis bzw. trotz Fahrverbot strafrechtlich zur Verantwortung gezogen (vgl. hierzu die Auflistung unter nachfolgender Ziff. V.2.3 [Vorstrafen]) – kommt für dieses Delikt eine Geldstrafe nicht in Frage. Vielmehr ist die Einsatzstrafe aufgrund dieser weiteren Tat in Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB angemessen zu erhöhen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte eine lange Fahrtstrecke trotz Führerausweisentzugs zurückgelegt hat mit Abfahrt in der Region [Ort 1] und Ankunft in Genf, wo seine Firma für den Messeaufbau der [...] verantwortlich war. Angemessen erweisen sich für dieses Delikt 4 Monate Freiheitsstrafe. Unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips ist die Einsatzstrafe um zwei Monate auf 18 Monate zu erhöhen. 2.3 Täterkomponenten - Vorleben Der Beschuldigte, geboren [...], ist deutscher und [...] Doppelbürger. Er wuchs mit seinen Eltern und drei Schwestern in [Ort 1] auf und schloss nach dem Abitur ein Bauingenieurstudium ab. In der Folge arbeitete er drei Jahre als Bauingenieur in einem Planungsbüro in [Ort 1]. Darauf machte er sich mit einer Messebauagentur selbständig. Die C._ GmbH, eine Messebaugesellschaft, gründete er im Jahre [...] (vgl. Audio-Dokument und separates Einvernahmeprotokoll vom 4.3.2020, S. 6). - Vorstrafen und Eintrag im FAER Der Beschuldigte ist im Schweizerischen Strafregister nicht verzeichnet (AS 299). Im Zentralregister der Bundesrepublik Deutschland ist der Beschuldigte aktuell wie folgt verzeichnet (vgl. eingeholte Auskunft vom 10.2.2020 im obergerichtlichen Dossier): - Entscheid vom 5. April 2002 des Amtsgerichts [Ort 1]: vorsätzliches Fahren trotz Fahrverbot, begangen am 13. Dezember 2001, Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je EUR 50.00; - Entscheid vom 18. Januar 2006, Amtsgericht [Ort 1]: falsche Versicherung an Eides statt in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen am 24. Mai 2005, Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je EUR 20.00 sowie Sperre für die Fahrerlaubnis bis 22. Mai 2007; - Entscheid vom 16. März 2006, Amtsgericht [Ort 4]: vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen am 3. Mai 2005, Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je EUR 40.00; - Entscheid vom 27. September 2007, Amtsgericht [Ort 1]: vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fahrlässiger Körperverletzung, begangen am 18. August 2007, Freiheitsstrafe von 5 Monaten mit einer Bewährungszeit bis 26. September 2009 (mit mehrmaliger Verlängerung), Erlass der Strafe mit Wirkung vom 2. April 2013, Sperre für die Fahrerlaubnis bis 26. September 2008; - Entscheid vom 27. November 2008, Amtsgericht [Ort 1]: vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen am 29. Mai 2008, Freiheitsstrafe von 4 Monaten mit einer Bewährungszeit bis 4. Dezember 2011, Erlass der Strafe mit Wirkung vom 20. April 2012; - Entscheid vom 25. Februar 2010, Amtsgericht [Ort 1]: vorsätzliche Insolvenzverfahrensverschleppung und Bankrott, begangen am 28. Januar 2008, Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je EUR 15.00. Der letzte Führerausweisentzug datiert vom 12. Juli 2013: Der Beschuldigte erreichte für (nicht im deutschen Strafregister eintragungspflichtige) Verkehrsregelverstösse 21 Punkte, was von Gesetzes wegen zum Entzug der Fahrerlaubnis führte (vgl. AS 1084). - Nachtatverhalten Der Beschuldigte hat nach dem positiven Gutachten betreffend seiner Fahreignung den Führerausweis am 12. Mai 2015 wiederum ausgehändigt erhalten. Rund einen Monat später, am 19. Juni 2015, wurde das vorliegend Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Seit dem 3. April 2014 und damit bereits seit rund 6 Jahren sind keine weiteren Widerhandlungen gegen die Verkehrsvorschriften oder andere Strafbestimmungen bekannt. Während des laufenden Strafverfahrens ist der Beschuldigte demzufolge nicht mehr deliktisch in Erscheinung getreten. Der Beschuldigte machte im Rechtshilfeverfahren vor den deutschen Behörden von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und verhielt sich im Untersuchungsverfahren und vor erster Instanz nicht kooperativ. Vor Obergericht bestritt er die ihm vorgehaltenen Taten, was sein gutes Recht ist. Sein Nachtatverhalten ist insgesamt neutral zu werten. - Aktuelle Verhältnisse Der Beschuldigte ist Geschäftsführer und alleiniger Inhaber der C._ GmbH, eine auf Messebau spezialisierte Firma. Gemäss den im Berufungsverfahren eingereichten Unterlagen erzielt er ein Einkommen von jährlich EUR 100'750.00. Er ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen im Alter von [...] und [...] Jahren. - Folgenberücksichtigung Der Beschuldigte führte vor Obergericht aus, das Autofahren sei ihm nicht mehr so wichtig wie vor fünf oder sechs Jahren. Sofern ihm der Führerausweis entzogen werden sollte, würde er einen weiteren Mitarbeiter anstellen, der ihn dann chauffieren würde. Es wäre nicht dramatisch (separates Einvernahmeprotokoll vom 4.3.2020, S. 7). Mit diesen Ausführungen stellte der Beschuldigte klar, dass ihn ein allfälliger Führerausweisentzug, der aber gemäss seinem Verteidiger aufgrund der deutschen Rechtslage nicht erwartet werde, nicht hart treffen würde. Die Täterkomponenten wirken sich angesichts der Vielzahl von Vorstrafen und des belasteten automobilistischen Leumunds insgesamt straferhöhend aus. Die Freiheitsstrafe ist deshalb um zwei Monate zu erhöhen, so dass – vor Berücksichtigung des staatlichen Verhaltens (Verletzung des Beschleunigungsgebots) – eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten resultiert. 2.4 Beschleunigungsgebot 2.4.1 Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 5 StPO geregelte Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörde, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um den Beschuldigten nicht unnötig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Es gilt für das ganze Verfahren (BGE 143 IV 49E. 1.8.2 S. 61 mit Hinweisen). Die Frist, deren Angemessenheit zu beachten ist, beginnt mit der offiziellen amtlichen Mitteilung der zuständigen Behörde an den Betroffenen, dass ihm die Begehung einer Straftat angelastet wird (BGE 117 IV 124 E. 3 S. 126). Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den konkreten Umständen ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Kriterien hierfür bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhaltes, die dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten des Beschuldigten und dasjenige der Behörden sowie die Zumutbarkeit für den Beschuldigten (BGE 130 I 269 E. 3.1 S. 273 mit Hinweis). 2.4.2 Das Verfahren gegen den Beschuldigten wurde am 19. Juni 2015 eröffnet. Die Anklageschrift datiert vom 31. Oktober 2017. Die staatsanwaltschaftliche Strafuntersuchung nahm somit rund 2 1 / 3 Jahre in Anspruch. Die Staatsanwaltschaft Kanton Solothurn konnte eine Vielzahl von Untersuchungshandlungen (Befragungen, Durchsuchungen) nicht selbst am ausländischen Wohnsitz des Beschuldigten und am ausländischen Sitz der Halterfirma vornehmen, sondern musste hierfür die deutschen Behörden um Rechtshilfe ersuchen und war auf deren Mitwirkung angewiesen. Der Beschuldigte verweigerte zudem die Kooperation, indem er mehreren Vorladungen der Staatsanwaltschaft Solothurn keine Folge leistete. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Dauer der Strafuntersuchung noch nicht als unangemessen lang zu qualifizieren. Zwischen der Anklageerhebung und der erstinstanzlichen Urteilsfällung am 15. November 2018 vergingen 12 1⁄2 Monate. Auch diese Dauer ist nicht zu beanstanden, wobei es zu berücksichtigen gilt, dass der Beschuldigte die massgeblichen Verzögerungen in diesem Verfahrensstadium selbst zu verantworten hat: Er blieb zum einen der ersten Hauptverhandlung, welche auf den 5. März 2018 angesetzt worden war, unentschuldigt fern. Zum anderen stellte er kurz vor der zweiten erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 4. Juni 2018, nämlich am 24. Mai 2018, ein Ausstandsbegehren gegen den fallführenden Staatsanwalt B._, mit der Folge, dass die Vorinstanz ihr Urteil erst fällen konnte, nachdem das Ausstandsbegehren letztinstanzlich vom Bundesgericht Ende Oktober 2018 abgewiesen worden war (vgl. Ziff. I.10. und 12.). Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist jedoch in Bezug auf die Ausfertigung der erstinstanzlichen Urteilsbegründung festzustellen. Nach der schriftlichen Urteilseröffnung vergingen über 9 Monate bis dem vormaligen Vertreter des Beschuldigten am 21. August 2019 das begründete Urteil zugestellt wurde. Damit wurde die das Beschleunigungsgebot konkretisierende Ordnungsfrist von Art. 84 Abs. 4 StPO, welche eine Zustellung des begründeten Urteils grundsätzlich innert 60 Tagen und ausnahmsweise innert 90 Tagen vorsieht, massiv überschritten. Der Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist mit einer Reduktion der Strafe um 2 Monate Rechnung zu tragen. Es resultiert somit eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten. 2.5 Vollzugsform - Sozialisationsbiographie Der Beschuldigte wuchs in geordneten und stabilen Verhältnissen mit seinen Eltern und drei Schwestern in Deutschland auf, wo er in der Folge die Schulen besuchte und erfolgreich ein Bauingenieurstudium abschloss. - Strafrechtliche Vorbelastung Der Beschuldigte ist im Strafregister von Deutschland mehrfach wegen Widerhandlungen gegen das deutsche Strassenverkehrsgesetz verzeichnet (vgl. die ausführliche Darstellung unter Ziff. V.2.3 [Vorstrafen]). Relativierend ist allerdings festzuhalten, dass die entsprechenden Eintragungen lange zurückliegen: Der letzte Eintrag datiert vom 25. Februar 2010, der letzte Eintrag wegen Widerhandlungen gegen das deutsche Strassenverkehrsgesetz stammt aus dem Jahr 2008. - Arbeitsverhalten Der Beschuldigte ist als Geschäftsführer und Inhaber der C._ GmbH beruflich integriert und erfolgreich. - Soziale Bindungen Der Beschuldigte ist familiär und sozial integriert. - Suchtgefährdungen Es liegen keine Hinweise auf Suchtgefährdungen vor. Zusammenfassend spricht einzig die einschlägige strafrechtliche Vorbelastung des Beschuldigten für das Bestehen einer schlechten Legalprognose. Der Richter darf jedoch ein einzelnes Kriterium nicht in den Vordergrund rücken, sondern muss die Frage der Gewährung des bedingten Strafvollzuges anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände beantworten (Schneider/Garré in: Balser Kommentar Strafrecht I, 4. Auflage, Art. 42 StGB N 46). Die legalprognostisch positiv zu wertenden Faktoren überwiegen. Die letzte aktenkundige verkehrsrechtliche Delinquenz des Beschuldigten stellen die vorliegend zu beurteilende Vorhalte dar; seit nunmehr knapp 6 Jahren (davon annähernd 5 Jahre wieder im Besitz des Führerausweises) hat sich der Beschuldigte im Strassenverkehr offenbar rechtskonform verhalten. Hinzu kommt, dass das am 12. Mai 2015 erstellte medizinisch-psychologische Gutachten der Begutachtungsstelle für Fahreignung, D-Karlsruhe (AS 1396 ff.), zum Schluss kam, es sei nicht zu erwarten, dass der Beschuldigte in Zukunft erheblich gegen verkehrsrechtliche und/oder strafrechtliche Bestimmungen verstossen würde. Bei dieser Ausgangslage kann nicht vom Vorliegen einer schlechten Legalprognose ausgegangen werden. Damit fällt der vollständige Vollzug der Freiheitsstrafe ausser Betracht. Für Freiheitsstrafen im überschneidenden Anwendungsbereich von Art. 42/43 StGB (zwischen einem und zwei Jahren) ist der Strafaufschub nach Art. 42 StGB die Regel. Art. 43 StGB hat die Bedeutung, dass die Warnwirkung des Teilaufschubes angesichts des gleichzeitig angeordneten Teilvollzuges für die Zukunft eine weitaus bessere Prognose erlaubt. Erforderlich ist aber stets, dass der teilweise Vollzug der Freiheitsstrafe für die Erhöhung der Bewährungsaussichten unumgänglich erscheint (BGE 134 IV 1 E. 5.5.2 S. 14 f.). Dieses letztgenannte Erfordernis ist vorliegend zu verneinen. Der Beschuldigte hat in den vergangenen knapp 6 Jahren unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, deliktsfrei zu leben. Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges für die Freiheitsstrafe in Kombination mit einer Busse nach Art. 106 StGB (Art. 42 Abs. 4 StGB) erweist sich deshalb spezialpräventiv als ausreichend. Mit der Auferlegung der zu bezahlenden Busse wird dem Beschuldigten ein spürbarer Denkzettel verabreicht. Das Hauptgewicht hat jedoch auf der bedingten Freiheitsstrafe zu liegen, während der Busse nur untergeordnete Bedeutung zukommt ( BGE 134 IV 1 E. 4.5.2 S. 8; BGE 135 IV 188 E. 3.3. S. 189). Die schuldangemessene Gesamtstrafe beträgt vorliegend 18 Monate Freiheitsstrafe. Von dieser Gesamtstrafe ist eine Busse auszuscheiden, die einem Monat Freiheitsstrafe entspricht. Ausgangspunkt der Berechnung bildet das ausgewiesene Jahreseinkommen von EUR 100‘750.00, monatlich EUR 8‘395.85 bzw. CHF 8'983.55 (Wechselkurs von 1,07 am 4.3.2020). Für die Steuerbelastung und die Krankenkassenbeiträge sind pauschal 30 % (= CHF 2'695,05) abzuziehen, so dass CHF 6'288.50 verbleiben. Von diesem Betrag sind schliesslich für das 1. Kind 15 % (= CHF 943.30) und für das 2. Kind 12,5 % (= CHF 786.05) in Abzug zu bringen, während für die ebenfalls erwerbstätige Ehefrau (Teilzeitpensum von 50 %) der Unterstützungsabzug entfällt. Unter Berücksichtigung dieser weiteren Kürzungen resultiert ein Tagessatz von abgerundet CHF 150.00 (= CHF 4'559.15 : 30) und ein Bussenbetrag von CHF 4'500.00. Der Beschuldigte ist demnach in Anwendung von Art. 42 Abs. 4 StGB zum einen zu einer bedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe von 17 Monaten zu verurteilen. Angesichts der Vorstrafen und des nicht unbelasteten automobilistischen Leumundes ist die Probezeit auf drei Jahre festzulegen (Art. 44 Abs. 1 StGB). Zum anderen ist er zu einer Busse von total CHF 4‘500.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 30 Tagen, zu verurteilen. VI. Aufhebung des Beschlagnahmebefehls und Revokation 1. Die Staatsanwaltschaft erliess am 2. Juli 2015 einen Beschlagnahmebefehl für den Personenwagen Porsche, 991 TURBO (911 TURBO S 3.8), Fahrgestell-Nr. [...], Kennzeichen (D) [...] (AS 235 ff.), der nie vollzogen werden konnte. Wie dies vom Beschuldigten beantragt wurde und von der Staatsanwaltschaft unbestritten blieb, ist der Beschlagnahmebefehl nun aufzuheben. 2. Ebenso ist die Ausschreibung des deutschen Kennzeichens [...] im nationalen Fahndungssystem RIPOL (vgl. hierzu AS 232 und AS 239) zu revozieren. VII. Kosten- und Entschädigungsfolgen 1. Erstinstanzliches Verfahren 1.1 Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 2'000.00, hat der verurteilte Beschuldigte in Anwendung von Art. 426 Abs. 1 StPO zu bezahlen. 1.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Anträge des Beschuldigten auf Zusprechung einer Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren sowie auf Ersatz der Auslagen für das Privatgutachten abzuweisen (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO, e contrario). 2. Berufungsverfahren 2.1 Die Kosten des Berufungsverfahrens machen mit einer Urteilsgebühr von CHF 4'000.00 und den weiteren Auslagen insgesamt CHF 4'080.00 aus und tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte ist mit seinem Hauptantrag auf Verfahrenseinstellung, eventualiter auf Freispruch nicht durchgedrungen. Er erzielte aber einen nicht unbeachtlichen Teilerfolg im Berufungsverfahren, da nun der Vollzug der gesamten Freiheitsstrafe aufgeschoben wird, während die Vorinstanz noch eine teilbedingt zu vollziehende Freiheitsstrafe von 16 Monaten vorsah, davon 8 Monate unbedingt. Im Weiteren wird die Probezeit um ein Jahr reduziert und der Antrag des Beschuldigten auf Aufhebung des Beschlagnahmebefehls wird gutgeheissen. Bei diesem Verfahrensausgang rechtfertigt es sich, von den Kosten des Rechtsmittelverfahrens dem Beschuldigten 4 / 5 (= CHF 3'264.00) zur Bezahlung aufzuerlegen, während CHF 816.00 (= 1 / 5 ) zu Lasten des Staates gehen. 2.2 Der Kostenentscheid präjudiziert die Entschädigungsfrage (BGE 137 IV 352 E. 2.4.2). Dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, ist demzufolge vom Staat Solothurn eine reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen, die 1 / 5 einer vollen Parteientschädigung ausmacht. Für das Berufungsverfahren werden in der Honorarnote von Rechtsanwalt Konrad Jeker 27.83 Stunden (exkl. Hauptverhandlung und Nachbearbeitung) sowie Auslagen von CHF 33.70 (zzgl. 7,7 % MWST) geltend gemacht. Für die Hauptverhandlung (8:30 - 10:40 Uhr) sind 2,16 Stunden und für die Nachbearbeitung eine halbe Stunde hinzuzuzählen, so dass gerundet 30 1⁄2 Stunden resultieren. Der Stundenansatz des privat bestellten Verteidigers beträgt gemäss § 158 Abs. 2 GT CHF 230.00 bis maximal CHF 330.00. Der (teilweise) in der Honorarnote geltend gemachte Ansatz von CHF 300.00 pro Stunde rechtfertigt sich nur ausnahmsweise, insbesondere wenn für die zu beurteilende Strafsache Spezialkenntnisse erforderlich sind, was vorliegend nicht zutrifft. Als angemessen erweisen sich vorliegend CHF 260.00, so dass für 30 1⁄2 Stunden CHF 7'930.00 resultieren. Die volle Parteientschädigung beträgt demnach CHF 8'576.90 (Aufwand: CHF 7'930.00, Auslagen von CHF 33.70, 7,7 % MWST: CHF 613.20). Dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, ist demzufolge für das Berufungsverfahren eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 1'715.40 (= 1 / 5 von CHF 8’576.90) zuzusprechen, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse. 3. Verrechnung Die vom Beschuldigten zu tragenden Verfahrenskosten von total CHF 5'264.00 (1. Instanz: CHF 2'000.00, 2. Instanz: CHF 3'264.00) sind in Anwendung von Art. 442 Abs. 4 StPO mit der ihm zugesprochenen reduzierten Parteientschädigung von CHF 1'715.40 zu verrechnen, so dass dieser dem Staat Solothurn noch Verfahrenskosten von CHF 3'548.60 schuldet. Demnach wird in Anwendung von Art. 10 Abs. 2, Art. 32 Abs. 2, Art. 90 Abs. 3 i.V.m. und Abs. 4 lit. d, Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG; Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV, aArt. 42 Abs. 1 und 4, Art. 44 Abs. 1 und 3, Art. 47, Art. 49 Abs. 1, Art. 106 StGB, Art. 379 ff., Art. 398 ff., Art. 426 Abs. 1, Art. 428 Abs. 1 und 3, Art. 436 Abs. 2, Art. 442 Abs. 4 StPO beschlossen und erkannt : 1. Der Antrag des Beschuldigten A._ auf Einstellung des Strafverfahrens wird abgewiesen. 2. Der Beschuldigte hat sich schuldig gemacht: - der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln; - des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises; beides begangen am 3. April 2014. 3. Der Beschuldigte wird verurteilt zu: - einer Freiheitsstrafe von 17 Monaten, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei einer Probezeit von 3 Jahren. - einer Busse von CHF 4'500.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 30 Tagen; 4. Der Beschlagnahmebefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 2. Juli 2015 für den Personenwagen Porsche, 991 TURBO (911 TURBO S 3.8), Fahrgestell-Nr. [...], Kennzeichen (D) [...] sowie allfällige weitere Zwangsmassnahmen im Zusammenhang mit dem genannten Fahrzeug werden aufgehoben und die Ausschreibung des Kennzeichens (D) [...] im nationalen Fahndungssystem RIPOL wird revoziert. 5. Der Antrag des Beschuldigten auf Ersatz der Auslagen für das Privatgutachten von Q._ wird abgewiesen. 6. Der Antrag des Beschuldigten auf Zusprechung einer Parteientschädigung für das erstinstanzliche Verfahren wird abgewiesen. 7. Dem Beschuldigten, privat vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, wird für das Berufungsverfahren eine reduzierte Parteientschädigung von total CHF 1'715.40 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWST) zugesprochen, zahlbar durch den Staat Solothurn, vertreten durch die Zentrale Gerichtskasse (vgl. aber auch nachfolgende Ziff. 10). 8. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 1'000.00, total CHF 2'000.00, hat der Beschuldigte zu bezahlen. 9. Die Kosten des Berufungsverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 4'000.00, total CHF 4'080.00, hat der Beschuldigte im Umfang von 4 / 5 (= CHF 3'264.00) zu bezahlen. 1 / 5 (= CHF 816.00) geht zu Lasten des Staates. 10. Die vom Beschuldigten zu tragenden Verfahrenskosten von total CHF 5'264.00 (1. Instanz: CHF 2'000.00, 2. Instanz: CHF 3'264.00) werden mit der ihm zugesprochenen reduzierten Parteientschädigung von CHF 1'715.40 verrechnet, so dass er dem Staat Solothurn noch Verfahrenskosten von CHF 3'548.60 schuldet. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Marti Lupi De Bruycker Der vorliegende Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 6B_716/2020 vom 2. März 2021 bestätigt.
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SG_OG_006
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 21. Januar 2019 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , Beschwerdeführer gegen Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt, Amthaus 1, Postfach 157, 4502 Solothurn Beschwerdegegner betreffend Wechsel der unentgeltlichen Rechtsbeiständin zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : 1. Die Ehegatten [...] führen vor dem Richteramt Bucheggberg-Wasseramt ein Eheschutzverfahren, welches die Ehefrau am 12. April 2018 angehoben hatte. Am 23. April 2018 leitete die KESB Region Solothurn ein Schreiben von Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf, wonach diese die Interessen des Ehemannes A._ vertrete, an das Richteramt Bucheggberg-Wasseramt weiter. Darauf beantragte Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf beim Richteramt Bucheggberg-Wasseramt die Gewährung der integralen unentgeltlichen Rechtspflege unter ihrer Beiordnung als unentgeltliche Rechtsbeiständin, was der Amtsgerichtspräsident am 25. Juni 2018 wie beantragt bewilligte. 2. Am 17. Dezember 2018 (Postaufgabe) stellte der Ehemann ein Gesuch um Wechsel der amtlichen Anwältin und erklärte, er möchte sich nicht mehr durch Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf vertreten lassen und beantrage noch vor dem (Verhandlungs-)Termin einen Wechsel der Rechtsanwältin. Er habe mit Simone Gasser aus Bern bereits eine neue Anwältin gefunden. 3. Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf, der Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde, erklärte am 8. Januar 2019, sie verzichte auf eine Stellungnahme. Das Vertrauensverhältnis sei offensichtlich zerstört, weshalb sie ersuche, dem Wunsch von Herrn A._ zu entsprechen. 4. Der Amtsgerichtspräsident verweigerte am 10. Januar 2019 den beantragten Wechsel der bestellten unentgeltlichen Rechtsbeiständin. 5. Dagegen erhob der Ehemann (von nun an der Beschwerdeführer) am 17. Januar 2019 form- und fristgerecht Beschwerde an das Obergericht und verlangte, dass einem Anwaltswechsel zugestimmt werde. 6. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, ist die Beschwerde im Sinne von Art. 322 ZPO offensichtlich unzulässig und unbegründet und kann deshalb sogleich ohne Stellungnahme der Gegenpartei abgewiesen werden, soweit darauf eingetreten werden kann. 7. Der Amtsgerichtspräsident begründete die Verweigerung des Wechsels der unentgeltlichen Rechtsbeiständin damit, dass eine solche nur zu bewilligen sei, wenn aus objektiven Gründen eine sachgerechte Vertretung nicht mehr gewährleistet sei. Es genüge nicht, wenn der Verbeiständete geltend mache, er habe das Vertrauen in die unentgeltliche Rechtsbeiständin verloren. Er müsse substantiieren, dass die unentgeltliche Rechtsbeiständin ihre Aufgabe nicht korrekt erfüllt habe und weshalb das Vertrauensverhältnis gestört sei. Das vorliegende, sehr aufwändige Eheschutzverfahren stehe kurz vor dem Abschluss. Der Ehemann mache keine objektiven Gründe geltend, welche das Vertrauensverhältnis zu seiner Rechtsbeiständin als derart zerstört erachten liessen, als dass ihm eine Fortführung der unentgeltlichen Verbeiständung durch sie nicht mehr zumutbar wäre. Der erste von ihm angegebene Grund treffe gar nicht zu. Entgegen seiner Behauptung habe Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf den Memory Stick mit Videos von der gemeinsamen Tochter beim Spielen mit ihm am 24. Mai 2018 ins Recht gelegt. Die generelle Stellungnahme der unentgeltlichen Rechtsbeiständin vermöge eine Auflösung des öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen ihr und dem Kanton Solothurn nicht zu begründen. Dieses sei auch aus finanziellen Gründen bis zum anstehenden Abschluss des Verfahrens aufrechtzuerhalten. 8. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, er sei mit der Arbeit seiner bestellten Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf nicht zufrieden und habe kein Vertrauen mehr zu ihr. Sie habe selber geschrieben, ihr Vertrauensverhältnis sei zerrüttet. Er verstehe nicht, weshalb das Gericht das so nicht akzeptiert habe. So könne die Verhandlung vom 24. Januar 2019 nicht stattfinden und er verlange eine Verschiebung. Die Anwältin habe ihre Arbeit nicht korrekt ausgeführt und habe insbesondere wichtige Beweiseingaben nicht vorgenommen. Auch habe Frau Weisskopf wiederholt Aussagen von ihm falsch wiedergegeben, was ihn anstatt seine Ehefrau in ein sehr schlechtes Licht gerückt habe. So habe sie seine Aussagen zum Klopfen an der Haustüre seiner Ehefrau komplett falsch wiedergegeben. Auch habe sie die kaputte Badewanne vor Gericht nicht erwähnt, welche seine Ehefrau vor den Augen ihrer Tochter zerstört habe. Er habe oft das Gefühl gehabt, Frau Weisskopf handle eher im Interesse seiner Ehefrau anstatt für ihn. Er stehe nun in einem ganz schlechten Licht da, was sich durch das ganze Verfahren ziehe und sich nicht mehr rückgängig machen lasse. Seine Interessen seien von Frau Weisskopf nicht wahrgenommen worden. 9. Die Beschwerde ist ein unvollkommenes ausserordentliches Rechtsmittel, mit welchem unrichtige Rechtsanwendung und offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden kann (Art. 320 der Schweizerischen Zivilprozessordnung; ZPO, SR 272). Sie ist begründet einzureichen (Art. 321 Abs. 1 ZPO). In der Beschwerdebegründung ist u.a. darzulegen, auf welchen Beschwerdegrund sich der Beschwerdeführer beruft und an welchen Mängeln der angefochtene Entscheid leidet. Es besteht eine Rügepflicht (Dieter Freiburghaus/Susanne Afheldt in: Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich Basel Genf 2016, N 15 zu Art. 321). 10.1 Soweit der Beschwerdeführer erneut seine Unzufriedenheit mit seiner unentgeltlichen Rechtsbeiständin zum Ausdruck bringt, begnügt er sich damit, seine bereits beim Vorderrichter gemachten Behauptungen zu wiederholen und seine Sicht der Dinge derjenigen des Vorderrichters entgegenzuhalten. Damit zeigt er aber in keiner Weise, was am angefochtenen Urteil falsch sein soll. Insofern bleibt er in seinen subjektiven Empfindungen verhaftet und bringt keine objektiven Gründe vor, die auf ein offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten seiner unentgeltlichen Rechtsbeiständin, wegen dem eine effektive Vertretung nicht mehr gewährleistet ist, schliessen lassen (Stefan Meichssner: Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV]. Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Basel 2008, S. 198). 10.2 Insbesondere erwähnt der Beschwerdeführer auch nicht, welche wichtigen Beweiseingaben seine unentgeltliche Rechtsbeiständin unterlassen hat. Insbesondere lassen auch ihre Ausführungen in ihrer Eingabe vom 30. Oktober 2018 den Beschwerdeführer alles andere als in einem schlechten Licht erscheinen. Dort hatte sie vorgetragen, der Beschwerdeführer habe die Gegenstände – ein Piano und eine Gitarre für seine Tochter – vor der Haustüre seiner Ehefrau deponiert und einmal geklopft, um ihr zu signalisieren, dass er da sei, worauf er den Wohnort seiner Ehefrau verlassen habe. Ihr Mandant habe weder Sturm geklingelt, noch habe er wie ein Verrückter an ihre Türe geklopft oder geschrien. Was dem Beschwerdeführer an dieser Darstellung zum Nachteil gereichen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr werden alle ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe bestritten. Die Behauptung, seine Ehefrau habe die Badewanne vor den Augen ihrer Tochter zerstört, lag dem Vorderrichter so noch nicht vor und ist damit neu und unzulässig. Selbst wenn dieser Umstand der unentgeltlichen Rechtsbeiständin bekannt gewesen wäre, stellte sich die Frage, ob es prozesstaktisch sinnvoll ist, der Gegenpartei in den Rechtsschriften jede mögliche, aber kaum beweisbare Beschuldigung vorzuhalten. Am Vorwurf, sie habe dem Gericht den Memory Stick nicht eingereicht, hält der Beschwerdeführer hingegen nicht mehr fest, nachdem der Amtsgerichtspräsident in der angefochtenen Verfügung darauf hingewiesen hat, dass sie genau dies getan hat. Abschliessend ist festzuhalten, dass Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf in sämtlichen Rechtsschriften klar und deutlich die Position des Beschwerdeführers vertreten und stets sämtliche ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe bestritten hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, seine unentgeltliche Rechtsbeiständin habe seine Interessen nicht vertreten, findet in ihren Eingaben denn auch nicht die geringste objektive Stütze, im Gegenteil. 10.3 Auch der Einwand, die unentgeltliche Rechtsbeiständin habe selbst geschrieben, das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, verfängt nicht. Rechtsanwältin Sabrina Weisskopf hat nicht von sich aus den Antrag gestellt, sie sei von ihrem Amt zu entlassen. Vielmehr hat sie zunächst auf eine Stellungnahme zum Antrag des Beschwerdeführers verzichtet. Es ist offenkundig, dass sie gerade wegen dieses Antrags anschliessend erklärt hat, das Vertrauensverhältnis sei offensichtlich zerstört. Hätte sie etwas Anderes gesagt, hätte sie sich erneut dem Vorwurf des Beschwerdeführers ausgesetzt, sie handle gegen seine Interessen. Der Amtsgerichtspräsident hat zu Recht nicht auf diese vage Stellungnahme abgestellt. Denn gewisse Unstimmigkeiten zwischen dem Anwalt und unentgeltlichen Rechtsbeistand sind ohnehin in Kauf zu nehmen, solange dieser die wesentlichen Interessen seiner Klientschaft ausreichend wahrnimmt (Viktor Rüegg/Michael Rüegg in: Karl Spühler et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Basel 2017, Art. 118 N 15). Zudem ist beim Auswechseln eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes wegen der damit verbundenen Mehrkosten zulasten des Staates Zurückhaltung geboten (Viktor Rüegg/Michael Rüegg, a.a.O.). Dies gilt umso mehr, wenn die unentgeltliche Rechtsbeiständin wie vorliegend auf Wunsch des Begünstigten eingesetzt wurde (Stefan Meichssner, a.a.O., S. 199). 11. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Damit erübrigen sich weitere Erwägungen über eine Verschiebung der bereits seit 23. November 2018 angesetzten Verhandlung. Eine offensichtlich unbegründete und unzulässige Beschwerde ist auch zum vornherein aussichtslos, was die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ohnehin ausgeschlossen hätte (BGE 129 II 129 E. 2.3.1.), wenn diese denn beantragt worden wäre. Der Beschwerdeführer hat deshalb die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit einer Entscheidgebühr von CHF 450.00 zu bezahlen. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2. A._ hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 450.00 zu bezahlen. Rechtsmittel: Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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Obergericht Strafkammer Urteil vom 12. März 2019 Es wirken mit: Vizepräsident Marti Oberrichter Müller Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin gegen A._ , amtlich verteidigt durch Advokat Alain Joset, Beschuldigter und Berufungskläger betreffend gewerbsmässiger Diebstahl, mehrfache Sachbeschädigung, mehrfache geringfügige Sachbeschädigung, mehrfacher Hausfriedensbruch, mehrfacher versuchter Hausfriedensbruch, Es erscheinen zur Verhandlung vor Obergericht: - für die Staatsanwaltschaft als Anklägerin, Staatsanwalt B._; - A._, Beschuldigter und Berufungskläger; - Advokat Markus Husmann als Substitut von Advokat Alain Joset, amtlicher Verteidiger des Beschuldigten; - C._, Dolmetscherin; - ein Polizeibeamter. Der Vizepräsident eröffnet die Verhandlung, gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt und stellt die Anwesenden fest. Die Dolmetscherin wird auf die Pflicht zur wahrheitsgemässen Übersetzung, auf die Straffolgen bei falscher Übersetzung gemäss Art. 307 StGB und auf die Straffolgen bei Verletzung der Geheimhaltungspflicht gemäss Art. 73 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 320 StGB aufmerksam gemacht. Anschliessend macht der Vizepräsident Ausführungen zum Anfechtungsgegenstand (vgl. nachfolgend I. Ziff. 10), schildert den Ablauf der Verhandlung und bittet den amtlichen Verteidiger, die Kostennote dem Staatsanwalt zur Einsicht zu überreichen. Der amtliche Verteidiger weist darauf hin, er habe diese nicht bei sich, weil das Büro gestern geschlossen gewesen sei, er könne sie aber anschliessend faxen. Der Staatsanwaltschaft führt dazu aus, er gehe davon aus, dass die Kostennote in Ordnung sei, nachdem es vor der Vorinstanz so gewesen sei. Zudem überprüfe das Gericht diese ja auch. Der Staatsanwalt hat keine Vorfragen oder Vorbemerkungen. Der amtliche Verteidiger erwähnt, es müsse nicht nochmals zu allen Delikten befragt werden. Der Beschuldigte könne nicht zu allem aussagen, da er keine örtlichen Kenntnisse gehabt habe und es dunkel gewesen sei. Im Hinblick auf das Strafmass müsse er indessen zum Umstand, weshalb es zu den Diebstählen gekommen sei resp. zu seiner damaligen Situation befragt werden. Der Vizepräsident bestätigt, nicht zu allen Vorhalten Fragen stellen zu wollen. Anschliessend erfolgt die Befragung des Beschuldigten. Sie wird mit technischen Mitteln aufgezeichnet (Datenträger in den Akten). Der Staatsanwalt stellt keinen Beweisantrag. Der amtliche Verteidiger stellt und begründet den Antrag, es müsse das Handy des Beschuldigten ausgewertet werden, wenn seine damaligen finanziellen Probleme in Frage gestellt würden. Der Staatsanwalt beantragt die Abweisung dieses Antrags. Die Verhandlung wird zur geheimen Beratung des Antrags unterbrochen. Nach der Wiederaufnahme eröffnet der Vizepräsident den Beschluss , der Antrag sei abgewiesen. Er komme sehr spät, um nicht zu sagen, zu spät. Der Beschuldigte habe über zwei Jahre Zeit gehabt, diesen Antrag zu stellen. Es gehe um ein Verfahren, das beschleunigt geführt werden müsse und eine Auswertung des Handys, samt Neuansetzung der Hauptverhandlung, würde Monate dauern. Das Gewicht dieses Beweisantrags sei zu gering, um das Verfahren so lange zu unterbrechen. Da keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, wird das Beweisverfahren geschlossen. Damit die Dolmetscherin nicht länger warten muss, wird das letzte Wort des Beschuldigten in dessen Einverständnis vorgezogen. Dieser erwähnt, er sei der Meinung, die Strafe sei etwas hart ausgefallen. Nicht, weil er im Gefängnis sei, aber einfach für die Delikte, die er begangen habe. Das, was er gemacht habe, habe er gemacht. Er habe volles Vertrauen in das Gericht, die Staatsanwaltschaft, in alle. Er sei in die Schweiz gekommen und habe der Schweiz geschadet. Es tue ihm leid; gegenüber den hier Anwesenden und gegenüber den Leuten, die es betreffe. Es sei aus finanziellen Gründen passiert, wegen seiner blöden Situation. Es tue ihm leid, er mache das nie mehr. Er wolle leben wie ein normaler Bürger. Es stellen und begründen folgende Anträge : Staatsanwalt B._ : 1. Es sei festzustellen, dass die Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichts von Dorneck-Thierstein vom 14. August 2018 in Rechtskraft erwachsen ist. 2. Der Beschuldige sei des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung und des mehrfachen, teilweise versuchten Hausfriedensbruchs gemäss Anklageschrift (Deliktsverzeichnis Ziff. 4, 5, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 34, 35, 38, 41 und 42) schuldig zu sprechen. 3. Der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten zu verurteilen. Das Urteil sei als Zusatzurteil zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 24. September 2018 auszufällen. 4. Dem Beschuldigten sei gestützt auf Art. 51 StGB der bisher ausgestandene Freiheitsentzug anzurechnen. 5. Der Beschuldigte sei gestützt auf Art. 66a Abs. 1 lit. c und d StGB für eine Dauer von 10 Jahren aus der Schweiz zu verweisen. 6. Das beschlagnahmte Bargeld sei gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB einzuziehen. Die weiteren beschlagnahmten Gegenstände seien dem Beschuldigten nach Rechtskraft des Urteils auszuhändigen. 7. Das Honorar der amtlichen Verteidigung sei nach gerichtlichem Ermessen festzusetzen. Auf den Rückforderungsanspruch des Staates sei zu verzichten. 8. Die Verfahrenskosten seien im Umfang des erstinstanzlichen Urteils plus die Kosten des Berufungsverfahrens dem Beschuldigten aufzuerlegen. Advokat Markus Husmann : 1. Zusätzlich zu den bisherigen Freisprüchen (gemäss Ziff. 1 des Urteils vom 14. August 2018 sowie der nicht angefochtenen Zivilpunkte [auch Ziff. 5 des erstinstanzlichen Urteils] und Kostendeckungsbeschlagnahme) sei der Beschuldigte freizusprechen von folgenden Vorwürfen - betreffend mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahl: - Delikt 5, 19, 20, 22, 23, 24, 29, 34, 38 - betreffend mehrfache Sachbeschädigung: - Delikt 5, 19, 20, 22, 23, 24, 29, 34, 38 - betreffend mehrfachen Hausfriedensbruch: - Delikt 5, 19, 20, 22, 23, 24, 29, 34 - betreffend versuchten Hausfriedensbruch: - Delikt 38. Dementsprechend sei das vorinstanzliche Urteil auch im Kostenpunkt anzupassen. 2. Der Beschuldigte sei des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs und des versuchten Hausfriedensbruchs schuldig zu sprechen. Er sei vom Vorwurf des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs freizusprechen. Er sei mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten (unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft sowie der angetretenen vorzeitigen Strafe) zu bestrafen. 3. Der Beschuldigte sei für die Dauer von 5 Jahren des Landes zu verweisen. 4. Unter o/e- Kostenfolge. Die amtliche Verteidigung sei im vorliegenden Verfahren bewilligt worden; es sei dem amtlichen Verteidiger dementsprechend ein Honorar gemäss Honorarnote vom 12. März 2019 (zzgl. Honorar Verhandlung) zuzusprechen. Der Staatsanwalt verzichtet auf eine Replik. Hierauf wird der öffentliche Teil der Verhandlung geschlossen. Die Parteien erklären sich mit einer schriftlichen Urteilseröffnung nach vorgängiger telefonischer Kurzorientierung ausdrücklich einverstanden. Die Strafkammer des Obergerichts zieht in Erwägung : I. Prozessgeschichte 1. Am frühen Morgen des 10. Dezember 2016 wurde der Beschuldigte A._ von der Polizei Basel-Landschaft bei einem Einbruchdiebstahl im Einfamilienhaus in [...] (BL) auf frischer Tat ertappt und festgenommen (Akten Seiten [AS] 938 ff.,1360 ff.). Noch gleichentags eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen den Beschuldigten ein Verfahren wegen Diebstahls (AS 1234), führte eine Hausdurchsuchung im Hotelzimmer des Beschuldigten durch (AS 983 ff.), stellte diverse Gegenstände und Vermögenswerte sicher (AS 1017 ff.) und ordnete einen Wangenschleimhautabstrich zwecks DNA-Analyse an (AS 1235). 2. Mit Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 13. Dezember 2016 wurde Untersuchungshaft für vorläufig zwei Monate bis am 13. Februar 2017 angeordnet (AS 1389 ff.). Am 14. Februar 2017 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Untersuchungshaft um drei Monate bis am 13. Mai 2017. Dabei stellte es fest, dass dem Beschuldigten bis dahin 16 Einbruchdiebstähle vorgeworfen werden, wobei die Vorwürfe teilweise von DNA-Hits gestützt würden (AS 1398 ff.). 3. Am 17. Februar 2017 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eine Strafuntersuchung gegen D._. Dieser wurde verdächtigt, als Gehilfe des Beschuldigten bei den Einbruchdiebstählen mitgewirkt zu haben (AS 1238). 4. Aufgrund eines DNA-Hits betreffend einen Einbruchdiebstahl vom 23. Mai 2013 in [...] stellte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft gestützt auf Art. 34 Abs. 1 Satz 2 StPO eine Gerichtsstandsanfrage an die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (AS 1257). Mit Verfügung vom 27. April 2017 bzw. vom 1. Mai 2017 anerkannte Letztere den Gerichtsstand betreffend der in Frage stehenden Einbruchdiebstähle sowohl in Bezug auf den Beschuldigten als auch in Bezug auf D._ (AS 1259 ff.). 5. Am 2. August 2017 bewilligte die Staatsanwaltschaft auf Ersuchen des Beschuldigten den vorzeitigen Strafvollzug (AS 1439). Am 9. November 2017 wurde er in die Justizvollzugsanstalt Lenzburg verlegt (AS 1441 ff.). 6. Mit Verfügung vom 19. Januar 2018 wurde das Verfahren gegen D._ mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt (AS 1359.2 ff.). 7. Am 12. März 2018 erhob die Staatsanwaltschaft beim Richteramt Dorneck-Thierstein Anklage gegen den Beschuldigten wegen mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfacher geringfügiger Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs (AS 1655 ff.). Gemäss der Anklageschrift sowie dem beiliegenden Deliktsverzeichnis (AS 1662 ff.) wird dem Beschuldigten vorgeworfen, insgesamt 42 Einbruchdiebstähle in den Gemeinden [...], [...], [...], [...], [...], [...], [...], [...] und [...] begangen zu haben. Diese Delikte habe er nach der Art eines Berufes ausgeübt, weshalb ein gewerbsmässiger Diebstahl im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB vorliege. Eine erste Serie von Einbruchdiebstählen habe er in der Zeit vom 21. Mai 2013 bis am 25. Juni 2013 und eine zweite Serie in der Zeit vom 30. November 2016 bis am 10. Dezember 2016 begangen. Dadurch erfülle er die Qualifikation des gewerbsmässigen Diebstahls mehrfach. 8. Am 14. August 2018 fällte das Amtsgericht von Dorneck-Thierstein folgendes Strafurteil: « 1. A._ wird freigesprochen vom Vorhalt: 1.1. des gewerbsmässigen Diebstahls - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ und der F._, (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...], z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ und der R._, (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen am 05.12.2016, in der Zeit von 05:00 Uhr bis 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Z._ (Delikt 33); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). 1.2. der mehrfachen Sachbeschädigung - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ und der F._, (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...], z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ und der R._ (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). 1.3. des mehrfachen Hausfriedensbruchs - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). 1.4. des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...], z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37). 2. A._ hat sich schuldig gemacht: 2.1. des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...], [...], z.Nt. von AE._ und der AF._, (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41); - begangen am 10.12.2016, von ca. 04:00 Uhr bis ca. 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AY._ und AZ._ (Delikt 42). 2.2. der mehrfachen Sachbeschädigung - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...], z.Nt. von AE._ und der AF._, (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41). 2.3. des mehrfachen Hausfriedensbruchs - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...], z.Nt. von AE._ (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41); - begangen am 10.12.2016, von ca. 04:00 Uhr bis ca. 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AY._ und AZ._ (Delikt 42). 2.4. des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38). 3. A._ wird verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 4 1⁄2 Jahren. Die vom 10.12.2016 bis am 01.08.2017 ausgestandene Untersuchungshaft (235 Tage) sowie der am 02.08.2017 angetretene vorzeitige Strafvollzug sind an die Strafe anzurechnen. 4. A._ wird in Anwendung von Art. 66a StGB für 10 Jahre des Landes verwiesen. 5. A._ hat der AF._, Schadenersatz in der Höhe von CHF 2'016.00 zu bezahlen (Delikt 4). 6. Die F._, wird zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 1). 7. Die R._, wird zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 14). 8. S._ wird zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 15). 9. T._ wird zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 16). 10. AI._ wird zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 20). 11. AL._ wird zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 23). 12. AQ._ wird zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 28). 13. AR._ wird zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 28). 14. Die mit Beschlagnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 04.07.2017 beschlagnahmten Gegenstände (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate), sind an A._ innert 30 Tagen nach Rechtskraft des Urteils auf Verlangen herauszugeben. Im Verzichtsfall sind die Gegenstände zu vernichten: - 1 Zugbillet «Milano-Basel» vom 27.11.2016, 15:29 Uhr - 1 Bestätigung Verkehrsministerium - 1 Krankenkassenbestätigung - 1 Mobiltelefon Nokia, schwarz - 2 Sim-Karten Vodafone - 1 Zahlungsbeleg Riverside Apartment Hotel GmbH - 1 T-Shirt Fred Perry, weiss, Grösse L - 1 Herrenschal Navy Boot, schwarz/weiss/grau gestreift mit Fransen - 1 Herrenshirt, grün - 1 T-Shirt Versace, weiss, Grösse L - 1 T-Shirt, Emporio Armani, weiss, Grösse XL - 1 Herrenhemd John Langford, schwarz/weiss gestreift, Grösse L - 1 Paar Herrensocken, schwarz - 1 Taschenlampe VARTA, grau. 15. Das mit Beschlagnahmeverfügung vom 04.07.2017 beschlagnahmte Bargeld in der Höhe von CHF 1'587.20 (Aufbewahrungsort: Zentrale Gerichtskasse Solothurn) wird nach Rechtskraft des Urteils zur teilweisen Deckung der Verfahrenskosten eingezogen. 16. Es wird festgestellt, dass dem amtlichen Verteidiger, Advokat Alain Joset, gemäss Verfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft vom 05.05.2017 für seine Bemühungen aus der amtlichen Verteidigung vom 11.12.2016 bis zum 03.05.2017 eine Entschädigung von CHF 2'946.50 (inkl. Mehrwertsteuer) ausgerichtet wurde. Vorbehalten wurde der Rückforderungsanspruch des Staates sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang der Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar (Art. 135 Abs. 4 lit. a und b StPO). 17. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A._, Advokat Alain Joset, für die Bemühungen aus der amtlichen Verteidigung ab dem 03.05.2017 wird auf gesamthaft CHF 12'687.40 (inkl. CHF 1'506.10 Dolmetscherkosten, Auslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt und ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu zahlen, zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 11'181.30 (ohne Dolmetscherkosten) sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A._ erlauben (Art. 135 Abs. 4 StPO). 18. Die Verfahrenskosten von CHF 45'486.00 (inkl. einer Staatsgebühr von CHF 17'000.00, Gerichtsauslagen von CHF 1'000.00, Kosten des Haftgerichts von CHF 300.00, Kosten des Vorverfahrens von CHF 27'186.00 [insbesondere Polizeikosten von CHF 13'500.00, Ausserkantonale Kosten von CHF 10'531.00, ausserkantonale Zwangsmassnahmengerichtskosten von CHF 950.00 sowie Fernmeldedienstleistungen von CHF 2'205.00]) hat A._ im Umfang von CHF 22'743.00 zu bezahlen.» 9. Gegen das Urteil liess der Beschuldigte am 27. August 2018 die Berufung anmelden. Mit Berufungserklärung vom 16. Oktober 2018 wird beantragt, der Beschuldigte sei vom Vorwurf des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs sowie des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs vollumfänglich und kostenlos freizusprechen. Die Berufung richte sich – eventualiter – auch gegen die Bemessung der Strafe sowie die Modalitäten des Vollzugs (unbedingt/teilbedingt) und die angeordnete Landesverweisung. Weiter richte sich die Berufung auch gegen die Verurteilung zur Bezahlung einer Schadenersatzforderung. Entsprechend sei eine Neubeurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen vorzunehmen. 10. Damit ist das amtsgerichtliche Urteil vom 14. August 2018 wie folgt in Rechtskraft getreten: - Ziffer 1: Freisprüche; - Ziffern 6 bis 13: Verweisung von Zivilforderungen auf den Zivilweg; - Ziffern 14 und 15: Entscheide über Beschlagnahmungen; - Ziffern 16 und 17 (teilweise): Höhe der zugesprochenen Entschädigungen an den amtlichen Verteidiger. 11. Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht vom 12. März 2019 beschränkte der Beschuldigte die Berufung und verlangte Freisprüche betreffend den Delikten 5, 19, 20, 22, 23, 24, 29, 34, und 38. Beantragt wurden die Ausfällung einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten, bedingt erlassen auf eine Probezeit von zwei Jahren, als Zusatzstrafe und eine Landesverweisung von fünf Jahren. Somit ist auch Ziffer 5 des erstinstanzlichen Urteils (zugesprochene Zivilforderung) rechtskräftig. II. Sachverhalt 1. Gemäss der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie Art. 10 Abs. 3 StPO verankerten Maxime «in dubio pro reo» ist bis zum Nachweis der Schuld zu vermuten, dass die einer Straftat angeklagte Person unschuldig ist: es gilt demnach die Unschuldsvermutung. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 120 Ia 36 ff, 127 I 40 f) betrifft der Grundsatz der Unschuldsvermutung sowohl die Verteilung der Beweislast als auch die Würdigung der Beweise. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Als Beweiswürdigungsregel ist der Grundsatz «in dubio pro reo» verletzt, wenn sich der Strafrichter von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhaltes überzeugt erklärt, obschon bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, dass sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, da solche immer möglich sind. Obwohl für die Urteilsfindung die materielle Wahrheit wegleitend ist, kann absolute Gewissheit bzw. Wahrheit nicht verlangt werden, da diese der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen ist. Mit Zweifeln ist deshalb nicht die entfernteste Möglichkeit des Andersseins gemeint. Erforderlich sind vielmehr erhebliche und schlechthin nicht zu unterdrückende Zweifel, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei mehreren möglichen Sachverhaltsversionen hat der Richter auf die für den Beschuldigten günstigste abzustellen. Eine Verurteilung darf somit nur erfolgen, wenn die Schuld des Verdächtigten mit hinreichender Sicherheit erwiesen ist, d.h. wenn Beweise dafür vorliegen, dass der Täter mit seinem Verhalten objektiv und subjektiv den ihm vorgeworfenen Sachverhalt verwirklicht hat. Voraussetzung dafür ist, dass der Richter einerseits persönlich von der Tatschuld überzeugt ist und andererseits die Beweise die Schuld des Verdächtigen in einer vernünftige Zweifel ausschliessenden Weise stützen. Der Richter hat demzufolge nach seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegenden Beweise darüber zu entscheiden, ob er eine Tatsache für bewiesen hält oder nicht (BGE 115 IV 286). Das Gericht folgt bei seiner Beweisführung dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): es würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung und ist damit bei der Wahrheitsfindung nicht an die Standpunkte und Beweisführungen der Prozessparteien gebunden. Unterschieden wird je nach Art des Beweismittels in persönliche (Personen, welche die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen bekannt geben: Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und Beschuldigten) und sachliche Beweismittel (Augenschein und Beweisobjekte wie Urkunden oder Tatspuren). Dabei kommt es nicht auf die Zahl oder Art der Beweismittel an, sondern auf deren Überzeugungskraft oder Beweiskraft. Das Gericht entscheidet nach der persönlichen Überzeugung, ob eine Tatsache bewiesen ist oder nicht. 2. Dem Beschuldigten werden in der Anklage insgesamt 41 Einbruchdiebstahlsdelikte nach der sog. «Fensterbohrer-Methode» (teilweise versucht) und ein Einschleichdiebstahlsversuch (bei dem er auf frischer Tat ertappt und von der Polizei festgenommen wurde) vorgehalten. Die einzelnen Delikte sind im Deliktsverzeichnis vom 12. März 2018, welches integrierender Bestandteil der Anklageschrift ist (vgl. auch AS 1662 ff.), mit den Nummern 1 – 42 aufgeführt und werden im Folgenden ebenfalls mit diesen Deliktsnummern bezeichnet. Das Amtsgericht hat den Beschuldigten von folgenden Vorhalten rechtskräftig freigesprochen: Delikte Nrn. 1, 2, 3, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 30, 31, 32, 33, 36, 37, 39 und 40. 3. Nachdem der Beschuldigte anlässlich der Einvernahmen im Rahmen des Vorverfahrens jeweils von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, nahm er an der Hauptverhandlung vor Amtsgericht erstmals zu den Vorwürfen Stellung. Dabei gab er zu, in den Jahren 2013 und 2016 in der Schweiz Einbruchdiebstähle begangen zu haben. Zu den einzelnen Delikten hat er sich jedoch nicht geäussert, da er sich nicht mehr daran erinnern könne. Er wisse auch nicht mehr, wo er diese begangen habe und wie viele es insgesamt gewesen seien. Es seien jedoch sicher weniger als 42 gewesen. Bei denjenigen Delikten, bei denen ein DNA-Hit bezüglich seiner Person resultiert habe, müsse er es gewesen sein (AS 1846/ 848). Die Verteidigung führte dementsprechend im Rahmen ihres Parteivortrags aus, der Beschuldigte bestreite diejenigen Delikte nicht, in denen die Beweislage eindeutig sei. Dies betreffe zunächst das Delikt 42, bei welchem er auf frischer Tat ertappt worden sei, sowie das Delikt 41, welches in der gleichen Nacht in unmittelbarer Nachbarschaft stattgefunden habe. Zudem bestreite er die Delikte Nrn. 4, 21, 25, 26, 27, 28 sowie 35 nicht. Bei diesen lägen eindeutige DNA-Hits vor, welche seine Täterschaft bewiesen (AS 1875). In Bezug auf alle anderen Delikte bestünden allerdings unüberwindbare Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten, weshalb in Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro reo» bei diesen ein Freispruch zu erfolgen habe (AS 1876 f.). 4. Die Vorinstanz hat auf US 8 bis 35 hinsichtlich der 42 vorgehaltenen Delikte eine sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung vorgenommen. Bei auch nur geringfügigen Zweifeln an der Täterschaft des Beschuldigten wurde auf Freispruch erkannt. Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind zutreffend, weshalb auf deren Ausführungen verwiesen werden kann. Die von ihr als erstellt erachteten Sachverhalte sind allesamt rechtsgenüglich nachgewiesen, kurz zusammengefasst mit folgender Begründung: - Delikt 4, begangen zwischen dem 23. Mai 2013, ca. 22.00 Uhr, und dem 24. Mai 2013, ca. 7.10 Uhr, in [...], (Einfamilienhaus): Hier wurde ab dem Bohrloch eine DNA-Spur gesichert, welche mit dem DNA-Profil des Beschuldigten übereinstimmt. Der Beschuldigte hat vor Amtsgericht diesen Vorhalt anerkannt. Gemäss Strafanzeige (AS 89 ff.) habe sich die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode Zutritt zur betroffenen Wohnung verschafft, sämtliche Räume durchsucht und den Tatort in der Folge unter Mitnahme von Deliktsgut im Wert von total CHF 2'130.00 (Bargeld, Uhr, «Goldvreneli») wieder verlassen. Der am Fenster entstandene Sachschaden habe sich auf ca. CHF 50.00 belaufen. - Delikt 5, begangen in der gleichen Nacht wie Delikt 4, zwischen ca. 23.30 und 6.00 Uhr, in [...] (EFH): Anhand der grossen zeitlichen und örtlichen Nähe (Distanz gut 1 km), des gleichen modus operandi (Fensterbohrer-Methode, Durchsuchung der Räumlichkeiten, Mitnahme von Bargeld, Schmuckstücken und Uhren) bestehen keine ernsthaften Zweifel am vorgehaltenen Sachverhalt. Gemäss Strafanzeige (AS 120 ff.) habe die Täterschaft ein ca. 6 bis 8 mm grosses Loch in die Sitzplatztür gebohrt, diese in der Folge geöffnet und die Liegenschaft betreten. Während die Hausbewohner im Obergeschoss geschlafen hätten, habe die Täterschaft sodann diverse Behältnisse durchsucht und den Tatort unter Mitnahme von diversen Schmuckstücken, Uhren, einer Aktentasche, Bargeld sowie einer Damenhandtasche im Gesamtwert von ca. CHF 4'545.00 wieder verlassen. Durch das Bohren sei an der Sitzplatztüre ein Sachschaden von ca. CHF 1'100.00 entstanden. Zudem sei der Maschendrahtzaun heruntergedrückt worden, wodurch ein Schaden von ca. CHF 200.00 resultiert habe. - Delikt 19, begangen zwischen dem 8. Juni 2013, ca. 21.20 Uhr, und dem 9. Juni 2013, ca. 14.00 Uhr, in [...] (EFH): In derselben Nacht wurde in [...], das Delikt 21 verübt, bei dem ab dem zurückgelassenen Schraubenzieher eine DNA-Spur gesichert werden konnte, welche sich mit dem DNA-Profil des Beschuldigten deckt. Anhand der grossen zeitlichen und örtlichen Nähe (Distanz 100 bis 200 m), des gleichen modus operandi (Fensterbohrer-Methode, Durchsuchung der Räumlichkeiten, Mitnahme von Bargeld, Schmuckstücken und Uhren, wobei es bei Delikt 21 beim Versuch blieb) bestehen keine ernsthaften Zweifel am vorgehaltenen Sachverhalt. Gleiches gilt für das Delikt 20, das in der gleichen Nacht in [...] verübt wurde. Gemäss Strafanzeige (AS 375 ff.) sei die Täterschaft mittels Fensterbohrer-Methode in das betroffene Einfamilienhaus gelangt. Während der Hausbewohner geschlafen habe, habe die Täterschaft sämtliche Räume und Behältnisse durchsucht und das Haus schliesslich unter Mitnahme von Deliktsgut wieder verlassen. Durch das Bohrloch im Fensterrahmen sei ein Sachschaden von ca. CHF 600.00 entstanden. Gemäss der Strafanzeige sowie dem Nachtragsrapport vom 11. Juli 2013 (AS 385 ff.) umfasste das Deliktsgut im Gesamtwert von ca. CHF 21'345.00 diverse Schmuckstücke, Uhren, eine Krawattennadel, Bargeld, eine Fotokamera, eine Flasche Wein sowie Zigaretten. - Delikt 20, begangen in der gleichen Nacht zwischen ca. 00.45 und 7.00 Uhr: Der Vorhalt ist erstellt, es kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Gemäss der Strafanzeige (AS 412 ff.) habe sich die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode am 9. Juni 2013 zwischen ca. 00:45 Uhr und ca. 7:15 Uhr Zutritt zu der betroffenen Wohnung verschafft. Nachdem in der Wohnung diverse Behältnisse durchsucht worden seien, habe die Täterschaft den Tatort unter Mitnahme von Bargeld, eines Laptops sowie einer Uhr im Gesamtwert von CHF 1'490.00 wieder verlassen. Der Hausbewohner habe während der Tat im Schlafzimmer geschlafen. Durch das Bohrloch im Fensterrahmen sei ein Sachschaden von ca. CHF 200.00 entstanden. - Delikt 21, begangen in der gleichen Nacht um 4.15 Uhr: Der Vorhalt ist erstellt und nach den vorstehenden Ausführungen auch unbestritten (DNA-Hit). Gemäss der Strafanzeige (AS 433 ff.) habe die Täterschaft ein Loch in den Rahmen des Wohnzimmerfensters der Liegenschaft in [...] gebohrt. Der Bewohner, welcher im 1. Obergeschoss geschlafen habe, sei durch die Bohrgeräusche erwacht und habe sich ins Erdgeschoss begeben. Dabei habe er bemerkt, wie eine männliche Person – welche einen schwarzen Kapuzen-Pullover getragen habe – versucht habe, mit einem Draht durch das Bohrloch hindurch den Fenstergriff zu drehen. Daraufhin habe der Bewohner sofort das Fenster geöffnet. Die Täterschaft sei erschrocken und geflüchtet. Die Polizeipatrouille konnte vor dem Wohnzimmerfenster eine verbogene Fahrradspeiche sowie einen Schraubenzieher auffinden. Durch das Bohrloch im Fensterrahmen sei ein Sachschaden von ca. CHF 600.00 entstanden. - Delikt 22, begangen am 12. Juni 2013 zwischen 2.30 und 2.40 Uhr in [...], (EFH): Gemäss der Strafanzeige (AS 458 ff.) habe sich die Täterschaft mittels Fensterbohrer-Methode Zutritt zum Haus verschafft, im Innern diverse Behältnisse durchsucht und daraus Deliktsgut entwendet. Noch während des Einbruchdiebstahls sei die Täterschaft jedoch von einer Bewohnerin, welche im Untergeschoss geschlafen habe, überrascht worden. Der Täter habe diese Bewohnerin mit der Taschenlampe ins Gesicht geblendet. Die Bewohnerin habe angefangen zu schreien, woraufhin die Täterschaft die Liegenschaft unter Mitnahme des Deliktsguts fluchtartig verlassen habe. Das Diebesgut im Gesamtwert von CHF 5'195.00 habe eine Fotokamera inkl. Zubehör, ein Fernglas, eine Uhr, ein «Goldvreneli» sowie Bargeld umfasst. Durch das Bohrloch sei ein Sachschaden von CHF 600.00 entstanden. Gemäss dem Bericht der forensischen Abteilung der Polizei Basel-Landschaft vom 9. Februar 2017 (AS 467 ff.) wurde ab der Bohrlochumgebung eine DNA-Spur gesichert, aus welcher ein inkomplettes, männliches DNA-Profil erstellt werden konnte. Nach einem lokalen Vergleich wurde sodann festgestellt, dass das DNA-Profil des Beschuldigten mit dem inkompletten DNA-Profil der Spur übereinstimmt. Die Tat erfolgte in zeitlicher und örtlicher Nähe zu den Delikten 19 bis 21 (drei Tage vorher: vorstehend) und 23 bis 27 (vier Tage nachher: nachstehend), wobei bei den Delikten 25, 26 und 27 jeweils eine DNA-Spur des Beschuldigten sichergestellt werden konnte, weshalb er diese drei Vorhalte anerkannte. Zudem stimmte der modus operandi (Fensterbohrer-Methode) bei all diesen Delikten überein. Zusammen mit der Übereinstimmung der DNA des Beschuldigten mit dem inkompletten DNA-Profil einer Spur vom Tatort ist der vorgehaltene Sachverhalt bei Delikt 22 rechtsgenüglich erstellt. - Delikt 23, begangen in der Nacht vom 15. Juni 2013, ca. 19.00 Uhr, auf den 16. Juni 2013, ca. 8.30 Uhr in [...], (EFH): Die Delikte 23 bis 26 wurden in der gleichen Nacht in unmittelbar benachbarten Gemeinden ([...]) ausgeführt. Delikt 23 wurde in [...] an der Gemeindegrenze zu [...], rund 150 Meter vom Tatort 24 entfernt, begangen. Bei den Delikten 25 und 26 wurden DNA-Spuren des Beschuldigten sichergestellt, weshalb er diese Delikte nicht bestreitet. Aufgrund der grossen zeitlichen und örtlichen Nähe sowie des übereinstimmenden modus operandi (in diesen Fällen sogar mit gleichem Bohrlochdurchmesser) ist der vorgehaltene Sachverhalt rechtsgenüglich erstellt. Aus der Strafanzeige (AS 482 ff.) geht hervor, dass die Täterschaft sich auf das von einer Mauer umfriedete Grundstück begeben und daraufhin versucht habe, mittels Fensterbohrer-Methode in die Liegenschaft zu gelangen. Dies sei ihr jedoch nicht gelungen, da der Griff des Fensters abgeschlossen gewesen sei. Daraufhin habe die Täterschaft den Tatort wieder verlassen. Durch den Einbruchversuch sei ein Sachschaden von CHF 500.00 entstanden. Der Durchmesser der im vorliegenden Fall festgestellten Bohrlöcher habe 8 mm betragen (AS 486). - Delikt 24, begangen in der gleichen Nacht zwischen ca. 23.30 und 8.30 Uhr in [...], (EHF): Der Sachverhalt ist aus vorstehenden Erwägungen erstellt. Gemäss der Strafanzeige (AS 496 ff.) habe sich die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode Zutritt zum Einfamilienhaus in [...] verschafft. Während die Bewohner des Hauses schliefen, habe die Täterschaft sämtliche Räumlichkeiten und Behältnisse durchsucht. Schliesslich habe die Täterschaft die Liegenschaft unter Mitnahme einer Armbanduhr im Wert von CHF 2'000.00 wieder verlassen. Der durch das ca. 8 mm breite Bohrloch (AS 501) entstandene Sachschaden habe CHF 500.00 betragen. - Delikt 25, begangen in der gleichen Nacht zwischen 1.15 und 1.30 Uhr in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist angesichts der sichergestellten DNA-Spur des Beschuldigten unbestritten. Der Strafanzeige (AS 511 ff.) ist zu entnehmen, dass die Täterschaft am 16. Juni 2013 zwischen 1.15 Uhr und 1.30 Uhr mittels Fensterbohrer-Methode versucht habe, in die von einem Zaun sowie von Gebüschen umfriedete Liegenschaft in [...] zu gelangen. Die Bewohnerin des Hauses habe in der Küche ein Geräusch wahrgenommen. Daraufhin sei sie in die Küche gegangen und habe das Licht angemacht, wodurch die Täterschaft vermutlich gestört worden und geflüchtet sei. Durch das ca. 8-9 mm breite Bohrloch im Fensterrahmen (AS 516) sei ein Sachschaden von CHF 500.00 entstanden. - Delikt 26, begangen in der gleichen Nacht zwischen ca. 4.00 Uhr und 6.30 Uhr in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist angesichts der sichergestellten DNA-Spur des Beschuldigten unbestritten. Aus der Strafanzeige (AS 529 ff.) geht hervor, die Täterschaft sei in Anwendung der Fensterbohrer-Methode in das Einfamilienhaus gelangt, habe im Innern diverse Behältnisse durchsucht und den Tatort schliesslich unter Mitnahme von Deliktsgut im Gesamtwert von CHF 3'170.00 wieder verlassen. Das Diebesgut habe 3 Fotokameras inkl. Speicherkarten sowie ein Badetuch umfasst. Auf dem Sitzplatz habe die Täterschaft mehrere durchsuchte Taschen der Geschädigten zurückgelassen. Letztere habe während der Tat im ersten Stock geschlafen. Durch das 7-9 mm breite Bohrloch am Fensterrahmen (AS 534) sei ein Sachschaden von CHF 500.00 entstanden. - Delikt 27, begangen am frühen Morgen des 25. Juni 2013 um 4.25 bis 4.29 Uhr in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist angesichts der sichergestellten DNA-Spur des Beschuldigten unbestritten. Gemäss der Strafanzeige (AS 549 ff.) sei die Täterschaft am 25. Juni 2013 zwischen 4.25 Uhr und 4.29 Uhr mittels Fensterbohrer-Methode in das Einfamilienhaus in [...] eingedrungen. Im Innern des Hauses habe die Täterschaft diverse Behältnisse durchsucht. Sie habe unter anderem eine Damenhandtasche behändigt und aus dem darin liegenden Portemonnaie CHF 50.00 entwendet. Die Bewohnerin des Hauses sei während der Tat aufgrund eines Geräusches erwacht und habe sodann ihren Mitbewohner sowie die Polizei alarmiert. Daraufhin sei die Täterschaft unter Mitnahme der 50 Franken-Note sowie eines iPhones im Wert von CHF 700.00 geflüchtet. Dabei habe sie die zuvor behändigte Damenhandtasche neben einem Gartenstuhl zurückgelassen. Der durch das Loch im Fensterrahmen entstandene Sachschaden habe CHF 400.00 betragen. Fazit betreffend die erste Deliktsserie zwischen Ende Mai und Ende Juni 2013: Die Täterschaft des Beschuldigten ist bei den Delikten 4, 5, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26 und 27 erstellt. Der Beschuldigte hat also im Mai bzw. Juni 2013 in den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft insgesamt 11 (teilweise versuchte) Einbruchdiebstähle begangen. Die zweite Deliktsserie begann in der Nacht vom 30. November 2016 auf den 1. Dezember 2016 und endete am 10. Dezember 2016 mit Delikt 42, bei dem der Beschuldigte auf frischer Tat ertappt und festgenommen wurde. Aus den Akten geht hervor, dass der Beschuldigte am 27. November 2016 in die Schweiz eingereist war. Das entsprechende Zugbillet für die Strecke Milano-Basel wurde anlässlich der Hausdurchsuchung im Hotelzimmer des Beschuldigten beschlagnahmt (AS 1022). Der Beschuldigte hat an der Hauptverhandlung vor Amtsgericht bestätigt, dass er an diesem Tag von Milano nach Basel gereist ist (AS 1846). Ferner ist die Auswertung der rückwirkenden Telefonüberwachung zu berücksichtigen. In dieser sind die vom Beschuldigten in der Zeit vom 27. November 2016 bis am 10. Dezember 2016 getätigten Telefonate sowie entsprechenden Antennenstandorte ersichtlich (AS 1030 ff.). Angesichts dieser Telefondatenauswertung, des beschlagnahmten Zugbillets sowie der Aussagen des Beschuldigten darf davon ausgegangen werden, dass sich der Beschuldigte während des ganzen Zeitraums der zweiten Deliktsserie in der Region der Deliktstandorte aufgehalten hat. In diesem Zusammenhang ist mit der Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass die Verteidigung vor Amtsgericht geltend gemacht hat, anhand der Telefonauswertung sei klar, dass sich der Beschuldigte im entsprechenden Zeitraum nicht an den Deliktsorten [...] und [...] aufgehalten habe (AS 1877). Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Aus der Telefonauswertung geht nämlich hervor, dass vom Mobiltelefon des Beschuldigten immer nur tagsüber Telefonate getätigt wurden. Wo genau sich das Mobiltelefon des Beschuldigten jeweils in der Nacht – also zu den Zeitpunkten, in denen die Einbruchdiebstähle verübt worden sind – befunden hat, kann anhand dieser Auswertungen nicht beurteilt werden. Es kann demnach aufgrund dieser Telefonauswertungen keineswegs ausgeschlossen werden, dass sich der Beschuldigte zu den entsprechenden Deliktszeitpunkten in [...] bzw. [...] aufgehalten hat, zumal er ja nachweislich in der Region verweilte und beispielsweise das erste Delikt in [...] aufgrund der gefundenen DNA-Spur anerkannt wird. - Delikt 28, begangen in der Nacht vom 30. November 2016, ca. 22.20 Uhr, auf den 1. Dezember 2016, ca. 5.30 Uhr in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist angesichts der sichergestellten DNA-Spur des Beschuldigten unbestritten. Gemäss der Strafanzeige (AS 625 ff.) sei die Täterschaft mittels Fensterbohrer-Methode ins Innere des Hauses gelangt. Während die Bewohner des Hauses geschlafen hätten, habe sie die Räumlichkeiten durchsucht und den Tatort in der Folge unter Mitnahme von Deliktsgut im Gesamtwert von ca. CHF 13'648.40 wieder verlassen. Dieses Deliktsgut habe ein Portemonnaie, Bargeld, eine Uhr, Silberbesteck sowie eine Daunenjacke umfasst. Durch das 8 mm breite Bohrloch im Fensterrahmen sei ein Sachschaden von ca. CHF 2'000.00 entstanden. - Delikt 29, begangen in der gleichen Nacht zwischen ca. 23.00 Uhr und 7.00 Uhr im unmittelbar benachbarten Einfamilienhaus in [...]: Da sich Delikt 29 in derselben Nacht wie Delikt 28 ereignet hat, die betroffenen Häuser direkt nebeneinander liegen und der modus operandi sowie insbesondere auch der Durchmesser der Bohrlöcher identisch waren, ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Beschuldigte auch dieses Delikt begangen hat. Der Sachverhalt ist damit rechtsgenüglich erstellt. Aus der Strafanzeige (AS 657 ff.) geht hervor, dass sich die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode Zutritt zum Einfamilienhaus in [...] verschafft habe. Allerdings habe die Täterschaft die Liegenschaft im vorliegenden Fall ohne Mitnahme von Deliktsgut wieder verlassen. Die Hausbewohnerin habe angegeben, dass sie in dieser Nacht durch ein Geräusch wach geworden sei. Am Morgen habe sie im Haus diverse Veränderungen festgestellt. Unter anderem seien diverse Taschen, welche zuvor aufgehängt gewesen seien, am Boden gestanden. Der durch das 8 mm breite Bohrloch am Rahmen der Freisitztüre entstandene Sachschaden habe CHF 1'000.00 betragen. - Delikt 34, begangen in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 2016 zwischen ca. 21.30 und 7.00 Uhr in [...], (EFH): In der gleichen Nacht wurde gut 200 Meter entfernt das Delikt 35 begangen, bei dem die Täterschaft des Beschuldigten aufgrund einer sichergestellten DNA-Spur unbestritten ist. Aufgrund der grossen zeitlichen und örtlichen Nähe sowie des gleichen modus operandi ist die Täterschaft des Beschuldigten auch für Delikt 34 rechtsgenüglich erstellt. Aus der Strafanzeige (AS 742) geht hervor, dass die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode in das betroffene Einfamilienhaus gelangt sei, aus zwei sich in der Küche befindenden Portemonnaies CHF 600.00 entwendet und die Liegenschaft sodann wieder verlassen habe. Während der Tat seien die Bewohner im Haus anwesend gewesen. Der durch das Bohrloch entstandene Sachschaden habe CHF 500.00 betragen. - Delikt 35, begangen in der gleichen Nacht zwischen ca. 1.00 Uhr und 9.53 Uhr in [...], Haupttrasse 82a (EFH): Der Sachverhalt ist angesichts der sichergestellten DNA-Spur des Beschuldigten unbestritten. Gemäss der Strafanzeige (AS 763 ff.) habe sich die Täterschaft in Anwendung der Fensterbohrer-Methode Zutritt zum Einfamilienhaus in [...] verschafft, diverse Räumlichkeiten durchsucht, Schmuck sowie Bargeld im Gesamtwert von CHF 1'135.00 entwendet und die Liegenschaft sodann wieder verlassen. Die Hausbewohnerin habe angegeben, gegen 3:00 Uhr Geräusche wahrgenommen zu haben. Da sich jedoch nachts immer wieder Tiere um die Liegenschaft bewegten, habe sie diesen Geräuschen keine Beachtung geschenkt. Durch das ca. 7-8 mm breite Bohrloch (AS 769) sei ein Sachschaden von CHF 1'500.00 entstanden. - Delikt 38, begangen zwischen dem 8. Dezember 2016, ca. 19.00 Uhr, und dem 10. Dezember 2016, 4.29 Uhr, in [...], (EFH): Das betroffene Einfamilienhaus befindet sich fast genau zwischen den Tatobjekten der Delikte 41 und 42, welche vom Beschuldigten unbestritten sind. Angesichts der grossen örtlichen, aber auch der zeitlichen Nähe mit den genannten beiden Delikten und des gleichen modus operandi ist der Sachverhalt rechtsgenüglich erstellt. Gemäss der Strafanzeige (AS 832 ff.) habe sich die Täterschaft mittels Fensterbohrer-Methode Zutritt zum betroffenen Einfamilienhaus verschafft, aus einem Portemonnaie Bargeld im Wert von CHF 430.00 entwendet und das Tatobjekt schliesslich wieder verlassen. Der durch das 8-10 mm breite Bohrloch (AS 838) entstandene Sachschaden habe CHF 500.00 betragen. - Delikt 41, begangen in der Nacht vom 10. Dezember 2016 zwischen 3.00 und 4.29 Uhr in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist unbestritten, der Beschuldigte wurde anschliessend beim Einbruchsversuch in der benachbarten Liegenschaft (Delikt 42) auf frischer Tat ertappt und festgenommen. Gemäss der Strafanzeige (AS 887 ff.) sei die Täterschaft mittels Fensterbohrer-Methode in die Liegenschaft in [...] gelangt. Durch das Öffnen des Fensters sei ein Alarm ausgelöst worden. Dieser habe jedoch durch Zudrücken des Fensters wieder abgestellt werden können. Die im 1. Obergeschoss schlafenden Bewohner seien durch den Lärm nicht aufgeweckt worden. Nachdem die Täterschaft im Innern diverse Räumlichkeiten durchsucht habe, habe sie die Liegenschaft unter Mitnahme von 4 Herrenarmbanduhren im Gesamtwert von CHF 1'400.00 wieder verlassen. Der Strafanzeige ist sodann zu entnehmen, dass in der Folge zwei dieser gestohlenen Uhren an der von Delikt 42 betroffenen, benachbarten Liegenschaft aufgefunden worden seien. Die anderen zwei Uhren habe der Beschuldigte bei seiner Anhaltung anlässlich des Delikts 42 auf sich getragen (vgl. auch nachstehend Ziff. 1.7). Der durch das Bohrloch verursachte Sachschaden habe CHF 900.00 betragen. - Delikt 42, begangen am 10. Dezember 2016, 4.29 Uhr, in [...], (EFH): Der Sachverhalt ist unbestritten, der Beschuldigte wurde vor Ort angehalten. Aus der Strafanzeige vom 10. Dezember 2016 (AS 938 ff.) sowie den weiteren Polizei-Akten (vgl. insbesondere auch den Bericht vom 10. Januar 2017; AS 957 ff.) geht hervor, dass am frühen Morgen des 10. Dezember 2016 – aufgrund einer Einbruchsmeldung von der Securitas-Einsatzzentrale – mehrere Polizeipatrouillen zum betroffenen Einfamilienhaus ausgerückt seien. Bei der Securitas seien zuvor um ca. 4:13 Uhr sowie um 4:26 Uhr entsprechende Einbruchsalarme eingegangen. Bei der Intervention und Durchsuchung der Räumlichkeiten habe im Heizungsraum im Untergeschoss der Beschuldigte festgenommen werden können (AS 958). Auf dem Fussweg oberhalb des Tatobjektes seien ein Paar Lederschuhe sowie ein Kartenetui mit einer Postkontokarte, lautend auf die Bewohnerin des Hauses, sowie eine Mehrfahrtenkarte aufgefunden worden (AS 959). Hinsichtlich des konkreten Tatvorgehens sei angesichts der angetroffenen Situation und der fehlenden Aufbruchspuren davon auszugehen, dass die Täterschaft durch eine nicht oder nicht korrekt verriegelte Tür im Erdgeschoss in die Liegenschaft gelangt sei und es sich somit um einen sog. Einschleichdiebstahl handle. Beim Betreten der Räumlichkeiten im Erdgeschoss sei sie von den Bewegungsmeldern der Alarmanlage erstmals um 4:13 Uhr erfasst worden. Mutmasslich habe die Täterschaft nach dieser ersten Alarmauslösung das Tatobjekt mit dem erwähnten Kartenetui wieder verlassen und dieses auf dem Fussweg oberhalb der Liegenschaft deponiert. Kurze Zeit später habe sie sich jedoch erneut in das Haus begeben und dabei um 4:26 Uhr nochmals einen Einbruchalarm ausgelöst (vgl. dazu AS 959). Ferner geht aus den Akten hervor, dass der Beschuldigte anlässlich seiner Festnahme zwei Armbanduhren auf sich getragen habe. Zwei weitere seien im Untergeschoss der Liegenschaft aufgefunden worden. Abklärungen hätten ergeben, dass es sich bei diesen Uhren um Diebesgut des Delikts 41 handelte (AS 941). Fazit betreffend die zweite Deliktsserie zwischen dem 30. November 2016 und dem 10. Dezember 2016: Die Täterschaft des Beschuldigten bei den Fällen der zweiten Serie ist bezüglich der Delikte 28, 29, 34, 35, 38, 41 und 42 rechtsgenügend nachgewiesen. Der Beschuldigte hat also in der Zeit vom 30. November 2016 bis am 10. Dezember 2016 in den Kantonen Solothurn und Basel-Landschaft 6 (teilweise versuchte) Einbruchdiebstähle sowie einen versuchten Einschleichdiebstahl begangen. III. Rechtliche Würdigung 1. Gewerbsmässigkeit im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB ist gegeben, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die der Täter für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufs ausübt, wobei eine quasi «nebenberufliche» deliktische Tätigkeit genügt (BGE 123 IV 113 E. 2c; 119 IV 129 E. 3a). Gewerbsmässigkeit setzt demnach voraus, dass der Täter erstens die Tat bereits mehrfach beging, zweitens in der Absicht handelte, ein Erwerbseinkommen zu erlangen und drittens aufgrund seiner Taten geschlossen werden muss, er sei zu einer Vielzahl von unter den fraglichen Tatbestand fallenden Handlungen bereit gewesen. Zu berücksichtigen sind bei der Qualifizierung die Verhältnismässigkeit und das Schuldprinzip sowie die soziale Gefährlichkeit (BGE 116 IV E. 319 E. 3b und 4b), wobei diese Rechtsprechung unter Hinweis auf die im früheren Recht vorgesehenen Mindeststrafen erging (BGE 116 IV E. 319 E. 4c S. 333). Die Voraussetzungen eines gewerbsmässigen Handelns sind im vorliegenden Fall erfüllt und vom Beschuldigten in Übrigen auch nicht bestritten: - Der Beschuldigte unternahm die lange Reise in die Schweiz in der Absicht, unbestimmt viele Einbruchsdelikte zu begehen; - Nach seinen Angaben vor Amtsgericht hätten ihn sowohl 2013 wie auch 2016 die finanziellen Schwierigkeiten in die Schweiz geführt, er habe zu diesen Zeiten kein reguläres Einkommen gehabt und habe die Diebstähle begangen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten; - Er war gut ausgerüstet und führte die Einbrüche nach der Fensterbohrer-Methode professionell durch; - Er verübte jeweils innert kurzer Zeit zumindest elf bzw. sieben Diebstahlsdelikte (teilweise versucht); - Als Einbruchsobjekte wählte er praktisch ausnahmslos Einfamilienhäuser aus, die Aussicht auf eine nicht unerhebliche Beute boten; - Die Beute war bei beiden Deliktsserien erheblich (gemäss Strafanzeigen 2013 total CHF 40'624.00 und 2016 total CHF 16'783.40); - Es ist davon auszugehen, dass er weitere Einbruchsdelikte verübt hätte, wäre er nicht am 10. Dezember 2016 von der Polizei gestoppt worden. Da die beiden Deliktsserien im Abstand von rund dreieinhalb Jahren stattfanden, ist jeweils von einem separaten Deliktsentschluss auszugehen und auf mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahl zu schliessen. Auch diese mehrfache Tatbegehung blieb vor dem Berufungsgericht unbestritten. 2. Bei den genannten Vorfällen hat der Beschuldigte in 17 Fällen durch das Durchbohren von Fenster- oder Türrahmen eine Sachbeschädigung (Gesamtschaden gemäss Strafanzeigen CHF 12'650.00) und in allen 18 Fällen einen Hausfriedensbruch begangen, wobei es diesbezüglich zweimal beim Versuch blieb (Delikte 21 und 38). Die entsprechenden Strafanträge liegen vor, es kann dazu vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz auf US 38 f. verwiesen werden. IV. Strafzumessung 1. 1.1 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Nach Art. 50 StGB hat das Gericht die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten. Der Begriff des Verschuldens muss sich auf den gesamten Unrechts- und Schuldge-halt der konkreten Straftat beziehen. Innerhalb der Kategorie der realen Strafzumessungsgründe ist zwischen der Tatkomponente, welche nun in Art. 47 Abs. 2 StGB näher umschrieben wird, und der in Abs. 1 aufgeführten Täterkomponente zu unterscheiden (vgl. Trechsel/Thommen in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Auflage 2018, Art. 47 StGB N 16 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Praxis). Bei der Tatkomponente sind das Ausmass des verschuldeten Erfolges, die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat, und die Beweggründe des Schuldigen, die Art. 47 Abs. 2 StGB ausdrücklich erwähnt, zu beachten (vgl. BGE 129 IV 6 E. 6.1). Die Täterkomponente umfasst das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren (vgl. BGE 129 IV 6 E. 6.1). Das Gesamtverschulden ist zu qualifizieren und mit Blick auf Art. 50 StGB im Urteil ausdrücklich zu benennen, wobei von einer Skala denkbarer Abstufungen nach Schweregrad auszugehen ist. Hierauf ist in einem zweiten Schritt innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die (hypothetische) Strafe zu bestimmen, die diesem Verschulden entspricht (BGE 136 IV 55 E. 5.7). 1.2 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Es ist aber methodisch nicht korrekt, den ordentlichen Strafrahmen aufgrund von mehreren Taten in Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB automatisch zu erweitern (6B_853/2014, E. 4.2.). Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der schwersten anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser wird durch Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert. Vielmehr ist der ordentliche Strafrahmen nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint (BGE 136 IV 55 E. 5.8.). Liegen solche Umstände nicht vor, ist der erhöhte Rahmen auch nicht als theoretische Möglichkeit bei der Strafzumessung zu erwähnen. Bei der Bildung der Gesamtstrafe gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB ist nach der Rechtsprechung vorab der Strafrahmen für die schwerste Straftat zu bestimmen und alsdann die Einsatzstrafe für die schwerste Tat innerhalb dieses Strafrahmens festzusetzen. Schliesslich ist die Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips angemessen zu erhöhen. Der Richter hat mithin in einem ersten Schritt, unter Einbezug aller straferhöhenden und strafmindernden Umstände, gedanklich die Einsatzstrafe für das schwerste Delikt festzulegen. Es ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Ausnahmefällen möglich, einzelne Tatkomplexe, die eng zusammenhängen, als schwerstes Delikt für die Festsetzung der Einsatzstrafe zusammenzufassen. Dieses Vorgehen ist im Urteil zu begründen (6B_899/2014 vom 7.5.2015 E. 2.3.) In einem zweiten Schritt hat er diese Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten zu einer Gesamtstrafe zu erhöhen, wobei er ebenfalls den jeweiligen Umständen Rechnung zu tragen hat (Urteil des Bundesgerichts 6B_405/2011 vom 24.1.2012 E. 5.4). Voraussetzung ist allerdings, dass im konkreten Fall für jede einzelne Tat die gleiche Strafart ausgefällt würde. Dass die anzuwendenden Strafbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen, genügt nicht (6B_853/2014 vom 9. Februar 2015 E. 4.2.; BGE 138 IV 120 E. 5.2.). Danach hat er sämtliche Einzelstrafen für die von ihm neu zu beurteilenden Taten festzusetzen und zu benennen (BGE 142 IV 265 E. 2.4.3). Aus dem Urteil muss hervorgehen, welche Einzelstrafen für die verschiedenen Straftaten festgesetzt werden und welche Strafzumessungsgründe für jede Einzelstrafe massgebend waren. Nur so lässt sich überprüfen, ob die einzelnen Strafen als auch deren Gewichtung bei der Strafschärfung bundesrechtskonform sind (vgl. BGE 118 IV 119 E. 2b S. 120 f.; Urteil 6B_323/2010 vom 23. Juni 2010 E. 3.2; Hans Mathys, Leitfaden Strafzumessung, 2016, N 362; je mit Hinweisen). Die Nennung der Einzelstrafen stellt auch keinen Mehraufwand bei der Urteilsbegründung dar, denn das Gericht muss ohnehin gedanklich für jede Einzeltat eine selbstständige Strafe festsetzen und die entscheidrelevanten Überlegungen in Grundzügen wiedergeben (vgl. Art. 50 StGB; BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 20; Urteil 6B_493/2015 vom 15. April 2016 E. 3.2). Das Gericht ist jedoch nach wie vor nicht gehalten, in Zahlen oder Prozenten anzugeben, wie es die einzelnen Strafzumessungsgründe innerhalb der Einzelstrafen gewichtet (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61; Urteil 6B_1110/2014 vom 19. August 2015 E. 4.3). Nach der Festlegung der Gesamtstrafe für sämtliche Delikte sind endlich die Täterkomponenten zu berücksichtigen (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_865/2009 vom 25.3.2010 E. 1.6.1, 6B_496/2011 vom 19.12.2012 E. 4.2). Die Gesamtstrafe ist schliesslich in einer Gesamtwürdigung auf Angemessenheit zu prüfen (vgl. Urteil 6B_323/2010 vom 23. Juni 2010 E. 3.2). 1.3 Hat das Gericht eine Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer anderen Tat verurteilt worden ist, so bestimmt es die Zusatzstrafe in der Weise, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (Art. 49 Abs. 2 StGB). Art. 49 Abs. 2 StGB will im Wesentlichen das Asperationsprinzip auch bei retrospektiver Konkurrenz gewährleisten. Der Täter, der mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, soll nach einem einheitlichen, für ihn relativ günstigen Prinzip der Strafschärfung beurteilt werden, unabhängig davon, ob die Verfahren getrennt durchgeführt werden oder nicht. Der Täter soll damit trotz Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren gegenüber jenem Täter, dessen Taten gleichzeitig beurteilt wurden, nicht benachteiligt und so weit als möglich auch nicht bessergestellt werden (BGE 138 IV 113 E. 3.4.1 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). 2. 2.1 Schwerstes Delikt ist vorliegend der gewerbsmässige Diebstahl im Jahr 2013 mit insgesamt 11 Delikten und einer Deliktssumme von mehreren zehntausend Franken. Der Beschuldigte ist dafür mit Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren oder Geldstrafe nicht unter 90 Tagessätzen zu bestrafen. Der Beschuldigte hat in der Zeit vom 23. Mai 2013 bis am 25. Juni 2013 – also während lediglich rund einem Monat – insgesamt 11 Einbruchdiebstähle begangen, wobei es in 3 Fällen bei einem Versuch geblieben ist. Dabei hat er meist mehrere Delikte innerhalb derselben Nacht verübt. Bei seinen Delikten hat der Beschuldigte immer dieselbe Einbruchsmethode, die sog. Fensterbohrer-Methode, angewandt. Dabei bohren die Täter zunächst unterhalb der Schliessvorrichtung eines Fensters oder einer Türe ein Loch in den Rahmen. Durch dieses Bohrloch wird sodann ein Spezialwerkzeug gesteckt und versucht, mit diesem Werkzeug den Fenster-/Türgriff im Innern zu drehen, das Fenster oder die Türe dadurch zu entriegeln und sich Zutritt zur Liegenschaft zu verschaffen (vgl. exemplarisch die Beschreibung des Tatvorgehens in der Strafanzeige der Polizei Kanton Solothurn vom 9. Juni 2013 betreffend Delikt 3; AS 74). Der Beschuldigte ging gut vorbereitet und sehr professionell ans Werk. Dass es bei 3 Diebstählen lediglich beim Versuch geblieben ist, ist darauf zurückzuführen, dass in zwei dieser Fälle die Bewohner der betroffenen Liegenschaft während der Tat aufgewacht sind und in einem Fall der Fenstergriff verschlossen war. Damit ergibt sich aus der Tatsache, dass diese Taten im Versuchsstadium beendet werden mussten, nur eine geringe Strafminderung. Der Deliktsbetrag erreicht mit mehreren CHF 10'000.00 weder ein besonders hohes noch geringes Ausmass. Verschuldenserhöhend fällt ins Gewicht, dass der Beschuldigte in bewohnte Liegenschaften eingedrungen ist, um sich Diebesgut anzueignen. Das Bundesgericht misst dem Umstand, dass die Täter in Privatliegenschaften einbrechen, zu Recht eine verschuldenserhöhende Komponente zu, da ein Einbruchdiebstahl für die jeweiligen Liegenschaftsbesitzer einen schweren Eingriff in ihre Privatsphäre bedeutet und regelmässig zu einer einschneidenden und nachhaltigen Verunsicherung, ja gar zur Traumatisierung der Opfer führt (Urteil des Bundesgerichts 6B_510/2013 vom 3. März 2014). Dies gilt erst recht in den vorliegenden Fällen, in denen der Beschuldigte bei einem Grossteil der Fälle in die betroffenen Einfamilienhäuser eingedrungen ist, während die Bewohner anwesend waren und schliefen. Er traf keinerlei Vorkehrungen, um sicher zu stellen, dass die Einbruchsobjekte leer waren. Er hat damit jeweils in Kauf genommen, auf einen Bewohner zu treffen. Dies ist im Übrigen bei den Delikten 21 und 25 auch tatsächlich geschehen. Die Folgen eines Zusammentreffens von Einbrecher und Bewohner sind nicht auch nicht planbar. Immerhin ist der Beschuldigte nach den erfolgten Konfrontationen sofort geflüchtet, was ihn etwas entlastet. Das objektive Tatverschulden wiegt insgesamt nicht mehr nur leicht, sondern liegt im unteren Bereich eines mittelschweren Verschuldens. Bezüglich der subjektiven Tatschwere ist zunächst festzuhalten, dass der Beschuldigte die Einbruchdiebstähle mit direktem Vorsatz begangen hat. Alsdann ist der Umstand, dass der Beschuldigte als sogenannter Kriminaltourist einzig zum Zweck der Verübung von Einbruchdiebstählen in die Schweiz eingereist ist, gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteil des Bundesgerichts 6B_510/2013 vom 3. März 2014, E. 4.4) straferhöhend zu berücksichtigen. Das Tatmotiv war rein finanzieller und damit egoistischer Natur, was aber bei einem gewerbsmässigen Diebstahl vorausgesetzt ist. Mit der Vorinstanz ist weiter zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte aus [...] und damit aus einem Land mit vergleichsweise ärmlichen Verhältnissen, stammt und er zur Tatzeit arbeitslos und damit in finanziellen Nöten war. Dies rechtfertigt seine Taten aber in keiner Weise, hat er doch nach seinen Angaben während insgesamt 14 Jahren die Schule besucht und ein Diplom als Elektriker erlangt. Er will nach der Haftentlassung auch zurück nach [...] und im Weinbetrieb seiner Eltern mithelfen und Arbeit als Elektriker suchen. Das Verschulden bleibt unter Berücksichtigung der subjektiven Tatschwere somit im unteren Bereich eines mittelschweren Tatverschuldens. Diese Beurteilung unterscheidet sich nicht stark von der Beurteilung durch die Verteidigung, welche vor dem Berufungsgericht von einem noch leichten Verschulden im oberen Bereich sprach. Diesem Tatverschulden hat die Vorinstanz mit der Festsetzung einer Einsatzstrafe von 40 Monaten (genau an der Schnittstelle zwischen unterem und mittlerem Drittel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens) korrekt Rechnung getragen. 2.2 Zur Abgeltung der weiteren begangenen Straftaten ist nun – unter Anwendung des Asperationsprinzips – eine angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe vorzunehmen. Dabei kann vorausgeschickt werden, dass auch für alle übrigen Straftaten eine Freiheitsstrafe auszufällen ist: eine Geldstrafe fällt bereits ausser Betracht, weil der Beschuldigte in der Schweiz keinen legalen Aufenthaltsstatus hat. Dazu kommt, dass die Sachbeschädigungen und die Hausfriedensbrüche in derart engem Sachzusammenhang mit den Diebstahlsdelikten stehen, dass ebenfalls eine Freiheitsstrafe auszusprechen ist. Auch die Verteidigung geht bei ihren Anträgen von einer Gesamtfreiheitsstrafe aus. In Bezug auf den weiteren gewerbsmässigen Diebstahl von November/Dezember 2016 kann weitgehend auf die vorstehenden Ausführungen zum Kollektivdelikt im Jahr 2013 verwiesen werden. Allerdings handelt es sich mit insgesamt sieben Diebstahlsdelikten um weniger Straftaten innerhalb einer kürzeren Zeitspanne von elf Tagen. Auch der Deliktsbetrag war deutlich weniger hoch (in den Strafanzeigen geschätzte rund CHF 16'000.00). Der Delinquenz konnte aber nur mit dem polizeilichen Eingreifen ein Ende gesetzt werden. Erneut wirkt sich die Tatsache, dass es in drei Fällen nur zu einem Diebstahlsversuch kam, nur geringfügig strafmindernd aus. Zu den Beweggründen der Tat führte der Beschuldigte vor Amtsgericht aus: Er habe von 2013 bis 2015 in [...] in einem italienischen Call-Center gearbeitet. Er sei für die Führung der Mitarbeiter zuständig gewesen, was auch das Auszahlen der Mitarbeiterlöhne beinhaltet habe. Die italienische Firma habe ihm dazu jeweils Geld gegeben und von diesem Geld habe er dann die Mitarbeiterlöhne bezahlt. Im Jahr 2015 sei die Firma zahlungsunfähig geworden und habe ihm das Geld für die Mitarbeiterlöhne nicht mehr überwiesen. Daraufhin hätten die Mitarbeiter grossen psychischen Druck auf ihn ausgeübt und ihn für die Lohnausfälle verantwortlich gemacht. Die Verteidigung führte in ihrem Parteivortrag vor Amtsgericht unter Bezugnahme auf diese Aussagen des Beschuldigten aus, dieser sei wegen dieser Umstände in die Schweiz gekommen. Er habe Geld auftreiben wollen, um so seine ehemaligen Mitarbeiter bezahlen zu können (AS 1878). Die Delikte seien aus einer Notsituation geschehen (AS 1879). Dem kann – zusammen mit der Vorinstanz – nicht gefolgt werden. Die Ausführungen des Beschuldigten zu dieser Tätigkeit im Call-Center sind in keiner Weise belegt und wirken insgesamt unglaubwürdig und konstruiert: der angebliche Bankrott der Firma soll bereits im Jahr 2015 stattgefunden haben, weshalb sich auch die Schwierigkeiten mit den Mitarbeitenden zu dieser Zeit ereignet haben müssten. Die zweite Deliktsserie hat der Beschuldigte jedoch erst Ende November / anfangs Dezember 2016 begangen. Aufgrund dieser zeitlichen Diskrepanz können die Vorgänge mit dem Call-Center – sofern sie sich denn so ereignet haben – kaum der Beweggrund für die zweite Deliktsserie gewesen sein. Vor dem Berufungsgericht hat der Beschuldigte überdies andere Angaben gemacht: er will schon zur ersten Diebstahlsserie unter dem Druck der Mitarbeiter aufgebrochen sein. Insgesamt erweisen sich die Ausführungen des Beschuldigten bezüglich des Tatmotivs als Schutzbehauptungen und es ist – wie bereits bei der ersten Deliktsserie – davon auszugehen, dass der Beschuldigte aus egoistischen Beweggründen gehandelt hat. Das Tatverschulden erweist sich insgesamt als gerade noch leicht und wäre – vor der Vornahme der Asperation – mit einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten zu ahnden. Daher ist zur Abgeltung dieses gewerbsmässigen Diebstahls eine Erhöhung der Einsatzstrafe um 15 Monate angemessen. Deutlich weniger ins Gewicht fallen die Sachbeschädigungen und Hausfriedensbrüche (letztere teilweise versucht). Immerhin ist auf die grosse Anzahl dieser Delikte und auf den auf total CHF 12'650.00 geschätzten Sachschaden hinzuweisen, auch wenn der Beschuldigte mit dem Aufbohren keine schadensträchtige Methode angewandt hat. Allerdings ist das Unrecht dieser mit den Einbruchs-/Einschleichediebstählen verbundenen Straftaten mit der Bestrafung für die Diebstahlsdelikte zu einem guten Teil abgegolten. Eine Straferhöhung um fünf Monate – nach Vornahme der Asperation – für alle diese Delikte ist angemessen. Damit ergibt sich aufgrund des Tatverschuldens für alle Delikte eine Gesamtfreiheitsstrafe von 60 Monaten oder fünf Jahren. 2.3 Hinsichtlich der Täterkomponenten kann vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz auf US 44 f. verwiesen werden, woraus sich nur wenige strafzumessungsrelevante Umstände bei den Täterfaktoren ergeben. Im Strafvollzug hat sich der Beschuldigte des Raufhandels schuldig gemacht und wurde mit Strafbefehl vom 24. September 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 60 Tagen, bedingt aufgeschoben mit einer Probezeit von zwei Jahren verurteilt. Da die Vorinstanz von diesem Vorfall bereits Kenntnis hatte (US45), führt dies nicht zu einer Einschränkung des Verschlechterungsverbots gemäss Art. 391 Abs. 2 Satz 2 StPO. Allerdings wirkt sich diese Delinquenz während laufendem Verfahren straferhöhend aus und zudem ist vorliegend eine Zusatzstrafe zu dieser Vorstrafe auszufällen (Tatzeitpunkt: 25. Mai 2018, Urteil Amtsgericht: 14. August 2018). Nur geringfügige strafmindernde Auswirkungen hat die auszusprechende Landesverweisung im Rahmen des Sanktionenpakets, da dieses für den Beschuldigten wenig Einschränkung nach sich zieht. Die Einsatzstrafe ist unter hypothetischem Einbezug des Raufhandels um einen Monat und wegen der straferhöhenden Wirkung der Täterkomponenten um einen weiteren Monat zu erhöhen. Abzuziehen sind von diesen nunmehr 62 Monaten Freiheitsstrafe danach die mit Strafbefehl vom 24. September 2018 ausgefällten 60 Tage Freiheitsstrafe, womit die Zusatzstrafe zum genannten Strafbefehl fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt. Nicht gefolgt werden kann der Rüge der Verletzung des Beschleunigungsgebots. Abgesehen davon, dass aus dem Verfahrensjournal keine Stillstandszeiten ersichtlich sind und auch die Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung rund fünf Monate nach Eingang der Anklage angesichts des umfangreichen Verfahrens mit vielen Privatklägern als zügig bezeichnet werden darf, wurden auch von Seiten des Beschuldigten keine konkreten Angaben zu angeblichen ungerechtfertigten Verzögerungen vorgebracht. Alleine aus der Zeit von 15 Monaten zwischen Verhaftung und Anklageerhebung ist bei einer derartigen Vielzahl von Vorhalten, einer Gerichtsstandsabtretung und einem Beschuldigten, der von seinem Recht zur Aussageverweigerung umfassend Gebrauch machte, keine Verletzung des Beschleunigungsgebots ableitbar. Auch das Berufungsverfahren wurde zeitgerecht abgewickelt: Hauptverhandlung vier Monate nach Eingang der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zur Berufungserklärung. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots ist nicht ersichtlich und damit besteht kein Anlass für eine entsprechende Strafminderung. Letztlich ist auf das Verschlechterungsverbot hinzuweisen (Art. 391 Abs. 2 StPO): da nur der Beschuldigte ein Rechtsmittel ergriffen hat, ist die ausgesprochene Strafe der Vorinstanz von viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe zu bestätigen, dies als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 24. September 2018. 2.5 An die Strafe sind dem Beschuldigten die vom 10. Dezember 2016 bis 1. August 2017 ausgestandene Untersuchungshaft und der seit dem 2. August 2017 dauernde vorzeitige Strafvollzug anzurechnen. V. Landesverweisung 1. Gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. c StGB muss das Gericht einen Ausländer unabhängig von der Höhe der Strafe für 5 – 15 Jahre aus der Schweiz verweisen, wenn er einen qualifizierten Diebstahl begangen hat. Das Gericht kann nach Abs. 2 dieser Bestimmung ausnahmsweise von der Landesverweisung absehen, wenn ein besonderer Härtefall vorliegen würde, insbesondere bei Personen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind. 2. Der Beschuldigte hat eine Katalogtat begangen, weshalb die Landesverweisung grundsätzlich anzuordnen ist. Die einzige Möglichkeit, davon abzusehen, wäre die Anwendung der Härtefallklausel nach Abs. 2. Deren Voraussetzungen sind beim Beschuldigten aber in keiner Art und Weise erfüllt. Er hat in der Schweiz keinen legalen Aufenthalt und hat sich nur zum Zweck der Verübung von Einbruchsdiebstählen in die Schweiz begeben. Vor Amtsgericht hat sich der Beschuldigte mit der Anordnung einer Landesverweisung einverstanden erklärt. Die Landesverweisung ist anzuordnen. 3. Beim gewerbsmässigen Diebstahl handelt es sich um ein Verbrechen mit erhöhter Mindeststrafe. Auch wenn nur die zweite Deliktsserie in die Zeit nach dem Inkrafttreten der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative fällt, ist doch das Vorleben (und damit auch die erste Deliktsserie) in die Beurteilung miteinzubeziehen. Das öffentliche Interesse an der Fernhaltung von Kriminaltouristen ist hoch. Der Beschuldigte wird nach [...] ausgeschafft und ist durch die Landesverweisung nicht erheblich eingeschränkt, dies gilt für die Schweiz, wo er über keinerlei soziale Kontakte verfügt, ebenso wie für den EU-Raum, wie er vor Berufungsgericht einräumen liess. Die Dauer der anzuordnenden Landesverweisung kann unter diesen Umständen nicht am unteren Ende des vorgegebenen Rahmens angesetzt werden, eine Landesverweisung für zehn Jahre ist angemessen. 4. Eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem SIS erfolgt, wenn die Anwesenheit der betreffenden Person in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Drittstaat mit Freizügigkeitsabkommen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Der Beschuldigte ist weder EU-Bürger noch Drittstaatangehöriger und er hat Straftaten begangen, die mit Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht sind. Er ist 2013 und 2016 in die Schweiz gekommen, nur um schwerwiegende Delikte zu begehen. Die Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gebieten daher, dass der Beschuldigte im Schengener Informationssystem SIS zur Einreise und Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben wird. VI. Kosten und Entschädigungen 1. Bei diesem Verfahrensausgang ist der Kosten- und Entschädigungsentscheid der Vorinstanz für das erstinstanzliche Verfahren zu bestätigen. 1.1 Es wird festgestellt, dass dem amtlichen Verteidiger, Advokat Alain Joset, gemäss Verfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft vom 5.5.2017 für seine Bemühungen aus der amtlichen Verteidigung vom 11.12.2016 bis zum 3.5.2017 eine Entschädigung von CHF 2'946.50 (inkl. Mehrwertsteuer) ausgerichtet wurde. Vorbehalten wurden der Rückforderungsanspruch des Staates sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang der Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A._, Advokat Alain Joset, ist für die Bemühungen ab dem 3.5.2017 auf CHF 12'687.40 (inkl. CHF 1'506.10 Dolmetscherkosten, Auslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu zahlen, zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 11'181.30 (ohne Dolmetscherkosten), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A._ erlauben. 1.2 Die Verfahrenskosten von total CHF 45'486.00 (inkl. einer Staatsgebühr von CHF 17'000.00, Gerichtsauslagen von CHF 1'000.00, Kosten des Haftgerichts von CHF 300.00, Kosten des Vorverfahrens von CHF 27'186.00 [insbesondere Polizeikosten von CHF 13'500.00, ausserkantonale Kosten von CHF 10'531.00, ausserkantonale Zwangsmassnahmengerichtskosten von CHF 950.00 sowie Fernmeldedienstleistungen von CHF 2'205.00]) hat A._ im Umfang von CHF 22'743.00 zu bezahlen. 2. Der Beschuldigte ist mit seiner Berufung unterlegen. Die Kosten des Berufungsverfahrens gehen deshalb ebenfalls zu seinen Lasten. 2.1 Der amtliche Verteidiger macht einen Aufwand von 20,83 Stunden geltend (inkl. Teilnahme an der Hauptverhandlung und entsprechendem Weg, vgl. Honorarnote S. 2). Dies ist angemessen. Zuzüglich einem Nachbearbeitungsaufwand von 2,5 Stunden (Gespräch mit dem Beschuldigten in Lenzburg) sind somit 23,33 Stunden zu einem Stundenansatz von CHF 180.00 (statt der geltend gemachten CHF 200.00 pro Stunde) zu entschädigen (§ 158 Abs. 3 des Gebührentarifs, BGS 615.11). Die Entschädigung ist folglich auf CHF 5'766.70 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt, zahlbar durch den Staat Solothurn, auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 4'833.30 (ohne Dolmetscherkosten; in diesem Sinn erfolgt eine Präzisierung der Urteilsanzeige ), sowie der Nachzahlungsanspruch von Advokat Alain Joset im Umfang von CHF 502.50 (Differenz zum vollen Honorar von CHF 200.00, d.h. 23,33 Stunden zu CHF 20.00, plus MwSt. von 7,7 %), beides sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. 2.2 Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens betragen bei einer Urteilsgebühr von CHF 5'000.00, total CHF 5'500.00. Diese Kosten werden mit den beschlagnahmten CHF 1'587.20 (vgl. rechtskräftige Ziff. 15 des erstinstanzlichen Urteils) verrechnet. Der Beschuldigte hat somit für das obergerichtliche Verfahren noch CHF 3'912.80 zu bezahlen. Demnach wird in Anwendung der Art. 139 Ziff. 1 und 2, Art. 144 Abs. 1, Art. 186, Art. 186 i.V.m. Art. 22 StGB; Art. 40, Art. 47, Art. 49 Abs. 1, Art. 51, Art. 66a, Art. 69 und Art. 70 StGB; Art. 135, Art. 379 ff., Art. 398 ff. und Art. 416 ff. StPO erkannt: 1. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 1 des Urteils des Amtsgerichts von Dorneck-Thierstein vom 14. August 2018 (nachfolgend erstinstanzliches Urteil) ist A._ freigesprochen vom Vorhalt: - des gewerbsmässigen Diebstahls - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ und der F._, (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...], z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ und der R._, (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen am 05.12.2016, in der Zeit von 05:00 Uhr bis 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Z._ (Delikt 33); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). - der mehrfachen Sachbeschädigung - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ und der F._, (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...], z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ und der R._ (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). - des mehrfachen Hausfriedensbruchs - angeblich begangen am 21.05.2013, um ca. 02:55 Uhr, in [...], z.Nt. von †E._ (Delikt 1); - angeblich begangen in der Zeit vom 21.05.2013, 22:00 Uhr, bis 22.05.2013, 05:40 Uhr, in [...], z.Nt. von G._ (Delikt 2); - angeblich begangen in der Zeit vom 25.05.2013, 06:00 Uhr, bis 27.05.2013, 12:00 Uhr, in [...], z.Nt. von I._ (Delikt 6); - angeblich begangen am 27.05.2013, um 02:00 Uhr, in [...], , z.Nt. von J._ (Delikt 7); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von L._ (Delikt 9); - angeblich begangen am 02.06.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von Q._ (Delikt 14); - angeblich begangen am 06.06.2013, um ca. 03:00 Uhr, in [...], z.Nt. von S._ (Delikt 15); - angeblich begangen in der Zeit vom 06.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 07.06.2013, ca. 19:00 Uhr, in [...], z.Nt. von U._ (Delikt 17); - angeblich begangen in der Zeit vom 03.12.2016, 23:00 Uhr, bis 04.12.2016, 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von W._ (Delikt 30); - angeblich begangen in der Zeit vom 04.12.2016, 23:00 Uhr, bis 05.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von Y._ (Delikt 32); - angeblich begangen in der Zeit vom 07.12.2016, 21:30 Uhr, bis 08.12.2016, 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AA._ (Delikt 36); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 22:00 Uhr, bis 09.12.2016, 05:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AC._ (Delikt 39); - angeblich begangen am 09.12.2016, in der Zeit von 01:30 Uhr bis 08:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AD._ (Delikt 40). - des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs - angeblich begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 16:00 Uhr, bis 29.05.2013, 20:10 Uhr, in [...], z.Nt. von H._ (Delikt 3); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 20:00 Uhr, bis 05.06.2013, ca. 10:00 Uhr, in [...] z.Nt. von K._ (Delikt 8); - angeblich begangen in der Zeit vom 29.05.2013, ca. 23:00 Uhr, bis 30.05.2013, ca. 06:40 Uhr, in [...], z.Nt. von M._ (Delikt 10); - angeblich begangen am 30.05.2013, in der Zeit von ca. 01:00 Uhr bis ca. 02:30 Uhr, in [...], z.Nt. von N._ (Delikt 11); - angeblich begangen in der Zeit vom 30.05.2013, ca. 18:00 Uhr, bis 31.05.2013, ca. 16:45 Uhr, in [...], z.Nt. von O._ (Delikt 12); - angeblich begangen in der Zeit vom 01.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 02.06.2013, 08:50 Uhr, in [...], z.Nt. von P._ (Delikt 13); - angeblich begangen am 06.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von T._ (Delikt 16); - angeblich begangen am 07.06.2013, um 03:30 Uhr, in [...], z.Nt. von †V._ (Delikt 18); - angeblich begangen am 04.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr, in [...], z.Nt. von X._ (Delikt 31); - angeblich begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 17:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AB._ (Delikt 37). 2. A._ hat sich schuldig gemacht: - des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...], z.Nt. von AE._ und der AF._ (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41); - begangen am 10.12.2016, von ca. 04:00 Uhr bis ca. 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AY._ und AZ._ (Delikt 42). - der mehrfachen Sachbeschädigung - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...], z.Nt. von AE._ und der AF._ (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41). - des mehrfachen Hausfriedensbruchs - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, 22:00 Uhr, bis 24.05.2013, 07:10 Uhr, in [...],z.Nt. von AE._ (Delikt 4); - begangen in der Zeit vom 23.05.2013, ca. 23:30 Uhr, bis 24.05.2013, ca. 06:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AG._ (Delikt 5); - begangen in der Zeit vom 08.06.2013, ca. 21:30 Uhr, bis 09.06.2013, ca. 14:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AH._ (Delikt 19); - begangen am 09.06.2013, in der Zeit von ca. 00:45 Uhr bis ca. 07:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AI._ (Delikt 20); - begangen am 12.06.2013, in der Zeit von 02:30 Uhr bis 02:40 Uhr, in [...], z.Nt. von AK._ (Delikt 22); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 19:00 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AL._ (Delikt 23); - begangen in der Zeit vom 15.06.2013, 23:30 Uhr, bis 16.06.2013, 08:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AM._ (Delikt 24); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 01:15 Uhr bis 01:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AN._ (Delikt 25); - begangen am 16.06.2013, in der Zeit von 04:00 Uhr bis 06:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AO._ (Delikt 26); - begangen am 25.06.2013, in der Zeit von 04:25 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AP._ (Delikt 27); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 22:20 Uhr, bis 01.12.2016, 05:30 Uhr, in [...], z.Nt. von AQ._ und AR._ (Delikt 28); - begangen in der Zeit vom 30.11.2016, 23:00 Uhr, bis 01.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AS._ (Delikt 29); - begangen in der Zeit vom 06.12.2016, 21:30 Uhr, bis 07.12.2016, 07:00 Uhr, in [...], z.Nt. von AT._ (Delikt 34); - begangen am 07.12.2016, in der Zeit von 01:00 Uhr bis 09:53 Uhr, in [...], z.Nt. von AU._ (Delikt 35); - begangen am 10.12.2016, in der Zeit von 03:00 Uhr bis 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AW._ und AX._ (Delikt 41); - begangen am 10.12.2016, von ca. 04:00 Uhr bis ca. 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AY._ und AZ._ (Delikt 42). - des mehrfachen versuchten Hausfriedensbruchs - begangen am 09.06.2013, um 04:15 Uhr, in [...], z.Nt. von AJ._ (Delikt 21); - begangen in der Zeit vom 08.12.2016, 19:00 Uhr, bis 10.12.2016, 04:29 Uhr, in [...], z.Nt. von AV._ (Delikt 38). 3. A._ wird zu einer Freiheitsstrafe von 4 1⁄2 Jahren verurteilt, dies als Zusatzstrafe zum Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau vom 24. September 2018. 4. Die vom 10.12.2016 bis am 01.08.2017 ausgestandene Untersuchungshaft und der seit dem 02.08.2017 verbüsste vorzeitige Strafvollzug sind dem Beschuldigten an die Strafe anzurechnen. 5. A._ wird für 10 Jahre des Landes verwiesen. 6. Die Landesverweisung ist im Schengener Informationssystem (SIS) auszuschreiben. 7. A._ hat gemäss rechtskräftiger Ziff. 5 des erstinstanzlichen Urteils der AF._, Schadenersatz in der Höhe von CHF 2'016.00 zu bezahlen (Delikt 4). 8. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 6 des erstinstanzlichen Urteils ist die F._, zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 1). 9. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 7 des erstinstanzlichen Urteils ist die R._, zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 14). 10. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 8 des erstinstanzlichen Urteils ist S._ zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 15). 11. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 9 des erstinstanzlichen Urteils ist T._ zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 16). 12. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 10 des erstinstanzlichen Urteils ist AI._ zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 20). 13. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 11 des erstinstanzlichen Urteils ist AL._ zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 23). 14. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 12 des erstinstanzlichen Urteils ist AQ._ zur Geltendmachung seiner Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 28). 15. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 13 des erstinstanzlichen Urteils ist AR._ zur Geltendmachung ihrer Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen (Delikt 28). 16. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 14 des erstinstanzlichen Urteils sind die mit Beschlagnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 04.07.2017 beschlagnahmten Gegenstände (Aufbewahrungsort: Polizei Kanton Solothurn, Asservate), an A._ auf Verlangen herauszugeben. Im Verzichtsfall sind die Gegenstände zu vernichten: - 1 Zugbillet «Milano-Basel» vom 27.11.2016, 15:29 Uhr - 1 Bestätigung Verkehrsministerium - 1 Krankenkassenbestätigung - 1 Mobiltelefon Nokia, schwarz - 2 Sim-Karten Vodafone - 1 Zahlungsbeleg Riverside Apartment Hotel GmbH - 1 T-Shirt Fred Perry, weiss, Grösse L - 1 Herrenschal Navy Boot, schwarz/weiss/grau gestreift mit Fransen - 1 Herrenshirt, grün - 1 T-Shirt Versace, weiss, Grösse L - 1 T-Shirt, Emporio Armani, weiss, Grösse XL - 1 Herrenhemd John Langford, schwarz/weiss gestreift, Grösse L - 1 Paar Herrensocken, schwarz - 1 Taschenlampe VARTA, grau. 17. Gemäss rechtskräftiger Ziff. 15 des erstinstanzlichen Urteils ist das mit Beschlagnahmeverfügung vom 04.07.2017 beschlagnahmte Bargeld in der Höhe von CHF 1'587.20 (Aufbewahrungsort: Zentrale Gerichtskasse Solothurn) nach Rechtskraft des Urteils zur teilweisen Deckung der Verfahrenskosten eingezogen. 18. Es wird festgestellt, dass dem amtlichen Verteidiger, Advokat Alain Joset, Liestal, gemäss Verfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft vom 05.05.2017 für seine Bemühungen aus der amtlichen Verteidigung vom 11.12.2016 bis zum 03.05.2017 eine Entschädigung von CHF 2'946.50 (inkl. Mehrwertsteuer) ausgerichtet wurde. Vorbehalten wurden der Rückforderungsanspruch des Staates sowie der Nachzahlungsanspruch des amtlichen Verteidigers im Umfang der Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar. 19. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A._, Advokat Alain Joset, ist für die Bemühungen im erstinstanzlichen Verfahren ab dem 03.05.2017 auf CHF 12'687.40 (inkl. CHF 1'506.10 Dolmetscherkosten, Auslagen und Mehrwertsteuer) festgesetzt und zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat Solothurn zu zahlen, zahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 11'181.30 (ohne Dolmetscherkosten), sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse von A._ erlauben. 20. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 45'486.00 (inkl. einer Staatsgebühr von CHF 17'000.00, Gerichtsauslagen von CHF 1'000.00, Kosten des Haftgerichts von CHF 300.00, Kosten des Vorverfahrens von CHF 27'186.00 [insbesondere Polizeikosten von CHF 13'500.00, Ausserkantonale Kosten von CHF 10'531.00, ausserkantonale Zwangsmassnahmengerichtskosten von CHF 950.00 sowie Fernmeldedienstleistungen von CHF 2'205.00]) hat A._ im Umfang von CHF 22'743.00 zu bezahlen. 21. Die Kostennote des amtlichen Verteidigers von A._, Advokat Alain Joset, wird für das obergerichtliche Verfahren auf CHF 5'766.70 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt, zahlbar durch den Staat Solothurn, auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse. Vorbehalten bleiben der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von CHF 4'833.30 (ohne Dolmetscherkosten) sowie der Nachzahlungsanspruch von Advokat Alain Joset im Umfang von CHF 502.50 (Differenz zum vollen Honorar von CHF 200.00, d.h. 23,33 Stunden zu CHF 20.00, plus MwSt. von 7,7 %), beides sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten erlauben. 22. Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 5'000.00, total CHF 5'500.00, gehen zu Lasten des Beschuldigten. 23. Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens von CHF 5'500.00 werden mit den beschlagnahmten CHF 1'587.20 (Ziff. 17) verrechnet. Der Beschuldigte hat somit für das obergerichtliche Verfahren noch CHF 3'912.80 zu bezahlen. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Vizepräsident Die Gerichtsschreiberin Marti Ramseier Der vorliegende Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 6B_572/2019 in Bezug auf die Ausschreibung der Landesverweisung im SIS-System aufgehoben und zur Neubeurteilung zurückgewiesen.
30,315
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Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 26. April 2019 Es wirken mit: Präsident Müller Oberrichter Frey Oberrichterin Hunkeler Gerichtsschreiberin Riechsteiner In Sachen A._ , Beschwerdeführer gegen 1. Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Beschwerdegegnerin 2. B._ , Beschuldigter betreffend Nichtanhandnahmeverfügung des Staatsanwaltes zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. A._ erstattete am 15. Dezember 2018 Strafanzeige gegen seinen Bruder B._. Dieser soll am 9. September 2018 ernstzunehmende Drohungen ihm gegenüber ausgesprochen haben. 2. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn verfügte am 9. Januar 2019 die Nichtanhandnahme einer Untersuchung mit der Begründung, die dreimonatige Strafantragsfrist sei nicht eingehalten worden. Dagegen erhob A._ (nachfolgend Beschwerdeführer) am 17. Januar 2019 Beschwerde mit der Begründung, vorliegend gehe es um mehrfach ausgesprochene Morddrohungen, weshalb die Sache nochmals eingehend zu überprüfen sei. 3. In ihrer Stellungnahme beantragte die Staatsanwaltschaft die Abweisung der Beschwerde und verzichtete mit Verweis auf die angefochtene Verfügung auf eine Vernehmlassung. B._ bestritt die Vorwürfe von A._ und machte sinngemäss geltend, zwischen ihm und seinem Bruder herrsche seit längerer Zeit ein familiärer Disput und sein Bruder leide unter psychischen Beeinträchtigungen. In seiner unaufgeforderten Replik bestätigte der Beschwerdeführer diese familiären Streitigkeiten. Für die Morddrohungen könne er zwei Zeugen nennen. Zudem habe das Obergericht aus diversen Briefen allfällige Straftatbestände «herauszufiltern». Die Staatsanwaltschaft und B._ verzichteten auf eine Duplik. II. 1. Nach Art. 310 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a), Verfahrenshindernisse bestehen (lit. b) oder aus den in Art. 8 genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c). 2. Gemäss Strafanzeige vom 15. Dezember 2018 soll sich der relevante Sachverhalt am 9. September 2018, in der Zeit zwischen ca. 00:30 Uhr bis ca. 01:30 Uhr, ereignet haben. Wie die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung zutreffend erwog, war die geltende Antragsfrist von drei Monaten ab Kenntnis von der Tat und dem mutmasslichen Täter (vgl. Art. 180 i.V.m. Art. 31 StGB) am 15. Dezember 2018 bereits abgelaufen. Ob dem damaligen Vorfall strafrechtliche Relevanz zuzubilligen wäre und ob es sich tatsächlich um schwerwiegende Morddrohungen handelt, wie der Beschwerdeführer geltend macht, ist mangels gültigen Strafantrags irrelevant. Daran ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer zwei potenzielle Zeugen nennen konnte. Vorliegend fehlt es an einer Prozessvoraussetzung, was zwingend zur Nichtanhandnahme der Untersuchung führt (Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO). 3. Nicht einzugehen ist sodann auf die Ausführungen des Beschwerdeführers, das Obergericht habe aus diversen Briefen allfällige Straftatbestände «herauszufiltern». Für das Einreichen einer Strafanzeige werden gewisse inhaltlich Anforderungen gestellt. Eine Erklärung gegenüber einer Behörde ist nur dann als Strafanzeige zu betrachten und entsprechend zu behandeln, wenn sie auf eine konkrete, angeblich strafbare Handlung Bezug nimmt. Sie muss im Wesentlichen eine Sachverhaltsfeststellung, Angaben zu den beteiligten Personen, persönliche Wahrnehmungen und weitere Informationen zum angezeigten Tatvorgang beinhalten. Pauschale Behauptungen ohne Hinweis auf einen spezifischen Sachverhalt sind keine Strafanzeigen im Sinne von Art. 301 StPO. In diesen Fällen begründet die StPO auch keine Pflicht zur förmlichen Behandlung der Eingabe (BSK StPO-Riedo/Boner, 2. Auflage, Basel 2014, Art. 301 N 11; Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Kommentar, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 301 N 2). Vorliegend sind den Äusserungen des Beschwerdeführers keine Angaben zu allfälligen Straftaten zu entnehmen. Unklar bleibt, wer überhaupt der Täter sein soll. Es ist nicht Aufgabe der Behörden, nach einem allfälligen strafrechtsrelevanten Sachverhalt zu forschen. Die Ausführungen des Beschwerdeführers bleiben daher unbeachtlich. 4. Zusammenfassend hat die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung zu Recht nicht an Hand genommen. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. 5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 gehen bei diesem Ausgang zu Lasten des Beschwerdeführers und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen. Der Beschuldigte hat keine Entschädigung geltend gemacht. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 zu bezahlen. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Müller Riechsteiner
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 7. April 2020 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Flückiger Oberrichterin Hunkeler Rechtspraktikantin Flück In Sachen A._ AG , Beschwerdeführerin gegen B._ , vertreten durch C._ Beschwerdegegnerin betreffend definitive Rechtsöffnung zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Der B._ (im Folgenden: Gesuchsteller) verlangte mit Schreiben vom 22. November 2019 (Postaufgabe) beim Richteramt Thal-Gäu in der gegen A._ AG (im Folgenden: Gesuchsgegnerin) geführten Betreibung Nr. 307'432 vom 30. August 2019 die definitive Rechtsöffnung für den Betrag von CHF 2'438.30 nebst Zins zu 5% seit 28. August 2019 sowie die Kosten für den Zahlungsbefehl von CHF 73.30, u.K.u.E.F. zu Lasten der Schuldnerin. 2. Die Gesuchsgegnerin schloss mit Stellungnahme vom 28. November 2019 auf Gesuchsabweisung. 3. Der Amtsgerichtspräsident erteilte mit Urteil vom 4. Februar 2020 die definitive Rechtsöffnung für den Betrag von CHF 1'400.00 nebst Zins zu 5% seit 6. Juni 2012 sowie für den Beitrag von CHF 30.00 nebst Zins zu 5% seit 18. September 2012. Sodann verpflichtete er die Gesuchsgegnerin, die Betreibungskosten von CHF 73.30 und die Parteientschädigung von CHF 100.00 dem Gesuchsteller zu bezahlen sowie die Verfahrenskosten von CHF 300.00 demselben zu erstatten. 4. Dagegen erhob die Gesuchsgegnerin (von nun an: Beschwerdeführerin) am 11. Februar 2020 fristgerecht Beschwerde beim Obergericht und verlangte sinngemäss die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils. 5. Für die Parteistandpunkte und Erwägungen der Vorinstanz wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachfolgend darauf einzugehen. II. 1. Die definitive Rechtsöffnung ist gemäss Art. 80 Abs. 1 und 81 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG, SR 281) zu erteilen, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid beruht und die Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheides getilgt oder gestundet worden ist oder er die Verjährung anruft. Nach Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG sind Verfügungen schweizerischer Verwaltungsbehörden gerichtlichen Entscheiden gleichgestellt. 2. Die Beschwerde ist ein unvollkommenes ausserordentliches Rechtsmittel, mit welchem unrichtige Rechtsanwendung und offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts geltend gemacht werden kann (Art. 320 ZPO). Sie ist begründet einzureichen (Art. 321 Abs. 1 ZPO). In der Beschwerdebegründung ist u.a. darzulegen, auf welchen Beschwerdegrund sich die Beschwerdeführerin beruft und an welchen Mängeln der angefochtene Entscheid leidet. Es besteht eine Rügepflicht (Dieter Freiburghaus/Susanne Afheldt in: Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich Basel Genf 2016, Art. 321 N 15). Zudem sind im Beschwerdeverfahren nach Art. 326 Abs. 1 ZPO neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel ausgeschlossen. Dies entspricht dem Charakter des Rechtsmittels. Denn es geht nicht um eine Fortführung des erstinstanzlichen Prozesses, sondern im Wesentlichen um eine Rechtskontrolle des erstinstanzlichen Entscheids. 3. Die Beschwerdeführerin macht erneut geltend, nicht beitragspflichtig zu sein für den umstrittenen Jahresbeitrag des Berufsbildungsfonds von 2012. Im Rechtsöffnungsverfahren ist nur darüber zu entscheiden, ob die durch den Rechtsvorschlag gehemmte Betreibung fortgeführt werden darf. Es ist nicht mehr über den materiellen Bestand der Forderung zu befinden. Die Beschwerdeführerin bestreitet lediglich erneut die in Betreibung gesetzte Forderung. Die Ausführungen in der Beschwerde weisen keinen Bezug zur Begründung des angefochtenen Urteils auf. 4.1 In ihrer Beschwerde macht die Beschwerdeführerin des Weiteren geltend, dass es nicht sein könne, dass die Beschwerdegegnerin nach sechs Jahren erneut eine Rechnung verschicke und die Betreibung einleite. Nachdem die Verjährung bereits in der Stellungnahme im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht wurde, ist diese Ausführung als Anrufung der Verjährung gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG zu verstehen. 4.2 Wie der Vorderrichter feststellte, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Forderung, bei welcher Beginn und Dauer der Verjährungsfrist, soweit keine besonderen Vorschriften existieren, gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGE 97 I 628; BGE 112 Ia 260) nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Obligationenrechts zu bestimmen sind. Der Vorderrichter stützt sich dabei auf Art. 127 OR, wonach mit Ablauf von zehn Jahren alle Forderungen verjähren, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt. Die zehnjährige Verjährungsfrist laufe demnach ungeachtet des Verjährungsunterbruchs durch die Einleitung der Betreibung und den darauffolgenden Rechtsöffnungsverfahren frühestens am 5. Juni 2022 ab. 4.3 Gemäss Art. 128 Ziff. 1 OR gilt eine fünfjährige Verjährungsfrist für Miet-, Pacht- und Kapitalzinsen sowie für andere periodische Leistungen. Periodische Leistungen sind separat fällige, periodisch wiederkehrende Einzelleistungen aus einheitlichem Rechtsgrund. Als Beispiele werden u.a. Unterhaltsansprüche, Abonnementsbeiträge für Zeitschriften sowie Radio- und Fernsehgebühren genannt (Robert K. Däppen in: Heinrich Honsell et al. [Hrsg.], Basler Kommentar, Obligationenrecht I, Basel 2015, Art. 128 OR N 2 f.). Beim Jahresbeitrag von 2012 für den Berufsbildungsfonds handelt es sich um einen jährlich durch den B._ erhobenen Beitrag zur Finanzierung des Berufsbildungsfonds. Dieser alljährlich erhobene Beitrag stellt eine separat fällige, periodisch wiederkehrende Einzelleistung aus einheitlichem Rechtsgrund (Finanzierung des Berufsbildungsfonds) dar. Es gilt die fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 128 Ziff. 1 OR. Die Vorinstanz verkannte in ihrem Urteil die periodische Natur der umstrittenen Forderung und nahm demnach eine Verjährungsfrist von zehn Jahren anstatt fünf Jahren an. 4.4 Damit bleibt zu prüfen, ob die Forderung betreffend Jahresbeitrag 2012 gemäss Art. 128 Ziff. 1 OR verjährt ist. Der Beginn der Verjährung wird im Art. 130 Abs. 1 OR geregelt und beginnt mit der Fälligkeit der Forderung. Die Forderung betreffend Jahresbeitrag 2012 wurde gemäss Rechnung der Gesuchstellerin vom 7. Mai 2012 am 6. Juni 2012 zur Zahlung fällig. Gemäss Art. 135 Ziff. 2 OR wird die Verjährung durch Schuldbetreibung, durch Schlichtungsgesuch, durch Klage oder Einrede vor einem staatlichen Gericht oder einem Schiedsgericht sowie durch Eingabe im Konkurs unterbrochen. Die Einleitung der Betreibung Nr. 193'820 des Betreibungsamtes Thal-Gäu vom 5. Dezember 2012 führte zur Unterbrechung der Verjährung. Gemäss Art. 138 Abs. 2 OR beginnt die Verjährung im Fall einer Unterbrechung durch Schuldbetreibung mit jedem Betreibungsakt von neuem. Das Urteil des Obergerichts vom 5. November 2013 betreffend definitive Rechtsöffnung (ZKBES.2013.185) stellt den letzten Betreibungsakt dar. Folglich lief die Verjährungsfrist von fünf Jahren gemäss Art.132 Abs. 1 OR spätestens am 7. November 2018 ab. In diesem Zeitraum wurden keine verjährungsunterbrechenden Handlungen nach Art. 135 Ziff. 2 OR vorgenommen. Insbesondere wurde die Betreibung Nr. 307'432 des Betreibungsamtes Thal-Gäu erst am 30. August 2019 eingeleitet. Die Forderung betreffend Jahresbeitrag 2012 ist somit verjährt. 5. Der Vorderrichter hat für den in Betreibung gesetzten Betrag zu Unrecht die definitive Rechtsöffnung erteilt. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und das Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 4. Februar 2020 ist aufzuheben. In der Betreibung Nr. 307'432 des Betreibungsamtes Thal-Gäu ist das Begehren um definitive Rechtsöffnung abzuweisen. 6. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten der ersten Instanz von CHF 300.00 und der zweiten Instanz von CHF 450.00 zu übernehmen. Die Parteikosten werden wettgeschlagen. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 4. Februar 2020 wird aufgehoben. 2. Das Begehren um Rechtsöffnung in der Betreibung Nr. 307'432 des Betreibungsamtes Thal-Gäu wird abgewiesen. 3. Der B._ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 300.00 zu bezahlen. Diese werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 4. Die Parteikosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden wettgeschlagen. 5. Der B._ hat die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens von CHF 450.00 zu bezahlen. Diese werden mit dem von der A._ AG geleisteten Vorschuss verrechnet. Der B._ hat der A._ AG die von ihr bevorschussten CHF 450.00 zu erstatten. Rechtsmittel: Der Streitwert liegt unter CHF 30'000.00. Sofern sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Soweit sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Erhalt beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Mit der Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 115 bis 119 Bundesgerichtsgesetz massgeblich. Wird gleichzeitig Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben, so sind beide Rechtsmittel in der gleichen Beschwerdeschrift einzureichen. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Die Rechtspraktikantin Frey Flück
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Obergericht Zivilkammer Beschluss vom 11. Januar 2021 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichterin Hunkeler Oberrichter Müller Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Keller, Berufungsklägerin gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwalt Benno Mattarel, Berufungsbeklagter betreffend vorsorgliche Massnahmen zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. A._ (nachfolgend: Ehefrau) und B._ (nachfolgend: Ehemann) führen vor Richteramt Olten-Gösgen ein Ehescheidungsverfahren. Nach der Einigungsverhandlung verfügte und erkannte die Amtsgerichtsstatthalterin am 7. September 2020 im Sinne von vorsorglichen Massnahmen Folgendes: 1. Der Ehefrau wird die integrale unentgeltliche Rechtspflege bewilligt. Als unentgeltlicher Rechtsbeistand wird Rechtsanwalt Andreas Keller, [...], eingesetzt. 2. Es wird festgestellt, dass die Ehegatten zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts berechtigt sind und seit dem 1. Mai 2018 getrennt leben. 3. Die eheliche Liegenschaft am [...] in [...] wird für die Dauer des Getrenntlebens dem Ehemann zur alleinigen Benützung und Verwaltung zugewiesen. Er trägt sämtliche Liegenschaftskosten. 4. Die elterliche Obhut über die beiden Kinder wird wie folgt geregelt: a) Der Sohn C._, geb. [...] 2006, wird unter die alternierende Obhut der Ehegatten gestellt. Die Ehegatten haben das Recht und die Pflicht, C._ jede zweite Woche von Montag, 08.00 Uhr, bis am anderen Montag, 08.00 Uhr, zu betreuen. b) Die Tochter D._ geb. [...] 2003, stand bis 31. Juli 2020 unter der alternierenden Obhut der Ehegatten. Ab 1. August 2020 wird sie unter die alleinige Obhut des Vaters gestellt. 5. Die Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen D._ und der Ehefrau wird der freien Parteivereinbarung überlassen. Beiden Ehegatten steht unter dem Vorbehalt abweichender Parteivereinbarungen ein dreiwöchiges Ferienrecht zu. Die Ferienzeiten sind unter den Ehegatten jeweils zwei Monate im Voraus abzustimmen. 6. Der Ehemann hat der Ehefrau an den Unterhalt der Kinder sowie an ihren persönlichen Unterhalt monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge wie folgt zu bezahlen: Phase 1 ab 1. Juli 2019 bis 31. Juli 2020 D._ CHF 550.00 Barunterhalt C._ CHF 550.00 Barunterhalt CHF 1’590.00 Betreuungsunterhalt Ehefrau CHF 515.00 Ehegattenunterhalt Phase 2 ab 1. August 2020 bis 28. Februar 2021 C._ CHF 645.00 Barunterhalt CHF 890.00 Betreuungsunterhalt Ehefrau CHF 890.00 Ehegattenunterhalt Phase 3 ab 1. März 2021 C._ CHF 695.00 Barunterhalt Ehefrau CHF 1’110.00 Ehegattenunterhalt Der Ehemann hat weiterhin die Krankenkassenprämien (KVG und VVG), die Kommunikationskosten sowie die Mobilitätskosten / Berufsauslagen der beiden Kinder zu bezahlen. Die Kinder- bzw. Ausbildungszulagen verbleiben beim Ehemann. Sie sollen den Kindern noch zusätzlich zukommen. Der Ehemann ist berechtigt, bereits geleistete Zahlungen an die geschuldeten Beiträge anzurechnen. Die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern dauert bis zu deren wirtschaftlichen Selbständigkeit, längstens jedoch bis zur Volljährigkeit. Art. 277 Abs. 2 ZGB ist vorbehalten. Dieser lautet wie folgt: Hat das Kind bei Eintritt der Volljährigkeit noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. 7. Es wird festgestellt, dass die Ehefrau für die Tochter D._ keine Unterhaltszahlungen an den Ehemann zu leisten hat. 8. Der Ehemann hat der Ehefrau den hälftigen Nettoerlös des Jahres 2019 (ab Juli) aus der Liegenschaft [...] im Umfang von CHF 6'192.00 zu bezahlen. Der Ehemann hat der Ehefrau ab Januar 2020 einen Akontobetrag von monatlich CHF 500.00 unter dem Titel Nettoerlös aus der Liegenschaft [...] zu bezahlen. Er wird verpflichtet, innert drei Monaten nach Ende des Kalenderjahres die Abrechnung der Liegenschaft zu erstellen und mit der Ehefrau unter Anrechnung ihres genannten Anspruchs im Umfang des hälftigen Anteils am Nettoerlös abzurechnen. 9. Der Entscheid stützt sich auf folgende Berechnungsgrundlagen: monatliches Nettoeinkommen (ohne Kinderzulagen): - des Ehemannes: alle Phasen: CHF 7'290.00 - der Ehefrau: Phase 1: CHF 900.00 Phase 2: CHF 1'600.00 Phase 3: CHF 2'560.00 10. Der Antrag der Ehefrau auf Zusprechung eines Prozesskostenvorschusses wird abgewiesen. 11. Die Kosten des Massnahmeverfahrens im Umfang von CHF 1'200.00 werden zur Hauptsache geschlagen. 2. Im Anschluss an die nachträgliche Zustellung der Entscheidbegründung erhob die Ehefrau fristgerecht Berufung gegen den Entscheid. Sie stellt dabei folgende Anträge: 1. In Aufhebung der Ziffern 6. und 9. des Zwischenentscheids des Richteramts Olten-Gösgen, Zivilabteilung, vom 7. September 2020 sei der Berufungsbeklagte zu verpflichten, der Berufungsklägerin an den Unterhalt der Kinder sowie an ihren persönlichen Unterhalt monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge wie folgt zu bezahlen: Phase 1 ab 1. Juli 2019 bis 31. Juli 2020 D._ CHF 805.00 Barunterhalt C._ CHF 805.00 Barunterhalt CHF 2'185.00 Betreuungsunterhalt Ehefrau CHF 1'140.00 Ehegattenunterhalt Phase 2 ab 1. August 2020 C._ CHF 850.00 Barunterhalt CHF 2'275.00 Betreuungsunterhalt Ehefrau CHF 1‘205.00 Ehegattenunterhalt 2. Der Berufungsbeklagte sei zu verpflichten, der Berufungsklägerin für das Berufungsverfahren einen Prozesskostenvorschuss von CHF 4'000.00 zu bezahlen. Eventualiter sei der Berufungsbeklagten für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren unter Beiordnung des Unterzeichneten als unentgeltlichen Rechtsbeistand. Der Ehemann beantragt in seiner Berufungsantwort, auf die Berufung nicht einzutreten. Eventualiter sei sie abzuweisen. 3.1 Der Präsident der Zivilkammer setzte dem Vertreter der Ehefrau mit Verfügung vom 25. November 2020 Frist zur Einreichung einer Vollmacht für die Person, welche die Berufung unterschrieben hat. Am 3. und 4. Dezember 2020 reichte der Vertreter der Ehefrau zwei Vollmachten und eine kurze Eingabe ein. Der Ehemann seinerseits nahm dazu unaufgefordert am 8. Dezember 2020 Stellung. 3.2 Die Streitsache ist spruchreif. Gestützt auf Art. 316 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) kann darüber ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen der Vorderrichterin wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen. II. 1.1 Der Ehemann und Berufungsbeklagte führt zur Begründung seines Antrags auf Nichteintreten aus, es sei unbestritten, dass Rechtsanwalt Andras Keller von der Ehefrau bevollmächtigt worden sei. Die auf der Berufung angebrachte Unterschrift stamme jedoch nicht vom bevollmächtigten Rechtsanwalt. Vielmehr habe eine unbekannte Person i.V. unterzeichnet. Es werde bestritten, dass die unterzeichnete Person gehörig bevollmächtigt oder gar ein zugelassener und dem Anwaltsgesetz unterstehender Anwalt sei, da weder eine Substitutionsvollmacht vorliege noch erkennbar sei, wer überhaupt unterzeichnet habe. Unterschreibe eine Person in fremdem Namen, müsse sie für das entsprechende Verfahren vertretungsbefugt sein. Eine solche Vertretungsbefugnis sei vorliegend aber nicht ersichtlich. 1.2 Die Ehefrau und Berufungsklägerin erachtet die Ausführungen des Berufungsbeklagten zum Vergleich der Unterschriften als irrelevant, weil die unterzeichnete Person deutlich mit i.V. unterschrieben habe. Des Weiteren sei in der gegenwärtigen Pandemie wenn immer möglich im Home-Office zu arbeiten, weshalb Eingaben teilweise von Mitarbeitern unterzeichnet werden müssten. Der Einwand des Berufungsbeklagten sei deshalb unnötigerweise formalistisch. Der von ihr eingereichten Substitutionsvollmacht zufolge sei MLaw Livio Studer von Rechtsanwalt Andreas Keller angewiesen worden, seine Eingabe zu unterzeichnen. 1.3 Der Berufungsbeklagte ergänzt in seiner Eingabe vom 8. Dezember 2020, eine Unterzeichnung der Rechtsschrift in fremdem Namen sei zwar nicht unzulässig. Die unterzeichnende Person müsse indessen ebenfalls vertretungsberechtigt sein. Dies sei beim nicht im schweizerischen Anwaltsregister eingetragenen MLaw Livio Studer nicht der Fall. 2.1 Eine Berufung ist schriftlich und begründet einzureichen (Art. 311 Abs. 1 ZPO). Die Berufung ist – wenn sie nicht elektronisch eingereicht wird – handschriftlich zu unterzeichnen (Art. 130 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Mängel einer Eingabe wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht sind innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt (Art. 132 Abs. 1 ZPO). Die Ansetzung einer Nachfrist setzt voraus, dass der Mangel beziehungsweise Fehler verbesserlich ist, was nicht der Fall ist, wenn es sich um eine freiwillige – das heisst nicht versehentliche - Unterlassung handelt (Urteil des Bundesgerichts 5A_822/2014 vom 4. Mai 2015 E. 2.3). 2.2 Die Berufung wurde nicht von der Ehefrau selber, sondern von einem Vertreter eingereicht. Zur berufsmässigen Vertretung sind Anwältinnen und Anwälte befugt, die nach dem Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA, SR. 934.61) berechtigt sind, Parteien vor schweizerischen Gerichten zu vertreten (Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO). Nach dem Grundsatz der interkantonalen Freizügigkeit können Anwältinnen und Anwälte, die in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind, in der Schweiz ohne weitere Bewilligung Parteien vor Gerichtsbehörden vertreten (Art. 4 BGFA). 3.1 Die Ehefrau wurde im erstinstanzlichen Verfahren und insbesondere auch anlässlich der Einigungsverhandlung vom 31. August 2020 durch Rechtsanwalt Andreas Keller vertreten (vgl. Protokoll der Verhandlung vom 31. August 2020, S. 1). Rechtsanwalt Andreas Keller wird auch in der Grussformel («Mit freundlichen Grüssen, Schibli & Partner») am Schluss der Berufung erwähnt. Die unleserliche Unterschrift («i.V. ...») stammt, wie in der Eingabe vom 3. Dezember 2020 erläutert wird, von MLaw Livio Studer. MLaw Livio Studer wird – nebst mehreren anderen Personen - gemäss den beiden nachgereichten Substitutionsvollmachten von Rechtsanwalt Andreas Keller «zur substitutionsweisen Vertretung» bevollmächtigt. MLaw Livio Studer ist nicht in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen. Er wird in den Vollmachten denn auch nicht als «Rechtsanwalt», sondern als «Rechtskonsulent» bezeichnet. 3.2 MLaw Livio Studer unterzeichnete die Berufung offensichtlich in Vertretung (i.V.) von Rechtsanwalt Andreas Keller. Als nicht in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragene Person ist er jedoch nicht berechtigt, Personen vor schweizerischen Gerichten zu vertreten und damit auch nicht, eine Berufung einzureichen. Dies auch dann nicht, wenn er in Vertretung eines Rechtsanwalts handelt. Daran ändert die gegenwärtige Pandemie nichts. 3.3 Dass es sich bei der Unterschrift des nicht vertretungsberechtigten MLaw Studer nicht um ein Versehen handelt, das die formelle Ansetzung einer Nachfrist erfordert hätte, zeigt allein schon die Bemerkung in der Eingabe vom 3. Dezember 2020, wonach MLaw Studer auch diese im Auftrag von Rechtsanwalt Keller unterzeichnen werde. Angesichts der Ausführungen des Ehemannes in der Berufungsantwort konnte Rechtsanwalt Andreas Keller die an ihn adressierte Verfügung des Präsidenten der Zivilkammer vom 25. November 2020 (Ziffer 2) nach Treu und Glauben nur so verstehen, dass die Berufung mangelhaft ist, falls sie nicht von einer zur Parteivertretung befugten Person unterzeichnet ist. Wenn er bei dieser Ausgangslage die Berufungsschrift dennoch nicht mit einer Unterschrift einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwaltes, der zur Parteivertretung befugt ist, nachreicht, hat er beziehungsweise die von ihm vertretene Partei die Konsequenzen zu tragen. Auf die Berufung der Ehefrau ist aus diesen Gründen nicht einzutreten (vgl. auch den Entscheid des Bundesgerichts 5A_461/2012 vom 1. Februar 2013, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde lag). 4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Berufung – falls darauf eingetreten werden könnte – abzuweisen wäre. Der vorinstanzliche Entscheid überzeugt. Der detaillierten Begründung des der Ehefrau angerechneten effektiven und hypothetischen Einkommens hält diese sowohl bezüglich dessen Höhe als auch der Übergangsfristen bloss appellatorische Kritik entgegen. Ebensowenig zeigt sie auf, weshalb die Vorderrichterin beim Einkommen des Ehemannes zu Unrecht von einem Durchschnittswert der letzten drei Jahre ausgegangen sei soll. Im Berufungsverfahren kann sich die Berufungsklägerin nicht auf pauschale oder oberflächliche Kritik am angefochtenen Urteil beschränken, sondern sie hat auf die Argumentation der Vorinstanz einzugehen (vgl. BGE 141 III 569 E. 2.3.3, mit zahlreichen Hinweisen). Dasselbe gilt auch für die beanstandeten Bedarfspositionen. Im Hinblick auf die von ihr geforderte Anrechnung eines höheren Betrages für Steuern (CHF 650.00) ist sie zudem daran zu erinnern, dass sie bei der Vorinstanz dafür bloss CHF 200.00 gefordert hatte. Dass die Vorinstanz den Parteien den Grundbetrag für die Kinder zufolge alternierender Obhut je hälftig zuwies, ist sachgerecht und entspricht ebenso der Praxis, wie die Nichtberücksichtigung eines Beitrages für den Vorsorgeunterhalt (BGE 145 III 169). Wie der Berufungsbeklagte weiter zutreffend bemerkt (Berufungsantwort S. 5, BS 13), wirkt sich die (geringfügige) Differenz beim Wohnkostenanteil letztlich nicht zu Gunsten der Ehefrau, sondern zu Gunsten des Ehemannes aus. Unter dem Strich änderte somit auch eine materielle Beurteilung der Berufung nichts am vorliegenden Ergebnis. 5. Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 1'000.00 gehen dem Ausgang entsprechend zu Lasten der Ehefrau und Berufungsklägerin. Die von ihr dem Ehemann zu bezahlende Parteientschädigung ist gestützt auf die eingereichte Kostennote auf CHF 1'719.20 (inkl. Auslagen und MwSt.) festzulegen. Der Antrag auf Zusprechung eines Prozesskostenvorschusses, eventualiter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, ist abzuweisen. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, waren die Erfolgsaussichten der Berufung angesichts der geltend gemachten Rügen von vornherein derart gering, dass das Rechtsmittel als aussichtslos zu qualifizieren ist. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege sind allein schon aus diesem Grund nicht erfüllt (Art. 117 lit. b ZPO). Demnach wird beschlossen : 1. Auf die Berufung wird nicht eingetreten. 2. Das Gesuch von A._ um Zusprechung eines Prozesskostenvorschusses, eventualiter um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, wird abgewiesen. 3. Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 1'000.00 hat A._ zu bezahlen. 4. A._ hat B._ für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von CHF 1'719.20 zu bezahlen. Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 30'000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 20. Februar 2019 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiberin Kofmel In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt Beat Muralt, Berufungskläger gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwalt Timur Acemoglu, Berufungsbeklagte betreffend vorsorgliche Massnahmen Ehescheidung zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Die Parteien führen vor Richteramt Bucheggberg-Wasseramt ein Ehescheidungsverfahren. Am 4. Oktober 2018 verfügte der Amtsgerichtspräsident, der Ehemann habe der Ehefrau mit Wirkung ab deren Auszug aus der ehelichen Liegenschaft einen monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrag von CHF 3'000.00 zu bezahlen (Ziffer 5.3 der Verfügung). 2. Frist- und formgerecht erhob der Ehemann im Anschluss an die nachträgliche Zustellung der Entscheidbegründung Berufung gegen die Verfügung. Er beantragt, Ziffer 5.3 aufzuheben und den zugunsten der Ehefrau festgelegten Unterhaltsbeitrag für die Phase vom 1. Dezember 2018 bis zum 31. März 2019 nach richterlichem Ermessen neu festzulegen, unter Abweisung des Begehrens der Ehefrau auf Ausrichtung von Unterhaltsbeiträgen ab dem 1. April 2019. Die Ehefrau schliesst auf Abweisung der Berufung. 3. Über die Berufung kann in Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Erwägungen des Vorderrichters und die Parteistandpunkte wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen. II. 1. Die Ehefrau ist per 1. Dezember 2018 aus der ehelichen Liegenschaft ausgezogen. Gemäss der angefochtenen Verfügung ist der Ehemann somit ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. Mit seiner Berufung beantragt er, den Unterhaltsbeitrag für eine erste Phase ab 1. Dezember 2018 bis zum 31. März 2019 nach richterlichem Ermessen neu festzulegen. Rechtsbegehren sind – soweit es um Geldforderungen geht – grundsätzlich zu beziffern, was insbesondere auch im Zusammenhang mit Unterhalt gilt (BGE 137 III 617). Diesen Anforderungen genügt der Antrag des Ehemannes, soweit damit die Alimente für die Zeit vom 1. Dezember 2018 bis 31. März 2019 angefochten werden («nach richterlichem Ermessen neu festzulegen»), nicht. Auf die Berufung ist daher insoweit nicht einzutreten. 2.1 Der Amtsgerichtspräsident ermittelte den Unterhaltsbeitrag grundsätzlich aufgrund einer Gegenüberstellung der Einkünfte und des Bedarfs der Parteien. Weil dabei ein Manko resultierte, bemass er das Aliment letztlich anhand der Differenz zwischen dem Einkommen und dem Bedarf des Ehemannes. Im Zusammenhang mit dem Einkommen des Ehemannes erwog er, dieser erhalte momentan Unfall- und Krankentaggeld. Er beziehe das Geld über seine Arbeitgeberin. Gemäss den Lohnabrechnungen der Monate April bis Juni 2018 seien ihm monatlich gerundet CHF 5'707.00 ausbezahlt worden. Dazu komme ein 13. Monatslohn, was zu einem mass-gebenden Nettoeinkommen von CHF 6'182.00 führe. Der Gesamtbedarf des Ehemannes belaufe sich auf total CHF 3'163.00. 2.2 Der Berufungskläger macht geltend, er habe Ende November 2018, das heisst nach dem Erlass der angefochtenen Verfügung, aber vor der Zustellung der schriftlichen Begründung, einen gesundheitlichen Rückfall erlitten und sei nun voraussichtlich bis zum 4. Februar 2019 hospitalisiert. Zudem habe seine Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit ihm per 30. April 2019 aufgelöst. Da aktuell nur noch die Krankentaggeldversicherung leistungspflichtig sei, werde diese ihre Leistungen bereits per Ende März 2019 zufolge Aussteuerung einstellen, weshalb er ab dem 1. April 2019, also noch vor dem Wirksamwerden der Kündigung, werde Sozialhilfe beantragen müssen. Weiter rügt der Berufungskläger, es sei unerfindlich, weshalb die Rente der Ehefrau aus [...] von monatlich CHF 228.00 nicht in die Unterhaltsberechnung einfliessen soll. Sodann beanstandet er den der Ehefrau für Krankenversicherungsprämien angerechneten Betrag von CHF 402.00 pro Monat. Nach deren Auszug aus der Liegenschaft habe er eine Kopie der Mitteilung der Ausgleichskasse vom 30. August 2018 an die Sozialen Dienste Wasseramt Süd gefunden, gemäss welcher der Ehefrau die Prämienverbilligung ab 1. Juli 2018 bis 31. Dezember 2018 im Umfang von CHF 2'748.00 gewährt werde. Die Krankenversicherungsprämie dürfe deshalb nicht im Bedarf berücksichtigt werden. Unzutreffende Annahmen bestünden auch hinsichtlich der Steuern. Da er einen Rattenschwanz an Schulden zu schultern habe, müsse ihm schliesslich auch noch ein Betrag von CHF 450.00 an die Schuldentilgung angerechnet werden. Heute sei klar, dass er ab dem 1. April 2019 auf Sozialhilfe angewiesen sei, weshalb die zugunsten der Ehefrau auszurichtenden Unterhaltsbeiträge auf den 31. März 2019 zu befristen seien. 2.3.1 Der Berufungskläger beanstandet mit seiner Berufung einerseits die vorinstanzliche Ermittlung des Unterhaltsbeitrages. Anderseits macht er geltend, dass sich die Verhältnisse seit dem Erlass der angefochtenen Verfügung verändert hätten. Zusammen mit der Berufung reichte er auch verschiedene neue Urkunden ein. Um seine Rügen zu untermauern, beruft er sich namentlich auf eine Bestätigung vom 17. Januar 2019 der Sozialberatung der Psychiatrischen Dienste der [...] in [...] (Beilage 4), die Kündigung der [...] vom 14. Januar 2019 (Beilage 5) und die Mitteilung über die individuelle Prämienverbilligung betreffend der Ehefrau vom 30. August 2018 (Beilage 12). 2.3.2 Im Berufungsverfahren werden neue Tatsachen und Beweismittel gemäss Art. 317 Abs. 1 ZPO nur noch berücksichtigt, wenn sie ohne Verzug vorgebracht werden (lit. a) und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (lit. b). Praxisgemäss ist zwischen echten und unechten neuen Vorbringen zu unterscheiden. Echte Noven sind Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Ende der Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Verfahrens entstanden sind. Sie sind im Berufungsverfahren grundsätzlich immer zulässig, wenn sie ohne Verzug nach ihrer Entdeckung vorgebracht werden. Unechte Noven sind Tatsachen und Beweismittel, die bereits bei Ende der erstinstanzlichen Hauptverhandlung entstanden waren. Ihre Zulassung wird im Berufungsverfahren weitergehend insofern eingeschränkt, als sie ausgeschlossen sind, wenn sie bei Beachtung zumutbarer Sorgfalt bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Im Falle unechter Noven hat der Berufungskläger namentlich die Gründe detailliert darzulegen, weshalb er die Tatsache oder das Beweismittel nicht schon vor erster Instanz hat vorbringen können. In der Berufung zulässige neue Vorbringen dürfen nicht in das Abänderungsverfahren verwiesen werden (BGE 143 III 42, E. 4.1 und 5). 2.4.1 Die neu eingereichten Urkunden 4 und 5 wurden nach der erstinstanzlichen Verhandlung ausgestellt. Es sind damit Beweismittel, die im Berufungsverfahren grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Eine andere Frage ist hingegen, ob es sich bei den im Schreiben der Sozialberatung der Psychiatrischen Dienste der [...] in [...] (Beilage 4) erwähnten Tatsachen ebenfalls um echte Noven handelt und diese damit belegt werden. Darauf ist zurückzukommen. 2.4.2 Die als Beilage 12 eingereichte Mitteilung über die individuelle Prämienverbilligung betreffend der Ehefrau datiert vom 30. August 2018 und erging somit vor der erstinstanzlichen Verhandlung. Es handelt sich deshalb um ein unechtes Novum. Die Berufungsbeklagte bestreitet, dass der Ehemann diese Urkunde bei ihr gefunden habe. Sie sei nicht in ihrem Besitz und ihr auch sonstwie nicht bekannt gewesen. Sie habe nur gewusst, dass die Bezahlung der Krankenkassenprämien über die Sozialen Dienste laufe. Das Schreiben sei an die Sozialen Dienste adressiert und vom Berufungskläger offensichtlich gezielt für das vorliegende Berufungsverfahren eingeholt worden. Er hätte bereits bei der Vorinstanz einen entsprechenden Beweisantrag stellen können. Mit der Ehefrau und Berufungsbeklagten ist in der Tat davon auszugehen, dass der Ehemann bereits bei der Vorinstanz einen entsprechenden Beweisantrag hätte stellen können. Die finanziellen Verhältnisse der Ehefrau, die einen Anspruch auf Prämienverbilligung beeinflussen, waren ihm bereits damals bekannt. Der Berufungskläger legt nicht wie gefordert detailliert dar, weshalb er selber diese Tatsache nicht schon vor erster Instanz hat vorbringen können. Die von ihm neu eingereichte Urkunde 12 kann deshalb im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt werden. 2.5 Die Rüge des Berufungsklägers, die Krankenkassenprämie sei in der Bedarfsrechnung der Ehefrau zu streichen, ist somit unbegründet. Dasselbe gilt für die weiteren Beanstandungen des Berufungsklägers. Nach Lehre und Rechtsprechung hat der Berufungskläger der Rechtsmittelinstanz im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen der angefochtene vorinstanzliche Entscheid falsch ist und abgeändert werden soll. Es genügt beispielsweise nicht, in einer Berufungsschrift einen blossen Verweis auf die Vorakten anzubringen oder bloss zu wiederholen, was bereits vor der Vorinstanz vorgebracht wurde. Verlangt wird, dass sich ein Berufungskläger in der Berufungsschrift detailliert mit dem vorinstanzlichen Entscheid auseinandersetzt. Es muss ersichtlich sein, was seiner Auffassung nach genau am angefochtenen Urteil falsch ist und korrigiert werden soll. Dies setzt voraus, dass der Berufungskläger im Einzelnen die vorinstanzlichen Erwägungen bezeichnet und die Aktenstücke oder Beweismittel nennt, auf denen seine Kritik beruht. Mit diesen hat er sich auseinander zu setzen. Blosse appellatorische Kritik genügt nicht (vgl. z.B. Peter Reetz/Stefanie Theiler in: Thomas Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2016, N 34 ff. zu Art. 311; BGE 138 III 374 E. 4.3; 141 III 569 E. 2.3.3). Soweit der Berufungskläger nun vorbringt, es sei «etwas unerfindlich, weshalb die Rente der Ehefrau aus [...] von monatlich Fr. 228.00 nicht in die Unterhaltsberechnung einfliessen soll», genügt er dieser Begründungspflicht nicht. Eine auch nur minimale Auseinandersetzung mit der Begründung des Amtsgerichtspräsidenten (S. 6 des Urteils) fehlt. Angesichts der Mankosituation kann der Ehemann und Berufungskläger aus dem Umstand, dass der Vorderrichter in seinem Bedarf die Steuern berücksichtigte, von vornherein nichts zu seinen Gunsten ableiten. Auch die Kritik an der angerechneten Steuerlast ist deshalb unbegründet. Aufgrund der knappen finanziellen Verhältnisse fällt zudem auch die Anrechnung eines Betrages für die Rückzahlung von Schulden ausser Betracht. Familienrechtliche Unterhaltspflichten gehen der Pflicht zur Tilgung von Schulden vor. 2.6 Der Berufungskläger macht geltend, da aktuell nur noch die Krankentaggeldversicherung leistungspflichtig sei, werde diese ihre Leistungen bereits per Ende März 2019 zufolge Aussteuerung einstellen, weshalb er ab dem 1. April 2019, also noch vor dem Wirksamwerden der Kündigung, werde Sozialhilfe beantragen müssen. Heute sei klar, dass er ab dem 1. April 2019 auf Sozialhilfe angewiesen sei, so dass die zugunsten der Ehefrau auszurichtenden Unterhaltsbeiträge auf den 31. März 2019 zu befristen seien. Er beruft sich dabei auf die neu eingereichten und in Berufungsverfahren zu beachtenden Beilagen 4 und 5. Beilage 5 beinhaltet ein Schreiben der Arbeitgeberin des Ehemannes vom 14. Januar 2019, womit diese den Arbeitsvertrag per 30. April 2019 kündigt. Die Tatsache, dass der bisherige Arbeitsvertrag des Ehemannes auf Ende April ausläuft, ist damit erstellt. Anders verhält es sich mit den im Schreiben der Psychiatrischen Dienste [...] vom 17. Januar 2019 erwähnten Umständen. Das von einer dipl. Sozialarbeiterin FH unterzeichnete Schreiben ist an den Anwalt des Ehemannes gerichtet und hat folgenden Wortlaut: «Gerne informiere ich Sie zu einigen Sachverhalten Ihren Mandanten und unseren Patienten betreffend. Herr A._ befindet sich seit dem 30.11.2018 bei uns in den Psychiatrischen Diensten auf der Psychosomatik in stationärer Behandlung. Der Austritt ist geplant auf 04.02.2019. Während dieser Zeit erhielt Ihr Mandant am 14.1.19 die Kündigung des Arbeitgebers unter Einhaltung aller Fristen per 30.04.2019. Allerdings läuft das Krankentaggeld bereits am 28.03.2019 nach 720 Tagen aus. D.h., dass Hr. A._ per 01.04.2019 eine Anmeldung auf dem Sozialamt machen muss da die Möglichkeiten der Wiederaufnahme einer Arbeit, bzw. ein entsprechendes Procedere aktuell noch unklar sind. Hr. A._ hat überdies kein Anspruch auf Unfalltaggelder. Ich werde den Patienten weiterhin, wie seit Eintritt auf Station in all diesen Belangen unterstützen; insb. bei der Regelung der Finanzen, der hierbei zu erledigenden Administration und den Kontakten zu Ämtern, Behörden usf.». Wie die Ehefrau und Berufungsbeklagte zutreffend entgegnet, bestätigt dieses Schreiben nur, dass der Ehemann sich in stationärer Behandlung befindet. Dass ein Rückfall Grund dafür war, wird damit nicht belegt. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Ehemannes im Vergleich zum Verhandlungsdatum ist damit nicht nachgewiesen. Dasselbe gilt für die behauptete Tatsache und den Zeitpunkt einer Einstellung der Leistungen durch die Krankentaggeldversicherung. Wie die Berufungsbeklagte zu Recht bemerkt, ist davon auszugehen, dass dem Ehemann eine solche Einstellung schriftlich mitgeteilt worden wäre und er diese Urkunde ohne Weiteres mit der Berufung hätte einreichen können, um seine Behauptung zu belegen. Dass er ab 1. April 2019 auf Sozialhilfe angewiesen sein wird, ist ebenfalls offen. Gemäss der Bestätigung der Psychiatrischen Dienste [...] vom 17. Januar 2019 ist der Austritt per 4. Februar 2019 geplant. Nicht belegt wird damit, dass der Ehemann nach dem 1. April 2019 arbeitsunfähig sein und keine neue Stelle werde finden können. Die Berufung ist folglich auch in dieser Hinsicht unbegründet. 2.7 Der Behauptung der Ehefrau, der Vorderrichter habe dem Ehemann ein zu geringes Einkommen angerechnet, muss bei diesem Ergebnis nicht weiter nachgegangen werden. Die Berufung ist so oder so abzuweisen. Sofern sich die Verhältnisse in Zukunft tatsächlich erheblich und dauernd ändern sollten und der Ehemann dies auch belegen kann, wird er zu gegebener Zeit ein Abänderungsverfahren einleiten können. Aktuell sind die Voraussetzungen für eine Abänderung aber nicht erfüllt. 3. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind dem Ausgang entsprechend dem Ehemann und Berufungskläger zu auferlegen. Wie bereits bei der Vorinstanz ist beiden Parteien die vollumfängliche unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Die von den Parteivertretern eingereichten Honorarnoten sind angemessen (inkl. Auslagen und MwSt.). Im Zusammenhang mit dem vom Vertreter des Ehemannes geltend gemachten Stundenansatz ist darauf hinzuweisen, dass gemäss § 160 Abs. 3 Gebührentarif (GT, BGS 615.11) der Ansatz für die Bestimmung der Kosten der unentgeltlichen Rechtsbeistände sowie für die Ausfallhaftung des Staates CHF 180.00, zuzüglich Mehrwertsteuer, beträgt. Demnach wird erkannt : 1. Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2. Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 1'000.00 werden A._ auferlegt. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege trägt sie der Staat Solothurn; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 3. A._ hat B._ vertreten durch den unentgeltlichen Rechtsbeistand Rechtsanwalt Timur Acemoglu, eine Parteientschädigung von CHF 1'121.15 zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien hat der Staat Rechtsanwalt Beat Muralt eine Entschädigung von CHF 1'172.10 und Rechtsanwalt Timur Acemoglu eine Entschädigung von CHF 1’121.15 zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A._ und/oder B._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). Sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO), hat er seinem Rechtsanwalt Beat Muralt die Differenz zum vollen Honorar zu leisten. Diese beträgt CHF 371.55. Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 30'000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Frey Kofmel
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Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 27. Juni 2017 Es wirken mit: Präsidentin Jeger Oberrichter Frey Oberrichter Müller Gerichtsschreiber von Arx In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt B. _, Beschwerdeführer gegen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn Beschwerdegegnerin betreffend Entschädigung zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Am 10. Oktober 2012 kam es in [Ort], [Strasse] im Bereich des Gebäudes der [...], zu einem Unfall, indem der Lenker des PW BMW M3 Coupé, die Beherrschung über das Fahrzeug verlor. Die beiden Insassen, A._ und D._ (D._: Schreibweise gemäss Telefonbucheintrag und Strafregisterauszug) wurden leicht bzw. mittelschwer verletzt. Der Schaden am PW wurde auf CHF 100‘000.00 beziffert, jener am Gebäude der [...] auf CHF 30‘000.00. In der Folge blieb unklar, welcher der beiden Insassen das Fahrzeug gelenkt hatte. Der Verdacht richtete sich primär auf A._. Am 11. Oktober 2012 (Niederschrift der mündlichen Anordnungen vom 10. Oktober 2012, 21.15 Uhr) eröffnete der damals zuständige Staatsanwalt gegen D._ und A._ eine Untersuchung wegen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz. Gleichzeitig ordnete er verschiedene Beweiserhebungen an. Am 13. Mai 2013 wurde das Verfahren gegen D._ sistiert, dies mit der Begründung, der Ausgang des Strafverfahrens hänge von jenem gegen A._ ab. Ebenfalls am 13. Mai 2013 ordnete die nunmehr zuständige Staatsanwältin weitere Beweiserhebungen an. Am 18. Juni 2013 erliess sie eine Beweisverfügung, mit welcher unter anderem der Antrag auf Erstellung eines umfassenden (interdisziplinären) Unfallgutachtens abgewiesen wurde. Am 2. September 2013 ordnete die Staatsanwältin verschiedene Befragungen an. Am 2. Oktober 2013 wies sie den Antrag ab, Rechtsanwalt C._ sei als amtlicher Verteidiger von A._ einzusetzen. Am 22. September 2014 erteilte sie den Auftrag zur Erstellung eines interdisziplinären Gutachtens, gleichzeitig erteilte sie der Polizei weitere Ermittlungsaufträge. Am 11. Februar 2015 wurde den Parteien das Gutachten zugestellt. Mit Verfügung vom 31. August 2015 wurden der Gutachterin weitere aufgeworfene Fragen unterbreitet. Am 22. Januar 2016 wurde das morphometrische-rekonstruktive Ergänzungsgutachten vom 5. Januar 2016 zugestellt. Mit Verfügung vom 21. Juli 2016 wurden verschiedene Gegenstände aus der Beschlagnahme entlassen. Gleichzeitig gab die Staatsanwältin ihre Absicht bekannt (Art. 318 StPO), das Verfahren gegen A._ wegen falscher Anschuldigung, angeblich begangen am 10. Oktober 2012 und später, sowie wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln, angeblich begangen am 10. Oktober 2012, einzustellen. Am 30. August 2016 erliess sie folgende Einstellungsverfügung: 1. Das Verfahren gegen A._ wegen falscher Anschuldigung z.N. von D._, grober Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeherrschen des Fahrzeuges und Missachten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit (Anzeige Polizei Kanton Solothurn vom 5. März 2013, Rap.-Nr. 476768) und wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Verwenden eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt (Anzeige Polizei Kanton Solothurn vom 7. Juni 2013, Ref.Nr. 153280) sowie wegen Missachtung eines richterlichen Verbots (Anzeige Polizei Stadt Solothurn vom 18. Juni 2013, Rap.-Nr. 532107, wird eingestellt. 2. Die Entschädigung von A._ wird mit separater Verfügung verfügt. 3. Die Verfahrenskosten trägt der Staat Solothurn. Die Begründung der Einstellungsverfügung geht im Wesentlichen dahin, dass aufgrund des morphometrischen-rekonstruktiven Gutachtens vom 9. Februar 2015 und des Ergänzungsgutachtens vom 5. Januar 2016, darauf zu schliessen sei, dass D._ das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gelenkt habe. Das Verfahren gegen A._ sei deshalb einzustellen. Die «begangenen Delikte» vom 11. Juni 2013 betreffend Missachtung eines richterlichen Verbots bzw. vom 8. April 2013 betreffend einfacher Verletzung der Verkehrsregeln durch Verwenden eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung während der Fahrt, seien Übertretungen, hinsichtlich welcher das Verfahren zufolge eingetretener Verjährung einzustellen sei. Bei dieser Sachlage seien die Kosten praxisgemäss vom Staat Solothurn zu tragen. 2. Hinsichtlich der anwaltlichen Tätigkeiten während der Untersuchung ist Folgendes festzuhalten: - mit Eingabe vom 12. Oktober 2012 teilte Rechtsanwalt C._ mit, dass A._ ihn mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt habe und beantragte die Zustellung der Akten; - mit Eingabe vom 16. Oktober 2012 machte Rechtsanwalt C._ Ausführungen zur Beschlagnahme des Telefons; - mit Eingabe vom 28. November 2012 ersuchte er erneut um Zustellung der Akten, da seine erste Eingabe unbeantwortet geblieben sei; gleichzeitig verwies er auf eine Eigendynamik, die der Fall in [...] angenommen habe, welche den Beschuldigten A._ sehr belaste; - am 29. November 2012 wurden die Akten Rechtsanwalt C._ zugestellt; - mit Eingabe vom 10. Dezember 2012 sandte Rechtsanwalt C._ die Akten zurück; - mit Eingabe vom 1. Februar 2013 nahm Rechtsanwalt C._ Bezug auf die erfolgte Konfrontationseinvernahme sowie auf einen Augenschein, welcher stattgefunden hatte; er ersuchte erneut um Zustellung der Akten; - in der Eingabe vom 25. März 2013 ging es um eine Besichtigung des Unfallfahrzeuges durch die Versicherung; - mit Brief der Staatsanwaltschaft vom 4. April 2013 wurde Rechtsanwalt C._ Gelegenheit gegeben, zu einem Widerrufsverfahren Stellung zu nehmen; - am 4. April 2013 wurden Rechtsanwalt C._ die Akten zugestellt; - am 10. April 2013 sandte er die Akten zurück; - mit Eingabe vom 22. April 2013 machte Rechtsanwalt C._ geltend, die ihm zur Verfügung gestellten Akten seien nicht vollständig gewesen; gleichzeitig stellte er Strafantrag gegen D._, da nur der Beschuldigte A._ angezeigt worden sei; im weiteren stellte und begründete er Beweisanträge und nahm provisorisch zur Widerrufsfrage Stellung; - am 27. Mai 2013 wurden Rechtsanwalt C._ Arztberichte und Fotoaufnahmen zugestellt; - am 17. Juni 2013 wurde ihm der Nachtragsrapport vom 28. Mai 2013 mit der Aufforderung zugestellt, allfällige Anträge auf Ergänzung der Untersuchung zu stellen; - am 19. Juni 2013 wurde Rechtsanwalt C._ die Anzeige vom 7. Juni 2013 (Verwenden eines Telefons während der Fahrt) zugestellt; - mit Eingabe vom 25. Juni 2013 beantragte Rechtsanwalt C._, er sei als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten A._ einzusetzen (mit den entsprechenden Formularen betreffend unentgeltliche Rechtspflege sowie Belegen); - mit Eingabe vom 4. Juli 2014 nahm Rechtsanwalt C._ erneut Bezug auf die Fotoaufnahmen, die sich nicht bei den Akten befunden hatten; - mit Kurzbrief vom 18. Juli 2017 wurden ihm entsprechende Unterlagen zugesandt; - mit Eingabe vom 22. August 2013 nahm Rechtsanwalt C._ Bezug auf das Unfallauto bzw. auf Versicherungsleistungen; - mit Eingabe vom 12. September 2013 erinnerte Rechtsanwalt C._ an das Gesuch um Gewährung der amtlichen Verteidigung; - mit Eingabe vom 8. November 2013 bezog sich Rechtsanwalt C._ auf Erhebungen in Bezug auf das Unfallfahrzeug; - mit Eingabe vom 1. Juli 2014 teilte Rechtsanwalt B._ mit, dass er künftig die Interessen des Beschuldigten A._ vertreten werde, da Rechtsanwalt C._ das Mandat infolge einer beruflichen Neuorientierung beendet habe, und ersuchte um Zustellung der Akten; - am 15. Juli 2014 wurden Rechtsanwalt B._ die Akten zugestellt; - mit Eingabe vom 31. Juli 2014 nahm er Stellung zur Begutachtung; - mit Eingabe vom 24. Oktober 2014 teilte er mit, dass keine Einwände gegen die vorgesehenen sachverständigen Personen bestünden; - mit Eingabe vom 4. März 2015 ersuchte er um Erstreckung der Frist zur Stellungnahme zum Gutachten; - mit Eingabe vom 18. März 2015 nahm er zum Gutachten Stellung und beanstandete die Vorverurteilung, welcher der Beschuldigte A._ ausgesetzt gewesen sei, und er beantragte die Einstellung des Verfahrens; - ebenfalls mit Eingabe vom 18. März 2015 teilte Rechtsanwalt B._ mit, dass er auch die Interessen der E._, der Halterin des Unfallfahrzeuges, vertrete, und er erstattete für den Beschuldigten A._ und die E._ Strafanzeige (bzw. stellte Strafantrag) gegen D._; - mit Eingabe vom 17. August 2015 rügte Rechtsanwalt B._ die Verletzung des Beschleunigungsgebot und beantragte erneut die Einstellung des Verfahrens, sowie die Aufhebung der Beschlagnahme des Unfallfahrzeuges; - mit Eingabe vom 4. Februar 2016 nahm Rechtsanwalt B._ Stellung zu Behauptungen der Gegenpartei und beantragte erneut die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschuldigten A._ sowie die Aufhebung der Beschlagnahme, gleichzeitig die Fortführung des Verfahrens gegen den Beschuldigten D._; - mit Eingabe vom 10. März 2016 beanstandete Rechtsanwalt B._ wiederum eine Verzögerung des Verfahrens im Zusammenhang mit Fristerstreckungen für den Gegenanwalt; - die Honorarnote von Rechtsanwalt B._ datiert vom 28. Juli 2016, wobei er offenbar die Honorarnoten resp. Zwischenabrechnungen von Rechtsanwalt C._ vom 30. Juni 2013 und 7. April 2014 beigelegt hatte; - mit Eingabe, ebenfalls vom 28. Juli 2016 teilte Rechtsanwalt B._ mit Bezug auf eine Mitteilung gemäss Art. 318 StPO mit, dass keine weiteren Beweisanträge gestellt würden; weiter nahm er Stellung zu den Verteidigungskosten; - mit Eingabe vom 24. August 2016 nahm Rechtsanwalt B._ Bezug auf die Aufhebung der Beschlagnahme; - mit Eingabe vom 19. Oktober 2016 teilte Rechtsanwalt B._ mit, dass sich A._ und die E._ im Verfahren gegen D._ als Privatkläger konstituierten; - mit einer weiteren Eingabe vom 19. Oktober 2016 machte Rechtsanwalt B._ Ausführungen zu Entschädigungsfragen und reichte die detaillierte Honorarnote ein (dies nach der Aufforderung der Staatsanwaltschaft vom 23. September 2016); - mit Eingabe vom 29. März 2017 rügte Rechtsanwalt B._, dass über die Entschädigungen noch nicht entschieden und das Verfahren gegen den Beschuldigten D._ noch nicht weitergeführt worden sei. 3. Am 18. April 2017 erliess der nunmehr zuständige Staatsanwalt folgende Verfügung: 1. A._, vertreten durch Rechtsanwalt B._, wird eine Parteientschädigung von CHF 6‘323.10 (inkl. Auslagen und MwSt.). zugesprochen, zahlbar nach Rechtskraft dieser Verfügung durch die Zentrale Gerichtskasse Solothurn. 2. Der Antrag von A._ gemäss lit. b der Eingabe von Rechtsanwalt B._ vom 28. Juli 2016 auf Entschädigung für wirtschaftliche Einbussen nach Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO wird abgewiesen. 3. Der Antrag von A._ gemäss lit. c der Eingabe von Rechtsanwalt B._ vom 28. Juli 2016 auf Genugtuung nach Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO wird abgewiesen. Die Verfügung wurde Rechtsanwalt B._ am 2. Mai 2017 zugestellt. Mit Eingabe vom 8. Mai 2017 erhob er Beschwerde mit folgenden Rechtsbegehren: 1. Ziffer 1 der Verfügung vom 18. April 2017 sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer sei im Verfahren STA.2012.3774/STL vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eine Entschädigung für seine Verteidigungskosten von CHF 16‘770.80 auszurichten. 2. Ziffer 2 der Verfügung vom 18. April 2017 sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer sei im Verfahren STA.2012.3774/STL vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eine Entschädigung für seine wirtschaftlichen Einbussen von CHF 1‘079.20 auszurichten. 3. Ziffer 3 der Verfügung vom 18. April 2017 sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer sei im Verfahren STA.2012.3774/STL vor der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eine Genugtuung von CHF 13‘880.00 auszurichten. 4. Die Verfahrenskosten der oberen Instanz seien dem Kanton aufzuerlegen. 5. Dem Beschwerdeführer sei eine Entschädigung für seine Verteidigungskosten vor oberer Instanz gemäss einzureichender Honorarnote auszurichten. Mit seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2017 beantragte der Staatsanwalt: Die Beschwerde von A._ sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Rechtsanwalt B._ replizierte mit Eingabe vom 31. Mai 2017. II. 1. Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2017, mit welcher die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Entschädigungen nicht bzw. nur teilweise gewährt wurden, ist zulässig (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Der Beschwerdeführer hat im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung. Auf die rechtzeitig und formrichtig (Art. 396 Abs. 1 StPO) eingereichte Beschwerde ist einzutreten. 2. Gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO hat die beschuldigte Person, wenn sie ganz oder teilweise freigesprochen oder das Verfahren gegen sie eingestellt wird, Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (lit. a); Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind (lit. b); Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (lit. c). Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen (Art. 429 Abs. 2 StPO). Gemäss § 158 Abs. 1 des Gebührentarifs des Kantons Solothurn (GT, BGS 615.11) setzt der Richter die Entschädigung der privat bestellten Verteidiger und der Rechtsbeistände von Privatklägern oder Dritten sowie der amtlichen Verteidiger und unentgeltlichen Rechtsbeistände nach dem Aufwand fest, welcher für eine sorgfältige und pflichtgemässe Vertretung erforderlich ist. Er gibt den Parteien vor dem Entscheid Gelegenheit zur Einreichung einer Honorarnote. Wird keine detaillierte Honorarnote eingereicht, schätzt er den Aufwand nach pflichtgemässem Ermessen. 3. Entschädigung für die Aufwendungen von Rechtsanwalt C._ 3.1 In der Beschwerde wird gerügt, die Staatsanwaltschaft habe es unterlassen sich zu dem mit der Eingabe vom 28. Juli 2016 geltend gemachten Honorar von Rechtsanwalt C._ von CHF 5‘906.00 zu äussern. Die Staatsanwaltschaft führt dazu aus, Rechtsanwalt B._ habe mit der Eingabe vom 28. Juli 2016 eine nicht genügend substantiierte Honorarnote betreffend Entschädigung für die Verteidigerkosten in der Höhe von CHF 16‘770.80 eingereicht. Er sei hierauf mit Verfügung vom 23. September 2016 aufgefordert worden, die aufgeführten Tätigkeiten detailliert auszuweisen. Mit Eingabe vom 19. Oktober 2016 habe Rechtsanwalt B._ eine detaillierte Honorarnote in der Höhe von CHF 10‘864.80 eingereicht. Er habe es jedoch unterlassen, sich zu den einzelnen Tätigkeiten von Rechtsanwalt C._ zu äussern. Mithin habe sich die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung zu den geltend gemachten CHF 10‘864.80 geäussert. Rechtsanwalt B._ führt dazu aus, weder er noch der Beschwerdeführer hätten Zugriff auf die den Honorarrechnungen von Rechtsanwalt C._ zugrunde liegenden Aufzeichnungen. Es sei deshalb nicht möglich gewesen, sich zu dessen Tätigkeiten zu äussern. Die Honorarrechnungen von Rechtsanwalt C._ und dessen geltend gemachter Aufwand seien jedoch aufgrund der in den Akten vorhandenen Unterlagen angemessen. Es sei keinesfalls rechtmässig, die Honorarrechnungen von Rechtsanwalt C._ komplett zu übergehen und sich im Entscheid vom 18. April 2017 dazu gar nicht zu äussern. 3.2 Die Auffassung des Beschwerdeführers ist zu teilen, zumal sich die Verfügung vom 23. September 2016 auch nicht durch diesbezügliche Klarheit auszeichnet. Diese hat folgenden Inhalt: «Rechtsanwalt B._ hat bis spätestens Freitag, den 7. Oktober 2016 eine Honorarnote einzureichen, aus welcher ersichtlich ist, für welchen Zeitaufwand Rechtsanwalt B._ die entsprechenden Tätigkeiten ausgeführt hat. Zudem sind in der einzureichenden Honorarnote die Gebühren detailliert nach den entsprechenden Auslagen aufzulisten.» Es wurde mit keinem Wort darauf Bezug genommen, dass auch die eingereichte(n) Honorarnote(n) von Rechtsanwalt C._ in Zweifel gezogen würden. Jene vom 30. Juni 2013 betraf den Betrag von CHF 5‘111.10 und jene vom 7. April 2014 den Betrag von CHF 794.90, insgesamt also die Honorarforderung über CHF 5‘906.00. Gemäss § 158 Abs. 1 GT kann es auch nicht angehen, einen Entschädigungsanspruch komplett zu verweigern, wenn dieser nicht mit den gewünschten Details dokumentiert wurde. Diesfalls wäre eine Entschädigung nach pflichtgemässem Ermessen zu schätzen. Diese Regelung bezieht sich zwar nicht direkt auf die Entschädigung gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO, es geht in § 158 Abs. 1 GT aber unter anderem auch um die Entschädigung der privat bestellten Verteidiger und damit faktisch um die Entschädigung gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO. Die Beschwerde ist damit mit Bezug auf das Honorar von Rechtsanwalt C._ in dem Sinne gutzuheissen, dass die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen ist, die Entschädigung unter Berücksichtigung der Aufwendungen von Rechtsanwalt C._ festzusetzen. 4. Entschädigung für die Aufwendungen von Rechtsanwalt B._ Aus Gründen der Prozessökonomie ist trotz der Rückweisung mit Bezug auf die Aufwendungen von Rechtsanwalt C._ zu den übrigen, in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. 4.1 Aktenstudium 7.15 Stunden In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, die Akten hätten zu diesem Zeitpunkt (1. – 23.7.2014) nicht das Ausmass gehabt, welches ein derart langes Studium notwendig gemacht habe. Der Aufwand von 7.15 Stunden sei unangemessen und nicht verhältnismässig, zumal keine Verfahrenshandlung erfolgt sei. 3.5 Stunden würden für das Aktenstudium inkl. Kopieren, Brennen einer CD-ROM und dem Schreiben an den Klienten als angemessen erscheinen, insbesondere unter Berücksichtigung, dass für die Vorbereitung eines Plädoyers in einem aktenumfangmässig vergleichbaren Verfahren nicht mehr Zeit verrechnet werde. In der Beschwerde wird geltend gemacht, Rechtsanwalt B._ habe sich in die amtlichen Akten einlesen, insbesondere die Verfahrenshandlungen und Aussageprotokolle auf Widersprüche, Unterlassungen etc. überprüfen und die anlässlich des Klientengesprächs erhobenen Erkenntnisse mit den amtlichen Akten in Einklang bringen müssen. Die Staatsanwaltschaft sei offenbar irrtümlich im Glauben, das Aktenstudium des Anwalts bestehe lediglich aus dem Studium der amtlichen Akten. Es hätten auch die dem Anwalt überlassenen umfangreichen privaten Akten studiert werden müssen. Es hätten beim Beschwerdeführer weitere Akten schriftlich angefordert und diesem schriftlich Erläuterungen zu den Akten gemacht werden müssen. Die geltend gemachten 7 Stunden und 15 Minuten seien nachvollziehbar und angemessen. 4.2 Es ist darauf zu verweisen, dass Rechtsanwalt B._ mit Eingabe vom 1. Juli 2014 mitteilte, dass er mandatiert worden sei und um Zustellung der Akten ersuchte, am 15. Juli 2014 wurden ihm die Akten zugestellt und mit Eingabe vom 31. Juli 2014 nahm er Stellung zur Begutachtung, welche am 22. September 2014 in Auftrag gegeben wurde. Es ist zwar nicht ersichtlich, dass ein Aktenstudium von 7 Stunden und 15 Minuten zu jenem Zeitpunkt unmittelbar erforderlich war. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass Rechtsanwalt B._ das Mandat neu übernommen hatte und sich mit den ganzen Verfahrensvorgängen vertraut machen musste. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass das massgebliche Ereignis in den Akten in einem Ausmass dokumentiert war, welches nicht noch ausgiebiges Sichten von privaten Akten erforderlich machte. Hinsichtlich des Kopierens und des Brennens einer CD-ROM ist festzustellen, dass dies Kanzleiaufwand darstellt, welcher praxisgemäss nicht separat zu entschädigen, sondern im Honoraransatz inbegriffen ist. Andererseits ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, dass das Verfahren bereits zu jenem Zeitpunkt komplex war (wenn auch die Gutachten noch nicht vorlagen) und gründlich gesichtet werden mussten, zumal auch der Vorwurf der falschen Anschuldigung im Raume stand. Insgesamt rechtfertigt es sich, den zu entschädigenden Aufwand um zwei Stunden auf 5.5 Stunden zu erhöhen. 4.3 Aufwendungen nicht in kausalem Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stehend Im angefochtenen Entscheid wurde folgende Aufwendungen als nicht entschädigungsberechtigt aufgeführt: 12.09.2014 E-Mail an Klient, SMS an Herrn [...] 10 Min. 16.10.2014 Telefongespräch mit Frau [...] ([...] Bank) und Herrn [...] 20 Min. 02.06.2015 Studium Korrespondenz [...] Bank; Schreiben an [...] Bank, an [...] Versicherung, Klient 20 Min. 10.09.2015 Schreiben an [...] Versicherung und Klient 15 Min. 16.09.2015 Studium Korrespondenz [...] Versicherungen, Schreiben an Klient 5 Min. 29.10.2015 Telefongespräch mit Herrn [...] ([...] Bank) 5 Min. 11.01.2016 Studium Schreiben [...] Bank Schreiben an Klient 10 Min. 05.02.2016 Telefongespräch mit Herrn [...] ([...] Bank) 10 Min. 09.03.2016 Studium Schreiben [...] Bank, Schreiben Klient 10 Min. 03.06.2016 Studium Korrespondenz [...] Bank, Schreiben an Klient 20 Min. 09.06.2016 Schreiben an [...] Bank und Klient 20 Min. 14.06.2016 Studium Korrespondenz [...] Bank, Schreiben an Klient 15 Min. 25.07.2016 Telefongespräche mit Herrn [...] ([...] Versicherung) 15 Min. 25.07.2016 Schreiben an [...] Versicherungen, [...] y Bank und Klient 15 Min. 22.08.2016 Telefonanruf von Herrn [...] ([...] Ver- sicherung) 5 Min. 14.09.2016 Schreiben an [...] Versicherung und Klient 15 Min. 22.09.2016 Telefongespräch mit Herrn [...] ([...] Ver- sicherung) 5 Min. 22.09.2016 Studium Korrespondenz [...] Versicherung, Schreiben an Klient 5 Min. 3 Stunden 40 Minuten Im angefochtenen Entscheid wurde dazu ausgeführt, es seien all jene Aufwendungen entschädigungspflichtig, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stünden, notwendig und verhältnismässig seien. Die angeführten Positionen seien nicht zu entschädigen, weil sie nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stünden, mithin nicht notwendig gewesen seien bzw. nicht zum Erfolg im Strafverfahren beigetragen hätten. In der Beschwerde wird geltend gemacht, durch die lange Verfahrensdauer und die Verletzung des Beschleunigungsgebotes hätten sich Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Haftpflicht-/Kaskoversicherung sowie dem Leasingvertrag bzw. der Leasinggesellschaft ergeben. Das Fahrzeug BMW sei durch die E._ geleast worden. Es handle sich dabei um eine Aktiengesellschaft der Familie des Beschwerdeführers. Dieses Vorgehen sei aus steuerlichen und versicherungstechnischen Gründen gewählt worden. Tatsächlich habe sich der PW immer im Besitz des Beschwerdeführers befunden. Es sei aktenkundig, dass die [...] Versicherung bei der Staatsanwaltschaft vergeblich für ihre Unfallexperten Zugang zum beschlagnahmten Fahrzeug verlangt habe. Solange die Beschlagnahme des Fahrzeuges nicht aufgehoben gewesen sei, habe die Versicherung weder diese Abklärungen vornehmen noch das Wrack verwerten können. Solange zudem das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht rechtskräftig eingestellt gewesen sei, habe die Versicherung keine Leistungen erbracht, da auch die Versicherung aufgrund der Vorverurteilung des Beschwerdeführers von einer erheblichen Leistungskürzung oder Leistungsverweigerung ausgegangen sei. Solange die Situation mit der Versicherung nicht habe geklärt werden können, habe der Fall auch mit der Leasinggesellschaft nicht erledigt werden können, der Leasingvertrag habe nach dem Totalschaden nicht gemäss den Allgemeinen Leasingbedingungen abgerechnet werden können. Es sei nachvollziehbar, dass der Versicherung sowie der Leasinggesellschaft zahlreiche Fragen zum Verfahren hätten beantwortet werden müssen und dass hinsichtlich der Verjährung Unterbrechungshandlungen hätten erfolgen müssen. Die Versicherung wie auch die Leasinggesellschaft seien zudem mit zahlreichen Unterlagen und Erläuterungen bedient worden. Die Angelegenheiten mit der Versicherung und der Leasinggesellschaft hätten erst im März 2017 erledigt werden können. Der geltend gemachte Aufwand von 3 Stunden und 40 Minuten stehe offensichtlich in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers im Strafverfahren und sei diesem zu entschädigen. 4.4 Der Argumentation in der Beschwerde kann nicht gefolgt werden. Es wurden offensichtlich Aufwendungen geltend gemacht, welche im Interesse der Leasingnehmerin und nicht des Beschwerdeführers erbracht wurden. Auch wenn dieser in der Beschwerde als Besitzer des Personenwagens bezeichnet wurde, lag die Regelung der Angelegenheiten mit der Versicherung und der Leasinggesellschaft im Interesse der Leasingnehmerin und damit der E._. Das ergibt sich denn auch aus der Eingabe von Rechtsanwalt B._ vom 19. Oktober 2016, gemäss welcher sich im Verfahren gegen D._ auch die E._ als Privatklägerin konstituierte. Die Staatsanwaltschaft ist unter diesen Umständen zu Recht davon ausgegangen, dass die Aufwendungen nicht im (Verteidigungs)Interesse des Beschwerdeführers erbracht wurden und diese deshalb nicht zu entschädigen sind. 4.5 Aufwendungen im Zusammenhang mit den Gutachten vom 20. Januar / 9. Februar 2015 Der Verteidiger stellt unter dem Datum des 18. März 2015 für das Studium der Korrespondenz der Staatsanwaltschaft und diverser Gutachten, sowie für ein Schreiben an den Klienten drei Stunden, und am 26. Januar 2016 für das Studium der Verfügung der Staatsanwaltschaft und des Ergänzungsgutachtens, sowie für ein Schreiben an den Klienten eine Stunde, insgesamt vier Stunden in Rechnung. Gemäss den Ausführungen in der angefochtenen Verfügung erscheine dieser Aufwand in Relation zum Umfang des Gutachtens als nicht angemessen und nicht verhältnismässig, zumal im morphometrisch-rekonstruktiven Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin [...] vom 9. Februar 2015 am Schluss auf Seite 12 eine Zusammenfassung aufgeführt sei. Damit habe ein Blick auf diese Zusammenfassung genügt, um die Frage zu beantworten, wer das Fahrzeug tatsächlich gelenkt hatte. Für den Aufwand des Studiums von 8 A4-Seiten des morphometrisch-rekonstruktiven Ergänzungsgutachtens des Instituts für Rechtsmedizin [...] vom 5. Januar 2016, einem kurzen Studium der Korrespondenz mit der Staatsanwaltschaft und einem Schreiben an den Klienten, sei eine Stunde in Rechnung gestellt worden. Ein Aufwand von zwei Stunden für das 14 A4-Seiten umfassende morphometrisch-rekonstruktive Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin [...] vom 9. Februar 2015 und einem Schreiben an den Klienten erscheine deshalb als angemessen und verhältnismässig. Die eingereichte Honorarrechnung vom 19. Oktober 2016 sei folglich um eine weitere Stunde zu kürzen. In der Beschwerde wird entgegnet, die Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach das Gutachten vom 9. Februar 2015 nicht hätte studiert werden sollen, ein Blick auf die Zusammenfassung am Schluss des Gutachtens hätte genügt, sei von vornherein unbedarft und unqualifiziert. Ein solches Vorgehen bzw. ein derartiger Ratschlag der Staatsanwaltschaft widerspreche einer sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung eines seriösen Rechtsanwalts. Nach der erfolgten Vorverurteilung des Beschwerdeführers durch die Strafverfolgungsbehörden und der ursprünglichen Ablehnung eines Gutachtens durch die Staatsanwaltschaft sei ohnehin höchste Vorsicht angebracht gewesen. Die Gutachten seien in ihrer Gesamtheit darauf zu prüfen gewesen, ob die Schlussfolgerungen der Experten auch schlüssig und nachvollziehbar seien. Es könne auch auf die ausführlichen, aktenkundigen Eingaben von Rechtsanwalt [...], dem Verteidiger von D._, zu den Gutachten verwiesen werden, welche auf angeblich falsche Schlussfolgerungen der Experten hingewiesen hätten und wohl ebenso auf einem ausführlichen Aktenstudium und kaum nur auf dem Studium der Zusammenfassung beruht hätten. Der geltend gemachte Aufwand von vier Stunden sei zu entschädigen. 4.6 Dem Beschwerdeführer ist zuzubilligen, dass sein Verteidiger für die Aufwendungen in der Folge der Zustellung des Ergänzungsgutachtens vom 5. Januar 2016 eine Stunde in Rechnung stellte, zumal das Gutachten keineswegs zu eindeutigen Schlussfolgerungen gelangte wie ein Blick auf dessen letzte Seite zeigt. Dieser Aufwand wurde in der angefochtenen Verfügung denn auch nur im Zusammenhang im jenem vom 18. März 2015 infrage gestellt. Bezüglich des Aufwands vom 18. März 2015 kann tatsächlich nicht nachvollzogen werden, dass die Arbeiten im Zusammenhang mit der Zustellung des Gutachtens vom 20. Januar/9. Februar 2015 (erfolgt mit Verfügung vom 11. Februar 2015, beinhaltend die Fristsetzung zur Stellungnahme bis 4. März 2015) drei Stunden beanspruchten, zumal die Eingabe vom 18. März 2015 weit über eine Stellungnahme zum Gutachten hinausgeht, den Charakter eines zu diesem Zeitpunkt unnötigen Plädoyers hat und letztlich die Interessen des Beschwerdeführers und der E._ im Verfahren gegen D._ verfolgt hat und diese Aufwendungen allenfalls in diesem Verfahren geltend gemacht werden können. Die Gutachten vom 20. Januar 2015 (drei Seiten Forensisch-molekularbiologisches Gutachten, drei Seiten Forensisch-molekularbiologischer Analysenbericht, 14 Seiten morphometrisches-rekonstruktives Gutachten, zuzüglich drei Seiten Anhang und Bildmappe) sind nicht derartig umfangreich und komplex, dass sie einen Aufwand von mehr als einer Stunde zu rechtfertigen vermögen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt bei der Beantwortung der Frage, welcher Aufwand für eine angemessene Verteidigung im Strafverfahren nötig ist, als Massstab der erfahrene Anwalt, der im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts über fundierte Kenntnisse verfügt und deshalb seine Leistungen von Anfang an zielgerichtet und effizient erbringen kann (Urteil 6B_264/2016, E. 2.4.1 mit Hinweisen). In diesem Lichte betrachtet erscheint es als zulässig und vertretbar, dass der zu entschädigende Aufwand um eine Stunde gekürzt wurde. 4.7 Nachbesprechung / Nachbearbeitung Für die Nachbearbeitung stellte Rechtsanwalt B._ drei Stunden in Rechnung. Die Staatsanwaltschaft führte im angefochtenen Entscheid dazu aus, es erschliesse sich weder aus der Honorarrechnung vom 19. Oktober 2016 noch aus den Akten, weshalb eine Nachbesprechung/Nachbearbeitung notwendig sei, weshalb die Honorarrechnung um die geltend gemachten drei Stunden zu kürzen sei. In der Beschwerde wird dazu geltend gemacht, die sorgfältige und gewissenhafte Berufsausübung beinhalte im konkreten Fall selbstverständlich auch eine Nachbesprechung mit dem Beschwerdeführer. So sei diesem, einem juristischen Laien, zum Beispiel die Bedeutung der Verfahrenseinstellung im Vergleich zu einem Freispruch zu erklären, dass das Verfahren nun gegen D._ geführt werden sollte und wie nun die Angelegenheit mit der Versicherung und der Leasinggesellschaft erledigt werde. 4.8 Es entspricht der Praxis, dass für die Nachbearbeitung abgeschlossener Fälle ein gewisser Aufwand entschädigt wird. Üblicherweise wird hier – auch in Fällen von Verurteilungen – eine halbe Stunde zugebilligt, in besonderen Fällen gelegentlich eine Stunde. Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer war mit Komplikationen behaftet, welche es angezeigt erscheinen lassen, eine Stunde zu entschädigen. Im Übrigen ist aber zu wiederholen, dass insbesondere die Fragen, welche mit der Versicherung und der Leasinggesellschaft zu klären waren, nicht die Verteidigung des Beschwerdeführers betreffen, sondern in erster Linie die Interessen der E._ als Leasingnehmerin. Es ist damit im Zusammenhang mit der Nachbearbeitung eine Stunde zusätzlich zu entschädigen. 4.9 Stundenansatz Gemäss § 158 Abs. 2 GT beträgt der Stundenansatz für die Bestimmung der Kosten der privat bestellten Verteidiger und der Rechtsbeistände von Privatklägerin oder Dritten 230 – 330 Franken zuzüglich Mehrwertsteuer, soweit sie Anwälte sind. § 3 ist analog anwendbar: Innerhalb eines Gebührenrahmens sind die Gebühren nach dem Zeit- und Arbeitsaufwand, nach der Bedeutung des Geschäftes, nach dem Interesse an der Verrichtung sowie nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Gebührenpflichtigen zu bemessen. Rechtsanwalt B._ machte einen Stundenansatz von CHF 270.00 geltend. In der angefochtenen Verfügung wurde dazu ausgeführt, das Verfahren haben keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen und keine Spezialkenntnisse verlangt, weshalb vom Stundenansatz von CHF 230.00 auszugehen sei. 4.10 Es entspricht der Praxis, in durchschnittlichen Fällen – abweichend vom minimalen Satz – einen Stundenansatz von CHF 250.00 zuzubilligen. Der Fall des Beschwerdeführers rechtfertigt einerseits in diesem Sinne ein Abweichen vom Minimalansatz, andererseits hat er auch nicht besondere Schwierigkeiten geboten oder Ansprüche gestellt, welche einen noch höheren Ansatz zu begründen vermöchten. Die Entschädigung des Aufwandes für angemessene Ausübung der Verfahrensrechte ist deshalb mit dem Stundenansatz von CHF 250.00 zu rechnen. 4.11 Entschädigung für wirtschaftliche Einbussen In der Eingabe vom 28. Juli 2016 wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe mehrfach an Einvernahmen teilnehmen sowie Anwaltstermine wahrnehmen müssen. In einer ersten Phase habe er keine Lohneinbussen verzeichnen müssen, da er Taggelder der Unfallversicherung bezogen habe. Dagegen habe er unbezahlte Ferientage beziehen müssen, um an den Untersuchungshandlungen vom 17. Dezember 2012 und vom 24. Januar 2013 sowie an den Sitzungen beim Anwalt teilnehmen zu können. Insgesamt habe er 4 Tage zu 8 1⁄2 Stunden unbezahlten Urlaub beziehen müssen. Auf Basis einen Stundenlohns von CHF 28.80 (brutto) ergebe sich eine Erwerbseinbusse von CHF 979.20. Hinzu kämen Reisespesen von CHF 100.00, womit der Anspruch des Beschwerdeführers CHF 1‘079.20 betrage. In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, praxisgemäss würden private Aufwendungen und Zeitausfälle, zum Beispiel für Aktenstudium, nicht entschädigt. Die erforderliche Teilnahme an Verhandlungen werde im Regelfall nur bei belegtem Lohnausfall entschädigt. Vorliegend sei der Lohnausfall nicht belegt, weshalb für die erforderlichen Teilnahmen an Einvernahmen und Anwaltsterminen keine Entschädigung ausgerichtet und der Antrag auf Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen abgelehnt werde. In der Beschwerde wird dargelegt, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers seien abgeklärt worden und würden sich aus dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege bzw. um Beiordnung eines amtlichen Verteidigers ergeben. Die Staatsanwaltschaft hält daran fest, dass der behauptete Lohnausfall nicht dokumentiert sei. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer 4 Tage zu 8 1/2 Stunden unbezahlten Urlaub habe beziehen müssen. 4.12 In der Eingabe von Rechtsanwalt B._ vom 28. Juli 2016 war dargelegt worden, der Beschwerdeführer habe unbezahlte Ferientage beziehen müssen, um an den Untersuchungshandlungen vom 17. Dezember 2012 und vom 24. Januar 2013 sowie an den Sitzungen beim Anwalt teilnehmen zu können. Am 17. Dezember 2012 wurde der Beschwerdeführer polizeilich befragt. Die Befragung fand ca. um 11.15 Uhr statt und endete um 13.15 Uhr. Am 24. Januar 2013 fand die Konfrontationseinvernahme statt, welche um 13.37 Uhr begann und um 14.10 Uhr endete (bzw. nach dem Durchlesen evtl. etwas später). Es ist nicht ersichtlich, dass diese Termine namhafte Arbeitszeitausfälle und damit Lohneinbussen zur Folge hätten. Hinsichtlich der Anwaltstermine ist festzustellen, dass diese in keiner Weise substantiiert und im Sinne von Art. 429 Abs. 2 StPO beziffert und belegt wurden, dies letztlich auch im Beschwerdeverfahren nicht. Es ist deshalb der Begründung in der angefochtenen Verfügung beizupflichten und festzustellen, dass die geltend gemachten Ausfälle nicht belegt sind. Die Beschwerde ist diesbezüglich abzuweisen. 4.13 Genugtuung In der Eingabe vom 28. Juli 2016 wurde mit Bezug auf Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO ausgeführt, der Beschwerdeführer sei durch das Verfahren in seiner Persönlichkeit sehr stark betroffen und psychisch angeschlagen (gewesen). Er habe etliche depressive Phasen durchlebt, welche er nur durch den Beistand seiner Familie einigermassen überstanden habe. Dies beruhe einerseits auf den gegen ihn zu Unrecht erhobenen Anschuldigungen, insbesondere durch die in rechtsstaatlich höchst bedenklicher Weise erfolgte Vorverurteilung durch die Polizei, welche sich nicht nur aus der Anzeige vom 12. März 2013 und dem Unfallaufnahmeprotokoll ergebe, sondern auch aus den Suggestivfragen, welche die Polizei D._ am 17. Dezember 2012 anlässlich von dessen Einvernahme gestellt habe. Die Staatsanwaltschaft habe sich an dieser Vorverurteilung beteiligt, indem sie mit der Verfügung vom 18. Juni 2013 den Beweisantrag auf Erstellung eines umfassenden (interdisziplinären) Unfallgutachtens mit der Begründung abgewiesen habe, Beweisanträge zu unerheblichen, offenkundigen und rechtsgenüglich erwiesenen Tatsachen könnten abgelehnt werden und ein Unfallgutachten würde keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen. Das später eingeholte Gutachten habe ergeben, dass das eine krasse Fehlbeurteilung gewesen sei. Diese Vorverurteilung habe auch die Wahrnehmung von Dritten am Wohnort, in der Umgebung, am Arbeitsplatz, im Kollegenkreis etc. geprägt, wo der Beschwerdeführer als Raser, Verkehrsrowdy und ähnlichem abgestempelt worden sei. Dies sei wohl noch durch D._ und dessen Entourage befeuert worden. Diese Kreise hätten auch vor Druckversuchen und Drohungen gegen den Beschwerdeführer und dessen Familie nicht halt gemacht. Andererseits sei durch die zu lange Verfahrensdauer das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 5 Ziff. 1 StPO erheblich verletzt worden, was für den Beschwerdeführer eine zusätzliche Belastung dargestellt und nicht eben zu seiner Erholung beigetragen habe. Es sei deshalb mehr als gerechtfertigt, ihm eine Genugtuung zuzusprechen. Seit dem Ereignis seien (bis zum 28. Juli 2016) 1‘388 Tage vergangen, die mit CHF 10.00 pro Tag abzugelten seien (im Vergleich mit CHF 100.00 für einen Tag Haft). In der angefochtenen Verfügung wird ausgeführt, es seien keine rechtswidrigen Zwangsmassnahmen angeordnet worden, auch keine Haft. Die rechtmässig angeordneten Zwangsmassnahmen hätten sich auf solche beschränkt, welche routinemässig nach Verkehrsunfällen angeordnet würden, wie zum Beispiel Blut- und Urinentnahmen etc. Diese Zwangsmassnahmen seien im vorliegenden Verfahren notwendig gewesen und hätten auch der Entlastung des Beschwerdeführers gedient. Es liege keine besonders schwere Persönlichkeitsverletzung vor. Eine allfällig D._ treffende Entschädigungspflicht sei im Verfahren gegen diesen zu beurteilen. Eine Genugtuung rechtfertige sich aber nicht alleine aufgrund der mit jedem Strafverfahren verbundenen psychischen Belastung und Blossstellung. Es bestehe kein Anspruch. In der Beschwerde wird die Argumentation gemäss der Eingabe vom 28. Juli 2016 wiederholt und ergänzt, die Verbreitung sei durch die sozialen Medien rasend schnell erfolgt und habe sich in den Köpfen eingeprägt («das Internet vergisst nicht»). Die Staatsanwaltschaft weist erneut auf allfällige Entschädigungsansprüche gegenüber D._ hin. 4.14 Gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO bestehen Genugtuungsansprüche für besonders schwere Verletzungen der persönlichen Verhältnisse, insbesondere Freiheitsentzug. Diese Ansprüche bestehen gegenüber dem Staat, wenn die Beeinträchtigungen auf den Staat zurückzuführen sind. Vorliegend wurde weder geltend gemacht noch ist ersichtlich, dass Informationen aus der Strafuntersuchung staatlicherseits öffentlich geworden sind. Offenbar ist es auf das Wirken von D._ und dessen Umfeld und/oder auf andere Umstände zurückzuführen, dass der Unfall und die damit verbundenen Umstände in der Öffentlichkeit präsent geblieben sind (soweit und sofern das zutrifft). Zutreffend ist, dass die Untersuchung lange gedauert hat und dass der Beschwerdeführer im Fokus der Ermittlungen bzw. im Verdacht stand, das Fahrzeug geführt zu haben. Daraus ergibt sich aber kein Genugtuungsanspruch, zumal eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht offensichtlich ist. Ein Blick in das Journal Verfahrensschritte der Staatsanwaltschaft zeigt, dass mit Ausnahme der Begutachtungsphasen keine ausserordentlichen Verfahrensunterbrüche zu verzeichnen waren, jedenfalls nicht bis zu der am 21. Juli 2016 erfolgten Einstellung des Verfahrens. Eine besonders schwere Verletzung der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, welche vom Staat zu verantworten wäre, ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich. Der Genugtuungsanspruch wurde in der angefochtenen Verfügung zu Recht abgewiesen. 5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beschwerde insofern gutzuheissen ist, als die Staatsanwaltschaft im Sinne der Erwägungen über die Entschädigung der Aufwendungen von Rechtsanwalt C._ zu entscheiden haben wird, dass drei Stunden zusätzlich zu entschädigen sind und dass die anwaltlichen Aufwendungen zum Stundenansatz von CHF 250.00 zu entschädigen sind. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 6. Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Nachdem die Beschwerde nicht abschliessend beurteilt werden kann, rechtfertigt es sich aufgrund des einstweiligen Ausgangs die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte dem Staat und dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Die Kosten sind in Anwendung von Art. 424 Abs. 2 StPO und § 146 lit. c GT pauschal auf CHF 800.00 festzusetzen, womit der Beschwerdeführer CHF 400.00 zu bezahlen hat. Der Beschwerdeführer ist in Anwendung von Art. 436 Abs. 1 StPO entsprechend zu entschädigen, dies ebenfalls zum Stundenansatz von CHF 250.00. Der geltend gemachte Zeitaufwand von 5.45 Stunden ist nicht zu bestanden. Die volle Entschädigung würde damit CHF 1‘601.10 ausmachen, womit CHF 800.55 auszurichten sind. Die Verfahrenskosten von CHF 400.00 sind mit der Entschädigung von CHF 800.55 zu verrechnen (Art. 442 Abs. 4 StPO). Demnach wird erkannt : 1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird Ziffer 1 der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2017 aufgehoben und die Sache zur Neufestsetzung der Entschädigung für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte im Sinne der Erwägungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. 2. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 800.00 hat der Beschwerdeführer zur Hälfte (= CHF 400.00) zu bezahlen. 4. Der Staat Solothurn hat dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren eine Entschädigung von CHF 800.55 auszurichten. 5. Die vom Beschwerdeführer zu bezahlenden Verfahrenskosten von CHF 400.00 (gemäss Ziffer 3 hiervor) sind mit der ihm auszurichtenden Entschädigung zu verrechnen, womit von der Zentralen Gerichtskasse noch CHF 400.55 auszubezahlen sind. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber Jeger von Arx
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 3. November 2020 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Hunkeler Gerichtsschreiberin Trutmann In Sachen A._ , Berufungskläger gegen B._ , gesetzlich vertreten durch C._ , hier vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Wächter, Berufungsbeklagte betreffend Vaterschaft / Unterhalt zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. A._ und C._ (Kindseltern) wurden am [...] 2017 geschieden. Am [...] 2019 kam die Tochter B._ (Klägerin und Berufungsbeklagte) zur Welt. Weil beim Vater (Beklagter und Berufungskläger) Zweifel über die Vaterschaft bestanden, einigten sich die Kindseltern vorprozessual auf die Einholung eines DNA-Gutachtens. Demgemäss ist der Berufungskläger mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99 % der biologische Vater der Berufungsbeklagten. Weil man sich in der Folge weder über die Anerkennung der Vaterschaft noch auf einen Unterhaltsvertrag einigen konnte, reichte die Tochter, vertreten durch ihre Mutter, am 28. Mai 2019 beim Richteramt Olten-Gösgen Klage auf Feststellung der Vaterschaft und Unterhalt ein. 2. Am 5. Dezember 2019 fällte der a.o. Amtsgerichtstatthalter von Olten-Gösgen folgendes Urteil: 1. Es wird festgestellt, dass A._, geb. [...] 1972, der Vater der von C._ am [...] 2019 geborenen Tochter B._ ist. 2. Die elterliche Sorge über B._ wird den Eltern gemeinsam zugeteilt. 3. Die AHV-Erziehungsgutschriften sind vollumfänglich der Mutter der Klägerin, C._, anzurechnen. 4. Der Vater wird verpflichtet, für B._ folgende monatlich im Voraus zu leistende Unterhaltsbeiträge zu bezahlen: - vom [...] 2019 bis 31. Mai 2019 CHF 543.00 (Barunterhalt CHF 442.00, Betreuungsunterhalt CHF 101.00); - vom 1. Juni 2019 bis 30. November 2019 CHF 1'103.00 (Barunterhalt CHF 639.00, Betreuungsunterhalt CHF 464.00); - vom 1. Dezember 2019 bis 31. März 2020 CHF 1'303.00 (Barunterhalt CHF 676.00, Betreuungsunterhalt CHF 627.00); - vom 1. April 2020 bis 31. Juli 2023 CHF 2'016.00 (Barunterhalt CHF 676.00, Betreuungsunterhalt CHF 1'340.00); - vom 1. August 2023 bis 31. Januar 2029 CHF 1'592.00 (Barunterhalt CHF 473.00, Betreuungsunterhalt CHF 1'119.00); - vom 1. Februar 2029 bis 31. Juli 2031 CHF 1'774.00 (Barunterhalt CHF 646.00, Betreuungsunterhalt CHF 1'128.00); - vom 1. August 2031 bis 31. Januar 2035 CHF 920.00 Barunterhalt; - ab 1. Februar 2035 bis zur Volljährigkeit bzw. wirtschaftlichen Selbständigkeit CHF 896.00 Barunterhalt. Allfällig ausgerichtete Kinderzulagen sind zusätzlich geschuldet. 5. Es wird festgestellt, dass der Betreuungsunterhalt von B._ im Sinne von Art. 301a lit. c ZPO in der Zeit vom 1. Juni 2019 bis 30. November 2019 im Umfang von CHF 1'129.00 pro Monat, in der Zeit vom 1. Dezember 2019 bis 31. März 2020 im Umfang von CHF 1'173.00 pro Monat und in der Zeit vom 1. April 2020 bis 31. Juli 2023 im Umfang von CHF 461.00 pro Monat nicht gedeckt ist. 6. Die in Ziffer 4 hiervor festgelegten Unterhaltsbeiträge (UB) basieren auf einem Stand des Landesindexes der Konsumentenpreise vom November 2019 von 101.7 Punkten auf der Basis Dezember 2015 = 100 Punkte. Die Beiträge werden jeweils per 1. Januar jeden Jahres, erstmals per 1. Januar 2020, proportional dem Indexstand im vorausgegangenen November angepasst. Es ist dabei auf ganze Franken auf- oder abzurunden. Der neue Unterhaltsbeitrag berechnet sich wie folgt: Neuer UB = ursprünglicher UB x neuer Index ursprünglicher Index (101.7 Punkte) Für den Fall, dass das Einkommen des Pflichtigen sich nicht in einem der Indexierung entsprechenden Umfang erhöht hat, erfolgt die Anpassung lediglich im Verhältnis der effektiven Lohnerhöhung. Beweisbelastet für eine geringere Einkommensveränderung ist der Pflichtige. 7. Die Unterhaltsbeiträge gemäss Ziffer 4 hiervor beruhen auf den beigehefteten, vom Gerichtspräsidium Olten-Gösgen abgestempelten Berechnungsblättern. Diese bilden Bestandteil des Urteilsdispositivs. 8. Dem Beklagten wird ab Prozessbeginn die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt. Als unentgeltlicher Rechtsbeistand des Beklagten wird Rechtsanwalt Andreas Ehrsam eingesetzt. 9. Die Parteikosten werden wettgeschlagen. 10. Die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistandes des Beklagten, Rechtsanwalt Andreas Ehrsam, wird auf CHF 2'884.20 (inkl. Auslagen und MWST) festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 11. Die Gerichtskosten von CHF 1'000.00 werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt. Sie werden mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. Der Anteil des Beklagten von CHF 500.00 trägt zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege der Staat Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 3. Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte (im Folgenden auch Berufungskläger oder Vater) am 28. Mai 2020 form- und fristgerecht Berufung. Er beantragt sinngemäss, das Urteil des Vorderrichters sei aufzuheben und er sei von der Unterhaltspflicht für die Klägerin zu befreien. Ausserdem beantragt er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 4. Die Klägerin und Berufungsbeklagte (Tochter) liess sich am 12. August 2020 ebenfalls form- und fristgerecht vernehmen. Sie schliesst auf Abweisung der Berufung, unter Entschädigungsfolgen. 5. Die Streitsache ist spruchreif. In Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) kann darüber ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Erwägungen des Vorderrichters und die dortigen Parteivorbringen wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen. II. 1. Der a.o. Amtsgerichtstatthalter von Olten-Gösgen hat das Urteil damit begründet, dass der Beklagte und hiesige Berufungskläger seit der am [...] 2017 ausgesprochenen Scheidung der Kindseltern nachgewiesenermassen nicht nur Kontakt zur Kindsmutter gehabt habe, sondern diesen auch gezielt gesucht habe. Es sei erwiesen, dass die Kindsmutter auch nach der Scheidung gelegentlich in seiner Wohnung übernachtet habe. Vor diesem Hintergrund sei auf ihre glaubwürdige Zeugenaussage abzustellen, wonach die Kindseltern auch nach der Scheidung sexuell verkehrt hätten. Die Klägerin sei somit zweifellos einer nachehelichen sexuellen Beziehung ihrer Eltern entsprossen. Für die Behauptung des Beklagten, dass die Kindsmutter das angeblich von ihm für eine medizinische Abklärung zur Verfügung gestellte Sperma für eine künstliche Befruchtung missbraucht habe, gäbe es keinerlei Hinweise. Die Kindsmutter verfüge auch gar nicht über die finanziellen Mittel, um eine solche durchführen zu lassen. Bezüglich der Bemessung der Kinderunterhaltsbeiträge hielt der Vorderrichter fest, dass die Eltern für den Unterhalt des Kindes aufzukommen hätten und sich der zu entrichtende Unterhaltsbeitrag nach den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung der Eltern bemesse. Sofern ein Elternteil nichts oder nur wenig an die Pflege und Erziehung des Kindes beitrage, habe er sich entsprechend mittels Geldzahlungen finanziell stärker zu beteiligen. Der Kindsvater sei gemäss Arbeitsvertrag vom 30. Januar 2018 seit 1. Februar 2018 bei der [...] AG als [...] mit einem 100 % Pensum angestellt. Im Jahr 2018 habe er ein monatliches Nettogehalt von CHF 4'439.90 erzielt. Die Pensenreduktion auf 60 % per 1. Juni 2019 erachtete der Vorderrichter als freiwillig erfolgt. Er ging daher davon aus, dass der Beklagte bei zumutbarer Anstrengung auch fortan 100 % arbeiten könnte. Die Unterhaltsberechnung stützte er daher auf ein entsprechendes hypothetisches Einkommen ab. Zusätzlich zum Lohn erhält der Berufungskläger monatliche Pauschalspesen von CHF 450.00. Diese qualifizierte der Vorderrichter als Lohnbestandteil, da nicht ersichtlich sei, wofür dem Beklagten Auslagen in entsprechender Höhe entstünden. Für die Bemessung der Unterhaltsbeiträge ging der Vorderrichter daher von einem erzielbaren Einkommen von CHF 4’930.00 netto pro Monat aus. 2. Der Berufungskläger machte sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch hier geltend, die Kindsmutter habe sein Sperma ohne sein Wissen für eine künstliche Befruchtung missbraucht, weshalb er als unwissentlicher Samenspender nicht zu Unterhaltsbeiträgen für die Berufungsbeklagte verpflichtet werden könne. Der im Berufungsverfahren nicht mehr anwaltlich vertretene Berufungskläger macht geltend, er habe sechs Jahre mit der Kindsmutter zusammengelebt. In dieser Zeit habe diese vergeblich versucht, ein Kind von ihm zu bekommen. Im Zuge der Abklärung der Gründe der Kinderlosigkeit sei auch sein Sperma untersucht worden. Später sei seine Ehefrau (die Kindsmutter) plötzlich für zwei Monate verschwunden. Als sie wieder zurückgekommen sei, habe sie die Scheidung gewollt. Diese habe man einvernehmlich geregelt. Daraufhin hätten sie sich zwei Jahre lang nicht gesehen. Er habe erst vom Anwalt der Kindsmutter erfahren, dass er angeblich der Vater des Kindes sei. Er habe das nicht glauben können und deshalb einem Vaterschaftstest zugestimmt und diesen auch bezahlt. In Bezug auf sein Einkommen macht der Berufungskläger geltend, er sei gesundheitlich angeschlagen, weshalb er sein Arbeitspensum als [...] reduziert habe. Die Vorinstanz sei fälschlicherweise vom Lohn ausgegangen, den er verdient habe, als er 100 % gearbeitet habe. Momentan könne er aus gesundheitlichen Gründen nur 60 % arbeiten. Zu mehr sei er nicht in der Lage. Deshalb habe er den Arbeitgeber um eine entsprechende Pensenreduktion gebeten. Er habe nicht gewusst, dass er sich vom Arzt hätte entsprechend krankschreiben und ein Taggeld beziehen können. 3. Die Berufungsbeklagte macht geltend, der Berufungskläger versuche nach wie vor alle Register zu ziehen, um sich vor seiner Unterhaltspflicht zu drücken. Aus den Akten gehe hervor, dass er nach Bekanntwerden der Vaterschaft sein Arbeitspensum böswillig reduziert habe, um ihr keinen Unterhalt bezahlen zu müssen. Der Berufungskläger und die Kindsmutter seien am [...] 2017 geschieden worden. Die ehemaligen Eheleute seien in der Folge weiterhin in Kontakt gestanden, den auch der Berufungskläger aktiv gesucht habe. Das könne mit Chat-Nachrichten belegt werden. Die Kindsmutter habe in dieser Zeit wiederholt beim Berufungskläger übernachtet. Dabei sei es auch zu sexuellen Kontakten gekommen. Bei den vom Berufungskläger neu eingereichten Urkunden handle es sich um unzulässige Noven. Aus diesen ergäben sich weitere Widersprüche zu seinen Angaben im Verfahren und in seinen Posts in den sozialen Medien. Aufgrund seiner langjährigen Berufstätigkeit in der Schweiz sei auch nicht glaubhaft, dass der Berufungskläger nicht gewusst habe, dass er sich vom Arzt hätte krankschreiben lassen können und folglich bei ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankentaggelder gehabt hätte. Er habe offensichtlich einzig das Ziel, sein Einkommen böswillig zu ihren Lasten zu reduzieren. Es sei offensichtlich, dass der Berufungskläger auf skrupelloseste Art und Weise mit allen Mitteln versuche, sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen. Unter dem Strich sei klar, dass er mutwillig sein Arbeitspensum reduziert habe, um sich vor seiner Unterhaltpflicht zu drücken. 4.1 Die Berufungsbeklagte hat beim Richteramt Olten-Gösgen auf Feststellung der Vaterschaft des Berufungsklägers gemäss Art. 261 Abs. 1 Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210) geklagt, nachdem sich der Berufungskläger geweigert hatte, die Vaterschaft anzuerkennen. Es ist unbestritten, dass der Berufungskläger gemäss dem von den Kindseltern vor Einleitung des Verfahrens eingeholten DNA-Gutachtens der biologische Vater der Berufungsbeklagten ist. 4.2 Der Berufungskläger macht im Berufungsverfahren erneut geltend, dass er die Kindsmutter nach der Scheidung am [...] 2017 zwei Jahre lang nicht gesehen habe. Er habe erst durch das Schreiben ihres Anwalts erfahren, dass er angeblich der Vater des von der Kindsmutter geborenen Kindes sei. Er behauptet, die Kindsmutter habe sein Sperma, das er ihr für eine Untersuchung seiner Spermienqualität zur Verfügung gestellt habe, für eine künstliche Befruchtung missbraucht. Sinngemäss macht er damit falsche Sachverhaltsfeststellung und falsche Rechtsanwendung des Vorderrichters geltend. Mit den Erwägungen des Vorderrichters zum Ursprung der Schwangerschaft der Kindsmutter auf den Seiten 4 – 6 des Urteils setzt sich der Berufungskläger hingegen überhaupt nicht auseinander. Er beschränkt sich darauf in appellatorischer Art und Weise seine eigene Sichtweise zu schildern. Mit den hier aufgestellten Behauptungen setzt er sich überdies teilweise in Widerspruch zu denjenigen, die er bei der Vorinstanz vorgebracht hatte. Dort hatte er noch behauptet, die Kindsmutter habe nach der Scheidung immer wieder Kontakt zu ihm gesucht. Allerdings sei man nur telefonisch in Kontakt gestanden. 4.3 Für Kinderbelange gilt gemäss Art. 296 Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) die Untersuchungs- und Offizialmaxime. Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen. Die Parteien und Dritte haben an den Untersuchungen mitzuwirken. Das Gericht entscheidet ohne Bindung an die Parteianträge. Das entbindet die Parteien nicht davon, dass sie gemäss Art. 311 ZPO anhand der Begründung des vorinstanzlichen Urteils verständlich und nachvollziehbar darzulegen haben, welche vorinstanzlichen Fehler mit welchem Rügegrund angefochten werden (BGE 138 III 374 E. 4.3.1). Diese Erfordernisse erfüllt die Eingabe des Berufungsklägers über weite Strecken nicht, auch wenn bei Laienbeschwerden ein weniger strenger Massstab anzuwenden ist. 4.4 Die Klägerin ist am [...] 2019 geboren. Der errechnete Geburtstermin lag zwischen dem [...] und dem [...] 2019. Die mutmassliche Konzeptionszeit fällt nach der Bestätigung des Gynäkologen der Kindsmutter (Urk. 11 der Berufungsbeklagten bei der Vorinstanz) auf die Zeit nach dem [...] 2018 (Beginn der letzten Periode vor der Schwangerschaft). Aus der von der Berufungsbeklagten bei der Vorinstanz eingereichten WhatsApp Korrespondenz (Urk. 10) zwischen den Kindseltern geht hervor, dass der Berufungskläger am [...] 2018 mit der Kindsmutter Kontakt aufgenommen hatte und sie sich am [...] 2018 verabredet hatten. Aus einer weiteren Nachricht vom [...] 2018 geht sodann hervor, dass die Kindsmutter beim Berufungsbeklagten übernachtet hatte (Urk. 12). Nach der Zeugenaussage der Kindsmutter bei der Vorinstanz hatten sie, seit sie im [...] 2019 nach [...] gezogen sei, (vgl. Urk. 14 der Vorinstanz) auch wieder sexuelle Kontakte und hätten fast jeden Abend zusammen verbracht (Aktenseite, AS 67). Ausserdem führte die Kindsmutter aus, der Berufungsbeklagte habe seinen Samen im [...] 2017 selber untersuchen lassen und ihr das Resultat gezeigt. Sie habe nichts mit der Untersuchung zu tun gehabt. Sie seien da ja schon geschieden gewesen (AS 67). Mit diesen Erwägungen setzt sich der Berufungskläger überhaupt nicht auseinander. Er belässt es bei der Behauptung, er habe nach der Scheidung während rund 2 Jahren keinen Kontakt zur Kindsmutter gehabt. Diese Behauptung ist bereits durch die von der Berufungsbeklagten bei der Vorinstanz eingereichten Chat-Protokolle widerlegt (Urk. 10). Der Berufungskläger wiederholt ausserdem die Behauptung, dass er der Kindsmutter während der Ehe mehrere Male sein Sperma für eine Untersuchung der Spermienqualität zur Verfügung gestellt habe. Der Vorderrichter fragte den Berufungskläger in der Parteibefragung wann genau und wie oft sein Sperma untersucht worden sie. Dieser gab an, dass das zweimal in [...] und dreimal in [...] gewesen sei (AS 64). In zeitlicher Hinsicht machte er keine Angaben. Ebenso wenig gab er an, bei welchem Arzt die Untersuchung hätte stattfinden sollen. Folglich ist es unmöglich, diese Aussage zu überprüfen. Zur konkreten Aussage der Kindsmutter, dass er die Spermienuntersuchung im [...] 2017 selber habe machen lassen, äussert sich der Berufungskläger nicht. Die Behauptungen des Berufungsklägers im Berufungsverfahren genügen offensichtlich nicht, um die schlüssigen Feststellungen des Vorderrichters zu erschüttern. Daran ändert auch nichts, dass an die von ihm selber verfasste Rechtsschrift keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Nicht nur gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Behauptung des Berufungsklägers, die Kindsmutter habe eine künstliche Befruchtung machen lassen, möglicherweise zutreffen könnten. Vielmehr belegen die von der Berufungsbeklagten bei der Vorinstanz eingereichten WhatsApp-Chat Protokolle (Urk. 12), dass die Kindseltern entgegen der Behauptung des Berufungsklägers auch nach der Scheidung miteinander in persönlichem Kontakt standen und die Kindsmutter in der mutmasslichen Konzeptionszeit mindestens einmal beim Berufungskläger übernachtet hatte. Hinzu kommt die Zeugenaussage der Kindsmutter (AS 67) bei der Vorinstanz, dass sie sich zu dieser Zeit häufig in der Wohnung des Berufungsklägers aufgehalten und man auch eine sexuelle Beziehung gepflegt habe. Auch dazu äussert sich der Berufungskläger nicht. Ausserdem hat der Gynäkologe der Kindsmutter bestätigt, dass ihre Medikamentenumstellung zusammen mit einem Gewichtsverlust ihre Empfängnisfähigkeit möglicherweise begünstigt habe. Aufgrund des Gesagten gibt es keinen Grund daran zu zweifeln, dass die mittels DNA-Gutachten nachgewiesene Vaterschaft des Berufungsklägers zu der Berufungsbeklagten auf natürliche Art und Weise zustande kam. Von einem Missbrauch seines Spermas zum Zweck der künstlichen Befruchtung kann daher keine Rede sein. Daher gibt es keinen Grund, weshalb der Berufungskläger nicht die volle Verantwortung als Vater der Berufungsbeklagten tragen sollte. 5.1 Der Berufungskläger rügt weiter, dass der Vorderrichter zu Unrecht davon ausgegangen sei, er könne bei zumutbaren Anstrengungen weiterhin in einem 100 % Pensum arbeiten. Er macht geltend, das gegenwärtig ausgeübte 60 % Pensum sei das Maximum, das er derzeit aus gesundheitlichen Gründen leisten könne. Er macht damit sinngemäss falsche Sachverhaltsfeststellung des Vorderrichters geltend. Weil der Vorderrichter die Unterhaltsbeiträge aufgrund eines 100 % Pensums berechnet habe, habe er überdies das Recht falsch angewandt. 5.2 Der Berufungskläger ist gemäss dem von der Berufungsbeklagten bei der Vorinstanz eingereichten Arbeitsvertrag (Urk. 4) seit dem [...] 2018 zu 100 % bei der Firma [...] AG, [...] als [...] angestellt. Sein Arbeitsort befindet sich in [...]. Per 1. Juli 2019 hat der Berufungskläger sein Pensum auf 60 % reduziert (vorinstanzliche Urkunden 5 und 6 des Beklagten). In der Parteibefragung beim Vorderrichter gab der Berufungskläger zu Protokoll, aufgrund der Nachricht, dass er Vater geworden sei, habe er nicht mehr schlafen können und deshalb Angst gehabt, einen Unfall zu verursachen. Sein Arzt habe ihn deswegen in eine Klinik einweisen wollen. Das habe er nicht gewollt, da er trotzdem habe arbeiten wollen. In der Vergangenheit habe er schlimme Sachen erlebt. Seit er in Behandlung sei, habe sich sein Zustand nicht verbessert, sondern verschlechtert. Auf entsprechende Frage des Vorderrichters in der Parteibefragung gab er an, er habe nicht gewusst, dass er aufgrund seiner Krankheit mit einer vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf ein Krankentaggeld gehabt hätte (AS 63 ff.). 5.2.1 Zur Dokumentation seiner gesundheitlichen Situation hat der Berufungskläger im Berufungsverfahren diverse Urkunden eingereicht. Die Berufungsbeklagte hält dafür, dass diese gemäss Art. 317 ZPO verspätet eingereicht worden seien. 5.2.2 Gemäss Art. 317 Abs. 1 lit. a und b ZPO dürfen neue Tatsachen nach Aktenschluss in den Prozess eingebracht werden, wenn sie kumulativ ohne Verzug vorgebracht werden und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz geltend gemacht werden konnten. In BGE 144 III 352 E. 4.2.1 (Pra 108 (2019) Nr. 88) hat das Bundesgericht erwogen, dass dort wo – wie hier – die unbeschränkte Untersuchungsmaxime gelte und der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen erforschen müsse, Noven (im Berufungsverfahren) auch über den Grenzen von Art. 317 Abs. 1 ZPO hinaus zulässig seien. Das gilt insbesondere für die Kinderbelange, inklusive Kinderunterhalt. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gemäss Art. 296 Abs. 1 ZPO auch das Berufungsgericht selbst die Tatsachen von Amtes wegen zu erforschen hat. Es kann hierfür von Amtes wegen die Erhebung aller für die Sachverhaltsfeststellung erforderlichen und geeigneten Beweismittel anordnen, um einen Entscheid im Sinne des Kindeswohls zu treffen (vgl. BGE 128 III 411 E. 3.2.1; Urteile des Bundesgerichts 5A_528/2015 E. 2; 5A_876/2014 E. 4.3.3). 5.2.3 Die vom Berufungskläger im Berufungsverfahren neu eingereichten Urkunden sind angesichts des vorliegend anwendbaren strengen Untersuchungsgrundsatzes (Art. 296 Abs. 1 ZPO) somit grundsätzlich zu beachten. Anzumerken ist indessen Folgendes: Das Arztzeugnis vom 8. August 2018 von Dr. med. [...] (Urk. 17) ist nicht in deutscher Sprache abgefasst und daher für das hiesige Gericht nicht verständlich. Es erübrigt sich hingegen, dem Berufungskläger eine Frist für die Einreichung einer deutschen Übersetzung anzusetzen, zumal dieses Arztzeugnis gemäss Datierung von [...] 2018 stammen soll. Es ist daher grundsätzlich nicht geeignet, den Gesundheitszustand des Berufungsklägers im [...] 2019, als er sein Arbeitspensum reduzierte, zu bescheinigen. Ausserdem hat er Urkunden über eine im Sommer 2019 erlittene [...] eingereicht, für welche kein Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit nachgewiesen ist (Urk. 12 – 16). Diese Urkunden sind nicht geeignet, sich auf das Urteil auszuwirken, zumal darin keine lange andauernde Arbeitsunfähigkeit des Berufungsklägers bescheinigt wird. Eine kurzfristige Arbeitsunfähigkeit hätte ohnehin keinen Einfluss auf die Unterhaltspflicht. 5.3.1 Der Unterhalt des Kindes wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet (Art. 276 Abs. 1 ZGB). Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen (Art. 276 Abs. 2 ZGB). Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen und ausserdem Vermögen und Einkünfte des Kindes berücksichtigen (Art. 285 Abs. 1 ZGB; BGE 137 III 59 E. 4.2.1, 116 II 110 E. 3b, 118 II 97 E. 4, 120 II 285 E. 3a/cc). Bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrags ist grundsätzlich vom tatsächlich erzielten Einkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen. Soweit dieses Einkommen nicht ausreicht, um den ausgewiesenen Bedarf zu decken, kann ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden, sofern dieses zu erreichen zumutbar und möglich ist (BGE 143 III 233 E. 2.3). Der Berufungskläger macht sinngemäss geltend, dass der Vorderrichter bei der Bemessung des Kinderunterhalts hätte berücksichtigen müssen, dass er aufgrund der Geburt seiner Tochter an einer [...] leide und deshalb sein Arbeitspensum ab [...] 2019 auf 60 % habe reduzieren müssen. 5.3.2 Bei der Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen darf der Richter vom tatsächlichen Leistungsvermögen des Pflichtigen, das Voraussetzung und Bemessungsgrundlage der Beitragspflicht bildet, abweichen und stattdessen von einem hypothetischen Einkommen ausgehen, falls und soweit dieser bei gutem Willen bzw. bei ihm zuzumutender Anstrengung mehr zu verdienen vermöchte, als er effektiv verdient. Wo die reale Möglichkeit einer Einkommenssteigerung fehlt, muss eine solche jedoch ausser Betracht bleiben (Urteil des Bundesgerichts 5A_184/2015, E. 3.2). Soll einer Partei ein hypothetisches Einkommen aufgerechnet werden, ist ihr hinreichend Zeit zu lassen, die rechtlichen Vorgaben in die Tat umzusetzen. Die Dauer dieser Übergangsfrist bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGE 129 III 417 E. 2.2 S. 421; 114 III 13 E. 5 S. 17). Auch ein von diesen Grundsätzen abweichender Entscheid muss indes nicht zwangsläufig bundesrechtswidrig sein. Je nach den konkreten Gegebenheiten ist etwa von Bedeutung, ob die geforderte Umstellung für die betroffene Person voraussehbar war (Urteil 5A_636/2013 vom 21. Februar 2014 E. 5.1 mit weiteren Hinweisen). Der Vorderrichter hielt die Pensenreduktion des Berufungsklägers im [...] 2019 für freiwillig und deshalb für die Berechnung der Unterhaltsbeiträge für die Tochter unbeachtlich. Der Berufungskläger setzt sich mit den diesbezüglichen Erwägungen des Vorderrichters (S. 10 f.) nicht auseinander. Er wiederholt, dass sich sein Gesundheitszustand aufgrund der erneuten Vaterschaft verschlechtert habe. Weil er mit [...] zweimal in brenzlige Situationen geraten sei, habe er seinen Vorgesetzten um eine Reduktion des Arbeitspensums gebeten. Mit dem Schluss des Vorderrichters, dass zu dieser Zeit keine nachgewiesene (Teil-)Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe und er bei einer medizinisch indizierten Reduktion des Arbeitspensums Krankentaggelder hätte beziehen können, setzt sich der Berufungskläger nicht auseinander. An diesen Feststellungen des Vorderrichters ist nicht zu rütteln. Daran ändern auch die vom Berufungskläger im Berufungsverfahren neu eingereichten Urkunden nichts. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die am [...] 2020 erlittene Verletzung des [...] zu einer dauernden Arbeitsunfähigkeit des Berufungsklägers als [...] geführt hat. Die Pensenreduktion des Berufungsklägers im [...] 2019 muss deshalb als freiwillig erfolgt qualifiziert werden. Tatsächlich wird dem Berufungskläger erstmals mit dem Arztzeugnis vom [...] 2019 eine Arbeitsunfähigkeit im Umfang von 40 % attestiert, obwohl er bereits seit [...] 2019 beim selben Arzt wegen seiner [...] in Behandlung ist. Indessen geht aus diesem Zeugnis weder hervor, seit wann die Arbeitsunfähigkeit besteht, noch ist deren voraussichtliche Dauer oder der nächste Arzttermin ersichtlich. Allein der Verweis darauf, dass die Prognose gegenwärtig nicht zuverlässig beurteilbar sei, genügt nicht, um eine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen. 5.3.3 Folglich stellt sich die Frage, ob die freiwillige Pensenreduktion des Berufungsklägers rückgängig gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang kann auf Folgendes verwiesen werden: Der Berufungskläger hat im Berufungsverfahren nachgewiesen, dass er am [...] 2020 einen Nichtbetriebsunfall erlitten hat, der zu einer Verletzung am [...] geführt hat (Urk. 1 ff.). Aufgrund dieser Verletzung war er vom [...] bis zum [...] 2020 100 % arbeitsunfähig (Urk. 4 und 11). Für diese Zeit hat die [...] dem Arbeitgeber ein Taggeld von CHF 135.00 ausbezahlt (Urk. 9). Aus der Höhe des Taggeldes kann geschlossen werden, dass der Berufungskläger zu dieser Zeit wieder 100 % gearbeitet hat, zumal das Taggeld der [...] 1/365 von 80 % des versicherten Lohnes inklusive Familienzulagen beträgt. Mithin war der Berufungskläger zur Zeit des Unfalls für einen jährlichen Bruttolohn von CHF 61'593.00 versichert. Der ausgewiesene Jahreslohn des Berufungsklägers 2018 betrug hochgerechnet auf 12 Monate brutto CHF 60'750.00. Somit hat der Berufungskläger die Lohneinbusse aufgrund der freiwilligen Reduktion des Pensums inzwischen nicht nur rückgängig machen, sondern den Lohn sogar ein wenig steigern können. Es bleibt somit dabei, dass es dem Berufungskläger zuzumuten ist, weiterhin 100 % erwerbstätig zu sein. Der Vorderrichter ist daher bei der Bemessung des Unterhaltsbeitrags zu Recht von einem Lohn für ein Arbeitspensum des Berufungsklägers von 100 % ausgegangen. 6. Weitere Rügen erhebt der Berufungskläger nicht gegen das vorinstanzliche Urteil, so dass es bei dem vom Vorderrichter errechneten Unterhaltsbeitrag bleibt. III. 1. Der Berufungskläger hat für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege beantragt. Das Gesuch ist begründet. Er ist nach wie vor prozessarm. Das Gesuch ist daher für die Gerichtskosten zu bewilligen. 2. Gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO sind die Prozesskosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen. U.a. in familienrechtlichen Verfahren kann von diesen Verteilungsgrundsätzen abgewichen und die Prozesskosten können nach Ermessen verteilt werden (Art. 107 Abs. 1 ZPO). Vorliegend ist der Berufungskläger mit der Berufung nicht durchgedrungen. Unter diesen Umständen gibt es keinen Grund, von der Verteilung der Gerichtskosten nach Obsiegen und Unterliegen abzuweichen. Die Gerichtskosten im Betrag von CHF 1’500.00 sind vollumfänglich A._ aufzuerlegen. Der Berufungskläger hat auch die Parteikosten von B._ zu bezahlen. Der Zeitaufwand ihres Rechtsvertreters gibt zu keinen Bemerkungen Anlass. Eine Honorarvereinbarung hat er nicht eingereicht, so dass praxisgemäss ein Stundenansatz von CHF 230.00 (§ 158 Abs. 2 Gebührentarif, GT, BGS 615.11) zur Anwendung kommt. Indessen ist nicht ersichtlich, wofür 134 Fotokopien nötig waren. Die Berufungsbeklagte hat eine Eingabe von 9 Seiten und 5 Urkunden mit insgesamt 20 Blättern im Doppel eingereicht. Die 16 Beilagen des Berufungsklägers zur Berufung und diejenigen zum Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurden ihr in Kopie zur Verfügung gestellt. Die nötigen Auslagen sind daher mit insgesamt CHF 60.00 ausreichend honoriert. A._ hat folglich der B._ für das Berufungsverfahren eine Parteientschädigung von CHF 1'984.35 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWSt.) zu bezahlen. Demnach wird erkannt : 1. Die Berufung wird abgewiesen. 2. Die Gerichtskosten von CHF 1’500.00 hat A._ zu bezahlen. Zufolge der ihm für das Berufungsverfahren gewährten unentgeltlichen Rechtspflege trägt sie der Staat Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 3. A._ hat B._ vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Wächter, für das Berufungs-verfahren eine Parteientschädigung von CHF 1'984.35 (inkl. Auslagen und 7,7 % MWSt.) zu bezahlen. Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt mehr als CHF 30'000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Frey Trutmann Das Bundesgericht ist mit Urteil vom 11. Dezember 2020 auf die dagegen erhobene Beschwerde nicht eingetreten (BGer 5A_1016/2020).
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Obergericht Beschwerdekammer Beschluss vom 18. November 2020 Es wirken mit: Präsident Müller Oberrichter Frey Oberrichterin Hunkeler Gerichtsschreiberin Riechsteiner In Sachen A._ AG , vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Brändli, Beschwerdeführerin gegen 1. Staatsanwaltschaft, Beschwerdegegnerin 2. †B._ , 3. C._ , 4. D._ , Beschuldigte betreffend Nichtanhandnahmeverfügung des Staatsanwaltes zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Mit Eingabe vom 8. April 2020 liess die A._ AG, vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Brändli, Strafanzeige gegen die E._ AG, vertreten durch †B._, C._ und D._, erheben. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn verfügte am 30. Juli 2020 die Nichtanhandnahme der Strafuntersuchung gegen die drei Beschuldigten wegen Betrugs, Veruntreuung, Urkundenfälschung (Dispositiv-Ziffern 1-3), weil offensichtlich kein Straftatbestand erfüllt sei. Die Staatsanwaltschaft entschied jedoch, die Strafuntersuchung gegen †B._ betreffend Betrug, betrügerischem Konkurs und Pfändungsbetrug sowie mehrfacher Misswirtschaft weiterzuführen (Dispositiv-Ziffer 4). 2. Gegen die Nichtanhandnahme der Untersuchung gegen die drei Beschuldigten wegen Betrugs, Veruntreuung und Urkundenfälschung (Dispositiv-Ziffern 1-3) liess die A._ AG (nachfolgend Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 17. August 2020 Beschwerde erheben und beantragte die kostenfällige Aufhebung der Nichtanhandnahmeverfügung und Eröffnung des Strafverfahrens gegen die E._ AG, vertreten durch die drei Beschuldigten. 3. Nachdem die Beschwerdeführerin die Sicherheitsleistung erbracht hatte, wurde die Beschwerdeschrift der Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten übermittelt. Die Staatsanwaltschaft nahm mit Eingabe vom 10. September 2020 Stellung und beantragte die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Die Beschuldigten C._ und D._ liessen sich innert Frist nicht vernehmen. Nachdem Abklärungen ergeben hatten, dass der Beschuldigte †B._ bereits am 30. Mai 2020 verstorben war (vgl. Bestätigung des Einwohneramtes [...] vom 16. September 2020), wurde dies den Verfahrensbeteiligten mit Verfügung vom 17. September 2020 mitgeteilt. Gleichzeitig wurde Rechtsanwalt Dominik Brändli Gelegenheit gegeben, für das Beschwerdeverfahren eine Honorarnote einzureichen. Nachdem die Honorarnote am 22. September 2020 eingegangen war, erweist sich das Verfahren als spruchreif. II. 1. Gemäss Art. 309 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Eröffnung einer Untersuchung, wenn sich aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige respektive dem Strafantrag oder aus ihren eigenen Feststellungen ein hinreichender Tatverdacht ergibt, wenn sie Zwangsmassnahmen anordnet sowie wenn sie von der Polizei über schwere Straftaten oder andere schwerwiegende Ereignisse informiert wurde. Gelangt sie hingegen aufgrund der Strafanzeige respektive des Strafantrags oder des Polizeirapports zum Schluss, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind, Verfahrenshindernisse bestehen oder gemäss Art. 8 StPO aus Opportunitätsgründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist, verfügt sie die Nichtanhandnahme (Art. 310 Abs. 1 StPO). Der Zweck der Untersuchung besteht nach Art. 308 Abs. 1 StPO darin, den Sachverhalt so weit zu ermitteln, dass das Vorverfahren entweder mit einem Strafbefehl, einer Anklage oder einer Einstellung abgeschlossen werden kann. Bei der Verfolgung dieses Zwecks steht der Staatsanwaltschaft ein gewisser Ermessensspielraum zu. Dies bedeutet unter anderem, dass die Staatsanwaltschaft nicht jeder Spur und jedem Hinweis nachzugehen hat, auch wenn sich eine beschuldigte Person oder ein Geschädigter solches vorstellt. Die Staatsanwaltschaft darf dann die Untersuchung – z.B. aufgrund eines Strafantrags – nicht an Hand nehmen, wenn mit Sicherheit feststeht, dass der zur Beurteilung vorliegende Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt. 2. Prozessual ist vorab folgender Aspekte zu klären: Da der Beschuldigte †B._ bereits am 30. Mai 2020 – somit vor Erlass der angefochtenen Verfügung vom 30. Juli 2020 – verstorben war, ist die Verfügung in Bezug auf †B._ aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft wird angewiesen, das Verfahren gegen †B._ in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO einzustellen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren ist in Bezug auf †B._ wegen Gegenstandslosigkeit abzuschreiben. 3. Materiell präsentiert sich der Sachverhalt wie folgt: Der Beschuldigte †B._ soll sich im Januar 2019 bei der Beschwerdeführerin gemeldet und mitgeteilt haben, er sei Geschäftsmann und müsse ein neues Fahrzeug kaufen, weil sein Wagen einen Totalschaden erlitten habe. Der Beschuldigte †B._ habe Interesse an einem Mercedes-AMG GLC 63 bekundet, woraufhin ihm die Beschwerdeführerin eine Offerte unterbreitet habe. Es sei klar gewesen, dass es bis zum Abschluss des Kaufvertrags, der Finanzierungsregelung und der effektiven Übergabe des Mercedes einige Wochen dauern würde. Deshalb habe †B._ erklärt, er wolle in der Zwischenzeit einen Audi RS6 mieten. Daraufhin sei am 8. Februar 2019 ein 3-wöchiger Mietvertrag für einen Audi RS6 zu einem Mietpreis von CHF 4'000.00 abgeschlossen worden, und zwar zwischen der Beschwerdeführerin und der E._ AG, vertreten durch C._ und D._. Gleichentags habe †B._ den Audi entgegengenommen. Am 26. Februar 2019 habe die Beschwerdeführerin und die F._, vertreten durch †B._, einen Kaufvertrag für einen Mercedes-AMG GLC 63 zu einem Preis von CHF 116'003.60 abgeschlossen. Es sei vereinbart worden, dass der Mercedes über ein Leasing der «G._», [...], finanziert werde. Als Anzahlung respektive erste Rate sei ein Betrag von CHF 34'000.00 vereinbart worden. Der vereinbarte Mietzins für den Audi in der Höhe von CHF 4'000.00 sowie eine erste Anzahlung für den Mercedes von CHF 30'000.00, total CHF 34'000.00, seien am 28. März 2019 von C._s Privatkonto auf das Konto der Beschwerdeführerin überwiesen worden. Gleichentags – am 28. März 2019 – sei der Mercedes an C._ und †B._ ausgeliefert worden. In der Zwischenzeit hätten C._ und †B._ erklärt, auch den Audi RS6 kaufen und auf die E._ AG einlösen zu wollen. Der Kaufpreis sei auf CHF 72'000.00 festgelegt worden, zahlbar in zwei Raten. Der Kaufvertrag sei von C._ in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin und von D._ am 11. April 2019 unterzeichnet worden, wobei die Beschwerdeführerin geltend macht, die Unterschrift von D._ sei gefälscht worden. In der Folge sei jedoch keine der vereinbarten Teilzahlungen für den Audi geleistet worden und die Beschwerdeführerin habe herausgefunden, dass der besagte Audi am 17. April 2019 über eine andere Firma weiterveräussert worden sei. 4. Nun macht die Beschwerdeführerin geltend, die drei Beschuldigten hätten einen Kaufvertrag über den Audi abgeschlossen, obwohl sie weder Zahlungsabsicht noch –willen gehabt hätten. Die Beschwerdeführerin sei über den Zahlungswillen der Beschuldigten getäuscht worden. Es sei zu beachten, dass C._ bereits im Mai 2018 einen anderen Mercedes im Wert von CHF 62'722.77 gekauft habe. Die Beschuldigten hätten geschickt ein besonderes Vertrauensverhältnis aufgebaut, indem sie anfangs 2019 einen weiteren Mercedes gekauft und einen Audi gemietet hätten. Es habe eine besondere Kundenbeziehung existiert. Die Beschuldigten hätten zudem besonderes Vertrauen bei der Beschwerdeführerin erweckt, indem sie die Anzahlung von CHF 34'000.00 geleistet hätten. 5. Die Staatsanwaltschaft hingegen erwog in ihrer Nichtanhandnahmeverfügung, der Tatbestand des Betrugs sei nicht erfüllt, weil die Beschwerdeführerin leichtfertig gewesen sei und folglich die Arglist zu verneinen sei. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, es sei an der Beschwerdeführerin gelegen, Abklärungen über die Bonität der Käufer zu tätigen, da es sich beim Kauf teurer Autos um kein Alltagsgeschäft handle. Die Beschwerdeführerin habe derartige Abklärungen aber leichtfertig unterlassen. Dass die Beschwerdeführerin leichtfertig gewesen sei, zeige sich auch daran, dass sie keinen Eigentumsvorbehalt beim Audi habe eintragen lassen, obwohl dies vertraglich vorgesehen gewesen sei. Des Weiteren negierte die Staatsanwaltschaft das Vorliegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Aus der Anzahlung könne die Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten, weil die Mietkosten von der Versicherung von †B._ übernommen worden seien. Es fehle zudem an einem besonderen Vertrauensverhältnis, weil die Kaufverträge von zwei verschiedenen Gesellschaften resp. ihren Organen unterzeichnet worden seien. Folglich seien die Voraussetzungen des Straftatbestandes des Betrugs nicht erfüllt. Der Tatbestand der Veruntreuung sei ebenfalls nicht erfüllt, weil die E._ AG mangels Eintrags des Eigentumsvorbehalts Eigentümerin des Audi geworden sei. Schliesslich liege auch keine Fälschung von D._s Unterschrift vor, weil diese nach anfänglichem Abstreiten zugegeben habe, den Kaufvertrag des Audis unterschrieben zu haben. Zusammenfassend sei keine Strafuntersuchung zu eröffnen. 6.1 Die Beschwerdeführerin wendet in ihrer Beschwerdeschrift ein, die Beschuldigten hätten bewusst ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Das Vertrauen sei geschickt konstruiert worden: So seien die beiden Beschuldigten persönlich vorstellig geworden und hätten sich als finanzkräftige Geschäftsleute ausgegeben. Indem die Beschuldigten den Mercedes vorgängig gekauft bzw. den Audi vorab gemietet und eine substantielle Anzahlung geleistet hätten, sei geschickt das Vertrauen der Beschwerdeführerin gewonnen worden. Der Kauf der beiden Fahrzeuge, die Anzahlung und das aufgebaute Vertrauen seien eng miteinander verbunden gewesen. Durch die Anzahlung einer mittleren fünfstelligen Summe habe kein Grund bestanden, ernsthaft an der Bonität oder am Erfüllungswillen der Beschuldigten zu zweifeln. Alle Vorgänge seien zeitlich eng miteinander verknüpft gewesen. Beim Zahlungswillen handle es sich ausserdem um einen inneren Vorgang, welcher nicht direkt überprüft werden könne. Aufgrund der geleisteten Anzahlung und der unterzeichneten Verträge habe es für die Beschwerdeführerin keinen Anlass gegeben, am Erfüllungswillen der Beschuldigten zu zweifeln. 6.2 Weiter argumentiert die Beschwerdeführerin, die Erwägung der Staatsanwaltschaft, es habe kein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden, weil die Kaufverträge von zwei verschiedenen Gesellschaften resp. ihren Organen unterzeichnet worden seien, sei unzutreffend. Gemäss Ansicht der Beschwerdeführerin bestehe ein enger Zusammenhang zwischen den beiden Firmen und den Beschuldigten, was geeignet gewesen sei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. So handle es sich bei den Gesellschaften um Schwesterfirmen, welche von den Beschuldigten als Familienkleinfirmen geführt worden seien. Schliesslich seien die Beschuldigten gemeinsam auftreten; †B._ sei beispielsweise zuerst vorstellig geworden, habe dann durch die E._ AG gemietet und die Miete sei durch das Privatkonto von C._ bezahlt worden. Schliesslich sei es auch unerheblich, dass die Mietkosten durch die Versicherung von †B._ geleistet wurden, weil die Summe von C._s Privatkonto überwiesen worden sei. Insgesamt hätten die Beschuldigten aufgrund des persönlichen Kundenverhältnisses, der zweifelsfreien Identifikation, der kaufmännischen Geschäftsbeziehung, der geleisteten Anzahlung und dem Verhalten der Beschuldigten ein besonderes Vertrauensverhältnis mit der Beschwerdeführerin aufgebaut, im Wissen darum, dass die Beschwerdeführerin von einer detaillieren Bonitätsprüfung absehen würde. Aufgrund der Gesamtumstände habe die Beschwerdeführerin auch nicht am Zahlungswillen und an der Zahlungsfähigkeit der Beschuldigten zweifeln müssen. Folglich sei es nicht leichtfertig gewesen, auf eine Bonitätsprüfung zu verzichten. 6.3 In Bezug auf den Tatbestand der Veruntreuung wendet die Beschwerdeführerin ein, es sei in der Lehre und Praxis umstritten, ob der fehlende Eintrag im Eigentumsvorbehaltsregister einer Veruntreuung entgegenstehe. Folglich könne nicht gesagt werden, der Tatbestand der Veruntreuung sei eindeutig nicht erfüllt. Letztlich gebe es Anhaltspunkte, dass die Unterschrift von D._ sehr wohl gefälscht worden sei. Dass D._ nachträglich zugegeben habe, den Kaufvertrag des Audis unterschrieben zu haben, sei eine Schutzbehauptung. Sie habe den Eindruck erwecken wollen, dass alles rechtens abgelaufen sei. Ihre Aussage bedeute aber nicht, dass kein Anfangsverdacht vorliege, welcher die Vornahme weiterer Abklärungen rechtfertige. Folglich seien weder die Tatbestände eindeutig nicht erfüllt, noch fehle es am erforderlichen Tatverdacht, weshalb die Nichtanhandnahme zu Unrecht erfolgt sei. 7. In ihrer Stellungnahme hält die Staatsanwaltschaft an ihrer Einschätzung fest, wonach vorliegend keine Arglist bejaht werden könne, weil es die Beschwerdeführerin unterlassen habe, ein Mindestmass an Aufmerksamkeit walten zu lassen. Wenn es das Opfer unterlasse, minimalste Vorkehrungen zu treffen, sei eine Täuschung nicht arglistig. Abgestellt werden müsse auf die Eigenschaften des Opfers: Wenn das Opfer besonders unerfahren, älter, krank sei oder in einem Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis zum Täter stehe, und deshalb nicht in der Lage sei, ein Mindestmass an Vorsicht walten zu lassen, wäre die Situation gemäss Staatsanwaltschaft anders einzuordnen. Vorliegend handle es sich aber um eine geschäftserfahrene Geschädigte, welche die notwendigen und zumutbaren Abklärungen pflichtwidrig unterlassen habe, weil sie sich leichtfertig habe täuschen lassen. Folglich könne die Täuschungshandlung durch die Beschuldigten nicht als arglistig qualifiziert werden, selbst wenn ein Vertrauensverhältnis erweckt worden sei. 8.1 Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich des Betrugs schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt. Die Erfüllung des Betrugs-tatbestands erfordert eine arglistige Täuschung. Betrügerisches Verhalten ist strafrechtlich erst relevant, wenn der Täter mit einer gewissen Raffinesse oder Durchtriebenheit täuscht. Einfache Lügen, plumpe Tricks oder leicht überprüfbare falsche Angaben genügen nicht (BGE 143 IV 302 E. 1.3.1; 135 IV 76 E. 5.2). Arglist wird indessen bejaht, wenn der Täter ein ganzes Lügengebäude errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Arglist wird auch bei einfachen falschen Angaben bejaht, wenn deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, und wenn der Täter das Opfer von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass dieses die Überprüfung der Angaben auf Grund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde (BGE 143 IV 302 E. 1.3.1 und E. 1.3.3; 135 IV 76 E. 5.2). Nach der Rechtsprechung ist namentlich die Vorspiegelung eines im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhandenen vertraglichen Leistungswillens arglistig im Sinn von Art. 146 Abs. 1 StGB, weil sie eine innere Tatsache betrifft, die vom Vertragspartner ihrem Wesen nach nicht überprüft werden kann (BGE 118 IV 359 E. 2). Dagegen wird Arglist verneint, wenn das Betrugsopfer den Irrtum bei Inanspruchnahme der ihm zur Verfügung stehenden Selbstschutzmöglichkeiten hätte vermeiden können. Dies gilt auch bei Vorspiegelung eines vertraglichen Leistungswillens, wenn sich aus der möglichen und zumutbaren Überprüfung der Erfüllungsfähigkeit ergeben hätte, dass der Täter nicht erfüllungsfähig gewesen wäre (BGE 118 IV 359 E. 2). Das Mass der vom Betrugsopfer erwarteten Aufmerksamkeit und die damit einhergehende Vermeidbarkeit des Irrtums sind individuell zu bestimmen. Es kommt auf die Lage und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall an (BGE 143 IV 302 E. 1.4.1; 135 IV 76 E. 5.2; vgl. auch BGE 142 IV 153 E. 2.2.2). Dabei ist insbesondere Rücksicht zu nehmen auf geistesschwache, unerfahrene oder aufgrund von Alter oder Krankheit beeinträchtigte Betrugsopfer oder auf solche, die sich in einem Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage befinden, und deshalb kaum im Stande sind, dem Täter zu misstrauen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht bei inferioren Betrugsopfern, deren Hilfsbereitschaft und Vertrauensseligkeit gezielt ausgenützt wurde, Arglist bejaht (Urteile 6B_785/2013 vom 22.1.14 E. 2.4; Urteil 6B_383/2013 vom 9.9.13 E. 2.2; vgl. auch Urteil 6B_886/2013 vom 6.2.14 E. 1.4). 8.2 Grundsätzlich ist die Vorspiegelung des Leistungswillens gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als arglistig im Sinne von Art. 146 StGB zu qualifizieren, weil sie eine innere Tatsache betrifft, die vom Vertragspartner ihrem Wesen nach nicht direkt überprüft werden kann (Urteil des Bundesgerichts 6B_364/2012 vom 19. April 2013 E. 1.1 mit Hinweisen). Die Vortäuschung des Erfüllungswillens ist allerdings nicht in jedem Fall arglistig. Die Behauptung des Erfüllungswillens kann nämlich unter Umständen indirekt, mittels Nachforschungen über die Erfüllungsfähigkeit, überprüft werden. Wer zur Erfüllung ganz offensichtlich nicht fähig ist, kann auch keinen ernsthaften Erfüllungswillen haben. Gemäss Bundesgericht führt die Unmöglichkeit einer direkten Überprüfung des Erfüllungswillens nicht zur automatischen Bejahung der Arglist, wenn sich aus der möglichen und zumutbaren Überprüfung der Erfüllungsfähigkeit ergeben hätte, dass der andere gar nicht erfüllungsfähig war (BGE 118 IV 359 E. 2). Entscheidend für die Frage, ob dem Opfer eine Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist, ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, ob konkrete Anhaltspunkte vorgelegen haben, welche den Geschäftspartner zu besonderer Vorsicht hätte mahnen müssen und die auf die fehlende Zahlungsmoral hingewiesen hätten (Urteil des Bundesgerichts 6B_364/2012 vom 19. April 2013 E. 1.3). Für die Frage, welche Schutzmassnahmen als zumutbar zu gelten haben, gibt es keinen allgemeingültigen Massstab. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls (Urteil des Bundesgerichts 6B_1007/2010 vom 28. März 2011 E. 1.5.2, BGE 127 IV 68 E. 3b/bb, BGE 125 IV 260 E. 4b). 8.3 Vorliegend handelt es sich um den Kauf zweier teurer Fahrzeuge, wobei der Mercedes CHF 116'003.60 und der Audi CHF 72'000.00 gekostet haben. Diese Geschäfte können nicht als alltäglich bezeichnet werden, auch nicht im Rahmen des kaufmännischen Verkehrs. Bei diesen Beträgen hätten sich bereits aufgrund der beiden Summen weitere Abklärungen aufgedrängt, denn je höher der Vertragswert und das damit verbundene Schadenspotential ist, desto grösser sind die Anforderungen an die Vorsichtspflicht. Für die Beschwerdeführerin wäre es zumutbar und möglich gewesen, Nachforschungen über die Erfüllungsfähigkeit der drei Beschuldigten einzuholen. Die Beschwerdeführerin hätte ohne weiteres einen Betreibungsregisterauszug beiziehen oder die Begleichung des gesamten Kaufpreises vor Übergabe des Mercedes verlangen können. Durch ein Mindestmass an Aufmerksamkeit mittels Überprüfung der Kreditfähigkeit der Beschuldigten hätte sich die Beschwerdeführerin schützen können. Bereits eine einfache Google-Suche nach «[...]» verweist auf einen Artikel der Berner Zeitung aus dem Jahr [...], gemäss welchem der †B._ mit einer früheren Gesellschaft in finanzielle Schieflage geraten war und auch private Schulden hatte [...]. Es war auch nicht so, dass der †B._ falsche Angaben zu seiner Adresse oder seiner Person gemacht hätte, was betreibungsrechtliche Abklärungen verunmöglicht hätte. Es wäre demnach möglich und zumutbar gewesen. Sodann hätte das Vorgehen der drei Beschuldigten die Beschwerdeführerin stutzig machen müssen. Zwar war †B._ im Januar 2019 bei der Beschwerdeführerin vorstellig geworden und hatte Interesse an den Fahrzeugen bekundet, unterzeichnet wurde der Mietvertrag über den Audi aber am 8. Februar 2019 vom damals erst 19-jährigen C._, Verwaltungsratspräsident der E._ AG, und von D._, welche die Beschwerdeführerin nicht kannte. Bereits die Tatsache, dass der Verwaltungsratspräsident einer Gesellschaft erst 19-jährig war, ist aussergewöhnlich und hätte die Beschwerdeführerin stutzig machen müssen. Sodann wurde die E._ AG nur gerade zwei Tage vor dem Abschluss des Mietvertrages, am 6. Februar 2019, von der [...]bank auf rund CHF 2.3 Mio. betrieben (Auszug aus dem Betreibungsregister Nr. [...] des Betreibungsamtes [...]). Des Weiteren war es aussergewöhnlich, dass für den Kauf des Mercedes eine weitere Gesellschaft beigezogen wurde, nämlich die F._ AG. Bei beiden Firmen handelte es sich um Aktienmäntel, die erst rund ein halbes Jahr vor dem beanzeigten Sachverhalt von den Beschuldigten übernommen worden waren (Meldungen des Schweizerischen Handelsamtsblattes Nr. [...] und Nr. [...], beide vom [...], [...]). Bei dieser Ausgangslage es gab klare Hinweise auf ein nicht ordnungsgemässes Verhalten seitens der Beschuldigten, was die Beschwerdeführerin zur Vorsicht hätte mahnen müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin geschäftserfahren ist. Die Beschwerdeführerin hat es aber offenbar unterlassen, Abklärungen über die Beschuldigten einzuholen und hat sich lediglich auf die Schilderungen der †B._ und C._ verlassen. Mittels Nachforschungen über die Erfüllungsfähigkeit der Beschuldigten wäre der behauptete Erfüllungswille ohne Weiteres überprüfbar gewesen. 8.4 Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis vorgelegen haben soll. Gemäss Bundesgericht begründet auch nicht jede Geschäftsbeziehung ein besonderes Vertrauensverhältnis, gestützt auf welches Arglist bejaht werden könnte (vgl. BGE 119 IV 28 E. 3e). Arglist würde nur bejaht, wenn die Täter vorhersehen würden, dass die Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses gar nicht erst überprüft werden. Ein besonderes Vertrauensverhältnis wäre aufgrund einer langjährigen Freundschaft oder eines Familienverhältnisses zu bejahen, nicht jedoch bei gewöhnlichen Geschäftskunden. Vorliegend hätte die Beschwerdeführerin trotz der geleisteten Anzahlung eine erhöhte Vorsicht an den Tag legen müssen. Es zeugt von einer gewissen Leichtfertigkeit, wenn beim Verkauf von zwei teuren Fahrzeugen keinerlei Erkundigungen über die Käufer eingeholt oder nicht die Begleichung des gesamten Kaufpreises vor Aushändigung des Wagens verlangt werden. Auch wenn der Erfüllungswille naturgemäss nicht direkt überprüfbar war, wäre in Anbetracht der dargestellten Gegebenheiten eine grössere Vorsicht angebracht gewesen. Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin eine geschäftserfahrene Autogarage ist. 8.5 Zusammenfassend kann in Bezug auf den Straftatbestand des Betrugs festgehalten werden, dass es zwar Anzeichen dafür gibt, dass die Beschuldigten, insbesondere der †B._, die Beschwerdeführerin in die Irre geführt haben. In Anbetracht der gesamten Umstände kann das Verhalten der Beschuldigten aber nicht als arglistig qualifiziert werden, weil die der Beschwerdeführerin zuzurechnende Opfermitverantwortung zu schwer wiegt. Folglich war es rechtens, dass die Staatsanwaltschaft das Tatbestandselement der Arglist verneinte. 9. Schliesslich überzeugen die Erwägungen der Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Straftatbestand der Veruntreuung. Sie hat zutreffend erwogen, dass vorliegend eine Veruntreuung ausser Betracht fällt, da der Audi mangels Eintrags des Eigentumsvorbehalts nicht mehr eine fremde Sache war. Sie musste unter diesen Voraussetzungen damit rechnen, dass bei einer Anklage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Freispruch erfolgt wäre. Entsprechend hat sie das Strafverfahren zu Recht nicht an die Hand genommen. Letztlich handelt es sich um eine rein zivilrechtliche Angelegenheit, welche nicht mittels eines Strafverfahrens zu klären ist. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. 10. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 1'500.00 gehen bei diesem Ausgang zu Lasten der Beschwerdeführerin und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Entschädigung an die Beschuldigten ist mangels Aufwand nicht auszurichten. Demnach wird beschlossen : 1. Die Nichtanhandnahmeverfügung vom 30. Juli 2020 wird in Bezug auf †B._ aufgehoben und die Staatsanwaltschaft angewiesen, das Verfahren gegen †B._ in Anwendung von Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO einzustellen. 2. Die Beschwerde in Bezug auf †B._ wird aufgrund dessen Todes als gegenstandslos abgeschrieben. 3. Die Beschwerde wird in Bezug auf die Beschuldigten C._ und D._ abgewiesen. 4. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 1'500.00 zu bezahlen. Sie werden mit der geleisteten Sicherheitsleistung verrechnet. 5. Den Beschuldigten ist keine Entschädigung auszurichten. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Müller Riechsteiner
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Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 14. Januar 2019 Es wirken mit: Präsidentin Jeger Oberrichter Müller Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwältin Dana Matanovic, Beschwerdeführer gegen 1. Jugendanwaltschaft des Kantons Solothurn, Amthaus 2, 4502 Solothurn, Beschwerdegegnerin 2. B._ , gesetzlich vertreten durch C._ , und D._ , hier vertreten durch D._ , Beschuldigter betreffend Einstellungsverfügung zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1.1 Am 4. Mai 2018 kam es beim Schulhaus [...] in [...] zu einer Auseinandersetzung. Gemäss Angaben von B._, geb. 2008, und E._, geb. 2008, sollen sie damals mit anderen Kindern, u.a. mit F._, geb. 2008, und G._, geb. 2010, spasseshalber gekämpft haben. A._, der Vater von F._ und G._, der mit dem Auto dort vorbeigefahren war, soll zwischen die Gruppe gegangen sein, B._ am Hals gepackt und E._ geschubst und mit dem Knie in den Bauch getreten haben. A._ bestreitet dies. E._ und B._ liessen durch ihre gesetzlichen Vertreter Strafantrag gegen A._ stellen, dieser seinerseits gegen die beiden Knaben. 1.2 Mit zwei separaten Verfügungen vom 17. September 2018 stellte die Jugendanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen B._ und E._ ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, verschiedene Kinder hätten sich am besagten Abend einen Spasskampf geliefert. Sowohl B._ als auch E._ hätten bei der Polizei glaubhaft zu Protokoll gegeben, die Kämpfe seien im gegenseitigen Einverständnis erfolgt und es hätten keine Tätlichkeiten stattgefunden. Es sei auch nie beabsichtigt gewesen, jemanden am Körper zu beeinträchtigen oder jemandem Schmerzen zuzufügen. Auch H._ habe bestätigt, dass es sich um einen Spasskampf gehandelt habe; er habe keine Tätlichkeiten beobachten können. Folglich sei nicht erwiesen, dass B._ (Verfahren JA.2018.490) während dieses Spasskampfes G._ oder F._ tätlich angegangen habe. Konkrete Vorhalte ergäben sich auch nicht aus der Befragung von A._. Weil die involvierten Familien offenbar seit längerem miteinander Probleme hätten, erscheine es als ausgeschlossen, dass sich der Tatverdacht durch zusätzliche Beweiserhebungen oder Befragungen noch erhärten liesse. 2. Gegen diese Verfügung liess A._ am 28. September 2018 Beschwerde erheben mit dem Antrag auf deren Aufhebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, F._ werde bereits seit längerer Zeit von den beiden Beschuldigten gemobbt. Im Laufe der Zeit sei auch G._ hineingezogen worden. F._ befinde sich deswegen in Behandlung. Die Kinder seien auch schon tätlich angegriffen worden. Die verbalen Angriffe hätten am besagten 4. Mai 2018 in einer «Schlägerei» zwischen mehreren Kindern gegipfelt, in welche sowohl die Beschuldigten als auch F._ und G._ involviert gewesen seien. Ihr Vater, A._, habe eingegriffen, um die «Schlägerei» zu beenden. In der Folge seien die beiden Beschuldigten sowie A._ zum Sachverhalt befragt worden, nicht aber F._ und G._. Diese hätten nie die Möglichkeit gehabt, ihre Sicht der Dinge zu Protokoll zu geben. Zudem seien B._ und E._ einzig als Auskunftspersonen befragt worden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden. Zu Unrecht werde auch von einer blossen «Spassschlägerei» ausgegangen. Eine genaue Abklärung des Sachverhalts und der Vorgeschichte seien nicht vorgenommen worden. 3. Die Jugendanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom 29. Oktober 2018 auf eine Stellungnahme. 4. Der gesetzliche Vertreter von B._, D._, wies im Schreiben vom 31. Oktober 2018 darauf hin, der Beschwerdeführer bringe nichts Neues vor, seine Behauptungen seien alle bestritten und die Einstellungsverfügung zu Recht erfolgt. 5. Für die Standpunkte der Parteien wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, wird nachfolgend darauf eingegangen. II. 1. Die Jugendanwaltschaft verfügt gemäss Art. 3 Abs. 1 der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (JStPO, SR 312.1) i.V.m. Art. 319 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) u.a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a) oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (Urteil des Bundesgerichts 6B_1190/2017 vom 4. Juli 2018 mit Hinweisen). Sachverhaltsfeststellungen müssen in Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» jedoch auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen «klar» bzw. «zweifelsfrei» feststehen, so dass im Falle einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann indes nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Den Staatsanwaltschaften ist es nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» lediglich bei einer unklaren Beweislage untersagt, der Beweiswürdigung des Gerichts vorzugreifen (BGE 143 IV 241 mit Hinweisen). Muss die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung geprüft werden, sind gewisse Abwägungsfragen sachimmanent. Die Staatsanwaltschaft darf deshalb auch Verhältnismässigkeitsprüfungen vornehmen. Ebenso kann sie den subjektiven Tatbestand prüfen, wobei sie die konkreten Umstände ausreichend zu berücksichtigen hat (Urteile 6B_816/2016 vom 20. Februar 2017; 6B_195/2016 vom 22. Juni 2016). 2. Die Polizei hat E._ und B._ am 7. resp. 12. Mai 2018 als Auskunftspersonen befragt. Dies erfolgte zu einem Zeitpunkt, als gegen sie noch kein Strafantrag gestellt worden war. Das Vorgehen ist daher insofern korrekt. Dass sie nachher nicht nochmals zum gleichen Sachverhalt als Beschuldigte befragt worden sind, ist sachgerecht. Ebenso, dass keine Befragung der beiden Kinder des Beschwerdeführers erfolgte. Dass der Beschwerdeführer dies rügt, ist nachvollziehbar, an der Sachlage hätte eine Befragung von ihnen indessen nichts geändert. Auch wenn F._ und G._ ausgesagt hätten resp. aussagen würden, es habe sich nicht um einen Kampf aus Spass gehandelt und es seien Tätlichkeiten von Seiten der Beschuldigten begangen worden, lägen divergierende Aussagen vor, die sich im Nachhinein nicht mehr klären liessen. Es stünden die Aussagen von B._ und E._, die behaupten, es habe sich um einen «Spasskampf» im Einverständnis des Beteiligten gehandelt und es habe nie die Absicht bestanden, jemandem zu schaden, denjenigen der beiden Kinder des Beschwerdeführers gegenüber, die allenfalls das Gegenteil aussagen würden. Wie eruiert werden könnte, welche Version nun zutrifft, ist nicht ersichtlich, nachdem zwischen den Familien offenbar seit längerer Zeit ein Konflikt besteht. Festzuhalten ist aber immerhin, dass ein anderer Knabe, H._, der damals mit seiner Schwester dort Fussball gespielt und das «Spiel» der Kinder beobachtet hatte, ausgesagt hatte (Einvernahme vom 17. Mai 2018), die Kinder hätten nur zum Spass gekämpft, sie hätten sich dabei auch geschlagen, aber das sei nicht ernst gewesen. Auf die Frage, ob er den Eindruck gehabt habe, jemand, der nicht dabei gewesen sei, habe den «Spasskampf» als ernst auffassen können, hatte er zu Protokoll gegeben, er denke, wenn ein gleichaltriger Knabe diesen «Kampf» gesehen hätte, hätte dieser sofort gemerkt, dass es nicht ernst sei. Eine ältere Person hätte sicher den Eindruck gehabt, es sei ernst. H._ hatte auch ausgesagt, er habe gehört, wie die Kinder des Beschwerdeführers diesem hätten erklären wollen, sie hätten nur miteinander gespielt. Da es keine weiteren Personen gibt, die sachdienliche Hinweise zum Ablauf des Geschehens machen können (bezüglich I._ und J._, welche ebenfalls «mitspielten», ist – als Kollegen von B._ –, zu erwarten, dass sie die Aussagen der beiden Beschuldigten bestätigen würden), kann nicht beanstandet werden, dass die Jugendanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen B._ wegen Tätlichkeit eingestellt hat. Im Hauptverfahren wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Freispruch zu erwarten. Die Weiterführung einer Strafuntersuchung rechtfertigt sich daher nicht. 3. Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde als unbegründet und sie ist entsprechend abzuweisen. 4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 400.00 gehen bei diesem Ausgang des Verfahrens zu Lasten des Beschwerdeführers und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen (die Kosten sind «nur» auf CHF 400.00 festzusetzen, weil im Parallelverfahren betreffend E._ ebenfalls Kosten anfallen). Eine Parteientschädigung ist dem Beschwerdeführer bei diesem Ergebnis nicht zuzusprechen und von Seiten des Beschuldigten wurde keine Entschädigung geltend gemacht. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 400.00 zu bezahlen. 3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Jeger Ramseier
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Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 16. September 2016 Es wirken mit: Präsidentin Jeger Oberrichter Müller Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen A._, vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker, Beschwerdeführer gegen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Beschwerdegegnerin betreffend Verlängerung der stationären Massnahme Es erscheinen zur Verhandlung vor Obergericht: - für die Staatsanwaltschaft: Staatsanwalt B._; - A._, Beschwerdeführer; - Rechtsanwalt Konrad Jeker, amtlicher Verteidiger des Beschwerdeführers; - Prof. Dr. C._, Sachverständiger; - zwei Polizeibeamte; - eine Pressevertreterin. Die Präsidentin eröffnet die Verhandlung, gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt und stellt die Anwesenden fest. Sie weist darauf hin, Anfechtungsgegenstand sei der Nachentscheid des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016; A._ habe gegen dieses Urteil Beschwerde erhoben. Anschliessend schildert sie den Ablauf der Verhandlung und fragt die Parteien, ob sie Vorfragen oder Vorbemerkungen hätten. Dies wird verneint. In der Folge bittet sie Rechtsanwalt Jeker, seine Kostennote abzugeben, damit der Staatsanwalt diese einsehen könne. Es erfolgt die Befragung des Beschwerdeführers und anschliessend diejenige des Sachverständigen (in Anwesenheit des Beschwerdeführers; vgl. Audio-CD sowie separate Protokolle). Da keine Beweisanträge gestellt werden, wird das Beweisverfahren geschlossen. Es stellen und begründen folgende Anträge : Rechtsanwalt Jeker (mit Verweis auf seine bereits schriftlich gestellten Anträge): 1. Das Urteil des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 sei aufzuheben. 2. Der Antrag des Amtes für Justizvollzug vom 10. Juli 2014, wonach die stationäre Massnahme des Beschwerdeführers nach Art. 59 Abs. 3 StGB um fünf Jahre zu verlängern sei, sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 3. Der Beschwerdeführer sei umgehend aus dem Straf- und Massnahmenvollzug zu entlassen. Eventualiter sei seine Entlassung bedingt auszusprechen, verbunden mit der Weisung, sich einer therapeutischen Massnahme unterziehen zu lassen. 4. Es sei dem Beschwerdeführer für den seit dem 23. August 2011 zu Unrecht ausgestandenen Freiheitsentzug eine Entschädigung von CHF 200.00 pro Tag auszurichten. 5. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge. Im Fall eines Unterliegens sei die amtliche Verteidigung mit dem Unterzeichnenden zu bewilligen und die Verfahrenskosten seien zur Hauptsache zu schlagen. Der Staatsanwalt : 1. Die Beschwerde von A._ sei abzuweisen. 2. Im Hinblick auf eine allfällige Beschwerde an das Bundesgericht sei für A._ Sicherheitshaft anzuordnen. 3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beschwerdeführers. Angesprochen auf die Gelegenheit zu einem letzten Wort, führt der Beschwerdeführer aus, er habe gelernt, was es brauche, um nicht mehr straffällig zu werden. Er habe einen Kreis, der ihn stützen werde. Bewährungshilfe wäre gut und damit wäre er auch einverstanden. Er würde das beweisen, wenn man ihm die Chance dazu geben würde. Mit diesem Schlusswort endet die öffentliche Verhandlung. Es erfolgt die geheime Beratung des Gerichts. Am Donnerstag, 22. September 2016, um 16.00 Uhr, wird den Parteien das Urteil mündlich eröffnet und gerade ausgehändigt. Die Beschwerdekammer des Obergerichts zieht in Erwägung : I. Eintreten Gemäss BGE 141 IV 396 ist gegen selbstständige nachträgliche Entscheide nach Art. 363 ff. Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) die Beschwerde das zulässige Rechtsmittel. Somit ist die Beschwerdekammer zur Behandlung zuständig (§ 33 bis des Gesetzes über die Gerichtsorganisation, GO, BGS 125.12). Auf die rechtzeitig eingereichte Beschwerde ist einzutreten. Auf die Vorbringen des amtlichen Verteidigers, der Antrag des Amtes für Justizvollzug vom 10. Juli 2014, wonach die stationäre Massnahme des Beschwerdeführers nach Art. 59 Abs. 3 StGB um fünf Jahre zu verlängern sei, sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne, wird nachfolgend eingegangen. II. Prozessgeschichte 1. Mit Urteil des Obergerichts vom 14. April 2010 wurde A._ wegen Vergewaltigung und sexueller Handlungen mit einem Kind, begangen am 22. August 2006, sowie wegen mehrfacher Übertretung des BetmG, begangen in der Zeit vom 19. März 2006 bis 22. August 2006 (rechtskräftig festgestellt mit Urteil des Amtsgerichts von Olten-Gösgen vom 20. März 2009) schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und einer Busse von CHF 200.00, bei Nichtbezahlung ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 2 Tagen, verurteilt. Gleichzeitig wurde eine stationäre therapeutische Massnahme in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung angeordnet. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zu Gunsten der stationären therapeutischen Massnahme aufgeschoben. Die gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 25. November 2010 mit der Begründung ab, eine stationäre Massnahme sei angezeigt und verhältnismässig, weshalb die Vorinstanz diese habe anordnen dürfen, ohne Bundesrecht zu verletzen. 2. A._ befindet sich seit dem 23. August 2006 im Freiheitsentzug, zunächst in Untersuchungshaft, dann vom 9. Januar bis 9. Mai 2007 im vorzeitigen Massnahmenvollzug und anschliessend im vorzeitigen Strafvollzug. Ab dem 12. Mai 2009 befand er sich in den Anstalten Thorberg, seit dem 14. April 2010 formell in der stationären Massnahme nach Art. 59 Abs. 3 StGB (Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung), faktisch jedoch im Normalvollzug. Am 16. Mai 2013 wurde er auf die Integrationsabteilung verlegt, am 8. August 2013 auf die Therapieabteilung TAT. Die Therapie erfolgte stets durch den forensisch-psychiatrischen Dienst der Universität Bern (FPD). Am 9. Juli 2014 beantragte das Amt für Justizvollzug dem Amtsgericht Olten-Gösgen die Verlängerung der mit Urteil des Obergerichts vom 14. April 2010 angeordneten stationären Massnahme um fünf Jahre. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht einen Antrag von A._ auf bedingte Entlassung abgewiesen (Urteil vom 21. Mai 2013). Die Staatsanwaltschaft beantragte vor Amtsgericht ebenfalls die Verlängerung der Massnahme um fünf Jahre, eventualiter sei für A._ die Verwahrung im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB anzuordnen. Am 6. August 2014 beantragte A._ die Versetzung ins Massnahmezentrum St. Johannsen. Dieses Gesuch wies das Amt für Justizvollzug am 3. Oktober 2014 ab. Am 29. Mai 2015 beantragte er bis zum Vorliegen des neuen Gutachtens die Versetzung in ein Untersuchungsgefängnis. Er sei mit den neuen Therapieansätzen nicht einverstanden und habe jedes Vertrauen in die Therapeutin Frau D._ verloren. Dieses Gesuch wies der Amtsgerichtspräsident von Olten-Gösgen mit Verfügung vom 29. Juni 2015 ab. Am 22. Mai 2015 beantragte A._ erneut die Versetzung in ein Untersuchungsgefängnis. Er sei nicht mehr bereit, die Therapie bei D._ fortzusetzen und ziehe es vor, die Ergebnisse des Gutachtens in einem Untersuchungsgefängnis abzuwarten und anschliessend entsprechend der gutachterlichen Diagnose die Therapie in einer dafür geeigneten Institution fortzusetzen. Mit Verfügung vom 31. Juli 2015 hiess der Amtsgerichtspräsident von Olten-Gösgen den Antrag gut. Am 7. August 2015 wurde A._ ins Untersuchungsgefängnis Solothurn versetzt, wo er sich bis heute aufhält. 3. Mit Urteil vom 14. Januar 2016 verlängerte das Amtsgericht Olten-Gösgen die für A._ mit Urteil des Obergerichts am 14. April 2010 angeordnete stationäre Massnahme um fünf Jahre. Gleichzeitig wurde A._ zur Sicherung des Massnahmenvollzugs in Sicherheitshaft behalten. 4. Gegen dieses Urteil liess A._ am 25. Januar resp. 11. April 2016 Beschwerde erheben mit dem Antrag auf dessen Aufhebung. Der Antrag des Amtes für Justizvollzug vom 9. Juli 2014, wonach die stationäre Massnahme um fünf Jahre zu verlängern sei, sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne und der Beschwerdeführer sei umgehend aus dem Straf- und Massnahmenvollzug zu entlassen; eventualiter sei seine Entlassung bedingt auszusprechen, verbunden mit der Weisung, sich einer therapeutischen Massnahme unterziehen zu lassen. Weiter sei dem Beschwerdeführer für den seit dem 23. August 2011 zu Unrecht ausgestandenen Freiheitsentzug eine Entschädigung von CHF 200.00 pro Tag auszurichten. 5.1 Mit Verfügung vom 13. April 2016 stellte die Präsidentin der Beschwerdekammer fest, die Beschwerde gegen die Anordnung der Verlängerung der stationären Massnahme gemäss Urteil des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 16. Januar 2016 habe keine aufschiebende Wirkung. Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf sofortige Entlassung aus dem Straf- und Massnahmenvollzug werde deshalb als sinngemässen Antrag auf aufschiebende Wirkung der Beschwerde behandelt und der Antrag auf aufschiebende Wirkung abgewiesen. Im Weiteren wurde festgehalten, die durch das Amt für Justizvollzug vorgenommene Terminierung der Höchstdauer der Massnahme auf den 14. Dezember 2014 stehe im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Der Beschwerdeführer befinde sich deshalb nicht bereits seit Jahren ohne Rechtstitel in der stationären Massnahme. 5.2 Mit Eingabe vom 25. April 2016 wies der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers darauf hin, am 1. April 2016 habe die Präsidentin der Beschwerdekammer festgestellt, die Sicherheitshaft laufe am 14. April 2016 ab. Am 13. April 2016 sei festgestellt worden, der Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu. Offenbar stelle man sich nun auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer befinde sich zurzeit im Massnahmenvollzug. Richtig sei aber, dass er sich im Untersuchungsgefängnis befinde und dort nicht behandelt werde. Der Titel für den Freiheitsentzug bestehe somit nicht in der verlängerten Massnahme, vielmehr werde der Beschwerdeführer im Untersuchungsgefängnis zurückbehalten, um den Vollzug der allenfalls zu verlängernden Massnahme zu sichern. Es sei deshalb in Übereinstimmung mit der Verfügung vom 1. April 2016 festzustellen, dass der Beschwerdeführer seit 15. April 2016 zu Unrecht inhaftiert werde. Er bitte daher eindringlich, das Untersuchungsgefängnis anzuweisen, den Beschwerdeführer umgehend zu entlassen. 5.3 Die Staatsanwaltschaft beantragte am 28. April 2016 die Abweisung der Beschwerde und ein Nichteintreten auf das Haftentlassungsgesuch. Eventualiter sei das Haftentlassungsgesuch abzuweisen. 5.4 Der amtliche Verteidiger wies am 6. Mai 2016 nochmals darauf hin, eine durch Zeitablauf beendete Massnahme könne nicht verlängert werden. Die Beschwerdegegnerin habe ihren Verlängerungsantrag um ein paar Jahre verspätet eingereicht. Es bestehe kein Grund, den Beschwerdeführer weiterhin einzusperren. 5.5 Mit Verfügung vom 9. Mai 2016 wies der Instruktionsrichter der Beschwerdekammer den Antrag auf Haftentlassung mit der Begründung ab, es sei bereits in der Verfügung vom 13. April 2016 festgehalten bzw. entschieden worden, dass die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung habe resp. es sei der sinngemässe Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen worden. An diesem Entscheid werde festgehalten. Der Entscheid des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016, mit welchem die für A._ mit Urteil des Obergerichts vom 14. April 2010 angeordnete stationäre Massnahme um fünf Jahre verlängert worden sei, sei daher vollstreckbar. Dass die Massnahme momentan faktisch – aufgrund des Gesuchs des Beschwerdeführers um Versetzung ins Untersuchungsgefängnis – nicht vollzogen werde, ändere daran nichts. Der derzeitige Freiheitsentzug gelte als Massnahme. Gleichzeitig wurde dem Straf- und Massnahmenvollzug Gelegenheit gegeben, zu erklären, ob das Gutachten von Dr. med. C._ vom 1. Oktober 2015 und dessen Ausführungen anlässlich der Verhandlung vor Amtsgericht Olten-Gösgen etwas am ursprünglichen Antrag vom 9. Juli 2014 ändere. Diese Verfügung ist in Rechtskraft erwachsen. 5.6 Das Amt für Justizvollzug, Massnahmenvollzug, wies mit Schreiben vom 23. Mai 2016 darauf hin, die Legalprognose sei unverändert ungünstig und im Vergleich zum Juli 2014 müsse heute auch von einer gänzlich ungünstigen Behandlungsprognose ausgegangen werden. Zum heutigen Zeitpunkt wäre deshalb keine Antragstellung auf Verlängerung der stationären Massnahme mehr erfolgt, sondern wäre in einem ersten Schritt dem Departement des Innern die Aufhebung der stationären Massnahme zufolge Aussichtlosigkeit empfohlen und in einem zweiten Schritt dann ein Antrag an das Gericht lautend auf Anordnung der Verwahrung gestellt worden. III. Überprüfung der Verlängerung der stationären Massnahme 1. Standpunkt der Parteien / Urteil des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 1.1 Das Amt für Justizvollzug begründete den Verlängerungsantrag vom 9. Juli 2014 im Wesentlichen damit, bei A._ bestehe weiterhin Behandlungsbedarf im Rahmen einer stationären Massnahme, um das derzeit noch unverändert hohe Rückfallrisiko für die weitere Begehung von Sexualstraftaten zu senken. Es habe sich zwar seit Behandlungsbeginn immer wieder die Frage gestellt, ob er einer Behandlung überhaupt zugänglich sei, seit August 2013 werde aber eine positive Entwicklung im Vollzugsverlauf beschrieben. Diese lasse hoffen, dass mit ihm doch noch eine Grundlage für den Einstieg in eine vertiefte forensisch-therapeutische Arbeit geschaffen werden könne. 1.2 Das Amtsgericht Olten-Gösgen verlängerte die stationäre Massnahme mit Urteil vom 14. Januar 2016 mit der Begründung, der Beschwerdeführer wehre sich zwar nach wie vor gegen eine Therapie in Bezug auf die ihm attestierte Pädophilie in Form einer pädophilen Nebenströmung, im Übrigen zeige er sich aber grundsätzlich therapiewillig. Es könne daher nicht eine vollständige Weigerungshaltung des Beschwerdeführers hinsichtlich einer geeigneten Therapie angenommen werden. Auch die Aussage von Dr. C._ anlässlich der Hauptverhandlung, wonach ihn die Angaben von A._ zu dessen Therapiewilligkeit in Bezug auf künftige Therapien nicht optimistisch stimmten, sei insofern zu relativieren, als er die beim Beschwerdeführer festgestellten psychischen Störungen grundsätzlich als therapierbar bezeichne. Es erscheine daher nicht ausgeschlossen, dass mit fortschreitender Therapie im Bereich der beim Beschwerdeführer diagnostizierten narzisstischen Persönlichkeitsstörung die Chancen verbessert werden könnten, auch dessen bestehende pädophile Neigung zu behandeln. Der Beschwerdeführer könne daher nicht als untherapierbar bezeichnet werden, weshalb eine Fortführung der Massnahme nicht als aussichtslos einzustufen sei. Eine Verlängerung der Massnahme sei auch verhältnismässig. 1.3 Der Beschwerdeführer stellt sich wie erwähnt auf den Standpunkt (Beschwerdeschrift vom 11. April 2016), das Amt für Justizvollzug habe den Verlängerungsantrag verspätet gestellt und der angefochtene Entscheid sei ca. viereinhalb Jahre nach der rechtlichen Beendigung der Massnahme ergangen. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Massnahme seien aber auch in materieller Hinsicht nicht erfüllt. Abgesehen vom Missverhältnis zwischen der Freiheitsstrafe und dem bereits erstandenen Freiheitsentzug erweise sich eine Massnahme längst nicht mehr als notwendig oder erfolgversprechend. Bezogen auf den Zeitraum von fünf Jahren sei die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Sexualdelikten als mittelgradig bis hoch einzustufen. Ebenfalls bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren sei die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Gewalt- (einschliesslich sexueller Kontakt-)straftaten als hoch zu bewerten. In beiderlei Hinsicht sei nicht zu befürchten, dass der Beschwerdeführer unmittelbar rückfällig werde. Vielmehr sei anzunehmen, dass es nach Monaten oder Jahren zu entsprechenden Straftaten komme. Es erweise sich als nicht verhältnismässig und unter dem Aspekt der fehlenden geeigneten Einrichtung als gesetzeswidrig, den Beschwerdeführer in der nicht vollziehbaren Massnahme zu halten. Einer mittelbaren Rückfallgefahr könne mit milderen Massnahmen wie einer ambulanten Therapie begegnet werden. Der Beschwerdeführer bestreite auch das Vorliegen einer schweren psychischen Störung und eine besondere Gefährlichkeit könne nicht bejaht werden. Vor Obergericht bestätigte der amtliche Verteidiger diese Anträge. Auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Es liege eine so extreme Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Beschwerdeführers vor. Das Amt für Justizvollzug sei nicht antragsberechtigt. Das Verfahren dauere schon mehr als zwei Jahre; seit über einem Jahr werde kein Therapieplatz gesucht. Der Beschwerdeführer warte im Untersuchungsgefängnis, 23 Stunden am Tag. Der Verlängerungsantrag sei um Jahre verspätet gestellt worden. Gemäss BGE 142 IV 105 sei die Dauer des Freiheitsentzugs massgebend. Der Beschwerdeführer sei seit 2006 in Haft. Die Massnahme bestehe rechtlich gar nicht mehr. Selbst bei der Berechnung gemäss Verfügung der Beschwerdekammer seien wieder zwei Jahre vergangen. Der Ablauf der Massnahme sei im Jahre 2014 gewesen. Auch materiell sei die Beschwerde abzuweisen. Die Massnahme könne nicht verlängert werden. Seit einem Jahr sei der Beschwerdeführer im Untersuchungsgefängnis. Es interessiere niemanden, was mit ihm gehe. Nur, dass er hinter Schloss und Riegel sei. Es gebe keine geeignete Anstalt. Fraglich sei zudem, ob überhaupt noch eine schwere psychische Störung vorhanden sei. Man könne den Beschwerdeführer nicht behandeln. Der Gutachter sage klar, die Chance, dass die Massnahme erfolgreich sein könne, gebe es nicht. Die Verlängerung bringe nichts. Man habe von Vollzugslockerungen gesprochen und plötzlich habe man wieder von vorne begonnen; er habe immer neue Therapeuten gehabt und nach sieben Jahren sei ihm von einer Mitarbeiterin des Straf- und Massnahmenvollzugs gesagt worden, man stehe am Anfang. Die Verwahrung drohe ihm heute nicht. Ob die Voraussetzungen dafür vorlägen, sei fraglich. Aber sicher wäre dies für ihn besser als eine stationäre Massnahme, unter der er leide. Das, was er durchgemacht habe, sei schlimmer. Er, der amtliche Verteidiger, habe ihm mal gesagt, er solle mitmachen. Das habe nichts gebracht. Der Beschwerdeführer sage, er habe die diagnostizierten Neigungen nicht. Entweder täusche er uns da oder er habe sie nicht. Der gestellte Eventualantrag sei rechtlich eigentlich gar nicht möglich, weil dieser eine Massnahme voraussetze. Er stelle ihn trotzdem, weil er der Weg für ein ambulantes Setting wäre. So könnten Leitlinien aufgestellt und ein soziales Netz aufgebaut werden. Nach 10 Jahren Freiheitsentzug brauche der Beschwerdeführer ein Minimum an Betreuung. Das könnte die Bewährungshilfe machen. Auch die Heilsarmee könnte unterstützend wirken. Der Beschwerdeführer sei seit 23. August 2011 zu Unrecht in Haft. Dafür sei er mit mindestens CHF 200.00 pro Tag zu entschädigen. Bei einer Abweisung der Beschwerde würde die Suche nach einem Therapieplatz beginnen; es käme die erste Phase mit dem Aufbauen eines Vertrauensverhältnisses, dann wechsle die Therapeutin, vielleicht käme er mal nach St. Johannsen, dort aber wieder zu Beginn in die geschlossenen Abteilung. Das dauere Jahre. 1.4 Die Staatsanwaltschaft führt in ihrer Stellungnahme vom 28. April 2016 aus, das Amt für Justizvollzug habe die Höchstdauer richtig berechnet und den Verlängerungsantrag rechtzeitig gestellt. Die Rückfallgefahr sei gemäss Gutachter hoch; dabei sei unbeachtlich, wie unmittelbar sich diese darstelle. Eine ambulante Massnahme als Ersatz für die verlängerte stationäre Massnahme falle ausser Betracht. Der Gutachter diagnostiziere beim Beschwerdeführer eine schwere psychische Störung. Vor Obergericht beantragte der Staatsanwalt ebenfalls die Weiterführung der stationären Massnahme. Das Amt für Justizvollzug habe den Antrag rechtzeitig gestellt. Dass die Massnahme momentan nicht vollzogen werde, sei darauf zurückzuführen, dass sich der Beschwerdeführer dagegen gestellt habe. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der stationären Massnahme lägen vor: Eine bedingte Entlassung falle wegen der Rückfallgefahr ausser Betracht, es liege eine schwere psychische Störung vor, die Massnahme sei geeignet, der Rückfallgefahr zu begegnen, es bestünden gewisse Erfolgsaussichten und die Massnahme sei auch verhältnismässig. Die Dauer sei auf fünf Jahre festzusetzen. Im Hinblick auf ein allfälliges Rechtsmittelverfahren sei Sicherheitshaft anzuordnen. 2. Therapieverlauf Bezüglich des Therapieverlaufs kann im Wesentlichen auf die Ausführungen des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 verwiesen werden (Ziff. 2.3.4 ff.). 2.1 Der forensisch-psychiatrische Dienst (FPD) der Universität Bern erwähnte im Bericht vom 16. August 2012, der Beschwerdeführer wolle zwar etwas an seiner Situation ändern, jedoch nicht an seinen problematischen Persönlichkeitszügen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Seinen Täterteil spalte er nach wie vor ab und verweigere eine entsprechende selbstkritische Auseinandersetzung. Er könne sein Delikt und seinen pädophilen Persönlichkeitsanteil nicht in sein Selbstbild integrieren, was ein erschwerender Faktor für eine erfolgreiche Therapie sei. Der Beschwerdeführer habe Fortschritte gemacht, diese fielen jedoch im Verhältnis zur notwendigen intensiven Veränderungsarbeit klein aus. Die eingeschliffenen Verhaltensmuster würden derart tief sitzen und die Therapiefähigkeit einschränken. Nur eine sehr intensive Therapie über mehrere Jahre, vorzugsweise in einem spezialisierten, psychotherapeutischen Setting, könnten wahrscheinlich diese Behandlungsschwierigkeiten auflösen. 2.2 Im Bericht vom 23. April 2014 wird ausgeführt, der Beschwerdeführer befinde sich seit dem 8. August 2013 auf der Therapieabteilung TAT der Anstalten Thorberg. Seit dem letzten Therapiebericht vom August 2012 seien mit ihm insgesamt 90 Einzelsitzungen à 60 Minuten durchgeführt worden. Ende Februar 2013 habe aufgrund des Wegganges der Therapeutin E._ ein Therapeutenwechsel zu Frau F._ stattgefunden. Der Beschwerdeführer besuche zudem seit Februar 2014 das R&R2-Training, ein Training zur Vermittlung der für die prosozialen Kompetenzen notwendigen Fertigkeiten und Wertevorstellungen. Es sei die erste Gruppe, die er im Rahmen der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB besuche. Die Mitarbeit sei gut. Er sei immer präsent und denke mit. Er könne sich in der Gruppe einfügen. Es scheine ihm jedoch manchmal etwas schwer zu fallen, sich zurückzunehmen. Eine Teilnahme am Sexualstraftäter-Behandlungs-Programm ASAT würde für ihn eine grosse Herausforderung darstellen. Er habe sich bisher dagegen ausgesprochen, da er ein solch intensives Zusammentreffen mit pädophilen Straftätern als bedrohlich wahrnehme, da er solche Menschen «zutiefst verab-scheue». Das Team des FPD befürworte eine Teilnahme jedoch, da sie dem Patienten unter anderem auch bei der Identitätsfindung helfen könne. Die Therapiemotivation müsse als ambivalent bezeichnet werden. Einerseits komme er zuverlässig zu den Gesprächen, bringe eigene Themen in die Therapie ein und habe sein Misstrauen gegenüber der Therapeutin deutlich abbauen können. Auch der kürzlich stattgefundene Therapeutenwechsel scheine dem keinen Abbruch getan zu haben. Andererseits sei aber immer auch wieder zu spüren, dass er davon ausgehe, eigentlich keine Therapie zu brauchen, da er sich als gesunden Menschen wahrnehme. Eine Veränderungsmotivation im strengen Sinne sei nicht erkennbar. Die Behandlung könne momentan aber nicht als aussichtslos betrachtet werden, da der Beschwerdeführer in einen Therapieprozess habe eingebunden werden können. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht könne noch keine Entlassung empfohlen werden. Die Bedenken, die gegen eine Entlassung sprächen, würden sich aus der Notwendigkeit des nun anstehenden Prozesses einer delikt- und störungsorientierten Therapie ergeben. 2.3 Im Austrittsbericht vom 12. August 2015 hält der FPD fest, der Beschwerdeführer habe zwar regelmässig an Einzelgesprächen teilgenommen, diese äussere, extrinsische Therapiemotivation sei aber zu unterscheiden von einer intrinsischen Veränderungsmotivation. Diese habe bei ihm bisher kaum festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer wolle zwar etwas an seiner momentanen Situation ändern, nicht jedoch an seinen problematischen (nicht zuletzt auch deliktrelevanten) Persönlichkeitszügen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Vielmehr sei er darum bemüht gewesen, das Behandlungsteam zu überzeugen, dass ihn sein Delikt zutiefst traumatisiert habe und er deshalb als Opfer therapeutische Unterstützung brauche. Seinen Täteranteil spalte er nach wie vor ab und verweigere eine entsprechende selbstkritische Auseinandersetzung. Er habe auf seinen Überzeugungen, keine Persönlichkeitsstörung zu haben, keine pädophilen Neigungen zu besitzen, nicht schuld an den sexuellen Übergriffen zu sein und keine Therapie in diesem Sinne zu brauchen, beharrt. Der Beschwerdeführer habe störungsbedingt eine Tendenz, schwierige bzw. belastende Situationen, die er nicht in sein Selbstkonzept integrieren könne, so zu verzerren, dass er sie ertragen könne. Auffallend im bisherigen Therapieverlauf sei, dass der Beschwerdeführer Sachverhalte und Auseinandersetzungen oft ganz anders aufgefasst habe, als sie besprochen worden seien oder stattgefunden hätten. Sein deutlich überschätztes, in weiten Teilen unrealistisch überhöhtes Selbstbild verhindere eine realistische Wahrnehmung von sich selbst und seiner Umwelt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne von keiner erfolgreichen Behandlung gesprochen werden. Die Legalprognose habe sich in keiner Weise bessern lassen. Deshalb müsse weiterhin von einem deutlichen Rückfallrisiko ausgegangen werden. Besondere Risikosituationen würden sich dann ergeben, wenn A._ wieder unbeaufsichtigt Kontakt zu Kindern – namentlich zu minderjährigen Mädchen – haben könnte. Solchen Risikosituationen entgegenzuwirken, wäre das Ziel einer deliktorientierten Therapie mit der Erarbeitung von Risikokonstellationen und einem anschliessenden Risikomanagement mit Notfallplan. Dies sei bei A._ trotz jahrelangen therapeutischen Bemühungen nicht möglich erschienen, weil bis heute bereits die Grundlage einer Therapie (therapeutische Allianz, Problembewusstsein, Störungseinsicht etc.) fehle. Aus dem Verlauf ergäben sich Hinweise, die daran zweifeln liessen, den Beschwerdeführer zu einer aktiven Mitarbeit in der Therapie zu motivieren. Deshalb sei seine therapeutische Beeinflussbarkeit in Frage zu stellen und es werde bezweifelt, dass er therapeutischen Interventionen zugänglich sei. 3. Begutachtung 3.1 Dr. med.G._, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, zertifizierte forensische Psychiaterin SGFP, diagnostizierte beim Beschwerdeführer im Gutachten vom 28. November 2011 (Dossier SMV B) eine Persönlichkeitsstörung vom antisozialen Typus (DSM-IV: 301.7 und ICD-10: F60.2) mit deutlichen psychopathischen Eigenschaften sowie eine Pädophilie vom nicht ausschliesslichen Typus mit primärer Orientierung auf heterosexuelle Handlungen (DSM-IV: 302.2 und ICD-10: F65.4). Zum Therapieverlauf erwähnte sie, der Beschwerdeführer habe im aktuellen Vollzug noch keinerlei Veränderungen in seiner Persönlichkeitsstruktur wie auch in seiner paraphilen Problematik erzielen können. Auffällig sei, dass er auch unter zuweilen erdrückender Beweislast keine Verantwortung für seine Handlungen übernehme und sogleich neue Erklärungen anführe, ohne Verantwortung für sein Tun zu übernehmen oder ein Missbehagen zu zeigen. Auch in Bezug auf die Sexualdelikte zeigten sich bei ihm Eigenschaften, wie sie bei noch nicht therapierten Sexualstraftätern häufig sichtbar seien. Es bestehe ein deutliches strukturelles Rückfallrisiko für weitere sexuelle Handlungen an Kindern. Diesem Rückfallrisiko könnten aufgrund fehlender Therapiefortschritte zum aktuellen Zeitpunkt noch keine deliktpräventiven Effekte entgegengesetzt werden. Das Risiko für Gewalt- und Eigentumsdelikte im bisherigen Spektrum sei ebenfalls als deutlich zu bezeichnen. 3.2.1 Prof. Dr. med. C._, FMH-Schwerpunkt Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, SGFP Zertifikat forensische Psychiatrie, diagnostizierte beim Beschwerdeführer im Gutachten vom 1. Oktober 2015 eine andere spezifische Persönlichkeitsstörung (narzisstische Persönlichkeitsstörung; ICD-10: F60.8) mit Dissozialität (Psychopathy) und paranoiden Zügen, sowie eine Pädophilie (ICD-10: F65.4) im Sinne des nicht ausschliesslichen Typus, ausgerichtet auf vorpubertäre Kinder beiderlei Geschlechts. Bezüglich der Rückfallgefahr hielt der Gutachter fest, bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren sei die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Sexualdelikten als mittelgradig bis hoch einzustufen. Ebenfalls bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren sei die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Gewalt- (einschliesslich sexueller Kontakt-)straftaten als hoch zu bewerten. In beiderlei Hinsicht (Sexualstraftaten bzw. Gewalt- und/oder sexuelle Kontaktstraftaten) sei nicht zu befürchten, dass A._ unmittelbar rückfällig werde. Vielmehr sei anzunehmen, dass es nach Monaten oder Jahren (also mittel- bis langfristig) zu entsprechenden Straftaten komme. Die zu erwartende Tatschwere ergebe sich dabei aus der bisher gezeigten Delinquenz. Demnach erschienen, neben sexuellen Handlungen mit Kindern, auch erhebliche Straftaten gegen die sexuelle Integrität (Schändung, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung) plausibel. Da der Beschwerdeführer nach wie vor nicht einzugestehen vermöge, dass sexuelle Erregung und Kindlichkeit für ihn durchaus kompatibel seien, stünden ihm bislang auch noch keine Warnzeichen zu Gebote, an denen er die Vorgestalten einer bevorstehenden Tat erkennen könnte. Die mehrjährigen Bemühungen verschiedener Therapeutinnen und Therapeuten hätten keine relevanten Veränderungen gezeitigt. Bis heute, nach 239 therapeutischen Einzelsitzungen in den Anstalten Witzwil und Thorberg, schildere der Beschwerdeführer die Anlasstat in annähernd gleicher Weise wie vor Beginn der stationären Massnahme. Von den behördlich wie therapeutisch Verantwortlichen sei wiederholt auf die Indikation der Teilnahme an einer Behandlungsgruppe für Sexualstraftäter hingewiesen worden; die Teilnahme an einer solchen Gruppe sei für ihn jedoch nicht infrage gekommen, weil sein Selbstbild (jedenfalls kein Pädophiler, und ein Kindsmissbraucher gleichsam durch einen Unfall geworden zu sein) hierdurch massiv gefährdet worden wäre. Damit schliesse sich der Kreis aus fehlender Störungseinsicht und therapeutischem Erfordernis: A._ könne nicht zugeben, was aus seiner Sicht nicht sein dürfe. Die Behandler seien dadurch gezwungen, an Symptomen zu laborieren, die für die Senkung des Rückfallrisikos nicht zentral seien. Somit bleibe die deliktrelevante Kernproblematik i.S. eines Wechselspiels zwischen narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Paraphilie unbearbeitet und auch unbearbeitbar. Die bisherigen Bemühungen im Sinne eines «viel hilft viel» fortsetzen zu wollen, eventuell auch in einem anderen Setting, erschienen nicht erfolgversprechend. Aus Sicht der Untersucher seien auf Seiten des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für eine Therapie (in Sinne von Motivation und Bereitschaft oder der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bei der Darlegung von Deutungen) nicht vorhanden und stünden ihres Erachtens keine anderen Therapieangebote im stationären Bereich des Justiz- oder Massnahmenvollzugs zur Verfügung, die geeignet wären, den skizzierten Kreislauf aufzulösen. 3.2.2 Anlässlich der Verhandlung vor Amtsgericht Olten-Gösgen vom 6. Januar 2016 bestätigte Dr. C._ diese Einschätzungen. Bezüglich einer allfälligen Relativierung seiner Aussagen, wonach die Voraussetzungen für eine Therapie beim Beschwerdeführer nicht vorhanden seien und wonach keine anderen Therapieangebote im stationären Bereich zur Verfügung stünden, führte er aus, was eine Relativierung ermöglich könnte, wäre zumindest eine Bereitschaft, sich mit dem Themenkomplex der sexuellen Ansprechbarkeit durch Kinder inhaltlich auseinanderzusetzen; und auch zuzulassen, dass man mit der Tätergruppe der pädophilen Straftäter in einen Topf geworfen werde. Darüber hinaus brauche es die Fähigkeit bzw. Bereitschaft, die Konfrontation mit eigenen problematischen Denk- und Verhaltensstilen zuzulassen. Ohne diese Voraussetzung laufe eine Psychotherapie ins Leere. Letztlich werde dann das Thema der Therapie und nicht der Klient Thema. Dieses «viel hilft viel» könne man ins Unendliche fortsetzen und es bringe nichts. Das Problem hinsichtlich der Therapie sei das gewesen, dass bislang aufgrund dieser Selbstwertproblematik bei der Konfrontation mit problematischen Verhaltensweisen zwei Reaktionsstyle imponierten und beide seien für die Durchführung einer Therapie hochproblematisch bzw. verhinderten diese. Der erste sei, dass der Beschwerdeführer frustriert und bei zunehmender Konfrontation ärgerlich reagiere und es zu einem Abbruch oder Verweigerung komme. Zum anderen werde das Thema verlagert und vermeintliches Fehlverhalten der Justiz oder der Therapeuten zum Gegenstand der Therapie. Er sehe bei Herrn A._ im Moment keine erfolgversprechenden Aussichten; das Ganze drehe sich seit acht Jahren im Kreis und er sehe im Moment nicht, dass ihm der Ausstieg daraus gelingen werde. Einlassen heisse nicht unterwerfen, aber sich mit der Denkfigur der pädophilen Neigungen auseinanderzusetzen und es sei nicht möglich gewesen, mit ihm auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Er müsse wollen und die Frage sei, ob er das wolle. Auch die heutigen Antworten von Herrn A._ stimmten ihn nicht optimistisch in Bezug auf eine künftige Therapie und er könne seine Aussagen auf S. 114 des Gutachtens nicht relativieren, nein. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer pädophile Neigungen bestreite, mache ihn nicht gefährlicher, aber es mache es ihm weiterhin schwierig, mit der Gefahr umzugehen, da er keine Strategien habe, damit umzugehen. Einen Einfluss auf seine Aussage zur Rückfallgefahr habe das nicht, diese bleibe die gleiche. Dass er gesagt habe, es sei keine unmittelbare Rückfallgefahr zu befürchten, sei darauf zurückzuführen, dass die pädophile Problematik von Herrn A._, die relevant sei für das Rückfallrisiko, nicht so relevant sei, dass diese jede andere Form von Sexualität ausschliesse, wie zum Beispiel bei der Kernpädophilie. Auf die Frage, was es heisse, die dissoziale Persönlichkeitsstörung sei unter die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu subsumieren, führte Dr. C._ aus, Persönlichkeitsstörungen hätten Überschneidungspotential; er sehe die narzisstische im Vordergrund und entscheidend, welche die Therapie dermassen erschwere oder gar verunmögliche. Narzisstische Persönlichkeitsstörungen liessen sich behandeln, wenn der Betroffene sich behandeln lassen wolle. Und auch die Kombination der dissozialen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Psychopathy liessen sich behandeln, aber der Anspruch sei ungleich höher und auch der Zeitraum, der für die Behandlung zu veranschlagen sei. Auf die Frage, wie der Beschwerdeführer zu behandeln wäre, um das mittel- und langfristige Rückfallrisiko zu senken, antwortete Dr. C._, er sehe im Moment keine Möglichkeit, ihn zu behandeln. 3.2.3 Vor Obergericht führte C._ aus, die von ihm gestellten Diagnosen blieben immer noch gleich, er erlebe Herrn A._ heute ähnlich wie bei den Untersuchungsgesprächen und auch die kriminalprognostischen Bedenken seien immer noch die gleichen. Es sei nicht zu erwarten, dass man mit einer Therapie nur einen Zentimeter vorwärts komme. Nochmals zu verlängern bringe daher nichts. Es gebe keinen Einstieg in eine konstruktive Therapie. Auch von einer ambulanten Therapie im Sinne eines Einsteigens in einen therapeutischen Prozess würde er nichts erwarten. Was man machen könne, wäre ein soziales Netz so zu spannen, dass auftretende Probleme und Krisen schnell aufgefangen werden könnten. Das sei das einzig realistisch Machbare. Aber auch hier gelte, dass der Beschwerdeführer die Problematik seines Verhaltens nicht anerkenne. Eine ambulante Therapie würde daher nur einen regelmässigen Kontakt und eine Kontrolle, ob er Drogen nimmt, bringen. Das sei besser als nichts. Ein psychotherapeutischer Prozess, der eine deutliche Veränderung der Persönlichkeit und der sexuellen Ausrichtung bringen würde, würde er nicht erwarten. Man müsste versuchen, die Bewährungshilfe so eng zu machen, dass alles frühzeitig auffalle. Offen sei aber, welche Interventionsmöglichkeiten man dann hätte. Dass er keine unmittelbare Rückfallgefahr sehe, heisse nicht, dass keine Gefahr bestehe; es bestehe nie keine Gefahr. Aber er sehe sie nicht auf unmittelbare Sicht, sondern im weiteren Verlauf, wenn sich der Beschwerdeführer in Konflikte verstricke und er in Versuchungssituationen so reagieren könnte wie 2006. Auch ein eng gestecktes Risikomanagement könnte das nicht in der Situation verändern; man könnte einfach vorher merken, wenn es Probleme gebe und dann noch engmaschiger betreuen. Aber es bleibe ein Versuch. Dass eine ambulante Therapie die Rückfallgefahr entscheidend relativieren könnte, könne man nicht sagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei optimalem Verlauf (Herstellung eines therapeutischen Bündnisses, Hilfeersuchen) eine Änderung eintrete, sei gering. Die Rückfallgefahr bleibe mittel bis hoch. Drogen spielten im Hinblick auf die Rückfallgefahr eine untergeordnete Rolle. Sie seien ein gewisser Risikofaktor, aber nicht die Kernproblematik. Auf die Frage, ob es in unserem System eine Möglichkeit für so ein soziales Netz gebe, meinte Dr. C._, die Versorgung müsste so gestaltet sein, dass die betreuende Person möglichst nahe wäre. Dies müsse kein Arzt oder Psychotherapeut sein. Es ginge auch ein erfahrener und kompetenter Bewährungshelfer mit einem stabilen Nervenkostüm, der eng am Mann sei, der rausfahren könne, sich ein Bild vom persönlichen Umfeld mache, bestimmte behördliche Sachen erledige, Kontakt zum Arbeitgeber habe etc. Es ginge um ein Coachingmodell. Dies sei eine Vision von Nachsorge, offen sei aber, wie realistisch das sei im Moment. Es gehe eher weniger um Psychotherapie, sondern mehr um Sozialarbeit. Massnahmen des Erwachsenenschutzes sehe er eher weniger (vgl. im Detail das separate Einvernahmeprotokoll). 4. Rechtliche Würdigung 4.1 Rechtzeitigkeit des Verlängerungsantrags 4.1.1 Der Beschwerdeführer machte bereits vor Amtsgericht Olten-Gösgen geltend und wiederholt dies im Beschwerdeverfahren, das Amt für Justizvollzug habe die Frist zur Verlängerung der Massnahme um mehrere Jahre verpasst. Das Amtsgericht hätte deshalb nicht auf den Verlängerungsantrag eintreten dürfen. 4.1.2 Das Bundesgericht hat in BGE 142 IV 105 (6B_640/2015 vom 25. Februar 2016) ausgeführt, die zeitliche Begrenzung von Art. 59 Abs. 4 StGB stelle sicher, dass ein Gericht regelmässig überprüfe, ob die Massnahme und damit letztlich der mit ihr verbundene Freiheitsentzug noch verhältnismässig sei. Dies könne indes nur er-reicht werden, wenn nicht allein der Freiheitsentzug während der stationären Behandlung in einer geeigneten Einrichtung oder einer Strafanstalt (vgl. Art. 59 Abs. 2 und 3 StGB) berücksichtigt werde, sondern auch jener, während dem der Betroffene nach dem gerichtlichen Massnahmeentscheid ohne Behandlung in einer Straf- oder Haftanstalt auf den Behandlungsbeginn warte. Denn der Staat greife nicht erst mit Antritt der effektiven Behandlung des Massnahmeunterwor-fenen in dessen Freiheitsrecht ein; vielmehr sei dieser auch während der Zeit, in der er nach der gerichtlichen Anordnung einer Massnahme in einer Straf- oder Haftanstalt auf einen Behandlungsplatz warte, gestützt auf einen rechtskräftigen Massnahmeentscheid in seinem Freiheitsrecht beschränkt. Da der Aufenthalt in einer Straf- oder Haftanstalt einen mit der stationären Behandlung verbundenen Freiheitsentzug darstelle, sei dieser bei der Massnahmedauer zu berücksichtigen, andernfalls der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug verlängert würde. Zusammengefasst ergebe sich, dass die fünfjährige Dauer von Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB mit der gerichtlichen Anordnung der Massnahme beginne. Es rechtfertige sich daher, den Beginn der Dauer gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB von einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid abhängig zu machen. Dies könne dazu führen, dass die effektive Behandlungsdauer um die nach dem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid ohne Behandlung in einer Haftanstalt verbrachte Zeit verkürzt werde. 4.1.3 Das Amt für Justizvollzug, Straf- und Massnahmenvollzug, hat in seiner Berechnung gemäss Antrag vom 9. Juli 2014 auf das rechtskräftige Urteil des Obergerichts vom 14. April 2010 abgestellt, an die fünfjährige Dauer der Massnahme zu Gunsten des Beschwerdeführers den vorzeitigen Massnahmenvollzug vom 9. Januar bis 9. Mai 2007 (120 Tage) angerechnet und die Höchstdauer der Massnahme auf den 14. Dezember 2014 terminiert. Diese Berechnungsweise, d.h. das Abstellen auf den rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid, mit welchem die Massnahme angeordnet worden war, steht im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Denn die Frage, ob und inwiefern die vor dem rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteil ausgestandene Sicherheitshaft zu berücksichtigen ist und wie zu entscheiden wäre, wenn der Beschwerdeführer die Massnahme vorzeitig angetreten hätte, hat das Bundesgericht ausdrücklich offen gelassen. Aus BGE 142 IV 105 kann daher nicht gefolgert werden, es sei dem Beschwerdeführer der vor dem 14. April 2010 ausgestandene Freiheitsentzug anzurechnen. Dass das Amt für Justizvollzug den vorzeitigen Massnahmenantritt vom 9. Januar bis 9. Mai 2007 anrechnete, erfolgte zu Gunsten des Beschuldigten und bedeutet nicht, dass ihm der gesamte Freiheitsentzug anzurechnen wäre. 4.1.4 Im Übrigen hatte die Beschwerdekammer bereits im unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Entscheid vom 15. Juni 2015 betr. Verlängerung der Sicherheitshaft festgehalten, die stationäre therapeutische Massnahme sei am 14. Dezember 2014 ausgelaufen (BKBES.2015.40). Auch in der unangefochten gebliebenen Verfügung vom 13. April 2016 wurde zu dieser Berechnungsweise Stellung genommen. Schliesslich weist das Amtsgericht Olten-Gösgen im Entscheid vom 14. Januar 2016 zu Recht darauf hin, dass der Straf- und Massnahmenvollzug – folgte man der Argumentationsweise des amtlichen Verteidigers – in all jenen Fällen, in welchen bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils mehrere Jahre vergehen, das Nachentscheidverfahren immer bereits dann einleiten müsste, sobald die Dauer des Freiheitsentzugs gesamthaft bereits 5 Jahre erreicht hat und zwar unabhängig davon, ob die vom urteilenden Gericht konkret angeordnete Massnahme bereits begonnen hat oder nicht. Dies könne nicht sein. 4.1.5 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Amtsgericht Olten-Gösgen zu Recht auf den Verlängerungsantrag des Amtes für Justizvollzug eingetreten ist und der Antrag ist auch von der zuständigen Behörde ausgegangen. 4.2 Rechtliche Voraussetzungen für die Verlängerung einer laufenden Massnahme 4.2.1 Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen (Art. 59 Abs. 4 StGB). Bei der Prüfung der Verlängerung ist, über die ordentliche Prüfung der Indikation der Massnahme hinaus, dem Prinzip der Verhältnismässigkeit verstärkt Beachtung zu schenken, zumal der Verlängerung der Massnahme im Grunde Ausnahmecharakter zukommt bzw. diese besonders zu begründen ist. Eine Begutachtung durch einen Sachverständigen ist dabei allerdings nicht zwingend erforderlich (BGE 135 IV 139, E. 2.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_1190/2013 vom 26. Mai 2014). Die gesetzlich geschaffene Möglichkeit der Massnahmenverlängerung knüpft mithin an zwei Bedingungen an. Sie erfordert zunächst, dass die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Art. 62 StGB noch nicht gegeben sind, dem Täter prospektiv also noch keine günstige Prognose gestellt werden kann. Sodann muss – im Sinne von Art. 59 Abs. 4 StGB – erwartet werden können, dass sich durch die Fortführung der Massnahme der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen lasse (BGE 135 IV 139, E. 2.2.1 und 2.3.1). Sind diese gesetzlichen Voraussetzungen gegeben, so kann das zuständige Gericht die Massnahme nach dem Gesetzeswortlaut um jeweils höchstens fünf Jahre verlängern. Aus dieser Formulierung ergibt sich zunächst, dass eine Massnahmenverlängerung selbst bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen nicht zwingend erfolgen muss («Kann-Vorschrift»). Das Gericht hat insofern abzuwägen, ob die vom Betroffenen ausgehende Gefahr den mit der Verlängerung der Massnahme verbundenen Eingriff in seine Freiheitsrechte zu rechtfertigen vermag. Dabei kann nur die Gefahr relativ schwerer Delikte eine Verlängerung rechtfertigen. Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt jedoch nicht nur in Bezug auf die Anordnung der Massnahmenverlängerung als solche Beachtung, sondern auch hinsichtlich ihrer Dauer (Art. 56 Abs. 2 StGB). Nach dem Gesetzeswortlaut darf die Massnahme, wie erwähnt, um höchstens fünf Jahre verlängert werden. Daraus folgt unmissverständlich, dass im Einzelfall auch eine Verlängerungsdauer von weniger als fünf Jahren in Frage kommen kann (BGE 135 IV 139 E. 2.4). Dabei sind im Zusammenhang mit der im zu beurteilenden Fall konkret anzuordnenden Verlängerungsdauer sämtliche in dieser Hinsicht rechtsrelevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere auch die von einem Gutachter in dieser Hinsicht abgegebene Empfehlung bezüglich der konkreten Dauer der Verlängerung (BGE 135 IV 139 E. 2.4.2). 4.2.2 Begründetheit des Gutachtens Das Bundesgericht hat sich im Entscheid 6B_951/2009 vom 26.2.2010, E. 1.3 zum Beweiswert von Arztberichten im Zusammenhang mit der Prüfung einer bedingten Entlassung aus dem Massnahmenvollzug geäussert. Dabei hat es einleitend auf den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verwiesen, wonach Beweise ohne Bindung an förmliche Beweisregeln sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen sind, und zwar unabhängig davon, von wem sie stammen. Hinsichtlich eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die vorgebrachten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Der Richter weicht bei Gerichtsgutachten nach der Praxis nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des medizinischen Experten ab, dessen Aufgabe es ist, seine Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist oder wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu anderen Schluss-folgerungen gelangt. Eine abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Richter als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass er die Überprüfung durch einen Oberexperten für angezeigt hält, sei es, dass er ohne Oberexpertise vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (6B_951/2009, E. 2.3.). Am 1. Oktober 2015 legte Dr. med. C._, zertifizierter forensischer Psychiater SGFP, ein ausführliches psychiatrisches Gutachten vor. Dieses stützt sich auf die umfangreichen Vorakten ab und erfolgte in Kenntnis der früher erstellten psychiatrischen Gutachten, mit welchen es sich auseinandersetzt. Es nimmt zu den entscheidenden Fragen der Diagnosestellung und Legalprognose in klarer Weise Stellung. Das Gutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, weshalb ihm voller Beweiswert zukommt. 4.2.3 Vorliegen einer schweren psychischen Störung Der Beschwerdeführer macht geltend, er leide nicht an einer schweren psychischen Störung i.S.v. Art. 59 Abs. 1 StGB (Ziff. 11 der Beschwerde) resp. diese sei fraglich (Ausführungen vor Obergericht). Es trifft zu, dass die Anordnungsvoraussetzungen für eine Massnahme auch im Verlängerungsverfahren zu prüfen sind und Voraussetzung für die Anordnung resp. Verlängerung einer Massnahme das Leiden an einer psychischen Störung ist. Dabei ist ausdrücklich erforderlich, dass die psychische Störung von einiger Erheblichkeit resp. einiger Schwere ist (Marianne Heer/Elmar Habermeyer in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Auflage 2013, Art. 59 N 22). Frau Dr. G._ diagnostizierte beim Beschwerdeführer im Gutachten vom 28. November 2011 eine Persönlichkeitsstörung vom antisozialen Typus (DSM-IV: 301.7 und ICD-10: F60.2) mit deutlichen psychopathischen Eigenschaften sowie eine Pädophilie vom nicht ausschliesslichen Typus mit primärer Orientierung auf heterosexuelle Handlungen (DSM-IV: 302.2 und ICD-10: F65.4). Dr. C._ diagnostizierte im Gutachten vom 1. Oktober 2015 eine andere spezifische Persönlichkeitsstörung (narzisstische Persönlichkeitsstörung; ICD-10: F60.8) mit Dissozialität (Psychopathy) und paranoiden Zügen, sowie eine Pädophilie (ICD-10: F65.4) im Sinne des nicht ausschliesslichen Typus, ausgerichtet auf vorpubertäre Kinder beiderlei Geschlechts. Diese Persönlichkeitsstörung und die Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie erfüllen die Voraussetzungen an eine schwere psychische Störung. Sie stehen gemäss den Aussagen der Gutachter auch in engem Zusammenhang mit den Straftaten und sind die Ursache für die erwähnte Rückfallgefahr bezüglich der Sexualdelikte. Dies hat bereits das Obergericht im Urteil vom 14. April 2010 festgehalten. Der Beschwerdeführer begründet denn auch nicht näher, weshalb er dieses Erfordernis für die Anordnung resp. Verlängerung der Massnahme nicht als erfüllt sieht. 4.2.4 Eignung der Massnahme Damit eine stationäre Massnahme verlängert werden kann, muss – im Sinne von Art. 59 Abs. 4 StGB – erwartet werden können, dass sich durch die Fortführung der Massnahme der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen lasse. Diese Voraussetzung ist vorliegend aus folgenden Gründen nicht erfüllt: Dr. C._ wies im Gutachten vom 1. Oktober 2015 ausdrücklich darauf hin, die mehrjährigen Bemühungen verschiedener Therapeutinnen und Therapeuten hätten keine relevanten Veränderungen beim Beschwerdeführer gezeitigt. Bis heute schildere der Beschwerdeführer die Anlasstat in annähernd gleicher Weise wie vor Beginn der stationären Massnahme, er sehe die Indikation der Teilnahme an einer Behandlungsgruppe für Sexualstraftäter nicht ein und lehne eine entsprechende Therapie ab. Damit schliesse sich der Kreis aus fehlender Störungseinsicht und therapeutischem Erfordernis: A._ könne nicht zugeben, was aus seiner Sicht nicht sein dürfe. Die deliktrelevante Kernproblematik i.S. eines Wechselspiels zwischen narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Paraphilie bleibe unbearbeitet und auch unbearbeitbar. Die bisherigen Bemühungen im Sinne eines «viel hilft viel» fortsetzen zu wollen, eventuell auch in einem anderen Setting, erschienen nicht erfolgversprechend. Aus Sicht der Untersucher seien auf Seiten des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für eine Therapie (in Sinne von Motivation und Bereitschaft oder der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme bei der Darlegung von Deutungen) nicht vorhanden und stünden ihres Erachtens keine anderen Therapieangebote im stationären Bereich des Justiz- oder Massnahmenvollzugs zur Verfügung, die geeignet wären, den skizzierten Kreislauf aufzulösen. Wie bereits dargelegt, bestätigte Dr. C._ diese Einschätzungen anlässlich der Verhandlung vor Amtsgericht Olten-Gösgen. Eine Relativierung seiner Aussagen könnte nur ermöglichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest eine Bereitschaft zeigen würde, sich mit dem Themenkomplex der sexuellen Ansprechbarkeit durch Kinder inhaltlich auseinanderzusetzen und er auch zulassen würde, mit der Tätergruppe der pädophilen Straftäter in einen Topf geworfen zu werden. Darüber hinaus brauche es die Fähigkeit bzw. Bereitschaft, die Konfrontation mit eigenen problematischen Denk- und Verhaltensstilen zuzulassen. Ohne diese Voraussetzung laufe eine Psychotherapie ins Leere. Letztlich werde dann das Thema der Therapie und nicht der Klient Thema. Dieses «viel hilft viel» könne man ins Unendliche fortsetzen und es bringe nichts. Er sehe bei Herrn A._ im Moment keine erfolgversprechenden Aussichten; das Ganze drehe sich seit acht Jahren im Kreis und er sehe im Moment nicht, dass ihm der Ausstieg daraus gelingen werde. Auch die heutigen Antworten von Herrn A._ stimmten ihn nicht optimistisch in Bezug auf eine künftige Therapie und er könne seine Aussagen auf S. 114 des Gutachtens nicht relativieren. Narzisstische Persönlichkeitsstörungen liessen sich zwar behandeln; der Betroffene müsse sich aber behandeln lassen wollen. Auch die Kombination der dissozialen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Psychopathy liessen sich behandeln, aber der Anspruch sei ungleich höher und auch der Zeitraum, der für die Behandlung zu veranschlagen sei. Er sehe im Moment keine Möglichkeit, den Beschwerdeführer zu behandeln. Auch vor Obergericht bestätigte Dr. C._ diese Einschätzungen. Es sei nicht zu erwarten, dass man mit einer Therapie auch nur einen Zentimeter vorwärts komme (vgl. III Ziff. 3.2.3). Aus dem Austrittsbericht des FPD vom 12. August 2015 geht ebenfalls hervor, dass der Beschwerdeführer zwar regelmässig an Einzelgesprächen teilgenommen hat, dass eine Veränderungsmotivation aber kaum hatte festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer wolle zwar etwas an seiner momentanen Situation ändern, nicht jedoch an seinen problematischen (nicht zuletzt auch deliktrelevanten) Persönlichkeitszügen, Einstellungen und Verhaltensweisen. Den Täteranteil spalte er nach wie vor ab und verweigere eine entsprechende selbstkritische Auseinandersetzung. Er habe auf seinen Überzeugungen, keine Persönlichkeitsstörung zu haben, keine pädophilen Neigungen zu besitzen, nicht schuld an den sexuellen Übergriffen zu sein und keine Therapie in diesem Sinne zu brauchen, beharrt. Es könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer erfolgreichen Behandlung gesprochen werden. Die Legalprognose habe sich in keiner Weise bessern lassen. Aus dem Verlauf ergäben sich Hinweise, die daran zweifeln liessen, den Beschwerdeführer zu einer aktiven Mitarbeit in der Therapie zu motivieren. Deshalb sei seine therapeutische Beeinflussbarkeit in Frage zu stellen und es werde bezweifelt, dass er therapeutischen Interventionen zugänglich sei. Diese Zweifel vermochte der Beschwerdeführer auch an der heutigen Verhandlung nicht auszuräumen. Er führte aus, alles gemacht zu haben und es sei alles gemacht worden. Die Therapie habe das gebracht, was sie habe bringen können. Er sei nicht pädophil und brauche deshalb auch keine Therapie deswegen. Er verstehe den Sinn einer solchen Therapie nicht. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Olten-Gösgen gibt es somit aus heutiger Sicht keine Anhaltspunkte dafür, dass mit einer adäquaten therapeutischen Massnahme in absehbarer Zeit das Rückfallrisiko erkennbar reduziert werden könnte. Das Amtsgericht erwähnt zwar zu Recht, es liege beim Beschwerdeführer keine vollständige Weigerungshaltung hinsichtlich einer Therapie vor, diese «Bereitschaft» bezieht sich indessen nicht auf eine Therapie der Pädophilie. Eine solche Therapie lehnte der Beschwerdeführer vor Amtsgericht ausdrücklich ab, er könne nichts damit anfangen. Dabei verwies er insbesondere auf die Therapeutin Frau E._. Diese habe mit ihm instabile Persönlichkeit therapiert und habe in ihrem Bericht festgehalten, er habe keine sexuellen Phantasien in Bezug auf Kinder. Das bedeute, dass er keine Therapie wegen Pädophilie brauche. Diesbezüglich ist indessen zu erwähnen, dass Frau E._ in ihrem Bericht vom 23. April 2014 nicht die Meinung äussert, der Beschwerdeführer brauche keine Therapie wegen Pädophilie. Sie legt zwar dar, der Beschwerdeführer habe jegliches sexuelles «Sichhingezogenfühlen» zu Kindern resp. jungen Mädchen verneint (womit sie aber nur die Auffassung des Beschwerdeführers wiedergibt) und sie attestiert dem Beschwerdeführer auch «nur» eine Verdachtsdiagnose der Pädophilie vom nicht ausschliesslichen Typus. Sie erwähnt aber ausdrücklich, dass dieser Punkt im kommenden Therapieverlauf im Fokus stehe und sie befürwortete eine Teilnahme am Sexualstraftäter-Behandlungsprogramm ASAT-Suisse. Der Beschwerdeführer berief sich immer wieder auf die angeblichen Aussagen von Frau E._, wonach er keine Therapie wegen Pädophilie brauche und auch sonst gesund sei. Daran hielt er selbst dann fest, als er mit den dieser Auffassung widersprechenden KG-Einträgen und Therapieberichten konfrontiert wurde und Frau E._ ihm ihre Sicht in einem dreistündigen Gespräch dargelegt hatte (vgl. Austrittsbericht des FPD vom 12. August 2015, S. 9; Therapiebericht vom 16. August 2012, unterzeichnet von Frau E._ und Dr. med. H._). Die angebliche Nichtnotwendigkeit einer Therapie wegen Pädophilie lässt sich somit nicht auf die Auffassungen von Frau E._ stützen. Das Amtsgericht erwähnt im Weiteren auch zu Recht, Dr. C._ gehe von einer grundsätzlichen Behandelbarkeit der psychischen Störungen des Beschwerdeführers aus. Der Schluss daraus, angesichts dieser Einschätzung erscheine es nicht ausgeschlossen, dass sich mit fortschreitender Therapie im Bereich der diagnostizierten narzisstischen Persönlichkeitsstörung auch die Chancen auf eine Behandlung der pädophilen Neigung verbessern liessen, findet aber im Therapieverlauf und auch in den Einschätzungen des Gutachters keine Stütze. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Jahren in einer Therapie ohne jeglichen Erfolg in Bezug auf die Problematik der Pädophilie. Auch Dr. C._ erwähnt, die mehrjährigen Bemühungen verschiedener Therapeutinnen und Therapeuten hätten keine relevanten Veränderungen beim Beschwerdeführer gezeitigt. Die deliktrelevante Kernproblematik i.S. eines Wechselspiels zwischen narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Paraphilie bleibe unbearbeitet und auch unbearbeitbar. Die Voraussetzungen für eine Therapie seien beim Beschwerdeführer nicht vorhanden und es stünden keine anderen Therapieangebote im stationären Bereich des Justiz- oder Massnahmenvollzugs zur Verfügung, die geeignet wären, den skizzierten Kreislauf aufzulösen. Vor Amtsgericht wiederholte er diese Einschätzung und vor Obergericht führte er zur Argumentation der Vorinstanz, es sei nicht ausgeschlossen, dass mit fortschreitender Therapie im Bereich der beim Beschwerdeführer diagnostizierten narzisstischen Persönlichkeitsstörung die Chancen verbessert werden könnten, auch dessen bestehende pädophile Neigung zu behandeln, aus, der Widerstand wäre zu gross. Es gebe keinen Einstieg in eine konstruktive Therapie. Ein gewisses Problembewusstsein müsse da sein und mit dem Beschwerdeführer komme man keinen Zentimeter weiter. Nochmals zu verlängern bringe daher nichts. 4.3 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich die Verlängerung der stationären Massnahme nicht rechtfertigen lässt. Ohne eine Bereitschaft des Beschwerdeführers, auch die diagnostizierte Pädophilie behandeln zu lassen, sind die Erfolgsaussichten der Massnahme zu gering. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine Prüfung der weiteren Voraussetzung für eine Verlängerung einer Massnahme, nämlich, ob die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung noch nicht gegeben sind. Das Urteil des Amtsgerichts von Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 ist somit aufzuheben. IV. Folgen dieser Aufhebung 1. Zunächst ist zu erwähnen, dass sich die Frage der Anordnung einer nachträglichen Verwahrung im vorliegenden Verfahren nicht stellt, was die Parteien ausdrücklich bestätigten. Es liegt auch kein entsprechender Antrag vor. Zudem würde diese Prüfung eine Schlechterstellung für den Beschwerdeführer bedeuten, hat doch lediglich er den Verlängerungsentscheid des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 angefochten. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Entscheid keine Beschwerde erhoben. 2. Wie bereits mehrfach ausgeführt, ist die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Sexualdelikten auf einen Zeitraum von fünf Jahren bezogen gestützt auf das Gutachten von Dr. C._ als mittelgradig bis hoch einzustufen. Ebenfalls bezogen auf einen Zeitraum von fünf Jahren sei die Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung von Gewalt- (einschliesslich sexueller Kon- takt-)straftaten als hoch zu bewerten. An dieser Einschätzung hielt der Gutachter sowohl vor Amtsgericht Olten-Gösgen wie auch vor Obergericht ausdrücklich fest. Der Beschwerdeführer kann daher nicht sofort und ohne weiteres in Freiheit entlassen werden. Hingegen ist zu beachten, dass der Gutachter nicht von einer unmittelbaren Rückfallgefahr ausgeht. In den ersten Monaten in Freiheit seien erneute Delikte nicht wahrscheinlich. Zudem liegt beim Beschwerdeführer keine Kernpädophilie, sondern eine solche des nicht ausschliesslichen Typus (sogenannte pädophile Nebenströmung; ausgerichtet auf vorpubertäre Kinder beiderlei Geschlechts) vor, deren Diagnose auf den beiden Verurteilungen aus den Jahren 1999 und 2006 (vgl. Gutachten S. 115; heutige Aussagen auf die Frage von Rechtsanwalt Jeker) beruht. 3.1 Nach Art. 63 StGB kann das Gericht bei einer schweren psychischen Störung anstelle einer stationären eine ambulante Behandlung anordnen. In den meisten Fällen beinhaltet die Behandlung eine Psychotherapie. Denkbar sind aber unzählige Arten von Therapien. Diese brauchen nicht notwendigerweise ärztlicher Natur zu sein. Das Bundesgericht betonte in seiner neueren Praxis die hauptsächliche Zielrichtung des Strafgesetzes, die nicht in einer Förderung der Gesundheit der Straftäter, sondern in der General- und Spezialprävention besteht. Eine ärztliche Behandlung wird entsprechend nur als eines der möglichen Mittel erachtet, um diesen Anliegen gerecht zu werden. Mit einer Therapie soll nach moderner Auffassung nunmehr die Fähigkeit geschaffen werden, mit einer geistigen Abnormität sozialverträglich umzugehen. Dabei soll nicht primär eine Besserung der geistigen Gesundheit angestrebt werden, sondern die Therapie soll eher auf eine Begleitung und Führung als auf eine fachkundige Heilbehandlung hinauslaufen. Trotz dieser Lockerung der Praxis gilt als Richtschnur immer noch, dass die Massnahme den Charakter einer Behandlung haben muss. Blosse Betreuung etwa durch eine Fürsorgestelle genügt nicht. Entsprechende Bemühungen haben auf eine Heilung oder zumindest eine Beherrschung der psychischen Störung oder Abhängigkeit abzuzielen und sollen nicht, oder nicht nur, eine Beeinflussung der äusseren Lebenssituation beinhalten. Entsprechende Abgrenzungsschwierigkeiten sind hier allerdings evident. Im Zweifelsfall muss «der Zweck die Mittel heiligen» (Marianne Heer, BSK StGB I, a.a.O., Art. 63 N 6, 15, 17). Zur Frage der ambulanten Massnahme hat der Gutachter heute ausgeführt, auch diese dürfte schwierig zu vollziehen sein, da sich der Beschwerdeführer dieser wegen seiner Persönlichkeitsstörung im Innersten verweigert. Allerdings würde der Beschwerdeführer nach seiner Einschätzung therapeutische Termine wahrnehmen, hingehen und sich auf eine «Behandlung» einlassen. Im Vordergrund müssten aber nicht die Persönlichkeitsstörung und die Pädophilie und deren therapeutische Korrektur und Behandlung stehen, sondern das frühzeitige Erkennen von für den Rückfall massgeblichen Problemen. Es sei nämlich sehr wahrscheinlich, dass sich der Beschwerdeführer nach einiger Zeit in Freiheit in Konflikte und Verstrickungen manövriere, die auf die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Wirklichkeit zurückzuführen seien. Solche Konfliktsituationen, aber auch die Einnahme von Drogen (Cannabis), könnten dann zu einer Erhöhung der Rückfallgefahr führen. Diesen Gefahren gilt es mit einem frühzeitigen Erkennen und dem Ergreifen von Gegenmassnahmen entgegenzuwirken; es gilt, den Beschwerdeführer zu stabilisieren und ihn langfristig wieder in die Gesellschaft zu integrieren oder ihm zumindest eine Nische zu schaffen, um deliktfrei zu bleiben, respektive nicht einschlägig rückfällig zu werden. Dazu muss gemäss Gutachter ein engmaschiges soziales Netz gespannt werden, in dem Therapie und Sozialarbeit mit verschiedensten Ansätzen (Wohnsituation, Drogen, Gesundheit, Arbeit, etc.) multiprofessionell zusammenwirken. Der Gutachter verwies dabei auf Beispiele in Bayern und Berlin, die geschaffen wurden, weil verwahrte Straftäter aus formellen Gründen entlassen werden mussten. 3.2 Aus diesen Gründen ist eine ambulante Behandlung angezeigt. Dies allein genügt allerdings nicht. Zusätzlich bedarf der Beschwerdeführer nach 10 Jahren Straf- und Massnahmenvollzug und mit seiner Persönlichkeitsstörung einer engmaschigen Betreuung, die nur durch die Bewährungshilfe gewährleistet werden kann. Es ist deshalb zusammen mit der ambulanten Behandlung nach Art. 63 StGB auch Bewährungshilfe nach Art. 93 StGB anzuordnen. Dabei wird es für die involvierten Fachpersonen in erster Linie darum gehen, das bewusst enge soziale Netz aufzuspannen (Wohnung, Arbeit, Freizeit, allenfalls unter Einbezug der vom Beschwerdeführer erwähnten Heilsarmee) und dem Beschwerdeführer die Nische zu schaffen, die ihm eine deliktsfreie Zukunft ermöglicht. Gefordert ist eine engmaschige Bewährungshilfe, die auch eine Überwachung und Kontrolle umfasst. Zur Einrichtung dieses Netzes benötigt die Vollzugsbehörde Zeit. Der Beschwerdeführer ist daher nicht sofort zu entlassen, sondern erst dann, wenn diese Betreuung steht und für ihn eine Wohnmöglichkeit gefunden werden konnte (vgl. Art. 63 Abs. 3 StGB). Dies alles wird allerdings nur funktionieren, wenn der Beschwerdeführer mitmacht. In seinem heutigen Schlusswort hat er dies zugesichert und ersucht, ihm (endlich) die Möglichkeit zu geben, den Beweis antreten zu können, nicht rückfällig zu werden und ein deliktsfreies Leben zu führen. Der Beschwerdeführer wird an dieser Stelle ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Amt für Justizvollzug gemäss Stellungnahme vom 23. Mai 2016 in Kenntnis des Gutachtens von Dr. C._ vom 1. Oktober 2015 im Juli 2014 die nachträgliche Verwahrung beantragt hätte. Sollte die nun angeordnete ambulante Massnahme scheitern, dürfte wohl nur die nachträgliche Verwahrung bleiben. Diese ist in diesem Sinne noch nicht vom Tisch. V. Kosten und Entschädigungen 1. Der Beschwerdeführer beantragt, es sei ihm für den seit dem 23. August 2011 zu Unrecht ausgestandenen Freiheitsentzug eine Entschädigung von CHF 200.00 pro Tag auszurichten. Dieser Antrag ist abzuweisen; wie in III. Ziff. 4.1 ausgeführt, erfolgte der Verlängerungsantrag durch das Amt für Justizvollzug rechtzeitig und das Amtsgericht Olten-Gösgen ist auch zu Recht auf den Verlängerungsantrag eingetreten. Der Beschwerdeführer befand sich daher nicht zu Unrecht im Freiheits- oder Massnahmenvollzug. 2. Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung befindet die Rechtsmittelinstanz auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung, wenn sie selber einen neuen Entscheid fällt (reformatorischer Entscheid). 3. Der Beschwerdeführer hatte sich gegen die Verlängerung der stationären Massnahme gewehrt und die umgehende Entlassung aus dem Straf- und Massnahmenvollzug beantragt. Eventualiter beantragte er eine bedingte Entlassung, verbunden mit der Weisung, sich einer therapeutischen Massnahme zu unterziehen. Er ist mit seinen Anträgen somit insofern durchgedrungen, als die stationäre Massnahme nicht verlängert wird, insofern aber unterlegen, als eine ambulante Behandlung mit einer engmaschigen Bewährungshilfe angeordnet und er nicht sofort aus dem Freiheitsentzug entlassen wird. Zudem wird das Entschädigungsbegehren abgewiesen. Es rechtfertigt sich daher, sowohl die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens wie auch diejenigen des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer zu einem Drittel und dem Staat zu zwei Dritteln aufzuerlegen. 3.1 Die Höhe der Kosten- und Entschädigungsfestsetzung des angefochtenen Entscheids wurde vom Beschwerdeführer nicht bemängelt. Da aber der Kostenentscheid aufgrund des Ausgangs des Beschwerdeverfahrens geändert wird, bedingt dies auch die folgenden Änderungen des erstinstanzlichen Entscheids bezüglich der Entschädigung (Rückforderung): Die Kostennote für den amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Konrad Jeker, wurde auf CHF 15‘294.10 (inkl. MwSt. und Auslagen) festgesetzt, wovon durch die Zentrale Gerichtskasse noch CHF 14‘654.20 auszuzahlen waren. Die Kostennote ist zufolge amtlicher Verteidigung vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von einem Drittel, d.h. CHF 5‘098.05, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erlauben. Ein Nachforderungsanspruch hatte Rechtsanwalt Jeker nicht geltend gemacht. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 9‘000.00, total CHF 42‘800.00, zu einem Drittel zu bezahlen, d.h. CHF 14‘266.65. Zwei Drittel, d.h. CHF 28‘533.35, gehen zu Lasten des Staates. 3.2 Der Beschwerdeführer liess im Beschwerdeverfahren bezüglich der Entschädigung folgenden Antrag stellen: «Unter Kosten und Entschädigungsfolgen. Im Fall eines Unterliegens sei die amtliche Verteidigung mit dem Unterzeichnenden zu bewilligen und die Verfahrenskosten zur Hauptsache zu schlagen.» Diesem bedingten Antrag ist nicht zu folgen. Rechtsanwalt Jeker ist amtlicher Verteidiger des Beschwerdeführers und ist auch als solcher zu entschädigen. Die Kostenforderung erfolgte ebenfalls zu einem Stundenansatz von CHF 180.00. Der in der Honorarnote vom 14. September 2016 geltend gemachte Aufwand von 33,5 Stunden erscheint angemessen. Hinzu kommt der Aufwand für die Hauptverhandlung von 3,5 Stunden, für die Urteilseröffnung von einer halben Stunde und für die Nachbetreuung von einer Stunde. Insgesamt sind somit 38,5 Stunden zu entschädigen. Inklusive Auslagen von CHF 29.50 und der Mehrwertsteuer von 8 % führt dies zu einer Entschädigung von CHF 7‘516.25, zahlbar durch den Staat Solothurn, auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von einem Drittel, d.h. CHF 2‘505.40, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erlauben. Ein Nachforderungsanspruch wurde nicht geltend gemacht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 3‘000.00, total 5‘820.00, hat der Beschwerdeführer zu einem Drittel, d.h. CHF 1‘940.00, zu bezahlen. Zwei Drittel, d.h. CHF 3‘880.00, gehen zu Lasten des Staates. Demnach wird erkannt : 1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Nachentscheid des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 14. Januar 2016 aufgehoben. 2. Die für A._ mit Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 14. April 2010 angeordnete stationäre Massnahme wird nicht verlängert. 3. Es wird eine ambulante Behandlung angeordnet, verbunden mit Bewährungshilfe. 4. Zur Einleitung der ambulanten Behandlung wird der stationäre Massnahmenvollzug einstweilen aufrechterhalten. Der Antrag von A._ auf umgehende Entlassung aus dem Straf- und Massnahmenvollzug wird in diesem Sinne abgewiesen. 5. Der Antrag von A._, es sei ihm für den seit dem 23. August 2011 zu Unrecht ausgestandenen Freiheitsentzug eine Entschädigung von CHF 200.00 pro Tag auszurichten, ist abgewiesen. 6. Die Entschädigung des amtlichen Verteidigers von A._, Rechtsanwalt Konrad Jeker, wird für das Verfahren vor Amtsgericht Olten-Gösgen auf CHF 15‘294.10 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt, zahlbar durch den Staat Solothurn (auszuzahlen waren noch CHF 14‘654.20). Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von einem Drittel, d.h. CHF 5‘098.05, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erlauben. Ein Nachforderungsanspruch wurde nicht geltend gemacht. 7. A._ hat die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 9‘000.00, total CHF 42‘800.00, zu einem Drittel zu bezahlen, d.h. CHF 14‘266.65. Zwei Drittel, d.h. CHF 28‘533.35, gehen zu Lasten des Staates. 8. Die Entschädigung für den amtlichen Verteidiger von A._, Rechtsanwalt Konrad Jeker, wird für das Beschwerdeverfahren auf CHF 7‘516.25 (inkl. Auslagen und MwSt.) festgesetzt, zahlbar durch den Staat Solothurn, auszahlbar durch die Zentrale Gerichtskasse. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren im Umfang von einem Drittel, d.h. CHF 2‘505.40, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erlauben. Ein Nachforderungsanspruch wurde nicht geltend gemacht. 9. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit einer Urteilsgebühr von CHF 3‘000.00, total 5‘820.00, hat A._ zu einem Drittel, d.h. CHF 1‘940.00, zu bezahlen. Zwei Drittel, d.h. CHF 3‘880.00, gehen zu Lasten des Staates. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Gegen den Entscheid betreffend Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) und der unentgeltlichen Rechtsbeistandschaft im Rechtsmittelverfahren (Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO) kann innert 10 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesstrafgericht Beschwerde eingereicht werden (Adresse: Postfach 2720, 6501 Bellinzona). Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Jeger Ramseier
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SOG 2019 Nr. 10 Art. 276 Abs. 1 und 2 ZPO, Art. 286 Abs. 2 ZGB. Die für eine Anpassung der vorsorglichen Massnahmen erforderliche Dauerhaftigkeit der Veränderung der Verhältnisse liegt nicht vor, wenn die beantragte Abänderung der Kinderalimente nur für die voraussichtliche Dauer von rund drei Monaten bis zum Erlass des Scheidungsurteils wirken kann. Sachverhalt: Die Parteien führten ein Ehescheidungsverfahren. Am 18. Juni 2019 fand die Hauptverhandlung statt, die jedoch nicht abgeschlossen wurde. Als Termin für die Fortsetzung vereinbarten die Parteien den 24. September 2019. Der Ehemann beantragte dabei, es seien die im vorhergehenden Eheschutzverfahren festgesetzten Kinderunterhaltsbeiträge im Sinne einer vorsorglichen Massnahme neu festzulegen. Die Amtsgerichtspräsidentin erkannte veränderte Verhältnisse und reduzierte die Kinderunterhaltsbeiträge, wenn auch nicht im beantragten Umfang. Dagegen gelangte der Ehemann mit Berufung an das Obergericht und verlangte erneut die Festsetzung tieferer Unterhaltsbeiträge. Das Obergericht wies die Berufung ab. Aus den Erwägungen: 3.1 Voraussetzung für die Abänderung vorsorglicher Massnahmen ist nicht nur, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich, sondern auch, dass sich diese dauerhaft verändert haben. Die Amtsgerichtspräsidentin setzt sich im Rahmen der angefochtenen Verfügung mit dieser Voraussetzung nicht auseinander. Da bei Kinderbelangen sowohl der Untersuchungs- als auch der Offizialgrundsatz gelten (Art. 296 ZPO) und das Gericht das Recht von Amtes wegen anwendet (Art. 57 ZPO) ist die Frage im Berufungsverfahren dennoch zu prüfen. 3.2 Die Amtsgerichtspräsidentin änderte die Kinderunterhaltsbeiträge gestützt auf einen Antrag des Ehemannes anlässlich der Hauptverhandlung vom 18. Juni 2019 mit Wirkung ab 1. Juli 2019. Die Hauptverhandlung wird am 24. September 2019 fortgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass im Anschluss an diese Hauptverhandlung das Scheidungsurteil ergehen kann. Mit dem Scheidungsurteil fallen die vorsorglichen Massnahmen dahin (Annette Spycher, in: Berner Kommentar, ZPO Bd. II, 2012, N 21 zu Art. 276 ZPO). Es steht somit fest, dass die vom Ehemann beantragte Abänderung der Kinderalimente bloss für die Dauer von rund drei Monaten wirkt. Als dauerhaft erscheint eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse insbesondere dann, wenn ungewiss ist, wie lange sie anhält (Jann Six, Eheschutz, 2. Aufl. 2014, S. 177 Rz. 4.05). Da sich die Abänderung nicht für ungewisse Zeit, sondern für die absehbare Zeit von rund drei Monate auswirkt, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Bei Arbeitslosigkeit wird in der Regel dann von einer eine Abänderung rechtfertigenden dauerhaften Veränderung der Verhältnisse ausgegangen, wenn sie mehr als vier Monate andauert (BGE 143 III 617 E. 5.2, mit weiteren Hinweisen). Vorliegend geht es bloss um drei Monate. Die für eine Anpassung der vorsorglichen Massnahmen erforderliche Dauerhaftigkeit der Veränderung der Verhältnisse liegt deshalb nicht vor. Dazu kommt, dass an diese Voraussetzung ganz besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn es um die Reduktion von Kinderalimenten geht: Wie dargelegt, ist beim Erlass vorsorglicher Massnahmen den Interessen der Kinder besondere Beachtung zu schenken. 3.3 Die Amtsgerichtspräsidentin reduzierte mit der angefochtenen Verfügung die beiden mit Verfügung vom 19. Juli 2017 auf je CHF 1'561.00 festgesetzten Alimente auf CHF 1'520.00 für A._ und auf CHF 1'210.00 für B._ . Obwohl die Voraussetzungen dafür wie aufgezeigt nicht erfüllt waren, ist die angefochtene Verfügung nicht zu korrigieren. Die Korrektur würde sich zugunsten der Berufungsbeklagten auswirken, die indessen keine Berufung erhoben hat. Die Berufung des Ehemannes ist aus diesen Gründen abzuweisen. Zivilkammer, Urteil vom 12. September 2019 (ZKBER.2019.52)
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 18. September 2019 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Hunkeler Gerichtsschreiberin Kofmel In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwältin Cornelia Dippon, Berufungskläger gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, Berufungsbeklagte betreffend Abänderung Scheidungsurteil zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. A._ und B._ wurden am 14. April 2015 vor dem Richteramt Thal-Gäu geschieden. Soweit hier interessierend, genehmigte die Amtsgerichtsstatthalterin folgende, von den Parteien abgeschlossene, Konvention: 3.7. Kinderunterhalt Der Vater A._ verpflichtet sich, für die Söhne C._ und D._ ab Rechtskraft des Scheidungsurteils jeweils im Voraus geschuldete Unterhaltsbeiträge in folgender Höhe zu bezahlen: - Ab Rechtskraft des Scheidungsurteils bis zum zurückgelegten 12. Altersjahr pro Kind: CHF 790.00 - Ab 13. Altersjahr bis zur vollen Erwerbsfähigkeit, längstens bis zur Mündigkeit pro Kind: CHF 890.00 Art. 276 Abs. 3, Art. 277 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2 und 3 ZGB bleiben vorbehalten. Der Vater A._ verpflichtet sich, den Unterhaltsbeitrag von je CHF 890.00 über die Volljährigkeit hinaus weiterhin zu erbringen bis die Erstausbildung des jeweiligen Kindes ordentlicherweise abgeschlossen ist. Die Kinderzulagen sind im Unterhaltsbeitrag nicht inbegriffen und zusätzlich geschuldet, wenn A._ darauf Anspruch hat und sie nicht von B._ bezogen werden. Sie werden in erster Linie von A._ bezogen. Von den Kinderzulagen stehen 3⁄4 der Kindsmutter und 1⁄4 dem Kindsvater zu. Aktuell betragen die Kinderzulagen für die beiden Kinder CHF 400.00. Der Kindsvater bezahlt der Kindsmutter somit aktuell CHF 300.00 Kinderzulagen aus. Die Ehegatten tragen ausserordentliche Kosten der Kinder wie Auslagen und Zahnkorrekturen, Sehhilfen, Förder- und Nachhilfeunterricht, Ferienlager sowie allfällige Privatschulkosten nach vorgängiger schriftlicher Absprache je zur Hälfte. 2. Auf Klage des Ehemannes und hiesigen Berufungsklägers wurde dieses Urteil am 6. August 2015, aufgrund einer neuen Vereinbarung der Parteien, wie folgt abgeändert: 1. Die von den Parteien am 6. August 2015 abgeschlossene Vereinbarung wird mit folgendem Wortlaut genehmigt: 1.1. Ziffer 3.7 Abs. 1 - 3 des Ehescheidungsurteils der Amtsgerichtsstatthalterin von Thal-Gäu vom 14. April 2015 wird durch folgende Fassung ersetzt: «3.7 Der Vater A._ verpflichtet sich, für die Söhne C._ und D._ ab Rechtskraft des Abänderungsurteils bis zur Mündigkeit jeweils im Voraus geschuldete Unterhaltsbeiträge von je CHF 710.00 zu bezahlen. Art. 276 Abs. 3, Art. 277 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2 und 3 ZGB bleiben vorbehalten. Der Vater A._ verpflichtet sich, den Unterhaltsbeitrag von je CHF 710.00 über die Volljährigkeit hinaus weiterhin zu erbringen bis die Erstausbildung des jeweiligen Kindes ordentlicherweise abgeschlossen ist.» 3. Auf erneute Klage des Berufungsklägers auf Herabsetzung der Kinderunterhaltsbeiträge fällte der Amtsgerichtspräsident von Bucheggberg-Wasseramt am 31. Januar 2019 folgendes Urteil: 1. Die Klage auf Abänderung des Urteils vom 6. August 2015, d.h. eine weitere Abänderung des Scheidungsurteils vom 14. April 2015 des Richteramtes Thal-Gäu, ist abgewiesen. 2. A._ hat B._ die Abrechnungen der ausbezahlten Qualitätsboni der E._ AG vom 1. September 2015 bis 31. Dezember 2017 zuzustellen. 3. A._ wird mit Wirkung ab Prozessbeginn unentgeltliche Rechtspflege betreffend die Gerichtskosten bewilligt (Art. 123 ZPO bleibt vorbehalten). 4. B._ wird mit Wirkung ab Prozessbeginn unentgeltliche Rechtsverbeiständung gewährt (Art. 123 ZPO bleibt vorbehalten). Als unentgeltliche Rechtsbeiständin wird ihr Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, [...], beigeordnet. 5. Jede Partei trägt die ihr entstandenen Kosten selber. 6. Zufolge unentgeltlichen Rechtsbeistands von B._ hat der Staat Rechtsanwältin Franziska Ryser-Zwygart, [...], eine Entschädigung von CHF 2'354.00 (CHF 1'959.00 Honorar, CHF 226.70 Auslagen, CHF 168.30 MwSt.) zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 7. Die Gerichtskosten von CHF 2'400.00 sind von A._ zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege trägt sie der Staat Solothurn; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 8. Wird keine Begründung des Entscheides verlangt und somit auf die Ergreifung eines Rechtsmittels verzichtet, reduzieren sich die Gerichtskosten um CHF 800.00 auf CHF 1'600.00. 4. formgerecht erhob der Kläger am 18. Juni 2019 Berufung gegen Ziffer 1 dieses Urteils. Er beantragt: 1. Ziff. 1 des Urteils des Richteramts Bucheggberg-Wasseramt vom 31. Januar 2019 sei aufzuheben. 2. A._ sei in Abänderung von Ziff. 3.7 des Urteiles vom 14. April 2015 zu verpflichten, für die Söhne D._, geb. [...] 2003, und C._, geb. [...] 2011, ab sofort jeweils im Voraus geschuldete Unterhaltsbeiträge von je Fr. 283.00 pro Kind zu bezahlen. Art. 276 Abs. 3 und Art. 286 Abs. 2 und 3 ZGB seien vorzubehalten. 3. Ev. Ziff. 1 des Urteils vom 31. Januar 2019 sei aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 4. Dem Kläger sei die integrale unentgeltliche Rechtspflege unter Beiordnung der Unterzeichneten als unentgeltliche Rechtsbeiständin zu gewähren. 5. Alles unter Entschädigungsfolgen. Ebenfalls frist- und formgerecht reichte die Beklagte und hiesige Berufungsbeklagte eine Berufungsantwort ein und stellt folgende Anträge: 1. Die Berufung des Berufungsklägers vom 18. Juni 2019 sei abzuweisen. 2. Das Urteil vom 31. Januar 2019 des Richteramts Bucheggberg-Wasseramt (BWZPR.2018.01046) sei zu bestätigen. 3. Der Berufungskläger habe die Verfahrenskosten zu tragen und der Berufungs-beklagten eine Parteientschädigung für die Bemühungen ihrer Anwältin auszu-richten. 4. Es sei der Berufungsbeklagten ab Prozessbeginn die volle unentgeltliche Rechtspflege und der unentgeltliche Rechtsbeistand zu gewähren und die unter-zeichnende Anwältin als unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bezeichnen. U.K.u.E.F. 5. Die Streitsache ist spruchreif. In Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272) kann über die Berufung ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Parteistandpunkte und die Erwägungen des Vorderrichters wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich wird im Folgenden darauf eingegangen. II. 1.1 Der Berufungskläger macht sinngemäss unrichtige Feststellung des Sachverhalts und unrichtige Rechtsanwendung geltend. Er rügt vorab, weil er bei der Vorinstanz nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, seien die Anträge nicht nach ZPO gestellt worden. So sei es unterlassen worden, das Gemeinwesen aufzuführen. Da die Unterhaltsbeiträge bevorschusst würden, sollte es beigezogen werden (BGE 143 III 177 ff.). Eventualiter sei die Sache deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bestritten werde die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens des Berufungsklägers mit der Begründung, dass ein Vater die Verantwortung für die Kinder wahrzunehmen habe und seine Bedürfnisse nach einem Umzug ins Ausland keine Priorität hätten. Der Gesetzgeber habe mit einer bewussten Wertung die Niederlassungsfreiheit der Elternteile respektieren wollen (Urteil des Bundesgerichts 5A_47/2017). Es sollten gerade keine, meist nur schwer zu eruierende, elterliche Wegzugsmotive aufgeführt werden müssen. Die Mutter betreue die Kinder. Der Vater sei in der Pflicht, für den Unterhalt zu sorgen. Bei der Berechnung der Unterhaltsbeiträge sei das hypothetische Einkommen der Berufungsbeklagten zudem nicht berücksichtigt worden. Die Praxis habe sich mit dem Leitentscheid des Bundesgerichts vom September 2018 grundlegend geändert. Der betreuenden Person werde zugemutet, ab Eintritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe ein Pensum von 80 % zu erfüllen. Die Alimentenberechnung sei daher anzupassen. Der Unterhalt der Söhne sei mit einem Bar- und Betreuungsunterhalt festzuhalten. Auch wenn der Berufungskläger vor der ersten Instanz die Rechtsbegehren nicht konkret gestellt habe, wäre eine Staffelung durch die Vorinstanz zu prüfen gewesen. 1.2 Die Berufungsbeklagte weist darauf hin, dass die Klage abgewiesen worden sei, weil die Vorinstanz beim Kläger von einem hypothetischen Einkommen in der Höhe von CHF 5'422.70 ausgegangen sei und deshalb kein Grund für eine Änderung des Ehescheidungsurteils vorgelegen habe. Auch eine allfällige Parteistellung des Gemeinwesens hätte daran nichts geändert. 2. Der Berufungskläger rügt vorab, dass das Gemeinwesen hätte in das Verfahren involviert werden müssen, zumal dieses die Unterhaltsbeiträge bevorschusse. Er anerkennt, dass dieses Versäumnis auf einen Fehler seinerseits zurückzuführen sei. Die Berufungsbeklagte hält dafür, dass das vorliegend ohne Konsequenzen geblieben sei, zumal die Klage ohnehin abgewiesen worden sei. 2.1 Die Prozesseinleitung ist Sache der Parteien. Der Staat wird im Anwendungsbereich der Zivilprozessordnung nicht von sich aus tätig. Der Kläger entscheidet, wann und gegen wen er ein Verfahren einleitet und welche Rechtsbegehren er stellt. Das gilt unabhängig von der Prozessmaxime, also auch dann, wenn für den eingeklagten Anspruch, wie hier, die Offizial- oder die Untersuchungsmaxime gilt (vgl. Thomas Sutter-Somm/Benedikt Seiler in: Thomas Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 3. Aufl., N. 29 zu Art. 58 ZPO und Christoph Hurni [Hrsg.], in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Band 1, Bern 2012, Berner Kommentar, N. 62 zu Art. 58 ZPO). Die Untersuchungsmaxime betrifft nur die Art der Sammlung des Prozessstoffs, nicht aber die Frage der Einleitung und der Beendigung des Verfahrens. Sie beschlägt auch nicht die Frage, wie das Rechtsbegehren formuliert sein muss, damit der Rechtsstreit überhaupt an die Hand genommen werden kann. Aus der Untersuchungsmaxime ergibt sich auch keine Pflicht des Gerichts, die Parteien in prozessualen Fragen zu beraten (BGE 137 III 621 E. 5.2, mit Hinweis). Hat der Kläger den Staat, auf den der Unterhaltsanspruch infolge Bevorschussung gemäss Art. 289 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210) ganz oder teilweise übergegangen ist, nicht eingeklagt, so bleibt es dabei. Eine Möglichkeit zum nachträglichen Einbezug des Staates in das Verfahren in zweiter Instanz gibt es nicht. Eine Rückweisung an die Vorinstanz zum nachträglichen Beizug des Staates auf Seiten der Beklagten ist ebenso wenig möglich. Der Gerichtspräsident hätte diesbezüglich auch nicht von Amtes wegen tätig werden können. Vorliegend bezahlt der Berufungskläger die Kinderunterhaltsbeiträge seit seinem Wegzug aus der Schweiz nur noch teilweise. Der Rest wird vom Oberamt bevorschusst, weshalb der Anspruch in diesem Umfang mit allen Rechten auf den Kanton übergegangen ist (Art. 289 Abs. 2 ZGB), der die Unterhaltsbeiträge anstelle des Klägers an die Beklagte zahlt. 3.1 Gemäss Art. 276 ZGB haben die Eltern für den Unterhalt der Kinder aufzukommen, inbegriffen die Kosten von Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen. Die Art der Unterhaltsleistung, welche die Eltern zu erbringen haben, hängt von der Obhut ab. Besteht kein gemeinsamer Haushalt, kann nur derjenige Elternteil den Unterhalt in natura (Pflege und Erziehung) leisten, in dessen Obhut sich das Kind befindet. Der Elternteil ohne Obhut muss dann den Unterhalt durch Geldzahlung leisten (vgl. Hegnauer [Hrsg.], in: Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Bern, Berner Kommentar, N. 77 und 88 zu Art. 276 ZGB). Ist der Unterhaltsbeitrag für den nicht obhutsberechtigten Elternteil rechtsverbindlich festgesetzt worden, so kann er auf Antrag eines Elternteils oder des Kindes nur noch bei erheblicher Veränderung der Verhältnisse durch das Gericht neu festgesetzt oder aufgehoben werden (Art. 286 Abs. 2 ZGB). Vorausgesetzt sind somit kumulativ eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse und ein Antrag an das Gericht. Die Veränderung ist erheblich, wenn sich die Unterhaltslast in unzumutbarem Mass zuungunsten des Kindes oder des Beitragspflichtigen verschiebt. Das setzt voraus, dass die Veränderung quantitativ ins Gewicht fällt, voraussichtlich dauernd ist, sie bei der geltenden Bemessung des Beitrags nicht berücksichtigt wurde (Abs. 1), nicht durch gegenläufige Veränderung anderer Bemessungsfaktoren (z.B. Senkung des Bedarfs) ausgeglichen wird und auch künftig nicht durch die Beteiligten (durch Einschränkung der Bedürfnisse oder Vermehrung der Einkünfte) ausgeglichen werden kann. Die Erheblichkeit beurteilt sich nach richterlichem Ermessen (Art. 4 ZGB). Beachtlich sind nur Veränderungen, die nach der rechtskräftigen Festlegung der Beiträge eingetreten sind (vgl. Hegnauer, a.a.O., N. 67 zu Art. 286 ZGB). Unbeachtlich ist seitens des Beitragsschuldners die Einkommenseinbusse infolge eines freiwilligen Berufswechsels (BJM 1991, 285, 287, BJM 1992 252, 255; Hegnauer, a.a.O., N. 73 zu Art. 286). 3.2.1 Vorliegend hat der Berufungskläger seine Anstellung bei der Firma E._ AG als [...] per Ende September 2018 aufgegeben, um zu seiner neuen Lebenspartnerin nach [...] (D) zu ziehen. Daselbst arbeitet er wiederum als [...] nun für die Firma F._ AG. Bei seinem Arbeitgeber in der Schweiz verdiente er CHF 5'730.00 x 13 brutto, d.h. netto CHF 5'422.00 pro Monat inkl. Anteil 13. Monatslohn, ohne Kinderzulagen (vgl. Lohnabrechnung September 2018). Bei seinem neuen Arbeitgeber in Deutschland erhält er einen Tariflohn von € 2’643.00 brutto. Ausbezahlt werden ihm im Durchschnitt € 1'742.00 (vgl. Lohnabrechnungen Oktober-Dezember 2018, inkl. Zuschlägen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld), d.h. umgerechnet knapp CHF 1'900.00. 3.2.2 Der Berufungskläger hält dafür, dass ihm nicht verwehrt werden dürfe, seinen Wohnsitz zurück nach Deutschland zu verlegen. Es gelte die Niederlassungsfreiheit. Das ist zutreffend. Indessen geht es vorliegend nicht darum, wo der Berufungskläger seinen Wohnsitz hat. Diesen kann er selbstredend so wählen, wie es ihm beliebt. Prozessthema ist die Höhe der Unterhaltsbeiträge für die beiden Söhne. Ihnen gegenüber hat der Berufungskläger eine Verpflichtung und er ist insofern in der Gestaltung seiner Lebensführung eingeschränkt, als er sich ausreichend bemühen muss, der bestehenden Verpflichtung nachkommen zu können. Nur wenn er dies tut und dennoch nicht in der Lage ist, die gerichtlich festgesetzten Unterhaltsbeiträge vollständig zu bezahlen, kommt eine Reduktion in Frage. 3.3.1 Mit Urteil vom 14. April 2015 war der Berufungskläger verpflichtet worden, an den Unterhalt seiner beiden Kinder je CHF 790.00 pro Monat (zuzüglich Kinderzulagen) zu bezahlen, worauf sich die Parteien vorgängig in einer Ehescheidungskonvention geeinigt hatten. Ausserdem wurden ihm CHF 100.00 je Kind der ausbezahlten Kinderzulagen zugestanden. Die Zahlungspflicht des Berufungsklägers betrug somit ursprünglich netto CHF 690.00 je Kind. Mit Urteil vom 6. August 2015 wurden die Unterhaltsbeiträge (aufgrund einer Klage des hiesigen Klägers und einer erneuten Vereinbarung der Parteien im Verfahren) reduziert auf je CHF 710.00 pro Kind. Dass CHF 100.00 der Kinderzulagen je Kind beim Berufungskläger verbleiben sollten, wurde nicht geändert. Nun will er die Kinderunterhaltsbeiträge erneut reduziert haben. 3.3.2 Der Berufungskläger verdient an seiner neuen Arbeitsstelle in Deutschland umgerechnet rund CHF 1'900.00 netto. Es ist nachvollziehbar, dass er mit diesem Lohn die Unterhaltsbeiträge von total CHF 1'220.00 (nach Abzug seines Anteils an den Kinderzulagen) nicht bezahlen kann. Es erübrigt sich daher an dieser Stelle, näher auf den vom Berufungskläger geltend gemachten Bedarf einzugehen. Indessen führt die durch den Berufungskläger freiwillig herbeigeführte Mankosituation nicht automatisch zur Reduktion der Kinderunterhaltsbeiträge. Nach der oben zitierten bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind bei knappen Verhältnissen wie hier an die Ausschöpfung der Erwerbskraft besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn es um die Bezahlung von Kinderunterhaltsbeiträgen geht. Der Pflichtige hat alles in seiner Macht Stehende zu tun und insbesondere seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit voll auszuschöpfen, um das erforderliche Einkommen zur Bezahlung der Kinderunterhaltsbeiträge zu realisieren (Urteil des Bundesgerichts 5D_183/2017 E. 4.1). In einem anderen Entscheid hat das Bundesgericht ausgeführt: Die Eltern müssen sich daher in beruflicher und unter Umständen auch örtlicher Hinsicht so ausrichten, dass sie ihre Arbeitskapazität maximal ausschöpfen können. Nach der Rechtsprechung kann insbesondere ein (an sich zulässiger) Wegzug ins Ausland unbeachtlich bleiben, wenn eine weitere Arbeitstätigkeit in der Schweiz zumutbar wäre. Dem unterhaltspflichtigen Elternteil steht es insofern nicht fei, nach Belieben ganz oder teilweise auf ein bei zumutbarer Anstrengung erzielbares Einkommen zu verzichten, um sich andere persönliche oder berufliche Wünsche zu erfüllen. Dass solche Wünsche der Unterhaltspflicht hintanzustehen haben, ergibt sich zwangsläufig aus dem Wesen des hypothetischen Einkommens (Urteil des Bundesgerichts 5A_90/2017 E. 5.3.1). Erst wenn diese Kriterien erfüllt sind, kommt eine Reduktion der Kinderunterhaltsbeiträge in Frage. 3.4. Anlässlich der Parteibefragung bei der Vorinstanz hat der Berufungskläger ausgeführt, bei der aktuellen Anstellung handle es sich um eine gute Stelle. Er werde nach «Tarif» (ähnlich einem Gesamtarbeitsvertrag) bezahlt. Es ist daher davon auszugehen, dass er etwa so viel verdient, wie ein [...] in jener Region Deutschlands zu verdienen in der Lage ist. Über die Ausbildung des Berufungsklägers ist nichts bekannt, so dass nicht beurteilt werden kann, ob für ihn auch eine Anstellung in einer anderen, besser bezahlten, Branche in Frage käme. Es ist folglich davon auszugehen, dass es dem Berufungskläger schwerfallen dürfte, in Deutschland einen Lohn zu erzielen, der ihm die Bezahlung der Kinderunterhaltsbeiträge in der vom Gericht festgesetzten Höhe ermöglichen würde. Es stellt sich folglich die Frage, ob es dem Berufungskläger zumutbar ist, zum Zweck der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht weiterhin in der Schweiz zu arbeiten. Nach seinen Angaben in der Parteibefragung bei der Vorinstanz, lebte der Berufungskläger seit ca. Mitte des Jahres 2000 in der Schweiz und hat hier gearbeitet. Er hat die Berufungsbeklagte kennengelernt als er bereits in der Schweiz lebte. Er ist nicht wegen der Heirat mit ihr in die Schweiz gekommen. Er war bereits vor der Heirat mit der Berufungsbeklagten in der Schweiz verheiratet. Sein Vater lebt in [...], die Mutter in [...], der Bruder in der Nähe von [...]. Der Berufungskläger hat somit nebst seinen Söhnen noch einen weiteren nächsten Verwandten in der Schweiz. Nach seinen Angaben hat er darüber hinaus keine sozialen Kontakte mehr in der Schweiz. Seine restliche Herkunftsfamilie lebt in und um [...] in Süddeutschland, wo der Berufungskläger auch aufgewachsen ist. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass es dem Berufungskläger aufgrund seiner fast zwanzigjährigen Wohn- und Arbeitsbiographie in der Schweiz und seines familiären Hintergrunds in der Schweiz und in Süddeutschland ohne weiteres zumutbar ist, weiterhin in der Schweiz zu arbeiten, zumal sich auch sein näheres familiäres Umfeld im Umkreis von gut 100 km von seinem früheren Wohn- und Arbeitsort befindet. 3.5 Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts ist in solchen Fällen festzustellen, welche Tätigkeit auszuüben dem Berufungskläger möglich und ob das angenommene Einkommen effektiv erzielbar ist (BGE 137 III 118 E. 2.3, mit Hinweisen). Aus den Akten geht hervor, dass der Berufungskläger zur Zeit der Scheidung während rund eines Jahres als [...] bei seinem vormaligen Arbeitgeber gearbeitet hat. Davor und danach arbeitete er als [...] bei derselben Firma. Mehr ist über seine berufliche Laufbahn nicht bekannt. Bei der Vorinstanz hat der Berufungskläger nebst dem Wunsch nach Deutschland zu seiner neuen Lebenspartnerin zu ziehen gesundheitliche Beschwerden ([...], [...]) als Grund für die Kündigung seiner vormaligen Anstellung und den Wegzug aus der Schweiz geltend gemacht. Im Recht liegen Zeugnisse seines früheren Hausarztes vom Januar 2019 und des leitenden Arztes der Abteilung [...] des Kantonsspitals Olten vom September 2018, worin die Erkrankung an [...] bestätigt wird. In der Parteibefragung bei der Vorinstanz hat der Berufungskläger ausserdem von [...]- und [...] gesprochen. Ersteres ist im Arztbericht des Kantonsspitals Olten ebenfalls erwähnt. Nachdem er in Deutschland weiterhin als [...] arbeitet, ist davon auszugehen, dass der Berufungskläger seine gesundheitlichen Probleme so weit im Griff hat, dass er diesen Beruf nach wie vor ausüben kann. Dies gilt umso mehr, als er ausgesagt hat, dass er bisher in Deutschland noch kein [...] erhalten habe und seiner [...]fähigkeit als [...] offenbar trotzdem nichts entgegensteht. Es ist folglich davon auszugehen, dass ihm die Tätigkeit als [...] nach wie vor möglich und zumutbar ist. Hinzu kommt, dass die weitere Behandlung seiner gesundheitlichen Probleme zum Erhalt seiner [...]fähigkeit offensichtlich auch in der Schweiz möglich gewesen wäre. Weiter ist zu klären, ob dem Berufungskläger die Erzielung eines Einkommens in der Höhe von rund CHF 5’400.00 netto, wie er es bei der vormaligen Anstellung erzielt hat, noch möglich ist. Die Chancen für die Stellensuche als [...] sind intakt. Auf der Stellenplattform jobs.ch sind in den Region Mittelland (AG/SO), wo der Berufungskläger zuletzt tätig war, mehrere -zig Stellen als [...] ausgeschrieben, u.a. auch bei der Schweizer Firma seines jetzigen Arbeitgebers. Gemäss dem statistischen Lohnrechner des Bundes 2016 (Salarium; www.gate.bfs.admin.ch>salarium >public) ist ein Lohn zwischen rund CHF 5'450.00 und CHF 6’470.00 brutto (inkl. Anteil 13. Monatslohn) pro Monat erzielbar. Es ist daher davon auszugehen, dass es dem Berufungskläger möglich ist, in der Schweiz wieder eine vergleichbar dotierte Anstellung zu finden, wie er sie bei seinem vormaligen Arbeitgeber hatte. Nach den vorstehenden Ausführungen steht fest, dass es dem Berufungskläger nach wie vor zumutbar und möglich ist, einen Lohn in der Grössenordnung von CHF 5'400.00 netto pro Monat wie bei seinem vormaligen Arbeitgeber in der Schweiz zu erzielen. Der Antrag des Berufungsklägers auf Herabsetzung der Kinderunterhaltsbeiträge muss daher grundsätzlich abgewiesen werden. 3.6 Der Berufungskläger beantragt weiter, dass bei Kinderunterhaltsbeiträgen gemäss der vom Bundesgericht in BGE 144 III 481 ff. begründeten Praxis ein Bar- und ein Betreuungsanteil auszuscheiden sei. Die Unterhaltsberechnung sei daher vorliegend an das neue Recht anzupassen. Bis zum Eintritt des jüngeren Sohnes in die Oberstufe gibt es vorliegend keinen Grund, die mit Urteil vom 6. August 2015 festgesetzten Unterhaltsbeiträge für die beiden Söhne abzuändern. Eine neue Berechnung ist daher nicht nötig, zumal die Söhne Unterhalt im bisherigen Umfang unter dem einen oder anderen Titel beanspruchen können. 3.7.1 Der Berufungskläger beantragt, dass die Unterhaltsbeiträge spätestens ab August 2024, wenn der jüngere Sohn in die Oberstufe komme, anzupassen seien. Die Mutter sei dannzumal gehalten, ihr Pensum auf 80 % aufzustocken. Das sei bei der Höhe der Unterhaltsbeiträge zu berücksichtigen. Dieser Antrag ist neu. Bei der Vorinstanz wurde keine Abstufung der Unterhaltsbeiträge beantragt. Der Berufungskläger hält dafür, dass die Vorinstanz das auch ohne konkreten Antrag seinerseits hätte prüfen müssen. Er wirft dem Vorderrichter in diesem Zusammenhang sinngemäss falsche Rechtsanwendung vor. 3.7.2 Das Berufungsgericht überprüft den angefochtenen Entscheid gemäss Art. 310 ZPO anhand der vorgebrachten Rügen. Der Berufungskläger hat vor der Vorinstanz beantragt, die Unterhaltsbeiträge für die beiden Söhne seien auf CHF 500.00 (je Kind CHF 250.00) zu reduzieren. Der Antrag, dass die Unterhaltsbeiträge ab 1. August 2024 (voraussichtlicher Übertritt des jüngeren Sohnes in die Oberstufe) aufgrund eines dannzumal höheren Einkommens der Mutter zu reduzieren seien, wird erstmals im Berufungsverfahren gestellt. Gemäss Art. 296 ZPO gilt für die Kinderbelange in familienrechtlichen Verfahren die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime (Abs. 1) und das Gericht entscheidet ohne Bindung an die Parteianträge (Abs. 3). Diese Bestimmung entspricht den vorher im Zivilgesetzbuch statuierten Regeln (Art. 145, Art. 254 und Art. 280 Abs. 2 a.E. ZGB), die mit Inkrafttreten der eidgenössischen Zivilprozessordnung aufgehoben wurden (Botschaft ZPO, BBl 2006 7407) sowie der Bundesgerichtspraxis (BGE 128 III 412 ff.). Zwischen dem bisherigen und dem neuen Recht bestehen inhaltlich keine Unterschiede. Die Untersuchungs- und Offizialmaxime kommt in Kinderbelangen in allen familienrechtlichen Verfahren in allen Verfahrensstadien als allgemeiner Grundsatz zur Anwendung und ist von allen kantonalen Instanzen zu beachten (vgl. Urteile des Bundesgerichts 5A_513/2014 E. 4.1; 5A_394/2008 E. 2.2; 5A_388/2008 E. 3 etc.; vgl. zum Ganzen Schweighauser in: FamKommentar Scheidung, Ingeborg Schwenzer, Roland Fankhauser [Hrsg.], 3. Aufl., Band II, Anhänge, N. 1ff. zu Art. 296 ZPO). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang bereits unter dem alten Recht mehrfach ausgeführt, dass das Gericht im Bereich der Offizialmaxime nicht an die Parteianträge gebunden sei (BGE 128 III 411 E. 3.1 und 129 III 417 E. 2.1.1). In einem nach Offizialmaxime durchgeführten Verfahren obliegt die Verfügung über den Streitgegenstand allein dem Gericht. Das Gericht muss die Kinderbelange in familienrechtlichen Verfahren so regeln, wie es das materielle Recht vorsieht, ohne sich dabei an Parteianträge halten zu müssen (Christoph Hurni, in: Berner Kommentar, Bern 2012, Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 58, N. 67). Daraus folgt vorliegend, dass die Vorinstanz von Amtes wegen hätte prüfen müssen, ob die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die Inhaberin der Obhut über die Kinder nach Übertritt des jüngsten Kindes in die Oberstufe gehalten sei einer Erwerbstätigkeit mit einem 80 % Pensum nachzugehen, vorliegend zu einer Senkung der Unterhaltsbeiträge führen würde (vgl. BGE 144 III 491 E. 4.6.1). Die Vorinstanz hat sich auf die Prüfung von Einkommen und Bedarf des Berufungsklägers konzentriert. Sie hat weder verbindliche Feststellungen zu Pensum und Einkommen der Berufungsbeklagten, noch zum konkreten Bedarf von ihr und den beiden Söhnen, weder jetzt, noch im Zeitpunkt nach dem Übertritt des jüngeren Sohnes in die Oberstufe, gemacht. Es fehlt somit an den nötigen tatsächlichen Feststellungen, um über diesen Antrag zu entscheiden. Zu berücksichtigen ist ausserdem, dass eine mögliche Senkung nur in dem Umfang in Frage kommt, als die Unterhaltsbeiträge nicht vom Oberamt bevorschusst werden, mithin die Berufungsbeklagte anspruchsberechtigt und folglich passivlegitimiert ist. Die Streitsache muss in diesem Punkt zur Ergänzung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und Ziffer 1 des Urteils vom 31. Januar 2019 aufgehoben. III. 1. Beide Parteien sind prozessarm. Beiden ist folglich antragsgemäss für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Prozessführung mit unentgeltlicher Parteivertretung zu bewilligen. 2. Nach dem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten zu 3/4 dem Berufungskläger und zu 1/4 der Berufungsbeklagten aufzuerlegen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien trägt die Kosten vorderhand der Staat Solothurn. Vorbehalten bleibt die Rückforderung innert 10 Jahren, sobald A._ oder B._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). 3.1 Der Berufungskläger hat der Berufungsbeklagten, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart, eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 1'409.00 zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien wird das amtliche Honorar von Rechtsanwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart in der Höhe von CHF 1'990.30 vom Staat bezahlt. Vorbehalten bleibt die Rückforderung des Staates innert 10 Jahren und die Nachforderung der Rechtsanwältin von CHF 827.15 sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist. Festzuhalten ist, dass die von Rechtsanwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart geltend gemachten Auslagen nicht in vollem Ausmass honoriert werden können. Die Rechtsanwältin hat die Berufungsklägerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren vertreten und war daher aktenmässig dokumentiert. Die im zweitinstanzlichen Verfahren neu vorgelegten Akten musste die Gegenpartei im Doppel einreichen und wurden ihr folglich vom Gericht zur Verfügung gestellt. Zu kopieren waren lediglich die neuen Akten der Berufungsbeklagten. Unter diesen Umständen ist nicht nachvollziehbar, weshalb bei der beklagtischen Anwältin mehr Kopien als bei der Gegenanwältin nötig gewesen sein sollen. Ebenfalls scheinen die geltend gemachten Telefonauslagen von CHF 2.00 pro 10 min. exorbitant. Insgesamt sind Auslagen von CHF 120.00 angemessen. Die Honorarforderung ist entsprechend anzupassen. 3.2 Die Kostennote der Vertreterin des Berufungsklägers, Rechtsanwältin Cornelia Dippon, [...], wird festgesetzt auf CHF 1'884.90 zahlbar durch den Staat Solothurn. Vorbehalten bleibt die Rückforderung des Staates innert 10 Jahren und die Nachforderung der Anwältin im Betrag von CHF 766.80, sobald A._ zur Nachzahlung in der Lage ist. Demnach wird erkannt : 1. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen. 2. Ziffer 1 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg-Wasseramt vom 31. Januar 2019 wird aufgehoben. 3. Die Sache geht zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen zurück an die Vorinstanz. 4. Die Verfahrenskosten von total CHF 3'000.00 werden A._ zu 3/4 und B._ zu 1/4 auferlegt. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien erliegen die Kosten vorderhand auf dem Staat Solothurn. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch innert 10 Jahren, sobald A._ oder B._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). 5. A._ hat B._ vertr. durch die unentgeltliche Rechtsbeiständin Dr. Franziska Ryser-Zwygart, Solothurn, eine reduzierte Parteientschädigung von CHF 1’409.00 zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien hat der Staat Rechtsanwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart, [...], CHF 1'990.30 und Rechtsanwältin Cornelia Dippon, [...], CHF 1'884.90 zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates innert 10 Jahren, sobald A._/B._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). Sobald A._/B._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO), haben sie ihren Rechtsanwältinnen die Differenz zum vollen Honorar zu leisten. Diese beträgt für Rechtsanwältin Cornelia Dippon CHF 766.80 und für Rechtsanwältin Dr. Franziska Ryser-Zwygart CHF 827.15. Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt mehr als CHF 30'000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Frey Kofmel
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 7. Dezember 2016 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Thomas A. Müller, Beschwerdeführer gegen 1. B._ , vertreten durch Rechtsanwältin Melania Lupi Thomann, 2. Amtsgerichtspräsident von Thal-Gäu, Wengimattstrasse 2, Schmelzihof, 4710 Balsthal Beschwerdegegner betreffend Kostenentscheid / unentgeltliche Rechtspflege zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Am 1. März 2016 reichte B._ (im Folgenden die Ehefrau) beim Richteramt Thal-Gäu ein Gesuch um Schuldneranweisung gegen A._ (im Folgenden der Ehemann) ein. 2. Der Ehemann beantragte mit Stellungnahme vom 13. April 2016, das Verfahren sei vorläufig auf die Frage zu beschränken, ob das Gericht zur Behandlung des Gesuchs zuständig sei. Diesen Antrag begründete er damit, dass er von [...] weggezogen sei und sich in [...] angemeldet habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er in [...] das Scheidungsbegehren eingereicht habe. Die Ehefrau beharrte in ihrer Stellungnahme vom 9. Juni 2016 darauf, dass der Ehemann in [...] Wohnsitz hat. 3. Mit Zwischenentscheid vom 4. Juli 2016 wies der Amtsgerichtspräsident die Unzuständigkeitseinrede ab. Dabei ging er davon aus, dass der Ehemann seinen Wohnsitz nach wie vor in der Schweiz hat. 4. In seiner Stellungnahme zum Gesuch um Schuldneranweisung datiert vom 29. Juli 2016 beantragte der Ehemann, auf das Gesuch sei nicht einzutreten, eventualiter sei dieses abzuweisen. Den Nichteintretensantrag begründete er mit dem in [...] hängigen Scheidungsverfahren. Zudem stellte er ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, u.K.u.E.F. 5. Am 26. September 2016 fällte der Amtsgerichtspräsident folgendes Urteil: 1. Das Gesuch um Schuldneranweisung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 2. B._ werden mit Wirkung ab Gesuchseinreichung die unentgeltliche Rechtspflege und der unentgeltliche Rechtsbeistand bewilligt. Als unentgeltliche Rechtsbeiständin wird Rechtsanwältin Melania Lupi Thomann, Solothurn, bestellt. 3. Das Gesuch von A._ um unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltlichen Rechtsbeistand wird abgewiesen. 4. A._ hat B._, vertreten durch Rechtsanwältin Melania Lupi Thomann, eine Parteientschädigung von CHF 3‘554.05 (inkl. Auslagen und MwSt.) zu bezahlen. Für einen Betrag von CHF 3‘018.75 besteht während zweier Jahre eine Ausfallhaftung des Staates. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistands im Umfang von CHF 535.30 (Differenz zu vollem Honorar), sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 5. Die Verfahrenskosten mit einer Entscheidgebühr von CHF 500.00, total CHF 800.00, hat A._ zu bezahlen. 6. Gegen die Ziffern 3, 4 und 5 dieses Urteils erhob der Ehemann am 7. Oktober 2016 form- und fristgerecht Beschwerde an das Obergericht und verlangte deren Aufhebung. Weiter verlangte er, die Verfahrenskosten der Vorinstanz seien der Ehefrau aufzuerlegen, es sei ihr für das vorinstanzliche Verfahren keine, sondern ihm eine angemessene Parteientschädigung auszurichten und es sei ihm für das vorinstanzliche Verfahren und für das Beschwerdeverfahren die integrale unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, u.K.u.E.F. 7. Die Ehefrau schloss in ihrer Beschwerdeantwort vom 21. Oktober 2016 auf Abweisung der Beschwerde, u.K.u.E.F. Zudem sei ihr die integrale unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 8. Der Amtsgerichtspräsident stellte in seiner Vernehmlassung vom 13. Oktober 2016 den Antrag auf Abweisung der Beschwerde. 9. Auf die Ausführungen der Parteien und der Vorinstanz wird im Folgenden soweit entscheidrelevant eingegangen. Im Übrigen wird auf die Akten verwiesen. II. 1. Der Amtsgerichtspräsident verwies in Bezug auf seinen Kostenentscheid einleitend auf die Art. 106, 107 Abs. 1 lit. c und 108 ZPO. Sodann führte er aus, die Ehefrau habe erst von dem am 16. Februar 2016 in Italien angehobenen Scheidungsverfahren Kenntnis erhalten, nachdem sie das Gesuch um Schuldneranweisung gestellt habe. Es könne ihr deshalb kein Vorwurf gemacht werden, sie habe trotz Rechtshängigkeit ein weiteres Verfahren begonnen. Die Kosten des Anweisungsverfahrens seien dem Ehemann anzulasten, weil er die Kosten verursacht habe, indem er unnötigerweise das Verfahren um Schuldneranweisung durch Nichtbekanntgabe der Anhebung des Scheidungsverfahrens in Italien bewirkt und die Alimente unbestritten nicht vollständig bezahlt habe. 2. Der Ehemann bringt dazu in seiner Beschwerde vor, er habe im erstinstanzlichen Urteil vollumfänglich obsiegt. Umso störender sei es, dass er trotzdem die gesamten erstinstanzlichen Kosten zu tragen habe. Auch in familienrechtlichen Angelegenheiten sei auf die Grundnorm von Art. 106 ZPO abzustellen. In wirtschaftlicher Hinsicht gebe es kein Ungleichgewicht zwischen den Parteien. Es gebe keine Pflicht, die Einleitung eines Scheidungsverfahrens sofort bekannt zu geben. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass das Gericht den Ehepartner sowieso informiere, was hier auch der Fall gewesen sei. Zudem habe der Ehemann die Ehefrau mehrfach darauf hingewiesen, dass er das Scheidungsverfahren in Italien einleiten werde, was ihre Vertreterin mit E-Mail vom 13. Januar 2016 bestätigt habe. Es könne nicht behauptet werden, er habe unnötige Prozesskosten verursacht. Darum gehe es in Art. 108 ZPO und nicht darum, ihn wegen der Nichtbezahlung von Unterhaltsbeiträgen zu bestrafen. Die Ehefrau sei bewusst ein Risiko eingegangen, nachdem sie mit der Einleitung eines Scheidungsverfahrens habe rechnen müssen. Schliesslich sei ein Grossteil des Parteiaufwandes erst entstanden, nachdem mit Stellungnahme vom 13. April 2016 mitgeteilt worden sei, dass das Scheidungsbegehren eingereicht worden sei. Spätestens hier habe klar sein müssen, dass das Anweisungsbegehren chancenlos sein werde. 3. Die Ehefrau entgegnet in ihrer Beschwerdeantwort, in einem familienrechtlichen Verfahren könne von den Verteilungsgrundsätzen gemäss Art. 106 Abs. 1 ZPO abgewichen werden. Der Ehemann sei seiner Pflicht zur Unterhaltszahlung nicht nachgekommen. Auf diese seien sie und das Kind angewiesen. Die Vorinstanz habe das Gesuch um Schuldneranweisung abweisen müssen, weil der Ehemann kein Einkommen erziele, das sein Existenzminimum übersteige. Hätte sich der Ehemann jedoch nicht in der Schweiz abgemeldet, so hätte er ohne Weiteres Arbeitslosengeld beziehen können. Für die Abmeldung in der Schweiz gebe es keinen sachlich gerechtfertigten Grund. Der Ehemann halte sich nach wie vor in der Schweiz auf und sei nach wie vor Eigentümer einer Liegenschaft in [...]. Die Abmeldung habe einzig und allein den Zweck, sich der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Familie zu entziehen. Ein solches Verhalten verdiene keinen Rechtsschutz. Es wäre äusserst unbillig, wenn das Verhalten des Ehemannes auch noch dadurch belohnt würde, dass die Prozesskosten der Ehefrau auferlegt würden. Es liege somit auch ein Anwendungsfall von Art. 107 Abs. 1 Bst. f. ZPO vor. 4.1 Grundsätzlich hat nach Art. 106 ZPO die Prozesskosten zu bezahlen, wer unterliegt. Gemäss Art. 107 ZPO kann das Gericht von diesem Verteilungsgrundsatz unter gewissen Umständen abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen. Demgegenüber hat nach Art. 108 ZPO unnötige Prozesskosten zu bezahlen, wer sie verursacht (Urteil 5A_130/2014 vom 20. März 2014 E. 2.1). 4.2 Die klassische Verteilungsregel nach Art. 106 ZPO kann sich im Einzelfall als starr und ungerecht erweisen. Deshalb sieht Art. 107 ZPO eine Billigkeitsnorm vor, die dem Gericht erlaubt, die Kosten nach Ermessen zu verteilen. Absatz 1 Literae a – e nennt – nicht abschliessend – typisierte Fälle, in denen das Gericht sein Ermessen walten lassen soll. Abgeschlossen wird der Katalog mit einem Auffangtatbestand nach Litera f (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, S. 7927). 4.3 Der Billigkeitsnorm nach Litera c unterstehen insbesondere die familienrechtlichen Verfahren. Bei Scheidung auf gemeinsames Begehren liegt ein billiger Kostenentscheid sogar auf der Hand: Es wäre widersinnig, hier von obsiegenden und unterliegenden Parteien zu sprechen (Botschaft a.a.O.). Es wird vor allem darauf abgestellt, ob ein familienrechtlicher Konflikt vorliegt, für den beide Parteien eine moralische Verantwortung tragen, wie dies in Eheschutz- und Scheidungsverfahren der Fall ist, etwas weniger aber in Rechtsmittel- und vor allem nicht in Abänderungsverfahren (dazu Jann Six, Eheschutz – Ein Handbuch für die Praxis, Bern 2014, S. 59 f. Rdz 1.68). Es ist aber hervorzuheben, dass auch bei familienrechtlichen Verfahren die Grundnorm Art. 106 ZPO ist (David Jenny in: Thomas Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich Basel Genf 2016, Art. 107 N 12). Dementsprechend hat das Bundesgericht selbst im Fall eines Rückzugs einer Scheidungsklage in der blossen Tatsache, dass es sich um ein familienrechtliches Verfahren handelt, keine Rechtfertigung erkannt, von der klaren Regelung des Art. 106 Abs. 1 ZPO abzurücken (Urteil 5A_352/2013 vom 22. August 2013). In einem strittigen Fall, die Kosten auf Grund des Obsiegens bzw. Unterliegens in den Folgefragen zu verteilen, entspricht durchaus den Intentionen des Gesetzgebers und ist nicht zu beanstanden. Eine Abweichung fällt allenfalls dort in Betracht, wo verschiedene strittige Punkte nicht gegeneinander aufgerechnet werden können, weil es sich nur zum Teil um vermögensrechtliche Ansprüche handelt oder die wirtschaftliche Leistungskraft der Parteien erheblich unterschiedlich ist (Urteil 5A_70/2013 vom 11. Juni 2013 E. 6). 4.4 Das Gesetz räumt dem Gericht sodann in Litera f den Spielraum ein, auf Billigkeitserwägungen zurückzugreifen, wenn im Einzelfall die Belastung der unterlegenen Partei mit Prozesskosten als ungerecht erscheint. Als Beispiele für besondere Umstände nach Litera f werden ein sehr ungleiches finanzielles Kräfteverhältnis zwischen den Parteien (vgl. die Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses durch einen Aktionär, wie sie in aArt. 706a Abs. 3 OR geregelt war) aufgeführt sowie das Verhalten der obsiegenden Partei, das entweder zur Klageerhebung Anlass bot oder zusätzlichen ungerechtfertigten Verfahrensaufwand verursachte (Urteil 4A_535/2015 vom 1. Juni 2016 E. 6.4.1 mit Hinweis auf BGE 139 III 33 E. 4.2). 4.5 Die Botschaft zur ZPO (a.a.O., S. 7298) nennt als Beispiele für unnötige Kosten trölerische Begehren oder weitschweifige Eingaben. Unnötige Kosten im Sinne von Art. 108 ZPO sind in erster Linie solche, die durch das Verhalten einer Partei oder Dritter innerhalb des Prozesses zu den üblicherweise bzw. ohnehin entstehenden Prozesskosten zusätzlich hinzukommen. Indessen kommen als unnötige Kosten auch solche in Frage, die von den Parteien oder von Dritten ausserhalb des Prozesses verursacht wurden. Sie können auch die gesamten Prozesskosten umfassen, insbesondere wenn das ganze Verfahren durch ein bestimmtes Verhalten ausserhalb des Prozesses veranlasst wurde (BGE 141 III 426 E. 2.4.3 mit Beispielen passend zu dem dort zu beurteilenden Fall). 5. Der Amtsgerichtspräsident ist auf das Gesuch um Schuldneranweisung nicht eingetreten, weil der Ehemann am 12. Februar 2016 in [...] ein Scheidungsverfahren eingeleitet hatte (Urteil S. 12). In einer Eventualerwägung hat er daraufhin das Gesuch für den Fall, dass trotzdem darauf einzutreten gewesen wäre, abgewiesen. Nach diesem Ausgang des Verfahrens und der oben dargestellten Grundsätze hätten die Prozesskosten der Ehefrau auferlegt werden müssen. Ohnehin handelt es sich bei der Schuldneranweisung nicht um ein familienrechtliches Verfahren im eigentlichen Sinn, sondern um eine privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahme sui generis. Es ist daher zu prüfen, welche (anderen) Gründe ein Abweichen von der Grundnorm und damit den angefochtenen Entscheid rechtfertigen können. 6. Im vorliegenden Fall ist der Ehemann seiner Pflicht zur Bezahlung der Unterhaltsbeiträge, wie sie in der gerichtlich genehmigten Abänderungsvereinbarung vom 15. Oktober 2014 vereinbart wurden, nicht nachgekommen. Die Vertreterin der Ehefrau hat die Unterhaltsbeiträge mehrfach per Mail abgemahnt (Sammelbeilage 9 zum Gesuch). In der Folge wurde das Gesuch um Schuldneranweisung am 1. März 2016 eingereicht. Es war somit der Ehemann, welcher Anlass zur Anhebung des Verfahrens gegeben hat. 7.1 Die Ehefrau hat ihr Gesuch um Schuldneranweisung am 1. März 2016 eingereicht, der Ehemann hat das Scheidungsverfahren in Italien am 12. Februar 2016 anhängig gemacht. Dazu, ob und wann die Ehefrau vom Gericht in [...] eine Zustellung erhalten hat, macht der Ehemann keine konkreten Angaben. Allerdings hat er im Rahmen seiner Unzuständigkeitseinrede vom 13. April 2016 darauf hingewiesen, dass er in [...] ein Scheidungsbegehren eingereicht hat. Diesen Hinweis hat er mit einem (automatischen) Mail des Gerichts in [...] untermauert (Beilage 4 zur Stellungnahme). Damit ist der letztlich entscheidende Umstand aktenkundig geworden und die Ehefrau hätte sich überlegen müssen, ob eine Weiterführung des Prozesses noch Sinn macht. Ausserdem hat der Ehemann ebenfalls darauf hingewiesen, dass im Scheidungsverfahren auch Anträge zur Bezahlung der Unterhaltsbeiträge eingereicht werden können. Denselben Hinweis machte der Vertreter des Ehemannes in seinem Mail vom 23. Mai 2016 an die Vertreterin der Ehefrau (Beleg 14 zur Stellungnahme vom 9. Juni 2016). Wieso sich die Ehefrau in ihrer Stellungnahme zur Unzuständigkeitseinrede vom 9. Juni 2016 einzig mit der Wohnsitzfrage, aber nicht mit diesem Einwand des in [...] hängigen Scheidungsverfahrens beschäftigte, ist nicht nachvollziehbar. Eigentlich hätte sie das Gesuch um Schuldneranweisung zurückziehen müssen. Jedenfalls den mit der Ausarbeitung der Stellungnahme vom 9. Juni 2016 verbundenen Aufwand hat die Ehefrau zu vertreten und damit auch denjenigen für die weitere Fortsetzung des Prozesses. 7.2 Auf der anderen Seite konnte sich die Ehefrau bis zum Hinweis in der Eingabe des Ehemannes vom 13. April 2016 in gutem Glauben zur Prozessführung vor dem Richteramt Thal-Gäu veranlasst sehen, insbesondere auch deshalb, weil der Vertreter des Ehemannes noch am 29. Februar 2016 mitgeteilt hatte, er werde diesen im Anweisungsverfahren vertreten, ohne jedoch auf das bereits angehobene Scheidungsverfahren hinzuweisen (Gesuchsbeilage 9). Auch der Umstand, dass sich der Ehemann schon früher gegenüber der Ehefrau dahingehend geäussert hat, er werde – in [...] – ein Scheidungsverfahren einleiten, ändert daran nichts. Was zählt, ist erst die effektive Einreichung. Zudem kann das erst im Beschwerdeverfahren eingereichte Mail der Vertreterin der Ehefrau vom 13. Januar 2016 im Beschwerdeverfahren ohnehin nicht mehr berücksichtigt werden, da hier neue Beweismittel nach Art. 326 Abs. 1 ZPO unzulässig sind. Der Ehemann hat die Unterhaltsbeiträge nicht bezahlt und damit Anlass zum Gesuch um Schuldneranweisung gegeben. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass er mit der Mitteilung des in Italien hängigen Scheidungsverfahrens nachträglich den Grund für die Unzuständigkeit des Richteramtes Thal-Gäu gesetzt hat. Damit hat er mit seinem Verhalten quasi nachträglich den Nichteintretensentscheid bewirkt. Dies kann analog zur Gegenstandslosigkeit, bei der für den Kostenentscheid ebenfalls gefragt wird, wer diese veranlasst hat, berücksichtigt werden. 7.3 Die Ehefrau wirft dem Ehemann vor, die Abmeldung seines Wohnsitzes habe einzig und allein den Zweck, sich der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Familie zu entziehen. Wie dem Zwischenentscheid des Amtsgerichtspräsidenten zu entnehmen ist, hat der Ehemann nur formell in [...] Wohnsitz begründet, hält sich aber nach wie vor in der Schweiz auf, arbeitet hier und besitzt in [...] eine Liegenschaft. Vor diesem Hintergrund ist es trölerisch, wenn der Ehemann im Verfahren der Schuldneranweisung behauptet, sein Wohnsitz sei in [...]. Damit hat er den Aufwand, welcher im Zusammenhang mit seiner Unzuständigkeitseinrede entstanden ist, jedenfalls mitverursacht. Auch dieser Umstand kann beim Kostenentscheid mitberücksichtigt werden, auch wenn deswegen der Aufwand, den die Ehefrau zu vertreten hat, nicht vollständig aufgehoben wird. 7.4 Soweit die Ehefrau dem Ehemann vorhält, er habe den Verlust seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld rechtsmissbräuchlich herbeigeführt, übersieht sie, dass auf ihr Gesuch wegen des in Italien hängigen Scheidungsverfahrens nicht eingetreten wurde. Ein allfälliger Rechtsmissbrauch hat sich demnach ohnehin nicht auf den Entscheid ausgewirkt. Es kann daher auch davon abgesehen werden, die Abweisung des Gesuchs um Schuldneranweisung im Eventualentscheid neu aufzurollen. Bei der Wohnsitzfrage hat die Abmeldung des Ehemannes einen gewissen Mehraufwand mitverursacht. Darüber hinaus spielt die Abmeldung in [...] keine Rolle und kann nicht nochmals berücksichtigt werden. 7.5 Es sind somit durchaus Gründe vorhanden, die dafür sprechen, dem Ehemann Kosten aufzuerlegen. Die Ehefrau durfte das Verfahren um Schuldneranweisung in gutem Glauben einreichen, nachdem der Ehemann Anlass dazu gegeben hat. In der Folge hat der Ehemann nachträglich der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts die Grundlage entzogen und so den Grund für den Nichteintretensentscheid gesetzt. Zudem hat er die unnötigen Weiterungen um seinen Wohnsitz mitverursacht. Diese Umstände reichen aber bei weitem nicht aus, um den Grundsatz der Kostenauferlegung nach dem Ausgang des Verfahrens vollständig ausser Kraft zu setzen, zumal die Ehefrau den Prozess trotz des erhobenen Einwandes des eingeleiteten Scheidungsverfahrens weitergeführt hat. Weitere Gründe für ein Abweichen von der Grundregel sind nicht ersichtlich. Nach dem Eventualentscheid des Vorderrichters in der Sache besteht zwischen den Parteien jedenfalls auch kein (erheblicher) Unterschied in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände sind die Prozesskosten des Anweisungsverfahrens von den Parteien somit je zur Hälfte zu übernehmen. 8.1 Der Ehemann ficht auch die Abweisung seines Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege an. Der Amtsgerichtspräsident begründete seinen Entscheid damit, dass der Ehemann seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. So habe er bloss die Lohnabrechnungen März – Mai 2016 der [...] AG eingereicht, obwohl er auch bei [...] AG gearbeitet habe. Zudem habe er ein Sparkonto bei der [...]. Den Kontostand habe er aber nicht offengelegt. Schliesslich sei er Eigentümer einer Liegenschaft in [...]. 8.2 Der Ehemann bringt vor, im Moment der Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege habe er nicht mehr bei der [...] AG gearbeitet. Er habe kein Einkommen deklarieren müssen, das ihm nicht mehr zugestanden sei. Keinesfalls habe er etwas verschleiern wollen. Das Gericht habe mit ungleichen Ellen gemessen. Bei der Ehefrau habe ein Verweis auf die Verhältnisse früherer Jahre genügt, ohne dass sie einen neuen Beleg eingereicht habe. Es sei unverhältnismässig, die unentgeltliche Rechtspflege nicht zu gewähren, weil ein Banksaldo nicht ersichtlich gewesen sei. Es wäre dem Gericht zuzumuten gewesen, den Beleg bei Bedarf nachzuverlangen. 8.3 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde zwar erst am 29. Juli 2016 eingereicht. Unterschrieben hat der Ehemann das Gesuch allerdings schon am 9. März 2016. Damals arbeitete er noch bei der [...]. Als Wohnort hat er [...] angegeben. Auch sein Bankguthaben hat er im Gesuch nicht angegeben. Seine Angaben waren unvollständig und ihn Bezug auf den Wohnsitz falsch. Unter diesen Umständen kann der anwaltlich vertretene Ehemann auch nicht vom Richter verlangen, dass dieser die fehlenden Belege einzeln nachfordert. Wer in dieser Art und Weise falsche und unvollständige Angaben macht, kann die unentgeltliche Rechtspflege nicht beanspruchen. Der Vorderrichter hat das Gesuch zu Recht abgelehnt. Er hat dabei nicht mit ungleichen Ellen gemessen. Anders als beim Ehemann waren die Angaben der Ehefrau glaubwürdig und es bestand kein Anlass zu Zweifeln an ihrer Mittellosigkeit. Vor Obergericht rügt der Ehemann zwar, dass der Vorderrichter einen Beleg nicht nachverlangt hat, hält es aber nicht für nötig, diesen Beleg im Hinblick auf sein URP-Gesuch für das Beschwerdeverfahren nun vorzulegen. Die Sachlage hat sich gegenüber dem angefochtenen Entscheid nicht verändert. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist auch für das Verfahren vor Obergericht abzuweisen. 9.1 Die Beschwerde ist demnach in Bezug auf den Kostenentscheid teilweise gutzuheissen, in Bezug auf die unentgeltliche Rechtspflege ist sie abzuweisen. Die Ziffern 4 und 5 des angefochtenen Urteils sind aufzuheben. Die Gerichtskosten der Vorinstanz sind den Parteien je zur Hälfte zur Bezahlung aufzuerlegen und die Parteikosten sind wettzuschlagen. 9.2 Für den Kostenentscheid im obergerichtlichen Verfahren ist nach dessen Ausgang in derselben Weise zu verfahren. Hier ist jedoch vorweg ein Kostenanteil von CHF 200.00 für die Beschwerde gegen die Abweisung des Gesuchs um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auszuscheiden. Die Entscheidgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf CHF 1‘000.00 festgesetzt. Davon hat der Ehemann vorweg einen Anteil von CHF 200.00 zu übernehmen. Die übrigen CHF 800.00 sind zwischen den Parteien aufzuteilen. Wie im erstinstanzlichen Verfahren ist der Ehefrau die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Die Parteikosten des obergerichtlichen Verfahrens werden wettgeschlagen. Die Vertreterin der Ehefrau ist zufolge der unentgeltlichen Rechtspflege vom Kanton zu entschädigen. Der Nachzahlungsanspruch gegenüber der Ehefrau ist auf der Grundlage eines Stundenansatzes von CHF 250.00 zu berechnen, wie er in der Honorarvereinbarung auf der Rückseite der Anwaltsvollmacht festgehalten ist. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wir teilweise gutgeheissen und die Ziffern 4 und 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 26. September 2016 werden aufgehoben. 2. Ziffer 4 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 26. September 2016 lautet neu wie folgt: Die Parteikosten werden wettgeschlagen. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von B._, Rechtsanwältin Melania Lupi Thomann, wird auf CHF 3‘018.75 festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 535.30 (Differenz zu vollem Honorar), sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 3. Ziffer 5 des Urteils des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu vom 26. September 2016 lautet neu wie folgt: Die Verfahrenskosten von CHF 800.00 haben B._ und A._ je zur Hälfte zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege von B._ trägt der Staat Solothurn ihren Anteil von CHF 400.00; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 4. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 5. Das Gesuch von A._ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren wird abgewiesen. 6. An die Kosten des Beschwerdeverfahrens von CHF 1‘000.00 hat A._ einen Betrag von CHF 600.00 und B._ einen solchen von CHF 400.00 zu bezahlen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege von B._ trägt der Staat Solothurn ihren Anteil von CHF 400.00; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). 7. Die Parteikosten des obergerichtlichen Verfahrens werden wettgeschlagen. Die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin von B._, Rechtsanwältin Melania Lupi Thomann, wird auf CHF 374.20 festgesetzt und ist zufolge unentgeltlicher Rechtspflege vom Staat zu zahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren sowie der Nachzahlungsanspruch der unentgeltlichen Rechtsbeiständin im Umfang von CHF 136.10 (Differenz zu vollem Honorar), sobald B._ zur Nachzahlung in der Lage ist (Art. 123 ZPO). Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 30‘000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 6. Januar 2017 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwältin Marie-Christine Müller Leu, Berufungskläger gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Schnyder, Berufungsbeklagte betreffend Scheidung auf gemeinsames Begehren zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1. Die Parteien führten vor Richteramt Thal-Gäu ein Ehescheidungsverfahren. Sie hatten am 3. September 2014 ein gemeinsames Scheidungsbegehren eingereicht. Die beiden gemeinsamen Kinder sind bereits volljährig. Am 20. Januar 2015 fand vor der Amtsgerichtsstatthalterin eine Verhandlung statt. Mit Verfügung vom 20. Januar 2015 wurde die Ehefrau verpflichtet, dem Ehemann ab Auszug aus der ehelichen Liegenschaft einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von CHF 1‘477.00 zu bezahlen. Die eheliche Liegenschaft in [...] wurde der Ehefrau zur alleinigen Benützung zugewiesen. Am 25. November 2015 stellte die Ehefrau den Antrag, der Unterhaltsbeitrag an den Ehemann sei aufzuheben, ev. zu reduzieren. Mit Verfügung vom 2. Dezember 2015 wies die Amtsgerichtsstatthalterin diesen Antrag ab. Am 5. April 2016 fand die Hauptverhandlung statt. Anschliessend fällte die Amtsgerichtsstatthalterin das Ehescheidungsurteil. In unterhaltsrechtlicher Hinsicht wurde die Ehefrau verpflichtet, dem Ehemann ab Rechtskraft des Ehescheidungsurteils bis am 31. Dezember 2017 einen monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrag im Sinne von Art. 125 ZGB von CHF 1‘200.00 zu bezahlen (Ziffer 2). Diese Scheidungsnebenfolge wurde auf folgende Berechnungsgrundlagen gestützt (Ziffer 6): - monatliches Nettoeinkommen der Ehefrau (inkl. Anteil 13. Monatslohn) CHF 6‘200.00; - monatliches Nettoeinkommen des Ehemannes CHF 3‘000.00; - monatlicher Bedarf des Ehemannes CHF 4‘131.00 (Grundbetrag CHF 1‘200.00, Mietzins CHF 1‘200.00, Krankenversicherungsprämie CHF 225.00, Telecom/Mobiliarversicherung CHF 150.00, auswärtiges Essen CHF 210.00, Steuern CHF 566.00, Vorsorgeunterhalt CHF 380.00, Anteil Überschuss CHF 200.00). 2. Frist- und formgerecht erhob der Ehemann Berufung gegen Ziffer 2 des Urteils der Amtsgerichtsstatthalterin vom 5. April 2016. Er stellt den Antrag, die Ehefrau sei zu verpflichten, ihm folgende Unterhaltsbeiträge zu bezahlen: ab Rechtskraft des Scheidungsurteils bis 31. Dezember 2016 CHF 2‘157.00, ab 1. Januar bis 31. Dezember 2017 CHF 1‘800.00, ab 1. Januar bis 31. Dezember 2018 CHF 1‘500.00 und ab 1. Januar bis 31. Dezember 2019 CHF 600.00. Eventualiter nach richterlichem Ermessen. Mit der Berufungsantwort reichte die Ehefrau gleichzeitig Anschlussberufung ein. Sie stellt den Antrag, die Berufung sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei und sie sei nicht zu verpflichten, dem Ehemann ab Rechtskraft des Scheidungsurteils nachehelichen Unterhalt zu bezahlen. Der Ehemann beantragt die Anschlussberufung abzuweisen. 3. Über die Berufung und Anschlussberufung kann ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Vorbringen der Parteien und die Erwägungen der Vorderrichterin wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen. II. 1. Die Amtsgerichtsstatthalterin hat den nachehelichen Unterhaltsbeitrag der Ehefrau an den Ehemann in Anwendung der sogenannten zweistufigen Methode berechnet. Sie hat den gebührenden Bedarf des Berufungsklägers inklusive eines Vorsorgeunterhalts von CHF 380.00 auf CHF 4‘131.00 festgesetzt. Sie hat dann weiter erwogen, dass der Ehemann mit einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von CHF 1‘200.00 seinen gebührenden Bedarf selber decken könne. Seien die durch die Führung zweier separater Haushalte verursachten Kosten gedeckt – was mit einem Unterhaltsbeitrag von CHF 1‘200.00 der Fall sei –, könne ein Ehegatte auch in günstigen Verhältnissen unter dem Titel des ehelichen Unterhaltsanspruchs grundsätzlich nicht mehr verlangen als zur Weiterführung seiner bisherigen Lebenshaltung erforderlich sei. Eine hälftige Teilung des Überschusses – wie es der Ehemann beantrage – sei daher nicht angezeigt. 2. Der Berufungskläger macht geltend, die Vorderrichterin habe den Sachverhalt falsch festgestellt, indem sie ausführe, er habe seinen gebührenden Bedarf auf das um den Vorsorgebeitrag von CHF 684.00 erweiterte Existenzminimum, entsprechend CHF 3‘674.00 festgesetzt. Er habe aber im 1. Parteivortrag festgehalten, dass von einem gebührenden Bedarf von CHF 5‘767.00 ohne Vorsorgeunterhalt auszugehen sei. Mit dem nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aufgerechneten Vorsorgeunterhalt von CHF 1‘000.00 komme er auf einen gebührenden Bedarf inklusive Vorsorgeunterhalt von CHF 6‘762.00. Da aufgrund der errechneten Zahlen das aktuelle Gesamteinkommen von CHF 9‘939.00 nicht ausreiche, um beiden Parteien die gleiche Lebenshaltung wie während der Ehe zu ermöglichen, habe alternativ eine Existenzminimumberechnung mit hälftiger Überschussverteilung durchgeführt werden müssen, wobei bei ihm im Existenzminimum ein Vorsorgeunterhalt zu kalkulieren gewesen sei, damit er auf seinem Anspruch auch entsprechende Vorsorgegelder äufnen könne. Er habe deshalb vom Gesamteinkommen von CHF 9‘939.00 beide Existenzminima (CHF 2‘990.00 plus CHF 684.00 Vorsorgeunterhalt bei ihm = total CHF 3‘674.00; CHF 3‘244.00 bei der Berufungsbeklagten) in Abzug gebracht und den Überschuss auf die beiden Ehegatten hälftig verteilt, womit er einen Unterhaltsbeitrag von CHF 2‘184.50 errechnet habe. Berechne man seinen Unterhaltsanspruch gestützt auf die Existenzminimumberechnung mit Überschussverteilung, so komme man auf einen ihm zustehenden Unterhalt von CHF 2‘465.00 (unbestrittenes Gesamteinkommen CHF 9‘939.99, Existenzminimum Ehemann ohne Vorsorge und ohne Überschussanteil CHF 3‘551.00, Vorsorgebeitrag CHF 684.00 [anstatt CHF 380.00 gemäss Vorinstanz], Existenzminimum Ehefrau CHF 3‘244.00 = Überschuss von CHF 2‘460.00): Existenzminimum CHF 3‘551.00 Vorsorgeunterhalt CHF 684.00 1⁄2 Überschussanteil CHF 1‘230.00 Total CHF 5‘465.00 Abzüglich Eigenverdienst CHF 3‘000.00 Unterhalt CHF 2‘465.00 Der von ihm vorinstanzlich geltend gemachte Unterhaltsbeitrag von anfänglich CHF 2‘157.00 sei deshalb in keiner Weise zu hoch angesetzt. 3.1 Ist es einem Ehegatten nicht zuzumuten, für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufzukommen, so hat ihm der andere Ehegatte einen angemessenen Beitrag zu leisten (Art. 125 Abs. 1 ZGB). Der gebührende Unterhalt entspricht der Lebenshaltung, welche die Eheleute während ihres Zusammenlebens erreicht und entsprechend ihrer Übereinkunft gepflegt und auf deren Weiterführung sie im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten auch nach der Scheidung ihrer Ehe jedenfalls dann grundsätzlich Anspruch haben, wenn ihre Ehe lebensprägend war. Massgebend ist der zuletzt erreichte, gemeinsam gelebte Lebensstandard. Dieser stellt gleichzeitig auch die Obergrenze des gebührenden Unterhalts dar (s. zum Ganzen BGE 137 III 102 E. 4.2.1; BGE 134 III 145 E. 4). Im Übrigen fusst die Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht auf dem Gedanken, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auf den Fortbestand der Ehe und die damit zusammenhängende Versorgung bauen durfte (Urteil des BGer 5A_24/2016 vom 23. August 2016 E. 3.4.1). 3.2 Was die Art und Weise der Bemessung des nachehelichen Unterhalts angeht, schreibt das Gesetz keine bestimmte Berechnungsmethode vor. Nach der Rechtsprechung ist der gebührende Unterhalt im Sinne von Art. 125 Abs. 1 ZGB grundsätzlich konkret, das heisst anhand der tatsächlich getätigten Ausgaben zu ermitteln (BGE 134 III 145 E. 4). Indessen hat das Bundesgericht präzisiert, dass die Methode der Existenzminimumberechnung mit (allfälliger) Überschussverteilung (zweistufige Methode) jedenfalls dann zu zulässigen Ergebnissen führt, wenn sich die zuletzt gelebte Lebenshaltung nicht zuverlässig ermitteln lässt (Urteil 5A_267/2014 vom 15. September 2014 E. 5.1), wenn feststeht, dass die Ehegatten während des Zusammenlebens das verfügbare Einkommen für den laufenden Unterhalt verbraucht haben, oder aber wenn eine bisherige Sparquote durch die trennungsbedingten Mehrkosten oder neue Bedarfspositionen aufgebraucht wird (Urteil des BGer 5 A_24/2016 vom 23. August 2016 E. 3.4.2; BGE 140 485 E. 3.3; BGE 137 III 102 E. 4.2.1.1; BGE 134 III 577 E. 3). 4.1 Die Vorderrichterin hat erwogen, wenn der zuletzt gelebte Standard nicht zuverlässig ermittelt werden könne und feststehe, dass die Ehegatten während der Ehe das verfügbare Einkommen für den laufenden Unterhalt verbraucht haben, könne die Methode des erweiterten Existenzminimums mit Überschussverteilung zu einer adäquaten Konkretisierung des zuletzt gemeinsam gelebten Standards bzw. der zufolge scheidungsbedingter Mehrkosten nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz von den Ehegatten und Kindern anteilsmässig zu tragenden reduzierten Lebenshaltung führen und für die Bezifferung des allfällig geschuldeten nachehelichen Unterhaltsbeitrages herangezogen werden. Es könne festgehalten werden, dass die Ehegatten kaum Vermögen angespart hätten und entsprechend das eheliche Einkommen bis auf Amortisationszahlungen für den Lebensunterhalt verwendet hätten. Wolle der Ehemann nacheheliche Ansprüche geltend machen, so habe er sich über seinen gebührenden Bedarf auszuweisen. Als gebührenden Unterhalt spreche er das um den Vorsorgeunterhalt erweiterte Existenzminimum an. Der Ehemann habe erklärt, seine Tochter werde aus der gemeinsam bewohnten Wohnung ausziehen. Für die nähere Zukunft sei bei ihm daher von einem Einpersonenhaushalt auszugehen. Deshalb und aufgrund der bei den Akten liegenden Urkunden sei sein Bedarf auf CHF 4‘131.00 (inkl. berufliche Vorsorge) festzusetzen. Gemäss Berechnungsblätter betrage der Vorsorgeunterhalt bei einem Verbrauchsunterhalt von netto CHF 4‘330.00 und brutto CHF 4‘773.00 und einem effektiven Einkommen von CHF 3‘000.00 CHF 380.00 und nicht wie vom Ehemann berechnet CHF 683.85. Bei einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von CHF 1‘200.00 könne der Ehemann seinen gebührenden Bedarf decken. Wenn die durch die Führung zweier separater Haushalte verursachten Kosten gedeckt seien – was damit der Fall sei –, könne ein Ehegatte auch in günstigen Verhältnissen unter dem Titel des ehelichen Unterhaltsanspruchs grundsätzlich nicht mehr verlangen als zur Weiterführung seiner bisherigen Lebenshaltung erforderlich sei. Eine hälftige Teilung des Überschusses – wie es der Ehemann beantrage – sei nicht angezeigt. 4.2 Der Berufungskläger stellt in seiner Berufung eine, seiner Ansicht nach korrekte Berechnung des Unterhaltsbeitrages nach der zweistufigen Methode auf (vergl. Ziffer 2 hievor). 4.3 Die Rüge des Berufungsklägers an der Berechnung des Unterhaltsbeitrages durch die Vorderrichterin erfolgt zu Recht. Bei der zweistufigen Berechnung ist es an sich korrekt, von den (erweiterten) Existenzminima der Parteien auszugehen. Der Berufungskläger beziffert sein Existenzminimum ausgehend von der Feststellung der Vorderrichterin auf CHF 3‘551.00 (ohne Überschussanteil und ohne Vorsorge) bzw. auf CHF 4‘235.00 (inkl. Vorsorge von CHF 684.00). Das Existenzminimum der Berufungsbeklagten hat er entsprechend der Verfügung der Vorderrichterin vom 2. Dezember 2015 auf CHF 3‘244.00 festgesetzt. Zur Berechnung des Überschusses hat er auf den Lohnausweis 2015 der Ehefrau abgestellt und sich selber ein Einkommen von CHF 3‘000.00 angerechnet, was dann CHF 2‘460.00 ergeben hat. Die Vorderrichterin hat zum Bedarf der Berufungsbeklagten im Scheidungszeitpunkt keine Feststellungen getroffen. Der Berufungskläger geht für die Ermittlung des Überschusses von einem gemeinsamen Einkommen des Jahres 2015 von CHF 9‘939.00 (Ehefrau CHF 6‘939.00, Ehemann CHF 3‘000.00) aus. Die Vorderrichterin hat demgegenüber das für die Scheidungsfolgen massgebende Einkommen auf CHF 9‘200.00 (Ehefrau CHF 6‘200.00, Ehemann CHF 3‘000.00) festgesetzt. Sie hat in den Erwägungen aber auch festgestellt, der Ehemann habe in den Jahren vor der Trennung durchschnittlich CHF 2‘000.00 und die Ehefrau ca. CHF 6‘200.00 (= total CHF 8‘000.00 bis CHF 8‘200.00) verdient. In ihrer Schlussfolgerung hat die Vorderrichterin dann aus nicht nachvollziehbaren Gründen gleichwohl nicht auf dieses Einkommen abgestellt, was aber korrekt gewesen wäre, ist doch für die Berechnung des Überschusses dasjenige Einkommen heranzuziehen, über das die Ehegatten während des Zusammenlebens verfügten (Urteil des BGer 5A_24/2016 E. 4.1.2). Im Weitern ist die Feststellung, dass der Überschuss nicht hälftig zu teilen sei, da der Ehemann mit einem Unterhaltsbeitrag von CHF 1‘200.00 seinen gebührenden Bedarf von CHF 4‘131.00 decken könne, nicht richtig, handelt es sich doch beim Bedarf von CHF 4‘131.00 eben gerade nicht um den gebührenden Bedarf, sondern um das um einzelne Positionen erweiterte Existenzminimum. Mit der Berücksichtigung pauschalisierter Beträge (Grundbetrag) steht fest, dass nicht der konkrete gebührende Bedarf ermittelt worden ist (BGE 140 III 485 E. 3.4). Im Weitern ist bei der Anwendung der zweistufigen Methode, wie sie die Vorinstanz – jedoch nicht in reiner Form angewendet hat – der Überschuss aufzuteilen. 5. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Berufung und Anschlussberufung gutzuheissen sind. Ziffer 2 des Urteils der Amtsgerichtsstatthalterin von Thal-Gäu vom 5. April 2016 wird aufgehoben. Ziffer 6 des Urteils ist nicht angefochten worden, muss aber folgerichtig ebenfalls aufgehoben werden. Wie vorstehend ausgeführt, müssen zur korrekten Ermittlung des Unterhaltsbeitrages weitere Überlegungen angestellt werden, mit denen sich die Vorinstanz noch nicht befasst hat. Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 6. Die Höhe des Unterhaltsbeitrages wird Auswirkungen auf die Dauer der Unterhaltsbeitragspflicht haben, so dass auch der diesbezügliche Entscheid neu zu treffen sein wird. 7. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des Verfahrens in der Höhe von total CHF 2‘000.00 den Parteien je hälftig aufzuerlegen. Den Parteien ist vom jeweils geleisteten Kostenvorschuss CHF 1‘000.00 zurückzuerstatten. Die Parteikosten sind entsprechend wettzuschlagen. Demnach wird erkannt : 1. Die Berufung und Anschlussberufung werden gutgeheissen. Ziffer 2 und 6 des Urteils der Amtsgerichtsstatthalterin von Thal-Gäu vom 5. April 2016 werden aufgehoben. Die Sache wird zur Neufestsetzung des Unterhaltsbeitrages an die Vorinstanz zurückgewiesen. 2. Die Kosten des Berufungs- und Anschlussberufungsverfahrens von CHF 2‘000.00 werden A._ und B._ je hälftig auferlegt. A._ und B._ sind von den geleisteten Kostenvorschüssen je CHF 1‘000.00 zurückzuerstatten. 3. Die Parteikosten des Berufungs- und Anschlussberufungsverfahrens werden wettgeschlagen. Rechtsmittel: Der Streitwert übersteigt CHF 30‘000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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Obergericht Beschwerdekammer Urteil vom 22. Dezember 2017 Es wirken mit: Präsidentin Jeger Oberrichter Müller Oberrichter Frey Gerichtsschreiberin Ramseier In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt Boris Banga, Beschwerdeführerin gegen 1. Staatsanwaltschaft, Barfüssergasse 28, Franziskanerhof, 4502 Solothurn, Beschwerdegegnerin 2. B._ , vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, 3. C._ , vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Kunz, Beschuldigte betreffend Einstellungsverfügung des Staatsanwaltes zieht die Beschwerdekammer des Obergerichts in Erwägung : 1. Am 7. Oktober 2015 wollten die Polizeibeamten B._ und C._ A._ auf ihrer Fahrt in [...] einer Kontrolle unterziehen. Dabei kam es zwischen ihnen und A._ zu einer Auseinandersetzung, weshalb A._ am 27. Oktober 2015 Strafanzeige gegen die beiden Polizeibeamten wegen Amtsmissbrauchs, Körperverletzung, Tätlichkeit, Sachbeschädigung etc. einreichen liess. Am 11. November 2015 (Rapportdatum) liessen B._ und C._ gegen A._ ebenfalls Strafanzeige wegen Gewalt und Drohung gegen Polizeibeamte und Ungehorsams gegen die Polizei resp. bezüglich B._ wegen Tätlichkeiten einreichen. A._ wirft den Polizeibeamten in der Strafanzeige vor, sie habe offensichtlich keine Verkehrsregel verletzt, welche eine Anhaltung überhaupt gerechtfertigt habe, geschweige denn eine Verhaftung. Vielmehr sei die Anhaltung willkürlich und unbegründet erfolgt und das Verhalten der Polizeibeamten sei unverhältnismässig gewesen. Die Staatsanwaltschaft eröffnete am 3. November 2015 eine Strafuntersuchung gegen B._ und C._ wegen Tätlichkeiten, evtl. weiterer Delikte. Am 13. November 2015 erfolgte je eine Ausdehnungsverfügung wegen Amtsmissbrauchs. Gegen A._ wurde am 17. Dezember 2015 eine Strafuntersuchung eröffnet wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, evtl. wegen Hinderung einer Amtshandlung. Mit Verfügung vom 11. August 2017 stellte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen sämtliche Beteiligten ein (in Ziff. 1 und 2 betreffend B._ und C._, in Ziff. 3 betreffend A._). Bezüglich B._ und C._ erfolgte die Einstellung mit der Begründung, es lägen zwar deutliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die objektiven Tatbestände der Tätlichkeiten, der geringfügigen Sachbeschädigung und des Amtsmissbrauchs erfüllt sein könnten, zumal bei Lichte betrachtet nicht einmal für das zugestandene Verhalten der Polizeiorgane eine gesetzliche Grundlage bestehen dürfte. Die erwähnten Tatbestände seien indessen nur strafbar, wenn den Beschuldigten ein vorsätzliches Handeln zugrunde liege. Hier lasse sich ein rechtsgenüglicher Nachweis, dass die Herren B._ und C._ auch nur in Kauf genommen hätten, ihre Befugnisse zu überschreiten resp. ihre Amtspflichten zu missachten, nicht erbringen. Namentlich sei festzuhalten, dass keinerlei Anhaltspunkte vorhanden seien, dass die zur Anwendung gebrachte «sanfte Gewalt», aus welcher Hämatome und eine geringfügige Sachbeschädigung resultiert hätten, per se als unverhältnismässig zu gelten habe, wenn den Polizeibeamten zugebilligt werde, sie seien zumindest subjektiv davon ausgegangen, innerhalb ihrer Befugnisse zu handeln. Ein Putativrechtfertigungsgrund sei daher zu bejahen. 2. Gegen die Ziff. 1 und 2 der Einstellungsverfügung liess A._ am 28. August 2017 Beschwerde erheben mit den Anträgen auf deren Aufhebung sowie auf Rückweisung der Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft zur Weiterführung des Verfahrens. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei nur unbestritten, dass die Beschwerdeführerin im Verlaufe einer Polizeikontrolle unter Anwendung eines gewissen Masses an physischer Gewalt in ein Polizeifahrzeug verbracht und wieder aus diesem herausgezogen worden sei, bevor sie in die Räumlichkeiten der Stadtpolizei begleitet und anschliessend wieder aus dem Gewahrsam entlassen worden sei. Beim Herausziehen aus dem Fahrzeug sei zudem ihr Oberteil beschädigt worden. Dass den Polizeibeamten ein Putativrechtfertigungsgrund zugebilligt werde widerspreche den Vorschriften von Art. 319 Abs. 1 StPO. Als langjährige Mitarbeiter dürfte ihnen bekannt sein, dass eine polizeiliche Anhaltung nur im Interesse der Aufklärung einer Straftat zulässig sei. Zudem habe die Beschwerdeführerin ihre Personalien angegeben und die Ausweispapiere abgegeben. Es habe kein Verkehrsdelikt vorgelegen und der Auftrag, die Beschwerdeführerin gestützt auf einen angeblichen Auftrag der Sozialen Dienste [...] in unbekannter Art und Weise zu kontrollieren, rechtfertige das Vorgehen der Polizeibeamten nicht. Auch der vorgeschobene Grund der Fahrunfähigkeit sei eine reine Schutzbehauptung. Schliesslich bestehe auch ein Verdacht auf ein Urkundendelikt seitens von B._. 3. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 26. September 2017 unter Hinweis auf die angefochtene Verfügung die Abweisung der Beschwerde. 4. B._ und C._ liessen am 6. November 2017 ebenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragen. Es sei nicht bestritten, dass die Aussagen der Beteiligten divergierten. Im Kerngehalt seien die Aussagen der involvierten Polizisten indessen widerspruchsfrei und schlüssig. Ebenso schlüssig seien die Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft. Die Polizeibeamten hätten sich berechtigt und verpflichtet gesehen, die Kontrolle gegenüber Frau A._ durchzuführen. Die anschliessende Eskalation sei hingegen ausschliesslich durch die Beschwerdeführerin verursacht. Die Polizeibeamten hätten nicht vorsätzlich ihre Amtspflichten verletzen oder überschreiten wollen. Zusätzlich zu den Ausführungen der Staatsanwaltschaft sei festzuhalten, dass die Putativrechtfertigung erst in einem zweiten Schritt zu prüfen sei. Im Sinne einer ersten Prüfung müsse geklärt werden, ob das Verhalten der Polizei der Situation und dem Verhalten des Betroffenen angepasst gewesen sei. Dies sei vorliegend der Fall. 5. Für die Standpunkte der Parteien wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, wird nachfolgend darauf eingegangen. II. 1. Die Staatsanwaltschaft verfügt gemäss Art. 319 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) u.a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a), wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b) oder wenn Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen. Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (BGE 143 IV 241 mit Hinweisen). Die Sachverhaltsfeststellung obliegt grundsätzlich dem urteilenden Gericht. Die Staatsanwaltschaft und die Beschwerdeinstanz dürfen bei Entscheiden über die Einstellung eines Strafverfahrens den Sachverhalt daher nicht wie ein urteilendes Gericht feststellen. Sachverhaltsfeststellungen müssen in Berücksichtigung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» jedoch auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen «klar» bzw. «zweifelsfrei» feststehen, so dass im Falle einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Davon kann indes nicht ausgegangen werden, wenn eine abweichende Beweiswürdigung durch das Gericht ebenso wahrscheinlich erscheint. Den Staatsanwaltschaften ist es nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» lediglich bei einer unklaren Beweislage untersagt, der Beweiswürdigung des Gerichts vorzugreifen (BGE 143 IV 241 mit Hinweisen). Muss die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung geprüft werden, sind gewisse Abwägungsfragen sachimmanent. Die Staatsanwaltschaft darf deshalb auch Verhältnismässigkeitsprüfungen vornehmen. Ebenso kann sie den subjektiven Tatbestand prüfen, wobei sie die konkreten Umstände ausreichend zu berücksichtigen hat (Urteile 6B_816/2016 vom 20. Februar 2017; 6B_195/2016 vom 22. Juni 2016). 2.1 A._ wirft den Beschuldigten in der Strafanzeige vor, am 7. Oktober 2015 auf einer Fahrt in [...] mittels Anzeigetafel angehalten worden zu sein. Auf Verlangen der Polizisten habe sie sämtliche Fahrzeugpapiere und den Führerausweis ausgehändigt. Anschliessend sei sie aufgefordert worden, auf den Posten zu kommen, ohne den Grund zu nennen. Sie habe mehrmals nachgefragt, welche Verstösse sie überhaupt begangen habe und habe ihnen auch gesagt, dass sie einen Arzttermin habe. Die Polizisten hätten den Grund nicht nennen wollen, sondern hätten vorsätzlich körperliche Gewalt angewendet und sie ins Polizeiauto gezerrt. Insbesondere hätten sie sie links und rechts derart heftig an den Oberarmen gepackt und den Arm hinter dem Rücken verdreht, dass dadurch eine Hauterosion und Hämatome sowie starke Armschmerzen die Folge gewesen seien. Sogar ihr Pullover sei zerrissen worden. Sie habe keine Verkehrsregel verletzt, die eine Anhaltung oder eine Verhaftung gerechtfertigt hätte. Gegenüber der Staatsanwaltschaft bestätigte die Beschwerdeführerin diese Angaben. Sie habe nach dem Anhalten die Papiere auf die Motorhaube des Polizeifahrzeugs gelegt. Herr B._ habe gesagt, sie müsse jetzt mitkommen, nicht aber weshalb. Sie habe sich dann wieder ins Fahrzeug gesetzt und sei um das Polizeifahrzeug gefahren, habe dann aber wieder angehalten, weil sie gemerkt habe, dass sie ihre Papiere nicht habe. Sie habe Herrn B._ gebeten, ihr die Papiere zu geben, welcher aber immer nur gesagt habe, sie müsse mitkommen. Herr C._ habe sie dann am rechten Arm gezogen, hinten rum, was sehr weh getan habe. Herr B._ habe inzwischen die Papiere von der Motorhaube genommen und dann auf der linken Seite an ihr gezogen. Herr C._ habe sie geduzt und gesagt, sie solle doch wieder abhauen nach [...], wo sie hingehöre. Herr C._ habe so fest gedrückt, bei der Türe, dass Herr B._ zu Fall gekommen sei. Als er wieder aufgestanden sei, habe einer von ihnen die Türe geöffnet und sie sei dann mit Herrn C._ hinten im Auto gesessen; sie sei von Herrn C._ ins Fahrzeug geschmissen/gedrückt worden. Herr B._ sei vorne gesessen. Sie sei sich vorgekommen wie der letzte Dreck. Beim Revier habe sie Herrn B._ gefragt, ob er sie noch 5 Minuten allein lassen könne; sie sei so aufgeregt gewesen. So wie sie auf der Fahrt behandelt worden sei, sei sie noch nie behandelt worden. Herr B._ habe nein gesagt und sie richtiggehend aus dem Auto gerissen. Sie habe sich nicht wehren können. Dann hätten sie sie gemeinsam den Keller hinuntergerissen. Dort sei dann ein anderer Mann gewesen und die Beiden seien gegangen. Später seien sie wieder zurückgekommen. Sie habe keine Aussagen machen können, da sie nicht in der Verfassung gewesen sei. Schliesslich hätten sie sie zurück zu ihrem Auto gebracht und sie sei zum Arzt gefahren. 2.2 B._ sagte gegenüber der Staatsanwaltschaft am 29. Januar 2016 im Wesentlichen aus, sie hätten vom Sozialamt [...] ein Mail erhalten, sie sollten das Fahrzeug mit diesem Schild anschauen. Das Sozialamt habe sie wissen lassen, dass Frau A._ das Fahrzeug gar nicht fahren dürfe wegen des Sozialgeldes. Das Mail habe er nach seinen Ferien gelesen und als sie dann am 7. Oktober 2015 das Auto vor ihnen gehabt hätten, hätten sie die Fahrzeuglenkerin kontrollieren wollen. Die Beschwerdeführerin habe aber nicht auf die Matrix reagiert, weshalb sie sie überholt hätten und C._ habe ihr die Matrix mit «Stopp Polizei» von vorne gezeigt. Wiederum sei keine Reaktion erfolgt. Er habe die Fahrt dann verlangsamt und ihr Fahrzeug an den Strassenrand dirigiert. Die Beschwerdeführerin sei bereits ausgestiegen gewesen, als sie ausgestiegen und auf ihr Fahrzeug zugegangen seien. Sie habe ihre Ausweise und das Portemonnaie in ihren Händen gehalten. Noch bevor er habe sagen können, er hätte gerne die Ausweise, seien diese durch die Luft und dann auf die Strasse geflogen. Er habe sie gefragt, was das solle, sie wollten sie nur kontrollieren. Er habe sie gebeten, die Ausweise aufzuheben, was sie aber nicht gemacht habe. Also habe er die Ausweise aufgehoben. Sie habe wild gestikuliert und in einem renitenten Ton gesagt, was das solle, sie müsse weiter. Anschliessend sei sie ins Auto gestiegen und davongefahren. Sie seien einen Moment perplex gewesen. Das sei ihm noch nie passiert. Sie seien ihr mit Blaulicht und Sirene nachgefahren. Nach rund 100 oder 150 Metern habe sie angehalten und sie seien alle ausgestiegen. Er habe zu ihr gesagt, etwas stimme wohl nicht mit ihr, sie müsse auf den Posten mitkommen. Nach der dritten Aufforderung habe sie in ihr Auto steigen wollen, worauf Herr C._ sie an der linken Hand genommen und den Arm mittels Polizeigriff nach hinten, hinter den Rücken, genommen habe. Da sie sich mit der rechten Hand am Brückengeländer festgehalten habe, sei er zu ihr gegangen. Da habe sie ihm mit dem Fuss einen in die Kniekehle links «gegingget». Gleichzeitig habe sie die rechte Hand losgelassen, worauf er gestürzt sei. Anschliessend habe er ihren rechten Arm genommen und sie hätten sie zum Auto geführt. Dies nicht in Handschellen, da sie eine Frau sei und wegen der Leute, die zugeschaut hätten. Im Fahrzeug sei sie sehr wild gewesen und habe mit den Füssen gegen den Sitz und die Türe getreten. Sie habe sich dann geweigert auszusteigen, worauf er sie nach der dritten Aufforderung am Arm gepackt habe. Dabei sei das Langarmshirt beschädigt worden. Sie hätten sie so aber aus dem Auto nehmen können. Sie habe geschrien und getobt. Zwei weitere Mitarbeiter (Herr D._ und Frau E._) seien gekommen, weil sie das gehört hätten. Die beiden hätten sie dann in den Posten genommen und sie seien gegangen. Die Beschwerdeführerin habe sich dann erholt und Herr D._ habe entschieden, dass sie fahrfähig sei, worauf sie sie wieder zu ihrem Fahrzeug gebracht hätten. Vorher noch habe er ihr gesagt, dass er sie anzeigen werde. 2.3 C._ gab am 29. Januar 2016 zusammenfassend zu Protokoll, sie hätten die Beschwerdeführerin kontrolliert, weil noch etwas vom Sozialamt offen gewesen sei. Die Art und Weise der Anhaltung schilderte er gleich wie B._. Sie sei früher ausgestiegen als Herr B._ und er. Sie habe gefragt, was das solle und was sie wollten. Sie hätten gesagt, sie wollten eine ganz normale Kontrolle durchführen und hätten gefragt, ob sie Fahrzeug- und Führerausweis dabeihabe. Sie habe in ihrem Fahrzeug nach den Ausweisen gesucht und ihnen dann das Portemonnaie mit den Ausweisen über die Kühlerhaube zugeworfen. Sie sei schon ein paar Mal kontrolliert worden, das gehe doch nicht. Er habe die Ausweise aufgehoben und gesagt, sie würden jetzt eine Kontrolle durchführen. Sie habe gesagt, das gehe jetzt nicht, sie habe einen Termin, sei ins Fahrzeug gestiegen und davongefahren. Nach der zweiten Anhaltung hätten sie sie gebeten, auf den Posten mitzukommen. Sie sei hin- und hergelaufen und habe sich dann am Brückengeländer festgehalten. Sie hätten ihr nochmals gesagt, sie müsse jetzt mitkommen. Sie habe sich immer noch dagegen gewehrt. Er habe dann gesagt, sie gingen nun, habe sie am Arm gepackt und den Polizeigriff nach hinten gemacht. Herr B._ sei auf der anderen Seite gestanden. Er habe dann gesehen, wie er umgefallen sei. Anschliessend hätten sie sie ins Auto bringen können. Sie habe sich zwar gewehrt, aber es sei gegangen. In dem Moment habe sie noch versucht, ihn mit dem Fuss gegen das Bein zu treten. Beim Posten habe sie nicht aussteigen wollen, trotz mehrmaliger Aufforderung nicht. Dann hätten sie sie aus dem Fahrzeug genommen und sie unten ins Sitzungszimmer gebracht. Man habe versucht mit ihr zu reden, sie habe aber keine Aussagen machen wollen. Sie hätten ihr eröffnet, dass sie Anzeige gegen sie machen würden. Sie sei dann wieder entlassen worden und sie hätten sie zu ihrem Auto zurückgebracht. Auf den Einwand, Herr B._ habe gesagt, er habe die Ausweise aufgehoben, meinte C._, es könne sein, dass sie beide einen Teil davon aufgehoben hätten. Es könne auch sein, dass Herr B._ ihm die, die er aufgehoben habe, gegeben habe. Er habe aber sicher einen Teil der Ausweise in den Händen gehabt. Er habe sie nicht fest angefasst. Mit sanfter Gewalt sagten sie jeweils. Man merke ja...meist sage jemand Stopp oder Halt. Sie habe aber nichts gesagt. Sie hätten einfach gewollt, dass sie mitkomme. Er habe sie immer gesiezt und auch nicht gesagt, sie solle zurück nach [...]. Auf der Fahrt habe sie am Beifahrersitz gerissen und gegen die Türe getreten. Das Einzige, was er getan habe sei, sie in den Polizeigriff genommen zu haben. Das sei üblich. Er habe sie sonst nicht «angelangt» oder geschlagen oder sonst irgendetwas. Sie hätten in seinen Augen alles richtig, verhältnismässig gemacht. 2.4 Das [...] AG, wo die Beschwerdeführerin am 7. Oktober 2015 einen Termin gehabt und den sie nach dem Ereignis verspätet wahrgenommen hatte, stellte Folgendes fest: Hauterosion Handrücken rechts, zerrissener Pullover Oberarm rechts, dort 2x2 cm grosses frisches Hämatom und wenige mm grosse petechiale Einblutung. Dunkle Schleifspur Jeans Oberschenkel links. Bei Flexion/Extension Handgelenk und Ellbogen rechts Angabe von Schmerzen, Schuler rechts painful Arc. Dr. med. F._ hielt in seinem Bericht vom 30. November 2015 fest, die Beschwerdeführerin sei am 13. Oktober 2015 zur Konsultation gekommen. Dabei habe sie die Polizeikontrolle erwähnt und das Ereignis aus ihrer Sicht geschildert. Sie habe geklagt, sie leide seit dem Ereignis an einer Schlafstörung, habe verstärkte Schmerzen im Arm-Schulter-Nackenbereich rechts und verspüre schmerzhafte Beschwerden im Gesäss-Hüftbereich links. Zu erwähnen sei, dass sie wegen Arm-Schulter-Nackenschmerzen rechts bereits vor dem Ereignis in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Klinisch hätten, im Vergleich zu Untersuchungen vor dem Ereignis, unveränderte Befunde bestanden. Neu habe im Bereich der Oberarm-Innenseite rechts ein ca. 2 cm grosser Bluterguss sowie im Bereich der Vorderarm-Rückseite rechts ein ca. 3 cm grosser Bluterguss festgehalten werden können. Bei einer Nachfolgeuntersuchung am 23. Oktober 2015 hätten eine Zunahme der Nackenschmerzen mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule sowie Kreuzschmerzen festgestellt werden können. 3. Die Anhaltung ist eine polizeiliche Fahndungsmassnahme, welche ihre Rechtsgrundlage sowohl in der StPO als auch in den meisten Polizeigesetzen hat. Die Massnahme bezweckt, die betroffene Person zu kontrollieren, d.h. ihre Identität festzustellen und zu prüfen, ob nach ihr gefahndet wird. Anhaltungen bzw. Personenkontrollen können sowohl aus sicherheitspolizeilichen Gründen (zur Gefahrenabwehr) als auch aus strafprozessualen Gründen, mithin im «Interesse der Aufklärung einer Straftat» (Art. 215 Abs. 1 StPO) erfolgen. In dieser «Frühphase des Strafverfahrens» bzw. richtigerweise noch «ausserhalb des Strafverfahrens» findet ein fliessender Übergang von präventiver (d.h. sicherheitspolizeilicher) zu repressiver (d.h. gerichtspolizeilicher) Tätigkeit statt. Ob im konkreten Fall eine Anhaltung nun polizeigesetzlich oder strafprozessual erfolgt, bestimmt sich nach Sinn und Zweck der Massnahme. Bei Mischformen hat diejenige Bestimmung Vorrang, deren Zweck bei der polizeilichen Anhaltung im Vordergrund steht. In der Regel wird eine Anhaltung wohl auf das Polizeigesetz abgestützt sein (Gianfranco Albertini/Thomas Armbruster in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Art. 196 – 457 StPO, Art. 1-54 JStPO, BSK-StPO, 2. Auflage, Basel 2014, Art. 215 N ff.). § 34 des Gesetzes über die Kantonspolizei (BGS 511.11) sieht vor, dass die Kantonspolizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben eine Person anhalten, ihre Identität feststellen und abklären kann, ob nach ihr, nach Fahrzeugen oder nach andern Sachen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, gefahndet wird. Die polizeiliche Anhaltung im Interesse der Aufklärung einer Straftat richtet sich nach Artikel 215 der Schweizerischen Strafprozessordnung. Der Angehaltene muss auf Verlangen seine Personalien angeben, Ausweispapiere vorlegen, Sachen in seinem Gewahrsam vorzeigen und zu diesem Zweck Fahrzeuge und andere Behältnisse öffnen (Abs. 2). 4. Vorweg ist festzuhalten, dass die Aussagen der Beschuldigten in einigen Punkten divergieren, dass sie die Kontrolle der Beschwerdeführerin im Kerngeschehen aber übereinstimmend schildern. So hinsichtlich des Grundes der Anhaltung, der Phasen der Anhaltung, d.h. die zweimalige Anhaltung nach der Weiterfahrt der Beschwerdeführerin, und des Verhaltens der Beschwerdeführerin bei der Anhaltung, der Fahrt zum Posten und auf dem Posten. Diese Aussagen divergieren indessen zu denjenigen der Beschwerdeführerin, die die Anhaltung auf völlig andere Weise schildert als die Polizeibeamten. Wie es sich genau abgespielt hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr eruieren, mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre aber in einer weiterführenden Strafuntersuchung nicht mit einem Schuldspruch der Beschuldigten zu rechnen. Es kann zwar durchaus fraglich sein, ob die Mitteilung des Sozialamtes, sie sollten das Fahrzeug mit diesem Schild anschauen, ausreicht, um die Beschwerdeführerin einer Kontrolle zu unterziehen (vgl. Ausführungen in Ziff. 3). Aus den Aussagen der beiden Beschuldigten geht aber klar hervor, dass sie diese Mitteilung als Aufforderung zur Anhaltung aufgefasst hatten und sich daher im Recht sahen, die Beschwerdeführerin deswegen anzuhalten. In subjektiver Hinsicht dürfte ihnen folglich nicht vorzuhalten sein, sie hätten vorsätzlich ihre Amtspflicht durch eine unrechtmässige Anhaltung verletzt oder sie hätten dies in Kauf genommen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wäre auch in ihrem nachfolgenden Verhalten kein vorsätzliches strafbares Verhalten zu erkennen. Die Beschuldigten haben übereinstimmend ausgesagt und dies auch unmittelbar nach dem Vorfall in einer Aktennotiz festgehalten, dass sich die Beschwerdeführerin zunächst weigerte, anzuhalten, sie dies erst auf eine erneute Aufforderung hin tat, den Polizeibeamten anschliessend die Ausweise über die Motorhaube zuwarf, so dass sie zu Boden fielen, und dann ins Auto sass und wegfuhr. Bei der zweiten Anhaltung soll sie sich renitent verhalten und einen der Polizeibeamten getreten haben. Dass die Polizeibeamten in dieser Situation der Meinung waren, die Beschwerdeführerin auf den Posten mitnehmen zu müssen, kann ihnen in strafrechtlicher Hinsicht nicht vorgehalten werden, jedenfalls ist darin keine vorsätzliche Verletzung oder eine Überschreitung der Amtspflicht zu erkennen. Dies gilt auch hinsichtlich der Anwendung von «sanfter Gewalt», welche zu Hämatomen und einer geringfügigen Sachbeschädigung führte. Die Beschwerdeführerin hat sich offenbar geweigert, mitzukommen, sie hat sich an einem Brückengeländer festgehalten, einen Polizisten getreten und sich beim Posten auf dreimalige Aufforderung hin geweigert, auszusteigen. Die Polizeibeamten mussten daher eine gewisse «Gewalt» anwenden, um sie auf den Posten mitnehmen resp. um sie aus dem Auto führen zu können. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass den Beschuldigten im Zusammenhang mit der Anhaltung und der Verbringung der Beschwerdeführerin auf den Posten mit grosser Wahrscheinlichkeit kein strafbares Verhalten nachgewiesen werden könnte. Es mag sein, dass die Kontrolle auf andere Weise hätte durchgeführt werden können, so dass es nicht zu dieser Eskalation gekommen wäre, und es ist verständlich, dass sich die Beschwerdeführerin ärgerte, erneut kontrolliert zu werden (was die Beschuldigten aber offenbar nicht gewusst hatten). Eine Verurteilung der Beschuldigten wegen Amtsmissbrauchs, Tätlichkeiten und Sachbeschädigung ist aber derart unwahrscheinlich, dass sich eine Weiterführung der Strafuntersuchung nicht rechtfertigt. Dies gilt auch für den Vorhalt der Urkundenfälschung gegenüber B._. Die Strafanzeige wurde nicht von ihm verfasst, er hat den Strafantrag nur unterzeichnet (ohne ihn auszufüllen) und konnte nicht mehr erklären, weshalb das Formular das Datum des 7. Oktobers 2015 trägt, gleichzeitig aber auch eine erst später geschaffene Rapportnummer. Dieser Umstand stellt, wie in der Eingabe vom 6. November 2017 ausgeführt wird, in der Tat lediglich eine geringfügige Unstimmigkeit dar und rechtfertigt sicherlich keine Strafuntersuchung wegen Urkundenfälschung. Es war klar, dass der Beschuldigte gegen die Beschwerdeführerin wegen des Vorfalls vom 7. Oktober 2015 Strafanzeige einreichen wollte und er hatte ihr dies offenbar bereits damals auch gesagt. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung gegen die Beschuldigten eingestellt hat. Die Beschwerde erweist sich folglich als unbegründet und ist entsprechend abzuweisen. 5.1 Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 gehen bei diesem Ausgang des Verfahrens zu Lasten der Beschwerdeführerin und sind mit der geleisteten Sicherheit zu verrechnen. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen. 5.2 Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Verlegung der Kosten richtet sich nach dem Grundsatz, wonach Kosten zu tragen hat, wer sie verursacht. Wird das ausschliesslich vom Privatkläger erhobene Rechtsmittel abgewiesen, hat er die durch die adäquate Wahrnehmung der Verfahrensrechte entstandenen Verteidigungskosten der beschuldigten Person zu tragen (Urteil des Bundesgerichts 6B_273/2017 vom 17. März 2017 mit Hinweisen). Im vom Bundesgericht im erwähnten Entscheid zu beurteilenden Fall hatte der Beschwerdeführer das Rechtsmittelverfahren mit seiner Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft eingeleitet und die Bestrafung des Beschuldigten verlangt. Das Obergericht hatte die Beschwerde vollumfänglich abgewiesen. Damit trage der Beschwerdeführer das volle Kostenrisiko. Das Bundesgericht hielt fest, die Vorinstanz habe das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten, indem sie den Beschwerdeführer verpflichtet hatte, den Beschuldigten für das Beschwerdeverfahren zu entschädigen. Die Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Zahlung der Anwaltsentschädigung an den Beschuldigten sei nicht zu beanstanden und stehe mit Bundesrecht im Einklang. Der vorliegende Fall liegt gleich wie derjenige, der dem Bundesgerichtsurteil zugrunde lag. Die Beschwerdeführerin hat somit für die Aufwendungen der Beschuldigten im Beschwerdeverfahren aufzukommen. Rechtsanwalt Alexander Kunz macht einen Aufwand von 8,67 Stunden zu einem Stundenansatz von CHF 250.00 resp. teilweise zu CHF 90.00 (3,75 Stunden) geltend. Dies erscheint angemessen. Bei Auslagen von CHF 53.00 und der Mehrwertsteuer von 8 % führt dies zur geltend gemachten Entschädigung von CHF 1'747.10. Sie ist zahlbar durch die Beschwerdeführerin. Demnach wird erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens von total CHF 800.00 zu bezahlen. 3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschuldigten für das Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von total CHF 1'747.10 (inkl. MwSt.) zu bezahlen. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Beschwerdekammer des Obergerichts Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin Jeger Ramseier Das Bundesgericht ist mit Urteil vom 15. März 2018 auf die dagegen erhobene Beschwerde nicht eingetreten (BGer 6B_151/2018).
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 21. März 2019 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiberin Kofmel In Sachen A._ , vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Frey, Berufungskläger gegen B._ , vertreten durch Rechtsanwalt Roland Winiger, Berufungsbeklagte betreffend Ehescheidung zieht die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung : I. 1.1 B._ und A._ haben sich am [...] 2005 verheiratet. Sie sind die Eltern der Töchter C._, geb. [...] 2005, und D._, geb. [...] 2009. Die Parteien leben seit 14. Januar 2015 getrennt (Eheschutzurteil vom 1. Oktober 2015). Am 21. Februar 2018 hat die Ehefrau beim Richteramt Olten-Gösgen die Ehescheidungsklage eingereicht. 1.2 Der Ehemann, welcher [...] Staatsangehöriger ist, befand sich zur Zeit des Eheschutzverfahrens im Jahre 2015 in U-Haft. Bei Einleitung des Ehescheidungsverfahrens befand er sich im Strafvollzug bzw. in Ausschaffungshaft. 2. Am 3. April 2018 fand eine Verhandlung vor der Amtsgerichtspräsidentin statt. Der mittels amtlicher Publikation vorgeladene Ehemann erschien nicht zur Verhandlung. Der Ehemann reichte weder eine schriftliche Klageantwort ein noch erschien er zur Hauptverhandlung vom 12. Juni 2018. Die Amtsgerichtspräsidentin erliess ebenfalls am 12. Juni 2018 folgendes Urteil: 1. Die am 23. September 2005 vor dem Zivilstandsamt [...] geschlossene Ehe wird auf gemeinsamen Antrag der Parteien geschieden. 2. Die Kinder C._, geb. [...] 2005 und D._, geb. [...] 2009, werden unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. Es wird festgestellt, dass C._ derzeit mit Einverständnis der Mutter bei den Grosseltern auf [...] lebt und D._ durch die KESB fremdplatziert ist. 3. Den Kontakt der Kinder C._ und D._ zum Vater regeln die Eltern mit Rücksicht auf die Lebensumstände der Eltern und der Kinder in freier Vereinbarung. 4. Der Vater hat für die Kinder ab Rechtskraft der Scheidung einen monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrag für C._ von CHF 480.00 und für D._ von CHF 400.00 und ab Juli 2019 von CHF 600.00 zu bezahlen. 5. Die Kinderzulagen sind in diesen Beiträgen nicht inbegriffen. Sie sollen den Kindern jedoch zusätzlich zukommen. 6. Die Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern dauert bis zu ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit, längstens jedoch bis zur Volljährigkeit. Art. 277 Abs. 2 ZGB ist vorbehalten. Dieser lautet wie folgt: Hat das Kind bei Eintritt der Volljährigkeit noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann. 7. Die Erziehungsgutschriften der AHV werden vollständig der Mutter angerechnet. Die Ehegatten haben die zuständige Ausgleichskasse über diese Vereinbarung zu informieren. 8. Der Antrag der Ehefrau auf einen persönlichen Unterhaltsbeitrag wird abgewiesen. 9. Die in Ziffer 4 festgelegten Unterhaltsbeiträge (UB) basieren auf einem Stand des Landesindexes der Konsumentenpreise vom Mai 2018 von 102,1 Punkten auf der Basis Dezember 2015 = 100 Punkte. Die Beiträge werden jeweils per 1. Januar jeden Jahres dem Indexstand im vorausgegangenen November erhöht, erstmals per 1. Januar 2020. Es ist dabei auf ganze Franken auf- oder abzurunden. Der neue Unterhaltsbeitrag berechnet sich wie folgt: Neuer UB = ursprünglicher UB x neuer Index ursprünglicher Index (102,1 Punkte) Für den Fall, dass das Einkommen des Pflichtigen sich nicht in einem der Indexierung entsprechenden Umfang erhöht hat, erfolgt die Anpassung lediglich im Verhältnis der effektiven Lohnerhöhung. Beweisbelastet für eine geringere Einkommensveränderung ist der Pflichtige. 10. [...] 11. [...] 12. [...] 13. [...] 14. [...] 15. [...] 16. Die Ziffern 4 bis 9 dieses Urteils stützen sich auf folgende Berechnungsgrundlagen: monatliches Nettoeinkommen: - des Ehemannes CHF 0 (Ausschaffungshaft) - der Ehefrau CHF 0 (Sozialhilfe). 3. Frist- und formgerecht erhob der Ehemann Berufung gegen das Urteil vom 12. Juni 2018. Er stellt die Anträge, die elterliche Sorge über seine beiden Töchter sei den Eltern gemeinsam zu belassen. Die Erziehungsgutschriften seien der Ehefrau und Mutter vollumfänglich gutzuschreiben. Es sei ihm ein gerichtsübliches Besuchs- und Ferienrecht einzuräumen. Dann sei der Antrag der Ehefrau auf Bar- und Betreuungsunterhalt für die beiden Kinder zu Folge seiner Mittellosigkeit abzuweisen. Die Ehefrau beantragt Abweisung der Berufung. 4. Über die Berufung kann in Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) ohne Durchführung einer Verhandlung aufgrund der Akten entschieden werden. Für die Erwägungen der Vorinstanz und die Parteistandpunkte wird grundsätzlich auf die Akten verwiesen. Soweit erforderlich, ist nachstehend darauf einzugehen. II. 1.1 Die Vorderrichterin hat ausführlich die Rechtslage bezüglich der elterlichen Sorge dargelegt. Sie hat zusammengefasst erwogen, von Gesetzes wegen stehe den Eltern die Sorge über ihre Kinder gemeinsam zu. Vorliegend sei im Sinne von Art. 311 Abs. 1 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB, SR 210) eine Ausnahme für die Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge gegeben: Die Ehegatten würden nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Ehefrau nicht in direktem Kontakt miteinander stehen. Die Gründe dafür seien nicht bekannt. Der Ehemann befinde sich derzeit in [...] in Ausschaffungshaft. Er habe kein Aufenthaltsrecht mehr in der Schweiz. Er werde das Land trotz seiner aktuellen Verweigerung der Ausschaffung über kurz oder lang verlassen müssen. Zur elterlichen Sorge habe er sich nicht geäussert. Auch die migrationsrechtliche Situation der Ehefrau in der Schweiz sei unsicher. Sie habe Aufenthaltsstatus L. Es sei unklar, wie lange sie noch in der Schweiz bleiben könne, zumal sie derzeit über kein Einkommen verfüge. Mithin sei unklar, in welchem Land sich die Ehegatten künftig aufhalten würden. Ob sie in Zukunft je wieder im selben Land leben würden, sei ungewiss. Eine minimale gemeinsame Basis sei für ein gemeinsames Sorgerecht unumgänglich, zumal die Entscheide über die Kinder gemeinsam gefällt werden müssten. Ein gemeinsames Zusammenwirken der Eltern zum Wohl der Kinder, mithin eine gemeinsame Entscheidfällung über die Kinderbelange, sei tatsächlich nicht möglich, wenn die Eltern nicht in regelmässigem Kontakt stehen würden. Das sei im Interesse des Kindes unumgänglich. Bekannt sei, dass z.B. gewisse ausländische Behörden nur schon für die Verlängerung von Ausweisen (Pass, Identitätskarte etc.) oder für Reisen ins Ausland zuweilen die Zustimmung von beiden sorgeberechtigten Elternteilen verlangen. Solches beizubringen sei im Fall der tatsächlichen (unbekannten) Abwesenheit eines Elternteils unmöglich – mithin hätte das Kind unter der Handlungsunfähigkeit des sorgeberechtigten Elternteils zu leiden. Andererseits habe vorliegend die Mutter schon seit längerem im Alltag allein für die Kinder sorgen und allein Entscheidungen treffen müssen, nachdem sich der Ehemann seit mehreren Jahren in Haft befinde und daher im Alltag der Kinder nicht präsent gewesen sei und auch nichts zur Erziehung der Kinder beigetragen habe. Die ständige Abwesenheit des Vaters sei nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Unter diesen Umständen sei im Interesse der Kinder antragsgemäss der Mutter das alleinige Sorgerecht zu übertragen. 1.2 Der Berufungskläger gesteht ein, dass die Kommunikation zwischen ihm und seiner Ehefrau in der Vergangenheit schwierig gewesen sei, weil er sich im Strafvollzug befunden habe. Allerdings hätten ihn die Kinder im Strafvollzug besuchen können. Er habe also regelmässig Kontakt zu D._ gehabt. Zu C._ habe er keinen direkten Kontakt mehr pflegen können, da sie nach [...] zu ihren Grosseltern gebracht worden sei. Auch in der Ausschaffungshaft könnten die Kinder ihn besuchen. Die einzige Voraussetzung sei, dass sie einen gültigen Ausweis hätten. Die Besuche von D._ seien genau daran gescheitert, dass sie über keinen gültigen Pass verfüge. Die Ausstellung eines Passes würde voraussetzen, dass er bei der [...] Botschaft vorspreche. Aktuell sei die Kommunikation zwischen den Eltern sicher schwierig. Hingegen werde sich die Situation entschärfen, wenn er sich nicht mehr in Haft befinde. Auch wenn er die Schweiz dann verlassen müsse, da er ja über keinen Aufenthaltstitel für die Schweiz verfüge, werde es ihm dank moderner Kommunikationsmittel wie Telefon, Skype, SMS und E-Mail möglich sein, mit seinen Kindern aber auch mit der Berufungsbeklagten in Kontakt zu bleiben, um wichtige Fragen schnell und zeitnah zu besprechen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die modernen Kommunikationsmittel bei Entzügen von Aufenthaltsbewilligungen immer dann für den Erhalt des Kontakts zwischen dem Kind und dem Elternteil, der die Schweiz verlassen müsse, ins Felde geführt würden, wenn es darum gehe, ob die Wegweisung aus der Schweiz gegen das Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK verstosse. Wenn die modernen Kommunikationsmittel für den Kontakt zwischen dem Kind und dem ausgewiesenen Elternteil ausreichen würden und entsprechend Art. 8 EMRK nicht verletzt werde, müsse dies auch für den Kontakt gelten, der zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge notwendig sei. 1.3 Die Berufung ist gemäss Art. 311 Abs. 1 ZPO schriftlich und begründet einzureichen. Nach Lehre und Rechtsprechung hat der Berufungskläger der Rechtsmittelinstanz im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen der angefochtene Entscheid der Vorinstanz falsch ist und abgeändert werden soll. Er hat der Berufungsinstanz gegenüber insbesondere auch Anträge darüber zu stellen, wie diese entscheiden soll. Enthält die Berufungsschrift keine Begründung und keinen wenigstens sinngemässen Antrag, ist von Amtes wegen auf die Berufung nicht einzutreten. Ist die Berufung nicht geradezu ungenügend, aber in der Substanz mangelhaft, indem sie sich auf rudimentäre, pauschale oder oberflächliche Kritik am angefochtenen Urteil beschränkt, ohne im Detail auf die Argumentation der Vorinstanz einzugehen, lässt dies das Eintreten auf die Berufung zwar unberührt, kann sich aber in der materiellen Beurteilung zum Nachteil des Berufungsklägers auswirken. Es genügt beispielsweise nicht, in einer Berufungsschrift einen blossen Verweis auf die Vorakten anzubringen oder bloss zu wiederholen, was bereits vor der Vorinstanz vorgebracht wurde. Die Begründung muss hinreichend genau und eindeutig sein, um von der Berufungsinstanz ohne Mühe verstanden und nachvollzogen werden zu können. Verlangt wird, dass sich ein Berufungskläger in der Berufungsschrift detailliert mit dem vorinstanzlichen Entscheid auseinandersetzt. Es muss ersichtlich sein, was seiner Auffassung nach genau am angefochtenen Urteil falsch ist und korrigiert werden soll. Dies setzt voraus, dass der Berufungskläger im Einzelnen die vorinstanzlichen Erwägungen bezeichnet und die Aktenstücke oder Beweismittel nennt, auf denen seine Kritik beruht. Mit diesen hat er sich auseinander zu setzen. Blosse appellatorische Kritik genügt nicht (vgl. z.B. Peter Reetz/Stefanie Theiler in: Thomas Sutter-Somm et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich 2016, Art. 311 N 34 ff.; BGE 138 III 374 E. 4.3). 1.4 Die Berufung des Berufungsklägers genügt den hievor dargelegten Anforderungen in weiten Teilen nicht. Die Vorderrichterin hat völlig zu Recht ausgeführt, dass eine minimale gemeinsame Basis für ein gemeinsames Sorgerecht unumgänglich sei, zumal die Entscheide über die Kinder gemeinsam gefällt werden müssten. Der Berufungskläger setzt sich damit gar nicht auseinander, sondern wendet einfach ein, es gebe moderne Kommunikationsmittel, die den persönlichen Kontakt ersetzen könnten. Gleichzeitig gibt er aber auch zu, dass zwischen ihm und der Berufungsbeklagten Kontaktschwierigkeiten bestehen würden. Fakt ist, dass zwischen den Parteien kein Kontakt besteht. Gemeinsame Entscheide über die Kinder sind gar nicht möglich. Es fehlt eine minimale gemeinsame Basis, was durch den Hinweis auf die modernen Kommunikationsmittel nicht wettgemacht werden kann. Der Berufungskläger hat seit Jahren seine in [...] lebende Tochter nicht mehr gesehen und mit der fremdplazierten Tochter hat er lediglich sporadisch telefonischen Kontakt. E-Mails, SMS oder Skype können und sollen selbstverständlich auch in Zukunft für die Kontaktpflege des Vaters zu seinen beiden Töchtern genutzt werden. Die Frage, ob der Berufungsbeklagten zu Recht die alleinige elterliche Sorge zugeteilt worden ist, wird dabei jedoch nicht tangiert. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Berufung in diesem Punkt unbegründet ist. 2.1 Der Berufungskläger verlangt für sich ein gerichtsübliches Besuchs- und Ferienrecht. Die Frage nach dem Besuchs- und Ferienrecht müsse von Amtes wegen geregelt werden. Er habe zwar keinen Aufenthaltstitel für die Schweiz, möchte aber, solange er noch in der Schweiz sei zumindest bezüglich D._ sein Besuchsrecht wahrnehmen. Sollte er sich im [...] befinden, sei eine Ausübung des Besuchsrechts auf Grund der grossen Distanz und der Dauer der Reise effektiv nicht mehr möglich. Hingegen sei auch unter diesen Umständen ein Ferienrecht grundsätzlich denkbar. Weil der direkte persönliche Kontakt nur während der Ferien ausgeübt werde könne, sei ihm ein ausgedehntes Ferienrecht von vier Wochen zuzusprechen. Als Alternative zum wegfallenden Besuchsrecht solle als Alternative ein Telefonkontakt fix festgesetzt werden. 2.2 Die Vorderrichterin hat zum Besuchs- und Ferienrecht keine Regelung getroffen, jedoch erkannt, dass die Eltern den Kontakt der Kinder zum Vater mit Rücksicht auf die Lebensumstände der Eltern und der Kinder in freier Vereinbarung zu regeln haben (Ziffer 3 des Dispositivs). Der Berufungskläger gesteht ein, dass die Regelung eines Besuchsrechts, insbesondere nach seiner Ausschaffung nicht möglich sei. Nachdem der Berufungskläger seit Jahren keinen oder nur sehr eingeschränkten Kontakt zu seinen Töchtern hat, zeugt es zudem von wenig Verständnis, ist unrealistisch und widerspricht dem Kindswohl, für die Zeit nach der Ausschaffung per sofort ein ausgedehntes Ferienrecht von vier Wochen zu fordern. Die Berufung ist in diesem Punkt ebenfalls abzuweisen. 3.1 Die Vorderrichterin hat den Berufungskläger zu Unterhaltsbeiträgen (Barunterhalt) an seine beiden Töchter von CHF 480.00 für C._ und CHF 400.00 bzw. CHF 600.00 ab Juli 2019 für D._ verpflichtet. Sie hat dabei dem Berufungskläger ein hypothetisches Einkommen von monatlich netto ca. CHF 4'000.00 bis 4'200.00 angerechnet. Zusammengefasst hat sie erwogen, der Vater sei infolge seiner Inhaftierung seit mehreren Jahren nicht mehr erwerbstätig gewesen. Jetzt sei er offenbar aus dem Strafvollzug entlassen worden. Hingegen werde er aus der Schweiz ausgeschafft werden, so dass er keine Möglichkeit mehr habe, hierzulande ein Einkommen zu erzielen. Über die Ausbildung und Erwerbsaussichten des Ehemannes ev. auch im europäischen Ausland sei aufgrund seiner Absenz nichts bekannt. Aus der Aussage der Ehefrau anlässlich der Einigungsverhandlung ergebe sich über seine berufliche Erfahrung einzig, dass er während der Ehe bei [...] und vorher bei [...] gearbeitet habe. Aus seinem Auszug der Stiftung Auffangeinrichtung BVG gehe zudem hervor, dass der Ehemann ausserdem im Jahr 2014 bei der [...] beschäftigt gewesen sei. Aus seinem Arbeitsvertrag mit [...] in den Eheschutzakten lasse sich entnehmen, dass er dort einen Jahreslohn von CHF 61'100.00 erzielt habe. Da die Ehegatten nach Angaben der Ehefrau bereits im November 2013 in den [...] ausgereist seien, könne der Ehemann nur wenige Monate dort gearbeitet haben. Es sei daher grundsätzlich davon auszugehen, dass er, zumal arbeitsfähig, mit zumutbarem Aufwand einen minimalen Lohn von ca. CHF 4'000.00 – 4'200.00 netto pro Monat zu verdienen in der Lage sei. Da es um den Unterhalt für minderjährige Kinder gehe, seien dem Ehemann zudem erhöhte Anstrengungen zur Erzielung eines regelmässigen Einkommens zuzumuten, ungeachtet dessen, dass nicht bekannt sei, in welchem Land sich der Vater inskünftig aufhalten werde. Da ihm praxisgemäss das Existenzminimum – d.h. ca. CHF 3'000.00 belassen werden müsse (Grundbetrag CHF 1’200.00, Wohnkosten ca. CHF 1’000.00, KK obl. ca. CHF 400.00, Berufsunkosten ca. CHF 300.00, Telecom/Mobiliarversicherung CHF 100.00), seien die für die Unterhaltsbeiträge verfügbaren Mittel beschränkt. Es verblieben lediglich rund CHF 1'000.00 – 1'200.00 monatlich, die für die Kinderunterhaltsbeiträge verwendet werden könnten. 3.2 Der Berufungskläger macht geltend, die Ausführungen der Vorinstanz wären dann korrekt, wenn er weiterhin in der Schweiz leben und arbeiten würde. Nun sei es aber so, dass er – freiwillig oder unter Zwang – die Schweiz Richtung [...] verlassen müsse, denn es sei nicht ersichtlich, dass er einen Aufenthaltstitel erlangen könne. Weil er mit einem Einkommen im [...] nur sein eigenes Existenzminimum decken könne, sei er weder in der Lage den Bar- noch einen Betreuungsunterhalt für seine beiden Töchter zu bezahlen. 3.3 Die Rüge des Berufungsklägers ist begründet. Die Vorderrichterin rechnet dem Berufungskläger ein Nettoeinkommen von ca. CHF 4'000.00 bis CHF 4'200.00 an, beziffert dann aber gleichwohl das anrechenbare Nettoeinkommen mit CHF 0.00 (Ziffer 16 des Urteilsdispositivs). Die Amtsgerichtspräsidentin geht davon aus, dass der Berufungskläger die Schweiz wird verlassen müssen. Trotzdem rechnet sie ihm ein Einkommen in der Höhe von ca. CHF 4'000.00 bis CHF 4'200.00 gemessen an schweizerischen Verhältnissen an. Gleich verhält es sich mit dem Existenzminimum von CHF 3'000.00 (Grundbetrag CHF 1’200.00, Wohnkosten ca. CHF 1’000.00, KK obl. ca. CHF 400.00, Berufsunkosten ca. CHF 300.00, Telecom/Mobiliarversicherung CHF 100.00), welches ebenso wenig wie die Einkommenszahlen auf die Verhältnisse im [...] übertragen werden kann. Bei der Vorinstanz hat der Berufungskläger keinen Antrag zu den Unterhaltsbeiträgen gestellt, er hat sich aber auch am Verfahren kaum beteiligt bzw. war im damaligen Zeitpunkt noch nicht anwaltschaftlich vertreten. Es wäre daher nicht sachgerecht und zu formalistisch, das Stillschweigen des Berufungsklägers zu den bei der Vorinstanz gestellten Anträgen der Berufungsbeklagten als Einwilligung zu würdigen. Die Berufung ist in diesem Punkt demnach gutzuheissen. Ziffer 4 bis 6, 9 und 16 des vorinstanzlichen Urteils sind aufzuheben und der Antrag auf Bar- und Betreuungsunterhalt für die beiden gemeinsamen Kinder ist zufolge Mittellosigkeit des Berufungsklägers abzuweisen. 4. Bei diesem Ausgang des Verfahrens – die Berufung ist teilweise gutzuheissen – sind die Kosten des Verfahrens den Parteien je hälftig aufzuerlegen. Die Parteikosten sind wettzuschlagen. Beiden Parteien ist für das Verfahren vor Obergericht die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Die von den Rechtsvertretern eingereichten Kostennoten sind zu genehmigen. Demnach wird erkannt : 1. Die Berufung wird teilweise gutgeheissen. Die Ziffern 4 bis 6, 9 und 16 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Olten-Gösgen vom 12. Juni 2018 werden aufgehoben. 2. Der Antrag von B._, A._ sei zu verpflichten an den Unterhalt der Töchter C._ und D._ einen Bar- und Betreuungsunterhalt zu bezahlen, wird zufolge Mittellosigkeit von A._ abgewiesen. 3. Im Übrigen wird die Berufung abgewiesen. 4. Die Gerichtskosten von CHF 2'000.00 werden B._ und A._ je zur Hälfte (je CHF 1'000.00) auferlegt. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien trägt sie der Staat Solothurn; vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald B._ und/oder A._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). 5. Die Parteikosten werden wettgeschlagen. Zufolge unentgeltlicher Rechtspflege beider Parteien hat der Staat Rechtsanwalt Dominic Frey eine Entschädigung von CHF 1'447.05 (inkl. Auslagen und MWSt.) und Rechtsanwalt Roland Winiger eine Entschädigung von CHF 1'341.20 (inkl. Auslagen und MWSt.) zu bezahlen. Vorbehalten bleibt der Rückforderungsanspruch des Staates während 10 Jahren, sobald B._ und/oder A._ zur Nachzahlung in der Lage sind (Art. 123 ZPO). Rechtsmittel: Der Streitwert beträgt mehr als CHF 30'000.00. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Die Gerichtsschreiberin Frey Kofmel
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Obergericht Zivilkammer Urteil vom 28. September 2017 Es wirken mit: Präsident Frey Oberrichter Müller Oberrichterin Jeger Gerichtsschreiber Schaller In Sachen A._ , Beschwerdeführer gegen Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch Steueramt des Kantons Solothurn, Beschwerdegegnerin betreffend definitive Rechtsöffnung hat die Zivilkammer des Obergerichts in Erwägung, dass : die Schweizerische Eidgenossenschaft (im Folgenden die Gesuchstellerin) mit Eingang am 30. Mai 2017 beim Richteramt Olten-Gösgen in der gegen A._ (im Folgenden der Gesuchsgegner) geführten Betreibung für die Direkte Bundessteuer 2015 und damit verbundene Zinsen und Kosten definitive Rechtsöffnung verlangte, u.K.u.E.F., der Gesuchsgegner keine Stellungnahme einreichte, die Amtsgerichtspräsidentin am 9. August 2017 wie beantragt definitive Rechtsöffnung erteilte, der Gesuchsgegner dagegen am 21. September 2017 fristgerecht Beschwerde beim Obergericht einreichte und sinngemäss die Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens verlangte, die definitive Rechtsöffnung gemäss Art. 80 Abs. 1 und 81 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG, SR 281) zu erteilen ist, wenn die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid beruht und der Betriebene nicht durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheides getilgt oder gestundet worden ist oder er die Verjährung anruft, nach Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG Verfügungen schweizerischer Verwaltungsbehörden gerichtlichen Entscheiden gleichgestellt sind und auch nach § 180 Abs. 3 des Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern (BGS 614.11) die rechtskräftigen Veranlagungen, Verfügungen und Entscheide der mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden vollstreckbaren Gerichtsurteilen im Sinne von Artikel 80 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs gleichstehen, die Vorderrichterin die erteilte Rechtsöffnung auf folgende Verfügungen abstützte: die definitive Veranlagung der direkten Bundessteuer 2015 vom 4. Juli 2016 mit Rechtskraftbescheinigung vom 24. April 2017, die Mahnung vom 7. Oktober 2016 mit Rechtskraftbescheinigung sowie die Verzugszinsrechnung vom 17. Februar 2017 mit Rechtskraftbescheinigung, die Rechtskraftbescheinigung vom 24. April 2017 für die definitive Veranlagung der direkten Bundessteuer 2015 vom 4. Juli 2016 von der Gesuchstellerin zu den Akten eingereicht wurde und sich dort auch befindet, über die Vollstreckbarkeit einer rechtskräftigen Verfügung im oben erwähnten Sinn der Rechtsöffnungsrichter entscheidet, der Einwand des Gesuchsgegners, es mangle vorliegend an einer Vollstreckbarkeitsbescheinigung der zuständigen Behörde über die definitive Veranlagung, damit fehlgeht, die Beschwerde demnach offensichtlich unbegründet ist und deshalb sogleich ohne Einholung einer Beschwerdeantwort (Art. 322 ZPO) abgewiesen werden kann, der Gesuchsgegner nach dem Ausgang des Verfahrens dessen Kosten mit einer Entscheidgebühr von CHF 250.00 zu bezahlen hat, erkannt : 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. A._ hat die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens von CHF 250.00 zu bezahlen. Rechtsmittel: Der Streitwert liegt unter CHF 30‘000.00. Sofern sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Eröffnung des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Schweizerischen Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Soweit sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, kann gegen diesen Entscheid innert 30 Tagen seit Erhalt beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Mit der Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 115 bis 119 Bundesgerichtsgesetz massgeblich. Wird gleichzeitig Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben, so sind beide Rechtsmittel in der gleichen Beschwerdeschrift einzureichen. Im Namen der Zivilkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Frey Schaller
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Obergericht Strafkammer Urteil vom 11. Juli 2017 Es wirken mit: Präsident Kamber Oberrichter Kiefer Oberrichter Marti Gerichtsschreiber von Arx In Sachen Staatsanwaltschaft, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, Anklägerin gegen 1. A._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 2. B._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 3. C._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 4. D._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 5. E._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 6. F._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, 7. G._ vertreten durch Fürsprecher Rolf G. Rätz, Beschuldigte und Berufungsklägerinnen betreffend Mehrfacher rechtswidriger Aufenthalt, mehrfache Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, mehrfache Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts, mehrfache Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung, mehrfache Widerhandlung gegen die Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, mehrfache Widerhandlung gegen das Wirtschaftsgesetz I. Prozessgeschichte 1. Am Dienstag, 24. Juni 2014, fand in [...], im «[...]», welches von den Strafverfolgungsbehörden als Kontaktbar, in welcher sich Frauen prostituieren, eingestuft wird, eine polizeiliche Kontrolle statt. Die Betreiberin des Lokals, D._, war zu diesem Zeitpunkt abwesend. Sie wurde aber telefonisch orientiert und traf einige Zeit später ein. Gemäss der polizeilichen Strafanzeige vom 9. August 2014 (AS 15 ff.) wurden im Lokal diverse männliche Gäste und zehn leicht bekleidete Frauen angetroffen. Da vier (recte: fünf [b – f]) der Frauen keine Arbeitsbewilligung/Meldebestätigung besassen, wurde der zuständige Beamte des Kantonalen Migrationsamtes verständigt. Dieser ordnete zwecks Ausschaffung die Festnahme dieser fünf Frauen an. Diese wurden in die Untersuchungsgefängnisse Olten und Solothurn gebracht. Eine weitere Frau –H._ erklärte, dass sie im [...]der Prostitution nachgehe. Die anderen fünf Frauen I._, J._, B._, C._ und F._ bestritten, im [...]dieser Tätigkeit nachgegangen zu sein. D._ machte von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. B._ wurde ein Depot von CHF 310.00 abgenommen, C._ ein solches von CHF 100.00 und F._ ein solches von CHF 840.00 (AS 21, AS 77 ff.). 2.1 Aufgrund eines staatsanwaltlichen Hausdurchsuchungsbefehls vom 14. August 2014 (AS 177) erfolgte am 17. September 2014 im «[...]» im Rahmen einer Nachkontrolle (AS 89) eine weitere Polizeiaktion (AS 83 ff.). D._ war wiederum nicht anwesend, als Aufsichtsperson war K._ anwesend (AS 87, 89, 90). In der polizeilichen Strafanzeige vom 3. Oktober 2014 wurde u.a. festgestellt, im «[...]» seien Fremdenzimmer angeboten worden, ohne dass hierfür ein entsprechendes Patent vorgelegen hätte (AS 87). Es wurde weiter festgestellt, beim «[...]» handle es sich um eine sogenannte Kontaktbar. Im Erdgeschoss, in welchem sich der Barbereich befinde, würden die Frauen Kontakte mit ihren potentiellen Freiern knüpfen. Werde man sich handelseinig, könne der Geschlechtsverkehr in diversen Zimmern im ersten oder zweiten Stock vollzogen werden. Diese Zimmer, welche von D._ den Frauen vermietet würden, würden zudem auch als Schlaf- und Wohnraum dienen (AS 89). Bei fünf der kontrollierten Frauen hätte eine AuG-Widerhandlung festgestellt werden können. Die fünf weiteren Frauen hätten keine Meldebestätigung vorweisen können. 2.2 E._, G._ und L._ wurde ein Depot von je CHF 500.00 abgenommen, A._ ein solches von CHF 290.00 (AS 173 ff.). B._ wurde überdies von der Aargauer Kantonspolizei angezeigt wegen Ausübens einer unbewilligten Erwerbstätigkeit, begangen am 3. Februar 2015 (AS 191 ff.). Ihr wurde im Kanton Aargau ein Depot von CHF 800.00 abgenommen (AS 192). 3. Mit Eingabe vom 26. Juni 2014 teilte Fürsprecher Rolf Rätz der Staatsanwaltschaft mit, dass ihn mit der Interessenwahrung beauftragt hätten: - F._, - C._ - B._ Er ersuchte darum, ihm die Akten zur Einsichtnahme zuzustellen und ihn zu inskünftigen Untersuchungshandlungen aufzubieten (AS 215). Er gab Kopien von am 25. Juni 2014 ausgestellten Vollmachten zu den Akten. Mit Eingabe vom 19. September 2014 (AS 241 f.) teilte Fürsprecher Rätz mit, dass ihn mit der Wahrung ihrer Interessen beauftragt hätten: - C._ - F._ - A._ - E._ - L._ - G._ Erneut ersuchte er darum, ihn zu inskünftigen Untersuchungshandlungen aufzubieten. Überdies teilte er mit, dass er gegen beabsichtigte Ausschaffungen von Rumäninnen Beschwerde erheben werde und er davon ausgehe, dass während der Dauer des Verfahrens keine Ausschaffung erfolgen werde. Dies sei den entsprechenden Behörden mitzuteilen. Er gab Vollmachten von C._, F._, A._, E._, L._ und G._ zu den Akten. 4.1 Am 14. August 2014 eröffnete die a.o. Staatsanwältin gegen D._ «im Hinblick auf die Anordnung von Zwangsmassnahmen» eine Untersuchung wegen Widerhandlung gegen das BG über die Ausländerinnen und Ausländer (AS 225). Am 27. November 2014 erliess die Staatsanwältin in Anwendung von Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eine bereinigte und ergänzte Eröffnungsverfügung (AS 261 ff.), welche folgende beschuldigte Personen betraf: - D._ - J._ - I._ - C._ - B._ - F._ - F._ - A._ - L._ - G._ - M._ - E._ 4.2 In der Folge erliess die Staatsanwältin am 5. Dezember 2014 die Strafbefehle STA.2014.3051 (AS 269 ff.) betreffend Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz und das Wirtschaftsgesetz. 4.3 Mit Eingaben vom 15. Dezember 2014 erhob Fürsprecher Rätz für folgende Beschuldigte gegen die Strafbefehle vom 5. Dezember 2014 Einsprache (AS 295 ff.): - C._ - F._ - A._ - E._ - G._ - B._ Mit separater Eingabe vom 15. Dezember 2014 erhob er zudem für die Beschuldigte D._ Einsprache (AS 303). Gleichzeitig reichte er die Vollmacht vom 15. Dezember 2014 ein. 4.4 In der Folge erliess die Staatsanwältin mit Bezug auf die Beschuldigte D._ am 27. Februar 2015 einen neuen veränderten Strafbefehl (AS 286 ff.), gegen welchen Fürsprecher Rätz die Einsprache vom 12. März 2015 (AS 313) einreichte. Der Strafbefehl ist insofern verändert, als mit Bezug auf die Tatbestände der mehrfachen Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts und der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung die Vorhalte hinsichtlich der Tatzeiten wie folgt modifiziert wurden: - Mehrfache Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts (Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG) begangen in der Zeit vom 24. Mai 2014 bis 24. Juni 2014, festgestellt am 24. Juni 2014, um 19:00 Uhr, sowie in der Zeit vom 17. August 2014 bis 17. September 2014, festgestellt am 17. September 2014, um 21:00 Uhr, in [...].... - Mehrfache Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung (Art. 117 Abs. 1 AuG) begangen in der Zeit vom 24. Mai 2014 bis 24. Juni 2014, festgestellt am 24. Juni 2014, um 19:00 Uhr, sowie in der Zeit vom 17. August 2014 bis 17. September 2014, festgestellt am 17. September 2014, um 21:00 Uhr, in [...].... 4.5 Die Staatsanwältin erliess zudem am 18. März 2015 in Bezug auf die Beschuldigte B._ einen neuen veränderten Strafbefehl (AS 291 ff.). Gegen diesen Strafbefehl erhob Fürsprecher Rätz mit Eingabe vom 27. März 2015 Einsprache (AS 316). Der Strafbefehl ist insofern verändert, als zusätzlich die angeblich im Kanton Aargau begangenen Tatbestände wie folgt erfasst wurden: - Mehrfacher rechtswidriger Aufenthalt (Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG) begangen in der Zeit vom ca. 27.01.2015 bis 03.02.2015, in [...]strasse [...], [...]und anderswo, indem die Beschuldigte (rumänische Staatsangehörige) einer nicht bewilligten Erwerbstätigkeit (Serviceaushilfe) nachgegangen ist und sich dadurch illegal im Lande aufgehalten hat. - Mehrfache Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung (Art. 115 Abs. 1 lit. c AuG) begangen in der Zeit vom ca. 27.01.2015 bis 03.02.215, an drei Tagen, in [...]strasse [...], [...], indem die Beschuldigte (rumänische Staatsangehöriger) als Serviceaushilfe gearbeitet hat, ohne dass ihr der Stellenantritt in der Schweiz vorgängig bewilligt worden wäre. Sie hat folglich in der Schweiz gearbeitet, ohne im Besitz der nötigen Arbeitsbewilligung gewesen zu sein. 4.6 Mit den Überweisungen vom 1. April 2015 (AS 1 ff.) hielt die Staatsanwältin an den an den (veränderten) Strafbefehlen wie folgt fest: - D._, (veränderter) Strafbefehl vom 27.02.2015 - A._, Strafbefehl vom 5.12.2014 - B._, (veränderter) Strafbefehl vom 18.03.2015 - C._, Strafbefehl vom 5.12.2014 - E._, Strafbefehl vom 5.12.2014 - F._, Strafbefehl vom 5.12.2014 - G._, Strafbefehl vom 5.12.2014 Die erwähnten Strafbefehle wurden damit im Sinne von Art. 356 Abs. 1 StPO zur Anklageschrift. 4.7 An der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 27. Juni 2016 erklärte Fürsprecher Rätz Folgendes (AS 284): «Was meine rumänischen Mandantinnen A._, B._, C._, E._, F._ und G._ betrifft, kann ich ausserdem mitteilen, dass keine zur heutigen Hauptverhandlung erscheinen wird, dies unabhängig davon, ob die Vorladungen zugestellt werden konnten oder nicht. Meine Klientinnen halten sich alle im Ausland auf und sind nicht bereit, Aussagen zu machen. Entsprechend machen sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und können m.E. heute gerichtlich beurteilt werden, da sie anwaltlich vertreten sind (vgl. Art. 356 Abs. 4 StPO)». Im Weiteren stellte Fürsprecher Rätz die Anträge (AS 384): 1. Sämtliche Polizeiprotokolle der anlässlich der polizeilichen Razzien befragten Frauen seien aus den Akten zu weisen. Begründung: Diese Frauen sind alle Mitbeschuldigte der Beschuldigten D._. Da die beschuldigte Person gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO das Recht auf Teilnahme an den Einvernahmen von Mitbeschuldigten hat, dieses D._ aber nicht eingeräumt wurde, sind die sie belastenden Aussagen der Mitbeschuldigten nicht verwertbar (vgl. BGE 141 IV 220 ff.). 2. Zu den Vorhalten Ziff. 1.1 und 1.2 des Strafbefehls gegen D._ seien sämtliche Zeiträume, die entweder auf blossen Vermutungen bzw. auf nicht verwertbaren Aussagen beruhen, aus der Anklage zu entfernen. Die Amtsgerichtspräsidentin verfügte hierauf (AS 384): Die in den Vorhalten des Strafbefehls genannten Zeiträume können nicht aus der Anklage entfernt werden, da die überwiesenen Sachverhalte die Beurteilungsgrundlage bilden; es wird aber selbstredend ins Urteil einfliessen, ob diese Zeiträume als erstellt erachtet werden können oder nicht. Entsprechendes gilt auch in Bezug auf die Verwertbarkeit von Aussagen mitbeschuldigter Personen. Ferner wurde festgestellt (AS 385): Die weiteren Beschuldigten A._, B._, C._, E._, F._ und G._ können zufolge Nichterscheinens zur Hauptverhandlung nicht befragt werden. Weiter ist protokolliert (AS 385): «Fürsprecher Rätz (auf entsprechende Frage): Nein, die Mitbeschuldigten von D._ werden alle nicht zur Hauptverhandlung erscheinen. Die Vorsitzende: Entsprechend müssten für die nicht anwesenden Beschuldigten Dispensationsgesuche gestellt werden, da ansonsten ein Abwesenheitsverfahren durchgeführt werden müsste. Fürsprecher Rätz: Dann stelle ich für die Beschuldigten A._, B._, C._, E._, F._ und G._ je ein Dispensationsgesuch und beantrage, dass auch in Bezug auf deren Belange heute ein Abspruch erfolgt. (Unterbruch der Verhandlung zur Beratung über das weitere Vorgehen in Bezug auf die nicht erschienenen Beschuldigten) Verfügung der Vorsitzenden: Die von Fürsprecher Rätz für die Beschuldigten A._, B._, C._, E._, F._ und G._ gestellten Dispensationsgesuche werden gutgeheissen. Es wird festgehalten, dass Fürsprecher Rätz mit seinem entsprechenden Antrag bestätigt, dass die vorgenannten Beschuldigten von der heutigen Verhandlung wissen und auf ihr Teilnahme- und Aussagerecht verzichten. Hierauf erklärt die Vorsitzende das Beweisverfahren als geschlossen.» 5.1 Am 27. Juni 2016 erliess die Amtsgerichtspräsidentin von Olten-Gösgen folgendes Urteil: 1. Die Beschuldigte A._ hat sich schuldig gemacht: - des rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit vom ca. 03.09.2014 bis 17.09.2014 - der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit von ca. 03.09.2014 bis 17.09.2014. 2. Die Beschuldigte A._ wird verurteilt zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren. 3. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte A._ Fr. 150.00 zu bezahlen. 4. Das geleistete Depot in Höhe von Fr. 526.80 wird an die von der Beschuldigten A._ zu bezahlenden Verfahrenskosten gemäss vorstehend Ziff. 3 angerechnet; der Restbetrag ist der Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten. 5. Die Beschuldigte B._ hat sich schuldig gemacht: - des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit von ca. 14.06.2014 bis 24.06.2014 sowie von ca. 27.01.2015 bis 03.02.2015 - der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit von ca. 14.06.2014 bis 24.06.2014 sowie von ca. 27.01.2015 bis 03.02.2015. 6. Die Beschuldigte B._ wird verurteilt zu: a) einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren b) einer Verbindungsbusse in Höhe von Fr. 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 4 Tagen. 7. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte B._ Fr. 520.00 zu bezahlen, unter Anrechnung des geleisteten Depots in Höhe von Fr. 310.00. 8. Die Beschuldigte C._ hat sich schuldig gemacht: - des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit vom 14.06.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 14.09.2014 bis 17.09.2014 - der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit vom 14.06.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 14.09.2014 bis 17.09.2014. 9. Die Beschuldigte C._ wird verurteilt zu: a) einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren b) einer Verbindungsbusse in Höhe von Fr. 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 4 Tagen. 10. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte C._ Fr. 300.00 zu bezahlen, unter Anrechnung des geleisteten Depots in Höhe von Fr. 100.00. 11. Die Beschuldigte D._ hat sich nicht schuldig gemacht: - der mehrfachen Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts, angeblich begangen in der Zeit vom 24.05.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 17.08.2014 bis 17.09.2014 (AnklS. Ziff. 1.1) - der mehrfachen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, angeblich begangen und festgestellt am 24.06.2014 sowie am 17.09.2014 (AnklS. Ziff. 1.3). 12. Die Beschuldigte D._ hat sich schuldig gemacht: - der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung, begangen in der Zeit vom 24.05.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 17.08.2014 bis 17.09.2014 (AnklS Ziff. 1.2) - der mehrfachen Patentanmassung, begangen und festgestellt am 24.06.2014 sowie am 17.09.2014 (AnklS. Ziff. 1.4). 13. Die Beschuldigte D._ wird verurteilt zu: a) einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je Fr. 190.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von 2 Jahren b) einer Busse in Höhe von Fr. 1‘000.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 6 Tagen. 14. Der Staat Solothurn hat der Beschuldigten D._ eine reduzierte Parteientschädigung in Höhe von Fr. 1‘760.40 (inkl. 8 % MwSt und Auslagen) auszurichten. 15. Der auf die Beschuldigte D._ entfallende Anteil der Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, beläuft sich auf Fr. 800.00; davon hat die Beschuldigte D._ 1⁄2 = Fr. 400.00 zu bezahlen. 16. Die Beschuldigte E._ hat sich schuldig gemacht: - des rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit vom 13.09.2014 bis 17.09.2014 - der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit vom 13.09.2014 bis 17.09.2014. 17. Die Beschuldigte E._ wird verurteilt zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren. 18. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte E._ Fr. 150.00 zu bezahlen. 19. Das geleistete Depot in Höhe von Fr. 500.00 wird an die von der Beschuldigten E._ zu bezahlenden Verfahrenskosten gemäss vorstehend Ziff. 18 angerechnet; der Restbetrag ist der Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten. 20. De Beschuldigte F._ hat sich schuldig gemacht: - des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit vom 21.06.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 01.09.2014 bis 17.09.2014 - der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit vom 21.06.2014 bis 24.06.2014 sowie vom 01.09.2014 bis 17.09.2014. 21. Die Beschuldigte F._ wird verurteilt zu: a) einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren b) einer Verbindungsbusse in Höhe von Fr. 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 4 Tagen. 22. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte F._ Fr. 300.00 zu bezahlen. 23. Das geleistete Depot in Höhe von Fr. 840.00 wird an die von der Beschuldigten F._ zu bezahlenden Verfahrenskosten gemäss vorstehend Ziff. 22 sowie an die Busse gemäss vorstehend Ziff. 21 lit. b) angerechnet; der Restbetrag ist der Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten. 24. Die Beschuldigte G._ hat sich schuldig gemacht: - des rechtswidrigen Aufenthalts, begangen in der Zeit von ca. 10.09.2014 bis 17.09.2014 - der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, begangen in der Zeit von ca. 10.99.2014 bis 17.09.2014. 25. Die Beschuldigte G._ wird verurteilt zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je Fr. 30.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren. 26. An die Verfahrenskosten, mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 1‘500.00, total Fr. 2‘380.00, hat die Beschuldigte G._ Fr. 150.00 zu bezahlen. 27. Das geleistete Depot in Höhe von Fr. 500.00 wird an die von der Beschuldigten G._ zu bezahlenden Verfahrenskosten gemäss vorstehend Ziff. 26 angerechnet; der Restbetrag ist der Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten. Die Urteilsanzeige wurde Fürsprecher Rätz am 30. Juni 2016 zugestellt (AS 423). Mit Eingabe vom gleichen Tag meldete er «für sämtliche Mandantinnen» die Berufung an. Das begründete Urteil wurde Fürsprecher Rätz am 24. Oktober 2016 zugestellt (AS 472). In der Folge reichte er die Berufungserklärung vom 14. November 2016 ein, wobei er Folgendes ausführte: «Das Urteil vom 27. Juni 2016 wird in folgenden Teilen angefochten: 1.) Sämtliche Schuldsprüche für sämtliche Beschuldigten, d.h. - A._: Ziff. 1 - B._: Ziff. 5 - C._: Ziff. 8 - D._: Ziff. 12 - E._: Ziff. 16 - F._: Ziff. 20 - G._: Ziff. 24 2.) Die damit zusammenhängenden Folgepunkte des Urteils, namentlich die Ausfällung einer Sanktion, die Bezahlung von Verfahrenskosten (inkl. Entschädigung der Parteikosten) und die vollständige Rückerstattung der eingezogenen Geldbeträge («geleistete Depots»), d.h. - A._: Ziff. 2, 3 und 4 - B._: Ziff. 6 und 7 - C._: Ziff. 9 und 10 - D._: Ziff. 13, 14 und 15 - E._: Ziff. 17, 18 und 19 - F._: Ziff. 21, 22 und 23 - G._: Ziff. 25, 26 und 27. Anträge : a) A._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 526.80 sei zurückzuerstatten. b) B._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 310.00 sei zurückzuerstatten (siehe die nachstehend angemerkte Modifikation gemäss der Berufungsbegründung auf CHF 1‘110.00). c) C._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 100.00 sei zurückzuerstatten. d) D._: 1.) Es sei festzustellen, dass das Urteil vom 27. Juni 2016 hinsichtlich des Freispruchs vom Vorwurf der mehrfachen Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs (Ziff. 1 des Urteils) in Rechtskraft erwachsen ist. 2.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung - vom Vorwurf der mehrfachen Patentanmassung 3.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. e) E._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 500.00 sei zurückzuerstatten. f) F._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 840.00 sei zurückzuerstatten. g) G._: 1.) Die Beschuldigte sei von Schuld und Strafe freizusprechen - vom Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthalts - vom Vorwurf der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung 2.) Unter Auferlegung der erst- und oberinstanzlichen Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Parteientschädigung in der Höhe der Verteidigungskosten. 3.) Das geleistete Depot von CHF 500.00 sei zurückzuerstatten. 5.2 Mit ihrer Stellungnahme vom 2. Dezember 2016 stellte die stellvertretende Oberstaatsanwältin keine Anträge auf Nichteintreten auf die Berufungen. Sie verzichtete auf Anschlussberufungen und auf die weitere Teilnahme am Berufungsverfahren, wobei sie darum ersuchte, ihr nach Abschluss des Verfahrens das begründete Urteil zuzustellen. 6. Mit Verfügung vom 20. Januar 2017 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet. Mit der Berufungsbegründung vom 22. Februar 2017 hielt Fürsprecher Rätz unter dem Titel Vorfragen fest, es würden sämtliche bereits anlässlich der Hauptverhandlung vorfrageweise gestellten Anträge wie folgt wiederholt: 1. Es seien sämtliche Polizeiprotokolle von folgenden Beschuldigten im Verfahren (OGSPR.2015.40-AOGBER aus den Akten zu weisen: - I._ - J._ - B._ - C._ - F._ - N._ - H._ - O._ - P._ - Q._ - R._ - S._ - T._ - G._ - A._ - E._ 2. Es seien die in Ziff. 1.2. des Strafbefehls gegen die Beschuldigte D._ vom 27. Februar 2015 aufgeführten Zeiträume, welche auf nicht verwertbaren Aussagen (und Spekulationen) beruhen, zu entfernen. Unter dem Titel «Anträge zu den Schuldsprüchen» wiederholte Fürsprecher Rätz die Anträge gemäss der Berufungserklärung. Mit Bezug auf die Beschuldigte B._ modifizierte er den Antrag bezüglich der Rückerstattung des geleisteten Depots wie folgt: Das geleistete Depot von CHF 1‘110.00 (nicht CHF 310.00!) sei zurückzuerstatten. 7. In der Berufungsbegründung wird ausgeführt, es sei unbestritten, dass das «[...]» als Kontaktbar gelte. Es treffe dagegen nicht zu, dass sich aus einschlägigen Internetportalen ergebe, dass sich Frauen im Lokal prostituierten. Die Vorinstanz verkenne, dass es sich um einige wenige Kommentare handle, welche seit Jahren im Internet herumgeisterten und aus früheren Zeiten stammten, jedenfalls nicht in den massgeblichen Zeitraum fielen. Es möge zutreffen, dass sich auch in der jüngeren Vergangenheit weibliche Gäste für Liebesdienste zur Verfügung gestellt hätten. Die Betreiberin des Lokals habe sich nicht dafür interessiert, was ihre Gäste, seien es nun Prostituierte oder nicht, ausserhalb der Bar gemacht hätten. In der Bar hätten sich Frauen und Männer kennenlernen und eben Kontakte knüpfen können. Es verstehe sich von selbst, dass aus derartigen Kontakten längerfristige (Liebes)Beziehungen entstehen könnten und manche, auch ausländische Frau auf diese Weise einen Ehemann gefunden habe. Andere Bekanntschaften würden allenfalls – mit oder ohne Bezahlung - im Bett landen, was auch bei Disco-Kontakten oder in Clubs jeder Art und in Hotelbetten der Fall sein könne. Die Argumentation der Vorinstanz lasse somit nicht per se darauf schliessen, dass sich «die Prostituierten (gemeint seien alle anwesenden Frauen) im Falle der Handelseinigkeit mit ihren Kunden jeweils in die Mietzimmer oberhalb des Lokals begeben würden, um dort die entsprechend vereinbarten sexuellen Dienstleistungen zu erbringen». Völlig willkürlich sei die Feststellung der Vorinstanz, dass sämtliche beschuldigten Frauen, die anlässlich der beiden Polizeikontrollen im Lokal angetroffen worden seien, «zweifelsfrei» der Prostitution nachgegangen sein müssten und nicht lediglich als Touristinnen logiert hätten. Befremdend sei schliesslich die Bemerkung, wonach keine der beschuldigten Damen «auch nur ansatzweise» einen (für die Vorinstanz akzeptablen) Zweck, wenn nicht jenen der Prostitution, für den Aufenthalt in der Schweiz habe angeben können. Nach dem «schrägen» Rechtsverständnis der Vorinstanz hätten sämtliche weiblichen Gäste der Bar den Nachweis zu erbringen, dass sie sich nicht zum Zwecke der Prostitution in der Schweiz aufgehalten hätten. Es könne nicht pauschal aus dem Umstand, dass sich im Lokal ein weibliches Wesen aufgehalten und/oder in einem Zimmer übernachtet habe, der Schluss gezogen werden, dass es sich somit um eine Prostituierte handle. Klar sei es möglich, dass die eine oder andere der Damen als Prostituierte tätig gewesen sei, es sei aber nicht nachgewiesen, ob das tatsächlich der Fall sei. Genau genommen habe die Vorinstanz von keiner einzigen der beschuldigten Frauen mit rechtsgenüglicher Sicherheit behaupten können, sie sei der Prostitution nachgegangen. Es könne niemand mit Sicherheit sagen, ob und wenn ja welche der Frauen sich prostituiert habe. Wenn für keine der Frauen nachgewiesen werde, dass sie sich prostituiert habe, könne im Ergebnis sicher nicht hinsichtlich aller vom Nachweis der Prostitution ausgegangen werden, weil sie sich in einem zur Prostitution geeigneten Umfeld aufgehalten hätten. Vielmehr müsse für alle ein Freispruch resultieren, weil jede der hier massgeblichen Frauen klar und deutlich bestritten habe, der Prostitution nachzugehen und es auch keinen schlüssigen Beweis dafür gebe, dass eine der Frauen sich prostituiert habe. Selbst wenn die eine oder andere Bekanntschaft zwischen einer Frau und einem Mann in einem Zimmer im oberen Stock geendet hätte, bedeute das nicht, dass es um Prostitution gegangen sei. Dass eine der beschuldigten Frauen jemals Geld für einen Liebesdienst kassiert hätte, werde bestritten und es gebe auch keinen einzigen Beweis für derartige Unterstellungen. Es sei damit nicht nachgewiesen, ob eine der Frauen sich prostituiert habe. Selbst wenn es zur Prostitution gekommen wäre, könne nicht im Sinne einer «Gruppenhaftung» mittels Rundumschlag jede einzelne der anwesenden Frauen als Prostituierte abgestempelt und entsprechend verurteilt werden. Diese elementare Selbstverständlichkeit werde von der Vorinstanz ignoriert. Ihre Argumentation zeuge von einem bedenklichen Rechtsverständnis, wenn ernsthaft geltend gemacht werde, es sei «nicht glaubhaft», dass in einer Kontaktbar «nur einzelne der dort betroffenen Frauen der Prostitution nachgehen und ausgerechnet die im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Beschuldigten nicht». Was, wenn auch nur eine einzige der beschuldigten Frauen sich lediglich zu Besuch (allenfalls auch über Nacht) bei einer Prostituierten im Lokal aufgehalten habe? Massgebend seien allein die folgenden Tatsachen: Sämtliche der beschuldigten Frauen hätten erklärt, sich nicht prostituiert zu haben. Kein Mann/potentieller Freier habe behauptet, mit einer der zur Diskussion stehenden Frauen Liebesdienste gegen Geld in Anspruch genommen zu haben. Es gebe also keinen einzigen Beweis, dass auch nur eine einzige der Frauen sich jemals prostituiert habe. Es sei damit nicht erstellt, dass jemals eine der Frauen im Beherbergungsbetrieb Liebesdienste, geschweige denn entgeltliche, angeboten habe. Es stehe keinesfalls fest, dass eine einzige (geschweige denn sämtliche) Rumäninnen jemals selbständig erwerbend gewesen und der Prostitution nachgegangen sei. Derartiges ergebe sich weder aus den Akten noch aus Zeugenaussagen noch aus den Aussagen der Beschuldigten. Es sei damit bei keiner der beschuldigten Frauen eine illegale Erwerbstätigkeit erstellt und somit könne auch der Aufenthalt in der Schweiz bei keiner der Frauen als illegal bezeichnet werden. Damit scheitere ein Schuldspruch bereits daran, dass der von der Vorinstanz dem Urteil zugrunde gelegte Sachverhalt beweismässig nicht erstellt sei. Es möge zutreffen, dass sämtliche der fraglichen Ausländerinnen rechtskräftig verurteilt seien, dies sei aber irrelevant. Diese Gäste seien nach der Razzia allesamt verängstigt abgereist bzw. aus dem Land gewiesen worden. Keine der betroffenen Personen dürfte über den Umstand eines Schuldspruchs in Kenntnis gesetzt sein. Keine der betroffenen Personen habe sich überhaupt gegen einen Schuldspruch zur Wehr setzen können. Vermutungsweise sei schlicht und einfach der bei der Razzia einkassierte Depotbetrag als Busse gesprochen und eingezogen worden. Der Umstand, dass eine Drittperson im Ausland ohne Wissen, in Abwesenheit und ohne jegliche Möglichkeit, auf das Ergebnis eines Strafbefehls überhaupt Einfluss nehmen zu können, bestraft werde, führe sicher nicht dazu, dass der hier zur Diskussion stehende Tatbestand gegen die Beschuldigte als objektiv erfüllt zu betrachten sei. Zu den einzelnen der beschuldigten Frauen wurde in der Berufungsbegründung Folgendes ausgeführt: A._ Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung Da der Nachweis der Prostitution nicht erbracht sei, könne auch nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Es handle sich vorliegend zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche entgegen der Auffassung der Vorinstanz zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA falle und somit nicht der Bewilligungspflicht unterstehe (6B_658/2011 und Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 28. März 2014, STBER.2013.82, Ziff. III. 4. letzter Absatz). Eine Strafbarkeit entfalle somit. Rechtswidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. B._ Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung Da der Nachweis der Prostitution im [...] nicht erbracht sei, könne diesbezüglich auch nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Die Beschuldigte habe während einigen wenigen Stunden im [...] einer Kollegin ausgeholfen ohne dafür einen Lohn zu bekommen. Bei der hier zur Diskussion stehenden «nicht bewilligten Erwerbstätigkeit» habe es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit bzw. um gewerbsmässiges Servieren im Sinne des Ausländergesetzes gehandelt. Das Ausländergesetz wäre hier ohnehin gar nicht anwendbar, weil es sich bei der Beschuldigten um eine Rumänin handle. Es gehe hier um einen kurzfristigen Hilfseinsatz unter Freunden – die Besitzerin des [...], und die Beschuldigte hätten sich schon längere Zeit gekannt. Es sei von einer Gefälligkeitshandlung auszugehen. Derartige Gefälligkeitshandlungen würden keinen Strafcharakter aufweisen und seien strikt von der (strafbaren) Schwarzarbeit zu trennen. Eine kurzfristige Aushilfe (innert drei Wochen dreimal 2 Stunden) sei spontan bzw. aus der Situation heraus entstanden, weil die Betriebsinhaberin wichtige Termine habe wahrnehmen müssen und keine Ersatzperson gefunden habe. Es handle sich vorliegend zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche entgegen der Auffassung der Vorinstanz zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA gefallen sei somit nicht der Bewilligungspflicht unterstanden sei. Eine Strafbarkeit entfalle somit. Rechtswidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht und die Gefälligkeitsdienste im [...]seien nicht bewilligungspflichtig. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. C._ Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung Da der Nachweis der Prostitution nicht erbracht sei, könne auch nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Es handle sich zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA gefallen und somit nicht der Bewilligungspflicht unterstanden sei. Rechtswidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. D._ mehrfache Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung Es sei nicht erstellt, dass einer der zur Diskussion stehenden Frauen jemals der Prostitution nachgegangen sei. Auch der Umstand, dass einige Ausländerinnen rechtskräftig verurteilt worden seien, vermöge daran nichts zu ändern. Die Vorinstanz verkenne, dass auch diese Frauen in ein- und demselben Verfahren als Beschuldigte verurteilt worden seien. Auch bezüglich dieser Beschuldigten seien die Parteirechte bzw. sei das Teilnahmerecht der Beschuldigten D._ verletzt worden, da diese nie die Möglichkeit einer Konfrontationseinvernahme gehabt habe. Es wäre im Übrigen wichtig und interessant gewesen, zu beobachten, ob bei den betreffenden Frauen die Entlassung aus der Haft davon abhängig gemacht worden sei, dass sie eine Tätigkeit als Prostituierte zugaben. Dass derartige Machenschaften gerne angewendet würden, dürfte bekannt sein. Vorliegend ergebe sich dies eindrücklich bei der Beschuldigten T._. Jedenfalls seien die Protokolle dieser separat verurteilten Frauen nicht verwertbar. Es könnten somit weder der Umstand, ob es zur Prostitution gekommen sei oder nicht, noch die geltend gemachten Zeiträume als beweismässig erstellt betrachtet werden. Im Übrigen sei es erstellt, dass keine der hier zur Diskussion stehenden Frauen jemals für die Beschuldigte D._ oder für die Betriebsgesellschaft ([...] AG), deren Geschäftsführerin die Beschuldigte D._ sei, angestellt gewesen sei und demnach auch kein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Selbst wenn man (hypothetisch) davon ausgehen würde, dass eine illegale Erwerbstätigkeit erstellt wäre, würden die rumänischen Staatsangehörigen dem Freizügigkeitsabkommen und keiner Bewilligungspflicht gemäss Ausländergesetz unterstehen. Weiter sei festzustellen, dass die Beschuldigte D._ gestützt auf einen rechtskräftigen Freispruch gemäss Urteil des Richteramtes Olten-Gösgen vom 27. August 2013 (OGSPR.2012.132) habe darauf vertrauen dürfen, dass der vorliegende Sachverhalt eben keine Widerhandlung gegen Art. 117 des Ausländergesetzes darstelle. Mehrfache Patentanmassung Die Firma [...] AG habe die gesamte Liegenschaft gemietet, d.h. im oberen Stock habe es drei Wohnungen. Räumlichkeiten, welche analog «bed and breakfast» vermietet würden, was einen etwas höheren Ertrag ermögliche als bei Dauermiete, zumal die Wohnungen in einem eher schlechten Zustand seien. Hier von «gewerbsmässigem Beherbergen» auszugehen, sei einigermassen vermessen. Gewerbsmässig wäre eine Beherbergung, wenn sie gewinnorientiert wäre und damit regelmässig Gewinn generiert würde. Davon könne vorliegend keine Rede sein, wie die Vorinstanz selber feststelle. Zentral wäre hier die Antwort auf die Frage, ob ein sachlich nicht vertretbarer Überschuss generiert werde. Das sei klar nicht der Fall, weshalb sich auch hier ein Freispruch rechtfertigt. E._ Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung Da der Nachweis der Prostitution nicht erbracht sei, könne auch nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Es handle sich vorliegend zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche entgegen der Auffassung der Vorinstanz zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA gefallen und somit nicht der Bewilligungspflicht unterstanden sei. Eine Strafbarkeit entfalle somit. Rechtswidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. F._ Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung Da der Nachweis der Prostitution nicht erbracht sei, könne auch nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Es handle sich zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA gefallen und somit nicht einer Bewilligungspflicht unterstanden sei. Eine Strafbarkeit entfalle somit. Rechtwidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. G._ Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Es handle sich zudem um eine rumänische Staatsangehörige, welche zum relevanten Zeitpunkt unter das FZA gefallen und somit nicht der Bewilligungspflicht unterstanden sei. Eine Strafbarkeit entfalle somit. Rechtswidriger Aufenthalt Der Nachweis der Prostitution sei nicht erbracht. Es könne nicht von einer illegalen Erwerbstätigkeit ausgegangen werden. Der Aufenthalt könne damit auch nicht rechtswidrig sein. II. Sachverhalt 1. In der Berufungsbegründung wurde beantragt, es seien sämtliche Protokolle der polizeilichen Befragungen der dort genannten Ausländerinnen aus den Akten zu weisen, weil diese ohne Wahrung der Parteirechte erstellt worden seien. Es seien insbesondere die Teilnahmerechte von D._ verletzt worden. Vorweg kann dazu gesagt werden, dass es auch nach den Ausführungen des Verteidigers keinen Grund gibt, die Einvernahmeprotokolle bei der Beweiswürdigung betreffend die einvernommene Person nicht zu verwerten. Damit können die Protokolle ohnehin nicht aus den Akten entfernt werden. Die Beschuldigten, insbesondere die Beschuldigte D._, berufen sich überdies zu Unrecht auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 147 Abs. 1 StPO gemäss BGE 141 IV 220. Im vorliegenden Verfahren beruht die Beweiswürdigung nicht auf Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und/oder durch die Gerichte, sondern auf polizeilichen Befragungen, hinsichtlich welcher Art. 147 Abs. 1 StPO auf Art. 159 StPO verweist. Art. 159 StPO hat aber nicht Teilnahmerechte mitbeschuldigter Personen zum Gegenstand. BGE 141 IV 220, E. 4.3.1, erwähnt denn auch ausdrücklich, die beschuldigte Person habe gestützt auf Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO das Recht, bei Einvernahmen von im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und den einvernommenen mitbeschuldigten Personen Fragen zu stellen (siehe auch Entscheid 1B_124/2016, E. 4.6). Die Verteidigung verhielt sich ausgesprochen widersprüchlich, um nicht zu sagen rechtsmissbräuchlich, wenn sie die von ihr vertretenen ausländischen beschuldigten Frauen von der Teilnahme an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung samt und sonders dispensieren liess, um dann geltend zu machen, dass sie nie korrekt befragt worden seien. Der Antrag, die Protokolle der polizeilichen Befragungen seien aus den Akten zu weisen, ist nach dem Gesagten abzuweisen. Mit Bezug auf einen Konfrontationsanspruch ist festzustellen, dass die Verteidigung Konfrontationen nie beantragte (dazu Entscheid des Bundesgerichts 6B_522/2016, E. 1.3), sondern solche, wie oben dargestellt, eher zu vermeiden suchte. 2. In der Berufungsbegründung wird die Beweislage sehr verkürzt wiedergegeben, wobei auch die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil (US 10 f.; AS 434 f.) ausser Acht gelassen werden. Es muss vorliegend keineswegs nur auf die Aussagen der beschuldigten Frauen abgestellt werden, welche allesamt bestritten haben, im «[...]» der Prostitution nachgegangen zu sein. Dazu die Ausführungen in der polizeilichen Strafanzeige (AS 15 ff., insbesondere AS 20 ff.): Im Zuge einer geplanten Kontrolle begab sich am 24. Juni 2014, ca. um 19.00 Uhr, der Polizeibeamte [...]in Zivil in das Lokal, wo er sich an die Bar setzte und auf die weiteren Kräfte wartete. Als er sich an der Bar aufhielt, begab sich eine der leichtbekleideten Frauen ohne Aufforderung zu ihm und begann mit ihm zu flirten. Im Lokal wurden diverse männliche Gäste und zehn leicht bekleidete Frauen angetroffen. Aufgrund der Situation kann davon ausgegangen werden, dass die Frauen im Lokal der Prostitution nachgehen. Eine der Frauen, H._, habe erklärt, dass sie im Lokal Männer anwerbe und mit den Freiern im Zimmer oberhalb des den Geschlechtsverkehr vollziehe. Die anderen Frauen hätten bestritten, im Lokal der Prostitution nachgegangen zu sein. Die Geschäftsführerin, D._, welche telefonisch verständigt worden sei, habe von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Seitens der Polizei wurde festgestellt (AS 21), aufgrund des Umstandes, dass die Beschuldigten und die Auskunftspersonen äusserst leicht bekleidet gewesen seien, könne davon ausgegangen werden, dass alle als Prostituierte gearbeitet hätten. Das habe sich auch aus den Einrichtungen der Zimmer ergeben. Auf den Nachttischchen hätten sich Kondome, Feuchttüchlein und Sexspielzeuge befunden. Die identischen Aussagen der rumänischen Beschuldigten hätten darauf schliessen lassen, dass sie sich für den Fall einer Polizeikontrolle Schutzbehauptungen ausgedacht hätten. 3. Die angetroffenen Frauen machten folgende Aussagen: 3.1 I._, Staatsangehörige von Costa Rica, will sich im [...] als Kleiderhändlerin betätigt haben. Das Zimmer, welches sie dort bewohne, werde von ihrem Freund bezahlt. Wo dieser wohne, wisse sie nicht. Sie wisse nicht, was die Frauen im [...] machten (AS 26 ff.). 3.2 J._, Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, führte aus, sie sei an der Bar gesessen und habe nicht gearbeitet. Wenn sie in die Schweiz komme, übernachte sie immer im «[...]». Sie bezahle pro Woche CHF 200.00 für ein Zimmer. Sie habe einen Kollegen, welcher ihr finanziell helfe. Dieser bezahle ihr den ganzen Aufenthalt. Seinen Namen möchte sie nicht nennen. Sie sei seit ca. einem Monat im «[...]». Sie glaube, dass das «[...]» eine Bar sei und darüber sei ein Hotel (AS 34 ff.). 3.3 B._, Staatsangehörige von Rumänien, sagte, sie wohne seit zwei Wochen dort und bezahle CHF 25.00 pro Nacht für das Zimmer. Sie wohne lediglich dort, sie arbeite nicht. Sie wisse nicht, wie viele Leute das [...] besuchten und was sie dort machten. Sie habe sie sich immer in ihrem Zimmer aufgehalten und nicht mitbekommen, was im [...] passiert sei (AS 41 ff.). 3.4 C._, Staatsangehörige von Rumänien, gab zu Protokoll, man könne nicht anhand der Kleidung beurteilen, was man dort mache. Sie habe dort nur einen Kaffee getrunken und eine geraucht. Man könne nicht anhand ihrer Kleidung beurteilen, was sie mache. Es sei ihr nicht aufgefallen, dass ihr Zimmer so eingerichtet sei, als ob sie als Prostituierte arbeite. Sie habe noch nie als Prostituierte gearbeitet (AS 50 ff.). 3.5 F._ führte aus, das «[...]» sei keine Kontaktbar, es sei ein [...]. Sie habe sich zwar leichtbekleidet in der Bar aufgehalten, das bedeute aber nicht, dass sie sich prostituiere. Sie kleide sich gerne leger. Sie sei normal angezogen gewesen. Ihr Zimmer sei schön und gepflegt gewesen mit Kerzen und schöner Bettwäsche. Das heisse noch lange nicht, dass dort eine Prostituierte arbeite. Man dürfe sie nicht anhand ihrer Kleidung und ihrem Schlafort beurteilen (AS 58 ff.). 3.6 R._, Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, führte am 18. September 2014 (nach der zweiten Kontrolle) aus, dass sie im «[...]» nicht als Prostituierte arbeite. Sie sei für zwei Monate als Touristin gekommen. Sie habe nicht gewusst, dass das «[...]» ein Puff sei. Hätte sie es gewusst, hätte sie sich nicht dort aufgehalten. Die anderen Frauen würden sich mit Männern treffen. Sie nehme an, dass das ihre Verlobten seien. Sie wisse nicht, ob es wirklich Verlobte oder Kunden seien. Sie sei dem nicht nachgegangen. Es treffe zu, dass sie in den anderen – der von ihr genannten – Lokale als Prostituierte gearbeitet habe, dies mit Bewilligung. Im «[...]» habe sie aber wirklich nicht gearbeitet. Im Lokal hätten sich 16 bis 18 Frauen befunden. Sie habe gesehen, wie sie mit den Typen in ihre Zimmer gegangen seien. Sie wisse aber nicht, ob das Kunden oder ihre Freunde gewesen seien (AS 98 ff.). 3.7 S._, Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, führte aus, dass sie im «[...]» auf ihren Verlobten gewartet habe. Wie man sehe, sei sie leicht bekleidet. Deshalb habe ihr Verlobter sie nicht in sein Geschäft mitnehmen können und deshalb habe sie im Lokal gewartet. Sie sei keine Prostituierte (AS 108 ff.). 3.8 C._, Staatsangehörige von Rumänien, gab an, es stimme nicht, dass sie im «[...]» der Prostitution nachgegangen sei. Man habe sie nicht mit einem Mann im Zimmer gefunden. Man habe kein Geld gefunden. Man könne ihr nichts beweisen. Sie sei nach der Anhaltung im Juni erneut in die Schweiz gekommen, weil sie Ferien mache. Man könne nicht anhand ihres Zimmers beurteilen, dass sie Prostituierte sei. Sie wolle einen Beweis dafür, dass sie Prostituierte sei. Sie habe noch nie als Prostituierte gearbeitet (AS 115 ff.). 3.9 F._, Staatsangehörige von Rumänien, führte aus, es sei genau dasselbe gewesen wie letztes Mal. Sie habe ein Hemd und eine kurze Hose getragen, sei an der Bar gesessen und habe ein Glas Wein getrunken. Ob sie das nicht dürfe. Ob man ihr mit einer Videoaufnahme beweisen könne, dass sie sich prostituiert habe. Mit Bezug auf «U._» bestritt sie, dass sie mit diesem aufs Zimmer habe gehen wollen. Sie komme alle drei Monate für ca. zwei bis drei Wochen in diese Bar. Es sei günstiger dort zu wohnen als in einem Hotel. Das bezahle immer ihr Freund (AS 122 ff.). 3.10 T._, Staatsangehörige von Rumänien, sagte am 17. September 2014, in der polizeilichen Erstbefragung aus, dass sie seit zwei Wochen hier arbeite. Sie arbeite pro Tag sechs Stunden. Sie habe ein Zimmer gemietet und zahle CHF 50.00 pro Tag. Ihr Zimmer befinde sich im ersten Stock, Wohnung links. Ihre Kunden nehme sie jeweils auf das Zimmer. Sie teile diesen Raum mit einer anderen Rumänin, die sie als [...]kenne. Es gebe zwei Chefs hier. Sie zahle das Geld einer schwarzhaarigen Frau. Das Geld, welches sie auf sich trage, habe sie am letzten Montag (15.9.2014) eingenommen. Sie habe im Internet die Stelle als «Liebesdienerin» gesehen und angerufen. Sie mache das für ihre Familie (Schwester und Mutter). Sie habe das vorher noch nie gemacht in der Schweiz. Sie wisse nicht genau, wie viele Männer sie schon mit nach oben genommen habe. Sie nehme mindestens CHF 100.00 pro Mann. Maximal habe sie CHF 300.00 verlangt. Den Preis mache sie (AS 130). In der polizeilichen Befragung vom 18. September 2014 bestritt sie vorerst die Tätigkeit als Prostituierte, bestätigte dann aber, dass sie im «[...]» als Prostituierte gearbeitet habe (AS 137). 3.11 G._, Staatsangehörige von Rumänien, gab zu Protokoll, sie kleide sich gerne so, wie sie von der Polizei angetroffen worden sei. Sie fühle sich so wohl. Es gebe vielleicht Frauen, die dort in den Ferien seien und mit anderen Männern schlafen wollten. Sie glaube nicht, dass es im «[...]» zu solchen Sachen komme. Die Leute dort seien sauber. Sie wisse nichts davon, dass Frauen dort der Prostitution nachgegangen seien (AS 141 ff.). 3.12 A._, Staatsangehörige von Rumänien, gab an, dass sie sich an der Bar befunden habe, um einen Kaffee zu trinken. Sie mache keine Prostitution. Sie habe eine normale Bluse und eine kurze Hose getragen. Das sei normale Kleidung. Von Prostitution habe sie nichts gesehen (AS 151 ff.). 3.13 E._, Staatsangehörige von Rumänien, führte aus, dass sie nicht als Prostituierte arbeite. Sie sei nur in den Ferien hier und seit drei Tagen in der Schweiz. Ihre Kleidung sei für eine Bar entsprechend gewesen. Sie sei eine junge Frau und könne sich so zeigen. Mit Prostitution habe sie nichts zu tun. Dazu, was die anderen Frauen gemacht hätten, sage sie nichts. Ihr Zimmer habe sie so angetroffen, wie es sei. Sie habe nicht die Möglichkeit, dieses umzugestalten. Sie habe tatsächlich einige Kondome dabei gehabt. Die anderen Kondome und Gegenstände gehörten einem anderen Mädchen (AS 158 ff.). 3.14 V._, Staatsangehörige von Brasilien, sagte in der polizeilichen Erstbefragung, sie habe hier ein Zimmer, um Freier zu bedienen. Das Zimmer habe sie seit knapp drei Wochen. Sie bezahle CHF 50.00 pro Nacht. Ihre Chefin sei Frau D._. Einen Arbeitsvertrag habe sie nicht. Sie arbeite von 18.00 – 00.30 Uhr. Wenn sie wolle, könne sie frei nehmen. Sie könne selber bestimmen, mit wem sie Geschäfte mache. Mit den anderen Frauen habe sie keinen Kontakt. Diese würden sie nicht mögen. Aber die Frauen, die zusammen mit ihr im Fumoir gewartet hätten, sehe sie hier jeden Tag. Sie bleibe nur noch diese Woche hier. Die Kundschaft sei sehr schwach. Das «[...]» habe sie vorher noch nicht gekannt. Eine Kollegin habe ihr den Tipp gegeben. Diese sei aber nicht mehr hier. Sie habe selber mit Frau D._ Kontakt aufgenommen. Sie werde von niemandem unter Druck gesetzt und müsse auch nichts von ihrem Verdienst abgeben (AS 165). 4. Nachstehend Aussagen von männlichen Besuchern des «[...]»: 4.1 W._ gab zu Protokoll, er habe auf dem Nachhauseweg im «[...]» noch ein Bier trinken gehen wollen. Als er sich an der Bar befunden habe, sei eine Frau zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er eine Massage wolle. Es sei sofort klar gewesen, dass die Frau sich ihm angeboten habe. Als er abgelehnt habe, habe sich die Frau wieder entfernt. Die Frau habe einen dunklen Teint gehabt, er denke, dass es eine Portugiesin oder eine Brasilianerin gewesen sei. Als die Polizei gekommen sei, sei sie durch die Tür ins Treppenhaus gerannt (AS 167). 4.2 X._ führte aus, er sei heute Abend hierhergekommen, um etwas zu trinken. Er sei alleine gewesen, bis die Polizei gekommen sei. Heute habe er keine Lust auf Sex gehabt (AS 169). 4.3 Y._ gab zu Protokoll, er sei um ca. 20.30 Uhr ins «[...]» gekommen. Er komme ca. alle zwei Monate. Er habe sich an die Bar gesetzt und einen Kaffee bestellt, kurz darauf sei er von einer Frau angesprochen worden. Er glaube, dass sie «[...]» geheissen habe. Sie habe Deutsch und Portugiesisch gesprochen. Sie sei ihm ins Fumoir gefolgt und sei bei ihm geblieben. Normalerweise sei es so, dass nach einer Weile im Gespräch und bezahlten Getränken von den Frauen auch sexueller Kontakt angeboten werde. Üblicherweise koste es 100.00 Franken. Man könne 30 Minuten oder eine Stunde nehmen. Er wisse nicht, wer im «[...]» der Chef sei. Heute sei ihm noch kein sexueller Kontakt angeboten worden. Es sei die Dame mit der Nummer 9 bei ihm gesessen. Das Geld bezahle man jeweils direkt bei der Frau, mit welcher man auf Zimmer gehe (AS 171). 4.4 U._ hat gegenüber der Polizei ausgeführt, er habe hier nur etwas konsumieren wollen und habe mit einer Frau gesprochen. Sie hätten auf ein Zimmer gewollt. Er wisse aber nicht, wie das hier laufe. Sie hätten noch nichts genau abgemacht (AS 89). 5.1 Aufgrund der Aussagen jener Frauen, die sich zu ihrer Tätigkeit im «[...]» bekannt haben, der Aussagen der männlichen Besucher des Lokals, aber auch des Gesamteindrucks, welchen das Lokal eben diesen Besuchern vermittelte, kann ohne weiteres davon ausgegangen, dass es sich beim «[...]» um einen Betrieb handelte, dessen Zweck es war, den Frauen die Ausübung der Prostitution gegen Entgelt für die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zu ermöglichen. 5.2 Es wird im Übrigen nicht apodiktisch bestritten, dass im «[...]» Prostitution betrieben wurde (Berufungsbegründung, Seite 7 unten). Hingegen wird sinngemäss geltend gemacht, das «[...]» habe nicht diesem Zweck gedient bzw. sei nicht zu diesem Zweck betrieben worden. Die im Haus wohnenden Frauen hätten sich allenfalls bei Gelegenheit in diesem Sinne betätigt. Die Feststellung der Vorinstanz, dass sämtliche Frauen/Beschuldigten, welche anlässlich der beiden Polizeikontrollen im Lokal angetroffen worden seien, seien zweifelsfrei der Prostitution nachgegangen und hätten nicht lediglich als Touristinnen dort logiert, wird als völlig willkürlich bezeichnet. Die Feststellung ist nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar und entspricht ganz offensichtlich den Tatsachen. Es kann diesbezüglich vollumfänglich auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, US 11 f., AS 435 f., verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO). Dass dem so war, ergibt sich aus den gesamten Umständen. Dass das «[...]» einem touristischen Zweck im üblichen Sinne gedient haben soll, ist völlig abstrus. Die Aussagen der Frauen, welche das bestritten haben, sind unglaubhaft. Das Beweisergebnis beruht auf dem Gesamteindruck, welcher sich aus den polizeilichen Feststellungen an Ort und Stelle, vereinzelten Aussagen der Frauen, Aussagen der männlichen Gäste des Lokals und letztlich auch auf Erfahrungen in ähnlichen oder gleichgelagerten Fällen. Dass das «[...]» in einschlägigen Internetforen kommentiert wurde (AS 55 ff.), vermag die anderen Feststellungen nur zu bestätigen. Das klare Beweisergebnis ist, dass das «[...]» mit Wissen und Willen ihrer Geschäftsführerin D._ ein Prostitutionsbetrieb war, in welchem den ausländischen Frauen die Räumlichkeiten des Lokals gegen Entgelt zur Ausübung der Prostitutionstätigkeit zur Verfügung gestellt wurden. Es ist unbestritten, dass die Beschuldigte D._ Geschäftsführerin des «[...]» war (Berufungsbegründung Seite 14). Ferner ist nach dem Beweisergebnis erstellt, dass sich alle in der Anklage genannten Frauen zum Zwecke der Ausübung der Prostitution im «[...]» aufhielten. Die Tatzeiten ergeben sich einerseits aus den Daten der am 24. Juni und am 17. September 2014 im «[...]» durchgeführten Polizeikontrollen, andererseits aus den Angaben der ausländischen Frauen über ihre Aufenthaltsdauer im «[...]». II. Rechtliche Würdigung 1. Strafbarkeit von D._ 1.1 Unter Ziffer 1.2 des (neuen veränderten) Strafbefehls vom 27. Februar 2015 wird der Beschuldigten angelastet, sie habe sich in der Zeit vom 24. Mai bis 24. Juni 2014 sowie in der Zeit vom 17. August bis 17. September 2014 der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung (Art. 117 Abs. 1 AuG) schuldig gemacht, indem sie die dort genannten ausländischen Personen (sieben Rumäninnen und drei weibliche Staatsangehörige der Dominikanischen Republik) beschäftigt habe, ohne sie bei der kantonalen Fremdenpolizeibehörde vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit anzumelden bzw. ohne dass die Aufnahme der Erwerbstätigkeit vorgängig bewilligt worden wäre. Sie sei für die Infrastruktur des «[...]» zuständig gewesen, habe entschieden, welche Ausländerinnen im Etablissement hätten arbeiten können und habe das Geld für die Zimmer entgegengenommen. 1.2 Gemäss Art. 117 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG, SR 142.20) wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber vorsätzlich Ausländerinnen und Ausländer beschäftigt, die in der Schweiz nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt sind, oder wer eine grenzüberschreitende Dienstleistung in der Schweiz in Anspruch nimmt, für welche der Dienstleistungserbringer keine Bewilligung besitzt. In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Mit der Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden. 1.3 Das angefochtene erstinstanzliche Urteil geht gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 137 IV 153) davon aus, dass die Beschuldigte als Geschäftsführerin des «[...]» die in der Anklage genannten Ausländerinnen beschäftigt hat (US 20 f., AS 444 f.). Es ist in diesem Zusammenhang auch auf den Entscheid 6B_111/2016, E. 2.2.2 (mit Hinweisen) zu verweisen: «Gemäss Art. 91 Abs. 1 AuG hat sich der Arbeitgeber vor dem Stellenantritt der Ausländerin zu vergewissern, dass die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit in der Schweiz besteht. Bestraft wird, wer als Arbeitgeber vorsätzlich eine Ausländerin beschäftigt, die in der Schweiz nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt ist (Art. 117 Abs. 1 AuG). Art. 117 Abs. 1 i.V.m. Art. 91 Abs. 1 AuG entspricht der früheren Rechtslage unter Art. 23 Abs. 4 ANAG. Diese Rechtsprechung hat weiterhin Bestand. Es ist von einem weiten, faktischen Arbeitgeberbegriff auszugehen. BGE 137 IV 159 E. 1.5.2 hält ausdrücklich daran fest, dass nicht abweichend vom früheren Recht (Art. 23 Abs. 4 ANAG) ein engerer Arbeitgeberbegriff anzuwenden ist und das Betreiben von Etablissements allenfalls als Förderung oder Erleichterung illegaler Erwerbstätigkeit unter Art. 116 Abs. 1 lit. b AuG zu subsumieren wäre. Nach der Rechtsprechung zum ANAG erfüllte der Betreiber eines Etablissements den Tatbestand, der für dessen Infrastruktur zuständig war und entschied, welche Ausländerin im Etablissement als Prostituierte arbeiten konnte. Entsprechend ist im Sinne von Art. 117 Abs. 1 AuG als Arbeitgeber zu betrachten, wer die im Club als Prostituierte tätigen Ausländerinnen beschäftigt.» Vorliegend waren die Prostituierten nicht Arbeitnehmerinnen im üblichen Sinne, sondern eher Selbständigerwerbende, welchen im «[...]» die nötige Infrastruktur zur Verfügung gestellt wurde. D._ hatte aber – das Gegenteil ist jedenfalls nicht erstellt – keine Weisungskompetenz betreffend Arbeitszeiten, Anwesenheitspflicht etc. Die Prostituierten konnten ihre Tätigkeit aber nur ausüben, indem die Beschwerdeführerin ihnen gegen Bezahlung die Infrastruktur zur Verfügung stellte und sie sich im Gegenzug in die organisatorische und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Beschwerdeführerin begaben. Dieser Einfluss auf die selbständige Erwerbstätigkeit der Prostituierten genügt für die Erfüllung von Art. 117 Abs. 1 des Ausländergesetzes (Urteile des Bundesgerichts 6B_111/2016 vom 26. April 2016, E. 2.2.4; 6B_329/2012, E. 2.4). D._ war im Sinne dieser Rechtsprechung Arbeitgeberin der in der Anklage genannten Ausländerinnen. 1.4 In der Berufungsbegründung wird auf die Rechtsprechung des Obergerichts im Entscheid STBER.2013.82 und jene des Bundesgerichts gemäss 6B_658/2011 verwiesen. Im Urteil des Obergerichts vom 28. März 2014 wurde mit Bezug auf den Tatbestand gemäss Art. 117 Abs. 1 AuG Folgendes ausgeführt (S. 12): «Auf den vorliegenden Fall bezogen ist festzustellen, dass hinsichtlich der nicht der EU angehörenden Frauen offensichtlich ist, dass sie nicht berechtigt waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das musste auch der Beschuldigten (D._) bewusst sein, zumal sich die Rechtslage aus dem AuG klar ergibt. Soweit es sich vorliegend um aus dem EU-Raum stammende Ausländerinnen handelt, kann ebenfalls auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung verwiesen werden. Das Bundesgericht beurteilte im Entscheid 6B_658/2011 vom 4. April 2012 einen Sachverhalt, in welchem es um selbständig Erwerbstätige ging (E. 1) Unter E. 2.3.2 führte es aus, das FZA gelte heute auch für Bulgarien und Rumänien. Am 11. März 2009 jedoch, als die 19 Frauen aus diesen Ländern im Club angehalten worden seien, sei das Protokoll zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragspartei infolge ihre Beitritts zur Europäischen Union vom 27. Mai 2008 (SR O.142.112.681) noch nicht in Kraft getreten (in Kraft seit 1. Juni 2009). Da sich die 19 Bulgarinnen und Rumäninnen somit noch nicht auf das FZA hätten berufen können, seien auch sie ohne Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Aus der dargestellten Begründung des Bundesgerichts ergibt sich, dass das FZA seit dem 1. Juni 2009 in Bezug auf Rumäninnen anwendbar ist und insofern vom Wegfall der Bewilligungspflicht gemäss Art. 11 Abs. 1 des Ausländergesetzes auszugehen ist. Vorliegend ist der Beschuldigten angelastet, sich am 22. März 2012 strafbar gemacht zu haben. Die Strafbarkeit mit Bezug auf die vorliegend 7 Rumäninnen entfällt damit.» Der Entscheid des Obergerichts vom 28. März 2014 war Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens 6B_426/2014 mit dem Urteil vom 18. September 2014, in welchem es allerdings nur um die nicht aus dem EU-Raum stammenden Frauen ging. Mit Bezug auf den vorliegend massgeblichen Tatbestand gemäss Art. 117 Abs. 1 AuG hat das Bundesgericht im Entscheid 6B_979/2014 vom 2. April 2015, E. 4.2, festgestellt: «Die Beschwerdeführerin und die Vorinstanz verkennen, dass es auf die rechtliche Qualifikation der Stellung des Beschwerdegegners vorliegend nicht ankommt, da Art. 117 Abs. 1 AuG nicht zur Anwendung gelangt. In Anwendung des Freizügigkeitsabkommens (FZA; SR 0.142.112.681) kommt nach gefestigter Rechtsprechung ausgestellten Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen kein rechtsbegründender Charakter, sondern bloss deklarative Bedeutung zu. Der Aufenthalt von bzw. die Erwerbstätigkeit durch EU- oder EFTA-Staatsangehörige in der Schweiz ist auch bei fehlender Bewilligung nicht rechtswidrig, weshalb der Arbeitgeber, der unter das Freizügigkeitsabkommen fallende Staatsangehörige in der Schweiz ohne Bewilligung beschäftigt, nicht strafbar ist (mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung).» Vorliegend ergibt sich daraus, dass sich die Beschuldigte D._ mit Bezug auf die rumänischen Staatsangehörigen nicht strafbar gemacht hat (zur Konstellation vor dem 1. Juni 2009 siehe auch 6B_111/2016, E. 2.2.1). 1.5 Strafbar gemacht hat sich die Beschuldigte D._ dagegen mit Bezug auf die Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik: - J._, dominikanische Staatsangehörige, in der Zeit vom ca. 24. Mai bis 24. Juni 2014; - R._, dominikanische Staatsangehörige, in der Zeit vom ca. 17. August bis 17. September 2014; - M._, dominikanische Staatsangehörige, in der Zeit vom 13. bis 17. September 2014; Die Beschuldigte macht diesbezüglich geltend, sie habe aufgrund des am 27. August 2013 im Verfahren OGSPR.2012.132 hinsichtlich dieses Tatbestandes erlassenen Urteils darauf vertrauen dürfen, dass der ihr angelastete Sachverhalt eben keine Widerhandlung gegen Art. 117 AuG darstelle. Sie macht damit sinngemäss einen Irrtum über die Rechtswidrigkeit gemäss Art. 21 StGB geltend: «Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft.» Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (6B_1236/2015, E. 1.3.1 mit Hinweisen) erliegt der Täter einem Verbotsirrtum, der zwar alle Tatumstände kennt und somit weiss, was er tut, aber nicht weiss, dass sein Tun rechtswidrig ist. Ein Verbotsirrtum ist ausgeschlossen, wenn der Täter aufgrund seiner laienhaften Einschätzung weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht, wenn er also in diesem Sinne das unbestimmte Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun. Unvermeidbar ist der Verbotsirrtum, wenn der Täter nicht weiss und nicht wissen kann, dass er rechtswidrig handelt. Insoweit gelten die Kriterien, welche die Praxis zur Beurteilung der «zureichenden Gründe» beim altrechtlichen Rechtsirrtum (Art. 20 aStGB) entwickelt hat. Zureichend ist ein Grund, wenn dem Täter aus seinem Verbotsirrtum kein Vorwurf gemacht werden kann, weil der Irrtum auf Tatsachen beruht, durch die sich auch ein gewissenhafter Mensch hätte in die Irre führen lassen. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass sich der Rechtsunterworfene um die Kenntnis der Rechtslage zu bemühen hat und deren Unkenntnis nur in besonderen Fällen vor Strafe schützt. Vorliegend konnte aus dem Urteil vom 27. August 2013 nicht interpretiert werden, dass das der Beschuldigten heute angelastete Verhalten nicht strafbar sei. Das Gericht ging damals davon aus, dass der Vorhalt nicht nachgewiesen sei. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Tatbestand in rechtlicher Hinsicht ist nicht erfolgt (Urteil S. 7). Zudem ist davon auszugehen, dass die Beschuldigte sich rechtlich beraten liess und dem Berater die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 137 IV 153) bekannt war und ist. Es ist anzunehmen, dass ihr das «Glatteis», auf welchem sie sich bewegte, durchaus bewusst war. Das war noch verstärkt der Fall, nachdem die erste Polizeikontrolle stattgefunden hatte. Ein Irrtum im Sinne von Art. 21 StGB ist ihr nicht zuzubilligen. 1.6 Als mehrfache Widerhandlung gegen das Wirtschaftsgesetz (§ 2 Abs. 1 lit. b, § 4 WirtschG i.V. mit § 44 WirtschG), begangen und festgestellt am 24. Juni 2014, 19.00 Uhr, sowie am 17. September 2014, um 21.00 Uhr, wird der Beschuldigten angelastet, dass sie im «[...]» gewerbsmässig Gäste beherbergt habe, ohne diesbezüglich über ein gültiges Patent zu verfügen. Zum diesbezüglichen Schuldspruch im angefochtenen Urteil wird in der Berufungsbegründung dargelegt, die Firma [...] AG habe die gesamte Liegenschaft gemietet. Im oberen Stock befänden sich drei Wohnungen. Diese Räumlichkeiten würden analog «bed and breakfast» vermietet, was einen etwas höheren Ertrag ermögliche als bei Dauermiete, zumal die Wohnungen in einem eher schlechten Zustand seien. Hier von «gewerbsmässigem Beherbergen» auszugehen, sei einigermassen vermessen. Gewerbsmässig wäre eine Beherbergung, wenn sie gewinnorientiert wäre und damit regelmässig Gewinn generiert würde. Wie die Vorinstanz selber feststelle, könne davon keine Rede sein. Zentral wäre die Antwort auf die Frage, ob ein sachlich nicht vertretbarer Überschuss generiert werde. Das sei klar nicht der Fall, weshalb sich auch hier ein Freispruch rechtfertige. Es kann diesbezüglich vollumfänglich auf die Ausführungen auf Seite 23 des angefochtenen Urteils verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO). Es ist völlig unerfindlich, weshalb die Tätigkeit der Beschuldigten kein gewerbsmässiges Beherbergen im Sinne des Tatbestandes darstellen sollte, zumal unbestritten ist, dass die ausländischen Frauen im «[...]» gegen Entgelt wohnten. Auf mehrfache Begehung ist zu erkennen, weil die Beschuldigte ihren Betrieb auch nach der Polizeikontrolle vom 24. Juni 2014 ohne Patent weiterführte, insbesondere auch am 17. September 2014. Mit Bezug auf Art. 2 Abs. 2 StGB ist festzustellen, dass das nunmehr geltende Wirtschafts- und Arbeitsgesetz (BGS 940.11) analoge Regeln kennt (§ 9 und 97) und insofern für die Beschuldigte nicht milderes Recht darstellt. 2. Die Strafbarkeit der übrigen Beschuldigten Bei den Berufungsklägerinnen A._, B._, C._, E._, F._ und G._, welche im angefochtenen Urteil schuldig gesprochen wurden wegen rechtswidrigen Aufenthalts und Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, handelt es sich um Rumäninnen, welche sich gemäss der angeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (6B_979/2014, E. 4.2) nicht strafbar machten, weil sie sich weder rechtswidrig in der Schweiz aufhielten noch rechtswidrig ohne Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nachgingen. Sie sind von den genannten Vorwürfen freizusprechen. IV. Strafzumessung 1. D._ ist wegen mehrfachen Beschäftigens von Ausländerinnen ohne Bewilligung, begangen hinsichtlich der Ausländerinnen J._ in der Zeit vom ca. 24. Mai bis 24. Juni 2014, R._ in der Zeit vom ca. 17. August bis 17. September 2014, und M._ in der Zeit vom 13. bis 17. September 2014, sowie wegen mehrfacher Patentanmassung, begangen am 24. Juni und 17. September 2014, zu bestrafen. Ersteres stellt ein Vergehen dar, bedroht mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe und letzteres eine Übertretung, bedroht mit Busse von 20 – 5000 Franken. 2. Im angefochtenen Urteil wurde D._ bestraft mit einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je CHF 190.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von 2 Jahren, und mit einer Busse von CHF 1‘000.00, ersatzweise mit einer Freiheitsstrafe von 6 Tagen. Dabei wurde die Busse teilweise als Verbindungsbusse (Art. 42 Abs. 4 StGB) im Sinne eines «spürbaren Denkzettels» ausgesprochen, also auch zur Ahndung der Vergehen. Höhere Strafen fallen vorliegend zufolge des Verschlechterungsverbots gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO nicht in Betracht, ebenso nicht die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs für die Geldstrafe. 3. Im erstinstanzlichen Urteil wurden die Grundsätze der Strafzumessung dargelegt (US 26 f.) Es kann darauf verwiesen werden. 4. Die Beschuldigte hat zwei der Frauen je während der Dauer eines Monats im Sinne des Tatbestandes ohne Bewilligung beschäftigt und eine während wenigen Tagen. Als schwerste Tat ist das Beschäftigen von R._ in der Zeit vom ca. 17. August bis 17. September 2014 zu betrachten, da die erste Polizeikontrolle die Beschuldigte nicht zum Ändern ihrer Verhaltensweise zu veranlassen vermochte. Insofern ist das Verschulden auch nicht mehr als ganz leicht zu gewichten. Das Beschäftigen der beiden anderen Ausländerinnen ist im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB straferhöhend zu berücksichtigen. Insgesamt besteht trotz des Wegfalls der Schuldsprüche in Bezug auf die Frauen aus Rumänien keine Veranlassung, von der Anzahl von 70 Tagessätzen Geldstrafe nach unten abzuweichen. Gemäss dem Strafrahmen von Art. 117 Abs. 1 AuG entspricht diese Strafe immer noch einem leichten Verschulden. Dagegen lässt es sich rechtfertigen, von einer Verbindungsbusse abzusehen, zumal kein Fall einer Schnittstellenproblematik vorliegt. Es lässt sich aufgrund der Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil mit Blick auf Art. 391 Abs. 2 StPO ohnehin nicht definieren, welcher Anteil der ausgesprochenen Busse von CHF 1‘000.00 die Verbindungsbusse darstellte. Zudem besteht kein Hinweis, dass die Beschuldigte eines «Denkzettels» bedürfte, ist sie doch nicht vorbestraft. Die Tagessatzhöhe ist – ausgehend von einem Einkommen im Jahr 2016 von CHF 115‘882.00 bei den Firmen [...]AG und [...]AG – auf CHF 190.00 zu belassen. Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ist analog dem erstinstanzlichen Urteil mit einer Probezeit von 2 Jahren zu verbinden (Art. 44 Abs. 1 StGB). 5. Hinsichtlich der Busse für die mehrfache Patentanmassung ist von der Anklage bzw. vom Schuldspruch auszugehen, gemäss welchem diese jeweils am 24. Juni und am 17. September 2014, das heisst je an einem Tag, begangen wurde. Damit ist das Verschulden gering. Eine Busse von CHF 300.00 erscheint im Sinne von Art. 106 Abs. 2 und 3 StGB als angemessen. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist – gerechnet mit der Tagessatzhöhe von CHF 190.00 – auf zwei Tage zu bemessen. V. Verfahrenskosten 1. Allgemeines Gemäss Art. 423 StPO werden die Verfahrenskosten vom Bund oder dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat, abweichende Bestimmungen der Strafprozessordnung bleiben vorbehalten. Eine abweichende Bestimmung in diesem Sinne liegt in Art. 426 Abs. 1 StPO vor: Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Ausgenommen sind die Kosten für die amtliche Verteidigung, vorbehältlich von Art. 135 Abs. 4 StPO. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO, erster Satz). Sind mehrere beteiligte Personen kostenpflichtig, so werden die Kosten anteilsmässig auferlegt (Art. 418 Abs. 1 StPO). Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung im Rechtsmittelverfahrens richten sich nach den Artikeln 429 – 434 StPO (Art. 436 Abs. 1 StPO). Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO). Nachstehend sind die Kostenanteile im Sinne dieser Bestimmungen festzulegen. 2. Gerichtskosten Die Berufung der Beschuldigten D._ ist insofern erfolgreich, als mit Bezug auf sieben Ausländerinnen ein Freispruch und bei der Strafzumessung eine leichte Strafreduktion erfolgt. Erfolglos ist sie mit Bezug auf drei Ausländerinnen und den Vorwurf der Patentanmassung. Geht man davon aus, dass sich Erfolg und Unterliegen bezüglich der Strafzumessung und der Patentanmassung kostenmässig gegenseitig aufheben, rechtfertigt es sich, 30 % der Kosten bzw. des Kostenanteils aus dem erstinstanzlichen Verfahren und dem Berufungsverfahren der Beschuldigten und 70 % dem Staat aufzuerlegen. Die Anteile der Ausländerinnen entfallen, das heisst, diese Kostenanteile sind zufolge der Freisprüche vom Staat zu tragen (Art. 423 StPO). Der Kostenanteil der Beschuldigten D._ aus dem erstinstanzlichen Verfahren beträgt 30 % von CHF 800.00 = CHF 240.00. 2.2 Für das Berufungsverfahren ist die Staatsgebühr (§ 146 lit. c GT) auf CHF 2‘000.00 festzusetzen, womit sich mit den Auslagen Gesamtkosten von CHF 2‘050.00 ergeben. Davon sind je 10 % den sechs freigesprochenen ausländischen Frauen zuzuordnen, womit der volle Anteil der Beschuldigten D._ 40 % (= CHF 820.00) beträgt. Der von der Beschuldigten D._ zu bezahlende Anteil beträgt damit 30 % von CHF 820.00 = CHF 246.00. 3. Parteientschädigungen 3.1 Erste Instanz / Beschuldigte D._ Fürsprecher Rätz machte mit seiner Honorarnote vom 27. Juni 2016 Aufwendungen von 24.6 Stunden à CHF 280.00 (= CHF 6‘888.00) geltend, wobei er in der Berufungsbegründung sinngemäss ausführte, darin seien die Aufwendungen für die ausländischen Klientinnen nicht enthalten. Seine diesbezüglichen Anträge an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung lauteten: Unter Auferlegung der Verfahrenskosten an den Staat und Zuspruch einer Entschädigung in der Höhe der Verteidigerkosten gemäss Kostennote. Das erstinstanzliche Urteil ging davon aus, dass die Ausländerinnen nicht zu entschädigen seien. Mit Bezug auf die Beschuldigte D._ wurden 12 Stunden à CHF 230.00 entschädigt, dies davon ausgehend, dass die Mandatsanzeige erst vom 15. Dezember 2014 datierte. In der Honorarnote wurden die einzelnen Aufwendungen nicht quantifiziert. Insgesamt erscheint der geltend gemachte Aufwand als übersetzt, zumal für die ausländischen Klientinnen je eine Stunde zusätzlich geltend gemacht wurde, was im Gesamten wiederum als grosszügig bemessen erscheint. So betrachtet war es angemessen, wenn die Vorinstanz für die Beschuldigte D._ nur 12 Stunden entschädigte. Dagegen ist der minimale Stundenansatz gemäss § 158 Abs. 2 GT praxisgemäss auf CHF 250.00 anzuheben, womit sich folgende Berechnung einer vollen Parteientschädigung ergibt: 12 Stunden à CHF 250.00 CHF 3‘000.00 Auslagen CHF 500.00 CHF 3‘500.00 8 % Mehrwertsteuer CHF 280.00 CHF 3‘780.00 ============= Analog dem Kostenanteil der Beschuldigten von 30 % sind davon 70 % = CHF 2'646.00 zu entschädigen. 3.2 Erste Instanz / beschuldigte Ausländerinnen Die freizusprechenden Ausländerinnen sind vollumfänglich zu entschädigen. Fürsprecher Rätz führte aus, er habe pro beschuldigte Ausländerin pauschal eine Arbeitsstunde und CHF 20.00 Auslagen eingesetzt. Die Entschädigung beträgt damit für die freigesprochenen rumänischen Beschuldigten je CHF 291.60 (inkl. Mehrwertsteuer). 3.3 Berufungsverfahren / Beschuldigte D._ Für das Berufungsverfahren machte Fürsprecher Rätz mit der Honorarnote vom 22. Februar 2017 Aufwendungen von 16.70 Stunden geltend, was im Gesamten als angemessen erscheint. Dagegen ist wiederum ein Stundenansatz von CHF 250.00 (und nicht CHF 280.00) zu entschädigen. Der Gesamtaufwand ist wiederum auf die verschiedenen Klientinnen zu verteilen, wobei es sich rechtfertigt, für die ausländischen Klientinnen eine Stunde anzurechnen, womit auf die Beschuldigte D._ 10.7 Stunden entfallen. Die Auslagen von CHF 292.00 sind in gleichen Teilen auf die Beschuldigten zu verteilen, womit sich für die Beschuldigte D._ folgender Anteil ergibt: 10.7 Std. x CHF 250.00 CHF 2‘675.00 Auslagen CHF 41.70 CHF 2‘716.70 8 % Mehrwertsteuer CHF 217.35 CHF 2‘934.05 ============ Die der Beschuldigten D._ zuzusprechende Parteientschädigung im Umfang von 70 % beträgt CHF 2'053.85. 3.4 Die freizusprechenden Ausländerinnen sind vollumfänglich zu entschädigen. Ihre Entschädigungen betragen für das Berufungsverfahren je CHF 315.05. 4. Verrechnung Die der Beschuldigten D._ auferlegten Verfahrenskosten von CHF 486.00 sind mit den ihr auszurichtenden Entschädigungen von CHF 4'699.85 zu verrechnen (Art. 442 Abs. 4 StPO), womit ihr bzw. Fürsprecher Rätz von der Zentralen Gerichtskasse noch CHF 4‘213.85 auszubezahlen sind. 3. Rückerstattung von Depots In der Berufungsbegründung wurden wie folgt Rückerstattungen von Depots beantragt: CHF 526.80 A._ AS 174 * CHF 1‘110.00 B._ AS 78, 192 f., 207 CHF 100.00 C._ AS 79 CHF 500.00 E._ AS 173 CHF 840.00 F._ AS 77 CHF 500.00 G._ AS 175 * erstinstanzliches Urteil Da die angeführten rumänischen Frauen weder Geldstrafen noch Bussen noch Verfahrenskosten zu bezahlen haben, sind die genannten Beträge zurückzuerstatten (Art. 267 StPO). Demnach wird in Anwendung der Art. 34, 42 Abs. 1, 44 Abs. 1, 47 und 106 StGB; Art. 117 Abs. 1 AuG, § 44 WG, Art. 418 Abs. 1, 423, 426 Abs. 1, 428 Abs. 1 und 3, 429 Abs. 1 lit. a und 436 Abs. 1 StPO) (Beschuldigte D._); Art. 423, 426 Abs. 1, 428 Abs. 1 und 3, 429 Abs. 1 lit. a und 436 Abs. 1 StPO (übrige Beschuldigte) erkannt : 1. Die Beschuldigte A._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des rechtwidrigen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit von ca. 3. bis 17. September 2014. 2. Das geleistete Depot von CHF 526.80 ist A._ zurückzuerstatten. 3. Die Beschuldigte B._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts und der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit von ca. 14. bis 24. Juni 2014 und von ca. 27. Januar bis 3. Februar 2015. 4. Das geleistete Depot von CHF 1‘110.00 ist B._ zurückzuerstatten. 5. Die Beschuldigte C._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts und der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit vom 14. – 24. Juni 2014 und vom 14. – 17. September 2014. 6. Das geleistete Depot von CHF 100.00 ist C._ zurückzuerstatten. 7. Die Beschuldigte E._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des rechtswidrigen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit vom 13. bis 17. September 2014. 8. Das geleistete Depot von CHF 500.00 ist E._ zurückzuerstatten. 9. Die Beschuldigte F._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des mehrfachen rechtswidrigen Aufenthalts und der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit vom 21. – 24. Juni 2014 sowie vom 1. bis 17. September 2014. 10. Das geleistete Depot von CHF 840.00 ist F._ zurückzuerstatten. 11. Die Beschuldigte G._ wird freigesprochen von den Vorwürfen des rechtswidrigen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit vom 10. – 17. September 2014. 12. Das geleistete Depot von CHF 500.00 ist G._ zurückzuerstatten. 13. Gemäss der rechtskräftigen Ziffer 11 des Urteils der Amtsgerichtspräsidentin von Olten-Gösgen vom 27. Juni 2016 wurde D._ freigesprochen von den Vorwürfen der mehrfachen Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts, angeblich begangen in der Zeit vom 24. Mai bis 24. Juni 2014 und vom 17. August bis 17. September 2014, und der mehrfachen Widerhandlung gegen die Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs, angeblich begangen und festgestellt am 24. Juni 2014 sowie am 17. September 2014. 14. Die Beschuldigte D._ wird freigesprochen vom Vorwurf der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung, angeblich begangen in der Zeit vom 24. Mai bis 24. Juni 2014 sowie vom 17. August – 17. September 2014 und bezogen auf die Ausländerinnen aus Rumänien. 15. Die Beschuldige D._ hat sich schuldig gemacht der mehrfachen Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung, begangen in der Zeit von ca. 24. Mai bis 24. Juni 2014 und von ca. 17. August bis 17. September 2014 bzw. vom 13. bis 17. September 2015, bezogen auf die Ausländerinnen aus der Dominikanischen Republik, sowie der mehrfachen Patentanmassung, begangen und festgestellt am 24. Juni 2014 sowie am 17. September 2014. 16. D._ wird verurteilt zu a) einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je CHF 190.00, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit einer Probezeit von 2 Jahren; b) einer Busse von CHF 300.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von 2 Tagen. 17. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens von CHF 2‘380.00 hat im Umfang von CHF 240.00 die Beschuldigte D._ zu bezahlen. Im Übrigen hat der Staat Solothurn diese Verfahrenskosten zu tragen. 18. Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens mit einer Staatsgebühr von CHF 2‘000.00, total CHF 2‘050.00, hat im Umfang von CHF 246.00 die Beschuldigte D._ zu bezahlen. Im Übrigen hat der Staat Solothurn die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. 19. Der Staat Solothurn hat den Beschuldigten wie folgt Entschädigungen für das erstinstanzliche Verfahren zu bezahlen: Je CHF 291.60 für A._, B._, C._, E._, F._ und G._. CHF 2'646.00 für D._. 20. Der Staat Solothurn hat den Beschuldigten für das Berufungsverfahren wird folgt Entschädigungen zu bezahlen: Je CHF 315.05 für A._, B._, C._, E._, F._ und G._. CHF 2'053.85 für D._. 21. Die von D._ gemäss den Ziffern 17 und 18 hiervor zu bezahlenden Verfahrenskosten von CHF 486.00 sind mit gemäss den Ziffern 19 und 20 hiervor auszurichtenden Entschädigungen von CHF 4'699.85 zu verrechnen, womit ihr resp. ihrem Verteidiger Fürsprecher Rolf G. Rätz, [...], von der Zentralen Gerichtskasse CHF 4‘213.85 auszurichten sind. Rechtsmittel : Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Erhalt des begründeten Urteils beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen eingereicht werden (Adresse: 1000 Lausanne 14). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des begründeten Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar. Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Für die weiteren Voraussetzungen sind die Art. 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes massgeblich. Im Namen der Strafkammer des Obergerichts Der Präsident Der Gerichtsschreiber Kamber von Arx Der vorliegende Entscheid wurde vom Bundesgericht mit Urteil 6B_917/2017 vom 17. Januar 2018 bestätigt.
19,345
14,922
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2,011
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SOG Nr. 2011 Nr. 19 Art. 413 Abs. 4, Art. 229 resp. 221 StPO. Die Anordnung resp. die Weiterführung der Sicherheitshaft nach der Gutheissung eines Revisionsgesuchs beruht auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage. Sachverhalt: 1. Das Amtsgericht verurteilte A. im September 2008 u.a. wegen versuchten Raubs (besondere Gefährlichkeit) gemäss Art. 140 Ziff. 3 Abs. 3 Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten und einer Busse von CHF 100.00, ersatzweise zu einer Freiheitsstrafe von einem Tag. Überdies wurde eine ambulante psychotherapeutische Behandlung angeordnet, solange dies die Fachperson als notwendig erachte. Im März 2010 gelangte die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug gestützt auf ein forensisch-psychiatrisches Gutachten der Psychiatrischen Dienste, Fachstelle Forensik, an das Richteramt mit dem Antrag, es sei bei A. nachträglich eine stationäre therapeutische Behandlung nach Art. 59 StGB, eventualiter die Verwahrung anzuordnen. Das Strafende falle auf den 8. Juli 2011. Das Amtsgericht eröffnete in der Folge ein Verfahren zur nachträglichen Änderung der Sanktion. Im September 2010 stellte es fest, die Zuständigkeit für den Antrag auf Verwahrung des Verurteilten A. liege beim Obergericht. Das Obergericht kam im Dezember 2010 zum Schluss, bei Kenntnis aller Umstände hätte das Amtsgericht im Urteil aus dem Jahre 2008 entweder eine stationäre Massnahme nach Art. 59 Abs. 3 StGB oder die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnet; eine Entlassung nach dem Vollzug der ausgesprochenen Freiheitsstrafe wäre nicht denkbar gewesen. Das Wiederaufnahmebegehren wurde gutgeheissen und die Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts insofern aufgehoben, als nachträglich die Verwahrung angeordnet werden könne. Die Akten wurden an das Amtsgericht zur Weiterführung des Verfahrens über die nachträgliche Änderung der Sanktion zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde – da der ordentliche Strafvollzug von A. im Juli 2011 ende, eine Freilassung nicht erfolgen könne und es höchst wahrscheinlich sei, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens eine stationäre Massnahme oder eine Verwahrung angeordnet werde – in analoger Anwendung von § 219 der bis Ende Dezember 2010 in Kraft gestandenen kantonalen Strafprozessordnung Sicherheitshaft angeordnet mit Wirkung ab der Entlassung von A. aus dem Strafvollzug, um den allfälligen Massnahmenvollzug sicherzustellen. 2. Im Verfahren vor dem Amtsgericht liess A. im April 2011 u.a. ein forensisch-psychiatrisches Gutachten und im Juni 2011 die Entlassung aus dem Strafvollzug per 8. Juli 2011 beantragen. Der Amtsgerichtspräsident bewilligte den Antrag auf Begutachtung des Beschuldigten, wies den Antrag auf Entlassung aus dem Strafvollzug resp. aus der Sicherheitshaft ab und überwies die Akten zum Entscheid über die Entlassung des Beschuldigten aus dem Strafvollzug resp. über die Aufhebung der Sicherheitshaft über den 8. Juli 2011 hinaus dem Haftgericht. Dieses wies das Haftentlassungsgesuch von A. im Juni 2011 ab. 3. Gegen diesen Entscheid liess A. durch seinen amtlichen Verteidiger mit der Begründung Beschwerde führen, der Entscheid des Haftgerichts könne sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen und sei verfassungswidrig. Die Beschwerdekammer weist die Beschwerde ab. Aus den Erwägungen: 2. (...) Anwendbar ist neues Recht, d.h. die Eidgenössische Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0). Das Rechtsmittel der Beschwerde ist zulässig. 3. Nach Art. 413 Abs. 4 StPO kann das Berufungsgericht im Falle einer Gutheissung des Revisionsgesuchs und Rückweisung der Sache an die von ihm bezeichnete Behörde die beschuldigte Person vorläufig in Sicherheitshaft setzen oder darin belassen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Mit dem – rechtskräftigen – Entscheid vom Dezember 2010 hat die Strafkammer des Obergerichts Sicherheitshaft mit Wirkung ab Entlassung des Beschuldigten aus dem derzeitigen Strafvollzug angeordnet, um den allfälligen Massnahmenvollzug sicherzustellen. Die Anordnung erfolgte zwar in analoger Anwendung des damals noch in Kraft stehenden § 219 der kantonalen Strafprozessordnung, jedoch mit ausdrücklichem Verweis auf Art. 413 Abs. 4 der ab 1. Januar 2011 in Kraft stehenden Eidgenössischen Strafprozessordnung. Nach der Botschaft zur Eidgenössischen Strafprozessordnung (S. 1322) wird die vom Berufungsgericht angeordnete Haft beibehalten, bis die Staatsanwaltschaft (z.B. bei Rückweisung ins Stadium der Voruntersuchung) geprüft hat, ob eine neue Untersuchungshaft aufgrund der Art. 223 ff. StPO angebracht ist, und gegebenenfalls dem Zwangsmassnahmengericht ein entsprechendes Gesuch gestellt hat (vgl. auch Marcel Alexander Niggli/Marianne Heer/Hans Wiprächtiger: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Basel 2011, N 17 zu Art. 413; Andreas Donatsch/Thomas Hansjakob/Viktor Lieber: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 413 Abs. 4; Niklaus Schmid: Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Zürich/St. Gallen 2009, Art. 413). Vorliegend nahm das Amtsgericht, an welches die Sache mit Revisionsentscheid zurückgewiesen wurde, keine Haftprüfung vor. Dies war angesichts der Erwägungen der Strafkammer im Urteil vom Dezember 2010 auch nicht angezeigt, wurde doch dort auf die Möglichkeit hingewiesen, sowohl während des erstinstanzlichen Nachverfahrens wie auch in einem Rechtsmittelverfahren ein Haftentlassungsgesuch stellen zu können. Dies hat der Beschuldigte getan, womit ihm kein Recht verlustig ging, da es unerheblich ist, ob das Haftgericht auf ein entsprechendes Gesuch der Staatsanwaltschaft resp. des Gerichts hin entscheidet oder gestützt auf ein Haftentlassungsgesuch seitens des Beschuldigten. In zeitlicher Hinsicht bedeutet es ebenfalls keinen Nachteil, da sich die Sicherheitshaft erst nach dem Ende des Strafvollzugs am 8. Juli 2011 auswirkt. 4.a) Nach Art. 221 Abs. 1 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (lit. a), Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (lit. b) oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c). b) Die allgemeine Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts ist vorliegend nicht zu prüfen, da das an das Amtsgericht zurückgewiesene Verfahren nur noch die Sanktion zum Gegenstand hat. Zu prüfen ist, ob die Anordnung einer stationären Massnahme oder einer Verwahrung als wahrscheinlich erscheint und ob ein Haftgrund besteht. c) Bezüglich Ersterem kann auf die ausführliche Begründung im Urteil der Strafkammer des Obergerichts vom Dezember 2010 verwiesen werden. Das Obergericht stellte fest, das Amtsgericht hätte in seinem Urteil vom September 2008 bei Kenntnis der aus dem forensisch-psychiatrischen Gutachten der Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler AG im Jahr 2010 gewonnenen neuen Erkenntnisse ohne jeden Zweifel entweder eine stationäre Massnahme nach Art. 59 Abs. 3 StGB oder die Verwahrung nach Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnet. Angesichts dieser Beurteilung ist eine nachträgliche Änderung der Sanktion zum jetzigen Zeitpunkt, in dem das durch den Amtsgerichtspräsidenten bewilligte neue Gutachten noch nicht vorliegt, als sehr wahrscheinlich zu bezeichnen. d) (...) Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist als erfüllt zu erachten. e) Im Hinblick auf die hohe Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer stationären Massnahme oder einer Verwahrung ist die Sicherheitshaft auch verhältnismässig. 5. Zusammenfassend ist folglich festzuhalten, dass in den Art. 413 Abs. 4 und Art. 229 resp. Art. 221 StPO eine gesetzliche Grundlage für eine Sicherheitshaft nach der Gutheissung des Revisionsgesuchs besteht. Die von der Verteidigung erwähnte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Entscheid vom 10. Juni 2010 i.S. Borer vs. Schweiz. Eidgenossenschaft) ist deshalb auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die weiteren Voraussetzungen für eine Sicherheitshaft (hohe Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer stationären Massnahme oder einer Verwahrung, Wiederholungsgefahr und Verhältnismässigkeit) sind ebenfalls erfüllt. Die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs durch das Haftgericht ist demnach nicht zu beanstanden. Obergericht Beschwerdekammer, Urteil vom 6. Juli 2011 (BKBES.2011.76) Die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 15. August 2011 ab (BGE 1B_378/2011).
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SOG 2013 Nr. 5 Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 117 und 118 Abs. 1 lit. c ZPO, § 9 Abs. 1 EG ZPO. Es braucht nicht zwingend eine Gegenrechtsvereinbarung mit einem anderen Kanton vorzuliegen, um einen Rechtsanwalt aus einem anderen Kanton als unentgeltlichen Rechtsbeistand einer Prozesspartei im Kanton Solothurn einzusetzen. Es genügt, wenn der andere Kanton Gegenrecht hält. Sachverhalt: Die Vorinstanz hat ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung abgewiesen, da Rechtsanwältin S. im Anwaltsregister des Kantons Schwyz eingetragen ist. Rechtsanwälte, die im Anwaltsregister eines anderen Kantons eingetragen sind, können nach der Begründung der Vorinstanz nur eingesetzt werden, wenn dieser Kanton Gegenrecht hält. Das treffe auf den Kanton Schwyz nicht zu, weshalb die Vertreterin der Klägerin die Voraussetzungen für die Bestellung als unentgeltliche Rechtsbeiständin nicht erfülle und daher auch nicht als solche eingesetzt werden könne. Die Zivilkammer heisst eine dagegen erhobene Beschwerde gut. Aus den Erwägungen: 5.1 Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 117 der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO, SR 272]). Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst neben der Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen sowie Gerichtskosten die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist, insbesondere wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist (vgl. Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO). Als unentgeltlicher Rechtsbeistand können nur Anwälte bestellt werden, die zur Parteivertretung berechtigt sind. Anwälte, die im Anwaltsregister eines anderen Kantons eingetragen sind, nur unter der Voraussetzung, dass der Kanton Gegenrecht hält. Hat die Partei nicht selber einen solchen Anwalt bezeichnet, so wird ihr ein Rechtsbeistand aus den Reihen der im kantonalen Anwaltsregister eingetragenen Anwälte zugeteilt (§ 9 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [EG ZPO, BGS 221.2]). Diese im Rahmen der Inkraftsetzung der Schweizerischen Zivilprozessordnung eingeführte Regelung in § 9 Abs. 1 EG ZPO entspricht inhaltlich dem Abs. 2 von § 110 ZPO-SO, der aufgehoben wurde. In der Botschaft wird dazu festgehalten, dass in Abs. 1 zwar daran festgehalten werden soll, dass ausserkantonale Anwälte nur zur Übernahme solcher Mandate berechtigt sind, wenn ihr Herkunftskanton Gegenrecht hält; doch sollen sie das Gegenrecht – entsprechend der heutigen Praxis – nicht nachweisen müssen (Botschaft und Entwurf des Regierungsrats vom 22. Dezember 2009, RRB Nr. 2009/2466, S. 15). Dementsprechend wurde auch in der heute geltenden Regelung von § 9 Abs. 1 EG ZPO der Passus aus § 110 Abs. 2 ZPO-SO « wenn sie sich darüber ausweisen » (dass der Kanton Gegenrecht hält) weggelassen. Aufgrund des mittlerweile aufgehobenen § 110 ZPO-SO wurden Gegenrechtsvereinbarungen mit acht Kantonen abgeschlossen, welche in BGS 225.5 festgehalten wurden. Die Gegenrechtsvereinbarungen wurden zwischen 1948 und 1968 abgeschlossen. Neuere Gegenrechtsvereinbarungen sind nicht aufgeführt. Es fällt auf, dass § 9 Abs. 1 EG ZPO nicht von Gegenrechtsvereinbarungen spricht, sondern bloss verlangt, dass der Kanton Gegenrecht hält. Es stellt sich somit die Frage, ob zwingend eine Gegenrechtsvereinbarung bestehen muss, oder ob das in der Praxis gewährte Gegenrecht ausreichend ist. 5.2 Das Bundesgericht hat sich schon verschiedentlich mit der Ablehnung von ausserkantonalen Rechtsanwälten als unentgeltliche Rechtsbeistände befasst. Im Entscheid 5A_175/2008 hielt das Bundesgericht fest, dass grundsätzlich im Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege kein verfassungsmässiger Anspruch auf freie Anwaltswahl besteht. Ausnahmen seien aber insbesondere dort zu machen, wo ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt bestehe oder der Anwalt sich bereits in einem vorangegangenen Verfahren mit der Sache befasst habe, und ferner, wenn der Mandant die Sprache des Gerichts und des ihm bestellten Anwalts nicht versteht, so dass er sich in der Wahrung seiner Rechte beeinträchtigt vorkommen müsste. Das Bundesgericht setzte sich in diesem Entscheid mit der bisherigen Rechtsprechung und den Gründen für die Bestimmungen auseinander, wonach nur im eigenen Kanton domizilierte Anwälte mit amtlichen Mandaten betraut werden können. Es stellte fest, dass die beiden Argumente der (nunmehr auch in Art. 12 lit. g des Bundesgesetzes über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte [BGFA, SR 935.61] enthaltenen) Verpflichtung zur Übernahme amtlicher Mandate sowie der Überwachungs- und Disziplinargewalt des Kantons nach wie vor Bestand hätten. Die übrigen Gründe würden entweder kaum überzeugen oder seien mit dem BGFA, der ZPO und der Schweizerischen Strafprozessordnung gegenstandslos geworden (Urteil des Bundesgerichts 5A_175/2008 E. 5.1). Im neuen Entscheid des Bundesgerichts (2C_79/2013), der einen Fall aus dem Kanton Solothurn betrifft, wurde einem Luzerner Anwalt die unentgeltliche Verbeiständung gewährt, obwohl mit Luzern keine Gegenrechtsvereinbarung besteht. Das Bundesgericht hielt fest, es habe zwar bereits anerkannt, dass eine kantonale Bestimmung, wonach grundsätzlich im Anwaltsregister des betreffenden Kantons eingetragene Anwälte für die unentgeltliche Verbeiständung bestellt werden, in Übereinstimmung stehe mit Art. 29 Abs. 3 Bundesverfassung (BV, SR 101) und ebenso mit dem Anwaltsgesetz (insbesondere Art. 12 lit. g BGFA). So seien die betreffenden Behörden mit Aufsichtskompetenz am besten in der Lage, über die Eignung von Anwälten zur Übernahme amtlicher Mandate zu entscheiden (vgl. Urteile des Bundesgerichts 5A_63/2010 E. 3.2; 5A_175/2008 E. 5.1 f.; 2C_241/2008 E. 4.6; vgl. zu Art. 4 aBV: BGE 125 I 164). Entsprechende kantonale Bestimmungen – und vorliegend der noch auf § 110 Abs. 1 ZPO-SO (ausser Kraft) zurückgreifende § 9 EG ZPO – könnten jedoch der Einsetzung eines ausserkantonalen unentgeltlichen Rechtsbeistands, zu dem bereits ein besonderes Vertrauensverhältnis im Sinne der Rechtsprechung bestehe, nicht entgegen stehen (BGE 113 Ia 69 E. 5c; Urteile des Bundesgerichts 5A_623/2010 E. 2; 5A_175/2008 E. 5.1; 1P.378/1995 E. 3c und 4). Das Bundesgericht stellte auch fest, dass die Gegenrechtsliste nicht einheitlich gehandhabt wird, da der vom Beschwerdeführer bezeichnete Rechtsanwalt im Kanton bereits als unentgeltlicher Rechtsbeistand in anderen Verfahren bestellt wurde (Urteil des Bundesgerichts 2C_797/2013 E. 2.2.2.). 5.3 Mit dem Bundesgericht ist davon auszugehen, dass es nicht zwingend eine Gegenrechtsvereinbarung mit einem anderen Kanton braucht, um einen Rechtsanwalt aus einem anderen Kanton als unentgeltlichen Rechtsbeistand einer Prozesspartei im Kanton Solothurn einzusetzen. Vielmehr muss der andere Kanton einfach Gegenrecht halten, so wie es in § 9 Abs. 1 EG ZPO festgehalten ist. Bei Fehlen eines Gegenrechts ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung trotzdem die ausnahmsweise Einsetzung als unentgeltlicher Rechtsbeistand möglich, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt besteht oder der Anwalt sich bereits in einem vorangegangen Verfahren mit der Sache befasst hat (BGE 113 Ia 69 E. 5c), und ferner, wenn der Mandant die Sprache des Gerichts und des ihm bestellten Anwalts nicht versteht, so dass er sich in der Wahrung seiner Rechte beeinträchtigt vorkommen müsste (BGE 95 I 409 E. 5, zit. im Urteil des Bundesgerichts 5A_175/2008 E. 5.1). In diesem Entscheid (BGE 95 I 409) wird festgehalten, dass besondere Verhältnisse auch dann vorliegen können, wenn die Partei im Ausland wohnt und sich zur Führung des Prozesses an einen ganz bestimmten Richter wenden muss, währenddem sie bereits den Anwalt ihrer Wahl mit Instruktionen versehen hat, dessen Kosten sie selbst zu tragen hätte, wenn ihr ein anderer Armenanwalt bestellt würde. Das müsse umso mehr gelten, wenn sie die Sprache des Gerichts und des ihr bestellten Armenanwalts nicht versteht und sich deshalb in der Wahrung ihrer Rechte beeinträchtigt vorkommen müsste (BGE 95 I 409 E. 5). 5.4 Im Schreiben des Kantonsgerichtspräsidenten des Kantons Schwyz wird bestätigt, dass auch Rechtsanwälte aus dem Kanton Solothurn vor dem Kantonsgericht Schwyz grundsätzlich zugelassen werden können, solange die Mandatsausübung nicht unwirtschaftlich wird. Vorbehalten bleibe der Ermessensspielraum der unteren Instanzen innerhalb des durch Verfassung, Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesgerichts vorgegebenen Rahmens. Damit wird grundsätzlich Gegenrecht im Sinne von § 9 Abs. 1 EG ZPO vom Kanton Schwyz gehalten und das Gesuch um Verbeiständung der Beschwerdeführerin kann nicht bloss aufgrund der Herkunft der Vertreterin abgewiesen werden. Zudem kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Ausland (Kirgistan) lebt und bereits die Anwältin ihrer Wahl mit Instruktionen versehen hat, dessen Kosten sie selbst zu tragen hätte, wenn ihr ein anderer Armenanwalt bestellt würde. Der Prozess ist ohnehin vor der Vorinstanz schon erledigt und abgeschrieben. Die Beschwerdeführerin spricht russisch und ist der deutschen Sprache nur geringfügig mächtig. Der Fall ist damit vergleichbar mit dem durch das Bundesgericht entschiedenen Fall (BGE 95 I 409). Auch aufgrund dieser besonderen Verhältnisse drängt sich auf, die unentgeltliche Verbeiständung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zu gewähren. Ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung erfüllt sind, hat die Vorinstanz nicht geprüft. Die Akten gehen deshalb zurück an die Vorinstanz. Bei der Prüfung der Voraussetzungen wird das Argument der Wirtschaftlichkeit nicht gegen die Bestellung von Rechtsanwältin S. als unentgeltliche Rechtsbeiständin sprechen können, verzichtet sie doch gemäss ihren eigenen Ausführungen in der Honorarnote in Fällen von URP auf Kosten, die aufgrund der grösseren Distanz entstehen. Obergericht Zivilkammer, Urteil vom 17. Dezember 2013 ((ZKBES.2013.143)
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2002 Verwaltungsgericht 212 [...] 64 Sanierung und Betrieb einer Sonderabfallverbrennungsanlage im Bereich eines belasteten Standorts ("Bauherren-Altlast"; Art. 3 AltlV). - Umweltschutzrechtliche Vorgaben, insbesondere Art. 3 AltlV (Erw. 2/a/bb). - Störerprinzip als Leitlinie bei der Sanierung von Altlasten (Erw. 2/a/cc). 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 213 - Sanierungsbedürftigkeit der im konkreten Fall vorhandenen Altlas- ten; bereits getroffene und noch vorgesehene Massnahmen (Erw. 2/a/dd). - Ausschluss sanierungsbedürftiger Schadstoffquellen innerhalb des durch das Bauvorhaben betroffenen Bereichs; Relevanz eines von aus- serhalb stammenden, durch Abströmung bewirkten Weitertransports von grundwasserverunreinigenden Schadstoffen (Erw. 2/a/ff). - Vereinbarkeit des "Hand-in-Hand-Prinzips" bei der Sanierung mit Art. 3 AltlV (Erw. 2/a/gg). - Art. 3 AltlV erfasst nicht nur die Bauten und Anlagen im engern Sinne, sondern auch die darin installierten technischen Einrichtungen (Erw. 2/a/hh/aaa). - Methoden zur Sanierung des Untergrundes unter einer bestehenden Baute (Dekontamination und Sicherung des belasteten Standorts; Art. 16 lit. a und b AltlV); Prinzip des nachhaltigen Quellenstopps (Art. 15 Abs. 1 AltlV); Ausschluss wesentlicher Sanierungserschwe- rungen (Art. 3 lit. b AltlV) (Erw. 2/a/hh/bbb). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. März 2002 in Sa- chen Gemeinderat Hausen gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdegegnerin betrieb bis zum Oktober 1999 auf den Parzellen Nrn. 769 und 329 des ehemaligen R.-Areals eine Son- derabfallverbrennungsanlage mit einer Ofenleistung von 4 Megawatt (MW), einer Ofenkapazität von 1 Tonne pro Stunde und 4'500 jährli- chen Betriebsstunden. Die Anlage besteht im Wesentlichen aus dem Drehrohrofen, dem Dampfkessel, dem Rauchgaswäscher, dem Denox-Katalysator, der Rückstandsbehandlung und verschiedenen Abfalllagern. Geplant ist, den Sonderabfallofen in Bezug auf Ab- wasser- und Abluftreinigung sowie auf Betriebstechnik zu sanieren und zu modernisieren und hernach weiterzubetreiben. Dabei soll - bei gleichbleibender Kapazität des Ofens - die Zahl der jährlichen Betriebsstunden auf 7'500 erhöht werden; dies würde es ermögli- 2002 Verwaltungsgericht 214 chen, künftig pro Jahr bis zu 7'500 Tonnen Sonderabfälle in fester, flüssiger, gasförmiger oder pastöser Form zu verbrennen. Für die neu zu installierenden Anlageteile werden keine neuen Gebäude errichtet; das zweiteilige Gebäude (bestehend aus Kessel- und Wäscherhaus) der heutigen Sonderabfallverbrennungsanlage bleibt bestehen. Es sollen jedoch verschiedene kleinere Bauwerke realisiert werden, die sich einerseits aus der Erneuerung und Erweiterung der Rauchgas- reinigung und anderseits aus dem neuen Lagerkonzept für die zu verbrennenden Abfallstoffe ergeben. So ist geplant, südlich vor dem Hauptgebäude (Gebäude Nr. 244, westlicher Trakt) eine neue Beton- platte zu errichten, auf welcher der neue Kessel und der neue Elek- trofilter sowie die Abfüllstation für die Asche aufgestellt werden sol- len. Östlich an das Gebäude, in welchem sich der Wäscher befindet (Gebäude Nr. 244, östlicher Trakt), sollen neu die Denoxanlage mit Wärmetauscher, der neue Saugzug, der Luftkondensator und die Ammoniakanlage anschliessen. Für letztere soll ein kleines Gebäude von rund 2,50 m Höhe erstellt werden. Die erwähnten Komponenten sollen ebenfalls auf eine neue Betonplatte gestellt werden. Der rissi- ge, undichte Vorplatz soll ebenfalls neu versiegelt werden. Die vier grösseren Tanks des Tanklagers 2 sollen demontiert und über die be- reits heute dicht ausgekleidete Betonwanne der Umfüllstation soll ein Stützgestell mit Profilblech und Gitterrost montiert werden, das als Abstellfläche für 1'000 l-Container vorgesehen ist. Vor der Umfüll- station soll eine armierte Betonplatte eingegossen werden, die auch einen Abschnitt des Industriegeleises einschliesst. In das bestehende Lagerhaus Süd (Gebäude Nr. 170) sollen Garderoben, ein Aufent- haltsraum, eine Werkstatt und ein Büro eingebaut werden. Vom Um- schlagplatz bei der Umfüllstation zu den vier Tanks und von den Tanks zum Verbrennungsgebäude (Gebäude Nr. 244, westlicher Trakt) ist die Verlegung unterirdischer Rohrleitungen, teilweise unter dem Industriegeleise hindurch, geplant. Neben diesen baulichen Massnahmen sollen verschiedene Anlageteile revidiert oder neu in- stalliert werden; so ist vorgesehen, den Schlackeauffangtrichter durch einen Durchfallschacht und den bestehenden Kessel durch ei- nen Naturumlauf-Abhitzkessel zu ersetzen, eine Denoxanlage, einen neuen Saugzugventilator, einen Elektrofilter für die Rauchgasreini- 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 215 gung und einen Luftkondensator mit Speisewasserbehälter zu instal- lieren, und für die Abwasservorbehandlung sieht das Projekt eine zu- sätzliche Fällungsstufe mit Calciumaluminat sowie einen Kiesfilter vor. Die baulichen Massnahmen werden gemäss dem Baugesuch vom 31. Mai 1995 mit Fr. 840'000.-- veranschlagt, die technischen Investitionen (Rauchgasreinigung, Kessel) betragen rund Fr. 3'000'000.--. 2. Seinen Antrag auf Verweigerung der Baubewilligung be- gründet der Beschwerdeführer mit der Altlastensituation (...). a) Altlastensituation. aa) Der Regierungsrat hat die Bauherrschaft in Änderung bzw. Ergänzung des Baubewilligungsentscheids vom 10. August 1998 verpflichtet, vor Baubeginn bzw. vor Ausführung von Aushubarbei- ten zur Ermittlung der auf dem SAVA-Areal effektiv vorhandenen Schadstoffbelastung ergänzende Untersuchungen gemäss dem von der Gruner AG ausgearbeiteten Bericht "Vorschlag Sondier- und Überwachungsprogramm" vom 1. September 1998 (im Folgenden: Bericht Gruner II) sowie der in Ziffer V/2 der hydrogeologischen Ex- pertise zur Altlastensituation des Geologischen Büros Dr. Lorenz Wyssling AG, Pfaffhausen ZH, vom 1. Dezember 1997 (im Folgen- den: Fachbericht Wyssling) aufgeführten Tastbohrung Nr. 505 durch- zuführen bzw. durchführen zu lassen und dem Gemeinderat Lupfig sowie der Abteilung Umweltschutz des Baudepartements gestützt darauf ein Sanierungskonzept mit einer Risikobeurteilung sowie der Formulierung von Sanierungszielen vorzulegen. Der Beschwerde- führer macht nun geltend, es ziele daneben, im Rahmen des Baube- willigungsentscheids den grundsätzlichen Sanierungsbedarf festzu- legen und weitere Detailuntersuchungen für den Zeitpunkt nach Rechtskraft der Baubewilligung vorzubehalten, zumal der konkrete Sanierungsbedarf zum Teil sogar erst während der Bauphase (Aus- hubarbeiten) abschliessend beurteilt werden könne. Die Anwendung von Art. 3 der Verordnung über die sanierung von belasteten Stand- orten (AltlV; SR 814.680) vom 26. August 1998 dürfe nicht auf "bauliche Massnahmen" beschränkt werden. Im Rahmen des Bauge- suchs würden Bauten und Anlagen im Werte von Fr. 17 Millionen erstellt, d.h. eine Veränderung im Sinne der AltlV vorgenommen, 2002 Verwaltungsgericht 216 ohne dass die Altlastensituation unter den betreffenden Gebäuden geklärt werde. An "Aushub" geschehe äusserst wenig, von "Bau- grube" könne nicht gesprochen werden. Durch das bewilligte Bau- und Investitionsvorhaben werde sehr wohl die spätere Sanierung wesentlich erschwert. Zudem reduziere der Regierungsrat die von der Geologischen Büro Dr. Lorenz Wyssling AG vorgeschlagenen Tastbohrungen auf die Bohrung Nr. 505. Durch unabhängige Fach- personen sei ein Gutachten zu erstellen, das zu den differenten Standpunkten der Geologischen Büro Dr. Lorenz Wyssling AG ei- nerseits, der Gruner AG und der Abteilung Umweltschutz des Bau- departements anderseits Stellung nehme. Die vertikale und horizon- tale Schadstoffverteilung im Untergrund des SAVA-Areals sei nur lückenhaft bekannt, ebenso, was genau, wo und wie zu sanieren sei. Der Fachbericht Wyssling werde vom Regierungsrat in seinen Hauptaussagen übergangen und der Gruner AG, welche seit vielen Jahren für die Beschwerdegegnerin tätig sei, und der Fachinstanz unbesehen geglaubt. Das SAVA-Areal als Ganzes sei ein belasteter Standort, der durch die Investition von Fr. 17 Millionen verändert, aber nicht saniert werde. Die besondere Art des Vorhabens, das weit- gehend ohne Erdbewegungen auskomme, mache es notwendig, den Sanierungsbedarf, die Risikoanalyse und die Sanierungsart vor Erteilung einer Baubewilligung festzulegen. Das zweistufige Verfah- ren bringe keinen Fortschritt bezüglich der Sanierung dieser Altlast. Hinzu komme, dass die vorgesehenen Versiegelungen betreffend Grundwassergefährdung nichts brächten, d.h. der Schutzbrunnenbe- trieb verewigt würde. In richtiger Anwendung von Art. 3 AltlV dürfe die Anlage nicht verändert werden, da die beabsichtigten Verände- rungen eine spätere Sanierung wesentlich erschwerten oder gar ausschlössen und im Zuge des Vorhabens keine Sanierung erfolge, der Sanierungsbedarf nicht genügend geklärt sei und im Zuge der Ausführung des "Bauprojekts" kaum zusätzlich geklärt werden könne. bb) Die Kantone sorgen dafür, dass Deponien und andere durch Abfälle belastete Standorte saniert werden, wenn sie zu schädlichen oder lästigen Einwirkungen führen oder die konkrete Gefahr besteht, dass solche Einwirkungen entstehen; der Bundesrat kann über die 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 217 Sanierungsbedürftigkeit sowie über die Ziele und die Dringlichkeit von Sanierungen Vorschriften erlassen (Art. 32c Abs. 1 USG in der Fassung vom 21. Dezember 1995). Gestützt auf diese Delegations- bestimmung hat der Bundesrat die seit dem 1. Oktober 1998 in Kraft stehende Altlasten-Verordnung erlassen. Gemäss Art. 3 AltlV dürfen belastete Standorte durch die Erstellung oder Änderung von Bauten und Anlagen nur verändert werden, wenn sie nicht sanierungsbe- dürftig sind und durch das Vorhaben nicht sanierungsbedürftig wer- den (lit. a) oder ihre spätere Sanierung durch das Vorhaben nicht wesentlich erschwert wird oder sie, soweit sie durch das Vorhaben verändert werden, gleichzeitig saniert werden (lit. b). Für die Be- arbeitung belasteter Standorte legt Art. 1 Abs. 2 AltlV die folgenden Verfahrensschritte fest: Die Erfassung in einem Kataster (lit. a; Art. 5 f. AltlV), die Beurteilung der Überwachungs- und Sanierungsbedürf- tigkeit (lit. b; Art. 7 ff. AltlV), die Beurteilung der Ziele und der Dringlichkeit der Sanierung (lit. c; Art. 14 f. AltlV) sowie die Fest- legung der Untersuchungs-, Überwachungs- und Sanierungsmass- nahmen (lit. d; Art. 16 ff.). cc) Die Sanierung einer Altlast hat im Wesentlichen nach dem Störerprinzip zu erfolgen (BGE 121 II 413), d.h. die zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines ordnungsgemässen Zustands erforder- lichen Massnahmen sind von denjenigen Personen zu treffen oder - falls die Behörde tätig wird - zu erdulden, welche den polizeiwidri- gen Zustand als Verhaltens- oder Zustandsstörer unmittelbar zu ver- antworten haben (Pierre Tschannen, Kommentar zum Umwelt- schutzgesetz [im Folgenden: Kommentar USG], 2. Auflage, Zürich 2000, Art. 32c N 22 f.; BGE 121 II 413; 122 II 70 mit Hinweisen). Die Untersuchungs-, Überwachungs- und Sanierungsmassnahmen sind daher primär vom Inhaber des belasteten Standorts durchzufüh- ren (Art. 20 Abs. 1 AltlV; siehe Tschannen, a.a.o., Art. 32c N 25), und dies ist hier unbestrittenermassen die R. AG als Grundeigentü- merin, Betriebsinhaberin und Verursacherin der umweltgefährdenden Boden- und Gewässerbelastungen. Die Beschwerdegegnerin ist demgegenüber nicht Störerin in diesem Sinne, da sie den polizei- widrigen Zustand nicht verursacht hat; sie kann ausschliesslich nach Massgabe von Art. 3 AltlV ins Recht gefasst, d.h. ihr gegenüber 2002 Verwaltungsgericht 218 dürfen nur solche Sanierungsanordnungen getroffen werden, welche sich mit ihrem Bauvorhaben begründen lassen (BGE 121 II 415). dd) Die Sanierungsbedürftigkeit der auf dem R.-Areal (insge- samt etwas über sechs Hektaren) befindlichen Altlasten (schät- zungsweise 10 bis 12 t Schadstoffe) ist ausgewiesen, das Problem seit vielen Jahren bekannt. Seit anfangs der Siebzigerjahre sind auf dem Areal Grundwasserpumpen in Betrieb, die verhindern sollen, dass verunreinigtes Grundwasser aus dem Hausener Tal in den - durch eine natürliche Grundwasserbarriere abgetrennten - Grund- wasserstrom des Birrfelds abströmen bzw. überlaufen kann. Unter den Beteiligten besteht Einigkeit darüber, dass trotz des wirksamen Schutzbrunnenbetriebs das Schadstoffpotential auf dem R.-Areal langfristig entfernt oder zumindest nachhaltig reduziert werden muss; nachdem einzelne stark belastete Arealbereiche bereits saniert worden sind, soll dies in Bezug auf weitere Abschnitte, insbesondere im Bereich der ehemaligen Produktionsanlagen, noch geschehen. Vorgesehen ist, im Sinne von Art. 23 AltlV für alle Beteiligten und Betroffenen, nebst der R. AG insbesondere auch die Gemeinden Hausen und Lupfig, auf einvernehmliche Weise klare Rahmenbedin- gungen für die künftige Sanierung und Umnutzung des R.-Areals (Untersuchungs-, Überwachungs- und Sanierungsmassnahmen) zu schaffen. ee) (...) ff) Die kantonale Fachstelle vertritt die Auffassung, nach heuti- gem Kenntnisstand gebe es für das SAVA-Areal keinen Sanierungs- bedarf. Bei den bisher untersuchten Feststoffproben und Bodenluft- messungen seien im Untergrund keine sanierungsbedürftigen Schad- stoffquellen gefunden worden, von denen eine konkrete Gefahr von Einwirkungen auf das Grundwasser ausgehe. Auf dem SAVA-Areal seien schon früher im Bereich des ehemaligen Fasslagers, des Tank- lagers und der Klärteiche diverse Sanierungsmassnahmen durchge- führt und dabei verunreinigtes Material ausgehoben worden. Die ergänzenden Sondierungen vom Januar 2000 im Bereich des La- gerhauses Süd (ehemalige Klärbecken) hätten ebenfalls gezeigt, dass beim Bau dieses Lagerhauses alles verunreinigte Untergrundmaterial entfernt und entsorgt worden sei. Die Analyse der Feststoff- und 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 219 Grundwasserproben habe keinen Hinweis auf eine sanierungsbe- dürftige Schadstoffquelle im Bereich des Lagerhauses Süd ergeben. Allfällige unbekannte derartige Quellen innerhalb des SAVA-Areals gebe es nach menschlichem Ermessen nicht. Der Experte hat diese Beurteilung auf Grund der Vorgaben in Art. 9 Abs. 2 AltlV überprüft. Danach ist ein belasteter Standort hin- sichtlich des Grundwasserschutzes sanierungsbedürftig, wenn: " a. bei Grundwasserfassungen, die im öffentlichen Interesse liegen, vom Standort stammende Stoffe festgestellt werden, die Gewäs- ser verunreinigen können; b. bei Grundwasser im Gewässerschutzbereich A u : im Abstrombe- reich unmittelbar beim Standort die Konzentration von Stoffen, die vom Standort stammen, die Hälfte eines Konzentrationswerts nach Anhang 1 überschreitet; c. bei Grundwasser ausserhalb des Gewässerschutzbereichs A u : im Abstrombereich unmittelbar beim Standort die Konzentration von Stoffen, die vom Standort stammen, das Zweifache eines Konzentrationswerts nach Anhang 1 überschreitet; oder d. er nach Absatz 1 Buchstabe a überwachungsbedürftig ist und we- gen eines ungenügenden Rückhalts oder Abbaus von Stoffen, die vom Standort stammen, eine konkrete Gefahr einer Verunreini- gung des Grundwassers besteht." (...) Die kantonale Fachstelle und der Experte sind (...) überein- stimmend der Auffassung, dass sanierungsbedürftige Schadstoff- quellen , d.h. eigentliche "Verdachtsflächen", innerhalb des SAVA- Areals heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausge- schlossen werden können, und zwar ohne weitere Untersuchungen vor Baubeginn bzw. vor der Ausführung von Aushubarbeiten. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene spezielle Frage, wie es sich mit der im Fachbericht Wyssling festgestellten Bodenverschmutzung durch polyaromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) im Bereich des Sondierschlitzes S 6 verhalte, hat der Experte dahingehend beant- wortet, dass bisher noch nie aus benachbarten Beprobungsstellen PAK-Stoffe im Grundwasser nachgewiesen worden seien, weshalb auch insoweit keine "Verdachtsfläche" vorliege. Demgegenüber 2002 Verwaltungsgericht 220 weist der Experte auf eine Verschmutzung des Grundwassers durch Perchlorethylen im nordöstlichen Bereich des SAVA-Areals hin, wobei der erwähnte Schadstoff vermutungsweise infolge entspre- chender Abstromverhältnisse von der ehemaligen Fassreinigungs- anlage nördlich des SAVA-Areals weitertransportiert worden ist. Gegen diese Einschätzungen werden keinerlei Einwände erhoben, namentlich auch nicht seitens des Beschwerdeführers und der Be- schwerdegegnerin. Auch das Verwaltungsgericht sieht hier keinen Anlass zu irgendwelchen Zweifeln. Damit steht fest, dass - entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin - ein Anwendungsfall von Art. 3 lit. b AltlV vorliegt. Der erwähnte Perchlorethylen-Eintrag bildet nämlich fraglos Teil eines belasteten Standorts, so wie dieser Begriff in Art. 2 Abs. 1 AltlV umschrieben wird; mit dem dort ver- wendeten Kriterium der "beschränkten Ausdehnung" soll eine un- nötige Aufblähung des Katasters der belasteten Standorte in dem Sinne verhindert werden, dass darin beispielsweise auch vom Grundwasserstrom über grössere Distanzen verschleppte Belastun- gen erfasst werden müssen (siehe die Vollzugshilfe des BUWAL "Erstellung des Katasters der belasteten Standorte", Bern 2001, S. 9). Die allfällige spätere Beseitigung der Verschmutzung sodann ist klarerweise eine Sanierungsmassnahme. Analoges gilt in Bezug auf die organische Bodenbelastung durch Phtalate und Acrylate im Schwankungsbereich des Grundwasserspiegels, und zwar unabhän- gig davon, ob die Quelle der Verunreinigung im R.-Areal oder - wie von der Beschwerdegegnerin vermutet - anderswo liegt. Die Sanie- rungsbedürftigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 AltlV ist insoweit also ausgewiesen, so dass eine Anwendung von Art. 3 lit. a AltlV ausser Betracht fällt. gg) Die der Beschwerdegegnerin im Hinblick auf die vorhan- denen "Bauherren-Altlasten" gemachten Auflagen sollen bewirken, dass im Zuge der Realisierung des Bauvorhabens die von diesem betroffenen Arealbereiche nachhaltig saniert werden. Das Vorgehen richtet sich dabei nach dem "Hand-in-Hand-Prinzip", d.h. die Sanie- rungsmassnahmen sollen Hand in Hand mit den Bauarbeiten vorge- nommen werden. Im Einzelnen ist das Vorgehen wie folgt geplant: Zunächst soll die im Untergrund des SAVA-Areals effektiv vorhan- 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 221 dene Schadstoffbelastung durch entsprechende Beprobung und Analysierung der offenen Flächen der Baugrube ermittelt werden. Gestützt auf die so gewonnenen Erkenntnisse hat die Beschwerde- gegnerin dann dem Gemeinderat Lupfig und der Abteilung Umwelt- schutz des Baudepartements ein Sanierungskonzept mit Risikobe- urteilung und Formulierung von Sanierungszielen vorzulegen. Mit den Bau- bzw. Aushubarbeiten darf erst nach Festlegung allenfalls erforderlicher Sanierungsmassnahmen durch die Abteilung Umwelt- schutz begonnen werden; allfällige Sanierungsmassnahmen sind vor oder gleichzeitig mit den Bauarbeiten zu realisieren und spätestens im Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Verbrennungsanlage fertig- zustellen. Mit Art. 3 AltlV steht ein solches Vorgehen im Einklang. Fest- zuhalten ist zunächst, dass vorgängig der Bau- bzw. Aushubphase eine die Anforderungen von Art. 7 AltlV im Wesentlichen erfüllende Untersuchung durchgeführt worden ist mit dem Ziel, die zur Beurteilung der Sanierungsbedürftigkeit nötigen Angaben zu erhalten und gestützt darauf eine Risikoabschätzung vornehmen zu können. In der Realisierungsphase sodann ist das folgende Vorgehen angeordnet: " 1. Falls beim Aushub Abfälle zum Vorschein kommen, müssen diese umweltgerecht entsorgt werden (z.B. in einem Zement- werk). Ein dazu notwendiges Detailkonzept mit Analytikpro- gramm ist vor Baubeginn auszuarbeiten und durch die Behörden genehmigen zu lassen. 2. Da die Altlastensituation beim vorliegenden Bauvorhaben nicht abschliessend beurteilt werden kann, sind die Bauarbeiten durch eine unabhängige Altlastenfachperson zu begleiten. Während den Bauarbeiten ist der Aushub zu beproben und entsprechend seiner Schadstoffbelastung umweltgerecht zu entsorgen (vgl. Auflage 1). Mit der Altlastenfachperson sind die Bauarbeiten mit dem Beprobungs- und Analysenprogramm vor Ort zu koordinieren. 3. Nach Abschluss der Aushubarbeiten sind die offenen Flächen der Baugrube durch Sinnenprüfung zu untersuchen und analytisch auf allfällige Schadstoffe zu beproben. Sämtliche Ergebnisse sind vor der Abdichtung der Baugrube zu dokumentieren und durch 2002 Verwaltungsgericht 222 die zuständigen Behörden zu genehmigen. Dies dient der Bau- herrschaft und den Behörden dazu, die Altlastensituation im be- troffenen Baugrund zu dokumentieren und allenfalls erforderli- che Zusatzmassnahmen zu veranlassen. Mit der Abdich- tung/Überbauung darf erst begonnen werden, wenn die entspre- chenden Baugruben freigegeben sind." Das Verwaltungsgericht ist mit dem Regierungsrat der Mei- nung, dass das angestrebte Ziel einer möglichst lückenlosen Infor- mationsbeschaffung auf diese Art und Weise erreicht werden kann. Wie aus der Expertise ersichtlich ist, kann der Fachmann bereits heute ein fundiertes Urteil über die Sanierungsbedürftigkeit des Un- tergrunds innerhalb des SAVA-Areals abgeben. Die verbleibenden Unsicherheiten werden im dargelegten Sinne während der Ausfüh- rung des Bauvorhabens geklärt. Auch der Experte verweist auf die bisherigen Untersuchungen, die gezeigt hätten, dass das Bodenmate- rial vorwiegend Inertstoffqualität aufweise. Lokal könne erkennbar verunreinigtes Material mit erhöhter organischer Belastung zum Vorschein kommen. Die Lage dieser Verunreinigungen sei unbe- kannt, ihre typische Ausdehnung aber wahrscheinlich gering. Die Resultate weiterer vorgängiger Untersuchungen wären deshalb zufällig und brächten kaum neue Erkenntnisse. Das adäquate Vorge- hen bestehe deshalb darin, dass eine Fachperson allfällige Aushubar- beiten begleite und vor Ort eine Materialtriage durchführe. Die einzelnen Fraktionen würden dann repräsentativ beprobt, analysiert und anschliessend nach Massgabe der TVA entsorgt. Ferner werde das Material am Boden der Aushubgrube untersucht und allenfalls über einen Mehraushub entschieden. In Ziffer 2.7.2 der Umweltver- träglichkeits-Beurteilung ist all dies bereits vorgeschrieben. Auch insoweit bestehen keine Meinungsverschiedenheiten mehr unter den Beteiligten. Das gewählte und zum Gegenstand verbindlicher Neben- bestimmungen gemachte Vorgehen erweist sich im Übrigen auch un- ter dem Gesichtspunkt des Verhältnismässigkeitsprinzips als ange- messen (vgl. BGE 121 II 414). hh) Zu prüfen ist im Weitern, ob die spätere Sanierung auch dort nicht wesentlich erschwert wird, wo Änderungen vorgesehen sind, ohne dass ein Aushub erfolgt. 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 223 aaa) In der Interpretation durch den Regierungsrat bezieht sich Art. 3 AltlV ausschliesslich auf "bauliche Massnahmen", nicht auch auf "reine Investitionen für technische Aufrüstungen". Der Be- schwerdeführer widersetzt sich dieser Betrachtungsweise mit dem Argument, damit, dass die Beschwerdegegnerin technische Ein- richtungen im Wert von rund 17 Millionen Franken - effektiv sind es rund 15,6 Millionen Franken, wovon rund 7 Millionen Franken auf die Abgasreinigung entfallen - über schwer belastetem Grund inves- tiere, würden nachfolgende Sanierungsbemühungen ebenfalls er- heblich präjudiziert. Art. 3 AltlV regelt die Erstellung und Änderung von Bauten und Anlagen im Bereich belasteter Standorte. Im Sinne von Art. 22 Abs. 1 RPG sind Bauten und Anlagen jene künstlich geschaffenen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in fester Beziehung zum Erdboden stehen und geeignet sind, die Vorstellung über die Nutzungsordnung zu beeinflussen, sei es, dass sie den Raum äusser- lich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen (BGE 123 II 259 mit Hinweisen). Es kann dahinge- stellt bleiben, ob die "technischen Einrichtungen" wie namentlich der modernisierte Sonderabfallofen oder die Denoxanlage nicht bereits unter diese raumplanungsrechtliche Begriffsbildung fallen. Keinem Zweifel unterliegt nämlich, dass die Legaldefinition von Art. 7 Abs. 7 USG auf sie zutrifft. Anlagen sind danach Bauten, Verkehrswege und andere ortsfeste Einrichtungen sowie Terrainveränderungen; den Anlagen sind u.a. Geräte und Maschinen gleichgestellt. Die Anwendung der AltlV, welche sich wie erwähnt auf Art. 32c Abs. 1 USG abstützt, hat selbstverständlich ebenfalls vor diesem Hinter- grund zu erfolgen. Dies bedeutet also, dass nicht nur die Bauten und Anlagen im engern Sinne, sondern auch alle technischen Einrich- tungen, welche in den verschiedenen Gebäuden installiert werden sollen, in die Betrachtung und Beurteilung einzubeziehen sind (siehe Heribert Rausch, Kommentar USG, Art. 7 N 17; André Schrade, Kommentar USG, 16 N 15). bbb) aaaa) Der Beschwerdeführer befürchtet, eine spätere Sa- nierung der Altlasten auf dem R.-Areal werde daran scheitern, dass wegen der hohen Investitionen in technische Einrichtungen die be- 2002 Verwaltungsgericht 224 treffenden Gebäude aus Gründen der Verhältnismässigkeit nicht mehr ganz oder teilweise abgebrochen werden können. Der Regie- rungsrat entgegnet, eine Entfernung der Gebäude, unter denen sich Altlasten befinden, sei beim heutigen Stand der Technik nicht zwin- gend erforderlich; in der Praxis bestünden technische Möglichkeiten, welche eine Sanierung des Untergrundes unter einem Gebäude auch ohne dessen Abbruch ermöglichten. Auch die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass es heute eine Reihe von Verfahren gebe, die eine Verunreinigung durch mobile Stoffe "in situ", d.h. an Ort und Stelle ohne Aushub bzw. Materialbewegungen erlaubten; der über- wiegende Teil der bisher festgestellten Verunreinigungen auf dem R.- Areal sei mobil bzw. könne mobilisiert werden. bbbb) Das Ziel der Sanierung muss gemäss Art. 16 AltlV durch Massnahmen erreicht werden, mit denen " a. umweltgefährdende Stoffe beseitigt werden (Dekontamination); b. die Ausbreitung der umweltgefährdenden Stoffe langfristig ver- hindert und überwacht wird (Sicherung); oder c. bei Bodenbelastungen die Nutzung eingeschränkt wird (Art. 34 Abs. 2 USG)." Im vorliegenden Falle stehen nur schadstoffseitige Massnahmen zur Diskussion, so dass die (passive) Sanierungsmöglichkeit gemäss Art. 16 lit. c AltlV ausser Betracht fällt. Zu prüfen ist im Folgenden, was für Massnahmen, die "dem Stand der Technik entsprechen" (Art. 4 AltlV), zur Verfügung stehen und wie man sich ihre Durch- führung konkret vorzustellen hat: - Die Dekontamination des belasteten Standorts umfasst Massnahmen, mit denen die umweltgefährdenden Stoffe vom Standort beseitigt werden, wie etwa durch Behandlung von belastetem Aushub in einer Bodenwäsche oder thermi- schen Anlage oder durch Abbau von umweltgefährdenden Stoffen mittels mikrobiologischer Methoden (Tschannen, a.a.O., Art. 32c N 19). Man unterscheidet dabei "harte" und "sanfte" Sanierungsmassnahmen. Zur erstgenannten Kate- gorie zählen Verfahren, mit denen die kontaminierten Bo- denbestandteile aus dem Boden entfernt oder sonstwie un- schädlich gemacht werden. Damit lässt sich die Gefährlich- 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 225 keit hoch belasteter Böden rasch und zuverlässig beseitigen. Nachteile sind im Wesentlichen die relativ hohen Kosten und die Entsorgungsproblematik. "Harte" Massnahmen wie Bodentausch oder Bodenwäsche kommen daher eher bei kleinflächigen Sanierungen zum Zuge, wie namentlich im Bereich der Altlasten. Unter den "sanften" Sanierungsmass- nahmen sind Methoden zu verstehen, welche an Ort und Stelle wirken und die noch vorhandenen ökologischen Qua- litäten des belasteten Bodens soweit möglich bewahren; in Betracht kommen die Verringerung der für Pflanzen verfüg- baren löslichen Schwermetallkonzentration oder die Entgif- tung des Bodens durch Anbau schadstoffanreichernder Pflanzen. Derartige Massnahmen stehen bei der grossflä- chigen Sanierung belasteter Landwirtschaftsböden im Vor- dergrund (Tschannen, a.a.O., Art. 34 N 41 f.). In der Voll- zugshilfe des BUWAL "Erstellung von Sanierungsprojekten für Altlasten" (Bern 2001) werden folgende Dekontaminati- onsverfahren aufgeführt (S. 25 f. mit Tab. 2): "Off-site" (Auskofferung/Entfernung des Emissionsherdes, externe Behandlung und Entsorgung der Rückstände [z.B. Boden- wäsche, biologische oder thermische Behandlung, Deponie- rung]), "On-site" (Auskofferung des belasteten Materials und Behandlung vor Ort [z.B. mit mobilen Anlagen], gegebenen- falls Wiederverwendung des behandelten Materials am Standort), "In-situ" (Behandlung des Emissionsherdes ohne Entfernung oder Aushub des kontaminierten Materials [z.B. biologische Verfahren, Bodenluftabsaugung, Abpumpen und Behandeln der Schadstoffe, reaktive Wände]). - Die Sicherung des belasteten Standorts umfasst Massnah- men, mit denen die Ausbreitung oder Freisetzung der um- weltgefährdenden Stoffe langfristig verhindert wird, wie etwa durch Versiegelung des Standorts, Einbau unterirdi- scher Barrieren oder Umleitung von Fliessgewässern (Tschannen, a.a.O., Art. 32c N 19). Die erwähnte BUWAL- Vollzugshilfe (a.a.O.) erwähnt an Sicherungsmassnahmen die vollständige Einkapselung, die Oberflächenabdichtung, 2002 Verwaltungsgericht 226 die Drainage, die Dichtwand im Grundwasserzu- und -ab- strom, die Umleitung des Grundwassers und die Immobili- sierung der Abfälle. Solche Massnahmen kommen nur in Betracht, wenn der betreffende Standort auf Grund des fort- schreitenden Abbaus der Schadstoffe nach spätestens zwei Generationen, d.h. nach 40 bis 50 Jahren, ohne weitere Überwachungsmassnahmen sich selbst überlassen werden kann (z.B. bei Ablagerungen mit abbaubaren Stoffen, gewis- sen Kehrichtdeponien usw.). Sicherungsmassnahmen sind regelmässig kostengünstiger als die Dekontamination des Standorts, auch wenn die Überwachungskosten mit einge- rechnet werden (Tschannen, a.a.O., Art. 32c N 19). cccc) Ziel der Altlastensanierung ist die Beseitigung der Ein- wirkungen oder der konkreten Gefahr solcher Einwirkungen, die zur Sanierungsbedürftigkeit geführt haben (Art. 15 Abs. 1 AltlV). Die Sanierungsziele bzw. die maximal zulässigen Einwirkungen sind auf das Schutzgut (Wasser, Boden, Luft) bezogen und schreiben damit nicht vor, welche Restkonzentrationen von Schadstoffen an einem Standort verbleiben dürfen. Nicht die Kontamination im Untergrund selbst, sondern deren Auswirkungen auf die Schutzgüter sind mass- gebend. Es gilt das Prinzip des nachhaltigen Quellenstopps (er- wähnte BUWAL-Vollzugshilfe, S. 11, 18, 26; siehe auch die Erläute- rungen des Eidg. Departements des Innern [EDI] zur AltlV vom Mai 1997, S. 23) . Demzufolge berücksichtigt die Behörde gemäss Art. 18 AltlV bei der Beurteilung des vom Pflichtigen auszuarbeitenden Sanierungsprojekts insbesondere: " a. die Auswirkungen der Massnahmen auf die Umwelt; b. deren langfristige Wirksamkeit; c. die Gefährdung der Umwelt durch den belasteten Standort vor und nach der Sanierung; d. bei nicht vollständiger Dekontamination die Kontrollier- barkeit der Massnahmen, die Möglichkeit zur Mängelbehe- bung sowie die Sicherstellung der für die vorgesehenen Massnahmen erforderlichen Mittel; e. ob die Voraussetzungen zum Abweichen vom Sanierungs- ziel nach Artikel 15 Absätze 2 und 3 erfüllt sind." 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 227 Die Auswahl aus einer Vielzahl denkbarer Sanierungsvarianten ist eine Optimierungsaufgabe. Es geht darum, die auf den Einzelfall bezogene optimale Sanierungsvariante oder optimale Kombination von Sanierungsmassnahmen, welche ökologisch sinnvoll, technisch realisierbar und finanziell verhältnismässig sind, zu ermitteln (er- wähnte BUWAL-Vollzugshilfe, S. 13 f. mit Abb. 3, 20 f., 22 f. mit Abb. 5 und Tab. 1). So kann es etwa sinnvoll sein, in Bezug auf das Sanierungsziel Erleichterungen zu gewähren, wenn dieses nur mit grossem ökologischem Aufwand (z.B. Aushub und Abtransport auf eine weit entfernte Deponie) und unverhältnismässigen Kosten erreicht werden kann, während eine sanftere Methode (z.B. "in-situ" mikrobiologische Sanierung) das Ziel zwar nicht ganz erreichen kann, aber trotzdem zu einer wesentlichen Verbesserung der Situa- tion führt (erwähnte Erläuterungen des EDI, S. 23, 24). dddd) Vor diesem Hintergrund ist nun zu prüfen, ob eine we- sentliche Erschwerung einer späteren Sanierung durch das Bauvor- haben auch für jene Teile des SAVA-Areals zu verneinen ist, auf welchen weder Aushubarbeiten noch eigentliche bauliche Massnah- men im bau- und raumplanungsrechtlichen Sinne vorgesehen sind. Der Experte verneint diese Frage. Zur festgestellten Perchlorethylen- Verschmutzung des Grundwassers (vorne Erw. ff) merkt er an, Perchlorethylen in Phase sei schwerer als Wasser und sinke deshalb auf den Stauer (= Grund) des Grundwasserstroms ab. Dort ströme es mit dem Grundwasser weiter oder sammle sich in Mulden des Stau- ers an. Die Sanierung erfolge in der Regel so, dass in den Verschmut- zungszonen Bohrungen bis auf den Grundwasserstauer abgeteuft würden. Das perchlorethylenhaltige Grundwasser werde dann mit Pumpen, welche im Stauerbereich betrieben würden, heraufgepumpt und über Aktivkohlefilter gereinigt. Diese Sanierung könne auf ver- siegelten Plätzen und innerhalb von Industriegebäuden ohne grossen Mehraufwand durchgeführt werden. Sie werde durch das Projekt der Beschwerdegegnerin kaum beeinträchtigt. Eine allfällige organische Bodenbelastung durch Phtalate und Acrylate im Grundwasserbereich (vorne Erw. ff) werde vorzugsweise auf chemisch-biologischem Weg erfolgen. Konkret würden in den Verschmutzungszonen rasterhaft Bohrungen bis in die verschmutzten Zonen abgeteuft. Durch Injek- 2002 Verwaltungsgericht 228 tion geeigneter Stoffe in den Verschmutzungsbereich werde das für einen mikrobiologischen Abbau der fraglichen Verunreinigungen optimale Milieu geschaffen. Auch diese Sanierung würde durch das Bauvorhaben nicht wesentlich beeinträchtigt. Auch insoweit werden in den Stellungnahmen der Beteiligten keine Gegenpositionen bezogen. Im Besondern schliesst sich der Gemeinderat Lupfig der Beurteilung der von ihm in der Stellung- nahme vom 25. Juni 2001 zusätzlich aufgeworfenen Frage, ob auf Grund des heutigen Erkenntnisstandes Verunreinigungen des Unter- grundes denkbar sind, die nur durch eine Entfernung des kontami- nierten Materials (Aushub) derart beseitigt werden können, dass eine Gefährdung des Grundwassers mit Sicherheit ausgeschlossen ist und sich Sicherungsmassnahmen erübrigen, durch den Experten an. Nach dessen Auffassung sind derartige Szenarien derart unwahrscheinlich, dass sie vernachlässigt werden können. Dem Verwaltungsgericht leuchten die Darlegungen des Experten ebenfalls ein. Es ist somit davon auszugehen, dass eine Sanierung belasteter Standorte innerhalb des SAVA-Areals, sollte sie jemals nötig werden, durch das Bauvorhaben nicht wesentlich erschwert wird (Art. 3 lit. b AltlV). ii) (...) kk) Zusammenfassend ist unter dem Titel der Altlastenproble- matik festzuhalten, dass das der Beschwerdegegnerin vorgeschrie- bene Verfahren den Vorgaben der AltlV genügt, so dass die bean- tragte Verweigerung der Baubewilligung insoweit unbegründet ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass der Prüfung des Umweltverträglichkeitsberichts durch die kantonale Fachstelle der Stellenwert einer amtlichen Expertise beizumessen ist; von dieser Beurteilung darf nur aus triftigen Gründen abgewichen werden (siehe BGE 119 Ib 274 f. mit weiteren Hinweisen; AGVE 1995, S. 376; VGE III/116 vom 2. Dezember 1996 [BE.1995.00045] in Sachen S. u. M., S. 29 f.), und solche sind hier nicht ersichtlich. Wesentlich ist sodann, dass allfällige Sanierungsmassnahmen realisiert sein müssen, bevor die neue Verbrennungsanlage in Betrieb genommen wird (vorne Erw. gg); die Beschwerdegegnerin hat also alles Interesse daran, sich bei der Durchführung dieser Massnahmen kooperativ zu 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 229 zeigen. Schliesslich ist die ordnungsgemässe Altlastensanierung durch einen Widerrufsvorbehalt abgesichert.
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2002 Kantonale Steuern 185 [...] 52 Überführung von Geschäfts- ins Privatvermögen (Privatentnahme). - Aus der vom Steuerpflichtigen nicht als Überführung deklarierten entgeltlichen Vermietung von grossen Teilen des Geschäftsvermögens an eine Kollektivgesellschaft, an welcher der Steuerpflichtige beteiligt ist, muss die Steuerbehörde nur dann zwingend auf eine Überführung ins Privatvermögen schliessen, wenn eine Rückkehr zur geschäftlichen Nutzung ebenso ausgeschlossen erscheint wie die Annahme einer vorläufigen Regelung zur Überbrückung eines Schwebezustands (vgl. auch AGVE 2000, S. 139 f.; 1995, S. 201 ff.; 1991, S. 247). 2002 Verwaltungsgericht 186 Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 11. Februar 2002 in Sachen Erben R.W. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Publiziert in StE 2003, B 23.2 Nr. 26.
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2000 Verwaltungsgericht 242 [...] 61 Erschliessung durch die Gemeinden (§ 33 Abs. 2 BauG). - Verpflichtung der Gemeinden, ein Erschliessungsprogramm festzu- legen (Erw. 2/a). - Funktion und Bedeutung des Erschliessungsprogramms als Füh- rungsinstrument im Bau- und Erschliessungsbereich; dessen Fehlen kann ein erschliessungswilliges Gemeinwesen nicht an der Realisie- rung der Erschliessung hindern (Erw. 2/b). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 2. Mai 2000 in Sachen S. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Das gemäss dem Bauzonenplan der Gemeinde Mettau vom 7. Juni 1996 / 11. März 1997 der Wohnzone W2a zugeteilte Gebiet ,,Trottmatt" weist noch verschiedene unüberbaute Grundstücke auf. Ein erster - von privater Seite erfolgter - Versuch, das Gebiet zu erschliessen, scheiterte im Jahre 1992. Die Einreichung eines Bau- gesuchs veranlasste dann den Gemeinderat im Jahre 1997, die Er- schliessung an die Hand zu nehmen. Ein aus sechs Grundeigentü- mern bestehendes Erschliessungskonsortium fand sich in der Folge zur Vorfinanzierung der Projektierungskosten zusammen, wobei die Einwohnergemeinde Mettau die Bauherrschaft bzw. Federführung übernahm. Im Weitern beschloss die Einwohnergemeindever- sammlung vom 21. November 1997 einen Bruttokredit über Fr. 1'840'000.-- für den Bau der Erschliessung. An der Referen- dumsabstimmung vom 15. März 1998 wurde dann die Kreditvorlage 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 243 allerdings verworfen. Der Gemeinderat will nun den interessierten Grundeigentümern die Möglichkeit offen lassen, nach Massgabe von § 37 Abs. 1 Satz 1 BauG die geplanten Erschliessungsanlagen auf eigene Kosten zu erstellen; in diesem Sinne soll das Bauprojekt- verfahren zu Ende geführt werden. Die Einwohnergemeinde Mettau betrachtet sich nach wie vor als Bauherrin des Erschliessungsbauprojekts ,,Trottmatt". Dem steht trotz der Weigerung des Gemeindesouveräns, einen Bruttobaukredit zu sprechen, grundsätzlich nichts entgegen, wobei allerdings ein An- wendungsfall von § 36 BauG und nicht ein solcher von § 37 BauG vorliegt; vorgesehen ist ja nach dem Gesagten die Erstellung der Er- schliessungsanlagen durch die Gemeinde, und nur die (zinslose) Vor- schiessung sämtlicher Kosten soll Sache der Grundeigentümer sein. Anders verhielte es sich, wenn - nach Massgabe von Ziffer VIII/1 des Erschliessungsvertragsentwurfs - neu die einfache Gesellschaft ,,Trottmatt" als Bauherrschaft aufträte. 2. Die Beschwerdeführerin rügt, wie schon vor dem Baude- partement, in erster Linie das Fehlen eines Erschliessungsprogramms gemäss § 33 Abs. 2 BauG . a) Bauzonen werden durch das Gemeinwesen innerhalb der im Erschliessungsprogramm vorgesehenen Frist erschlossen (Art. 19 Abs. 2 Satz 1 RPG in der Fassung vom 6. Oktober 1995, in Kraft seit dem 1. April 1996). Die erschliessungspflichtigen Gemeinwesen, pri- mär die Gemeinden, sind damit von Bundesrechts wegen grundsätz- lich verpflichtet, ein Erschliessungsprogramm festzusetzen (vgl. Urs Eymann, Erschliessungsrecht und Erschliessungsprogramm, Voll- zugshilfe zu den neuen bundesrechtlichen Bestimmungen über die Erschliessung, herausgegeben vom Bundesamt für Raumplanung, Bern 1999, S. 12). Auf der Ebene des kantonalen Rechts wurde eine analoge Bestimmung bereits per 1. April 1994 in Kraft gesetzt; der einschlägige § 33 Abs. 2 BauG lautet: ,,Der Gemeinderat erstellt ein Erschliessungsprogramm, in dem er festlegt, welche Gebiete in welchem Zeitpunkt erschlossen und 2000 Verwaltungsgericht 244 welche bestehenden Erschliessungsanlagen geändert oder erneuert werden sollen. Er berücksichtigt dabei namentlich die bauliche Ent- wicklung und ihre Auswirkungen auf die Gemeinde, die Nachfrage nach Bauland, die Lage und Form der Grundstücke sowie die finan- ziellen Möglichkeiten der Gemeinde. Die Gemeindeversammlung oder der Einwohnerrat nimmt vom Erschliessungsprogramm Kennt- nis. Die Beschlussfassung über die einzelnen Kredite für Erstellung und Erneuerung der Erschliessungsanlagen bleibt vorbehalten." b) Das Baudepartement hat erwogen, dass das Erschliessungs- programm ein Führungsinstrument sei, das die Interessen und Ab- sichten der Behörde transparent mache und den Bauinteressenten als Information diene, ohne unmittelbare Rechtswirkungen zu entfalten; namentlich wenn die Behörde wie im vorliegenden Falle die Er- schliessung eines Gebiets nicht aufhalten wolle, könne ein der Er- schliessung opponierender Grundeigentümer aus dem Fehlen eines Erschliessungsprogramms keine Rechte ableiten. Nach der vor dem 1. April 1996 geltenden Formulierung von Art. 19 Abs. 2 Satz 1 RPG waren Bauzonen durch das Gemeinwesen ,,zeitgerecht" zu erschliessen. Mit der klarerweise griffigeren Neuumschreibung wurde eine Verbesserung der Rechtsstellung des Privaten insoweit bezweckt, als die Grundeigentümer bei nicht frist- gerechter Erstellung der Erschliessungsanlagen nach Massgabe von Art. 19 Abs. 3 RPG (in der Fassung vom 6. Oktober 1995) berechtigt sind, ihr Land selber zu erschliessen oder die Erschliessung durch das Gemeinwesen zu bevorschussen; mit dem Erschliessungspro- gramm legt das Gemeinwesen selber fest, bis zu welchem Termin es die nötigen Erschliessungsanlagen planen und bauen will (Eymann, a.a.O., S. 6). Das Erschliessungsprogramm steht also im Dienste ei- ner wirksameren Umsetzung der Erschliessungspflicht des Gemein- wesens; mit der Festlegung von Fristen zur Erschliessung der Bauzo- nen soll die Beantwortung der Frage, wann sich das Gemeinwesen mit dieser Pflicht im Verzug befindet, wesentlich erleichtert werden (vgl. das Votum von Bundesrat Koller in der Sitzung des Nationalrats vom 12. Juni 1995 [Amtliches Bulletin des Nationalrats 1995, 2000 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 245 S. 1225]; Eymann, a.a.O., S. 11 f.). Eine weitergehende Funktion und Bedeutung kommt dem Erschliessungsprogramm nicht zu. Nament- lich kann dessen Fehlen ein - wie im vorliegenden Falle - erschlies- sungswilliges Gemeinwesen nicht an der Realisierung der Erschlies- sung hindern; eine solche Rechtsfolge wäre nach dem Gesagten ge- radezu paradox. Hieran vermag auch der Einwand der Beschwerde- führerin nichts zu ändern, ohne Erschliessungsprogramm werde in der Gemeinde ,,eine unkontrollierte Entwicklung einsetzen", und der Gemeinderat verliere jede Steuerungsmöglichkeit; werde wie vorge- sehen der gesamte Schild ,,Trottmatt" überbaut, seien Anpassungen bezüglich der übrigen Infrastruktur (Schulen, Kindergärten usw.) un- umgänglich. Richtig ist, dass der Gemeinderat bei der Erstellung des Erschliessungsprogramms u. a. auch ,,die bauliche Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Gemeinde" sowie ,,die finanziellen Mög- lichkeiten der Gemeinde" berücksichtigen soll (§ 33 Abs. 2 Satz 2 BauG). Diese Anweisung des Gesetzgebers steht aber in enger Re- lation zum weiten Ermessen, das den Gemeinden aufgrund ihrer autonomen Stellung allgemein zusteht (§ 106 Abs. 1 KV; vgl. Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 106 N 8). Es bildet denn auch nicht mehr als einen Nebeneffekt des Erschliessungsprogramms, dass der Druck auf die Gemeinwesen, Finanzlage und Bauzonenfestlegung aufeinan- der abzustimmen, verstärkt wird (vgl. Eymann, a.a.O., S. 6 f.). Einen klagbaren Anspruch auf Durchsetzung der erwähnten Planungsziele hat der Private jedenfalls nicht. Das Erschliessungsprogramm stellt ein ,,Führungsinstrument im Bau- und Erschliessungssektor" dar (vgl. die Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 21. Mai 1990 zur Totalrevision des Baugesetzes vom 2. Februar 1971, S. 23 zu § 26), nicht mehr und nicht weniger. Abgesehen da- von wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht, dass die rechts- kräftig ausgeschiedenen Bauzonen der Gemeinde Mettau über- dimensioniert seien und kein objektiv begründbarer Bedarf nach der 2000 Verwaltungsgericht 246 Überbauung des Gebiets ,,Trottmatt" bestehe. Die Beschwerde er- weist sich daher insoweit als unbegründet.
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2009 Sozialhilfe 227 43 Befristung der Sozialhilfe; Bedarfsdeckungsprinzip; eigenes Geschäft - Die Auflage zur Liquidation eines eigenen (defizitären) Geschäfts verletzt die Wirtschaftsfreiheit nicht und ist auch nicht unverhält- nismässig. - Aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips kann die materielle Hilfe be- fristet werden. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 6. April 2009 in Sachen C.P. und R.P. gegen das Bezirksamt Baden (WBE.2008.182). Aus den Erwägungen 3. 3.1. In ihrer Beschwerde wehren sich die Beschwerdeführer zu- nächst gegen die Befristung der Sozialhilfe. Sie lassen geltend ma- chen, für diese Auflage gebe es keine gesetzliche Grundlage. Eine Befristung im Voraus sei für eine periodische Überprüfung der indi- viduellen, konkreten und aktuellen Notlage nicht erforderlich. Der vorinstanzliche Entscheid stelle insofern auch eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips dar. 3.2. Die Vorinstanz hielt fest, dass weder in den Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], 3. Auflage, Dezember 2000) noch in der aargauischen Sozial- hilfegesetzgebung festgelegt sei, für welchen Zeitraum materielle Hilfe zuzusprechen ist bzw. in welchen Intervallen die Gemeinden den Anspruch auf materielle Hilfe zu prüfen haben. Es gelte das Be- darfsdeckungsprinzip für individuelle, konkrete und aktuelle Notla- gen. In der Vernehmlassung vom 18. Juni 2008 bezeichnet die Vorin- stanz die Befristung zudem als Steuerungsinstrument. 3.3. In der Tat gibt es in der Sozialhilfegesetzgebung keine Bestim- mung bezüglich der Dauer der zugesprochenen Hilfe. Aus dem We- 2009 Verwaltungsgericht 228 sen der Sozialhilfe ergibt sich jedoch, dass es keiner derartigen Be- stimmung bedarf. Die SKOS hat das Bedarfsdeckungsprinzip in ih- ren Richtlinien verankert. Sozialhilfeleistungen werden nur für die Gegenwart und sofern die Notlage anhält für die Zukunft ausgerich- tet (SKOS-Richtlinien, Kapitel A.4). Damit wird bereits gesagt, dass Sozialhilfe nur in Notlagen ausgerichtet wird. Wenn eine Verände- rung der Verhältnisse - im vorliegenden Fall der Verkauf des Ge- schäfts (siehe hinten Erw. 4) - angeordnet wird, besteht die Möglich- keit, dass dadurch die Notlage vermindert oder gar beseitigt werden kann. Zum Zeitpunkt der Veränderung bedarf es in jedem Fall einer Neubeurteilung. Die Befristung ist demzufolge keinesfalls unver- hältnismässig. Nicht zuletzt wird damit auch der Anordnung Nach- druck verliehen und klargestellt, dass die Unterstützung nicht für eine unbeschränkte Dauer ausgerichtet wird. 4. 4.1. Weiter lassen die Beschwerdeführer rügen, die Auflage bzw. Anweisung, das Geschäft sei zu liquidieren, sei verfassungswidrig und beruhe auf unrichtiger und unvollständiger Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts. Um sich intensiv nach einer lukrati- ven Tätigkeit umzusehen, sei es nicht erforderlich, das Geschäft zu liquidieren. Der immerhin kostendeckende Betrieb könne gut parallel zur Jobsuche (...) weitergeführt werden. Mangels Erforderlichkeit liege also eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips vor. Der Beschwerdeführer werde in seinem Alter und mit seinem Gesundheitszustand kaum eine anderweitige Anstellung finden; die Liquidation wäre kontraproduktiv und somit unverhältnismässig. Die Anordnung stelle ausserdem einen unzulässigen Eingriff in die verfassungsmässig garantierte Wirtschaftsfreiheit dar; eine gesetzli- che Grundlage sei nicht ersichtlich. Das angestrebte Ziel der wirt- schaftlichen Selbstständigkeit lasse sich nicht erreichen, womit § 1 Abs. 1 SPG verletzt werde. Auch der angeordnete Verkauf der Einrichtungen müsse als ver- fassungswidrig, unverhältnismässig und rechtswidrig qualifiziert werden, zumal der Sachverhalt ebenfalls unrichtig und unvollständig ermittelt worden sei. Es sei zu bezweifeln, dass es sich bei den 2009 Sozialhilfe 229 Einrichtungen um "Vermögen" handle. Vielmehr wäre vom Be- triebskapital zu sprechen. Eine Verwertung wäre demnach unwirt- schaftlich und unzumutbar. Was den Sachverhalt angehe, sei nicht einmal eine Schätzung des mutmasslichen Erlöses vorgenommen worden. Die Produktionsmittel entsprächen nicht mehr dem neusten Stand; deshalb müsse von einem minimen Erlös ausgegangen wer- den. Der Verkauf stünde somit in keinem Verhältnis zum Verlust der zum jetzigen Zeitpunkt einzigen Produktionsfaktoren des Beschwer- deführers. Nebst dem Verstoss gegen die Wirtschaftsfreiheit läge auch ungebührliche Härte und Unwirtschaftlichkeit im Sinne der SKOS-Richtlinien vor. Abgesehen davon würde ein Verkauf zur Wiedererlangung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit rein gar nichts beitragen. 4.2. Die Vorinstanz hielt fest, dass es dem Gemeinderat primär darum gehe, dass der unrentable Betrieb geschlossen werde und die Beschwerdeführer ihre Arbeitskraft wirtschaftlich nutzbringender einsetzen. Der Gemeinderat sei verpflichtet, alles zu unternehmen, damit die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Beschwerdeführer wieder hergestellt werden könne. Somit sei am Entscheid nichts aus- zusetzen. Bezüglich der Einrichtungen sei darauf hinzuweisen, dass Ver- mögen bis zu einem Freibetrag von Fr. 4'500.-- pro Unterstützungs- einheit aufzubrauchen sei. Von einer Verwertung könne in be- stimmten Fällen abgesehen werden, vorliegend liege jedoch weder eine ungebührliche Härte noch eine unwirtschaftliche Situation oder ein anderer Grund vor, der die Verwertung als unzumutbar erschei- nen liesse. (...) In der Vernehmlassung stellt die Vorinstanz klar, dass die Sozi- alhilfebehörden den Beschwerdeführer bei dessen Versuch, als selbstständiger Unternehmer seine wirtschaftliche Selbstständigkeit zurückzuerlangen, unterstützt hätten, der Versuch aber gescheitert sei. Es könne keinesfalls akzeptiert werden, dass jemand auf Kosten der Allgemeinheit mehr oder weniger ein Hobby pflege. 2009 Verwaltungsgericht 230 4.3. 4.3.1. Mit der Sozialhilfe dürfen keine selbstständigen Erwerbstätig- keiten mitfinanziert werden, die nicht geeignet sind, die Notlage ei- ner Gesuch stellenden Person in absehbarer Zeit zu mildern. Umge- kehrt soll aber einem Sozialhilfeempfänger - nach dem Grundsatz der Subsidiarität (§ 5 Abs. 1 SPG) - nicht die Möglichkeit genom- men werden, mit der Ausübung einer Nebenerwerbstätigkeit die Abhängigkeit von der materiellen Hilfe zu beschränken oder gar aufzuheben. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit erfordert, dass eine Auflage oder Weisung zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet sowie notwendig ist und dass der damit angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Beschränkungen steht, die dem Privaten auferlegt werden (Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 126 I 112 Erw. 5b; AGVE 2004, S. 252). 4.3.2. Gemäss Jugend- und Familienberatung (jfb) des Bezirks Baden wurde das Schuh- und Schlüsselservicegeschäft des Beschwerdefüh- rers im Oktober 2005 eröffnet. Anfangs sei das Geschäft gut gelau- fen, mittlerweile aber seien die Einnahmen fast so hoch wie die Aus- gaben (recte wohl eher: "...die Ausgaben fast so hoch wie die Ein- nahmen"). Somit könne nur ein kleiner Gewinn an den ehelichen Unterhalt beigesteuert werden. Wenn man die effektiven Ausgaben (inkl. Raummiete in der Höhe von Fr. 350.--, von der Gemeinde als "situationsbedingte Leistung" ausgerichtet) betrachte, resultiere ein Minus von ca. Fr. 140.-- pro Monat für das (damals laufende) Jahr 2007. Belege bzw. weitere Unterlagen betr. Ertragslage des Ge- schäfts sind den Akten nicht zu entnehmen. Die schlechte Ge- schäftslage ist jedoch unbestritten (vgl. Beschwerde vom 10. Sep- tember 2007 gegen den Gemeinderatsbeschluss: "in letzter Zeit ist die Geschäftskasse nicht nach Wunsch gelaufen" [S. 1] bzw. man sei bemüht, den Laden in Schwung zu bringen und "dass ein kleiner Profit daraus resultieren wird" [S. 2]); die Beschwerdeführer machen keine Gewinne geltend. Somit ist erstellt, dass der Beschwerdeführer mit den Einnahmen die effektiven Kosten nicht zu decken vermag. Eine Änderung dieser Situation ist nicht absehbar und die Be- 2009 Sozialhilfe 231 schwerdeführer legen auch nicht dar, wie sie die Lage zu verbessern gedenken. Demzufolge ist die selbstständige Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht geeignet, die Notlage der Familie in absehbarer Zeit zu mildern. Zum Hinweis der Beschwerdeführer, das Geschäft könne gut parallel zur Jobsuche weitergeführt werden, ist anzumerken, dass es Ziel der Jobsuche sein muss, eine lukrativere Tätigkeit zu finden. Der Behauptung, dies sei aufgrund des Alters und des Gesundheits- zustandes des Beschwerdeführers kaum möglich, steht die Eingabe des Vertreters der Beschwerdeführer vom 10. Juli 2008 entgegen, worin ausgeführt wird, es gebe bereits Vertragsverhandlungen im Hinblick auf eine Teilzeit-Anstellung des Beschwerdeführers bei ei- nem Schuh- und Schlüssel-Service. Sollte der Beschwerdeführer eine konkrete Anstellung erhalten, wird es kaum möglich sein, das eigene Geschäft parallel (mit einem Teilzeitpensum oder gar während der Freizeit) weiterzuführen - schon gar nicht gewinnbringend, da die Fixkosten (Miete etc.) gleich bleiben. Schliesslich sind die Be- schwerdeführer daran zu erinnern, dass das Ziel einer anderen Tätig- keit die Reduktion der Unterstützung durch die öffentliche Hand ist - und nicht etwa die Finanzierung des nicht rentierenden eigenen Ge- schäfts. 4.3.3. Die Anordnung, das Geschäft zu liquidieren, stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar. Gemäss Art. 36 BV ist eine Einschränkung dieses Grundrechts möglich, sofern hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht, der Eingriff durch das öffentliche In- teresse gerechtfertigt und verhältnismässig ist. Zudem muss der Kerngehalt des Grundrechts respektiert werden (vgl. hierzu Ulrich Häfelin / Walter Haller / Helen Keller, Schweizerisches Bundes- staatsrecht, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2008, § 9 Rz. 302 ff.). Gemäss § 13 SPG kann die Gewährung materieller Hilfe mit Auflagen und Weisungen verbunden werden. Die Verwertung von Vermögen der Sozialhilfeempfänger ist in § 11 Abs. 3 SPG vorgese- hen; eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Liquidation des Geschäfts ist folglich gegeben. 2009 Verwaltungsgericht 232 Die Auflage zur Liquidation einer defizitären selbstständigen Erwerbstätigkeit liegt im öffentlichen Interesse, da es nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist, mit öffentlichen Geldern defizitäre Geschäfte über Wasser zu halten (AGVE 2004, S. 251 f.). Die "Liquidation" ist im vorliegenden Fall geeignet und erfor- derlich, um die materielle Hilfe und damit Ausgaben des Gemeinwe- sens (hier die Raummiete für das Geschäft) reduzieren zu können. Schliesslich erweist sich die "Liquidation" nicht als unverhältnis- mässig. Dem Beschwerdeführer stand seit Oktober 2005 ausreichend Zeit zur Verfügung, um die Möglichkeiten seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit im Wirtschaftsleben zu erproben, und die für die Aufgabe eingeräumte Frist, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Kerngehalt der Wirtschaftsfreiheit wird durch die Auflage nicht tangiert; die "Liquidation" erfolgt einzig im Hinblick auf die Reduktion der Abhängigkeit von der Sozialhilfe. Dem Beschwerde- führer wird weder eine bestimmte berufliche Tätigkeit generell un- tersagt noch vorgeschrieben.
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2011 Sozialhilfe 179 [...] 46 Inkassohilfe für Kindesunterhaltsansprüche - Die Inkassohilfe wird auf Gesuch des Unterhaltsgläubigers gewährt. - Die Übernahme oder Weiterführung von Betreibungshandlungen kann nur aufgrund rechtlicher Hindernisse verweigert werden. - Die Unentgeltlichkeit der Inkassohilfe bezieht sich nur auf die Dienstleistung der Inkassostelle und nicht auf die Betreibungskosten. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 27. September 2011 in Sa- chen A. gegen B. und Bezirksamt C. (WBE.2011.110). Aus den Erwägungen 4. 4.1. Nach Art. 290 ZGB hat die Vormundschaftsbehörde oder eine andere vom kantonalen Recht bezeichnete Stelle einem Elternteil auf Gesuch bei der Vollstreckung des Unterhaltsanspruches für Kinder in geeigneter Weise unentgeltlich zu helfen, wenn der Vater oder die Mutter die Unterhaltspflicht nicht erfüllt. Nach § 31 Abs. 1 SPG ist für die Inkassohilfe im Sinne von Art. 131 Abs. 1 und Art. 290 ZGB sowie für die über die Mündigkeit hinausgehenden Unterhaltsansprüche die Gemeinde am zivilrecht- lichen Wohnsitz der anspruchsberechtigten Person zuständig. Die Gemeinde kann diese Aufgaben an eine geeignete Amtsstelle oder an 2011 Verwaltungsgericht 180 private Institutionen übertragen (§ 31 Abs. 2 SPG). Die Inkassohilfe bei der Durchsetzung von Kindesunterhaltsbeiträgen ist im Unter- schied zur Inkassohilfe für den Ehegatten (Art. 131 ZGB) unent- geltlich (Art. 290 ZGB i.V.m. § 31 Abs. 3 SPG). In § 26 SPV hat der Regierungsrat die Kostenbeteiligung und die Gebühren festgesetzt. 4.2. Die Inkassohilfe wird nur auf Gesuch hin, nicht von Amtes we- gen, geleistet (Art. 290 ZGB). Das Gesuch kann formlos auch mündlich gestellt werden. Bezüglich der konkreten Leistung der Inkassohilfe stehen in ei- ner ersten Phase Auskünfte und Beratung gegenüber dem Ratsu- chenden im Vordergrund, was auch der Beratungsstelle einen Über- blick über die Verhältnisse ermöglichen soll (Cyril Hegnauer, in: Berner Kommentar, Bern 1997, Art. 270-295 N 11-16; vgl. auch Peter Breitschmid, in: Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, 2. Aufl., Basel 2002, Art. 131/132 N 1 ff. und Art. 290 N 1 f.). Fehlt ein vollstreckbarer Unterhaltstitel oder ist dieser fehlerhaft, so berät die Inkassostelle den Gesuchsteller über die Behebung des Mangels und vermittelt allenfalls die hierfür nötige Hilfe. Die Inkassostelle versucht, wenn dies nicht schon durch den Gesuchsteller erfolglos geschehen ist oder aus anderen Gründen als aussichtslos erscheint, mit dem Schuldner ins Gespräch zu treten und ihn zur regelmässigen und pünktlichen Entrichtung der Unterhaltsbeiträge zu bewegen (Hegnauer, a.a.O., N 26). Der Unterhaltsberechtigte erteilt der In- kassostelle eine Vollmacht, welche es ermöglicht, dass die Inkasso- stelle als sein Vertreter tätig werden kann (vgl. Ingeborg Schwenzer, Scheidung, in: FamKomm., Bern 2010, Art. 131 N 5; Thomas Sutter/ Dieter Freiburghaus, in: Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, Art. 131 N 20 f.). Die Übernahme oder Weiterführung des Inkassos, insbesondere die Einleitung eines Betreibungsverfahrens darf von der Durchfüh- rungsstelle abgelehnt werden, wenn der vorgelegte Rechtstitel als nicht vollstreckbar erscheint. In der Literatur werden weitere Ver- weigerungsgründe angeführt: So kann ein Inkasso bei einer tatsäch- lichen Situation die mit den Pflichten des unterhaltsberechtigten Kin- des aus Art. 272 ZGB (Beistand, Rücksichtnahme und Achtung) 2011 Sozialhilfe 181 unvereinbar wären, verweigert werden (Hegnauer, a.a.O., Art. 290 N 47, 50, 54). Auch die Verletzung von Auskunfts- oder Mitwir- kungspflichten durch den Auftraggeber können zur Ablehnung eines Inkassomandates Anlass geben (vgl. Albert Guler, Mittel der Durch- setzung der nachehelichen Unterhaltspflicht und Sozialhilfeleistun- gen, in: Pascal Pichonnaz/Alexandra Rumo-Jungo, Familienvermö- gensrecht, Bern 2003, S. 42). Grundsätzlich handelt es sich um rechtliche Hindernisse einer Zwangsvollstreckung. 4.3 Das Inkasso von Unterhaltsbeiträgen erfolgt, wie bereits er- wähnt, auf Gesuch des Unterhaltsgläubigers. Der Gesuchsteller ist gehalten, sich um ein klares Gesuch zu bemühen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 8. Februar 2007 [5P.518/2006]; Hegnauer, a.a.O., Art. 290 N 14). Die Vertretung des Gläubigers durch die In- kassostelle umfasst im Betreibungsverfahren insbesondere das Stel- len eines Betreibungs- und Fortsetzungsbegehrens sowie auch die Vertretung im Rechtsöffnungsverfahren und allenfalls weitere Sicherstellungs- und Durchsetzungshandlungen (vgl. BGE 109 Ia 72, Erw. 4; auch Breitschmid, a.a.O., Art. 290 N 5; Cyril Hegnauer, Bun- desrechtliche Inkassohilfe und kantonaler Anwaltszwang, ZVW 1983, S. 104). Soll die Inkassostelle im Rahmen gerichtlicher Verfah- ren (Rechtsöffnungsverfahren, Anweisung und Sicherstellung nach Art. 132 ZGB) tätig werden, bedarf es einer besonderen Prozess- vollmacht (Schwenzer, a.a.O., Art. 131 N 5; Sutter/Freiburghaus, a.a.O., Art. 131 N 20 f.). 5. (...) 6. 6.1. (...) 6.2. Die Inkassohilfe ist eine Dienstleistung, welche die Behörden im Auftrag der Unterhaltsgläubiger ausüben (Breitschmid, a.a.O., Art. 290 N 2). Im Grundsatz liegt das Bestimmungsrecht über die Durchsetzungsmassnahmen beim Unterhaltsgläubiger. Die Auffas- sung der Beschwerdeführerin, wonach die Leistungen der Inkasso- hilfe verweigert werden können, wenn ein Unterhaltsgläubiger selbst in der Lage ist, die notwendigen Schritte für ein Betreibungs- 2011 Verwaltungsgericht 182 verfahren einzuleiten, geht daher fehl. Das sozialhilferechtliche Sub- sidiaritätsprinzip (§ 5 Abs. 1 SPG) kommt angesichts der bundes- rechtlichen Vorgaben in Art. 290 ZGB nicht zur Anwendung. Den Behörden ist es auch verwehrt, die Leistung der Inkassohilfe von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig zu machen, wie z.B. von erfolglosen Inkassobemühungen des Unterhaltsgläubigers. Einzige Voraussetzung der Inkassohilfe ist, dass der Unterhaltsschuldner sei- ner Unterhaltpflicht nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig nachkommt. Eine Verweigerung von Betreibungsmassnahmen ist nur bei Vorliegen von rechtlichen Hindernissen (Erw. 4.2.) möglich und auch in diesen Fällen hat die zuständige Behörde die gesuchstellende Person über die Möglichkeiten zur Beseitigung der Hinderungsgrün- de zu beraten. Die Sozialhilfebehörde ist sodann nach dem Untersuchungs- grundsatz (§ 17 Abs. 1 VRPG) von Amtes wegen zur Abklärung des Sachverhaltes verpflichtet (vgl. AGVE 1997, S. 171; VGE IV/24 vom 19. April 2011 [WBE.2010.400], Erw. 7.3.) und hat die für den Vollzug der Inkassohilfe erforderlichen Unterlagen einzuholen (§ 2 Abs. 2 SPG i.V.m. § 1 Abs. 4 SPV). Aufgrund der fehlenden Unter- schrift auf dem Gesuchsformular und einer fehlenden Vollmacht zu Betreibungshandlungen kann daher die Inkassohilfe nicht verweigert werden. Die Sozialen Dienste der Gemeinde O. waren vielmehr gehalten, die Beschwerdegegnerin über sämtliche der Inkassostelle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aufzuklären und die für die Einleitung eines Betreibungsverfahrens erforderliche Vollmacht ein- zuholen. Das Bezirksamt hat somit zu Recht festgehalten, dass die In- kassostelle zur Einleitung eines Betreibungsverfahrens gehalten war. 6.3. Die Inkassohilfe für Kindesunterhaltsbeiträge ist unentgeltlich. Die Unterstützung ist nicht von den Fähigkeiten des Unterhalts- gläubigers oder seines gesetzlichen Vertreters abhängig. Die Be- schwerdeführerin bzw. der Sozialdienst kann daher die Hilfe nicht verweigern mit dem Argument, die Beschwerdegegnerin sei in der Lage, selber tätig zu werden. Der Vorinstanz ist auch zuzustimmen, dass für die Einleitung einer Betreibung auch die verjährungsrecht- 2011 Sozialhilfe 183 lichen Aspekte zu beachten sind und neben der Betreibung auch die Erwirkung einer Anweisung beim Gericht nach Art. 291 ZGB oder die Sicherstellung nach Art. 292 ZGB in Frage kommen kann. Die Gemeinden können, sind aber nicht verpflichtet, mit den Aufgaben der Inkassohilfe eine private Institution, wie z.B. die In- kassostelle D., zu beauftragen (§ 31 Abs. 2 SPG). Sie kann jeweils im Einzelfall entscheiden, ob sie die Inkassohilfe selber durch eine Verwaltungsabteilung gewähren will oder eine externe private In- stitution damit betraut. Die Inkassohilfestelle ist immer Beauftragte der Unterhalts- gläubiger und es steht ihr kein eigenes Bestimmungsrecht zu. Einem Ersuchen der Unterhaltsgläubiger um Inkassohilfe ist grundsätzlich stattzugeben, wenn die Unterhaltsbeiträge für die Kinder nicht re- gelmässig oder unvollständig bezahlt werden. Die Übernahme oder Weiterführung von Betreibungshandlungen kann nur verweigert wer- den, wenn rechtliche Hindernisse vorliegen (vgl. Erw. 4.2.), nicht aber wenn die Inkassostelle der Meinung ist, eine Betreibung habe wenig Aussicht auf Erfolg, weil der Unterhaltsschuldner nicht oder ungenügend leistungsfähig ist. Das schliesst selbstverständlich nicht aus, dass die Inkassostelle von einer Betreibung abrät. Indessen kann sie in diesem Fall die Unterstützung beim Inkasso nicht verweigern. Ein Ermessen, ob und in welchem Umfang die Inkassohilfe gewährt wird, steht der Sozialbehörde nicht zu. Die Unentgeltlichkeit der Inkassohilfe für Kindesunterhaltsbeiträge bezieht sich nur auf die Dienstleistung der Inkassostelle, nicht auf die Betreibungskosten. Betreibungs- und Rechtsöffnungsgebühren müssen insbesondere in Fällen, wo die Inkassostelle eine Betreibung nicht als opportun beurteilt, vom Unterhaltsgläubiger bevorschusst werden (vgl. dazu Guler, a.a.O., Rz. 42 f.). 7. Zusammenfassend ist der Entscheid des Bezirksamts C. nicht zu beanstanden. Das Bezirksamt hat den Gemeinderat O. als zuständige Sozialbehörde zu Recht angewiesen, die entsprechende Vollmacht einzuholen und mit Zustimmungserklärung der Beschwerdegegnerin betreibungsrechtliche Schritte einzuleiten oder eine Inkassostelle zu beauftragen.
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[...] 17 Grundstückgewinnsteuer Pauschalierung der Anlagekosten auch bei Baurechtsgrundstücken 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 116 Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 13. Juni 2016, i.S. KStA gegen Vorsorgestiftung X. (WBE.2015.396). Aus den Erwägungen 2. Gemäss § 105 Abs. 1 StG werden die Anlagekosten pauscha- liert, wenn das Grundstück im Zeitpunkt der Veräusserung überbaut ist und es die steuerpflichtige Person länger als 10 vollendete Jahre besass. Beim Begriff "überbaut" handelt es sich um einen unbe- stimmten Rechtsbegriff, welcher der Konkretisierung bedarf. Der Regierungsrat als zuständiger Verordnungsgeber hat den Begriff "überbaut" in § 46 Abs. 1 StGV (weitgehend) konkretisiert, indem er darunter im Zeitpunkt des Verkaufs eines Grundstücks (noch) nutz- bare Bauten verstanden wissen wollte (Urteil des Spezialverwal- tungsgerichts vom 25. Februar 2010 [3-RV.2009.78]). § 46 StGV lautet wie folgt: (...) Das Spezialverwaltungsgericht hat den Begriff "überbaut" mit Hilfe der Gesetzesmaterialien korrekt ausgelegt und das Motiv des historischen Gesetzgebers sowie den heutigen Sinn und Zweck der Pauschalierung richtig erfasst. Das KStA beanstandet eine ungenü- gende Würdigung des Wortlauts von § 46 Abs. 1 StGV und verweist auf ein eigenes Merkblatt sowie auf ein Protokoll der Grossratskom- mission für die Revision des Steuergesetzes aus dem Jahre 1982. 2.1. Im vom KStA angeführten Merkblatt vom 14. Februar 1982 wird zur Frage, "Was heisst überbaut?" in Ziff. 2 Abs. 2 festgehalten, dass sich die Beantwortung nach einem wirtschaftlichen Kriterium beurteilt. Als überbaut gilt ein Grundstück, für dessen Wert die Baute nicht bloss von untergeordneter Bedeutung ist. Beeinflusst die Baute den Wert des Grundstücks erheblich, so ist es überbaut. Explizit ausgeschlossen vom Begriff "überbaut" werden nicht mehr nutzbare Abbruchobjekte, Fahrnisbauten, Schuppen usw., deren Wert für den Kaufpreis von untergeordneter Bedeutung ist. Im Zürcher Steuerge- setz wird von überbauten Grundstücken dann gesprochen, wenn be- 2016 Kantonale Steuern 117 nutzbare Gebäude (Bauwerk) vorhanden sind, das heisst, sie müssen Menschen, Tieren oder Sachen durch räumliche Umschliessung Schutz gegen äussere Einflüsse gewähren, fest mit dem Grund und Boden verbunden, von einiger Beständigkeit und ausreichend stand- fest sein. Trotz vorhandener Gebäude gelten Grundstücke mit Gebäu- den von untergeordneter Bedeutung nicht als überbaut (F ELIX R ICHNER /W ALTER F REI /S TEFAN K AUFMANN /H ANS U LRICH M EUTER , Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 3. Aufl., Zürich 2013, § 220 N 176). Weiter wird im Merkblatt des KStA in Ziff. 2 Abs. 1 ausgeführt, dass § 76 aStG in erster Linie Steuerpflichtige und Steuerbehörden vom Nachweis weit zurückliegender Anlagekosten entbinden soll. Dieser Nachweis fällt insbesondere bei überbauten Grundstücken schwer; beim unüberbauten Land lässt sich der Anlagewert leichter feststellen. Sobald ein Verkäufer also eine wert- mässig bedeutende Baute (nicht bloss ein Abbruchobjekt, Fahrnis- baute, Schuppen oder dergleichen) mehr als 10 Jahre in seinem Eigentum hatte, soll er vom Nachweis weit zurückliegender Anlage- kosten befreit werden. Der Begriff "überbaut" dient demnach dazu, die Möglichkeit der Pauschalierung nur bei wertmässig bedeutenden Bauten zu gewähren und verlangt nicht die Einheit von Grundeigen- tümer und Eigentümer der Baute. 2.2. Das Steuergesetz bestimmt, dass die in das Grundbuch aufge- nommenen selbständigen und dauernden Rechte gemäss § 51 Abs. 1 StG unter den Grundstücksbegriff von § 105 StG fallen. Grund und Boden, auf dem ein Dritter gestützt auf ein Baurecht ein Gebäude er- richtet hat (baurechtsbelastetes Grundstück), gilt wie das Baurechts- grundstück selbst als überbautes Grundstück (R ICHNER /F REI /K AUF - MANN /M EUTER , a.a.O., § 220 N 176; so auch M ARIANNE K LÖTI - W EBER , in: M ARIANNE K LÖTI -W EBER /D AVE S IEGRIST /D IETER W EBER [Hrsg.], Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 4. Auflage, Muri-Bern 2015, [Kommentar StG] § 105 N 8b). Bei einem im Grundbuch eingetragenen selbständigen und dauernden Baurecht fällt das Eigentum am Boden und an der darauf erstellten Baute auseinander (Durchbrechung des Akzessionsprinzips). Ein derart ausgestaltetes Baurecht wird kraft gesetzlicher Fiktion zum Grund- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 118 stück (sog. Baurechtsgrundstück) und somit in mancher Hinsicht gleich behandelt wie Grundeigentum (BGE 118 II 115, Erw. 2). Die im Streit liegende Baute ist unbestrittenermassen mit dem Boden (baurechtsbelastetes Grundstück) fest verbunden; nur dann ist über- haupt die Begründung eines Baurechts möglich. Sie steht jedoch grundbuchtechnisch gesehen auf dem verselbständigten Baurechts- grundstück, welches lediglich im Grundbuch existiert. Die fragliche Baute ist also im Grundbuch mit einem eigenen Grundbuchblatt er- fasst und bildet damit ein Grundstück, welches mit einem Gebäude überbaut ist. Der Wert der Baute ist überdies für die Höhe des Kauf- preises nicht bloss von erheblicher Bedeutung, sondern der Kaufpreis setzt sich ausschliesslich aus dem Wert der Baute zusammen, womit das im Grundbuch eingetragene Baurecht, respektive das Grundstück vom (nach wirtschaftlichen Kriterien zu beurteilenden) Begriff "überbaut" erfasst wird. Dabei ist offensichtlich, dass auch in solchen Fällen der Nachweis weit zurückliegender Anlagekosten erschwert sein kann. Die Tatsache, dass eine Baute im Baurecht auf einem lediglich im Grundbuch existierenden Baurechtsgrundstück steht, ändert nichts daran, dass sie fest mit Grund und Boden des baurechtsbelasteten Grundstücks verbunden ist. Die Pauschalierung der Anlagekosten ist auch auf solche Sachverhalte anwendbar. Ein Baurechtsgrundstück ist ein Grundstück im Sinne von § 105 StG und fällt mit seiner Baute auch unter den Begriff "überbaut" in § 46 StGV. Die in der Beschwerde aufgezeigte Auslegung des KStA zum Begriff "überbaut" und zum Grundstücksbegriff, welcher nicht streng zivilrechtlich auszulegen sei, überzeugt dagegen nicht. Im Steuer- recht lehnt sich die Umschreibung des Grundstücksbegriffs weitge- hend ans Zivilrecht an und geht leicht darüber hinaus (B ARBARA S RAMEK , Kommentar StG, § 51 N 4). Es leuchtet auch aus gesetzes- systematischen Gründen nicht ein, wieso der Grundstücksbegriff in § 95 StG für die Besteuerung und derjenige in § 105 StG für die Pau- schalierung enger sein soll. Daran ändert der Begriff "überbaut" in § 46 StGV nichts. Die Auslegung des KStA widerspricht überdies dem Merkblatt des KStA vom 14. Februar 1982. 2.3. 2016 Kantonale Steuern 119 Das KStA stützt sich bei seiner Argumentation schliesslich auf eine Aussage im Protokoll zur 23. Sitzung vom 26. März 1982 der Grossratskommission für die Revision des Steuergesetzes (Steuerge- setz 1983, Protokolle Grossratskommission, 1. Lesung, Band V, S. 270), wonach "diese gesetzliche Vermutung auf das überbaute Land beschränkt wäre". Abgesehen davon, dass Wortmeldungen im Rahmen von Kommissionen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie Wortmeldungen im Grossen Rat selbst, wird mit dem Ausdruck "überbautes Land" der Verkauf eines im Baurecht erstellten Gebäu- des nicht aus dem Anwendungsbereich von § 105 StG ausgeschlos- sen. "Land" ist vorliegend nicht als gewachsenes Terrain oder natürli- cher Boden zu verstehen und auch nicht in der Weise, dass der Eigentümer von Baute und baurechtsbelastetem Grundstück iden- tisch sein müssten. Es bedeutet lediglich "Grundstück" und darunter fällt auch das Baurechtsgrundstück. Bei den Gesetzesberatungen war der Anwendungsfall eines selbständigen und dauernden Baurechts denn auch kein Thema. Im Vordergrund stand die Abgrenzung von überbauten zu unüberbauten Grundstücken und damit zu Bauten, welche wie Abbruchobjekte, Fahrnisbauten und Schuppen oder der- gleichen, für die Bestimmung des Kaufpreises von untergeordneter Bedeutung sind. Dies geht überdies auch aus dem Merkblatt des KStA hervor, nach welchem der Begriff "überbaut" zu Recht nach wirtschaftlichen Kriterien ausgelegt werden soll. Der Begriff "über- bautes Land" ist demzufolge, wie bereits das Spezialverwaltungs- gericht erkannt hat, auf ein Baurechtsgrundstück anzuwenden, wes- halb sich die Beschwerde als unbegründet erweist und abzuweisen ist.
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2016-17_2016-06-02
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2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 268 [...] 43 Referenzauskunft; Genugtuung Im Bewerbungsverfahren dürfen keine (vom Stellenbewerber) nicht auto- risierten Referenzauskünfte bei früheren Arbeitgebern eingeholt werden, solange kein besonderer Rechtfertigungsgrund im Sinne von Art. 13 DSG vorliegt. Dieser Grundsatz gilt kraft des Verweises in § 4 Abs. 3 GAL i.V.m. Art. 328b OR auf Art. 12 Abs. 2 lit. c DSG auch für im Kanton Aar- gau tätige Lehrpersonen, selbst wenn der Schutz des kantonalen Daten- schutzrechts (IDAG) weniger weit reichen sollte. Für die Zusprechung ei- ner Genugtuung wog jedoch die Persönlichkeitsverletzung im konkreten Fall zu wenig schwer. 2016 Personalrecht 269 Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 19. Oktober 2016 in Sachen A. gegen Kreisschule B. (WKL.2016.1). Aus den Erwägungen II. 3. 3.1. Im Eventualpunkt möchte der Kläger eine Genugtuung dafür er- hältlich machen, dass die Beklagte nach dem Vertragsabschluss ohne sein Einverständnis Referenzen bei früheren Arbeitgebern eingeholt hat. 3.2. Gemäss § 16 Abs. 1 GAL achtet und schützt die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber die Persönlichkeit der Lehrpersonen. Die in dieser Norm zum Ausdruck kommende Fürsorgepflicht des Arbeitge- bers gilt zwar im vorvertraglichen Stadium der Stellenbewerbung grundsätzlich nicht; sie gelangt erst ab (gültig) erfolgtem Vertragsab- schluss, teilweise auch erst ab Stellenantritt zur Anwendung. Eine Vorwirkung der Schutz- und Fürsorgepflichten des Arbeitgebers be- steht aber immerhin im Bereich der Datenbearbeitung (vgl. U LLIN S TREIFF /A DRIAN VON K AENEL /R OGER R UDOLPH , Arbeitsvertrag, 7. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2012, Art. 328 N 21). Für den Um- gang mit Personendaten verweist § 16 Abs. 4 GAL auf das IDAG. Das Einholen und Erteilen von Referenzen sind Datenbearbeitungen, die den Beschränkungen der Datenschutzgesetzgebung unterliegen (S TREIFF / VON K AENEL /R UDOLPH , a.a.O., Art. 330a N 8). Aus Art. 12 Abs. 2 lit. c DSG, wonach besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile Dritten nicht ohne Rechtfertigungsgrund bekanntgegeben werden dürfen, wird abgeleitet, dass Referenzen nur noch mit Zustimmung des Arbeitnehmers eingeholt und erteilt wer- den dürfen, da sie in aller Regel eine Beurteilung wesentlicher As- pekte der Persönlichkeit des Arbeitnehmers erlauben und damit ein Persönlichkeitsprofil des Arbeitnehmers darstellen (S TREIFF / VON K AENEL /R UDOLPH , a.a.O., Art. 330a N 8). Ob das IDAG eine ver- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 270 gleichbare Regelung enthält, ist nicht ganz klar, aufgrund des Wort- lautes der §§ 8 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 2 jedoch anzunehmen. Auf jeden Fall ist über § 4 Abs. 3 GAL ("Die Minimalansprüche zum Schutz der Lehrpersonen entsprechen denjenigen des Schweizeri- schen Obligationenrechts und sind in jedem Fall einzuhalten. Vorbe- halten bleiben Bestimmungen in diesem Gesetz.") und Art. 328b OR, der für die Bearbeitung von Personendaten auf das DSG verweist, si- chergestellt, dass auch über im Kanton Aargau tätige Lehrpersonen, obwohl der persönliche Geltungsbereich des DSG auf Privatpersonen und Bundesorgane beschränkt ist (Art. 2 Abs. 1 DSG), keine unauto- risierten Referenzen bei früheren Arbeitgebern eingeholt werden dür- fen, solange kein besonderer Rechtfertigungsgrund im Sinne von Art. 13 DSG vorliegt. 3.3. Die Beklagte meint, die Einholung von Referenzen bei früheren Arbeitgebern des Klägers sei rechtens gewesen. Schliesslich sei sie vom BKS dazu angewiesen worden und verpflichtet, Anordnungen der vorgesetzten Stelle zu befolgen. Die Zeit habe sehr gedrängt. Die Weisung des BKS sei kurz vor Beginn der Stellvertretung erfolgt. Davon abgesehen müsse die Eignung von Lehrpersonen sorgfältig abgeklärt werden, um präventiv Probleme zu vermeiden. Die Refe- renzauskünfte hätten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem An- stellungsvertrag des Klägers gestanden. Keine der angefragten Stel- len habe in irgendeiner Art verlauten lassen, dass der Erteilung von Referenzauskünften über die Gründe der Auflösung der Anstellungs- verhältnisse mit dem Kläger etwas entgegenstehen könnte oder der Kläger seine Zustimmung zur Erteilung von Referenzauskünften ver- weigert habe. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen dürfen, dass ihr Vorgehen korrekt gewesen sei. 3.4. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Genau so wenig wie die Beklagte wäre das BKS befugt, ohne Einwilligung des Arbeitneh- mers Referenzen bei früheren Arbeitgebern einzuholen oder Entspre- chendes anzuordnen. Ob es sich bei der Feststellung in der E-Mail ei- ner BKS-Mitarbeiterin vom 15. Januar 2015, "Ich habe die Order er- halten, dass wenn Sie Herrn A. anstellen möchten, unbedingt Refe- 2016 Personalrecht 271 renzen einholen oder sich mit (...) in Verbindung setzen", tatsächlich um eine Weisung, oder vielmehr um eine Empfehlung handelte, ist offen. Jedenfalls wurde die Beklagte nicht angewiesen, ohne Einwil- ligung des Klägers zu handeln. Auf Zeitmangel kann sich die Be- klagte nicht berufen, nachdem sie es versäumt hat, noch vor Ver- tragsabschluss Referenzen über den Kläger einzuholen. Obendrein leuchtet nicht ein, weshalb es zu viel Zeit gekostet hätte, den Kläger um seine Einwilligung zu bitten. Hätte er diese verweigert, hätte die Beklagte immer noch ihr Interesse an der sorgfältigen Abklärung der Eignung des Klägers als Rechtfertigungsgrund für eine Datenbear- beitung anrufen können. Ihr klandestines Vorgehen war unter keinen Umständen angezeigt, zumal dem Kläger dadurch die Kontrolle über ihn betreffende, hochsensible und womöglich nicht einmal gesicherte Informationen vollständig entzogen war. Korrekterweise hätten sich die früheren Arbeitgeber des Klägers weigern müssen, ohne aus- drückliche und hinreichend dokumentierte Zustimmung des Klägers Referenzauskünfte zu erteilen. Dass sie es nicht getan haben, entband die Beklagte nicht davon, sich um die Zustimmung des Klägers zu bemühen. Es war ihre Aufgabe, nicht diejenige der angefragten Stel- len, sich die Einholung und Erteilung von Referenzen vom Kläger autorisieren zu lassen. Weil sie dies unterlassen hat, hat sie durch eine unrechtmässige Datenbeschaffung den Kläger in seiner Persön- lichkeit verletzt. Dem tut das fehlende Unrechtsbewusstsein bzw. die fehlende Rechtskenntnis der beklagtischen Vertreter kein Abbruch. 3.5. Das Vorliegen einer (widerrechtlichen) Persönlichkeitsverlet- zung allein begründet jedoch noch keinen Genugtuungsanspruch nach Art. 49 OR. Ein solcher setzt zusätzlich objektiv eine gewisse Schwere der Persönlichkeitsverletzung und subjektiv beim Arbeit- nehmer eine ausreichend starke moralische Unbill voraus, die es als legitim erscheinen lässt, dass sich die betroffene Person an den Rich- ter wendet, um eine Genugtuung zu erhalten (vgl. Art. 49 Abs. 1 OR; S TREIFF / VON K AENEL /R UDOLPH , a.a.O., Art. 328 N 19 mit Hinwei- sen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). Vor allem an einer ausreichend starken moralischen Unbill fehlt es im vorliegenden Fall. Den Kläger mag es geschmerzt haben, dass und unter welchen 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 272 Umständen er die Stelle bei der Beklagten nicht antreten konnte. Re- lativierend ist anzumerken, dass eine eher kurze Stellvertretung von wenigen Wochen zur Diskussion steht. Auf eine neue Anstellung musste der Kläger nicht besonders lange warten. Per Mitte April 2015 konnte er bereits die Stellvertretung an der Kreisschule C. über- nehmen. Im Lichte dessen kann nicht gesagt werden, das unautori- sierte Einholen von Referenzen hätte das wirtschaftliche Fortkom- men des Klägers nachhaltig erschwert und sein psychisches Wohler- gehen erheblich beeinträchtigt. Das Verhalten der Beklagten war auch nicht dazu angetan, den Ruf des Klägers weiter zu schädigen bzw. den Kläger bei weiteren Personenkreisen in Verruf zu bringen. Sie kontaktierte ausschliesslich Stellen, die mit den Problemen des Klägers bezüglich Nähe/Distanz zu Schülerinnen schon vertraut wa- ren. Dabei muss man sich auch vor Augen halten, dass der Kläger der Beklagten kaum hätte verbieten können, Referenzen bei früheren Ar- beitgebern einzuholen, ohne dadurch in Erklärungsnotstand zu gera- ten und die Beklagte misstrauisch zu machen. Alles in allem wiegt deshalb die von der Beklagten gegenüber dem Kläger begangene Persönlichkeitsverletzung auch in objektiver Hinsicht nicht derart schwer, dass sich ein Schmerzensgeld aufdrängen würde. Es besteht folglich kein Anspruch auf Genugtuung, womit auch dem klägeri- schen Eventualantrag nicht stattgegeben werden kann. Einen Schadenersatzanspruch aus Persönlichkeitsverletzung bzw. widerrechtlicher Datenbearbeitung macht der Kläger nicht gel- tend. Nebenbei bemerkt müsste ein solcher Anspruch damit begrün- det werden, dass dem Kläger ein Schaden durch das unautorisierte Einholen von Referenzen an sich (also nicht durch die Auflösung des Anstellungsvertrags) entstanden ist. Für das Erfüllungsinteresse (in Form von Lohn- und/oder Entschädigungszahlungen) bleibt deshalb auch hier kein Raum.
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2016-43_2016-10-01
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2007 Sozialhilfe 191 VI. Sozialhilfe 44 Parteientschädigung in Sozialhilfeverfahren. - Die Parteientschädigung ist i.d.R. nach § 3 Abs. 1 lit. a AnwT festzu- setzen (Erw. 5.2). - Grundsätze zur Streitwertberechnung (Erw. 6.2). Beschluss des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 29. März 2007 in Sa- chen M.E. gegen das Bezirksamt Laufenburg (WBE.2006.264). Aus den Erwägungen 5. 5.1. (...) 5.2. Bei der Festlegung des Grundhonorars ist auch in Verwaltungs- sachen (§ 5 Abs. 1 AnwT) zunächst zu entscheiden, ob die Vertretung oder Verbeiständung einer Partei in einer vermögensrechtlichen Streitsache erfolgt (§ 3 Abs. 1 lit. a AnwT) oder ob es sich um ein Verfahren handelt, welches das Vermögen der Verfahrensbeteiligten weder direkt noch indirekt beeinflusst (§ 3 Abs. 1 lit. b AnwT). Be- steht eine Beeinflussung des Vermögens, kommt ausschliesslich lit. a zur Anwendung, d.h. die Ermittlung des Grundhonorars richtet sich primär nach dem Streitwert der Sache (VGE III/60 vom 24. April 1998 [BE.1996.00316], S. 4 f.; VGE III/15 vom 14. März 1994 [BE.1993.00043], S. 9). Der Streitwert ist Ausdruck des Wertes, den der streitige Rechtsanspruch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge tatsächlich und objektiv besitzt (vgl. hiezu AGVE 1989, S. 284; 1983, S. 249). Das Verwaltungsgericht hatte die Frage, ob den Verfahren in Sozialhilfesachen ein vermögenswertes Interesse im Sinne von § 3 Abs. 1 lit. a AnwT beizumessen ist, noch nicht zu entscheiden. Die 2007 Verwaltungsgericht 192 präsidiale Praxis bei der Genehmigung von Kostennoten orientierte sich am Tarif für vermögensrechtliche Streitigkeiten. Streitgegenstand in den Verwaltungsverfahren der Sozialhilfe ist in der Regel der Anspruch und die Höhe der materiellen Hilfe- leistung des Gemeinwesens an die Hilfe suchenden Personen. Die Rechtsmittelverfahren im Sozialhilferecht beeinflussen daher in der Regel das Vermögen der Verfahrensbeteiligten; die Ansprüche be- treffen vermögenswerte Interesse der hilfesuchenden Personen und des Gemeinwesens. Das Honorar ist somit nach § 3 Abs. 1 lit. a AnwT festzusetzen. 5.3. Gemäss § 4 Abs. 1 AnwT wird der Streitwert nach den gestell- ten Begehren berechnet. Was im Verfahren streitig ist, legen die Par- teien mit ihren Rechtsbegehren fest, und der Streitwert in einem Rechtsmittelverfahren wird demzufolge nach den Anträgen berechnet (§ 4 Abs. 1 AnwT; AGVE 1994, S. 470). Wenn es nicht um die Bezahlung einer bestimmten Summe geht, ist er nach dem vermö- gensmässigen Interessen der Parteien zu schätzen (§ 4 Abs. 3 AnwT). 6.1. (...) 6.2. Gemäss § 4 Abs. 5 AnwT gelten bei der Bestimmung des Streitwerts die Bestimmungen der ZPO. § 20 Abs. 2 ZPO bestimmt, dass für wiederkehrende bzw. periodische Leistungen bei ungewisser oder unbeschränkter Dauer als Streitwert der 20-fache jährliche Be- trag der eingeklagten Leistung gilt. Diese Bestimmung ist auf zivil- rechtliche Forderungen (Renten, Nutzniessungen, Mietzinse etc.) zu- geschnitten, denen ein Kapitalwert zukommen kann und wenn nicht feststeht, dass diese Leistungspflicht weniger als zwanzig Jahre dau- ern wird (Alfred Bühler / Andreas Edelmann / Albert Killer, Kom- mentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Auflage, Aarau / Frankfurt a.M. / Salzburg 1998, § 20 N 2). Sozialhilfeleistungen sind ihrer Natur nach nicht auf eine lange Zeit angelegt, sondern be- zwecken die Wiederherstellung der Selbständigkeit durch Integration und Unterstützung der Selbsthilfe (§ 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 SPG; Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe, hrsg. von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, vom De- 2007 Sozialhilfe 193 zember 2000 [SKOS-Richtlinien], Kapitel A.1). Die materielle Hilfe ist auch subsidiär gegenüber anderen Hilfsquellen (§ 5 SPG; SKOS- Richtlinien, Kapitel A.4; Handbuch Sozialhilfe, hrsg. vom Kantona- len Sozialdienst, 4. Auflage August 2003, Kapitel 5, S. 13). In der Regel wird die materielle Unterstützung befristet festgesetzt, wobei je nach den konkreten Umständen das jeweilige Sozialhilfebudget für mehrere Monate (drei, sechs oder zwölf Monate) die Höhe der Sozialhilfe festlegt. Wurde die materielle Hilfe oder eine Kürzung (vgl. hiezu § 15 Abs. 1 SPV) von den Sozialbehörden befristet, ist der Streitwertberechnung die angeordnete Dauer zu Grunde zu legen. Bei Streitigkeiten über die materielle Hilfe auf unbestimmte Dauer und jenen Fällen, in denen sich ein Entscheid auch in der Zu- kunft auf die Berechnung der materiellen Hilfe auswirken kann, stellt sich die Frage, welche Dauer der Streitwertberechnung zu Grunde zu legen ist. Das Problem stellt sich insbesondere in jenen Fällen, wo Auflagen oder Weisungen angefochten werden, die zu Kürzungen der materiellen Hilfe führen. Eine allgemeine Regel lässt sich ent- sprechend der Natur der Sozialhilfeansprüche nicht bilden, da immer die konkreten Umstände zu berücksichtigen sind. Die Rechtsnatur der Sozialhilfeansprüche erlaubt nur die Feststellung, dass eine Dauer von mehr als einem Jahr schon aufgrund der Subsidiarität nicht die Regel ist. Im Sinne einer oberen Grenze ist daher für die Streitwertberechnung eine überjährige Dauer der Unterstützung nur angebracht, wo zum vorneherein die Wirkung der angefochtenen Verfügung auf eine Dauer von mehr als zwölf Monaten nicht nur ab- sehbar ist, sondern feststeht. Die Sozialbehörden sind zur periodi- schen Überprüfung und Anpassung an veränderte Verhältnisse ver- pflichtet (vgl. für die Alimentenbevorschussung § 29 Abs. 5 SPV). Ist, wie im vorliegenden Fall, schon auf Grund der familiären Ver- hältnisse und der Einkommenssituation der Hilfe suchenden Person absehbar, dass die materielle Unterstützung vor Ablauf eines Jahres angepasst werden muss und nur der genaue Zeitpunkt nicht be- stimmbar, ist der Streitwertberechnung eine Dauer von sechs Mona- ten zu Grunde zu legen.
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2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 281 [...] 63 Umweltschutz. - Ideelle Immissionen (im konkreten Fall erzeugt von einem Schlacht- haus) fallen nicht unter das Umweltschutzrecht des Bundes, können 2001 Verwaltungsgericht 282 jedoch durch das kantonale und kommunale Recht geregelt werden (Erw. 2/a). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 6. Februar 2001 in Sachen F. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 2. Im Weitern machen die Beschwerdeführer unzumutbare Im- missionen geltend. Was im fraglichen Schlachthaus geschehe, sei für sie ekelerregend. Weil sie und ihre Kinder Vegetarier seien, hätten sie ein ganz anderes Verhältnis zu Tieren als andere Leute. Zudem gäben Tiere, die vor der Schlachtung stünden, in ihrer Todesangst sehr laute Geräusche von sich. Sie hätten ungehinderten Blick auf das Schlacht- lokal und könnten damit den Schlachtbetrieb mitverfolgen. a) Die Beschwerdeführer fühlen sich in erster Linie durch ide- elle (immaterielle) Immissionen gestört; darunter sind Einwirkungen durch Zustände oder Handlungen auf dem Ausgangsgrundstück zu verstehen, die das seelische Empfinden der Umgebung verletzen, in- dem sie unangenehme psychische Eindrücke wie Ekel oder Angst er- wecken (vgl. Arthur Meier-Hayoz, Berner Kommentar zum Schwei- zerischen Privatrecht, Band IV [Das Sachenrecht], Art. 684 N 72; BGE 108 Ia 144 ff.; VGE III/4 vom 31. Januar 1997 [BE.95.00268] in Sachen St., S. 11). Dem Umweltschutzrecht des Bundes ist dieser Begriff jedoch fremd (vgl. Heribert Rausch, Kommentar zum Um- weltschutzgesetz, hrsg. von der Vereinigung für Umweltrecht, Zürich 1994, Art. 7 N 7; Niccolò Raselli, Berührungspunkte des privaten und öffentlichen Immissionsschutzes, in: URP 11/1997, S. 286; ferner Bundesgericht, in: ZBl 94/1993, S. 89). Zu prüfen ist nun allerdings noch, ob sich die Beschwerdeführer auf § 63 der Bauord- nung (BO) der Gemeinde F. vom 26. Februar 1993/18. Januar 1994 berufen können. Danach sind übermässige Einwirkungen auf das Eigentum der Nachbarn und die weitere Umgebung untersagt (Abs. 1); verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage sowie Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht 2001 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 283 gerechtfertigten Einwirkungen durch Lärm, Erschütterung, Geruch, Abgase, Rauch, Russ, Dünste, Staub oder Strahlen (Abs. 2). Weil wie erwähnt das Bundesrecht den Begriff der ideellen Immission nicht kennt, verbleibt an sich dem kantonalen und kommunalen Recht auf diesem Feld noch ein Anwendungsspielraum (vgl. BGE 118 Ib 595 mit Hinweisen; AGVE 1999, S. 258 f.). § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BO entspricht wörtlich § 160 des früheren Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG). Zudem wird auf diese Bestimmungen noch eigens verwie- sen. Damit stellt der kommunale Gesetzgeber klar, dass er auch die einschlägige kantonale Praxis herangezogen wissen will. Der Begriff der Immission nach § 160 aBauG umfasste nun sowohl die materiel- len als auch die immateriellen Einwirkungen (vgl. Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, §§ 160/61 N 4). Allerdings wurde betont, dass subjektive Momente, d.h. behauptete psychische Beeinträchtigungen, stets nur unter grosser Zurückhaltung zu berücksichtigen seien (Zimmerlin, a.a.O., §§ 160/61 N 4 S. 416); abzustellen sei in objektiver Betrach- tungsweise darauf, wie sich die Immissionen auf einen nicht über- durchschnittlich empfindlichen Menschen auswirkten (Zimmerlin, a.a.O., §§ 160/61 N 6 S. 417). Nach diesem Massstab können die Beschwerdeführer zwar nicht verlangen, dass der Betrieb im fragli- chen Schlachtlokal eingestellt oder reduziert wird. Demgegenüber muss und darf aber verlangt werden, dass das Tor zum Schlachtlokal - entgegen bisheriger Handhabung - während des ganzen Schlacht- vorgangs stets geschlossen bleibt. Auch für einen durchschnittlich empfindsamen Menschen erscheint es unzumutbar, unfreiwilliger Zeuge des Schlachtvorgangs sein zu müssen. Dass die Massnahme betrieblich möglich ist, ergibt sich schon daraus, dass nach den An- gaben von S. das Tor bei kalter Witterung meistens geschlossen wird; allfällige Zusatzeinrichtungen (Ventilation usw.) wären Sache des Betreibers. Im Übrigen wird das Schliessen des Tors vom Fachbe- amten des kantonalen Veterinäramts auch aus hygienischen Gründen als erforderlich erachtet.
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852
AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2001-63_2001-02-03
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2015 Kantonale Steuern Migrationsrecht 107 III. Kantonale Steuern 14 Art. 21 und 23 DBA Steuerbarkeit in den USA erzielter Einkünfte aus Pokerspiel eines in der Schweiz der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden Steuerpflichti- gen Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 9. März 2015, i.S. X. ge- gen KStA (WBE.2013.498). Aus den Erwägungen 1.3. Die Steuerbarkeit von Pokergewinnen ist nicht an sich streitig. Jedoch ist zu prüfen, ob neben den in den USA darauf bereits erhobe- nen Steuern auch noch Raum für eine hiesige Besteuerung bleibt. 2. 2.1. Zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten besteht ein am 2. Oktober 1996 abgeschlossenes Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkom- men (DBA). Dieses gilt für Personen, die in einem der Vertragsstaa- ten ansässig sind (persönlicher Geltungsbereich, Art. 1 DBA), und für alle Steuern vom Einkommen, die für Rechnung eines Vertrags- staats erhoben werden (sachlicher Geltungsbereich, Art. 2 DBA). In der Schweiz fallen unter diese alle vom Bund, den Kantonen und Ge- meinden erhobenen Steuern vom Einkommen jeder Art (Art. 2 Ziff. 2 lit. a DBA). Für bestimmte Einkünfte findet sich in den Art. 6 bis 20 DBA eine ausdrückliche Zuteilungsregelung hinsichtlich Besteue- rung durch den einen oder anderen Staat. Die übrigen, in den vorangehenden Artikeln nicht geregelten Einkünfte fallen unter den Auffangtatbestand des Art. 21 DBA, für welche - hier nicht zutref- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 108 fende Ausnahmen vorbehalten - das Ansässigkeitsprinzip gilt. Art. 23 DBA bestimmt schliesslich, wie in den beiden Staaten die Doppelbesteuerung vermieden wird. 2.2. Keine ausdrückliche Kollisionsnorm enthält das DBA für Ein- künfte aus Wett-, Spiel- und Lotteriegewinnen. Sie sind damit grund- sätzlich als übrige Einkünfte im Sinne von Art. 21 DBA zu qualifizieren. Indessen hält dessen Ziff. 3 für die in einem der beiden Staaten besteuerten Einkünfte aus Wett-, Spiel- oder Lotteriegewin- nen fest, dass die Bestimmungen dieses Artikels nicht gälten. Es be- steht damit Auslegungsbedarf. 3. 3.1.-3.2 (...) 3.3. Der Kommentar der Schweizerisch-Amerikanischen Handels- kammer zum DBA zwischen der Schweiz und den USA (Update 2010) hält fest, dass das Abkommen alle schweizerischen Steuern auf Einkommen jeder Art erfasse. Zu Art. 21 DBA, den übrigen, vom Abkommen in den Art. 6 - 20 nicht ausdrücklich aufgeführten Ein- künften, führt er aus, der darin enthaltene Grundsatz der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat gelte für Einkünfte aus Lotteriegewinnen u. dgl. nicht. Demgemäss könnten solche Einkünfte von jedem Staat nach eigenem Recht besteuert werden. Im Ansässigkeitsstaat werde die vom anderen Staat erhobene Steuer entweder angerechnet (USA) oder von der Einkommenssteuer befreit (Schweiz). Art. 23 Ziff. 1 und 2 DBA beschreibe, wie die Doppelbesteuerung im Ansässig- keitsstaat zu vermeiden sei, wenn das Einkommen in beiden Staaten besteuert werden könne. Die Anwendung der Regeln von Art. 23 DBA führe in der Schweiz mittels Steueranrechung, Steuerabzug oder Steuerbefreiung zu einer vollständigen oder teilweisen Ver- meidung der Doppelbesteuerung. 3.4. Im Kommentar zum Internationalen Steuerrecht (M ARTIN Z WEIFEL /M ICHAEL B EUSCH /R ENÉ M ATTEOTTI [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Internationales Steuerrecht, Basel 2015) führen A NDREAS H ELBING /M ATHIAS H ÄNI in Art. 21 N 86 2015 Kantonale Steuern Migrationsrecht 109 aus, dass die meisten schweizerischen DBA die an der Quelle erhobenen Steuern auf Lotteriegewinnen ausdrücklich vom sachli- chen Anwendungsbereich ausnähmen, weshalb die Schweiz die auf solchen Gewinnen erhobene Verrechnungssteuer nicht erstatten müsse. Umgekehrt müsse die Schweiz allfälligen ausländischen Quellensteuern ebenfalls keine Rechnung tragen, sofern die Ausnah- mevorschrift beidseitig formuliert sei. Die Einschränkung erfolge in den meisten Abkommen im sachlichen Geltungsbereich, i.d.R. in Art. 2. In einzelnen DBA, u.a. demjenigen mit den USA, finde die Regelung Eingang in die Verteilungsnorm über die "anderen Ein- künfte", indem der "Artikel" bzw. die "Bestimmung" oder das "Ab- kommen" für solche Einkünfte nicht anwendbar erklärt werde. Die Rechtsfolge bestehe darin, dass das DBA für solche Einkünfte keine Entlastung gewähre. Werde nur der "Artikel" als nicht anwendbar er- klärt, sei denkbar, dass ein Lotteriegewinn als Unternehmensgewinn i.S.v. Art. 7 OECD-MA zur Besteuerung gelangen könne. 3.5. (...) 4. 4.1. Gemäss Art. 2 DBA gilt das Abkommen für Steuern auf Ein- kommen jeder Art. Es kann damit kein Zweifel bestehen, dass auch Einkünfte aus Wett-, Spiel- oder Lotteriegewinnen davon erfasst sind. Allerdings findet sich im Abkommen keine Zuteilungsnorm für solche Gewinne. Sie fallen kraft ausdrücklicher Regelung in Art. 21 Ziff. 3 DBA auch nicht unter die übrigen Einkünfte, die dem Ansässigkeitsstaat zur Besteuerung zugewiesen sind. Dies kann ein- zig bedeuten, dass kraft Doppelbesteuerungsabkommen keiner der Staaten das Besteuerungsrecht verliert. Nehmen beide Staaten - wie vorliegend - ihr Besteuerungsrecht in Anspruch, gilt zu prüfen, ob und wie die Doppelbesteuerung vermieden werden kann. 4.2. Gemäss Art. 23 Ziff. 1 DBA nimmt die Schweiz - hier nicht zu- treffende Ausnahmen vorbehalten - die von hier ansässigen Personen in den USA gemäss Abkommen berechtigterweise erhobenen und nachweislich bezahlten Steuern auf Einkünften von der hiesigen Be- steuerung aus. Das diesbezügliche Einkommen wird bei der Festset- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 110 zung der Steuer für das übrige Einkommen jedoch satzbestimmend berücksichtigt (Progressionsvorbehalt). Umgekehrt rechnen die USA bei einer dort ansässigen Person den entsprechenden Betrag der schweizerischen Steuer an die Einkommenssteuer der Vereinigten Staaten an (Art. 23 Ziff. 2 DBA). 4.3. Würde Art. 23 Ziff. 1 DBA auf den vorliegenden Fall zur Anwendung gelangen, bedeutete dies, dass - wie vom Beschwer- deführer beantragt - der in den USA versteuerte Gewinn in der Schweiz lediglich satzbestimmend zu berücksichtigen wäre, was sich (nur) in einer höheren Progression des hiesigen steuerbaren Ein- kommens auswirken würde. Eine effektive Besteuerung in der Schweiz würde unterbleiben. 4.4. Das Abkommen enthält, wie dargelegt, keine Bestimmung, wel- che das Besteuerungsrecht auf in den USA erzielten Einkünften aus Wett-, Spiel- oder Lotteriegewinnen den USA allein zuweisen würde. Vielmehr behält Art. 21 Ziff. 3 DBA das Besteuerungsrecht beider Länder vor, womit die Schweiz ebenfalls zur effektiven Besteuerung berechtigt ist. Dies bedeutet, dass, soll es denn zu einer Entlastung kommen, die USA ihrerseits die in der Schweiz geschuldete Steuer bei der Besteuerung in einer Form zu berücksichtigen hätte. Hier ver- sagen jedoch die entsprechenden Bestimmungen des Abkommens. Die Vermeidung der Doppelbesteuerung in den Vereinigten Staaten bezieht sich gemäss Art. 23 Ziff. 2 und 3 DBA nur auf Fälle von dort ansässigen Personen oder Personen mit dortiger Staatsbürgerschaft. Der vorliegende Fall, wo der Steuerpflichtige mit Ausnahme des er- zielten Einkommens keinen weiteren Bezug zu den USA hat, findet sich dagegen nicht geregelt. 4.5. So wie eine ausdrückliche Regelung über die Zuweisung des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus Wett-, Spiel- oder Lotteriege- winnen fehlt und sie ausdrücklich vom Auffangtatbestand der übri- gen Einkünfte gemäss Art. 21 Ziff. 1 (und 2) DBA ausgenommen sind, fehlt es auch an einer ausdrücklichen Regelung betreffend Ver- meidung der Doppelbesteuerung. Die Anwendung der Bestimmung 2015 Kantonale Steuern Migrationsrecht 111 von Art. 23 Ziff. 1 DBA führt zu keinem sachgerechten Ergebnis, wenn davon auszugehen ist (siehe vorne Erw. 4.1), dass mit der Nichtanwendbarkeit von Art. 21 Ziff. 1 und 2 DBA beiden Staaten ein effektives Besteuerungsrecht zusteht. Würde es demgegenüber bei der Massgeblichkeit von Art. 23 Ziff. 1 DBA bleiben, liefe dies im Ergebnis darauf hinaus, dass das Besteuerungsrecht allein dem Quellenstaat zugewiesen wäre. Die Schweiz käme nur dann zum Zuge, wenn der Quellenstaat tatsächlich nicht besteuern würde. Hat gemäss Abkommen keiner der beiden Staaten hinsichtlich seines Be- steuerungsrechts zurückzutreten, so haben auch beide Staaten An- spruch auf einen effektiven Anteil am Steuersubstrat und gewährt das Abkommen keine oder jedenfalls keine volle Entlastung (H ELBING /H ÄNI , a.a.O., Art. 21 N 86, vgl. vorne Erw. 3.4). Bei An- wendbarkeit von Art. 23 Ziff. 1 DBA wäre dies nicht gewährleistet (siehe vorne Erw. 4.3.). 4.6. Gemäss Art. 3 Ziff. 2 DBA hat bei der Anwendung des Abkom- mens durch einen Vertragsstaat jeder darin nicht definierte Ausdruck die Bedeutung, die ihm nach dem Recht dieses Staates zukommt, es sei denn, der Zusammenhang erfordere etwas anderes oder die zuständigen Behörden hätten sich in einem Verständigungsverfahren nach Art. 25 DBA auf eine gemeinsame Auslegung geeinigt. Ein Ver- ständigungsverfahren, das vom Steuerpflichtigen zu initiieren wäre, hat vorliegend nicht stattgefunden. Die Steuerbehörden haben die in den USA bezahlten Steuern zum Abzug gebracht und damit, wenn auch nur teilweise, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung beigetragen. Dieses Vorgehen ist zutreffend, hängt doch die im Ausland geschuldete bzw. erhobene Steuer unmittelbar mit der Erzielung des betreffenden Einkommens zusammen und kommt ihr daher Gewinnungskostencharakter zu (vgl. M ADELEINE S IMONEK , in: Z WEIFEL /B EUSCH /M ATTEOTTI , a.a.O., Art. 23 A, B N 43). Zu einer weitergehenden Entlastung sind die Steuerbehörden mangels ausdrücklicher Regelung im Doppelbe- steuerungsabkommen nicht verpflichtet (H ELBING /H ÄNI , in: Z WEIFEL /B EUSCH /M ATTEOTTI , a.a.O., Art. 21 N 86). Dies ist vom Beschwerdeführer hinzunehmen.
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2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 190 32 Varianten; Pauschalangebot Eine Vergütungsart, die von den Bedingungen der Ausschreibung ab- weicht, stellt keine Variante, sondern ein ausschreibungswidriges Angebot dar. Will die Vergabestelle verschiedene Vergütungsarten zulassen, muss sie die Zulässigkeit und die notwendigen Rahmenbedingungen in den Ausschreibungsunterlagen festlegen, um die Vergleichbarkeit der Ange- bote zu gewährleisten. (Bestätigung/Präzisierung der Rechtsprechung) Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 13. März 2014 in Sachen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2013.550). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Den Anbietenden steht es grundsätzlich frei, Offerten für Varianten und Teilangebote einzureichen (vgl. § 16 Abs. 1 SubmD). Die Frage, ob es sich bei einem Pauschal- oder Globalangebot um eine zulässige Variante zum Grundangebot oder um ein ausschrei- bungswidriges Angebot handelt, war in der Lehre und Rechtspre- chung ursprünglich umstritten (vgl. dazu Urteil des Verwaltungsge- richts des Kantons Zürich vom 19. Mai 2010 [VB.2009.00668], Erw. 7.3, mit Hinweisen). Nach Art. 22a Abs. 2 der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 11. Dezember 1995 (VöB; SR 172.056.11) gelten seit dem 1. Januar 2010 im Bundessub- missionsrecht unterschiedliche Preisarten ausdrücklich nicht als 2014 Submissionen 191 Varianten. Eine andere Preisart (z.B. Pauschal- oder Globalpreis an- stelle des in der Amtsvariante vorgesehenen Einheitspreises) ist keine Variante, sondern ein ausschreibungswidriges Angebot (was zum Ausschluss führt), falls die Vergabestelle die diesbezügliche Möglichkeit nicht ausdrücklich eingeräumt hat (vgl. Eidgenössisches Finanzdepartement [EFD], Erläuternder Bericht zur Änderung der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 18. No- vember 2009, S. 15 zu Art. 22a VöB; vgl. auch P ETER G ALLI /A NDRÉ M OSER /E LISABETH L ANG /M ARC S TEINER , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 768). Auch nach der publizierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts (AGVE 2003, S. 279 f.) stellt eine Vergütungsart, die von den Be- dingungen der Ausschreibung abweicht, nicht eine Variante, sondern ein ausschreibungswidriges Angebot dar. Eine Variante im Sinne von § 16 Abs. 1 SubmD beinhaltet immer eine leistungsbezogene Abwei- chung von den Ausschreibungsunterlagen (z.B. Projekt- oder Ausführungsvariante); mit ihr soll den Anbietern die Möglichkeit eingeräumt werden, von der Amtslösung abweichende, innovative Alternativen anzubieten. Demgegenüber wird bei einer von den Bedingungen der Ausschreibung abweichenden Vergütungsart in Be- zug auf die nachgefragte Leistung - gleich wie beim Grundangebot - lediglich die Amtslösung angeboten. Wesentlich erscheint auch, dass sich Pauschal- und Einheitspreisangebote nicht bzw. höchstens be- dingt miteinander vergleichen lassen und dadurch die seriöse sachli- che Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots erheblich er- schwert wird. Die Preisbestimmung erfolgt bei den verschiedenen Preisarten nach ganz anderen Grundsätzen. Weicht beispielsweise die im Leistungsverzeichnis zu den einzelnen Leistungen angenommene Menge von der für die geschuldete Einheitspreisvergütung massgeblichen tatsächlichen Menge ab, so kann ein höherer Einheits- preis preislich günstiger sein als ein tieferes Pauschalangebot. Umge- kehrt kann ein höherer Pauschalpreis günstiger sein als ein Angebot mit Einheitspreisen und zusätzlich separat zu entschädigenden Regiearbeiten. Will die Vergabebehörde dennoch verschiedene Ver- gütungsarten zulassen, muss sie folglich in den Ausschreibungsunter- lagen die Zulässigkeit und die notwendigen Rahmenbedingungen 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 192 festlegen, um die Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten (AGVE 2003, S. 280 f.; ferner Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Januar 2003 [VB.2002.00195], Erw. 4a; Ur- teil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Dezember 2003 [VB.2003.00256], Erw. 3.3 - 3.5; Urteil des Verwaltungsge- richts des Kantons Zürich vom 19. Mai 2010 [VB.2009.00668], Erw. 7.3, mit weiteren Hinweisen; vgl. auch § 12 Abs. 2 SubmD in Verbindung mit Ziff. 6 von Anhang 5 zum SubmD). 2.2. In Ziff. 1.5.1. der Submissionsunterlagen wird "ein vollständig ausgefülltes und unterzeichnetes Akkordangebot" verlangt. Die Sub- missionsunterlagen lassen zwar Varianten zum bestehenden Be- schrieb zu, enthalten aber keine Vorschriften über Zulässigkeit und Bedingungen für Pauschal- oder Globalangebote. Schon deshalb war die Vergabestelle weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, Pau- schalangebote beim Zuschlag zu berücksichtigen (vgl. AGVE 2003, S. 281). Die Vergabestelle selbst geht zudem davon aus, dass die vor- liegenden Submissionsunterlagen, insbesondere die beiden beigeleg- ten Baupläne, mangels Detaillierungsgrad für das Einreichen eines Pauschalangebots untauglich sind. Auch seien im Leistungsverzeich- nis bzw. in den Akkordangeboten Ausmassreserven zwischen 5 und 10% bzw. rund Fr. 30'000.00 enthalten. Das Verwaltungsgericht hat keine Veranlassung, diese Angaben der Vergabestelle in Zweifel zu ziehen, zumal die Beschwerdeführerin den fehlenden Detaillierungs- grad zumindest der beigelegten Pläne indirekt selbst dadurch bestä- tigt hat, dass sie offenbar in Eigenregie zusätzliche Pläne beizog. Die Vergleichbarkeit des Pauschalangebots der Beschwerdeführerin mit den verlangten Einheitspreisangeboten ("Akkordangeboten") ist so- mit nicht gegeben, weshalb die Vergabestelle das Pauschalangebot auch aus diesem Grund zu Recht nicht berücksichtigt hat.
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2014-32_2014-03-03
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2007 Verwaltungsgericht 120 [...] 32 Ästhetische Berurteilung von Dachflächenveränderungen in der Dorf- kern-Schutzzone. - Rechtsgrundlagen (Erw. 1). - Anforderungen an die gesetzliche Grundlage bei Nutzungsbeschrän- kungen, die dem Schutz des Ortsbildes dienen; Verhältnis des Orts- bildschutzes zum Gebot der inneren Verdichtung (Erw. 4). - Bedeutung der Dachflächen für das Ortsbild; Beurteilung von Dach- flächenveränderungen unter dem Aspekt der inneren Verdichtung, der Randlage der Bauparzelle und der spezifischen Gestaltung (Erw. 5). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Juni 2007 in Sa- chen Eheleute U. und Mitbeteiligte gegen BVU (WBE.2006.103). 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 121 Sachverhaltszusammenfassung Mit Beschluss vom 24. Mai 2004 erteilte der Gemeinderat Obersiggenthal den Eheleuten U. die Bewilligung für den Abbruch der Scheune und für eine Neubaute mit 4 Wohnungen und Tiefgarage am Kirchweg 122 (Parzelle Nr. 623 und 624) in Kirchdorf (Gemein- de Obersiggenthal). Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 bewilligte die Bauverwaltung Obersiggenthal ein zusätzliches Dachfenster auf der Nordseite unter der Voraussetzung, dass das Fenster die Masse 55 x 78 cm einhalte und oberkant Fenster auf der gleichen Höhe ange- bracht werde wie die links daneben liegenden Dachflächenfenster. Mit Gesuch vom 5. April 2005 ersuchten die Eheleute U. um eine Bewilligung für den zusätzlichen Einbau eines Dachflächenfensters auf der Südseite der vorgenannten Liegenschaft. Nachdem der Ge- meinderat Obersiggenthal festgestellt hatte, dass der Einbau des Dachflächenfensters bereits erfolgt war und zudem noch weitere un- bewilligte Dachflächenveränderungen vorgenommen worden waren, verfügte er am 11. Mai 2005 einen Baustopp, worauf die Bauherr- schaft am 18. Mai 2005 ein nachträgliches Gesuch um Bewilligung der Dachflächenveränderungen stellte. Mit Beschluss vom 20. Juni 2005 wies der Gemeinderat Obersiggenthal dieses Gesuch ab und ordnete den Rückbau der ohne Bewilligung bzw. nicht bewilligungs- konform ausgeführten Dachflächenveränderungen an (auf der Nord- seite: drei Glasziegelfelder im Traufbereich, drei Glasziegelfelder in der oberen Dachhälfte sowie ein falsch montiertes Dachflächenfens- ter; auf der Südseite Glasziegelfeld im Traufbereich und ein Dachflä- chenfenster westlich der Lukarne). Eine dagegen erhobene Verwal- tungsbeschwerde wies das BVU mit Entscheid vom 23. Februar 2006 ab. Aus den Erwägungen II. Strittig ist vor Verwaltungsgericht, ob die formell rechtswidrig realisierten Dachflächenveränderungen (Glasziegelfelder und Dach- 2007 Verwaltungsgericht 122 flächenfenster) an der Nord- und Südseite der Liegenschaft am Kirchweg 122 in Kirchdorf unter ästhetischen Gesichtspunkten be- willligungsfähig sind oder nicht (...). 1. (...) 1.1. Gemäss Zonenplan der Gemeinde Obersiggenthal vom 5. De- zember 1996 (genehmigt durch den Grossrat am 31. März 1998) liegt die streitbetroffene Liegenschaft in der Dorfkern-Schutzzone (DK). Nach § 9 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde Ober- siggenthal vom 5. Dezember 1996 ([BNO]; gleiches Genehmigungs- datum wie der Zonenplan) umfasst diese Zone den alten Kern von Kirchdorf. Sie bezweckt die Erhaltung und Sanierung der bestehen- den Nutzungsart und Bausubstanz (Abs. 1). Bestehende Bauten kön- nen unter Wahrung des vorhandenen Umfangs, der First- und Trauf- höhen umgebaut und erneuert werden, sofern dadurch ihre wesent- lichen Merkmale erhalten bleiben. Wesentliche Merkmale sind na- mentlich Dachform, Fassadengliederung, Bausubstanz, Materialien und Farbgebung (Abs. 3). Neubauten müssen sich betreffend Stel- lung, Abmessung, Dachform, Fassadengliederung, Materialien, Far- ben und Freiraumgestaltung gut in die bestehende Bebauung einfü- gen. Die herkömmliche Bauweise ist zu berücksichtigen (Abs. 4). Sowohl die Vorinstanz als auch die Beschwerdeführer gehen über- einstimmend und zutreffend von der Anwendbarkeit dieser Bestim- mung aus. 1.2. Wie § 9 Abs. 4 BNO verankert auch § 42 BauG ein Einfügungs- bzw. Einordnungsgebot. Nach dieser Vorschrift haben sich Gebäude hinsichtlich ihrer Grösse, Gestaltung und der Oberfläche des Baukör- pers sowie dessen Aussenraumes so in die Umgebung einzuordnen, dass eine gute Gesamtwirkung entsteht (Abs. 1). Bauten, Anschrif- ten, Bemalungen, Antennen und Reklamen dürfen insbesondere Landschaften sowie Orts-, Quartier- und Strassenbilder nicht beein- trächtigen (Abs. 2). Was das Einordnungsgebot betrifft, geht jedoch § 9 Abs. 4 BNO als Spezialvorschrift der Dorfkern-Schutzzone DK der allgemeineren Regel des § 42 BauG vor. Mit Fragen des Ortsbild- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 123 schutzes befasst sich ferner § 40 BauG. Allerdings ist davon auszu- gehen, dass § 9 BNO die ästhetischen Anforderungen an Bauten in der Dorfkern-Schutzzone DK abschliessend regelt; § 40 BauG ent- hält lediglich allgemeingültige Planungsgrundsätze, welche im Ein- zelfall vor den spezifischen Zonenvorschriften zurückzutreten haben. 1.3. Das Ortsbild von Kirchdorf figuriert im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS; siehe Anhang zur Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 [VISOS; SR 451.12]). Die betreffende Parzelle befindet sich im ISOS-Perimeter, Gebiet G 1, und gehört zum alten Dorf bzw. zur bäuerlichen Altbebauung. Dieser Dorfteil ist in das ISOS mit dem Erhaltungsziel A aufgenommen worden. Danach sind alle Bauten, Anlageteile und Freiräume integral zu erhalten und störende Eingriffe zu beseitigen. Dem ISOS lässt sich weiter das Folgende entnehmen (ISOS, Inventar der schützens- werten Ortsbilder der Schweiz, Ortsbilder von nationaler Bedeutung, Kanton Aargau I, Aarau-Klingnau, hrsg. vom Eidgenössischen De- partement des Innern, Bern 1988, S. 373 ff. sowie Erläuterungen zum ISOS): "Das alte Dorf zeichnet sich noch heute durch eine gesamthaft gut erhaltende Bausubstanz aus. Durch die oftmals abgedrehte oder abgewinkelte Stellung der Bauten zueinander entstehen wechselvolle Raumabfolgen mit kleinen Hofbildungen und verengten Durchgän- gen. Grossvolumige, langgestreckte Bauernhäuser, zum Teil mit mehreren Wohn- und Oekonomieteilen unter einem durchlaufenden Längsfirst, weisen mit den sandsteingefassten Tenntoren und den ge- schlossenen Giebelfronten auf die Einflüsse des Jurahauses hin. Durch die verdichtete Bauweise mit markanten Einzelbauten hebt sich der Zentrumsbereich sowohl baulich wie räumlich von der übri- gen Altbebauung ab. Die eng um die Strassenkreuzung gruppierten Bauten umschliessen hier zusammen mit der mächtigen, geschwun- genen Kirchhofmauer einen schönen Dorfplatz. Neben der Kirche (...), die durch ihre zentrale Lage sowohl das äussere wie innere Orts- bild dominiert, sind es vor allem ein typologisch interessantes Doppelbauernhaus (...), der Gasthof Hirschen (...), die alte Pfarr- 2007 Verwaltungsgericht 124 scheune (...) sowie das stattliche Pfarrhaus (...) mit seinem charakte- ristischen Mansartdach, welche die bauliche Hauptakzente in der Ortsmitte bilden. Die äusseren Bereiche der Altbebauung weisen mehrheitlich bescheidenere Bauernhäuser mit Stilmerkmalen des 19. Jahrhunderts auf (...). Obwohl die Umnutzung der bäuerlichen Altbauten zu reinen Wohnzwecken vielfach schon vollzogen ist, blieb der ursprüngliche Gesamtcharakter durch relativ geringe Ein- griffe in die Altbausubstanz und die gut erhaltenen bäuerlichen Zwischenbereiche bewahrt. (...)." Das ISOS ist für sich allein nicht grundeigentümerverbindlich (VGE III/29 vom 22. April 1993 [BE.92.00047], S. 9 mit Hinweis). Rechtsverbindlich ist ausschliesslich seine Umsetzung in der Nut- zungsplanung (vgl. auch § 40 Abs. 1 lit. f BauG). Die Gemeinde Obersiggenthal hat das Inventar insoweit umgesetzt, als sie das Ge- biet G 1 gemäss ISOS im Rahmen der Nutzungsplanung mehrheit- lich (und inklusive der streitbetroffenen Liegenschaft) der Dorfkern- Schutzzone DK zugeordnet hat, für welche nach § 9 BNO besondere Gestaltungsvorschriften gelten. 1.4. Bezüglich der anwendbaren Rechtsgrundlagen ist somit zusam- menfassend festzuhalten: Massgebend für die ästhetische Beurteilung der Dachgestaltung ist § 9 Abs. 4 BNO, der unter anderem verlangt, dass sich Neubauten bezüglich Dachform und Materialien gut in die bestehende Bebauung einordnen. 2. (...) 3. (...) 4. Die Beschwerdeführer stellen das Interesse an einer uneinge- schränkten Wohnnutzung der streitbetroffenen Liegenschaft in ver- schiedener Hinsicht über die Anliegen des Ortsbildschutzes. Es ist daher zu erörtern, wie diese unterschiedlichen Anliegen zu gewichten sind und ob im konkreten Fall eine hinreichende gesetzliche Grundlage besteht, die Wohnnutzung aus Gründen des Ortsbildschut- zes einzuschränken. 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 125 4.1. Nach § 7 BNO ist die zulässige Anzahl der Vollgeschosse in der Dorfkern-Schutzzone DK nicht von vornherein begrenzt. Der Ge- meinderat hat die zulässige Anzahl Geschosse in dieser Zone unter Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen im Einzelfall bzw. in einem Reglement festzuhalten (Abs. 1 und 4). Vorliegend ge- hen sowohl der Gemeinderat als auch die Beschwerdeführer davon aus, dass eine Wohnnutzung des Dachgeschosses im konkreten Fall grundsätzlich zulässig ist. Das entspricht auch dem öffentlichen In- teresse an einer Verdichtung der Wohnnutzung innerhalb bestehender Bauvolumen und damit dem Gebot einer haushälterischen Nutzung des Bodens (vgl. auch Art. 3 Abs. 3 RPG; § 46 BauG). Der Orts- bildschutz richtet sich dagegen nach § 9 Abs. 4 BNO. Diese Norm enthält zwar ein Eingliederungsgebot, ist jedoch relativ unbestimmt formuliert. Insbesondere macht sie keine detaillierte Aussage zur Ge- staltungsweise von Bauten im Allgemeinen oder von Dächern im Be- sondern. Gleichwohl bildet § 9 Abs. 4 BNO grundsätzlich eine genü- gende gesetzliche Grundlage, um die Errichtung von Bauten wegen eines Beeinträchtigungsmangels zu verweigern, auch wenn diese sonst den baupolizeilichen Vorschriften genügen würden (vgl. allge- mein BGE 114 Ia 345 f.; AGVE 1993, S. 380 mit Hinweis). 4.2. Die Anliegen einer uneingeschränkten Wohnnutzung der Lie- genschaft und dasjenige des Ortsbildschutzes stehen in einem gewis- sen Spannungsverhältnis zueinander: Während § 7 BNO eine Wohn- nutzung des Dachgeschosses grundsätzlich erlaubt, kann die Anwen- dung von § 9 Abs. 4 BNO zu einer Einschränkung der Wohnnutzung aus Gründen des Ortsbildschutzes führen. Zum Verhältnis dieser ge- genläufiger Interessen lässt sich festhalten: Wo eine Wohnnutzung aufgrund der einschlägigen Zonenvorschriften prinzipiell erlaubt ist, bildet eine allgemeine Ästhetikbestimmung wie § 9 Abs. 4 BNO kei- ne genügende gesetzliche Grundlage, um die Wohnnutzung aus Gründen des Ortsbildschutzes generell zu unterbinden. Eine derart weitgehende Einschränkung der Wohnnutzung aus Gründen des Ortsbildschutzes würde vielmehr eine spezifische Vorschrift zum Schutz des Ortsbildes voraussetzen bzw. eine klare gesetzliche 2007 Verwaltungsgericht 126 Grundlage, welche den Interessen am Ortsbildschutz gegenüber demjenigen an der uneingeschränkten Wohnnutzung den Vorrang einräumt. Lässt jedoch die Anwendung der allgemeinen Ästhetikvor- schrift Raum für eine sinnvolle und wohnhygienisch unbedenkliche Wohnnutzung, wiegt der mit dem Ortsbildschutz verbundene Eingriff in die Eigentumsfreiheit weniger schwer. In solchen Fällen bildet im Allgemeinen auch eine ästhetische Generalklausel eine genügende gesetzliche Basis, um die Wohnnutzung aus gestalterischen Gründen einzuschränken (vgl. zum Zusammenhang zwischen der Schwere des Eingriffs in die Eigentumsfreiheit und den Anforderungen an die gesetzliche Grundlage AGVE 1993, S. 380 f.; 1989, S. 251 mit Hin- weisen). Sollen Werte wie die Einheitlichkeit einer bestehenden Überbauung den Beurteilungsmassstab abgeben, kann dies naturge- mäss nur in einer offenen Norm geschehen, die der Behörde ein Er- messen zubilligt bzw. mit unbestimmten Begriffen operiert (AGVE 1993, S. 380). Allerdings darf eine Baubewilligung auch in solchen Fällen nicht wegen jedes noch so geringfügigen Beeinträchtigungs- mangels verweigert werden. Die Eigentumsgarantie verlangt, dass ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Bewilligungsverwei- gerung besteht und dass diese nicht gegen das Prinzip der Verhältnis- mässigkeit verstösst (vgl. ZBl 82/1981, S. 123 f.). 4.3. Vorliegend steht fest, dass die für Neubauten geltenden Mini- malmasse für Fensterflächen nach § 29 BNO eingehalten sind. Zu- sätzliche Dachdurchbrüche wie die streitbetroffenen sind daher aus wohnhygienischen Gründen nicht notwendig. Der Gemeinderat Obersiggenthal verbietet Dachdurchbrüche im Übrigen nicht gene- rell. Vielmehr bewilligt er ausweislich der Akten (notwendige) Gau- ben, Lukarnen und Querfirste in massvoller Kombination mit Schrägfenstern, sofern die Dachgestaltung den ästhetischen Anforde- rungen genügt. Dabei geht es dem Gemeinderat in ästhetischer Hin- sicht darum, dass die Dächer als ruhige Flächen in Erscheinung tre- ten und nur mit wenigen gleichartigen Elementen durchbrochen wer- den. Als Richtschnur dient dem Gemeinderat (in Anlehnung an § 16 Abs. 1 ABauV) ferner die Regel, dass die Dachdurchbrüche 1/3 der Dachlänge nicht überschreiten sollen. Dachdurchbrüche lässt der 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 127 Gemeinderat grundsätzlich nur im unteren Bereich des Daches zu, der weniger gut einsehbar ist. Schliesslich steht er Kombinationen von verschiedenen Belichtungselementen kritisch gegenüber. Folglich wendet der Gemeinderat Obersiggenthal § 9 BNO so an, dass eine sinnvolle und wohnhygienisch unbedenkliche Wohn- nutzung der Dachgeschosse in der Dorfkern-Schutzzone möglich bleibt. Solange dies sichergestellt ist, bildet § 9 Abs. 4 BNO grund- sätzlich eine genügende Grundlage, um die Eigentumsfreiheit von Grundeigentümern im Interesse des Ortsbildschutzes einzuschrän- ken. 5. § 9 Abs. 4 BNO lässt dem Gemeinderat bei der ästhetischen Be- urteilung von Dachflächenveränderungen ein weites Ermessen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Gemeinderat bei seiner ästhetischen Beurteilung von Bauvorhaben völlig frei ist. Er hat bei seinem Ermessensentscheid den Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung zu beachten. Ausserdem hat er insbesondere das Rechtsgleichheitsge- bot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Pflicht zur Wahrung der öffentlichen Interessen zu befolgen (vgl. Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich 2006, Rz. 441). 5.1. In diesem Kontext stellt sich zunächst die Frage, ob der Ge- meinderat Obersiggenthal bei seinem Ermessensentscheid den Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung beachtet hat. Die Beschwer- deführer tragen verschiedene Argumente vor, die unter diesem Ge- sichtspunkt zu prüfen sind. 5.1.1. Die Beschwerdeführer rügen zunächst, das Gesetz verlange ein "Einfügen" und nicht ein "Angleichen". Der BNO lasse sich zudem nicht entnehmen, dass Dachflächen harmonisch sein müssten. Es ge- be auch keine gesetzliche Grundlage, dass Dachflächenfenster nur im unteren Bereich und nur mit Zurückhaltung geöffnet werden dürften. § 9 Abs. 4 BNO stellt an die ästhetische Gestaltung von Bauten in der Dorfkernzone besondere Anforderungen, indem er vorschreibt, dass sich Neubauten in die bestehende Bebauung einfügen müssen. 2007 Verwaltungsgericht 128 § 9 Abs. 4 BNO bezweckt damit den Schutz des Ortsbildes in der Dorfkern-Schutzzone. Die Dachgestaltung hat wesentlichen Einfluss auf das Ortsbild, was der als Fachperson befragte Vertreter der kanto- nalen Ortsbildpflege an der verwaltungsgerichtlichen Augenscheins- verhandlung unterstrichen hat. Namentlich Ausmass, Gestaltung und Platzierung von Dachdurchbrüchen wirken sich auf den Eindruck aus, den eine Siedlung vermittelt. Dabei ist es sachlich auch geboten, auf Details zu achten; der Gesamteindruck aus all den Einzelheiten macht in solchen Dorfkernen erst das Wesen des Ortsbildes aus (vgl. auch AGVE 1983, S. 209 mit Hinweis). Eine Regulierung der Dach- gestaltung dient daher grundsätzlich dem Interesse am Ortsbild- schutz, wie es in § 9 Abs. 4 BNO zum Ausdruck kommt. Da sich Neubauten auch bezüglich ihrer Dachgestaltung in die Umgebung einfügen müssen, ist es durchaus richtig, wenn die Vorinstanz vom Erfordernis einer "harmonischen" Dachgestaltung spricht. Unter dem Aspekt des Ortsbildschutzes geht es dem Gemeinde- rat darum, dass die Dächer als ruhige Flächen in Erscheinung treten und nur mit wenigen gleichartigen Elementen durchbrochen werden. Der Gemeinderat konnte sich in der Vergangenheit bei der Beurtei- lung von Dachgestaltungsmassnahmen zwar nicht auf spezifische Vorschriften oder Arbeitsgrundlagen berufen, welche die ästheti- schen Anforderungen an Dachgestaltungen in generell-abstrakter Weise umschreiben, er hat sich jedoch bei seiner Beurteilung im Einzelfall objektiver und grundsätzlicher Kriterien bedient: So diente ihm als Richtschnur die Regel, dass Dachdurchbrüche in der Regel 1/3 der Dachlänge nicht überschreiten sollen. Auch wenn sich § 16 Abs. 1 ABauV auf die Geschossigkeit bezieht, bleibt es dem Gemeinderat unbenommen, bei der ästhetische Beurteilung von Dachflächenveränderungen eine solche Drittelsregel anzuwen- den. Das erscheint insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil das Ver- hältnis von Dachlänge und Dachdurchbrüchen eine Aussage über die Einheitlichkeit und Geschlossenheit einer Dachfläche zulässt. Es liegt auf der Hand, dass mit dem Ausmass der Dachdurchbrüche auch die Einheitlichkeit der Dachlandschaft schwindet. Der Gemein- derat liess ferner Dachdurchbrüche nur im unteren Bereich des Da- ches zu, der weniger gut einsehbar ist, was ebenfalls sachlich ge- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 129 rechtfertigt und nachvollziehbar erscheint. Schliesst steht der Ge- meinderat auch Kombinationen von verschiedenen Belichtungsele- menten kritisch gegenüber. Auch diese Haltung dient in objektiv nachvollziehbarer Weise der Erhaltung einer ruhigen Dachlandschaft. Durch die Anwendung solcher objektiver und grundsätzlicher Krite- rien hat der Gemeinderat dem Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit Genüge getan. Dem Gemeinderat muss ausserdem attestiert werden, dass es sich bei den Anliegen des Ortsbildschutzes nicht um ein blosses Lip- penbekenntnis handelt. Das zeigte auch der verwaltungsgerichtliche Augenschein. Es ist dem Gemeinderat Obersiggenthal gelungen, die Dachlandschaft in der Dorfkern-Schutzzone weitgehend ruhig und geschlossen zu halten. Diese ist geprägt von zahlreichen grossen, nicht oder nur durch relativ kleine Öffnungen durchbrochenen Dach- flächen. Dies beurteilt der Vertreter der kantonalen Ortsbildpflege genau so. Der heutige Zustand der Dachlandschaft lässt darauf schliessen, dass der Gemeinderat die Anliegen des Ortsbildschutzes schon in der Vergangenheit ernst genommen hat. Gleichzeitig spricht die Beschaffenheit der Dachlandschaft gegen die Behauptung der Beschwerdeführer, der Gemeinderat würde in ihrem Fall besonders strenge Massstäbe anlegen. 5.1.2. Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, das Gebot der in- neren Verdichtung führe dazu, dass die Dachgeschosse heute genutzt werden sollen und können. Obwohl sich die massgebenden tatsächli- chen und rechtlichen Bedürfnisse grundlegend verändert hätten, lasse die Praxis des Gemeinderats keinerlei Veränderungen zu. Es trifft jedoch nicht zu, dass der Gemeinderat keinerlei Verän- derungen an den bestehenden Gebäuden zulässt. Er bewilligt inner- halb bestimmter Grenzen Dachdurchbrüche, was eine sinnvolle und wohnhygienisch unbedenkliche Wohnnutzung der Dachgeschosse er- möglicht. Eine solche Nutzung ist auch im konkreten Fall gewähr- leistet. Wenn der Gemeinderat die Anliegen des Ortsbildschutzes im Übrigen stärker gewichtet als die Nutzungsinteressen der betroffenen Grundeigentümer mag darin aus der Sicht der Beschwerdeführer eine konservative Grundhaltung zum Ausdruck kommen, eine solche 2007 Verwaltungsgericht 130 Praxis verstösst jedoch nicht gegen Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung. Sie liegt vielmehr klar innerhalb des Beurteilungsspiel- raumes, der dem Gemeinderat auf Grund der Gemeindeautonomie zugebilligt werden muss. Es geht hier um die Entscheidung einer Frage, die von typisch lokaler Bedeutung ist; der Gemeinderat muss hier unter verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auswählen können, sofern und soweit er seine Wahl mit entsprechenden Argumenten un- terlegen kann (AGVE 2002, S. 210). Vorliegend lässt sich die Praxis des Gemeinderats mit dem Aspekt des Ortsbildschutzes ohne weiteres begründen. Da sie Raum lässt für eine sinnvolle und wohn- hygienisch unbedenkliche Wohnnutzung der Dachgeschosse, kommt auch der Frage keine entscheidende Bedeutung zu, ob sich die Be- lichtungssituation durch die rechtswidrig realisierten Dachöffnungen entscheidend verbessert hat. Jedenfalls vermögen die Glasziegelfel- der im Traufbereich die Belichtungssituation in den darunter liegen- den Wohnung nicht wesentlich zu verbessern. Insofern schliesst sich das Verwaltungsgericht auf Grund eigener Feststellungen anlässlich des Augenscheins der Auffassung der Fachperson an. Da die Dachdurchbrüche bei der streitbetroffenen Liegenschaft ein ästhetisch problematisches Ausmass erreicht haben, erscheint es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer im konkreten Fall auch vertretbar, einem Bauherrn aus Gründen des Ortsbildschutzes die künstliche Belichtung und Belüftung einer einzelnen Nasszelle zuzumuten. Bei Altbauten ist es nicht unüblich, dass Nasszellen gefangene Räume sind, die künstlich belichtet und belüftet werden müssen (so auch bei Neubauten wie z.B. Terrassenwohnungen). Die Anordnung künstlicher Belichtungs- und Belüftungsmassnahmen verstösst weder gegen Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung noch stellt sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Eigentumsfrei- heit dar, der eine spezifische gesetzliche Grundlage voraussetzen würde. Eine solche Anordnung kann und darf sich mithin auch auf eine ästhetische Generalklausel stützen. 5.1.3 Die Beschwerdeführer führen ferner ins Feld, ihr Grundstück liege an der Peripherie der Dorfkern-Schutzzone. Die Nachbarliegen- schaften müssten sich nicht "gut in die bestehende Bebauung ein- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 131 fügen". Entsprechend uneinheitlich sei im konkreten Fall der Mass- stab für die zu wählenden Materialien etc. Nachdem das streitbetroffene Grundstück in der Dorfkern- Schutzzone DK liegt, gelten dafür die besonderen ästhetischen An- forderungen gemäss § 9 Abs. 4 BNO. Mithin müssen sich Bauvor- haben auf dieser Parzelle in die bestehende Bebauung einfügen. Die periphere Lage dieser Liegenschaft in der Dorfkern-Schutzzone DK und ihre Nähe zur Zone W2, für die weniger strenge Gestaltungsvor- schriften gelten, ändern daran grundsätzlich nichts. Der Massstab für die Einordnung ergibt sich nicht oder nicht nur aus dem Zustand der tatsächlichen Bebauung, sondern aus den Vorschriften der Dorfkern- Schutzzone DK (vgl. AGVE 1983, S. 209 mit Hinweisen). Ausser- dem sind die Vorschriften der angrenzenden Zone W2 sowie die bauliche Struktur dieser Zone für den Ortsbildschutz irrelevant (vgl. AGVE 1983, S. 208 mit Hinweis). Naturgemäss muss bezüglich der Zonenunterteilung irgendwo eine Grenze gezogen und aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit dann auch strikte beachtet werden (AGVE 2002, S. 211 mit Hinweis). Die Zuteilung des fragli- chen Grundstücks zur Dorfkern-Schutzzone DK ist im Übrigen sach- lich begründet. Das zeigt sich namentlich darin, dass es nach dem ISOS ebenfalls zum "alten Dorf" gehört. Zu erwähnen ist ausserdem, dass die Liegenschaft am Kirchweg 122 am höhergelegenen nördli- chen Rand der Dorfkern-Schutzzone liegt und infolge dieser Lage besonders ortsbildbestimmend ist. Wer nämlich den schützenswerten Dorfkern optimal überblicken will, ist auf einen erhöhten Standort im Norden des Dorfkerns angewiesen. Hinzu kommen zwei weitere Aspekte, welche die Vertreter der Gemeinde anlässlich der Augenscheinsverhandlung eingebracht ha- ben: Zum einen würde der Gedanke des Ortsbildschutzes weitgehend ausgehöhlt, wenn man bei kleinen Schutzzonen alle peripher gelege- nen Liegenschaften privilegiert behandeln wollte. Zum anderen er- scheint zum Schutz des Zonenzentrums gerade die ästhetische Gestaltung am Zonenrand sehr wichtig, weil eine klare Grenze die ästhetische Qualität des Zentrums schützt und akzentuiert. Dazu passt auch das vom Berater der Gemeinde verwendete Bild eines "Wellenbrechers". 2007 Verwaltungsgericht 132 5.1.4. Die Beschwerdeführer kritisieren ausserdem, die Vorinstanz habe nicht zwischen Dachflächenfenstern und Glasziegelfeldern unterschieden, obwohl sich diese nicht nur optisch, sondern auch von ihrer Funktion her unterscheiden würden. Diese Bauteile dürften rechtlich nicht gleich behandelt werden. Wie auch der Vertreter der kantonalen Ortsbildpflege an der Au- genscheinsverhandlung ausgeführt hat, bestehen zwischen Dach- flächenfenstern und Glasziegeln nicht nur funktionelle, sondern ebenfalls gewisse optische Unterschiede. Während Dachflächenfens- ter umrahmt sind und als "schwarzes Loch" in Erscheinung treten, übernehmen Glasziegel die kleinmassstäbliche Ziegelstruktur. Bei- den Belichtungsmöglichkeiten ist jedoch gemeinsam, dass ein Ma- terialwechsel stattfindet und sie, je nach Lichteinfall, als Spiegel wirken, welcher das Ortsbild stört (vgl. AGVE 1983, S. 210). Es verstösst daher nicht gegen Sinn und Zweck der gesetzlichen Ord- nung, Glasziegelfelder und Dachfenster unter dem Aspekt des Orts- bildschutzes nach denselben Grundsätzen zu beurteilen. 5.2. Es bleibt zu prüfen, ob die Vorinstanzen den Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung bei der ästhetischen Beurteilung der ein- zelnen Dachgestaltungsmassnahmen missachtet bzw. ihren Ermes- sensspielraum überschritten haben. Die Vorinstanz stellte bei der Beurteilung der Glas ziegelfelder auf das Kriterium einer ruhigen und undurchbrochenen Dachland- schaft ab. Sie folgte der Auffassung des Ortsbildschutz-Sachverstän- digen, wonach Dachflächen nur im unteren Bereich und nur mit Zu- rückhaltung zu öffnen seien. Ausserdem dürfe die Gesamtwirkung des Daches durch den Einbau von Glasziegelfeldern nicht überladen und damit störend wirken. Insofern ist der Entscheid der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Die Glasziegelfelder durchbrechen das Dach teilweise relativ grossflächig. Sie führen zu einem Materialwechsel und wirken, je nach Lichteinfall, als Spiegel. Die Glasziegelfelder haben ausserdem zur Folge, dass die vom Gemeinderat zur Beur- teilung der Geschlossenheit und Einheitlichkeit der Dachfläche herangezogene Drittelsregel auf beiden Dachseiten verletzt wird. Be- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 133 sonders störend wirken sich die Glasziegelfelder auf der Nordseite aus, welche infolge ihrer Hanglage besonders ortsbildbestimmend ist. Auf dieser Hausseite befinden sich zudem drei Glasziegelfelder knapp unterhalb des Firstes, wo sie besonders auffallen. Zusätzliche Unruhe schafft die Kombination verschiedener Belichtungselemente (Glasziegel und Dachfenster) auf relativ engem Raum. Die Vor- instanzen haben daher zu Recht festgehalten, dass die Dachflächen wegen der Glasziegelfelder unruhig wirken und das Ortsbild stören. Den Vorinstanzen ist ferner darin beizupflichten, dass das nach- träglich eingebaute Dachflächenfester auf der Nordseite ebenfalls zur unruhigen Erscheinung der Dachfläche beiträgt. Der Grund liegt dar- in, dass dieses Fenster wegen seiner Höhenlage aus der Reihe der üb- rigen fällt und auf Grund der unmittelbaren Nähe zur Dachgaube ein- gezwängt wirkt. Es erscheint deshalb mit Sinn und Zweck der ge- setzlichen Ordnung bzw. mit den Anliegen des Ortsbildschutzes ver- einbar, die nachträgliche Baubewilligung für dieses Fenster zu verweigern. Die Vorinstanzen vermochten sich insofern auf vernünf- tige und sachliche Gründe stützen. Sie haben in vertretbarer Weise auf eine Beeinträchtigung des Ortsbildes geschlossen. Die künstliche Belichtung und Belüftung dieser einen Nasszelle erscheint zumutbar (siehe vorne Ziff. 5.1.2.). Teilweise anders verhält es sich bezüglich des nachträglich eingebauten Dachflächenfensters auf der Südseite . Was die Vorin- stanzen hiergegen vorbringen, überzeugt nicht. Der Gemeinderat ver- weigerte die nachträgliche Baubewilligung für dieses Fenster mit der Begründung, es verlasse den Gleichschritt mit den doppelt gesetzten Schrägfenstern. Damit widerspreche dieses Fenster dem Gebot der optischen Einpassung und sei sozusagen ein Fehltritt. Allerdings hat der Gemeinderat mit seiner Baubewilligung vom 24. Mai 2004 auf der Nordseite des Hauses eine Dachgestaltung bewilligt, bei der ein einzelnes Dachfenster ebenfalls den Gleichschritt der sonst doppelt gesetzten Schrägfenster verliess. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb eine solche Anordnung auf der Südseite nicht bewilligt werden kann. Der frühere Fachberater der Gemeinde hielt in seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 2003 denn auch eine Gestaltung mit doppelt und einfach gesetzten Fenstern für möglich. Es ist daher 2007 Verwaltungsgericht 134 nicht schlüssig, wenn der Gemeinderat die Bewilligung für dieses zusätzliche Dachfenster auf der Südseite wegen des fehlenden Gleichschritts mit den übrigen, doppelt gesetzten Schrägfenstern ver- weigert. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt berücksichtigte im angefochtenen Entscheid zusätzlich, dass das Dachflächenfenster im westlichen Teil nicht bündig sei mit den Dachöffnungen im Neubau, was eine Disharmonie im Verlauf der Dachlinie bewirke. Die von der Vorinstanz angesprochenen Fensterreihen befänden sich jedoch auch dann auf unterschiedlichen Höhen, wenn auf der südwestlichen Dachseite kein zusätzliches Fenster eingebaut worden wäre. Der Umstand, dass die beiden Fensterreihen auf der Südseite nicht dieselbe Flucht haben, wird durch das auf dieser Seite zusätzlich eingebaute Dachflächenfenster nicht wesentlich verstärkt. Es widerspricht daher Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung, die Bewilligung für dieses Fenster zu verweigern, zumal dieses auf der tiefer gelegenen südlichen Seite liegt, welche weniger ortsbild- bestimmend ist (siehe vorne Erw. 5.1.3.). Auch wenn berücksichtigt wird, dass den Einwohnergemeinden in Fragen der Ästhetik ein weit- gehendes Ermessen zugebilligt werden muss, ist der angefochtene Entscheid in diesem Punkt zu korrigieren bzw. die Beschwerde inso- fern gutzuheissen. Die Sache ist dementsprechend an den Gemein- derat zurückzuweisen mit der Anweisung, dem Beschwerdeführer die nachträgliche Baubewilligung für den Einbau dieses Dachfensters auf der Südseite zu erteilen, sofern auch die übrigen baupolizeilichen Vorschriften eingehalten sind.
6,665
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AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2007-32_2007-06-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2007-32.html
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AGVE_2007_32
null
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0439668e-ba88-5758-b21b-adba3b4bacc9
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2,002
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2002 Verwaltungsgericht 186 [...] 53 Vermögenssteuer. Bewertung des Vermögens im interkantonalen Verhält- nis. - Jeder Kanton setzt das steuerbare Gesamtvermögen (und Gesamt- einkommen) nach Massgabe seines eigenen Steuerrechts fest; dies gilt für die Bemessung sämtlicher Vermögensteile (Erw. 3). - Das Verrechnungssteuerguthaben ist ein steuerbarer Vermögens- wert. Fälligkeit der Verrechnungssteuerrückforderung (Erw. 4). - Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert (Erw. 5). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 6. Mai 2002 in Sachen R.R. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Zur Publikation vorgesehen in StE 2003.
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AG_VG_001
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de
2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 142 [...] 30 Widerruf der Niederlassungsbewilligung; Verhältnismässigkeit; Invali- denrente im Heimatland (Kosovo) Wenn eine Invalidenrente im Heimatland nicht mehr bezogen werden kann, ist zu klären, in welchem Umfang dem Betroffenen durch sein Hei- matland finanzielle Unterstützung gewährt wird. Entfällt eine finanzielle Unterstützung und ist unter Beachtung der Invalidität eine berufliche Wiedereingliederung nicht möglich oder nicht zumutbar, ist von einem markant erhöhten privaten Interesse an einem Verbleib in der Schweiz auszugehen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. Oktober 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2012.1027). 2013 Migrationsrecht 143 Aus den Erwägungen 4.3. 4.3.1. - 4.3.3. (...) 4.3.4. (...) In Bezug auf die Invalidenrente des Beschwerdeführers ist da- rauf hinzuweisen, dass das Bundesgericht in einem kürzlich ergange- nen Urteil (BGE 139 V 263) das Abkommen zwischen der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft und der (ehemaligen) Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über Sozialversicherung vom 8. Juni 1962 (Sozialversicherungsabkommen; SR 0.831.109.818.1) auf kosovarische Staatsangehörige ab 1. April 2010 als nicht mehr an- wendbar erklärt hat. Nachdem aufgrund dieser neusten Rechtsprechung nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer bei Übersiedlung in den Kosovo seine bisherige Rente weiter erhalten wird und aus den Akten nicht hervorgeht, ob und wenn ja inwiefern der Beschwerdeführer durch seinen Heimatstaat finanziell unterstützt würde, ist diese Frage und die Frage einer allfälligen beruflichen Wiedereingliederung unter Berücksichtigung seiner Invalidität de- tailliert abzuklären (...). Erhält der Beschwerdeführer im Kosovo keine finanzielle Unterstützung und ist eine berufliche Wiedereingliederung nicht möglich oder nicht zumutbar, ist von einem markant erhöhten priva- ten Interesse an einem Verbleib in der Schweiz auszugehen.
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2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 197 [...] 36 Probeweise Entlassung mit Auflagen. Verhältnismässigkeit der Weisung zur ambulanten psychiatrischen (inkl. neuroleptischen) Behandlung in Anbetracht der in casu vorliegenden grossen Rückfallsgefahr. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 15. September 2010 in Sachen M.K. gegen die Verfügung des Amtsarztes des Bezirks X. (WBE.2010.199). Aus den Erwägungen 4. 4.1. (...) Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald ihr Zu- stand es erlaubt (Art. 397a Abs. 3 ZGB; § 67f EG ZGB). Es ist dem- nach zu prüfen, ob der Beschwerdeführer im heutigen Zeitpunkt ent- 2010 Verwaltungsgericht 198 lassen werden kann (AGVE 1992, S. 276, 285; 1990, S. 224; Gottlieb Iberg, Aus der Praxis der fürsorgerischen Freiheitsentzie- hung, in: SJZ 79/1983, S. 297). Kann einer Person die nötige Für- sorge anders erwiesen werden, das heisst mit weniger schwerwie- genden Eingriffen als mit einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, so muss die mildere Massnahme angeordnet werden (AGVE 1997, S. 241; 1992, S. 276, 285; 1990, S. 224). Bei Gefahr eines sofortigen Rückfalls ist die Entlassung nicht angezeigt (AGVE 1994, S. 352 ff.). Gemäss § 67h EG ZGB kann die probeweise Entlassung mit Weisungen angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen für eine Entlassung nicht in allen Teilen erfüllt sind. 4.2. 4.2.1. Der Beschwerdeführer selbst verlangte in seinem Schreiben vom 15. September 2010 seine unverzügliche Entlassung aus der Klinik. Er schilderte, am 17. September 2010 habe er ein Vorstel- lungsgespräch bei der IGWG; es sei vorgesehen, dass er zunächst dort schnuppern gehe und dann definitiv einziehe. Als Übergangs- lösung könne er in einem Hotel in Y. wohnen. Bezüglich Medikation schilderte er anlässlich der Verhandlung vom 27. Juli 2010, er habe die Medikamente im Vorfeld der Hospitalisation abgesetzt, weil er nicht zufrieden gewesen sei; er wisse nicht, wieso er Medikamente brauchen solle; er habe die Medikamente schon immer verweigert; er wolle grundsätzlich keine Medikamente nehmen; auf jeden Fall sei eine Depotmedikation überflüssig. Mit Schreiben vom 30. August 2010 schilderte der Beschwerdeführer, durch die Medikation komme es zu massiven Nebenwirkungen; so ziehe es ihm die Augen nach hinten. Anlässlich der Verhandlung vom 7. September 2010 schil- derte er auf Nachfrage hin, dies geschehe ein bis zwei Mal im Mo- nat; in letzter Zeit sei es jedoch gerade zwei Mal hintereinander pas- siert. 4.2.2. Anlässlich der Verhandlung vom 27. Juli 2010 erklärte die zu- ständige Oberärztin, eine betreute Wohnform sei zur Sicherstellung der Compliance notwendig. Die Depotmedikation müsse fortgeführt werden; mit den Tabletten funktioniere es nicht; der Beschwerdefüh- 2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 199 rer habe sie nicht regelmässig genommen; es fehle an der Konstanz. Der Versuch mit dem vom Beschwerdeführer bevorzugten Neuro- leptikum Abilify habe gezeigt, dass die Compliance auch bei diesem Medikament nicht da sei; zum Teil habe er die Medikamente verwei- gert, zum Teil habe er sie geschmuggelt. Rein prognostisch sei es nicht möglich, dass der Beschwerdeführer jemals medikamentenfrei leben könne. Wenn er sich irgendwie in der Berufswelt und in der Gesellschaft eingliedern und eigenständig leben wolle, dann brauche er die Medikamente. Die Rückfallsgefahr betrage fast 100 %, wenn er die Medikamente nicht mehr nehme. In ihrem Bericht vom 23. August 2010 schilderte die zuständige Oberärztin, aufgrund des bisherigen Krankheitsverlaufs, der man- gelnden Einsicht, dem sozialen Abstieg in den letzten Jahren mit zu- nehmend auch finanziellen Problemen (Schulden), sei man seitens der Klinik der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer einen ge- schützten Rahmen im Sinne einer therapeutischen WG benötigen würde, um einen weiteren stabilen Verlauf und das Erlangen der Selbstständigkeit zu gewähren. Eine Entlassung in ein Hotelzimmer sei in Erwägung gezogen, aber verworfen worden, da der Beschwer- deführer in der Vergangenheit in einem solchen Rahmen sämtliche Therapien sofort abgesetzt habe, keine Sozialhilfe in Anspruch ge- nommen habe und sich massiv verschuldet habe. Eine Entlassung in eine nicht betreute Wohnform würde, so die Klinik, innert kürzester Zeit in einem Rückfall enden. Weiter bestätigte die zuständige Ober- ärztin in ihrem Bericht, unter der Medikation mit Risperdal zeige sich - trotz gewisser Residualsymptome - ein relativ stabiler Zu- stand. Anlässlich der Verhandlung vom 7. September 2010 schilderte die zuständige Oberärztin, das Risperdal sei objektiv gut verträglich; der Beschwerdeführer sei "viel, viel klarer als ohne Medikamente". Eines der Hauptargumente für ein betreutes Wohnen sei die Sicher- stellung der Medikation. Der Beschwerdeführer sei bisher nicht in der Lage gewesen, alleine zu wohnen; er habe sich gar verschuldet. Die Klinik sehe in diesem Zusammenhang auch die Gefahr einer so- zialen Verwahrlosung. Die Krankheits- und Behandlungseinsicht seien gleich Null; dies mache es so schwierig. Weiter schilderte die 2010 Verwaltungsgericht 200 zuständige Oberärztin, wenn die Medikation und die finanzielle Si- tuation sichergestellt wären, wäre der Beschwerdeführer fähig, das Leben zu führen, das er möchte. 4.2.3. Die Eltern bestätigten anlässlich der verwaltungsgerichtlichen Verhandlungen das gute Zustandsbild des Beschwerdeführers. Auf Nachfrage hin, ob sie ihrem Sohn zutrauen würden, selbstständig zu leben, schilderten sie anlässlich der Verhandlung vom 27. Juli 2010, er brauche gewisse Strukturen, eine gewisse Begleitung. In ihrem Schreiben vom 30. Juni 2010 hielten sie fest, sie müssten aus ihrer Erfahrung davon ausgehen, dass ihr Sohn den Wiedereinstieg in ein geregeltes selbständiges Leben ohne begleitende Massnahmen nicht schaffen könne. 4.3. 4.3.1. Es ist unbestritten, dass sich das Zustandsbild des Beschwerde- führers seit Klinikeintritt stark verbessert hat. Zweifellos ist der Be- schwerdeführer nach wie vor behandlungsbedürftig; seine psychiatri- sche Grunderkrankung macht eine längerfristige neuroleptische Be- handlung notwendig. Nachdem der Beschwerdeführer jedoch seinen Habitualzustand erreicht hat, besteht keine stationäre Behandlungs- bedürftigkeit mehr, weshalb der Beschwerdeführer grundsätzlich ent- lassen werden kann. Gegen eine sofortige, bedingungslose Entlassung spricht einer- seits jedoch die vorliegend bestehende Rückfallsgefahr (siehe dazu Erw. 4.4 hiernach) sowie die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Urteils- fällung die künftige Unterkunftssituation für den Beschwerdeführer weitgehend ungewiss ist. Wie der Beschwerdeführer in seiner Einga- be vom 15. September 2010 ausführen liess, habe er (...) eine Stelle gefunden und könne diese am 20. September 2010 antreten. Dadurch habe er nun grundsätzlich die Möglichkeit, bei der IGWG einzutre- ten, wobei ein (Vorstellungs-)Gespräch auf den 17. September 2010 angesetzt sei. Damit die Wohn- bzw. Unterkunftssituation für den Beschwerdeführer abschliessend geklärt und beim Externen Psychia- trischen Dienst (EPD) Z. bereits ein erster Termin vereinbart werden 2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 201 kann (vgl. Erw. 4.4 hiernach), ist der Beschwerdeführer wenige Tage nach dem Empfang des Urteils (...) aus der Klinik zu entlassen. 4.4. 4.4.1. Bei Gefahr eines sofortigen Rückfalls ist die Entlassung nicht angezeigt (AGVE 1994, S. 352 ff.). Dass vorliegend eine grosse Rückfallsgefahr besteht, wird nachfolgend noch aufzuzeigen sein. Wie bereits in Erw. 4.1 hiervor festgehalten, sieht § 67h Abs. 1 EG ZGB die Möglichkeit einer probeweisen Entlassung, nötigenfalls mit Weisungen, vor, falls noch nicht alle Voraussetzungen für eine definitive Entlassung gegeben bzw. die Voraussetzungen, die zur Un- terbringung respektive Zurückbehaltung des Betroffenen geführt ha- ben, erst teilweise entfallen sind. Bei der Befugnis, dem probeweise Entlassenen verbindliche Weisungen aufzuerlegen, handelt es sich um ein bewährtes Mittel zur zweckmässigen Gestaltung der Pro- bezeit und Überwachung des Betroffenen (Botschaft des Regierungs- rates des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 19. Mai 1980, S. 14). Sinn und Zweck soll dabei sein, eine notwendige Behandlung im Anschluss an die Entlassung aus einer Anstalt sicherzustellen (AGVE 1996, S. 277). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei nicht um eine Zwangsmassnahme im Sinne von § 67e bis EG ZGB handelt (AGVE 2002, S. 191 f.). 4.4.2. Aufgrund der bisherigen Krankengeschichte und der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie ist erstellt, dass der Beschwerdefüh- rer als Bestandteil der notwendigen persönlichen Fürsorge auf re- gelmässige neuroleptische Medikation angewiesen ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich sein Zustand abermals verschlechtert, was eine erneute Zwangseinweisung nötig machen kann. Aufgrund der unsicheren sozialen Situation und der Tatsache, dass der Be- schwerdeführer keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht zeigt, muss bei einer Entlassung mit dem (erneuten) Absetzen der Medi- kamente und mit einer baldigen erneuten Eskalation gerechnet wer- den. Es liegt somit eine grosse Rückfallsgefahr vor, welcher durch eine Weisung zur ambulanten psychiatrischen (inkl. neuroleptischen) Behandlung begegnet werden kann. 2010 Verwaltungsgericht 202 Bei einer derartigen Weisung handelt es sich unbestrittener- massen nicht um eine dringliche und unmittelbar unerlässliche Inter- vention, um das Leben des Beschwerdeführers zu erhalten oder eine unmittelbare Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung abzu- wenden; die ambulante psychiatrische Behandlung und die Medika- tion haben vielmehr die Bedeutung einer eigentlichen und auf eine gewisse Dauer angelegten Therapie und Heilbehandlung des Be- schwerdeführers. Unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässig- keit der Weisung ist von Bedeutung, dass die bis anhin in stationärem Rahmen durchgeführte psychiatrische Behandlung mit neurolepti- scher Medikation unbestrittenermassen eine deutliche Besserung des Zustandes bewirkt hatte. Durch die Nicht-Behandlung würde eine er- neute Verschlechterung des Gesundheitszustandes und unter Umstän- den gar eine (weitere) Chronifizierung der Krankheit riskiert. Da- durch würde eine erfolgreiche medikamentöse Behandlung in der Zukunft erschwert oder gar verunmöglicht. Es liegt somit im eigenen Interesse des Beschwerdeführers, einer erneuten Klinikeinweisung vorzubeugen, indem er mittels Weisung verpflichtet wird, sich regel- mässig in ambulante psychiatrische Behandlung zu begeben und sich insbesondere die ärztlich verordnete Depot-Medikation (gegenwärtig Risperdal) verabreichen zu lassen. Eine alternative Behandlungsmethode ist nicht ersichtlich. Nicht ausser Acht zu lassen ist zudem die mit der psychischen Er- krankung des Beschwerdeführers einhergehende latente Selbstge- fährdung bzw. die (auch soziale) Verwahrlosungsgefahr des Be- schwerdeführers. Die Klinik hat zwischenzeitlich bei dessen Wohn- gemeinde einen Antrag auf Prüfung vormundschaftlicher Massnah- men für den verschuldeten Beschwerdeführer gestellt. Es ist deshalb angesichts der Konsequenzen einer Nicht-Behandlung auf das Zu- standsbild und der damit verbundenen grossen Rückfallsgefahr und Selbstgefährdung gerechtfertigt und verhältnismässig, den Beschwer- deführer mit den erwähnten Weisungen zu entlassen, zumal es wich- tig ist, beim Beschwerdeführer die durch die bisherige Hospitalisa- tion mit medikamentöser Behandlung erreichte Stabilität aufrecht zu erhalten, nicht zuletzt um zu gewährleisten, dass der Beschwerde- führer sein Ziel, eine Wohnung und einen Job zu finden und - wie er 2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 203 selbst formuliert - "weder etwas mit der IV noch mit der Sozialhilfe" zu tun zu haben, erreichen kann. Eine regelmässige psychiatrische Betreuung dient deshalb auch der Beobachtung einer allfälligen Ak- tualisierung des Selbstgefährdungspotentials. Ein Behandlungserfolg bzw. die Aufrechterhaltung eines stabilen Zustands durch eine am- bulante psychiatrische Behandlung mit neuroleptischer Medikation ist sowohl dem Beschwerdeführer selber wie auch seinem Umfeld von Nutzen, zumal der Beschwerdeführer zweifellos in unbehan- deltem Zustand eine Belastung für sein soziales Umfeld darstellt. Die aktuelle Depotmedikation mit Risperdal ist aufgrund der Erfahrung, dass der Beschwerdeführer orale Medikamente in der Vergangenheit stets früher oder später wieder abgesetzt hat, sinnvoll. Diese Depotmedikation hat denn auch zur Verbesserung des Zu- standsbildes des Beschwerdeführers beigetragen. Was die vom Be- schwerdeführer beschriebenen Nebenwirkungen anbelangt, so erhält er gemäss Aussage der zuständigen Oberärztin mittlerweile Akine- ton, welches zur Behandlung der vom Beschwerdeführer beschriebe- nen extrapyramidalen Nebenwirkung eingesetzt wird. Die durch das Risperdal beim Beschwerdeführer ausgelöste Nebenwirkung ist si- cherlich für die betroffene Person sehr unangenehm, jedoch aufgrund des Akinetons glücklicherweise lediglich vorübergehender Natur; zu- dem tritt sie offenbar gemäss Aussagen des Beschwerdeführers grundsätzlich nicht sehr häufig auf. Die Weisung betreffend medi- kamentöse Behandlung kann deshalb auch aus diesen Gründen nicht als ungeeignet bzw. unverhältnismässig betrachtet werden. Im Übrigen ist es nicht ausgeschlossen, dass aufgrund eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und seinem zukünftigen ambulanten Psychiater eine verbesserte Krankheits- und Behandlungseinsicht und damit eine bessere Compliance eintritt. Dann könnte auf eine orale Medikation mit weniger unangenehmen Nebenwirkungen, z.B. Abilify, welches der Beschwerdeführer ge- mäss eigenen Angaben bevorzugen würde, umgestellt werden. Eine Abwägung zwischen dem Ziel bzw. Zweck der Weisung gegen die Schwere des Eingriffs führt deshalb für das Verwaltungs- gericht zum eindeutigen Ergebnis, dass die Entlassung mit Weisun- gen, sich regelmässig beim EPD Z. in ambulante psychiatrische Be- 2010 Verwaltungsgericht 204 handlung zu begeben und sich insbesondere die ärztlich verordnete Depotmedikation (gegenwärtig Risperdal) verabreichen zu lassen, im eigenen Interesse des Beschwerdeführers notwendig und verhältnis- mässig ist. Um rechtzeitig reagieren zu können, sollte sich der Be- schwerdeführer nicht an die Auflagen halten und sich sein Zustand verschlechtern, wird der EPD Z. aufgefordert, diesfalls entsprechen- de Meldung an das Bezirksamt zu erstatten. 4.3.3. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Be- schwerdeführer selbst mit Schreiben vom 30. August 2010 ausführen lässt, er wäre mit einer sofortigen Entlassung in ein Hotelzimmer, "dies mit der gleichzeitigen Verpflichtung, Depotmedikation einzu- nehmen", einverstanden. Die Weisung in Bezug auf die Medikation entspricht im Übrigen - abgesehen von der Dosierung (deren Fest- setzung gehört in den Fachbereich der Ärzte [AGVE 2003, S. 152]) - dem Eventualantrag gemäss Schreiben des Beschwerdeführers vom 30. August 2010. Auch anlässlich der Verhandlung vom 7. September 2010 liess der Beschwerdeführer ausführen, er wolle entlassen wer- den, er erkläre sich jedoch dazu bereit, die Depotmedikation so, wie sie im Moment verabreicht werde, beizubehalten. Anlässlich der Ver- handlung vom 27. Juli 2010 äusserte sich der Beschwerdeführer aus- serdem auf Nachfrage seines Rechtsvertreters hin sinngemäss dahin- gehend, sich durchaus vorstellen zu können, regelmässig zur Ge- sprächstherapie zu gehen. 5. Zusammenfassend kann dem Beschwerdeführer die notwendige persönliche Fürsorge somit ohne Klinikaufenthalt erwiesen werden, und er ist mit der Weisung, sich regelmässig beim EPD Z. in ambu- lante psychiatrische Behandlung zu begeben und sich insbesondere die ärztlich verordnete Depot-Medikation (Risperdal) verabreichen zu lassen, (...) aus der Klinik zu entlassen.
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2016 Personalrecht 293 [...] 47 Kündigung; vorgängige Anhörung; Verhalten nach Treu und Glauben Unabhängig davon, ob die Kündigung mittels Verfügung oder vertragli- cher Erklärung erfolgt, ist der betroffenen Mitarbeiterin das rechtliche Gehör zu gewähren, damit sie zur Kündigungsabsicht der Anstellungsbe- hörde Stellung nehmen kann (Bestätigung der Rechtsprechung). Im kon- kreten Fall wurde nicht nur durch den (bewussten) Verzicht auf eine vor- gängige Anhörung der Klägerin deren Gehörsanspruch verletzt. Darüber hinaus verstiess der Vorgesetzte der Klägerin gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, indem er die Klägerin ohne deren Wissen über bevor- stehende Restrukturierungsmassnahmen mit Stellenveränderungen über Wochen hinweg einem eigentlichen Eignungstest unterzog. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 10. November 2016 in Sachen A. gegen Kanton Aargau (WKL.2015.19). Aus den Erwägungen 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 294 II. 2. 2.1. Die Klägerin macht vorab eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. An der Unterredung vom 28. Januar 2015 sei ihr ohne vorgängige Anhörung die Kündigung ihres Anstellungs- verhältnisses eröffnet worden. Das werde vom Beklagten nicht ein- mal in Abrede gestellt. Im Entscheid vom 8. Juli 2015 heisse es dazu, das Interesse des BKS, Gerüchte und Unruhen zu vermeiden, werde höher gewichtet als ein formell vorgeschriebenes, materiell nichts bringendes Vorgehen. Die Gehörsverletzung sei demnach wissentlich und willentlich erfolgt. Die Anstellungsbehörde habe sich eigen- mächtig über die Vorgaben der Personalgesetzgebung gestellt und ei- nen wesentlichen Grundsatz von öffentlich-rechtlichen Anstellungs- verhältnissen missachtet. Die Verletzung sei derart gravierend, dass darin per se ein Missbräuchlichkeitstatbestand zu erblicken sei. Zudem stelle es einen krassen Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar, dass die Klägerin als (...) nicht in den Or- ganisationsentwicklungsprozess einbezogen worden sei, der zu ihrer Kündigung geführt habe. Vielmehr sei ihr dieser verheimlicht wor- den. 2.2. Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und § 22 Abs. 1 KV) dient einerseits der Sachauf- klärung und stellt andererseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwir- kungsrecht der Parteien dar (BGE 140 I 99, Erw. 3.4; 136 V 351, Erw. 4.4; 132 V 368, Erw. 3.1; 129 I 232, Erw. 3.2, je mit Hinweisen; U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 1001). Dieser Gehörsanspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Ver- waltungsgerichts und des früheren Personalrekursgerichts nicht nur bei den Kündigungen mittels Verfügung, sondern auch bei denjeni- gen mittels vertraglicher Erklärung gewährleistet (AGVE 2008, S. 461 ff., Erw. II/7.2; VGE I/160 vom 10. November 2015 [WKL.2015.3], Erw. II/2.2; PRGE vom 23. November 2012 [2- KL.2012.1], Erw. II/2.2). Der verwaltungsgerichtlichen Praxis liegt 2016 Personalrecht 295 die Überlegung zugrunde, dass das Gemeinwesen bei öffentlich- rechtlichen Dienstverhältnissen trotz vertraglicher Grundlage dessel- ben als Hoheitsträger auftritt. Zugleich kann die unfreiwillige Been- digung des Dienstverhältnisses durch eine Kündigungserklärung des Gemeinwesens, auch wenn sie formell als nicht hoheitliche Ausü- bung eines Gestaltungsrechts erscheint, in existenzielle Interessen des privaten Vertragspartners eingreifen. Das Gemeinwesen bleibt in einem solchen Fall bei der Ausübung des Kündigungsrechts an die Grundsätze staatlichen Handelns gebunden (Urteil des Bundesge- richts vom 14. März 2005 [2P.104/2004], Erw. 4.5). Diese Rechtspre- chung entspricht auch der in der Lehre vertretenen Auffassung, dass eine Beschränkung der sich aus Art. 29 BV ergebenden Verfahrens- rechte auf die hoheitliche Verwaltung der rechtsstaatlichen Funktion dieser Garantien nicht gerecht wird (vgl. A UGUST M ÄCHLER , Vertrag und Verwaltungsrechtspflege, Zürich/Basel/Genf 2005, § 4 N 36). Die Wahrung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien im Kündi- gungsverfahren steht im Übrigen weder einer effizienten und flexib- len Verwaltungsführung noch einem koordinativ und kooperativ (an- statt subordinativ) inspirierten Arbeitsrecht bzw. dem Gedanken der Partnerschaft entgegen. Wesentlicher Teilgehalt des Gehörsanspruchs ist das Recht auf vorgängige Anhörung (vgl. § 21 Abs. 1 VRPG). Die Behörden müs- sen die Äusserungen der Betroffenen tatsächlich zur Kenntnis neh- men und sich damit in der Entscheidfindung und -begründung sach- gerecht auseinandersetzen (BGE 136 I 184, Erw. 2.2.1; 123 I 31, Erw. 2c; H ÄFELIN /M ÜLLER /U HLMANN , a.a.O., Rz. 1010). Die Anhö- rung kann nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn Gefahr in Verzug ist oder eine vorgängige Anhörung den Zweck der behördlichen An- ordnung vereiteln würde (§ 21 Abs. 2 VRPG; vgl. auch BGE 140 I 99, Erw. 3.4). 2.3. Die Klägerin ging unvorbereitet an das Gespräch vom 28. Januar 2015, an dem sie unverhofft mit der Kündigung ihres An- stellungsverhältnisses als (...) konfrontiert wurde. Bis zum besagten Termin bezogen sich die Gespräche zwischen der Klägerin und dem Rektor der Schule B. nach übereinstimmender Parteidarstellung nie 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 296 auf eine allfällige Kündigung des Anstellungsverhältnisses der Klägerin. Die Einladung zum Gespräch erfolgte unter dem nichtssa- genden Titel "Zusammenarbeit". Derweil war der Entschluss des Rektors der Schule B. und der Leiterin Personal (...), das Anstel- lungsverhältnis mit der Klägerin aufzulösen, schon im Vorfeld des Termins gefasst worden. Nichts, was die Klägerin am Termin selber dagegen einwandte oder bei angemessener Vorbereitung hätte einwenden können, konnte daran noch etwas ändern. Insofern ist die den Vertretern des Beklagten vorgeworfene Gehörsverletzung mani- fest. Die Klägerin wurde durch das gewählte Vorgehen zu einer unbeteiligten Statistin degradiert und jeder Mitwirkungsmöglichkeit beraubt. Eine Heilung der gegenüber der Klägerin begangenen Gehörs- verletzung fällt ausser Betracht. Die Kündigung ihres Anstellungs- verhältnisses kann (im vorliegenden Verfahren) nicht rückgängig ge- macht werden. Der Beklagte vermag ferner keine stichhaltigen Gründe vorzu- bringen, die den Rektor der Schule B. und die Leiterin Personal (...) davon entbunden hätten, die Klägerin vorgängig zur beabsichtigten Kündigung ihres Anstellungsverhältnisses anzuhören. Diffuse, nicht näher begründete Ängste betreffend Gerüchte und Unruhen im Schulumfeld waren zumindest in der vorliegend zu beurteilenden Konstellation kein (hinreichender) Grund, einer Mitarbeiterin die Ge- legenheit zu verweigern, zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers Stellung zu nehmen und allenfalls darauf hinzuwirken, dass von einer Kündigung Abstand genommen wird. Dies umso weniger, als die Klägerin dazu hätte angehalten werden können, über die Kündi- gungsabsicht der Vertreter des Beklagten Stillschweigen zu bewah- ren. Insgesamt erscheint es gänzlich unverständlich, wie leichtfertig sich der Rektor der Schule B. und die Leiterin Personal (...) über den elementaren Anspruch der Klägerin auf vorgängige Anhörung hin- weggesetzt haben. 2.4. Eine andere Frage ist, inwieweit die Klägerin in ihrer Funktion als (...) nach Massgabe von Treu und Glauben in den Reorgani- 2016 Personalrecht 297 sationsprozess hätte eingebunden werden müssen. Diesbezüglich stellt sich der Beklagte auf den Standpunkt, bei der Prüfung verschiedener Varianten habe sich bald einmal abgezeichnet, dass eine Variante favorisiert würde, die eine grundlegende Reorgani- sation mit Stellenveränderungen bzw. Änderungskündigungen zur Folge haben könnte. Der absehbare Abbau ihrer Stelle als (...) hätte bei der Klägerin unweigerlich zu einem Interessenskonflikt geführt. Aus einer Einbindung der Klägerin in den Reorganisationsprozess hätten sich daher weder für die Schule noch für die Klägerin persönlich Vorteile ergeben. Abgesehen davon sei der Reorganisa- tionsentscheid dem Management vorbehalten. Das Gesetz sehe keine Partizipationsrechte für die (...) vor. Es kann vorliegend offen gelassen werden, inwiefern (schul-)or- ganisatorische Vorschriften bestanden, welche den Einbezug der ge- samten Schulleitung (und damit auch der Klägerin) in die Reorgani- sations- und Restrukturierungsarbeiten erfordert hätten. Jedenfalls vermöchte die Klägerin aus einem Verstoss gegen derartige Vor- schriften keine personalrechtlichen Ansprüche abzuleiten. Die Personalrechtsgesetzgebung des Kantons Aargau gewähr- leistet ihren Mitarbeitenden - abgesehen von Fällen der Massenent- lassung mit mindestens zehn entlassenen Angestellten (vgl. § 7 PersG i.V.m. Art. 335d ff. OR) - kein ausdrückliches Konsultations- recht. Gleichwohl fragt sich, ob es nicht sachgerecht und aufgrund des Gebots von Treu und Glauben angezeigt wäre, Angestellte, die im Zuge einer Reorganisation voraussichtlich nicht mehr in einer Verwaltungseinheit beschäftigt werden können, mit einer gewissen Vorlaufzeit über den bevorstehenden Stellenabbau wenigstens zu in- formieren (vgl. Art. 4 Abs. 1 der seit 1. Januar 2009 nicht mehr in Kraft stehenden, das Bundespersonal betreffenden Verordnung über die Stellen- und Personalbewirtschaftung im Rahmen von Entlas- tungsprogrammen und Reorganisationen vom 10. Juni 2004 [AS 2004 3193]). Insofern wäre der Beklagte bzw. der Rektor der Schule B. gehalten gewesen, die Klägerin baldmöglichst, d.h. sobald die Ab- baupläne konkrete Gestalt annahmen, darüber zu unterrichten, dass ihre Stelle als (...) voraussichtlich Restrukturierungsmassnahmen zum Opfer fallen würde. Tatsächlich hat der Rektor der Schule B. 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 298 aber nicht nur die entsprechende Information unterlassen, sondern unabhängig davon ein treuwidriges Kommunikationsverhalten ge- zeigt. So hat er als neuer unmittelbarer Vorgesetzter gegenüber der Klägerin nie kommuniziert, welche Erwartungen er in sie steckte, und er hat ihr nie ein negatives Feedback auf ihre Arbeit gegeben. Vielmehr begnügte er sich damit, ihr Fragen zu unterbreiten, "mit de- ren Beantwortung sie sich für das neue Anforderungsprofil hätte qua- lifizieren können", ohne dass die Klägerin vom Zweck der Fragerei bzw. von den Absichten, das Stellenprofil der Schulleitungsmitglie- der zu ändern und ihr allenfalls zu kündigen, etwas gewusst hätte. Ein derart intransparentes Verhalten, bei dem der neue Vorgesetzte seine eigenen Vorstellungen weitestgehend zurückhält und gleichzei- tig engste Mitarbeitende über mehrere Wochen hinweg durch stetige Fragen einem eigentlichen Eignungstest unterzieht, verunmöglicht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und widerspricht dem Grund- satz von Treu und Glauben. Aus den genannten Gründen (Verletzung des rechtlichen Ge- hörs, Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben) erweist sich die umstrittene Kündigung als unrechtmässig. Im Hinblick auf die Höhe der Entschädigung ist im Folgenden aber zusätzlich auch auf die materielle Begründetheit der Kündigung einzugehen.
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2011 Submissionen 161 [...] 42 Zuschlagskriterien; "Termin" Das Kriterium Termin soll nur dann gewählt werden, wenn es für den Auftraggeber tatsächlich von Bedeutung ist. Termine können namentlich dann eine Rolle spielen und somit als Zuschlagskriterium Sinn machen, wenn der Auftraggeber darauf angewiesen ist, dass die Leistungen in möglichst kurzer Zeit oder möglichst termingerecht erbracht werden, wie z. B. bei Sanierungen oder im Strassenbau. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 16. November 2011 in Sa- chen A. AG gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.215). Aus den Erwägungen 3. 3.1. 3.1.1. Die Beschwerdeführerin zieht grundsätzlich in Zweifel, ob die Termine überhaupt ein geeignetes Zuschlagskriterium darstellen, da 2011 Verwaltungsgericht 162 die eingereichten Terminpläne wegen Verzögerungen regelmässig obsolet würden und grundlegend überarbeitet werden müssten. 3.1.2. Im Katalog gemäss § 18 Abs. 2 SubmD ist unter anderem auch der "Termin" als Zuschlagskriterium aufgeführt (vgl. auch § 32 der Vergaberichtlinien [VRöB] zur IVöB). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts kann dem Termin sowohl die Bedeutung eines Zuschlagskriteriums als auch die Bedeutung eines Ausschlusskri- teriums zukommen. Bestimmt die Vergabestelle in der Ausschrei- bung oder in den Ausschreibungsunterlagen den Termin als eines der massgeblichen Zuschlagskriterien, ist dies dahingehend zu verstehen, dass demjenigen Anbieter der Vorzug gebühren darf, der eine schnellere Ausführung als die gemäss Ausschreibung oder Ausschrei- bungsunterlagen geforderte zum gleichen Preis offeriert als derjenige Anbieter, der (lediglich) die Termine gemäss Unterlagen einzuhalten verspricht. Eine raschere Arbeitsausführung kann mit anderen Wor- ten unter Umständen, d. h. bei entsprechender Festsetzung und Ge- wichtung der Zuschlagskriterien einen Mehrpreis kompensieren (AGVE 2002, S. 318). Das Kriterium Termin soll nur dann gewählt werden, wenn es für den Auftraggeber tatsächlich von Bedeutung ist. Termine können namentlich dann eine Rolle spielen, und somit als Zuschlagskriterium Sinn machen, wenn der Auftraggeber darauf an- gewiesen ist, dass die Leistungen in möglichst kurzer Zeit oder mög- lichst termingerecht erbracht werden, wie z. B. bei Sanierungen oder im Strassenbau. Bei Bauaufträgen lässt sich das Kriterium Termine etwa aufgrund der folgenden Gesichtspunkte beurteilen (vgl. Hand- buch des öffentlichen Beschaffungswesens im Kanton Graubünden [Stand: 22.4.2010] Kap. 20.27: Muster - Zuschlagskriterien bei Bauaufträgen / Seite 2): Vom Anbieter abzugebendes Bauprogramm, Angaben des Anbieters zu Terminen und Bauabläufen, Referenzaus- künften zu den Terminen bei früheren Aufträgen, Angaben zu ein- setzbarer Personalkapazität / Projektorganisation / Verfügbarkeits- nachweise, Gesamtbauzeit und Eckdaten, Zweckmässigkeit der vor- gesehenen Etappierung etc.. Beurteilt werden können etwa das Ter- min-Bauprogramm oder die angegebenen Termine im Sinne einer Plausibilitätsprüfung (kann der Anbieter die vom Auftraggeber aus- 2011 Submissionen 163 gesetzten Termine gewährleisten, z. B. das Verfahren zur Planung der Arbeitsausführung und der Einflussnahme darauf, Angaben betref- fend Personalkapazitäten). Der Termin kann aber auch als Teil der Leistung beurteilt werden. Bewertet wird hier die vom Unternehmer offerierte Dauer der Ausführung. Die beste Benotung erhält, wer die kürzeste Realisierungszeit offeriert (wobei es sich um realistische / realisierbare Angaben handeln muss und für die Nichteinhaltung der offerierten Termine Sanktionen vorgesehen sein müssen). 3.1.3. Bei den Terminen handelt es sich um ein Zuschlagskriterium, das - soweit ersichtlich - in sämtlichen Beschaffungsgesetzen als solches genannt ist (vgl. statt vieler: Art. 21 BöB; § 32 VRöB; § 18 Abs. 2 SubmD; § 33 Abs. 1 der Submissionsverordnung des Kantons Zürich vom 23. Juli 2003 [LS 720.11]; Art. 21 Abs. 2 des Submis- sionsgesetzes des Kantons Graubünden vom 10. Februar 2004 [SubG; BR 803.300]; Art. 4 Abs. 1 lit. e des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Ge- meinschaft über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungs- wesens vom 21. Juni 1999 [SR 0.172.052.68] [Lieferfrist, Ausfüh- rungsdauer]). Das Kriterium hat, wie aus den vorstehenden Ausfüh- rungen hervorgeht, gerade bei Bauarbeiten durchaus seinen Sinn und seine Berechtigung, vermag z. B. ein vom Anbieter zu erstellendes Bau- oder Terminprogramm doch aufzuzeigen, ob und wie er sich mit der Ausführung der ausgeschriebenen Leistungen in zeitlicher Hinsicht auseinandergesetzt und ob er die Aufgabe richtig verstanden hat. Daran ändert die Tatsache, dass es bei der Realisierung der ausgeschriebenen Leistungen häufig zu Verzögerungen und Ände- rungen kommt, nichts. 3.2.-3.4. (...)
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2001 Verwaltungsgericht 342 [...] 74 Zuschlagskriterien, Subkriterien, vergabefremde Kriterien. - Lehrlingsausbildung als vergabefremdes Zuschlagskriterium (Erw. 1/c/bb/aaa). - Subkriterien müssen sich publizierten Zuschlagskriterien zuordnen lassen, andernfalls liegt eine unzulässige Ausweitung vor, die vor dem Grundsatz der Transparenz des Vergabeverfahrens nicht zu bestehen vermag (Erw. 1/c/bb/bbb). - Da sich vergabefremde Kriterien ihrer Natur nach den die Wirt- schaftlichkeit eines Angebots betreffenden Vergabekriterien nicht zu- 2001 Submissionen 343 ordnen lassen, ist es unter Berücksichtigung des Transparenzgebots zwingend erforderlich, dass die vergabefremden Aspekte in der Aus- schreibung ausdrücklich erwähnt werden (Erw. 1/c/bb/ddd). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3.Kammer, vom 9. August 2001 in Sachen Z. AG gegen die Verfügung des Stadtrats L. Aus den Erwägungen 1. b) aa) Die vorliegende Submission wurde als offenes Verfah- ren ausgeschrieben. In der öffentlichen Ausschreibung wurden als für die Vergabe massgebende Zuschlagskriterien angeführt: ,,Qualität 40 % Preis 30 % Qualifikation Schlüsselpersonal 30 %" (...) c) aa) Die Beschwerdeführerin rügt vorab ,,die rechtswidrige und willkürliche Berücksichtigung der Lehrlinge". Sie macht gel- tend, dass unter der Rubrik ,,Qualifikation Schlüsselpersonal" entge- gen der Ausschreibung nicht nur die effektive Qualifikation des Schlüsselpersonals, der Bauführer und Vorarbeiter, sondern quasi als Unterkriterium auch die Ausbildung der Lehrlinge einbezogen wor- den sei. Dies sei mit einer Gewichtung von 30 % der insgesamt 30 % des Zuschlagskriteriums ,,Schlüsselpersonal" erfolgt, was immerhin 9 % der Gesamtgewichtung ausmache. Allein schon von der wörtli- chen Auslegung her könnten Lehrlinge nicht als Schlüsselpersonal bezeichnet werden, weshalb in § 18 Abs. 2 letzter Satz SubmD fest- gehalten werde, dass bei Geltung dieses Zuschlagskriteriums dieses ausdrücklich mit seiner Gewichtung öffentlich auszuschreiben sei. Weil dies im vorliegenden Verfahren nicht geschehen sei, dürfe die- ses Kriterium bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden. Die Vergabestelle hält diesem Vorhalt entgegen, dass unter Po- sition 1.3 in den Vorbemerkungen zu den Ausschreibungsunterlagen im Blatt ,,Ergänzende Angaben zur Bewertung der Zuschlagskrite- 2001 Verwaltungsgericht 344 rien (vom Unternehmer auszufüllen)" folgende Angaben verlangt worden seien: ,,- Welche Schlüsselpersonen mit welcher Qualifikation gedenken Sie bei vorliegenden Projekt einzusetzen? - Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Ihrem Betrieb? - Wie viele davon sind Lehrlinge?" Deshalb sei für die Offerenten ersichtlich gewesen, dass unter Pos. 1.3 ein ,,Unterkriterium" Lehrlinge berücksichtigt werde. § 18 Abs. 2 SubmD zeige auf, dass die Ausbildung von Lehrlingen als Kriterium berücksichtigt werden könne; ein eigenständiges Kriterium werde dafür demgegenüber nicht gefordert, weshalb die Bewertung in einem Unterkriterium erfolgen könne. Mit der Ausbildung von Lehrlingen würden die Unternehmer wichtige Voraussetzungen schaffen, damit auch in den Randregionen in Zukunft gutes Personal rekrutiert werden könne. In diesem Sinne gehöre die Lehrlingsaus- bildung zum Schlüssel eines guten Berufsstandes. Aufgrund der Tat- sache, dass die Beschwerdeführerin bei 255 Angestellten lediglich 2 Lehrlinge ausbilde, die Beschwerdegegnerinnen bei 330 Ange- stellten jedoch deren 22, wovon 14 in L., ergebe sich bei der Bewer- tung die ausgewiesene Punktedifferenz. Die Beschwerdegegnerinnen führen aus, dass die Subkriterien, ihre Reihenfolge und Gewichtung in den Ausschreibungsunterlagen nicht aufgeführt werden müssten. Die Anbietenden dürften aber da- rauf vertrauen, dass die Vergabestelle die ausgewählten Zuschlags- kriterien im herkömmlichen Sinne verstehe. Werde davon abgewi- chen, so reiche es aus, wenn in den Ausschreibungsunterlagen eine entsprechende Präzisierung erfolge. Diesen Vorgaben sei die Verga- bestelle nachgekommen. bb) aaa) Vergabefremde Kriterien, d.h. Eignungskriterien, die nicht die leistungsbezogene Eignung des Anbieters betreffen, bzw. Zuschlagskriterien, die nicht die Wirtschaftlichkeit des Angebots beschlagen, dürfen grundsätzlich beim Entscheid über die Eignung oder den Zuschlag nicht berücksichtigt werden. Als Ausnahmen vor- behalten bleiben indessen vergabefremde Kriterien, die nach Mass- gabe des anwendbaren Vergaberechts berücksichtigt werden müssen oder dürfen (Peter Gauch/Hubert Stöckli, Vergabethesen 1999, The- 2001 Submissionen 345 sen zum neuen Vergaberecht des Bundes, Freiburg 1999, S. 28). Der- artige Kriterien finden sich namentlich in § 3 SubmD (Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen, Gleichbe- handlung von Mann und Frau hinsichtlich Lohn, Einhaltung der Um- weltschutzvorschriften). § 10 SubmD sieht vor, dass im Rahmen einer Präqualifikation jungen oder sonst neu im Markt Auftretenden eine angemessene, niemanden diskriminierende Chance einzuräumen ist. Gemäss § 18 Abs. 2 SubmD kann ,,als Kriterium (...) auch die Ausbildung von Lehrlingen berücksichtigt werden". Das Submis- sionsdekret erklärt somit die an sich vergabefremde Lehrlingsaus- bildung ausdrücklich zu einem zulässigen Zuschlagskriterium. Ob diese Regelung vor dem übergeordneten - hier allerdings nicht zur Anwendung gelangenden - Recht (GATT/WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. April 1994; Inter- kantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 25. November 1994) standhält, erscheint fraglich (vgl. Baurecht 2000, S. 59, Anmerkung Stöckli zu S. 17-18), muss im vorliegenden Fall aber nicht entschieden werden. Immerhin ist den einschlägigen Materialien zu entnehmen, dass die Lehrlingsausbildung auch nach dem Willen des Aargauischen Dekretgebers für die Vergabe nur dann eine Rolle spielen soll, wenn sich bei der Zuschlagserteilung bezüglich der übrigen Kriterien gleichwertige Angebote gegenüber- stehen. Der Lehrlingsausbildung darf mit anderen Worten innerhalb des für massgebend erklärten Kriterienkatalogs lediglich eine unter- geordnete Bedeutung zukommen (AGVE 1999, S. 298 f. mit Hin- weisen). Letztlich geht es wie bei § 3 SubmD darum, Unternehmen, die Verfassungs- und Gesetzesvorgaben und -ziele (Art. 110 Abs. 1 lit. a BV i.V.m. Art. 6 ArG, Art. 8 Abs. 3 BV, Art. 74 BV, Art. 100 Abs. 1 BV i.V.m. Art. 1 des Bundesbeschluss über Massnahmen zur Verbesserung des Lehrstellenangebotes und zur Entwicklung der Berufsbildung [Lehrstellenbeschluss II] vom 18. Juni 1999 [Stand am 21. Dezember 1999]) einhalten und damit tendenziell höhere All- gemeinkosten auf sich nehmen, bei der Vergabe nicht zu benachtei- ligen . Das Submissionsrecht steht innerhalb der Gesamtrechtsord- nung; es geht nicht an, mittels einer auf den Preis fixierten Ausle- gung der Vergabekriterien andere legitime Ausrichtungen der 2001 Verwaltungsgericht 346 Rechtsordnung zu desavouieren. Klar bleibt dabei immer, dass das in § 18 Abs. 2 Satz 2 SubmD als zulässig bezeichnete Zuschlags- kriterium der Lehrlingsausbildung nicht dazu dienen darf, verdeckte Diskriminierungen zu ermöglichen; solange ihm von der Gewichtung her lediglich eine geringe Bedeutung zukommt, lässt sich diese Ge- fahr durchaus in Grenzen halten (vgl. zum Ganzen auch Bernt Elsener, Vergaberecht, Wien 1999, S. 30 f.). bbb) Anlässlich der Teilrevision des Submissionsdekrets vom 18. Januar 2000 wurde u.a. auch § 18 Abs. 3 SubmD geändert. Ge- mäss der revidierten Fassung sind die ausgewählten Zuschlagskrite- rien nun neu ,,in der Reihenfolge ihrer Bedeutung und mit ihrer Ge- wichtung in der Ausschreibung aufzuführen". Die Vergabestelle ist aber weiterhin aufgrund des Dekrets grundsätzlich nicht verpflichtet, zum Voraus bekannt zu geben, wie sie die Zuschlagskriterien im Einzelnen zu bewerten gedenkt; die nachträgliche Unterteilung der Zuschlagskriterien in Sub- oder Teilkriterien stellt wie eine Beurtei- lungsmatrix lediglich ein Hilfsmittel für eine differenzierte Bewer- tung dar. Die einzelnen Subkriterien müssen sich allerdings einem in der Ausschreibung ausdrücklich aufgeführten Zuschlagskriterium zuordnen lassen bzw. davon mitumfasst werden; es dürfen hierbei nicht etwa neue Zuschlagskriterien geschaffen oder herangezogen werden (VGE III/71 vom 28. Mai 1999 in Sachen K.+P. [BE.98.00383], S. 12). Weiter dürfen die Anbieter darauf vertrauen, dass die Vergabestelle die üblichen Zuschlagskriterien - wie sie auch in § 18 Abs. 2 SubmD genannt sind - im herkömmlichen Sinn ver- steht; andernfalls müssen sie in den Ausschreibungsunterlagen ent- sprechend (möglichst detailliert) umschrieben werden, damit die Anbieter erkennen können, welchen Anforderungen sie bzw. ihre Angebote genügen müssen (AGVE 1998, S. 393 f.). Das Subkriterium Lehrlingsausbildung kann im herkömmlichen Sprachgebrauch klarerweise nicht unter das Zuschlagskriterium ,,Qualifikation des Schlüsselpersonals" subsumiert werden. Unter diesem Kriterium ist vielmehr die Bewertung der Qualifikationen der für das Gelingen der Auftragserledigung verantwortlichen oder zu- mindest relevanten Personen (z.B. Bauführer, Poliere) zu erwarten. Im vorliegenden Zusammenhang fehl am Platz sind die Argumenta- 2001 Submissionen 347 tionen der Beschwerdegegnerinnen, wonach ,,die Lehrlingsausbil- dung als ,Schlüssel` für die gesunde Fortentwicklung des Gewerbes" betrachtet werden könne, und der Vergabestelle, wonach die Lehr- lingsausbildung ,,zum Schlüssel eines guten Berufsstandes" gehöre. Beide Äusserungen mögen in der Sache ohne weiteres zutreffen, ändern indessen nichts daran, dass die Lehrlinge nach dem üblichen und damit massgebenden Verständnis gerade nicht zum Schlüssel- personal gehören. Zumindest die Beschwerdegegnerinnen räumen denn auch ein, dass die Vergabestelle (beabsichtigterweise) von der (semantisch-systematischen) Logik abgewichen sei. ccc) Scheitert nun aber die Zuordnung des an sich zulässigen Subkriteriums unter die publizierten Zuschlagskriterien, so führt diese Diskrepanz zu einer unzulässigen Ausweitung, welche vor dem Grundsatz der Transparenz des Vergabeverfahrens nicht zu bestehen vermag. Zwar hat die Vergabestelle in dem zu den Ausschreibungs- unterlagen gehörenden Beiblatt ,,Ergänzende Angaben zur Bewer- tung der Zuschlagskriterien" unter der Rubrik ,,Qualifikation Schlüs- selpersonal" tatsächlich auch die Frage nach der Anzahl beschäftigter Lehrlinge aufgeworfen, doch musste deswegen die Beschwerdefüh- rerin nicht damit rechnen, dass die Lehrlingsausbildung als Zu- schlagskriterium und mit einem Gewicht von beinahe 10 % in die Gesamtbeurteilung Eingang finden würde. Dass die Beschwerdefüh- rerin trotz diesen ergänzenden Angaben bzw. Fragen ,,zur Bewertung der Zuschlagskriterien" auf die Gewichtung und Bedeutung gemäss der öffentlichen Ausschreibung vertrauen durfte (Erw. b/aa hievor), zeigt sich auch darin, dass dem erwähnten Fragenkatalog noch wei- tere Ausweitungen zu entnehmen sind, welche aber - soweit ersicht- lich - keinen Eingang in die Bewertung gefunden haben. So wurde bezogen auf das Kriterium Preis die Frage danach gestellt, wie oft die Anbieter in den letzten 24 Monaten mit der Gemeinde L. zusam- mengearbeitet haben. Die entsprechenden Antworten wurden in der Folge richtigerweise nicht in die Bewertung miteinbezogen, die Be- schwerdegegnerinnen ihrerseits haben diese Frage nicht einmal be- antwortet. Weiter bleibt noch zu vermerken, dass der sachliche Zu- sammenhang des Zuschlagskriteriums ,,Preis" mit den in dieser Rubrik gestellten Fragen nach Referenzobjekten und Zusammen- 2001 Verwaltungsgericht 348 arbeit mit der Gemeinde L. schlicht nicht nachvollziehbar ist. Um entsprechende Subkriterien kann es sich dabei jedenfalls nicht han- deln. Auch die insgesamt wenig logische Struktur des die ergänzen- den Angaben betreffenden Beiblatts spricht daher nicht für die Ar- gumentation von Vergabestelle und Beschwerdegegnerinnen, die Beschwerdeführerin hätte aufgrund der Ausschreibungsunterlagen erkennen müssen, dass die Anzahl Lehrlinge (in Bezug auf die An- zahl Mitarbeiter) ein zuschlagsrelevantes Subkriterium gewesen sei. ddd) Als unzulässig erweist sich die Bewertung eines sich nicht einem publizierten Zuschlagskriterium zuzuordnenden Subkriteriums (Erw. bbb hievor). Weil es nun aber gerade in der Natur von vergabe- fremden Kriterien liegt, dass sich diese den die Wirtschaftlichkeit des Angebots betreffenden Vergabekriterien nicht zuordnen lassen, er- fordert das jedem Submissionsverfahren zu Grunde liegende Trans- parenzgebot zwingend eine ausdrückliche Erwähnung solcher (zuläs- siger) vergabefremder Aspekte in der Ausschreibung. Hätte die Ver- gabestelle - aus nachvollziehbaren und verständlichen Gründen - die Lehrlingsausbildung im Rahmen dieser Submission mitbewerten wollen, so hätte sie diese daher als Zuschlagskriterium mit der ent- sprechenden Gewichtung oder zumindest als klar als solches erkenn- bares Subkriterium, z.B. eines weiter gefassten Kriteriums ,,Qualifi- kation des Anbieters ", in der öffentlichen Ausschreibung selbst oder aber spätestens in den Ausschreibungsunterlagen anführen müssen.
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AG_VG_001_AGVE-2001-74_2001-08-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-74.html
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2008 Kantonale Steuern 89 [...] 20 Steuerumgehung; Verkauf einer Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung. - Besteuerung des Einmalzinsanteils (Erw. 1). - Der Steuerpflichtige kann den Verkaufszeitpunkt frei wählen und auf die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen bzw. Merkblätter vertrauen (Erw. 3). - Die Veräusserung einer Diskontobligation acht Tage vor dem Verfall an die Bank stellt vorliegend eine Steuerumgehung dar (Erw. 4). Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 27. Mai 2008 in Sachen F. (WBE.2007.293). Zur Publikation vorgesehen in StE 2009. 2008 Verwaltungsgericht 90 Aus den Erwägungen 1. 1.1. Gemäss § 29 Abs. 1 lit. b StG sind die dem Inhaber anfallenden Einkünfte aus dem Verkauf oder der Rückzahlung von Diskontobli- gationen mit überwiegender Einmalverzinsung zu versteuern. Von einer Diskontobligation wird dann gesprochen, wenn eine Obligation unter ihrem Nennwert emittiert und zum Nennwert zurückbezahlt wird. Bei gemischten Diskontobligationen erhält der Anleger zusätz- lich zur Einmalentschädigung (bei Rückzahlung der Obligation) auch periodische Zinsvergütungen, die jedoch einen geringeren Zinssatz als gewöhnliche, d.h. ausschliesslich periodisch verzinste Obligatio- nen aufweisen. Macht die periodische Verzinsung gegenüber der Einmalverzinsung mehr als die Hälfte der Gesamtrendite aus, so han- delt es sich um eine Obligation ohne überwiegende Einmalverzin- sung. Einkünfte aus Diskontobligationen ohne überwiegende Ein- malverzinsung werden durch § 29 Abs. 1 lit. a StG erfasst und sind ebenfalls zu versteuern. Während die periodischen Zinsanteile durchwegs im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu versteuern sind, ist die Unterscheidung zwischen Diskontobligationen mit oder ohne über- wiegende Einmalverzinsung für die Behandlung des Einmalzinses von Bedeutung; dieser ist bei Diskontobligationen ohne überwie- gende Einmalverzinsung erst bei Rückzahlung der Obligation zu ver- steuern, bei Diskontobligationen mit überwiegender Einmalverzin- sung begründen neben der Rückzahlung auch vorhergehende Veräus- serungen die Fälligkeit zur Besteuerung des aufgelaufenen Einmal- zinsanteils (vgl. zum Ganzen § 8 Abs. 2 StGV; Kreisschreiben Nr. 4 der ESTV vom 12. April 1999 für die Steuerperiode 2001, heute er- setzt durch Kreisschreiben Nr. 15 vom 7. Februar 2007; Dieter Heu- scher in: Kommentar zum Aargauischen Steuergesetz [StG-Kom- mentar], Band 1, 2. Auflage, Muri/Bern 2004, § 29 N 12 und 14). 1.2. Der Einkommenssteuer nicht unterworfen sind Kapitalgewinne aus der Veräusserung von beweglichem Privatvermögen (§ 33 lit. i StG). Kapitalgewinne werden als Wertzuwachsgewinne bei der Ver- 2008 Kantonale Steuern 91 äusserung von Vermögenswerten erzielt (vgl. Heuscher, a.a.O., § 33 N 17). Unter den Begriff der Kapitalgewinne fallen auch die nicht fälligen Zinsen, die seit dem letzten Fälligkeitstermin bis zum Ver- äusserungszeitpunkt einer Kapitalforderung aufgelaufen und vom Käufer zu begleichen sind, die sogenannten Marchzinsen (anders aber, wie zuvor ausgeführt, der Einmalzinsanteil bei Diskontobliga- tionen mit überwiegender Einmalverzinsung). 1.3. Im Vergleich zu Art 17 ff. DBG regelt das StHG die Einkunfts- arten in Art. 7 Abs. 1 nur rudimentär. Die Kantone können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts aber nicht von der Lösung des Bundesgesetzgebers abweichen, soweit es um die Steuerbarkeit und die Steuerbefreiung der Einkünfte sowie die Differenzierung von steuerfreiem Kapitalgewinn und Vermögensertrag geht (Urteil vom 8. Februar 2006 [2A.438/2005], Erw. 4.2; Stellungnahme ESTV). Die Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. a und b DBG stimmt mit den auf- geführten kantonalen Vorschriften nahezu wörtlich überein. 2. 2.1. Die Beschwerdeführer erwarben im Jahr 1994 die Obligation 3.75% B. AG, Laufzeit bis 13. Juni 2001, für 82.65 % des Nennwer- tes, der DM ... betrug. Es handelt sich unbestrittenermassen um eine Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung. Kurz vor dem Rückzahlungstermin, mit Valuta 5. Juni 2001, verkauften die Beschwerdeführer die Obligation zu einem Preis von ..., ent- sprechend einem Kurs von 99.95 %. Ab dem 13. Juni 2000 bis zum Verkaufsdatum waren .... an periodischen Zinsen aufgelaufen (352 Tage). Anlässlich der Veräusserung wurde eine Courtage von ... sowie eine Stempelsteuer von ... erhoben. 2.2. Es ist nicht mehr streitig, dass die Besteuerung der periodischen Zinsen im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfolgen hat und dass die im Zeitpunkt der Veräusserung der Obligation am 5. Juni 2001 aufgelau- fenen periodischen Zinsen von umgerechnet Fr. ... als Marchzinsen bei den Beschwerdeführern einen nicht zu versteuernden Kapitalge- winn im Sinne von § 33 lit. i StG darstellen. Ebenso steht fest, dass 2008 Verwaltungsgericht 92 der Einmalzins grundsätzlich in gleicher Weise erst bei Rückzahlung der Obligation zu versteuern ist, da es um eine Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung geht. Anders verhält es sich nur, falls die Veräusserung acht Tage vor dem Verfall der Obligation eine Steuerumgehung (siehe dazu hinten Erw. 4.1.) darstellt. Zu- nächst ist dabei zu prüfen, ob das Gesetz für die Anwendung der Re- geln über die Steuerumgehung überhaupt Raum lässt (hinten Erw. 3). 3. 3.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, der Gesetzgeber habe bewusst Marchzinsen von der Besteuerung ausgenommen und ebenso alle übrigen vor Fälligkeit realisierten Zinskomponenten, wo- bei einzig die überwiegend einmalverzinslichen Produkte gemäss § 29 Abs. 1 lit. b StG ausgenommen seien. Für die Anwendung der Steuerumgehung bleibe daher kein Raum. 3.2. Auch bei Diskontobligationen ohne überwiegende Einmalver- zinsung unterliegt die Einmalzinskomponente der Besteuerung als Ertrag aus beweglichem Vermögen. Besteuerungszeitpunkt ist die Rückzahlung der Obligation, wenn auch der Einmalzinsanteil fällig ist und ausbezahlt wird. Dies entspricht der allgemeinen Regelung der Zinsbesteuerung. Die Sonderregelung, die für Diskontobligatio- nen mit ausschliesslicher oder überwiegender Einmalverzinsung ge- schaffen wurde (vorne Erw. 1.1), kommt hier nicht zur Anwendung. Dabei muss aber sichergestellt bleiben, dass am Schluss, bei der Rückzahlung der Obligation, der volle Einmalzinsanteil der Besteue- rung unterliegt. Vorkehren, die dies verhindern, sind unter dem Ge- sichtspunkt der Steuerumgehung zu prüfen. Die ESTV führte dazu aus, dass davon ausgegangen werden könne, "dass die Banken ihren Kunden zur Steuervermeidung nur zu gerne eine Veräusserung kurz vor Verfall empfehlen werden, weil sie damit im Gegensatz zur Rückzahlung der Obligation zusätzlich verursachte Transaktions- kosten vereinnahmen und dabei nötigenfalls die Obligation auch (für ihren Teil) umsatzabgabefrei in den eigenen Handelsbestand erwer- ben können. Praktisch würde dies deshalb auf eine generelle steuerli- che Freistellung der Einmalverzinsungskomponente bei Diskontobli- 2008 Kantonale Steuern 93 gationen ohne überwiegende Einmalverzinsung im Privatvermögen hinauslaufen, was kaum den Intentionen des Gesetzgebers ent- sprechen dürfte" (Stellungnahme ESTV). 3.3. Den Beschwerdeführern ist insofern Recht zu geben, als es beim Börsenhandel um standardisierte Produkte und um die Ab- wicklung von Massengeschäften geht, was generell dazu führen muss, dass die mit dem Kauf und Verkauf verbundenen Steuerfolgen klar und berechenbar sind. Die mit der Bejahung einer Steuerumge- hung verbundene Korrektur mittels einer Sachverhaltsfiktion bringt immer eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich. Grundsätzlich sind die Steuerfolgen bei Diskontobligationen mit oder ohne überwie- gende Einmalverzinsung durch die Steuergesetzgebung und das Kreisschreiben Nr. 4 vom 12. April 1999 bzw. heute Nr. 15 vom 7. Februar 2007 klar geregelt. Die Heranziehung der Kriterien der Steuerumgehung ist erst dann angezeigt, wenn der Steuerpflichtige um der Steuerersparnis willen einen allzu ausgefallenen Sachverhalt konstruiert, der an sich die Voraussetzungen der Steuerbarkeit nicht erfüllt, wirtschaftlich indessen mit dem steuerbaren identisch ist (siehe hinten Erw. 4.1). Dieses Korrektiv darf also nur - aber immer- hin - in aussergewöhnlichen Fällen zur Anwendung gelangen; dies wird durch den Zusammenhang mit dem Börsenhandel nicht ausge- schlossen. Insofern geht auch das Vorbringen der Beschwerdeführer ins Leere, dass die rechtsgleiche Behandlung gefährdet sei, sobald bei einer gewöhnlichen Börsentransaktion zwischen unabhängigen Dritten nicht mehr auf die gesetzlichen Bestimmungen abgestellt werde, sondern das Vorliegen einer Steuerumgehung geprüft werde. Voraussetzung der Steuerumgehung ist eben gerade, dass eine unge- wöhnliche und sachwidrige Rechtsgestaltung vorliegt. Von einer zu- fälligen Umqualifizierung im Einzelfall kann keine Rede sein. Mit anderen Worten kann der Steuerpflichtige noch immer frei wählen, wann er die Diskontobligation ohne überwiegenden Einmal- zins verkauft. Er darf im Hinblick auf die Besteuerung des Einmal- zinsanteiles auch auf die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen bzw. die Merkblätter vertrauen. Das gewählte Vorgehen, das die Sub- 2008 Verwaltungsgericht 94 sumtion unter § 29 Abs. 1 lit. a StG sicherstellen soll, steht jedoch unter dem Vorbehalt der Steuerumgehung. 3.4. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die vom Gesetzgeber getroffene Regelung hinsichtlich der Besteuerung der Einmalzinskomponente einer Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung unter Umständen zu einer sachlich unbefriedigen- den Lösung führen kann. Sind die Kriterien der Steuerumgehung er- füllt - was nachfolgend zu prüfen sein wird - ist der Besteuerung diejenige Ordnung zu Grunde zu legen, welche der sachgemässe Ausdruck des von den Steuerpflichtigen erstrebten wirtschaftlichen Zweckes gewesen wäre (siehe hinten Erw. 4.1.). Die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Rechtsgleichheit sowie Treu und Glauben wer- den dadurch nicht tangiert. 4. 4.1. Stehen dem Steuerpflichtigen mehrere rechtliche Gestaltungs- möglichkeiten zur Verfügung, so darf er im Rahmen der erlaubten Steuerplanung diejenige wählen, welche die geringste Steuerbe- lastung zur Folge hat. Wird dabei jedoch der Bogen überspannt und nur um der Steuerersparnis willen ein allzu ausgefallener Sachverhalt konstruiert, der an sich die Voraussetzungen der Steuerbarkeit nicht erfüllt, wirtschaftlich indessen mit dem steuerbaren identisch ist, so gilt die Reizschwelle zwischen zulässiger und unzulässiger Steuerer- sparnis als überschritten (Plüss/Schade/Walther in: StG-Kommentar, Vorbemerkungen zu §§ 172-200 N 15 ff.; Ernst Blumenstein/Peter Locher, System des Schweizerischen Steuerrechts, 6. Auflage, Zürich 2002, S. 31 ff.; Ernst Höhn/Robert Waldburger, Steuerrecht, Band I, 9. Auflage, Bern/Stuttgart/Wien 2001, § 5 N 73 ff.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt eine Steuer- umgehung vor, wenn die von den Beteiligten gewählte Rechtsgestal- tung ungewöhnlich (), sachwidrig oder absonderlich, jeden- falls der wirtschaftlichen Gegebenheit völlig unangemessen er- scheint; wenn anzunehmen ist, dass diese Wahl missbräuchlich und lediglich deshalb getroffen worden ist, um Steuern einzusparen, wel- che bei sachgemässer Ordnung der Verhältnisse geschuldet wären; 2008 Kantonale Steuern 95 letztendlich wenn das gewählte Vorgehen tatsächlich zu einer erheb- lichen Steuerersparnis führen würde. Sind diese Voraussetzungen er- füllt, so wird der Besteuerung auch dann, wenn die gewählte Rechts- form unter dem Gesichtspunkt des Zivilrechts als gültig und wirksam erscheint, nicht diese Gestaltung zugrunde gelegt, sondern die Ord- nung, welche der sachgemässe Ausdruck des von den Beteiligten er- strebten wirtschaftlichen Zweckes gewesen wäre (BGE 131 II 627 Erw. 5.; StE 2001, A 12 Nr. 10 und 11). Das Vorliegen einer Steuer- umgehung ergibt sich somit aus drei Elementen, einem objektiven Element, der Ungewöhnlichkeit, einem subjektiven Element, der Ab- sicht der Einsparung, und einem effektiven Element, der Einsparung (AGVE 1996, S. 243). Die Beweislast für das Vorliegen sämtlicher objektiver und subjektiver Voraussetzungen der Steuerumgehung tragen grundsätz- lich die Steuerbehörden. An den Nachweis der Umgehungsabsicht sind allerdings keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Der Nachweis der Umgehungsabsicht gilt als erbracht, wenn für die von der steuerpflichtigen Person getroffene ungewöhnliche, sachwidrige oder absonderliche Rechtswahl keine anderen Motive als dasjenige der Steuerersparnis erkennbar sind. Dem Steuerpflichtigen steht der Gegenbeweis offen, dass die eine oder andere Voraussetzung nicht gegeben ist (AGVE 1996, S. 243 mit Hinweisen). 4.2. 4.2.1. Die Beschwerdeführer bringen vor, dass der mit Valuta vom 5. Juni 2001 getätigte Börsenverkauf weder ungewöhnlich noch sachwidrig noch absonderlich sei. Der Handel an der Börse ent- spreche einem alltäglichen Massengeschäft mit zahllosen Beteiligten und hohen Umsätzen. Etwas Alltägliches könne nicht für absonder- lich erklärt werden. 4.2.2. Demgegenüber führen die Vorinstanz und die ESTV vor allem Renditeüberlegungen an, um die Absonderlichkeit des Verkaufes der Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung kurz vor deren Verfallsdatum zu begründen. Für einen Renditevergleich seien die durch die Veräusserung angefallenen Kosten mit dem auf 8 Tage 2008 Verwaltungsgericht 96 entfallenden Einmalzinsanteil zu vergleichen. Kosten von (über 500.--) stünden einem Zinsanteil von (rund 40.--) gegenüber. 4.3. Die Veräusserung einer Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung während der Laufzeit ist an sich nicht ungewöhn- lich. Hingegen besteht ein Zeitpunkt, ab dem es sich für eine Privat- person nicht mehr lohnt, eine solche Diskontobligation zu erwerben: Übersteigen die Kosten, bestehend aus dem aktuellen Kurswert der Obligation, den Marchzinsen, den Transaktionskosten sowie den all- fälligen Steuern, den bei der Rückzahlung zu erwartenden Betrag (Nennwert der Obligation plus der periodische Zinsanteil), so ist der Erwerb einer Diskontobligation wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll. In diesem Fall könnten die Inhaber die Obligation nicht mehr verkaufen und hätten die Rückzahlung abzuwarten und dann auch den Einmal- zinsanteil zu versteuern. Wie bereits erwähnt, lohnt sich für Banken der Erwerb einer Diskontobligation ohne überwiegenden Einmal- zinsanteil bis zu deren Verfall (siehe vorne Erw. 3.2). Damit steht Privatpersonen - wie vorliegend den Beschwerdeführern - die Mög- lichkeit offen, eine Diskontobligation ohne überwiegende Einmal- verzinsung bis kurz vor deren Verfall den Banken zu übertragen, was letztendlich auf eine Steuerbefreiung der Einmalzinskomponente hinausläuft, vom Gesetzgeber aber nicht gewollt ist. In gleicher Weise, wie unter bestimmten Voraussetzungen der Erwerb einer Diskontobligation wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist, trifft dies für die Veräusserung zu, nämlich dann, wenn der Erlös, unter Berücksichtigung der Transaktionskosten, klar geringer ist als was bei der Rückzahlung der Obligation eingenommen würde, und der frühere Zahlungstermin die Einnahmenverringerung nicht auf- zuwiegen vermag. Vorliegend veräusserten die Beschwerdeführer die fragliche Obligation acht Tage vor deren Verfall. Damit waren Kosten von (rund 500.--) sowie entgangener Zins von (rund 100.-- [periodi- scher Zinsanteil: rund 64.--; Einmalzinsanteil: rund 40.--]) verbunden. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer die Mindereinnahme, vergli- chen mit der Rückzahlung der Obligation, wie sie wenige Tage später 2008 Kantonale Steuern 97 erfolgt wäre, nur in Kauf genommen haben, um Steuern einzusparen, zumal sie nicht geltend machen, das Geld aus dem Verkauf der Obli- gation sofort und unausweichlich benötigt zu haben. Mit ihrem Vorgehen erzielten die Beschwerdeführer möglichst lange, nämlich bis unmittelbar vor dem Rückzahlungstermin, Zins- einnahmen (periodischer Zins und Einmalzinsanteil). In diesem Fall haben sie jedoch auch die damit verbundenen steuerlichen Konse- quenzen, insbesondere die Versteuerung des Einmalzinses, zu tragen. Dabei ist nicht der Vergleich zwischen den Transaktionskosten und dem hypothetischen Zinsertrag für die Restlaufzeit, wie ihn die Vor- instanz vornahm, als ausschlaggebendes Kriterium für eine Steuer- umgehung heranzuziehen. Beide Beträge bedeuten letztendlich einen Verlust für die Beschwerdeführer (Schaden oder entgangener Ge- winn). Ausschlaggebend sind vielmehr die Mindereinnahme beim Verkauf im Vergleich zur Rückzahlung einerseits und die Zeitspanne zwischen diesen beiden Vorgängen. Je weiter weg vom Verfalldatum die Diskontobligation ohne überwiegende Einmalverzinsung ver- kauft wird, desto geringer ist die Mindereinnahme und desto eher spielen dabei wirtschaftliche Gründe eine Rolle. Je näher zeitlich der Verkauf beim Verfall der Obligation liegt, desto mehr treten Steuer- umgehungsabsichten in den Vordergrund. Acht Tage vor dem Verfall der Obligation war die Veräusserung im vorliegenden Fall wirtschaft- lich völlig sinnlos und nur mit der beabsichtigten Vermeidung der erst bei Rückzahlung der Obligation anfallenden Steuern auf dem Einmalzins erklärbar. Im "Normalfall" wäre die Diskontobligation gar nicht mehr zum Kurswert verkäuflich gewesen und die Beschwerdeführer hätten eine Einbusse beim Verkaufspreis in Kauf nehmen müssen oder die Ein- malzinskomponente der Obligation ohnehin zu versteuern gehabt. Dass nun mit dem Erwerb durch die Bank eine Hintertür zur Be- freiung der Einmalzinskomponente von der Steuerlast geöffnet wur- de, ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt und darf nicht dazu füh- ren, dass die Beschwerdeführer eine höhere Rendite erzielen, ohne die Konsequenzen bei der Berechnung ihrer Einkommenssteuer tra- gen zu müssen. Unter diesen Umständen kann somit nicht mehr von einem normalen Börsengeschäft gesprochen werden, sondern die 2008 Verwaltungsgericht 98 Beschwerdeführer wählten, nur um Steuern zu sparen, ein im Übri- gen wirtschaftlich unsinniges Vorgehen. 4.4. Im Endergebnis war die Veräusserung der Diskontobligation oh- ne überwiegende Einmalverzinsung kurz vor deren Verfall aus wirt- schaftlicher Hinsicht, die fiskalischen Folgen ausgeklammert, völlig absonderlich. Andere Motive als die der Steuerersparnis sind für die von den Beschwerdeführern gewählte Rechtsgestaltung nicht ersicht- lich. Somit ist auch der Nachweis an die Steuerumgehungsabsicht er- bracht. Dass die Beschwerdeführer durch ihr Vorgehen zu einer tat- sächlichen Steuerersparnis gelangten, ist offensichtlich und wird von ihnen auch nicht bestritten.
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Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 6. März 2013 (WBE.2013.82) Eine vom zuständigen Mitglied des Familiengerichts angeordnete vorsorgliche Klinikeinweisung zur Begutachtung (vorsorgliche Massnahme) ist nicht zulässig. 1. XY leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und misstrauischen Zügen. In den letzten Jahren häuften sich zudem sog. dissoziative Krampfanfälle infolge eines Laryngospasmus (krampfartige reflektorische Kontraktion der Kehlkopfmuskulatur), wodurch häufige Spitalaufenthalte mit durchgeführter Intubation notwendig wurden (vgl. Formular der Klinik Königsfelden betr. Weiterleitung eines Entlassungsgesuch bei Entlassungszuständigkeit des Familiengerichts vom 5. März 2013). XY war zudem wiederholt in psychiatrischen Kliniken hospitalisiert. 2. Im Januar 2013 hielt sich XY wegen eines Erstickungsanfalls stationär in einem Spital in Deutschland auf; es wurde eine erneute Intubation durchgeführt. 3. Gestützt auf eine in diesem Zusammenhang erstattete Meldung der Beiständin von XY ersuchte das Familiengericht Rheinfelden als zuständige Erwachsenenschutzbehörde Mitte Februar 2013 verschiedene Stellen um Auskunft im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Situation von XY. 4. Am 1. März 2013 wurde XY von Deutschland aus ins Kantonsspital Aarau überführt. 5. Am 1. März 2013 erliess der Präsident des Familiengerichts Rheinfelden folgenden Entscheid: "1. XY wird in Anwendung von Art. 445 und Art. 449 ZGB sofort zur stationären psychiatrischen Begutachtung in die Klinik Königsfelden, Brugg, eingewiesen. Die Einweisung gilt zeitlich unbefristet. Das Kantonsspital Aarau hat diese Verfügung in geeigneter Weise sobald als möglich zu vollziehen. 2. Diese Verfügung wird XY und der zuständigen Stelle im Kantonsspital Aarau mündlich eröffnet. 3. Die zuständigen Ärzte der Klinik Königsfelden erstellen sodann zu Handen des Familiengerichtes Rheinfelden ein psychiatrisches Gutachten, welches sich auch dazu äussert, welche Massnahmen aus ärztlicher Sicht angezeigt sind, insbesondere, ob eine fürsorgerische Unterbringung aus ärztlicher Sicht notwendig erscheint." 6. Mit undatiertem Schreiben (Fax-Eingang: 4. März 2013) erhob XY fristgerecht Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Präsidenten des Familiengerichts Rheinfelden vom 1. März 2013. 7. Am 5. März 2013 beantragte der zuständige Oberarzt der Klinik Königsfelden beim Familiengericht Rheinfelden, das Entlassungsgesuch der sei gutzuheissen. 8. Gleichentags erliess der Gerichtspräsident Rheinfelden folgenden Entscheid: "1. Die Verfügung vom 1. März 2013 betreffend stationäre psychiatrische Begutachtung (Art. 449 ZGB) wird aufgehoben. 2. Das Gutachtenzentrum Abteilung Forensik PDAG Klinik Königsfelden wird beauftragt, XY sobald als möglich ambulant psychiatrisch zu begutachten. Der genaue Gutachtensauftrag wird mit separatem Schreiben erteilt. 3.-4. [...] 5. Der Austritt erfolgt am 6. März 2013 nach Erledigung der ." 9. Ein Beschwerdeverfahren gegen einen Unterbringungsentscheid wird bei dessen Aufhebung infolge dahingefallenen Rechtsschutzinteresses gegenstandslos (vgl. Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2000, S. 187; 1987, S. 217 f. mit Hinweisen; BGE 136 III 497). Dies muss auch gelten, wenn der Entscheid betreffend stationäre psychiatrische Begutachtung im Sinne von Art. 449 ZGB aufgehoben und die betroffene Person aus der Einrichtung entlassen wird. Deshalb ist das vorliegende Beschwerdeverfahren als erledigt von der Geschäftskontrolle abzuschreiben (Art. 449 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 [ZGB; SR 210] i.V.m. Art. 450f ZGB i.V.m. § 67q des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch und vom 27. März 1911 [EG ZGB; SAR 210.100] i.V.m. Art. 242 ZPO i.V.m. § 16 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Schweizerischen vom 23. März 2010 [EG ZPO; SAR 221.200]). 10. Es stellt sich von Amtes wegen die Frage, ob für den Präsidenten des Familiengerichts Rheinfelden eine Einzelzuständigkeit zur Anordnung einer stationären Begutachtung gemäss Art. 449 Abs. 1 ZGB bestand. Gemäss § 60b Abs. 1 EG ZGB entscheidet die Bezirksgerichtspräsidentin oder der Bezirksgerichtspräsident in Einzelzuständigkeit über vorsorgliche , Auskunftsbegehren und Vollstreckungen. In Abs. 2 und 3 werden ferner die Geschäfte des Kindes- und Erwachsenenschutzes aufgeführt, die in die Einzelzuständigkeit der Bezirksgerichtspräsidentin oder des fallen. Nachdem die Anordnung einer stationären Begutachtung im Sinne von Art. 449 Abs. 1 ZGB in diesem Katalog nicht erwähnt ist, kommt in casu als allfällige Rechtsgrundlage nur eine Einzelzuständigkeit für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 445 Abs. 1 ZGB in Betracht. Aus diesem Grund wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der des Familiengerichts Rheinfelden die Verfügung vom 1. März 2013 als vorsorgliche Massnahme verstanden hat. Dafür spricht die Erwähnung von Art. 445 ZGB in Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheides. Bei dieser Ausgangslage ist allerdings die Anordnung in Dispositiv-Ziffer 1, wonach die Einweisung zeitlich unbefristet sei, unzutreffend, denn über die vom zuständigen Mitglied der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als vorsorgliche Massnahme angeordnete fürsorgerische Unterbringung muss die Behörde in ordentlicher Besetzung spätestens innert 96 Stunden seit dem Entzug der Bewegungsfreiheit entscheiden (§ 67b Abs. 1 EG ZGB); dasselbe müsste naheliegenderweise, sofern dies überhaupt zulässig wäre (vgl. Erw. 11), auch bei einer vorsorglichen Einweisung zur Begutachtung gelten. Schliesslich würde es sich aufdrängen, die Verfügung explizit als vorsorgliche Verfügung zu bezeichnen oder aber zumindest beim Verfahrensgegenstand im Rubrum die Tatsache zu erwähnen, dass es sich um eine vorsorgliche Einweisung zur stationären Begutachtung handelt. 11. 11.1. Somit stellt sich die weitere Frage, ob die Anordnung einer Einweisung zur Begutachtung überhaupt als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden kann. 11.2. Art. 449 Abs. 1 ZGB bildet die gesetzliche Grundlage für eine Einweisung einer Person, deren psychiatrische Begutachtung unerlässlich ist, aber nur stationär durchgeführt werden kann. Eine solche Massnahme zur Abklärung der Verhältnisse ist zulässig, solange der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt ist. Absatz 2 gewährt die gleichen Rechtsschutzgarantien wie bei der fürsorgerischen Unterbringung (Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, Bundesblatt [BBl] 2006 7001 [nachfolgend: Botschaft Erwachsenenschutz], S. 7081). Bei einer stationären Abklärung ist der Aufenthalt in der Einrichtung auf die absolut notwendige Zeit zu beschränken. Eine Behandlung nach den Artikeln 433 f. ist nicht erlaubt (Botschaft Erwachsenenschutz, S. 7062). Erweist sich nach Abschluss der Begutachtung eine fürsorgerische Unterbringung als erforderlich, hat die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde – im Kanton Aargau also das Familiengericht – einen Unterbringungsentscheid gemäss Art. 426 ff. ZGB zu treffen. Im Regelfall wird eine Einweisung zur Begutachtung vorgenommen, wenn eine fürsorgerische Unterbringung ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, aber wichtige Grundlagen für den Unterbringungsentscheid noch fehlen. Es bedarf einer akuten Notwendigkeit für eine Unterbringung zur Abklärung. An einer solchen fehlt es, wenn einzig zu klären ist, wie die gesundheitliche Störung am besten zu behandeln ist (CHRISTOPH AUER/MICHÈLE MARTI, in: THOMAS GEISER/RUTH E. REUSSER [HRSG.], Basler Kommentar Erwachsenenschutz, Basel 2012 [nachfolgend: Basler Kommentar Erwachsenenschutz], Art. 449 N 6 ff.). Eine Einweisung zur Begutachtung kann nur von der vorgenommen werden, weil in dieser Beziehung kein Notfall vorliegt (Botschaft Erwachsenenschutz, S. 7065). Die Einweisung zur Begutachtung dient mit anderen Worten nicht der Krisenintervention. Ist bei Personen mit einer psychischen Störung eine umgehend wirkende Massnahme erforderlich, kommt nur eine fürsorgerische Unterbringung gemäss Art. 426 ff. ZGB in Betracht (Basler Kommentar Erwachsenenschutz, a.a.O., Art. 449 N 14). 11.3. Während nach Ansicht des überwiegenden Teils der Lehre die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung als vorsorgliche Massnahme ausser Betracht fällt (Basler Kommentar Erwachsenenschutz, a.a.O., Art. 445 N 11 f. mit zahlreichen Hinweisen, CHRISTOPH BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unterbringung, Basel 2011, Rz. 547 ff., insbesondere Rz. 550), kann gemäss dem kantonalen (aargauischen) Gesetzgeber eine fürsorgerische Unterbringung auch als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden. In den Erläuterungen zur (kantonalen) Botschaft wird in diesem Zusammenhang festgehalten, dies komme etwa in Frage in dringlichen Fällen, die sich beispielsweise an einem Wochenende ereignen. Diesfalls müsse die für das Pikett zuständige Person sofort einen Entscheid fällen können. Dabei habe das Mitglied der Kindes- und als besonders ermächtigte Beamtin respektive als besonders ermächtigter Beamter im Sinne von § 23 Abs. 1 der Aargauischen Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980 (KV; SAR 110.00) die betroffene Person innert 24 Stunden anzuhören, wenn dieser bereits die Bewegungsfreiheit entzogen wurde. Sofern die Voraussetzungen von Art. 426 ZGB erfüllt seien, ordne das zuständige Mitglied der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die fürsorgerische Unterbringung als Massnahme an (Erläuterungen zur Botschaft, GR.11.153, S. 25). Wie bereits in Erwägung 10 hiervor ausgeführt, entscheidet über die vom zuständigen Mitglied der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als vorsorgliche Massnahme angeordnete fürsorgerische Unterbringung die Behörde in ordentlicher Besetzung spätestens innert 96 Stunden seit dem Entzug der Bewegungsfreiheit (§ 67b Abs. 1 EG ZGB). 11.4. Mag auch die Frage der Zulässigkeit der Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung als vorsorgliche Massnahme kontrovers diskutiert werden, so kann die Anordnung einer Einweisung zur Begutachtung nicht als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden (Basler Kommentar Erwachsenenschutz, a.a.O., Art. 445 N 11 f. mit Hinweisen). Wie bereits in Erwägung 11.2 hiervor festgehalten, dient die Einweisung zur Begutachtung nicht der Krisenintervention. Es liegt also keine Konstellation vor, in der sofort ein Entscheid gefällt werden muss. Ist bei Personen mit einer psychischen Störung eine umgehend wirkende Massnahme erforderlich, kommt nur eine fürsorgerische Unterbringung gemäss Art. 426 ff. ZGB in Betracht (Basler Kommentar Erwachsenenschutz, a.a.O., Art. 449 N 14). 11.5. Demgemäss war der Präsident des Familiengerichts Rheinfelden nicht zuständig, in Einzelkompetenz eine Einweisung der Beschwerdeführerin in die Klinik Königsfelden zur Begutachtung anzuordnen. 12. Im Übrigen stellt sich die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin überhaupt (gemäss Verfügung vom 6. März 2013 nun ambulant) begutachtet werden soll, zumal sie bereits zahlreiche Hospitalisationen in Spitälern und psychiatrischen Kliniken hinter sich hat, anlässlich derer mehrfache Abklärungen erfolgt und Diagnosen gestellt worden sind (vgl. Erw. 1 hiervor).
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AG_VG
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AG_VG_002_-Kindes--und-Erwachs_2013-03-06
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/kindes__und_erwachsenenschutz/verwaltungsgericht/EntscheiddesVerwaltungsgerichtsvom6Maerz2013.pdf
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 74 [...] 14 Eine Klinikeinweisung zur Begutachtung ist in Form einer vorsorglichen Massnahme gemäss § 676 EG ZGB ausgeschlossen. Verfügung des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 6. März 2013 in Sa- chen A.W. gegen den vorsorglichen Entscheid des Präsidenten des Familiengerichts Z. (WBE.2013.82). Aus den Erwägungen 10. Es stellt sich von Amtes wegen die Frage, ob für den Präsiden- ten des Familiengerichts Z. eine Einzelzuständigkeit zur Anordnung einer stationären Begutachtung gemäss Art. 449 Abs. 1 ZGB bestand. 2013 Fürsorgerische Unterbringung 75 Gemäss § 60b Abs. 1 EG ZGB entscheidet die Bezirksgerichtspräsi- dentin oder der Bezirksgerichtspräsident in Einzelzuständigkeit über vorsorgliche Massnahmen, Auskunftsbegehren und Vollstreckungen. In Abs. 2 und 3 werden ferner die Geschäfte des Kindes- und Er- wachsenenschutzes aufgeführt, die in die Einzelzuständigkeit der Bezirksgerichtspräsidentin oder des Bezirksgerichtspräsidenten fal- len. Nachdem die Anordnung einer stationären Begutachtung im Sinne von Art. 449 Abs. 1 ZGB in diesem Katalog nicht erwähnt ist, kommt in casu als allfällige Rechtsgrundlage nur eine Einzelzu- ständigkeit für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 445 Abs. 1 ZGB in Betracht. Aus diesem Grund wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der Präsident des Familiengerichts Z. die Verfügung vom 1. März 2013 als vorsorgliche Massnahme verstanden hat. Dafür spricht die Erwähnung von Art. 445 ZGB in Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheides. Bei dieser Ausgangslage ist allerdings die Anordnung in Dispositiv- Ziffer 1, wonach die Einweisung zeitlich unbefristet sei, unzutref- fend, denn über die vom zuständigen Mitglied der Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde als vorsorgliche Massnahme angeordnete fürsorgerische Unterbringung muss die Behörde in ordentlicher Besetzung spätestens innert 96 Stunden seit dem Entzug der Bewe- gungsfreiheit entscheiden (§ 67b Abs. 1 EG ZGB); dasselbe müsste naheliegenderweise, sofern dies überhaupt zulässig wäre (vgl. Erw. 11), auch bei einer vorsorglichen Einweisung zur Begutachtung gelten. Schliesslich würde es sich aufdrängen, die Verfügung explizit als vorsorgliche Verfügung zu bezeichnen oder aber zumindest beim Verfahrensgegenstand im Rubrum die Tatsache zu erwähnen, dass es sich um eine vorsorgliche Einweisung zur stationären Begutachtung handelt. 11. 11.1. Somit stellt sich die weitere Frage, ob die Anordnung einer Ein- weisung zur Begutachtung überhaupt als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden kann. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 76 11.2. Art. 449 Abs. 1 ZGB bildet die gesetzliche Grundlage für eine Einweisung einer Person, deren psychiatrische Begutachtung uner- lässlich ist, aber nur stationär durchgeführt werden kann. Eine solche Massnahme zur Abklärung der Verhältnisse ist zulässig, solange der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt ist. Absatz 2 gewährt die gleichen Rechtsschutzgarantien wie bei der fürsorgerischen Unter- bringung (Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetz- buches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7001 [nachfolgend: Botschaft Erwachsenen- schutz], S. 7081). Bei einer stationären Abklärung ist der Aufenthalt in der Ein- richtung auf die absolut notwendige Zeit zu beschränken. Eine Be- handlung nach den Artikeln 433 f. ist nicht erlaubt (Botschaft Er- wachsenenschutz, BBl 2006 7062). Erweist sich nach Abschluss der Begutachtung eine fürsorgerische Unterbringung als erforderlich, hat die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde - im Kanton Aargau also das Familiengericht - einen Unterbringungsentscheid gemäss Art. 426 ff. ZGB zu treffen. Im Regelfall wird eine Einweisung zur Begutachtung vorgenommen, wenn eine fürsorgerische Unter- bringung ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, aber wichtige Grundla- gen für den Unterbringungsentscheid noch fehlen. Es bedarf einer akuten Notwendigkeit für eine Unterbringung zur Abklärung. An ei- ner solchen fehlt es, wenn einzig zu klären ist, wie die gesundheitli- che Störung am besten zu behandeln ist (CHRISTOF AUER/ MICHLE MARTI, in: Thomas Geiser/Ruth E. Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012 [nachfolgend: Basler Kommentar Erwachsenenschutz], Art. 449 N 6 ff.). Eine Einweisung zur Begutachtung kann nur von der Erwachse- nenschutzbehörde vorgenommen werden, weil in dieser Beziehung kein Notfall vorliegt (Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7065). Die Einweisung zur Begutachtung dient mit anderen Worten nicht der Krisenintervention. Ist bei Personen mit einer psychischen Störung eine umgehend wirkende Massnahme erforderlich, kommt nur eine fürsorgerische Unterbringung gemäss 2013 Fürsorgerische Unterbringung 77 Art. 426 ff. ZGB in Betracht (Basler Kommentar, Erwachsenen- schutz, a.a.O., Art. 449 N 14). 11.3. Während nach Ansicht des überwiegenden Teils der Lehre die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung als vorsorgliche Massnahme ausser Betracht fällt (Basler Kommentar, Erwachsenen- schutz, a.a.O., Art. 445 N 11 f. mit zahlreichen Hinweisen, CHRISTOPH BERNHART, Handbuch der fürsorgerischen Unter- bringung, Basel 2011, Rz. 547 ff., insbesondere Rz. 550), kann ge- mäss dem kantonalen (aargauischen) Gesetzgeber eine fürsorgerische Unterbringung auch als vorsorgliche Massnahme angeordnet werden. In den Erläuterungen zur (kantonalen) Botschaft wird in diesem Zu- sammenhang festgehalten, dies komme etwa in Frage in dringlichen Fällen, die sich beispielsweise an einem Wochenende ereignen. Dies- falls müsse die für das Pikett zuständige Person sofort einen Ent- scheid fällen können. Dabei habe das Mitglied der Kindes- und Er- wachsenenschutzbehörde als besonders ermächtigte Beamtin respek- tive als besonders ermächtigter Beamter im Sinne von § 23 Abs. 1 der Aargauischen KV die betroffene Person innert 24 Stunden anzuhören, wenn dieser bereits die Bewegungsfreiheit entzogen wurde. Sofern die Voraussetzungen von Art. 426 ZGB erfüllt seien, ordne das zuständige Mitglied der Kindes- und Erwachsenenschutz- behörde die fürsorgerische Unterbringung als vorsorgliche Massnah- me an (Erläuterungen zur Botschaft, GR.11.153, S. 25). Wie bereits in Erwägung 10 hiervor ausgeführt, entscheidet über die vom zuständigen Mitglied der Kindes- und Erwachsenen- schutzbehörde als vorsorgliche Massnahme angeordnete fürsorgeri- sche Unterbringung die Behörde in ordentlicher Besetzung spätes- tens innert 96 Stunden seit dem Entzug der Bewegungsfreiheit (§ 67b Abs. 1 EG ZGB). 11.4. Mag auch die Frage der Zulässigkeit der Anordnung einer für- sorgerischen Unterbringung als vorsorgliche Massnahme kontrovers diskutiert werden, so kann die Anordnung einer Einweisung zur Begutachtung unbestrittenermassen nicht als vorsorgliche Mass- nahme angeordnet werden (Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 78 a.a.O., Art. 445 N 11 f. mit Hinweisen). Wie bereits in Erwägung 11.2. hiervor festgehalten, dient die Einweisung zur Begutachtung nicht der Krisenintervention. Es liegt also keine Konstellation vor, in der sofort ein Entscheid gefällt werden muss. Ist bei Personen mit einer psychischen Störung eine umgehend wirkende Massnahme erforderlich, kommt nur eine fürsorgerische Unterbringung gemäss Art. 426 ff. ZGB in Betracht (Basler Kommentar, Erwachsenen- schutz, a.a.O., Art. 449 N 14). 11.5. Demgemäss war der Präsident des Familiengerichts Z. nicht zu- ständig, in Einzelkompetenz eine Einweisung der Beschwerdeführe- rin in die Klinik Königsfelden zur Begutachtung anzuordnen.
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2013 Verwaltungsrechtspflege 349 [...] 56 Vollstreckung des Führerausweisentzugs - Die vorzeitige Wiedererteilung des Führerausweises nach der Teil- nahme an einer anerkannten Nachschulung (Art. 17 Abs. 1 SVG) ist keine Vollstreckungsverfügung und wird im Beschwerdeverfahren gegen den Vollstreckungsentscheid nicht geprüft. - Die Praxis des Strassenverkehrsamts, wonach bei der Festsetzung des Entzugsbeginns nach Rechtsmittelverfahren, welche über sechs Monate dauern, eine maximale Frist von zwei Monaten (55-60 Ta- gen) ab Rechtskraft des Sachentscheids gewährt wird, ist im Rahmen der rechtlichen Vorgaben und dient als Richtwert der rechtsgleichen Anordnung der Vollstreckung. - Im Einzelfall sind berufliche Gründe, mit welchen ein betroffener Fahrzeuglenker vor Erlass der Vollstreckungsverfügung um eine Verschiebung nachsucht, bei der Festsetzung des Entzugsbeginns zu berücksichtigen. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 26. Juni 2013 in Sachen A. gegen Strassenverkehrsamt (WBE.2013.281). Aus den Erwägungen I. 1.-3. (...) 4. Im Beschwerdeverfahren gegen Vollstreckungsentscheide hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob eine formell genügende, insbe- sondere rechtskräftige Verfügung vorhanden ist und deren Grenzen eingehalten wurden bzw. ob die Vollstreckung sachlich oder hinsicht- lich ihres Konkretisierungsgehalts über die zu vollstreckende Anord- nung hinaus geht (siehe zum Ganzen AGVE 2011, S. 260; 1988, S. 421 ff.; 1982, S. 313). Im Vollstreckungsverfahren wird aber die der Vollstreckung zugrunde liegende Sachverfügung, in der über den 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 350 Bestand oder Nichtbestand öffentlicher Rechte und Pflichten entschieden wurde, nicht mehr beurteilt (A LFRED K ÖLZ /J ÜRG B OSS - HART /M ARTIN R ÖHL , VRG, Kommentar zum Verwaltungsrechtspfle- gegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, Vorbem. zu den §§ 29-31 N 2). Der Beschwerdeführer beantragt die Prüfung, ob durch seine Teilnahme an einem Verkehrsunterricht die Entzugsdauer reduziert werden könne. Diese Frage ist Gegenstand des Sachentscheids, im Vollstreckungsverfahren ist die beantragte Prüfung ausgeschlossen. Auf dieses Begehren ist daher nicht einzutreten. Eine vorzeitige Wiedererteilung des Führerausweises gemäss Art. 17 Abs. 1 SVG und damit im Ergebnis eine Reduktion der ver- fügten Entzugsdauer setzen voraus, dass die gesetzliche Mindestent- zugsdauer abgelaufen ist und eine anerkannte Nachschulung absol- viert wurde (vgl. P HILLIPPE W EISSENBERGER , Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 17 N 2). Die vorzeitige Wiedererteilung stellt aber keine Wiedererwägung des Sachentscheids dar. Diese Möglichkeit ändert an der Vollstreckbar- keit des Sachentscheids nichts und hat auch auf die Festsetzung des Entzugsbeginns keine Auswirkungen (VGE IV/71 vom 20. Septem- ber 2012 [WBE.2012.331], S. 7). II. 1. Der Beschwerdeführer rügt den Zeitpunkt des Entzugs und möchte den Führerausweis erst ab Dezember 2013 abgeben. Damit stellt der Beschwerdeführer weder die Rechtskraft noch die Voll- streckbarkeit der Entzugsverfügung in Frage. Der angefochtene Voll- streckungsentscheid geht inhaltlich auch nicht über den materiellen Entscheid des DVI hinaus. Die Vollstreckung ist daher zulässig. 2. 2.1.-2.3. (...) 3. Bei der Festsetzung des Vollzugsbeginns eines Warnungsent- zugs ist im Verwaltungsrecht allgemein (vgl. Art. 5 Abs. 2 BV; § 3 VRPG) der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten. Dieses Prinzip fordert, dass die Vollstreckungsmassnahmen zur Verwirkli- 2013 Verwaltungsrechtspflege 351 chung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und notwendig sind. Ausserdem muss der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Belastungen stehen, die den Privaten auferlegt werden, d.h. zumutbar sein (U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 581 mit Hinweisen). Das Legalitätsprin- zip, die Rechtsgleichheit und die Rechtssicherheit verpflichten das Strassenverkehrsamt, die Warnungsentzüge zu vollstrecken. Es hat bei der Vollstreckung lediglich einen gewissen Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Modalitäten, d.h. beim Vollzug eines War- nungsentzugs geht es ausschliesslich noch um die Ansetzung des Entzugsbeginns (vgl. VGE IV/71 vom 20. September 2012 [WBE.2012.331], S. 5). Nach der Praxis der Vorinstanz wird bei der Festsetzung des Entzugsbeginns nach Rechtsmittelverfahren, welche über sechs Monate dauern, eine maximale Frist ab Rechtskraft des Sachentscheids von zwei Monaten (55-60 Tagen; vgl. dazu VGE IV/71 vom 20. September 2012 [WBE.2012.331], S. 6) ge- währt. Diese Praxis ist, wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, im Rahmen der rechtlichen Vorgaben und dient als Richtwert der rechtsgleichen Anordnung der Vollstreckung. Massgebend ist in je- dem Fall der Einzelfall, so dass auch berufliche Gründe, mit welchen ein betroffener Fahrzeuglenker vor Erlass der Vollstreckungsverfü- gung um eine Verschiebung nachsucht, mit Anträgen zu den Modali- täten nicht nur anzuhören sind. Vielmehr sind solche Umstände auch bei der Festsetzung des Entzugsbeginns zu berücksichtigen (vgl. dazu VGE III/65 vom 26. Juni 2013 [WBE.2013.144], S. 6 f.). Im vorliegenden Fall finden sich Angaben des Beschwerdefüh- rers zur beruflichen Angewiesenheit auf den Führerausweis in den Akten des DVI. Gemäss seiner Darstellung im Schreiben vom 11. Ju- ni 2012 ist er als Einzelunternehmer und Selbstfahrer bei der Firma B. AG für die täglichen Auslieferungen von Elektrogeräten unter Vertrag. Er hat keine Angestellten und auch keine weiteren Fahr- zeuge. Der "Arbeitsvertrag" vom 10. Dezember 2008 sieht Tagespau- schalen für das Zurverfügungstellen des Lastwagens und verschie- dene Zuschläge vor. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 352 Damit ergeben sich aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte da- für, dass den Beschwerdeführer die Vollstreckung des Führeraus- weisentzugs ab Dezember 2013 weniger empfindlich treffen würde als die nun angeordnete Entzugsdauer von Juli bis Oktober 2013.
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2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 240 20 Nutzungsplanung; Beschwerdelegitimation zur Anfechtung der Zonierung einer fremden Parzelle Darf die Bauzone einer Gemeinde gemäss Richtplan nicht vergrössert werden und erfolgt im Rahmen einer Nutzungsplanungsrevision ein Flä- chenabtausch in dem Sinne, dass im Gegenzug zu einer Neueinzonung ein flächengleiches Grundstück aus der Bauzone entlassen wird, ist der von 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 241 der Auszonung betroffene Grundeigentümer auch zur Beschwerde gegen die Zonierung des fremden Grundstücks legitimiert. Nur auf diese Weise kann er verhindern, dass Fakten geschaffen werden, die einer Belassung seines eigenen Grundstücks in der Bauzone entgegenstehen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 22. Novem- ber 2018, in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde B. und Regierungsrat (WBE.2018.181). Aus den Erwägungen 2.1. 2.1.1. Zur Beschwerde ist befugt, wer ein schutzwürdiges eigenes In- teresse an der Aufhebung oder Änderung des Entscheids hat (§ 42 lit. a VRPG i.V.m. § 4 Abs. 1 BauG; § 28 BauG). Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin der Parzelle Nr. UUU, die von der angefochtenen Nutzungsplanung unmittelbar betroffen ist. Im Verfahren der allgemeinen Nutzungsplanung hat die Beschwerdeführerin somit ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Prüfung der Rechtmässigkeit der auf die Parzelle Nr. UUU an- wendbaren Nutzungsvorschriften. Entsprechend ist die Beschwerde- führerin befugt, den Genehmigungsentscheid anzufechten und in Be- zug auf die Parzelle Nr. UUU eine Änderung der Zonierung zu ver- langen. Ebenso ist die Beschwerdeführerin befugt, eine Änderung von § 11 und § 48 Abs. 2 BNO zu beantragen, da neu die Parzelle teilweise der Wohn-Arbeitszone 3 zugewiesen ist. 2.1.2. Fraglich ist hingegen, ob die Beschwerdeführerin zusätzlich zur Anfechtung der Zonierung einer fremden Parzelle (Nr. VVV) legiti- miert ist. Sie leitet ihre diesbezügliche Beschwerdelegitimation da- raus ab, dass die Einzonung der Parzelle Nr. VVV zulasten ihrer Par- zelle Nr. UUU gehe. Es sei zwar richtig, dass der Richtplan des Kan- tons Aargau im Jahr 2017 genehmigt worden und insofern Art. 38a Abs. 2 RPG mit dem darin vorgesehenen übergangsrechtlichen Ein- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 242 zonungsmoratorium nicht mehr massgebend sei. Das ändere jedoch nichts daran, dass der gemäss Art. 9 Abs. 1 RPG behördenverbind- liche Richtplan selbst (vgl. Richtplankapitel S 1.2, Planungsanwei- sung 1.2 lit. a) festhalte, dass die Gesamtfläche des Siedlungsgebiets nicht vergrössert werden dürfe. Wenn also die Parzelle Nr. VVV ein- gezont werde, habe dies zwingend zur Folge, dass die Parzelle Nr. UUU ausgezont werden müsse. Oder anders herum gesagt: Wenn sie (die Beschwerdeführerin) die Einzonung der Parzelle Nr. VVV nicht anfechte, sei sie faktisch davon ausgeschlossen, sich erfolgreich gegen die Auszonung der Parzelle Nr. UUU zu wehren. Damit sei sie in einem höheren Mass als die Allgemeinheit von der Zonierung der Parzelle Nr. VVV betroffen. Die Zonierung ihrer Parzelle Nr. UUU hänge direkt von derjenigen der Parzelle Nr. VVV ab. Nach langjähriger gefestigter Praxis des Verwaltungsgerichts muss ein Beschwerdeführer in den eigenen Interessen tatsächlich berührt sein , d.h. durch den angefochtenen Rechtsakt in irgendei- ner Art und Weise in seiner Interessensphäre in höherem Masse als die Allgemeinheit beeinträchtigt sein und ein Interesse an der Aufhe- bung oder Änderung haben. Dieses Interesse kann rechtlicher oder bloss tatsächlicher Natur sein. Ein schutzwürdiges Interesse liegt dann vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des Be- schwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst wer- den kann. Wird ein Verwaltungsentscheid in materiellem Sinne nicht von den direkt betroffenen Verfügungsadressaten, sondern von Drit- ten angefochten, hat die Legitimationsfrage insofern eine besondere Bedeutung, als mit den gestellten Anforderungen Popularbeschwer- den ausgeschlossen werden sollen. Ist in solchen Fällen ein Berührt- sein oder die spezifische Beziehungsnähe gegeben, hat der Be- schwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse, dass der Entscheid aufgehoben oder abgeändert wird. Das Interesse besteht letztlich im praktischen Nutzen, den eine erfolgreiche Beschwerde dem Beschwerdeführer einbringen wird, indem ein materieller oder ideeller Nachteil des angefochtenen Entscheides für ihn abgewendet wird. Diese Grundsätze gelten auch in Nutzungsplanverfahren (zum Ganzen: AGVE 2002, S. 279 f. mit Hinweisen; siehe auch Urteil des 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 243 Bundesgerichts vom 3. Januar 2005 [1A.105/2004, 1P.245/2004], Erw. 3 mit Hinweisen). Das in der Richtplan-Gesamtkarte des Kantons Aargau festge- legte Siedlungsgebiet umfasst gemäss den (behördenverbindlichen) Planungsgrundsätzen (Bst. A) im Richtplankapitel S 1.2: (a) die überbauten Bauzonen, in denen die bauliche Entwicklung primär in der Verdichtung und Aufwertung besteht; (b) die unüberbauten Bau- zonen, in denen eine dichte und qualitativ hochwertige Überbauung angestrebt wird; (c) Flächen, in denen im Nutzungsplanungsverfah- ren neue Bauzonen ausgeschrieben werden können (inklusive Ver- schiebungen gemäss den Beschlüssen 1.2 und 4.2); (d) Flächen von Infrastrukturanlagen des Verkehrs, die durch Bauzonen eingeschlos- sen sind beziehungsweise an Bauzonen angrenzen; (e) nicht überbau- te Grün-, Park-, Erhaltungs-, Schutz- und andere Spezialzonen, die innerhalb der Bauzonenaussengrenzen liegen. Im Nutzungsplanver- fahren können die Gemeinden das in der Richtplan-Gesamtkarte fest- gesetzte, noch nicht eingezonte Siedlungsgebiet in Abstimmung mit den beteiligten regionalen Planungsverbänden räumlich kommunal oder überkommunal anders anordnen. Voraussetzung dafür ist insbe- sondere, dass die Gesamtfläche des Siedlungsgebiets nicht vergrös- sert werden darf (Richtplankapitel S 1.2, Beschluss 1.2 lit. a [Pla- nungsanweisungen und örtliche Festlegungen]). Für die Gemeinde B., in der sich das Siedlungsgebiet gemäss Richtplan-Gesamtkarte und das Baugebiet gemäss Bauzonenplan decken, bedeutet dies, dass keine Reserveflächen ausserhalb der Bauzone für Einzonungen zur Verfügung stehen, mithin Einzonungen - während des Richtplanhori- zonts (bis 2040) - grundsätzlich nur im Rahmen von Verschiebungen zulasten eines auszuzonenden Baugrundstücks in B. selber, in einer anderen Gemeinde derselben Region oder - in begründeten Fällen - in einer anderen Region vorgenommen werden dürfen (Richtplanka- pitel S 1.2, Beschlüsse 1.2 und 4.2). Insofern ist der Beschwerdefüh- rerin darin beizupflichten, dass ihre Parzelle Nr. UUU respektive der südliche und westliche Teil davon nur in der Bauzone belassen wer- den darf, wenn im Gegenzug auf die Einzonung eines anderen Grundstücks vergleichbarer Grösse verzichtet wird (oder - was vor- liegend ausser Diskussion steht - ein anderes Grundstück ausgezont 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 244 wird). Alles andere wäre nicht richtplankonform, es sei denn, es kä- me zu einem überkommunalen oder überregionalen Ausgleich, was indessen nicht geltend gemacht wird. Im Rahmen der aktuellen Gesamtrevision der Nutzungsplanung wurde lediglich die Parzelle Nr. VVV neu einer Bauzone zugewie- sen, und zwar im Austausch gegen die Auszonung von ungefähr flä- chengleichen Teilen der Parzelle Nr. UUU. Die Interdependenz zwi- schen der Auszonung von Teilen der Parzelle Nr. UUU und der Ein- zonung der Parzelle Nr. VVV ergibt sich unzweifelhaft aus dem Pla- nungsbericht vom 8. August 2016 sowie aus Erw. 2.3 des vorinstanz- lichen Genehmigungsentscheids, wo von einem flächengleichen Ab- tausch zwischen der Zentrumszone I an der C.-Strasse (wo sich die Parzelle Nr. VVV befindet) und weniger gut gelegenen randlichen Gebieten der Wohnzone W2 und der Mischzone WG3 (gemeint sind die ausgezonten Teile der Parzelle Nr. UUU) gesprochen wird. Es liegt daher auf der Hand, dass die Gemeinde eine allfällige Belas- sung der fraglichen Teile der Parzelle Nr. UUU in der Bauzone mit dem Verzicht auf die Einzonung der Parzelle Nr. VVV und nicht mit der Auszonung eines anderen Grundstücks kompensieren würde. Anders als im Fall, welchen das Verwaltungsgericht im von der Vorinstanz im Beschwerdeentscheid zitierten Urteil vom 2. Juni 2006 zu beurteilen hatte, hat die Beschwerdeführerin somit ein sehr spezi- fisches und aktuelles Interesse daran, dass die Parzelle Nr. VVV nicht eingezont wird. Nur auf diese Weise könnte ein Verbleib des südlichen und westlichen Teils ihrer Parzelle Nr. UUU in der Bauzo- ne gewährleistet werden. Sie wehrt sich nicht generell gegen eine überdimensionierte Bauzone, welche der Zuweisung des eigenen Grundstücks zum Baugebiet entgegensteht (oder ihr in Zukunft ent- gegenstehen könnte), sondern gegen einen bereits beschlossenen Flächenabtausch zu ihren Lasten, der ausschliesslich sie und den anderen Miteigentümer der Parzelle Nr. UUU betrifft. Dabei tut nichts zur Sache, dass ihr Grundstück unabhängig von der Einzonung der Parzelle Nr. VVV (aus anderen Gründen) ausgezont worden wä- re. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Verbleib in der Bauzone auf- grund des im Richtplan statuierten Verbots der Siedlungsvergrösse- rung ausgeschlossen ist, wenn das Baugebiet ohne Kompensation 2018 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 245 andernorts auf die Parzelle Nr. VVV ausgedehnt wird. Hätte die Be- schwerdeführerin diese Neuzonierung nicht angefochten und die Er- teilung der aufschiebenden Wirkung beantragt (was die Gemeinde B. von sich aus umsetzte), wären theoretisch Vorbereitungsmassnahmen zur Überbauung der Parzelle Nr. VVV möglich gewesen und damit Fakten gegen die Zuweisung der eigenen Grundstücksteile zur Bauzone geschaffen worden. Folglich ist in der vorliegenden Kon- stellation die Beschwerdeführerin durch den Beschluss, die Parzelle Nr. VVV neu einer Bauzone zuzuweisen, materiell beschwert; ihr schutzwürdiges Interesse an der Nichteinzonung dieses Grundstücks ist ausgewiesen.
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2005 Gesundheitsrecht 307 IX. Gesundheitsrecht 63 Ärztliche Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit der Beihilfe zum Suizid. - Die Verordnung eines rezeptpflichtigen Betäubungsmittels stellt eine aufsichtsrechtlich relevante Tätigkeit im Rahmen der ärztlichen Be- rufsausübung dar; hierin eingeschlossen sind die der Rezeptierung vorausgehenden Untersuchungen und Abklärungen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 BetmG; §§ 22 Abs. 1 und 33 Abs. 1 GesG) (Erw. 2). - Völkerrechtliche Aspekte, insbesondere Anwendung von Art. 8 EMRK (Erw. 3). - Rückgriff auf die SAMW-Richtlinien (Erw. 4/a). Würdigung der Ein- zelfälle (Erw. 4/b). - Verhältnismässigkeit des Verbots, von der Betäubungsmittelgesetzge- bung erfasste Stoffe zu rezeptieren oder abzugeben (Erw. 5). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. Januar 2005 in Sa- chen M. gegen Regierungsrat. Aus den Erwägungen 1. Das Gesundheitsdepartement wirft dem Beschwerdeführer vor, gegen § 22 Abs. 1 GesG und gegen Art. 11 BetmG verstossen zu haben, dies namentlich weil er Suizidbeihilfe bei psychisch Kranken geleistet, die Diagnosestellung und die Abklärung der Urteilsfähig- keit nicht mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt sowie unzureichende Zeugnisse ausgestellt habe. Auch der Regierungsrat bejahte eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflichten. Der Beschwerdeführer nimmt nun unter Hinweis auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) den Stand- punkt ein, Beihilfe zum Suizid sei keine ärztliche Tätigkeit im Sinne der Behandlung eines Patienten; folglich gebe es für eine staatliche 2005 Verwaltungsgericht 308 Aufsicht über diese Gutachtertätigkeit auch keine gesetzliche Grundlage. 2. a) Gemäss Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BetmG können Ärzte, Zahn- ärzte, Tierärzte und verantwortliche Leiter von öffentlichen oder Spitalapotheken, die ihren Beruf auf Grund der von der zuständigen kantonalen Behörde gemäss Bundesgesetz vom 19. Dezember 1877 betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der Schweize- rischen Eidgenossenschaft erteilten Ermächtigung selbständig aus- üben, Betäubungsmittel nach Massgabe des Bedarfs der vorschrifts- gemässen Berufsausübung ohne besondere Bewilligung beziehen, lagern, verwenden und abgeben. Zum Verordnen von Betäubungs- mitteln sind die in Art. 9 genannten Ärzte und Tierärzte befugt (Art. 10 Abs. 1 BetmG). Auch § 33 Abs. 1 GesG schreibt unter dem Randtitel "Rezeptbefugnis" vor, dass Arzneimittel nur von Ärzten, Zahnärzten und behandelnden Tierärzten verordnet werden dürfen. Die Verordnung eines rezeptpflichtigen Betäubungsmittels - und um ein solches handelt es sich bei dem hier in Frage stehenden Wirkstoff Natrium-Pentobarbital (Anhang a der Verordnung des Schweizeri- schen Heilmittelinstituts über die Betäubungsmittel und psychotro- pen Stoffe vom 12. Dezember 1996 [SR 812.121.2, Fassung vom 15. November 2001]) - darf somit von Bundesrechts wegen wie auch nach kantonalem Recht nur im Rahmen der ärztlichen Berufsaus- übung erfolgen, welche der Aufsicht durch den Kantonsarzt und das Gesundheitsdepartement untersteht (§ 4 und § 7 Abs. 4 GesG). b) Handelt es sich beim Verordnen eines Betäubungsmittels um eine aufsichtsrechtlich relevante Tätigkeit im Rahmen der Berufs- ausübung, trifft dies selbstverständlich auch auf die der Verordnung vorausgehenden Untersuchungen und Abklärungen zu. Diese bilden eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausstellung des Rezepts, denn Betäubungsmittel dürfen nur in dem Umfang verordnet werden, wie dies nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissen- schaften notwendig ist (Art. 11 Abs. 1 BetmG; siehe auch Art. 26 Abs. 1 HMG). Die behördliche Beurteilung, ob die Verordnung eines Betäubungsmittels im Einzelfall rechtmässig war, erfolgt daher aufgrund der vorgängig durchgeführten Untersuchungen und Abklärungen, über die der Arzt von Gesetzes wegen Aufzeichnungen 2005 Gesundheitsrecht 309 zu machen hat (§ 23 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GesG). Ob der Arzt dabei im direkten Auftrag des Suizidwilligen handelt oder aber als "Gut- achter" im Auftrag einer Institution (z.B. DIGNITAS oder EXIT), welcher er das Betäubungsmittel schliesslich rezeptiert, ist aus aufsichtsrechtlicher Sicht unerheblich. In beiden Fällen muss die Verordnung des Betäubungsmittels den erwähnten Anforderungen von Art. 11 Abs. 1 BetmG, aber auch jenen von § 22 Abs. 1 GesG genügen, wonach sich die Medizinalpersonen bei der Berufsaus- übung an die Grundsätze der Wissenschaft, der Berufsethik und der Wirtschaftlichkeit der Behandlung zu halten haben. Diese Vorgaben sind naturgemäss auch zu beachten, wenn die Leistungen des Arztes unentgeltlich oder gegen Überweisung eines symbolischen Honorars an eine gemeinnützige Organisation erbracht werden. Insofern überzeugt der Standpunkt des Beschwerdeführers, der zwischen ärztlicher und nichtärztlicher Tätigkeit unterscheidet und auf den Umstand verweist, dass kein Vertragsverhältnis mit den Patienten bestand, nicht. Dem Beschwerdeführer hilft auch nicht, dass in den vom Senat der SAMW am 25. November 2004 genehmigten medi- zinisch-ethischen Richtlinien "Betreuung von Patienten am Lebens- ende" (Ziff. 4.1, S. 7) festgestellt wird, die Beihilfe zum Suizid sei "nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit". Diese Aussage ist klarerweise mit Blick auf die Ziele der Medizin gemeint, Krankheiten zu heilen, Schmerzen zu lindern und den Patienten in seiner Krankheit zu be- gleiten; Freitodbegleitung gehört - zumindest in einem engeren Sinne - nicht dazu (a.a.O., S. 7). c) Als Zwischenergebnis ist mithin festzuhalten, dass der Be- schwerdeführer, soweit er die medizinischen Akten von suizidwilli- gen Personen studierte, mit ihnen Gespräche führte, ihnen ärztliche Zeugnisse ausstellte und zuhanden von DIGNITAS Natrium-Pento- barbital rezeptierte, im Rahmen der ärztlichen Berufsausübung han- delte, welche der Aufsicht durch den Kantonsarzt und das Gesund- heitsdepartement unterstand. Die sachliche Zuständigkeit des Ge- sundheitsdepartements ist daher zu bejahen; es war nach Massgabe von § 4 Abs. 2 GesG befugt, die aufsichtsrechtlich notwendigen Massnahmen und Verfügungen zu erlassen. 2005 Verwaltungsgericht 310 3. a) Der Beschwerdeführer setzt dem nun allerdings das Völ- kerrecht, insbesondere Art. 8 EMRK entgegen. Diese Bestimmung verschaffe dem Einzelnen einen Anspruch auf Achtung seines Pri- vatlebens, wozu auch das Recht gehöre, seinem eigenen Leben ein selbstbestimmtes Ende zu bereiten; die Suizidfreiheit bestehe vor- aussetzungslos, vollkommen unabhängig von irgend einer medizini- schen Indikation. Der Anspruch aus Art. 8 EMRK reiche aber noch weiter. Die Schwierigkeit bestehe nämlich darin, dass aufgrund der heutigen technischen und pharmazeutischen Gegebenheiten keine allgemein zugängliche Methode des Suizids mehr bestehe, die eini- germassen risikofrei wirke, wogegen die einzige Methode, welche bei regelrechter Durchführung risiko- und schmerzfrei wirke - die Verwendung von Natrium-Pentobarbital -, auch dann nicht allgemein und ohne weiteres zugänglich sei, wenn für einen Menschen wirklich ernsthafte Gründe vorhanden seien, seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten. Soweit das Landesrecht nicht die Möglichkeit vorsehe, Natrium-Pentobarbital zur Durchführung eines risiko- und schmerz- losen Suizids zu beziehen, bestehe das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierte Recht auf Beendigung des eigenen Lebens nur theore- tisch. Dies stelle eine Verletzung der EMRK dar. Dieser Standpunkt stützt sich im Wesentlichen auf den Aufsatz "Die EMRK schützt die Suizidfreiheit" von Ludwig A. Minelli ab (veröffentlicht in: AJP 5/2004, S. 491 ff. [Zusammenfassung auf S. 497 f.]). b) Art. 8 EMRK lautet wie folgt: " (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Fami- lienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz." (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokrati- schen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechter- haltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Frei- heiten anderer." aa) Wegleitend für die Auslegung von Art. 8 EMRK ist das Ur- teil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 29. April 2002 in der Sache Diane Pretty v. The United 2005 Gesundheitsrecht 311 Kingdom (2346/02). Zu beurteilen war der Fall einer 43-jährigen Frau, die an einer fortgeschrittenen Form der amyotrophen Lateral- sklerose litt. Es handelt sich dabei um eine unheilbare neurologische Erkrankung, die zum Verlust der Muskelsubstanz und damit einher- gehend zu einer fortschreitenden Lähmung führt (Erw. 7). Diane Pretty war vom Hals an abwärts gelähmt, konnte kaum noch ver- ständlich sprechen und wurde mittels eines Schlauchs ernährt. Ihre Lebenserwartung war kurz und konnte nur noch in Wochen oder Monaten gemessen werden. Nicht beeinträchtigt waren ihr Intellekt und ihre Urteilsfähigkeit. Sie äusserte mit Nachdruck den Wunsch, selber bestimmen zu können, wann sie sterbe, um auf diese Weise von Leiden und Unwürdigem verschont zu bleiben (Erw. 8). Ihr Ehegatte sollte ihr beim Freitod behilflich sein, aber nur, wenn ihm von den Strafverfolgungsbehörden Straffreiheit garantiert würde, was diese mit Verweisung auf den "Suicide Act 1961" jedoch ablehnten (Erw. 10 ff.). Der EGMR führte in diesem Zusammenhang und mit Blick auf Art. 8 EMRK wörtlich aus (Erw. 67): "The applicant in this case is prevented by law from exercising her choice to avoid what she considers will be an undignified and distressing end of her life. The court ist not prepared to exclude that this constitutes an interference with her right to respect for private life as guaranteed under Article 8 § 1 of the Convention." Ob das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8 Abs. 1 EMRK auch das Recht, seinem eigenen Leben ein selbst- bestimmtes Ende zu bereiten, umfasst, ist damit vom EGMR noch nicht endgültig entschieden worden. Dies räumt im Übrigen auch Minelli ein (a.a.O., S. 492). bb) Selbst wenn man davon ausginge, Art. 8 Abs. 1 EMRK ga- rantiere dieses Recht, bestünde es nicht voraussetzungslos, wie dies der Beschwerdeführer postuliert. Im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK sind nämlich Einschränkungen des Rechts auf Achtung der Privatsphäre möglich. Dort sind für die staatlichen Behörden die Rechtfertigungsgründe für Eingriffe, für das Individuum die Schran- ken der Ausübung des jeweiligen Rechts festgelegt. Eingriffe staat- licher Behörden bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, welche hin- reichend zugänglich und hinreichend präzise formuliert sein muss. 2005 Verwaltungsgericht 312 Der Eingriff muss darüber hinaus einen in Art. 8 Abs. 2 EMRK ab- schliessend genannten Zweck verfolgen. Schliesslich muss der be- hördliche Eingriff "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein. Der EGMR hat diesen Rechtfertigungsgrund in ständiger Rechtsprechung so ausgelegt, dass die Massnahmen einem "dringen- den gesellschaftlichen Bedürfnis" entsprechen und verhältnismässig erscheinen müssen (Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Auflage, Zürich 1999, Rz. 543 ff. mit Hinweisen; Jochen Frowein / Wolfgang Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention, 2. Auflage, Kehl 1996, Art. 8 N 12 ff.). In diesem Sinne prüfte der EGMR, ob der "Suicide Act 1961" den Anforderungen von Art. 8 Abs. 2 EMRK genüge (Erw. 67); er führte dazu aus (Erw. 74): "Nonetheless, the Court finds, in agreement with the House of Lords and the majority of the Canadian Supreme Court in Rodriguez , that States are entitled to regulate through the operation of the general criminal law activities which are detrimental to the life and safety of other individuals (see also Laskey, Jaggard and Brown , cited above, pp. 132-33, § 43). The more serious the harm involved the more heavily will weigh in the balance considerations of public health and safety against the countervailing principle of personal autonomy. The law in issue in this case, section 2 of the 1961 Act, was designed to safeguard life by protecting the weak and vulnerable and especially those who are not in a condition to take informed decisions against acts intended to end life or to assist in ending life. Doubtless the condition of terminally ill individuals will vary. But many will be vulnerable and it is the vulnerability of the class which provides the rationale for the law in question. It is primarily for States to assess the risk and the likely incidence of abuse if the general prohibition on assisted suicides were relaxed or if exceptions were to be created. Clear risks of abuse do exist, notwithstanding arguments as to the possibility of safeguards and protective procedures." Für den EGMR sind somit öffentliche Gesundheit und Privat- autonomie gegeneinander abzuwägen. Der Schutz der schwachen und verletzlichen Personen rechtfertige ein Gesetz, das die Beihilfe zum Suizid unter Strafandrohung verbietet. Es sei hauptsächlich 2005 Gesundheitsrecht 313 Sache der Staaten, die Risiken abzuwägen und die Wahrscheinlich- keit von Missbräuchen zu bewerten, welche mit einer Lockerung der gesetzlichen Regelung bzw. mit einer Schaffung von Ausnahmen einhergingen. Es existierten klare Missbrauchsrisiken, und zwar ungeachtet der Möglichkeit schützender Verfahren. Gestützt hierauf gelangte der EGMR im Fall Pretty zur Schlussfolgerung, dass der betreffende Eingriff als "in einer demokratischen Gesellschaft not- wendig" für den Schutz Dritter sei und dementsprechend keine Ver- letzung von Art. 8 EMRK vorliege (Erw. 78). Insofern erweist sich die Auffassung des Beschwerdeführers, es sei in keiner Weise er- sichtlich, dass das Recht, seinem eigenen Leben ein selbstbestimmtes Ende zu bereiten, von den Vertragsstaaten unter Berufung auf Art. 8 Abs. 2 EMRK irgendwie eingeschränkt oder gar entzogen werden dürfe, da die für derartige Eingriffe erforderlichen Voraussetzungen, wie sie von Art. 8 Abs. 2 EMRK gefordert würden, vollständig fehl- ten, als nicht haltbar. Eine genügende gesetzliche Grundlage vor- ausgesetzt, ist ein solcher Eingriff auch nach Auffassung des EGMR aufgrund der Schwere des betroffenen öffentlichen Interesses durch- aus zulässig. In gleicher Weise lässt sich gestützt auf Art. 36 BV ein Eingriff in die durch Art. 10 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 BV geschützte individuelle Selbstbestimmung rechtfertigen, sofern dadurch das Grundrecht weder völlig unterdrückt noch seines Gehalts als fundamentale Institution der Rechtsordnung entleert wird (Ulrich Häfelin / Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. Auf- lage, Zürich 2005, Rz. 370 ff. mit Hinweisen). c) aa) Der Selbstmordversuch ist nach kontinental-europäischer Auffassung straflos bzw. "unverboten" (siehe den Bericht der Ar- beitsgruppe "Sterbehilfe" an das Eidgenössische Justiz- und Polizei- departement vom März 1999 [im Folgenden: Bericht "Sterbehilfe"], S. 12). So statuiert auch Art. 115 StGB die Straflosigkeit des Dritten, der dem Suizidenten die Mittel zur Selbsttötung beschafft, sofern er aus uneigennützigen Motiven handelt. Aus der Straffreiheit der Suizidbeihilfe lässt sich freilich nicht schliessen, das Recht, seinem eigenen Leben ein selbstbestimmtes Ende zu bereiten, erlaube Ärzten die Abgabe von Natrium-Pentobarbital an Suizidwillige. Für diese Berufsgruppe gelten mit Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG 2005 Verwaltungsgericht 314 besondere gesetzliche Vorgaben. Dies sind generell-abstrakte Normen, welche den Anforderungen von Art. 8 Abs. 2 EMRK an eine Eingriffsnorm genügen. bb) Es gibt heute weder auf völker- noch auf landesrechtlicher Ebene eine Norm, welche einen Arzt berechtigt, ausserhalb seiner Berufspflichten und losgelöst von einer medizinischen Indikation zu Handen von Suizidwilligen bzw. von Sterbehilfeorganisationen Na- trium-Pentobarbital zu verschreiben. Klarerweise liegt damit ein sogenanntes qualifiziertes Schweigen, d.h. eine bewusst negative Antwort des Gesetzgebers, und keine Gesetzeslücke vor (siehe zu diesen Begriffen BGE 125 V 11 mit zahlreichen Hinweisen; ferner Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2002, Rz. 233 ff.; AGVE 1993, S. 376; VGE III/38 vom 18. Mai 2004 [BE.2004.00019], S. 20). Wer im Bereich der Beihilfe zum Suizid Recht schaffen will, hat die ausserordentlich schwierige Frage zu entscheiden, wie sie sich zu Art. 2 EMRK verhält, wo die staatliche Pflicht zum Schutz des Le- bens statuiert ist (siehe auch das erwähnte Urteil des EGMR, Erw. 34 ff.). Die Frage hat in erster Linie eine moralisch-ethische Dimension, beschlägt daneben aber auch die Frage der Sozialkosten (siehe die Arbeit von Peter Holenstein, "Der Preis der Verzweiflung" [Über die Kostenfolgen des Suizidgeschehens in der Schweiz], September 2003). Ist die Lösung eines Problems aber derart von Weltan- schauungen und auch von politischen Randbedingungen geprägt, ist der Richter schlicht überfordert. Es muss vielmehr dem Gesetzgeber anheim gestellt bleiben, aktiv zu werden und, falls ein entsprechen- des öffentliches Bedürfnis ausgemacht wird, eine adäquate Regelung zur Lockerung der Suizidbeihilfe zu treffen (siehe auch das erwähnte Urteil des EGMR, Erw. 74). d) Nach dem Gesagten bleibt zu prüfen, ob mit Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG ein in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufge- führter Zweck verfolgt wird und die in diesen Bestimmungen ent- haltenen Massnahmen einem dringenden gesellschaftlichen Bedürf- nis entsprechen. Beide Voraussetzungen sind erfüllt. Die an die aner- kannten Regeln der medizinischen Wissenschaften bzw. die Grund- sätze der Wissenschaft anknüpfende Reglementierung der Rezeptie- 2005 Gesundheitsrecht 315 rung von Betäubungsmitteln dient offensichtlich der Wahrung der öf- fentlichen Gesundheit, indem ein missbräuchlicher Umgang mit Be- täubungsmitteln verhindert werden soll; solche Risiken bestehen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch im Bereich der Suizid- beihilfe (siehe dazu das erwähnte Urteil des EGMR, Erw. 74). Ange- sichts der Gefährlichkeit von Betäubungsmitteln, insbesondere auch von Natrium-Pentobarbital, welches je nach Dosis zum Tode führt, ist auch das dringende gesellschaftliche Bedürfnis nach solchen Be- stimmungen ausgewiesen. Folglich vermögen die hinter Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG stehenden gesetzgeberischen Zielsetzungen Eingriffe in die gemäss Art. 8 Abs. 1 EMRK ge- schützten Garantien, d.h. auch in das Recht auf Achtung der Pri- vatsphäre zu rechtfertigen. Ein Eingriff in den unantastbaren Kern- gehalt des Rechts, seinem eigenen Leben ein selbstbestimmtes Ende zu bereiten, liegt dabei nicht vor; weder wird die Ausübung dieses Rechts verboten noch sonst in einer Weise eingeschränkt, dass von einer völligen Unterdrückung bzw. Entleerung seines Gehalts ge- sprochen werden muss. Insbesondere kann aus der Rechtsordnung kein Anspruch auf einen risiko- und schmerzlosen Suizid abgeleitet werden, wie dies der Beschwerdeführer suggerieren will. 4. a) aa) Soweit Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG auf die "anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften" bzw. auf die "Grundsätze der Wissenschaft" und "der Berufsethik" verweisen, bedienen sie sich unbestimmter Rechtsbegriffe. Diese Rechtsfiguren umschreiben die Voraussetzungen der Rechtsfolge oder die Rechtsfolge selbst in offener, unbestimmter Weise (BGE 98 Ib 509; AGVE 2002, S. 402; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 445). Die Abgrenzung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen ist dabei fliessend; bei beiden Begriffen liegen offene Formulierungen vor, welche den rechtsanwendenden Behörden einen Entscheidungsspielraum gewähren. Der Unterschied liegt darin, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe der Auslegung zugänglich sind und diese eine Rechts- und keine Ermessensfrage darstellt (AGVE 2002, S. 402; Häfelin/Müller, a.a.O., Rz. 448). bb) Nach Auffassung des Gesundheitsdepartements müssen die erwähnten Begriffe dahingehend verstanden werden, dass der Arzt 2005 Verwaltungsgericht 316 verpflichtet sei, seine Tätigkeit lege artis, d.h. dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaften entsprechend, und unter Berück- sichtigung der ärztlich allgemein anerkannten ethischen Grundsätze auszuüben; bei der Konkretisierung dieser Begriffe spielten die Richtlinien der SAMW eine bedeutende Rolle. Der Regierungsrat teilt diese Auffassung. aaa) Den SAMW-Richtlinien fehlt aus der Sicht des Bundes- rechts ein für Ärzte und Patienten verbindlicher Charakter, denn dieses Recht verweist an keiner Stelle darauf. Anders verhält es sich in denjenigen kantonalen Rechtsordnungen, welche die Anwendbar- keit der Richtlinien ausdrücklich vorsehen oder sie aufgrund einer Verweisung zum Bestandteil des kantonalen Rechts erklären (Bericht "Sterbehilfe", S. 15, mit Hinweis auf ein unveröffentlichtes Gutach- ten des Bundesamtes für Justiz vom 3. März 1998 samt Zusatzbericht vom 7. April 1998). So hat das Bundesgericht kantonale Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen, welche die Anwendbarkeit der SAMW-Richtlinien ausdrücklich vorsahen, für zulässig erklärt (BGE 98 Ia 512 ff., 123 I 122 ff.). Weil eine solche Verweisung im vorliegenden Fall fehlt, ist nach dem Gesagten von der grundsätzli- chen Unverbindlichkeit der Richtlinien auszugehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe bzw. als Auslegungshilfe herangezogen werden dür- fen, sofern sie tatsächlich den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaften widerspiegeln. bbb) Bezüglich der Beihilfe zum Suizid sind heute in allge- meiner Hinsicht die bereits erwähnten medizinisch-ethischen SAMW-Richtlinien "Betreuung von Patienten am Lebensende" (vorne Erw. 2/b) relevant. Unter der Ziffer 4.1 ("Beihilfe zum Sui- zid") führen sie Folgendes aus: "Gemäss Art. 115 des Strafgesetzbuches ist die Beihilfe zum Suizid straflos, wenn sie ohne selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Dies gilt für alle Personen. Die Rolle des Arztes besteht bei Patienten am Lebensende darin, Symptome zu lindern und den Patienten zu begleiten. Es ist nicht seine Aufgabe, von sich aus Suizidbeihilfe anzubieten, sondern er ist 2005 Gesundheitsrecht 317 im Gegenteil dazu verpflichtet, allfälligen Suizidwünschen zugrunde liegende Leiden nach Möglichkeit zu lindern. Trotzdem kann am Lebensende in einer für den Betroffenen uner- träglichen Situation der Wunsch nach Suizidbeihilfe entstehen und dauerhaft bestehen bleiben. In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein schwer lösbarer Kon- flikt entstehen. Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den Zielen der Medizin wider- spricht. Auf der anderen Seite ist die Achtung des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patienten-Beziehung. Diese Dilemmasitua- tion erfordert eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren. In jedem Fall hat der Arzt das Recht, Sui- zidbeihilfe abzulehnen. Entschliesst er sich zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die Verantwortung für die Prüfung der folgenden Voraussetzungen: - Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe ist. - Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht auch eingesetzt. - Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen Drittperson überprüft, wobei diese nicht zwingend ein Arzt sein muss. Der letzte Akt der zum Tode führenden Handlung muss in jedem Fall durch den Patienten selbst durchgeführt werden." Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat im ähnlich ge- lagerten Fall eines Arztes, der im Rahmen von Freitodbegleitungen wiederholt eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital verordnet hatte und dessen Praxisbewilligung in der Folge auf präventivmedizini- sche Tätigkeiten beschränkt worden war, die Frage aufgeworfen, ob die SAMW-Richtlinien im Bereich der aktiven Sterbehilfe einen für die ärztliche Sorgfalt massgebenden Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergäben oder ob darin nicht vielmehr nur Leitli- nien aufgezeigt würden, welche den Ärzten in den Grenzbereichen der Medizin und in bisher unbekannten Situationen eher ethisch mo- 2005 Verwaltungsgericht 318 tivierte Empfehlungen abgäben; für letzteres spreche, dass die Bei- hilfe zum Suizid auf einem persönlichen Gewissensentscheid des verantwortlichen Arztes beruhe und aus religiösen und weltan- schaulichen Beweggründen abgelehnt werden könne, und dass aus der generellen Akzeptanz ärztlicher Suizidhilfe auch Missbräuche resultieren könnten (ZBl 101/2000, S. 491). Die angeführten SAMW-Richtlinien "Betreuung von Patienten am Lebensende" tragen indessen dieser Situation vollumfänglich Rechnung. Dem Arzt wird darin ausdrücklich zugebilligt, den mit dem Suizidwunsch eines Patienten regelmässig verbundenen Gewissenskonflikt in voller Freiheit für sich zu lösen. Für diejenigen Fälle, in welchen der Arzt Beihilfe zum Suizid leisten will, bilden die SAMW-Richtlinien eine durchaus taugliche Auslegungshilfe; sie bringen zum Ausdruck, was in der Grenzsituation der ärztlichen Sterbehilfe unter den "aner- kannten Regeln der medizinischen Wissenschaften" bzw. den "Grundsätzen der Wissenschaft" und "der Berufsethik" konkret zu verstehen ist. Die Medikation eines tödlich wirkenden Betäubungs- mittels setzt demnach eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommene Untersuchung und eine entsprechende Diagnose voraus. Es bedarf in jedem Falle einer medizinischen Indikation. So wenig für den Arzt der Wunsch eines Patienten nach einem be- stimmten Medikament im Normalfall den Ausschlag für dessen Re- zeptierung geben darf, so wenig kann bei der Sterbehilfe der (mängelfreie) Selbsttötungswunsch des Patienten allein für die Ver- abreichung des fraglichen Mittels genügen. Aufgrund der besondern Stellung des Arztes, namentlich seiner Verantwortung gegenüber dem Leben und der öffentlichen Gesundheit im Allgemeinen sowie dem gesundheitlichen Wohlergehen des Einzelnen im Besonderen, gehört es zu seiner Aufgabe, rezeptpflichtige Medikamente oder Betäubungsmittel nur soweit einzusetzen, als dies aus medizinischer Sicht erforderlich ist. Dies bedeutet, dass sich der behandelnde Arzt nicht nur über die Urteilsfähigkeit eines Sterbewilligen, sondern auch darüber Gewissheit zu verschaffen hat, dass im Sinne der SAMW- Richtlinien ein Leiden vorliegt, das unabwendbar zum Tod führt. Da es bei der Sterbehilfe um eine Massnahme mit tödlicher und damit irreversibler Folge für den Patienten geht, sind hinsichtlich Untersu- 2005 Gesundheitsrecht 319 chung und Diagnose höchste Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt zu stellen (ZBl 101/2000, S. 493 f.). b) Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der Akten und der Par- teibefragung anlässlich der Verhandlung vom 28. Januar 2005 zur Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Tätig- keit, sterbewilligen Personen eine letale Dosis des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu verordnen, in zum Teil krasser und schwer- wiegender Weise gegen Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG verstossen hat. Im Folgenden ist auf die einzelnen Fälle einzugehen: aa) Freitod von K. (geb. 1945) am 19. August 2001. Im Auftrag von DIGNITAS empfing der Beschwerdeführer K., die sich in Begleitung ihres Ehemanns und einer Freitodbegleiterin befand, am 12. Juni 2001 zu einem etwa 11⁄2-stündigen Gespräch in seinen Praxisräumen in O. Ein paar Tage zuvor hatte er die einschlä- gigen Krankengeschichten und Arztberichte erhalten. Eine ärztliche Untersuchung fand nicht statt. Im Anschluss an das Gespräch ver- ordnete der Beschwerdeführer 15 g Natrium-Pentobarbital; das Rezept sandte er an DIGNITAS. Mit Hilfe des rezeptierten Mittels verübte K. am 19. August 2001 in Z. Suizid. In seinem Bericht vom 12. Juni 2001 hielt der Beschwerdefüh- rer über K. selber Folgendes fest: "Sie leidet an einem auch durch alle medizinisch und psychiatrischen Abklärungen nie wirklich erklärten Schmerzsyndrom, ausgehend vom Schulterbereich, beginnend nach schwierig erlebtem Kli- makterium und Berufsstress, 1995. Sie ist wiederholt in Spezialkli- niken untersucht und erfolglos behandelt worden, medizinisch, neu- rologisch und psychiatrisch-psychotherapeutisch. 1999 begannen vor allem psychiatrisch geführte Behandlungen, samt Versuch eigentli- cher Psychotherapie. Später kamen dann noch Gallenkoliken dazu und eine Überfunktion der Schilddrüse. Gegen Osteoporose nimmt sie ein spezifisches (?) Mittel, gegen die 'Depression' ein Antide- pressivum. Auch Morphin brachte keine Linderung." In der Krankengeschichte, dokumentiert durch rund 25 Arzt- und Klinikberichte, welche dem Beschwerdeführer vorgelegen haben müssen (er erinnert sich allerdings nur an deren zwei), werden zusammenfassend sehr starke chronische Schmerzen im Bereich der 2005 Verwaltungsgericht 320 Halswirbelsäule und eine ausgeprägte Osteopenie (Knochen- schwund) sowie eine psychische Überlagerung bzw. wahnhafte De- pression diagnostiziert. Der Beschwerdeführer verwarf diese Schlussfolgerungen und stellte selber die folgende "Differentialdia- gnose": "Schwerste frühkindlich angelegte Konversionsneurose oder ein rätselhafter Gehirnprozess, der die Persönlichkeit völlig verändert (es sollen sich Anomalien beim bildgebenden Verfahren des Gehirns gezeigt haben, die aber nicht näher spezifiziert werden)." Es ist nun aber schlechterdings undenkbar, dass ein Arzt einzig aufgrund eines 11⁄2-stündigen Gesprächs, ohne jede Untersuchung, eine seriöse Differentialdiagnose stellen kann. Im Bericht vom 12. Juni 2001 finden sich hierüber denn auch keine weiteren Aus- führungen. Nicht nachvollziehbar ist sodann, wie der Beschwerde- führer zu seiner Diagnose einer "frühkindlich angelegten Konver- sionsneurose" gelangt ist. An der Verhandlung vom 28. Januar 2005 relativierte er die fragliche Aussage denn auch stark; sie sei allgemein gemeint gewesen, und aus der ganzen Situation heraus habe er annehmen müssen, dass K. als Kind traumatisiert worden sei. Bezeichnend ist ferner, dass der Beschwerdeführer den - undatierten, aber offenbar aus dem Jahr 2001 stammenden - Bericht einer diplo- mierten Psychologin, welche die Weiterführung der begonnenen Ver- haltenstherapie (bisher 45 Stunden) als erfolgversprechend bewertete und dringend empfahl, weil der Teufelskreis, in welchem die Pa- tientin stecke, nur so unterbrochen werden könne, kurzerhand als nicht ernst zu nehmend abqualifizierte. Erstaunlich ist dies namentlich darum, weil der Beschwerdeführer Allgemeinmediziner ist und über keine Spezialausbildung auf den Gebieten der Psychiatrie und Psychotherapie verfügt. Das Verwaltungsgericht hat den Eindruck gewonnen, dass sich der Beschwerdeführer zu stark von den massiven Vorwürfen leiten liess, welche K. gegenüber den vorbehandelnden Ärzten erhob. Wenn der Beschwerdeführer die ihm vorliegenden Anamnesen und Diagnosen nicht akzeptieren wollte, musste er dies anhand gründlicher, dem ärztlichen Standard entsprechender Untersuchungen und Befunde belegen. Davon kann aber keine Rede sein. 2005 Gesundheitsrecht 321 bb) Freitod von S. (geb. 1954) am 11. Dezember 2001. Für diese Patientin, an die er sich an der Verhandlung nicht mehr zu erinnern vermochte, stellte der Beschwerdeführer im Auf- trag von DIGNITAS ebenfalls ein Rezept für 15 g Natrium-Pento- barbital aus. Das Gespräch, bei welchem der Freitodwunsch erörtert wurde, fand am 6. November 2001 in O. statt, und der Freitod wurde am 11. Dezember 2001 in Z. vollzogen. S. war wegen einer Border- line-Persönlichkeitsstörung mit teilweise paranoiden Zügen und de- pressiven Anteilen in intensiver psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung; in somatischer Hinsicht wurde kein Befund von Krank- heitswert festgestellt. Auch der Beschwerdeführer diagnostizierte bei ihr eine schwere Depression. Anders aber als der behandelnde Facharzt, der eine kontinuierliche ambulante psychotherapeutische und psychiatrische Weiterbetreuung "dringend" empfahl und eine berufliche Wiedereingliederung als möglich erachtete, bezeichnete der Beschwerdeführer in seinem Bericht vom 7. November 2001 den Zustand von S. als "offensichtlich hoffnungslos"; sie komme aus ihrer schweren Depression trotz vielen psychiatrischen Behand- lungen und Hospitalisierungen nicht mehr heraus. Auch diesen Befund stützte der Beschwerdeführer auf das eine Gespräch mit S. vom 6. November 2001. Dies ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Anzahl der für die Meinungsbildung erforderlichen Konsultatio- nen klarerweise unzureichend. Vor allem hätte der Beschwerdeführer, wenn er als Nicht-Facharzt von einer fachärztlichen Beurteilung ab- weichen wollte, durch Einholung einer spezialärztlichen Zweitmei- nung ergründen müssen, ob es sich bei S. tatsächlich so verhielt, dass ihr "die heutige Medizin nicht mehr helfen kann". Zu beanstanden ist schliesslich auch, dass der Bericht des Beschwerdeführers vom 7. November 2001 überhaupt keine Aussagen zur Urteilsfähigkeit von S. enthält. Allein dies ist eine gravierende Unterlassung. cc) Freitod der Geschwister S.M. (geb. 1973) und P.M. (geb. 1971) am 11. Februar 2002. Die Geschwister M., beide französische Staatsangehörige, ka- men am 8. September 2001 als Mitglieder von DIGNITAS nach O. zu einem "ausgedehnten Gespräch" mit dem Beschwerdeführer; nach dessen Erinnerung dauerte die Konsultation "mehr als eine Stunde". 2005 Verwaltungsgericht 322 Der Beschwerdeführer verordnete ihnen im Anschluss daran je 15 g Natrium-Pentobarbital. Der Freitod wurde dann rund fünf Monate später in Z. vollzogen. Eine eigentliche Krankengeschichte stand dem Beschwerde- führer nicht zur Verfügung. Bei den Akten befinden sich zwar ver- schiedene Berichte französischer Ärzte, doch enthalten diese weder eine Anamnese noch eine Diagnose, sondern äussern sich aus- schliesslich im Zusammenhang mit der auf 80% festgesetzten Invali- dität der Geschwister M.. Die Diagnose einer Schizophrenie im Be- richt vom 9. September 2001 stellte der Beschwerdeführer aufgrund des erwähnten Gesprächs sowie eines Rezepts, welches ein Psychia- ter zuhanden seines Patienten P.M. am 4. Mai 2000 ausgestellt hatte; der Beschwerdeführer führte dazu aus, wenn ein Psychiater die Me- dikamente "Floral" und "Fluanxol" rezeptiere, müsse man annehmen, es handle sich um eine schizophrene Psychose. Es bedarf keiner langen Erörterungen, dass solche Grundlagen viel zu dürftig sind, als dass sie für eine Diagnose- und Prognosestellung herangezogen werden könnten. Der Beschwerdeführer musste an der Verhandlung selber einräumen, dass seine Abklärungen ungenügend waren, doch äusserte er gleichzeitig die Meinung, er habe diesen Mangel durch seine Erfahrung als Arzt wettmachen können. Damit überschätzt sich der Beschwerdeführer offensichtlich. Um die Tragweite psychischer Erkrankungen richtig beurteilen zu können, bedarf es einer entspre- chenden fachärztlichen Ausbildung, über welche der Beschwerdefüh- rer wie erwähnt nicht verfügt (vorne Erw. aa). Es widersprach deshalb auch der ärztlichen Sorgfaltspflicht, allein aus den Angaben der Geschwister M. den Schluss zu ziehen, die Behandlungsmöglich- keiten seien ausgeschöpft; ein psychiatrisches Gutachten oder zumindest eine ausführliche psychiatrische Beurteilung, die sich auch über die Urteilsfähigkeit aussprechen, wären unabdingbar gewesen. dd) Freitod von F. (geb. 1941) zwischen dem 15. und 17. April 2003. Nach den Darlegungen des Beschwerdeführers war F. "schwer psychotisch und körperlich krank"; die sehr starken Schmerzen, wel- che sie am ganzen Körper verspürt habe, seien paranoiden Ursprungs 2005 Gesundheitsrecht 323 gewesen. Die Beziehung zu ihm sei über EXIT zustandegekommen, denn diese Organisation habe ihrem Mitglied keine Sterbehilfe gewähren wollen. Er habe F. dann in Z. besucht und lange, d.h. etwa eine Stunde, mit ihr gesprochen. Er habe sie auch untersucht und dabei ein "Angstbauchweh" festgestellt. Insgesamt habe er sie zwei- bis dreimal gesehen. Weil die (damals noch im gleichen Haus wohnende) Schwägerin von F. ihm gegenüber eine ablehnende Haltung eingenommen habe, habe er selber keine Freitodbegleitung vornehmen können. Er habe F. das Natrium-Pentobarbital - zusammen mit einem Anti-Brechmittel - deshalb in einem Restau- rant in Z. übergeben, ihr gleichzeitig aber auch einen Beschrieb aus- gehändigt und sich vergewissert, ob sie das alles verstanden habe. Wie üblich habe er einen ärztlichen Bericht verfasst und an EXIT geschickt. Von den weiteren Geschehnissen, insbesondere vom Sui- zid - F. wurde am Abend des 19. April 2003 tot in ihrer Wohnung aufgefunden -, habe er keine Kenntnis erhalten. Wie sich aus den Akten ergibt, war F. bei Dr. med. V., in psychiatrischer Behandlung; dessen Diagnose lautete im Wesentli- chen auf chronische Schizophrenie, Status nach Brustkrebsoperation, leichte unbehandelte Zuckerkrankheit und Tinnitus. Laut dem Be- schwerdeführer habe ihm F. davon erzählt, ihm aber gleichzeitig "strengstens verboten, mit dem Psychiater darüber zu sprechen". Wenn der Beschwerdeführer diesen Patientenwillen respektieren wollte, so hätte er sich zumindest durch Einholung einer fundierten psychiatrischen Fachmeinung über Diagnose und Prognose sowie Urteilsfähigkeit der Patientin Gewissheit verschaffen müssen. Ge- rade die Urteilsfähigkeit war zwar nach dem Zeugnis von Dr. V. bei der letzten Konsultation etwa zehn Tage vor dem Tod "klar gegeben", doch sei F. vorher "durch ihre schizophrenen kognitiven Störungen enorm verlangsamt im Denken" gewesen. Die Angabe des Beschwerdeführers, F. sei im Zeitpunkt, als er ihr das Natrium-Pen- tobarbital ausgehändigt habe, urteilsfähig gewesen, wird dadurch doch etwas relativiert. Ein Widerspruch besteht auch zwischen der Äusserung von Dr. V., bei F. sei ungefähr drei Wochen vor ihrem Tod eine deutliche Besserung der psychiatrischen Erkrankung eingetre- ten, vermutlich weil sie sich durch ihn nach früheren Widerständen 2005 Verwaltungsgericht 324 habe überzeugen lassen, ein Antidepressivum einzunehmen, und der auf seine langjährige Erfahrung als Allgemeinpraktiker gestützte Befund des Beschwerdeführers, ihr Zustand sei "unheilbar" gewesen. Schliesslich war die Abgabe des Natrium-Pentobarbital an F. nicht nur "am Rande der Legalität", wie es der Beschwerdeführer selber bezeichnet, sondern eindeutig gesetzwidrig, weil offensichtlich kein Notfall im Sinne von § 32 Abs. 1 GesG vorlag. ee) Freitod von P. (geb. 1930) am 6./7. Juni 2004. P. suizidierte sich in der Nacht vom 6. auf den 7. Juni 2004 in seinem Zimmer im Alters- und Pflegeheim C. mittels einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Anlässlich der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, wie F. sei P. Mitglied von EXIT gewesen, habe von dieser aber keine Freitodbegleitung erhalten. Sein Kontakt zu ihm sei über eine Freitodbegleiterin entstanden, die er gut kenne. Zusammen mit dieser Frau hätten er und P. sich in einem Hotel in V. getroffen, wo ein etwa eineinhalbstündiges Gespräch stattgefunden habe. Sein persönlicher Eindruck sei danach der eines sehr verein- samten und verzweifelten, depressiven Menschen gewesen; dabei habe es sich um eine sekundäre Depression gehandelt, welche die Folge der vielen Krankheiten und der Vereinsamung von P. gewesen sei. Auf Wunsch der Freitodbegleiterin habe er P. im Anschluss an das erwähnte Gespräch das Natrium-Pentobarbital in die Hand ge- geben, wiederum - wie bei F. - mit genauer Instruktion, wie es zu verwenden sei. Abgesprochen sei dabei gewesen, dass P. den Suizid in einigen Tagen in Anwesenheit der Freitodbegleiterin vornehmen werde. An dieses Versprechen habe sich P. dann aber nicht gehalten. Rückblickend müsse er sagen, dass er mit der Abgabe des Betäu- bungsmittels an P. einen Fehler gemacht habe. In einem undatierten Bericht der chirurgischen Klinik des kan- tonalen Spitals S., über den der Beschwerdeführer offenbar verfügte, wird auf eine vom 29. April bis zum 1. Mai 2002 dauernde Hospita- lisierung von P. Bezug genommen. Die Diagnose der Klinik lautet auf eine nicht akute Krebserkrankung (Harnblasen- und Prostatakar- zinom) und Zuckerkrankheit. Erwähnt werden ferner drei Herzin- farkte (1963, 1968 und 1988) sowie ein "Suizidversuch im Rahmen einer depressiven Erkrankung". Der allgemeininternistische Zustand 2005 Gesundheitsrecht 325 des Patienten wird als "unauffällig" bezeichnet. Während des Kli- nikaufenthalts wurde bei P. Prostatastanzbiopsie vorgenommen. Da- nach konnte er "in einem guten Allgemeinzustand" entlassen werden. Damit steht fest, dass P. nicht an einer Krankheit litt, derrentwegen er mit dem baldigen Tod zu rechnen hatte. Was den psychischen Bereich anbelangt, gibt es nur sehr vage und in keiner Weise medizi- nisch abgestützte Angaben über eine Depression. Bezeichnend ist, wie sich der Beschwerdeführer diesbezüglich an der Verhandlung ausgedrückt hat: "Und er muss auch eine Depression gehabt haben. (Auf die Frage, ob P. auch seelisch krank gewesen sei) Seelisch krank in dem Sinn, er hatte sicher eine Depression." Dieser Befund stützt sich auf das eine und einzige Gespräch in V. ab und ist auch nicht im Entferntesten durch eine ärztliche Fachmeinung untermauert. Dass der Beschwerdeführer trotzdem die 15 g Natrium-Pentobarbital verordnete und dazu noch an P. direkt abgab, war gemessen an den gesetzlichen Vorgaben grob sorgfalts- widrig. ff) Freitodfälle im Sterbehospiz in R. (Mai bis Dezember 2004). Im Gegensatz zu den vorstehend beschriebenen Fällen handelte sich bei den sterbewilligen Personen, die der Beschwerdeführer im Auftrag von DIGNITAS im Sterbehospiz in R. untersuchte, um somatisch schwerstkranke Personen. Insofern erweisen sich diese Freitodfälle als weniger problematisch. Gleichwohl zeichnen sich auch diese Fälle dadurch aus, dass der Beschwerdeführer die erfor- derliche Sorgfalt in verschiedener Hinsicht vermissen liess. Seine gegenüber der Beihilfe zum Suizid unkritische Haltung manifestierte er nicht nur anlässlich der Verhandlung, sondern auch in der Art und Weise, wie er die Untersuchungen im Sterbehospiz R. vornahm. Seine selten länger als eine Stunde dauernden Konsultationen er- folgten meistens erst unmittelbar vor dem Freitod, so dass den Patienten keine Bedenkzeit blieb. Das Natrium-Pentobarbital lag häufig auch schon bereit, obwohl der Beschwerdeführer das Rezept noch gar nicht ausgestellt hatte. Zudem untersuchte der Beschwerde- führer selbst englischsprachige Patienten, obwohl seine Eng- lischkenntnisse nach eigenen Angaben nicht sehr gut sind. Bedenk- 2005 Verwaltungsgericht 326 lich ist schliesslich auch Folgendes: Anlässlich der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer mit den Namen der von ihm unter- suchten Personen konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Er konnte sich indessen, obwohl die angesprochenen Fälle bloss wenige Monate zurücklagen, verschiedentlich nicht mehr an die Personen oder deren Leiden erinnern; sein Erinnerungsvermögen versagte selbst nach Beschreibung des Krankheitsbildes wiederholt. Ein derart beeinträchtigtes Erinnerungsvermögen ist zwar angesichts des fortgeschrittenen Alters des Beschwerdeführers verständlich. Es lässt aber Zweifel daran aufkommen, ob der Beschwerdeführer über- haupt noch in der Lage ist, die ärztliche Tätigkeit in jeder Hinsicht korrekt auszuüben. c) Die aufgeführten Fälle zeigen wie bereits erwähnt, dass der Beschwerdeführer die ärztliche Sorgfaltspflicht, wie sie in Art. 11 Abs. 1 BetmG und § 22 Abs. 1 GesG sowie in den einschlägigen me- dizinisch-ethischen SAMW-Richtlinien festgelegt und definiert ist, in gravierendem Ausmass und wiederholt verletzt hat. Der Beschwer- deführer masst sich an, nach seinem Gutdünken eigene Massstäbe zu setzen und danach zu verfahren. Das Gesetz verlangt indessen, dass der Arzt nach wissenschaftlichen Grundsätzen vorgeht und es nicht dabei bewenden lässt, sich bei einem Gespräch, das in aller Regel nicht mehr als eine "Momentaufnahme" sein kann, des Sterbewillens des betreffenden Patienten zu versichern. Langjährige Erfahrung als Arzt ist für Befund und Diagnose sicher ein wesentliches Element, doch hat die Medizin erprobte wissenschaftliche Methoden entwickelt, die nach wie vor in den Vordergrund zu stellen sind. 5. Liegen schwerwiegende oder wiederholte Verletzungen der Berufspflichten oder gesundheitsrechtlicher Vorschriften vor, kann dem Arzt die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung entzo- gen werden (§ 21 Abs. 2 GesG). Zudem können die Kantone die Befugnisse nach Art. 9 BetmG für bestimmte Zeit oder dauernd ent- ziehen, wenn die ermächtigte Medizinalperson betäubungsmittelab- hängig ist oder eine Widerhandlung nach den Art. 19 - 22 BetmG be- gangen hat (Art. 12 Abs. 1 BetmG). Ein solcher Fall liegt u.a. vor, wenn der Arzt Betäubungsmittel anders als nach Art. 11 BetmG ver- wendet oder abgibt (Art. 20 Ziff. 1 al. 3 BetmG). 2005 Gesundheitsrecht 327 Das öffentliche gesundheitspolizeiliche Interesse, die Einhal- tung der Randbedingungen im Bereich der ärztlichen Sterbehilfe für die Zukunft sicherzustellen und den unsachgemässen Umgang mit Betäubungsmitteln zu verhindern, ist ausserordentlich gross. Das (unbefristete) Verbot, von der Betäubungsmittelgesetzgebung er- fasste Stoffe als verwendungsfertige Arzneimittel oder über Magi- stralrezepturen zu verordnen, anzuwenden oder abzugeben, ist kla- rerweise geeignet, weitere gleichartige Verfehlungen gegen die Be- stimmungen des BetmG und GesG wirksam zu verhindern. Es er- scheint angesichts der Schwere der Sorgfaltspflichtverletzungen, ins- besondere aber auch mit Blick auf den nach wie vor sorglosen Um- gang des Beschwerdeführers mit dem Betäubungsmittel Natrium- Pentobarbital erforderlich; so fällt aus diesem Grunde insbesondere auch ein bloss befristeter Entzug oder ein solcher, der nur Personen mit psychischen Störungen betrifft, ausser Betracht. Wenn der Beschwerdeführer gegen die erwähnte Massnahme vorbringt, er sei dann beispielsweise nicht mehr in der Lage, einem Patienten, der an schweren, nur mit Morphinen zu behebenden oder wenigstens zu lindernden Schmerzzuständen leide, solche Mittel zu verschreiben, so ist ihm entgegenzuhalten, dass angesichts seines hohen Alters das Interesse an der uneingeschränkten Ausübung seines Arztberufs im Gegensatz zu den beschriebenen öffentlichen Interessen nicht schwer wiegt, zumal seine Tätigkeit heute auf einige wenige Patienten beschränkt ist. Die Verhältnismässigkeit der gestützt auf § 21 Abs. 2 GesG angeordnete Massnahme ist deshalb ebenfalls zu bejahen. 6. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich nicht nur die Hauptanträge, sondern auch die Eventualanträge als unbegründet erweisen, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 126 28 Widerruf der Niederlassungsbewilligung; Verhältnismässigkeit; Auslän- der der zweiten Generation; Rückfallgefahr - Grundsätzlich ist eine positive Persönlichkeitsentwicklung im Rah- men der privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz zu berücksichtigen und nicht bei der Qualifizierung des öffentlichen In- teresses an der Entfernung aus der Schweiz. Wenn aber bei einem Ausländer der zweiten Generation eine Rückfallgefahr aufgrund der konkret vorliegenden Persönlichkeitsentwicklung praktisch ausge- schlossen werden kann, ist dies bei der Bemessung des öffentlichen Interesses an der Wegweisung zu berücksichtigen und generalprä- ventive Überlegungen haben in den Hintergrund zu treten (Erw. 3.2.7.). - Ist der Widerruf der Niederlassungsbewilligung grundsätzlich ange- zeigt, aber den Umständen nicht angemessen, ist die betroffene Per- son unter Androhung des Widerrufs zu verwarnen (Erw. 5.). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. September 2013 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integra- tion (WBE.2011.1072). Aus den Erwägungen 2. 2.1. (...) 2.2. (...) Vorliegend wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirks- gerichts K. vom 30. März 2010 zu einer Freiheitsstrafe von 27 Mo- 2013 Migrationsrecht 127 naten verurteilt. Die dagegen erhobene Berufung wies das Oberge- richt des Kantons Aargau mit Urteil vom 7. April 2011 ab. Der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 2 AuG i.V.m. Art. 62 lit. b AuG ist damit erfüllt. 3. 3.1. Der Widerruf bzw. die Verweigerung einer Bewilligung recht- fertigt sich nur, wenn die jeweils im Einzelfall vorzunehmende In- teressenabwägung die entsprechende Massnahme als verhältnismäs- sig erscheinen lässt (BGE 135 II 377, Erw. 4.3). Konkret muss bei Gegenüberstellung aller öffentlichen und privaten Interessen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Entfernung aus der Schweiz resultieren. Ob sämtliche relevanten Kriterien berücksichtigt und richtig an- gewandt worden sind bzw. ob sich der Widerruf als verhältnismässig erweist, ist als Rechtsfrage durch das Verwaltungsgericht frei zu prü- fen. 3.2. 3.2.1. Beim Vorliegen von Widerrufsgründen infolge Straffälligkeit bestimmt sich das Mass des öffentlichen Interesses vorab anhand der Schwere des Verschuldens des Betroffenen. Ausgangspunkt und Massstab dafür sind die vom Strafrichter verhängten Strafen. Das heisst, je höher eine Strafe ausfällt, umso höher ist das Verschulden eines Betroffenen zu qualifizieren. Bei Festsetzung des Strafmasses werden strafmildernde Umstände überdies stets mitberücksichtigt, weshalb auf die Beurteilung des Strafrichters grundsätzlich abzustel- len ist (BGE 129 II 215, Erw. 3.1 sowie Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juni 2012 [2C_797/2011], Erw. 2.2). Wird ein Strafurteil in Bezug auf die Strafzumessung nicht angefochten, bleibt damit in der Regel kein Raum, im migrationsrechtlichen Verfahren die diesbezüg- liche Beurteilung des Strafrichters zu relativieren (Urteil des Bundes- gerichts vom 19. Januar 2005 [2A.570/2004], Erw. 3.3). Bei schwe- ren Straftaten, insbesondere bei Gewalt-, Sexual- und schweren Betäubungsmitteldelikten, sowie bei wiederholter Delinquenz bzw. erneuter Delinquenz nach Untersuchungshaft, nach verbüsster Frei- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 128 heitsstrafe oder nach migrationsamtlicher Verwarnung erhöht sich aus migrationsrechtlicher Sicht das öffentliche Interesse am Widerruf bzw. an der Verweigerung der Bewilligung entsprechend. 3.2.2. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichts K. vom 30. März 2010, bestätigt mit Urteil des Obergerichts des Kan- tons Aargau vom 7. April 2011, wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens, Gehilfenschaft zu Diebstahl, versuchten Diebstahls, Dieb- stahls, mehrfachen bandenmässigen, teilweise versuchten Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten verurteilt, wobei der Vollzug von 21 Monaten mit einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben wurde. In migrationsrechtlicher Hinsicht ist angesichts der Dauer der teilbedingten Freiheitsstrafe von 27 Monaten von einem schweren Verschulden und damit von einem grossen öffentlichen Interesse an der Verweigerung eines weiteren Aufenthalts in der Schweiz auszu- gehen; dies umso mehr, als das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 7. April 2011 die vom Beschwerdeführer an den Tag gelegte kriminelle Energie, in Anbetracht der erschreckenden Rück- sichtslosigkeit gegenüber fremdem Eigentum, als hoch einstufte. (...) Es besteht vorliegend kein Anlass, von den diesbezüglichen Be- urteilungen der Strafrichter in migrationsrechtlicher Hinsicht abzu- weichen. (...) 3.2.3. Nachdem der Beschwerdeführer mit Entscheid der Jugendan- waltschaft des Kantons Aargau vom 16. Juni 2006 wegen mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfach versuchter sexueller Nötigung und versuchter Nötigung zu 10 Tagen Einschliessung, unter Gewährung einer Probezeit bis zum 24. April 2007, verurteilt werden musste, ist aufgrund der Art der begangenen Delikte aus migrationsrechtlicher Sicht grundsätzlich von einem erhöhten öffentlichen Interesse auszu- gehen. Dies auch wenn zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerde- führer die Sexualdelikte im Alter von 16 Jahren beging und das öffentliche Interesse nicht gleich stark zu erhöhen ist, wie wenn er die Delikte als Erwachsener begangen hätte. 2013 Migrationsrecht 129 Erschwerend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer seit 2004 wiederholt wegen Widerhandlungen gegen das SVG bestraft werden musste; letztmals gar mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft L. vom 9. März 2011 wegen Führens eines Motorfahrzeugs in ange- trunkenem Zustand sowie Verursachens von unnötigem Lärm durch hohe Motordrehzahlen in niedrigen Gängen, begangen am 9. Januar 2011, d.h. nach der erstinstanzlichen Verurteilung durch das Bezirks- gericht K. vom 30. März 2010 und während des laufenden Beru- fungsverfahrens am Obergericht. 3.2.4. Schliesslich ist zu den Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die Gewährung des bedingten Strafvollzugs und der er- neuten Straffälligkeit am 9. Januar 2011 zweierlei anzumerken: Dass einem Betroffenen die Rechtswohltat des teilbedingten Vollzugs einer Freiheitsstrafe zuteil wird oder man ihn vor Ablauf der aus- gefällten Freiheitsstrafe bedingt aus dem Strafvollzug entlässt, be- deutet nicht, dass deshalb aus migrationsrechtlicher Sicht das öffent- liche Interesse an einer Entfernung aus der Schweiz entscheidend tiefer zu veranschlagen wäre oder gar dahinfallen würde. Vielmehr wäre das öffentliche Interesse noch höher zu veranschlagen, wenn einem Betroffenen der teilbedingte Vollzug der Freiheitsstrafe oder die vorzeitige Entlassung verwehrt würde, da in diesem Fall der Strafrichter bzw. die Strafvollzugsbehörde dem Betroffenen eine ne- gative Bewährungsprognose stellen musste. Des Weiteren steht es den Migrationsbehörden frei, diesbezüglich einen strengeren Mass- stab anzulegen, da bei schwerwiegenden Delikten oder wiederholter Delinquenz - wie sie beim Beschwerdeführer vorliegt - kein Restri- siko bezüglich der Rückfallgefahr hinzunehmen ist (RGAE vom 9. Juli 2009 [1-BE.2008.32], Erw. 4.2.2). Daher kann der Beschwer- deführer aus der Gewährung eines teilbedingten Strafvollzugs nichts zu seinen Gunsten ableiten. Zudem genügt die Tatsache, dass eine ausländische Person im Strafvollzug zu keinen Klagen Anlass gege- ben hat, angesichts der vergleichsweise engmaschigen Betreuung und intensiven Kontrolle in einer Strafanstalt für sich alleine nicht, um eine Rückfallgefahr auszuschliessen (Urteil des Bundesgerichts vom 12. November 2007 [2C_271/2007], Erw. 3.3; Urteil des Bun- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 130 desgerichts vom 4. April 2006 [2A.688/2005], Erw. 3.1.3). Daher kann der Beschwerdeführer auch diesbezüglich nichts zu seinen Gunsten ableiten. 3.2.5. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass das Führen eines Motor- fahrzeugs am 9. Januar 2011 in alkoholisiertem Zustand keine schwere Delinquenz mit einem schweren Verschulden darstelle und zudem keine hochwertigen Rechtsgüter verletzt worden seien. Seine Entwicklung in persönlicher Hinsicht sei seit den dem Urteil des Obergerichts vom 7. April 2011 zugrundeliegenden Straftaten sehr positiv und stabil. Der Beschwerdeführer lebe seit mehr als vier Jah- ren in einer festen Partnerschaft mit seiner Freundin und unterstütze diese mit Rat und Tat. Zudem habe er nach der Untersuchungshaft im April 2007 den Kontakt zu sämtlichen früheren Kollegen, mit denen er die dem Urteil vom 7. April 2011 zugrunde gelegenen Delikte be- gangen habe, abgebrochen. Sein Verhalten im Vollzug der Halbge- fangenschaft habe keinerlei Anlass zu Beschwerden gegeben, was das positive Bild des Beschwerdeführers abrunde und sein heutiges Bemühen um tadelloses Verhalten zeige. Auch finanziell seien seine Verhältnisse positiv und er habe seine Geldstrafe und die Bussen, sämtliche Kosten der Gerichtsverfahren und der Halbgefangenschaft sowie alle Anwaltshonorare pünktlich bezahlt. Auch beruflich könne eine äusserst positive Bilanz gezogen werden. Nach der Lehre habe er bei seiner Arbeitgeberin bleiben können. Er sei aufgrund seiner guten Leistungen diverse Male betriebsintern ausgezeichnet worden, habe Zusatzausbildungen absolviert und zudem an eine Stelle mit komplexerem Anforderungsprofil wechseln können. 3.2.6. (...) 3.2.7. Soweit der Beschwerdeführer auf seine Persönlichkeitsentwick- lung verweist, ist Folgendes festzuhalten: Grundsätzlich ist eine posi- tive Persönlichkeitsentwicklung im Rahmen der privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz zu berücksichtigen und nicht bei der Qualifizierung des öffentlichen Interesses an der Entfernung aus der Schweiz. Dies jedoch nur dann, wenn die positive Persönlich- 2013 Migrationsrecht 131 keitsentwicklung durch die Beendigung des Aufenthalts in der Schweiz zunichte gemacht würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine positive Persönlichkeits- entwicklung im Rahmen der Beurteilung des öffentlichen Interesses gänzlich ausser Acht zu lassen wäre. Liegt bei einem Zweitgenerationsausländer eine Persönlich- keitsentwicklung vor, die darauf hindeutet, dass sich der Betroffene massgeblich gewandelt hat und dass gerade aufgrund der Persönlich- keitsentwicklung (und nicht nur aufgrund des Wohlverhaltens wäh- rend einer gewissen Zeit seit letzter rechtskräftiger Verurteilung) eine Rückfallgefahr praktisch ausgeschlossen werden kann, ist das öffent- liche Interesse an der Wegweisung nicht gleich hoch zu veranschla- gen, wie wenn keine konkreten Umstände darauf hindeuten, dass eine Rückfallgefahr praktisch ausgeschlossen werden kann. In die- sem Fall haben generalpräventive Überlegungen in den Hintergrund zu treten. Zur Persönlichkeitsentwicklung des Beschwerdeführers ist Fol- gendes anzumerken: Der Beschwerdeführer besuchte die 4. Klasse der Bezirksschule, als er gegenüber einer zwei Jahre jüngeren Mit- schülerin zusammen mit Kollegen im Sommer 2004 massive sexuel- le Übergriffe beging. In der Folge wurde er von der Schule verwie- sen und musste seine Grundschulausbildung an einer anderen Schule abschliessen, erreichte jedoch offenbar aufgrund des teilweise unter- schiedlichen Unterrichtsstoffes keinen genügenden Abschluss. Trotz- dem konnte er am 1. August 2005 bei einem Krankenversicherungs- unternehmen eine kaufmännische Lehre beginnen, welche er am 31. Juli 2008 abschloss. Von Oktober 2006 bis April 2007 verübte er, unter anderem zusammen mit den gleichen Kollegen, mit denen er bereits wegen der begangenen Sexualdelikte bestraft werden musste, eine Vielzahl von Vermögensdelikten und wurde zudem wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens verurteilt, weil er zusammen mit seinen Kollegen am 21. und 26. März 2007 Steine auf Autos, die auf der kantonalen Autobahn T5 fuhren, warf. Gemäss eigenen Aussagen hat der Beschwerdeführer den Kontakt zu seinen früheren Kollegen nach seiner Verhaftung am 11. April 2007 abgebrochen. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 132 Aufgrund der Akten sowie der Partei- und Zeugenbefragung an- lässlich der Verhandlung präsentiert sich der Beschwerdeführer heute in einem vollkommen anderen Bild. Offensichtlich hat er aufgrund seines beruflichen Erfolges, seiner inzwischen wahrgenommenen Verantwortung gegenüber seinen Eltern und seinem Bruder sowie aufgrund seiner Beziehung zu seiner langjährigen Freundin sein Le- ben neu ausgerichtet: Der Beschwerdeführer ist seit Beginn der Lehre beim gleichen Krankenversicherungsunternehmen angestellt und heute im Bereich der Beratung von Privat- und Halbprivatversi- cherten tätig. Nach Abschluss der Lehre absolvierte er eine Zusatz- ausbildung zum Marketingfachmann BVS und befindet sich derzeit in einer Weiterbildung zum eidg. dipl. Fachmann Sozialversicherun- gen. Diese wird er voraussichtlich im Oktober 2014 abschliessen. Geplant ist eine weitere Ausbildung zum Experten im Bereich So- zialversicherungen. Seine Arbeitgeberin schätzt die Arbeitsleistung des Beschwerdeführers offenbar sehr. Aufgrund der Akten und den Äusserungen des Vorgesetzten des Beschwerdeführers anlässlich der Zeugenbefragung ist erstellt, dass die Arbeitgeberin des Beschwerde- führers mit seiner Arbeitsleistung äusserst zufrieden ist. Der Be- schwerdeführer konnte per 1. Juni 2012 einen firmeninternen Stel- lenwechsel vornehmen und wirkte am Aufbau der neu zentral geführ- ten Beratungsabteilung für Privat- und Halbprivatversicherte mit. Seither betreut der Beschwerdeführer Privat- und Halbprivatver- sicherte mit entsprechend höherer Verantwortung. Der Vorgesetzte des Beschwerdeführers führt darüber hinaus aus, dass der Beschwer- deführer über das Potenzial für eine Führungsposition verfüge und sich für eine Kaderfunktion eigne. In familiärer Hinsicht ist aufgrund der Partei- und Zeugenbefra- gung erstellt, dass der Beschwerdeführer in hohem Masse seine Familienmitglieder unterstützt. Der Beschwerdeführer lebt mit sei- nen Eltern, seinem Bruder und dessen Ehefrau zusammen. Die Eltern des Beschwerdeführers beziehen jeweils eine IV-Rente und sind krankheitsbedingt nicht in der Lage, selbständig sämtliche anfallen- den Arbeiten zu erledigen, insbesondere in administrativen Belangen sind sie auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen. Vor allem die Mutter des Beschwerdeführers ist auf seine Unterstützung an- 2013 Migrationsrecht 133 gewiesen. Sie befindet sich seit dem Jahr 2002 aufgrund einer an- dauernden depressiven Störung sowie einer Angst- und Panikstörung in psychiatrischer Behandlung. Der Bruder des Beschwerdeführers leidet an einer seit seiner Kindheit bestehenden neuropsychologi- schen Funktionsstörung, aufgrund derer er in administrativen Be- langen ebenfalls auf Hilfe angewiesen ist. Der Beschwerdeführer un- terstützt sämtliche Familienmitglieder in administrativen Angelegen- heiten. Darüber hinaus erledigt der Beschwerdeführer auch anfallen- de Arbeiten im Haushalt, zu denen seine Eltern nicht in der Lage sind. Von seinem monatlichen Brutto-Einkommen in Höhe von CHF 5'433.00 bezahlt der Beschwerdeführer monatlich CHF 3'000.00 auf das gemeinsame Konto der Familie, welches zur Deckung der alltäglichen Kosten der gesamten Familie dient. Nach dem Gesagten ist erstellt, dass der Beschwerdeführer seine Familien- mitglieder im Alltag sowohl in administrativen Belangen, als auch im Haushalt und auch in finanzieller Hinsicht, weit über das übliche Mass hinaus unterstützt und in Bezug auf die Mutter und den Bruder von einem eigentlichen Abhängigkeitsverhältnis vom Beschwerde- führer auszugehen ist. Der Beschwerdeführer hat seit sechs Jahren eine Freundin. Ge- mäss den Ausführungen seiner Freundin hat der Beschwerdeführer auch sie massgeblich unterstützt. Insbesondere hat der Beschwerde- führer seiner Freundin in schulischer und beruflicher Hinsicht bezüglich Bewerbungsschreiben und der Vorbereitung auf Bewer- bungsgespräche Hilfe geleistet und war nach Aussagen seiner Freun- din dafür verantwortlich, dass sie heute eine Ausbildung absolviert. Aufgrund des durch den Beschwerdeführer manifestierten Rei- feprozesses, in dessen Verlauf er sein Leben neu ausgerichtet hat, kann heute die Gefahr, dass der Beschwerdeführer erneut straffällig wird, praktisch ausgeschlossen werden. Das mit Urteil des Oberge- richts des Kantons Aargau vom 7. April 2011 festgestellte Motiv der Langeweile für die 2006/2007 als 18-jähriger begangenen Straftaten fällt heute vollkommen ausser Betracht. An der heute praktisch in- existenten Rückfallgefahr vermag auch der Strafbefehl der Staatsan- waltschaft Aarau-Lenzburg vom 9. März 2011 wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand und Verursachens von 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 134 unnötigem Lärm durch hohe Motorendrehzahlen in niedrigen Gängen nichts zu ändern. Dabei handelt es sich zwar auch um einen Verstoss gegen die Rechtsordnung, jedoch steht dieser in keinem Zu- sammenhang mit den beiden Verurteilungen durch die Jugendanwalt- schaft und das Obergericht des Kantons Aargau. Unter diesen Umständen ist das öffentliche Interesse vorliegend nicht gleich hoch zu veranschlagen, wie wenn noch von einer potentiellen Rückfallge- fahr ausgegangen werden müsste. 3.2.8. Insgesamt ist unter Berücksichtigung der praktisch inexistenten Rückfallgefahr primär aufgrund der ausgefällten Freiheitsstrafe von einem grossen öffentlichen Interesse am Widerruf der Niederlas- sungsbewilligung des Beschwerdeführers und an seiner Wegweisung auszugehen. 3.3. Dem festgestellten grossen öffentlichen Interesse an der Entfer- nung des Beschwerdeführers aus der Schweiz ist sein privates Inte- resse am weiteren Verbleib gegenüberzustellen. 3.3.1. Bezüglich des privaten Interesses ist im Rahmen der Verhältnis- mässigkeitsprüfung vorab die Anwesenheitsdauer in der Schweiz zu berücksichtigen. Je länger eine ausländische Person in der Schweiz anwesend war, desto strengere Anforderungen sind grundsätzlich an den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zu stellen (BGE 130 II 176, Erw. 4.4.2). (...) Allerdings ist selbst bei einem Ausländer der "zweiten Generation", der in der Schweiz geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben in der Schweiz verbracht hat und deshalb dieses Land als seine Heimat betrachtet, ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung nicht in jedem Fall ungerechtfertigt (BGE 122 II 433, Erw. 2c). 3.3.2. Der Beschwerdeführer wurde in der Schweiz geboren und hat sein ganzes bisheriges Leben hier verbracht. Vom 2. September 2011 bis zum 26. Februar 2012 befand er sich im Strafvollzug. Da die anrechenbare Aufenthaltsdauer praxisgemäss abstrakt - unter Abzug der in Unfreiheit verbrachten Zeitspanne - zu berechnen ist, ergibt 2013 Migrationsrecht 135 sich für ihn eine Aufenthaltsdauer von gut 24 Jahren, während der er ununterbrochen in der Schweiz lebte (vgl. RGAE vom 25. Juni 2010 [1-BE.2009.23], Erw. II/4.3.1). Aufgrund dieser sehr langen Aufent- haltsdauer ist ihm bereits ein sehr grosses privates Interesse am Ver- bleib in der Schweiz zuzubilligen. 3.3.3. In Bezug auf die Umstände des Einzelfalls spielen insbesondere die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers, d.h. seine Bezie- hungssituation, und dabei namentlich die Auswirkungen und Nach- teile eines Widerrufs der Niederlassungsbewilligung auf sie, eine Rolle. Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kin- der. Er wohnt zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder, der wegen einer neuropsychologischen Störung offenbar vermehrt Unter- stützung bedarf. Beide Elternteile beziehen Renten der Invalidenver- sicherung. Der Beschwerdeführer bringt vor, er unterstütze seine Fa- milie persönlich, finanziell und in administrativen Belangen. Zudem habe er sich auch während des Strafvollzugs in Halbgefangenschaft um seine Familie gekümmert und würde dies auch nach einem allfälligen Auszug aus der gemeinsamen Wohnung tun. Es bestehe mithin ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis und seine Wegwei- sung aus der Schweiz hätte gravierende Folgen für die Familie. Den Akten ist zu entnehmen, dass der Vater des Beschwerde- führers wegen eines Rückenleidens nicht mehr arbeitsfähig ist und eine IV-Rente bezieht. Die Mutter des Beschwerdeführers ist seit 2002 u.a. wegen einer andauernden depressiven Störung sowie einer Angst- und Panikstörung in psychiatrischer Behandlung. Die Erkran- kung steht gemäss Gutachten der Psychiatrischen Klinik K. vom 13. September 2005 im Zusammenhang mit einem schweren Unfall, bei dem ihre Schwester in Kroatien unmittelbar neben ihr von einem betrunkenen Autofahrer angefahren und schwer verletzt wurde. Die- ser Unfall sowie weitere Vorfälle in ihrem unmittelbaren familiären Umfeld führten bei der Mutter des Beschwerdeführers offenbar zu Verlustängsten in Bezug auf ihren Ehemann und ihre beiden Söhne. Seit dem Strafurteil des Obergerichts vom 7. April 2011 gegen den Beschwerdeführer und dem damit einhergehenden migrationsrecht- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 136 lichen Verfahren betreffend seine Wegweisung aus der Schweiz hat sich ihr Zustand massiv verschlechtert. Der Bruder des Beschwerdeführers leidet an einer leichten früh- kindlichen Hirnschädigung. Obschon er beruflich integriert werden konnte, ist er insbesondere in administrativen Belangen auf Hilfe an- gewiesen und nicht in der Lage, seine Eltern zu unterstützen. Aufgrund der Akten sowie der Partei- und Zeugenbefragung ist erstellt, dass sich der Beschwerdeführer in den letzten Jahren ver- mehrt um seine Familie, insbesondere um seine Mutter und seinen Bruder, kümmert und sie im täglichen Leben unterstützt. Eine Weg- weisung des Beschwerdeführers aus der Schweiz würde vor allem die Mutter des Beschwerdeführers stark beeinträchtigen. Gemäss Stellungnahme der Klinik S. vom 14. Dezember 2011, würde eine Wegweisung des Beschwerdeführers dessen Mutter "in eine massive Krise stürzen und die sozialpsychiatrische Begleitung und Behand- lung im ambulanten Setting unmöglich machen". Nach dem Gesagten ist der Bruder des Beschwerdeführers von ihm in gewissen, jedoch nicht sehr grossen Umfang abhängig, woge- gen die Mutter des Beschwerdeführers in besonderem Masse von ihm abhängig ist. Dies ist auch daraus ersichtlich, dass der Be- schwerdeführer während seiner Halbgefangenschaft frühmorgens und über Mittag seine Mutter aufsuchte und diese bereits unter der Abwesenheit des Beschwerdeführers während der Wochenenden litt. Dem Beschwerdeführer ist unter diesen Umständen ein erhöhtes pri- vates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz zuzubilligen. Der Beschwerdeführer hat seit sechs Jahren eine Freundin, wel- che er offenbar zu heiraten beabsichtigt. Die Partnerschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Freundin scheint sich trotz Voll- zug der Freiheitsstrafe gefestigt zu haben. Der Beschwerdeführer macht geltend, ein Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung und die damit verbundene Wegweisung aus der Schweiz sei unverhältnis- mässig und verstosse gegen die Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV). Dem kann so nicht gefolgt werden. Die Freundin des Beschwerdeführers wusste offenbar schon vor ihrer Beziehung von seiner kriminellen Vergangenheit. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, mussten der Beschwerdeführer und seine 2013 Migrationsrecht 137 Freundin aufgrund seiner Straffälligkeit zumindest damit rechnen, ihre Beziehung allenfalls nicht in der Schweiz leben zu können. Demnach kann der Beschwerdeführer in Bezug auf seine Freundin allenfalls ein leicht erhöhtes privates Interesse am weiteren Verbleib in der Schweiz ableiten. Insgesamt ist dem Beschwerdeführer bezüglich der Beziehung zu seinen Familienangehörigen und zu seiner Freundin vor allem we- gen der Unterstützung seiner kranken Mutter ein erhöhtes privates Interesse am weiteren Verbleib in der Schweiz zuzubilligen. 3.3.4. In persönlicher Hinsicht ist sodann insbesondere auf die wirt- schaftliche Integration des Beschwerdeführers einzugehen sowie auf seine Chancen einer ökonomischen Eingliederung in die heimatli- chen Verhältnisse. Der Beschwerdeführer absolvierte eine Ausbildung zum Kauf- mann bei einer Versicherungsgesellschaft und blieb nach Lehrab- schluss bei dieser angestellt. Gemäss den Zwischenzeugnissen und den Ausführungen des Vorgesetzten des Beschwerdeführers anläss- lich der Zeugenbefragung ist die Arbeitgeberin sehr zufrieden mit den Leistungen des Beschwerdeführers, welchen sie als sehr selb- ständig und verantwortungsbewusst wahrnimmt. Am 20. April 2011 erlangte der Beschwerdeführer das Diplom zum Marketingfachmann BVS. Per 1. Juni 2012 wurde er in eine Abteilung der Versicherung, welche Privat- und Halbprivatversicherte betreut, befördert. Zudem begann der Beschwerdeführer im Oktober 2012 eine Ausbildung zum Sozialversicherungsfachmann. Sein Vorgesetzter qualifiziert den Be- schwerdeführer u.a. als äusserst engagierten und hilfsbereiten Mitar- beitenden. Seine offene und positive Art werde bei seinen Teamkolle- gen und auch bei den Vorgesetzten sehr geschätzt. Die Leistungen seien hinsichtlich Arbeitsqualität und -quantität sehr zufrieden- stellend, was ebenfalls für sein Fachwissen und sein Teamverhalten gelte. Auch sei Potential für eine allfällige spätere Führungsposition vorhanden. Dies geht auch aus der Zielvereinbarung und -beurteilung vom 15. April 2013 hervor, wonach der Beschwerdeführer sich für eine Kaderfunktion und mehr Verantwortung eignet. Schliesslich 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 138 bringen mehrere vom Beschwerdeführer betreute Kunden ihre Zufriedenheit in Schreiben an die Arbeitgeberin zum Ausdruck. Der Beschwerdeführer kommt für sich selbst auf, ist wirtschaft- lich unabhängig und wird von seiner Arbeitgeberin, seinen Arbeits- kollegen und den durch ihn betreuten Kunden sehr geschätzt. Mit seiner bereits abgeschlossenen und seiner gegenwärtigen, bis Ok- tober 2014 dauernden, Weiterbildung zeigt er Engagement im Hin- blick auf seine berufliche Laufbahn in der Versicherungsbranche. Zu Gunsten des Beschwerdeführers ist daher auf eine sehr erfolgreiche berufliche Integration in der Schweiz zu schliessen. Hingegen ist zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, in Bosnien-Herzegowina gäbe es keine Krankenversicherung, womit ihm seine bisher erworbenen Kenntnisse in der Versicherungsbran- che dort gar nichts nützen würden, Folgendes anzumerken: Wie der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zu Recht vorbringt, ist dieser kroatischer Staatsangehöriger. Die Familie des Beschwerdeführers mag zwar ursprünglich aus Bosnien-Herzegowina stammen; vorlie- gend ist jedoch die Eingliederung des Beschwerdeführers in Kroatien, seinem Heimatland, zu prüfen. Folglich kann offen gelas- sen werden, ob dem Beschwerdeführer eine soziale und berufliche Integration in Bosnien-Herzegowina unzumutbar wäre. Vielmehr ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer mit sei- ner Ausbildung und Berufserfahrung eine berufliche Integration auch in seinem Heimatland Kroatien möglich ist. Damit sind seine Eingliederungschancen in den heimatlichen Arbeitsmarkt - selbst un- ter Berücksichtigung der im Vergleich zur Schweiz schlechteren Wirtschaftslage und allfälligen Startschwierigkeiten - intakt. Über die finanzielle Situation des Beschwerdeführers lässt sich den Akten nichts entnehmen, was sein Interesse am Verbleib in der Schweiz erhöhen würde. Der Beschwerdeführer kann denn auch aus der Bezahlung seiner Schulden infolge Straffälligkeit nichts zu sei- nen Gunsten ableiten. Nach Massgabe der sehr erfolgreichen beruflichen Integration in der Schweiz und den gleichwohl intakten beruflichen Integrations- aussichten im Heimatland ist dem Beschwerdeführer schliesslich ein 2013 Migrationsrecht 139 zusätzlich erhöhtes Interesse an einem weiteren Verbleib in der Schweiz zuzubilligen. 3.3.5. Zur Feststellung der privaten Interessen des Beschwerdeführers, die gegen einen Widerruf der Niederlassungsbewilligung sprechen, sind weiter mit Blick auf den Grad der Integration insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten und das persönliche Umfeld sowie seine Persönlichkeitsentwicklung zu beachten. Zu prüfen ist mithin, ob der Beschwerdeführer bei einem Verlassen der Schweiz in unzumutbarer Weise aus einem sozialen Umfeld herausgerissen bzw. ob er im Hei- matland auf unüberwindbare (Re-)Integrationsprobleme stossen wür- de oder ob durch die Ausreise eine positive Persönlichkeitsentwick- lung zunichte gemacht würde. Dabei sind in Fällen wie dem Vor- liegenden auch jene Aspekte zu beachten, die eine Rückkehr ins Heimatland aufgrund der dort aktuell bestehenden Situation als unzu- mutbar erscheinen lassen (BGE 135 II 110, Erw. 4.2). Der Beschwerdeführer macht geltend, er kenne sein Heimatland kaum. Er habe dort nur einige Male ferienhalber verweilt. Schliess- lich habe er ungenügende Kenntnisse in der kroatischen Sprache und sei nicht in der Lage, sich darin schriftlich auszudrücken. (...) Auch wenn die Gepflogenheiten seines Heimatlandes ihm nicht gleich ver- traut sein dürften, wie einem dort aufgewachsenen jungen Mann, so stellt die Vorinstanz zu Recht fest, dass seine Eingliederungschancen in die heimatliche Gesellschaft grundsätzlich intakt sind. Dies insbe- sondere auch aufgrund seiner Sprachkenntnisse, die er bereits in der Schweiz beruflich einsetzt. Unüberwindbare Integrationsprobleme sind nicht erkennbar. Im Sinne eines Vergleichs gilt es im Übrigen festzuhalten, dass bei jungen Erwachsenen aus dem Herkunftsland des Beschwerdeführers, die neu in die Schweiz übersiedeln und über keine Kenntnisse einer Landessprache verfügen, ohne Weiteres ange- nommen wird, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, sich in die schweizerischen Verhältnisse zu integrieren. Es ist vor diesem Hin- tergrund nicht ersichtlich, weshalb die Integrationsprobleme des Beschwerdeführers im Heimatland grösser sein sollten als die Inte- grationsprobleme, welche die Vorgenannten in der Schweiz zu be- wältigen haben. An der Annahme intakter Integrationsaussichten än- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 140 dert auch nichts, wenn die nächsten Verwandten und die Freundin des Beschwerdeführers in der Schweiz bleiben. Insgesamt dürfte da- her in Anbetracht dieser Umstände sowie der allgemeinen wirtschaft- lichen Lage eine Rückkehr in sein Heimatland zwar mit Schwierig- keiten verbunden, aber keinesfalls unzumutbar, sein. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, seine persönliche Entwicklung seit den dem Urteil vom 7. April 2011 zugrundeliegen- den Taten sei sehr positiv und stabil. Seine einzige Verfehlung beste- he in einem Fahren in angetrunkenem Zustand, welche er am 9. Januar 2011 begangen hatte. Selbst wenn man den Vorfall vom 9. Januar 2011 ausser Acht lassen würde, könnte der Beschwerdefüh- rer aus seiner ansonsten effektiv äussert positiven Persönlichkeitsent- wicklung nichts ableiten. Weder legt der Beschwerdeführer dar noch ist aus den Akten ersichtlich, dass diese positive Persönlichkeitsent- wicklung aufgrund einer Wegweisung zunichte gemacht würde. 3.3.6. Zusammenfassend beruht das private Interesse des Beschwerde- führers an einem weiteren Verbleib in der Schweiz primär auf seinem Status als Ausländer der zweiten Generation und seiner sehr langen Anwesenheitsdauer, auf der Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen in der Schweiz lebenden Familienangehörigen, insbesondere zu seiner Mutter sowie zu seiner Schweizer Freundin. Hinzu kom- men Nachteile im Zusammenhang mit dem Abbruch seiner äusserst erfolgreichen beruflichen Integration und gewisse, jedoch nicht un- überwindbaren Integrationsprobleme im Heimatland. Insgesamt ist das private Interesse als sehr gross zu qualifizieren. 4. Bei der Gesamtwürdigung der sich gegenüber stehenden öffent- lichen und privaten Interessen ist letztlich nicht von einem über- wiegenden öffentlichen Interesse an der Entfernung des Beschwerde- führers auszugehen. Ausschlaggebend ist das sehr grosse private Interesse an einem Verbleib in der Schweiz (vgl. oben 3.3.6). Mit Blick auf das öffentliche Interesse ist massgebend, dass der Be- schwerdeführer die gravierenden Sexualdelikte als Jugendlicher be- gangen hatte und keine weiteren derartigen Delikte folgten. Mit Blick auf die Deliktsserie, welche zu einer Freiheitsstrafe von 2013 Migrationsrecht 141 27 Monaten führte, ist entscheidend, dass sich der Beschwerdeführer von seinen früheren Mittätern distanzierte und aufgrund seiner Ent- wicklung heute lediglich noch von einer verschwindend kleinen Rückfallgefahr auszugehen ist, weshalb das öffentliche Interesse an einer Entfernung aus der Schweiz trotz langjähriger Freiheitsstrafe lediglich als gross zu qualifizieren ist. Unter diesen Umständen wären der Widerruf der Niederlas- sungsbewilligung des Beschwerdeführers und seine Wegweisung aus der Schweiz zwar grundsätzlich angezeigt, jedoch mangels überwie- genden öffentlichen Interesses unverhältnismässig. 5. Ist eine Massnahme begründet, aber den Umständen nicht ange- messen, kann die betroffene Person unter Androhung dieser Mass- nahme verwarnt werden (Art. 96 Abs. 2 AuG). Auch wenn mangels überwiegenden öffentlichen Interesses im heutigen Zeitpunkt vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers und seiner Wegweisung aus der Schweiz abzuse- hen ist, bedeutet dies nicht, dass damit eine entsprechende Mass- nahme definitiv nicht mehr zur Diskussion steht. Dem Beschwerde- führer wird lediglich eine letzte Chance eingeräumt, sein Leben in der Schweiz deliktsfrei zu gestalten. Er wird ausdrücklich auf Art. 63 AuG aufmerksam gemacht, wonach insbesondere ein erneuter schwerwiegender Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ord- nung zum Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung führen kann. Sollte der Beschwerdeführer weitere Straftaten begehen, steht es dem Migrationsamt frei, seine Anwesenheitsberechtigung erneut in Frage zu stellen und dabei seine früheren Verurteilungen mitzuberücksich- tigen. Diesfalls müsste sich der Beschwerdeführer gar den Vorwurf gefallen lassen, das vorliegende Verfahren habe ihn unbeeindruckt gelassen und nicht davon abhalten können, weiter zu delinquieren. Zudem wäre eine weitere Delinquenz wohl so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer trotz drohender Trennung von seiner Familie nicht fähig oder willens ist, sich rechtskonform zu verhalten. Nachdem unter diesen Umständen sämtliche Voraussetzungen für eine Verwarnung erfüllt und keine weiteren Abklärungen notwen- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 142 dig sind, ist die Verwarnung in Anwendung von § 49 VRPG direkt durch das Verwaltungsgericht auszusprechen. 6. Nach dem Gesagten ist der Einspracheentscheid der Vorinstanz vom 16. November 2011 in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und der Beschwerdeführer unter Androhung des Widerrufs der Nie- derlassungsbewilligung und der Wegweisung aus der Schweiz zu verwarnen.
7,002
5,758
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2013-28_2013-09-20
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870,310
1,412,294,400,000
2,014
de
2015 Abgaben 251 XIII. Abgaben 39 Beitragsplan; öffentliche Auflage und Baubeginn Bei Baubeginn muss die öffentliche Auflage des Beitragsplans noch nicht abgeschlossen sein (Präzisierung der Rechtsprechung). Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. Oktober 2014 in Sa- chen A. und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2014.21). Aus den Erwägungen 1. Die beiden umstrittenen Beitragspläne lagen vom 9. Januar 2012 bis 8. Februar 2012 öffentlich auf. Gemäss den Darstellungen des Gemeinderats wurde am 16. Januar 2012 mit den Bauarbeiten begonnen, nachdem offenbar der Baubeginn ursprünglich auf den 12. Januar 2012 terminiert war. Es besteht kein Anlass, an den Anga- ben des Gemeinderats und namentlich daran zu zweifeln, dass die Bauarbeiten erst nach dem 9. Januar 2012 (= Beginn der Auflage der Beitragspläne) aufgenommen wurden. Entsprechend erübrigen sich diesbezüglich weitere Beweisabnahmen, zumal die Beschwerdefüh- rer als Beweismittel lediglich die Verfahrensakten anrufen und sich daraus keine gegenteiligen Schlussfolgerungen ergeben. 2. 2.1. Das Gesetz über Raumentwicklung und Bauwesen vom 19. Januar 1993 (Baugesetz, BauG; SAR 713.100) enthält keine Be- stimmung, in welchem Zeitraum ein Beitragsplan aufzulegen ist. Ge- mäss der Praxis des Verwaltungsgerichts sowie des Spezialverwal- tungsgerichts, Abteilung Kausalabgaben und Enteignungen, zu § 35 BauG hat die Auflage des Beitragsplans "frühestens nach Erstellung des auflagereifen Projekts mit Kostenvoranschlag und spätestens vor 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 252 Baubeginn" zu erfolgen (AGVE 2010, S. 127 ff. mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht hat bis anhin noch nie exakt definiert, was unter dem Begriff "spätestens vor Baubeginn" genau zu verstehen ist. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Auflage vor Baubeginn nur eröffnet oder aber bereits abgeschlossen sein muss. Die bisherige Rechtsprechung bedarf einer entsprechenden Präzisierung. 2.2.-2.3. (...) 3. 3.1. Gemäss § 32 Abs. 1 des früheren Baugesetzes des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971 (aBauG) mussten Beitragspflicht und Höhe der einzelnen Beiträge "vor der Bauausführung" durch den Beitragsplan festgesetzt werden. Aus der Formulierung ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, ob die Auflage des Beitragsplans im Zeit- punkt des Baubeginns nur begonnen haben oder bereits abge- schlossen sein musste. Das Verwaltungsgericht hat sich während der Geltungsdauer des früheren Baugesetzes nie mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. 3.2. Die Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 16. Dezember 1998 (98.005747) zum Gesetz über Raumplanung, Umweltschutz und Bauwesen vom 19. Januar 1993, Änderung der §§ 34, 35, 88, 166 und 169 (Erschliessungsfinanzie- rung), Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, enthält folgende Aus- sage (S. 14): "Dass dem Beitragsplan ein Kostenvoranschlag zu- grunde liegen und die Auflage vor Baubeginn stattfinden muss, ergibt sich aus der Sache selbst; ein Hinweis im Gesetz erübrigt sich." Im Hinblick auf die vorliegend relevante Fragestellung, ob die Auflage des Beitragsplanes bei Baubeginn abgeschlossen sein oder lediglich begonnen haben muss, lässt sich aus diesem Passus keine unmittelbare Aussage ableiten. Demgegenüber ergibt sich daraus auch kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber an der früheren Regelung in § 32 Abs. 1 aBauG etwas hätte ändern wollen und na- mentlich die Absicht verfolgt hätte, bei Bauausführung müsse das Beitragsplanverfahren rechtskräftig abgeschlossen sein oder die Auflagen hätten gleichzeitig zu erfolgen. 2015 Abgaben 253 3.3. 3.3.1. Gemäss der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung dient die Auflage des Beitragsplans vor der Bauausführung unter anderem der kommunalen Budgetwahrung. Erscheint der Gemeinde gestützt auf das Beitragsplanverfahren der Anteil, den sie schlussendlich übernehmen muss, zu hoch, so verbleibt ihr die Möglichkeit, nach- träglich auf den Bau zu verzichten (AGVE 2010, S. 127 ff., Erw. 3.3). Diese Überlegung spricht tendenziell dafür, dass vor Be- ginn der Bauausführung die Auflage des Beitragsplans abgeschlossen sein soll; in der Regel lassen sich erst in diesem Zeitpunkt die Opposition gegen den Beitragsplan und somit der Kostenanteil, den die Gemeinde schlussendlich zu übernehmen hat, einigermassen zu- verlässig abschätzen. Solange die Einsprachefrist noch läuft, ist eine entsprechende Beurteilung grundsätzlich schwieriger. Andererseits ist indessen zu beachten: Praxisgemäss können bei einer verspäteten Auflage die betroffenen Grundeigentümer ein- spracheweise die Verwirkung des ihnen gegenüber festgesetzten Bei- tragsanspruchs geltend machen (AGVE 2010, S. 127 ff, Erw. 3.3). Diese Konsequenz lässt es nicht angezeigt erscheinen, bei der vorlie- genden Fragestellung dem öffentlichen Interesse an der Wahrung der kommunalen Budgethoheit ein entscheidendes Gewicht zukommen zu lassen. Tatsächlich würden letztlich nicht das Gemeinwesen, son- dern einzig die betroffenen Grundeigentümer (notabene zulasten des Gemeinwesens!) einen Vorteil daraus ziehen; es bestünde somit ein schroffer Gegensatz zwischen der verfolgten Absicht (Budgetwah- rung) und der effektiven Konsequenz (höhere Ausgaben). Zudem darf das Interesse der kommunalen Budgetwahrung auch deshalb nicht zu hoch bewertet werden, weil sich unter Umständen das Kostenrisiko der Gemeinde bereits vor Beginn der Auflage des Bei- tragsplans relativ gut abschätzen lässt. Dies gilt namentlich für den vorliegenden Fall, war doch der Widerstand gegen den Beitragsplan absehbar: Nachdem schon früh über die Beitragspflicht orientiert worden war (mit den Unterlagen zur Referendumsabstimmung vom 8. März 2009), wehrte sich ein grosser Teil der Beschwerdeführer be- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 254 reits auf politischem Weg (Referendum) sowie im Baubewilligungs- verfahren gegen den Ausbau C.-strasse (Strasse und Kanalisation). 3.3.2. Im Weiteren dient die Rechtsprechung der Rechtssicherheit; diese gebietet eine klare Regelung der Frage, bis zu welchem Zeit- punkt Grundeigentümerbeiträge erhoben werden können (AGVE 2010, S. 127 ff., Erw. 3.3). Gemäss § 6 des Reglements der Gemeinde B. über die Finanzierung von Erschliessungsanlagen vom 22. Juni 2001 (RFE) sind zur Bezahlung der Abgaben diejenigen Per- sonen verpflichtet, denen im Zeitpunkt des Eintritts der Beitrags- pflicht laut Grundbuch das Eigentum zusteht. Die Beitragspflicht entsteht mit Beginn der öffentlichen Auflage des Beitragsplanes (§ 15 RFE). Gestützt auf die zitierte Regelung steht mit dem Beginn der Auflage grundsätzlich fest, wer beitragspflichtig ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit erübrigt es sich somit, mit dem Bau erst nach Ende der Auflage des Beitragsplanes anzufangen. 3.3.3. Die Auflage des Beitragsplans "vor der Bauausführung" schützt zudem die privaten Beitragspflichtigen. Das Verwaltungsgericht führte in diesem Zusammenhang aus (AGVE 2010, S. 127 ff., Erw. 3.3): "Die betroffenen Grundeigentümer müssen die Möglichkeit haben, sich vor der Bauausführung gegen ihre persönliche Beitragspflicht wehren zu können. Unter Umständen gibt nämlich erst die Höhe der zu erwartenden Beiträge Anlass, sich gegen die Erschliessung zu weh- ren, sei es mit dem Argument, ein Ausbau der Erschliessungsanlage sei gar nicht nötig oder es seien billigere Varianten denkbar. Individuelle Beitragspflicht und Beitragsbemessung hängen zudem massgeblich von den Verhältnissen vor Baubeginn ab, welche sich im Nachhinein vielfach kaum mehr zuverlässig eruieren lassen." Die zitierten Erwägungen des Verwaltungsgerichts erfolgten allerdings nicht zur Erörterung der Frage, in welchem Zeitraum die Auflage des Beitragsplans zu erfolgen hat, sondern im Hinblick darauf, welche Konsequenzen sich aus einer verspäteten Auflage 2015 Abgaben 255 ergeben. Der Beitragsplan wurde seinerzeit erst rund vier Monate nach Baubeginn aufgelegt. Der zweitgenannten Aspekt (Feststellung der Verhältnisse vor Baubeginn) lässt eher darauf schliessen, dass die Auflage des Bei- tragsplans bei Baubeginn abgeschlossen sein muss. Ansonsten ist es denkbar, dass jemand innert Frist Einsprache erhebt, wesentliche Beweise jedoch bereits durch die angefangenen Bauarbeiten vernich- tet wurden. Allerdings ist die Beweissicherung auch auf andere Art und Weise möglich (...). Hinzu kommt, dass grundsätzlich das Ge- meinwesen dafür beweispflichtig ist, dass die bisherige Erschlies- sung ungenügend war und entsprechend eine Beitragspflicht der be- troffenen Grundeigentümer besteht (AGVE 1992, S. 197 mit Hinwei- sen). Das Risiko allenfalls vernichteter Beweise liegt folglich primär beim Gemeinwesen; entsprechend darf dieser Aspekt - ebenso wie derjenige der kommunalen Budgetwahrung (vgl. vorne Erw. 3.3.1) - nicht allzu hoch gewichtet werden. Gestützt auf den erstgenannten Gesichtspunkt (Betroffene sol- len sich in Kenntnis ihrer Beitragspflicht gegen das Bauprojekt weh- ren können) müssten eigentlich Bauprojekt und Beitragsplan gleich- zeitig aufgelegt werden. Tatsächlich fehlt jedoch - wie gesehen - im aargauischen Recht eine derartige Vorschrift. Soweit die Beschwer- deführer dennoch einen entsprechenden Anspruch behaupten, kann ihnen nicht gefolgt werden. In diesem Zusammenhang ist wesentlich, dass sich der von den Beschwerdeführern zitierte BGE 102 Ia 46 ff. auf eine kantonale Regelung stützt, die explizit die gleichzeitige Auflage vorschreibt. Entsprechend lässt sich der Entscheid nicht unbesehen auf den vorliegenden Fall übertragen. Das ebenfalls zitierte Urteil des Bundesgerichts vom 17. Oktober 2005 (2P.84/2005) bezieht sich auf eine kantonale Regelung, welche eine Erstellung des Beitragsplans "vor der Bauausführung" verlangt und damit grundsätzlich der Praxis des Kantons Aargau entspricht. Die- sem Urteil lässt sich indessen keine Aussage entnehmen, wonach auch ohne entsprechende kantonalrechtliche Grundlage eine gleich- zeitige Auflage von Bauprojekt und Beitragsplan notwendig wäre. Die erwähnte Literaturstelle (R ALPH VAN DEN B ERGH , in: Kom- mentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 35 N 4) 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 256 erscheint in Bezug auf den vorliegenden Fall ebenfalls nicht aus- sagekräftig. Zum einen wird die Pflicht zur gleichzeitigen Auflage aus den erwähnten beiden Urteilen des Bundesgerichts abgeleitet, zum anderen handelt es sich dabei weniger um eine Lehrmeinung zum geltenden Recht denn um ein Revisionsanliegen zuhanden des Gesetzgebers. Effektiv vermögen die Beschwerdeführer gestützt auf das gel- tende Recht allein aus dem Anliegen, dass sich die Betroffenen in Kenntnis ihrer Beitragspflicht gegen das Bauprojekt wehren können, keinen Anspruch auf eine gleichzeitige Auflage abzuleiten. In Bezug auf die vorliegend einzig relevante Fragestellung, ob die Auflage des Beitragsplans bei Baubeginn beendet sein muss oder noch andauern darf, lassen sich aus dem genannten Grundeigentümerinteresse keine relevanten Schlussfolgerungen ziehen: Selbst wenn vor Baubeginn das Ende der Auflage des Beitragsplans abgewartet werden müsste, wäre keineswegs gewährleistet, dass sich die Betroffenen in Kennt- nis des Beitragsplans gegen das Bauprojekt wehren könnten. Viel- mehr bliebe es auch bei einer derartigen Regelung möglich, dass der Beitragsplan erst nach Abschluss des Baubewilligungsverfahrens aufgelegt wird. 3.4. Gesamthaft lässt sich festhalten, dass sich weder aus dem Wort- laut von § 32 Abs. 1 aBauG noch aus den Materialien zu § 35 BauG Hinweise darauf ergeben, ob die Auflage des Beitragsplans bei Baubeginn nur begonnen haben oder bereits abgeschlossen sein muss. In Bezug auf die verschiedenen Zwecke, welche mit der von der Rechtsprechung verlangten Auflage des Beitragsplans spätestens vor Baubeginn verfolgt werden, erscheint es gerechtfertigt, dem Aspekt der Rechtssicherheit eine prioritäre Bedeutung zuzumessen. Danach erübrigt es sich, vor Baubeginn das Ende der Auflage des Beitrags- plans abzuwarten. Ein gewichtiger Grund für die gegenteilige Lö- sung ist demgegenüber nicht ersichtlich. Die bisherige Rechtspre- chung ist demzufolge dahingehend zu präzisieren, dass bei Baube- ginn die Auflage des Beitragsplans angefangen haben muss, aber nicht abgeschlossen zu sein braucht. Bezogen auf den zu beurteilen- 2015 Abgaben 257 den Fall rechtfertigt sich diese Lösung umso mehr, da schon vor Auf- lage des Bauprojekts über die grundsätzliche Beitragspflicht infor- miert worden war und dadurch die Betroffenen die Möglichkeit hat- ten (und in concreto auch grossmehrheitlich nutzten), sich in Kennt- nis der (ungefähr) zu entrichtenden Beiträge gegen das Bauprojekt zu wehren. Es ist gegebenenfalls Sache des Gesetzgebers, bezüglich der dargelegten Problematik eine klarere Regelung zu erlassen. (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde in öffent- lich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Entscheid abgewie- sen, soweit es darauf eingetreten ist; Urteil des Bundesgerichts vom 5. November 2015 [2C_1131/2014])
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2015-39_2014-10-03
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2018 Übriges Verwaltungsrecht 329 XII. Übriges Verwaltungsrecht 35 Grundbuch - Eintragung der Ehefrau als Alleineigentümerin einer Liegenschaft gestützt auf den Todesschein des Ehemannes und die Ehegatten- gesellschaft mit Anwachsungsvereinbarung - Bedeutung der Grundbuchanmeldung gestützt auf die Erbbescheini- gung, wenn die Liegenschaft bereits veräussert worden ist Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 24. Januar 2018, in Sachen A. gegen Departement Volkswirtschaft und Inneres (WBE.2017.373). Aus den Erwägungen 1. Der Beschwerdeführer beanstandet, seine Anmeldung hätte nicht mit der Begründung abgewiesen werden dürfen, die Ehefrau des Erblassers habe aufgrund einer ausserbuchlichen Anwachsung (d.h. zufolge der Ehegattengesellschaftsklausel) als Alleineigentüme- rin der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen werden müssen. Das Bezirksgericht Lenzburg habe in der Verfügung den vier Kindern aus erster Ehe und der vierten Ehefrau eine Erbbescheinigung ausge- stellt. Sowohl entsprechend der GBV als auch den Weisungen des Grundbuchinspektors seien die Erben im Rahmen der Universal- sukzession in das Grundbuch einzutragen. In der Eingabe an die Vorinstanz habe der Grundbuchverwalter die Begründung der Ab- weisung damit ergänzt, dass die Liegenschaft mittlerweile an die Töchter der Ehefrau weiterveräussert und zu deren Gunsten eine Nutzniessung bestellt worden sei. Die Vorinstanzen hätten einerseits Verwaltungsanordnungen missachtet und andererseits zivilrechtliche Bestimmungen falsch interpretiert. Der Grundbuchverwalter habe zu 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 330 Unrecht ausgeführt, eine Berichtigung könne nur aufgrund eines Ge- richtsentscheids erfolgen. Mit der Nichtberücksichtigung der Univer- salsukzession werde in unzulässiger Weise in die Liquidation einer Gesellschaft und die Ausgestaltung der Erbmasse eingegriffen. Insbesondere dürfe aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Liquidation der einfachen Gesellschaft nicht abgeleitet werden, die Erben würden nicht kraft Universalsukzession in die Liquidations- gemeinschaft eintreten und zu Gesamteigentümern. Eine bilateral vereinbarte Anwachsungsklausel könne nicht zum Alleineigentum des überlebenden Ehegatten führen. 2. Die Vorinstanz hat die Abweisungsverfügung des Grundbuch- amts bestätigt. Dieses habe die Ehefrau des Erblassers gestützt auf den Todesschein sowie den Gesellschaftsvertrag mit Anwachsungs- vereinbarung als Alleineigentümerin der Liegenschaft eingetragen. Literatur und Praxis befürworteten, dass bei der Ehegattengesell- schaft die Vereinbarung getroffen werden könne, dass beim Tod eines Gesellschafters dessen Anteil dem überlebenden anwachse. Eine solche Vereinbarung entspreche einer zulässigen Liquidationsvor- schrift. Diese bewirke, dass der Gesellschafter Alleineigentümer des Gesellschaftsvermögens werde, einschliesslich allfälliger Grund- stücke. Aufgrund der Fortsetzungs- bzw. Anwachsungsklausel sei die Ehegattin ausserbuchlich Eigentümerin geworden. 3. Der Nachtrag zum Grundstückkauf ( Ehegattengesellschafts- klausel ) lautet wie folgt: 1. In Ergänzung zum Kaufvertrag halten die Käufer - als Gesamteigen- tümer infolge einfacher Gesellschaft - gemäss Art. 530 ff. OR fest: Die Parteien vereinbaren im weiteren, dass beim Tod eines Gesell- schafters dessen Mitgliedschaft erlischt und sein Eigentum am Gesellschaftsvermögen dem überlebenden Gesellschafter ausser- grundbuchlich anwächst. Die Gesellschaft wird ohne Liquidation aufgelöst. In die güterrechtliche Auseinandersetzung bzw. den Nachlass des Verstorbenen fällt somit lediglich ein schuldrechtlicher Abfindungsanspruch, d.h. die Erben des verstorbenen Gesellschaf- 2018 Übriges Verwaltungsrecht 331 ters erwerben keine dinglichen Ansprüche am Gesellschaftsvermö- gen, d.h. an der Liegenschaft. Der verbleibende Gesellschafter kann mit den Erben des verstorbenen Gesellschafters indessen auch die Fortführung der einfachen Gesellschaft vereinbaren. 2. Sämtliche Bestimmungen des Kaufvertrages bleiben im Übrigen un- verändert. 4. 4.1. Art. 956a Abs. 1 ZGB hält fest, dass die vom Grundbuchamt er- lassenen Verwaltungsverfügungen, namentlich die Abweisung von Anmeldungen zur Einschreibung, Änderung oder Löschung von dinglichen Rechten, Vormerkungen oder Anmerkungen, mit der Grundbuchbeschwerde angefochten werden können. Diese richtet sich gegen die Weigerung des Grundbuchamts, eine Grundbuchan- meldung zu vollziehen; das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Amtshandlung wird einer Verfügung gleichgestellt (vgl. Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Register-Schuldbrief und weitere Änderungen im Sachenrecht] vom 27. Juni 2007, 07.061, in: BBl 2007 5330). Ist der Eintrag eines dinglichen Rechts ungerechtfertigt oder ein richtiger Eintrag in ungerechtfertigter Weise gelöscht oder verändert worden, so kann gemäss Art. 975 Abs. 1 ZGB jedermann, der dadurch in seinen dinglichen Rechten verletzt ist, auf Löschung oder Änderung der Eintrags klagen. Die Grundbuchberichtigungsklage dient dazu, dem materiell Berechtigten, dessen Recht sich nicht oder nicht mehr aus dem Grundbuch ergibt, dazu zu verhelfen, dass der seinem Recht entgegenstehende ungerechtfertigte Eintrag gelöscht, geändert oder dass die ungerechtfertigt gelöschte Eintragung wieder hergestellt wird (JÜRG SCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetz- buch II [BSK-ZGB II], Art. 457-977 ZGB, 5. Auflage, 2015, Art. 975 N 1; vgl. auch BGE 133 III 641, Erw. 3.1 = Pra 97/2008, Nr. 54, S. 367 f.). 4.2. Vorliegend ist lediglich die Abweisung der vom Beschwer- deführer begehrten Eintragung zu beurteilen; im Hinblick auf die 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 332 bereits zuvor erfolgte Eintragung der Ehefrau als Alleineigentümerin der Liegenschaft rechtfertigen sich jedoch ergänzend folgende Hinweise: ? Das Grundbuchamt prüft, gestützt auf die mit der Anmeldung eingereichten weiteren Belege, ob die gesetzlichen Voraussetzun- gen für die Eintragung in das Hauptbuch erfüllt sind (Art. 83 Abs. 1 GBV). Insbesondere zu prüfen hat es die Verfügungs- berechtigung der anmeldenden Person (Art. 83 Abs. 2 lit. c GBV) sowie die Rechtsgrundausweise, insbesondere deren Form (lit. g). ? Nach der Rechtsprechung hat der Grundbuchverwalter die materi- elle Gültigkeit eines Grundgeschäfts im Grundsatz nicht zu prüfen, indessen hat er die Anmeldung insbesondere abzuweisen, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft offensichtlich nichtig ist (vgl. VGE vom 30. Mai 2017 [WBE.2017.8], Erw. II/1.4 mit Hinweisen). ? Für die Begründung von Gesamteigentum im Rahmen der Ehegat- tengesellschaft bestehen grundsätzlich keine Formvorschriften (vgl. BEAT BRÄM, Gemeinschaftliches Eigentum unter Ehegatten an Grundstücken: Bildet Gesamteigentum als einfache Gesell- schaft eine gute Alternative zum Miteigentum und zum Gesamt- eigentum im Güterstand der Gütergemeinschaft?, Bern 1997, S. 32 ff.; zur Eintragung vgl. Art. 51 Abs. 3 und 96 Abs. 3 GBV sowie Art. 33 Abs. 3 aGBV). ? Anordnungen von Todes wegen sind Rechtsgeschäfte besonderer Art, deren Wirksamkeit auf den Tod des Erblassers gestellt ist (vgl. PETER BREITSCHMID, in: BSK-ZGB II, Vor Art. 467-536 N 20; BGE 113 II 270, Erw. 2). Fraglich könnte daher sein, ob gewisse Vorschriften zur Liquidation der Gesellschaft im Anhang zum Grundstückkauf als Verfügungen von Todes wegen den Formvor- schriften des Erbvertrags unterstehen (vgl. Art. 499 und 512 ZGB; BRÄM, a.a.O., S. 225 betreffend Vorschriften zur Abfindung der Erben im Gesellschaftsvertrag; HEINZ HAUSHEER/ROLAND PFÄFFLI, Zur Bedeutung des Anwachsungsprinzips bei der einfachen Gesell- schaft im Todesfall; zur Tragweite von BGE 119 II 119 ff. für die Grundbuchführung, in: ZBJV 130/1994, S. 43 betreffend Abfin- dungsklausel im Todesfall). Da im Erbrecht jedoch gemäss 2018 Übriges Verwaltungsrecht 333 Art. 520 Abs. 1 ZGB Verfügungen auf erhobene Klage hin für un- gültig erklärt werden (vgl. BGE 113 II 270, Erw. 3a; Urteil des Bundesgerichts vom 15. Juli 2005 [5C.56/2005], Erw. 4.1), wäre eine Abweisung der Anmeldung mangels Einhaltung von Formvor- schriften nicht naheliegend. ? Pflichtteilsgeschützte Erben bzw. Kinder aus erster Ehe haben allfällige obligatorische erbrechtliche Ansprüche über die Herab- setzung (vgl. Art. 216 Abs. 2 ZGB und Art. 522 bzw. 527 ZGB) geltend zu machen (zum Ganzen vgl. HEINZ HAUSHEER/REGINA E. AEBI-MÜLLER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 5. Auflage, 2014, Art. 216 N 26a ff.; ROLANDO FORNI/GIORGIO PIATTI, in: BSK-ZGB II, Vor Art. 522-533 N 1 ff.). Diese betrifft nicht die dingliche Berechtigung. ? Die Eintragung eines Ehegatten als Alleineigentümer einer Liegen- schaft gestützt auf einen Todesschein und einen Ehegattengesell- schaftsvertrag mit Anwachsungsklausel wird praktiziert (vgl. LGVE 2000 I Nr. 18). Gesellschaftsrechtlich wird mithin von einer qualifizierten Nachfolgeklausel ausgegangen, da die Gesellschaft nur mit (einem) bestimmten Erben fortgesetzt werden soll (vgl. DANIEL STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht II, Art. 530-964 inkl. Schlussbestimmungen, 5. Auflage, 2016, Art. 545/546 N 10). Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich unter der Geltung der Art. 64 ff. GBV bisher nicht zum Ver- hältnis von Ehegattengesellschaftsvertrag mit Anwachsungsklausel und erbrechtlicher Universalsukzession geäussert (vgl. BGE 119 II 119; Urteile des Bundesgerichts vom 8. März 2012 [4A_586/2011], Erw. 2; vom 12. Januar 2005 [4C.339/2004], Erw. 2.2). Gewichtige Lehrmeinungen halten dafür, dass die vermögensrechtliche Beteiligung dem überlebenden Gesellschafter uno actu und ipso iure anwächst, einschliesslich im Gesamt- eigentum stehender Liegenschaften. Danach gehen diese ausser- buchlich durch Akkreszenz über. Teilweise wird vertreten, den Erben verbleibe bloss ein schuldrechtlicher Abfindungsanspruch (vgl. LORENZ STREBEL/HERMANN LAIM, in: BSK-ZGB II, Art. 656 N 39; STEPHAN WOLF, Subjektswechsel bei einfachen Gesellschaf- ten, in: ZBGR 81/2000, S. 17, welcher von einer Fortsetzungs- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 334 klausel ausgeht; HAUSHEER/PFÄFFLI, a.a.O., S. 42, wo von Gesellschaftsliquidation durch Anwachsung die Rede ist; ROLAND PFÄFFLI, Der Ausweis für die Eigentumseintragung im Grundbuch beim Erbgang, in: AJP 2000, S. 427, wonach dieser Fall oft bei Ehegattengesellschaften vorkommt; BRÄM, a.a.O., S. 225). Insofern liegt jedenfalls die Annahme eines Umgehungs- geschäfts nicht nahe. Und ohne Vorliegen eines gegenteiligen höchstrichterlichen Präjudizes darf das Grundbuchamt nicht davon ausgehen, dass es sich beim Ehegattengesellschaftsvertrag mit An- wachsungsklausel um ein Rechtsgeschäft handelt, gestützt auf wel- ches die Eintragung als Alleineigentümer einer Liegenschaft zu verweigern wäre. 4.3. Über Nachlassgrundstücke kann erst verfügt werden, wenn der Alleinerbe oder die Erben im Grundbuch eingetragen sind (vgl. Art. 656 Abs. 2 ZGB). Anmeldende Person ist jeder anerkannte Erbe einzeln; Rechtsgrundausweis ist die Bescheinigung mit Angabe sämtlicher Personen, die als gesetzliche oder eingesetzte Erben aner- kannt sind (vgl. Art. 65 Abs. 1 lit. a GBV). Vorliegend ersucht der Beschwerdeführer um Eintragung der Erben als Gesamteigentümer eines Grundstücks, welches sich entsprechend dem Grundbuchauszug zunächst im Alleineigentum der Ehefrau des Erblassers befand. Mittlerweile und mithin vor der An- meldung durch den Beschwerdeführer wurde die Liegenschaft an Nachkommen der Ehefrau weiterveräussert und zu Gunsten dieser eine Nutzniessung bestellt. Die Grundbuchverordnung unterscheidet zwischen dem Erwerb durch Eintragung (Art. 64 GBV; Art. 656 Abs. 1 ZGB) und dem Er- werb vor Eintragung (Art. 65 GBV; Art. 656 Abs. 2 ZGB). Die Erbbescheinigung datiert von einem Zeitpunkt, zu welchem das frag- liche Grundstück bereits an Nachkommen der Ehefrau weiterveräus- sert und mit einer Nutzniessung belastet war. Die Frage, ob es sich bei der Eintragung der Ehefrau als Alleineigentümerin qua Gesell- schaftsvertrag um einen ausserbuchlichen Erwerb gehandelt hatte (vgl. vorne Erw. 4.2), und dessen Verhältnis zur Universalsukzession waren im Eintragungsverfahren des Beschwerdeführers nicht mehr 2018 Übriges Verwaltungsrecht 335 relevant. Das Eigentum am Grundstück wurde vor der Anmeldung durch den Beschwerdeführer gestützt auf ein Grundgeschäft übertra- gen, wobei die Ehefrau verfügungsbefugt war (vgl. Art. 656 Abs. 1 ZGB; STREBEL/LAIM, a.a.O., Art. 656 N 4 ff.). Nachträglichen dieser Eintragung entgegenstehenden Anmeldungen, einschliesslich solchen aufgrund der erbrechtlichen Universalsukzession, steht im Eintra- gungsverfahren das Prinzip der Alterspriorität entgegen (vgl. Art. 972 ZGB; SCHMID, a.a.O., Art. 972 N 6; DIETER ZOBL, Grundbuchrecht, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2004, Rz. 110). Entgegen seinem Vor- bringen kann sich der Beschwerdeführer damit nicht mehr auf die Universalsukzession sowie damit zusammenhängende Verwaltungs- verordnungen berufen. Dieses Ergebnis rechtfertigt sich insbeson- dere vor dem Hintergrund der Funktion des Eintragungsverfahrens. Wie vom Grundbuchverwalter vor der Vorinstanz zu Recht vorge- bracht, setzt eine allfällige Eintragung der Erben einen Entscheid eines Zivilgerichts unter Wahrung der Parteirechte der Betroffenen voraus. Die Grundbuchbeschwerde ist gemäss Art. 956a Abs. 3 ZGB (für einen Anmeldenden) ausgeschlossen gegen eine im Hauptbuch vollzogene Eintragung von dinglichen Rechten. Darüber hinaus wird sie in genereller Hinsicht als Rechtsmittel abgelehnt, wenn eine ge- richtliche Anfechtung vorgesehen ist (vgl. SCHMID, a.a.O., Art. 956a N 33 f.; Urteil des Bundesgerichts vom 17. März 2005 [5A.6/2005] = ZBGR 89/2008, S. 295). Vom Beschwerdeführer vorgetragene mate- riell-rechtliche Argumente des Erb- und Gesellschaftsrechts können im Hinblick auf eine Vindikation im Rahmen der Grundbuchberichti- gung (Art. 975 ZGB) oder Erbschaftsklage (Art. 598 ZGB) relevant sein (zu letzterer vgl. FORNI/PIATTI, a.a.O., Art. 598 N 1 ff.; CHRISTIAN BRÜCKNER/THOMAS WEIBEL, Die erbrechtlichen Kla- gen, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2006, S. 53 ff.). 4.4. Somit hat das Grundbuchamt die Anmeldung des Beschwerdeführers zu Recht abgewiesen.
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2004 Verwaltungsgericht 276 [...] 72 Untersuchungsgrundsatz; öffentliche Ausschreibung; Bereinigung der Angebote. - Das Verwaltungsgericht ist dem Untersuchungsgrundsatz verpflichtet (§ 20 VRPG); angesichts des beschränkten Akteneinsichtsrechts hat es die vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen gegen die Begründung der Vergabestelle für die Nichtberücksichtigung des Angebots umfassend zu überprüfen (Erw. I/4). - Folgen einer unterbliebenen Ausschreibung des Auftrags im kantonalen Amtsblatt (Erw. II/2). - Unzulässige Bereinigung eines Angebots (Erw. II/3/d, e). vgl. AGVE 2004 57 233
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2004-72.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2004-72.pdf
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2007 Verwaltungsgericht 222 [...] 53 Kein Anspruch eines Anwalts auf Parteientschädigung für die Vertretung einer AG, deren Verwaltungsrat er ist. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. August 2007 in Sachen F. gegen T. AG und S. AG (WBE.2006.315). 2007 Verwaltungsrechtspflege 223 Aus den Erwägungen 1.4. Gemäss Handelsregisterauszug gehört der Vertreter der Be- schwerdegegnerinnen (nur) dem Verwaltungsrat der Beschwerdegeg- nerin 1 an, wobei er in dieser Unternehmung die Funktion des Ver- waltungsratspräsidenten bekleidet. Die strittige Rechtsfrage, ob die Beschwerdegegnerin 1 gleichwohl Anspruch auf eine Parteientschä- digung hat, richtet sich nach § 36 VRPG. Diese Bestimmung lautet: "1 Im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht ist dem Obsiegenden eine angemessene Entschädigung für die Kosten der Vertretung, Verbeiständung oder Beratung durch Anwälte und weite- re Sachverständige zuzusprechen. Die Entschädigung ist den Um- ständen entsprechend dem Unterliegenden oder dem interessierten Gemeinwesen oder beiden anteilweise aufzuerlegen. 2 Diese Bestimmung kommt auch in den übrigen Beschwerde- verfahren zur Anwendung, sofern der Beizug eines Vertreters oder Sachverständigen nicht offensichtlich unbegründet war. " Diese Bestimmung setzt somit ein Zweifaches voraus: Die den Kostenersatz beanspruchende Partei muss einerseits eine Drittperson beigezogen haben, welche über bestimmte Eigenschaften verfügt; andererseits darf der Beizug dieser Drittperson nicht offensichtlich unbegründet gewesen sein. 1.4.1. Die erstgenannte Voraussetzung schliesst aus, dass eine Partei für ihren eigenen Rechtsverfolgungsaufwand eine Parteientschädi- gung beanspruchen kann (anders verhält es sich für den Zivilprozess: vgl. § 31 lit. d VKD). Die in eigener Sache handelnde, nicht durch einen Dritten vertretene oder beratene Partei ist deshalb praxisge- mäss nicht entschädigungsberechtigt (AGVE 1991, S. 153 ff.; VGE II/52 vom 23. Juli 1997 [BE.97.00010], S. 10; VGE III/51 vom 16. Juni 1982, S. 4 f. [1982/328]). Das gilt insbesondere auch für den Anwalt, der in eigener Sache handelt (VGE IV/60 vom 13. Dezem- ber 2004 [BE.2004.00394], S. 11; relativierend allerdings AGVE 2002, S. 406, wonach ein genereller Ausschluss des Kostenersatzes ein Rechtsgleichheitsproblem schüfe). 2007 Verwaltungsgericht 224 1.4.2. Zwar wird im materiellen Recht auch für das Verhältnis des Or- gans zur juristischen Person von einer Vertretung gesprochen, soweit jedoch eine juristische Person im Prozess durch eines ihrer Organe handelt, wird sie nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts entschädigungsrechtlich der nicht vertretenen Partei gleichgestellt (VGE III/82 vom 9. August 2001 [BE.2001.00206], S. 16; VGE II/48 vom 2. Juli 2003 [BE.2002.277], S. 12; vgl. auch Alfred Kölz/Jürg Bosshart/Martin Röhl, VRG, Kommentar zum Verwaltungsrechts- pflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, § 17 N 17; differenzierend nach Art der Tätigkeit Thomas Merkli / Arthur Aeschlimann / Ruth Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 104 N 2). Das gilt auch für den Verwaltungsrat, der als Anwalt der juristischen Person auftritt, weil die anwaltliche Aufgabe an seiner gesetzlichen Vertretungsbefugnis als Organ nichts ändert. Die verfahrensrechtliche Gleichstellung von Organ und juristi- scher Person erscheint deshalb sachgerecht, weil im Prozess nicht zwischen dem Handeln des Organs und demjenigen der juristischen Person unterschieden werden kann. Vielmehr kann die juristische Person im Prozess nur durch ihre vertretungsberechtigten Organe handeln (Art. 55 ZGB), was sich auch darin zeigt, dass das Organ der Parteibefragung unterstellt wird. Die Praxis des Verwaltungsgerichts deckt sich im Übrigen mit derjenigen des Regierungsrats, der Eidge- nössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswe- sen und der Eidgenössischen Steuerrekurskommission (Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaf- fungswesen vom 17. Dezember 2004, in: Verwaltungspraxis der Bundesbehörden [VPB] 69/2005, Nr. 55, S. 655; Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 9. November 2004, SRK 2003-169, S. 13). Diese Sichtweise garantiert auch die Gleich- behandlung von juristischen und natürlichen Personen. Beide können einen Dritten, der Anwalt ist, zur Prozessführung beiziehen. Sehen sie davon ab, ist in beiden Fällen von einem nicht ersatzfähigen Auf- wand für die eigene Rechtsverfolgung auszugehen. 2007 Verwaltungsrechtspflege 225 1.4.3. Im Ergebnis kann das anwaltliche Organ aus prozessualer Sicht nicht als Dritter im Sinn von § 36 VRPG bezeichnet werden. Die Vertretungskosten der Beschwerdegegnerin 1 sind damit als nicht er- satzfähige Selbstkosten zu qualifizieren. Daran ändert auch der Um- stand nichts, dass ein Bürokollege des Vertreters der Beschwerdegeg- nerinnen am Fall mitgearbeitet hat. Dieser ist gegen Aussen nicht als anwaltlicher Vertreter oder Beistand in Erscheinung getreten (vgl. § 1 Abs. 1 AnwT), weshalb sich aus dieser Mitarbeit im Nachhinein kein Anspruch auf Kostenersatz ableiten lässt (vgl. VGE III/51 vom 16. Juni 1982 [1982/328], S. 6). 1.5. Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers stellt der Umstand, dass nur die Beschwerdegegnerin 2 Anspruch auf Er- satz ihrer Parteikosten hat, keinen Kürzungsgrund im Sinn des An- waltstarifs dar. Da die Beschwerdegegnerinnen im vorinstanzlichen Verfahren eine gemeinsame Beschwerdeschrift mit identischen Rü- gen und Anträgen eingereicht haben, wäre der Aufwand im Fall einer Einzelvertretung gleich gross gewesen wie derjenige, der im Rahmen der Mehrfachvertretung entstand. Sofern und soweit das von der Vorinstanz zugesprochene Honorar dem Anwaltstarif entspricht, erweist es sich auch für den Fall der Einzelvertretung als angemes- sen. Eine Kürzung käme unter dem Gesichtspunkt der nachträglich weggefallenen Mehrfachvertretung nur dann in Betracht, wenn sich diese in einem Mehraufwand niedergeschlagen hätte, den die Vorin- stanz mit einem Zuschlag nach § 7 Abs. 2 AnwT berücksichtigt hätte. Dies war aber nicht der Fall.
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AG_VG_001
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2006 Submissionen 193 VI. Submissionen 37 Freihändige Vergabe. - Ob die Vergabebehörde dadurch, dass sie vorgängig kostenlose Ab- klärungen durch den Beschwerdeführer vornehmen liess und den Auftrag anschliessend freihändig an einen Konkurrenten vergab, ge- gen die vorvertragliche Treuepflicht verstossen hat, ist eine zivil- rechtliche Frage, die nicht durch das Verwaltungsgericht im Submis- sionsverfahren zu beurteilen ist. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. April 2006 in Sachen P.S. gegen den Gemeinderat A. Aus den Erwägungen 3. 3.1. Unbestrittenermassen fest steht, dass die Gemeinde beim Be- schwerdeführer mündlich ein Angebot für ein Kommunalfahrzeug angefordert und dieser Anfang September 2004 drei Offerten ein- gereicht hat. Im folgenden Sommer hat der Beschwerdeführer den Gemeindebehörden offenbar auch ein Kommunalfahrzeug vorge- führt. Nach Darstellung des Gemeinderats ging es dabei aber ledig- lich um eine Markterkundung im Hinblick auf die Erstellung des Gemeindebudgets und nicht um die Einleitung eines Submissions- verfahrens. So habe keine schriftliche Einladung zur Offertstellung an den Beschwerdeführer oder an weitere Anbieter mit Fristanset- zung für die Abgabe eines Angebotes stattgefunden, und es hätten auch kein Anforderungskatalog und keine Bedingungen für die Of- fertstellung vorgelegen. Diese Angaben werden durch den Be- schwerdeführer bestätigt, macht er doch geltend, der Gemeinderat habe die gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Submissionsver- 2006 Verwaltungsgericht 194 fahren nicht eingehalten. Aufgrund des Fehlens dieser Informationen sei er davon ausgegangen, dass die Ausschreibung nach dem Kre- ditentscheid der Gemeinde erfolge; er habe am 9. Januar 2006 mit dem Gemeinderat bzw. dem zuständigen Ressortchef telefonisch Kontakt aufgenommen und um die Zustellung der Ausschreibungs- unterlagen gebeten. Aus diesen Ausführungen folgt, dass auch der Beschwerdeführer bei der Einreichung der Angebote nicht davon ausging, dass er an einem förmlichen Submissionsverfahren teil- nahm, sondern dass ihm durchaus klar war, dass es der Gemeinde im Zusammenhang mit der vorgesehenen Neubeschaffung zunächst le- diglich darum ging, im Hinblick auf das Budget bzw. die Kreditbe- willigung durch die Gemeindeversammlung Informationen in Bezug auf vorhandene Produkte und Preise (im Sinne von Richtofferten) zu erhalten. Die drei Offerten sind somit nicht im Rahmen eines dem öf- fentlichen Recht unterstehenden Submissionsverfahrens eingereicht worden. Das Vorgehen des Gemeinderats, sich vom Beschwerdefüh- rer unverbindlich in Frage kommende Produkte offerieren zu lassen, lässt sich grundsätzlich nicht beanstanden, zumal der Gemeinderat diese Absicht für den Beschwerdeführer erkennbar zum Ausdruck gebracht hat. Der Beschwerdeführer kann daraus insbesondere kei- nen Anspruch auf einen späteren Zuschlag oder auf die Teilnahme an einem formellen Submissionsverfahren ableiten. Eine diesbezügliche bindende Zusicherung durch die Gemeindebehörde, die allenfalls ei- nen Vertrauensschutztatbestand zu begründen vermöchte, wird auch vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Er führt in der Eingabe vom 17. Februar 2006 (im Übrigen in gewissem Widerspruch zu den Aus- führungen in der Beschwerde) lediglich aus, seine Bemühungen (Of- ferten, spezielle Vorführung, diverse Unterredungen) seien "im Hin- blick auf einen Vertragsabschluss oder doch eine Beteiligung am Ver- gabeverfahren erfolgt". Soweit er geltend macht, das Vorgehen der Gemeinde, vorgängig kostenlose Abklärungen durch ihn vorzu- nehmen und den Auftrag anschliessend freihändig an einen Konkur- renten zu vergeben, erachte er als klare Verletzung der vorvertragli- chen Treuepflicht, ist festzuhalten, dass es sich hierbei um eine zivil- rechtliche Frage handelt, die nicht durch das Verwaltungsgericht im Rahmen eines Submissionsbeschwerdeverfahrens zu beurteilen ist. 2006 Submissionen 195 3.2. Der Gemeinderat hat in der Folge bei der B. AG eine Offerte für einen Traktor eingeholt und diesem Angebot schliesslich den Zu- schlag erteilt, sich also für eine freihändige Vergabe entschieden. Da sich bereits aufgrund der beim Beschwerdeführer eingeholten Richt- offerten gezeigt hat, dass die Kosten der beabsichtigten Beschaffung den Schwellenwert von Fr. 150'000.--, der ein Einladungsverfahren notwendig macht, nicht erreichten, mithin eine freihändige Vergabe (im Sinne einer Direktvergabe) rechtlich ohne Weiteres zulässig war und die Vergabe überdies auch nicht den (materiellen) Vorschriften des SubmD untersteht (§ 5 Abs. 1 lit. d SubmD), lässt sich der Zu- schlag an die B. AG nicht als vergaberechtswidrig beanstanden. Wie schon erwähnt, ist es nicht Sache des Verwaltungsgerichts zu prüfen, ob die Gemeindebehörde durch ihr Verhalten allenfalls gegen die vorvertragliche Treuepflicht (culpa in contrahendo) gegenüber dem Beschwerdeführer verstossen hat.
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2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 178 (...) 27 Bevorschussung von Kindesunterhaltsbeiträgen Aus § 33 SPG in der geltenden Fassung ergibt sich keine Pflicht, neben dem Barunterhalt auch den Betreuungsunterhalt zu bevorschussen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. Februar 2019, in Sachen A. gegen Sozialkommission B. und Departement Gesundheit und Soziales (WBE.2018.349). 2019 Sozialhilfe 179 Aus den Erwägungen 3. Gemäss Art. 293 Abs. 2 ZGB regelt das öffentliche Recht die Ausrichtung von Vorschüssen für den Unterhalt des Kindes, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. Der Erlass von Bestimmungen zur Alimentenbevorschussung und deren Vollzug fal- len in die Kompetenz der Kantone. Auf eine Verfassungsgrundlage zur Harmonisierung der Bevorschussung von Kindesunterhaltsbei- trägen wurde vorerst verzichtet (vgl. Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013 [nachfolgend Botschaft], 13.101, in: BBl 2014 545 f.). Die Alimentenbevorschussung für den Kindesunterhalt ge- hört nach allgemeiner Auffassung zu einem sachgerechten Sozialwe- sen, die Kantone sind indessen von Bundesrechts wegen nicht ver- pflichtet, dieses Institut einzuführen; dementsprechend sind sie grundsätzlich auch frei, wie sie das entsprechende System ausgestal- ten (vgl. BGE 137 III 193, Erw. 3.4; 112 Ia 251, Erw. 3; 106 II 283, Erw. 3). 4. Der Anspruch auf Bevorschussung von Kindesunterhaltsbeiträ- gen setzt voraus, dass der unterhaltspflichtige Elternteil seiner Un- terhaltspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt und ein voll- streckbarer Rechtstitel vorliegt (vgl. § 33 lit. a und b SPG). (...) 5. Das neue Unterhaltsrecht ist am 1. Januar 2017 in Kraft getre- ten. Nach dessen Konzeption ist der Betreuungsunterhalt als Teil des Kindesunterhalts ausgestaltet (vgl. Art. 276 Abs. 2 ZGB): Der An- spruch steht dem Kind zu und beinhaltet die mit der Betreuung durch einen Elternteil entstehenden (indirekten) Kosten (vgl. Botschaft, in: BBl 2014 551 f.). Er ist an die Voraussetzung geknüpft, dass ein Elternteil ein Kind vollumfänglich oder zumindest teilweise selbst betreut (vgl. STEPHAN HARTMANN, Betreuungsunterhalt - Überle- gungen zur Methode der Unterhaltsbemessung, in: ZBJV 153/2017, S. 101). Obwohl der Betreuungsunterhalt formell als Anspruch des 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 180 Kindes ausgestaltet ist, soll er wirtschaftlich dem persönlich betreu- enden Elternteil zukommen (Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 2018 [5A_384/2018], Erw. 4.3). Insoweit stellt er eine Abgeltung für die Betreuungszeit an den betreuenden Elternteil dar (vgl. SABINE AESCHLIMANN/JONAS SCHWEIGHAUSER, in: INGEBORG SCHWENZER/ROLAND FANKHAUSER [Hrsg.], FamKomm Scheidung, Band I: ZGB, 3. Auflage, Bern 2017, Allg. Bem. zu Art. 276-293 N 15). Im Gegensatz dazu berücksichtigen die Familiengerichte kostenpflichtige Drittbetreuungen im Rahmen des Barunterhalts (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 2018 [5A_384/2018], Erw. 4.3; Empfehlungen für die Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder [XKS.2017.2] der Kammer für Kindes- und Er- wachsenenschutz des Obergerichts, S. 4; Botschaft, in: BBl 2014 551). Bezüglich der Bemessung des Betreuungsunterhalts empfiehlt das Bundesgericht die sog. Lebenshaltungskosten-Methode . Da- nach wird auf die Differenz zwischen dem Nettoverdienst aus der Erwerbstätigkeit und den Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils abgestellt, wobei hierfür im Grundsatz das familienrecht- liche Existenzminimum massgebend ist (vgl. BGE 144 III 377, Erw. 7; Urteil des Bundesgerichts vom 21. September 2018 [5A_384/2018], Erw. 4.4; Botschaft, in: BBl 2014 554, 576). Insgesamt wird bei Trennungen verheirateter Eltern und Schei- dungen zwar nicht mit einer Erhöhung der Unterhaltsleistungen ge- rechnet, aber von einer Verschiebung vom (nach-)ehelichen Unter- halt des betreuenden Elternteils zum Kindesunterhalt ausgegangen (vgl. Empfehlungen für die Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder [XKS.2017.2] der Kammer für Kindes- und Erwachsenen- schutz des Obergerichts, S. 2; vgl. auch HARTMANN, a.a.O., S. 91). Bei unverheirateten Eltern ist tendenziell mit Erhöhungen der Kin- desunterhaltsbeiträge zu rechnen. 6. Die massgebliche Formulierung der Anspruchsvoraussetzungen in § 33 SPG ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2003 nicht geändert worden ( Anspruch auf Bevorschussung der Un- terhaltsbeiträge ; vgl. AGS 2002, S. 264). Aus den Materialien ergibt 2019 Sozialhilfe 181 sich ein klarer Wille des Gesetzgebers, dass sich die Vorschüsse ent- sprechend Art. 293 Abs. 2 ZGB auf den Kindesunterhalt beschränken und auf eine Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen an Ehegatten gemäss Art. 131 Abs. 2 ZGB (in der Fassung bis 31. Dezember 2016) verzichtet werden sollte (vgl. Botschaft des Regierungsrats des Kan- tons Aargau an den Grossen Rat vom 30. Juni 1999, SPG, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, 99.226, S. 31). Änderungen oder An- passungen der Bestimmungen über die Bevorschussung von Kindes- unterhaltsbeiträgen wurden vom aargauischen Gesetzgeber im Zu- sammenhang mit dem Inkrafttreten des neuen Unterhaltsrechts am 1. Januar 2017 nicht vorgenommen oder in Betracht gezogen. 7. (...) 8. 8.1. Fraglich und zu beantworten ist, ob der behördlich bzw. gericht- lich festgelegte oder genehmigte Betreuungsunterhalt aufgrund der Bestimmung von § 33 SPG zu bevorschussen ist. 8.2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Be- stimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Inter- pretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Be- stimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu be- rücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es nament- lich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrundeliegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entschei- dend, dienen aber als Hilfsmittel, den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 136 II 149, Erw. 3; 131 II 562, Erw. 3.5; 129 II 114, Erw. 3.1). Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass dieser nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsge- schichte, aus Sinn und Zweck der Norm oder aus ihrem Zusammen- hang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben. Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die den verfassungsrecht- lichen Vorgaben am besten entspricht (BGE 136 II 149, Erw. 3; 131 II 562, Erw. 3.5). 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 182 8.3. Der Bundesgesetzgeber hat per 1. Januar 2017 den Betreuungs- unterhalt als neues Element des Kindesunterhalts eingeführt (vgl. Art. 276 Abs. 2 und Art. 285 Abs. 2 ZGB), um die bestehende Be- nachteiligung von Kindern unverheirateter gegenüber verheirateter Eltern zu beheben (bezüglich indirekter Kosten der Kinderbetreuung; vgl. HARTMANN, a.a.O., S. 86; Botschaft, in: BBl 2014 540; Empfeh- lungen für die Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder [XKS.2017.2] der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz des Obergerichts, S. 1 f.). Nach der Konzeption des neuen Unterhalts- rechts ist der Betreuungsunterhalt als Bestandteil des Kindesunter- halts ausgestaltet, welcher sich aus dem Barunterhalt und dem Be- treuungsunterhalt zusammensetzt. Die Botschaft betont die Gleich- wertigkeit von Eigen- und Fremdbetreuung (vgl. BBl 2014 552). Die neue bundesrechtliche Regelung und der unveränderte Wortlaut von § 33 SPG ( Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge ) sprechen somit für eine Subsumtion des Betreuungsunterhalts unter die Bevorschus- sung der Kinderalimente. Dies gilt insbesondere, da Drittbetreuungs- kosten im Rahmen des Barunterhalts berücksichtigt werden. Die Funktion des Betreuungsunterhalts und die Entstehungsge- schichte von § 33 SPG relativieren allerdings eine entsprechende Schlussfolgerung: Wie ausgeführt, ist der Betreuungsunterhalt zwar formell als Anspruch des Kindes ausgestaltet, indessen kommt er wirtschaftlich dem persönlich betreuenden Elternteil zu (vgl. vorne Erw. 5). Dies zeigt sich insbesondere an der vom Bundesgericht empfohlenen Lebenshaltungskosten-Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhalts (vgl. vorne Erw. 5). Der Wille des kantonalen Gesetzgebers, auf die Bevorschussung von (nach-)ehelichen Unter- haltsbeiträgen im Sinne von Art. 131 Abs. 2 ZGB (in der Fassung bis 31. Dezember 2016) zu verzichten (vgl. vorne Erw. 6), darf nicht ausser Acht gelassen werden. In wirtschaftlicher Hinsicht erwog die Vorinstanz zu Recht, dass mit der Revision des Unterhaltsrechts Bei- träge, welche vormals über den nachehelichen Unterhalt zugespro- chen wurden, nunmehr als Teil des Kindesunterhalts gelten (vgl. vorne Erw. 5). Die mit der Revision des Unterhaltsrechts einherge- hende Verschiebung der Unterhaltsleistungen vom (nach-)ehelichen 2019 Sozialhilfe 183 Unterhalt des betreuenden Elternteils zum Kindesunterhalt würde erwartungsgemäss zu Mehraufwendungen im Rahmen der Alimen- tenbevorschussung führen. Solche sind auch für den Betreuungs- unterhalt von Kindern zu erwarten, deren Eltern nicht verheiratet sind. Die Übernahme entsprechender Vorschüsse war vom histori- schen Gesetzgeber kaum gewollt. Gemäss § 78 Abs. 1 Satz 1 KV erlässt der Grosse Rat in der Form des Gesetzes alle wichtigen Bestimmungen, insbesondere die- jenigen, welche die Rechte und Pflichten der Bürger festlegen. Aus staatsrechtlicher Sicht erscheint es daher angezeigt, dass das Kan- tonsparlament eine Entscheidung über allfällige Auswirkungen des revidierten Unterhaltsrechts auf die Alimentenbevorschussung trifft. Einerseits zeitigt die Einführung des Bar- und Betreuungsunterhalts - entsprechend der Ausgestaltung der Bevorschussung - direkte Aus- wirkungen auf deren Umfang und damit den Anspruch an sich. An- dererseits ist aufgrund erwarteter Verschiebungen vom (nach- )ehelichen Unterhalt des betreuenden Elternteils hin zum Kindes- unterhalt mit Mehrausausgaben bzw. mit bedeutenden finanziellen Auswirkungen zu rechnen (zu den Kriterien für die Wichtigkeit von Erlassbestimmungen vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 78 N 11 ff., 16; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 353 ff.). Zwar vergütet der Kanton den Gemeinden gemäss § 47 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 SPG die Kosten der Alimentenbevorschus- sung nicht mehr, weshalb allfällige Mehrkosten in erster Linie die Gemeinden belasten. Unabhängig davon spricht das Fehlen einer ge- setzgeberischen Entscheidung dagegen, Mehraufwendungen des Be- treuungsunterhalts über die Kinderalimente zu bevorschussen. Nach der verfassungskonformen Auslegung erfasst § 33 SPG den Be- treuungsunterhalt somit nicht. Zwar kann bei der Auslegung von § 33 SPG der Maxime des Kindeswohls grundsätzlich besser Rechnung getragen werden (vgl. dazu die Grundsatzbestimmung von § 32 SPG, wonach die Bevor- schussung die nachteiligen Folgen bei Säumnis des unterhaltsver- pflichteten Elternteils mindern soll); indessen würde die maximale 2019 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 184 Bevorschussung gemäss § 35 Abs. 1 SPG (d.h. Fr. 940.00 bzw. ab 1. Januar 2019 Fr. 948.00) mit bevorschusstem Betreuungsunterhalt vorliegend - und regelmässig auch in den übrigen Fällen - ausge- schöpft. Die Begrenzung der Bevorschussung entsprechend der maximalen einfachen Waisenrente nach der Bundesgesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung spricht - wie die Vorinstanz zu Recht erwog - gegen die Bevorschussung des Be- treuungsunterhalts. Insgesamt überwiegen bei der Auslegung der aktuellen Fassung von § 33 SPG diejenigen Argumente, welche gegen eine Ausdehnung der Bevorschussung auf den Betreuungsunterhalt sprechen. Diesem Ergebnis stehen keine praktischen Gründe entgegen: Es dürfte in aller Regel unentbehrlich sein, für die Festlegung oder Genehmigung der Kindesunterhaltsbeiträge den Bar- und Betreuungsunterhalt aus- zuweisen (vgl. Empfehlungen für die Bemessung von Unterhaltsbei- trägen für Kinder [XKS.2017.2] der Kammer für Kindes- und Er- wachsenenschutz des Obergerichts, S. 6). Schliesslich wird dem be- treuenden Elternteil bei Sozialhilfeabhängigkeit der Betreuungsun- terhalt nur als eigene Mittel angerechnet, wenn er vom Unterhalts- pflichtigen tatsächlich bezahlt wird (vgl. § 11 Abs. 1 SPG; § 11 Abs. 1 SPV; Merkblatt Auswirkungen des revidierten Rechts zum Kindesunterhalt auf die Sozialhilfe der SKOS, Kommission Rechts- fragen, vom 12. Dezember 2016, S. 2). Insoweit wirkt sich die Be- vorschussung zumindest nicht auf die Existenzsicherung der Be- schwerdeführerin aus. 8.4. Die Auslegung von § 33 SPG ergibt somit, dass die Sozialbe- hörde aufgrund der geltenden Bestimmung nicht verpflichtet ist, der Beschwerdeführerin den Betreuungsunterhalt für ihren Sohn zu be- vorschussen. Der kantonale Gesetzgeber ist aber aufgefordert, im dafür vorgesehenen Verfahren eine ausdrückliche Entscheidung zu treffen, in welchem Umfang Kindesunterhaltsbeiträge nach neuem Unterhaltsrecht zu bevorschussen sind.
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2007 Kantonale Steuern 75 II. Kantonale Steuern 19 Steuerbare Nebeneinkünfte. - Nebeneinkünfte des Arbeitnehmers stellen auch dann steuerbares Einkommen dar, wenn sie nicht von der Arbeitgeberfirma, sondern von deren Alleinaktionär stammen, aber in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 29. März 2007 in Sa- chen Kantonales Steueramt gegen Steuerrekursgericht und P.H. (WBE.2006.172). Zur Publikation vorgesehen in StE 2008. Sachverhalt Der Steuerpflichtige konnte von S., dem Alleinaktionär seiner Arbeitgeberfirma X. AG, Aktien (der X. AG) zu einem Vorzugspreis erwerben. Aus den Erwägungen 1./1.1. Steuerbar ist das gesamte Einkommen jeder Art, insbe- sondere "das Arbeitsentgelt mit sämtlichen Lohnzulagen und die Ne- benbezüge jeder Art wie Entschädigungen für Sonderleistungen, Dienstaltersgeschenke des Arbeitgebers, Provisionen, Gratifikatio- nen, Tantiemen, Trinkgelder und ähnliche Zuwendungen" (§ 22 Abs. 1 lit. a aStG). 1.2. Nebenleistungen unterliegen beim Empfänger auch dann der Einkommensbesteuerung, wenn sie nicht auf Grund einer ver- traglichen Verpflichtung, sondern freiwillig erfolgten (AGVE 2000, S. 134). Entscheidend für die manchmal schwierige Unterscheidung ist, ob sich beim Leistenden ein vom Arbeitsverhältnis unabhängiger 2007 Verwaltungsgericht 76 Schenkungswille manifestiert, seine Leistung also nicht (sei es auch freiwillig und ohne rechtliche Verpflichtung) eine Leistung des un- selbstständig Erwerbenden abgelten soll und in diesem Sinne wirk- lich "unentgeltlich" ist (vgl. dazu auch StE 1989, B 21.3 Nr. 2, Erw. 2/a [Verwaltungsgericht Zürich]). Bei den steuerbaren Nebeneinkünften handelt es sich - mit Aus- nahme der im Gesetz ausdrücklich erwähnten Trinkgelder - in aller Regel um solche, die vom Arbeitgeber ausgerichtet werden (AGVE 2000, S. 133 f.; VGE II/118 vom 25. August 1995 [BE.94.00318], S. 9). Dies stellt aber keine unabdingbare Vorausset- zung dar; ausnahmsweise fallen auch Leistungen Dritter darunter, so- fern sie einem unselbstständig Erwerbenden im (unmittelbaren wirt- schaftlichen) Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit, also auf Grund des Arbeitsverhältnisses, erbracht werden (Peter Locher, Kommentar zum DBG, Teil I, Therwil/Basel, 2001, Art. 17 N 20 ff. mit zahlreichen Hinweisen; Martin Plüss, in: Kommentar zum Aar- gauer Steuergesetz, 2. Aufl., Muri/Bern 2004, § 26 N 27). 1.3. Dagegen vermögen die systematischen Einwände der Be- schwerdegegner nicht aufzukommen. Auszugehen ist von der Rege- lung des Steuergesetzes, wonach das gesamte Einkommen jeder Art zu versteuern ist. Ob es sich um eigentlichen Lohn, um vereinbarte oder um freiwillige Nebenleistungen des Arbeitgebers oder um Leis- tungen Dritter handelt: ein genügend enger Konnex zur Arbeitstätig- keit reicht für sich alleine aus, damit steuerpflichtiges Einkommen zu bejahen ist. Die Motive beim leistenden Dritten spielen ausschliess- lich insoweit eine Rolle, als daraus auf den (bestehenden oder eben auch fehlenden) Konnex zur Arbeitstätigkeit geschlossen werden kann. Angesichts der vielen denkbaren Konstellationen liegt es auf der Hand, dass nicht jede durch Dritte erfolgende (reine oder ge- mischte) Schenkung von Aktien an einen Arbeitnehmer der AG zu identischen Steuerfolgen führt. Es ist im weiteren nicht systematisch zwingend, dass der Besteuerung als Einkommen beim Empfänger die steuerliche Abzugsfähigkeit beim Leistenden gegenüber steht, was sich schon aus der ausdrücklichen Nennung der Trinkgelder in § 22 Abs. 1 lit. a aStG ergibt. Die Rückgriffe auf die Steuerfreiheit von privaten Kapitalgewinnen (§ 23 lit. i aStG) schlagen nicht durch, da 2007 Kantonale Steuern 77 es vorliegend ausschliesslich um die Frage geht, ob der Beschwerde- gegner durch den Erwerb des Aktienpakets zum Vorzugspreis steuer- bares Einkommen erzielte, nicht darum, was er danach mit den Ak- tien machte und ob er sie mit Gewinn oder mit Verlust veräussern konnte. 2. Im vorliegenden Fall war der Beschwerdegegner seit 1990 Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats der X. AG. Mitte 2000, als er vom Alleinaktionär S. das Aktienpaket erhielt, "war - unausgesprochen - klar, dass in ein paar Jahren eine Nachfol- geregelung realisiert werden musste"; dies schloss die Möglichkeit eines Verkaufs der Gesellschaft zumindest mit ein; tatsächlich stand ein solcher im Vordergrund. Der Alleinaktionär konnte damit den Beschwerdegegner, der massgeblich zum Geschäftserfolg beigetra- gen hatte, in dieser wichtigen Phase weiterhin an das Geschäft bin- den, was für den Geschäftsgang im Hinblick auf Verkaufsverhand- lungen wichtig war; zudem mochte die Geste dazu dienen, sich die Loyalität des Beschwerdegegners zu sichern, für den sonst ein hoher Verkaufspreis für die Aktien viel weniger wichtig gewesen wäre als die Möglichkeit, in seiner gut bezahlten Stellung bei der X. AG zu bleiben, und auch die zukünftige Tätigkeit des Beschwerdegegners (positiv) zu beeinflussen. Obwohl somit auch persönliche Interessen des Alleinaktionärs erkennbar sind, ist der Bezug zur Firma doch sehr eng, zumal die erwähnten Interessen des Alleinaktionärs die er- folgreiche Weiterarbeit des Beschwerdegegners in der Firma zum In- halt hatten und ausserdem eine besondere Anerkennung für die bis- her geleisteten Dienste in dieser Situation ebenfalls nahe lag (nach den Aussagen des Beschwerdegegners war seine Beteiligung an der Firma schon seit längerer Zeit vorgesehen; ob dafür der übliche Weg einer Mitarbeiterbeteiligung durch die X. AG selber für S. steuerlich günstiger gekommen wäre, wie die Beschwerdegegner geltend ma- chen, kann keine Rolle spielen). Auch wenn der Fall für die Abgren- zung zwischen Einkommens- und Schenkungssteuer nicht ganz ein- deutig liegen mag, ist für das Verwaltungsgericht der Konnex zur Tätigkeit (auch der künftigen) des Beschwerdegegners für seine Ar- beitgeberfirma X. AG eng genug, um den Verkauf von Aktien zum 2007 Verwaltungsgericht 78 Vorzugspreis als steuerbare Nebenleistung im Sinne von § 22 Abs. 1 lit. a aStG zu behandeln.
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2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 143 [...] 36 Gestaltungsplan Plakatstellen. - Inhalt und Anwendungsbereich eines Gestaltungsplans (Erw. 2.2.- 2.6). - Zuständigkeit des Gemeinderats zur Regelung des Plakatwesens (Erw. 4.3-4.4). - Unzulässigkeit genereller Reklameverbote für das ganze Gemeinde- gebiet in der Sondernutzungsplanung (Erw. 6.1-6.2). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 5. Juli 2007 in Sachen A. gegen den Regierungsrat (WBE.2003.81). 2007 Verwaltungsgericht 144 Aus den Erwägungen 1.-2.1. (...) 2.2. Gestaltungspläne können erlassen werden, wenn ein wesentli- ches öffentliches Interesse an der Gestaltung der Überbauung besteht (§ 21 Abs. 1 BauG). Dabei können Gestaltungspläne von den allge- meinen Nutzungsplänen und -vorschriften abweichen, wenn dadurch ein siedlungs- und landschaftsgestalterisch besseres Ergebnis erzielt wird, die zonengemässe Nutzungsart nicht übermässig beeinträchtigt wird, keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (vgl. AGVE 1992, S. 320) und die allgemeine Nutzungsordnung Abwei- chungen nicht explizit ausschliesst oder besondere Voraussetzungen für ein Abweichen von den Nutzungsplänen und -vorschriften um- schreibt (§ 21 Abs. 2 BauG). § 3 Abs. 1 lit. c ABauV verdeutlicht, dass ein Gestaltungsplan insbesondere Vorschriften im Interesse des Natur-, Ortsbild-, Denkmal-, Gewässer- und Umweltschutzes sowie der Siedlungsqualität enthalten kann. 2.3. Der Gestaltungsplan gemäss § 21 BauG ist vornehmlich ein In- strument zur differenzierten Nutzungsplanung. Seine Aufgabe und sein Zweck bestehen allgemein in der Konkretisierung der Nutzung im Hinblick auf besondere öffentliche Anliegen, welche in § 21 Abs. 1 lit. a-c BauG angeführt sind. Der Gestaltungsplan soll ein qualitativ besseres Ergebnis ermöglichen als der allgemeine Nut- zungsplan mit der parzellenweisen "Regelbauweise". Insbesondere die Verwirklichung städtebaulicher Ziele, Anliegen des Natur- und Landschaftsschutzes und des Denkmalschutzes verlangen oftmals besondere, detaillierte planerische Regelungen (vgl. § 3 Abs. 1 lit. c ABauV), welche den Rahmen der allgemeinen Nutzungsordnung schon aus praktischen Gründen sprengen. Auch nicht endgültig ab- geschlossene Planungen in einem Gebiet können Anlass für einen Gestaltungsplan bilden und damit sicherstellen, dass der Planungs- prozess abgeschlossen und konkrete Planungsziele realisiert werden können (vgl. Eric Brandt / Pierre Moor, in: Heinz Aemisegger / Al- fred Kuttler / Pierre Moor / Alexander Ruch [Hrsg.], Kommentar 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 145 zum Bundesgesetz über die Raumplanung [RPG-Kommentar], Zü- rich 1999, Art. 18 N 96; Walter Haller / Peter Karlen, Raumpla- nungs- und Baurecht, Band I, 3. Auflage, Zürich 1999, Rz. 357). 2.4. Der sachliche Inhalt des Gestaltungsplans bestimmt sich gemäss § 21 Abs. 1 BauG in erster Linie nach seinem Zweck, der baulichen und landschaftlichen Umgebung und den Erschliessungsanforderun- gen. Der mögliche Inhalt besteht in Vorschriften über bauliche Ein- zelheiten der Bauten und Terraingestaltung, die Nutzung sowie Vor- schriften im Interesse von Ortsbild-, Natur- und Umweltschutz usw. (§ 3 Abs. 1 lit. a-c ABauV). Zusätzlich können die Bestandteile des Erschliessungsplans Gegenstand des Gestaltungsplans sein (§ 3 Abs. 1 ABauV). Das BauG und die ABauV regeln den Inhalt des Ge- staltungsplans indessen nicht abschliessend und beschränken den möglichen Inhalt des Gestaltungsplans nicht, weshalb die Gemeinden innerhalb ihrer Kompetenzen und des übergeordneten Rechts, insbe- sondere des Bau- und Planungsrechts, alle öffentlichen Anliegen und Gegenstände, einschliesslich der Umgebungsgestaltung und der Aus- stattung im Zusammenhang mit der "Gestaltung der Überbauung" im Gestaltungsplan, gesetzgeberisch ordnen dürfen (vgl. Mark Gisler, Ausgewählte Fragen zum Gestaltungsplan im Kanton Schwyz, in: ZBl 2000, S. 394). Eine generelle inhaltliche Beschränkung ergibt sich auch nicht aus der Stellung des Gestaltungsplans im Plangefüge des Baugeset- zes. In der Praxis stehen zwar jene Gestaltungspläne im Vordergrund, die aufgrund einer Gestaltungsplanpflicht im allgemeinen Bauzonen- plan gemäss § 16 Abs. 3 BauG erlassen werden. Für diese Gestal- tungspläne gelten die Nutzungsvorschriften der Bauzone im allge- meinen Nutzungsplan als inhaltlicher Rahmen; Abweichungen sind nur in beschränktem Umfang und unter zusätzlichen Voraussetzun- gen zulässig (§ 21 Abs. 2 BauG i.V.m. § 3 Abs. 2 ABauV). Der An- wendungsbereich der Gestaltungsplanung ist aber nicht auf diese Kategorie beschränkt, sondern kann für verschiedene planerische Aufgaben eingesetzt werden. Das Baugesetz schliesst generell projektbezogene Sondernutzungspläne (vgl. dazu Peter Heer, Die raumplanungsrechtliche Erfassung von Bauten und Anlagen im 2007 Verwaltungsgericht 146 Nichtbaugebiet, Diss. Zürich 1996, S. 151; Bernhard Waldmann / Peter Hänni, Raumplanungsgesetz, Bern 2006, Art. 14 N 13) so wenig aus wie Gestaltungspläne ausserhalb von Bauzonen (Brandt / Moor, a.a.O., Art. 18 N 100 ff.). Bereits der Gestaltungsplan nach dem Baugesetz vom 2. Februar 1971 (§ 141 f. aBauG) war in seinem Anwendungsbereich nicht auf unüberbaute und eingezonte Gebiete beschränkt (Jean-Jacques Forestier, Der Gestaltungsplan nach aargauischem Baugesetz, Diss. Zürich 1975, S. 93; vgl. BGE 115 Ia 333 Erw. 5; vgl. auch Handbuch zum Bau- und Nutzungsrecht (BNR), 2. Auflage, Dezember 2003, Ziff. 2.1.2). Der Gestaltungsplan ist vielmehr ein Nutzungsplan i.S.v. Art. 14 RPG. Eine Abhängigkeit im Sinne einer Stufen- oder Entscheidfolge zwischen Gestaltungs- und allgemeinem Nutzungsplan wie zwischen Richt- und Nutzungs- planung (Art. 9 RPG i.V.m. § 27 Abs. 2 BauG; BGE 124 II 252 Erw. 3; 120 Ib 207 Erw. 5) besteht daher nicht (vgl. VGE IV/47 vom 30. November 1999 [BE.1997.00159], S. 11). Daraus folgt, dass Ge- genstand eines Gestaltungsplans grundsätzlich alles sein kann, was einer Gestaltung der baulichen Nutzung dient. Ein Gestaltungsplan und die jeweiligen Sonderregelungen sind entsprechend im Einzelfall auf ihre Rechtmässigkeit und je nach dem Planungsgegenstand und Zweck auch auf ihre (materielle) Übereinstimmung mit dem allge- meinen Nutzungsplan zu prüfen. 2.5. In räumlicher Hinsicht umschreibt das BauG den Anwendungs- bereich des Gestaltungsplans mit dem Begriff "bestimmte Gebiete" (§ 16 Abs. 1 BauG) bzw. "ein Gebiet" (§ 21 Abs. 1 lit. a BauG) und "gewisse Gebiete" (§ 21 Abs. 2 Satz 2 BauG). Daraus und aus der Anknüpfung an die Zweckumschreibung in § 141 Abs. 1 Satz 2 aBauG folgt, dass der Perimeter eines Gestaltungsplans eine "grösse- re zusammenhängende Fläche" erfassen soll (Erich Zimmerlin, Bau- gesetz des Kantons Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1985, § 141 § N 1a; Forestier, a.a.O., S. 98 f.). Ein Mindest- oder Höchst- mass schreibt aber auch das Baugesetz 1993 nicht vor. Die richtige Abgrenzung des Plangebiets richtet sich vielmehr nach dem Zweck und den zu lösenden planerischen Aufgaben in der Gestaltungspla- nung. Eine territoriale Begrenzung besteht nach unten, soweit das 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 147 Verbot von Kleinbauzonen zur Verhinderung einer Streubauweise tangiert sein kann (BGE 121 I 245 Erw. 6e mit Hinweisen). Im Vor- dergrund steht daher die Überbauung einer grösseren zusammenhän- genden Fläche, wo eine von der Regelbauweise abweichende Son- derregelung ein qualitativ besseres Ergebnis, aber auch eine einheit- liche, einer Gesamtkonzeption verpflichtete Lösung ermöglicht (vgl. VGE III/70 vom 22. September 1995 [BE.1994.00214], S. 11). Die- ser Grundgedanke liegt letztlich auch einer einheitlichen, auf einer Gesamtkonzeption beruhenden, mit einer guten Eingliederung in das Orts- und Landschaftsbild verbundenen Regelung des Plakatie- rungswesens zugrunde. Die Realisierung eines kommunalen Plaka- tierungskonzepts mittels eines entsprechenden Gestaltungsplans steht somit nicht zwangsläufig im Widerspruch zum Sinn und Zweck die- ses Planungsinstruments. Daran ändert auch nichts, dass sich ein der- artiger Gestaltungsplan nicht wie bei einer herkömmlichen grösseren Überbauung üblich auf ein bestimmtes zusammenhängendes Areal innerhalb des Gemeindegebiets beschränkt, sondern zwangsläufig grössere Teile (z.B. die Dorf- oder Kernzone) oder - wie hier - sogar das gesamte Baugebiet der Gemeinde erfassen kann. Insofern ist der Auffassung des Gemeinderats und des Regierungsrats beizupflichten, dass es das massgebende kantonale Bau- und Planungsrecht nicht ausschliesst, einen Gestaltungsplan mit punktuellen, einen materiell sehr begrenzten Sektor betreffenden Vorschriften über das gesamte Baugebiet einer Gemeinde zu erlassen, soweit es im kommunalen Recht nicht ausgeschlossen ist. 2.6. Zu beachten haben die Gemeinden auch bei der Sondernut- zungsplanung in formeller und materieller Hinsicht das übergeord- nete Recht, u.a. auch § 42 Abs. 2 BauG, der bestimmt, dass Bauten, Anschriften, Bemalungen, Antennen und Reklamen insbesondere Landschaften sowie Orts-, Quartier- und Strassenbilder nicht beein- trächtigen dürfen. Die Gemeinden sind zur Konkretisierung dieser Bestimmung in ihren jeweiligen Bau- und Nutzungsordnungen be- fugt. Die Gemeinden gewährleisten sodann die öffentliche Ordnung und Sicherheit (§ 27 Satz 1 KV; vgl. § 37 GG), wozu u.a. und im Rahmen der gesetzlichen Ordnung auch die Verkehrssicherheit ge- 2007 Verwaltungsgericht 148 hört (Andreas Baumann, Aargauisches Gemeinderecht, 3. Auflage, Zürich 2005, S. 306 f., 310 f.). Bestandteil des Erschliessungsplans und damit eines Gestaltungsplans ist u.a. die Gestaltung des Stras- senraums (§ 1 ABauV). Die Zuständigkeit der Gemeinde K. zur Reglementierung des Plakatwesens auf ihrem Gemeindegebiet ist ohne weiteres gegeben. Es handelt sich dabei um eine typisch lokale Angelegenheit (§ 104 Abs. 2 KV; AGVE 1994, S. 237; BGE 128 I 3 Erw. 3e/cc). Auch die Zuständigkeit der Gemeinde zum Erlass eines Sondernutzungsplans mit -vorschriften ergibt sich bereits aus dem kantonalen Recht. Der Gestaltungsplan mit einem von der allgemeinen Nutzungsordnung abweichenden Inhalt ist sodann in § 22 Abs. 2 BO ausdrücklich vor- gesehen. (...) 3.-4.2. (...) 4.3. Gemäss § 25 Abs. 2 BauG beschliesst über die Sondernut- zungspläne und Sondernutzungsvorschriften der Gemeinderat. Der Umstand, dass Gestaltungspläne teilweise zu schweren Eigentums- beschränkungen führen können, da nur noch gemäss Gestaltungsplan gebaut werden darf, hat den Baugesetzgeber nicht daran gehindert, die Zuständigkeit zu deren Erlass im Unterschied zum allgemeinen Nutzungsplan der Zuständigkeit des Gemeinderats zuzuweisen. Da- raus folgt, dass die (funktionale) Rechtsetzungskompetenz des Ge- meinderats zum Erlass eines Gestaltungsplans mit Sondernutzungs- vorschriften auch im Zusammenhang mit der Regelung der Strassen- reklame nicht in § 47 Abs. 4 BO, sondern vorab und unmittelbar im kantonalen Baugesetz begründet ist (VGE IV/14 vom 23. März 2001 [BE.1997.00092], S. 12 f.). (...) 4.4. Die Delegation legislatorischer Befugnisse vom Gesetz- an den Verordnungsgeber ist im Gemeindegesetz nicht ausdrücklich gere- gelt. Die Lehre und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts halten die Delegation in den Grenzen der Rechtsprechung des Bun- desgerichts zur Gewaltenteilung für zulässig (AGVE 1993, S. 190 ff.; Baumann, a.a.O., S. 531). Voraussetzung ist demzufolge, dass die Delegation nicht durch eine Verfassungsbestimmung unter- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 149 sagt, die Delegationsnorm in einem dem Referendum unterstehenden Erlass enthalten ist, sich die Delegation auf eine bestimmte Materie beschränkt und die Delegationsnorm in grundsätzlicher Hinsicht In- halt, Zweck und Ausmass der übertragenen Rechtsetzungsbefugnis bestimmt (Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allge- meines Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2006, Rz. 404 ff.; BGE 132 I 7 Erw. 2.2; 128 I 113 Erw. 3c; AGVE 1997, S. 302, je mit Hinweisen). Die Delegation ist verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen (AGVE 1997, S. 302). Bei der BO handelt es sich um einen Erlass der kommunalen Legislative, d.h. um ein Gesetz im formellen Sinn auf Gemeindestufe. Es kommt darin zweifelsfrei der Wille und die Absicht des kommunalen Gesetzgebers zum Ausdruck, das Anbrin- gen von Plakaten und anderen Werbeträgern auf öffentlichem und privatem Grund nicht ungehindert zuzulassen, sondern im Rahmen eines vom Gemeinderat auszuarbeitenden Plakatkonzepts generell zu regeln, wobei in bestimmten Bereichen auch Verbote, Beschränkun- gen und Auflagen zulässig sind (§ 47 Abs. 4 BO). In den Grundzügen ist die gesetzliche Regelung, die sich auf eine bestimmte Materie - nämlich das Anbringen von Plakaten und anderen Werbeträgern - beschränkt, damit inhaltlich ausreichend klar. Die detaillierte Rege- lung bzw. Konkretisierung bleibt richtigerweise dem Plakatierungs- konzept des Gemeinderats bzw. dem Sondernutzungsplan vorbehal- ten. Eine umfassendere Regelung des Plakatwesens (bezüglich Standorte von Reklametafeln, Reglementierung der Formate etc.) auf der Stufe der allgemeinen Nutzungsplanung, d.h. im Bauzonenplan und in der Bau- und Nutzungsordnung selbst, ist unpraktikabel und nicht sinnvoll, da Anpassungen und Änderungen nur unter den Vor- aussetzungen und in Form der Nutzungsplanungsrevision möglich und zulässig wären (vgl. für das Reklamereglement Bern BGE vom 5. Juli 2006 [1P.84/2006] Erw. 5.3 = ZBl 2007, S. 291). 4.5.-5. (...) 6. 6.1. Die Besonderheit des angefochtenen Gestaltungsplans besteht darin, dass der Planungsperimeter das gesamte Baugebiet der Ge- 2007 Verwaltungsgericht 150 meinde erfasst (§ 2 Abs. 1 der Sondernutzungsvorschriften [SNV]) und Plakatstellen für Fremdreklamen grundsätzlich nur in der Zone "möglicher Plakatstellen" zugelassen werden (§ 4 Abs. 1 SNV). Eine Ausnahme machen die Sondernutzungsvorschriften nur für Fremdre- klamen auf den Innenwänden von Unterständen bei Bushaltestellen (§ 4 Abs. 2 SNV). Der Gestaltungsplan bedeutet demzufolge für alle Bauzonen ausserhalb der Zonen "möglicher Plakatstellen" ein gene- relles Verbot für das Anbringen von Fremdreklamen. Die im Gestal- tungsplan grün kolorierten Gebiete umfassen rund 5 % der Bauzo- nen. In den restlichen 95 % der Bauzonen auf dem Gemeindegebiet sind Plakatstellen nicht erlaubt. Der Gemeinderat begründet das Verbot damit, dass die Ge- meindestrassen heute weitestgehend von Plakatstellen frei seien und der Gemeinderat diesen Zustand auch weiterhin so erhalten wolle. Dem Planungsbericht lässt sich entnehmen, dass die Standortbeur- teilung mit Ausnahme der Dorf- und Dorfkernzone auf die ausge- wählten Bereiche entlang der Kantonsstrasse beschränkt wurde, und in der Vernehmlassung wird ausgeführt, der Gemeinderat habe "denn auch jene Bereiche als Zone möglicher Plakatstellen bezeichnet, auf denen ein Interesse für Betriebe der Plakatwerbebranche an Pla- katstellen mit dem öffentlichen Interesse vereinbar" sei. Zu berück- sichtigen sei auch, dass für die Strassenreklamen die Zustimmung der Grundeigentümer erforderlich sei, und aus Nachachtung des po- litischen Willens habe man Fremdwerbung in den Quartieren nicht zulassen wollen. 6.2. Damit besteht entlang sämtlicher Gemeindestrassen ein Plaka- tierungsverbot, da nach dem Gestaltungsplan keine Plakatstellen ausserhalb der Zonen möglicher Plakatstellen bewilligt werden kön- nen. Für die Reklamestandorte ist zwar eher das Verhältnis der Strassenräume mit zulässigen und nicht zulässigen Standorten mass- gebend, und durch das Interesse der Werbebranche an Standorten mit erheblichem Publikumsverkehr ergeben sich weitere faktische Be- schränkungen für grosse Teile des Siedlungsgebiets. Dennoch er- weist sich das Verbot jeglicher Fremdreklame im "übrigen" Gemein- 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 151 degebiet (alle Bauzonen mit Ausnahme der Dorfkern- und Dorfzone) als unzulässig. Das generelle Reklameverbot steht schon im Widerspruch zu § 47 Abs. 4 BO, wonach der Gemeinderat im Rahmen eines Kon- zepts das Anbringen von Plakaten oder anderen Werbeträgern auf öf- fentlichen und privaten Grundstücken "in bestimmten Bereichen" untersagen kann. Bereits aufgrund des Wortlauts dieser Bestimmung ist ein generelles Verbot, welches nur mit der Planung in den Zonen "möglicher Plakatstellen" begründet wird, mit dem kantonalen Recht und der BO nicht vereinbar. Gemäss § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BauG setzt der Erlass eines Gestaltungsplans eine Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Gestaltung einer Überbauung voraus. Eine solche Planung hat vorliegend nur mit Bezug auf die Dorf- und Dorfkernzone und entlang den Kantonsstrassen stattgefunden, nicht aber für die übrigen Baugebiete der Gemeinde (vgl. § 27 BO). Indem § 47 Abs. 4 BO für bestimmte Gebiete ein Verbot vorsieht, kann mit einer Planung der Zonen möglicher Plakatstellen entlang der Kan- tonsstrasse nicht durch die blosse Ausdehnung des Planungsperime- ters, welcher das gesamte "übrige" Baugebiet der Gemeinde umfasst, ein Reklameverbot begründet werden. Vielmehr ist eine Planung der Reklamestandorte verlangt. Die pauschale Ausdehnung des Verbots auf das gesamte Gemeindegebiet hält sich damit nicht an den Rah- men von § 47 Abs. 4 BO (vgl. auch Abs. 1 dieser Bestimmung). Eine solche Planung durch Umkehrschluss statuiert im Ergebnis und entgegen § 21 BauG eine (Sondernutzungs-) Planungspflicht für Reklamestandorte in den "übrigen" Baugebieten. Gemäss § 3 Abs. 2 lit. b ABauV darf ein Gestaltungsplan von den allgemeinen Nut- zungsplänen bzw. -vorschriften abweichen, soweit insbesondere überwiegende Schutzinteressen es erfordern bzw. wenn ein öffentli- ches Interesse daran besteht (vgl. auch § 22 BO). Eine Evaluation dieser Interessen und deren Abwägung fehlen im angefochtenen Ge- staltungsplan für das "übrige" Baugebiet der Gemeinde. In den Zo- nen W2 und W3 sind wenig störende Gewerbebetriebe (§ 28 Abs. 2 BO) und in den Zonen WG2 und WG3 (§ 29 BO) sowie in der Zone IG (§ 32 BO) Gewerbe- bzw. Industriebetriebe zulässig. Ein Rekla- meverbot in einem Gestaltungsplan bedarf einer besonderen planeri- 2007 Verwaltungsgericht 152 schen Begründung (siehe vorne Erw. 2.2). Der Erlass von grundei- gentümerverbindlichen Nutzungsplänen erfordert zudem eine umfas- sende Interessenabwägung und eine Beurteilung der öffentlichen und privaten Anliegen. Einschränkungen der Grundeigentums- und Wirt- schaftsfreiheitsrechte wie das vollständige Reklameverbot müssen raumplanerisch motiviert sein (Art. 3 RPG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. a und b RPV). Bei den Gemeindestrassen sind einmal grössere und vom Fahrzeug- und Fussgängerverkehr stärker frequentierte Sam- melstrassen für die Werbebranche von Relevanz. Konkrete Werbebe- dürfnisse werden von der Beschwerdeführerin entlang der Quartier- strassen für die Bewerbung kultureller Anlässe, wie Konzerte oder eigene Veranstaltungen mit lokalem Zielpublikum, geltend gemacht. Die vom Gemeinderat angeführte Besitzstandsgarantie bestehender Plakatstellen und die Sorge um die restriktive Praxis im Zusammen- hang mit der Umgebungsgestaltung entbinden die Planung nicht von der Feststellung und Beurteilung der betroffenen Interessen. Nicht jede Plakatstelle auf einem Grundstück im "übrigen" Baugebiet ist störend oder mit dem Ortsbildschutz nicht vereinbar. Auch die von Gemeinderat vorweggenommen Brancheninteressen, welche diesem Planungsverbot zugrunde liegt, sind eher durch Annahmen denn sachlich begründet. Ein relevantes öffentliches Interesse (Ortsbild-, Landschaftsschutz, Quartiercharakter, besondere Bauten etc.) am bisherigen "plakatfreien" Zustand entlang von Gemeindestrassen und in den Quartieren kann durchaus bestehen, wurde aber vorliegend nicht - jedenfalls nicht zureichend - geprüft und begründet. Damit erweisen sich der Gestaltungsplan und die Sondernut- zungsvorschriften "Plakatstellen", soweit sie für die Bauzonen aus- serhalb der Zone möglicher Plakatstellen an den Kantonsstrassen ein absolutes Verbot statuieren, als rechtswidrig. Das generelle Verbot mit seiner systematischen und undifferenzierten Einschränkung der Plakatstellen auf Privatgrund schliesst die Werbung im "übrigen Ge- meindegebiet" vollständig aus und stellt damit auch einen unverhält- nismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) dar (BGE 129 II 497 Erw. 5.4.8; 128 I 3 Erw. 4b; vgl. auch BGE vom 21. März 2007 [2P.247/2006], Erw. 4.2 mit Hinweis).
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2016 Abgaben 299 XI. Abgaben 48 Umweltrechtliches Verursacherprinzip; Äquivalenzprinzip; Legalitäts- prinzip - Einheitsgebühren für in die öffentliche Kanalisation eingeleitetes sauberes Fremdwasser (im konkreten Fall Grundwasser, das zur Kühlung von Maschinen verwendet wurde) und verschmutztes Ab- wasser, dessen Beseitigung bei der ARA höhere Betriebskosten ver- ursacht, verstossen gegen das umweltrechtliche Verursacherprinzip sowie gegen das Äquivalenzprinzip und sind somit bundesrechts- widrig. - Mangels (genügender) Bestimmtheit des Rechtssatzes kann eine Ab- wasserreglementsbestimmung, die im Einzelfall eine Gebührenre- duktion (aus Billigkeitsgründen) zwar ermöglicht, jedoch nicht zwingend vorschreibt und vor allem deren Bemessung nicht defi- niert, nicht als Korrektiv herangezogen werden. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. Februar 2016 in Sachen A. AG gegen Stadt B. (WBE.2015.187). Aus den Erwägungen 1. Dem vorliegenden Rechtsstreit liegt im Wesentlichen der fol- gende Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin hat das von ihr bis Ende 2013 mit Bewilligung des Kantons abgepumpte, zur Küh- lung ihrer Maschinen verwendete Grundwasser nach Gebrauch über ein "eingespitztes" Rohr der öffentlichen Abwasserleitung (Kanalisa- tion) zugeführt. Der Stadtrat B. will diesen Zufluss erstmals an einer Leitungszustandskontrolle vom 12. März 2012 festgestellt und zuvor nichts davon gewusst haben. Das soll auch der Grund dafür gewesen sein, weshalb bis zur Abgabeverfügung vom 22. April 2013 von der 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 300 Beschwerdeführerin jahrelang keine Abwasser-Benützungsgebühren für die Einleitung des Grund- bzw. Kühlwassers in die Kanalisation erhoben wurden. Gegenüber dem Kanton deklarierte die Be- schwerdeführerin die folgenden Grundwasserfördermengen: 23'506 m 3 im Jahr 2008, 20'379 m 3 im Jahr 2009, 18'654 m 3 im Jahr 2010 und 20'478 m 3 im Jahr 2011. Diese Werte hat der Stadtrat auf 235'060 m 3 im Jahr 2008, 203'790 m 3 im Jahr 2009, 186'540 m 3 im Jahr 2010 und 204'780 m 3 im Jahr 2011 korrigiert, weil seit Einbau einer neuen Wasseruhr im Jahr 1994 mit modifiziertem Zählwerk (gegenüber dem Vorgängermodell) der Wasserstand versehentlich je- weils um den Faktor 10 zu niedrig abgelesen wurde. Für dieses Ver- sehen hat sich die Beschwerdeführerin beim Stadtrat entschuldigt. Für das Jahr 2007, für welches ein Messprotokoll fehlte, ging der Stadtrat von einer Fördermenge von 207'540 m 3 aus, was dem Schnitt der Fördermengen in den Jahren 2008-2011 entspricht. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Kühlwasser einen geringeren Verschmutzungsgrad aufweist als häusliches oder industrielles Abwasser, multiplizierte der Stadtrat die genannten Fördermengen, die nach Gebrauch in die Kanalisation gelangten, mit einem reduzier- ten Verschmutzungsfaktor von 0,25 - der normale Verschmutzungs- faktor beträgt 1 - und ermittelte auf diese Weise Abwassermengen von 51'885 m 3 im Jahr 2007, 58'765 m 3 im Jahr 2008, 50'947 m 3 im Jahr 2009, 46'635 m 3 im Jahr 2010 und 51'195 m 3 im Jahr 2011. Daraus resultieren bei einem Ansatz von Fr. 0.80 pro m 3 Abwasser- Benützungsgebühren von Fr. 41'508.00 für das Jahr 2007, Fr. 47'012.00 für das Jahr 2008, Fr. 40'758.00 (aufgerundet) für das Jahr 2009, Fr. 37'308.00 für das Jahr 2010 und Fr. 40'956.00 für das Jahr 2011. Die Summe dieser Einzelpositionen beläuft sich auf Fr. 207'542.00. Die Vorinstanz schützte im Ergebnis den Entscheid des Stadt- rats, der Beschwerdeführerin für das in die Kanalisation eingeleitete Kühlwasser respektive eine nach Massgabe des geringeren Ver- schmutzungsgrades ermittelte Teilmenge davon Abwasser-Benüt- zungsgebühren von Fr. 0.80 pro m 3 zu berechnen. Die Reduktion der Gebühren von Fr. 207'542.00 auf Fr. 166'034.00 wurde damit be- 2016 Abgaben 301 gründet, dass der Gebührenanteil 2007 von Fr. 41'508.00 im Verfü- gungszeitpunkt (22. April 2013) schon verjährt gewesen sei. 2. 2.1. (...) 2.2. § 56 Abwasserreglement, dessen Abs. 1 mit dem Grundansatz für die Abwasser-Benützungsgebühr die Beschwerdeführerin als bundesrechtswidrig bemängelt, weist den folgenden Wortlaut auf: " 1 Für die Benützung der Abwasseranlage wird von den Eigentümern aller angeschlossenen Liegenschaften eine Gebühr von Fr. --.80 pro m 3 verbrauchtem Frischwasser erhoben. 2 Es wird eine Minimalgebühr von Fr. 50.-- pro Jahr erhoben. 3 Für stark verschmutztes oder schwallweise abgegebenes Industrieab- wasser werden aufgrund von Betriebsanalysen Zuschläge erhoben. Der Stadtrat erlässt in solchen Fällen aufgrund der Betriebsanalyse jährlich individuelle Gebührenverfügungen. 4 Kann ein Betrieb eine dauernde wesentliche Reduktion der zur Be- rechnung der Zuschläge erhobenen Werte nachweisen, so sind die Zu- schläge entsprechend neu festzusetzen oder aufzuheben. Die neuen Ansätze können von dem Zeitpunkt an angewendet werden, in welchem der oben erwähnte Nachweis erbracht ist, frühestens aber von der Einreichung des Gesuchs beim Stadtrat an. 5 Die Benützungsgebühr kann ermässigt werden, wenn und soweit nachgewiesenermassen, erlaubterweise und in erheblicher Menge Frischwasser nach dem Gebrauch nicht der Kanalisation zugeleitet wird (Landwirtschaftsbetriebe, Gärtnereien, Produktionsbetriebe, Kühlwasser usw.). Der erforderliche Nachweis ist vom Abwassererzeuger zu erbringen. 6 Der Stadtrat ist ermächtigt, die Benützungsgebühr unter Berücksichti- gung der Tarifstruktur derart festzusetzen, dass die Eigenwirtschaft- lichkeit gewährleistet ist." Für die Berechnung der Abwasser-Benützungsgebühr ist dem- zufolge in der Regel auf die Menge verbrauchten Frischwassers ab- zustellen, wobei unter dem Begriff "Frischwasser" nicht nur das aus dem öffentlichen Wasserleitungsnetz der Gemeinde bezogene Wasser zu verstehen ist, sondern beispielsweise auch das von Grundeigentü- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 302 mern selbständig geförderte Grundwasser. Das stellt der nachfolgend zitierte § 58 Abwasserreglement klar. " 1 Der Wasserverbrauch wird als Summe der Bezüge aus dem öffentli- chen Wasserleitungsnetz und aller übrigen verbrauchten Wassermen- gen berechnet. Grundeigentümer mit eigener Wasserversorgung (Quellen, Grundwasser, Bachwasserpumpenwerk), welche der öffent- lichen Kanalisation Abwasser zuleiten, haben sich über die bezogene Wassermenge auszuweisen und werden zu den gleichen Ansätzen wie die Bezüger aus dem Gemeindewasserversorgungsnetz gebühren- pflichtig. Liegen keine Messergebnisse oder sonstige genügende Nach- weise vor, so stellt der Stadtrat den mutmasslichen Wasserverbrauch nach Ermessen fest. 2 Meteorwasser wird nur in die Berechnungen einbezogen, wenn es im Betrieb verwendet wird (0.9 m 3 pro m 2 und Jahr)." Keine Rolle spielt grundsätzlich, ob das verbrauchte und in die Kanalisation eingeleitete Frischwasser nicht oder weniger als üblich verschmutzt ist. § 56 Abwasserreglement differenziert lediglich zwi- schen verbrauchtem Frischwasser und stark verschmutztem Indu- strieabwasser. Für Letzteres werden Zuschläge erhoben. Abzüge für nicht oder weniger als üblich verschmutztes Abwasser sind demge- genüber nicht vorgesehen. Das ergibt sich auch unmissverständlich aus § 30 Abwasserreglement, der wie folgt lautet: " 1 Als Abwasser werden sämtliche Wässer bezeichnet, die abgeleitet werden müssen. 2 Die Abwässer umfassen die flüssigen und zum Teil festen Abgänge aus Haushalt, Gewerbe und Industrie (Waschwasser, Spülwasser, Ba- dewasser, Fäkalwasser, Regenwasser, Schnee, Schmelz- und Sicker- wasser, Wasser von laufenden Brunnen, zufliessende Grund- und Bachwässer usw.), gleichgültig, ob diese verschmutzt oder unver- schmutzt sind." Nur unverbrauchtes Meteorwasser wird aus der Berechnung der Abwassermenge ausgeklammert (§ 58 Abs. 2 Abwasserreglement). Immerhin gestattet § 31 Abs. 2 Abwasserreglement, dass neben Brunnenwasser, Dachwasser von Wohnbauten und wärmeentzoge- nem Wasser auch unverschmutztes Kühlwasser mit Bewilligung des Stadtrates und der kantonalen Fachstelle in die Gewässer abgeleitet 2016 Abgaben 303 werden kann. Durch den Verzicht auf die Einleitung in die Kanalisa- tion fallen alsdann keine Abwasser-Benützungsgebühren an. 2.3. Von der Möglichkeit, das zur Kühlung ihrer Maschinen verwen- dete Grundwasser anstatt in die Kanalisation in ein oberirdisches Ge- wässer abzuleiten oder versickern zu lassen (zur Versickerung vgl. § 31 Abs. 1 Abwasserreglement), hat die Beschwerdeführerin nach übereinstimmender Parteidarstellung keinen Gebrauch gemacht. Die Gründe hierfür sind umstritten. (...) Entscheidend ist vorliegend, dass § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement den Stadtrat B. - die Verjährung von öffentlich- rechtlichen Gebührenforderungen (§ 5 VRPG und § 46 Abwasserreg- lement) vorbehalten - ermächtigt, für das von der Beschwerdeführe- rin - zu Recht oder zu Unrecht - in die Kanalisation eingeleitete Kühlwasser Abwasser-Benützungsgebühren von Fr. 0.80 pro m 3 ein- geleitetes Wasser zu erheben, und zwar unabhängig davon, ob und wie stark dieses Kühlwasser verschmutzt war. Nicht geteilt werden kann aufgrund des Wortlauts und der Systematik der in Erw. 2.2 hier- vor wiedergegebenen Reglementsbestimmungen die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach § 56 Abs. 1 Abwasserreglement unver- schmutztes Abwasser allenfalls gar nicht erfasse und insoweit eine Gesetzeslücke vorliegen könnte (...). Dass mit Ausnahme von nicht betrieblich verwendetem Meteorwasser auch sauberes in die Kanali- sation eingeleitetes Fremdwasser unter den reglementarischen Ab- wasserbegriff fällt, dient nicht zuletzt auch der angestrebten Len- kungswirkung, dass nur verschmutztes Abwasser in die Kanalisation eingeleitet und die Abwasserreinigungsanlage (ARA) nicht unnötig mit zusätzlichen Mengen sauberen Abwassers belastet wird. Der vom Stadtrat im vorliegenden Fall wegen fehlender Verschmutzung bzw. eines geringen Verschmutzungsgrades des Kühlwassers gewährte Abzug von 75 % (durch Reduktion des Verschmutzungsfaktors auf 0,25) lässt sich zwar aufgrund der Härtefall- und Ausnahmeklausel in § 49 durchaus mit dem Abwasserreglement vereinbaren, war aber nicht zwingend, sondern stand im Ermessen des Stadtrats. Das Ab- wasserreglement verleiht den Rechtsunterworfenen keinen durch- 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 304 setzbaren Anspruch auf eine Gebührenreduktion für nicht oder weni- ger als üblich verschmutztes Abwasser. Ausgehend davon stellt sich die Frage, ob § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement - wie von der Beschwerdeführerin postuliert - höherrangigem Recht widerspricht. 3. 3.1.-3.2. (...) 3.3. 3.3.1. (...) 3.3.2. Davon ausgehend, dass die Ableitung von sauberem Fremdwas- ser geringere Betriebskosten für die Abwasserbeseitigung verursacht als (normal) verschmutztes Abwasser, verstösst eine Regelung wie § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement, die für die Ablei- tung von sauberem Fremdwasser und normal verschmutztem Abwas- ser gleich hohe Benützungsgebühren (nach Massgabe der verbrauch- ten Wassermenge) vorsieht und den unterschiedlichen Verschmut- zungsgrad dieser beiden Abwasserarten ausser Acht lässt, gegen das in Art. 74 Abs. 2 BV und Art. 60a Abs. 1 GSchG normierte umwelt- schutzrechtliche Verursacherprinzip. § 49 Abwasserreglement kann aus zweierlei Gründen nicht als Korrektiv herangezogen werden, um den § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement inhärenten Verstoss gegen das Verursa- cherprinzip wirksam auszugleichen. Zum einen handelt es sich dabei, wie bereits dargelegt (siehe Erw. 2.3 vorne), um eine Kann-Vorschrift, die den Stadtrat berech- tigt, aber nicht verpflichtet, in offensichtlichen Härtefällen oder wo die Anwendung des Reglements unangemessen wäre, Gebühren aus- nahmsweise den besonderen Verhältnissen anzupassen. Einen justi- ziablen Anspruch auf eine Gebührenreduktion für unverschmutztes Abwasser gewährleistet diese Bestimmung, die dem Stadtrat ein grosses Ermessen einräumt, nicht. Zum anderen, und das steht hier im Vordergrund, ist § 49 Ab- wasserreglement zu unbestimmt formuliert, um als gesetzliche Grundlage für die Bemessung der Benützungsgebühren für die Ablei- tung von sauberem Fremdwasser dienen zu können. Die Beschwer- 2016 Abgaben 305 deführerin weist zu Recht auf das Erfordernis der genügenden Be- stimmtheit des Rechtssatzes als Teilgehalt des Legalitätsprinzips hin, dem § 49 Abwasserreglement in diesem Zusammenhang nicht zu ge- nügen vermag. Im Bereich des Abgaberechts wird das Legalitätsprin- zip besonders streng gehandhabt. Die Abgabe muss in einer generell- abstrakten Rechtsnorm vorgesehen sein, die genügend bestimmt ist (U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz. 2795 ff.). Dieses Bestimmtheitserfordernis bezieht sich auf die wesentlichen Elemente einer Abgabe (Kreis der Abgabepflichtigen, Gegenstand der Abgabe und Bemessungsgrundlage in den Grundzügen), die in einem Gesetz im formellen Sinn enthalten sein müssen. Die Festle- gung der absoluten Höhe der Abgabe kann zwar nach hinreichend im Gesetz bestimmten Kriterien an die Exekutive delegiert werden. Ge- meint ist damit eine Übertragung der Rechtssetzungsbefugnis an den Verordnungsgeber (H ÄFELIN /M ÜLLER /U HLMANN , a.a.O., Rz. 2799 ff.). Die Bemessung von Kausalabgaben, namentlich von Abwasser-Benützungsgebühren vollständig der rechtsanwendenden Behörde zu überlassen, die Einzelfallentscheidungen trifft, würde hingegen dem Legalitätsprinzip zuwiderlaufen, gleichgültig, ob für die Bemessung der Kausalabgabe eine Praxis besteht oder nicht. Mit dem Legalitätsprinzip wird nicht nur die Gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen, die Voraussehbarkeit staatlichen Handelns und die Willkürfreiheit geschützt, sondern auch dem Gewaltenteilungs- prinzip zum Durchbruch verholfen. § 49 Abwasserreglement umschreibt nicht einmal in den Grund- zügen, wie und anhand welcher Kriterien die Abwasser-Benützungs- gebühr für sauberes, in die Kanalisation eingeleitetes Fremdwasser, die wegen des Verursacherprinzips geringer ausfallen muss als dieje- nige für verschmutztes Abwasser, womit § 56 Abs. 1 Abwasserregle- ment als Bemessungsgrundlage ausscheidet, zu bemessen ist. Dementsprechend sah sich der Stadtrat B. veranlasst, beim Inge- nieurbüro C. AG einen Bericht darüber einzuholen, wie die Benüt- zungsgebühr für das von der Beschwerdeführerin in die Kanalisation eingeleitete Kühlwasser zu berechnen ist, um dem Verursacherprin- zip gerecht zu werden. Der betreffende Bericht vom 7. Februar 2013 2016 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 306 mag dabei eine sachgerechte Methode für die Bemessung der in die- sem speziellen Fall geschuldeten Benützungsgebühr präsentieren, die möglicherweise sogar Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Das ändert aber nichts daran, dass sich aus dem Abwasserreglement sel- ber nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür ergeben, aufgrund wel- cher Überlegungen die Benützungsgebühr für die Ableitung von unverschmutztem Abwasser auf einen Viertel des Ansatzes für ver- schmutztes Abwasser zu reduzieren ist. Das Äquivalenzprinzip hilft in dieser Situation nicht weiter. Solange nämlich nicht feststeht, wel- cher Anteil an den Gesamtbetriebskosten für die Abwasserbeseiti- gung auf sauberes Fremdwasser entfällt, kann der Wert der staatli- chen Leistung nicht zuverlässig ermittelt werden. Jedes Gesetz weist naturgemäss einen gewissen Grad an Unbe- stimmtheit auf, was auch mit der beschränkten Voraussehbarkeit künftiger Entwicklungen zusammenhängt (H ÄFELIN /M ÜLLER /U HL - MANN , a.a.O., Rz. 344). Auch wenn der Beschwerdegegnerin lange Zeit nicht bewusst gewesen sein sollte, dass die Beschwerdeführerin im grossen Stil der Kanalisation unverschmutztes Kühlwasser zu- führte, worauf weiter hinten zurückzukommen sein wird (...), musste sie auf jeden Fall damit rechnen, dass eine bestimmte Menge saube- res Fremdwasser in die Kanalisation gelangt. Obschon dieses grund- sätzlich versickern zu lassen oder in oberirdische Gewässer einzulei- ten ist, kann es nicht immer konsequent von der Kanalisation fernge- halten werden. Diese Problematik war der Beschwerdegegnerin ge- läufig. Das zeigt nicht zuletzt § 30 Abs. 2 Abwasserreglement, der mit einem umfassenden Abwasserbegriff darauf aufbaut, dass eben nicht nur Schmutzwasser in die Kanalisation eingeleitet wird. Diese Bestimmung manifestiert auch den Willen der Beschwerdegegnerin, für unverschmutztes Abwasser Benützungsgebühren zu verlangen. Dafür hätte ein genügend bestimmter generell-abstrakter Rechtssatz geschaffen werden können und müssen, anhand welcher sich die Be- nützungsgebühren - abweichend von § 56 Abs. 1 Abwasserreglement - verursachergerecht berechnen lassen. In der heutigen Form bietet jedoch das Abwasserreglement kei- ne Handhabe, für in die Kanalisation eingeleitetes sauberes Fremd- wasser eine verursachergerecht ausgestaltete und aus dem Gesetzes- 2016 Abgaben 307 text heraus hinreichend bestimmbare Benützungsgebühr zu erheben. Insofern erweist sich § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserregle- ment auch mit Rücksicht auf § 49 desselben Erlasses, der Gebühren- reduktionen im Falle einer Ableitung von unverschmutztem Fremd- wasser zwar ermöglicht, aber nicht zwingend vorschreibt, und vor allem keine Bemessungsgrundlagen für den Umfang der Gebühren- reduktion beinhaltet, als bundesrechtswidrig. § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement genügt nicht nur den Anforderungen nach Art. 60a Abs. 1 GschG nicht, sondern verletzt auch das Äquivalenz- prinzip, das besagt, dass sich der individuelle Beitrag des Abgabe- pflichtigen nach dem wirtschaftlichen Sondervorteil bemessen muss, den er aus der betreffenden öffentlichen Einrichtung zieht (H ÄFE - LIN /M ÜLLER /U HLMANN , a.a.O., Rz. 2788). Dieser wirtschaftliche Sondervorteil ist für denjenigen, der sauberes Fremdwasser in die Kanalisation einleitet, entsprechend den geringeren Betriebskosten für die Abwasserbeseitigung kleiner als für den Verursacher von ver- schmutztem Abwasser, was im Benützungsgebührentarif zwingend abgebildet werden muss (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 26. Oktober 2010 [2C_275/2009], Erw. 6.3). 4. Wie gesehen (...), ist das Verwaltungsgericht nach § 95 Abs. 2 KV und § 2 Abs. 2 VRPG gehalten, Erlassen, die Bundesrecht wider- sprechen, die Anwendung zu versagen. Wird § 56 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Abwasserreglement auf die Ableitung von sauberem Fremd- wasser wegen Bundesrechtswidrigkeit (Verletzung des Verursacher- und des Äquivalenzprinzips) nicht angewandt, fehlt es an einer ge- setzlichen Grundlage, um von der Beschwerdeführerin überhaupt Be- nützungsgebühren für das Kühlwasser fordern zu können, das sie (in den Jahren 2008-2011) in die Kanalisation eingeleitet hat, seien die Gebühren nun (angemessen) reduziert worden oder nicht. Folglich ist die streitgegenständliche Gebührenforderung unberechtigt. Das führt zur von der Beschwerdeführerin beantragten Abänderung des vorin- stanzlichen Urteils dahingehend, dass die Gebührenverfügung des Stadtrats B. vom 22. April 2013 samt bestätigendem Einspracheent- scheid vom 17. Juni 2013 aufgehoben wird.
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AG_VG_001_AGVE-2016-48_2016-02-03
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2005 Verwaltungsgericht 236 48 Produkteanforderungen. - Bedeutung einer CE-Zertifizierung; Zeitpunkt, zu dem die Zertifizie- rung vorliegen muss (Erw. 1 und 2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 8. Juni 2005 in Sachen T. AG gegen Kantonsspital Aarau AG. Aus den Erwägungen 1. a) Beschaffungsgegenstand ist vorliegendenfalls ein automa- tisches Afterloading-Gerät für HDR-Brachytherapie, das in der Ra- dio-Onkologie eingesetzt werden soll. Das Gerät soll zur inneren Bestrahlung verschiedener Tumorarten dienen. Der den Bewerbern ausgehändigte "Submissionstext" umschreibt u.a. die Spezifikationen und die gestellten Anforderungen an das Gerät. Geforderte Positionen sind dabei gekennzeichnet ("gefordert") und gelten als Muss-Positionen. Sie sind Positionen des zukünftigen Kaufvertrags. Gemäss Ziffer 10.06 des Submissionstextes wird gefordert, dass die Anlage die Strahlenschutz-Bestimmungen erfüllt und CE-zertifiziert ist. Es handelt sich hierbei um eine Muss-Position. b) Die Zuschlagsempfängerin hat in ihrem Angebot das Erfüllen der Strahlenschutzbestimmungen und die CE-Zertifizierung bejaht. Beim von ihr angebotenen Flexitron Afterloadingsystem handelt es sich indessen um eine Neuentwicklung, die unbestrittenermassen weder zum Zeitpunkt der Einreichung des Angebots noch zum Zeitpunkt des Vergabeentscheids CE-zertifiziert war. Während die Beschwerdeführerin der Auffassung ist, bei der verlangten CE-Zertifizierung handle es sich um ein Eignungskrite- rium bzw. um eine Produkteanforderung, die zwingender Inhalt des Angebots sei und deren Fehlen zur Nichtberücksichtigung des Be- werbers führen müsse, erachtet die Vergabebehörde es als genügend, wenn die CE-Zertifizierung bei der Inbetriebnahme des Gerätes vor- liege. 2. a) Beim zu beschaffenden Afterloadinggerät für HDR- Brachytherapie handelt es sich um ein klassisches Medizinprodukt 2005 Submissionen 237 im Sinne von Art. 45 ff. HMG und Art. 1 MepV. Gemäss Art. 45 Abs. 1 HMG darf ein Medizinprodukt bei seiner bestimmungsge- mässen Verwendung die Gesundheit der Anwenderinnen und An- wender, Konsumentinnen und Konsumenten, Patientinnen und Pa- tienten sowie Dritter nicht gefährden. Die angepriesene Leistung und Wirksamkeit muss nachweisbar sein. Wer ein Medizinprodukt in Ver- kehr bringt, muss nachweisen können, dass es die grundlegenden An- forderungen erfüllt (Art. 45 Abs. 2 HMG). Die grundlegenden Anforderungen für klassische Medizinprodukte sind in Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizin- produkte festgelegt (Art. 4 Abs. 1 lit. a MepV). Die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen, die durch technische Normen, ge- meinsame technische Spezifikationen oder durch Vorschriften der Pharmakopöe konkretisiert werden, wird vermutet, wenn das Medi- zinprodukt mit diesen Normen, Spezifikationen oder Vorschriften übereinstimmt (Art. 4 Abs. 2 MepV). Nach Art. 2 Richtlinie 93/42/EWG dürfen die Produkte nur in den Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden, wenn sie bei sachgemässer Lieferung, Installation, Instandhaltung und ih- rer Zweckbestimmung entsprechender Verwendung die Anforderun- gen dieser Richtlinie erfüllen. Art. 3 Richtlinie 93/42/EWG verlangt, dass die Medizinprodukte die grundlegenden Anforderungen gemäss Anhang 1 zur Richtlinie erfüllen müssen. Im vorliegenden Kontext von Bedeutung sind namentlich die Anforderungen gemäss Ziff. 11 des Anhangs I (Schutz vor Strahlungen). Gemäss Art. 9 Richtlinie 93/42/EWG werden die Produkte in die Klassen I, IIa, IIb und III eingestuft. Beim hier streitigen Produkt handelt es sich unbestritte- nermassen um ein Gerät, das der Klasse IIb zugeordnet ist ([chirur- gisch]-invasives Produkt, das zur Abgabe von Energie in Form ioni- sierender Strahlung bestimmt ist, gemäss Anhang IX der Richtlinie). Nach Art. 17 Richtlinie 93/42/EWG müssen alle Produkte, von deren Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen gemäss Art. 3 auszugehen ist, bei ihrem Inverkehrbringen mit einer CE- Kennzeichnung versehen sein. Ausser der CE-Kennzeichnung muss die Kennummer der benannten Stelle aufgeführt sein, die für die Durchführung der Verfahren gemäss den Anhängen II, IV, V und VI 2005 Verwaltungsgericht 238 verantwortlich ist. Gemäss Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 93/42/EWG muss der Hersteller für Produkte der Klasse IIb, damit die CE-Kenn- zeichnung angebracht werden kann, nach seiner Wahl das Verfahren der EG-Konformitätserklärung (vollständiges Qualitätssicherungs- system) gemäss Anhang II oder das Verfahren der EG-Baumuster- prüfung gemäss Anhang III i.V.m. dem Verfahren der EG-Prüfung gemäss Anhang IV oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklä- rung (Qualitätssicherung Produktion) gemäss Anhang V oder dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssicherung Pro- dukt) gemäss Anhang VI einhalten. In Verkehr gebracht werden dürfen nach diesen Bestimmungen somit nur CE-gekennzeichnete Produkte. b) Die Zuschlagsempfängerin bzw. die holländische Herstellerin beabsichtigt, das Verfahren der EG-Baumusterprüfung in Verbindung mit dem Verfahren der EG-Konformitätserklärung (Qualitätssiche- rung Produktion) einzuhalten (Art. 11 Abs. 3 lit. b ii Richtlinie 93/42/EWG). Das Prüfverfahren (Konformitätsbewertungsverfahren) sollte im ersten Quartal 2005 stattfinden und im März 2005 ab- geschlossen werden. c) Die Vergabestelle vertritt den Standpunkt, die CE-Zertifizie- rung sei lediglich Bestandteil des erst nach Abschluss des Vergabe- verfahrens abzuschliessenden Beschaffungsvertrags, da ein Gerät erst in Betrieb gehen kann, wenn sie vorliegt. Das CE-Zertifikat müsse deshalb nicht bereits im Zeitpunkt der Offertstellung vorliegen, sondern es genüge, wenn ein solches als feste Verpflichtung in den Beschaffungsvertrag aufgenommen werden könne sowie von der Zuschlagsempfängerin fest zugesichert werde und aller Voraussicht nach bis zur Inbetriebnahme des Geräts ohne Schwierigkeiten beige- bracht werden könne. Sie beruft sich zur Erhärtung ihrer Auffassung auf Art. 2 Richtlinie 93/42/EWG, wonach das CE-Zertifikat spätes- tens zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Geräts vorliegen müsse. d) Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Aus dem Sub- missionstext geht klar hervor, dass die Anlage die Strahlenschutz- Bestimmungen erfüllt und CE-zertifiziert ist. Dabei handelt es sich um eine Produkteanforderung in Bezug auf die Tauglichkeit für den vorgesehenen Zweck und die Sicherheit der Anlage. Produkteanfor- 2005 Submissionen 239 derungen bestimmen den zwingenden Inhalt des Angebots und die technischen Spezifikationen. Unter dem Begriff der technischen Spezifikationen sind die technischen Anforderungen an ein Material, ein Erzeugnis oder eine Lieferung zu verstehen, mit deren Hilfe das Material, das Erzeugnis oder eine Lieferung so bezeichnet werden können, dass sie ihren durch den Auftraggeber festgelegten Verwen- dungszweck erfüllen; dazu gehören Qualitätsstufen, Gebrauchstaug- lichkeit, Leistungsfähigkeit, Sicherheit, Abmessungen usw. Produk- teanforderungen sind absolute Kriterien ; ihre Nichterfüllung führt unabhängig vom Vergleich mit den anderen Angeboten zur Nichtbe- rücksichtigung des Angebots (AGVE 2002, S. 314 mit Hinweisen). Die Auffassung der Vergabestelle, es genüge, wenn die CE- Zertifizierung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme vorliege, hat schon im Wortlaut des Submissionstextes keine Grundlage. Es wird nicht etwa verlangt, dass die CE-Zertifizierung spätestens bei Inbetrieb- nahme der Anlage vorliegen müsse, sondern die Formulierung lautet eindeutig "Anlage (...) ist CE-zertifiziert". Die entsprechende Posi- tion ist überdies als Muss-Position gekennzeichnet. Diese Formulie- rung lässt sich nur dahingehend verstehen, dass die CE-Zertifizie- rung im Zeitpunkt der Offerteinreichung vorliegen, d.h. das Kon- formitätsbewertungsverfahren bereits abgeschlossen sein muss. An- dernfalls hätte die Vergabebehörde auf das Aufführen des Erforder- nisses der CE-Zertifizierung im Submissionstext als "Muss-Position" ohne Weiteres verzichten können bzw. müssen, denn dass die CE- Zertifizierung spätestens im Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Geräts vorliegen muss, ergibt sich bereits aus den entsprechenden gesetzli- chen Vorschriften, die zwingend sind. Die Vergabebehörde durfte da- von ausgehen, dass die im Bereich von Medizinprodukten tätigen Herstellerfirmen die einschlägigen Bestimmungen kennen. Die Defi- nition der CE-Zertifizierung als Muss-Position im Submissionstext ergibt folglich nur dann einen Sinn, wenn das Anbieten von noch nicht zertifizierten Neuentwicklungen und die damit verbundenen allfälligen Unsicherheiten in Bezug auf die Zertifizierung dadurch gerade ausgeschlossen werden sollten. Daran ändert auch der Hin- weis, die Muss-Positionen seien Positionen des künftigen Kaufver- trags nichts. Daraus lässt sich entgegen der Vergabebehörde nicht 2005 Verwaltungsgericht 240 ableiten, sie müssten erst zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor- liegen bzw. erfüllt sein. Würde diese Auffassung bezüglich gefor- derter Muss-Positionen, d.h. zwingender Produkteanforderungen, zutreffen, wäre eine transparente, nachvollziehbare Abwicklung des Submissionsverfahrens, namentlich ein aussagekräftiger Vergleich der Angebote, wegen der damit verbundenen Unsicherheiten ausge- schlossen. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, ange- sichts der Formulierung im Submissionstext habe jeder Adressat nach Treu und Glauben davon ausgehen müssen, dass es sich bei der CE-Zertifizierung um ein absolutes Erfordernis für die Offerte handle. Zu beachten ist auch, dass im Submissionstext nach Referen- zen (gleiche Konfiguration) gefragt wurde. Die Referenzen wurden zwar nicht bewertet. Auch die Frage nach Referenzen ist aber ein Hinweis dafür, dass der Submissionstext dahingehend zu verstehen war, dass lediglich geprüfte Anlagen, welche die Voraussetzungen für die Inverkehrsetzung bzw. die Inbetriebnahme bereits erfüllten, offeriert werden durften. Da das von der Zuschlagsempfängerin angebotene Gerät weder zum Zeitpunkt der Einreichung der Angebote noch zum Zeitpunkt des Zuschlags über eine CE-Zertifizierung verfügte, hätte es mangels Erfüllung einer vorgegebenen "Muss-Position" für den Zuschlag nicht berücksichtigt werden dürfen. Ob das Angebot nicht sogar gestützt auf § 28 Abs. 1 lit. b SubmD wegen falscher Auskünfte hätte vom Verfahren ausgeschlossen werden müssen, kann offen bleiben. Die Zuschlagsempfängerin hat die Frage nach der CE-Zertifizierung vorbehaltlos bejaht, obschon die Zertifizierung zum Offertzeitpunkt nachweislich nicht vorlag.
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2006 Jagdrecht 251 X. Jagdrecht 50 Widerruf eines Jagdpasses. - Die Jägerprüfung ist Voraussetzung für den Jagdpass (Erw. 2). - Widerruf eines Jagdpasses, wenn der Inhaber auch Jagdpächter ist (Erw. 3). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 13. September 2006 in Sachen X gegen den Regierungsrat. Aus den Erwägungen 2. 2.1. Die Beschwerdeführerin ist seit dem 1. April 2004 im Besitze eines Jagdpasses für Jagdpächter für die Pachtperiode vom 1. April 2002 bis 31. März 2010. Bereits am 15. Oktober 2001 war ihr der Jahres-Jagdpass Nr. ..., im Jahre 2002 der Jagdpass für Jagdgäste Nr. ... und im Jahre 2003 der Jagdpass Nr. ... ausgestellt worden. 2.2. Gemäss § 22 Abs. 3 Jagdgesetz setzt die Erteilung einer Jagd- pacht voraus, dass der Pächter mindestens ein Jahr im Besitze eines aargauischen Jagdpasses und nicht von der Jagd ausgeschlossen ist. Gemäss § 33 Abs. 1 Jagdgesetz erhält einen aargauischen Jagdpass nur, wer sich über das Fehlen von Jagdausschlussgründen sowie über den Abschluss einer genügenden Jagdhaftpflichtversicherung aus- weist. Hinsichtlich der Jagdausschlussgründe hält § 34 Abs. 1 Ziff. 8 Jagdgesetz fest, dass von der Jagd ausgeschlossen ist, wer sich nicht über ausreichende jagdliche Fähigkeiten ausweisen kann. Der Aus- weis für ausreichende jagdliche Fähigkeiten wird gemäss § 27 Abs. 2 Jagdverordnung u.a. mit dem aargauischen Jagdfähigkeitsausweis oder mit einem vom Regierungsrat anerkannten ausserkantonalen 2006 Verwaltungsgericht 252 Jagdfähigkeitsausweis erbracht. Einen Jagdfähigkeitsausweis erhält, wer die Jägerprüfung bestanden hat (§ 35 Abs. 1 Jagdgesetz). Ge- mäss § 4 Abs. 2 der Verordnung über die Jägerprüfung vom 30. November 1981 (SAR 933.311) ist von der aargauischen Jäger- prüfung befreit, wer den Jagdfähigkeitsausweis eines anderen Kan- tons, eines deutschen oder österreichischen Bundeslandes oder des Fürstentums Liechtensteins besitzt. Diese Bestimmung ist seit dem 1. Oktober 2001 (AGS 2001, S. 217) und damit bereits vor der Aus- stellung des ersten auf den Namen der Beschwerdeführerin lautenden Jahres-Jagdpasses Nr. ... am 15. Oktober 2001 in Kraft. 2.3. Der Einwand der Beschwerdeführerin, § 27 Abs. 2 Jagdverord- nung gehe über den Gesetzestext hinaus, entbehrt jeder Grundlage. Das aargauische Jagdgesetz sowie die Jagdverordnung vollziehen das JSG. Dessen Art. 4 hält fest, dass wer jagen will, eine kantonale Jagdberechtigung braucht (Abs. 1) und diese Jagdberechtigung nur Bewerbern erteilt wird, die in einer vom Kanton festgelegten Prüfung nachweisen, dass sie über die erforderlichen Kenntnisse verfügen (Abs. 2). Gemäss diesen Bestimmungen und entgegen den Ausfüh- rungen der Beschwerdeführerin genügt ein anderweitiger Nachweis ausreichender jagdlicher Fähigkeiten für die Ausstellung eines Jagd- passes somit nicht. Bei anderweitig nachgewiesenen ausreichenden jagdlichen Fähigkeiten können lediglich maximal drei Tagespässe pro Jahr ausgestellt werden (§ 27 Abs. 3 Jagdverordnung). Zusam- menfassend ergibt die von der Beschwerdeführerin beantragte indi- zidente Normenkontrolle (vgl. § 95 Abs. 2), dass § 27 Abs. 2 Jagd- verordnung mit den übergeordneten gesetzlichen Bestimmungen im Einklang steht. 2.4. Die Beschwerdeführerin ist im Besitze eines französischen Jagdfähigkeitsausweises, welcher vom Regierungsrat des Kantons Aargau nicht anerkannt wird (§ 4 Abs. 1 der Verordnung über die Jä- gerprüfung e contrario). Im Weiteren verfügt die Beschwerdeführerin über einen vom Kreis Herzogtum Lauenburg am 24. Mai 2000 aus- gestellten Jagdschein der Bundesrepublik Deutschland. Gemäss § 15 Abs. 5 des deutschen Bundesjagdgesetzes vom 29. November 1952 2006 Jagdrecht 253 (BJagdG) ist die erste Erteilung eines Jagdscheines davon abhängig, dass der Bewerber in Deutschland eine Jägerprüfung bestanden hat. Bei der Erteilung von Ausländerjagdscheinen können von den Bun- desländern Ausnahmen gemacht, d.h. Jagdscheine ausgestellt wer- den, welche die Voraussetzungen nach Abs. 5 nicht erfüllen (Abs. 6). Ein solcher Ausländerjagdschein wurde der Beschwerdeführerin am 24. Mai 2000 ausgestellt. Über das Bestehen der Jägerprüfung i.S.v. § 15 Abs. 5 BJagdG kann sich die Beschwerdeführerin hingegen nicht ausweisen, weshalb der vom Kreis Herzogtum Lauenburg am 24. Mai 2000 ausgestellte Jagdschein keinen Jagdfähigkeitsausweis im Sinne von § 27 Abs. 2 Jagdverordnung i.V.m. § 4 Abs. 2 der Verordnung über die Jägerprüfung darstellt. Die Beschwerdeführerin verfügt somit weder über einen aar- gauischen noch einen anderen vom Regierungsrat anerkannten Jagd- fähigkeitsausweis. Damit vermag sich die Beschwerdeführerin nicht über das Fehlen von Jagsausschlussgründen i.S.v. § 33 i.V.m. § 34 Abs. 1 Ziff. 8 Jagdgesetz auszuweisen. Entsprechend wurden die schweizerischen Jagdpässe der Beschwerdeführerin (siehe vorne Erw. 2.1), insbesondere auch der Jagdpass für Jagdpächter Nr. ... für die Pachtperiode 1. April 2002 bis 31. März 2010, zu Unrecht ausge- stellt. 3. 3.1. Zu prüfen bleibt, ob vorliegend die Voraussetzungen für einen Widerruf des Jagdpasses für Jagdpächter erfüllt sind. 3.2. Verwaltungsbehörden können fehlerhafte Verfügungen, selbst wenn sie in formelle Rechtskraft erwachsen sind, unter bestimmten Voraussetzungen ändern. Das Gesetz kann die Voraussetzungen des Widerrufs ausdrücklich regeln. Liegt keine gesetzliche Regelung vor, so muss die Widerrufbarkeit auf Grund allgemeiner Kriterien beur- teilt werden. Es ist eine Interessenabwägung erforderlich. Dabei ist zwischen dem Interesse an der richtigen Anwendung des objektiven Rechts einerseits und dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz andererseits abzuwägen (BGE 127 II 306 Erw. 7a; 121 II 273 Erw. 1a/aa; AGVE 2003, S. 416 f; 2001, S. 144; 2006 Verwaltungsgericht 254 Ulrich Häfelin / Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2002, Rz. 994 ff.). § 26 Abs. 1 VRPG bestimmt, dass Verfügungen und Entscheide, die der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht entsprechen, durch die erlassende Behörde oder die Aufsichtsbehörde abgeändert oder aufgehoben werden können, wenn wichtige öffentliche Interessen es erfordern. Vorbehalten bleiben Verfügungen, die nach besondern Vorschriften oder der Natur der Sache nicht oder nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden können. 3.3. § 26 Abs. 1 VRPG setzt voraus, dass die abzuändernde Verfü- gung der Rechtslage oder den sachlichen Erfordernissen nicht ent- spricht. Dass der Jagdpass für Jagdpächter Nr. ... für die Pachtperiode 1. April 2002 bis 31. März 2010 zu Unrecht ausgestellt wurde, wurde bereits erläutert (siehe vorne Erw. 2.4). 3.4. 3.4.1. Des Weiteren hängt der Widerruf gemäss der Rechtsprechung zu § 26 VRPG von einer Interessenabwägung ab. Dabei sind die öf- fentlichen (und privaten) Interessen an der Durchsetzung des objek- tiven Rechts gegen das private (und öffentliche) Interesse an der Rechtssicherheit und am Fortbestand der bisherigen Ordnung im konkreten Fall (Vertrauensschutz) abzuwägen. In der Regel geht das Postulat der Rechtssicherheit dem Interesse an der Durchsetzung des objektiven Rechts vor und ist ein Widerruf nicht zulässig, wenn durch die Verwaltungsverfügung ein subjektives Recht begründet worden oder die Verfügung in einem Verfahren ergangen ist, in dem die sich gegenüberstehenden Interessen allseitig zu prüfen und ge- geneinander abzuwägen waren, oder wenn der Private von einer ihm durch die Verfügung eingeräumten Befugnis bereits Gebrauch ge- macht hat. Diese Regel gilt allerdings nicht absolut; auch in diesen drei Fällen kann ein Widerruf in Frage kommen, wenn er durch ein besonders gewichtiges öffentliches Interesse geboten ist (BGE 121 II 273 Erw. 1a/aa mit Hinweisen; AGVE 2003, S. 416 f.). 2006 Jagdrecht 255 Welchen Interessen der Öffentlichkeit ein derart starkes Ge- wicht zukommt, dass sie einen Widerruf rechtfertigen, lässt sich nicht ohne Abwägung der verschiedenen Interessen im Einzelfall ermitteln (AGVE 1998, S. 202 f.). 3.4.2. Der Jagdpass für Jagdpächter wird grundsätzlich nur gestützt auf ein eingehendes Prüfungsverfahren erteilt, in dem die aargaui- schen Jagdbehörden die Voraussetzungen gemäss § 22 ff. Jagdgesetz zu prüfen haben (vgl. dazu Häfelin / Müller, a.a.O., Rz. 1013 mit Hinweis auf BGE 94 I 336 Erw. 4b). Darunter fallen neben den per- sönlichen Voraussetzungen des einzelnen Pächters (mindestens ein Jahr im Besitze eines Jagdpasses, keine Jagdausschlussgründe [§ 22 Abs. 3 Jagdgesetz] sowie maximal zwei Pachtverhältnisse [§ 22 Abs. 2 Jagdgesetz]), auch andere Voraussetzungen, wie die Prüfung der Angemessenheit der Anzahl der Pächter (§ 22 Abs. 1 Jagdgesetz), des Gesellschaftsvertrages (§ 28 Jagdgesetz) sowie des Vorliegens der Zustimmung der Gemeinderäte gemäss § 29 Abs. 3 Jagdgesetz. Gemäss der Genehmigung der aargauischen Jagdverwaltung betreffend Neuaufnahme der Beschwerdeführerin als Jagdpächterin wurde dieses Prüfungsverfahren durchgeführt und festgestellt, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Neuaufnahme der Beschwerde- führerin als Jagdpächterin erfüllt sind. Bei dem der Beschwerdeführerin (am 1. April 2004) ausge- stellten Jagdpass für Jagdpächter Nr. ..., gültig vom 1. April 2002 bis 31. März 2010, handelt es sich somit um eine Verfügung, welche grundsätzlich unwiderrufbar ist. Ein Widerruf ist daher nur möglich, wenn besonders gewichtige öffentliche Interessen vorliegen (siehe vorne Erw. 3.4.1). 3.5. 3.5.1. Die Vorinstanz führt in ihrem Entscheid aus, es lägen besonders schwerwiegende öffentliche Interessen vor, welche den Weiterbe- stand der Jägerposition in Frage stellten. So sei der Beschwerdefüh- rerin nicht nur die Stellung eines Jagdgastes, sondern vielmehr eine Pächterstellung eingeräumt worden. Damit seien aber gerade beson- dere Rechte und Verantwortlichkeiten gegenüber dem Jagdrevier so- 2006 Verwaltungsgericht 256 wie den von den Jagdpächterinnen und Jagdpächtern ermächtigen Jagdgästen, Jägerprüfungskandidatinnen und -kandidaten sowie Jagdaufsehenden verbunden, welche noch in gesteigertem Masse eine fundierte praktische und theoretische Kenntnis des Jagdwesens erforderten. Die von der Beschwerdeführerin abgelegte französische Jägerprüfung vermöge diese Anforderungen nicht zu erfüllen, wes- halb ihr vom aargauischen Verordnungsgeber auch die Anerkennung versagt worden sei. Aufgrund des im Jagdwesen sehr hoch zu ge- wichtenden Wildschutzes und Sicherheitsaspekten sei es daher unab- dingbar, den gesetzmässigen Zustand durchzusetzen. Die Beschwerdeführerin macht hingegen geltend, sie habe sich während ihrer langjährigen jagdlichen Tätigkeit stets absolut klaglos und in jeder Beziehung korrekt verhalten, so dass keine Grundlage für Sicherheitsbedenken bestünde. Weiter macht sie geltend, dass sie sich anderweitig ausreichende jagdliche Fähigkeiten angeeignet habe. 3.5.2. Vorliegend besteht das öffentliche Interesse darin, dass die Be- schwerdeführerin als Jagdpächterin im Jagdrevier Nr. ... Gewähr da- für bietet, dass sie im Stande ist, die Jagd und die Pacht nach Mass- gabe der Gesetze und Vollzugserlasse sowie nach weidmännischen Grundsätzen selber auszuüben und durch Nichtpächter (Jagdgäste, Jagdaufseher) ausüben zu lassen (§ 31 Abs. 1 Jagdgesetz). Gesetz und Verordnung unterscheiden die jagdspezifischen An- forderungen an die Bewerber eines Jahresjagdpasses und des Jagd- passes für Jagdpächter nicht. Anspruch auf einen Jagdpass für Jagd- pächter haben Pächter, die mindestens ein Jahr im Besitz eines Jagd- passes und nicht vor der Jagd ausgeschlossen sind (§ 22 Abs. 3 Jagd- gesetz). Besondere Aufgaben und Pflichten der Pächter ergeben sich sodann aus dem jeweiligen Pachtvertrag (vgl. § 21 Jagdverordnung) und dem Gesellschaftsvertrag der Pächter (§ 24 Jagdverordnung). Rechte und Verantwortung der Jagdpächter gegenüber dem Jagdre- vier, den Jagdgästen und den Jagdprüfungskandidaten sind in Gesetz und Verordnung festgelegt (vgl. §§ 12, 30, 32, 42 Abs. 2 Jagdgesetz, §§ 10 Abs. 2 und 3, 26 Abs. 2 Jagdverordnung). Hinsichtlich der An- forderungen und Interessen des Wildschutzes und der Sicherheit las- 2006 Jagdrecht 257 sen diese Bestimmungen kein Erfordernis besonderer praktischer oder theoretischer Kenntnisse des Jagdwesens, insbesondere solche, welche über die ,,ausreichenden jagdlichen Fähigkeiten" (§ 27 Abs. 2 Jagdverordnung) hinausgehen, erkennen. Das private Interesse der Beschwerdeführerin besteht darin, dass sie ihren Jagdpass für Jagdpächter behalten und die ihr mit Ver- fügung des DFR vom 18. Juli 2003 zugesprochene Stellung als Jagd- pächterin im Jagdrevier Nr. ... ausüben kann. Im Falle einer vorzeiti- gen Auflösung des Pachtverhältnisses aus eigenem Verschulden würde die Beschwerdeführerin für einen aus der Neuverpachtung re- sultierenden Mindererlös haften (§ 18 Abs. 2 Jagdgesetz). Zu be- rücksichtigen sind sodann die finanziellen und rechtlichen Ver- pflichtungen, die sie mit dem Pachtvertrag und dem Gesellschafts- vertrag im Vertrauen auf den Jagdpass für Jagdpächter eingegangen ist. 3.5.3. Obwohl die Beschwerdeführerin im Kanton Aargau bereits seit 2001 ohne anerkannten Jagdfähigkeitsausweis der Jagd nachgeht, liegen gegen sie unbestrittenermassen weder Beschwerden vor, noch wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Dies zeigt auch der Um- stand, dass der Beschwerdeführerin nach der Ausstellung des Jahres- Jagdpasses (Nr. ...) im Jahre 2001 in den Jahren 2002 und 2003 wie- derum Jagdpässe (Jagdpass Nr. ... für Jagdgäste für die Dauer vom 1. April 2002 bis 31. März 2003 und Jagdpass Nr. ... gültig vom 1. April 2003 bis 31. März 2004) ausgestellt und auch seitens der Versicherung keine Vorbehalte gemacht wurden. Aus Jägerkreisen liegen Bestätigungen vor, dass die Beschwerdeführerin über gute Schiessfertigkeiten verfügt und ihren Pflichten als Jägerin nach- kommt. Seit April 2004 und damit seit mehr als zwei Jahren ist die Be- schwerdeführerin Jagdpächterin, und auch hinsichtlich dieser Aufga- ben und Pflichten gingen keine Beschwerden und Beanstandungen gegen sie ein. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerin gegen die ihr aus dem Pachtvertrag oder dem Gesellschaftsvertrag erwachsenden Pflichten, Aufgaben und Verantwortlichkeiten verstossen hat. Es kann deshalb davon ausge- 2006 Verwaltungsgericht 258 gangen werden, dass die Beschwerdeführerin die ihr als Jagdpächte- rin obliegenden Pflichten klaglos erfüllt und auch zu erfüllen in der Lage ist. Etwas anderes wird im Übrigen auch von der Verwaltung nicht geltend gemacht. Der Umstand, dass der Regierungsrat der Be- schwerdeführerin ohne weiteres die regelmässige Ausstellung von Tagesjagdpässen in Aussicht stellt, relativiert das geltend gemachte Sicherheitsrisiko zusätzlich. Auch dieser Jagdpass setzt das Fehlen von Jagdausschlussgründen und damit einen Nachweis über ausrei- chende jagdliche Fähigkeiten voraus (§§ 33 und 34 Jagdgesetz). Überdies wurde der Beschwerdeführerin ein Jagdschein für die Bun- desrepublik Deutschland vom Mai 2000 bis 31. März 2003 erteilt, welcher von einem Fähigkeitsnachweis abhängig ist (vgl. § 15 Abs. 1 und 4 Bundesjagdgesetz [http://www.juris.de]). 3.5.4. Zusammenfassend besteht bei der Beschwerdeführerin und im Vergleich zu einer über einen anerkannten Jagdfähigkeitsausweis verfügenden Person keine erhöhte Gefährdung von Wildschutz oder öffentlicher Sicherheit. Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht im Stande ist, die Jagd und die Jagdpacht nach Massgabe der Gesetze und Voll- zugserlasse sowie nach weidmännischen Grundsätzen selber auszu- üben bzw. ausüben zu lassen (siehe vorne Erw. 3.5.2), bestehen nicht. Demgemäss ist vorliegend das öffentliche Interesse an der Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen nicht so hoch zu gewichten wie das Interesse an der Rechtsbeständigkeit bzw. am Vertrauensschutz. Da- bei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Jagdpass für Jagdpächter der Beschwerdeführerin, gültig vom 1. April 2004 bis 31. März 2010, nicht der erste Jagdpass war, welcher ohne das Vor- liegen eines anerkannten Jagdfähigkeitsausweises erstellt worden ist. Vielmehr wurde der Beschwerdeführerin bereits im Jahre 2001 der Jahres-Jagdpass Nr. ..., im Jahre 2002 der Jagdpass für Jagdgäste (Nr. ...) für die Dauer vom 1. April 2002 bis 31. März 2003 und im Jahre 2003 der Jagdpass Nr. ... für die Dauer vom 1. April 2003 bis 31. März 2004 ausgestellt, so dass sogar mehrere Vertrauensgrundla- gen bestehen, was das Gewicht des Vertrauensschutzes zusätzlich verstärkt. Massgebliches Gewicht haben die Rechtspositionen der Beschwerdeführerin als Pächterin und Gesellschafterin der Jagdge- 2006 Jagdrecht 259 sellschaft Y mit den damit verbundenen rechtlichen und finanziellen Verpflichtungen. Die möglichen Folgen des Widerrufs ihres Jagdpas- ses (bis hin zur Auflösung des Pachtverhältnisses [§ 19 Abs. 1 Jagd- gesetz] und Auflösung der Jagdgesellschaft [Art. 545 ff. OR]) sind schwerwiegend. Der im vorliegenden Fall generelle und abstrakte Aspekt des Wildschutzes und der Sicherheit vermag allein kein ge- nügend gewichtiges besonderes Interesse zu begründen. Im Gegen- zug verliert das öffentliche Interesse weiter an Gewicht, weil der Jagdpass für Jagdpächter der Beschwerdeführerin am 31. März 2010 abläuft und der unrechtsmässige Zustand somit in wenigen Jahren behoben ist. Weitere öffentliche Interessen, die für einen Widerruf sprechen können, sind nicht ersichtlich und werden von der Verwal- tung auch nicht geltend gemacht. Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen für den Widerruf des Jagdpasses für Jagdpächter der Beschwerdeführerin vorliegend nicht erfüllt, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. 3.6. Der Umstand, dass vorliegend das Interesse an der Rechtsbe- ständigkeit bzw. am Vertrauensschutz höher als jenes an der Erfül- lung der Zulassungsvoraussetzungen als Jagdpächter zu gewichten ist, führt jedoch nicht dazu, dass die Jagdbehörde nach Ablauf des Jagdpasses für Jagdpächter am 31. März 2010 bei Nichtvorliegen ei- nes anerkannten Fähigkeitsausweises einen Jagdpass für Jagdpächter ohne Nachweis einer anerkannten Jagdfähigkeitsprüfung auszustel- len hat.
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2007 Abgaben 71 I. Abgaben 17 Stromgebühren. - Der Einzug verfallener Stromgebühren durch Erhöhung des Tarifs für den aktuellen Strombezug ist bundesrechtswidrig. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 23. Oktober 2007 in Sachen Einwohnergemeinde R. gegen Schätzungskommission nach Baugesetz und K.B. (WBE.2007.160). Aus den Erwägungen 1. Zur Beurteilung steht vorliegend allein, ob die vom Gemein- derat R. angeordnete Erhöhung des Münzzähler-Tarifs über den ge- wöhnlichen Bezugspreis hinaus zur Tilgung offener Stromrechnun- gen zu Recht erfolgte. Dies hängt davon ab, ob die dafür angerufene Grundlage von Art 12.1 des Elektra-Reglements der Gemeinde R. rechtmässig ist oder gegen höherrangiges Recht verstösst. 2./2.1. Art 12.1 Elektra-Reglement lautet wie folgt (Hervorhe- bung beigefügt): "Die Rechnungsstellung an die Bezüger erfolgt in regelmässi- gen, von der ER (sc. Elektra der Gemeinde R.) bestimmten Zeitab- ständen. Die ER behält sich vor, zwischen den Zählerablesungen Teilrechnungen im Rahmen des voraussichtlichen Bezuges zu stel- len. Die ER ist berechtigt, Vorauszahlungen oder Sicherstellungen zu verlangen, Zahlautomaten einzubauen oder wöchentlich Rechnung zu stellen. Zahlautomaten können von der ER so eingestellt werden, dass ein Teil des einzugebenden Betrages zur Tilgung bestehender Forderungen aus Strombezug verwendet wird. Die Kosten für Ein- und Ausbau sowie für zusätzliche Aufwendungen gehen zu Lasten des Kunden." 2007 Verwaltungsgericht 72 2.2. Nach § 2 Abs. 2 VRPG sind die Erlasse der Gemeinden, öf- fentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten für die Behörden nur insoweit verbindlich, als sie dem eidgenössischen und kantona- len Recht entsprechen. Mit dieser Bestimmung wird die Verpflich- tung der kantonalen (und Gemeinde-) Behörden statuiert, Gemeinde- erlasse im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens inzident zu überprü- fen. Die inzidente Normenkontrolle besteht in der vorfrageweisen Überprüfung eines anzuwendenden generellen Rechtsatzes unterer Stufe im Zusammenhang mit einem konkreten Rechtsanwendungsakt auf die Übereinstimmung mit Normen höherer Stufe. Widerspricht die geprüfte Bestimmung einer massgeblichen höheren Norm, so wird sie nicht aufgehoben, sondern es ist ihr im konkreten Einzelfall die Anwendung zu versagen (§ 95 Abs. 2 KV; AGVE 2002, S. 164 f. mit Hinweisen). 2.3. Nach Art. 38 SchKG sind Zwangsvollstreckungen, die auf eine Geldzahlung (oder eine Sicherheitsleistung) gerichtet sind, auf dem Wege der Schuldbetreibung durchzuführen. Auch wenn es diese Bestimmung nicht mit der wünschbaren Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, ist in Rechtsprechung und Lehre unbestritten, dass das SchKG die Vollstreckung von Ansprüchen auf Geldzahlung - vorbe- hältlich der vorliegend nicht einschlägigen Ausnahmen in Art. 30, 44 und 45 SchKG - abschliessend regelt und zwar gleichgültig, ob sie ihren Rechtsgrund im privaten oder öffentlichen Recht haben (BGE 125 V 328 f.; Häfelin/Müller/Uhlmann, Grundriss des Allge- meinen Verwaltungsrechts, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006, Rz. 1152; Domenico Acocella, in: Basler Kommentar, SchKG I, Ba- sel 1998, Art. 38 N 4, 7, je mit Hinweisen; Kurt Amonn/Fridolin Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., Bern 2003, S. 3, 58). Ein kantonales Vollstreckungsverfah- ren zur Eintreibung einer Geldzahlung ist in diesem Bereich ausge- schlossen (BGE 86 II 295; 85 II 196). Entsprechend sieht § 75 VRPG ausdrücklich vor, dass auf Geldzahlung oder Sicherheits- leistung lautende Verfügungen und Entscheide nach den Vorschriften des SchKG vollstreckt werden. Die Beschwerdeführerin hat es trotz entsprechender Aufforde- rung unterlassen, zu dieser Problematik Stellung zu nehmen, und be- 2007 Abgaben 73 gnügt sich damit, auf ihre Praxis und diejenige anderer Gemeinden bzw. die für die AEW Energie AG geltende Regelung (Art. 3.4.2 des Reglements des Verwaltungsrats AEW über die Lieferung elektri- scher Energie aus dem Niederspannungsnetz des Aargauischen Elektrizitätswerkes vom 23. März 1994 [SAR 773.533]) hinzuwei- sen. Dass eine (rechtswidrige) kommunale Praxis oder das Regle- ment einer Elektrizitätsgesellschaft, selbst wenn der Kanton daran beteiligt ist und sie einen Leistungsauftrag zu erfüllen hat, höher- rangigem Bundesrecht zu weichen hat, bedarf keiner weiteren Erör- terung. Eine solche Praxis hätte ganz im Gegenteil eine im SchKG nicht vorgesehene Privilegierung der Elektrizitätsgesellschaften ge- genüber anderen Gläubigern zur Folge, da sie ohne vorgängige Durchführung des Betreibungsverfahrens (Art. 67 ff. SchKG), bzw. im Falle eines Konkurses im Widerspruch zu Art. 219 SchKG, vor den anderen Gläubigern Befriedigung erlangen könnten. Soweit die Regelung in Art. 12.1 Elektra-Reglement Bundesrecht widerspricht, ist der Argumentation der Minderheit der Schätzungskommission, dass selbst weitergehende Sanktionen, bis hin zur Verweigerung von Stromlieferungen, zulässig seien, von vornherein der Boden entzo- gen. 3. Art. 12.1 Elektra-Reglement widerspricht damit dem überge- ordneten Bundesrecht, soweit er über den gewöhnlichen Bezugspreis hinaus zwecks Tilgung bestehender Schulden aus Strombezug die Möglichkeit der Erhöhung der Stromgebühren vorsieht. Die Verfü- gung des Gemeinderates vom 23. Oktober 2006 entbehrt damit einer gültigen gesetzlichen Grundlage und wurde deshalb von der Vorin- stanz zu Recht aufgehoben. Dies führt zur Abweisung der Be- schwerde.
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2006 Verwaltungsgericht 208 [...] 40 Aufschiebende Wirkung. - Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung (§ 26 SubmD in der Fassung vom 18. Oktober 2005). Verfügung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, in Sachen H. und K. gegen den Gemeinderat A. Aus den Erwägungen 3. (...) 3.1. Über das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung entscheidet der Kammerpräsident (§ 26 Abs. 3 SubmD in der Fas- sung vom 18. Oktober 2005). Die aufschiebende Wirkung kann er- teilt werden, wenn die Beschwerde ausreichend begründet erscheint und keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (§ 26 Abs. 2 SubmD). Im Sinne einer vorläufigen Beurteilung ist die materielle Rechtslage und die Erfolgsaussichten der Beschwerde zu prüfen so- wie eine Interessenabwägung vorzunehmen. In diese Prüfung sind die Interessen der Beschwerdeführerin, öffentliche Interessen der Vergabestelle sowie die privaten Interessen der übrigen am Submis- sionsverfahren beteiligten Dritten einzubeziehen (Peter Galli / André Moser / Elisabeth Lang, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 2006 Submissionen 209 Zürich 2003, Rz. 658 f.). Der Entzug der aufschiebenden Wirkung zielt darauf ab, die Wirksamkeit der Beschwerde sicherzustellen und zu gewährleisten, dass der bestehende tatsächliche Zustand einst- weilen unverändert bleibt. Der Entscheid beruht auf einer summari- schen Prüfung der Sach- und Rechtslage (René Rhinow / Heinrich Koller / Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfas- sungsrecht des Bundes, Basel / Frankfurt a.M. 1996, Rz. 1093). Die Hauptsachenprognose kann insbesondere dann massgeblich berück- sichtigt werden, wenn sie eindeutig ist; bei tatsächlichen oder rechtli- chen Unklarheiten drängt sich hingegen Zurückhaltung auf, da die entsprechenden Entscheidgrundlagen erst im Hauptverfahren ermit- telt bzw. festgelegt werden (vgl. BGE 129 II 286 Erw. 3). 3.2. Zwischen der Zuschlagsempfängerin und der Beschwerdeführe- rin besteht gemäss Angebotsvergleich eine Differenz von 0.1 Punk- ten. Diese Differenz resultiert ausschliesslich aus der Bewertung des Teilkriteriums "Kompetenz" bzw. "Qualität". Für die Beurteilung dieses Zuschlagskriteriums wurden aus den von den Unternehmen angegebenen maximal vier im Teilkriterium "Erfahrung" berück- sichtigten Referenzobjekten die Referenzpersonen hinsichtlich der Erfahrung der Bauherrschaft mit den jeweiligen Unternehmen be- züglich Ausführungsqualität, Termintreue / Effizienz sowie Abrech- nung befragt. Die Referenzanfragen sind protokolliert, und die Be- wertung dieses Teilkriteriums ist in den Ausschreibungsunterlagen ausgewiesen. 3.3. Die Beurteilung der Beschwerdeführerin beim Teilkriterium "Qualität" beruht auf vier Referenzanfragen, wovon eine das Bau- los 1 der Flurwegsanierung A ist, welches in einem Submissionsver- fahren der Beschwerdeführerin vergeben und von ihr ausgeführt wurde. Während die drei übrigen Referenzanfragen für die Be- schwerdeführerin positiv waren, ergab die Anfrage beim Gemeinde- rat A, dass die Beschwerdeführerin die Unterkriterien "Ausführungs- qualität" und "Termine / Effizienz" nicht einwandfrei erfüllt hat. Die Beschwerdeführerin wurde für die Referenzauskunft mit 5 Punkten bewertet. 2006 Verwaltungsgericht 210 Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Bauherrschaft und Ingenieure für beide Baulose identisch sind und die Vergabe- stelle sich somit auf ihre eigenen Erfahrungen und nicht auf Referen- zen Dritter stütze. 3.4. Unbestritten ist, dass die Vergabestelle das Referenzobjekt Baulos 1 bei der Beurteilung des Teilkriteriums Kompetenz berück- sichtigen durfte und die von der Beschwerdeführerin benannte Refe- renzperson angefragt hat. Nicht bestritten ist auch, dass die ange- fragte Referenzperson gegenüber dem Ingenieurbüro X., welches für die Referenzanfragen zuständig war, die im Protokoll vom 29. Juni 2006 angeführten Angaben gemacht hat. Die Beschwerdeführerin beanstandet vielmehr die Angaben der Referenzperson und behaup- tet, diese Referenzauskünfte seien falsch. Im Beschwerdeverfahren stellt sich daher die Frage, ob und wieweit die Vergabestelle sich auf die Angaben von Referenzperso- nen stützen kann und der materielle Wahrheitsgehalt einer Refe- renzauskunft im Beschwerdeverfahren überprüft werden kann. Das Verwaltungsgericht hat sich zu diesen Fragen nicht abschliessend ge- äussert (vgl. AGVE 2000, S. 279 f. betreffend Akteneinsicht). Vor- liegend besteht sodann die Besonderheit, dass die für den Zuschlag entscheidende Referenzauskunft von der Vergabestelle selbst stammt und die Referenzauskünfte vom gleichen Ingenieurbüro eingeholt wurden, das die Bewertung vornahm und welches in gleicher Funk- tion auch mit der Bauleitung oder Bauaufsicht bei der Ausführung des Baulos 1 beauftragt war. Auffällig ist sodann, dass die andern Referenzen der Beschwerdeführerin einwandfrei ausfielen und die Zuschlagsempfängerin bei diesem Unterkriterium die höchste Punkt- zahl erreicht hat. Unter diesen Umständen lässt sich ohne weitere Abklärungen nicht ausschliessen, dass die Beschwerde begründet ist, zumal die Vergabestelle sich in der Vernehmlassung auf ihr Ermessen beruft und keine Belege vorliegen, welche die negative Beurteilung im Protokoll vom 29. Juni 2006 stützen. Die Vergabestelle wehrt sich gegen die Erteilung der aufschie- benden Wirkung unter Hinweis auf die Terminsituation. In den Sub- missionsbedingungen war ein Baubeginn im Juni 2006 und ein Fer- 2006 Submissionen 211 tigstellungstermin im Dezember 2006 vorgesehen. Nachdem der Zu- schlag unter Berücksichtigung der Rechtsmittelfrist frühestens Mitte September 2006 rechtskräftig werden konnte, ist eine Terminverzö- gerung von rund fünf Monaten entstanden, und auch bei einer Vor- haltezeit von bloss einem Monat kann das Bauprogramm nicht wie vorgesehen durchgeführt werden. 3.5. Die fehlende aufschiebende Wirkung der Beschwerde von Ge- setzes wegen hat zur Folge, dass der Vertrag mit der Zuschlags- empfängerin sofort abgeschlossen werden und das Verwaltungsge- richt bei Gutheissung der Beschwerde nur noch die Rechtswidrigkeit des Zuschlags feststellen könnte (§ 27 Abs. 2 SubmD). Die von der Vergabestelle angeführten Gründe der Dringlichkeit vermögen nicht zu überzeugen und wären zudem auch nicht geeig- net, die relativ kurze Dauer bis zur Fällung des Beschwerdeent- scheids (vgl. § 27 Abs. 3 SubmD) nicht abzuwarten. Andere Interes- sen werden von der Vergabestelle nicht geltend gemacht und sind auch aus den Akten nicht ersichtlich. 4. Zusammenfassend rechtfertigt es sich, der vorliegenden Be- schwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. (...)
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2000 Strassenverkehrsrecht 115 III. Strassenverkehrsrecht 32 Verkehrsanordnungen gemäss Art. 3 Abs. 4 SVG; Zuständigkeit des Regierungsrates und des Bundesrates bei Teilfahrverboten. - § 52 Ziff. 19 VRPG ist nicht anwendbar in jenen Fällen, in welchen einer Partei die Beschwerdebefugnis in einem Rechtmittelverfahren vor einer sachlich und funktional zuständigen Bundesbehörden fehlt. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 24. August 2000 in Sachen Einwohnergemeinde B. und Mitbeteiligte gegen Entscheid des Regie- rungsrats. Sachverhalt Am 9. Juli 1996 beschloss der Gemeinderat B. aufgrund einer Petition der Einwohner eine Verkehrsbeschränkung "Verbot für Mo- torwagen und Motorräder ausgenommen Zubringerdienst, landwirt- schaftliche Fahrzeuge und Forstwirtschaft" für die M...-strasse. Da- gegen erhobene Einsprachen wiesen der Gemeinderat B. und der Regierungsrat in der Folge ab. Drei Nachbargemeinden erhoben beim Verwaltungsgericht Beschwerde und beantragten den regie- rungsrätlichen Entscheid und die Verkehrsanordnung aufzuheben. Aus den Erwägungen 2. a) Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist zulässig in den Fällen, welche das Verwaltungsrechtspflegegesetz oder ein ande- res Gesetz bestimmt. Durch Dekret des Grossen Rates kann die Zu- lässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf weitere Fälle aus- gedehnt werden. Soweit der Regierungsrat Verfahrensregeln zu erlas- 2000 Verwaltungsgericht 116 sen hat, kann er durch Verordnung die Zuständigkeit des Verwal- tungsgerichts begründen (§ 51 Abs. 1 und 2 VRPG). b) Gemäss der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts fallen Verkehrsanordnungen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 bis Abs. 4 SVG nicht unter die in § 52 VRPG aufgeführten Fälle der sachlichen Zu- ständigkeit des Verwaltungsgerichts. Auch in anderen Erlassen ist keine entsprechende Zuständigkeit festgelegt; vielmehr bestimmt § 2 Abs. 4 GVS ausdrücklich, dass bezüglich Verkehrsanordnungen der Regierungsrat einzige und letzte kantonale Rechtsmittelinstanz ist. c) Die Beschwerdeführerinnen stützen ihren Anspruch auf Be- urteilung der Streitsache durch das Verwaltungsgericht vor allem auf § 52 Ziff. 19 VRPG. Anfechtbar sind danach Anordnungen im Ein- zelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und bei denen unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bun- desgericht zulässig ist. Es ist demnach zu prüfen, ob die streitige Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht oder mittels Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat weiterziehbar ist. Entscheidend für diese Beurteilung ist die Rechtsnatur der ange- fochtenen Verkehrsanordnung. Handelt es sich um eine Beschrän- kung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG ist die Sachzuständigkeit des Bundesrates vorgesehen, stellt sie ein Fahrverbot nach Art. 3 Abs. 3 SVG dar, unterliegt sie nach dem Wortlaut dieser Bestimmung der staatsrechtlichen Beschwerde. aa) Die Beschwerdeführerinnen sind der Auffassung, es liege eine Anordnung im Sinn von Art. 3 Abs. 3 und nicht von Abs. 4 SVG vor, weshalb nicht der Bundesrat, sondern das Bundesgericht im Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren und damit vorgängig das Verwaltungsgericht gestützt auf § 52 Ziff. 19 VRPG zur Beurteilung zuständig wäre. Sie machen insbesondere geltend, es liege keine funktionelle Verkehrsbeschränkung, sondern ein vollständiges Verkehrsverbot und damit ein Anwendungsfall von Art. 3 Abs. 3 SVG vor. 2000 Strassenverkehrsrecht 117 bb) Hinsichtlich der nicht von Bundesrechts wegen dem allge- meinen Durchgangsverkehr geöffneten Strassen (vgl. zu diesem Be- griff Art. 82 Abs. 2 Satz 2 BV; Art. 2 Abs. 1 lit. a SVG) bleibt die kantonale Strassenhoheit in den Schranken des Bundesverfassungs- rechts gewahrt (ZBl 77/1976, S. 354; BGE 100 IV 65). Auf diesen Strassen können die Kantone Beschränkungen und Massnahmen zur Verkehrssicherheit, zur Erleichterung und Regelung des Verkehrs, zum Schutz der Strasse oder aus anderen, in den örtlichen Verhältnis- sen liegenden Gründen erlassen. Verkehrsbeschränkungen, welche aus solchen Gründen erlassen werden, werden funktionelle Ver- kehrsbeschränkungen genannt (vgl. BGE 121 I 343 Erw. 6/a/aa; René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrs- rechts, Band I, Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, Bern 1984, S. 33 ff.). Die Rechtsprechung des Bundesrates, die auf zahlreichen Meinungsaustauschen mit dem Bundesgericht beruht, ist in der Qua- lifikation der funktionellen Verkehrsbeschränkungen eindeutig. So hat der Bundesrat ausdrücklich ausgeführt, ein allgemeines Fahrver- bot, durchbrochen durch die Ausnahme des gestatteten Zubringer- dienstes, stelle eine Massnahme im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG und somit eine funktionelle Verkehrsbeschränkung dar (VPB Nr. 60.82; siehe auch VPB Nr. 61.22, 51.51 und 56.41). Bei der angefochtenen Verkehrsanordnung handelt es sich um Teilfahrverbote gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. a und b SSV, wobei der Zubringerdienst, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Forstwirtschaft ausgeschlossen sind. Folglich liegt eine funktionelle Verkehrsanord- nung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 SVG vor, weshalb dagegen grund- sätzlich - und wie in der Rechtsmittelbelehrung ausgewiesen - beim Bundesrat Beschwerde zu führen ist. cc) Die Beschwerdeführerinnen begründen die Zuständigkeit gemäss § 52 Ziff. 19 VRPG mit ihrer fehlenden Legitimation zur Beschwerde an den Bundesrat. Die Vorinstanz führt unter Berufung auf die Botschaft des Bun- desrates (BBl 1986, Bd. III, S. 213 f.) aus, dass die Ergänzung von 2000 Verwaltungsgericht 118 Art. 3 Abs. 4 letzter Satz SVG nicht bezweckte, die generelle Be- schwerdebefugnis der Gemeinden unter den Bedingungen von Art. 48 VwVG aufzuheben. Den Gemeinden werde so die Möglich- keit eröffnet, gegen Anordnungen auf ihrem Gebiet Verwaltungsbe- schwerde einzig aus öffentlichen Interessen zu führen, ohne ein rechtliches oder tatsächliches schutzwürdiges Interesse nachweisen zu müssen (Art. 48 VwVG). Die Beschwerdebefugnis der Beschwer- deführerinnen gemäss Art. 3 Abs. 4 SVG ist daher - entgegen ihren Ausführungen - nicht ohne weiteres zu verneinen. dd) Die Beschwerdebefugnis ist eine Sachurteilsvoraussetzung und ihr Vorliegen von Amtes wegen zu prüfen (Fritz Gygi, Bundes- verwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 71). Zuständig für die Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen ist jene Behörde, mit der das Prozessverhältnis begründet ist. Diese Sachurteilsvorausset- zung ist von der sachlichen und funktionalen Zuständigkeit abzu- grenzen, und die Prüfung erfolgt nach Massgabe des anwendbaren Verfahrensrechts. Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerdebefug- nis nach § 38 VRPG und allenfalls nach bundesrechtlichen Bestim- mungen zu prüfen. Die Beurteilung der Beschwerdebefugnis im Be- schwerdeverfahren vor dem Bundesrat ist ihm verwehrt. Ebenso kann sich das Verwaltungsgericht nicht zur Legitimation im Verwal- tungsgerichtsverfahren vor dem Bundesgericht äussern; diese Beur- teilung ist dem Bundesgericht vorbehalten. ee) § 52 Ziff. 19 VRPG ist eine Zuständigkeitsbestimmung und dehnt die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichts bei der Prü- fung der sachlichen und funktionalen Zuständigkeitsvoraussetzungen nicht auf weitere Sachurteilsvoraussetzungen aus. Aus dieser Be- stimmung folgt nur, dass in jenen Fällen, in welchen eine unmittel- bare bundesverwaltungsgerichtliche Zuständigkeit sachlich und funktional besteht, eine (Not-)Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bei fehlender gerichtlicher kantonaler Instanz begründet wird. Die Zuständigkeitsprüfung erfolgt abstrakt nach den Normen über die sachliche und funktionale Zuständigkeit. § 52 Ziff. 19 VRPG ist aber 2000 Strassenverkehrsrecht 119 nicht anwendbar in jenen Fällen, in welchen einer Partei die Be- schwerdebefugnis in einem Rechtmittelverfahren vor einer sachlich und funktional zuständigen Bundesbehörden fehlt. Art. 98a OG und § 52 Ziff. 19 VRPG eröffnen keinen kantonalen Rechtsmittelweg für Verfahrensbeteiligte, denen die Beschwerdebefugnis vor einer Bun- desinstanz fehlt. Bereits der Wortlaut von § 52 Ziff. 19 VRPG und Art. 98a OG (unmittelbare Zuständigkeit) und die systematische Einordnung unter die "Beschwerdefälle" im VRPG legen eine Be- schränkung auf die abstrakte, sachliche Zuständigkeit nahe. Diese Auslegung von § 52 Ziff. 19 VRPG ergibt sich auch daraus, dass die Beschwerdebefugnis nach § 38 VRPG jener nach Art. 103 lit. a OG entspricht (vgl. Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normen- kontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwal- tungsrechtspflege, Kommentar zu den §§ 38 - 72 VRPG, Zürich 1998, § 38 N 125 f.) und letztere mit Art. 48 lit. a VwVG weitgehend übereinstimmt (René Rhinow/Heinrich Koller/Christina Kiss, Öf- fentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 1267 ff. und 1507 ff.). Schliesslich führt die Auffassung der Beschwerdeführerinnen zu einer Aufspaltung des Rechtsweges bei privaten Beschwerdeführern und Behördenbeschwerden und widerspricht dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsbestimmung. ff) Somit bleibt zu prüfen, ob die Verkehrsanordnungen der Gemeinde B. "unmittelbar" der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegen. Massgebend ist das Verhältnis zwi- schen der Beschwerde nach Art. 3 Abs. 4 SVG und den Bestimmun- gen des Bundesrechtspflegegesetzes zur sachlich und funktionalen Zuständigkeit des Bundesgerichts bzw. des Bundesrates im Verwal- tungsverfahren. Nach Art. 74 VwVG ist die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat grundsätzlich subsidiär zur Verwaltungsgerichtsbe- schwerde an das Bundesgericht. Dieser Grundsatz erfährt jedoch Ausnahmen in den Art. 99 - 102 OG. Soweit ersichtlich hat sich das Bundesgericht zum Verhältnis der sachlichen Ausnahmen gemäss Art. 101 lit. l OG und den Verkehrsanordnungen nach Art. 3 SVG 2000 Verwaltungsgericht 120 nicht geäussert. Dem Bundesrat kann indessen in Spezialgesetzen über den Ausnahmekatalog von Art. 101 OG hinaus die sachliche Kompetenz zur Behandlung von Beschwerden zugewiesen werden (Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwal- tungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, Zürich 1998, Rz. 759). Eine solche Ausnahmebestimmung ist Art. 3 Abs. 4 SVG. Bei funk- tionellen Verkehrsanordnungen handeln die Behörden im Rahmen der kantonalen Strassenhoheit, deren Überprüfung nicht dem Bun- desgericht im Verwaltungsrechtspflegeverfahren zugewiesen ist (vgl. René Schaffhauser, a.a.O., S. 48 ff.; VPB Nr. 61.22). gg) Aus den dargelegten Gründen ist auf die Beschwerde inso- weit nicht einzutreten.
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2010 Verwaltungsgericht 208 [...] 39 Notwendigkeit eines Privatfahrzeuges. - Bei einem Mehraufwand von rund einer Stunde pro Arbeitsweg bei der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel ist für eine alleiner- ziehende Mutter eines Kleinkindes die Zumutbarkeitsgrenze über- schritten. - Autokosten als Erwerbsunkosten und situationsbedingte Leistung. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 11. März 2010 in Sachen N.E. gegen Gemeinderat D. und Bezirksamt L. (WBE.2009.419). 2010 Sozialhilfe 209 Aus den Erwägungen 4. 4.1 Ab dem 1. August 2009 und mit der Betreuung des Sohnes in der Krippe entstand für die Beschwerdeführerin eine neue Arbeits- wegsituation. Sie muss an den Arbeitstagen den Sohn morgens in das "C." bringen, solange er gestillt wurde ihn über Mittag vom Arbeits- ort aus besuchen, und abends bzw. am späten Nachmittag wieder ab- holen. Feststeht, dass eine Angewiesenheit auf ein Privatfahrzeug aus gesundheitlichen Gründen nicht in Betracht fällt. Die ärztlichen Kon- trollen, welche der Sohn benötigt, sind keine solchen Gründe. Die Fremdbetreuung des Sohnes ist eine Folge der Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin und hat unmittelbare Auswirkungen auf ihren Arbeitsweg. Der Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit rechtfer- tigt die Qualifikation der mit dem Arbeitsweg verbundenen Kosten als Erwerbsunkosten gemäss der Richtlinie für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (herausgegeben von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe [SKOS-Richtlinien], 3. Auflage, Dezember 2000; Kap. C.3). Diese sind von der Sozialhilfe dann zu übernehmen, wenn der Arbeitsweg nicht in zumutbarer Weise mit den öffentlichen Verkehrsmittel erreicht werden kann (SKOS-Richtlinien Kap. C.3-1). Eine Zuordnung zu den "weiteren" situationsbedingten Leistungen gemäss § 10 Abs. 5 lit. b SPV kommt in Betracht, wenn keine Ange- wiesenheit auf ein Privatfahrzeug aufgrund des öffentlichen Ver- kehrsangebots besteht, aber andere Gründen eine Übernahme von Autokosten nahelegen (vgl. SKOS-Richtlinien C.9-I). 4.2. Ausgangspunkt für die Zumutbarkeit des Arbeitsweges mit öf- fentlichen Verkehrsmitteln ist die Dauer des Arbeitsweges. (...[Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln]) Der Zeitaufwand für den gesamten Weg mit dem Privatfahrzeug beträgt 10 Minuten und unter Berücksichtigung von weiteren 10 Mi- nuten für die Übergabe ergibt sich ein Arbeitsweg von 20 Minuten. 2010 Verwaltungsgericht 210 4.3. 4.3.1. Über den zumutbaren Arbeitsweg für erwerbstätige unterstützte Personen besteht keine Regelung im kantonalen Recht. Auch in den SKOS-Richtlinien und im Handbuch Sozialhilfe (vgl. Kap. 5) finden sich keine näheren Ausführungen zur Zumutbarkeit. Das Verwal- tungsgericht und die Lehre haben sich mit dieser Frage noch nicht beschäftigt. 4.3.2. - 4.3.3. (...) 4.3.4. Ausgangspunkt für die Berücksichtigung von situationsbeding- ten Leistungen im Sozialhilfebudget ist eine besondere Lebenssi- tuation der unterstützten Person. Solche Aufwendungen können nur angerechnet werden, wenn sie geeignet sind die Selbstständigkeit und das soziale Umfeld einer unterstützten Person zu fördern und in einem sinnvollen Verhältnis zum erzielten Nutzen stehen (SKOS- Richtlinien, Kap. C.I-I). Wegleitend ist damit das Individualisie- rungsprinzip gemäss § 5 Abs. 2 SPG. Die Sozialhilfe muss stets dem individuellen und aktuellen Bedarf der bedürftigen Person Rechnung tragen und auf die Ziele der Sozialhilfe (vgl. dazu § 4 SPG und SKOS-Richtlinien, Kap. A.I) ausgerichtet sein. Massgebend für die Zumutbarkeit der Bewältigung des Ar- beitsweges mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sind daher die ge- samten Lebensumstände der unterstützten Person und der Nutzen aus einer Übernahme von Kosten eines Privatfahrzeugs im Hinblick auf die wirtschaftliche und soziale Integration im Einzelfall. 4.3.5. Die Beschwerdeführerin ist eine alleinerziehende und teilweise berufstätige Mutter eines inzwischen 15 Monate alten Sohnes. Sie arbeitet zu rund 50% an drei Tagen pro Woche und muss auf ihrem Arbeitsweg das Kleinkind zur Fremdbetreuung mitnehmen. Für die einfache Arbeitswegstrecke mit dem Bus ist sie mehr als eine Stunde unterwegs, unabhängig davon, ob sie die gesamte Wegstrecke mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder Teile zu Fuss zurücklegt. So- lange die Beschwerdeführerin zudem ihren Sohn über Mittag stillt, erhöht sich der Zeitaufwand mit den öffentlichen Verkehrsmitteln 2010 Sozialhilfe 211 noch um weitere 11-13 Minuten pro Wegstrecke (ohne Wartezeiten) oder um je etwa 20 Minuten Fussweg. Pro Arbeitstag beträgt der zeitliche Aufwand für den Arbeitsweg ohne Privatfahrzeug insgesamt 2 Stunden 20 Minuten bis 2 Stunden 40 Minuten; die zeitliche Ein- sparung bei Benützung eines Privatfahrzeuges beträgt 1 Stunde 40 Minuten bis 2 Stunden pro Arbeitstag. Ohne die zusätzlichen Weg- zeiten über Mittag zum Stillen ist von einem Mehraufwand von min- destens einer Stunde und zwanzig Minuten auszugehen. Der Mehr- aufwand dürfte höher sein, weil die Beschwerdeführerin mit Kinder- wagen und dem Gepäck für den Sohn für die Fusswegstrecken eher längere Zeit benötigt. Nach steuerrechtlichen Kriterien wäre für den Arbeitsweg die Grenze der Zumutbarkeit für die Nutzung der öffentlichen Verkehrs- mittel erreicht. Angesichts der Betreuungspflichten der Beschwerde- führerin gegenüber einem Kleinkind, das zudem gestillt wurde, kön- nen die Anforderungen an den zumutbaren Arbeitsweg gemäss Ar- beitslosenversicherungsrecht nicht, auch nicht analog angewendet werden. Es steht auch nicht die Frage der Vermittlungsfähigkeit bzw. der zumutbaren Arbeit (Art. 15 und 16 AVIG) im Vordergrund. Das Verwaltungsgericht ist daher der Auffassung, dass im vorliegenden Fall der Mehraufwand von rund einer Stunde pro Arbeitsweg bei der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel die Zumutbarkeitsgrenze überschreitet. Bei der Gesamtwürdigung der Umstände der Be- schwerdeführerin ist in Betracht zu ziehen, dass mit der Benützung des Privatfahrzeuges die Beschwerdeführerin ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt ihres Sohnes rasch wieder (teilweise) ausüben konn- te. Es handelt sich damit um eine Massnahme, die auch eine weitere Integration in das Erwerbsleben fördert, indem sie die Auswirkungen der Doppelbelastung der Beschwerdeführerin mildert (vgl. hiezu: Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 73 f.). Dabei fällt auch in Betracht, dass die Beschwerdeführerin mit dem Kind den Bus um 05:50 Uhr oder 06:18 Uhr erreichen muss und sie entsprechend früher aufstehen müssen. Die Beschwerdefüh- rerin erzielt ein Einkommen von rund Fr. 2'000.-- pro Monat, womit sie auch unter Berücksichtigung der Fremdbetreuungskosten in der Krippe und der Erwerbsunkosten für das Auto einen nicht unerhebli- 2010 Verwaltungsgericht 212 chen Beitrag an ihre Lebenshaltungskosten leistet (vgl. hiezu AGVE 2004, S. 251 f.). Die Aufnahme von Autokosten als Erwerbs- unkosten in das Unterstützungsbudget ist auch in einem angemesse- nen Verhältnis zum Integrationsziel. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Beschwerdeführerin auf ein Fahrzeug zur Ausübung der Erwerbstätigkeit angewiesen. Die Kos- ten und Auslagen sind insoweit als Erwerbsunkosten im Unterstüt- zungsbudget zu berücksichtigen. (...)
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2000 Kantonales Steuerrecht 133 V. Kantonales Steuerrecht 36 Steuerbares Einkommen. - Der Erwerb einer Liegenschaft des Arbeitgebers zum Vorzugspreis stellt im Umfang des zugewendeten Vorteils (Differenz zwischen Kaufpreis und Verkehrswert) Einkommen aus unselbstständiger Er- werbstätigkeit dar (Erw. 1/a). - Anwendung der Vergleichspreismethode zur Ermittlung des Ver- kehrswerts (Erw. 2, 3). - Einfluss eines Vorkaufsrechts zugunsten des veräussernden Arbeit- gebers auf den Verkehrswert (Erw. 3/a). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 16. November 2000 in Sachen H.W. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. Sachverhalt H.W. war in den massgeblichen Bemessungsjahren 1993/94 bei der Z. AG angestellt. Mit Vertrag vom 23. November 1993 erwarb er von seiner Arbeitgeberin in einer von dieser erstellten Überbauung eine Eigentumswohnung mit Autoeinstellplatz zum Preis von Fr. 550'000.--. Gleichzeitig wurde zugunsten der Verkäuferin ein auf 10 Jahre befristetes und auf den Betrag des Kaufpreises limitiertes Vorkaufsrecht (unter dem Vorbehalt allfälliger wertvermehrender Investitionen) vereinbart. Aus den Erwägungen 1. a) Gemäss § 22 Abs. 1 StG ist das gesamte Einkommen jeder Art steuerbar, bei unselbstständig Erwerbenden u.a. das Arbeitsent- gelt mit sämtlichen Lohnzulagen und Nebenbezügen (lit. a). Alle 2000 Verwaltungsgericht 134 Leistungen, welche dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ausgerichtet werden, stellen steuerbares Einkom- men dar (vgl. Walter Koch, in: Kommentar zum Aargauer Steuerge- setz, Muri/Bern 1991, § 22 N 17, 422 ff.), wobei unerheblich ist, ob diese aus Verpflichtung oder freiwillig erbracht und in welcher Form sie ausgerichtet werden; entscheidend ist einzig, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil, der seinen Grund im Arbeitsverhältnis hat, erbringt, indem er ihm Vermögenswerte zu einem Vorzugspreis, wie er Dritten gegenüber nicht gewährt würde, veräussert, überlässt oder zur Verfügung stellt (vgl. AGVE 1972, S. 391; VGE II/64 vom 11. Dezember 1975 i.S. W.H., S. 7). Auch bei der Übertragung einer Liegenschaft vom Arbeitgeber auf einen Angestellten zum Vorzugspreis ist steuerbares Einkommen aufzu- rechnen. Dabei entspricht die Höhe der geldwerten Leistung des Arbeitgebers der Differenz zwischen dem effektiv bezahlten Kauf- preis und dem Verkehrswert der Liegenschaft (erwähnter VGE vom 11. Dezember 1975, S. 6; AGVE 1984, S. 500 ff. = StE 1984, B 22.2 Nr. 1). Auf die genannten, noch unter dem Gesetz über die direkten Staats- und Gemeindesteuern ... (altes Steuergesetz [aStG]) vom 17. Mai 1966 ergangenen Entscheide der Steuer-Rekurskommission und des Verwaltungsgerichts kann ohne weiteres zurückgegriffen werden, da die damalige Bestimmung (§ 23 Abs. 1 lit. a aStG) wört- lich mit der heute geltenden Regelung übereinstimmt. b) Der Verkehrswert entspricht dem Preis, welcher bei einer Veräusserung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr mutmasslich hätte erzielt werden können (Jürg Baur, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, § 73 N 10 mit Hinweisen). Zur Ermittlung des Ver- kehrswerts einer Liegenschaft ist in erster Linie auf vergleichbare Verkäufe im massgeblichen Zeitraum zurückzugreifen (sog. Ver- gleichspreismethode), vorausgesetzt, dass Vergleichspreise in genü- gender Zahl für Objekte ähnlicher Beschaffenheit zur Verfügung stehen (vgl. BGE 122 I 173 f.; 114 I b 295 f.; diese Rechtsprechung des Bundesgerichts betreffend den Verkehrswert bei Enteignungen 2000 Kantonales Steuerrecht 135 gilt nach der Praxis des Verwaltungsgerichts überall, wo der Verkehrswert massgebend ist [AGVE 1996, S. 235 f.; 1994, S. 311 f.]). Unterschieden der Vergleichsgrundstücke ist durch Zu- und Abschläge Rechnung zu tragen (BGE 122 I 173; AGVE 1994, S. 311). c) Vorliegend ist nur strittig, ob die Beschwerdeführer ihre Eigentumswohnung zu einem Vorzugspreis erhalten haben. 2. a) Die Vorinstanz ist nach der Vergleichspreismethode vorge- gangen und hat als Vergleichsgrössen fünf weitere Verkäufe inner- halb der gleichen Überbauung, die alle im Zeitraum von zehn Mo- naten nach dem Verkauf an die Beschwerdeführer abgewickelt wur- den, herangezogen. ... Zur Vergleichbarkeit rechnete sie den jeweili- gen Kaufpreis auf die Wertquote um, die von der Erbauerin für jede Wohnung festgelegt worden war. b) aa) ... Zu Recht hat die Vorinstanz auch den Kaufpreis für die Wohnung der Beschwerdeführer nicht in den Vergleich einbezogen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer darf der Kaufpreis, des- sen Höhe durch einen Vergleich mit anderen Preisen auf eine allfäl- lige Abweichung vom Verkehrswert überprüft werden soll, die Ver- gleichsgrössen nicht beeinflussen. Dagegen wird - zugunsten der Beschwerdeführer - der Verkauf L. in den Vergleich einbezogen, da eine Vorzugsbehandlung der Käufer zwar nicht auszuschliessen ist, aber nicht nachgewiesen wurde. Da die Wohnung der Beschwerdeführer und die verschiedenen Vergleichsobjekte sich hinsichtlich Grösse, Anzahl Zimmer etc. un- terscheiden, müssen zur Vergleichbarkeit die Kaufpreise auf eine Einheit umgerechnet werden. Bei Stockwerkeigentum drängt es sich in aller Regel auf, den Vergleich anhand der Wertquoten vorzuneh- men; selbst wenn bei deren Festsetzung gewisse subjektive Wertun- gen einfliessen mögen, dürften diese jeweils im Rahmen der Unge- nauigkeiten liegen, die einer Schätzung naturgemäss anhaften. Die Beschwerdeführer wehren sich denn auch nicht grundsätzlich dage- 2000 Verwaltungsgericht 136 gen, verlangen jedoch zu Recht, dass den Besonderheiten ihrer Woh- nung Rechnung getragen wird (siehe dazu hinten Erw. 3/d). Die Rabatte, welche auf den Listenpreisen gewährt worden sein sollen, können entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer von den Vergleichspreisen nicht abgezogen werden; wurden diese effektiv gewährt, so sind sie in den bezahlten Preisen enthalten und damit im Vergleich schon berücksichtigt. bb) Betrachtet man die fünf - bezüglich des Kaufpreises nicht strittigen - Vergleichsverkäufe, ergeben sich pro Wertquote der Woh- nungen, ohne Autoabstellplätze, Beträge zwischen ... und ..., was einem Durchschnitt von Fr. 14'402.-- entspricht. Bei der Wohnung der Beschwerdeführer (Wertquote 41/1000) führt dies zu einem Wert von rund Fr. 590'000.--, mit dem Autoeinstellplatz (Fr. 31'500.--) gesamthaft Fr. 621'500.--. c) Die Beschwerdeführer wenden ein, dieser Durchschnittspreis könne deshalb nicht dem Marktwert entsprechen, weil sich sonst eine deutliche Mehrheit der 17 im selben Standard gebauten Objekte hätte verkaufen lassen müssen. Dass nicht alle Wohnungen verkauft werden konnten, ändert jedoch nichts daran, dass in der massgebenden Zeit tatsächlich vergleichbare Verkäufe stattfanden; es wird zu Recht nicht behauptet, diese seien zu übersetzten Liebhaber- preisen erfolgt. Veränderungen am Immobilienmarkt nach dem Herbst 1994 lassen keinen Rückschluss auf die Verhältnisse im No- vember 1993 und damit auf den Wert der Wohnung der Beschwerde- führer zu jener Zeit zu. 3. a) - d) (Fr. 19'000.-- Reduktion wegen verschiedener Abwei- chungen von den Vergleichskäufen) e) aa) Des weiteren verlangen die Beschwerdeführer, das limi- tierte Vorkaufsrecht sei wertmindernd anzuerkennen. Die Steuer- kommission B. hat dieses - analog der Praxis bei gebundenen Mitar- beiteraktien - mittels einer Diskontierung berücksichtigt, zu einem Satz von 4 %. Die Beschwerdeführer verlangen demgegenüber einen Satz von 10 %. 2000 Kantonales Steuerrecht 137 bb) Durch ein Vorkaufsrecht räumt der Eigentümer eines Grundstücks einer anderen Person das Recht ein, bei einem allfälli- gen Verkauf durch einseitige Willenserklärung die Übertragung des Grundstücks zu Eigentum zu beanspruchen (vgl. Tuor/Schny- der/Schmid, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl., Zürich 1995, S. 714). Beim sog. limitierten Vorkaufsrecht kann der Berech- tigte die Eigentumsübertragung zu einem im Voraus bestimmten Preis verlangen. Ein Vorkaufsrecht bedeutet an sich keine Verfü- gungsbeschränkung. Doch kann der Eigentümer beim limitierten Vorkaufsrecht nicht damit rechnen, innert der Vorkaufsfrist einen höheren Erlös als das festgesetzte Preislimit zu erreichen; zu einem allfällig höheren Verkehrswert kann er nur verkaufen, wenn der Vorkaufsberechtigte auf die Geltendmachung seines Rechts verzich- tet. Dass dies eine gewisse Wertminderung darstellt, lässt sich nicht bestreiten. Sie ist bei der Besteuerung zu berücksichtigen, geht es doch um die Aufrechnung von tatsächlich erhaltenem Einkommen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass nach Ansicht des Verwaltungsgerichts die Statuierung des limitierten Vorkaufs- rechts beim gegebenen Sachverhalt durchaus dafür spricht (entgegen der Argumentation in der Beschwerde, S. 13), dass die Vertragspar- teien den Kaufpreis als Vorzugspreis betrachteten, den die Z. AG nur gewähren wollte, wenn die Wohnung den Beschwerdeführern selber zum Wohnen diente. Dass der Verkäufer beim Verkauf zu Marktprei- sen wegen des möglichen zukünftigen Gewinnpotentials ein limi- tiertes Vorkaufsrecht verlangt, wäre absolut unüblich. cc) Bei der Schätzung der Wertminderung kann nicht unbe- achtet bleiben, dass das Vorkaufsrecht keinerlei Auswirkungen zei- tigt, solange keine Verkaufsabsicht des Eigentümers besteht. Gerade beim selbstbewohnten Grundeigentum, das nicht zur Gewinnerzie- lung erworben wird, sondern in erster Linie Wohnzwecken dient, wird der Vorkaufsfall häufig nicht eintreten, sondern einzig dann ak- tuell werden, wenn sich die Lebensumstände, insbesondere die Ar- beits- oder familiäre Situation, ändern und ein "Notverkauf" erfolgt. 2000 Verwaltungsgericht 138 Zudem steht nicht mit Sicherheit fest - gerade wenn zwischen dem Verkäufer und dem Vorkaufsberechtigten eine Beziehung (vorliegend eine geschäftliche) besteht -, ob der Vorkaufsberechtigte diesfalls sein Recht auch wirklich ausüben würde. Dies ist bei der Frage, wie gross die Wertminderung durch das Vorkaufsrecht ist, einzubeziehen. Die Beschwerdeführer berufen sich auf eine Analogie mit der steuerlichen Behandlung von Mitarbeiteraktien. Aktien dienen der Geldanlage; um daraus Gewinn zu schlagen, aber auch um Verluste abwenden zu können, ist es wegen der kurzfristigen Kursveränderun- gen an der Börse erforderlich, mittels Verkäufen schnell reagieren zu können. Eine Veräusserungssperre wirkt sich deshalb viel direkter aus als ein limitiertes Vorkaufsrecht beim Grundeigentum. Bei ge- bundenen Mitarbeiteraktien wird der Veräusserungssperre durch eine Diskontierung des Verkehrswerts Rechnung getragen, mit einem Dis- kontierungssatz von 10 % pro Jahr der Bindung (vgl. dazu ASA 65/1996-97, S. 741). Eine Übertragung dieser Berechnungsmethode auf den vorliegenden Fall ist mangels Vergleichbarkeit nicht sachge- recht. Im konkreten Fall erscheint es angemessen, unter Berücksich- tigung, dass die Liegenschaft selber bewohnt wird und dass nicht auszuschliessen ist, dass die Z. AG bei einem Notverkauf aufgrund der Arbeitsbeziehung auf die Ausübung des Vorkaufsrechts verzich- ten könnte, für das auf 10 Jahre eingeräumte limitierte Vorkaufsrecht einen Abzug von 5 % vom objektiven Verkehrswert (vorne Erw. 2/b), also rund Fr. 31'000.--, vorzunehmen. 4. Die Beschwerdeführer machen geltend, die Besteuerung dürfe nicht schon jetzt erfolgen, weil ihnen bisher gar kein geld- werter Vorteil zugeflossen sei und so noch nicht realisiertes Einkom- men erfasst würde. Die geldwerte Leistung des Arbeitgebers erfolgte im Moment, in dem die Wohnung den Beschwerdeführern unter dem Verkehrswert verkauft wurde. Diese erlangten das uneingeschränkte Eigentum an der Wohnung. Die latente Gefahr, bei einem 2000 Kantonales Steuerrecht 139 (Not)Verkauf mit Geltendmachung des Vorkaufsrechts keinen Ge- winn realisieren zu können, vermag daran nichts zu ändern. 5. Insgesamt sind vom objektiven Verkehrswert Abzüge von Fr. 50'000.-- vorzunehmen, was Fr. 571'500.-- ergibt. Die Differenz zum Verkaufspreis, Fr. 21'500.-- oder Fr. 10'750.-- im Durchschnitt der Bemessungsjahre, ist als geldwerte Leistung zum steuerbaren Ein- kommen aufzurechnen.
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AG_VG_001_AGVE-2000-36_2000-11-02
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2004 Verwaltungsrechtspflege 269 [...] 67 Zustellung von Verfügungen und Entscheiden. - Erfolgt die Zustellung einer Verfügung oder eines Entscheids als Ge- richtsurkunde oder eingeschriebene Sendung, so reicht die blosse Be- streitung, die Abholungseinladung erhalten zu haben, nicht aus, um den Beweis der gültigen Zustellung zu vereiteln. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 9. Dezember 2004 in Sachen E.F. gegen Steuerrekursgericht. 2004 Verwaltungsgericht 270 Aus den Erwägungen 3. a) Die Grundsätze, nach denen eine eingeschrieben oder als Gerichtsurkunde versandte Sendung als zugestellt gilt, hat das Bun- desgericht in BGE 127 I 34 zusammengefasst. Danach gilt, wenn der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung nicht angetroffen und daher eine Abholungseinladung in seinen Briefkasten oder sein Postfach gelegt wird, die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie bei der Post abgeholt wird. Geschieht dies nicht in- nert einer Frist von 7 Tagen, so gilt die Sendung als (am letzten Tag dieser Frist) zugestellt, sofern der Adressat mit der Zustellung rech- nen musste. b) aa) Dass der Beschwerdeführer mit gerichtlichen Zustellun- gen rechnen musste, nachdem er Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben hatte, steht ausser Diskussion. bb) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe weder Ab- holeinladungen für die beiden ersten Sendungen (Einforderung eines Kostenvorschusses und Ansetzung einer letzten Frist für die Bezah- lung des Kostenvorschusses gemäss § 34 Abs. 4 VRPG, als Gerichts- urkunden zugestellt) noch die anschliessende A-Post-Sendung (mit Hinweis auf die trotz fehlender Entgegennahme gültig zugestellten Kostenvorschussverfügungen) erhalten. Wo es darum geht, dass behördliche Zustellungen beweisbar sein sollen, hat der Gesetzgeber die Zustellung gegen Empfangsbe- scheinigung (d.h. als Gerichtsurkunde oder eingeschrieben) vorgese- hen (§ 23 Abs. 2 VRPG; § 148 Abs. 3 aStG; § 92 ZPO). Es ist davon auszugehen, dass er dabei nicht nur die Beweisbarkeit aufgrund der unterschriftlichen Empfangsbestätigung im Auge hatte, sondern auch davon ausging, dass diese qualifizierte Art der postalischen Zustel- lung zuverlässig und regelmässig funktioniere. Diese Annahme wird durch die Erfahrung bestätigt. Ist die direkte Übergabe nicht mög- lich, wird eine Abholungseinladung in den Briefkasten oder ins Post- fach gelegt - ein Vorgang, bei dem nur geringe Fehlerquellen auszu- machen sind (versehentliches Unterlassen, eine Abholungseinladung auszufüllen; Einlage der Abholungseinladung in einen falschen Briefkasten bzw. ein falsches Postfach). Die Verhältnisse sind damit 2004 Verwaltungsrechtspflege 271 grundlegend anders als bei nicht eingeschriebenen Sendungen. Des- halb kann der Beweis der erfolgten Zustellung nicht durch die einfa- che Behauptung, die Abholungseinladung nicht erhalten zu haben, vereitelt werden, zumal wenn es an konkreten Hinweisen auf ausser- gewöhnliche Umstände, die zu massiven Unzulänglichkeiten der Postzustellung führten, fehlt (AGVE 1983, S. 355 ff.; ZR 98/1999, Nr. 26 und Nr. 43). Die abweichende Rechtsprechung des Zürcher Kassationsgerichts (ZR 95/1996, Nr. 1) vermag nicht zu überzeugen und würde in ihren Konsequenzen der Zustellungsvereitelung Tür und Tor öffnen. ... Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass der Beschwer- deführer die Verfügungen mit der Aufforderung zur Bezahlung des Kostenvorschusses erhalten hat. Redaktionelle Anmerkung Gegen diesen Entscheid wurde staatsrechtliche Beschwerde er- hoben.
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2002 Verwaltungsgericht 258 68 Baubewilligung und Richtplan. - Keine Bindung an den kantonalen Richtplan oder einen kommunalen Verkehrsrichtplan bei der Beurteilung von Baugesuchen (Erw. 2). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 21. August 2002 in Sachen M. gegen Baudepartement. Aus den Erwägungen 1. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, auf der Parzelle Nr. 3399 ein zweigeschossiges, mit Satteldach versehenes Einfamili- enhaus zu erstellen. Grundeigentümer sind die Eheleute M. Die Grundfläche des Hauptgebäudes beträgt 11.24 m x 8.48 m, die Firsthöhe 7.42 m und die anrechenbare Bruttogeschossfläche 191 m 2 . 2. a) Die Beschwerdeführer machen vorab - wie schon vor dem Baudepartement - geltend, der kantonale Richtplan sehe im Bereich des Niveauübergangs Kantonsstrasse K 275 / SBB-Linie eine Unter- führung vor. Die Realisierung dieser Absicht werde es nach sich ziehen, dass die Zelglistrasse umgelegt werden müsse. Die einzig vernünftige Umlegung könnte dabei nur entlang der Zonengrenze westlich der Parzelle Nr. 33 der Beschwerdeführer erfolgen, was aber voraussetze, dass die Parzelle Nr. 3399 von Bauten freibleibe. Werde dieses Grundstück dagegen überbaut, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass die Umlegung der Zelglistrasse mitten durch das Landwirtschaftsland der Beschwerdeführer erfolgen müsste, und dies akzeptierten sie nicht. Nachdem in Bezug auf die Sanierung des Niveauübergangs planerischer Handlungsbedarf bestehe, sei auch die Zelglistrasse in die Planung einzubeziehen. Zur Zeit seien die Gebiete "Zelgli", "Geeren" und "Buechrai" planerisch und rechtlich nicht erschlossen. Bevor weitere Baubewilligungen erteilt würden, müsse das Sondernutzungsplanungsverfahren "Zelgli" durchgeführt werden. Das Baudepartement führt zu dieser Argumentation an, die Ni- veauübergangssanierung der Kantonsstrasse K 275 in Würenlos sei im behördenverbindlichen kantonalen Richtplan als "Vororientie- 2002 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 259 rung" aufgenommen. "Vororientierungen" zeigten, welche raumwirk- samen Tätigkeiten sich noch nicht in dem für die Abstimmung erfor- derlichen Mass umschreiben liessen, aber erhebliche Auswirkungen auf die Nutzung des Bodens haben könnten; sie bezweckten einzig die Information des Grossen Rats. Es sei also nicht ausdrücklich festgelegt, dass die Sanierung am bestehenden Standort zu erfolgen habe. Im Übrigen blieben bei einer Realisierung der Bauvorhaben die Variante "Westumfahrung" und auch eine Spange in die Florastrasse - wenn auch anerkanntermassen mit Nachteilen für die Beschwerde- führer - grundsätzlich möglich. Derzeit bestehe keine Pflicht, ein Sondernutzungsplanungsverfahren durchzuführen. Auch die Voraus- setzungen für eine Planungszone oder eine Bausperre seien nicht gegeben. Schliesslich schreibe auch der kommunale Verkehrsricht- plan keine Unterführung vor und verpflichte den Gemeinderat in kei- ner Weise, im Baubewilligungsverfahren eine mögliche Unterfüh- rung der Kantonsstrasse zu berücksichtigen. Der Gemeinderat seiner- seits weist darauf hin, dass es sich bei den durch die Zelglistrasse erschlossenen Quartieren des südlichen "Zelgli" und der "Geeren" um fast vollständig überbaute Gebiete handle, weshalb keine Son- dernutzungsplanungspflicht bestehe. Das Gebiet "Buechrai" sei kein Baugebiet im Sinne der Raumplanungsgesetzgebung. Was die Ni- veauübergangssanierung anbelange, stelle sich die Gemeinde dage- gen und favorisiere die in die kommunale Verkehrsrichtplanung auf- genommene Variante Westumfahrung. Wenn die erwähnte Sanierung dereinst realisiert werden sollte, wären verschiedene neue Erschlies- sungsvarianten denkbar, sei es durch den Ausbau des Narzissenwegs, sei es über eine neu zu erstellende Spange zwischen Flora- und Zel- glistrasse (über die Parzelle Nr. 3399) oder sei es aus Richtung Süden via Bahnübergang zur Kreuzung Zelglistrasse / Haselstrasse. Die bestehende Richtplanung sei jedenfalls zu unbestimmt, als dass die umstrittenen Bauvorhaben mit einer Planungssicherungsmassnahme belegt werden dürften; ohnehin könnten solche nur mit Rücksicht auf die Vorbereitung oder Revision von Nutzungsplänen verfügt werden. b) Die Verweigerung einer Baubewilligung kommt einem Bau- verbot gleich, und ein solches wiederum stellt eine öffentlich-rechtli- che Eigentumsbeschränkung dar. Dafür ist in erster Linie eine ge- 2002 Verwaltungsgericht 260 setzliche Grundlage erforderlich (Art. 36 Abs. 1 BV; BGE 125 II 141; siehe auch AGVE 2000, S. 247). Richtig ist, dass sich in der vom Grossen Rat am 17. Dezember 1996 beschlossenen kantonalen Richtplanung dort, wo sich die Kantonsstrasse K 275 und die SBB-Linie Wettingen-Regensdorf kreuzen, im Sinne einer "Vororientierung" die Signatur einer Ni- veauübergangssanierung findet (Richtplan-Gesamtkarte 1:50'000; Richtplantext, S. 57 Ziff. 5.1 Nr. 70). Eine gesetzliche Grundlage für Eigentumsbeschränkungen stellt nun aber der Richtplan darum nicht dar, weil er ausschliesslich behörden- und nicht auch grundeigentü- merverbindlich ist. Die Baubewilligungsbehörden sind deshalb bei der Beurteilung von Baugesuchen nicht an ihn gebunden (Art. 9 Abs. 1 RPG; Richtplantext, S. 9 f. Ziff. 3.1.1 und 3.1.3). Bei dieser rechtlichen Ausgangslage ist gar nicht mehr wesentlich, was für ein Stellenwert der Abstimmungskategorie der "Vororientierung" zu- kommt. Dieselben beschränkten Wirkungen wie der kantonale Richt- plan entfaltet sodann der - von der Gemeindeversammlung am 1. Dezember 1995 zustimmend zur Kenntnis genommene - Verkehrs- richtplan der Gemeinde Würenlos. Dieser zeigt im Übrigen auf, dass auf Gemeindestufe eine andere Projektidee zur Entflechtung zwi- schen Schiene und Strasse besteht, nämlich eine Westumfahrung mit SBB-Überführung; in der Zwischenzeit ist man auch auf Stufe Kan- ton zur Ansicht gelangt, dass diese Variante wegen des besseren Kosten- und Nutzenverhältnisses zu favorisieren ist. Schliesslich fehlen auch die Grundlagen für eine Plansicherungsmassnahme, d.h. eine Planungszone (§ 29 BauG) oder eine Bausperre (§ 30 BauG); diese setzen nämlich die Vorbereitung des Erlasses oder der Ände- rung von Nutzungsplänen und -vorschriften voraus, und dies ist im vorliegenden Fall nicht beabsichtigt.
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2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 135 [...] 20 Immissionen - Lärmermittlung bzw. -beurteilung einer Sportanlage - Massgeblichkeit der Vollzugshilfe des BAFU für die Beurteilung der Lärmbelastung von Sportanlagen Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Juni 2012 in Sachen A. und B. gegen Departement BVU sowie Stadtrat C. (WBE.2011.127). Aus den Erwägungen 3. 3.1. Die Aussenanlage Angelrain stellt eine ortsfeste Anlage im Sinne von Art. 7 Abs. 7 USG und Art. 2 Abs. 1 LSV dar, bei deren Betrieb Lärmemissionen verursacht werden. Gemäss dem vorinstanzlichen Entscheid wurde die Schulanlage anfangs des letzten Jahrhunderts gebaut. Die Spielwiese bestehe in unveränderter Form seit rund 80 Jahren. Der ehemalige, nördlich der alten Turnhalle Angelrain liegende Pausen- und Turnplatz sei beim Neubau der Dreifachturnhalle Angelrain aufgehoben und durch einen neuen grossräumigen Pausenplatz ersetzt worden. Dabei sei auch das (östlich zu diesem Platz liegende) nach C.-Stadt führende Seetal- bahngleis entfernt und an seiner Stelle seien der Härteplatz, die Lauf- bahnanlage und die zwei Basketballplätze realisiert worden. Die Baubewilligung für den Neubau der Dreifachturnhalle Angelrain und die Umgestaltung des Pausenplatzes und der Aussensportanlagen habe der Stadtrat am 17. Januar 2007 erteilt, also nach dem Inkraft- treten des Umweltschutzgesetzes am 1. Januar 1985. Unter diesen Umständen sei von einer neubauähnlichen Umgestaltung der alt- rechtlichen Aussensportanlagen auszugehen, die gemäss bundesge- richtlicher Rechtsprechung der Errichtung einer Neuanlage gleichge- 2012 Verwaltungsgericht 136 stellt sei. Das Verwaltungsgericht teilt diese Auffassung. Die Aussen- sportanlagen wurden zusammen mit der Dreifachturnhalle und dem neuen Pausenplatz vollkommen neu erstellt. Die Aussensportanlagen befinden sich zudem an neuer Lage, entlang von Veloweg / Bahnli- nie, rund 40 m westlich des früheren Turn- und Pausenplatzes. Nur schon von der Distanz her liegen die neuen Aussensportplätze we- sentlich näher bei den Wohnliegenschaften der W 7.5a. Die Sportan- lagen sind auch attraktiver und grösser als der frühere Turn- und Pausenplatz, weshalb davon auszugehen ist, dass sie vermehrt ge- nutzt werden, vor allem ausserhalb des Schulbetriebs. Zwischen früherem Turn- und Pausenplatz und der Bahnlinie lag früher aus- serdem ein dichter Gehölz- bzw. Heckenbestand, welcher zu Gunsten der neuen Anlagen weichen musste. Da ein wesentlicher umweltrelevanter Teil der Gesamtanlage, namentlich die beiden Basketballplätze, der Hartplatz und die Leicht- athletikanlagen nach Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes am 1. Januar 1985 erstellt wurden und diese neuen Anlagen deutlich näher bei den Wohnliegenschaften der W 7.5a liegen als der bishe- rige Turn- und Pausenplatz, ist von einer Neuanlage auszugehen. 3.2. 3.2.1. Für Neuanlagen gelten die Planungswerte (vgl. Art. 25 Abs. 1 USG, Art. 7 Abs. 1 lit. b LSV), soweit der Gesetzgeber solche festge- legt hat. Fehlen Belastungsgrenzwerte, so beurteilt die Vollzugs- behörde die Lärmimmissionen im Einzelfall anhand der Kriterien, die den gesetzlichen Belastungswerten (Planungs-, Immissions- und Alarmwerte) zu Grunde liegen (vgl. Art. 15, 19 und 23 USG). In Zonen mit Empfindlichkeitsstufe II entspricht den Planungswerten ein Immissionsniveau, bei dem nach richterlicher Beurteilung höchs- tens geringfügige Störungen auftreten dürfen (BGE 126 II 368 ff. mit Hinweisen; 123 II 335; URP 2002, S. 105). 3.2.2. Nach der bundesgerichtlichen Praxis müssen die zu erwarten- den Immissionen grundsätzlich schon im Baubewilligungsverfahren ermittelt werden. Es widerspricht dem Grundsatz der Vorsorge nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 25 USG, die Abklärungen über die Einwir- 2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 137 kungen der Anlage und den Erlass von Massnahmen zur Begrenzung der Lärmemissionen auf einen Zeitpunkt nach der Erstellung bzw. der Inbetriebnahme der Anlage zu verschieben (Urteil des Bundesge- richts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4 = URP 2011, S. 142; Urteil des Bundesgerichts vom 5. Dezember 2008 [1C_169/2008], Erw. 5.1; Urteil des Bundesgerichts vom 2. Septem- ber 2002 [1A.58.2002], Erw. 2.3 mit Hinweisen = URP 2002, S. 688). Die Baubewilligung darf nur erteilt werden, wenn die An- lage die massgeblichen Belastungswerte in der Umgebung voraus- sichtlich einhalten wird. Unter Umständen müssen hierfür emissi- onsmindernde Massnahmen angeordnet werden. Dies schliesst späte- re Kontrollmessungen nach Inbetriebnahme der Anlage und die nachträgliche Anordnung weiterer emissionsmindernder Massnah- men bei einer festgestellten Überschreitung der Planungswerte nicht aus. Solche Massnahmen dürfen und müssen gegebenenfalls in der Baubewilligung vorbehalten werden, vermögen aber die gebotene Prüfung im Baubewilligungsverfahren nicht zu ersetzen (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4 = URP 2011, S. 142 ; Urteil des Bundesgerichts vom 5. Dezember 2009 [1C_169/2008], Erw. 5.1; Urteil des Bundesgerichts vom 5. Dezember 2008 [1C_169/2008], Erw. 5.1, Urteil des Bundesge- richts vom 2. September 2002 [1A.58/2002], Erw. 2.3 = URP 2002, S. 685). Besteht Grund zur Annahme, dass die Belastungsgrenzwerte überschritten werden könnten (Art. 36 Abs. 1 LSV), so ist die Be- hörde zur Durchführung eines Beweis- und Ermittlungsverfahrens nach den Art. 36 ff. LSV und den Anhängen 2-7 LSV verpflichtet (BGE 115 Ib 451; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.1 = URP 2011, S. 142; Urteil des Bundes- gerichts vom 2. September 2002 [1A.58/2002], Erw. 2.4 = URP 2002, S. 688). An die Wahrscheinlichkeit einer solchen Über- schreitung sind keine hohen Anforderungen zu stellen, d. h. es ge- nügt, wenn eine solche beim aktuellen Kenntnisstand nicht ausge- schlossen werden kann (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.1 = URP 2011, S. 142; Urteil des 2012 Verwaltungsgericht 138 Bundesgerichts vom 2. September 2002 [1A.58/2002], Erw. 2.4 = URP 2002, S. 688). 3.3. 3.3.1. Es ist unbestritten, dass der Stadtrat im Rahmen des Baube- willigungsverfahrens keine Lärmermittlung (Art. 36 ff. LSV) vorge- nommen hat. Nach Angaben des Stadtrats habe er keinen Grund zur Annahme gehabt, dass die massgebenden Grenzwerte überschritten seien oder ihre Überschreitung zu erwarten sei. Die Schulanlage mit Aussenanlage werde seit über 80 Jahren benutzt und habe noch nie zu Klagen Anlass gegeben. Andererseits seien mit der neuen Aussen- anlage verschiedene Nutzungen (Streethockey, Beschallung, zweites Bahntrassée, Abenteuerspielplatz) nicht mehr vorhanden. Es bestün- den keinerlei Hinweise, dass die massgebenden Belastungsgrenzwer- te überschritten seien. Die Vorinstanz trat auf die Rüge der Ermittlungspflicht nach Art. 36 LSV nicht ein. Dies hätte im Baubewilligungsverfahren vor- gebracht werden können, welches jedoch rechtskräftig abgeschlossen sei. Ausserdem seien bis zur Erteilung der Baubewilligung keine nachbarlichen Reklamationen wegen Lärm aus den (ehemaligen) Aussenanlagen Angelrain eingegangen, weshalb der Stadtrat keinen Grund für eine solche Annahme gehabt habe. Festzuhalten sei aber, dass die Rechtskraft der Baubewilligung der Anordnung von Mass- nahmen zur Begrenzung der Lärmemissionen (Reduktion Betriebs- zeiten) nicht entgegenstehe. In ihrer Beschwerdeantwort bringt die Vorinstanz vor, die Frage, ob Grund zur Annahme bestehe, dass die Belastungsgrenzwerte überschritten würden (vgl. Art. 36 LSV), ver- lange eine vorweggenommene Würdigung der Lärmsituation. Stün- den genügend Erfahrungswerte zur Verfügung, dürfe auf Messungen verzichtet werden. Zu den Aussenlärmimmissionen von Schulsport anlagen bestehe eine umfangreiche richterliche Praxis. Die Grösse der strittigen Aussenanlagen entspreche den üblichen Dimensionen durchschnittlicher Schulaussenanlagen. Auch seien die Dimensionen der alten und neuen Aussenanlagen Angelrain durchaus vergleichbar. Die Lärmimmissionen der neuen Aussenanlagen seien mit jenen vor der Realisierung der Dreifachturnhalle, des neugestalteten Pausen- 2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 139 und Turnplatzes und der neuen Aussenanlagen vergleichbar. Der Stadtrat habe keinen Anlass gehabt, Ermittlungen im Sinne von Art. 36 LSV anzuordnen. Dass die neuen Aussensportanlagen etwas näher bei der Liegenschaft der Beschwerdeführer lägen als der ehemalige Pausen- und Turnplatz, vermöge an dieser Einschätzung nichts zu ändern. 3.3.2. Die Vorinstanz weist im angefochtenen Entscheid zwar zu- treffend darauf hin, dass die Baubewilligung vom 17. Januar 2007 rechtskräftig sei. Gleichermassen steht jedoch fest, dass der Stadtrat die Lärmsituation im Baubewilligungsverfahren nicht ermittelt (Art. 36 ff. LSV) hat. Die Frage, ob Grund zur Annahme besteht, dass die Belastungsgrenzwerte überschritten werden (Art. 36 Abs. 1 LSV), verlangt eine vorweggenommene Würdigung der Lärmsitua- tion. Der Stadtrat hätte also beurteilen müssen, ob die zu erwartenden Aussenlärmimmissionen der Neuanlage die Planungswerte in der Umgebung überschreiten können. Dass der frühere, an anderer Stelle gelegene und kleiner dimensionierte Turn- und Pausenplatz zu keinen Klagen Anlass gegeben hatte, ist bei dieser Würdigung nicht entscheidend. Die neuen Aussensportanlagen liegen entlang dem Veloweg und der Bahnlinie, umfassen zwei Basketballplätze (je ca. 15 m x 32 m), einen weiteren Hartplatz für Handball, Fussball etc. (ca. 22 m x 44 m), eine Laufbahnanlage (drei 80 m Bahnen) sowie Anlagen für Weit- und Hochsprung. Die Sportanlagen weisen zur Parzelle Nr. (...) der Beschwerdeführer eine Distanz von rund 15 m bzw. zum Wohnhaus eine solche von ca. 45 m auf. Weitere Wohnliegenschaften liegen ähnlich nahe bzw. noch näher bei den Aussensportanlagen, auf der andern Seite der Bahnlinie. Schon auf- grund der relativ geringen Distanz der Sportanlagen zu den Wohnlie- genschaften sowie dem Umstand, dass die Anlagen in erster Linie dem Ballsport (Aufprallgeräusche) dienen, kann nicht ausgeschlos- sen werden, dass die Aussenimmissionen die Planungswerte in der Umgebung (höchstens geringfügige Störungen) überschreiten. Demzufolge wäre bereits im Baubewilligungsverfahren geboten gewesen, ein Beweis- und Ermittlungsverfahren nach Art. 36 ff. LSV durchzuführen. 2012 Verwaltungsgericht 140 Der von den Beschwerdeführern beim Stadtrat im Mai 2009 be- anstandete Lärm bezog sich auf Immissionen an Sonn- und Feierta- gen sowie abends / nachts, wie Werfen der Bälle gegen den Korb, gegen das hinter dem Korb befestigte Brett und gegen die Einzäu- nung, aber auch allgemeinen Lärm, insbesondere beim gleichzeitigen Spiel mehrerer Mannschaften. Im Juli 2010 beklagten sich ver- schiedene weitere Anwohner wegen störender Lärmimmissionen (ausgehend von der neuen Schulsport-Aussenanlage) ausserhalb der Schulzeiten, insbesondere abends sowie an Sonn- und allgemeinen Feiertagen; die vom Stadtrat vorgesehenen Betriebszeiten seien ab- solut nicht anwohnergerecht. Auch wenn die Eingabe vom Juli 2010 wohl von den Beschwerdeführern initiiert wurde, teilen die unter- zeichnenden Anwohner deren Auffassung offensichtlich. Die Ein- gabe bestätigt jedenfalls, dass durch die Neuanlage eine Über- schreitung der Planungswerte - auch bei aktuellem Kenntnisstand - jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Die Vorinstanz macht in ihrer Beschwerdeantwort zur Frage ei- nes Beweis- und Ermittlungsverfahrens (Art. 36 ff. LSV) geltend, es bestehe eine umfangreiche richterliche Praxis zu Aussenlärm- immissionen und auf Messungen könne verzichtet werden, wenn genügend Erfahrungswerte (Aussagen einer repräsentativen Zahl der vom Lärm betroffenen Personen über die Störwirkung; Ergebnisse früherer Untersuchungen über andere, vergleichbare Anlagen) zur Verfügung stünden. Dieser Einwand hilft vorliegend von vornherein nicht weiter: Von den Aussenlärmimmissionen fühlen sich auch di- verse andere Anwohner gestört (siehe oben). Zudem hat die Vorin- stanz die konkrete Lärmsituation und auch die Verhältnisse vor Ort nicht abgeklärt (z. B. Augen- bzw. "Ohren"-schein). Dies ganz im Gegensatz zu den Vergleichsfällen, die sie bei der Beurteilung heran- gezogen hat: Sowohl in Olsberg (AGVE 2005, S. 170 ff.) als auch in Stetten (VGE III/25 vom 10. Juni 2008 [WBE.2005.368]) waren vor der Beurteilung die entsprechenden Abklärungen vorgenommen worden. Ausserdem ergingen die Entscheide noch vor Publikation des Entwurfs der Vollzugshilfe des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) (Entwurf Mai 2010) (siehe unten Erw. 3.4.). 2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 141 3.3.3. Zusammenfassend besteht im Sinne von Art. 36 Abs. 1 LSV Grund zur Annahme, dass die massgeblichen Belastungswerte über- schritten werden (können). Wie erwähnt hat die Neuanlage die Pla- nungswerte nicht nur zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilli- gung einzuhalten, sondern auch nach deren Inbetriebnahme (vgl. Erw. 3.2.2.). Da die Aussenlärmimmissionen bisher nicht ermittelt wurden, gilt es dies nachzuholen. Die Ermittlung der Lärmbelastung bildet Grundlage für die Lärmbeurteilung. 3.4. Die Vollzugsbehörde hat die ermittelten Aussenlärmimmissio- nen ortsfester Anlagen anhand der Belastungsgrenzwerte nach den Anhängen 3 ff. LSV zu beurteilen (Art. 40 Abs. 1 LSV). Hierfür müssen die Lärmimmissionen als Beurteilungspegel Lr oder als Maximalpegel Lmax anhand von Berechnungen oder Messungen ermittelt werden (Art. 38 Abs. 1 LSV). Zum Ort der Ermittlung äussert sich Art. 39 LSV. Die LSV enthält jedoch nicht für alle Lärmarten Belastungs- grenzwerte. Solche fehlen insbesondere für sogenannten "untechni- schen" Alltagslärm, wie er Sportanlagen immanent ist. Fehlen Be- lastungswerte, so beurteilt die Vollzugsbehörde die Lärmimmissio- nen nach Art. 15 USG, unter Berücksichtigung auch der Art. 19 und 23 USG (Art. 40 Abs. 3 LSV; BGE 133 II 296; 126 II 307; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.2 = URP 2011, S. 142 f.). Im Rahmen dieser Einzelfallbeurteilung ist der Charakter des Lärms, der Zeitpunkt der Lärmimmissionen, die Häufigkeit des Lärms, die Lärmempfindlichkeit und die Lärmvor- belastung der Zone zu berücksichtigen (BGE 133 II 297 mit Hin- weisen; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.2 = URP 2011, S. 143; vgl. auch Urs Walker, Umweltrechtliche Beurteilung von Alltags- und Freizeitlärm, URP 2009, S. 82 f.). Dabei ist nicht auf das subjektive Lärm- empfinden einzelner Personen abzustellen, sondern eine objektivierte Betrachtung unter Berücksichtigung von Personen mit erhöhter 2012 Verwaltungsgericht 142 Empfindlichkeit (Art. 13 Abs. 2 USG) vorzunehmen (BGE 133 II 297 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1). Unter Umständen können fachlich genügend abgestützte aus- ländische bzw. private Richtlinien eine Entscheidungshilfe bieten, sofern die Kriterien, auf welchen diese Unterlagen beruhen, mit denjenigen des schweizerischen Lärmschutzrechts vereinbar sind. Das Bundesgericht setzte sich mit dieser Problematik im Fall einer Sportanlage in Würenlos eingehend auseinander und gelangte zum Schluss, dass sich für die Beurteilung von Sportlärm insbesondere die deutsche Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 18. Juli 1991 [18. BlmSchV]) anbiete, deren Regelungen diejenigen des deutschen Bundesimmissionsschutzgesetzes ergänzten und den besonderen Charakteristiken von Sportgeräuschen speziell Rechnung trügen (BGE 133 II 297; Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.3 = URP 2011, S. 143). Das BAFU setzte im Fall "Würenlos" die 18. BlmSchV mit dem schweizerischen System der LSV in einen rechtlich relevanten Be- zug, was das Bundesgericht - wenn auch unter gewissen Vorbehalten hinsichtlich Richtwerten und der Beurteilung von Altanlagen - als praktikabel erachtete (BGE 133 II 301 ff.; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.3 = URP 2011, S. 143). Im Entscheid 1C_169/2008 vom 5. Dezember 2008 (Erw. 3.4 und 3.5; URP 2009, S. 127 ff.) schützte das Bundesgericht aber auch das Vorgehen des Aargauer Verwaltungsgerichts, welches zunächst ausschliesslich auf das deutsche Recht abgestellt hatte, um die Resultate in einer zweiten Phase nach schweizerischem Recht zu würdigen (Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.3 = URP 2011, S. 143; zum Urteil des Aargauischen Verwaltungsgerichts vgl. auch AGVE 2008, S. 109 ff.). Das Bundesgericht erachtete dieses Vorgehen nicht als bundes- rechtswidrig, auch wenn die Variante des BAFU den Vorteil habe, dass im Voraus festgelegt werde, wie die Unterschiede zwischen der 2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 143 18. BlmSchV und dem schweizerischen Recht behandelt werden sollen. Das Bundesgericht hielt im zitierten Entscheid fest, dass kein Raum für eine 1:1 Anwendung von deutschem und schweizerischem Recht bestehe; massgeblich sei vielmehr ausschliesslich das schweizerische Lärmschutzrecht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 5. Dezember 2008 [1C_169/2008], Erw. 3.5; Urteil des Bundes- gerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.3 = URP 2011, S. 143 f.). Gestützt auf diese Rechtsprechung hat das BAFU im Mai 2010 den Entwurf einer Vollzugshilfe zur Beurteilung des Lärms von Sportanlagen publiziert. Diese Vollzugshilfe soll zu einem einheitli- chen Vollzug bei der Ermittlung und Beurteilung der Lärmbelastung von Sportanlagen beitragen. Sie konkretisiert im Sinne einer Einzel- fallbeurteilung nach Art. 40 Abs. 3 LSV unter Beizug der 18. BlmSchV die Methodik zur Lärmermittlung und ermöglicht eine Beurteilung anhand von Belastungsrichtwerten. Die Vollzugshilfe definiert Sportanlagen als ortsfeste Anlagen, die zur Sportausübung bestimmt sind. Als Beispiele werden Polysportanlagen, Fussball- plätze, Volleyballfelder, Schulsportanlagen oder Tennisplätze ge- nannt (Urteil des Bundesgerichts vom 27. Juli 2011 [1C_34/2011], Erw. 2.1; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.4 = URP 2011, S. 144). 3.5. Bei der zu beurteilenden Gesamtanlage stehen die Lärm- immissionen der Aussensportanlagen klar im Vordergrund, insbeson- dere diejenigen der beiden Basketballplätze und des weiteren Hart- platzes (Fussball, Handball etc.). Dass die Leichtathletikeinrichtun- gen und im entfernteren der neue Pausenplatz, die Dreifachturnhalle (allfälliger Parkierlärm im Zusammenhang mit deren Benutzung) und die Spielwiese ebenfalls Aussenlärmimmissionen erzeugen, die bei der Lärmermittlung von Bedeutung sind, erscheint zwar fraglich, wird jedoch abzuklären sein. Im Zentrum auch der nachbarlichen Reaktionen steht jedenfalls der Lärm der neu erstellten Aussensport- anlagen. Wie dargelegt kann eine Störung der Anwohner, insbesondere in den Erholungszeiten, nicht von vornherein ausgeschlossen werden. 2012 Verwaltungsgericht 144 Zu den konkreten Lärmverhältnissen wurden bisher keine Abklärun- gen vorgenommen. Nach der neuen bundesgerichtlichen Recht- sprechung können die deutsche Sportanlagenlärmschutzverordnung oder die darauf beruhende Vollzugshilfe des BAFU für die Beurtei- lung der Lärmbelastung von Sportanlagen (Entwurf Mai 2010) als Empfehlungen bzw. Entscheidhilfen beigezogen werden (Erw. 3.4.). Die EMPA hat im Auftrag des BAFU zur Vollzugshilfe typische Fallbeispiele zusammengestellt und dabei drei repräsentative Anlage- typen unterschieden: Kleine, mittlere und grosse Anlagen (Vollzugs- hilfe des BAFU [Entwurf Mai 2010], Fallbeispiele der EMPA, S. 3 ff). In einem Beurteilungsfall eines Allwetterplatzes (des Schul- hauses Moosmatt, Luzern) erachteten das BAFU und das Bundes- gericht die Vollzugshilfe des BAFU (Entwurf Mai 2010) als anwend- bar. Die Vollzugshilfe des BAFU (Entwurf Mai 2010) ermögliche eine angemessene Beurteilung des von dieser kleinen Sportanlage ausgehenden Lärms (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.5. in fine = URP 2011, S. 145). Im vorliegenden Fall erscheint es ebenfalls geboten, die Voll- zugshilfe des BAFU (Entwurf Mai 2010) anzuwenden: Die neuen Aussensportplätze der Schulanlage Angelrain werden für den Schul- sport genutzt; insofern handelt es sich um eine Schulsportanlage. Zwar ist die Anlage relativ klein, ohne Flutlicht-, ohne (fixe) Laut- sprecheranlage und ohne Zuschauerraum. In welchem Ausmass auf der Anlage Trainings- oder Wettkampfbetrieb stattfindet bzw. statt- finden soll, ist gestützt auf die Akten unklar und wird im Rahmen der Lärmermittlung und -beurteilung noch abzuklären sein. Die Sportanlagen können ausserhalb der Schulzeit auch frei benutzt wer- den. Dieser Besonderheit kann bei der Anwendung der Vollzugshilfe des BAFU jedoch Rechnung getragen werden. So empfiehlt die EMPA in ihren, der Vollzugshilfe beiliegenden Beispielen (Ziff. 3.1 S. 9), für die Schalleistungsberechnung von Flächen mit freier Be- nutzung die deutsche Richtlinie VDI 3770 Kapitel 16 (Bolzplätze) heranzuziehen. Dabei wird - ausgehend von der auf eine Einzelper- son bezogenen Geräuschemission für reines Fussballspielen - die Schallleistung in Abhängigkeit von der Anzahl der Spieler ermittelt. Bei 10 Spielern ergebe sich ein Schallleistungspegel von 90 dB (A). 2012 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 145 Dieser Wert korrespondiert nach Aussagen der EMPA gut mit den Resultaten einer Langzeitmessung eines frei zugänglichen Hartplat- zes, bei welchem ein Schallleistungspegel von 90.5 dB (A) gemessen worden sei. Da bei der Nutzung von Hartplätzen im Vergleich zum Fussballspiel mit impulshaltigeren Emissionen (Aufprallgeräusche von Bällen) zu rechnen sei, werde diesen Nutzungen ein expliziter Zuschlag KI/T von 3 dB gegeben (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Januar 2011 [1C_278/2010], Erw. 4.4.5 = URP 2011, S. 144 f.; Vollzugshilfe des BAFU [Entwurf Mai 2010], Fallbeispiele der EMPA, Ziff. 3.1 S. 9). Im Weiteren kann der Vollzugshilfe des BAFU (Entwurf Mai 2010) entnommen werden, dass der Schulsport in der Lärmermittlung (entgegen dem Ansinnen der Vorinstanz) nicht aus- zuklammern ist. In der Schweiz ist der Schulsport bei der Lärmer- mittlung mit zu berücksichtigen und die Frage nach zusätzlichen Lärmschutzmassnahmen ist im Rahmen der Interessenabwägung zur Gewährung von allfälligen Erleichterungen zu beantworten (Voll- zugshilfe des BAFU [Entwurf Mai 2010], S. 9). Im konkreten Fall wird die Lärmermittlung und -beurteilung gestützt auf Messungen oder Berechnungen von Immissions-Schall- pegeln zu erfolgen haben. Dabei werden die betrieblichen Bedürf- nisse der Anlage - insbesondere die Auslastung und Bespielung der Aussensportplätze - detailliert abzuklären und festzuhalten sein (wie Schulsport, Vereinsnutzung, freie Nutzung, Wettkämpfe, öffentliche Anlässe). Es wird zu prüfen sein, ob dieser (Modell-) Betrieb der An- lage zu übermässigen Lärmbelastungen in der Umgebung führt. Hält das Benutzungsregime bzw. -modell die massgeblichen Belastungs- werte ein (zum Grenzwertschema vgl. Vollzugshilfe des BAFU [Ent- wurf Mai 2010], Fallbeispiele der EMPA, Ziff. 5.1 S. 14), ist dieser Betrieb im Benutzungsreglement verbindlich zu erklären. Werden die Belastungswerte nicht eingehalten, müssten die Emissionen der An- lage vermindert werden, beispielsweise durch die Anordnung ein- schränkenderer Betriebszeiten und Nutzungseinschränkungen.
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 256 [...] 42 Private Sicherheitsdienste; Legalitätsprinzip - Zur Kontrolle öffentlicher Verkehrsanordnungen und Verkehrsbe- schränkungen bedarf ein Sicherheitsdienstleistungsunternehmen der Bewilligung nach § 57 Abs. 1 lit. d des Polizeigesetzes; der Beizug durch die Gemeinde erfordert die Zustimmung des DVI (§ 20 Abs. 3 Polizeigesetz). - Die gewerbsmässige Parkplatzkontrolle von privaten Parkflächen mit gerichtlichem Verbot ist kein bewilligungspflichtiger privater Si- cherheitsdienst. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. November 2013 in Sa- chen A., B. und Wettbewerbskommission gegen DVI (WBE.2013.251/304). Aus den Erwägungen 2.4. 2.4.1. Das Polizeigesetz regelt im 3. Abschnitt die privaten Sicher- heitsdienste. Nach § 57 Abs. 1 lit. c PolG untersteht u.a. die gewerbs- mässig ausgeübte Bewachung von Grundstücken durch private Si- cherheitsdienste der Bewilligungspflicht. Die Bewilligung ist für Selbständigerwerbende, Personengesellschaften und juristische Per- sonen erforderlich (§ 57 Abs. 2 PolG) und wird vom DVI erteilt (Abs. 4). Die Anstellung von Arbeitnehmern unterliegt einer Melde- pflicht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für die Bewilligung, die Zuständigkeit und die Modalitäten der Ausführung von Sicherheits- diensten regeln Abs. 3 und 4 von § 57 PolG. Das DVI als sachzu- ständiges Departement entscheidet auch über die Anerkennung aus- serkantonaler Bewilligungen (§ 57 Abs. 5 PolG). Die Rüge der Beschwerdeführer 1 und 2 der fehlenden Zustän- digkeit des DVI ist unbegründet. Innerhalb des zuständigen Depar- tements kann jede Verwaltungseinheit ein Sachgeschäft bearbeiten, 2013 Polizeirecht 257 sofern in einem (materiellen) Gesetz keine bestimmte Abteilung oder Verwaltungsstelle für zuständig erklärt wird. 2.4.2. Die Bewilligungspflicht der privaten Sicherheitsdienste berührt eine privatwirtschaftliche Tätigkeit. Sie beschränkt den Zugang der Beschwerdeführer 1 und 2 zur wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit im Kanton Aargau. Das Bewilligungserfordernis erschwert die Ge- schäftsausübung und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar (Art. 27 BV und § 20 KV; R EGINA K IENER / W ALTER K ÄLIN , Grundrechte, 2. Aufl., Bern 2013, S. 363 f. mit Hin- weisen; B EATRICE W EBER -D ÜRLER , Grundrechtseingriffe, in: Die neue Bundesverfassung, Berner Tage für die juristische Praxis 1999, Bern 2000, S. 150 f.). Die Wirtschaftsfreiheit gilt nicht schrankenlos, sondern sie kann, sofern es sich um Massnahmen handelt, die sich nicht gegen den Wettbewerb richten (Art. 94 Abs. 4 BV), gestützt auf Art. 36 BV eingeschränkt werden (BGE 128 I 92, Erw. 2a). Ein Bewilligungserfordernis für die gewerbsmässige Tätigkeit der Beschwerdeführer 1 und 2 muss im Gesetz selbst vorgesehen sein (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 BV). Zudem werden aufgrund der intensi- ven Betroffenheit des Schutzobjektes auch höhere Anforderungen an die Normdichte gestellt (vgl. M ARKUS S CHEFER , Die Beeinträchti- gung von Grundrechten, Bern 2006, S. 53 f.; P IERRE T SCHANNEN / U LRICH Z IMMERLI /M ARKUS M ÜLLER , Allgemeines Verwaltungs- recht, 3. Aufl., Bern 2009, S. 143). Art. 78 Abs. 1 KV verlangt, dass alle wichtigen Bestimmungen des kantonalen Rechts in der Form des Gesetzes erlassen werden. Wichtige Bestimmungen sind namentlich jene, welche aufgrund der Intensität der Regelung für die betroffenen Personen, insbesondere der Betroffenheit in Grundrechtspositionen, wesentlich sind oder finanzielle Auswirkungen für die Privaten zeiti- gen (vgl. K URT E ICHENBERGER , Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 78 Rz. 13 ff.). 2.4.3. Das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 und 36 Abs. 1 BV; § 2 VRPG) verlangt, dass die gesetzliche Grundlage eine generell-ab- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 258 strakte Struktur aufweist (Erfordernis des Rechtssatzes), dass der Rechtssatz demokratisch ausreichend legitimiert ist (Erfordernis des Gesetzes im materiellen bzw. formellen Sinn) und ausreichend be- stimmt ist (Erfordernis der genügenden Normdichte). Je gewichtiger der Grundrechtseingriff, desto höhere Anforderungen sind an die Normstufe und Normdichte zu stellen. Schwere Eingriffe benötigen eine klare und genaue Grundlage im formellen Gesetz selbst (T SCHANNEN /Z IMMERLI /M ÜLLER , a.a.O., § 19 N 2, 42; U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwal- tungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 379 ff.; AGVE 2007, 118). Beim Polizeigesetz handelt es sich um ein Gesetz im formellen Sinn (§ 78 Abs. 1 KV). Das Bewilligungserfordernis für gewerbs- mässige Bewachung von Grundstücken durch private Sicherheits- dienste ist im Gesetz selbst vorgesehen (§ 57 Abs. 1 lit. c PolG). 2.5. 2.5.1. Das Strassenverkehrsgesetz ordnet u.a. den Verkehr auf den öffentlichen Strassen (Art. 1 Abs. 1 SVG). Die Verkehrsregeln (Art. 26-57 a ) gelten für die Führer von Motorfahrzeugen und die Radfahrer auf allen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Strassen (Art. 1 Abs. 2 SVG). Strassen sind die von Motorfahrzeugen, motor- losen Fahrzeugen oder Fussgängern benützten Verkehrsflächen (Art. 1 Abs. 1 VRV). Öffentlich sind Strassen, die nicht ausschliess- lich privatem Gebrauch dienen (Art. 1 Abs. 2 VRV). Auf öffentlichen Verkehrsflächen privater Eigentümer kann die Behörde nach Anhören der Eigentümer Verkehrsanordnungen und Verkehrsbeschränkungen verfügen (Art. 113 Abs. 1 SSV). Übertre- tungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes können in ei- nem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen geahndet werden (Ordnungsbussenverfahren; vgl. Art. 1 Abs. 1 des Ordnungsbus- sengesetzes vom 24. Juni 1970 [OBG; SR 741.03] und Ordnungsbus- senverordnung vom 4. März 1996 [OBV; SR 741.031]). Nach der Systematik und Begrifflichkeit des kantonalen Poli- zeirechts ist die Überwachung und Kontrolle des ruhenden Stras- senverkehrs auf dem ganzen Gemeindegebiet Teil der lokalen Sicher- 2013 Polizeirecht 259 heit und gehört zu den Aufgaben der Gemeinden (§ 4 Abs. 2 lit. c PolG). Die kommunale Zuständigkeit in dieser verkehrspolizeilichen Aufgabe ist umfassend, insbesondere erfasst sie auch die Bearbei- tung von Übertretungen sowie Vergehen im Bereich des Strassenver- kehrsrechts (vgl. dazu § 3 Abs. 1 lit. a und § 3 Abs. 2 des Dekrets über die Gewährung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeidekret, PolD; SAR 531.210). Im Bereich verfügter Verkehrsanordnungen und Verkehrsbeschränkungen auf privatem Grund (Art. 113 Abs. 1 SSV) ist die Kontrolle deren Einhaltung daher Teil der lokalen Sicherheit und gehört zu den Aufgaben der Gemeinden. Zur Übertragung von Kontrolltätigkeiten in diesem Bereich be- darf das Sicherheitsunternehmen der Bewilligung nach § 57 Abs. 1 lit. d PolG (Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben im Auftrag des Kantons oder von Gemeinden). Der Beizug privater Sicherheits- dienste durch die Gemeinden bedarf der Zustimmung des DVI (§ 20 Abs. 3 PolG; Weisungen des DVI, Tätigkeiten der privaten Sicher- heitsdienste, Ziff. 4.4, S. 5). 2.5.2. Demgegenüber erfolgt die Kontrolle von privaten Parkflächen durch die Beschwerdeführer 1 und 2 im Hinblick auf die Einhaltung eines gerichtlichen Verbots nach Art. 258 f. ZPO und im Auftrag von privaten Liegenschaftseigentümern. Das gerichtliche Verbot ist zivil- prozessual und dient dem verstärkten Besitzesschutz. Die Beschwer- deführer 1 und 2 kontrollieren nicht die Einhaltung von im Verfahren nach Art. 107 ff. SSV verfügten Verkehrsanordnungen und Verkehrs- beschränkungen. Verkehrsregelung und Verkehrsdienste werden ebenfalls nicht betrieben (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 des Konkor- dats über private Sicherheitsdienstleistungen vom 12. November 2010, welchem der Kanton Aargau bisher nicht beigetreten ist, sowie Art. 67 Abs. 3 SSV). Es besteht auch keine Verfügungsbefugnis ge- genüber Verkehrsteilnehmern und es wird keine hoheitliche Tätigkeit wahrgenommen. Das Ordnungsbussenverfahren gelangt bei dieser Kontrolltätigkeit nicht zur Anwendung und das Einverlangen von Umtriebsentschädigungen hat keinen pönalen Charakter. Die Kon- trolltätigkeit hat daher keine sicherheitsbezogene öffentliche Funk- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 260 tion und die Einleitung eines Strafverfahrens ist davon abhängig, dass ein Strafantrag gestellt wird. Unter diesen Umständen liegt kein Sicherheitsdienst nach § 57 PolG vor.
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2018 Strassenverkehrsrecht 55 I. Strassenverkehrsrecht 4 Gewährung des rechtlichen Gehörs vor einer Annullierung des Führer- ausweises auf Probe Es stellt eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Gewährung des rechtlichen Gehörs dar, wenn der Führerausweis auf Probe annulliert wird und erst mit dieser Verfügung das rechtliche Gehör gewährt wird. Eine Heilung ist vorliegend ausgeschlossen, der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an das Strassenverkehrsamt zurückzuweisen. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 31. Januar 2018, in Sachen E. gegen das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau und das Departement Volkswirtschaft und Inneres (WBE.2017.457). Aus den Erwägungen II. 1. 1.1. In formeller Hinsicht bringt die Beschwerdeführerin vor, das Strassenverkehrsamt habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sie vor Erlass der Verfügung vom 21. April 2015 nicht angehört habe. Indem das Strassenverkehrsamt das recht- liche Gehör auf einen Zeitpunkt nach Erlass der Verfügung ver- schiebe, werde einerseits faktisch die Rechtsmittelfrist verkürzt und anderseits führe dies zu einem Instanzverlust. Eine Heilung dieses Mangels komme im Rechtsmittelverfahren nicht in Frage, da die Ver- letzung besonders schwer wiege. 1.2. Die Vorinstanz verneinte eine Verletzung des Gehörsanspruchs, wozu es auf die langjährige Praxis verwies, wonach bei Ausweisent- 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 56 zügen, die aus Gründen der Verkehrssicherheit ergehen, das recht- liche Gehör zusammen mit der Entzugsverfügung gewährt werden könne. Es verweist dazu auf das Urteil des Bundesgerichts vom 22. Oktober 2014 (1C_574/2013), auf den Entscheid des Verwal- tungsgerichts vom 12. August 2010 (WBE.2010.111) sowie auf AGVE 1997, S. 475. Aufgrund des Selbstunfalls habe das Stras- senverkehrsamt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen müssen, dass die Beschwerdeführerin innerhalb der Probezeit eine zweite Widerhandlung, die mit einem Führerausweisentzug zu ahn- den ist, zu verantworten hatte, weshalb aufgrund einer gesetzlichen Vermutung von einer fehlenden Fahreignung auszugehen und der Führerausweis zu annullieren sei. Überdies würden sowohl das DVI als auch das Verwaltungsgericht über eine umfassende Kognition verfügen. Es liege somit keine Verletzung des Gehörsanspruchs vor. 2. 2.1. 2.1.1. Aufgrund der formellen Natur des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs ist diese Rüge vorab zu beurteilen. In Art. 29 Abs. 2 BV, in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 SVG, in § 22 Abs. 1 KV sowie in § 21 Abs. 1 VRPG ist der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs statuiert. Dieser Anspruch dient der Sachaufklärung und garantiert den Verfahrensbeteiligten ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht. Sie haben insbesondere Anspruch auf Äusserung zur Sache vor Fällung des Entscheids, auf Abnahme ihrer erheb- lichen, rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweise und auf Mitwirkung an der Erhebung von Beweisen oder zumindest auf Stellungnahme zum Beweisergebnis. Voraussetzung dafür sind genü- gende Kenntnisse über den Verfahrensverlauf, was auf das Recht hin- ausläuft, in geeigneter Weise über die entscheidwesentlichen Vor- gänge und Grundlagen vorweg orientiert zu werden. Dabei geht es nicht nur um formelle Abläufe wie insbesondere die Abnahme von Beweisen, sondern auch um inhaltliche Anforderungen. Eine Aus- nahme kann nur für solche Verfahrensschritte gelten, die unaufschiebbar sind oder von der Natur her eine vorgängige Ankündigung ausschliessen, weil sie diesfalls gar nicht erfolgreich 2018 Strassenverkehrsrecht 57 sein könnten, wie dies etwa für Überwachungen oder verdeckte Er- mittlungen im Strafverfahren zutreffen kann (BGE 140 I 99, Erw. 3.4 mit Hinweisen). Bei einem Entzug des Führerausweises, der aus Gründen der Verkehrssicherheit ergeht, ist es - wie in Art. 108 Abs. 3 VZV vorge- sehen - gemäss Praxis und Lehre zulässig, dass ein vorsorglicher Entzug im Sinne von Art. 30 VZV ohne vorgängige Anhörung des Betroffenen ergeht (Urteil des Bundesgerichts vom 22. Oktober 2013 [1C_574/2013], Erw. 2.4.; AGVE 1997, S. 475; Urteil des Verwal- tungsgerichts vom 12. August 2010 [WBE.2010.111], Erw. 3.2.; CÉDRIC MIZEL, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de conduire, Bern 2015, S. 191, 643, 698 je mit Hinweisen). In diesem Fall ist das rechtliche Gehör in einem allfälligen Beschwerdeverfah- ren sowie im Verfahren bezüglich des definitiven Entzugs zu gewäh- ren (MIZEL, a.a.O., S. 191, 698). Der Verfall des Führerausweises auf Probe nach einer zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt, erfolgt aus Gründen der Verkehrssicherheit (Urteile des Bundesgerichts vom 9. September 2013 [1C_324/2013], Erw. 2.4; vom 22. Oktober 2013 [1C_574/2013], Erw. 2.3; vom 9. Februar 2015 [1C_67/2014], Erw. 2.1.; JÜRG BICKEL, in: MARCEL ALEXANDER NIGGLI/THOMAS PROBST/BERNHARD WALDMANN [Hrsg.], Basler Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, Basel 2014, Art. 15a N 46; MIZEL, a.a.O., S. 640; PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl., Zürich 2015, Art. 15a N 21), weshalb der Ausweis grundsätz- lich umgehend vorsorglich zu entziehen ist (Urteile des Bundesge- richts vom 22. Oktober 2013 [1C_574/2013], Erw. 2.3; vom 9. Februar 2015 [1C_67/2014], Erw. 2.1.; BICKEL, a.a.O., Art. 15a N 46). Dies gilt jedenfalls in Fällen, in denen die Widerhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit erstellt ist, wohingegen von einem vorsorg- lichen Entzug abgesehen werden kann, wenn nicht klar ist, ob ein be- stimmtes Verhalten eine Widerhandlung darstellt (MIZEL, a.a.O., S. 643 f.; vgl. auch Art. 35a Abs. 1 Satz 2 VZV, wonach - wenn zwi- schenzeitlich bereits ein unbefristeter Führerausweis erteilt worden ist - auch ein unbefristeter Führerausweis zu annullieren ist). 2.1.2. 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 58 Vorliegend wurde der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 21. August 2013 ihr Ausweis auf Probe für die Dauer von einem Mo- nat entzogen und die Probezeit wurde verlängert. Innerhalb der Probezeit kam es zum Vorfall vom 25. Januar 2015. Gemäss dem Eingangsstempel ging der Polizeirapport vom 13. Februar 2015, auf den sich das Strassenverkehrsamt stützte, am 19. März 2015 beim Strassenverkehrsamt ein. Am 21. April 2015 annullierte es den Führerausweis, ohne dass der Beschwerdeführerin die Eröffnung des Administrativverfahrens angezeigt worden wäre und ohne dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, sich zur Sache zu äussern. Hätte das Strassenverkehrsamt die Widerhandlung als mit hoher Wahrscheinlichkeit erstellt erachtet, so hätte es den Führeraus- weis gestützt auf Art. 30 VZV vorsorglich entziehen müssen. Im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens gegen den vorsorglichen Ent- zug oder im Verfahren bezüglich Annullierung wäre dann das recht- liche Gehör zu gewähren gewesen. Dies gilt umso mehr, als die Verfügung erst rund einen Monat nach Eingang beim Strassenver- kehrsamt erlassen wurde, womit es sich das Strassenverkehrsamt sel- ber zuzuschreiben hat, dass die Beschwerdeführerin während dieser Zeit fahren durfte. Hinzu kommt der Umstand, dass sich die Be- schwerdeführerin bis zum Erlass der Verfügung des Strassenver- kehrsamts auch nicht in einem den Vorfall betreffenden Straf- verfahren äussern konnte und das Strassenverkehrsamt seine Ver- fügung auch nicht auf einen Strafbefehl oder auf ein Strafurteil stützen konnte. Indem das Strassenverkehrsamt den Führerausweis annullierte, ohne der Beschwerdeführerin zuvor das rechtliche Gehör gewährt zu haben, hat es dieses verfassungsmässige Recht in gravie- render Art und Weise verletzt. Durch das Konstrukt, gleichzeitig mit einem definitiven Siche- rungsentzug respektive mit einer Annullierung des Führerausweises auf Probe das rechtliche Gehör zu gewähren und eine neue Verfü- gung zu erlassen, sofern jemand eine Stellungnahme einreicht (vgl. die durch das Strassenverkehrsamt beschriebene Vorgehensweise in der Aktenüberweisung des Strassenverkehrsamts an das DVI), schafft das Strassenverkehrsamt im Ergebnis ein Einspracheverfah- ren, das sich auf keine gesetzliche Grundlage stützen kann. Auch der 2018 Strassenverkehrsrecht 59 Hinweis, ein vorsorglicher Entzug des Führerausweises auf Probe ab sofort habe einen erheblichen Mehraufwand sowie Mehrkosten für die Beschwerdeführerin zur Folge, ändert daran nichts. Der Mehrauf- wand ist - unabhängig von der Frage, ob er als erheblich zu bezeich- nen ist - darauf zurückzuführen, dass in einem rechtsstaatlich durchgeführten Verfahren die verfassungsmässigen Rechte der Bür- ger - wozu unter anderem der Anspruch auf Gewährung des recht- lichen Gehörs gehört - zu wahren sind. Dass dies Mehrkosten zur Folge haben kann, ist angesichts dieses Umstands hinzunehmen, wo- bei darauf hinzuweisen ist, dass in § 27 Abs. 1 der Verordnung über die Steuern, Abgaben und Gebühren im Strassenverkehr vom 5. November 1984 (SAR 755.111) keine Mindestgebühr vorgeschrie- ben wird, womit das Strassenverkehrsamt mit moderaten Gebühren dem Umstand Rechnung tragen kann, dass zwei Verfügungen zu ergehen haben. Überdies kann gerade die Vorgehensweise des Stras- senverkehrsamts zu Mehrkosten führen, weil nämlich eine Be- schwerdeführerin, die sich dafür entscheidet, sich zur Sache zu äus- sern, parallel eine Beschwerde an das DVI einreichen muss, um sicher zu gehen, dass sie die Rechtsmittelfrist wahrt, da sie nicht voraussehen kann, ob das Strassenverkehrsamt seine Verfügung auf- hebt, wenn sie sich im Rahmen des rechtlichen Gehörs zur Sache äussert. 2.2. 2.2.1. Eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des recht- lichen Gehörs kann ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die be- troffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Rechtsmittel- instanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie auch die Rechts- lage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leer- lauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 60 an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (vgl. BGE 137 I 195, Erw. 2.3.2 mit Hinweisen). 2.2.2. Die Gehörsverletzung wiegt vorliegend schwer. Auch wenn das Verwaltungsgericht über die gleiche Kognition wie das Strassenver- kehrsamt verfügt, ist eine Heilung vorliegend ausgeschlossen. Einer- seits kann bei einer Rückweisung nicht von einem formalistischen Leerlauf gesprochen werden, ist es doch denkbar, dass in der Zwischenzeit das strafrechtliche Verfahren rechtskräftig beendet wird und sich das Strassenverkehrsamt in seiner neuen Verfügung auf ein rechtskräftiges Strafurteil stützen kann. Anderseits steht die durch die Rückweisung entstehende Verzögerung den Interessen der Beschwer- deführerin nicht entgegen. So geht die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin selber davon aus, dass die Verletzung des recht- lichen Gehörs schwer wiegt und vorliegend eine Heilung nicht in Frage kommt. Somit liegen die Voraussetzungen für eine Heilung der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht vor, weshalb aufgrund der formellen Natur dieses Rechts der angefochtene Entscheid sowie die Verfügung des Strassenverkehrs- amts vom 21. April 2015 aufzuheben sind.
2,642
2,101
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2018-4_2018-01-01
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871,496
1,186,099,200,000
2,007
de
2007 Verwaltungsrechtspflege 225 [...] 54 Verwaltungsgerichtliches Beschwerdeverfahren betreffend Baubewill- ligung; Kostenverteilung bei geringfügigem Unterliegen (weniger als 10 %). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. August 2007 in Sa- chen Eheleute R. gegen H. und Mitbeteiligte (WBE.2006.171). 2007 Verwaltungsgericht 226 Aus den Erwägungen 2.3.2. (...) Vorliegend ist von einer vermögensrechtlichen Streitsache auszugehen. Das gilt nicht nur für die Parteientschädigung (vgl. § 3 Abs. 1 lit. a AnwT), sondern auch für die Verfahrenskosten, die in- nerhalb des gesetzlich vorgesehenen Kostenrahmens (§ 22 Abs. 1 lit. c VKD) praxisgemäss ebenfalls nach dem Streitwert berechnet werden (vgl. AGVE 1998, S. 437). Bei der Gewichtung des teilwei- sen Unterliegens ist daher grundsätzlich auf den Streitwert abzustel- len, die den unterschiedlich beurteilten Beschwerdepunkten im Ver- hältnis zum Gesamtstreitwert zukommt. Mit Blick auf die Verfah- rensökonomie und in Anlehnung an entsprechende ausdrückliche Regelungen in anderen Prozessordnungen haben die Landwirtschaft- liche Rekurskommission sowie die Schätzungskommission nach Baugesetz entschieden, dass bei einer Gutheissung in geringem Um- fang (unter 10%) die Verfahrenskosten dem mehrheitlich Unterlie- genden vollständig auferlegt werden dürfen (AGVE 2004, S. 331 mit Hinweis). Auf dieser Linie bewegt sich auch die Praxis des Verwal- tungsgerichts. Es hielt wiederholt dafür, ein bloss geringfügiges Un- terliegen habe keine Auswirkungen auf den Kostenpunkt (VGE III/79 vom 17. Oktober 1995 [BE.94.00235], S. 28 f.; VGE II/48 vom 29. April 1998 [BE.95.00300], S. 21 f.; VGE II/96 vom 7. Dezember 2000 [BE.1999.00146], S. 15; VGE III/91 vom 21. Oktober 2003 [BE.2002.346], S. 14 f.); vereinzelt lehnte es sich auch an die 10%-Regel an (VGE II/49 vom 7. Juni 2000 [BE.1999.00077], S. 14; vgl. auch VGE II/133 vom 11. September 1995 [BE.95.00128], S. 15), die insbesondere im aargauischen Zivilprozess gilt (Alfred Bühler / Andreas Edelmann / Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Zivilrechtspfle- gegesetz [Zivilprozessordnung, ZPO] vom 18. Dezember 1984, Aarau / Frankfurt am Main / Salzburg, § 112 N 14). Die 10%-Regel erweist sich auch für das Verfahren vor Verwaltungsgericht als sachgerecht, weshalb grundsätzlich darauf abzustellen ist. Eine Ausnahme ist dann denkbar, wenn das bloss teilweise Unterliegen 2007 Verwaltungsrechtspflege 227 erhebliche Auswirkungen auf den Prozessaufwand hat (vgl. auch Bühler / Edelmann / Killer, a.a.O., § 112 N 14). Im konkreten Fall betrug der Gesamtstreitwert praxisgemäss 10% der Bausumme von Fr. 2'828'000.--, somit Fr. 282'800.--. In Übereinstimmung mit den Beschwerdeführern geht auch das Verwal- tungsgericht davon aus, dass sich die Kosten für die Erstellung des einzelnen Besucherparkplatzes (2.00 x 6.3 m), der Anlass zur teilwei- sen Gutheissung der Beschwerde gegeben hat, höchstens auf Fr. 20'000.-- belaufen. Realistischer erscheint sogar eher ein Betrag von ca. Fr. 10'000.--. Hinsichtlich des Besucherparkplatzes ist somit höchstens auf einen Streitwert von Fr. 2'000.-- zu schliessen. Gemes- sen am Gesamtstreitwert unterliegt die Bauherrschaft in der Hauptsa- che somit zu lediglich 0.7%, hat jedoch nach Massgabe des vorin- stanzlichen Entscheides 16.7% der vorinstanzlichen Verfahrenskos- ten (nach Abzug des Kostenanteils der Stadt Baden) sowie 16.7% der Parteikosten der Verfahrensgegner zu tragen. Ein Grund für dieses deutliche Missverhältnis ist weder ersichtlich, noch lässt er sich dem vorinstanzlichen Entscheid entnehmen. Insbesondere verursachte der Nebenpunkt des Besucherparkplatzes keinen derart hohen Prozess- aufwand, dass das marginale Unterliegen im Umfang von 0.7% nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden könnte. Die Vorinstanz hat ihr Ermessen in diesem Punkt klar überschritten, weshalb der vorin- stanzliche Entscheid insofern zu korrigieren ist.
1,009
740
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2007-54_2007-08-03
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2,007
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2007 Abgaben 73 [...] 18 Beschwerdelegitimation. Grundbuchabgaben. - Kein schutzwürdiges Interesse - als Voraussetzung der Beschwerde- legitimation -, soweit es lediglich um die theoretische Klärung einer Rechtsfrage geht. - Richtiges Vorgehen, wenn eine Befreiung von der Abgabe zufolge Arrondierung (§ 2 Abs. 1 GBAG) beansprucht wird. 2007 Verwaltungsgericht 74 - Kostenverlegung, wenn wesentliche Vorbringen erst verspätet (im Beschwerdeverfahren) erfolgen. vgl. AGVE 2007 49 214
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AG_VG_001
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AG_VG_001_AGVE-2007-18_2007
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2,008
de
2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 109 23 Umweltverträglichkeit einer regionalen Sportanlage. - Beurteilung nach Art. 15 USG. - Verwendung der 18. (deutschen) Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (18. BImSchV; Sportanlagenlärm- schutzverordnung) als Entscheidungshilfe. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 15. Februar 2008 in Sa- chen X. und Mitbet. gegen Gemeindeverband Sport-, Freizeit- und Begeg- nungszentrum Burkertsmatt (WBE.2006.119). Aus den Erwägungen 1. Das geplante Burkertsmattzentrum umfasst im Wesentlichen: · eine unterteilbare Dreifach-Sporthalle (...), · im Aussenbereich eine Leichtathletik-Anlage mit Rasenfeld (100 m x 64 m) und sechs 400 m-Rundbahnen, ein weiteres Rasen- feld (100 m x 64 m), zwei Rasen-Trainingsfelder (je 57 m x 44.50 m), ein Beachvolleyball-Feld (28 m x 24 m), einen Asphaltplatz für Streetball, Unihockey und Skater (40 m x 20 m), einen weiteren As- phaltplatz (mit Parkplatz-Doppelnutzung) für Streetball und Uni- hockey (21 m x 11 m), einen Kinderspielplatz, eine Parkierungsanla- ge mit 177 PW-Abstellplätzen (davon 100 auf Drainasphalt, 77 auf Schotterrasen), zwei Bus-Abstellplätze und zwei Velounterstände (insgesamt 110 Plätze), insgesamt 15 zwischen 16 und 18 m hohe Beleuchtungsmasten, einen Aussenlautsprecher in 6 m Höhe an der Südostfassade der Sporthalle sowie ein an Drähten über dem Beach- volleyball-Feld in 7 m Höhe befestigter Lautsprecher. Die Öffnungszeiten der Sportanlagen sind im Grundsatz wie folgt festgelegt: Montag - Samstag 07.30 bis 22.00 Uhr, Sonntag 2008 Verwaltungsgericht 110 08.00 bis 20.00 Uhr. Der Streetball-Platz und der Asphaltplatz für Skater, Unihockey und Streetball dürfen unter der Woche nach 21.00 Uhr, am Sonntag nach 18.00 Uhr nicht mehr benützt werden. Die approximativen Baukosten werden im Baugesuch vom 21. März 2005 mit 20 Millionen Franken angegeben, der umbaute Raum mit 46'300 m 3 . 2. (...[Zonierung, Standortfrage]) 3. 3.1. Das geplante Burkertsmattzentrum stellt eine ortsfeste Anlage im Sinne von Art. 7 Abs. 7 USG dar, bei deren Betrieb Lärmemissio- nen verursacht werden. Bei einer solchen Anlage geht es zur Hauptsache nicht um Lärm technischen Ursprungs, sondern um den Verhaltenslärm, wie er sich aus dem Spiel-, Trainings- und Wett- kampfbetrieb ergibt. Auf solchen Lärm sind das USG und die LSV ebenfalls anwendbar, auch wenn es dafür keine Belastungsgrenz- werte gibt (Christoph Zäch / Robert Wolf, Kommentar zum Umwelt- schutzgesetz [Kommentar USG], 2. Auflage, Zürich 2000/2001, Art. 15 N 40; BGE 123 II 79 = Pra 86/1997, S. 561 mit Hinweis auf ein Tessiner Urteil vom 10. Januar 1994 betreffend ein Sportzentrum mit Fussballplatz, Tennisplätzen und Bar [publiziert in Rivista di diritto amministrativo e tribunario ticinese 1995 I 194 Erw. 2]; AGVE 1999, S. 272 mit Hinweis auf den VGE III/44 vom 28. Mai 1991 [1988/338], in: URP 6/1992, S. 155 ff. betreffend einen Kinderspielplatz). 3.2. 3.2.1. Das USG will, entsprechend dem Verfassungsauftrag (Art. 74 Abs. 1 BV), den Menschen und seine natürliche Umwelt gegen schädliche und lästige Einwirkungen schützen (Art. 1 Abs. 1 USG; siehe dazu André Schrade / Theo Loretan, Kommentar USG, Art. 11 N 3, 16, 16a). Das USG will dabei kein Verhinderungs-, sondern ein Massnahmengesetz sein, das seinem Konzept nach die Quellen der Umweltbelastung nicht als solche in Frage stellt; die Nachfrage soll nicht untersagt, sondern befriedigt werden, wobei aber gleichzeitig die den Umweltschutzanforderungen entsprechenden Vorkehren ge- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 111 troffen werden sollen (Pra 80/1991, S. 179; BGE 124 II 233). In die- sem Sinne sind Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden könnten, unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung frühzei- tig so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist (sog. Vorsorgeprinzip gemäss Art. 1 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 USG; Art. 7 Abs. 1 lit. a und Art. 8 Abs. 1 LSV; siehe BGE 126 II 305 ff. und 118 Ib 238 sowie AGVE 1999, S. 272 f., je mit Hinweisen). Mit der Postulierung des Vorsorgeprin- zips soll die Umweltbelastung präventiv möglichst weit unterhalb der Schädlichkeits- und Lästigkeitsgrenze gehalten werden; im Rahmen des Verhältnismässigkeitsprinzips ist mit Massnahmen bei der Quelle alles technisch-betrieblich Mögliche und wirtschaftlich Zumutbare zu unternehmen, ohne dass in jedem Einzelfall eine konkrete Umweltgefährdung nachgewiesen sein muss (AGVE 1999, S. 273). Derartige Emissionsbegrenzungen können u.a. baulicher oder betrieblicher Art sein (Art. 12 Abs. 1 lit. b und c USG). 3.2.2. Auf einer zweiten Stufe setzt das USG bei den Immissionen an: Die Emissionsbegrenzungen werden verschärft, wenn feststeht oder zu erwarten ist, dass die Einwirkungen unter Berücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung schädlich oder lästig werden (Art. 11 Abs. 3 USG). Als Massstab für die Beurteilung der schädlichen oder lästigen Einwirkungen dienen Immissionsgrenzwerte (Art. 13-15 USG). Der Bundesrat hat solche Werte für den Strassenverkehrslärm, den Eisenbahnlärm, den Lärm von zivilen Flugplätzen, den Industrie- und Gewerbelärm, den Lärm von Schiessanlagen sowie Militärflug- plätzen festgelegt (Anhänge 3 8 der LSV); für den Lärm öffentlicher Einrichtungen wie Schul- und Sportanlagen tat er dies, wie bereits erwähnt, nicht (siehe vorne Erw. 3.1.). Fehlen Belastungsgrenzwerte, so beurteilt die Vollzugsbehörde die Lärmimmissionen nach Art. 15 USG; sie berücksichtigt auch die Art. 19 und 23 USG (Art. 40 Abs. 3 LSV). Gemäss Art. 15 USG sind die Immissionsgrenzwerte für Lärm und Erschütterungen so festzule- gen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder der Erfahrung Im- missionen unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbe- finden nicht erheblich stören. Art. 19 USG verweist auf die Alarm- 2008 Verwaltungsgericht 112 werte (zur Beurteilung der Dringlichkeit von Sanierungen), Art. 23 USG auf die unter den Immissionsgrenzwerten liegenden Planungs- werte für die Planung neuer Bauzonen und den Schutz vor neuen lär- migen ortsfesten Anlagen. Aufgrund richterlicher Erfahrung ist in diesen Fällen zu beurteilen, ob eine unzumutbare Störung vorliegt. Im Rahmen dieser Einzelfallbeurteilung sind der Charakter des Lärms, der Zeitpunkt und die Häufigkeit seines Auftretens sowie die Lärmempfindlichkeit bzw. Lärmvorbelastung der Zone, in der die Immissionen auftreten, zu berücksichtigen (Art. 40 Abs. 3 LSV i.V.m. Art. 15, 13 Abs. 2 und 23 USG; statt vieler BGE 126 II 368; 123 II 335, je mit Hinweisen). Dabei ist nicht auf das subjektive Lärmempfinden einzelner Personen abzustellen, sondern eine objek- tivierte Betrachtung unter Berücksichtigung von Personen mit erhöh- ter Empfindlichkeit (Art. 13 Abs. 2 USG) vorzunehmen. Massgeb- lich für die Beurteilung ist der jeweilige Immissionsort (BGE vom 7. März 2005 [1A.241/2004], Erw. 2.2, mit Hinweis). Anlagen ohne Belastungsgrenzwerte, deren Lärmemmissionen sich - wie vorlie- gend - auf Wohnzonen der Empfindlichkeitsstufe II (vgl. Art. 43 Abs. 1 lit. b LSV) auswirken, haben nach der Rechtsprechung ein Immissionsniveau einzuhalten, bei welchem höchstens geringfügige Störungen auftreten (BGE 123 II 335; BGE vom 7. März 2005 [1A.241/2004], Erw. 2.2). 4. Nachdem für Anlagen der umstrittenen Art im schweizerischen Recht Grenzwerte fehlen, ist der damit verbundene Lärm zunächst nach seinem Charakter, dem Zeitpunkt und der Häufigkeit seines Auftretens sowie der Lärmvorbelastung zu beurteilen. Über den technischen Eigenlärm hinaus ist einer Anlage der umstrittenen Art insbesondere derjenige Lärm zuzurechnen, der von ihren Benützern bei bestimmungsgemässer Nutzung innerhalb und ausserhalb der An- lage erzeugt wird. Dazu gehört der bei der Sportausübung selber er- zeugte Lärm. Auch der Schall von Lautsprecheranlagen und ähnli- chen Einrichtungen ist zum Betriebslärm zu rechnen, genauso wie der von Trainern, Sportlern und Zuschauern durch Rufe, Schreie und Pfiffe etc. verursachte Lärm (BGE 133 II 295 f. mit Hinweis auf Thomas Widmer Dreifuss, Planung und Realisierung von Sportanla- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 113 gen, Raumplanerische, baurechtliche und umweltrechtliche Aspekte beim Bau und der Sanierung von Sportanlagen, Diss. Zürich 2002, S. 326 ff.). 4.1. Im konkreten Fall ist zu erwarten, dass beim Betrieb der Anlage nicht der technische Lärm im Vordergrund steht, sondern der Verhal- tenslärm von Menschen, welche die Anlage benutzen. Dieser unter- scheidet sich vom Charakter her vom Lärm technischer Art, der von Maschinen usw. stammt. Während der technische Lärm normaler- weise mehr oder weniger gleichförmig ist, kennzeichnet sich der menschliche Verhaltenslärm, der bei der Ausübung von Sport ent- steht, häufig durch auffällige Pegeländerungen bzw. Impulse. Das gilt etwa für Schiedsrichterpfiffe, Zuschauerreaktionen, Starterpisto- len, Aufschlagen von Bällen und Lautsprecherdurchsagen. Solcher mit auffälligen Pegelveränderungen auftretender Lärm wird bei glei- chem mittleren Schallpegel gemeinhin als störender empfunden als ein Geräusch von konstanter Intensität. Impulshafte Geräusche sind schwer vorausseh- und ausblendbar. Tagsüber erschweren sie deshalb das Verrichten von Arbeiten, die eine hohe Konzentration erfordern; nachts können sie zum wiederholten Aufwecken von Lärmbetroffe- nen führen. Negativ wirkt sich auch der Umstand aus, dass die mit dem Sportbetrieb verbundenen Geräusche oft informationshaltig sind. Weil die unerwünschte Wahrnehmung von Informationen ab- lenkt, wirkt die unerwünschte Konfrontation mit informationshalti- gen Geräuschen generell störend (siehe zum Ganzen: Gerd Ketteler, Sportanlagenlärmschutzverordnung, Bedeutung der 18. BImSchV im Hinblick auf das Immissionsschutz-, Bau- und Zivilrecht einschliess- lich des Rechtsschutzes, Heidelberg 1998, S. 23 f. [Ketteler, Kom- mentar]; Widmer Dreifuss, a.a.O., S. 336, 353 f. mit Hinweisen; BGE 123 II 334; VGE III/40 vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 57). Für die Störwirkung von «untechnischem» Alltagslärm sind zu- dem subjektive Faktoren von Bedeutung, die in der persönlichen Situation des Lärmbetroffenen begründet sind. Hiezu zählen beispielsweise sein Gesundheitszustand, seine (Un-)Tätigkeit wäh- rend der Geräuschwahrnehmung, sein Ruhebedürfnis, die individu- 2008 Verwaltungsgericht 114 elle Gewöhnung, die persönliche Einstellung zu den Ursachen des Lärms oder die subjektive Vorstellung des Betroffenen von der Not- wendigkeit und der Vermeidbarkeit des Geräuschs (Ketteler, Kom- mentar, S. 17). Gerade bei Geräuschen, die von Sportanlagen ausge- hen, wirken sich diese subjektiven Faktoren in erheblichem Mass auf die Störwirkung aus (Ketteler, Kommentar, S. 18). Häufig tritt neben diesen menschlichen Verhaltenslärm beim Betrieb von Sportanlagen auch technischer Lärm (z.B. Verkehrslärm), der die Störwirkung ver- schärfen kann. 4.2. Sportlärm wird deshalb häufig als lästig empfunden, weil er normalerweise in Zeiten auftritt, welche von den Lärmbetroffenen zur Entspannung und Erholung genutzt wird, nämlich in den Abend- stunden, an Sonn- und Feiertagen und in der «Gartensaison» (Kette- ler, Kommentar, S. 23; Widmer Dreifuss, a.a.O., S. 354 f.; Bernhard Stüer/Jens Middelbeck, Sportlärm bei Planung und Vorhabenzulas- sung, BauR 1/2003, S. 38). Ein bestimmter Schallpegel ist nun ge- rade zu solchen Zeiten als stärker störend zu beurteilen als während der üblichen Arbeitszeiten (Widmer Dreifuss, a.a.O., S. 354 f. mit Hinweisen). Diese Ausführungen harmonieren mit der verwaltungs- gerichtlichen Rechtsprechung zur Immissionsempfindlichkeit in ge- mischten Zonen; der Erholungsfunktion der Wohnnutzung wird auch dort ein hoher Stellenwert eingeräumt, insbesondere wenn es um den Schutz der Nacht- oder Sonntagsruhe geht (AGVE 1999, S. 254 mit Hinweisen; siehe zum Ganzen auch VGE III/40 vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 57 f.). 4.3. Von Bedeutung ist auch die Lärmempfindlichkeit und Lärmvor- belastung der Zone, in welcher der Lärm auftritt. Im konkreten Fall befinden sich die Liegenschaften der Beschwerdeführer in der Land- hauszone W1. Es handelt sich dabei um eine lärmempfindliche Zone, in der der Erhaltung der Wohnqualität hohes Gewicht beizumessen ist. Auch in solchen Wohnzonen kommt es jedoch zu Lärmimmissio- nen, beispielsweise durch spielende Kinder. Kinder und Jugendliche gehören mit allen ihren lauten und leisen Äusserungen zum Wohnen und sind in einer Wohnzone zu akzeptieren, auch wenn sie auf einem 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 115 Platz zum Spielen zusammenkommen und deshalb mit einem erhöh- ten Lärmpegel zu rechnen ist (Entscheid der Baurekurskommission Zürich vom 30. März 2004, in: URP 2004, S. 347). An schönen Ta- gen und Sommerabenden ist es in einer Wohnzone zudem üblich, draussen auf der Terrasse oder auf dem Balkon zu sitzen, dort zu es- sen, sich zu unterhalten und auch Gäste zu empfangen (BGE vom 15. Mai 2001 [1A.282/2000 und 286/2000], in: URP 2001, S. 930). Der mit der Sportausübung verbundene menschliche Verhaltenslärm passt vom Charakter her besser zu einer solchen Wohnnutzung als technischer Lärm. Im konkreten Fall grenzt das Halde-Quartier zu- dem an die Hasenbergstrasse an. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Lärm der umstrittenen Anlage teilweise durch den vorbeste- henden Lärm in der Landhauszone und den Verkehrslärm der Hasen- bergstrasse überlagert wird. Auf eine teilweise Überlagerung durch den Verkehrslärm lassen auch die Testmessungen der Beschallungs- anlage schliessen, die beim Empfangspunkt X. durchgeführt wurden. Dass die Landhauszone im Randbereich zur einer Zone für öffentli- che Bauten und Anlagen liegt, wird im schweizerischen (anders als im deutschen) Recht nicht berücksichtigt; es ist allein auf den Immis- sionsort abzustellen (BGE vom 4. März 2002 [1A.73/2001], Erw. 2.3, mit Hinweis). 4.4. Es besteht somit ein Störungspotenzial, das nicht nur von Cha- rakter des Lärms, Zeitpunkt und Häufigkeit seines Auftretens, der Lärmvorbelastung und der Lärmempfindlichkeit des Immissionsortes abhängt, sondern auch von der Schallintensität, für deren Beurteilung im schweizerischen Recht keine Grenzwerte bestehen. 5. Bei der Beurteilung der Lärmimmissionen kann das Gericht Analogieschlüsse aus ähnlichen Lärmarten ziehen, auf das ortsübli- che Mass oder auf die eigene Erfahrung abstellen oder sich auf ausländische Regelwerke und Richtlinien abstützen, wobei in jedem Fall objektivierte Kriterien anzuwenden sind (vgl. zur objektivierten Betrachtung BGE 126 II 368 f.; 115 Ib 451). 2008 Verwaltungsgericht 116 5.1. Die Praxis beurteilt die sinngemässe Anwendung von Grenz- werten, die auf andere Lärmarten (wie Gewerbe- und Industrielärm) ausgerichtet sind, als kritisch, weil diese Grenzwerte auf typischen Industrie- und Gewerbelärm zugeschnitten und nur in Verbindung mit hiefür passenden Mess- und Beurteilungsverfahren aussagefähig sind. Gerade der Informationsgehalt, durch den sich menschlicher Lärm auszeichnet, schlägt sich in diesen Belastungsgrenzwerte nicht nieder (BGE 123 II 333 f.; VGE III/40 vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 44; Entscheid des Verwaltungsgerichts Zü- rich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: Baurechtsentscheide Kanton Zürich [BEZ] 2007, S. 47; Entscheid des Verwaltungsge- richts Luzern vom 21. August 2003 [V 02 81], in: URP 2004, S. 243). Kurzzeitige Geräuschspitzen, die ebenfalls als störend emp- funden werden können, wirken sich zudem kaum auf die gemittelten Beurteilungspegel aus. Mit der Anwendung von Anhang 6 zur LSV, der sich auf den naturgemäss mehr oder weniger gleichförmigen Ge- werbe- und Industrielärm bezieht und auf kurzzeitige Geräuschspit- zen keine Rücksicht nimmt, könnte die Störwirkung des Sportlärms somit nicht angemessen erfasst werden. Während technischer Lärm innerhalb der Beurteilungsperioden Tag und Nacht in ähnlicher Weise wirkt, lässt sich der Lärm, der von einer Sportanlage ausgeht, kaum typisieren. Die Auswirkungen hängen in erheblichem Ausmass von Art und Grösse der Anlage, der Art der Nutzung sowie dem Ver- halten der Benutzer ab. Anders als bei Kinderspielplätzen stiesse des- halb eine Beurteilung der Lärmproblematik, welche sich an den Erfahrungen des Gerichts aus anderen Fällen und nicht an wissen- schaftlich breit abgestützten Grenzwerten orientiert, hier an ihre Grenzen. In derart komplexen Fällen liesse sich eine erfahrungsbezo- gene Beurteilung der Lärmproblematik kaum adäquat begründen. Im Übrigen sind schweizweit kaum Vergleichsfälle vorhanden, aus de- nen brauchbare Analogieschlüsse gezogen werden könnten. Das Bundesgericht schliesst zwar auch in Fällen der vorliegenden Art eine erfahrungsbezogene Beurteilung der Lärmproblematik nicht von vornherein aus (BGE 133 II 303), nach der Einschätzung des Verwal- tungsgerichts würde jedoch ein völliger Verzicht auf das messbare 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 117 Kriterium der Schallintensität der Lärmproblematik nicht gerecht und läge weder im Interesse der Rechtssicherheit noch der Rechts- gleichheit. Die bundesrechtlich vorgeschriebene objektivierte Betrachtung der Lärmsituation verlangt somit in Fällen der vorliegenden Art eine Mitberücksichtigung der Schallintensität. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Störwirkung solcher Anlagen nicht nur von der Schallintensität, sondern in erheblichem Umfang auch von den genannten, nicht akustischen Einflüssen geprägt wird. In der Literatur wird sogar die Auffassung vertreten, dass rund zwei Drittel des Lärmempfindens physikalisch nicht erfassbar seien (Ketteler, Kommentar, S. 17, mit Hinweisen). Die Aussagekraft von Beurtei- lungsinstrumenten, die in erster Linie auf die in Dezibel messbare Schallintensität abstellen, ist deshalb beschränkt (vgl. Hoffmann, Keine Grenzwerte - kein Lärm?, in: URP 1994, S. 419 ff. [Hoffmann, URP]; derselbe, Schall und Lärm, Eine kleine Einführung in die akustischen Grundbegriffe, in: Klang, Geräusch, Schall oder Lärm, hrsg. von Cercle Bruit Schweiz, abrufbar unter: http://www.laerm.ch/de/pub/pub_inhalt.html, S. 13/2). Diese Fest- stellung vermag jedoch eine Beurteilung, die sich an objektiv messbaren Faktoren ausrichtet, nicht grundsätzlich in Frage zu stel- len. Es gilt immerhin im Auge zu behalten, dass sich zwar Schall- intensität, Häufigkeit und Dauer des Lärms sowie der Zeitpunkt sei- nes Auftretens prognostizieren lassen, kaum aber die effektive Stör- wirkung. 5.2. Für die Beurteilung von Sportlärm kommt die deutsche 18. Ver- ordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (18. BImSchV; Sportanlagenlärmschutzverordnung) vom 18. Juli 1991 in Betracht (BGE 133 II 297), die sich mit dem Lärm von Sportanlagen befasst und der Schallintensität Rechnung trägt. 6. 6.1. Die Beschwerdegegner bestreiten, dass die Kriterien des deut- schen Rechts mit dem schweizerischen Lärmschutzrecht vereinbar seien. Sie beziehen sich damit auf die Praxis des Bundesgerichts, wo- 2008 Verwaltungsgericht 118 nach sich ausländische bzw. private Richtlinien als Entscheidungs- hilfe eignen, sofern die Kriterien, auf welche diese Unterlagen beru- hen, mit denjenigen des schweizerischen Lärmschutzrechts vereinbar sind (BGE 133 II 297). 6.2. Im deutschen Recht sind Sportanlagen der umstrittenen Art grundsätzlich nach den §§ 22 f. des Bundes-Immissionsschutzgeset- zes (BImSchG) vom 26. September 2002 zu beurteilen. Solche Anla- gen sind so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelt- einwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmass beschränkt werden und die beim Betrieb der Anlagen entstehenden Abfälle ordnungsgemäss beseitigt werden können (§ 22 Abs. 1). Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG sind Immissionen, die nach Art, Ausmass oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Die 18. BImSchV konkretisiert für den Sportlärm die Anforderungen, die sich aus dem BImSchG ergeben (Ketteler, Kommentar, S. 89). Die Fragestellung im deutschen Recht gleicht somit derjenigen, welche das schweizerische Recht vorgibt. Dieses frägt danach, ob eine er- hebliche Störung im Wohlbefinden der Bevölkerung oder eine höch- stens geringfügige Störung eintritt (siehe vorne Erw. 3.2.2). Zu er- örtern bleibt, ob auch die Kriterien zur Beurteilung der Zumutbar- keit, welche die beiden Rechtsordnungen verwenden, miteinander vereinbar sind. 6.2.1. Die 18. BImSchV weist verschiedene Parallelen zur schweizeri- schen LSV auf. Nach beiden Rechtsordnungen wird das Mass der Störung auf Grund der Schallintensität am Immissionsort beurteilt, wobei ein Beurteilungspegel gebildet wird, der einen A-bewerteten Mittelungspegel Leq als akustische Grösse verwendet und diesen mit Korrekturen für die Impulshaftigkeit und Ton- bzw. Informationshal- tigkeit ergänzt. Sowohl nach Anhang 6 zur LSV (Belastungs- grenzwerte für Industrie- und Gewerbelärm) wie auch nach der 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 119 18. BImSchV wird eine Unterteilung in Beurteilungszeiten mit gleichbleibendem Lärmcharakter vorgenommen und der resultie- rende Beurteilungspegel als energetische Summe sämtlicher Teilbe- urteilungspegel gebildet. Daneben bestehen aber auch Unterschiede. So unterscheidet das deutsche Recht nicht zwischen Planungswerten, Immissionsgrenzwerten und Alarmwerten, sondern kennt nur Immis- sionsrichtwerte. Neben den Tages- und Nachtgrenzwerten definiert sodann die 18. BImSchV anders als die LSV weitere Zeiten mit er- höhtem Ruhebedürfnis. Im Gegensatz zur LSV kennt die 18. BImSchV ausserdem nicht 4, sondern 5 Empfindlichkeitsstufen. Ferner wird (nur) im deutschen Recht auf Maximalpegel von kurz- fristigen Geräuschspitzen Rücksicht genommen. Schliesslich trifft das deutsche Recht Ausnahmeregelungen für Schulsport und für sel- tene Ereignissen, was in der LSV weder so noch in ähnlicher Form vorgesehen ist. 6.2.2. Aus den genannten Unterschieden darf indes nicht ohne Weite- res abgeleitet werden, die deutsche Regelung tauge nicht als Ent- scheidungshilfe. Es sind nämlich gerade diese Besonderheiten der deutschen Regelung, welche eine störungsgerechte Beurteilung des Sportlärms ermöglichen. So eignen sich beispielsweise kurze Mitte- lungspegel, wie sie im deutschen Lärmschutz verwendet werden, besser zur Beurteilung von Sportlärm, der sich durch eine hohe Im- pulshaftigkeit und durch ein periodisches Auftreten auszeichnet. Auch der besondere Schutz von Ruhezeiten und der Sonn- und Feier- tage macht insbesondere bei Sportlärm Sinn. Während Industrie- und Gewerbelärm mehrheitlich an Werktagen und ausserhalb der Rekrea- tionszeiten anfällt, entsteht der Sportlärm überwiegend in Zeiträu- men, in der die betroffene Bevölkerung Ruhe sucht. Dementspre- chend sind auch die Ruhezeiten gemäss Anhang 6 zur LSV auf die typische Werktätigkeit von Gewerbe und Industrie ausgerichtet (vgl. VGE vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 43 f.). Das Bun- desgericht erwog denn auch in einem Fall aus dem Jahr 2002, eine zeitliche Abstufung der Lärmempfindlichkeit gestützt auf die ört- lichen Verhältnisse und die allgemeine Lebenserfahrung sei nicht von vornherein ausgeschlossen und verwies unter anderem darauf, dass 2008 Verwaltungsgericht 120 die Eidgenössische Kommission für die Beurteilung von Lärm- Immissionsgrenzwerten 1979 festgehalten habe, dass eine Differen- zierung nach Tag, Abend und Nacht, entsprechend den drei Tätig- keitsphasen Arbeiten, Erholen, Schlafen, ideal wäre. Sie habe jedoch aus Praktikabilitätsgründen von einer solchen Dreiteilung abgesehen und sich für eine Zweiteilung mit den Perioden Tag und Nacht ent- schieden (1. Teilbericht, Belastungsgrenzwerte für den Strassenver- kehrslärm, 1979, S. 24 f.). Nach den Erwägungen des Bundesgerichts darf aber bei der einzelfallweisen Beurteilung von Lärm, die sich di- rekt auf Art. 15 USG stützt, dem erhöhten Erholungsbedürfnis der Bevölkerung zu den Ruhezeiten Rechnung getragen werden (vgl. BGE vom 5. März 2003 [1A.139/2002], Erw. 4.1; nun auch BGE 133 II 302; Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 49). Schliesslich nimmt das Spitzenpegelkriterium auf die spezielle Impulshaftigkeit des Sportlärms Rücksicht, weshalb darin ebenfalls kein Umstand erblickt werden kann, der einem Beizug des deutschen Rechts entgegen stünde. Im Übrigen lässt das schweizerische Recht die Impulshaftig- keit von Geräuschen nicht gänzlich unberücksichtigt. Zum einen ist die Impulshaftigkeit bei der Beurteilung von Gewerbe- und In- dustrielärm immerhin durch einen besonderen Zuschlag auf dem ge- mittelten Schallleistungspegel zu berücksichtigen. Zum anderen trägt die Praxis des Bundesgerichts der Impulshaftigkeit von Geräuschen, die sich kaum auf den gemittelten Pegel bzw. die Einhaltung der Grenzwerte auswirken, bei Lärm Rechnung, der zur Nachtzeit an- fällt. Überschritten kurzzeitige und wiederholt auftretende Störungen in der Schlafperiode die Weckschwelle, könne auch bei Einhaltung der sich an Durchschnittspegeln orientierenden Belastungsgrenzwer- ten nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass dadurch das Wohlbefinden der schlafenden Bevölkerung beeinträchtigt werde (vgl. BGE 126 III 229; 102 Ib 274; 101 Ib 407). 6.2.3. Die Privilegierung von «seltenen Ereignissen» im Sinn von § 5 Abs. 5 BImSchV i.V.m. Ziff. 1.5 des Anhangs zur 18. BImSchV nimmt ebenfalls auf die Besonderheiten des Sportlärms Rücksicht, weil dieser im Rahmen des Normalbetriebs der Anlage oder im Rah- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 121 men von ausserordentlichen (seltenen) Ereignissen auftreten kann. Der Privilegierung der seltenen Ereignisse dürfte der Gedanke zugrunde liegen, dass die Unzumutbarkeitsschwelle bei Anlässen, die nur sporadisch durchgeführt werden, höher angesetzt werden darf als beim Normalbetrieb, mit dem eine Dauerbelastung verbunden ist (vgl. Widmer Dreifuss, a.a.O., S. 356 f.), zumal diese lange im vor- aus bekannt sind und man sich einigermassen darauf einstellen kann (BGE 126 II 494; BGE vom 5. März 2003 [1A.139/2002], Erw. 5.5). 6.2.4. Unter dem Aspekt der Kompatibilität des deutschen mit dem schweizerischen Lärmschutzrecht erscheint es hingegen problema- tisch, dass das deutsche Recht bestimmte Tätigkeiten (den Schulsport und Sportstudiengänge an Hochschulen) auf der Stufe der Zumutbar- keitsprüfung privilegiert (vgl. § 5 Abs. 3 18. BImSchV). Art. 25 Abs. 1 USG bietet keinen Raum für eine umfassende Abwägung der Interessen aller Beteiligten. Massgeblich für die Beurteilung ist ge- mäss Art. 40 Abs. 3 LSV i.V.m. Art. 15, 13 Abs. 2 und 23 USG die Störungswirkung des Lärms für die Betroffenen. Gesichtspunkte aus- serhalb des Schutzziels von Art. 15 USG, wie z.B. das Interesse des Anlagenbetreibers oder der Raumplanung an der Errichtung oder dem Fortbestand einer Anlage, können bei der Beurteilung der Schädlichkeit oder Lästigkeit von Immissionen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (BGE vom 15. Mai 2001 [1A.282/2000 und 286/2000], in: URP 2001, S. 931; BGE vom 4. März 2002 [1A.73/2001], in: URP 2002, S. 106; Zäch/Wolf, Kommentar USG, Art. 15 N 30). Soweit die 18. BImSchV namentlich den Schulsport privilegiert, berücksichtigt sie solche öffentlichen Interessen, denen das schweizerische Recht auf dieser Stufe keine Rechnung trägt. Den öffentlichen Interessen am Schulsport kann im schweizerischen Recht nur (aber immerhin) im Rahmen des Vorsorgeprinzips und der Erleichterungen Rechnung getragen werden (Art. 11 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 2 USG). Da der Schulsport im Wesentlichen ausserhalb der in der 18. BImSchV definierten Zeiträume mit besonderem Ruhebedürfnis der Bevölkerung stattfindet und die Lärmbelastung nur bei Gross- anlässen in einen heiklen Bereich gerät, ist der Schulsport bei der 2008 Verwaltungsgericht 122 Lärmbeurteilung von untergeordneter Bedeutung, weshalb trotz die- ses punktuellen Kompatibilitäts-Konflikts der beiden Rechtsordnun- gen hilfsweise auf die 18. BImSchV abgestellt werden kann. Diese Beurteilung liegt auch auf der Linie des Bundesgerichtsentscheides in Sachen Einwohnergemeinde Würenlos, wo das Bundesgericht den Beizug der 18. BImSchV im Ergebnis schon deshalb zuliess, weil die LSV den Sportlärm überhaupt nicht regelt (BGE 133 II 302; vgl. auch Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 46 ff.; Entscheid des Ver- waltungsgerichts Luzern vom 21. August 2003 [V 02 81], in: URP 2004, S. 234 ff.; Zäch/Wolf, Kommentar USG, Art. 15 N 44). 6.2.5. Die 18. BImSchV kann somit grundsätzlich als Entscheidungs- hilfe herangezogen werden. Sie erlaubt eine objektivierte Mitberück- sichtigung der Schallintensität. Normen anderer Staaten, die eben- falls eine spezifische Beurteilung des Sportlärms zuliessen, sind dem Gericht weder bekannt, noch werden solche von den Verfahrensbetei- ligten genannt. Die Befürchtung, es werde in willkürlicher Weise eine einzige ausländische Rechtsordnung herangezogen, ist somit un- begründet. 6.3. Die 18. BImSchV ist für die Beurteilung von Anlagen der streit- betroffenen Art zwar wertvoll, die Bedeutung, die ihr als Entscheid- hilfe im vorliegenden Fall zukommt, darf aber auch nicht überbewer- tet werden. Wie gesagt (siehe vorne Erw. 4.1 und 5.1) hängt die Störwir- kung von «untechnischem» Alltagslärm nur teilweise von der Schall- intensität ab, weshalb die Aussagekraft von Beurteilungsinstrumen- ten, die in erster Linie auf die Schallintensität abstellen, von vornher- ein beschränkt ist. In der Schweiz hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung der LSV wohl primär Lärm technischen Ursprungs im Auge (Monika Kölz-Ott, Die Anwendbarkeit der bundesrechtlichen Lärmschutzvorschriften auf menschlichen Alltagslärm und ver- wandte Lärmarten, in: URP 1993, S. 380). Trotz der zunehmenden Bedeutung von «untechnischem» Lärm hat der Gesetzgeber bis heute darauf verzichtet, hiefür spezielle Grenzwerte einzuführen. Das ist 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 123 wohl weniger auf eine Nachlässigkeit des Gesetzgebers zurückzufüh- ren, als auf den Umstand, dass sich solcher Lärm auf Grund seiner Eigenheiten mit Grenzwerten nur schwer erfassen lässt (vgl. Hoff- mann, URP, S. 428). Auch wenn bei grösseren Anlagen die Schallin- tensität aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit nicht vollständig ausser Acht gelassen werden kann, erheben sich so- mit gegen den Ansatz, den das deutsche Recht gewählt hat, aus schweizerischer Sicht gewisse Bedenken. Da die Störungswirkung in erheblichem Mass vom individuellen, schwer prognostizierbaren Verhalten der Benutzer (vgl. Richtlinie 3770 des Vereins deutscher Ingenieure [VDI] über die Emissionskennwerte technischer Schall- quellen, Sport- und Freizeitanlagen, April 2002, S. 2 [nachfolgend VDI 3770]) und von physikalisch nicht messbaren Faktoren abhängt, könnte die Beurteilung des Sportlärms nach deutschem Recht zu ei- ner trügerischen, objektivierten Aussage über das Störungsmass füh- ren. In der schweizerischen Lehre und Praxis wird denn auch darauf hingewiesen, das deutsche Recht berge die Gefahr, dass die Beurtei- lung von Sportgeräuschen zu starr ausfalle (vgl. Widmer Dreifuss, a.a.O., S. 352; BGE 133 II 302). Die 18. BImSchV wird jedoch ohnehin nur als Entscheidungshilfe beigezogen. Das Gericht ist nicht an das Ergebnis gebunden, das sich nach deutschem Recht ergibt. Sofern dies sachlich geboten erscheint, kann und muss davon abgewichen werden (ebenso Entscheid des Verwaltungsgerichts Zü- rich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 50). Umstritten ist, ob den Richtwerten der 18. BImSchV im deut- schen Recht die Bedeutung verbindlicher Grenzwerte zukommt. Nachdem die Aufgabe der 18. BImSchV darin bestand, durch gesetz- liche Vorschriften die Grenze für die Zumutbarkeit oder Unzumut- barkeit von Sportlärm verbindlich festzulegen, lässt der Gesetzes- zweck auf verbindliche Grenzwerte schliessen. Die Bezeichnung als Richt werte sowie die Materialien sprechen hingegen dafür, dass Ab- weichungen möglich sind. Die deutsche Lehre und Praxis gehen da- von aus, dass die Richtwerte eine verbindliche Zumutbarkeitsschwel- le markieren (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Sep- tember 1999, in: NVwZ 2000, S. 1051, mit Hinweis; vgl. zum Gan- zen Ketteler, Kommentar, S. 89 ff., mit Hinweisen). Die Baugeneh- 2008 Verwaltungsgericht 124 migung (Baubewilligung) ist daher grundsätzlich zu verweigern, wenn die Immissionsrichtwerte nach der 18. BImSchV überschritten werden (Gerd Ketteler, Die Sportanlagenlärmschutzverordnung [18. BImSchV] in Rechtsprechung und behördlicher Praxis, Eine Bi- lanz nach 10 Jahren, NVwZ 2002, S. 1071 [Ketteler, NVwZ]; ähn- lich derselbe, Kommentar, S. 89 ff., mit Hinweisen; vgl. zur Kontro- verse auch BGE 133 II 301). Bei Einhaltung der Richtwerte nehmen die deutsche Lehre und Praxis an, dass keine erhebliche Belästigung vorliegt (Ketteler, Kommentar, S. 90, mit Hinweisen; derselbe, NVwZ, S. 1072). 6.4. 6.4.1. Unklar ist, wie das deutsche Recht zu berücksichtigen ist. Denk- bar ist zunächst, dass die deutschen Kriterien in das schweizerische Recht transponiert werden und dieses alsdann in angepasster Form zur Anwendung gelangt. Ein solches Vorgehen erscheint aus zwei Gründen problematisch. Es führte einerseits zu schwierigen Fragen im Rahmen der Anpassung der deutschen Regeln an das schweizeri- sche Recht. Diese Umdeutungsprobleme zeigen sich etwa darin, dass das deutsche Lärmschutzrecht (anders als das schweizerische) nicht zwischen Planungs-, Immissionsgrenz- und Alarmwerten unterschei- det, sondern nur Immissionsrichtwerte kennt. Ausserdem bestehen nach deutschem Recht mehr Empfindlichkeitsstufen als nach schweizerischem, weshalb eine Zuordnung der Kategorien ebenfalls auf Probleme stiesse. Versucht man gleichwohl, das deutsche mit dem schweizerischen Lärmschutzrecht in Übereinstimmung zu brin- gen, besteht die Gefahr, dass das Ergebnis im Rahmen dieses «Um- deutungsvorgangs» seine Aussagekraft verliert und weder aus der Sicht des deutschen noch aus derjenigen des schweizerischen Rechts interpretiert werden kann. Die Problematik der Umdeutung ergibt sich auch daraus, dass sich die Richtwerte nach deutschem und die Grenzwerte nach schweizerischem Lärmschutzrecht trotz teilweiser numerischer Übereinstimmung unterschiedlich auswirken. Die Grenz- bzw. Richtwerte hängen nämlich eng mit der Frage zusam- men, wie der Lärm ermittelt wird. Da das schweizerische Recht län- gere Mittelungspegel als das deutsche Recht kennt, führten gleich 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 125 hohe Grenz- bzw. Richtwerte auf Grund der länderspezifischen Er- mittelungsmethode zu einem unterschiedlich hohen Schutzniveau. Der Schutz des Betroffenen ginge bei gleich hohen Grenzwerten in der Schweiz weniger weit, weil die längeren Mittelungszeiten hierzu- lande zu einem gewissen «Verdünnungseffekt» führen. Ein solches Vorgehen würde jedoch den Anforderungen der 18. BImschV nicht gerecht. Aus den dargelegten Gründen erscheint fraglich, ob das nach einer Transponierung der deutschen Regelung in das schweizerische Recht gewonnene Ergebnis eine sinnvolle Aussage über die Zumut- barkeit der Störung überhaupt noch zuliesse. Um ein aussagekräfti- ges Resultat zu gewährleisten, erachtet es das Verwaltungsgericht für eine Heranziehung der 18. BImschV als Entscheidungshilfe zwin- gend, dass die Anwendungsparameter der 18. BImSchV beachtet werden (so schon im aufgehobenen VGE vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 56). Vorzuziehen ist daher der zweite Weg, der darin besteht, die Lärmsituation in einem ersten Schritt ausschliesslich nach deutschen Recht zu beurteilen. Insbesondere dürfen die Parameter, welche die- ser Verordnung zu Grunde liegen, nicht aus Gründen, die dem deut- schen Lärmschutzrecht fremd sind, abgeändert werden. Das so ge- wonnene Ergebnis ist in einer zweiten Phase aus der Sicht des schweizerischen Lärmschutzrechts zu würdigen. Auf dieser zweiten Stufe kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass be- stimmte Regelungen der 18. BImSchV nicht primär auf wissen- schaftlichen Erkenntnissen der Lärmforschung beruhen, sondern Er- gebnis einer normativen Gewichtung des Sportlärms und des Ruhe- bedürfnisses der Anrainer ist, welche in der Schweiz durchaus anders ausfallen kann. Auf dieser zweiten Stufe wären gegebenenfalls län- dertypische Unterschiede in Recht und Wirklichkeit zu berücksich- tigen (vgl. VGE vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], Erw. 5.6.2.3). So kann und muss auf dieser Stufe beispielsweise si- chergestellt werden, dass der Sportlärm in der Schweiz nicht strenger beurteilt wird als Gewerbe- und Industrielärm. Eine solche Benach- teilung des Sportlärms liesse sich nicht vertreten angesichts der erheblichen öffentlichen Interessen an der Ausübung des Sports, vor allem des Freizeit-, Breiten- und Jugendsports. 2008 Verwaltungsgericht 126 6.4.2. 6.4.2.1. Folgt man dem zweiten Ansatz und wendet das deutsche Recht nach den Grundsätzen an, die auch der deutsche Richter beachten würde, ist klar, dass bei der Lärmbeurteilung auf die Immissions- richtwerte abzustellen ist, weil diese auch bei der Zulassung von Neuanlagen zu beachten sind (§ 1 Abs. 1 der 18. BImSchV; Ent- scheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 49). Wird die 18. BImSchV nach deutschem Muster angewandt, bedarf es keiner Umdeutung der deut- schen Immissionsrichtwerte in Planungswerte nach schweizerischem Recht, wie sie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) im Sportplatzfall der Einwohnergemeinde Würenlos vorschlägt. 6.4.2.2. Die Empfindlichkeit des Immissionsorts ist folgerichtig eben- falls aus der Sicht des deutschen Rechts zu bewerten: Nach der deut- schen Baunutzungsverordnung (BauNVO) vom 23. Januar 1990 die- nen «reine Wohngebiete» dem Wohnen, andere als Wohnnutzungen sind nur ausnahmsweise zulässig und nur dann, wenn sie ausschliess- lich Bedürfnisse der Bewohner des betreffenden Gebiets abdecken (§ 3). «Allgemeine Wohngebiete» dienen dagegen vorwiegend dem Wohnen. Neben Wohngebäuden sind auch Bauten und Nutzungen zulässig, die der Versorgung des Gebiets dienen sowie nicht störende Handwerksbetriebe (§ 4). Ein normales Restaurant, das auch gebiets- fremde Kunden anzieht, wäre demnach auch im allgemeinen Wohn- gebiet nicht zulässig. Das Verwaltungsgericht ging im Sportplatzfall der Einwohnergemeinde Würenlos infolge von Interpretations- schwierigkeiten der 18. BImSchV «vorsichtshalber» von den Richt- werten für reine Wohngebiete aus (VGE vom 23. Mai 2006 [WBE.2003.247/251], S. 52 f.). Da es sich jedoch bei der Frage der Einstufung um eine Rechtsfrage und nicht um eine prognostische Annahme handelt, ist dieses Vorgehen zu hinterfragen. Das BAFU hielt im Sportplatzfall der Einwohnergemeinde Würenlos dafür, in der Empfindlichkeitsstufe II seien generell die Richtwerte für allge- meine Wohngebiete einzuhalten. Das Bundesgericht hat diese Einstu- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 127 fung in seinem Entscheid vom 17. Juli 2007 als «praktikabel» einge- stuft (BGE 133 II 302). Festzuhalten ist daran, dass die 18. BImSchV nach den Grundsätzen anzuwenden ist, die auch der deutsche Richter zu beachten hätte, andernfalls die Gefahr entstünde, dass das Ergebnis der Beurteilung nach der 18. BImSchV einen erheblichen Teil seiner Aussagekraft verliert. In der Landhauszone ist neben der Wohnnut- zung auch nicht störendes Gewerbe zugelassen (§ 4 Abs. 1 BNO Wi- den). Da in allgemeinen Wohngebieten nach deutschem Recht eben- falls nur nicht störende Handwerksbetriebe sowie Restaurants zuge- lassen sind, welche keine gebietsfremde Kundschaft anziehen, scheint die Einstufung des BAFU und des Bundesgerichts auch aus der Sicht des deutschen Rechts vertretbar. Anders als im schweizeri- schen Recht, stellen die deutsche Judikatur und Literatur bei der Beurteilung der Zumutbarkeit nicht vorbehaltlos auf die Richtwerte am Immissionsort ab. Die Eigentümer und Nutzer von Grundstücken an der Grenze zu einer lärmintensiveren Zone könnten nicht densel- ben Schutz vor Immissionen beanspruchen wie diejenigen im Inne- ren der lärmempfindlicheren Zone gelegenen Grundstücke (Ketteler, NVwZ, S. 1073; Stüer/Middelbeck, a.a.O., S. 42). Für die Randlage eines Wohngrundstücks an der Grenze zum weniger lärmempfindli- chen Aussenbereich sei kennzeichnend, dass dort mit Immissionen gerechnet werden müsse, die innerhalb des Wohngebiets nicht zuläs- sig wären. Die Bewohner peripherer Liegenschaften müssten deshalb mit Mehrimmissionen rechnen (Ketteler, Kommentar, S. 105). Für den Fall, in dem unverträgliche Nutzungen auf engem Raum auf- einander stossen, wird teilweise die Anwendung eines Mittelwerts postuliert, teilweise vertreten, der Immissionsrichtwert des lärmemp- findlicheren Gebiets dürfe bis zu 5 dB(A) überschritten werden (Ket- teler, NVwZ, S. 1073; derselbe, Kommentar, S. 101 ff.; vgl. zum Ganzen auch Stüer/Middelbeck, a.a.O., S. 42 f.). Bei einem Wohn- haus, das sich in einem reinen Wohngebiet am Rande zum Aussenbe- reich befindet, kommen die Richtwerte für allgemeine Wohngebiete in Betracht (Ketteler, Kommentar, S. 105, mit Hinweisen). Zwar stellt das schweizerische Recht allein auf die Einstufung des Immis- sionsorts ab, ohne auf benachbarte Zonen Rücksicht zu nehmen, die 2008 Verwaltungsgericht 128 18. BImSchV ist jedoch auch in dieser Hinsicht nach deutschen Grundsätzen anzuwenden. Ein Konflikt verschiedenartiger Nutzungen liegt hier vor, nach- dem sich die Liegenschaften der Beschwerdeführer im Grenzbereich zu Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen (Spezialzonen SP S und SB) befinden, in denen mit Immissionen zu rechnen ist, die innerhalb des Wohngebiets nicht zulässig wären. Im vorliegenden Fall kommt zwar die Bebauungsart des Halde-Quartiers, in dem ge- mischte Nutzungen nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig sind, tendenziell dem reinen Wohngebiet näher, immerhin sind je- doch auch in der streitbetroffenen Landhauszone W1 gewisse ge- werbliche Tätigkeiten zulässig. Die Behauptung der Beschwerdefüh- rer, wonach es bei bereits überbauten Gebieten nicht auf die gesetz- lich mögliche, sondern auf die tatsächliche Nutzung ankomme, ist zu relativieren. § 2 Abs. 6 der 18. BImSchV stellt in erster Linie auf die in den Bebauungsplänen festgesetzte und damit auf die gesetzlich zulässige Nutzung ab. Nur dort, wo diese erheblich von der tatsächli- chen Nutzung abweicht, rückt die effektive Nutzung in den Vorder- grund. Auch in diesem Fall muss jedoch nach den Vorgaben der 18. BImSchV die vorgesehene bauliche Entwicklung berücksichtigt werden. Auf eine erhebliche Abweichung ist ausserdem nicht schon dann zu schliessen, wenn die tatsächliche Nutzung in eine andere Gebietsklasse als die festgesetzte fällt (z.B. wenn ein festgesetztes allgemeines Wohngebiet als reines Wohngebiet einzustufen ist), da der Begriff der erheblichen Abweichung nach qualitativen-städte- baulichen Merkmalen zu bestimmen ist (Ketteler, NVwZ, S. 1073, mit Hinweis; Stüer/Middelbeck, a.a.O., S. 42, je mit Hinweisen). Im konkreten Fall besteht unter städtebaulichen bzw. ortsplanerischen Gesichtspunkten insgesamt kein erheblicher Unterschied zwischen der gesetzlich möglichen und der effektiven Nutzung. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Quartier in Zukunft der gesetzlich vorgesehenen Maximalnutzung annähert. Für die Beurtei- lung der Schutzbedürftigkeit des Immissionsorts bleibt es daher beim gesetzlichen Normalfall, d.h. bei der Einstufung nach der für das Im- missionsgebiet festgesetzten Nutzung. Weil ausserdem die periphere Lage der betroffenen Grundstücke die Schwelle zur Unzumutbarkeit 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 129 aus der Sicht des deutschen Rechts ansteigen lässt, erscheint es rich- tig, im konkreten Fall die Richtwerte des allgemeinen Wohngebiets anzuwenden. Diese betragen tags ausserhalb der Ruhezeiten 55 dB(A), tags innerhalb der Ruhezeiten 50 dB(A) und nachts 40 dB(A) (§ 2 Abs. 2 Ziff. 3 18. BImSchV). Von diesen Werten ging grundsätz- lich auch der Gutachter aus, wobei sich bei den Berechnungstabellen offenbar ein Schreibfehler eingeschlichen hat. Beim Normalbetrieb beträgt der Grenzwert für die Nacht 40 dB(A) und nicht 45 dB(A). Bei den seltenen Ereignissen gelten im konkreten Fall die folgenden Richtwerte: tags ausserhalb der Ruhezeit 65 dB(A), tags innerhalb der Ruhezeit 60 dB(A) und nachts 50 dB(A). 7. 7.1. (... [Entstehung des Lärmgutachtens]) 7.2. Gemäss GA IV [Gutachten der EMPA] können die Vorgaben der 18. BImSchV dann vollständig eingehalten werden, wenn der Betrieb der Beschallungsanlage auf 18 Kalendertage pro Jahr be- schränkt wird und die Beschallungsanlage an Wochen- und Samsta- gen ab 21.00 Uhr nicht mehr betrieben wird. Für den Fall, dass an mehr als 18 Kalendertagen pro Jahr Grossanlässe durchgeführt wer- den sollen, schlägt der Experte vor, an den verbleibenden Samstagen ab 20 Uhr auf Aktivitäten auf den Trainingsplätzen U1 und U2 zu verzichten. An Sonntagen müsse nach Massgabe des deutschen Rechts zwischen 13 und 15 Uhr eine Mittagspause eingelegt werden. 7.3. (... [Stellenwert des Gutachtens]) 8.8.1. (... [methodische Kritik am Gutachten]) 8.2. [inhaltliche Kritik am Gutachten] 8.2.1. (... [Lärmquellen]) 8.2.2. [Annahmen zum Betrieb] 8.2.2.1. (...[Rüge ungenügender Grundlagen]) 8.2.2.2. Im konkreten Fall konnte sich die Lärmprognose auf das Be- triebs- und Benützungsreglement vom 15. September 2004 (nachfol- gend Reglement) und auf das Dokument «Modellbelegung für Aus- senanlagen» vom 18. Juni 2004 (nachfolgend Modellbelegung) stüt- zen. Das Reglement soll mit den in der kantonalen Teilbewilligung 2008 Verwaltungsgericht 130 vom 7. November 2005 verfügten Änderungen am Verkehrskonzept integrierenden Bestandteil der Baubewilligung vom 28. November 2005 bilden. Das Reglement regelt u.a. den Zweck des Regionalen Sport-, Freizeit- und Begegnungszentrums Burkertsmatt, die Bele- gungen der Sportanlagen, deren Öffnungszeiten, die Benützung der Fussball-Spielfelder, der Leichtathletik-Anlagen, der Beachvolley- ball-Felder, des Streetball-Platzes, des Asphaltplatzes für Skater mit Trickbox, Unihockey und Streetball, der Beleuchtung und der Aus- senlautsprecher, die Zufahrt und Parkordnung sowie die Grossveran- staltungen. Ergänzende Informationen lassen sich der Modellbele- gung für Aussenanlagen entnehmen, die sich namentlich zu den Be- sucherzahlen äussert. Das Reglement und die Modellbelegung be- stimmen somit die wesentlichen Elemente des geplanten Betriebs. Diese Unterlagen erlaubten es dem Experten, den Betrieb an einem intensiven, überdurchschnittlichen Nutzungstag sowie bei einer Grossveranstaltung zu modellieren und gestützt darauf eine Lärm- prognose zu erstellen. Die Modellierung eines überdurchschnittli- chen Nutzungstages erscheint dabei sinnvoller als das Abstellen auf einen Belegungsplan, der ohnehin nur provisorischen Charakter ha- ben könnte. Zum einen steht vor Rechtskraft der Baubewilligung gar noch nicht fest, welche Anlagen wie und in welchem Umfang ge- nutzt werden können; zum anderen können die Belegungen auch nach Inbetriebnahme der Anlage von Jahr zu Jahr ändern. Für die Baubewilligungsphase erscheint es daher richtig und zweckmässig, einen überdurchschnittlichen Nutzungstag bzw. eine lärmintensive Grossveranstaltung zu modellieren. Das Reglement und die Modell- belegung stellen somit grundsätzlich eine genügende und taugliche Grundlage für die Lärmprognose dar. In dem von den Beschwer- deführern angesprochenen Sportplatzfall der Einwohnergemeinde Würenlos war eine weitergehende Kronkretisierung des Spielbetriebs deshalb möglich, weil dort eine Sportanlage bereits bestand. Im Übrigen wird in der deutschen Gerichtspraxis jedenfalls teil- weise die Auffassung vertreten, die Vorgaben für den Sportbetrieb müssten nicht zwingend in der Baugenehmigung bis ins Einzelne ge- regelt werden. Insbesondere wenn Intensität und Zumutbarkeit des Sportlärms (wie hier) von nur schwer zu prognostizierenden Umstän- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 131 den, wie Auslastung der Sportanlage, Spielverlauf, Zuschauerzahl und den Wind- und Wetterverhältnissen abhängt, kann es nach einem Entscheid des Verwaltungsgerichts Berlin ausreichen, wenn durch eine Nebenbestimmung ein bestimmtes Höchstmass an Lärmim- missionen vorgegeben wird, dessen Einhaltung durch sinnvolle Be- triebsgestaltung in der Verantwortung des Anlagebetreibers bleibt. Das gelte jedenfalls, sofern nicht von vornherein absehbar sei, dass ein sinnvoller Sportbetrieb unter Einhaltung des zulässigen Immis- sionsniveaus ausgeschlossen sei. Dadurch werde der Lärmbetroffene auch nicht vor unzumutbare Rechtsprobleme gestellt. Denn bei kon- kreten Anhaltspunkten dafür, dass der Betrieb der Anlage den Anfor- derungen der 18. BImSchV nicht entspreche, könne die zuständige Behörde Immissionsmessungen anordnen und nötigenfalls Anord- nungen zum Schutz der Wohnruhe des Lärmbetroffenen verfügen und insbesondere Betriebszeiten anordnen (Urteil des Verwaltungs- gerichts Berlin, 19. Kammer) vom 6. April 2005 [19 A 299.02], Erw. 3, mit Hinweisen]). Ob sich diese Überlegungen in das schwei- zerische Umweltrecht übertragen lassen, kann an dieser Stelle offen bleiben, weil das Reglement und die Modellbelegung genügende Grundlagen für die Lärmprognose bildeten. Gestützt darauf konnte der Gutachter nämlich den folgenden Betrieb modellieren bzw. das nachfolgende «Benutzungsmodell» definieren: Lärmquelle/-phase Wochen /Jahr Wochen- tage Uhrzeiten Anzahl Stunden Aus-lastung Benützte Plätze Fussball-verein Trainings 32 Mo-Fr (5 Tage) 17:00-22:00 5 h 80% U1+U2+ U13 Meisterschaft 32 Mo-Fr (2 Tage) Sa So 18:00-22:00 16:00-22:00 10:00-12:00 14:00-20:00 4 h 6 h 2 h 6 h 100% 100% 70% 10% U12+U13 Übrige Vereine Trainings 32 Mo-Fr (5 Tage) 17:00-22:00 5 h 70% U12+U13+ U7 Schulsport 40 Mo-Fr (5 Tage) 07:30-11:30 13:30-16:30 7 h 50% U1+U2+ U12+U7 Freie Benutzung Streetball, Rollerpark, Beachvolley 40 Mo-Sa (6 Tage) So 10:00-21:00 10:00-18:00 11 h 8 h 50% 50% U4a+U4b U7 2008 Verwaltungsgericht 132 Gross-veran-staltungen Spielbetrieb 12 Sa So 10:00-12:00 14:00-22:00 10:00-12:00 14:00-20:00 10 h 8 h 100% 100% U1+U2+ U12+U13 Lautsprecheranlage Musik 12 Sa So 10:00-12:00 14:00-22:00 10:00-12:00 14:00-20:00 10 h 8 h 90% 90% Lautsprecheranlage Durchsagen 12 Sa So 10:00-12:00 14:00-22:00 10:00-12:00 14:00-20:00 10 h 8 h 10% 10% Parkplatz Normalbetrieb (Vereine) 32 Mo-Fr (5 Tage) Sa So 16:30-22:30 15:30-22:30 09:30-12:30 13:30-20:30 6 h 7 h 10 h U3a Grossveranstaltungen 12 Sa So 09:30-00:30 09:30-20:30 15 h 11 h U3a+U3b Dieses Benutzungsmodell entspricht den Vorgaben des Regle- ments und der Modellbelegung sowie den Aussagen des Beschwer- degegners (...) über den geplanten Betrieb. Soweit das Benut- zungsmodell sich detaillierter zum geplanten Betrieb äussert als das Reglement und die Modellbelegung, hat sich dieser an die lärmmäs- sig berücksichtigten Vorgaben des oben stehenden Benutzungsmo- dells zu halten. Die nachfolgende gerichtliche Beurteilung stützt sich auf dieses Benutzungsmodell. Im Falle einer wesentlichen Intensivie- rung des Betriebs, wären die Auswirkungen im Rahmen eines nach- träglichen Immissionsschutzverfahrens neu zu beurteilen. Zu klären bleibt, ob die Annahmen im GA IV über den Betrieb der Anlage ei- ner Plausibilitätsprüfung standhalten. 8.2.2.3-8.2.2.9. (... [Fussball, Schulsport, freie Benutzung, Beachvolleyball, Grossveranstaltungen, Verkehrslärm]) 8.2.3. (... [Spitzenpegelkriterium]) 8.2.4. (... [Walddämpfung]) 9. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass der Betrieb der Burkertsmattanlage unter Berücksichtigung der zusätzlichen betrieb- lichen Massnahmen, welche die EMPA im GA IV vorschlägt, den 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 133 Anforderungen der 18. BImSchV nach heutigem Kenntnisstand ge- nügt. Mit anderen Worten indiziert das deutsche Recht für diesen Fall die Umweltverträglichkeit des Bauvorhabens. Der Beschwerdegeg- ner unterzieht sich jedoch den im GA IV vorgeschlagenen betriebli- chen Massnahmen nur für den Fall, dass diese auch nach schweizeri- schem Umweltrecht geboten sind. Die Ergebnisse der Beurteilung nach der 18. BImSchV bleiben daher aus der Sicht des schweizeri- schen Rechts zu würdigen. 9.1. 9.1.1. Das schweizerische Lärmschutzrecht stellt bei bestehenden Anlagen auf den Immissionsgrenzwert (Art. 16 USG; Art. 8 Abs. 2 LSV) und bei Neuanlagen grundsätzlich auf den darunter liegenden Planungswert ab (Art. 25 Abs. 1 USG, Art. 7 Abs. 1 lit. b LSV). Der Planungswert wurde so definiert, dass die Lästigkeitsgrenze auch dann unterschritten wird, wenn zur vorgesehenen Anlage später noch weitere Lärmquellen hinzukommen. Bei Neuanlagen, die im öffentli- chen Interesse liegen, dürfen jedoch Erleichterungen gewährt werden mit der Folge, dass die Lärmbetroffenen gewisse Mehrimmissionen hinzunehmen haben (Art. 25 Abs. 2 USG). Die Grenze dieser Er- leichterungen liegt bei den Immissionsgrenzwerten, welche die Schwelle zur erheblichen Störung (vgl. Art. 15 USG) bzw. zur Schädlichkeit und Lästigkeit markieren (vgl. Zäch/Wolf, Kommentar USG, Art. 23 N 8 f.). Mit anderen Worten dürfen auch die Einwirkun- gen, die von einer Anlagen im öffentlichen Interesse ausgehen, nicht zu einer lästigen oder schädlichen Umweltbelastung führen. Da bei einer Zunahme der Immissionen in der Regel die Belästigung vor ei- ner gesundheitlichen Schädigung eintritt, ist die Belästigung häufig das massgebende Kriterium (Zäch/Wolf, Kommentar USG, Art. 15 N 22). Bei der Frage, was als lästig zu gelten hat, ist auf einen reprä- sentativen Teil der Bevölkerung abzustellen, unter Rücksichtnahme auf Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit (Zäch/ Wolf, Kommentar USG, Art. 15 N 24 f.). Bei dieser objektivierten Beurtei- lung darf davon ausgegangen werden, dass ein grosser Teil der Bevölkerung bei der Wahrnehmung des Geräuschs auch die öffentli- chen Interessen an der lärmerzeugenden Tätigkeit bedenkt und daher 2008 Verwaltungsgericht 134 Geräusche, die von «wertvollen» Tätigkeiten ausgehen, weniger schnell als lästig empfindet (vgl. in anderem Zusammenhang Tanja Domej, Sportanlagen und Nachbarrecht im Licht der österreichischen Rechtsprechung, CaS 2005, S. 338). Dies führt bei einer objektivier- ten Betrachtung dazu, dass sich die Lästigkeitsgrenze der Schädlich- keitsgrenze annähert, die als äusserste Schranke zu betrachten ist. Im Gegensatz zur normativ geprägten Lästigkeitsgrenze lässt sich die Schädlichkeitsgrenze anhand von Erkenntnissen der Lärmforschung relativ genau definieren. Im deutschen Recht gilt für die Realisierung neuer Anlagen und den Betrieb bestehender Sportanlagen grundsätzlich dasselbe Schutz- niveau. Die deutsche Regelung zielt für beide Fälle darauf ab, schädliche Umwelteinwirkungen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, zu verhindern und so weit sie unvermeidbar sind, auf ein Minimum zu beschränken (§ 22 Abs. 1 BImSchG). Als schädlich gelten Umwelteinwirkungen, die nach Art, Ausmass oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbei- zuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Erleichterungen für Anlagen, die im öffentlichen Interessen liegen, sieht das deutsche Recht grundsätzlich nicht vor. Im Anwendungsbereich der 18. BImSchV ist allerdings umstritten, ob die an sich verbindlichen Richtwerte gleichzeitig eine absolute Zumutbarkeitsschwelle definieren, die auch bei einer Abwä- gung mit anderen Interessen nicht überschritten werden darf (Kette- ler, NVwZ, S. 1072, mit Hinweisen; BGE 133 II 301; eine absolute Zumutbarkeitsschwelle verneinend: Ketteler, Kommentar, S. 89 ff., 91; Stüer/ Middelbeck, a.a.O., S. 42 f.). Die Regelung beider Rechtsordnungen stimmen zwar begriff- lich teilweise überein (Verhinderung «erheblicher Störungen» bzw. schädlicher oder lästiger Eingriffe im schweizerischen Recht - Ver- hinderung «erheblicher Nachteile oder Belästigungen» im deutschen Recht), daraus darf aber nicht ohne Weiteres auf ein gleich hohes Schutzniveau geschlossen werden (ähnlich Entscheid des Verwal- tungsgerichts Zürich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 50). 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 135 9.1.2. Die Ausübung von Sport, vor allem von Freizeit-, Breiten- und Jugendsport, liegt im öffentlichen Interesse. Sport kann dazu beitra- gen, die Freizeit aktiv zu gestalten, die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit zu erhalten, zu fördern oder wiederherzustellen. Weil er soziale Grunderfahrungen und Bindungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen vermitteln kann, kommt ihm auch eine inte- grative Funktion zu (Ketteler, Kommentar, S. 3 mit Hinweisen). Die Realisierung des Bauvorhabens liegt somit im öffentlichen Interesse, was sich im Übrigen auch darin zeigt, dass die Stimmbürger den hie- für erforderlichen Krediten zugestimmt haben. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob bei einer hilfsweisen Anwendung der 18. BImSchV auf der zweiten Stufe (d.h. auf der Interpretationsstufe) Raum bleibt für Erleichterungen im Sinn von Art. 25 Abs. 2 USG. Sofern und soweit der deutsche Gesetzgeber bei der Festlegung der Immissions- richtwerte den öffentlichen Interessen am Sport bereits Rechnung getragen hat, besteht kein Anlass für zusätzliche Erleichterungen im Sinn von Art. 25 Abs. 2 USG. Andernfalls würde der Sport aus den- selben Gründen doppelt privilegiert, was nicht sachgerecht erschiene. Zwar privilegiert die 18. BImSchV in gewisser Hinsicht den Schulsport und Studiengänge an Hochschulen, bei der Höhe der Richtwerte nimmt sie aber - soweit ersichtlich - keine Rücksicht auf die öffentlichen Interessen am Sport. Darauf lässt ein Vergleich mit der (deutschen) Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 26. August 1998 (TA Lärm; Sechste Allgemeine Verwaltungsvor- schrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz) schliessen, welche auf den Lärm sonstiger Anlagen (namentlich gewerblicher- und indu- strieller Art) ausgerichtet ist (vgl. Ziff. 1). Die in der 18. BImSchV enthaltenen Immissionsrichtwerte für den Tag und die Nacht (§ 2 Abs. 2) entsprechen denjenigen der TA Lärm (Ziff. 6). Bezüglich der kurzzeitigen Geräuschspitzen verwenden die beiden Regelwerke ebenfalls den gleichen Massstab. So dürfen solche die sonst massge- benden Immissionsrichtwerte am Tag um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten (§ 2 Abs. 4 der 18. BImSchV; Ziff. 6 Abs. 2 TA Lärm). Die in der 18. BImSchV vorgesehenen kürzeren Beurteilungszeiten am Tag füh- 2008 Verwaltungsgericht 136 ren beim Sportlärm sogar zu einem höheren Schutzniveau (vgl. An- hang zur 18. BImSchV, Ziff. 13.2.1 f.; Ziff. 6.4 TA Lärm). Auch die seltenen Ereignissen sind in der 18. BImSchV tendenziell strengeren Vorschriften unterworfen als in der TA Lärm (vgl. § 5 Abs. 5 der 18. BImSchV; Ziff. 6.3 TA Lärm). Bei den besonderen Ruhezeiten bzw. den Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit während des Ta- ges ist die 18. BImSchV ebenfalls strenger als die TA Lärm. Einer- seits gewährt sie im Vergleich zur TA Lärm für die Ruhezeit bzw. für die Tageszeit mit erhöhter Empfindlichkeit einen geringeren Zu- schlag auf den sonst massgebenden Tages-Immissionsrichtwerten (5 dB[A] gemäss § 2 Abs. 2 der 18. BImSchV gegenüber 6 dB[A] gemäss Ziff. 6.5 TA Lärm), andererseits dehnt sie an Werktagen die morgendliche Ruhezeit zu Lasten der weniger lärmempfindlichen Ta- geszeit aus und schränkt sie an Sonn- und Feiertagen zu Gunsten der lärmempfindlicheren Nachtzeit ein (§ 2 Abs. 5 der 18. BImSchV; Ziff. 6.5 TA Lärm). Zudem trägt die 18. BImSchV Ruhezeiten in je- dem Gebiet Rechnung, während die TA Lärm Tageszeiten mit erhöh- ter Empfindlichkeit nur in reinen und allgemeinen Wohngebieten so- wie in Kurgebieten berücksichtigt (§ 2 Abs. 2 der 18. BImSchV; Ziff. 6.5 und 6.1 TA Lärm). Auf Grund dieses Vergleichs ist anzuneh- men, dass das öffentliche Interesse am Betrieb von Sportanlagen zu keiner Senkung der für andere Anlagen geltenden Immissionsricht- werte geführt hat. Insgesamt liegt das Schutzniveau beim Sportlärm sogar höher als bei Anlagen, die von der TA Lärm erfasst werden. Das öffentliche Interesse am Sport hat sich in der 18. BImSchV so- mit nur punktuell niedergeschlagen, indem dieses Regelwerk den Schulsport und Studiengänge an Hochschulen hinsichtlich der Be- triebszeiten privilegiert. Nachdem das schweizerische Recht eine ge- nerelle Rücksichtnahme auf die mit dem Sport verbundenen öffentli- chen Interessen erlaubt, erscheint eine Herabsetzung des Schutzni- veaus gegenüber dem deutschen Recht gestützt auf die Erleichte- rungsbestimmung des schweizerischen Rechts möglich und sachge- recht (vgl. auch Entscheid des Verwaltungsgerichts Luzern vom 21. August 2003 [V 02 81], in: URP 2004, S. 246 ff.; siehe zur er- messensweisen Abweichung von den Richtwerten auch den Ent- 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 137 scheid des Verwaltungsgerichts Zürich vom 29. August 2007 [VB.2007.00240], in: BEZ 2007, S. 50). Eine solche Herabsetzung des Schutzniveaus scheint aus der Sicht des schweizerischen Rechts auch deshalb geboten, weil der Beizug der 18. BImSchV hierzulande nicht zu einer Benachteiligung des Sportlärms gegenüber anderen Lärmarten (insbesondere gegen- über Gewerbe- und Industrielärm) führen darf. Eine solche Benach- teiligung wäre unhaltbar angesichts der erheblichen öffentlichen In- teressen an der Sportausübung, die nach der Konzeption des Geset- zes sogar zu Erleichterungen führen können. Die Gefahr einer Be- nachteiligung des Sportlärms besteht insbesondere deshalb, weil die 18. BImSchV kürzere Mittelungszeiten kennt als Anhang 6 zur LSV, was den in der Schweiz für die Beurteilung von Gewerbe- und Indu- strielärm üblichen «Verdünnungseffekt» abschwächt. Auch die An- wendung des Spitzenpegel-Kriteriums, das bei Sportlärm durchaus Sinn macht, kann in der Schweiz zu einer Benachteilung des Sportlärms gegenüber Industrie- und Gewerbelärm führen, was sich von der Interessenlage her ebenfalls nicht rechtfertigen liesse. Das Lärmgutachten zeigt, dass der Betrieb der geplanten Anlage in weiten Teilen unproblematisch ist. Für den Normalbetrieb gilt dies selbst dann, wenn die im GA IV empfohlenen betrieblichen Massnahmen nicht umgesetzt werden. Zu einer Verletzung der deut- schen Richtwerte führt voraussichtlich einzig die Durchführung von Grossanlässen. Bei Grossanlässen, die als seltene Ereignisse ausge- schieden werden können, tritt ein solcher Konflikt infolge der Be- schallung beim Empfangspunkt Altersheim auf, wo der massgebende Richtwert von 60 dB(A) gemäss Lärmprognose um 1,9 dB(A) über- schritten wird. Eine Veränderung des Schallpegels um 1,9 dB(A) kann zwar objektiv nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden, wird vom Menschen jedoch als unwesentliche Änderung der Laut- stärke empfunden (Wolf, Kommentar USG, Vorbem. zu Art. 19-25 N 9). Grössere Richtwert-Überschreitungen resultieren dann, wenn die Beschallungsanlage an den verbleibenden 6 Kalendertagen, an denen die Grossveranstaltungen den Anforderungen des regelmässi- gen Betriebs zu genügen haben, ebenfalls eingesetzt wird. In diesem Fall betragen die Beurteilungspegel bis zu 61.7 dB(A) und die Richt- 2008 Verwaltungsgericht 138 wertüberschreitungen bis zu 11.7 dB(A). Der für den Samstagabend beim Altersheim prognostizierte Schalldruckpegel von 61.7 dB(A) entspricht ungefähr demjenigen einer lauten Unterhaltung oder von Bürogeräuschen (Ketteler, Kommentar, S. 16). Die Grenze zur Ge- sundheitsgefährdung liegt am Tag bei einem Mittelungspegel von 70- 75 dB(A) (Stüer/Middelbeck, a.a.O., S. 40; Ketteler, Kommentar, S. 21). Ein Gesundheitsrisiko dürfte allerdings auch bei einem sol- chen Pegel erst bei einer regelmässigen, länger andauernden Lärmex- position entstehen. Im konkreten Fall liegt der Mittelungspegel deut- lich unter der Schwelle zum Gesundheitsrisiko von 70-75 dB(A) am Tag. Der Richtwert wird zudem nur an maximal 6 Kalendertage pro Jahr überschritten, weshalb schon deshalb weder körperliche Reak- tionen noch Gesundheitsschäden zu erwarten sind. Die Einwirkungen können somit aus der Sicht des schweizerischen Rechts weder als lästig noch als schädlich eingestuft werden. Das gilt auch deshalb, weil die Daten der Grossanlässe zum Voraus bekannt sind und sich die Lärmbetroffenen darauf einstellen können, indem sie den Auf- enthalt im Freien oder das Öffnen von lärmexponierten Fenster vor- übergehend vermeiden. Aus den dargelegten Gründen kann im vor- liegenden Verfahrensstadium auf die Anordnung der im GA IV emp- fohlenen Massnahmen verzichtet werden. Diese Lösung rechtfertigt sich auch unter dem Aspekt der Ver- hältnismässigkeit. Nachdem die Prognose über die Störwirkung bei Bauvorhaben der streitbetroffenen Art mit erheblichen Unsicherhei- ten behaftet ist, unter Zugrundelegung des deutschen Rechts jeden- falls keine gravierenden Richtwertüberschreitungen zu erwarten sind und die effektive Störwirkung in erheblichem Ausmass von nicht prognostizierbaren Faktoren abhängt, wäre es unverhältnismässig, dem Beschwerdegegner bereits im Baubewilligungsverfahren zusätz- liche betriebliche Beschränkungen aufzuerlegen. Andernfalls bestün- de die Gefahr, dass eine im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit eingeschränkt würde, ohne dass dafür ein sachlicher Grund effektiv vorhanden ist. Insofern kann der Kritik der Gemeinden teilweise zu- gestimmt werden. Dadurch werden die Beschwerdeführer auch nicht vor unzumutbare Rechtsprobleme gestellt. Sofern sich nach In- betriebnahme der Anlage herausstellen sollte, dass die Prognose zu 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 139 optimistisch war, kann die zuständige Behörde Messungen anordnen und nachträglich die im GA IV empfohlenen Massnahmen oder wei- tergehende Korrekturen am betrieblichen Gerüst zum Schutz der Lärmbetroffenen anordnen (ähnlich für das deutsche Recht Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, 19. Kammer, vom 6. April 2005 [19 A 299.02], Erw. 3, mit Rechtsprechungshinweisen). 9.1.3. Nach Art. 11 Abs. 2 USG sind Emissionen unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung im Rahmen der Vorsorge soweit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaft- lich tragbar ist. Bei den hierbei genannten Belastungen für das Pro- jekt geht es im Wesentlichen um dieselben Gesichtspunkte wie bei den Erleichterungen nach Art. 25 Abs. 2 USG; allerdings ist der bei Art. 25 Abs. 2 USG anzuwendende Massstab strenger. Nachdem im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Gewährung von Erleich- terungen vorliegen, hat Art. 11 USG gegenüber diesen zurückzutre- ten. Es entfallen somit lärmbegrenzende Massnahmen nach Art. 11 USG (BGE vom 28. Februar 2005 [1A.167/2004], Erw. 4.4.; Schrade/Loretan, Kommentar USG, Art. 11 N 47). 9.2. Zusammenfassend ist der angefochtene Beschluss zu schützen, ohne dass zusätzliche betriebliche Einschränkungen bereits im Baubewilligungsverfahren als Auflagen angeordnet werden müssen. Die Beschwerde erweist sich damit in allen Punkten als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist. 10. (... [Bachöffnungsverfahren]) III. (... [Kosten]) (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde gegen diesen Entscheid im Wesentlichen abgewiesen; Urteil vom 5. Dezember 2008 [1C_169/2008]).
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AG_VG_001_AGVE-2008-23_2008-02-03
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https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2008-23.pdf
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2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 141 21 Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zur erwerbslosen Wohnsitznahme - Besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz im Sinne von Art. 28 lit. b AuG liegen vor, wenn Rentnerinnen oder Rentner eine enge Beziehung zu nahen Verwandten in der Schweiz haben. Entge- gen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist vom kla- ren Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 lit. b VZAE nicht abzuweichen (Erw. 3). - Den Migrationsbehörden ist es unbenommen, die demografische, die soziale und die gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz bei der Zu- lassung von Rentnerinnen und Rentnern im Rahmen des öffentlichen Interesses stärker zu gewichten (Erw. 4). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 8. Juli 2015 in Sachen A. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2014.348). Sachverhalt (Zusammenfassung) Die Beschwerdeführerin ist kosovarische Staatsangehörige. Am 19. August 2013 liess sie beim MIKA die Erteilung einer Aufent- haltsbewilligung zur erwerbslosen Wohnsitznahme in der Schweiz beantragen. Mit Verfügung vom 6. Mai 2014 lehnte das MIKA das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zur erwerbslosen Wohnsitznahme ab, da die Beschwerdeführerin ausserhalb ihres familiären Netzes keine besonderen Beziehungen zur Schweiz vor- weisen könne. Aus den Erwägungen 2. 2.1. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 142 Gemäss Art. 28 AuG können Ausländerinnen und Ausländer, die nicht mehr erwerbstätig sind, zum Aufenthalt in der Schweiz zugelassen werden, wenn sie: a. ein vom Bundesrat festgelegtes Mindestalter erreicht haben; b. besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz besitzen; und c. über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Die Voraussetzungen von Art. 28 lit. a bis c AuG müssen kumu- lativ erfüllt sein. Nachdem Art. 28 AuG als "Kann-Bestimmung" nor- miert wurde, besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufent- haltsbewilligung, sondern liegt die Bewilligungserteilung im pflicht- gemäss auszuübenden Ermessen der Behörde. Dabei ist insbesondere dem Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung der Betroffenen und der willkürfreien Entscheidung besondere Beachtung zu schenken. Sind die gesetzlichen und die im Rahmen des migrationsamtlichen Ermessens zulässigerweise verlangten Voraussetzungen erfüllt, ist die Bewilligung zu erteilen (vgl. M ARC S PESCHA , in: S PESCHA / T HÜR /Z ÜND /B OLZLI , Kommentar Migrationsrecht, Art. 96 AuG, N 1). Gemäss Art. 3 f. AuG und Art. 96 AuG haben die zuständigen Behörden bei der Ermessensausübung überdies die öffentlichen Interessen, insbesondere die demografische, soziale und gesell- schaftliche Entwicklung der Schweiz, die persönlichen Verhältnisse sowie den Grad der Integration der Ausländerinnen und Ausländer zu berücksichtigen. 2.2. Die Voraussetzungen von Art. 28 AuG werden teilweise in Art. 25 VZAE konkretisiert. Gemäss Art. 25 Abs. 1 VZAE beträgt das Mindestalter für die Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern 55 Jahre. Besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz liegen gemäss Art. 25 Abs. 2 VZAE insbesondere vor, wenn a. längere frühere Aufenthalte in der Schweiz, namentlich Fe- rien, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit, nachgewiesen wer- den; b. enge Beziehungen zu nahen Verwandten in der Schweiz bestehen (Eltern, Kinder, Enkelkinder oder Geschwister). 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 143 Art. 25 Abs. 3 VZAE hält weiter fest, dass die Rentnerin oder der Rentner im In- oder Ausland mit Ausnahme der Verwaltung des eigenen Vermögens keine Erwerbstätigkeit ausüben darf. Konkreti- sierungen hinsichtlich der genügenden finanziellen Mittel für einen Aufenthalt in der Schweiz sind der VZAE jedoch nicht zu entneh- men. 3. 3.1. Nachdem die Vorinstanz unter Bezugnahme auf die Recht- sprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgeht, die Be- schwerdeführerin besitze keine besonderen persönlichen Beziehun- gen zur Schweiz, ist vorab zu klären, ob die Voraussetzung von Art. 28 lit. b AuG erfüllt ist. 3.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in konstanter Rechtspre- chung davon aus, dass enge Beziehungen zu nahen Verwandten in der Schweiz allein nicht genügen, um besondere persönliche Bezie- hungen zur Schweiz im Sinne von Art. 28 lit. b AuG zu besitzen. Vielmehr bedarf es zusätzlich eigenständiger, von den Angehörigen unabhängiger Beziehungen soziokultureller oder persönlicher Art, wie beispielsweise Verbindungen zum örtlichen Gemeinwesen, die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen oder direkte Kontakte mit der einheimischen Bevölkerung (Urteil des Bundesverwaltungsge- richts vom 17. Februar 2014 [C-1156/2012], Erw. 10.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2012 [C-797/2011], Erw. 9.1.7 und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 2013 [C-6349/2010], Erw. 9.2.3). Nachdem sich die Vorinstanz auf diese Rechtsprechung und auf die darauf angepassten Weisungen des SEM stützt (vgl. Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich vom 1. Juli 2015 [Weisungen AuG], S. 207), ist nachfolgend zu klä- ren, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der "besonderen persönli- chen Beziehungen zur Schweiz" zu verstehen ist. 3.3. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegen- den Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnisme- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 144 thode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedan- ken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm dar- stellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkreti- sierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis, d.h. des Gesetzeszwecks. Dabei ist ein pragmatischer Methodenpluralismus anzuwenden. Es ist insbesondere davon abzu- sehen, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Priori- tätsordnung zu unterstellen. Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, sofern sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (BGE 131 III 33, Erw. 2). Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut einer Be- stimmung. Ist der Text nicht ohne Weiteres klar und sind verschie- dene Interpretationen möglich, so muss unter Berücksichtigung aller Auslegungsmethoden (grammatikalische, systematische, historische und teleologische Methode) nach seiner wahren Tragweite gesucht werden; dabei kommt es namentlich auf den Sinn und Zweck der Re- gelung, auf die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahms- weise abgewichen werden; namentlich dann, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestim- mung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entste- hungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (Urteil des Bundesgerichts vom 26. Mai 2015 [9C_813/2014], Erw. 2.2; BGE 135 II 78, Erw. 2.2; BGE 131 III 33, Erw. 2; BGE 130 II 202, Erw. 5.1; BVGE 2007/7, Erw. 4.1, mit weiteren Hinweisen; vgl. zur Auslegung im Verwaltungsrecht allgemein: U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 214 ff., mit weiteren Hinweisen). 3.4. Die grammatikalische Auslegung stellt auf Wortlaut, Wortsinn und Sprachgebrauch ab. Unter Sprachgebrauch ist dabei in der Regel der allgemeine Sprachgebrauch zu verstehen. Bei der Auslegung sind neben dem Gesetzestext auch allfällige Titel zu berücksichtigen. 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 145 Dabei sind die Formulierungen einer Gesetzesnorm in den Amtsspra- chen Deutsch, Französisch und Italienisch gleichwertig (U LRICH H ÄFELIN /W ALTER H ALLER /H ELEN K ELLER , Schweizerisches Bun- desstaatsrecht, 8. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 91 ff.). Art. 28 AuG sieht drei kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen vor, damit Ausländerinnen und Ausländer, welche nicht mehr er- werbstätig sind, zugelassen werden können. Eine dieser Voraus- setzungen bildet der Besitz besonderer persönlicher Beziehungen zur Schweiz (Art. 28 lit. b AuG). Gemäss Art. 25 Abs. 2 VZAE liegen besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz insbesondere vor, wenn: a. längere frühere Aufenthalte in der Schweiz, namentlich Fe- rien, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit, nachgewiesen wer- den; b. enge Beziehungen zu nahen Verwandten in der Schweiz be- stehen (Eltern, Kinder, Enkelkinder oder Geschwister). Aufgrund der Formulierung von Art. 25 Abs. 2 VZAE - unter Verwendung von "insbesondere" und ohne eine Konjunktion, welche darauf hindeuten würde, dass die beiden Kriterien als kumulative Voraussetzungen zu verstehen sind - sind sie zum einen als alterna- tive und nicht zwingende Kriterien und zum anderen als beispiel- hafte, jedoch nicht abschliessende Aufzählung zu verstehen. Die be- sonderen persönlichen Beziehungen zur Schweiz, wie sie Art. 28 lit. b AuG verlangt, sind damit nach dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 VZAE namentlich dann gegeben, wenn längere frühere Aufenthalte in der Schweiz nachgewiesen werden oder wenn enge Beziehungen zu Eltern, Kindern, Enkelkindern oder Geschwistern bestehen, wel- che in der Schweiz leben. Auch wenn diese Aufzählung nicht ab- schliessend ist, geht aus dem Wortlaut der Bestimmungen nicht her- vor, dass über die einzelnen Kriterien hinaus bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssten, damit die Voraussetzung gemäss Art. 28 lit. b AuG gegeben ist. Daran ändert auch nichts, dass die beiden Kriterien unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, welche der Auslegung bedür- fen. Es lässt somit nichts darauf schliessen, dass enge Beziehungen zu nahen Verwandten allein für den Besitz besonderer persönlicher Beziehungen zur Schweiz ungenügend wären. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 146 Aus dem Wortlaut der vorliegend einschlägigen Bestimmungen geht nach dem Gesagten klar hervor, aufgrund welcher Kriterien vom Vorliegen der besonderen persönlichen Beziehungen zur Schweiz im Sinne von Art. 28 AuG ausgegangen werden kann. Zu prüfen ist nachfolgend, ob ausnahmsweise vom klaren Wort- laut abzuweichen ist, weil er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. 3.5. 3.5.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Rechtsprechung damit, dass das Erfordernis der besonderen persönlichen Beziehun- gen zur Schweiz aufgrund der Entstehungsgeschichte von Art. 28 AuG nicht mit den gemäss Art. 25 Abs. 2 VZAE vorgesehenen engen Beziehungen zu nahen Verwandten in der Schweiz gleichzusetzen sei. Dies führte zu einem vereinfachten Familiennachzug in aufstei- gender Linie, was vom Gesetzgeber nicht gewollt sein könne. Aus den diversen früheren Verordnungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zur Begrenzung der Zahl der Ausländer gehe hervor, dass der Verordnungsgeber unterschieden habe zwischen dem Familiennachzug in aufsteigender Linie einerseits und der Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern, welche keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen und über ausserfamiliäre Beziehungen zur Schweiz verfügen, andererseits. Ersterer würde sich auf indirekte Beziehun- gen zur Schweiz stützen, wobei die Schweiz lediglich deren geo- graphischer Verankerungspunkt bilde, während Letzterer persönliche und direkte Beziehungen zur Schweiz zu Grunde lägen. Die Zulas- sung von Rentnerinnen und Rentnern sei in Art. 34 der Verordnung über die Begrenzung der Zahl der Ausländer vom 6. Oktober 1986 (BVO, AS 1986 1791) und anschliessend in Art. 28 AuG normiert worden. Die Parallelbestimmung betreffend den Familiennachzug in aufsteigender Linie sei als solche zwar nicht formell in der BVO ver- ankert worden. Dies bedeute jedoch nicht, dass Art. 28 AuG nun beide Konstellationen vereine. Der Härtefall, wie er beim Familien- nachzug in aufsteigender Linie gemäss den früheren Verordnungen verlangt war, sei vormals von Art. 13 lit. f BVO erfasst worden. Ge- mäss aktueller Rechtslage sei der Familiennachzug in aufsteigender 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 147 Linie in Art. 42 Abs. 2 AuG lediglich für Schweizer vorgesehen; in allen anderen Fällen müsse ein schwerwiegender persönlicher Härte- fall im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG vorliegen. Bereits der Wortlaut von Art. 28 lit. b AuG zeige, dass nach aktueller Rechtslage direkte Beziehungen zur Schweiz bestehen müssten und nicht indi- rekte: Gemäss Gesetzestext seien besondere persönliche Beziehun- gen " zur Schweiz" und nicht " in der Schweiz" verlangt (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2012 [C-797/2011], Erw. 9.1). Damit stützt das Bundesverwaltungsgericht die Begründung seiner aktuellen Rechtsprechung darauf, dass zu unterscheiden sei zwischen Aufenthaltsbewilligungen, die Rentnerinnen und Rentnern aufgrund eines Familiennachzugs in aufsteigender Linie erteilt wer- den und Aufenthaltsbewilligungen aufgrund direkter und eigenstän- diger, d.h. ausserfamiliärer, Beziehungen zur Schweiz. Auch wenn diese Zweispurigkeit bei der Bewilligungserteilung an Rentnerinnen und Rentner gemäss früherem Verordnungsrecht bestanden haben sollte, ergab sie sich weder aus den vormaligen Rechtsgrundlagen gemäss Art. 13 lit. f BVO und Art. 34 BVO noch ergibt sie sich aus den aktuellen Rechtsgrundlagen gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG und Art. 28 AuG bzw. Art. 25 VZAE. Zwar bestand bzw. besteht für eine Rentnerin oder einen Rentner wohl die Möglichkeit, gestützt auf Art. 13 lit. f BVO bzw. Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG aufgrund eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls eine Aufenthaltsbewilli- gung zu erhalten. Jedoch war weder nach alter Gesetzgebung noch ist nach aktueller Gesetzgebung ersichtlich, dass eine nicht mehr er- werbstätige, solvente, über 55-jährige Person mit nahen Verwandten in der Schweiz, aber ohne ausserfamiliäre Beziehungen zur Schweiz nur dann eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden konnte oder kann, wenn ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorlag bzw. vorliegt. Ebenso wenig ergab bzw. ergibt sich aus Art. 34 BVO bzw. aus Art. 28 AuG und Art. 25 VZAE sowie aus den diesbezüglichen Materialien, dass diese Normen nur dann zur Anwendung gelangen sollten bzw. sollen, wenn die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung alleine gestützt auf ausserfamiliäre Beziehungen erteilt werden soll. Solches geht auch aus der Praxis zu Art. 34 BVO nicht hervor (siehe 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 148 dazu nachfolgend). Vielmehr ist davon auszugehen, dass als Rechts- grundlage für die Bewilligungserteilung an Rentnerinnen und Rent- ner nach AuG einerseits Art. 42 Abs. 2 AuG und andererseits Art. 28 AuG und Art. 25 VZAE zur Anwendung kommen und dass dabei der allgemeinen Bestimmung von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG nur eine sub- sidiäre Bedeutung zukommt. Gemäss Art. 42 Abs. 2 AuG sind Eltern, deren Nachkommen mit Schweizer Bürgerrecht in der Schweiz le- ben, bei der Bewilligungserteilung insofern privilegiert, als sie keiner Alterslimite unterliegen und Anspruch auf die Bewilligung haben, je- doch insofern benachteiligt, als dieser Anspruch nur dann besteht, wenn sie bereits im Besitze einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates sind, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlos- sen wurde und wenn ihnen durch die Nachkommen Unterhalt ge- währt wird. 3.5.2. Soweit das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf die Entste- hungsgeschichte von Art. 28 AuG feststellt, dass die besonderen per- sönlichen Beziehungen zur Schweiz erst dann vorliegen, wenn neben den Beziehungen zu Angehörigen in der Schweiz auch eigenständige und von Angehörigen unabhängige Beziehungen soziokultureller oder persönlicher Art vorhanden sind, ist Folgendes festzuhalten: Der Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002 (Botschaft zum AuG) ist zu entnehmen, dass Art. 28 AuG der Regelung von Art. 34 BVO entspricht (BBl 2002 3785), wonach Rentnerinnen und Rentnern eine Aufent- haltsbewilligung erteilt werden konnte, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller (a) älter als 55-jährig war, (b) enge Beziehun- gen zur Schweiz hatte, (c) weder in der Schweiz noch im Ausland er- werbstätig war, (d) den Mittelpunkt ihrer bzw. seiner Lebensverhält- nisse in die Schweiz verlegte und (e) die notwendigen finanziellen Mittel hatte. Kriterien, welche für das Vorliegen der gemäss Art. 34 lit. b BVO vorausgesetzten engen Beziehungen zur Schweiz spra- chen, waren insbesondere längere oder wiederholte Aufenthalte in der Schweiz (namentlich regelmässige Ferienaufenthalte), in der Schweiz lebende Familienmitglieder (Eltern, Kinder, Enkelkinder, Geschwister) und Vorfahren mit Schweizer Staatsangehörigkeit. Der 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 149 Besitz von Grundeigentum oder das Bestehen von wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz reichten für sich alleine hingegen nicht zur Annahme von engen Beziehungen zur Schweiz aus (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2009 [C-2570/2007], Erw. 7.1.2, zur Auslegung von Art. 34 BVO). Zusätzliche, eigenstän- dige und von Angehörigen unabhängige Beziehungen soziokulturel- ler oder persönlicher Art waren nicht erforderlich. Die Botschaft zum AuG verwendet für die Definition der besonderen persönlichen Be- ziehungen zur Schweiz gemäss Art. 28 lit. b AuG dieselbe Umschrei- bung: Besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz liegen dem- nach namentlich vor, wenn längere oder wiederholte Aufenthalte nachgewiesen werden können, wenn nahe Verwandte in der Schweiz leben oder wenn die Vorfahren Schweizerinnen oder Schweizer wa- ren. Allein durch den Besitz von Grundeigentum oder auf Grund von wirtschaftlichen Beziehungen zur Schweiz wird diese Voraussetzung noch nicht erfüllt (Botschaft zum AuG BBl 2002 3785). Aus den Materialien zum AuG geht sodann weder hervor, dass der Gesetzge- ber eine zusätzliche Voraussetzung in Form der eigenständigen Beziehungen soziokultureller oder persönlicher Art einführen wollte, noch dass die Beziehungen zur Schweiz unter neuem Recht anders definiert werden sollten als nach bisherigem Recht. Sowohl der National- als auch der Ständerat haben sich ohne Diskussion der bun- desrätlichen Vorlage angeschlossen, deren Gesetzeswortlaut seit der ersten Fassung des AuG bis heute unverändert geblieben ist. Schliesslich ergeben sich auch aus den Ausführungsbestimmungen (Art. 25 Abs. 2 VZAE) keinerlei Hinweise darauf, dass zusätzlich zu den längeren früheren Aufenthalten in der Schweiz oder den engen Beziehungen zu nahen Verwandten in der Schweiz eigenständige, von den Angehörigen unabhängige Beziehungen soziokultureller oder persönlicher Art vorhanden sein müssten. Vielmehr ist dem Be- richt zum Vernehmlassungsentwurf der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE), S. 8, zu entnehmen, dass die bisherige Regelung (Art. 34 BVO) bei der Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern, die weder in der Schweiz noch im Aus- land erwerbstätig seien, weitergeführt werden solle. Die für eine 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 150 Zulassung notwendigen "besonderen persönlichen Beziehungen zur Schweiz" würden in der Verordnung näher umschrieben (Abs. 2). Nach dem Gesagten ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Bun- desverwaltungsgericht aufgrund der Entstehungsgeschichte von Art. 28 AuG zum Schluss kommt, dass über die Beziehungen zu Angehörigen hinaus zusätzliche Beziehungen zur Schweiz bestehen müssten. Das Bundesverwaltungsgericht zeigt nicht auf, inwiefern sich unter Art. 28 AuG gegenüber der altrechtlichen Grundlage ge- mäss Art. 34 BVO etwas geändert haben sollte. Vielmehr setzt sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Übergang von den früheren Verordnungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zur BVO auseinander. Daraus ergibt sich nichts anderes, als dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Voraus- setzung betreffend die Beziehungen zur Schweiz bei Einführung des AuG gegenüber der BVO-Regelung unverändert blieben (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2012 [C-797/2011], Erw. 9.1.6 und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 2013 [C-6349/2010], Erw. 8.2.2). Im Übrigen war schon gemäss altrechtlicher Bestimmung von den Beziehungen zur Schweiz die Rede (vgl. Art. 34 lit. b BVO). Weshalb diese Formulie- rung mit Art. 28 lit. b AuG nun enger auszulegen wäre, ist nicht nachvollziehbar (vgl. zudem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. September 2012 [C-797/2011], Erw. 9.1.5). 3.5.3. Zusammenfassend lässt sich die zusätzliche Voraussetzung der eigenständigen, von den Angehörigen unabhängigen Beziehungen soziokultureller oder persönlicher Art für die Zulassung von Rentne- rinnen und Rentnern weder aus den gesetzlichen Grundlagen (Art. 34 BVO und Art. 28 AuG bzw. Art. 25 VZAE) noch aus den dazugehö- rigen Materialien ableiten. Zudem sind keinerlei gesetzgeberischen Bestrebungen ersichtlich, wonach in Bezug auf die vorausgesetzten Beziehungen zur Schweiz gegenüber Art. 34 BVO etwas hätte geän- dert werden sollen. Es rechtfertigt sich daher nicht, für die Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern gestützt auf die gesetzlichen Grund- lagen bzw. aufgrund der Entstehungsgeschichte von Art. 28 AuG mit Blick auf die besonderen persönlichen Beziehungen zur Schweiz ne- 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 151 ben engen Beziehungen zu nahen Verwandten zusätzliche Voraus- setzungen zu verlangen. 3.5.4. Hinsichtlich der teleologischen Auslegung ist Folgendes festzu- halten: Sinn und Zweck der genannten Bestimmung ist es, Rentnerin- nen und Rentnern unter gewissen Bedingungen den Aufenthalt in der Schweiz zu gestatten. Würde man, wie dies das Bundesverwal- tungsgericht tut, für Rentnerinnen und Rentner mit engen Beziehun- gen zu nahen Verwandten in der Schweiz verlangen, dass diese darüber hinaus zusätzlich eigene, von den Verwandten unabhängige Beziehungen zur Schweiz nachweisen können, bedeutete dies letzt- lich, dass die beiden Bedingungen von Art. 25 Abs. 2 lit. a und b VZAE kumulativ erfüllt sein müssten. Eine derartige, konsequente Umsetzung der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts hätte aber wiederum zur Folge, dass Rentnerinnen und Rentner ohne nahe Verwandte in der Schweiz die Voraussetzung von Art. 25 Abs. 2 VZAE gar nie erfüllen könnten, womit ein Teil der Rentnerinnen und Rentner von der Zulassungsmöglichkeit ausgeschlossen würde. Dass es aber keinesfalls dem Sinn und Zweck der genannten Zulassungs- bestimmungen entsprechen kann, zum Beispiel Personen, die wäh- rend Jahren in der Schweiz arbeitstätig waren und für ein paar Jahre die Schweiz verlassen haben, den Aufenthalt als Rentnerin oder Rentner zu versagen, nur weil sie über keine nahen Verwandten in der Schweiz verfügen, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Ausführungen. 3.5.5. Andere Gründe, weshalb vorliegend ausnahmsweise vom klaren Wortlaut der Bestimmungen betreffend die besonderen persönlichen Beziehungen abgewichen werden dürfte, sind nicht ersichtlich. Viel- mehr ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass die Zulassung von Rent- nerinnen und Rentnern (wie auch der schwerwiegende persönliche Härtefall gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG) im fünften Kapitel betref- fend die Zulassungsvoraussetzungen geregelt ist und die Rechts- grundlagen für den Familiennachzug in einem anderen, eigenen Kapitel (siebtes Kapitel) festgelegt sind. Die Gesetzessystematik lässt damit bezüglich der Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 152 und dem Familiennachzug ebenfalls keinen Zusammenhang erken- nen. 4. Wie bereits ausgeführt (siehe vorne Erw. 2.2), liegt die Bewilli- gungserteilung gestützt auf Art. 28 AuG im Ermessen der dafür zu- ständigen Behörde. Neben den in Art. 96 Abs. 1 AuG und Art. 4 AuG genannten öffentlichen Interessen, den persönlichen Verhältnissen und dem Grad der Integration ist bei der Zulassung von Ausländerin- nen und Ausländern insbesondere auch die demografische, die so- ziale und die gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz zu berück- sichtigen (Art. 3 Abs. 3 AuG). In Anbetracht dessen, dass die Schweiz nicht sämtliche ausländische Personen aufnehmen kann, welche hier leben möchten, erscheint es im Rahmen der Interessen- abwägung gerechtfertigt, die Durchsetzung einer restriktiven Ein- wanderungspolitik als gewichtiges öffentliches Interesse zu berück- sichtigen (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2012 [C-6310/2009], Erw. 4 und 9.3.3, mit Hinwei- sen). Eine restriktive Auslegung von Art. 28 AuG und Art. 25 VZAE ist daher grundsätzlich zulässig, solange sich das von den zuständi- gen Migrationsbehörden ausgeübte Ermessen im rechtlich vorgege- benen Rahmen bewegt. Das Ermessen ist insbesondere pflichtgemäss auszuüben und es darf nicht unter- oder überschritten werden (P ETER U EBERSAX , Einreise und Anwesenheit, in: P ETER U EBERSAX /B EAT R UDIN /T HOMAS H UGI Y AR /T HOMAS G EISER [Hrsg.], Ausländer- recht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Auslän- derinnen und Ausländern in der Schweiz, Basel 2009, Rz. 7.103). Unter Beachtung dieser Voraussetzungen ist es der zuständigen Migrationsbehörde unbenommen, die demografische, die soziale und die gesellschaftliche Entwicklung der Schweiz bei der Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern im Rahmen des öffentlichen Interesses stärker zu gewichten und die Amtsweisungen mit Blick auf eine rechtsgleiche Behandlung aller Gesuchstellenden entsprechend aus- zugestalten. Dies umso mehr, als die ohnehin zunehmende Überalterung der Gesellschaft zu einem wachsenden Anteil von Personen führt, die 2015 Migrationsrecht Migrationsrecht 153 altersbedingt nicht mehr erwerbstätig sind, und so eine stark zuneh- mende Belastung für die erwerbstätige Bevölkerung und die hiesigen Sozialwerke darstellen (vgl. Botschaft zum AuG BBl 2002 3722 ff.), welche durch den Zuzug von Rentnerinnen und Rentnern noch ver- stärkt wird. Selbstredend besteht das diesbezügliche öffentliche Inte- resse in finanzieller Hinsicht nicht nur darin, potentiell anfallende Sozialhilfekosten möglichst tief zu halten oder zu verhindern. Viel- mehr spricht nichts dagegen, die Belastung des Gesundheitswesens in die Beurteilung des öffentlichen Interesses miteinzubeziehen und gegebenenfalls erhöhte finanzielle Anforderungen bezüglich der not- wendigen finanziellen Mittel, der Leistungsfähigkeit und der Sicher- heit der Leistungsfähigkeit festzulegen (vgl. AGVE 1999, S. 480 ff.). Dass das Gesundheitswesen durch den Zuzug von über 55-jährigen Rentnerinnen und Rentnern verteuert wird, insbesondere wenn diese den selbst zu übernehmenden Anteil ihrer Gesundheitskosten nicht tragen können, liegt auf der Hand. Anders als seit langem hier le- bende Ausländerinnen und Ausländer haben erst als Rentnerin oder Rentner zuziehende Personen auch nicht während Jahren potentiell tieferer persönlicher Gesundheitskosten Krankenkassenbeiträge be- zahlt und so einen Solidaritätsanteil übernommen. Vielmehr profitie- ren sie aufgrund des Krankenkassenobligatoriums ohne Vorleistun- gen von einem umfassenden Gesundheitswesen. Erst als Rentnerin- nen oder Rentner zuziehende, nicht mehr erwerbstätige Personen können sich auch nicht darauf berufen, jahrelang Steuern bezahlt und den Staatshaushalt mitgetragen zu haben. Dass ein erhöhtes öffentli- ches Interesse besteht, den Zuzug wirtschaftlich nicht aktiver Perso- nen, die nie Beiträge an entsprechende Institutionen geleistet haben, restriktiv zu regeln, liegt damit auf der Hand. Auch wenn für beson- dere persönliche Beziehungen zur Schweiz enge Beziehungen zu nahen Verwandten genügen, gilt es festzuhalten, dass die Zulassung von Rentnerinnen und Rentnern nicht zu einem versteckten Familiennachzug führen darf, an welchen geringere Anforderungen gestellt werden als an den Nachzug von Ehegatten und Verwandten in absteigender Linie. Es spricht nichts dagegen, all dies im Rahmen des öffentlichen Interesses bei der Beurteilung eines Gesuches zu be- rücksichtigen. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 154 5.-6. (...) 7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Einspracheent- scheid vom 15. September 2014 in teilweiser Gutheissung der Be- schwerde insofern aufzuheben ist, als darin festgehalten wurde, die Beschwerdeführerin verfüge über keine besonderen persönlichen Be- ziehungen zur Schweiz im Sinne von Art. 28 lit. b AuG. Nachdem der Sohn der Beschwerdeführerin vollumfänglich für den Unterhalt seiner Mutter aufkommen will und aufgrund seiner Steuerausstände nicht mehr erstellt ist, dass die Beschwerdeführerin über die notwen- digen finanziellen Mittel im Sinne von Art. 28 lit. c AuG verfügt, ist das Verfahren zu weiteren Sachverhaltsabklärungen, insbesondere zur erneuten Erhebung der finanziellen Verhältnisse des Sohnes der Beschwerdeführerin, an das MIKA zurückzuweisen.
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AG_VG_001
AG_VG
AG
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AG_VG_001_AGVE-2015-21_2015-07-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2015-21.html
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2011 Anwaltsrecht 237 XII. Anwaltsrecht 56 Sorgfältige und gewissenhafte Ausübung des Anwaltsberufs (Art. 12 lit. a BGFA) Ein Anwalt hat bei der Kontaktierung eines potentiellen Zeugens sicher- zustellen, dass sein Vorgehen nicht zu einer Beeinflussung dieser Person bzw. zu einer Verfälschung des Beweisergebnisses führen kann. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 23. Juni 2010 in Sachen A. gegen Anwaltskommission (WBE.2010.46). Aus den Erwägungen 1.2. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer mit einem Verweis belegt. Die mit dem Entscheid ausgesprochene Disziplinierung be- ruht auf dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe gegen die an- waltliche Berufspflicht gemäss Art. 12 lit. a BGFA verstossen. Er sei mehrfach mit der mutmasslichen Geschädigten und potentiellen Zeugin, Frau B., in Kontakt getreten und habe mit diesem Vorgehen eine Beeinflussung mindestens in Kauf genommen. Das Verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die Vertrauenswürdigkeit ei- nes Anwaltes bzw. der ganzen Anwaltschaft erheblich und wiege nicht leicht. 2. (...) 3. 3.1. (...) 3.2. Die Befragung von Zeugen ist in erster Linie Aufgabe der Un- tersuchungsbehörden und nicht der Parteien oder ihrer Anwälte. Nach der neueren Literatur und Praxis ist eine private Zeugenbefra- gung jedoch nicht grundsätzlich verboten. Der Kontakt darf aber 2011 Verwaltungsgericht 238 nicht zu einer Beeinflussung von Zeugen führen und muss, jeweils unter Berücksichtigung des Einzelfalls, sachlich begründet sein. Eine sachliche Notwendigkeit für einen Kontakt mit einem Zeugen ist dabei regelmässig zu verneinen, wenn es dem Rechtsanwalt möglich ist, die Informationen auf andere Weise als durch Privatbefragung eines Zeugen zu beschaffen (Walter Fellmann, in: Fellmann/Gaudenz Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich/Basel/Genf 2005, Art. 12 N 22 f.; Hans Nater, Zur Zulässigkeit anwaltlicher Zeugenkontakte im Zivilprozess, in: SJZ 102 [2006], S. 256 f.; Georg Pfister, Aus der Praxis der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte im Kanton Zürich zu Art. 12 BGFA, SJZ 105 [2009], S. 288 f.; BJM 2006 47, S. 49, Erw. 3a; Entscheid des Kantonsgericht St. Gallen vom 14. Dezember 2006, St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis [GVP] 2007 Nr. 94, 274 ff.; ZR 106 [2007], S. 164 f. [Fall 2]). Sachliche Gründe für eine Kontaktauf- nahme können z.B. sein: Einholen von Instruktionen über den Prozessstoff, um das Prozessrisiko abzuschätzen; Suche von Infor- mationen über Tatsachen, von denen das künftige rechtliche Vor- gehen abhängt; Abklärung von Fragen im Zusammenhang mit der Prozesseinleitung und im Zusammenhang mit der Einlegung oder dem Rückzug eines Rechtsmittels; Abklärungen von Fragen im Zusammenhang mit der Aufstellung einer Behauptung, der Stellung eines Beweisantrags oder der Vornahme einer bedeutenden Prozess- handlung (vgl. Hans Nater, a.a.O., S. 257). 3.3. 3.3.1. Das Erfordernis eines sachlichen Grundes wird von einem Teil der Lehre kritisiert (Vera Delnon/Bernhard Rüdy, Strafbare Beweis- führung?, in: ZStrR 116 [1998], S. 337; Niklaus Ruckstuhl, in: Marcel Alexander Niggli/Philippe Weissenberger [Hrsg.], Straf- verteidigung, Basel 2002, S. 122, Rz. 3.171 ff.; Kaspar Schiller, Schweizerisches Anwaltsrecht, Zürich 2009, S. 380 f.). Vera Delnon/Bernhard Rüdy wie auch Niklaus Ruckstuhl vertreten die Auffassung, dass dem Anwalt die private Befragung von möglichen Zeugen und Auskunftspersonen gestattet sein muss, solange keine unzulässige Beeinflussung erfolge. Begründet wird dies damit, dass 2011 Anwaltsrecht 239 private Ermittlungen grundsätzlich zulässig seien und standesrecht- liche Vorschriften, welche die Unabhängigkeit der Verteidigung vom Staat und deren Freiheit in der Wahl der Verteidigungsmittel beschränken, vor der Verfassung nicht standhalten würden. Kaspar Schiller vertritt die Auffassung, dass der Zeugenkontakt nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein müsse, da dies nicht durch das Gesetz abgestützt sei. Es bestehe ausser dem Straftatbestand der Anstiftung zu falschem Zeugnis keine Norm, die Zeugenkontakte einschränken würde. Ein Zeugenkontakt könne somit nicht unzulässig sein, wenn sachliche Gründe fehlen, aber kein strafrecht- lich relevantes Verhalten vorliege. 3.3.2. Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, dass es rechtlich falsch sei, wenn argumentiert werde, dass ein Zeu- genkontakt nur ausnahmsweise möglich und erlaubt sei. Tatsache sei vielmehr, dass der Anwalt diesbezüglich frei sei, solches zu tun, bis zur Grenze einer möglichen Beeinflussung des Zeugen. 3.3.3. Das Verwaltungsgericht kann der Auffassung des Beschwerde- führers nicht folgen. Zu einer sorgfältigen und gewissenhaften Aus- übung des Anwaltsberufs gehört grundsätzlich, dass ein Anwalt bei der Kontaktierung eines potentiellen Zeugens sicherzustellen hat, dass sein Vorgehen nicht zu einer Beeinflussung dieser Person bzw. zu einer Verfälschung des Beweisergebnisses führen kann. Kollusi- onshandlungen sind ohnehin unstatthaft (Hansruedi Müller, Die Grenzen der Verteidigertätigkeit, in: ZStr 1996, S. 181). Auch nach den Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) hat ein Rechtsanwalt jede Beeinflussung von Zeugen und Sachver- ständigen zu unterlassen (Art. 7 Standesregeln SAV). Eine gewisse Beeinflussung des Zeugen lässt sich jedoch kaum je vermeiden, weshalb eine private Zeugenbefragung ohne einen besonderen An- lass auch dann nicht zulässig erscheint, wenn der Anwalt keine spezifische Gefahr der Beeinflussung erkennen kann. Jeder Kontakt- nahme mit Zeugen ausserhalb des prozessualen Rahmens ist die Gefahr einer Beeinflussung immanent und begründet auch einen An- schein der Einflussnahme oder der Beweisverfälschung. Private 2011 Verwaltungsgericht 240 Kontakte zwischen Verteidiger, Geschädigten und Zeugen vor den Einvernahmen haben in jedem Fall Auswirkungen auf das Aussage- verhalten vor den Untersuchungsbehörden und dem Richter. Sie sind daher, insbesondere im Strafprozess, wo für die Beweiserhebung dem Unmittelbarkeitsprinzip eine wesentliche Bedeutung beizumes- sen ist (§ 27 StPO), nicht im Interesse der Wahrheitsfindung. Die Beschränkung der privaten Zeugenkontakte auf Ausnahme- fälle und nicht die grundsätzliche Zulassung ist daher gerechtfertigt (vgl. vorne Erw. 3.2). Insbesondere reicht es nicht aus, dass der An- walt keine spezifische Gefahr der Beeinflussung sieht bzw. keine unlauteren Absichten hegt. Es ist vielmehr auch massgeblich, ob objektiv die Gefahr einer (unbeabsichtigten) Beeinflussung besteht und ob der Anwalt dies nach den konkreten Umständen des Einzel- falles erkennen kann. Die Beeinflussung kann nämlich nicht nur vorsätzlich, sondern auch aus Ungeschicklichkeit oder durch Un- vermögen, also durch fahrlässiges Verhalten, erfolgen (Walter Fell- mann, a.a.O., Art. 12 N 26 f.; BJM 2006 47, S. 49, Erw. 3a). Der Be- schwerdeführer sieht dies offenbar ähnlich, wenn er in seiner Be- schwerde Kriterien für eine Kontaktaufnahme nennt. 4. 4.1. - 4.4 (...) 4.5. Zusammenfassend bestand zur Wahrung der Interessen seines Mandanten und zur Sachverhaltsabklärung kein zureichender ob- jektiver Anlass, Frau B. am 31. März und am 5. Mai 2009 zu kon- taktieren und sie telefonisch zu befragen. Der Beschwerdeführer muss sich unter den gegebenen Umständen entgegenhalten lassen, Frau B. zu Instruktionszwecken überhaupt kontaktiert zu haben. Weder erforderte der Stand der Ermittlungen eine Kotaktnahme, noch gaben die Strafuntersuchungsbehörden Anlass für ein solches Vorgehen. Eine raschere oder unkomplizierte Informationsbeschaf- fung des Beschwerdeführers allein vermag die sachliche Notwen- digkeit einer vorgängigen Befragung der Geschädigten nicht zu be- gründen. Ebenso wenig können der Umstand, dass Frau B. zuerst den Kontakt zum Beschwerdeführer suchte, oder die gemeinsame 2011 Anwaltsrecht 241 Besprechung vom 25. März 2009 diese Kontaktnahmen zur Befra- gung rechtfertigen. Mit den beiden Kontaktnahmen hat der Beschwerdeführer unter den vorliegenden Umständen die ihm durch Art. 12 lit. a BGFA auferlegte Berufspflicht verletzt. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die Frage des Beschwerdeführers an Frau B. nach Hilfe für ihren Ehemann tatsächlich als konkrete Beeinflussung oder als Beeinflussungsversuch zu würdigen ist, zumal die Anwaltskom- mission eine Beeinflussung der Geschädigten offen liess. (Hinweis: Eine gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde hat das Bundesgericht mit Urteil vom 12. April 2011 [2C_909/2010] abgewiesen.)
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AG_VG_001_AGVE-2011-56_2010-06-04
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Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 26. März 2013 (WBE.2013.78) Während der Dauer einer durch Klinik angeordneten Nachbetreuung kann ein Antrag auf Änderung oder Aufhebung an das zuständige Familiengericht gestellt werden (Lückenfüllung). 6. 6.1. Der Vollständigkeit halber (und mangels entsprechender gesetzlicher ) rechtfertigt es sich zu prüfen, ob eine von einer Nachbetreuung betroffene Person auch nach Ablauf der Beschwerdefrist eine Möglichkeit hat, eine Änderung oder Aufhebung der angeordneten Nachbetreuung zu verlangen, und welche Behörde diesfalls dafür zuständig wäre. 6.2. 6.2.1. Gemäss Art. 437 ZGB regeln die Kantone die Nachbetreuung und können ambulante Massnahmen vorsehen. Dem Bundesrecht können keine weiteren Vorgaben betreffend die Nachbetreuung entnommen werden (vgl. auch zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [, Personenrecht und Kindesrecht] vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7071 [nachfolgend: Botschaft Erwachsenenschutz]). 6.2.2. 6.2.2.1. Ist die Einrichtung für die Entlassung zuständig, legt sie gemäss den kantonalrechtlichen Regelungen auch die Nachbetreuung fest. Die ist höchstens auf sechs Monate zu befristen. Sie fällt spätestens mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine Anordnung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde vorliegt (§ 67l EG ZGB). Wird die Nachbetreuung durch die Kindes- und Erwachsenschutzbehörde angeordnet, weil ihr auch die Entlassungszuständigkeit zukommt, kann die Massnahme für maximal 12 Monate angeordnet werden (§ 67m EG ZGB). 6.2.2.2. Dem kantonalem Gesetz lässt sich keine Regelung entnehmen, ob und bei welcher Behörde sich eine betroffene Person während der Dauer der Nachbetreuung (maximal 6 bzw. 12 Monate) zur Wehr setzen kann bzw. beantragen kann, dass die Nachbetreuung aufgehoben oder geändert wird, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Auch in den kantonalen Materialien betreffend die Einführung des neuen Kindes- und sind keine diesbezüglichen Hinweise ersichtlich (vgl. Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 27. April 2011 [nachfolgend: Botschaft vom 27. April 2011], Ziff. 9.6 ff.; Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 19. Oktober 2011 [nachfolgend: Botschaft vom 19. Oktober 2011], Ziff. 3.3.5). Anders ist dies beispielsweise im Kanton Graubünden, wo gemäss ausdrücklicher Gesetzesbestimmung die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die angeordnete Massnahme von Amtes wegen oder auf Antrag aufhebt, wenn der Zweck erreicht ist oder nicht erreicht werden kann (Art. 54b des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuches des Kantons Graubündens; BR 210.100). 6.3. 6.3.1. Es drängt sich daher die Frage auf, ob die aargauische kantonalrechtliche Regelung diesbezüglich unvollständig ist, mithin eine Gesetzeslücke vorliegt, welche von der richterlichen Instanz gefüllt werden muss. Eine liegt dann vor, wenn das Gesetz nach den ihm zugrunde Ziel- und Wertvorstellungen eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist und deshalb anzunehmen ist, der Gesetzgeber hätte, wäre er sich der Tatsachen und Rechtslage bewusst gewesen, anders entschieden. Bevor eine solche Lücke angenommen werden darf, muss zunächst durch Auslegung ermittelt werden, ob das Fehlen einer Anordnung nicht eine bewusste Antwort des Gesetzes bedeutet, d.h. ein sogenanntes qualifiziertes Schweigen darstellt (Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 1986, in: ZBl 88/1987, S. 556 f.; HÄFELIN/ MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich 2010, Rz. 234 ff.). 6.3.2. Bei einer fürsorgerischen Unterbringung kann die betroffene oder eine ihr nahestehende Person jederzeit ein Entlassungsgesuch stellen (Art. 426 Abs. 4 ZGB). Sodann muss gemäss Art. 383 Abs. 3 ZGB eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit regelmässig auf ihre Berechtigung hin überprüft werden. Wird diese Massnahme während eines Aufenthalts in einer Wohn- und Pflegeeinrichtung angeordnet, kann die Erwachsenenschutzbehörde jederzeit angerufen werden (Art. 385 Abs. 1 ZGB). Bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung kann das Gericht immer angerufen werden (Art. 438 i.V.m. Art. 439 Abs. 2 ZGB). In diesem ist ferner zu bemerken, dass gemäss Meinungen in der Lehre analog bei einer medizinischen Behandlung ohne Zustimmung (vgl. Art. 434 ZGB), welche über eine längere Zeitspanne angeordnet wurde, auch nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist seit Eröffnung des Entscheides die Möglichkeit bestehen sollte, diesen mittels Beschwerde gerichtlich überprüfen zu lassen (THOMAS GEISER/MARIO ETZENSBERGER in: Geiser/Reusser [Hrsg.], Basler Kommentar, Erwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 434/435 N 27 und Art. 439 N 35). Bereits in Anbetracht dieser Ausgangslage erscheint es naheliegend, dass eine ähnliche Möglichkeit auch im Rahmen einer zwangsweisen Nachbetreuung (oder ambulanten Massnahme), welche regelmässig über mehrere Wochen oder Monate angeordnet wird, bestehen muss. 6.3.3. Das kantonale Recht schreibt vor, dass bei Vorliegen einer Rückfallgefahr von Gesetzes wegen eine Nachbetreuung vorgesehen werden muss (§ 67k Abs. 1 EG ZGB). Stimmt eine betroffene Person der vorgeschlagenen Nachbetreuung nicht zu, so kann sie – wie im vorliegenden Fall – gegen den Willen der betroffenen Person angeordnet werden (vgl. § 67k Abs. 2 und 3 EG ZGB). Als mögliche Massnahmen werden im Gesetz folgende Anordnungen beispielhaft aufgezählt (§ 67k Abs. 1 EG ZGB): "a) Verpflichtung, regelmässig eine fachliche Beratung oder Begleitung in Anspruch zu nehmen oder sich einer Therapie zu unterziehen, b) Anweisung, bestimmte Medikamente einzunehmen, c) Anweisung, sich alkoholischer Getränke oder anderer Suchtmittel zu enthalten und dies gegebenenfalls mittels entsprechender nachzuweisen." Die soeben zitierten gesetzlich vorgesehenen Massnahmen greifen zweifelsohne tief in den Persönlichkeitsbereich ein. Wie auch bei der Unterbringung muss aus diesem Grund eine regelmässige Überprüfung auf Antrag der betroffenen Person möglich sein. Beispielsweise ist es durchaus denkbar, dass der Zustand einer Person sich nach einigen Wochen derart stabilisiert, dass eine weniger engmaschige Überwachung oder sogar keine Massnahme mehr notwendig ist, da die Rückfallgefahr aufgrund der Stabilisation ausreichend minimiert werden konnte. Möglich ist auch, dass die betroffene Person anderen, ebenso geeigneten Massnahmen im Laufe der Zeit zustimmen würde. 6.3.4. Wie bereits erwähnt, äussert sich das kantonale Gesetz bezüglich der Frage, ob eine einmal angeordnete Nachbetreuung im Laufe der Zeit auf Antrag der betroffenen Person neu überprüft werden kann, nicht. Immerhin regelt § 67o EG ZGB, dass die mit der Durchführung der angeordneten Massnahme im Einzelfall beauftragte Stelle der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Meldung zu erstatten hat, sobald sich die betroffene Person nicht an die Anordnungen hält oder die Nachbetreuung beziehungsweise die ambulanten Massnahmen die gewünschte Wirkung nicht erzielen. Dies zeigt, dass zumindest in diesen Fällen eine Nachbetreuung beziehungsweise ambulante Massnahme durch das zuständige Familiengericht aufgehoben oder abgeändert werden kann. 6.3.5. Insgesamt drängt es sich auf, von einer planwidrigen Unvollständigkeit des kantonalen Gesetzes auszugehen. 6.4. 6.4.1. Bei der Lückenfüllung hat das Gericht nach der Regel zu entscheiden, die es als Gesetzgebungsorgan aufstellen würde (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Die richterrechtliche Regel ist generell-abstrakt zu formulieren und muss und wertungsmässig in das Gesetz hineinpassen (IVO SCHWANDER in: Kostkiewicz/Nobel/Schwander/Wolf [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 2011, Art. 1 N 2). Überzeugende Lehrmeinungen und bisherige Rechtsprechung sollten werden (Art. 1 Abs. 3 ZGB). 6.4.2. Im Sinne einer ersten Feststellung im Rahmen der Lückenfüllung ist mit Blick auf die bestehenden Gesetzesbestimmungen und auf den erwähnten Eingriff in den Persönlichkeitsbereich (vgl. Erw. 6.3.2. ff. hiervor) bei einer gegen den Willen einer Person angeordneten Nachbetreuung festzuhalten, dass eine betroffene Person jederzeit einen Antrag auf Aufhebung oder Abänderung einer angeordneten Nachbetreuung stellen kann. Würden in unvernünftigen Abständen und in querulatorischer Weise wiederholt Beschwerden gegen die angeordnete Nachbetreuung eingereicht, müsste – in analoger Anwendung der Rechtsprechung zu entsprechenden Entlassungsgesuchen – nicht auf die Beschwerden eingetreten werden (vgl. BGE 130 III 729, Erw. 2.1). 6.4.3. Fraglich bleibt, welche Behörde zur Beurteilung eines solchen Antrags zuständig ist. Denkbar wäre einerseits jene Stelle, welche die Nachbetreuung angeordnet hat, und somit entweder die Einrichtung (vgl. § 67l Abs. 1 EG ZGB) oder das Familiengericht als Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (vgl. § 67m Abs. 1 i.V.m. § 59 Abs. 1 EG ZGB). In Frage kommt ferner, dass stets das Familiengericht oder das Verwaltungsgericht zuständig ist. Nachfolgend ist zu prüfen, welche der Möglichkeiten systematisch und wertungsmässig am besten in die bestehenden gesetzlichen Regelungen passt. 6.4.4. Ist die Einrichtung für die Entlassung zuständig, legen in Einrichtungen mit ärztlicher Leitung die diensthabenden Kaderärztinnen und Kaderärzte die Nachbetreuung fest (§ 67l Abs. 1 EG ZGB). Die Einrichtung ist einerseits gestützt auf Art. 429 Abs. 3 ZGB für die Entlassung zuständig, wenn die Unterbringung auf einem ärztlichen Entscheid beruht, welcher jedoch höchstens für eine Dauer von sechs Wochen angeordnet werden darf. In allen anderen Fällen liegt die Entlassungszuständigkeit grundsätzlich bei der Erwachsenenschutzbehörde, ausser sie überträgt diese auf die Einrichtung (Art. 428 ZGB). In jedem Fall ist die durch eine Einrichtung angeordnete Nachbetreuung auf sechs Monate zu befristen, und sie fällt spätestens mit Ablauf der festgelegten Dauer dahin, wenn keine Anordnung des Familiengerichts vorliegt (§ 67l Abs. 2 EG ZGB). Die Einrichtung lässt dem Familiengericht eine Kopie der vorgesehenen Nachbetreuung zukommen (§ 67l Abs. 2 EG ZGB). Hat die Einrichtung keine ärztliche Leitung, ist nur das Familiengericht zur Anordnung der Nachbetreuung ermächtigt (67l Abs. 4 EG ZGB). Das Familiengericht kann eine Nachbetreuung für eine Dauer von maximal zwölf Monaten anordnen (§ 67m Abs. 2 EG ZGB). Unabhängig davon, ob die Nachbetreuung durch die Einrichtung oder das Familiengericht angeordnet wurde, muss die beauftragte Stelle (z.B. ambulant behandelnder Psychiater) dem Familiengericht Meldung erstatten, sobald sich die betroffene Person nicht an die Anordnungen hält oder die Nachbetreuung nicht die gewünschte Wirkung erzielt (§ 67o EG ZGB). Gemäss § 67p EG ZGB ist das Familiengericht ausserdem für die Vollstreckung der angeordneten Nachbetreuung zuständig. Den zitierten gesetzlichen Bestimmungen lässt sich entnehmen, dass es dem Willen des aargauischen Gesetzgebers entsprach, den Familiengerichten die hauptsächliche Verantwortung im Bereich der Nachbetreuung sowie der ambulanten Massnahmen zuzusprechen. Selbst wenn die Einrichtung zur Anordnung der Nachbetreuung zuständig ist, muss diese dem Familiengericht eine Kopie des Entscheids zukommen lassen. Auch während der Dauer der durch die Einrichtung angeordneten Nachbetreuung ist das Familiengericht für die beauftragten Stellen diejenige Behörde, an welche sie Meldungen erstatten muss, wenn die Nachbetreuung nicht wie vorgesehen verläuft. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend und gerechtfertigt, dass Anträge zur Aufhebung oder Abänderung der Nachbetreuung an das Familiengericht gestellt werden müssen. Wie nachfolgend überdies aufgezeigt wird, kann die Zuständigkeit der Einrichtung oder des Verwaltungsgerichts nicht als sinnvolle Alternative betrachtet werden. 6.4.5. Die Zuständigkeit bei der Einrichtung zu belassen, wenn diese die ursprünglich angeordnet hat, passt weniger gut in die bestehenden kantonalen Regelungen hinein, entsprach es doch, wie dargestellt (vgl. Erw. 6.4.4. hiervor), dem Willen des Gesetzgebers, die massgebliche Verantwortung für die Nachbetreuung dem Familiengericht zuzusprechen. Die Einrichtung ist nach dem Entscheid über die Nachbetreuung nicht mehr mit der eigentlichen Durchführung konfrontiert. Ferner erscheint eine solche Lösung auch nicht praktikabel: Die betroffene Person befindet sich allenfalls schon seit mehreren Wochen nicht mehr in der Einrichtung und diese müsste, um den Antrag überhaupt beurteilen zu können, zunächst die beauftragte Stelle auffordern, schriftliche Stellungnahmen einzureichen oder diese gar zu einer Verhandlung vorladen. Da die Einrichtung keine Justizbehörde ist, steht für das Verwaltungsgericht zweifellos fest, dass ein solches Vorgehen weder sinnvoll ist noch dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte, hätte er die Situation geregelt. Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Regelung, wonach nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist in gewissen Fällen (vgl. Art. 428 Abs. 2 ZGB und Art. 429 Abs. 3 ZGB) ein Entlassungsgesuch im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung an die Einrichtung gestellt werden muss, ist, dass möglichst schnell über eine Entlassung entschieden werden soll, wenn die Voraussetzungen der fürsorgerischen Unterbringung nicht mehr gegeben sind. Mit anderen Worten soll keine Zeit verloren gehen (vgl. Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7064). Wenn die Einrichtung im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist über die Entlassung entscheiden kann, präsentiert sich die Sachlage insofern anders als bei angeordneten Nachbetreuungen, als dass sich die betroffene Person noch in der Einrichtung befindet und die zuständigen Ärzte die Situation daher ohne weitergehende Abklärungen ausreichend beurteilen können, um einen ersten Entscheid fällen zu können. Vorliegend würde ein Antrag an die Einrichtung aber gegenüber einem Antrag an das Familiengericht keine Zeitersparnis bedeuten, weshalb auch damit nicht gerechtfertigt werden kann, die Situation zwingend analog wie bei der fürsorgerischen Unterbringung zu handhaben. 6.4.6. Bei Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer Unterbringung kann das Verwaltungsgericht jederzeit und unabhängig von der 10-tägigen Beschwerdefrist angerufen werden (Art. 439 Abs. 2 ZGB i.V.m. § 67q Abs. 1 lit. f EG ZGB). Denkbar wäre, in analoger Anwendung dieser Bestimmungen die Zuständigkeit für Anträge auf Aufhebung und Abänderung von Nachbetreuungen beim Verwaltungsgericht anzusiedeln. Allerdings können die Konstellationen wertungsmässig nicht verglichen werden: Bei einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit handelt es sich um einen der massivsten Eingriffe im Rahmen der fürsorgerischen Unterbringung, weshalb ein besonderer Rechtsmittelweg mit einer Garantie auf eine sehr schnelle und definitive Entscheidung gerechtfertigt ist. Der Eingriff durch die Anordnung einer Nachbetreuung ist demgegenüber deutlich geringer. Ausserdem handelt es sich vom Wesen der Nachbetreuung her grundsätzlich um eine längerfristige Massnahme, welche aufgrund verschiedener Abklärungen festgelegt wurde. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit hingegen ist eine Massnahme, die im Regelfall kurzfristig aufgrund einer akuten Belastungssituation getroffen wird. Ferner würde die Bejahung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bedeuten, dass den betroffenen Personen nur eine kantonale Instanz zur Verfügung steht, was in Anbetracht des Prinzips des doppelten , welches den Kantonen grundsätzlich nicht gestattet, ihre oberen Gerichte in Zivilsachen als einzige Instanz einzusetzen (vgl. Art. 75 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [, BGG, SR 173.110]; SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Kurzkom- mentar zum Bundesgerichtsgesetz, Zürich 2006, Art. 110 N 4), problematisch sein könnte. 6.5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei einer durch die Einrichtung rechtskräftig angeordnete Nachbetreuung die betroffene Person jederzeit beim zuständigen Familiengericht einen Antrag auf Aufhebung oder der angeordneten Nachbetreuung stellen kann. Gleiches gilt selbstredend bei einer ambulanten Massnahme, welche durch das gemäss § 67n EG ZGB angeordnet worden ist. Der Entscheid des Familiengerichts kann anschliessend innerhalb der Frist mittels Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden (Art. 450b Abs. 2 ZGB i.Vm. § 67q lit. g EG ZGB).
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AG_VG_002_-Kindes--und-Erwachs_2013-03-26
https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/jb/dokumente_6/gesetze___entscheide/gesetze_2/kindes__und_erwachsenenschutz/verwaltungsgericht/EntscheiddesVerwaltungsgerichtsvom26Maerz2013.pdf
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2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 122 25 Ausschaffungshaft; rechtliches Gehör; Kontaktaufnahme mit Rechtsver- treter Anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs betreffend Anordnung einer Ausschaffungshaft muss einem Betroffenen auf Ersuchen der telefo- nische Kontakt mit seinem Rechtsvertreter ermöglicht werden. Weil im Verfahren vor dem MIKA das Anwaltsmonopol nicht gilt, ist unerheblich, ob der Rechtsvertreter berechtigt gewesen wäre, im Rahmen der Haft- überprüfungsverhandlung die Vertretung zu übernehmen. Kann der Rechtsvertreter erst im Anschluss an die Haftüberprüfungsverhandlung kontaktiert werden, liegt zwar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Diese ist aber nicht als derart gravierend einzustufen, dass der Be- troffene aus der Haft zu entlassen ist. Aus dem Entscheid des Einzelrichters des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 1. Juli 2013 in Sachen Amt für Migration und Integration gegen A. (WPR.2013.101). Aus den Erwägungen 4. Anlässlich des rechtlichen Gehörs betreffend Anordnung einer Ausschaffungshaft verlangte die Gesuchsgegnerin, ihren Rechtsver- treter telefonisch kontaktieren zu können. Dies wurde ihr mit dem Hinweis, ihr Rechtsvertreter sei vor Gericht nicht zugelassen, seitens des MIKA verweigert. An der heutigen Verhandlung vor dem Einzel- richter rügte die Gesuchsgegnerin in verfahrensrechtlicher Hinsicht denn auch sinngemäss die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Der Gesuchsteller hielt demgegenüber fest, dass der Gesuchsgegnerin die telefonische Kontaktaufnahme mit deren Rechtsvertreter im An- schluss an die Verhandlung ermöglicht werde. In Anlehnung an Art. 29 BV statuiert Art. 81 Abs. 1 AuG die Pflicht der Kantone, dafür zu sorgen, dass die inhaftierte Person mit ihrem Rechtsvertreter sowie mit Familienangehörigen und Konsular- behörden mündlich und schriftlich verkehren kann. Die Behörden müssen demnach auf Ersuchen des Betroffenen hin den Kontakt mit 2013 Migrationsrecht 123 einem Anwalt oder einem anderen Rechtsvertreter unverzüglich er- möglichen (T OMAS H UGI Y AR , in: U EBERSAX /R UDIN /H UGI Y AR /G EI - SER , Ausländerrecht, Basel 2009, N 10.40). Die Weigerung des MIKA, die Gesuchsgegnerin auf entsprechendes Begehren hin mit deren Rechtsvertreter telefonieren zu lassen, verletzt demnach den Anspruch der Gesuchsgegnerin auf rechtliches Gehör. Das MIKA verkennt, dass jeder Ausschaffungshäftling im Haftverfahren den An- spruch hat, sich im Haftverfahren vertreten zu lassen; dies ungeachtet davon, ob dem MIKA die Vertretung nötig erscheint oder nicht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 25. Februar 2011 [2C_131/2011]). Im Gegensatz zur richterlichen Haftüberprüfung gilt im Verfahren vor dem MIKA und damit auch bei Gewährung des rechtlichen Gehörs überdies das Anwaltsmonopol nicht. Unabhängig davon, dass der Vertreter der Gesuchsgegnerin nicht berechtigt gewesen wäre, diese im Rahmen der Haftüberprüfungsverhandlung zu vertreten, hätte der Gesuchsteller eine unverzügliche Kontaktaufnahme der Gesuch- stellerin mit ihrem Vertreter nicht verweigern dürfen. Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften führt indessen zur Haftentlassung; vielmehr kommt es darauf an, welche Bedeutung den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffe- nen einerseits und dem Interesse an einer reibungslosen Durchset- zung seiner Ausschaffung andererseits zukommt. Letzteres hat be- sonderes Gewicht und vermag unter Umständen selbst erhebliche Verfahrensfehler aufzuwiegen, wenn der Ausländer die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (vgl. BGE 121 II 105, Erw. 2; Ur- teile des Bundesgerichts vom 20. Februar 2013 [2C_57/2013] und vom 25. Februar 2011 [2C_131/2011]). Die Gesuchsgegnerin konnte sich zu der angeordneten Haft vor- gängig äussern; dass sie ihren - wenngleich nicht vor den aargaui- schen Gerichten zugelassenen - Rechtsvertreter erst im Anschluss an die Haftüberprüfungsverhandlung kontaktieren kann, stellt wohl eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs dar. Diese ist aber nicht als gravierend einzustufen, weshalb eine Haftentlassung unter diesen Umständen nicht zur Diskussion steht. Anders wäre wohl dann zu entscheiden, wenn das MIKA im Rahmen der Gewährung des recht- lichen Gehörs betreffend Anordnung einer Ausschaffungshaft syste- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 124 matisch die Kontaktaufnahme mit Rechtsvertretern verweigern würde. Solche Anzeichen sind aber nicht vorhanden. (...) (Hinweis: Das Bundesgericht ist auf eine Beschwerde gegen diesen Entscheid mit Urteil vom 26. Oktober 2013 [2C_1003/2013] nicht eingetreten.)
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2013 Submissionen 189 VI. Submissionen 36 Ausschluss eines Anbieters vom Verfahren Ein Angebot mit einem Vorbehalt, der die Verbindlichkeit des gesamten Angebots tangiert, stellt einen Ausschlussgrund dar. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 28. Februar 2013 in Sa- chen A. AG gegen Kanton Aargau (WBE.2012.339). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Gemäss § 28 Abs. 1 SubmD schliesst die Vergabestelle bei Vor- liegen genügender Gründe Anbietende vom Verfahren aus. Dies gilt insbesondere in den in § 28 Abs. 1 lit. a - h SubmD genannten Fällen. Auszuschliessen sind u.a. Anbietende, deren Angebote wesentliche Formvorschriften verletzt haben, u.a. durch Unvollständigkeit des Angebots oder Änderung der Ausschreibungsunterlagen (§ 28 Abs. 1 lit. g SubmD vgl. auch § 27 lit. h der Vergaberichtlinien [VRöB] zur IVöB), oder die der Vergabestelle falsche Auskünfte erteilt haben (§ 28 Abs. 1 lit. b SubmD; § 27 lit. b VRöB). Wie schon aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, hat die Aufzählung der Aus- schlussgründe jedoch keinen abschliessenden Charakter. So führen Vorbehalte und Bedingungen dazu, dass die Verbindlichkeit des in der Offerte enthaltenen Leistungsversprechens, der versprochene Leistungsumfang oder andere Charakteristiken der Leistung nicht dem entsprechen, was die Ausschreibung vorgesehen hat (vgl. M ARTIN B EYELER , Der Geltungsanspruch des Vergaberechts, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 1932 ff., insbes. 1939 f.). Solche Ange- bote sind grundsätzlich mangels Ausschreibungskonformität vom Verfahren auszuschliessen (B EYELER , a.a.O., Rz. 1965 ff.; vgl. auch 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 190 P ETER G ALLI /A NDRÉ M OSER /E LISABETH L ANG /E VELYNE C LERC , Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts, 1. Band: Landesrecht, 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2007, Rz. 287 f.). Ob ein Ausschluss- grund im Sinne von § 28 SubmD vorliegt, ist im Rahmen der Of- fertbereinigung zu prüfen. Die Vergabebehörde prüft die Angebote rechnerisch und fach- lich. Sie bringt sie auf eine vergleichbare Basis (§ 17 Abs. 1 SubmD). Sind Angaben eines Angebots unklar, können von den An- bietenden Erläuterungen, fachliche Präsentationen, Begehungen usw. verlangt werden, die schriftlich festzuhalten sind (§ 17 Abs. 2 SubmD). Die Vergabestelle darf offensichtliche Rechnungsfehler korrigieren (§ 17 Abs. 3 SubmD). Verhandlungen zwischen der Vergabestelle und den Anbietenden über Preise sind unzulässig (§ 17 Abs. 4 SubmD). Nach der Offerteingabe kann der Anbieter sein Angebot somit grundsätzlich nicht mehr verändern. Das Verwaltungsgericht erachtet neben der Korrektur offen- sichtlicher Rechnungsfehler in eng begrenztem Rahmen auch die Be- richtigung anderer eindeutig als solche erkennbarer Versehen und Irrtümer als zulässig. Die Vergabestelle ist in diesen Fällen nötigen- falls auch zu Rückfragen bei den Anbietern befugt, ohne dass sie sich allein schon deswegen dem Vorwurf einer unzulässigen Abgebots- runde aussetzt. Indessen haben solche Rückfragen mit der nötigen Zurückhaltung und Sorgfalt zu geschehen, und es sind alle An- bietenden nach gleichen Massstäben zu behandeln (AGVE 1999, S. 345; 2003, S. 248; 2004, S. 236 f.). Nicht nachträglich korrigiert werden dürfen Kalkulationsfehler (AGVE 2003, S. 250 f.; VGE III/26 vom 29. Februar 2000 [BE.2000.00002], S. 19 ff.). Die Offertbereinigung insgesamt und ihr Ergebnis müssen nachvollzieh- bar sein (E LISABETH L ANG , Der Grundsatz der Transparenz im öffentlichen Beschaffungsrecht, in: Festschrift 100 Jahre Aargaui- scher Anwaltsverband, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 130 mit Hinweis auf AGVE 2003, S. 247 ff.). Gegenüber der Anerkennung von angeblichen Irrtümern der An- bieter ist dabei namentlich im Interesse der Gleichbehandlung eine grosse Zurückhaltung am Platz; nur wenn die Mängel von absolut untergeordneter Bedeutung sind, ein absichtliches oder fahrlässiges 2013 Submissionen 191 Vorgehen des Anbieters auszuschliessen ist oder dieses zumindest entschuldbar erscheint und die Beseitigung des Mangels ohne Weite- res und ohne Beeinträchtigung eines fairen Wettbewerbs erfolgen kann, verbieten das Verhältnismässigkeitsprinzip und der Grundsatz von Treu und Glauben einen Ausschluss aus dem Wettbewerb (G ALLI /M OSER /L ANG /C LERC , a.a.O., Rz. 288; vgl. auch B EYELER , a.a.O., Rz. 1969). 2.2. 2.2.1. Vorliegend hat die Vergabestelle im Rahmen der Prüfung der Angebote festgestellt, dass die Offerte der Beschwerdeführerin im Management Summary den folgenden Vorbehalt enthielt: " Vorbehalt Risikoprüfung Diese Offerte gilt unter dem Vorbehalt einer genauen Risikoprüfung. Ändern der Tarif bzw. die Einreihung in den Tarif oder gesetzliche Grundlagen vor einem allfälligen Vertragsbeginn, so gelten die neuen Bestimmungen auch für diese Of- ferte." Die Beschwerdeführerin wurde am 3. August 2012 telefonisch auf die Problematik des Vorbehalts hingewiesen. Mit E-Mail vom gleichen Tag bestätigte die Beschwerdeführerin, dass der Vorbehalt in den Anträgen gegenstandslos sei. Eine weitere Risikoprüfung er- folge nicht, und die Offerten seien verbindlich. Massgebend sei der der Vergabestelle vorliegende Vertragsentwurf, in dem keine Vorbe- halte enthalten seien. Bei den Anträgen handle es sich lediglich um diejenigen Dokumente, die bei einem Vertragsabschluss zu unter- zeichnen seien. In diesen sei der genannte Vorbehalt ein immer eingedruckter Standard. 2.2.2. Zu prüfen ist, ob es sich beim streitigen Vorbehalt um einen ein- deutig als solchen erkennbaren und damit im Rahmen der Offertbe- reinigung korrigierbaren Fehler bzw. Irrtum im Sinne der vorge- nannten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (oben Erw. 2.1.) handelt. Mit andern Worten stellen sich die Fragen, ob die Beschwer- deführerin im Sinne einer zulässigen Offertbereinigung den Vorbe- halt nachträglich zurückziehen bzw. für gegenstandslos erklären durfte und ob die Vergabestelle diesen nachträglichen Verzicht hätte 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 192 akzeptieren und von einem Ausschluss absehen müssen. Die Be- schwerdeführerin geht von einem korrigierbaren Fehler aus, indem sie vorbringt, es handle sich beim Vorbehalt lediglich um einen in ihren Standardofferten enthaltenen Textbaustein, dem bei der vorlie- genden öffentlichen Ausschreibung inhaltlich gar keine Bedeutung zukommen könne und der die Verbindlichkeit des (Preis-)Angebots in keiner Weise in Frage stelle. 2.2.3. Der fragliche Vorbehalt ist im Management Summary enthalten. Dieses ist Bestandteil des Angebots und muss eine Zusammenfas- sung der wichtigsten Punkte der offerierten Leistungen enthalten, insbesondere eine schematische Übersicht der angebotenen Leistun- gen und eine Preis- und Kostenzusammenfassung. Diesen Anforde- rungen kommt das Management Summary nach; gleichzeitig enthält es aber die unmissverständlichen Hinweise, dass die Offerte unter dem "Vorbehalt einer genauen Risikoprüfung" gelte, und dass vor Vertragsbeginn erfolgende Tarif- und Gesetzesänderungen für die Offerte massgebend seien. Damit wird die Verbindlichkeit der Of- ferte in Bezug auf Preis und Leistungsinhalt klarerweise in erhebli- cher Weise eingeschränkt. Der Vorbehalt betrifft somit die zentralen Punkte des Angebots, weshalb er nicht als unwesentlich bezeichnet werden kann. Daran ändert entgegen der Beschwerdeführerin nichts, dass die restliche Offerte, insbesondere auch das Preiskalkulations- formular, keinen entsprechenden Vorbehalt enthalten. Der im Mana- gement Summary enthaltene Vorbehalt bezieht sich klarerweise auf das von der Beschwerdeführerin gemachte Angebot. Die Beschwer- deführerin macht nun allerdings geltend, bei diesem Vorbehalt handle es sich um eine in den Standardofferten übliche Formulierung, die für die vorliegende Ausschreibung jedoch ohne jede Bedeutung sei. Zum einen habe die Beschwerdeführerin über sämtliche Grundlagen verfügt, um eine Risikoprüfung vorzunehmen; eine noch genauere Risikoprüfung könne daher gar nicht mehr durchgeführt werden. Zum anderen erfolge weder eine Gesetzesänderung noch eine Tarif- änderung oder eine Änderung der Einreihung in den Tarif. Ob der gemachte Vorbehalt tatsächlich versehentlich in die Offerte aufge- nommen worden und inhaltlich ohne Bedeutung ist, was die Verga- 2013 Submissionen 193 bestelle bestreitet und als reine Schutzbehauptung bezeichnet, ist letztlich jedoch irrelevant. Tatsache ist, dass das im Vergabeverfahren eingereichte Angebot der Beschwerdeführerin unbestreitbar einen eindeutig formulierten Vorbehalt enthält, der wesentliche Offertinhal- te, insbesondere den Preis, betrifft. Der Vorbehalt tangiert die Ver- bindlichkeit des gesamten Angebots und ist somit nicht von bloss un- tergeordneter Bedeutung. Allein dies würde für einen Ausschluss ge- nügen (vgl. Erw. 2.1. oben). Hinzu kommt, dass der Beschwerde- führerin klarerweise Fahrlässigkeit bei der Erstellung ihres Angebots vorzuwerfen ist, sollte ihre Darstellung, dass der fragliche "Standard- Vorbehalt" im vorliegenden Kontext gar keinen Sinn macht, tatsäch- lich zutreffen. Beim Verfassen des Management Summary, auch wenn diesem eine IT-unterstützte Standardofferte zugrunde liegt, hätte ihr der "Vorbehalt Risikoprüfung" bei der gebotenen Sorgfalt auffallen müssen. Selbst wenn die Beschwerdeführerin somit den fraglichen Vorbehalt nicht bewusst in das Angebot aufgenommen haben sollte, sondern in der Standard-Vorlage irrtümlich nicht gestrichen bzw. weggelassen hat, würde dies nicht dazu führen, dass der Vorbehalt im Rahmen der Offertbereinigung noch nachträglich korrigiert bzw. zurückgezogen werden könnte. Mit dem unzulässi- gerweise angebrachten Vorbehalt hat die Beschwerdeführerin somit einen Ausschlussgrund erfüllt, der ihren Ausschluss vom Vergabever- fahren gemäss § 28 Abs. 1 SubmD als gerechtfertigt erscheinen lässt. Von überspitztem Formalismus, Unverhältnismässigkeit oder gar Willkür der Vergabestelle kann keine Rede sein. 3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Ausschluss der Beschwerdeführerin als rechtmässig erweist. Demgemäss ist die Be- schwerde als unbegründet abzuweisen.
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AG_VG_001_AGVE-2013-36_2013-02-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-36.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-36.pdf
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2012 Verwaltungsgericht 176 26 Öffentlicher Auftrag; Contracting Holzschnitzelheizung mit Wärmever- bund - Frage einer Ausschreibung nach Art. 2 Abs. 7 BGBM offen gelassen (Erw. 3.) - Verhältnis zwischen Konzessionserteilung und den Vorschriften des öffentlichen Beschaffungswesens (Erw. 4.1. und 4.2.) - Das streitige Contracting Holzschnitzelheizung mit Wärmerverbund untersteht den Vorschriften des öffentlichen Beschaffungswesens: Es erfüllt alle Merkmale eines öffentlichen Auftrags (Erw. 4.3.-4.6.); Vergleichbarkeit des konkreten Contractings mit Infrastruktur-Pu- blic-Private-Partnerships (PPP) (Erw. 4.7.). Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 25. Juni 2012 in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde B. (WBE.2011.246). Aus den Erwägungen 1. Dem vorliegenden Verfahren liegt folgender Sachverhalt zu- grunde: Die Gemeinde B. möchte den bestehenden Nahwärmeverbund, der mit einer Hackschnitzelfeuerung betrieben wird, vergrössern. Geplant ist die Erstellung eines Fernwärmeverbundes, der ein Vielfa- ches der bisher versorgten Liegenschaften mit Komfortwärme ver- sorgt. Die Wärme wird in einer neu zu erstellenden Heizzentrale mit einer Leistung von rund 4 MW erzeugt. Die Wärme wird primär mit Holzhackschnitzeln erzeugt, die Erzeugung der Spitzenlast erfolgt mit Heizöl. Von der bestehenden Infrastruktur des heutigen Nahwär- meverbundes sollen nur noch das Netz und die Unterstationen ver- wendet werden. Der alte Kessel und der Silo werden stillgelegt. Die neu zu erstellende Infrastruktur wie der Neubau der Heizzentrale mit Silo, das Fernwärmenetz mit den Tiefbauarbeiten und alle erforder- lichen Übergabestationen werden vom Contractor finanziert und gebaut. Für den Betrieb, den Unterhalt und die Wartung sämtlicher Anlagen ist der Contractor verantwortlich. Der Contractor stellt den 2012 Submissionen 177 Kunden die erforderliche Anschlussleistung zur Verfügung und liefert die benötigte Wärmeenergie. In der Folge schrieb die Einwohnergemeinde B. im Amtsblatt des Kantons Aargau vom (...) die Submission Contracting Holz- schnitzelheizung mit Wärmeverbund (Wärmelieferung an die Ein- wohnergemeinde B. aus einer Holzheizzentrale mit Wärmeverbund) öffentlich aus. Innert Eingabefrist reichten sechs Anbieter Angebote ein. Im März 2011 wurden die Anbieter informiert, dass der vorge- sehene Standort für die Heizzentrale vom Kanton voraussichtlich nicht bewilligt werde. Die Anbieter wurden deshalb aufgefordert, ein neues Angebot für das geänderte Projekt als Ergänzungsvariante einzureichen. Nach Eingang und Beurteilung der Offerten für die Ergänzungsvariante erteilte der Gemeinderat B. mit Beschluss vom 27. Juni 2011 den Zuschlag zur Erstellung des Wärmeverbundes B. an die C. AG, D.. Mit Schreiben vom 29. Juni 2011 wurde der Beschwerdeführerin die anderweitige Auftragsvergabe mitgeteilt. 2. Mit der Beschwerdeantwort stellt sich die Beschwerdegegnerin auf den Standpunkt, es gehe gar nicht um eine Beschaffung der Ge- meinde, sondern um die Erteilung einer Konzession. Das Submissi- onsdekret gelange daher gar nicht zur Anwendung. Dies müsse dazu führen, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werden könne. Die Beschwerdeführerin bestreitet diese Ausführungen. Wäh- rend des gesamten Vergabeverfahrens sei nie von einer Konzessi- onserteilung die Rede gewesen und auch die Gemeinde sei immer von einer Submission und einer Beschaffung ausgegangen. Bei den von der Gemeinde Zurzach beschafften Leistungen handle es sich um Bauleistungen (Bau der Heizzentrale), Lieferungen (Wärme) und Dienstleistungen (Contracting-Dienstleistungen), die dem Submissi- onsdekret unterstünden. Die angefochtene Verfügung stelle klar eine Zuschlagsverfügung im Sinne des Submissionsdekrets dar. Der Be- schaffungsgegenstand erfülle alle Anforderungen eines öffentlichen Auftrags. Die Leistungen zwischen Gemeinde und Zuschlagsemp- fänger stünden im Austauschverhältnis (Synallagma), die Leistungen des Zuschlagsempfängers erfolgten entgeltlich und die Gemeinde sei Nachfragerin sowie Abnehmerin der Leistungen. Die Vergabe unter- 2012 Verwaltungsgericht 178 stehe deshalb dem öffentlichen Beschaffungsrecht und sei auch im offenen Verfahren nach Submissionsdekret erfolgt. 3. 3.1. Die Konzession ist die Verleihung des Rechts zur Ausübung ei- ner monopolisierten Tätigkeit oder zur Sondernutzung einer öffent- lichen Sache (Ulrich Häfelin / Georg Müller / Felix Uhlmann, Allge- meines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich / St. Gallen 2010, Rz. 2591). Unterschieden werden die Monopolkonzession, welche die Berechtigung zur Ausübung einer monopolisierten wirtschaftli- chen Tätigkeit verleiht (Häfelin / Müller / Uhlmann, a. a. O., Rz. 2604) und die Sondernutzungskonzession, welche die Berechti- gung zur Sondernutzung einer öffentlichen Sache im Gemeinge- brauch verleiht (Häfelin / Müller / Uhlmann, a. a. O., Rz. 2607). Gemäss Art. 2 Abs. 7 BGBM hat die Übertragung der Nutzung kan- tonaler und kommunaler Monopole auf Private auf dem Weg der Ausschreibung zu erfolgen und darf Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz nicht diskriminieren. 3.2. Sowohl der Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 7 BGBM als auch das Verhältnis zwischen der Konzessionserteilung und den Vor- schriften des öffentlichen Beschaffungswesens sind in der Praxis umstritten. Nach einem Gutachten der Wettbewerbskommission WEKO vom 22. Februar 2010 müssen Gemeinwesen Konzessionen zugunsten Privater für die Erstellung, den Betrieb und Unterhalt elektrischer Verteileranlagen gestützt auf Art. 2 Abs. 7 BGBM aus- schreiben. Mit solchen Sondernutzungskonzessionen verleihe das Gemeinwesen den Privaten das Recht, öffentlichen Grund und Bo- den exklusiv zu nutzen. Sondernutzungskonzessionen beruhten auf einem faktischen Monopol. Damit gemeint sei die Möglichkeit des Gemeinwesens, aufgrund seiner Hoheit über öffentliche Sachen Private von gewissen Tätigkeiten auszuschliessen. In grundsätzlicher Weise hält die WEKO fest, dass die Ausschreibungspflicht nach Art. 2 Abs. 7 BGBM nicht nur für die Übertragung der Nutzung rechtlicher, d. h. gesetzlich verankerter Monopole, sondern auch für Nutzungsübertragung faktischer Monopole auf Private gelte. Dies 2012 Submissionen 179 bedeute, dass auch die Erteilung oder Erneuerung von Konzessionen zugunsten Privater für den öffentlichen Plakataushang oder die Nutzung der Wasserkraft der Ausschreibungspflicht unterlägen (vgl. Medienmitteilung der WEKO vom 16. April 2010). Zum gegenteiligen Ergebnis kommt ein vom Verband Schwei- zerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) bei Hans Rudolf Trüeb (unter Mitarbeit von Daniel Zimmerli) in Auftrag gegebenes Rechts- gutachten vom 15. Juli 2010 betreffend Ausschreibungspflicht der Sondernutzungskonzession für elektrische Verteilnetze. Nach diesen Autoren schliesst das Bundesgesetz über die Stromversorgung vom 23. März 2007 (Stromversorgungsgesetz, StromVG; SR 734.7) aus, dass eine kantonale oder kommunale Sondernutzungskonzession gemäss Art. 2 Abs. 7 BGBM öffentlich ausgeschrieben werden könnte bzw. dürfte. Die Sondernutzungskonzession dürfe und könne nur dem nach Art. 5 StromVG bestimmten Netzbetreiber erteilt wer- den. Das StromVG gehe Art. 2 Abs. 7 BGBM im Bereich des Netz- betriebs als lex specialis vor und schliesse Wettbewerb bei der Er- teilung von Sondernutzungskonzessionen an Netzbetreiber aus. Hätte der Gesetzgeber eine Ausschreibungspflicht gewünscht, hätte er sie spezialgesetzlich im StromVG geregelt. Es liege daher seitens des StromVG ein qualifiziertes Schweigen vor. Eine Einführung des Wettbewerbs auf der Stufe der nachgelagerten Sondernutzung würde bedeuten, das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen (vgl. Gutachten, Rz. 11). Die Einwohnergemeinde B. beheizt nach eigener Darstellung einzelne Gemeindeliegenschaften mit einer zentralen Befeuerungs- anlage (Holzschnitzel). Diese Anlage könne mit dem Fernwärme- projekt, wie es geplant sei, in keiner Weise gleichgesetzt werden. Die bisherige Anlage sei eine gemeindeeigene Anlage, mit der aus- schliesslich einzelne Gebäude beheizt würden, die im Eigentum der Einwohnergemeine B. ständen. Der Gemeinderat habe nunmehr den Anstoss dazu gegeben, eine Fernwärmeanlage zu realisieren, die der Allgemeinheit diene. Es gehöre mit Sicherheit nicht zu den öf- fentlichen Aufgaben einer aargauischen Einwohnergemeinde, ein derartiges Fernwärmeprojekt zu realisieren. Die Beschwerdeführerin könne sich denn auch keinesfalls auf irgendeine Bestimmung in der 2012 Verwaltungsgericht 180 aargauischen Gesetzgebung berufen, die die Einwohnergemeinde verpflichten oder auch nur berechtigen würde, eine Fernwärmeanlage zu erstellen und zu betreiben. Hingegen sei es einem Gemeinderat unbenommen, die Initiative zu ergreifen und zur Realisierung eines derartigen Projekts Anstoss zu geben. Das StromVG gilt für Elektrizitätswerke, die mit 50 Hz Wech- selstrom betrieben werden (Art. 2 Abs. 1 StromVG). Die geplante Heizanlage mit Fernwärmeverbund fällt somit nicht in den Anwen- dungsbereich des StromVG. Die Gemeinde B. beansprucht indessen ein faktisches Monopol der Energieversorgung. Dritten sei die Be- nützung öffentlicher Strassen und Plätze für die Überspannung und Unterquerung mit elektrischen Leitungsdrähten zur Errichtung eines Verteilnetzes vorenthalten. Die Übertragung derartiger Nutzungs- rechte bedürfe einer Sondernutzungskonzession. Dies müsse in ana- loger Weise auch für das streitige Vorhaben eines Wärmeverbund- Werkes gelten. Diese Argumentation überzeugt nicht. Im Vordergrund steht nicht allein die Sondernutzung öffentlichen Grund und Bodens. Kernpunkt bilden vielmehr Bau, Betrieb und Unterhalt einer neuen Heizanlage sowie eines Wärmeverbundnetzes. Die elektrische Grundversorgung ist anderweitig sichergestellt, der Fernwärmever- bund stellt ein zusätzliches und neues Projekt dar. Die Frage, ob und wie die Konzessionserteilung nach Art. 2 Abs. 7 BGBM öffentlich auszuschreiben ist, kann letztlich jedoch - aufgrund der nachfolgen- den Erwägungen - offen bleiben. 4. 4.1. Das Bundesgericht hat sich in BGE 135 II 49 ff. (= Pra 98/2009, Nr. 75, S. 502 ff.) grundsätzlich zum Verhältnis zwischen der Kon- zessionserteilung und den Vorschriften des öffentlichen Beschaf- fungswesens geäussert. Gemäss den Erwägungen des Bundesgerichts blieben zahlreiche Fragen betreffend den Zusammenhang zwischen den Begriffen der öffentlichen Beschaffungen und der Konzessionen umstritten. Die Entwicklung der Praxis ihrerseits lasse oft immer weniger Raum für das, was klassische öffentliche Beschaffungen oder Konzessionen zu nennen sei, zugunsten komplexer rechtlicher 2012 Submissionen 181 und wirtschaftlicher Verhältnisse, in denen eine Vielzahl von Möglichkeiten denkbar seien. Die im Einzelfall zu wählende Lösung könne folglich nicht beanspruchen, die Gesamtheit dieser Fragen zu lösen. Aus den Kritiken der Lehre und der Entwicklung der Praxis ergebe sich jedoch, dass BGE 125 I 209 = Pra 89/2000, Nr. 149, präzisiert werden müsse, um zu vermeiden, dass Güter und Dienst- leistungen, die ihrer Natur nach normalerweise von den Gemeinwe- sen nur unter Beachtung der Bestimmungen über die öffentliche Be- schaffungen erworben werden dürften, aufgrund der strengen An- wendung einer Vorschrift, wonach die Konzession im Vordergrund stehe, den dem öffentlichen Beschaffungsrecht eigenen prozessualen Garantien entzogen würden. Mit anderen Worten dürfe ein schwei- zerisches Gemeinwesen nicht über die Erteilung einer Konzession das Vergaberecht umgehen. Es sei anzunehmen, dass dies vor allem der Fall sei, wenn das Gemeinwesen die Erteilung einer Konzession von Gegenleistungen von einer gewissen Wichtigkeit abhängig mache, die eindeutig zum Begriff der öffentlichen Beschaffung gehörten und von der Konzession trennbar seien. In einem solchen Fall sei es gerechtfertigt, den Erwerb solcher Leistungen den pro- zessualen Garantien des Vergaberechts zu unterstellen (vgl. BGE 135 II 56 = Pra 98/2009, Nr. 75, S. 514). Im konkreten Fall hatte das Bundesgericht bei einer Konzession für den Plakataushang auf öffentlichem Grund als Nebenleistung zulasten des Konzessionärs die Zurverfügungstellung von Fahrrädern zur Selbstausleihe zu beurteilen. Das Bundesgericht kam zum Schluss, das streitige Zurverfügungstellen von Fahrrädern zur Selbst- ausleihe unterstehe den Vorschriften des öffentlichen Beschaffungs- wesens: Für das Gemeinwesen sei es ein Mittel zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, es könne von der Konzession losgelöst wer- den, es habe einen Preis, welcher der Verringerung des vom Sub- mittenten für die Monopolgebühr offerierten Betrags entspreche, und es könne, in Anbetracht seiner Eigenart und Bedeutung, nicht mit einer schlichten Nebenleistung einer Konzession verglichen werden (vgl. BGE 135 II 57 ff. = Pra 98/2009, Nr. 75, S. 515 ff.). 2012 Verwaltungsgericht 182 4.2. Gestützt auf diese bundesgerichtliche Rechtsprechung ist im Folgenden zu prüfen, ob die Einwohnergemeinde B. die Anwendun- gen der Vorschriften des öffentlichen Beschaffungswesens mittels Erteilung einer Konzession umgehen will; dies trifft insbesondere dann zu, wenn Nebenleistungen von einer gewissen Bedeutung, welche sich von der Konzession loslösen lassen und klarerweise den Begriff der öffentlichen Beschaffung unterliegen, ohne Durchfüh- rung eines Vergabeverfahrens dem Konzessionär abverlangt werden. 4.3. 4.3.1. Die Gemeinde B. schrieb im Amtsblatt des Kantons Aargau vom (...) die Submission Contracting Holzschnitzelheizung mit Wärmeverbund öffentlich aus. Als Vergabestelle wurde die Ein- wohnergemeinde B. bezeichnet. Gegenstand und Umfang des Auf- trags wurden umschrieben mit "Wärmelieferung an die Einwohner- gemeinde B. aus einer Holzheizzentrale mit Wärmeverbund". Die Auftragsart wurde umschrieben mit Lieferauftrag. Als Verfahrensart war ein offenes Verfahren vorgesehen. Veröffentlicht wurden eben- falls folgende Zuschlagskriterien mit Gewichtung: Wirtschaftlichkeit (AKB, Jahresgrundbetrag und Energiepreis) 65 %, Referenzprojekte Contractor 15 %, Organisation Service/Interventionszeit/Notfallsze- nario 10 %, Unternehmensbewertung 5 % sowie technisches Anla- genkonzept/Innovation 5 %. Der Liefer- und Leistungsumfang des Contractors wird in Ziff. 3.2 der Ausschreibungsbedingungen wie folgt umschrieben: - Planung, Erstellung und Finanzierung der gesamten Wärmeer- zeugung inklusive Fernwärmenetz. Dies beinhaltet sämtliche Arbeiten zur Erstellung der Anlagen (Heizzentrale + Wärme- verbund) gemäss Beschreibung des Vorprojekts und allfällig weitere Arbeiten soweit für die Erstellung oder den Betrieb der Anlage erforderlich. Vom Liefer- und Leistungsumfang des Contractors ausgenommen sind lediglich Arbeiten, die in der Contracting-Ausschreibung oder im Vorprojekt explizit be- zeichnet sind. 2012 Submissionen 183 - Betrieb, Wartung, Bedienung, Instandhaltung der kompletten vom Contractor investierten oder übernommenen Wärmeerzeu- gungsanlage, der Wärmeleitungen bis und mit der Wärmeüber- gabestation. - Einkauf der Energieträger und Betriebsmittel und Verkauf der Wärmeenergie. - Erfassung der Wärmelieferungen je Wärmekunde mittels Mes- sungen (Wärmezähler), Verrechnung mit den Wärmekunden. - Kundenakquisition, Vertragserstellung, -bereinigung und -unter- zeichnung mit allen Wärmekunden (Wärmeliefervertrag, Dienstbarkeitsvertrag). - Erstellen der erforderlichen Dokumente und Unterlagen (Bau- gesuch, etc.); Einholen der erforderlichen Bewilligungen. - Auswertung der Effizienz der erstellten Anlage (Betriebsopti- mierung). - Abschliessen aller erforderlichen Versicherungen zur Realisie- rung des Bauvorhabens Wärmelieferungsvertrag. 4.3.2. Die Beschwerdeführerin weist zutreffend darauf hin, dass es sich bei diesen Contracting-Leistungen einerseits um Bauleistungen, andererseits aber auch um Lieferungen und Dienstleistungen handelt. Zu den Bauleistungen zählt der Bau der Heizzentrale mit Silo, des Fernwärmenetzes und der Übergabestationen. Unter den Begriff Lieferungen fällt die Lieferung von Wärme an private und öffentli- che Kunden im betreffenden Gebiet. Zu den Dienstleistungen zählen Planung, Engineering und Finanzierung des gesamten Projekts, Betrieb, Wartung, Bedienung und Instandhaltung der gesamten Anla- ge, Akquisition, Betreuung und Abrechnung gegenüber den Wärme- kunden. Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge bil- den nachgerade die klassischen Auftragsarten des öffentlichen Be- schaffungswesens (vgl. § 6 SubmD; Art. 6 IVöB). 4.4. Dass diese Angebote keinen "Preis" haben sollen, weshalb keine bereinigten Schlusssummen zu beurteilen seien und diese zwangsläufig bei den Unterlagen fehlten, ist nicht nachvollziehbar. Der Preis spielt in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Die Contracting- 2012 Verwaltungsgericht 184 Ausschreibung enthält in Ziff. 3.7 Vorgaben zur Preisgestaltung. Diese Vorgaben umfassen den Anschlusskostenbeitrag (Gemeindeob- jekte: kein Anschlusskostenbeitrag), den Jahresgrundbetrag 1 zur De- ckung der Kapitalkosten, den Jahresgrundbetrag 2 zur Deckung der fixen Jahresbetriebskosten (Wartung, Betrieb) sowie den Ener- giepreis für die gelieferte Energie je Kilowattstunde zur Deckung der variablen Betriebskosten. Zu diesen Preisbestimmungen passt, dass Hauptzuschlagskriterium mit einer Gewichtung von 65 % gemäss Ausschreibung die Wirtschaftlichkeit bildet. Zu berücksichtigen sind überdies die Investitionskosten des Contractors, welche im "Vorprojekt" ursprünglich auf Fr. 9'250'000.00 geschätzt wurden und von der Beschwerdeführerin beispielsweise mit Fr. 7'181'200.00 (Ergänzungsvariante; bzw. Fr. 7'962'930.00 Grundvariante) veranschlagt werden (vgl. Offerten der Beschwerdeführerin). Dieser Betrag umfasst im Wesentlichen die Erstellung der Heizanlage, der Fernwärmeleitungen und der Haus- stationen sowie der Planung des Bauprojekts bis und mit Inbetrieb- nahme. Der Gemeinde steht das Recht zu, die Anlage zu jedem Zeit- punkt (zurück) zu kaufen. In den Ausschreibungsunterlagen hatten die Offerenten entsprechend ihren Investitionskosten den Sachzeit- wert bzw. Rückkaufswert anzugeben. Bei sofortigem Rückkauf wäre bei der Beschwerdeführerin ein Sachzeitwert von Fr. 7'181'200.00 (bzw. Fr. 7'962'930.00 Grundvariante) zu entrichten, nach 25 Jahren noch Fr. 1'903'018.00 (bzw. Fr. 2'221'657.40 Grundvariante) und nach 30 Jahren noch Fr. 1.00. Die Gemeinde könnte theoretisch so- bald der Contractor die Heizanlage samt Wärmeverbund erstellt hat, diese zum Preis der Investitionskosten (bei der Beschwerdeführerin Fr. 7'181'200.00 [Ergänzungsvariante]; bzw. Fr. 7'962'930.00 [Grund- variante]) (zurück) kaufen. Dies verdeutlicht, dass die Gemeinde B. damit insgesamt Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge vergeben hat bzw. einkauft, die angesichts des Investitionsvolumens fraglos dem Submissionsdekret unterstehen. 4.5. Klar ist auch, dass die Einwohnergemeinde B. die vom Con- tractor offerierten Leistungen nachfragt. Die Contracting-Ausschrei- bung bezweckt u. a. den Bezug der für die Gemeindeliegenschaften 2012 Submissionen 185 benötigten Wärme. Das ganze Projekt basiert darauf, dass in den Vergabeunterlagen konkret bezeichnete Objekte mit 100 % Wahr- scheinlichkeit an den Wärmeverbund angeschlossen werden und die Wärme vom Verbund beziehen. Zu den Objekten mit 100 % An- schlusswahrscheinlichkeit gehören u. a. sämtliche Gemeindeliegen- schaften, die bereits am bestehenden Wärmeverbund angeschlossen sind sowie weitere zusätzliche Gemeindeliegenschaften. Der Plan "Übersicht Anschlussobjekte und Fernwärmeleitungen" und die Objektliste zeigen dies klar auf. Die Gemeinde bestätigte im Einla- dungsschreiben zur Ausschreibung vom (...) ausserdem: "Die Ge- meinde leitet das Ausschreibungs- und Auswahlverfahren für einen Contractor. Gleichzeitig ist die Gemeinde Kunde für einen grösseren Anteil der Wärme, weshalb das Projekt im kantonalen Amtsblatt vom (...) öffentlich ausgeschrieben wird". Ebenso wurden im Rahmen der Angebotsbewertung beim Vergleich der Wärmegestehungsvollkosten die Kosten für die durch die Gemeinde bezogene Wärme explizit aufgeführt. Wie die Einwohnergemeinde B. vor diesem Hintergrund die Auffassung vertreten kann, von einem Wärmebezug durch die Gemeinde (für die Gemeindeliegenschaften) sei in der Ausschrei- bung nicht die Rede gewesen, ist nicht nachvollziehbar. Es mag zwar zutreffen, dass letztlich individuelle Wärmelieferungsverträge abzu- schliessen sein werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Contracting-Ausschreibung u. a. wesentlich den Bezug der für die Gemeindeliegenschaften benötigten Wärme bezweckt. Zu berück- sichtigen ist im Weiteren, dass (gemäss Contracting-Ausschreibung) die Verantwortlichen der Gemeinde B. bei den Wärmelieferverträgen die Verhandlungen mit den potenziellen Wärmekunden begleiten. Allfällige Abweichungen von den Wärmelieferverträgen seien mit der Gemeinde B. zu besprechen und nur nach deren Genehmigung und Einverständnis gültig. Wenn die Einwohnergemeinde mit dem Wärmeverbund nichts zu tun hat, wie sie sinngemäss argumentiert, würde sie sich kaum in die Preisverhandlungen einbringen. 4.6. Vor Augen zu halten ist im Übrigen, dass die Regelung über das öffentliche Beschaffungswesen den wesentlichen Zweck verfolgt, die Transparenz der Vergabeverfahren zu verbessern, um einen echten 2012 Verwaltungsgericht 186 Wettbewerb unter den Anbietern zu gewährleisten und folglich eine sparsame Verwendung der öffentlichen Mittel zu ermöglichen. Das Ziel besteht mithin darin, dass der Staat bzw. das Gemeinwesen sich die benötigten Güter und Dienstleistungen auf dem freien Markt zu den bestmöglichen Bedingungen verschaffen kann, d. h. die öffent- lichen Gelder rationell ausgegeben werden. Es liegt also eine öf- fentliche Beschaffung vor, wenn der Staat sich gegen einen Preis, zu dessen Zahlung er sich verpflichtet, bei einer privaten Unternehmung ein Gut oder eine Dienstleistung besorgt (vgl. BGE 125 I 214 = Pra 89/2000, Nr. 149, S. 885). Diese Voraussetzungen einer öffentlichen Beschaffung sind vorliegend erfüllt. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwä- gungen enthält das zu beurteilende Contracting Wärmeverbund B. alle Merkmale eines öffentlichen Auftrags. In Anbetracht seiner Natur und seiner Bedeutung lässt sich dieser öffentliche Auftrag nicht als blosse Nebenleistung zur Konzession betrachten. Folglich besteht kein Grund, den Bau, Betrieb und Unterhalt der streitigen Heizzentrale mit Wärmeverbund den prozessualen Garantien des Vergaberechts zu entziehen. 4.7. Das vorliegende Contracting Wärmeverbund ist überdies ver- gleichbar mit sogenannten Infrastruktur-Public-Private-Partnerships (PPP). Darunter wird häufig ein auf lange Dauer angelegtes Geschäft zwischen dem Gemeinwesen und einer Privatunternehmung über die Errichtung und den Betrieb und den Unterhalt einer bestimmten baulichen Infrastruktur verstanden (vgl. Martin Beyeler, PPP auf dem Tischmacherhof: Grundsatzfragen und Vergaberecht, in: Jusletter 7. Januar 2008, S. 8). Derartige Infrastruktur PPP sind öffentliche Aufträge im Sinne des öffentlichen Vergaberechts, und ihre Vergabe hat nach dessen Regeln zu erfolgen (vgl. Beyeler, a. a. O., S. 9 mit Hinweisen). In der Literatur wird in diesem Zusammenhang von Build-Ope- rate-Transfer gesprochen. Ist das Geschäft so konstruiert, - dass der Private Eigentümer der fraglichen Baute wird (weil ihm das Grundstück gehört oder er gestützt auf ein Baurecht baut), 2012 Submissionen 187 - dass das Gemeinwesen ihm für die Gebrauchsüberlassung einen Mietzins bezahlt, - dass namentlich die gesamten Baukosten über diesen Zins ver- gütet werden, - dass das Vertragsverhältnis zur Absicherung dieser Baukosten- vergütung über eine fixe Dauer eingegangen wird bzw. bei vorzeitiger Auflösung entsprechende Kompensationszahlungen vorsieht und - dass möglicherweise die Baute am Vertragsende der Auftragge- berin anheimfällt ("Build-Operate-Transfer"), so liegt bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein gewöhnli- cher Bauauftrag vor, dessen Vergabe dem öffentlichen Vergaberecht unterstellt ist (vgl. Beyeler, a.a.O., S. 9 mit Hinweisen). Der vorliegende Fall entspricht im Wesentlichen diesem Ge- schäftskonstrukt. Der Contractor erstellt eine neue Heizzentrale, welche während der Vertragszeit in seinem Eigentum verbleibt. Der Vertrag gilt für die Dauer von 30 Jahren. Nach Ablauf der Vertrags- dauer gehen die Anlagen der Wärmeerzeugung für Fr. 1.00 in das Eigentum der Gemeinde über. Die Gemeinde behält sich ein jeder- zeitiges Rückkaufs- bzw. Vorkaufsrecht vor, wonach sie unter Be- zahlung der von der Nutzungsdauer abhängigen Sachzeitwerte die Contracting-Anlage zurück kaufen kann. Das Entgelt des Contractors - und damit auch die Finanzierung der Baukosten - besteht im Energiepreis sowie dem Jahresgrundbetrag 1 und 2, welche auch die Gemeinde für ihre Liegenschaften zu bezahlen hat. Lediglich beim eventuellen Anschlusskostenbeitrag werden die Gemeindeobjekte ausgenommen. 4.8. Angesichts dieses Ergebnisses braucht das widersprüchliche Verhalten der Einwohnergemeinde B. nicht vertieft überprüft zu werden. Es erstaunt immerhin, dass die Gemeinde B. im Amtsblatt vom (...) die Submission Contracting Holzschnitzelheizung mit Wärmeverbund im offenen Verfahren öffentlich ausgeschrieben hat. Bis zur Erstattung der Beschwerdeantwort war ausweislich der Akten von einer Konzessionserteilung nie die Rede. Der Ausschreibung im Amtsblatt wurde auch die ordentliche Rechtsmittelbelehrung der 2012 Verwaltungsgericht 188 Beschwerde an das Verwaltungsgericht, wie sie in Submissions- streitigkeiten üblich ist, beigefügt. Die Gemeinde B. ging ursprüng- lich somit ebenfalls davon aus, dass es sich beim ausgeschriebenen Contracting um einen dem Submissionsdekret unterstehenden öffent- lichen Auftrag handelt. Angemerkt sei ausserdem, dass Contracting-Ausschreibungen regelmässig nach den Regeln des öffentlichen Submissionsrechts vergeben werden, wie die aktenkundigen Ausschreibungen der Ge- meinden Rekingen, Erlinsbach, Küttigen, Reinach sowie weiterer Gemeinden aus anderen Kantonen zeigen. Die E. AG, welche die Einwohnergemeinde B. im vorliegenden Vergabeverfahren unter- stützt hat, wies im Zusammenhang mit dem Holzschnitzelwärme- verbund F. ebenso darauf hin, dass die Ausschreibung nach der Sub- missionsverordnung erfolge. 5. Zusammenfassend untersteht die Vergabe Contracting Holz- schnitzelheizung mit Wärmeverbund der Gemeinde B. dem Sub- missionsrecht, und es sind die Bestimmungen des Submissionsde- krets zu beachten.
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AG_VG_001
AG_VG
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2014 Sozialhilfe 203 VII. Sozialhilfe 36 Sozialhilfe; Wohnung Im Anwendungsbereich der SKOS-Richtlinien besteht nach längerer Un- terbringung in einer Notunterkunft der Gemeinde (vorliegend fünf Mo- nate) mit erfolglosen Suchbemühungen der unterstützten Person ein An- spruch auf Vermittlung von Wohnraum, in welchem eine selbstständige Haushaltsführung ermöglicht wird. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 20. August 2014 in Sachen A. gegen Beschwerdestelle SPG und Sozialkommission B. (WBE.2014.3). Aus den Erwägungen 2.4. 2.4.1. Die Notunterkunft, welche dem Beschwerdeführer von der Ge- meinde zur Verfügung gestellt wurde, war ein Zimmer ohne direktes Tageslicht und nur mit gemeinschaftlich nutzbaren sanitären Anlagen ausgestattet. Diese Notunterkunft befindet sich in einer (Lager-) Ge- werbehalle einer Baufirma und verfügt nur über ein Fenster in den Lagerraum. Die Halle hat kleine Oblichter. Das Zimmer ist klein und war auch nach Darstellung der Sozialen Dienste der Gemeinde B. als Übergangslösung gedacht. Der Beschwerdeführer lebte zum Zeit- punkt der Unterzeichnung des Mietvertrages bereits rund fünf Mo- nate in dieser Notunterkunft. 2.4.2. Es besteht grundsätzlich ein Anspruch auf ein menschenwürdi- ges Obdach, in welchem den Grundbedürfnissen nach Bewegung, Luft, Licht, Wärme, Schlaf, Körperhygiene und privater Rückzugs- möglichkeit nachgegangen werden kann. So gehören insbesondere angemessene Beleuchtung und Belüftung zum Kernbestand einer 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 204 menschenwürdigen Unterbringung. Vorübergehend ist es jedoch zulässig, jemanden in einem nur künstlich belüfteten und beleuchte- ten Raum unterzubringen (vgl. K ATHRIN A MSTUTZ , Das Grundrecht auf Existenzsicherung, Bern 2002, S. 218 f.). Des Weiteren gehören zur unerlässlichen Grundausstattung einer menschenwürdigen Unter- kunft sanitäre Einrichtungen (vgl. dies., a.a.O., S. 222 f.). Ob eine Unterkunft zumutbar ist, bemisst sich nach den konkreten Umstän- den im Einzelfall, wobei auch die Dauer der Notlage von Relevanz ist (vgl. C LAUDIA H ÄNZI , Die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, Basel 2011, S. 370). Mit zunehmender Dauer einer materiellen Notlage verdichtet sich der Anspruch auf Obdach zu einem Recht auf Zuteilung bzw. Vermittlung eines men- schenwürdigen Wohnraums, in welchem eine selbstständige Haus- haltsführung ermöglicht wird (vgl. A MSTUTZ , a.a.O., S. 236). Auch wenn an Notunterkünfte geringere Anforderungen gestellt werden dürfen, muss die Würde des Betroffenen gewahrt bleiben (vgl. J ÖRG P AUL M ÜLLER /M ARKUS S CHEFER , Grundrechte in der Schweiz, 4. Auflage, Bern 2008, S. 775). Entgegen den Ausführungen der Beschwerdestelle SPG war dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar, über einen weiteren längeren Zeitraum in der Notunterkunft zu wohnen. Diese Notunter- kunft ist auf längere Sicht kein zumutbares Logis. Der Beschwer- deführer lebte bereits fünf Monate darin und suchte während dieser Zeit mit Unterstützung der Sozialbehörde erfolglos nach einer günsti- gen, angemessenen Unterkunft. Nach fünf Monaten in der Notunter- kunft ohne Aussicht auf eine Veränderung der Situation ist ein treuwidriges Verhalten des Beschwerdeführers fraglich.
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AG_VG_001
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2018 Anwalts- und Notariatsrecht 301 32 Anwaltsprüfung Instrumente wie Lösungsskizzen und Punkteschemen gewährleisten Transparenz und konkretisieren den Bewertungsmassstab bei der schrift- lichen Prüfung. Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 23. April 2018, in Sachen A. gegen Anwaltskommission (WBE.2017.521). 2018 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 302 Aus den Erwägungen 6. Abschliessend rechtfertigt sich folgender Hinweis: Bei der Be- wertung von schriftlichen Prüfungen können insbesondere Lösungs- skizzen und Bewertungsschemen zusätzlich Transparenz gewähr- leisten (vgl. BVR 2012, S. 152, Erw. 4.4.3; Urteil des Bundesgerichts vom 2. November 2011 [2D_11/2011], Erw. 4). Im Bereich nicht akademischer Fachprüfungen sind mitunter Lösungsschlüssel ge- bräuchlich (vgl. VGE vom 6. Oktober 2016 [WBE.2016.180], Erw. II/4). Bei universitären Examensleistungen ist der Einsatz von Punkterastern üblich, welche den Prüfenden und der Rechtsmit- telinstanz die Vergleichbarkeit zwischen Prüfungsarbeit und Lösungsschema erleichtern (vgl. BVR 1999, S. 349, Erw. 3a mit Hinweisen). Musterlösungen und Punkteschemen ermöglichen in ge- nereller Hinsicht eine rechtsgleiche Bewertung der Prüfungsarbeiten (vgl. BVR 2010, S. 49, Erw. 3.3.1). Auch bei schriftlichen Anwalts- prüfungen scheint der Einsatz von Instrumenten angezeigt, welche den Bewertungsmassstab konkretisieren. Dadurch wird dem Prüfungsexperten nicht etwa verunmöglicht, den Gesamteindruck in die Benotung einfliessen zu lassen oder im Einzelfall - abweichend vom vorgegebenen Schema - Zusatzpunkte zu vergeben oder Punkt- abzüge vorzunehmen. Sie helfen jedoch mit, dass sich die Bewer- tungen auf sachliche Gründe stützen sowie transparent, nachvoll- ziehbar und rechtsgleich erfolgen. Gleichzeitig gewährleisten sie die Überprüfung in einem allfälligen Rechtsmittelverfahren. Im Hinblick auf mögliche weitere Beschwerdefälle empfiehlt es sich daher, den Korrekturen der schriftlichen Anwaltsprüfungen entsprechende Punkteschemen zu Grunde zu legen.
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de
2004 Sozialhilfe 251 VIII. Sozialhilfe 60 Weisung oder Auflage zur Hinterlegung von Autoschildern; Subsidiarität und Eigenverantwortung bei einer selbständigen Nebenerwerbstätigkeit. - Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass einem Sozialhilfeemp- fänger die Möglichkeit zur Einschränkung der Abhängigkeit von der materiellen Hilfe nicht genommen wird. - Solange ein Sozialhilfeempfänger für die Ausübung einer selbständi- gen Nebenerwerbstätigkeit auf ein Fahrzeug angewiesen ist und aus dem Gewinn einen Beitrag zu seinem Grundbedarf leisten kann, ist eine Auflage zur Hinterlegung der Autoschilder unverhältnismässig. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 26. August 2004 in Sachen J.H. gegen den Entscheid des Bezirksamts Baden. Aus den Erwägungen 2. a) Die Gemeinde A hat im Beschluss vom 9. Februar 2004 dem Beschwerdeführer die Auflage erteilt, bis Ende Februar 2004 seine Autoschilder beim Strassenverkehrsamt zu deponieren. Der Beschwerdeführer hat diese Auflage beim Bezirksamt angefochten. (....) b) (...) c) Sinn und Zweck der Sozialhilfe ist die Förderung der wirt- schaftlichen und persönlichen Selbständigkeit des Sozialhilfeemp- fängers unter Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität. Auflagen und Weisungen können zur Förderung der richtigen Verwendung der materiellen Hilfe von der Gemeinde unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips auferlegt werden. Der Beschwerdeführer übt mit der Herstellung und dem Ver- trieb von Hundenahrung eine selbständige Nebenerwerbstätigkeit aus. Der Gemeinde und der Vorinstanz ist insoweit zuzustimmen, als 2004 Verwaltungsgericht 252 mit der Sozialhilfe keine Hobbies oder aussichtslose selbständige Er- werbstätigkeiten finanziert werden dürfen. Ein solcher Fall liegt in- dessen nach den Unterlagen nicht vor. Die Gemeinde hat einerseits die Anrechnung eigener Einnahmen angeordnet; anderseits ergibt sich aus den Umsatztabellen und Auslagenübersichten des Be- schwerdeführers, dass er in der Zeit vor dem Bezug der materiellen Hilfe aus der Nebenerwerbstätigkeit einen durchschnittlichen Beitrag von Fr. 300.-- an seine monatlichen Lebenshaltungskosten erwirtschaften konnte. Hinzu kommt, dass die Nebenerwerbstätigkeit die Vermittlungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht beein- trächtigt, kann er doch die Produktion und die Auslieferung der Hundenahrung ohne weiteres zusätzlich zu den Stellenbemühungen bewältigen. Dem Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 5 Abs. 1 SPG) entspricht es, dass solange der Beschwerdeführer mit seiner Ne- benerwerbstätigkeit die Abhängigkeit von der materiellen Hilfe be- schränken oder gar aufheben kann, ihm diese Möglichkeit nicht ge- nommen wird. Für die Ausübung der Nebenerwerbstätigkeit ist der Beschwerdeführer auf das Fahrzeug angewiesen, kann er doch den Transport der Futterbehälter und die Auslieferung ohne dieses nicht bewältigen. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit fordert, dass eine Auf- lage oder Weisung zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet, notwendig und der angestrebte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zu den Beschränkungen steht, die dem Privaten auferlegt werden (Art. 5 BV; BGE 126 I 112 ). Die Auflage bzw. Weisung zur Abgabe der Autoschilder entlastet zwar sein Budget, gleichzeitig wird ihm aber die Möglichkeit genommen, durch eine Nebenerwerbstätigkeit einen eigenen Beitrag an seinen Lebensunterhalt zu leisten. Die richtige Verwendung der öffentlichen materiellen Hilfe ist direkt oder indirekt erst gefährdet, wenn sie zur Bestreitung der Betriebs- und Leasingkosten des Fahrzeugs einge- setzt wird. Solange der Beschwerdeführer mit der Nebenerwerbstä- tigkeit nicht nur die Betriebskosten erwirtschaftet, sondern die öf- fentliche Hand entlasten kann, besteht keine Notwendigkeit, ihm das Fahrzeug abzusprechen. 2004 Sozialhilfe 253 Die Gemeinde und die Vorinstanz lassen sich von der fehlenden Existenzsicherung durch die Nebenerwerbstätigkeit oder die Aus- sichtslosigkeit leiten. Dieser Beurteilung kann insoweit zugestimmt werden, als die Nebenerwerbstätigkeit auch nach der Darstellung des Beschwerdeführers in absehbarer Zukunft keine gesicherte und nachhaltige Existenzgrundlage bilden kann. Diese Beschäftigung entbindet daher den Beschwerdeführer nicht, sich intensiv um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen. Er beanstandet denn auch die entsprechende Weisung des Gemeinderates zu Recht nicht. Die Nebenerwerbstätigkeit entspricht dagegen den Prinzipien der Eigenverantwortung und Selbsthilfe (§ 1 Abs. 1 SPG) und dient, solange der Beschwerdeführer damit einen Beitrag zu seinem Le- bensunterhalt leistet, auch öffentlichen Interessen. Selbst dann, wenn das Unternehmen den "Turn-Around" hin zur vollständigen neuen Existenzgrundlage des Beschwerdeführers nicht erreicht, wird die Öffentlichkeit entlastet. d) In Anbetracht obgenannter Umstände ist die Auflage in Ziffer 7 des Beschlusses des Gemeinderates A vom 9. Februar 2004 teilweise aufzuheben und anzupassen.
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2007 Verwaltungsgericht 134 [...] 33 Baubewilligungsgebühr; Verfassungskonformität der Gebührenverord- nung, soweit diese den Behandlungsaufwand unberücksichtigt lässt. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 9. August 2007 in Sa- chen U. AG und P. AG gegen Regierungsrat (WBE.2006.370). 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 135 Sachverhaltszusammenfassung Am 31. März 2005 stellten die U. AG und die P. AG als Bau- konsortium "Hofzelg" bei der Gemeinde Niederrohrdorf ein Bauge- such für eine Wohnüberbauung mit 6 Mehrfamilienhäusern und einer Tiefgarage auf den Parzellen 560, 561 und 568, innerhalb der Bau- zone. Das BVU erhob für die erforderliche kantonale Teilverfügung vom 8. September 2005 eine Gebühr von Fr. 13'333.35. Aus den Erwägungen 2. 2.1. Die Beschwerdeführerinnen stellen die Verfassungskon- formität der Verordnung über die vom Departement Bau, Verkehr und Umwelt für Entscheide über Baugesuche zu erhebenden Gebüh- ren vom 17. August 1994 (SAR 713.125; nachfolgend GebV) in Frage. Für den Fall nicht bloss untergeordneter baulicher Massnah- men lasse diese nämlich den Behandlungsaufwand unberücksichtigt, was unzulässig sei (Verwaltungsgerichtsbeschwerde, S. 12). 2.2. Bei der Gebührenerhebung muss - neben dem hier nicht in Frage stehenden Kostendeckungsprinzip - das Äquivalenzprinzip be- achtet werden. Dieses konkretisiert das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Willkürverbot (Art. 5 Abs. 2 sowie Art. 9 BV) für den Be- reich der Kausalabgaben. Nach dem Äquivalenzprinzip darf eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objekti- ven Wert der Leistung stehen und muss sich in vernünftigen Grenzen halten. Nach der Praxis des Bundesgerichts bemisst sich der Wert der Leistung nach dem wirtschaftlichen Nutzen, den sie dem Pflichtigen bringt, oder nach dem Kostenaufwand der konkreten Inanspruchnah- me im Verhältnis zum gesamten Aufwand des betreffenden Verwal- tungszweigs, wobei schematische, auf Wahrscheinlichkeit und Durchschnittserfahrungen beruhende Massstäbe angelegt werden dürfen. Es ist demnach nicht notwendig, dass die Gebühr in jedem Fall genau dem Verwaltungsaufwand entspricht, der für die bean- spruchte Leistung anfällt. Gebühren sollen aber nach sachlich ver- tretbaren Kriterien bemessen sein und nicht Unterscheidungen tref- 2007 Verwaltungsgericht 136 fen, für die keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind. Bei der Festsetzung von Verwaltungsgebühren darf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts innerhalb eines gewissen Rahmens auch der wirtschaftlichen Situation des Pflichtigen und dessen Interesse am abzugeltenden Akt Rechnung getragen werden. Solange zwischen der Höhe der Gebühr und dem Wert der Leistung kein offensichtli- ches Missverhältnis entsteht, ist es dem Gemeinwesen auch nicht verwehrt, mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall in weniger bedeutsamen Fällen auszugleichen. In Fällen mit hohem Streitwert und starrem Tarif, der die Berücksichtigung des Aufwan- des nicht erlaubt, kann die Belastung allerdings unverhältnismässig werden, namentlich dann, wenn die Gebühr in Prozenten oder Pro- millen festgelegt wird und eine obere Begrenzung fehlt (zum Ganzen BGE 130 III 228 f.; vgl. auch AGVE 1992, S. 311, je mit Hinwei- sen). Gemäss GebV beträgt die Gebühr für die Behandlung von Ge- suchen für Bauten und Anlagen 2 0 / 00 der anhand von Erfahrungswer- ten geschätzten Erstellungskosten, mindestens aber Fr. 300.-- und höchstens Fr. 20'000.--. Eine Berücksichtigung des Behandlungsauf- wands lässt die GebV dann zu, wenn keine oder bloss untergeordnete bauliche Massnahmen geplant sind, das Projekt den Abbau oder die Ablagerung von Materialien vorsieht (§ 1 Abs. 2 GebV) oder wenn mit einem ungewöhnlich geringen Aufwand zu rechnen ist (§ 4 Abs. 1 GebV). Für alle anderen Fälle besteht nach der GebV keine Möglichkeit, die Promillegebühr unter Berücksichtigung des effekti- ven Behandlungsaufwandes zu reduzieren. Die GebV bemisst die Behandlungsgebühr somit grundsätzlich nach Promillen der Bausumme. Insbesondere bei Investitionsobjek- ten besteht zwischen der Höhe der Bausumme und dem wirtschaftli- chen Nutzen des Gesuchstellers an der Baubewilligung ein enger Zusammenhang, geht es dem Gesuchsteller doch darum, mit dem Bauvorhaben einen wirtschaftlichen Wert zu realisieren. Mit der Höhe des Investitionsvolumens bzw. der Bausumme steigt für den Gesuchsteller in aller Regel auch der wirtschaftliche Nutzen an der Baubewilligung. Von diesem wirtschaftlichen Nutzen darf nach dem eingangs Gesagten auf den Wert der staatlichen Leistung geschlossen 2007 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 137 werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Bausumme bei der Bemessung der Bewilligungsgebühr eine massgebliche Rolle spielt. Zwar kann diese Bemessungsmethode im Einzelfall dazu füh- ren, dass die erhobene Gebühr die Kosten des effektiven Verwal- tungsaufwands übersteigt, dem Gemeinwesen ist es jedoch (wie ge- sagt) grundsätzlich nicht verwehrt, mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall in weniger bedeutsamen Fällen auszugleichen. Die in § 1 GebV vorgesehenen Maximalbeträge verhindern denn auch, dass zwischen der Höhe der Gebühr und dem effektiven Ver- waltungsaufwand ein nicht mehr zu rechtfertigendes Missverhältnis entsteht. Die Gebührenordnung gemäss den § 1 und 4 GebV hält so- mit vor der Verfassung stand. (Hinweis: Dieser Entscheid ist noch nicht rechtskräftig.)
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2015 Vollstreckung 267 XIV. Vollstreckung 41 Vollstreckung - Konkrete Anordnungen einer formell rechtskräftigen Bewilligung sind selbständig vollstreckbare Auflagen. - Ein nachträgliches Baugesuch zur Feststellung der materiellen Rechtswidrigkeit einer Baute, die Auflagen missachtet, ist nicht not- wendig. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 31. März 2015 in Sachen A. gegen Gemeinderat B. (WBE.2014.418). Aus den Erwägungen 4.2. Die Baubewilligung stellt eine sogenannte Polizeierlaubnis dar, mit der festgestellt wird, dass dem ihr zugrundeliegenden Bauvorha- ben keine öffentlich-rechtlichen, insbesondere baupolizeilichen und raumplanerischen Hindernisse entgegenstehen (B ERNHARD W ALDMANN /P ETER H ÄNNI , Raumplanungsgesetz, Handkommentar, Bern 2006, Art. 22 Rz. 70 f. mit Hinweisen; A NDREAS B AUMANN , Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 59 N 29; siehe auch AGVE 2000, S. 247). Im Bewilligungsverfahren wird geprüft, ob das vom Gesuchsteller vorgesehene Projekt mit den einschlägigen Normen vereinbar ist. Hingegen ist es grundsätzlich nicht Sache der Behörde, dem Gesuchsteller aufzuzeigen, wie ein be- willigungsfähiges Projekt gestaltet werden müsste. Die Projektierung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist im Allgemeinen Sache der Bauherrschaft. Bei Bauten und Anlagen, die ohne Baubewilligung erstellt werden und bei Projektänderungen, die von einer Baubewilligung ohne spezifische (Bau-) Verfügungen ab- weichen, steht daher mangels konkreter Anordnungen nicht fest, ob 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 268 die "eigenmächtig" erstellten Bauten dem materiellen Bau- und Pla- nungsrecht entsprechen. Die Beurteilung dieser Fragen und damit der materiellen Rechtswidrigkeit einer Baute erfolgt in einem nachträgli- chen Baubewilligungsverfahren gemäss § 159 Abs. 1 BauG. In die- sem Verfahren kann auch die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands angeordnet werden. Eine Baubewilligung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden, insbesondere mit Auflagen, welche unmittelbar materielle Bedeutung haben, indem nur mit ihrer Einhaltung die materielle Rechtmässigkeit der Bauten erreicht wird (vgl. dazu AGVE 2002, S. 242, Erw. 3c/bb; 1998, S. 453; B AUMANN , a.a.O., § 59 N 44). Eine solche Auflage ist die mit einer Baubewilligung verbundene (zusätzliche) Verpflichtung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen. Die Auflage ist selbständig erzwingbar: Wird die Auflage nicht er- füllt, wirkt sich dies zwar nicht auf den Bestand der Verfügung aus, doch kann das Gemeinwesen die Auflage mit hoheitlichem Zwang durchsetzen. Eine Auflage ist mit anderen Worten vom Gemeinwesen durchsetzbar (U LRICH H ÄFELIN /G EORG M ÜLLER /F ELIX U HLMANN , Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich/St. Gallen 2010, N 913 ff. mit Hinweisen). Solche Auflagen sind konkrete bauliche Anordnungen, von de- ren Erfüllung die Rechtmässigkeit der Bauten abhängig ist. Diese materiellen Anordnungen einer Baubewilligung, wie sie typischer- weise in Auflagen oder spezifischen Bauvorschriften konkretisiert werden, regeln die öffentlich-rechtlichen Pflichten des Verfügungs- adressaten unmittelbar. Die Auflagen sind nach Eintritt der formellen Rechtskraft der Baubewilligung vollstreckbar. Die formelle Rechtskraft von Baubewilligungen bedeutet Rechtsbeständigkeit oder Bestandeskraft der Bewilligung und der Auflage (vgl. zur Rechtsbeständigkeit: BGE 137 I 69, Erw. 2.2 mit Hinweisen; P IERRE T SCHANNEN /U LRICH Z IMMERLI /M ARKUS M ÜLLER , Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl., Bern 2014, § 31 Rz. 8; B AUMANN , a.a.O., § 59 N 52 ff. mit Hinweis). Die Rechtsbe- ständigkeit bewirkt, dass die Baubewilligung, wie andere Dauerver- fügungen, solange Rechtswirkung entfaltet, bis sie durch eine nach- folgende Verfügung aufgehoben oder abgeändert wird. Baubewilli- 2015 Vollstreckung 269 gungen dürfen daher nicht frei überprüft werden (B AUMANN , a.a.O., § 59 N 59 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts vom 16. No- vember 2012 [1C_277/2012], Erw. 5.4). Diese Grundsätze gelten auch für die Auflagen einer Baubewilligung. (...) 4.3. Die Auflage 2.1 der Baubewilligung verpflichtete den Be- schwerdeführer zwingend zur Positionierung und Unterteilung der Verglasung nach dem Projektplan. Dabei wurde ausdrücklich ange- ordnet, dass die Dachabstützung von aussen ablesbar bleibt. Die Auflage in Ziff. 2.2 schliesslich verlangte für alle Verglasungen das gleiche System, transparentes Glas mit schlanken alu-farbenen Profilen. Es handelt sich um positive, bauliche Anordnungen und konkrete Vorschriften. Hintergrund dieser Auflagen ist, dass das Baugesuch des Beschwerdeführers eine Wohnung der Arealüber- bauung C., bestehend aus drei Mehrfamilienhäusern, betraf. Die Sicht- und Wetterschutzverglasungen auf den Balkonen und Sitz- plätzen wurden am 12. Januar 2009 mit einheitlichen, gestalterischen Auflagen bewilligt. Jede Abweichung von den beiden Auflagen nach Rechtskraft der Baubewilligung erfordert somit einen Widerruf der beiden Auflagen. Die Feststellung der materiellen Rechtswidrigkeit der (eigenmächtig) ausgeführten, auflagewidrigen Verglasung erfor- dert aber keinen zusätzlichen Sachentscheid, weil nur die Ausfüh- rung der Sicht- und Windschutzverglasung in Übereinstimmung mit den Auflagen (materiell) rechtmässig ist. 4.4. Der Beschwerdegegner wies das nachträgliche Baugesuch gestützt auf § 54 Abs. 4 BauV ab, da es von vornherein nicht bewilli- gungsfähig war. Aus der Begründung wird klar, dass der Beschwer- degegner auf das Wiedererwägungsgesuch zur Baubewilligung nicht weiter eingetreten ist und auch nach einem allfälligen Gesuch um Durchführung des ordentlichen Verfahrens auf das nachträgliche Baugesuch nicht eintreten wird bzw. kann. Die Wiedererwägung und das nachträgliche Baugesuch dürfen nicht dazu dienen, rechtskräftige Entscheide immer wieder in Frage zu stellen oder die Geset- 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 270 zesvorschriften über die Rechtsmittelfristen zu umgehen (BGE 136 II 177, Erw. 2.1 mit Hinweisen). Weder ist in rechtlicher Hinsicht ein Sachentscheid erforderlich, um die Unrechtmässigkeit der auflagewidrigen Ausführung der Wind- und Sichtschutzverglasung festzustellen, noch besteht mangels Vorliegens von Voraussetzungen gemäss § 39 VRPG Anlass für eine Wiedererwägung der Auflagen. Damit sind die Auflagen der Baubewilligung vollstreckbar (AGVE 2010, S. 261 f.).
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2015-41_2015-03-03
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2008 Verwaltungsrechtspflege 301 [...] 53 Verfahrensleitende Zwischenentscheide. - Voraussetzungen für eine selbständige Anfechtbarkeit. Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 19. März 2008 in Sachen H. AG und Z. AG gegen den Regierungsrat (WBE.2007.396). Aus den Erwägungen 3. 3.1. Verfahrensleitende Zwischenentscheide sind in der Regel nicht selbständig anfechtbar. Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts können verfahrensleitende Zwischenentscheide nur angefochten werden, wenn ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht (grundlegend AGVE 1971, S. 334; 1991, S. 195; vgl. Kasuistik bei Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 38 N 59). 3.2. Die Beschwerdeführerin begründet den Nachteil mit der Ver- weigerung einer "angemessenen, rechtsstaatlichen Ansprüchen ge- nügenden Mitwirkung am vorinstanzlichen Verfahren," da es ihr an- gesichts des Aktenumfanges unmöglich sei, innert der durch die Fei- ertage verkürzten Frist ihr Recht auf Akteneinsicht und Mitwirkung sachgerecht auszuüben. Sie habe nach unbenutztem Fristablauf ihr Recht auf Anhörung und Mitwirkung am Verfahren verwirkt, und dieser Nachteil könne auch durch ein Rechtsmittel gegen den End- entscheid nicht mehr behoben werden. 3.3. (...) 2008 Verwaltungsgericht 302 3.4. Lehre und Rechtsprechung verneinen den nicht wieder gutzu- machenden Nachteil, wenn die betreffende Anordnung mit dem in der Sache ergehenden Endentscheid angefochten werden kann und die Wirkungen sich durch den Endentscheid voll beseitigen lassen (BGE 133 III 629 Erw. 2.3; 126 I 97 Erw. 1b; AGVE 1989, S. 313 mit Hinweisen; Merker, a.a.O., N 50 zu § 44). Ein derartiger Sach- verhalt liegt hier vor. Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin Akteneinsicht gewährt und ihr in Anwendung von § 39 Abs. 3 VRPG eine Frist von 20 Tagen zur Beschwerdeergänzung angesetzt. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Rügen wegen Verletzung der Verfahrensgarantien und die damit im Zusammenhang geltend gemachten Nachteile der zu kurzen Frist, deren Nichterstreckbarkeit und bei der Gewährung der Akteneinsicht können von der Beschwer- deführerin uneingeschränkt mit Beschwerde gegen den Endentscheid des Regierungsrates beim Verwaltungsgericht vorgebracht werden (§ 52 i.V.m. § 56 Abs. 1 VRPG). Die behaupteten Nachteile sind auch hinsichtlich ihrer verfahrensmässigen Auswirkungen im verwal- tungsgerichtlichen Verfahren vollständig behebbar. Insbesondere können allfällige Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts und des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Hauptverfahren vollständig kor- rigiert werden, so dass der Beschwerdeführerin aus der angefochte- nen Fristansetzung keinerlei Nachteile rechtlicher oder tatsächlicher Natur entstehen. Damit scheidet selbst die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils aus. In diesem Sinne ist auch eine vollständige Verweigerung des Akteneinsichtsrechts für sich allein kein anfechtbarer Zwischenentscheid (Alfred Kölz / Jörg Bosshart / Martin Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflege- gesetz des Kantons Zürich, 2. Auflage, Zürich 1999, § 19 Rz. 50). Zutreffend ist schliesslich der Hinweis der Beschwerdegegner, dass im Hauptverfahren der Untersuchungsgrundsatz (§ 20 VRPG) unein- geschränkt gilt, weshalb Neuerungen auch nach Ablauf der Be- schwerdefrist oder behördlicher Fristen in das Hauptverfahren einge- bracht werden können (vgl. AGVE 1986, S. 210 f.). 2008 Verwaltungsrechtspflege 303 3.5. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das Verwaltungs- gericht auf die vorliegende Beschwerde gegen den prozessleitenden Entscheid der Vorinstanz nicht eintreten darf.
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AG_VG_001
AG_VG
AG
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2006 Verwaltungsgericht 142 [...] 31 Zuordnung von Erschliessungsanlagen, welche im Zonenplan keiner Zone zugewiesen sind ("weisse Flächen"). - Eine Erschliessungsplanung kann die fehlende Zuweisung zum Siedlungsgebiet nicht ersetzen (Erw. 1.2.3). - Kriterien für die Zuweisung von Erschliessungsanlagen zum Sied- lungsgebiet (Erw. 2). Urteil des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 10. März 2006 in Sachen St. und Mitb. gegen den Regierungsrat. Aus den Erwägungen 1. 1.1. (...) 1.2. 1.2.1. Es ist unbestritten, dass im Zonenplan der Gemeinde A sämtli- che Strassen - darunter auch der Föhrenweg sowie die nach Lage mit dem Föhrenweg vergleichbare Steigstrasse und der Blitzbergweg, aber auch sämtliche Waldstrassen - weiss koloriert sind. In der farbli- chen Ausgestaltung der Strassen wird im Zonenplan keine Unter- scheidung getroffen zwischen Strassen und Wegen innerhalb und ausserhalb der Bauzone. Insbesondere vermag auch der Aspekt, ob die Strassen und Wege vollständig von Bauzonen umgeben sind oder nicht oder ob Strassen und Wege entlang einer Bauzonengrenze ver- laufen, nichts zu einer qualifizierenden Unterscheidung beitragen, da 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 143 der Zonenplan farblich keine solche Unterscheidung macht. Für die Beantwortung der Frage, ob der Föhrenweg innerhalb oder ausser- halb der Bauzone liegt, bleibt die Feststellung, dass der Föhrenweg im Zonenplan weiss belassen wurde, damit ohne Belang. 1.2.2. Der Föhrenweg und alle Strassen und Wege innerhalb und ent- lang der Bauzonen sind bereits in den Zonenplänen der Gemeinde A aus den Jahren 1965 bzw. 1978 weiss koloriert. Seither wurden, wie dies im vorinstanzlichen Entscheid zutreffend ausgeführt wird, die Steigstrasse ausgebaut und mit dem Kommunalen Überbauungsplan "Gewerbegebiet Z." der Ausbau des bestehenden Weges entlang ei- nes Waldes mittels Bau- und Weglinien vorbereitet, obwohl die ent- sprechenden Strassen und Wege am Bauzonenrand liegen und farb- lich weiss belassen blieben. Damit kann auch nicht gesagt werden, Strassen und Wege am Bauzonenrand seien aus funktionalen Überle- gungen grundsätzlich dem Nichtbaugebiet bzw. dem Kulturland zu- zurechnen. Die Gemeinde A hat dies in der Nutzungsplanung und baurechtlichen Praxis nicht so verstanden und ist während Jahren da- von ausgegangen, die Erschliessungsanlagen gehörten zum Sied- lungsgebiet. Dies Praxis besteht auch in anderen Aargauer Gemeinden und rührt daher, dass die Planung vorwiegend mit Blick auf die Aus- scheidung von Bauzonen für Hochbauten bzw. Wohn- und Gewerbe- nutzung erfolgte. Folgte man den Ansichten der Beschwerdeführer, so hätte die weisse Farbe im Bauzonenplan im Ergebnis zur Folge, dass alle Bauzonen, die einseitig an Kulturland grenzen, über keine planungs- rechtlich konforme Strassenerschliessung verfügten. Dies wider- spricht Sinn und Zweck einer Zonenplanung. 1.2.3. Die Erschliessungspläne sind Sondernutzungspläne (§ 16 Abs. 1 BauG). Im Gegensatz zu den Gestaltungsplänen können sie von den allgemeinen Nutzungsplänen und -vorschriften nicht abweichen (e contrario § 16 f. BauG und § 1 ABauV i.V.m. § 21 Abs. 2 BauG und § 3 ABauV). Liegen daher Erschliessungsanlagen, die dem Zweck der jeweiligen Zone nicht entsprechen, ausserhalb Baugebiet, so 2006 Verwaltungsgericht 144 haben die Planungsbehörden auch bei Erlass von Erschlies- sungsplänen die Anforderungen der bundesgerichtlichen Recht- sprechung zu Erschliessungsanlagen ausserhalb von Bauzonen und von Art. 24 f. RPG zu beachten (vgl. BGE 129 II 63 Erw. 3.1., 124 II 252 Erw. 4a; 118 Ib 497 Erw. 4a, BGE vom 31. August 2005 [1A.256/2004], Erw. 5 je mit Hinweisen). Dementsprechend kommt dem Umstand, dass ein Sondernutzungsplan im Sinne von Art. 14 ff. RPG bzw. § 16 BauG vorliegt, mit Bezug auf die Zuweisung zum Siedlungsgebiet keine Bedeutung zu. 1.2.4. Der Raumplanung liegen der Gedanke der geordneten Besie- delung des Landes, der zweckmässigen, haushälterischen Nutzung des Bodens sowie das Gebot der Trennung von Siedlungs- und Nichtsiedlungsgebiet zu Grunde (Art. 75 Abs. 1 BV, Art. 1 RPG). Das Raumplanungsgesetz verlangt eine lückenlose Gesamtplanung, und mit Ausnahme des Waldes (Art. 18 Abs. 3 RPG) ist das ganze Gemeindegebiet zu erfassen und bestimmten Nutzungen zu zuord- nen. Eine inhaltslose Planung ist nicht zulässig (BGE 120 Ib 207 Erw. 6). Zu prüfen ist daher, ob die "weisse Fläche" im umstrittenen Ge- biet der Bau- oder Nichtbauzone zuzuordnen ist. Der bundesgericht- lichen Rechtsprechung entsprechend ist für die Beantwortung dieser Frage nicht nur auf Bundesrecht, sondern auch auf die kantonalen Vorschriften, die kommunalen Nutzungsbestimmungen und den Willen der für die Ortsplanung zuständigen Instanzen abzustellen, soweit dieser sich aus dem Zonenplan selbst oder aus den Vorarbei- ten ergibt (BGE 114 Ib 349 f.; vgl. auch Pierre Tschannen, in: Heinz Aemisegger / Alfred Kuttler / Pierre Moor / Alexander Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung [RPG- Kommentar], Zürich 1999, Art. 2 N 20). 2. Der Föhrenweg ist im Zonenplan der Stadt A aus dem Jahre 1988 weder einer Bau- noch einer Nichtbauzone zugewiesen. Er kann daher auch nicht als Waldstrasse bezeichnet werden. Stattdes- sen wurde der Föhrenweg wie die übrigen Verkehrsflächen weiss belassen (siehe vorne Erw. 1.2.1). Die kantonalen Bestimmungen 2006 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 145 enthalten keine Bestimmung über die Zuordnung von (bestehenden) Erschliessungsanlagen (vgl. § 15 BauG). Die Bauordnung der Stadt A verweist zwar in Art. 23 auf den Nutzungsplan und die Nutzungs- ordnung Kulturland für die Gebiete ausserhalb der Bauzone (vgl. auch Art. 1 der Nutzungsordnung Kulturland A). Die Frage, ob die Erschliessungsstrassen innerhalb oder ausserhalb Baugebiet liegen, regeln aber beide kommunalen Erlasse nicht ausdrücklich. Nördlich grenzt der bestehende Föhrenweg von der Verzwei- gung mit der Steigstrasse bis zur Parzelle Nr. 785 an eine Grünzone, diese ist vollumfänglich von Bauzonen (W2) umgeben und gehört zum Baugebiet (Art. 47 BNO, vgl. BGE 116 Ib 377). Der Föhrenweg ist bis zur Parzelle Nr. 1502, mithin auf einer Länge von mehr als 250 m, von Baugebiet umschlossen. Das südlich des Föhrenwegs an- grenzende und vom Planungsperimeter erfasste Gemeindegebiet ist durchwegs der Wohnzone W2 zugeordnet. Grundsätzlich nicht bestritten wird, dass der Föhrenweg den in der W2 gelegenen Parzellen Nrn. 1564, 1541 und 1538 bereits als Erschliessungsweg dient. Die Anzahl Parzellen, welche über den Föhrenweg zusätzlich erschlossen werden oder nicht, ist aber für die Beurteilung, welcher Zone der Föhrenweg zuzuordnen ist, nicht von Belang. Ebenfalls unbeachtlich ist, ob die rechtlichen Voraussetzun- gen der Erschliessung sämtlicher Parzellen am Föhrenweg gegeben sind, denn vorliegend geht es nicht um die rechtliche Beurteilung der Baureife eines Grundstücks bzw. einer Baubewilligung. Folglich ist auch irrelevant, ob die Parkplätze der Parzelle Nr. 750, welche über den Föhrenweg erreichbar sind, Pflichtparkplätze darstellen oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass diese bestehen und tatsächlich genutzt werden. Wie das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid vom 27. Juni 2002 zu Recht festgestellt hat (VGE vom 27. Juni 2002 [BE.2001.00025], S. 8), kommt dem Föhrenweg nicht nur auf dem Strassenabschnitt, der der Gemeinde gehört (Strassenparzelle Nr. 796), sondern auch darüber hinaus bereits eine Erschliessungs- funktion zu. Aufgrund der geschilderten Lage des Föhrenwegs und dessen Erschliessungsfunktion lässt sich schliessen, dass nach dem Willen der Planungsbehörde der im Nutzungsplan aus dem Jahr 1988 weiss 2006 Verwaltungsgericht 146 kolorierte Föhrenweg zum Baugebiet (W2) gehört. Dies stimmt im Übrigen mit dem Grundsatz überein, dass Erschliessungsanlagen für in der Bauzone gelegene (Wohn-)Bauten grundsätzlich zur Bauzone gehören (BGE vom 18. Oktober 2004 [1A.10/2004; 1P.34/2004], Erw. 3.5). Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass der Pla- nungsperimeter des Erschliessungsplanes "Föhrenweg" innerhalb der der Bauzone liegt und Art. 24 RPG nicht zur Anwendung gelangt.
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AG_VG_001
AG_VG
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AG_VG_001_AGVE-2006-31_2006-03-04
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2015 Verwaltungsrechtspflege 285 XVI. Verwaltungsrechtspflege vgl. AGVE 2015 31 207ff. 45 Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Mitteilungsblatt einer Gemeinde Für Ansprüche aus behaupteter Persönlichkeitsrechtsverletzung in Ge- meindepublikationen mit informellem Charakter sind die Zivilgerichte zuständig, nicht das Verwaltungsgericht. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Juli 2015 in Sachen A. gegen Einwohnergemeinde B. (WKL.2015.12). Aus den Erwägungen 2. 2.1. Die Klägerin ersucht um Beseitigung eines persönlichkeits- rechtswidrigen Zustandes gemäss Art. 28a Abs. 1 Ziffer 2 ZGB so- wie um vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 261 ff. ZPO, ins- besondere um superprovisorische Beseitigung einer persönlichkeits- verletzenden Publikation im Internet (Art. 248 lit. d i.V.m. 262 lit. b ZPO). Sie stützt sich auf eine privatrechtliche Grundlage ab. 2015 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 286 Die ZPO regelt die örtliche und sachliche Zuständigkeit in streitigen Zivilsachen (Art. 1 lit. a ZPO). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Zivilsache oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, ist die Rechtsnatur des Streitgegenstandes massgeblich, der durch die Klagebegehren und die klägerischen Sachvorbringen bestimmt wird. Unerheblich ist, ob die Parteien als Privatpersonen oder staatliche Behörden auftreten (D OMINIK V OCK /C HRISTOPH N ATER , in: K ARL S PÜHLER /L UCA T ENCHIO /D OMINIK I NFANGER [H RSG .] , Basler Kommentar, Schwei- zerische Zivilprozessordnung, 2. Auflage, 2013, Art. 1 N 3 mit Hinweisen; zu Art. 10 Abs. 1 lit. b ZPO vgl. B ERNHARD B ERGER , in: Berner Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Schweize- rische Zivilprozessordnung, Band I, Art. 1-149 ZPO, 2012, Art. 10 N 37). 2.2. (...) Nach § 18 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Einwohnerge- meinden vom 19. Dezember 1978 (Gemeindegesetz; SAR 171.100) enthält die Gemeindeordnung Vorschriften über die Art der vorge- schriebenen Veröffentlichungen (vgl. A NDREAS B AUMANN , Aargaui- sches Gemeinderecht, 3. Auflage, Zürich 2005, S. 498). Gemäss § 7 der Gemeindeordnung der Gemeinde B. werden die im Gemein- degesetz vorgeschriebenen Veröffentlichungen der Gemeinde in dem vom Gemeinderat zu bezeichnenden offiziellen Publikationsorgan veröffentlicht. Die Mitteilungsblätter oder News aus der Gemeinde- verwaltung können als Newsletter (E-Mail) abonniert werden (Mit- teilungen aus dem Gemeindehaus). Dabei handelt es sich nicht um das amtliche Publikationsorgan gemäss Gemeindegesetz. Die Mitteilungen "News" dienen zu Informationszwecken in der Gemeinde B.. Aufgrund des Layouts der Mitteilung und deren Abrufbarkeit auf der Homepage der Gemeinde ist ihr ein gewisser offizieller Charakter zwar nicht abzusprechen. Die Themen der Mit- teilungen und ihre Aufmachung zeigen indessen klar ihren informel- len Charakter (vgl. z.B. Neuanstellung beim Schulsekretariat, Infos aus der Bibliothek, Altersausfahrt ins Grüne). Sie werden auch als Mitteilungsplattform für Anlässe und Aktivitäten in der Gemeinde 2015 Verwaltungsrechtspflege 287 genutzt. Traktanden der Gemeindeversammlung oder von Baube- willigungsverfahren finden zwar Erwähnung, indessen wird in diesen Fällen im amtlichen Publikationsorgan veröffentlicht. 2.3. Die Mitteilungen fallen zwar grundsätzlich unter das Informati- onswesen der Behörden (§ 73 Abs. 1 KV; vgl. K URT E ICHENBERGER , Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, § 73 N 1 ff.). Die Klägerin lässt ihre Ansprüche indessen auf das Privatrecht abstützen, wobei die behauptete Verletzung des Per- sönlichkeitsrechts nicht in einer amtlichen Publikation erfolgte. Ein öffentliches Rechtsverhältnis zwischen Gemeinde und Klägerin konnte durch die informellen Äusserungen in der betreffenden Mitteilung nicht begründet werden. Die Informationen auf der Homepage - wie auch deren Betrieb - liegen ausserhalb der hoheitli- chen Tätigkeit der Gemeindebehörde (Art. 61 Abs. 2 OR). Die Mitteilungen fallen auch nicht unter die amtlichen Informa- tionen gemäss § 1 lit. a IDAG. Eine andere gesetzliche Grundlage für den Bestand oder die Begründung eines öffentlichen Rechtsver- hältnisses ist nicht ersichtlich. Die Zivilprozessordnung sieht für Klagen aus Persönlichkeits- verletzung und damit zusammenhängende vorsorgliche Massnahmen die Zuständigkeit der Zivilgerichte vor (Art. 20 lit. b und 13 lit. a ZPO). Diese können unter den gegebenen Umständen die Voraus- setzungen eines Beseitigungsanspruchs beurteilen (vgl. zum Ganzen: A NDREAS M EILI , in: H EINRICH H ONSELL /N EDIM P ETER V OGT / T HOMAS G EISER [H RSG .], Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456, 5. Auflage, 2014, Art. 28 N 37; BGE 134 I 229, Erw. 3, jeweils mit Hinweisen). Die Zuständigkeit der Zivilgerichte schliesst die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts aus.
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AG_VG_001_AGVE-2015-45_2015-07-03
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2006 Abgaben 95 III. Abgaben 21 Strassenbaubeiträge (§ 34 f. BauG). - Grundsätze der Perimeterfestlegung beim Anstoss einer Parzelle an zwei Strassen. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 20. November 2006 in Sachen S.S. gegen Schätzungskommission nach Baugesetz. Aus den Erwägungen 2.4. Die Beitragserhebung bei Grundstücken, die an zwei (oder mehrere) Strassen anstossen, kann zwei unterschiedlichen Ansätzen folgen. Zum einen kann in strikter Anwendung des Vorteilsprinzips darauf abgestellt werden, ob die zuerst gebaute Strasse das Grund- stück vollständig erschliesst. Wenn dies zutrifft, also namentlich bei kleinen und normal grossen Parzellen, wo sich die Möglichkeiten auf eine Baute oder eine zusammenhängende kleinere Überbauung be- schränken, wird die gesamte Parzellenfläche in den Beitragsperime- ter dieser ersten Stasse einbezogen; an den Bau der zweiten Strasse ist mangels eines zusätzlichen Vorteils kein Beitrag zu leisten. Wer- den - als Normalfall - die beiden Strassen nicht gleichzeitig erstellt, so fällt der Perimeter für die erste Strasse tendenziell zu gross aus; die Beitragspflichtigen bei der ersten Strasse werden bevorteilt, die- jenigen bei der zweiten zahlen entsprechend höhere Beiträge (dies gilt für alle Beitragspflichtigen, nicht nur für diejenigen mit doppel- tem Strassenanstoss). Nach dem anderen Lösungsansatz geht es darum, diese unsachgemässe Auswirkung des zeitlichen Elements (welche der beiden planerisch vorgesehenen Strassen zuerst gebaut wird) zu verhindern und eine angemessene Perimeterabgrenzung si- cherzustellen. Dazu werden die Parzellen mit doppeltem Strassenan- stoss je zu einem Teil den beiden Perimetern zugewiesen; in denjeni- 2006 Verwaltungsgericht 96 gen Fällen, wo die zuerst erstellte Strasse zur vollständigen Erschliessung ausreicht, kommen sie damit beim ersten Perimeter zu gut weg und können aus diesem Grund dem Einbezug in den Peri- meter der zweiten Strasse nicht entgegenhalten, diese bringe ihnen keinen zusätzlichen Erschliessungsvorteil; sie erleiden keine sach- widrige Doppelbelastung. 2.5. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung Be- stimmungen, die diesem zweiten Ansatz folgen, regelmässig ge- schützt (siehe AGVE 1990, S. 178 f.; 1981, S. 158). Bei einer Par- zelle, die im Bereich von zwei Beitragsplänen liegt, kommt es also nicht darauf an, welcher Beitragsplan die Parzelle als erster erfasst. Richtig ist vielmehr der Einbezug in beide (bzw. gegebenenfalls in mehrere) Beitragspläne. Bei kleinen und normal grossen Parzellen kommt es in aller Regel zur hälftigen Aufteilung. Dabei handelt es sich um eine rein rechnerische Zuordnung der Parzellenhälften. Die erforderliche zeichnerische Umsetzung für die Darstellung der Beitragsperimeter (mittels der Winkelhalbierenden bei Eckgrundstücken und der Mit- tellinie bei parallel verlaufenden Strassenzügen) hat keine zusätzliche Funktion und erfolgt insbesondere ohne Zusammenhang mit der konkreten Erschliessung und den Überbauungsmöglichkeiten. Für ein Abweichen vom Grundsatz der hälftigen Zuordnung bietet sie daher keine Begründung. Vielmehr setzt das Abweichen bei Parzel- len in dieser Grösse voraus, dass die schematische Lösung den durch die beiden Strassen geschaffenen Vorteilen klarerweise nicht gerecht wird, mithin gewichtige Gründe vorliegen. Sehr grosse Parzellen werden von einer einzigen Strasse häufig nur unvollständig erschlossen. Hier besteht meist Bedarf nach zu- sätzlicher interner Erschliessung; diese Aufwendungen können sich durch eine zweite öffentliche Strasse verringern. Bei solchen Ver- hältnissen kann es sachgerecht sein, für die Aufteilung stärker auf die konkreten, realistischen Überbauungsmöglichkeiten abzustellen und gegebenenfalls von der hälftigen Teilung abzuweichen (AGVE 1990, S. 178 ff.). Auch hier geht es aber um eine adäquate rechnerische Zuordnung von Parzellenteilen zu den in Frage stehenden Beitrags- plänen, mit der nicht gleichzeitig darüber entschieden wird, dass 2006 Abgaben 97 diese Teile auch über die betreffende Strasse erschlossen werden müssen. Dies gilt umso mehr, als häufig ganz unterschiedliche Er- schliessungskonzepte möglich sein werden. 3.3. Die Parzellengrösse von 2'550 m 2 bildet für sich alleine be- trachtet keinen Grund, um von der hälftigen Aufteilung abzuweichen. Dies zeigt sich etwa im Vergleich zum Sachverhalt in AGVE 1990, S. 176 ff., wo es um die Erschliessung eines Gebiets von mehreren als Einheit betrachteten Grundstücken von insgesamt rund 79'000 m 2 ging. Für die Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse spricht, dass das volumengeschützte Gebäude im unteren Teil der Parzelle die verbleibenden Überbauungsmöglichkeiten wesentlich prägt. Da mit dem Volumenschutz kein Abbruchverbot verbunden ist, verliert dieser Umstand indessen an Gewicht. Ähnlich verhält es sich mit der Steilheit der Parzelle, welche rein vom Gelände her gewisse Einschränkungen in der Überbaubarkeit mit sich bringt. Mit der vorgeschriebenen terrassierten Überbauung wird dieser Geländeform jedoch durch die in praktischer Hinsicht allein mögliche Bebauung Rechnung getragen. ... Hinzu kommt, dass das vom Gemeinderat zur Anwendung gebrachte Abgrenzungskriterium der "logischen Fortsetzung des Grenzverlaufs" der östlichen Nachbarparzellen 1948 und 2172 weder in Rechtsprechung und Literatur eine Stütze findet, noch - soweit ersichtlich - in der Praxis je zur Anwendung gebracht wurde. Dies gilt umso mehr, als die beiden erwähnten Parzellen nicht an zwei Strassen angrenzen, weshalb die vorgebrachten Gründe der Rechtsgleichheit nicht durchschlagen. Der Vorstellung, dass eine Parzellenaufteilung gerade in der Fortsetzung der nachbarlichen Grundstücksgrenzen angemessen sein soll, haftet etwas Künstliches an; es fehlt an einer genügenden Begründung, dieses vorwiegend raumplanerisch motivierte Kriterium auch zur Erfassung des wirtschaftlichen Sondervorteils zur Anwendung zu bringen... 3.4. Zusammenfassend bestehen keine genügend gewichtigen Gründe, um vom Grundsatz der hälftigen Aufteilung abzuweichen.
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2004 Disziplinarrecht 261 IX. Disziplinarrecht 63 Disziplinarstrafe gegen Anwalt. - Berufsregeln der Anwälte (Erw. 3/a). - Wann ist es zulässig, mehrere Parteien zu vertreten? Im Prozess gilt das Verbot der formellen Doppelvertretung (Vertretung von Parteien mit entgegengesetzten Interessen) uneingeschränkt (Erw. 3/b, 4). Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 25. August 2004 in Sachen X. gegen Anwaltskommission. Aus den Erwägungen 3. a) In Art. 12 BGFA werden Berufsregeln der Anwälte aufge- führt. Diese Regelung ist als abschliessend gedacht (vgl. Botschaft des Bundesrates zum BGFA vom 28. April 1999 [Botschaft], Ziff. 172.2; 233.2; Isaak Meier, Bundesanwaltsgesetz - Probleme in der Praxis, in: plädoyer 5/2000, S. 30 ff., Ziff. 5.1, 5.4.2; VGE II/64 vom 28. Oktober 2003 [BE.2003.00166] in Sachen Y., S. 7 f., auch zum Folgenden). Dafür ist die Umschreibung allerdings (zu) knapp ausgefallen, indem vor allem die Verpflichtungen gegenüber den Klienten und im Übrigen diejenigen Bereiche ausdrücklich geregelt wurden, die umstritten waren (Umschreibung der Unabhängigkeit; Werbung) oder sonst einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage be- durften (Umfang der Pflicht zur Übernahme amtlicher Verteidigun- gen und unentgeltlicher Rechtsvertretungen). Für anderes, das dem herkömmlichen Berufsbild entsprach, wurde die Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA, wonach Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben haben, als ausreichend erachtet; deren Aus- legung und Präzisierung im Lichte gemeinschweizerisch anerkannter Standesregeln, wie sie auch in die kantonalen Anwaltsgesetze einge- 2004 Verwaltungsgericht 262 flossen sind, entspricht dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Botschaft, Ziff. 233.1, 233.21; Meier, a.a.O., Ziff. 5.2, 5.4). b) aa) Nach Art. 12 lit. c BGFA haben Anwälte jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu meiden. Das BGFA will mit dieser weit gefassten Bestimmung sicherstellen, dass der Anwalt unabhängig von entgegenstehenden Drittinteressen die Interessen seines Klienten nach bestem Wissen und Können wahr- nehmen kann. Die Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten ist Ausfluss der Treuepflicht des Anwalts gegenüber dem Klienten, wie sie das AnwG in § 15 (vgl. dazu AGVE 1996, S. 75 f.) und die Standesregeln des Aargauischen Anwaltsverbandes (StaRe) in der Fassung vom 22. Mai 1997 in §§ 10 und 11 ausdrücklich vorsehen und wie sie dem BGFA in Art. 12 lit. a und c stillschweigend zu Grunde liegt. Diese Berufspflichten gehen weiter als die vertragliche Treuepflicht gemäss Art. 398 Abs. 2 OR und setzen keinen Mandats- vertrag zwischen Klient und Anwalt voraus, sondern gelten auch vor Vertragsschluss sowie nach Beendigung des Mandats (vgl. Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, Diss. Zürich 2001, S. 93 f.; Martin Sterchi, Kommentar zum bernischen Fürsprecher-Gesetz, Bern 1992, Art. 10 N 7). Dem Anwalt ist es demnach untersagt, in derselben Streitsache Parteien mit widerstreitenden Interessen ge- geneinander zu vertreten. Er kann seine Treuepflicht gegenüber kei- nem Mandanten voll erfüllen, wenn er für beide Parteien tätig wird. bb) Dies lässt sich nicht einfach auf die beratende Tätigkeit des Anwalts übertragen (Testa, a.a.O., S. 103 ff.; Felix Wolffers, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Berner Diss., Zürich 1986, S. 141 f.; Walter Fellmann/Oliver Sidler, Standesregeln des Luzerner Anwalts- verbandes, Bern 1996, Art. 23 N 5; Niklaus Studer, Die Doppelver- tretung nach Art. 12 lit. c BGFA, in: Anwaltsrevue 2004, S. 234 f.). Wird der Anwalt in nicht prozessualen Rechtsangelegenheiten von Parteien mit an sich gegensätzlichen Interessen angegangen (z.B. damit er für sie eine juristisch einwandfreie Fassung ihres mündlich geschlossenen Vertrages erarbeite), darf er das Mandat annehmen, sofern ihm diese Aufgabe von allen Beteiligten übertragen wurde 2004 Disziplinarrecht 263 und er nicht bereits vorher eine der Parteien in der betreffenden Sa- che vertreten oder beraten hat. Er hat dabei alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, er bevorzuge die eine Partei gegen- über der anderen. In diesem Sinne erklären auch die StaRe in § 11 Abs. 2 die Tätigkeit des Anwalts als Vermittler oder Vertreter zweier Parteien als zulässig, sofern beide zustimmen und jede Benachteili- gung einer Partei ausgeschlossen ist. Scheitert die Vermittlung, darf der Anwalt keine der beteiligten Parteien vertreten (vgl. Testa, a.a.O., S. 104; Wolffers, a.a.O., S. 141; Paul Wegmann, Die Berufspflichten des Rechtsanwalts unter besonderer Berücksichtigung des zürcheri- schen Rechts, Diss. Zürich 1969, S. 190). Analog verhält es sich bei der Mandatsübernahme von mehre- ren Klienten mit (anfänglich) übereinstimmenden Interessen. Aktuell werden solche Fälle in der Praxis etwa bei der Interessenwahrung eines Baukonsortiums oder einer Erbengemeinschaft, zu denken ist aber auch an die Verteidigung mehrerer Angeklagter in einem Straf- verfahren. Die Doppelvertretung ist in diesen Fällen grundsätzlich nicht zu beanstanden und kann vom Aufwand her sinnvoll sein. Der Anwalt ist aber gehalten, alle Mandate niederzulegen, sobald wäh- rend der Mandatsführung ernsthafte Meinungsverschiedenheiten entstehen, die gar zum Prozess führen könnten (Testa, a.a.O., S. 109 ff. mit Beispielen aus der Praxis; Fellmann/Sidler, a.a.O., Art. 23 N 5/c; Sterchi, a.a.O., Art. 13 N 6; Wegmann, a.a.O., S. 191). Der Anwalt muss sich dabei möglicher Interessenkonflikte bewusst sein und diese allen Mandanten transparent machen; bereits bei der Annahme mehrerer Mandate sollte er eine Vereinbarung treffen für den Fall, dass ein Interessenkonflikt entstehen sollte (Rainer Schumacher, in: Baurecht 2002, S. 184). cc) Die dargestellten Regelungen sollen Interessenkonflikte vermeiden, wobei schon die offenkundige Gefahr eines solchen ge- nügt, damit der Anwalt zu Zurückhaltung verpflichtet ist (Sterchi, a.a.O., Art. 13 N 3). Für die Prozessführung geht das Verbot der (formellen) Doppelvertretung weiter; es gilt uneingeschränkt und ungeachtet dessen, ob tatsächlich eine Interessenkollision besteht (Wolffers, a.a.O., S. 141; Fellmann/Sidler, a.a.O., Art. 23 N 5/d; Sterchi, a.a.O., Art. 13 N 5/a; Testa, a.a.O., S. 106 ff.; Studer, a.a.O., 2004 Verwaltungsgericht 264 S. 234, je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung); die entgegenge- setzte Meinung des Beschwerdeführers, für deren Begründung er lediglich auf seine eigene Überzeugung verweist, ist mit der Recht- sprechung und Lehre nicht vereinbar. 4. a) Die Vorinstanz hat die disziplinarische Bestrafung des Be- schwerdeführers entscheidend darauf abgestützt, dass dieser Mandate für J.M. und deren Mutter S.M. übernahm bzw. nicht abgab, als be- reits klar war, dass es zu Prozessen (wovon einer mit S.M. auf Klä- ger- und J.M. als Mitglied der Erbengemeinschaft auf der Beklagten- seite) kommen würde und sich die Mandate (auch) auf die Prozess- führung bezogen (siehe vorne Erw. 3/b/cc). Diese Situation war dem Beschwerdeführer denn auch vollständig bewusst, selbst wenn er im Vermittlungsgesuch, das er für S.M. stellte, J.M. "nur vorsorglich ... als Beklagte aufgeführt" haben will, "dort selbstverständlich ohne die Ergänzung, dass sie durch mich (auch in diesem Verfahren) vertreten ist". Den sich auch auf die Ansprüche von J.M. auswirkenden Interessengegensatz zwischen S.M. und der Erbengemeinschaft hatte der Beschwerdeführer natürlich schon früher erkannt; dies lässt sich beispielsweise an seiner Eingabe vom 5. Juni 2003 an den Gemeinderat W. betreffend Errichtung einer Beistandschaft für J.M. belegen, wo er auf S. 3 ausführte: (Der Anspruch von J.M. betrage 18,75 % am Gesamtnachlass) "Bekommt ihre Mutter S.M. vom Nachlass wie testamentarisch verfügt Fr. ... für ihren Unterhalt, so wirkt sich das bei J.M. mit einem Betrag von Fr. ... aus." (Andern- falls müsse J.M. aber allenfalls für ihren eigenen Unterhalt und den der Mutter aufkommen, was sie viel teurer zu stehen käme.) b) Der Beschwerdeführer erhebt gegen diese Betrachtungsweise verschiedene Einwendungen, auf die nachfolgend einzugehen ist. aa) Zwischen S.M. und J.M. hätten objektiv und subjektiv kei- nerlei ernsthafte Meinungsverschiedenheiten oder widerstreitende Interessen bestanden. Dies ist nicht unglaubwürdig. Es ist ohne weiteres nachvoll- ziehbar, dass es für J.M. aus persönlichen Gründen vordringlich war, einen guten Teil des Lebensunterhalts ihrer Mutter durch das streitige Vermächtnis gesichert zu wissen, selbst dann, wenn ihre eigenen Ansprüche dadurch beeinflusst wurden (was ohnehin kaum zutrifft, 2004 Disziplinarrecht 265 da sie auf den Pflichtteil gesetzt war). Es mag auch sein, dass sie einverstanden war, auf die umstrittene Darlehensrückforderung ge- gen ihre Mutter zu verzichten und bestimmte Kosten zu Lasten des Nachlasses zu übernehmen (wobei diese Streitpunkte die Höhe ihres Erbanspruchs allerdings beeinflussten). Indessen ist dies alles be- deutungslos, da das Verbot der Doppelvertretung im Prozess unein- geschränkt gilt, ohne Prüfung, ob effektiv Interessengegensätze be- standen. bb) Bei der Vertretung einer minderjährigen Person sei es un- möglich, deren Interessen ohne Kontakt mit ihrer gesetzlichen Vertreterin angemessen zu vertreten. Auch wenn derartige Kontakte unvermeidlich gewesen sein mögen, ist dieser Umstand nicht geeignet, die Doppelvertretung im Prozess zu rechtfertigen, da deren Unzulässigkeit nicht davon ab- hängt, dass konkret zu befürchten ist, der Beschwerdeführer würde Kenntnisse, die er als Vertreter der einen Partei erlangt hat, in seiner Funktion als Vertreter der Gegenpartei nutzen. cc) Da eine einjährige Frist ab Testamentseröffnung, endend am 20. August 2003, habe eingehalten werden müssen und der Miterbe Z. erst am 7. Juli 2003 habe erkennen lassen, dass er das Legat für S.M. nicht mehr als ausgewiesen anerkenne, wäre es für diese gar nicht mehr möglich gewesen, rechtzeitig einen andern Anwalt zu finden und ausreichend zu instruieren, weshalb er in Beachtung der Berufspflichten auch deren Vertretung habe übernehmen und das Vermittlungsgesuch habe formulieren müssen. Der von der Anwalts- kommission angedeutete Ausweg, die Vermittlungsgesuche - oder jedenfalls eines davon - aufzusetzen, wonach sie von den Direktbe- troffenen selbst unterschrieben und eingereicht worden wären, ent- spreche nicht seiner Berufsauffassung. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer schon früher die Interessen von S.M. vertrat. Insbesondere aber vermag der Beschwerdeführer den für die Vorinstanz entscheidenden Aspekt damit nicht zu widerlegen, ein Vermittlungsgesuch müsse nicht als ausführliche Rechtsschrift verfasst sein; deshalb habe kein Grund bestanden, dass zur Fristwahrung unbedingt der Beschwerde- führer als Anwalt die Gesuche habe verfassen und einreichen müs- 2004 Verwaltungsgericht 266 sen; vielmehr hätte es ausgereicht, dass die Klägerinnen selber, der Beistand von J.M. oder allenfalls ein anderer Anwalt den Sachverhalt und die Forderung im Gesuch in kurzen Zügen geschildert hätten. Objektiv bestand kein Sachzwang, dass der Beschwerdeführer S.M. bei der Prozesseinleitung, trotz der sich daraus offensichtlich erge- benden prozessualen Doppelvertretung, weiterhin (bzw. nach seiner Darstellung neu) vertrat. Die Richtigkeit der Auffassung der Vorin- stanz lässt sich schon aus dem Umfang der tatsächlich eingereichten Vermittlungsgesuche, mit sehr kurzen Begründungen, die keine um- fangreiche Instruktion benötigten, ersehen. Angesichts der im ange- fochtenen Entscheid gegebenen Begründung ist es auch eine mehr als eigenwillige Interpretation, wenn der Beschwerdeführer daraus schliesst, die Anwaltskommission habe als Alternative gleichsam vorgeschlagen, dass der Beschwerdeführer die Vermittlungsgesuche für seine beiden Klientinnen hätte aufsetzen, dies aber nicht kennt- lich machen sollen. c) Damit ergibt sich zusammenfassend, dass dem Beschwerde- führer zu Recht der Vorwurf der unzulässigen prozessualen Doppel- vertretung gemacht wurde. Redaktionelle Anmerkung Das Bundesgericht, II. Öffentlichrechtliche Abteilung, hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 28. Oktober 2004 abgewiesen (2A.594/2004).
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2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 169 [...] 28 Vorentscheid im Baubewilligungsverfahren. - Zulässiger Gegenstand. - Anforderungen an die Publikation eines Vorentscheidgesuchs. Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 19. Juni 2008 in Sachen W. und Mitbet. gegen Einwohnergemeinde Baden (WBE.2006.312). Aus den Erwägungen 3. 3.1. Die Beschwerdeführer machen geltend, um einem Vorent- scheid könne nur bezüglich wichtiger Bau- und Nutzungsfragen nachgesucht werden, hier liege aber ein vollständiges Baugesuch vor; im Übrigen sei nicht klar, welche baurechtlichen Fragen ver- bindlich beantwortet werden sollen und welche nicht. (...) 3.2. Ziel eines Vorentscheids ist es, bei unsicherer Rechtslage und in komplizierten, umfangreichen Verfahren Fragen zu entscheiden, de- ren Beantwortung den betroffenen Privaten erhebliche Kosten und den Behörden ein umfangreiches Rechtsmittelverfahren ersparen kann (AGVE 1972, S. 587). Voraussetzung für den Vorentscheid ist ein relativ verselbständigbarer Entscheidungsinhalt, ein Gesuchsin- halt somit, der losgelöst vom eigentlichen Hauptverfahren beurteilt werden kann. Der Vorentscheid bewilligt aber nicht Teile des insge- 2008 Verwaltungsgericht 170 samt Beantragten, die unabhängig vom Ausgang des Hauptverfah- rens weiter bestehen können, sondern sagt, wie eine Rechtslage, die für den Fortgang des Verfahrens entscheidend ist, beurteilt wird. Die Beurteilung schliesst das Verfahren in diesem Punkt zwischen den Personen ab, die sich am Verfahren beteiligt haben oder hätten betei- ligen können. Der Gesuchsteller hat regelmässig ein aktuelles Inte- resse am Vorentscheid nachzuweisen. Dieses ist bei Projekten, wo eine Stufung des Verfahrens sinnvoll ist, in der Regel gegeben (zum Ganzen Merker, a.a.O., § 38 N 35 ff., mit Hinweisen). Das Verwaltungsgericht bejaht das Vorentscheidinteresse, wenn die Überbaubarkeit eines Grundstücks (AGVE 1972, S. 586 f.), die Zonenkonformität eines Bauvorhabens, die Erschliessung und Bau- reife eines Grundstücks oder die Zulässigkeit wesentlicher Terrain- veränderungen zur Diskussion stehen (Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [VRPG] vom 9. Juli 1968, Diss., Zürich 1998, § 38 N 37; Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau vom 2. Februar 1971, 2. Aufl., § 52 N 9). Aus der Kasuistik sowie § 62 BauG folgt, dass nur grundsätzliche Fragen vorentscheid- fähig sind. Weder die Baubewilligungsbehörden noch die von einem Bauvorhaben betroffenen Nachbarn sollen mit unnötigen Vorent- scheidgesuchen belastet werden. Wo es nicht um wichtige Fragen geht, kann vom Bauherrn erwartet werden, dass er direkt das Bauge- such einreicht. Ist eine Frage vorentscheidfähig und weist der Ge- suchsteller ein rechtlich relevantes (schutzwürdiges und aktuelles) Interesse an ihrer vorweggenommenen Beurteilung nach, besteht ein Rechtsanspruch auf einen Vorentscheid (vgl. Merker, a.a.O. § 38 N 35 ff., mit Hinweisen). 3.3. Im konkreten Fall befasst sich der Vorentscheid vom 30. Januar 2006 zunächst mit dem Abbruch der Mühlescheune (Ferrogebäude). Im Zusammenhang mit dem geplanten Neubau am Ölrainhang behandelt er ausserdem die folgenden Fragen: Volumetrie und Einordnung des Neubaus in das Ortsbild (inklusive Fassadengestal- tung), Wohnflächenanteil, Parkplatzbedarf und Fussgängerverbin- dung von der Kronengasse auf den Theaterplatz. Diese Fragen sind 2008 Bau-, Raumplanungs- und Umweltschutzrecht 171 verselbständigbar und wichtig, weshalb sie grundsätzlich als vorent- scheidfähig eingestuft werden können. Der Vorentscheid erweist sich jedoch aus anderen Gründen als formell mangelhaft. Der Vorentscheid schliesst das Verfahren zwischen den Perso- nen, die sich am Verfahren beteiligt haben oder hätten beteiligen können, in den vorentschiedenen Punkten ab. Für diese Personen ent- faltet der Vorentscheid - unter Vorbehalt einer geänderten Sach- und Rechtslage - Verbindlichkeit mit der Folge, dass sie die vorentschie- denen Fragen in der Einsprache gegen das Baugesuch und in einer Beschwerde gegen die Baubewilligung nicht mehr aufgreifen kön- nen. Angesichts dieser rechtlichen Wirkung des Vorentscheids muss zum Schutz von Dritten, die von einem Bauvorhaben betroffen sind, verlangt werden, dass im Vorentscheidgesuch, in der Publikation und im Vorentscheid selber klar bezeichnet wird, welche baurechtlichen Fragen für den Bauherrn und die betroffenen Nachbarn verbindlich beantwortet werden sollen. Vorliegend wird zwar im Vorentscheidge- such das Bauvorhaben umschrieben, es wird darin aber nicht festge- halten, welche baurechtlichen Fragen im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben vorentschieden werden sollen. Wegen dieses formellen Mangels hätte der Stadtrat auf das Gesuch nicht eintreten bzw. dieses zur formellen Überarbeitung an die Bauherrschaft zurückweisen müssen. Der Publikationstext spricht zwar von einem Vorentscheid und umschreibt das Bauvorhaben, auch er hält jedoch nicht fest, wel- che baurechtlichen Fragen vorentschieden werden sollen. Für Dritte war daher nicht erkennbar, ob und in welchem Umfang sie sich be- reits im Vorentscheidverfahren gegen das Bauvorhaben wehren müs- sen, um im späteren Verlauf des Verfahrens keine Rechtsnachteile zu erleiden. Entgegen der Auffassung der Gemeindevertreter genügt es zum Schutz von Dritten nicht, wenn aus dem Vorentscheid selber hervorgeht, welche Fragen vorentschieden werden sollen. Stünde der Gegenstand des Vorentscheidgesuchs nicht schon bei der Publikation fest, besässen Dritte überhaupt keine Entscheidungsgrundlage, ob sie sich am Vorentscheidverfahren beteiligen sollen oder nicht. Im Übri- gen geht im konkreten Fall weder aus den Erwägungen noch aus dem Dispositiv des Vorentscheids klar hervor, welche Punkte vorentschie- den wurden. Offenbar sind sich hierüber auch die Vertreter der Stadt 2008 Verwaltungsgericht 172 nicht restlos im Klaren. Insbesondere trifft es entgegen ihrer Auffas- sung nicht zu, dass auch die Frage des Waldabstands vorentschieden wurde. Dieser Punkt wird im Vorentscheid vom 30. Januar 2006 nicht thematisiert. Der Vorentscheid trennt auch nicht zwischen Fra- gen, die verbindlich vorentschieden werden, und solchen, die aus Gründen der Prozessökonomie und der Kundenfreundlichkeit ledig- lich in unverbindlicher Weise angesprochen werden. Die Pläne, de- nen im Beschluss des Stadtrats vom 30. Januar 2006 «im Sinn eines Vorentscheids» zugestimmt wird, äussern sich zudem bereits im De- tail zum Bauvorhaben, so dass unklar bleibt, welche Bedeutung die- ser Plangenehmigung im Vorentscheidverfahren zukommt. Die For- mulierung «im Sinn eines Vorentscheids» lässt offen, was genau von der Rechtskraft dieses Vorentscheids erfasst wird. Aus den genannten formellen Gründen sind sowohl der vorinstanzliche Entscheid als auch der Beschluss des Stadtrats Baden vom 30. Januar 2006 aufzu- heben. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der verfassungsrecht- lich verankerte Rechtsschutzanspruch von Nachbarn (Art. 29a der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV; SR 101]) verletzt wird. Der angefochtene Ent- scheid sowie der Vorentscheid des Stadtrats vom 30. Januar 2006 sind deshalb aufzuheben. Von einer Rückweisung der Beschwerdesa- che aus den genannten formellen Gründen kann jedoch abgesehen werden, weil beide Entscheide auch aus materiellrechtlichen Grün- den aufzuheben sind. (...)
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2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 157 26 Plakatierung Ersatz bestehender Plakatstellen: Ermessensspielraum der Gemeinde bei der Auslegung eines kommunalen Bewilligungsverbots Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 10. März 2014 in Sachen A. AG gegen Departement Bau, Verkehr und Umwelt sowie Gemeinderat B. (WBE.2013.66) und in Sachen Gemeinderat B. gegen A. AG und Departement Bau, Verkehr und Umwelt sowie Gemeinderat B. (WBE.2013.76). Aus den Erwägungen 1.2. § 46 BNO lautet: "(Abs. 1 u. 2). 3 Es werden grundsätzlich keine neuen Plakatstellen auf öffentlichen und privaten Grundstücken mehr bewilligt, ausgenommen sind Reklamen mit Ortsbezug. Der Ersatz bestehender Plakatwände ist gestattet. (Abs. 4)" 1.3. (...) 2. (...) 3. 3.1. (...) 3.2. 3.2.1. Entgegen der Vorinstanz wird die Auslegung des Gemeinderats von § 46 Abs. 3 Satz 2 BNO, den "Ersatz bestehender Plakatwände" nur am exakt vorbestehenden Ort zu bewilligen, durchaus vom Wort- laut des Gesetzes abgedeckt. Der Normtext selbst äussert sich nicht ausdrücklich zur örtlichen Dimension des Ersatzes, weshalb er Raum sowohl für restriktive als auch für weitere (wohl selbst von einem örtlichen Bezug losgelöste) Interpretationen bereithält. Auch kann der einschränkenden gemeinderätlichen Auslegung des "Ersatzes" im Normengefüge durchaus Sinn abgewonnen werden. So lässt sich das in § 46 Abs. 3 BNO verankerte System (Verbot neuer Plakatwände ohne Ortsbezug; Gestattung von Ersatzplakatstellen; konzeptbasierte 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 158 Bewilligung zusätzlicher Plakatflächen als Ausnahme) durchaus als beabsichtigte Beschränkung der Fremdwerbungsträger auf die im Er- lasszeitpunkt konkret bestehenden - und in ihrem Bestand aber ge- schützten - Standorte im Interesse des Ortsbildschutzes (vgl. Margi- nalie zu § 46) verstehen. Auch die Begrifflichkeiten in den Sätzen 1 und 3 des Absatzes ("keine neuen" bzw. "ausnahmsweise zusätzli- che" Plakatflächen) stehen der einschränkenden Rechtsauffassung des Gemeinderats zumindest nicht entgegen. Dass die Materialien zur Gesetzgebung die restriktive Auffassung des Gemeinderats nicht zu stützen vermögen, spricht entgegen der Vorinstanz ebenfalls nicht gegen diese, da sie auch für eine liberalere Auslegung keine Belege bieten. 3.2.2. Die Gemeindeautonomie, auf welche sich der Beschwerdefüh- rer II beruft, besteht allerdings nur in den Schranken des Bun- desverfassungsrechts. Nicht in ihren Schutzbereich fällt demzufolge eine individuell-konkrete Verfügung gestützt auf ein Auslegungser- gebnis des kommunalen Rechts, welches die von der Beschwer- deführerin angerufenen Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) verletzt. Die Regelung des "Ersatzes" gemäss § 46 Abs. 3 Satz 2 BNO, welche an- wendbar bleibt, kann mit anderen Worten nur durch mit der Wirt- schaftsfreiheit vereinbare Baubewilligungsentscheide in verfassungs- konformer Auslegung konkretisiert werden. 3.2.3. (...) Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung geht ein undifferen- ziertes Verbot von Fremdreklamen zumindest auf privatem Grund über die im öffentlichen Interesse des Ortsbildschutzes erforderliche Beschränkung weit hinaus und ist unverhältnismässig (Urteil des Bundesgerichts vom 12. Mai 1998 [1P.122/1998], in: ZBl 2000, S. 135 ff., Erw. 4b; vgl. BGE 128 I 3, Erw. 4b mit Hinweisen; vgl. auch AGVE 2007, S. 152, wonach ein generelles, systematisches und undifferenziertes Verbot auf 95 % der Bauzonenfläche ein unverhält- nismässiger Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellt). Zulässig ist dagegen etwa, wenn eine Gemeinde, um die Zahl der Reklamen aus ästhetischen Gründen in Grenzen zu halten, Fremdreklamen in schüt- 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 159 zenswerten Gebieten und Ortsteilen generell verbietet (BGE 128 I 3, Erw. 4b; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts vom 21. März 2007 [2P.247/2006], Erw. 3). 3.2.4 Zwar enthält § 46 Abs. 3 BNO insofern kein absolutes und flä- chendeckendes Verbot von Fremdwerbungsplakatflächen, als zumin- dest der Ersatz bestehender Plakatflächen gewährleistet bleibt. Die Beschwerdeführerin I musste aber unbestrittenermassen neben zwei freistehenden Plakatträgern ihre Plakatträger in den fünf früheren (neu erstellten und nun gläsernen) Buswartehäuschen demontieren und aufgeben. Folglich kommt die restriktive Auslegung des Gemeinderats, wonach § 46 Abs. 3 BNO nur Ersatz-Plakatstellen am exakt gleichen Standort zulasse, für sie Ietztlich einem Verbot von ersatzweisen Fremdwerbungsträgern auf dem gesamten übrigen Ge- meindegebiet gleich, welche wirtschaftlich die Funktion der entfern- ten Flächen übernehmen könnten. Mit Recht weist die Beschwer- deführerin I darauf hin, dass bei Wegfall bestehender Standorte (insbesondere zufolge Bautätigkeit bzw. Vertragskündigungen durch den Eigentümer) wie hier ein im Sinne des Gemeinderats verstande- ner Ersatz ohne weitere Differenzierung ausgeschlossen erscheint. Zu Recht hält sie deshalb auch dafür, dass eine Handhabung von § 46 Abs. 3 Satz 2 BNO im Sinne des Gemeinderats zumindest langfristig geeignet erscheint, faktisch auf die Untersagung jeglicher Fremdwer- bung auf dem Gemeindegebiet hinauszulaufen. Die Erwägungen des Gemeinderats (Erfordernis exakt gleichen Standorts) erweisen sich damit als zu absolut und die abweisenden Baubewilligungsent- scheide ohne Prüfung der konkreten Fälle somit als unverhältnismäs- sige Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit. Seine Auslegung von § 46 Abs. 3 Satz 2 BNO hält zumindest dann den verfassungsmässi- gen Anforderungen nicht stand, wenn das öffentliche Interesse am Schutz des bestehenden Orts- und Strassenbilds am Ersatzstandort im Vergleich zur vorbestehenden Stelle ebenfalls gewahrt und die Be- schränkung auf exakt denselben Standort dazu gar nicht erforderlich ist; oder wenn der Schutz des Orts- und Strassenbilds in keinem ver- nünftigen Verhältnis zur dazu notwendigen Freiheitsbeschränkung steht (Art. 36 BV). 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 160 (...) 3.3 3.3.1. Demgemäss hat die Vorinstanz im Ergebnis die Entscheide des Beschwerdeführers II betreffend Bauparzelle Nr. 217, Bauparzelle Nr. 993, Bauparzelle Nr. 618 zu Recht aufgehoben und die Verfahren an den Gemeinderat zu neuem Entscheid zurückgewiesen. Der Ge- meinderat ist beim erneuten Entscheid und bei der Auslegung von § 46 Abs. 3 BNO an die Bundesverfassung und die Erwägungen des vorliegenden Urteils gebunden. Dabei erscheint ein Abweisungsent- scheid dann als unverhältnismässige Einschränkung der Wirtschafts- freiheit (Art. 27 BV), wenn sich der abgewiesene Ersatzstandort nur als geringfügige örtliche Verschiebung erweist und sich die ortsbild- bezogene Wirkung des Plakatträgers ob seiner Art, Grösse und Stel- lung von jener des vorbestehenden nicht erheblich unterscheidet. Dies ist in Bezug auf die genannten drei Gesuche gemäss den überzeugenden Überlegungen der Vorinstanz offensichtlich der Fall. 3.3.2. Der angefochtene Entscheid ist auch insofern nicht zu beanstan- den, als er den gemeinderätlichen Abweisungsentscheid zum Bauge- such auf Parzelle Nr. 165 schützt, weil der quer zur Kantonsstrasse geplante Plakatträger über 300 m von der Landstrasse mit den aufge- hobenen Standorten entfernt in einem eigenständig wahrgenomme- nen Strassenraum liege. Es ist im konkreten Fall keinerlei verfas- sungswidrige Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit darin zu erken- nen, dass für den Ersatzstandort ein verhältnismässiger örtlicher Be- zug zum bisher bestehenden Plakatträger verlangt und der Ersatz nicht beliebig auf dem gesamten Gemeindegebiet zugelassen wird. In Bezug auf das Baugesuch auf Parzelle Nr. 1024 stellt die Vorinstanz massgeblich auf die Stellung des Plakatträgers zur Strassenrichtung ab und verneint das Vorliegen eines Ersatzes (der gleich grossen Plakatwand im nahe gelegenen früheren Buswarte- häuschen), weil die Montage eines drei Meter näher an der Fahrbahn befindlichen (freistehenden) Plakatträgers neu quer zur Strasse ge- plant sei. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass die konkrete Stel- lung zur Fahrbahn im Interesse des Ortsbildschutzes einen Eingriff in 2014 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 161 die Wirtschaftsfreiheit rechtfertigen und ausschlaggebend für den Abweisungsentscheid sein kann. Eine Beeinträchtigung des Strassen- bilds in einem solchen Ausmass ist aber gestützt auf die Akten nicht ausreichend erkennbar. Indes obliegt es in erster Linie den örtlichen und mit den lokalen Verhältnissen vertrauten Behörden, über den ortsbildschützerischen Aspekt zu wachen. Somit ist dem Begehren der Beschwerdeführerin I insofern zu entsprechen, als der Gemeinde- rat in nochmaliger Prüfung des Baugesuchs die ortsbildbezogene Wirkung des geplanten Plakatträgers zu beurteilen und zu erwägen hat, ob zur Wahrung des Ortsbildschutzes eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit der Beschwerdeführerin I verhältnismässig er- scheint. Nur dann erscheint eine Auslegung des Ersatzbegriffs im Sinne der Vorinstanz verfassungsmässig.
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2003 Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht 219 [...] 54 Nutzungsplanung und Richtplanänderung. - Voraussetzungen für das Zusammenlegen von Mitwirkungs- und Ein- spracheverfahren im Nutzungsplanungsverfahren (Erw. 1/c). - Die Voraussetzungen der Fortschreibung des Richtplans bei Neuein- zonungen gemäss Richtplanbeschluss S 2.1/4.1a (Erw. 1/d). 2003 Verwaltungsgericht 220 Entscheid des Verwaltungsgerichts, 4. Kammer, vom 12. August 2003 in Sachen S. gegen den Regierungsrat. Aus den Erwägungen 1. c) aa) Sind die Änderungen der Nutzungspläne und -vor- schriften von untergeordneter Bedeutung, so können das Mitwir- kungs- und das Einspracheverfahren zusammengelegt werden (§ 24 Abs. 3 BauG). Im Regelfall sind das Mitwirkungs- und das Einspra- cheverfahren jedoch zu trennen (Jean-Jacques Forestier, Der Erlass von kommunalen Nutzungsplänen und -vorschriften nach neuem Baugesetz - Verfahren und Rechtsschutz auf Gemeindestufe, in: Mitteilungen des Baudepartements zur Rechtsprechung 67/1993, S. 6 f.). Ob ein Zusammenlegen der beiden Verfahrensschritte sinnvoll ist, hat der Gemeinderat zu entscheiden. Er bedarf dazu weder der Zustimmung noch der Bewilligung einer kantonalen Behörde (Forestier, a.a.O., S. 6). Von Bundesrechts wegen ist vorgeschrieben, dass die mit Planungsaufgaben betrauten Behörden die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach dem Raumplanungsgesetz unterrichten und dafür sorgen, dass die Bevölkerung bei Planungen in geeigneter Weise mitwirken kann (Art. 4 Abs. 1 und 2 RPG). Art. 4 RPG dient somit der Sachaufklärung und der Mitwirkung der Bevölkerung an der Planung als politischem Prozess (Rudolf Muggli, in: Heinz Aemisegger/Alfred Kuttler/Pierre Moor/Alexander Ruch [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999, Art. 4 N 5). Die Mitwirkung stellt eine institutionelle Einflussmöglichkeit auf die Planung dar, welche keine rechtliche Bindung, sondern eine blosse politische Einflussnahme bewirkt. Die Durchführung des Mitwirkungsverfahrens muss demnach in einem Zeitpunkt geschehen, wo die abschliessende Interessenabwägung und damit der Planungsentscheid noch offen sind (Muggli, a.a.O., Art. 4 N 9). In Beachtung dieser Vorgaben des Bundesrechts verlangt § 3 BauG einen rechtzeitigen Einbezug der Bevölkerung in einen 2003 Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht 221 Planungsprozess und eine Veröffentlichung der Planentwürfe mit den nötigen Erläuterungen (§ 22 Abs. 1 BauG). Die Bedeutung des de- mokratischen Elements wird dadurch verstärkt, dass der Gemeinderat zu den Eingaben im Mitwirkungsverfahren Stellung zu nehmen und das Ergebnis der Mitwirkung in einem öffentlichen Bericht zusam- menzufassen hat (§ 22 Abs. 2 Satz 2 BauG). bb) Im Gegensatz dazu zielt der Rechtsschutz im Planungsver- fahren nicht auf die Beeinflussung der politischen Entscheide ab, sondern dient der Durchsetzung des Rechts. Zum Rechtsschutz ge- hört auch der Anspruch auf rechtliches Gehör vor dem Erlass einer Verfügung, weshalb Art. 33 Abs. 2 RPG zur öffentlichen Auflage von Nutzungsplänen verpflichtet. Diese öffentliche Auflage nähert sich einem Mitwirkungsinstrument, wenn sie vor der Beschlussfassung über den Plan stattfindet, was das Bundesrecht jedoch nicht verlangt (Muggli, a.a.O., Art. 4 N 7). Das Einspracheverfahren, an welchem im Gegensatz zum Mitwirkungsverfahren nicht jedermann, sondern nur die in schutzwürdigen eigenen Interessen Betroffenen teilnehmen können, gehört zum Rechtsschutz- und nicht zum Mit- wirkungsverfahren (§ 22 Abs. 2 und § 24 Abs. 2 BauG). cc) Die Zusammenlegung des Mitwirkungs- und des Einspra- cheverfahrens setzt eine Nutzungsplanung oder Nutzungsvorschrif- ten von untergeordneter Bedeutung oder eine Sondernutzungspla- nung voraus (§ 24 Abs. 3 BauG). Das Verwaltungsgericht hat sich zur Frage, was "von untergeordneter Bedeutung" ist, noch nicht ge- äussert. Zur Beantwortung dieser Frage, ist der Gehalt von § 24 Abs. 3 BauG zu ermitteln. aaa) Um den Sinn eines Rechtssatzes zu ergründen, muss grundsätzlich jede Vorschrift ausgelegt werden (René A. Rhinow/ Beat Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Er- gänzungsband, Basel und Frankfurt a.M. 1990, Nr. 21 B I, S. 66). Die Auslegung stützt sich auf verschiedene Auslegungselemente: Lehre und Rechtsprechung unterscheiden das grammatische, histori- sche, systematische, teleologische und realistische Element (Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Auflage, Zürich 2001, Rz. 90 ff.; Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Zürich 2002, Rz. 216 ff.). 2003 Verwaltungsgericht 222 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut der Bestimmung (BGE 126 V 472; 114 Ia 196). Vom Wortlaut darf und muss abgewi- chen werden, wenn der Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung nicht den wahren Sinn wiedergibt (BGE 124 II 199; 103 Ia 117) bzw. wenn die dem Wortlaut entsprechende Auslegung zu Ergebnissen führt, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann und die gegen das Gerechtigkeitsgefühl und den Grundsatz der rechtsgleichen Be- handlung verstossen (BGE 127 III 323; 113 V 77; 108 Ia 80). Ziel der Auslegung ist es, den Sinne eines Rechtssatzes zu ergründen. bbb) Dem Wortlaut nach erachtet das Gesetz vorab die Sonder- nutzungsplanungen als für eine Zusammenlegung von Mitwirkungs- und Einspracheverfahren grundsätzlich geeignet. Die Sondernut- zungspläne folgen den allgemeinen Nutzungsplänen, umfassen die Erschliessung oder Überbauung bestimmter Gebiete und stellen weitere planerische Instrumente zur Gestaltung des Siedlungsgebiets zur Verfügung (vgl. § 16 ff. BauG und § 1 f. ABauV). Sie werden vom Gemeinderat erlassen und vom Regierungsrat genehmigt (§ 25 Abs. 2 und § 27 Abs. 1 BauG). Sondernutzungsplanungen, insbeson- dere Erschliessungsplanungen, Bau-, Niveau- und Strassenlinien- pläne (§ 17 ff. BauG), können ein grosses Gebiet erfassen. Die gene- relle Zuordnungsmöglichkeit der Sondernutzungsplanungen unter das zusammengelegte Verfahren zeigt, dass die untergeordnete Be- deutung weniger einen Bezug zur Grösse des Planungsperimeters als zur Bedeutung einer Planung für die Allgemeinheit hat. Mit Blick auf das demokratische und politische Element der Mitwirkung (siehe vorne, Erw. aa) erscheint es auch naheliegend, die politische Trag- weite einer Planung zum Massstab für die Bedeutung zu nehmen. Gerade die Rücksichtnahme auf die angestrebte Akzeptanz der Stimmbürger kann einer Zusammenlegung der beiden Verfahren entgegen stehen, da mit einer gesonderten Publikation im Mitwir- kungsverfahren eine breite politische Diskussion über das Planvor- haben noch im Entwurfstadium ermöglicht wird. Weil im Unter- schied zur Einsprache für die Beteiligung im Mitwirkungsverfahren keine Legitimationsanforderungen gelten und jedermann sich daran beteiligen kann, ist beim Entscheid über die Zusammenlegung der beiden Verfahren auch der Kreis der möglicherweise Betroffenen 2003 Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht 223 oder am Planvorhaben Interessierten wesentlich. Die "untergeordnete Bedeutung" einer Änderung der Nutzungspläne und -Vorschriften im Sinne von § 24 Abs. 3 BauG hängt daher nicht von der Grösse des von einer Planung betroffenen Gebiets ab, sondern von der Einfach- heit und der Überschaubarkeit der geplanten Änderungen für die Stimmbürger sowie dem Ausmass der Planungsfolgen für alle Ein- wohner. Der Einbezug der Bevölkerung in einem frühen Stadium und damit in einem gesonderten Mitwirkungsverfahren ist dort geboten, wo ein Planvorhaben weite Bevölkerungskreise tangiert. Steht eine Planung von politischer Bedeutung an, weil eine Änderung erhebli- che Auswirkungen auf den Lebensraum der gesamten Bevölkerung mit sich bringen wird oder sind anderweitige, nicht leicht abzuse- hende Auswirkungen auf viele Bewohner die Folge einer Planung, so drängt sich ein vorgängiges gesondertes Mitwirkungsverfahren auf. Zielt eine Nutzungsplanung demgegenüber nicht auf eine umfas- sende Neubeurteilung von grundlegenden Planungsentscheiden, sondern auf punktuelle Anpassungen, welche in ihrer Bedeutung von den Einwohnern leicht erfasst und beurteilt werden können, und hat eine Planung nur für einen eingeschränkten Bevölkerungskreis Fol- gen, können das Mitwirkungs- und das Einspracheverfahren eher zusammengelegt werden (Forestier, a.a.O., S. 7). Die Auslegung der Bedeutung einer Planung hat sich daher in erster Linie am Ziel und Zweck der Mitwirkung zu orientieren. Daneben können verfahren- sökonomische Überlegungen den Gemeinderat leiten, wenn ein Planvorhaben für einen eingeschränkten Einwohnerkreis von Interes- se ist und von vornherein mit wenigen Einsprachen zu rechnen ist. ccc) Gegen diese Auslegung sprechen keine Gründe des Ein- spracheverfahrens. Das Einspracheverfahren untersteht einer un- terschiedlichen Verfahrensordnung und die Zusammenlegung betrifft nur den Zeitpunkt der öffentlichen Auflage mit gleichlaufenden Ein- wendungs- und Einsprachefristen. Die Behandlung und Beurteilung der Einsprachen folgt im Übrigen einer gesonderten Verfahrensord- nung (§ 24 Abs. 2 und § 26 Abs. 1 BauG). Die untergeordnete Bedeutung i.S.v. § 24 Abs. 3 BauG ist auch nicht gleichzusetzen mit dem Begriff "von geringer Tragweite" i.S.v. § 27 Abs. 2 Satz 2 BauG. Letztere begrenzt die Direktänderungs- 2003 Verwaltungsgericht 224 kompetenz der Genehmigungsbehörde und konkretisiert den Schutz der Gemeindeautonomie sowie indirekt den Rechtsschutz der Priva- ten. Mit dem Mitwirkungsgebot besteht aber weder ein inhaltlicher noch ein systematischer Zusammenhang. ddd) Auch die Frage der Richtplanrelevanz einer Einzonung ist von der Zusammenlegung des Mitwirkungs- und des Einsprachever- fahrens zu unterscheiden. Entgegen der Annahme der Beschwerde- führer ist es für die Beurteilung der Bedeutung einer Nutzungsplan- änderung irrelevant, ob die Abänderung des Siedlungsgebietes im Richtplan den Grenzwert für eine Richtplanfortschreibung über- schreitet oder nicht. Die Bestimmungen von § 22 und 24 BauG ge- währleisten die Mitsprache der Bevölkerung und den Rechtsschutz des Einzelnen. Demgegenüber geht es bei den Änderungsbeschlüssen im Richtplan (Beschlüsse S 2.1/4.) um die Wahrung der Kompe- tenzen des Grossen Rates im Richtplanverfahren und seine Einfluss- nahme auf Planungen, die eine Anpassung des Richtplans erfordern. Während Anpassungen des Richtplans (Kategorien Festsetzung und Zwischenergebnis) vom Grossen Rat zu beschliessen sind, werden Richtplanänderungen von geringfügiger sachlicher und räumlicher Bedeutung, die realisierten (Richtplan-)Vorhaben und die Aufnahme von Vororientierungen als Fortschreibungen vom Regierungsrat vor- genommen (Richtplanbeschlüsse zum Änderungsverfahren, A2/1.1., Richtplantext, Stand 31. März 2001, S. 8). Nebst der systematischen und gesetzesautonomen Auslegung spricht auch die historische Auslegung dagegen, dass für die Auslegung des Baugesetzes vom 19. Januar 1993 der Richtplan, welcher erst am 17. Dezember 1996 vom Grossen Rat beschlossen wurde, herangezogen wird. Dem Re- gierungsrat und den Beschwerdeführern ist daher nur insoweit zuzu- stimmen, dass das Erfordernis einer Richtplananpassung durch den Grossen Rat ein Indiz für eine Planung von nicht untergeordneter Bedeutung sein kann. Der Umkehrschluss ist aber nach der gesetzli- chen Ordnung nicht zwingend und nicht jede Planung die eine Ände- rung des Richtplans erfordert, ist in jedem Fall von nicht mehr unter- geordneter Bedeutung. Die Beurteilung ist vielmehr im Einzelfall nach objektiven Kriterien auf der Grundlage des Mitwirkungsgebots vorzunehmen. 2003 Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht 225 (...) d) Bleibt zu prüfen, ob vorliegend die Neueinzonungen mit ei- ner Fortschreibung im Nachgang zur Zonenplanänderung Eingang in den Richtplan finden oder ob dafür eine formelle Richtplananpas- sung nötig gewesen wäre, welche in der Kompetenz des Grossen Rates liegt und zeitlich dem Genehmigungsentscheid vorgehen muss (§ 27 Abs. 3 BauG). aa) Der Richtplanbeschluss S 2.1/4 "Verfahrensregelung; Fort- schreibung oder Anpassung des Richtplans" lautet (Richtplantext, S. 23): "4.1 Der Richtplan wird fortgeschrieben bei a) Neueinzonungen von weniger als 3 ha oder von weniger als 3% des Baugebietes, höchstens aber 5 ha, pro 10 Jahre; b) Einzonung mit flächengleicher Kompensation; c) Einzonung von weitgehend überbautem Gebiet (Art. 15 lit. a RPG); d) Einzonung von Übergangszonen; e) Einzonung von Waldabstandsflächen; f) Ein- und Auszonung wegen Auswirkungen von Waldfest- stellungsverfahren. 4.2 Einzonungen, die über diese Kriterien hinausgehen, können nur genehmigt werden, wenn vorgängig das Siedlungsgebiet im Richtplan angepasst wird." bb) Im Entwurf zum Richtplantext war vorgesehen, dass die Richtplanpassung bei allen Neueinzonungen von mehr als 3 ha pro 10 Jahre erfolgen sollten (Entwurf Richtplantext, Juni 1996, S. 29; Richtplanung Kanton Aargau, Richtplan, Änderungsbeschlüsse des Grossen Rates [Schlussabstimmung vom 17. Dezember 1996], S. 7). Die Mehrheit der grossrätlichen Kommission war der Ansicht, dass eine prozentuale und eine flächenmässige Begrenzung den unter- schiedlichen Verhältnissen bzw. den unterschiedlichen Bauzonengrössen der Gemeinden besser Rechnung trage und dabei die Flexibilität des Richtplans unterstreiche (Protokoll des Grossen 2003 Verwaltungsgericht 226 Rates [Prot. GR] vom 29. Oktober 1996, Art. 1919, S. 473, Votum Guignard). Bei Gemeinden mit grösseren Bauzonen soll es erst zu einer Richtplanänderung kommen, wenn Neueinzonungen von mehr als 3 % des bisherigen Baugebiets beschlossen werden (Prot. GR, S. 473, Votum Pfisterer). Der massgebende Richtplanbeschluss S 2.1/4.1 lit. a verlangt daher für Neueinzonungen bis zur Fläche von 3 ha im Einzelfall oder bei Gemeinden mit grossen Baugebieten bis max. 3 % des bestehenden Baugebiets keine Richtplananpassung durch den Grossen Rat. Würde bei allen Gemeinden ausschliesslich die 3 %-Regel angewendet, hätte dies zur Folge, dass der Grosse Rat bei Gemeinden mit kleinen Bauzonen schon für geringe Einzonun- gen ein Richtplanänderungsverfahren durchführen müsste (Prot. GR, S. 473, Votum Pfisterer). Als maximale Obergrenze für Neuein- zonungen mittels Fortschreibung des Richtplans gelten 5 ha pro 10 Jahre. Auf diese Weise wird sicher gestellt, dass die Gemeinden nicht durch eine Etappierung der Zonenplanrevision unter Umge- hung des Grossen Rates das Siedlungsgebiet innert 10 Jahren um mehr als 5 ha vergrössern. cc) Die Gemeinde G. hatte gemäss Flächenstatistik von 1991 total 88.38 ha Land in der Bauzone, weshalb Gebiete von einer Flä- che bis 3 ha ohne Richtplananpassung neu eingezont werden dürfen. Mit der Einzonung einer Fläche von total 2.5584 ha erreicht das Gebiet "N." als flächenmässig grösstes der sechs in der Revision 2000 eingezonten Gebiete die geforderte Richtplanrelevanz von 3 ha nicht. Grundlage für die Festsetzung des Siedlungsgebiets im Richt- plan war der Zonenplan 91, weil im Zeitpunkt seines Inkrafttretens (17. Februar 1997) die Nutzungsplanung der Gemeinde G. nicht in Revision stand (Richtplantext, Stand 17. Dezember 1996, Beschluss S 2.1/3.3, S. 27). Folglich begann die 10-Jahresfrist für die Höchst- grenze von 5 ha mit Inkrafttreten des Richtplans. Anlässlich der Teil- revision der Nutzungsplanung 2000 wurde eine Fläche von total 4.31 ha neu eingezont. Der Zonenplan 91 wurde seit 1997 bis zur vorliegend umstrittenen Revision nie angepasst. Die Gesamtfläche von 4.0484 ha, wie sie von der Beschwerdeführerin berechnet wurde und die von der Vorinstanz als massgebend bezeichnete Fläche von 2003 Bau-, Planungs- und Umweltschutzrecht 227 2.95 ha ergeben sich aus der Addition der sechs Planänderungen, welche in dieser Revisionsvorlage zusammengefasst sind. Vorliegend sind verschiedene Gebiete und unterschiedliche Planungen Gegen- stand der Nutzungsplanänderungen. Die Zusammenfassung dieser Planvorhaben in einer Revision erfolgte aus rein verfahrensökonomi- schen Gründen, ohne dass dafür eine (raumplanungs-)rechtliche Notwendigkeit besteht. Die Gemeinde hätte ohne weiteres die sechs Planänderungen einzeln zur Genehmigung vorlegen können. Unter diesen Umständen ist für die Richtplanrelevanz gemäss Richtplanbe- schluss S 2.1/4.1 lit. a die Obergrenze von 5 ha massgebend.
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2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 140 24 Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an vorläufig Aufgenommene; schwerwiegender persönlicher Härtefall; Fürsorgeabhängigkeit; öffent- liches Interesse - Vorläufig aufgenommene Personen verbleiben auch dann in der Schweiz, wenn ihnen die beantragte Aufenthaltsbewilligung verwei- gert wird, weil eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und ein Vollzug der Wegweisung nicht zur Diskussion stehen. Diesem Um- stand ist bei der Bemessung des öffentlichen Interesses an der Ver- weigerung der beantragten Bewilligung Rechnung zu tragen (Erw. 5.). - Das (kantonale) öffentliche Interesse an einer Verweigerung der Auf- enthaltsbewilligung wegen Fürsorgeabhängigkeit ist bei vorläufig aufgenommenen Personen, die sich bereits mehr als sieben Jahre in der Schweiz aufhalten, erheblich zu relativieren, weil die Betroffenen unabhängig davon, ob ihnen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird oder nicht, in ihrem Wohnsitzkanton verbleiben und Anspruch auf Sozialhilfe haben. Eine Reduktion zusätzlicher sowie künftiger Belas- tungen der öffentlichen Fürsorge erschöpft sich bei einer Bewil- ligungsverweigerung in den Einsparungen, die sich aufgrund der An- wendbarkeit von §§ 17 - 19 SPG ergeben (Erw. 5.1.1.). Aus dem Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 24. Oktober 2014 in Sachen A. und B. gegen das Amt für Migration und Integration (WBE.2012.1049). Sachverhalt (Zusammenfassung) Die Beschwerdeführerin reiste im Januar 2001 in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Mit Entscheid vom 13. März 2003 lehnte das BFF das Asylgesuch der Beschwerdeführerin ab und wies diese aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess die schweizerische Asylrekurskommission (ARK) am 9. Februar 2004 2014 Migrationsrecht 141 betreffend den Vollzug der Wegweisung gut. In der Folge wurde die Beschwerdeführerin am 12. Februar 2004 vorläufig aufgenommen. Im September 2007 kam ihr Sohn (der Beschwerdeführer) zur Welt und wurde in die vorläufige Aufnahme der Beschwerdeführerin mit- einbezogen. Mit Eingabe vom 30. März 2010 beantragten die Be- schwerdeführer die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 84 Abs. 5 AuG. Mit Verfügung vom 10. April 2012 wurde dieses Gesuch abgelehnt. Die daraufhin erhobene Einsprache wurde abgewiesen. Die Beschwerdeführerin lebt seit über 13 Jahren in der Schweiz, ist nicht verheiratet und muss durch die Sozialhilfe unterstützt werden. Der Beschwerdeführer ist in der Schweiz gebo- ren und seinem Alter entsprechend eingeschult. Aus den Erwägungen 4.2. Für die Beurteilung, ob ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorliegt, ist bei vorläufig aufgenommenen Personen zu- nächst auf die Gründe, die zur vorläufigen Aufnahme geführt haben, einzugehen. Dabei ist zu prüfen, ob im konkreten Fall Anzeichen da- für bestehen, dass die vorläufige Aufnahme aufgehoben werden kann, weil die Voraussetzungen für deren Anordnung nicht mehr gegeben sind respektive in absehbarer Zeit wegfallen können. Ist auf- grund der konkreten Umstände nicht davon auszugehen, dass es in absehbarer Zeit zu einer Aufhebung der vorläufigen Aufnahme kommt, ist von einem schwerwiegenden persönlichen Härtefall auszugehen. Im Fall der Beschwerdeführerin ist dem Urteil der ARK vom 9. Februar 2004 betreffend die Zumutbarkeit des Wegweisungsvoll- zugs Folgendes zu entnehmen: "Gemäss Rechtsprechung der ARK erweist sich der Vollzug der Weg- weisung nach Sierra Leone aufgrund der derzeitigen Lage zwar grundsätz- lich als zumutbar (vgl. EMARK 2002 Nr. 11, S. 99 ff.). An dieser Lagebeur- teilung hat sich seit Ergehen des publizierten Entscheides bis heute nichts Wesentliches geändert. Festzustellen ist jedoch, dass sich gerade für 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 142 alleinstehende Frauen, Frauen oder Familien mit Kindern und Kranke die Situation noch immer nicht derart präsentiert, dass für sie von der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs ausgegangen werden könnte. Da- her wird der Wegweisungsvollzug für diese Personen, welche einer so ge- nannten "vulnerable group" angehören, gemäss geltender Praxis der ARK grundsätzlich auch heute noch als nicht zumutbar erachtet. Dies gilt vorlie- gend auch für die Beschwerdeführerin. Zwar bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Familie, wonach sie nur noch einen Bruder habe, der jedoch unbekannten Aufenthalts sei (vgl. ES-Prot. S. 3). Es kann indes auch nicht zwingend der Schluss gezo- gen werden, die Beschwerdeführerin verfüge über ein Beziehungsnetz. So- dann sind im vorliegenden Fall auch keine weiteren überzeugenden Argu- mente ersichtlich, welche rechtfertigen würden, vom zur Zeit geltenden Grundsatz der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs für die Beschwer- deführerin als alleinstehende Frau abzuweichen. Es kann daher auf eine nä- here Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten der Vorinstanz und der Beschwerdeführerin verzichtet werden." Zwischenzeitlich hat sich die Lage der alleinstehenden Frauen offenbar nicht wesentlich gebessert. Im Urteil der ARK vom 19. April 2006 (Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizeri- schen Asylrekurskommission [EMARK] 2006 Nr. 16) wird zusam- menfassend festgehalten, dass sich die Rückkehr nach Sierra Leone im Allgemeinen als zumutbar erweise, sofern es sich um allein stehende Männer in jungem und mittleren Alter handelt und um Familien ohne kleine Kinder. Für kranke Personen ist die Rückkehr nur dann zumutbar, wenn die notwendige medizinische Versorgung in Sierra Leone grundsätzlich verfügbar ist und individuelle be- günstigende Umstände vorliegen, welche der betroffenen Person den Zugang zu dieser Versorgung effektiv ermöglichen. Für nicht mehr erwerbsfähige Menschen ist die Rückkehr dann zumutbar, wenn sie über ein soziales Netz verfügen, welches für den Unterhalt aufkom- men kann oder wenn aus anderen Gründen davon ausgegangen wer- den kann, dass sie den notwendigen Lebensunterhalt bestreiten kön- nen. In aller Regel unzumutbar ist der Vollzug der Wegweisung für allein stehende Frauen und Personen mit kleinen Kindern, für die sie zu sorgen haben (a.a.O. Erw. 7.4.2). An dieser Lagebeurteilung wird 2014 Migrationsrecht 143 noch immer festgehalten (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 2012 [D-2764/2012], Erw. 5.4.3.2 und Urteil des Bundes- verwaltungsgerichts vom 8. April 2011 [E-1733/2010], Erw. 4.3). Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufhebung der vorläufi- gen Aufnahme der Beschwerdeführerin innert absehbarer Zeit gera- dezu ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin ist noch immer allein- stehend und hat überdies nunmehr für ihren Sohn zu sorgen. Auch sind keine Umstände ersichtlich, welche den Wegweisungsvollzug ausnahmsweise als zumutbar erscheinen lassen. Nach dem Gesagten ist bei der Beschwerdeführerin von einem Härtefall auszugehen, da nicht davon auszugehen ist, dass die Gründe, die zur vorläufigen Aufnahme geführt hatten, in absehbarer Zeit wegfallen würden, womit eine Aufhebung der vorläufigen Auf- nahme weder jetzt noch in absehbarer Zeit zur Diskussion steht. Gleiches gilt für den Beschwerdeführer, welcher in die vorläufige Aufnahme seiner Mutter miteinbezogen wurde. 4.3. Mit Blick auf das Vorliegen eines Härtefalles kommt heute hinzu, dass sich die Beschwerdeführerin, seit über 13 Jahren und damit seit langer Zeit in der Schweiz aufhält. Abgesehen davon war sie bei ihrer Einreise höchstens 16 Jahre alt, womit sie zumindest einen Teil der prägenden Jugendjahre in der Schweiz verbracht hat. Der heute siebenjährige Beschwerdeführer wurde in der Schweiz geboren und hat keinen persönlichen Bezug zu seinem Heimatland. Da sein Vater verstorben ist, bezieht der Beschwerdeführer eine mo- natliche Waisenrente in Höhe von CHF 912.00. AHV/IV-Renten, worunter auch Waisenrenten fallen, werden lediglich in Länder ausbezahlt, mit welchen ein Sozialversicherungsabkommen besteht. Nachdem zwischen der Schweiz und Sierra Leone kein entsprechen- des Abkommen abgeschlossen wurde, hätte eine Übersiedlung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zur Folge, dass er seine Waisenrente nicht mehr beziehen könnte. Auch diese Umstände spre- chen für das Vorliegen eines Härtefalls. 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 144 4.4. Nach dem Gesagten ist erstellt, dass ein schwerwiegender persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG vor- liegt. 5. Zu prüfen bleibt, ob der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Beschwerdeführer überwiegende öffentliche Interessen entge- genstehen. Dabei ist in Fällen wie dem Vorliegenden dem Umstand Rech- nung zu tragen, dass die Betroffenen auch bei Verweigerung der Auf- enthaltsbewilligung in der Schweiz verbleiben, da eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und ein Vollzug der Wegweisung nicht zur Diskussion steht. Soll eine Aufenthaltsbewilligung wegen Bedürftigkeit verwei- gert werden, geht es in erster Linie darum, eine zusätzliche und da- mit künftige Belastung der öffentlichen Wohlfahrt zu vermeiden. Für die Bemessung des öffentlichen Interesses ist neben der Höhe der be- zogenen Gelder und der Dauer der Fürsorgeabhängigkeit massge- bend, ob und inwieweit die Betroffenen ein Verschulden an der Sozialhilfeabhängigkeit trifft. Zu berücksichtigen ist zudem, ob die Sozialhilfeabhängigkeit auch zukünftig zu erwarten ist. Je wahrscheinlicher eine andauernde Bedürftigkeit konkret zu befürch- ten ist, umso grösser ist das öffentliche Interesse an einer Verweige- rung der Aufenthaltsbewilligung einzustufen (vgl. Urteil des Bundes- gerichts vom 3. Juli 2014 [2C_877/2013], Erw. 3.3.1 mit weiteren Hinweisen). Zu berücksichtigen ist auch, ob der Bund oder der Kan- ton (bzw. die Gemeinde) für die Fürsorgeleistungen aufzukommen hat. Geht die Leistungspflicht mit Erteilung einer Aufenthaltsbewilli- gung auf den Kanton über, oder erhöht sich die Leistungspflicht des Kantons mit Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, ist dies im Rah- men des (kantonalen) öffentlichen Interesses zu bemessen. 5.1. Vorliegend ist zunächst das öffentliche Interesse an der Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen, welches durch die Fürsorgeabhängigkeit der Beschwerdeführer begründet wird. 2014 Migrationsrecht 145 5.1.1. Im vorliegenden Fall war die Beschwerdeführerin abgesehen von zwei kurzen Arbeitseinsätzen ohne Einkommen und daher von der Fürsorge abhängig. Den Lebensunterhalt für den Beschwerdefüh- rer kann sie teilweise mit dessen Waisenrente decken. Die Beschwer- deführerin war damit über lange Dauer und in erheblichen Umfang von der Sozialhilfe abhängig, weshalb grundsätzlich von einem ge- wichtigen öffentlichen Interesse auszugehen ist, den Beschwerdefüh- rern keine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. In Fällen wie dem Vorliegenden ist jedoch zu beachten, dass vorläufig aufgenommene Personen unabhängig davon, ob ihnen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird oder nicht, in ihrem Wohnsitz- kanton verbleiben (vgl. Art. 85 AuG). Im Falle von Bedürftigkeit ist die Ausrichtung von Sozialhilfe an vorläufig aufgenommene Perso- nen Sache der Kantone (Art. 86 AuG). Gemäss kantonaler Gesetzge- bung besteht Anspruch auf Sozialhilfe, sofern die eigenen Mittel nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind oder nicht ausreichen (§ 5 Abs. 1 SPG). Für die Bemessung der materiellen Hilfe sind grundsätzlich die von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe erlassenen Richtlinien vom 18. September 1997 für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (SKOS- Richtlinien) mit den bis zum 1. Juli 2004 ergangenen Änderungen massgebend (§ 10 Abs. 1 SPV). Davon ausgenommen ist jedoch die Bemessung der Sozialhilfeleistungen für Asylsuchende, Schutzbe- dürftige ohne Aufenthaltsbewilligung und vorläufig Aufgenommene, welche nach Massgabe der §§ 17 - 19 SPG festzusetzen ist (§ 16 Abs. 1 SPG). Die Kantone erhalten für vorläufig aufgenommene Per- sonen finanzielle Unterstützung in Form von Bundesbeiträgen (Art. 87 Abs. 1 AuG). Die entsprechenden Pauschalen werden jedoch längstens sieben Jahre ab Einreise der vorläufig aufgenommenen Person ausgerichtet (Art. 87 Abs. 3 AuG). Folglich ändert sich am Anspruch auf Sozialhilfe gemäss § 5 Abs. 1 SPG und an der kantona- len Leistungspflicht grundsätzlich nichts, wenn vorläufig aufgenom- menen Personen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verwei- gert wird. Hingegen ist der Leistungsanspruch von Personen mit Auf- enthaltsbewilligung gegenüber Personen mit vorläufiger Aufnahme 2014 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 146 höher, da die Sozialhilfe von vorläufig aufgenommenen Personen le- diglich nach Massgabe der §§ 17 - 19 SPG ausgerichtet wird. Nach dem Gesagten ist das öffentliche Interesse des Kantons an einer Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Bedürftigkeit bei vorläufig aufgenommenen Personen, die sich bereits mehr als sie- ben Jahre in der Schweiz aufhalten und für die der Bund deshalb keine Beiträge mehr entrichtet, erheblich zu relativieren. Eine zusätzliche sowie künftige Belastung der öffentlichen Fürsorge kann zwar bis zu einem gewissen Grad noch abgewendet werden, wenn keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird und die Betroffenen im Status der vorläufigen Aufnahme belassen werden. Sie erschöpft sich jedoch in den Einsparungen, die sich aufgrund der Anwendbarkeit von §§ 17 - 19 SPG ergeben. Diesem Umstand ist bei der Bemessung des öffentlichen Interesses gebührend Rechnung zu tragen. 5.1.2.-5.1.3. (...) 5.1.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das öffentliche Inte- resse an einer Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung wegen Be- dürftigkeit grundsätzlich gewichtig ist. Im vorliegenden Fall wird dieses Interesse indessen relativiert, weil sich eine zusätzliche sowie künftige Belastung der öffentlichen Fürsorge lediglich auf die Einsparungen im Zusammenhang mit der Anwendung der §§ 17 - 19 SPG beschränkt. Mit Blick auf das Verschulden sowie die künftig zu erwartende Fürsorgeabhängigkeit ergibt sich keine wesentliche Erhö- hung des öffentlichen Interesses an einer Verweigerung der Aufent- haltsbewilligung. 5.2.-5.3. (...) 5.4. Nach dem Gesagten besteht im vorliegenden Fall lediglich mit Blick auf die Fürsorgeabhängigkeit ein öffentliches Interesse, den Beschwerdeführern die Aufenthaltsbewilligung zu verweigern. Diesem öffentlichen Interesse stehen die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung gegen- über. In Anbetracht der Einschränkungen, die mit dem Status der vor- läufigen Aufnahme verbunden sind sowie der langen Aufenthalts- 2014 Migrationsrecht 147 dauer ist das private Interesse der Beschwerdeführer als erheblich, wenn nicht gar gross einzustufen. Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Umstände ist das öffentliche Interesse, den Beschwerdeführern keine Aufenthalts- bewilligung zu erteilen zwar ebenfalls als erheblich einzustufen. Insgesamt vermag es jedoch die privaten Interessen der Beschwerde- führer an einer Erteilung der Aufenthaltsbewilligung nicht zu über- wiegen. 6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vorliegend die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ge- stützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG erfüllt sind. Nachdem der Ertei- lung einer Aufenthaltsbewilligung keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen, ist die Beschwerde gutzuheissen soweit darauf einzutreten ist. Das MIKA ist anzuweisen, das Gesuch der Be- schwerdeführer um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung dem Bun- desamt für Migration mit dem Antrag auf Zustimmung zu unterbrei- ten.
3,265
2,682
AG_VG_001
AG_VG
AG
Northwestern_Switzerland
AG_VG_001_AGVE-2014-24_2014-10-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2014-24.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2014-24.pdf
AGVE_2014_24
null
nan
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1
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1,372,809,600,000
2,013
de
2013 Submissionen 193 [...] 37 De-facto-Vergabe bzw. fehlende öffentliche Ausschreibung - Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts (Erw. I/1.) - Beschwerdebefugnis (Erw. I/2.) - Einhaltung der Beschwerdefrist (Erw. I/3.) - Vergaberechtsfreie Quasi-in-house-Vergabe verneint (Erw. II/1. und 2.) 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 194 - Konsequenzen der vergaberechtswidrig erfolgten Vergabe: Fest- stellung der Rechtswidrigkeit der Vergabe, Verpflichtung zur Auflö- sung der Verträge mit den gegebenen vertragsrechtlichen Instrumen- tarien und Verpflichtung zur Neuausschreibung der Leistungen (Erw. II/3. und 5.) - Nichteintreten auf Schadenersatzbegehren (Erw. II/4. und 5.) Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 1. Juli 2013 in Sachen A. AG gegen B. AG (Beigeladene) und C. AG (WBE.2012.159). Aus den Erwägungen I. 1. 1.1. Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht ist zulässig gegen letztinstanzliche Entscheide der Verwaltungsbehörden und, wenn vorgesehen, gegen Entscheide der Spezialverwaltungsgerichte (§ 54 Abs. 1 VRPG, in der bis 31. Dezember 2012 geltenden Fassung). Ausgeschlossen ist die Beschwerde in den Sachbereichen gemäss § 54 Abs. 2 lit. a - h VRPG. Vorbehalten bleiben sodann Sonderbe- stimmungen in anderen Gesetzen (§ 54 Abs. 3 VRPG). Die Be- schwerde ist auch in den Fällen von Absatz 2 und 3 zulässig, wenn die Verletzung des Anspruchs auf Beurteilung von Streitigkeiten durch eine richterliche Behörde gerügt wird (§ 54 Abs. 4 VRPG). 1.2. Gegen Verfügungen der Vergabestelle gemäss § 5 SubmD kann direkt beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden (§ 24 Abs. 1 SubmD). 1.2.1. Dem Dekret unterstehen aufgrund von § 5 Abs. 1 SubmD der Kanton und seine Anstalten (lit. a), die Gemeinden, deren Anstalten sowie die Gemeindeverbände (lit. b), andere Träger kantonaler und kommunaler Aufgaben (lit. c), privatrechtliche Träger, soweit der zu vergebende Auftrag von Bund, Kantonen, Gemeinden, Gemeindever- 2013 Submissionen 195 bänden oder anderen öffentlichrechtlichen Organisationen zu mehr als 50 % subventioniert wird (lit. d) sowie andere öffentlich-rechtli- che Organisationen (lit. e). Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts unterstehen dem SubmD auch öffentliche Unternehmungen mit pri- vatrechtlicher Struktur sowie gemischtwirtschaftliche Unternehmun- gen, welche in personeller und finanzieller Hinsicht massgeblich von der öffentlichen Hand beherrscht werden und nicht in Konkurrenz zu (privaten) Dritten agieren (AGVE 2001, S. 349 ff.). Bei der C. AG handelt es sich um eine gemeinnützige Aktienge- sellschaft des Schweizerischen Obligationenrechts (§ 9 Abs. 1 Spital- gesetz vom 25. Februar 2003 [SpiG; SAR 331.200]). Der Kanton hält mindestens 70 % des Aktienkapitals und der Aktienstimmen (§ 11 Abs. 1 SpiG). Die Wahrnehmung von wichtigen öffentlichen Aufgaben im Gesundheitswesen (Betrieb eines Kantonsspitals), die kantonale Mindestbeteiligung zu 70 % am Aktienkapital und die da- mit verbundenen Entscheid- und Aufsichtsbefugnisse des Kantons führen zur Unterstellung der C. AG unter das Submissionsdekret (vgl. auch AGVE 1997, S. 343; 2000, S. 326; VGE III/51 vom 8. Juni 2005 [BE.2004.00381], S. 4 f. und III/99 vom 21. Dezember 2009 [WBE.2009.207], S. 4; ferner auch Hans R UDOLF T RÜEB / D ANIEL Z IMMERLI , Spitalfinanzierung und Vergaberecht, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 12 ff., 30, 39 ff.). Bei der C. AG han- delt es sich folglich um eine Vergabestelle im Sinne von § 5 Abs. 1 lit. c SubmD (und Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB). 1.2.2. Sind die Schwellenwerte des Einladungsverfahrens gemäss § 8 Abs. 2 SubmD erreicht, was beim hier streitigen Liefer- und Dienst- leistungsvertrag zweifellos der Fall ist, gelten als anfechtbare Verfü- gungen die Ausschreibung, der Zuschlag, der Entscheid über die Auswahl von Anbietenden im selektiven Verfahren, der Ausschluss vom Vergabeverfahren, der Widerruf des Zuschlags oder der Ab- bruch des Vergabeverfahrens (§ 24 Abs. 2 lit. a - e SubmD). Aber auch die Frage, ob in einem konkreten Fall zu Recht auf ein dem SubmD unterstehendes Vergabeverfahren verzichtet worden ist, kann der Rechtskontrolle nicht entgehen. Ansonsten hätte es die Vergabe- stelle stets in der Hand, die richterliche Überprüfung durch die blosse 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 196 Behauptung der Nichtanwendbarkeit des öffentlichen Submissions- rechts zu umgehen. Dies würde dem Zweck des SubmD, dem BGBM, der IVöB und gegebenenfalls auch der staatsvertraglichen Regelung (vgl. dazu Art. XX Ziff. 2 GPA) widersprechen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2008 [B- 6177/2008], Erw. 1.1; Entscheid der Eidgenössischen Rekurskom- mission für das öffentliche Beschaffungswesen [BRK] vom 19. Juli 1999 [1999-005], publiziert in: VPB 64.8 Erw. 1b/bb). Unabhängig vom Vorliegen einer anfechtbaren Verfügung im Sinne von § 5 i.V.m. § 24 Abs. 2 lit. a - e SubmD ist das Verwaltungsgericht zur Behand- lung des vorliegenden Falles somit jedenfalls insoweit zuständig, als es um die Beurteilung der Frage geht, ob bei der streitigen Be- schaffung von IT-Dienstleistungen, insbesondere des sog. "Output Managements", durch die C. AG zu Unrecht von einem dem öffent- lichen Submissionsrecht unterstehenden Vergabeverfahren abgesehen worden ist oder nicht. 1.2.3. Die C. AG hat auf die Beschaffung der Leistungen des sog. "Output-Managements" die Regeln des öffentlichen Submissions- rechts unbestrittenermassen nicht angewendet; sie ist beim Vertrags- schluss mit der B. AG vielmehr von einer vergaberechtsfreien "Quasi-in-house-Vergabe" ausgegangen. Weder ist somit eine öffentliche Ausschreibung des Auftrags erfolgt noch wurde jemals ein Zuschlag verfügt. Auch beim (Anwalts-)Schreiben der C. AG vom 12. April 2012, womit diese anerkennt, dass der der B. AG er- teilte Auftrag der Submissionspflicht untersteht, handelt es sich le- diglich um eine informative Mitteilung; diesem Schreiben kommt kein Verfügungscharakter zu. Mithin liegen formell keine anfechtba- ren Verfügungen im Sinne von § 24 Abs. 2 SubmD vor, die vom Ver- waltungsgericht gemäss § 25 Abs. 2 SubmD überprüfbar wären. Eine nicht nach Submissionsdekret, sondern auf der Grundlage von privat- rechtlichen Bestimmungen vorgenommene Auftragsvergabe kann das Verwaltungsgericht nicht auf ihre (materielle) Rechtmässigkeit über- prüfen. Damit ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren in erster Linie die Frage zu klären, ob die streitige Beschaffung von der C. AG zu Unrecht als "Quasi-in-house-Vergabe" qualifiziert wurde und 2013 Submissionen 197 stattdessen in einem Vergabeverfahren nach öffentlichem Submissi- onsrecht, in Anwendung insbesondere der Vorschriften des SubmD des Kantons Aargau, hätte vorgenommen werden müssen. Ist letzte- res zu bejahen, sind zudem allfällige sich daraus ergebenden Konse- quenzen zu prüfen, insbesondere sind die Auswirkungen der fälschli- cherweise unterbliebenen Anwendung des massgeblichen Vergabe- rechts auf die verschiedenen mit der B. AG abgeschlossenen Verträge zu klären (vgl. Erw. II/3. unten). 2. 2.1. Zur Beschwerde ist befugt, wer ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Aufhebung oder der Änderung des Entscheides hat (§ 42 lit. a VRPG i.V.m. § 23 SubmD). Der Rechtsschutz im öffentli- chen Beschaffungswesen hat zum Zweck, dass die Anbietenden ge- gen vermutete Verletzungen von Submissionsvorschriften im Zusam- menhang mit Beschaffungen, an denen sie ein Interesse haben oder gehabt haben, sollen Beschwerde führen können (AGVE 1998, S. 352). Zur Beschwerde legitimiert ist insbesondere ein Anbieter, dessen Offerte für den Zuschlag nicht berücksichtigt wurde oder der vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde. Wird ein Auftrag frei- händig oder im Einladungsverfahren vergeben, so sind auch nicht an- gefragte Dritte, d.h. alle möglichen Anbieter, insoweit zur Be- schwerde legitimiert als sie geltend machen, die Durchführung des vorgeschriebenen Verfahrens sei zu Unrecht unterblieben. Ein Inte- ressent ist in einem solchen Fall der unterlassenen Durchführung ei- nes an sich vorgeschriebenen Vergabeverfahrens dann zur Beschwer- deführung legitimiert, wenn er am Auftrag interessiert ist und dem Kreis der potenziellen Anbieter zugerechnet werden kann, d.h. in der Lage ist, einen Auftrag der betreffenden Art zu übernehmen (AGVE 2003, S. 241 f. mit Hinweisen; VGE III/99 vom 21. Dezem- ber 2009 [WBE.2009.207], S. 5; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Mai 2010 [VB.2009.00667], Erw. 2; BR 2012, S. 233 S107 und S108; vgl. auch BGE 137 II 321 f. mit Hinweisen). In Bezug auf die Beschwerdebefugnis Dritter muss Analoges gelten, wenn die Vergabebehörde den Standpunkt vertritt 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 198 bzw. - wie hier - ursprünglich vertrat, die Beschaffung sei gar nicht dem öffentlichen Beschaffungsrecht unterstellt gewesen. 2.2. Die Beigeladene verneint die Beschwerdebefugnis der Be- schwerdeführerin, denn diese gehöre nicht zu den potenziellen An- bietern des zu beurteilenden Auftrags, sei nicht formell beschwert und verfüge nicht über ein eigenes schutzwürdiges Interesse. Sie sei nicht in der Lage, den zwischen der C. AG und der Beigeladenen abgeschlossenen Vertrag betreffend das IT-Output-Management ins- besondere in quantitativer und qualitativer Hinsicht genauso gut zu erfüllen wie die Beigeladene. Die Beigeladene erbringe nebst der Lieferung von Druckern und dem dazu gehörenden Verbrauchsmate- rial auch noch weitere IT-Dienstleistungen mit speziellen IT-Tools, die optimal mit den übrigen Leistungsprozessen für die C. AG abge- stimmt seien. Sie erfülle somit, im Gegensatz zur Beschwerdeführe- rin, spezielle Vorgaben der C. AG an die gewünschte Qualität und Effizienz der Leistungen, die für die vertragsgemässe Erfüllung uner- lässlich seien. 2.3. Der mit der Beigeladenen geschlossene Einzelvertrag regelt "die Lieferung, den Betrieb, die Wartung und das Monitoring von D. Print und MFP Systemen (nachstehend Objekte genannt), welche beim C. am Einsatzort des Objektes installiert sind oder während der Dauer dieses Vertrages installiert werden". Dieser Einzelvertrag steht im Zusammenhang mit einem Rahmenvertrag aus dem Jahr 2005, der die Erbringung von IT-Dienstleistungen durch die Beigeladene an die C. AG zum Inhalt hat. Ziff. I./1.1. des Rahmenvertrags sieht vor, dass die unter dem Rahmenvertrag bezogenen Dienstleistungen in einem oder mehreren Einzelverträgen geregelt werden. Konkret geht es um die Lieferung und das Bereitstellen von Hardwarekompo- nenten (namentlich Drucker und Multifunktionsgeräte) und die zugehörigen Serviceleistungen. Gemäss Handelsregistereintrag ist Zweck der Beschwerdeführe- rin u.a. "der Vertrieb, die Vermietung, das Leasing und der Service von Maschinen, Geräten, Einrichtungen und Software zur Büroauto- mation und die Erbringung von Beratungsleistungen". Die Beigela- 2013 Submissionen 199 dene ihrerseits hat u.a. die "Erbringung von Dienstleistungen im IT- Bereich, [...] sowie Handel mit Software und Hardware" zum Zweck. Beide Konkurrentinnen sind somit in der gleichen Branche tätig und erbringen vergleichbare Leistungen. Davon geht im Übri- gen auch die C. AG aus, wenn sie in Bezug auf das Akteneinsichts- begehren der Beschwerdeführerin festhält, die A. AG sei "klarerwei- se eine Konkurrentin der B. AG" und eine Einsichtnahme in die bestehenden Verträge würde ihr einen "immensen Wettbewerbsvor- teil" verschaffen. Der streitige Auftrag fällt eindeutig in den Tätig- keitsbereich der Beschwerdeführerin; sie erbringt exakt derartige Leistungen. Vor diesem Hintergrund kann ihr ein schützenswertes In- teresse an der gerichtlichen Prüfung der Frage, ob die Beschaffung des Output-Managements in einem rechtmässigen Verfahren erfolgt ist, nicht abgesprochen werden. Entgegen der Beigeladenen kann es für die Frage der Legitimation nicht relevant sein, ob die Beschwer- deführerin in der Lage ist, den Auftrag "in quantitativer und qualitativer Hinsicht genauso gut zu erfüllen wie die Beigeladene". Entscheidend ist einzig, ob sie aufgrund ihres Tätigkeitsbereichs und ihrer Zweckbestimmung grundsätzlich befähigt ist, einen solchen Auftrag zu übernehmen, was sich nicht ernsthaft in Frage stellen lässt. Nur am Rande sei im Hinblick auf eine Neuausschreibung vermerkt, dass es nicht zulässig wäre, die Anforderungen und Spezi- fikationen der Ausschreibung auf ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Anbieter auszurichten, um auf diese Weise andere potentielle Anbieter vom Auftrag auszuschliessen (vgl. AGVE 1998, S. 402 ff.; 2008, S. 183 ff.; ferner AGVE 2008, S. 194 f.; BR 2012, S. 233, Anmerkung Beyeler zu S107). Die Beigeladene macht im Übrigen keine Urheberrechte geltend, die zwingend eine freihändige Vergabe erforderten (vgl. § 8 Abs. 3 lit. d SubmD). 3. 3.1. Die Beigeladene bringt vor, die Beschwerdeführerin habe be- reits im Dezember 2011 Kenntnis von der Quasi-in-house-Vergabe an die B. AG erhalten. Auf die Beschwerde sei daher mangels Ver- spätung nicht einzutreten. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 200 3.2. Gemäss § 25 Abs. 1 SubmD ist die Beschwerde innert 10 Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. Im vorliegenden Fall wurden keine formelle Verfügungen eröffnet (vgl. oben Erw. 1.). Be- hauptet ein Beschwerdeführer, ein bestimmter Auftrag sei zu Unrecht im freihändigen Verfahren oder überhaupt ausserhalb des Vergabe- rechts vergeben worden, stellt sich die Frage, ob und wann die zehntägige Beschwerdefrist ausgelöst wird. Stellt sich die Auftrag- geberin auf den Standpunkt, sie sei dem Vergaberecht nicht unter- worfen und drückt sie diese Auffassung schriftlich und in begrün- deter Weise gegenüber dem Beschwerdeführer aus, so muss dieser gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts das entsprechende Schreiben binnen nützlicher Frist anfechten und darf nicht zuwarten, bis er einen Bescheid in Form der anfechtbaren Verfügung erhält (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 19. Juli 2011 [2D_77/2010], Erw. 4.1). 3.3. Aus den vorliegenden Akten ist zu entnehmen, dass sich die Be- schwerdeführerin bezüglich des streitigen IT-Output-Managements erstmals mit Schreiben vom 14. Dezember 2011 betreffend "Sub- missionsverfahren Printer & Multifunktionsgeräte" an die C. AG gewendet hat. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2011 wurde ihr mit- geteilt, dass die B. AG ein Unternehmen des Kantons Aargau und somit wie eine interne Stelle für das C. zu betrachten sei. Aufträge, welche die B. AG für das C. erledige, müssten daher nicht ausge- schrieben werden. Kaufe die B. AG ihrerseits Leistungen ein, unter- stehe sie dem Submissionsrecht. Der gesamte Druckerpark sei im Jahr 2009/2010 durch ein Submissionsverfahren bei der B. AG ent- sprechend ausgeschrieben und an die Firma D. AG vergeben worden. Auf dieser Submission basierten die aktuellen Dienstleistungen der B. AG bzw. der D. AG. Bei dieser Sachlage sei das Begehren, ein Submissionsverfahren einzuleiten, nicht gegeben. Mit Schreiben vom 26. März 2012 wandte sich die nunmehr anwaltlich vertretene Be- schwerdeführerin erneut an die C. AG, wies auf die Unzulässigkeit der Quasi-in-house-Vergabe hin und ersuchte um eine Stellungnahme bis zum 10. April 2012. Mit Schreiben vom 12. April 2012 (zuge- 2013 Submissionen 201 stellt am 13. April 2012) teilte die nunmehr ebenfalls anwaltlich ver- tretene C. AG der Beschwerdeführerin mit, dass sie der Auffassung zustimme, dass der der B. AG erteilte Auftrag der Submissionspflicht unterstehe. Jedoch bleibe infolge von § 27 Abs. 2 SubmD der bereits abgeschlossene Vertrag aufrecht. Die Beschwerdeführerin erhob in der Folge mit Eingabe vom 23. April 2012 Beschwerde beim Verwal- tungsgericht. 3.4. Der Beschwerdeführerin kann im vorliegenden Fall nicht vorge- worfen werden, sie habe ihr Beschwerderecht dadurch verwirkt, dass sie in Kenntnis der Beauftragung der Beigeladenen mit dem Output- Management zunächst zugewartet und weitere Abklärungen getrof- fen habe statt umgehend, d.h. innert 10 Tagen, Beschwerde beim Ver- waltungsgericht zu erheben. Sie ist im Nachgang an das E-Mail vom 23. Dezember 2011 nicht untätig geblieben, sondern hat die Rechts- lage vertieft anwaltlich abklären lassen und sich in der Folge erneut an die C. AG gewendet. Die Antwort der C. AG vom 12. April 2012 ist dann innert 10 Tagen mit Beschwerde angefochten worden. Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass es selbst nach dem Antwortschreiben vom 12. April 2012 fraglich gewesen sei, ob sie über die für eine Beschwerdeeinleitung erforderlichen Kenntnisse bezüglich Vertragsdatum, Auftragsvolumen etc. verfügt habe. In die- sem Kontext ist festzuhalten, dass der schriftliche Einzelvertrag EV- C.-Output-Mgmt-2011-0001 betreffend "Output Management" zwi- schen der C. AG und der B. AG am 27. Februar 2012/7. März 2012 durch die Parteien unterzeichnet und rückwirkend auf den 1. Dezem- ber 2011 in Kraft gesetzt worden ist. Von diesem Vertrag wie auch von den übrigen zwischen der C. AG und der B. AG abgeschlossenen Rahmen- und Einzelverträge hat die Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren Kenntnis erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es eher befremdlich und wenig verständlich, wenn die Beigeladene mit einer Verwirkung des Beschwerderechts der Be- schwerdeführerin argumentiert. Die Verantwortung für die korrekte Durchführung eines Verga- beverfahrens und die Anwendung des massgebenden Rechts liegt bei der Vergabestelle und nicht bei den Anbietern. Nach ständiger Recht- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 202 sprechung des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei der Wahl einer nicht den Vorschriften entsprechenden Verfahrensart um einen derart schwerwiegenden Rechtsmangel, dass er auch dann zu berücksichti- gen ist, wenn er nicht gerügt wird, gegebenenfalls sogar gegen den Willen des Beschwerdeführers. Nur so kann eine Umgehung des Ge- bots der öffentlichen Ausschreibung für grössere Beschaffungen wirksam verhindert und der freie Wettbewerb sichergestellt werden (vgl. AGVE 2001, S. 311 und 313 mit Hinweisen). Von einem solch schweren Rechtsmangel ist auch auszugehen, wenn die Auftragge- berin nicht eine falsche Verfahrenswahl trifft, sondern die Auftrags- vergabe dem öffentlichen Beschaffungsrecht zu Unrecht gänzlich entzieht. Im Gegensatz zur Anfechtung von im Rahmen eines Sub- missionsverfahrens ergangenen und ordnungsgemäss eröffneten Ver- fügungen gemäss § 24 Abs. 2 SubmD wurde in diesen Fällen gerade kein formelles Verfahren eingeleitet und durchgeführt. Ob die zehn- tägige Beschwerdefrist gemäss § 25 Abs. 1 SubmD hier überhaupt zum Tragen kommen kann, ist daher fraglich. Auch das Bundesge- richt redet in diesem Kontext von einer Anfechtung binnen "nütz- licher Frist" (vgl. oben Erw. 3.2.). Erlangt eine Anbieterin Kenntnis von einer ihres Erachtens unzulässigen De-facto-Vergabe, muss es ihr jedenfalls unbenommen sein, vor einer Beschwerdeerhebung mit der Auftraggeberin - gegebenenfalls auch mehrmals - Rücksprache zu nehmen und alle erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Abklärungen zu treffen, ohne dass sie bereits deswegen das Be- schwerderecht verwirkt. Die Beschwerdeführerin hat innerhalb von zehn Tagen nach der letzten Stellungnahme der C. AG zur fraglichen Angelegenheit vom 12. April 2012 und somit jedenfalls innert nützlicher Frist Be- schwerde eingereicht. Infolgedessen ist von der Rechtzeitigkeit der Beschwerde auszugehen. 4. Zusammenfassend ist auf die Beschwerde einzutreten. 2013 Submissionen 203 5. (...) II. 1. 1.1. Die Erbringung von IT-Dienstleistungen ist Gegenstand eines im Jahr 2005 zwischen der C. AG und der Beigeladenen abgeschlos- senen Rahmenvertrags. Die einzelnen Leistungspakete (Bereit- stellung und Erneuerung Peripherie, Support und Wartung Periphe- rie) sind in Einzelverträgen geregelt. Der vorliegend streitige Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 betreffend "Output Management" vom 27. Februar 2012/7. März 2012 fällt gemäss Kap. 1 Abs. 4 ("Der Vertrag unterliegt den allgemein gültigen Ver- tragsbedingungen zwischen C. und B. und kann nach Abschluss des neu geplanten Vertragswerkes jenem unterstellt werden.") in den Geltungsbereich des genannten Rahmenvertrags. 1.2. Es ist unbestritten, dass weder die vom Einzelvertrag EV-C.- Output-Mgmt-2011-0001 erfassten Leistungen (Output-Manage- ment) noch die Leistungen des zugrunde liegenden Rahmenvertrags und der anderen Einzelverträge jemals öffentlich ausgeschrieben worden sind. Die Beschwerdeführerin und mittlerweile auch die C. AG gehen übereinstimmend davon aus, dass der fragliche Einzelauf- trag EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 der Submissionspflicht unter- steht und öffentlich hätte ausgeschrieben werden müssen. Die C. AG erklärt sich denn auch bereit, "ab 30. November 2015 ein Output- Management, wie es dem Einzelvertrag vom 27. Februar 2012, rück- wirkend per 1. Dezember 2011 in Kraft gesetzt, zugrundeliegt, im submissionsrechtlich vorgeschriebenen Verfahren zu vergeben (siehe Ziff. 7 des Vertrags)". Demgegenüber vertritt die Beigeladene den Standpunkt, dass das einschlägige Submissionsrecht im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung komme. Der Vertragsabschluss zwischen der C. AG und der Beigeladenen sei als eine vergaberechtsfreie "Quasi-in-house- Vergabe" zu qualifizieren. Die Beigeladene sei klarerweise von der öffentlichen Hand beherrscht und sie erfülle auch das Erfordernis der Wettbewerbsneutralität, da sie ihrerseits als Vergabestelle im Sinne 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 204 von § 5 SubmD zu qualifizieren sei und ihre Leistungen gemäss dem Vergaberecht beschaffe und daher - auch wenn der Anschein bestehe - nicht im freien Wettbewerb zu anderen privaten Anbietern stehe. 2. 2.1. In-house-Vergaben sind Vorgänge, bei denen ein öffentlicher Auftraggeber einen Auftrag an eine seiner verwaltungsinternen Dienststellen erteilt, die über keine eigene Rechtspersönlichkeit ver- fügt. Solche Geschäfte sind vergaberechtsfrei (vgl. dazu M ARTIN B EYELER , In-house-Vergaben: Wer mit wem, wann und warum, in: Z UFFEREY /S TÖCKLI [Hrsg.], Aktuelles Vergaberecht 2010, Zü- rich/Basel/Genf 2010, S. 17 ff, insbes. S. 22 ff.). Zu den vergabe- rechtsfreien In-house-Geschäften werden aber auch Konstellationen gezählt, in denen öffentliche Auftraggeber von Stellen, die über ei- gene Rechtspersönlichkeit verfügen, aber von den Auftraggebern kontrolliert werden, Leistungen beziehen (sog. Quasi-in-house-Ver- gaben). Für die Beurteilung, ob es sich auch bei einem solchen Geschäft um eine vergaberechtsfreie Beschaffung handelt oder nicht, werden in der Literatur die Kriterien herangezogen, die der Europä- ische Gerichtshof (EuGH) im Urteil "Teckal" erstmals aufgestellt und in der Folge auch weiterentwickelt hat. Danach liegt eine verga- berechtsfreie Quasi-in-house-Vergabe vor, wenn der öffentliche Auf- traggeber einen Auftrag an einen Leistungserbringer vergibt, der rechtlich eine andere Person ist als er selbst (also nicht demselben Rechtsträger angehört wie der Auftraggeber), der aber erstens unter der Kontrolle öffentlicher Auftraggeber steht (Kontrollerfordernis) und der zweitens grundsätzlich keine Tätigkeiten für andere Per- sonen als die ihn kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber entfaltet (Tätigkeitserfordernis). Das Kontrollerfordernis ist erfüllt, wenn der Auftraggeber eine Kontrolle ausüben kann wie über eine eigene (hausinterne) Dienststelle. Diese Kontrolle kann auch durch mehrere öffentliche Auftraggeber wahrgenommen werden; ausgeschlossen ist nach der Rechtsprechung des EuGH hingegen jegliche (noch so geringfügige) Beteiligung von Privaten. Das Tätigkeitserfordernis verlangt, dass der Leistungserbringer "im Wesentlichen" für den oder die an ihm beteiligten Auftraggeber tätig sein muss und höchstens 2013 Submissionen 205 "ganz untergeordnete Tätigkeiten" zugunsten von an ihm nicht beteiligten Dritten entfalten darf. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, untersteht das fragliche Geschäft dem öffentlichen Beschaffungsrecht (vgl. M ARTIN B EYELER , In-house-Vergaben, S. 49 ff.; M ARTIN B EYELER , Der Geltungsanspruch des Vergabe- rechts, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 1222 ff.). Unter dem Begriff der sog. In-state-Vergabe schliesslich wird die Auftragserteilung eines öffentlichen Auftraggebers an ein rein öffentliches Subjekt ohne jede Privatbeteiligung, das ausschliesslich Tätigkeiten für öffentliche Auf- traggeber entfaltet, verstanden. Erfolgt die Auftragserteilung an einen öffentlichen Leistungserbringer, der (auch) kommerziell, d.h. mit Gewinnabsicht, tätig wird, liegt keine In-state-Beschaffung vor (vgl. B EYELER , In-house-Vergaben, S. 82 ff.). Die Rechtsprechung der schweizerischen Verwaltungsgerichte zu internen Vergaben, namentlich zu den Quasi-in-house-Vergaben, ist bescheiden (B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 1227). Immerhin hat das Verwaltungsgericht des Kantons Waadt angetönt, dass es sich bei einer künftigen Beurteilung von Quasi-in-house-Vergaben an der europäischen Rechtsprechung orientieren werde; im konkreten Fall konnte es die Frage offen lassen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Waadt vom 6. November 2009 [GE.2007.0013], in: BR 2010, S. 86 S2, S. 91 S5; B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 1227, insbesondere Fn. 1387). Das Walliser Kantonsgericht hat in einem neueren Entscheid die Rechtsprechung des EuGH zu den Quasi-in- house-Vergaben herangezogen und eine solche im zu beurteilenden Fall (Vergebung von Sanierungsarbeiten an einer Alpstrasse an den Forstbetrieb eines kommunalen Zweckverbandes durch eine Mit- gliedgemeinde) bejaht (vgl. Urteil des Kantonsgerichts Wallis vom 3. Dezember 2009 [TCV A1 09 163], Erw. 4.2 und 4.3). In der Literatur wird eine Anwendung der EuGH-Praxis zu den Quasi-in- house-Vergaben ebenfalls befürwortet, da das schweizerische und das europäische Vergaberecht "im Bestreben nach wettbewerbsneu- traler Ausgestaltung des Gebarens öffentlicher Auftraggeber" auf denselben Gedanken, Anliegen und Regelungszwecken beruhten (B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 1228 mit weiteren Hinweisen). 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 206 2.2. Die Beigeladene ist eine im Jahr 2004 durch die C. AG, die E.- Gruppe (Betriebsgesellschaft der Regionalspitäler F. und G.) und die H. AG gegründete Aktiengesellschaft mit Sitz in I. (seit 2011; zuvor in F. und J.). Weitere Aktionärin ist die K. AG. Gemäss Handelsregis- tereintrag bezweckt die Beigeladene seit Juni 2009 die "Erbringung von Dienstleistungen im IT-Bereich, insbesondere zu Gunsten der angeschlossenen Aktionäre und von weiteren Institutionen im Ge- sundheits- und Sozialbereich sowie Handel mit Software und Hard- ware; [...]". Der ursprüngliche Gesellschaftszweck war enger gefasst und sah insbesondere auch keinen Handel mit Software und Hard- ware vor. Bereits aus der Formulierung dieser Zweckbestimmung geht hervor, dass die Beigeladene nicht oder jedenfalls nicht mehr aus- schliesslich für die an ihr beteiligten Aktionäre, sondern auch für weitere öffentliche und private Institutionen im Gesundheits- und So- zialbereich tätig wird. Zudem betreibt sie gemäss ihrer Zweckbestim- mung uneingeschränkt Handel mit Hardware und Software. Die Dar- stellung der Kunden auf der Website der Beigeladenen zeigt, dass sich der Kundenkreis nicht auf ihre Aktionäre beschränkt, sondern wesentlich darüber hinausgeht. Weiter ist festzustellen, dass die Bei- geladene auch als Anbieterin an öffentlichen Submissionsverfahren teilnimmt. So gehört sie in einem vom Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB am 20. Oktober 2012 selektiv ausgeschriebenen Verfahren für eine IT-Beschaffung (IT Workplace Client und VDI) zu den zur Angebotsabgabe zugelassenen Anbietern. Dem neuesten Leistungsreport 2012 schliesslich ist u.a. zu entnehmen, dass ein strategisches Ziel für das Jahr 2012 die Erschliessung des Pflege- marktes gewesen sei und der Einstieg geglückt sei. Die B. AG habe sich innerhalb weniger Jahre zum grössten Anbieter von Informatik- dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen der Schweiz entwickelt. Die B. AG wolle auch im Jahr 2013 weiter wachsen. Sie wolle neue Kunden gewinnen und sich auf 2015 vorbereiten. Wenn die eHealth-Strategie des Bundes für alle Leistungserbringer ver- pflichtend werde, werde es neue Lösungen brauchen. Die B. AG wolle dann "als der beste IT-Dienstleister in der Pole-Position ste- 2013 Submissionen 207 hen!". 2013 gelte es Neukunden zu gewinnen. "Wir werden unsere Professional Services noch stärker am Markt positionieren und sind bereits daran, zwei Projekte mit Neukunden in diesem Bereich umzu- setzen". Davon, dass die Beigeladene in Konkurrenz mit privaten IT- Dienstleistungsanbietern steht, geht nicht zuletzt auch die C. AG (als eine der Gründerinnen und Aktionärin der Beigeladenen) aus, be- zeichnet sie die Beschwerdeführerin doch als "klarerweise eine Kon- kurrentin der B. AG". Vor diesem Hintergrund kann das Erfordernis der Wettbewerbs- neutralität der Tätigkeit der Beigeladenen entgegen ihrer Auffassung nicht als erfüllt angesehen werden. Sie erbringt ihre Dienstleistungen nicht nur gegenüber ihren eigenen Aktionären, sondern in einem er- heblichen Ausmass auch gegenüber Dritten, wo sie in direkter Kon- kurrenz mit privaten Marktteilnehmern steht. Sie nimmt selbst aktiv am Marktgeschehen teil, wie auch die Teilnahme am öffentlichen Submissionsverfahren des Universitäts-Kinderspitals beider Basel UKBB bestätigt. Nach den eigenen Bekundungen im aktuellen Ge- schäftsbericht ist sie die grösste Anbieterin von Informatikdienstleis- tungen im Gesundheits- und Sozialwesen und bestrebt, diese Position in den kommenden Jahren zu sichern und neue Kunden zu gewinnen. Das Tätigkeitserfordernis, bei dem es um den Wettbewerbsschutz geht, ist vorliegend somit klar nicht erfüllt. Die Beigeladene ist in ei- nem Ausmass und in einer Weise für nicht an ihr beteiligte Dritte (öffentliche und private Auftraggeber im Gesundheits- und Sozialbe- reich) kommerziell und in Konkurrenz zu den gewöhnlichen Marktteilnehmern tätig, die mit der geforderten Wettbewerbsneutrali- tät unvereinbar sind (vgl. dazu auch B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 1269 ff., insbesondere Rz. 1277 f.). Kontrollerfordernis und Tätigkeitserfordernis müssen beide, d.h. kumulativ, erfüllt sein. In- folgedessen kann es offen bleiben, ob das Kontrollerfordernis bei der Beigeladenen erfüllt wäre oder nicht. Das Tätigkeitserfordernis je- denfalls ist es nicht. 2.3. Die Beauftragung der Beigeladenen mit dem Output-Manage- ment gemäss dem im Jahr 2012 geschlossenen Einzelvertrag EV-C.- Output-Mgmt-2011-0001 lässt sich aufgrund der gegebenen Um- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 208 stände nicht als vergaberechtsfreie Quasi-in-house-Vergabe qualifi- zieren, sondern untersteht dem öffentlichen Vergaberecht (insbeson- dere dem Submissionsdekret) und hätte in einem entsprechenden Vergabeverfahren vergeben werden müssen. Mit anderen Worten ist der fragliche Vertrag in Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften abgeschlossen worden. Wie erwähnt anerkennt inzwischen auch die C. AG, dass ein Output-Management, wie es dem Einzelvertrag EV- C.-Output-Mgmt-2011-0001 zugrunde liegt, in einem submissions- rechtlich vorgeschriebenen Verfahren zu vergeben ist. 2.4. Die Submissionspflicht besteht jedoch nicht nur in Bezug auf das Output-Management gemäss Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt- 2011-0001, sondern darüber hinaus in Bezug auf sämtliche Leistun- gen, welche die C. AG heute aufgrund des Rahmenvertrags für IT- Dienstleistungen und der darauf basierenden Einzelverträge betref- fend Bereitstellung und Erneuerung Peripherie bzw. Support und Wartung Peripherie von der Beigeladenen bezieht. Offen bleiben kann, ob bereits diese Verträge seinerzeit in Missachtung des öffent- lichen Submissionsrechts abgeschlossen wurden oder ob zum dama- ligen Zeitpunkt noch von einer wettbewerbsneutralen, weitestgehend auf die Bedürfnisse der eigenen Aktionäre beschränkten Tätigkeit der kurz zuvor zu diesem Zweck gegründeten Beigeladenen auszugehen war. Jedenfalls heute kann aber auch diesbezüglich nicht mehr eine zulässige Quasi-in-house-Vergabe angenommen werden. Eine Neu- vergabe dieser Leistungen muss daher ebenfalls in einem Verfahren gemäss dem einschlägigen öffentlichen Submissionsrecht erfolgen. Dies gilt insbesondere auch für das "neu geplante Vertragswerk", das in Kap. 1 Abs. 4 des Einzelvertrags EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 angesprochen wird. Nachfolgend sind die aus der Submissionspflicht resultierenden Konsequenzen für die bestehenden Verträge der C. AG mit der Beigeladenen zu prüfen. 3. 3.1. Die Beschwerdeführerin verlangt, die C. AG sei zu verpflichten, die unter dem Rahmenvertrag vom 23. September 2005 bzw. unter 2013 Submissionen 209 den entsprechenden abgeschlossenen Einzelverträgen vergebenen IT- Dienstleistungen in einem öffentlichen Vergabeverfahren neu auszu- schreiben. Die C. AG ihrerseits hat sich bereit erklärt, ab 30. No- vember 2015 ein Output-Management, wie es dem Einzelvertrag vom 27. Februar 2012 zugrunde liegt, im submissionsrechtlich vor- geschriebenen Verfahren neu zu vergeben. Im Übrigen beruft sie sich wie auch die Beigeladene auf § 27 Abs. 2 SubmD. 3.2. Ist der Vertrag bereits abgeschlossen und erweist sich die Be- schwerde als begründet, so stellt die Beschwerdeinstanz gemäss § 27 Abs. 2 SubmD und Art. 18 Abs. 2 IVöB fest, dass die Verfügung rechtswidrig ist (vgl. auch Art. 9 Abs. 3 BGBM). Das SubmD legt in § 21 Abs. 1 bezüglich Vertragsschluss ausdrücklich Folgendes fest: "1 Der Vertrag mit den Anbietenden darf nach dem Zuschlag geschlossen wer- den, wenn: a) die Beschwerdefrist unbenutzt abgelaufen ist; b) im Fall einer Beschwerde feststeht, dass die Beschwerdeinstanz dieser keine aufschiebende Wirkung erteilt." Verfrüht (insbesondere während laufender Beschwerdefrist oder trotz hängigen Gesuchs um aufschiebende Wirkung) abgeschlossene Verträge werden von Lehre und Praxis teilweise als nichtig, ungültig oder unwirksam betrachtet (vgl. AGVE 2001, S. 311 ff.; M ARTIN B EYELER , Welches Schicksal dem vergaberechtswidrigen Vertrag?, in: AJP 2009, S. 1142 ff.; B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 2631 ff., 2635 ff.). Teilweise wird allerdings auch die Auffassung vertreten, der verfrühte Abschluss sei zwar vergaberechtswidrig, die Gültigkeit des Vertrags werde dadurch aber nicht tangiert (St. Gallische Ge- richts- und Verwaltungspraxis [GVP-SG] 2001, S. 70 ff. Nr. 22; Ur- teil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. August 2003 [B 2003/67], in: BR 2003, S. 160; vgl. auch die weiteren Hin- weise bei B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 2633). Im vorliegenden Fall ist für die fraglichen Verträge weder ein öffentliches Submissionsverfahren durchgeführt noch ein daraus resultierender Zuschlag verfügt worden. Vielmehr ist die Auftrags- vergabe der C. AG an die Beigeladene als Quasi-in-house-Vergabe unter Ausserachtlassung der Vorschriften des öffentlichen Beschaf- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 210 fungsrechts erfolgt. Dieses Vorgehen erweist sich wie dargelegt unter dem Blickwinkel des öffentlichen Submissionsrechts jedenfalls für den Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 als klar unzuläs- sig und rechtswidrig, vermag aber die Gültigkeit des mit der Beigela- denen abgeschlossenen Vertrags nicht in Frage zu stellen. Das Ver- waltungsgericht darf aufgrund der gerichtlichen Kompetenzordnung nicht in einen zivilrechtlichen Vertrag eingreifen und im Rahmen des Dispositivs Feststellungen oder Anordnungen betreffend den Status, die Geltung oder den Gehalt des Vertrags treffen. Hingegen ist es befugt, einem öffentlichen Auftraggeber im Hinblick auf die Durch- setzung des Vergaberechts Vorschriften über dessen vorvertragliches und vertragliches Verhalten zu machen, insbesondere dass er einen vergaberechtswidrigen Vertrag mit dem gegebenen vertragsrechtli- chen Instrumentarium über kurz oder lang aufzulösen hat (B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 2631 Fn. 2374 und die dort zitierte Recht- sprechung [insbesondere: Urteil des Verwaltungsgerichts des Kan- tons Waadt vom 6. November 2009 [GE.2007.0013], in: BR 2010, S. 86 S2; Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Appenzell Innerrhoden vom 4. Mai 2010 [V 6-2010], Erw. III/7], Rz. 2637 ff., 2649 ff., 2653). Damit kann die vergaberechtlich geforderte Lage der Dinge zumindest pro futuro wiederhergestellt werden (B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 2650). 3.3. Der Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 betreffend "Output Management" ist am 27. Februar bzw. 7. März 2012 unter- zeichnet worden und gemäss Kap. 7 Abs. 1 rückwirkend auf den 1. Dezember 2011 in Kraft getreten. Er wurde für vier Jahre abge- schlossen und kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten jeweils auf Monatsende, erstmals per 30. November 2015 gekündigt werden (Kap. 7 Abs. 2). Erfolgt keine Kündigung, erneuert sich der Vertrag stillschweigend um ein weiteres Jahr (Kap. 7 Abs. 3). Mithin handelt es sich um einen unbefristeten Dauervertrag. Eine ordentliche Auflösung des fraglichen Einzelvertrages durch die C. AG ist somit auf Ende November 2015 durch Kündi- gung möglich. Die Beschwerdeführerin wirft die Frage nach einer 2013 Submissionen 211 Auflösung ex nunc auf, da der Vertrag in Umgehung des Vergabe- rechts und in dem Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben widersprechender Art und Weise zustande gekommen sei. Zudem sei davon auszugehen, dass es sich beim fraglichen Einzelvertrag ledig- lich um einen Erneuerungs- bzw. einen Verlängerungsvertrag eines seit Jahren bestehenden Vertragsverhältnisses handle. Aus dem Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 be- treffend "Output Management", der konkret die "Lieferung, den Be- trieb, die Wartung und das Monitoring von D. Print- und MFP Syste- men", welche beim C. am Einsatzort installiert sind oder während der Dauer des Vertrags installiert werden, zum Gegenstand hat, wird nicht ersichtlich, ob damit lediglich ein früherer Vertrag verlängert oder erneuert werden soll. Immerhin umfassen die beiden auf den 1. Januar 2005 in Kraft gesetzten Einzelverträge betreffend Bereit- stellung und Erneuerung Peripherie bzw. Support und Wartung Peri- pherie mit den Peripheriegeräten auch die diversen im C. im Einsatz stehenden Drucker und Scanner. Insofern erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Einzelvertrag EV-C.-Output-Mgmt- 2011-0001 zumindest teilweise ein bestehendes Vertragsverhältnis erneuert bzw. verlängert. Darauf weist auch der Umstand hin, dass die Beigeladene den Gegenstand des fraglichen Einzelvertrags bil- denden Druckerpark offenbar bereits im Jahr 2009/2010 bei der D. AG beschafft hat. All dies ändert an der zivilrechtlichen Gültigkeit des fraglichen Einzelvertrags indessen nichts. Nicht ohne Weiteres gefolgt werden kann der Vermutung der Beschwerdeführerin, der Vertrag sei im Februar 2012 ohne Not und wider Treu und Glauben hauptsächlich zwecks Verlängerung des Be- standesschutzes von § 27 Abs. 2 SubmD sowie zur Umgehung einer öffentlichen Ausschreibung abgeschlossen worden. Die in den Ver- trag integrierte Versionskontrolle zeigt auf, dass jedenfalls das initi- ale Dokument des Vertrags vom 6. Mai 2011 (Version 0.1) stammt. Die Absicht, mit der Beigeladenen einen Vertrag betreffend Output- Management abzuschliessen, bestand somit bereits zu einem Zeit- punkt, der deutlich vor den Interessenbekundungen der Beschwerde- führerin im November 2011 liegt. Letztlich kann vorliegend keines- wegs ausgeschlossen werden, dass die C. AG in gutem Glauben an 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 212 die Rechtmässigkeit ihres Handelns auf eine Ausschreibung der IT- Dienstleistungen, insbesondere des Output-Managements, verzichtet hat (vgl. auch BR 2010, S. 86). Von einer Verpflichtung der C. AG zu einer vorzeitigen bzw. ausserordentlichen Vertragsauflösung des mit der Beigeladenen ge- schlossenen Einzelvertrags EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 ist des- halb abzusehen, weshalb offen bleiben kann, ob das Verwaltungsge- richt eine solche überhaupt anordnen könnte. Hingegen ist die C. AG zu verpflichten, diesen Vertrag auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, das heisst auf den 30. November 2015, zu kündigen und für die betreffenden Leistungen (Output-Management) rechtzeitig, das heisst bis spätestens zum 31. Mai 2015, ein submissionsrechtskonformes Vergabeverfahren einzuleiten und durchzuführen. 3.4. Der Rahmenvertrag und die beiden Einzelverträge betreffend Bereitstellung und Erneuerung Peripherie bzw. Support und Wartung Peripherie wurden alle am 23. September 2005 unterzeichnet und tra- ten rückwirkend auf den 1. Januar 2005 in Kraft. In ihnen vorgese- hen ist eine minimale Vertragsdauer von vier Jahren; ohne Kündi- gung verlängert sich die Vertragsdauer um jeweils 12 Monate. Auch hier handelt es sich somit im Ergebnis um unbefristete Dauerver- träge. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind diese Verträge mit der Beigeladenen offensichtlich jeweils stillschweigend verlängert wor- den. Einer neuerlichen Verlängerung dieser mittlerweile rund acht Jahre andauernden Vertragsverhältnisse mit der Beigeladenen steht indessen die nun festgestellte Submissionspflicht in Bezug auf die fraglichen Leistungen (vgl. oben Erw. 2.4.) entgegen. Diesbezüglich ist weiter auch zu beachten, dass das Submissionsdekret (wie auch die IVöB) zwar - anders als beispielsweise Art. 15a der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 11. Dezember 1995 (VöB; SR 172.056.11) für das Bundesvergaberecht - keine Bestim- mung bezüglich der Maximaldauer von Dauerverträgen bzw. von Verträgen mit wiederkehrenden Leistungen enthält. Dies bedeutet aber nicht, dass die öffentlichen Auftraggeber solche Verträge auf un- bestimmte Dauer abschliessen und beliebig verlängern könnten. Das Verwaltungsgericht hat bereits in einem Entscheid aus dem Jah- 2013 Submissionen 213 re 1999 festgestellt, es könne nicht im Belieben der Vergabestelle lie- gen, das Vertragsverhältnis mit einem einzelnen Anbieter auf unbe- stimmte Zeit fortzusetzen und damit jede weitere Vergabe auszu- schliessen (AGVE 1999, S. 302, 309). Art. 15a VöB beschränkt die Vertragsdauer bei wiederkehrenden Leistungen auf grundsätzlich höchstens fünf Jahre. Nur in begründeten Fällen kann eine längere Vertragsdauer oder eine massvolle Verlängerung vereinbart werden (vgl. dazu B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 2567). Die zulässige Höchstdauer hat sich am Inhalt des Geschäfts, insbesondere dessen wirtschaftlichen Erfordernissen und Zwecksetzungen zu orientieren (B EYELER , Geltungsanspruch, Rz. 904). Vorliegend gehen die Vertragsparteien selbst bei allen vier abgeschlossenen Verträgen von einer ordentlichen Vertragsdauer von vier Jahren aus, lassen hinge- gen - zeitlich uneingeschränkt - eine stillschweigende Verlängerung um ein weiteres Jahr zu. Letzteres ist vergaberechtlich klarerweise unzulässig. Die vertraglich vereinbarte Dauer von vier Jahren der Verträge aus dem Jahr 2005 hat sich zwischenzeitlich stillschweigend auf mehr als das Doppelte verlängert. Aufgrund des Gesagten ist die C. AG zur submissionsrechts- konformen Neuvergabe auch der mit der Beigeladenen abgeschlosse- nen Verträge betreffend IT-Dienstleistungen aus dem Jahr 2005 verpflichtet. Diese Verträge dürfen nicht bzw. nur noch insoweit ver- längert werden, als dies für die Einleitung und Durchführung einer submissionsrechtskonformen Neuausschreibung der Leistungen er- forderlich ist. Es ist davon auszugehen, dass die bestehenden Verträ- ge derzeit stillschweigend bis zum 31. Dezember 2013 verlängert worden sind. Angemessen erscheint eine zusätzliche Verlängerung bis zum 30. Juni 2014. Das korrespondiert mit der ordentlichen Kün- digungsfrist von sechs Monaten. 3.5. (...) 4. Die Beschwerdeführerin beantragt, es sei die C. AG zur Leis- tung von Schadenersatz für die der Beschwerdeführerin im Zusam- menhang mit dem Rechtsmittelverfahren erwachsenen Aufwendun- gen zu verpflichten. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 214 Gemäss § 38 Abs. 3 SubmD ist das Schadenersatzbegehren in- nert Jahresfrist, nachdem die Rechtswidrigkeit in einem Beschwerde- entscheid festgestellt worden ist, bei der Beschwerdeinstanz einzurei- chen. Das Verwaltungsgericht entscheidet über solche Begehren im Klageverfahren nach den §§ 60 ff. VRPG (AGVE 2003, S. 266 ff.; 2009, S. 210 ff.). Schadenersatz kann verlangen, wer durch eine rechtswidrige Verfügung der Vergabestelle einen Schaden erlitten hat. Die Rechtswidrigkeit muss zudem in einem Beschwerdeent- scheid vorgängig festgestellt worden sein (AGVE 2003, S. 269). Im vorliegenden Fall liegt noch kein rechtskräftiger Feststellungsent- scheid vor; infolgedessen ist das Schadenersatzbegehren verfrüht und es kann nicht darauf eingetreten werden. 5. Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde insoweit als be- gründet, als die Beschwerdeführerin die Feststellung der Rechtswid- rigkeit der Vergabe des "Output Managements" an die Beigeladene geltend macht sowie die Neuausschreibung des Rahmensvertrags und der auf ihm basierenden drei Einzelverträge begehrt. In diesem Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen. Die C. AG ist verbindlich zur Nichtverlängerung der Verträge mit der Beigeladenen aus dem Jahr 2005 und zur frühestmöglichen ordentlichen Auflösung des Einzelvertrags EV-C.-Output-Mgmt-2011-0001 mit der Beigelade- nen zu verpflichten. Ebenfalls ist sie zur Durchführung der erforder- lichen vergaberechtskonformen Neuausschreibungen der betreffen- den Leistungen anzuhalten. Nicht einzutreten ist auf das Schadenersatzbegehren der Be- schwerdeführerin. (Hinweis: Das Bundesgericht hat Rechtsmittel gegen diesen Entscheid abgewiesen bzw. ist nicht darauf eingetreten; Urteil vom 28. Oktober 2013 [2C_770/2013])
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2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 195 VI. Fürsorgerische Freiheitsentziehung 35 Probeweise Entlassung mit Auflagen. Unzulässigkeit einer probeweisen Entlassung mit Weisungen, wenn sich bei einer Einweisung zur Untersuchung herausstellt, dass die Vorausset- zungen für eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung nie erfüllt waren. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 9. November 2010 in Sachen M.H. gegen den Entscheid des Bezirksamtes X. (WBE.2010.305). Kurzbegründung 1. 1.1 Mit Verfügung vom 10. September 2010 wies das Bezirksamt X. den Beschwerdeführer zur Untersuchung gemäss § 67d EG ZGB in die Klinik Y. ein. 1.2 Eine Anstaltseinweisung zur Untersuchung ist dann angezeigt und zulässig, wenn die Einweisungsbehörde ernsthaften Anlass hat, eine definitive fürsorgerische Freiheitsentziehung (zur Behandlung) für angezeigt zu halten, über einzelne Einweisungsvoraussetzungen aber noch Ungewissheit besteht, die sie weder durch eigene Abklä- rung noch durch Anordnung einer ambulanten Untersuchung behe- ben kann. Der Abklärungsauftrag ist genau zu benennen und die Einweisung zur Untersuchung ist zu befristen. Die stationäre Unter- suchung ist so schnell wie möglich abzuschliessen (§ 67d Abs. 3 EG ZGB). Die Klinik hat die gestellten Fragen (z.B. nach dem Vorliegen einer Geisteskrankheit) der Einweisungsbehörde zu beant- worten, worauf diese entscheiden muss, ob eine definitive Ein- weisung zur Behandlung (in diesem Fall ist eine neue Verfügung zu 2010 Verwaltungsgericht 196 erlassen) oder eine Entlassung erfolgt (§ 67d Abs. 1 und 2 EG ZGB; zu den Voraussetzungen einer Einweisung zur Untersuchung vgl. AGVE 2003, S. 138 m.H. [Erw. 1b]). 1.3 An der rechtlichen Qualifikation "Einweisung zur Unter- suchung" ändert auch nichts, dass das Bezirksamt X. in Ziffer 1 der erwähnten Verfügung vom 10. September 2010 schrieb, der Be- schwerdeführer werde ''zur Behandlung und Abklärung" in die Kli- nik Y. eingewiesen. Aus der Begründung und insbesondere aus dem Fragenkatalog gemäss Ziffer 2 der Verfügung ergibt sich eindeutig, dass unklar war, ob die Voraussetzungen für eine fürsorgerische Freiheitsentziehung erfüllt waren, insbesondere, ob beim Beschwer- deführer überhaupt eine behandlungsbedürftige Geisteskrankheit oder Geistesschwäche vorlag. 1.4 Mit Bericht vom 21. September 2010 beantwortete die Klinik Y. dem Bezirksamt X. die gestellten Fragen. Daraus ergab sich eindeu- tig, dass kein Grund für eine medikamentöse Behandlung und schon gar nicht für eine stationäre psychiatrische Behandlung des Be- schwerdeführers bestand, weshalb dieser am 24. September 2010 aus der Klinik entlassen wurde. Empfohlen wurde durch die Klinik eine ambulante Gesprächstherapie. 2. 2.1 Am 28. September 2010 verfügte das Bezirksamt X., der Be- schwerdeführer werde per fürsorgerischer Freiheitsentziehung ver- pflichtet, für die Dauer von drei Monaten stützende Gespräche beim Externen Psychiatrischen Dienst (EPD) Z. zu besuchen. 2.2 Mittels fürsorgerischer Freiheitsentziehung wird eine psychisch kranke Person zur Behandlung in eine geeignete Anstalt eingewie- sen. Es geht nicht an, jemanden per "fürsorgerischer Freiheitsentzie- hung" zu einer ambulanten Therapie zu verpflichten. Rechtlich kann die Verfügung des Bezirksamts X. höchstens als eine Entlassung mit Weisungen interpretiert werden. Gemäss § 67h EG ZGB kann die probeweise Entlassung, nötigenfalls mit Weisungen, erfolgen, sofern 2010 FürsorgerischeFreiheitsentziehung 197 die Voraussetzunge für eine Entlassung nicht in allen Teilen erfüllt sind. 2.3. Im vorliegenden Fall erfolgte lediglich eine Klinikeinweisung zur Klärung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine fürsorgeri- sche Freiheitsentziehung überhaupt erfüllt seien. In der Klinik zeigte sich, dass dies gerade nicht der Fall war, worauf der Beschwerdefüh- rer entlassen wurde. Bei dieser Ausgangslage sind die Voraussetzun- gen für eine Entlassung mit Weisungen nicht erfüllt, da bereits die Voraussetzungen für eine definitive fürsorgerische Freiheitsentzie- hung nie erfüllt waren, und daher auch nicht davon gesprochen wer- den kann, die Voraussetzungen für eine Entlassung seien am 24. bzw. am 28. September 2010 nicht in allen Teilen erfüllt gewesen. 2.4 Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben und es bleibt bei der Empfehlung an den Beschwerdeführer, die Gesprächstherapie freiwillig durchzuführen.
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2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 159 V. Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 33 Lichtimmissionen Immissionsrechtliche Beurteilung einer privaten Weihnachts- und Ganz- jahresbeleuchtung Urteil des Verwaltungsgerichts, 3. Kammer, vom 18. Dezember 2012 in Sa- chen A. und B. gegen C. und D. und Gemeinderat E. sowie Departement Bau, Verkehr und Umwelt (WBE.2012.187). Aus den Erwägungen 1. 1.1. Umstritten ist die von den Beschwerdeführern auf ihrer Liegen- schaft (...) betriebene Weihnachts- und Ganzjahresbeleuchtung, durch welche sich die vis--vis wohnenden Beschwerdegegner (...) gestört fühlen. 1.2. 1.2.1. Die Beschwerdeführer feiern die weihnachtliche Zeit nach am- brosianischem Ritus, d.h. vom 11. November (Martinstag) bis zum 2. Februar (Maria Lichtmess). Während dieser Zeit schmücken sie ihr Haus und den Garten recht ausgiebig. Es wird Lichtschmuck an Aussenfassade, Carport und im Garten angebracht, so z.B. beleuch- tete Sterne, Weihnachtsmänner, Lichtergirlanden und sonstige Zier- beleuchtungen. Ebenso werden die Fenster von innen her beleuchtet, sodass Licht nach Aussen zündet. Die Weihnachtsbeleuchtung 2011 bestand aus folgenden beleuchteten Objekten (Bäume und Sträucher mit Girlanden): 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 160 Südseite: Garten: 5 Sterne im japanischen Kirschbaum; Weihnachtsmänner und Gir- lande am Balkon; 1 Tannäste-Girlande am Balkon; 1 kleiner Ahorn-Kugel- Baum; 1 mittelgrosser Feigenstrauch, 1 kleiner Busch im Topf; 1 mittelgrosser Weihnachtsbaum Carport: Diverse Zierbeleuchtungen hinter geschlossenem Vorhang Carportdach: Girlande entlang des Dachs; Sträucher Fenster (Innenbeleuchtung): 1 Fenster im EG; Wintergarten (EG) mit 5 Sternen; 1 Fenster im 1. OG; 1 Balkonfenster mit Türe im 1. OG Dach: 2 Dachfenster (Velux) Südostseite: Palme (Stamm) Ostseite: Fenster: 1 Fenster im EG; 1 Fenster im 1. OG; 1 Fenster im 2. OG Garten: 1 Feigenbaum; 1 kleine Palme (Stamm); 1 Eibenbusch; Geländer zur Kellertreppe; 1 Platane; Gewächshaus Nach Angaben der Beschwerdeführer sei die (aktuelle) Weih- nachtsbeleuchtung 2012 im Vergleich zu derjenigen vor einem Jahr ein wenig anders, jedoch vergleichbar. Bezüglich der Helligkeit sei es nicht anders. 1.2.2. Nach der Weihnachtszeit wird für das Jahr hindurch eine redu- zierte Beleuchtung installiert (sog. Ganzjahresbeleuchtung). Gemäss Angaben der Beschwerdeführer würden bei der Ganz- jahresbeleuchtung gewisse Sachen (der Weihnachtsbeleuchtung) bleiben und gewisse Zierbeleuchtungen wegfallen oder durch andere 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 161 Objekte ersetzt. Teilweise würden die Bäume nicht mehr beleuchtet. Die Palme (Stamm) auf der Südostecke bleibe weiterhin beleuchtet. Die Fenster seien nicht mehr mit Weihnachtskränzen beleuchtet. In einzelnen Fenstern stünden dann jeweils kleine Lampen mit einer 40 Watt Birne. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Ganz- jahresbeleuchtung als "aus einigen Lichtergirlanden, Spotlampen (zur Beleuchtung der Hausfassaden), einzelnen beleuchteten Sträu- chern, der Beleuchtung des Carports inkl. Eingangsbereich und des Kellerzugangs (Sicherheit) sowie des Sitzplatzes im Norden (für die Beschwerdegegner nicht einsehbar)" bestehend beschrieben. Am ver- waltungsgerichtlichen Augenschein bestätigten die Beschwerdefüh- rer, dass die Ganzjahresbeleuchtung vereinzelt aus Komponenten der Weihnachtsbeleuchtung sowie aus Strahlern/Spots bestehe. So wür- den beispielsweise einzelne Lichterketten, wie diejenige beim Car- port, bleiben. Die leuchtenden Weihnachtssterne in den Fenstern würden entfernt; in den Fenstern stünden dann kleine Tischlämp- chen. Mit den Spots würden von allen Seiten die Fassaden beleuch- tet: Hinten (Fassade Nord) habe es drei Spots, auf der Seite (Fassade Ost) drei Spots, vorne (Fassade Süd) zwei Spots und auf der Seite (Fassade West) einen Spot. Vor Vorinstanz äusserten die Beschwerdeführer, ausserhalb der Weihnachtszeit sei nur noch von dem was man heute sehe einge- schaltet (also weniger als während der Weihnachtszeit). Die Be- schwerdegegner vertreten demgegenüber die Auffassung, es sei um- gekehrt; das Mass werde nicht um reduziert, sondern vielleicht um . 1.3. Die Steuerung der Beleuchtung erfolgt über Zeitschaltuhren: Zur Weihnachtszeit schalte die Beleuchtung zwischen ca. 16.30 und 17.00 Uhr (gestaffelt) ein; die Beleuchtung lösche jeweils zwischen ca. 00.30 und 01.00 Uhr. Ausserhalb der Weihnachtszeit schalte die Beleuchtung jeweils mit dem Eindunkeln entsprechend der Jahreszeit ein. 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 162 2. (...) 3. 3.1. Das Umweltschutzgesetz sieht in seinem Zweckartikel u.a. den Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen, ihrer Lebensgemein- schaften und Lebensräume vor schädlichen und lästigen Einwirkun- gen vor (Art. 1 Abs. 1 USG). Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden können, sind im Sinne der Vorsorge frühzeitig zu begrenzen (Art. 1 Abs. 2 USG). Als Einwirkungen gelten nach Art. 7 Abs. 1 USG "Strahlen"; dazu gehört auch künstlich erzeugtes Licht (Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 3; Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.1; H ELEN K ELLER , in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Auflage, N 10 zu Art. 7). Nach Art. 11 USG werden Emissionen durch Massnahmen bei der Quelle begrenzt (Abs. 1). Dabei sind Emissionen - unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung - im Rahmen der Vorsorge so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftliche tragbar ist (Abs. 2; sog. Vorsorgeprinzip; vgl. auch Art. 1 Abs. 2 USG). Die Emissionsbegrenzungen werden verschärft, wenn feststeht oder zu erwarten ist, dass die Einwirkungen unter Be- rücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung schädlich oder läs- tig werden (Abs. 3). Das USG basiert also mit anderen Worten auf einem zweistufigen Immissionsschutzkonzept: In einer ersten Stufe sollen Emissionen unabhängig von der bestehenden Umweltbelas- tung - also auch dann, wenn die Grenze zur Schädlichkeit oder Lästigkeit noch nicht erreicht ist - im Rahmen der Vorsorge begrenzt werden, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Steht fest oder ist zu erwarten, dass die Einwirkungen un- ter Berücksichtigung der bestehenden Umweltbelastung schädlich oder lästig werden (bzw. dies bereits sind) und dass die Massnahmen der ersten Stufe nicht ausreichen, um die übermässige Gesamtbelas- tung zu verhindern bzw. unter die kritische Schwelle zurückzuführen, so sind die Emissionsbegrenzungen in einer zweiten Massnahme- stufe zusätzlich so weit zu verschärfen, bis die (drohende) Gesamtbe- lastung nicht mehr schädlich oder lästig ist (A LAIN G RIFFEL , Die 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 163 Grundprinzipien des schweizerischen Umweltrechts, Zürich 2001, S. 72). 3.2. Zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung wurde auf Bundesebene die entsprechende Verordnung vom 23. Dezember 1999 (NISV; SR 814.710) erlassen. Diese betrifft jedoch nur Emis- sionen von elektrischen oder magnetischen Feldern im Frequenz- bereich von 0 bis 300 Gigahertz, und damit nicht das sichtbare Licht (Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 3.1; Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.1). Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL; heute Bundesamt für Umwelt [BAFU]) hat 2005 Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen herausge- geben. Diese zeigen auf, wie sich unnötige Lichtemissionen durch eine nachhaltige Lichtnutzung in Aussenräumen vermeiden lassen. Die Empfehlungen verstehen sich als "Leitlinie", enthalten aber kei- ne konkret anwendbaren Normen (Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 3.1 mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.2). Das kantonale Recht äussert sich insbesondere in § 27 des EG UWR zu Lichtemissionen. Weihnachtsbeleuchtungen ohne Scheinwerfer fallen gemäss der Botschaft zum EG UWR jedoch nicht unter diesen Paragraphen (Botschaft des Regierungsrats an den Grossen Rat vom 17. Januar 2007, 07.17, Einführungsgesetz zur Bundesgesetzgebung über den Schutz von Umwelt und Gewässer, Bericht und Entwurf zur 1. Beratung [Botschaft zum EG UWR], S. 30); von einer Installation, die Licht- oder Lasereffekte erzeugte oder ähnlicher künstlicher, himmelwärts gerichteter Lichtquellen im Sinne von Abs. 2 und 3 der Bestimmung kann zudem nicht ausge- gangen werden. Auf kommunaler Ebene verweist § 8 des Polizeireglements der Gemeinden im Einzugsgebiet der Regionalpolizei F. (Stand 13. De- zember 2006) (Polizeireglement) in Abs. 1 bezüglich Immissionen auf die Vorschriften der Umweltschutzgesetzgebung. Dieser Bestim- mung kommt somit keine selbstständige Bedeutung zu. Ferner ent- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 164 hält das Polizeireglement - abgesehen von der Bewilligungspflicht der Benutzung von Himmelsstrahlern und ähnlichen Geräten auf öffentlichem Grund (vgl. § 9 Abs. 5 Polizeireglement) - auch keine weiteren Bestimmungen zu Lichtimmissionen. Keiner selbstständi- gen Bedeutung kommt auch § 60 der Bau- und Nutzungsordnung der Gemeinde E. vom 20. Oktober 2010 / 23. Februar 2011 (BNO) zu. Bezüglich Lichtimmissionen geht diese Bestimmung nicht über das USG hinaus; der Gemeinderat macht solches auch nicht geltend. 3.3. Bestehen somit keine verbindlichen Regelungen für den Schutz vor sichtbarem Licht, müssen die rechtsanwendenden Behörden in Beachtung von Art. 12 Abs. 2 USG die Lichtimmissionen im Einzel- fall beurteilen, unmittelbar gestützt auf die Art. 11-14 USG sowie Art. 16-18 USG (Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.1; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Sep- tember 2010 [1C_216/20010], Erw. 3.2). Dabei sind auf Einwir- kungen von sichtbaren Strahlen u.a. die allgemeinen Regeln von Art. 14 USG betreffend die Luftverunreinigung anzuwenden (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Mai 2007 [VGE 22755U], in: URP 2007, S. 865; Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.1). Bei der Beurtei- lung des Einzelfalls ist nicht auf das subjektive Empfinden einzelner Personen abzustellen, sondern eine objektivierte Betrachtung vorzu- nehmen, unter Berücksichtigung auch von Personen mit erhöhter Empfindlichkeit (Art. 13 Abs. 2 USG). Hierfür kann sich die Voll- zugsbehörde auf Angaben von Experten und Fachstellen abstützen; als Entscheidungshilfe können auch fachlich genügend abgestützte ausländische bzw. private Richtlinien herangezogen werden, sofern die Kriterien, auf welchen diese Unterlagen beruhen, mit denjenigen des schweizerischen Umweltrechts vereinbar sind (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 3.2; Urteil des Bundesgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.4; vgl. auch BGE 133 II 297). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung können (gemäss BAFU) für die Beurteilung von Lichteinwirkungen die "Hinweise zur Messung und Beurteilung von Lichtimmissionen" des deutschen Länderausschusses für Immis- 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 165 sionsschutz aus dem Jahre 2000 (LAI 2000) und die Richtlinie 150 der Commission International de l'Eclairage von 2003 (CIE 150:2003) herangezogen werden (Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/20010], Erw. 3.2; Urteil des Bun- desgerichts vom 13. Oktober 2009 [1C_105/2009], Erw. 3.4). Eine Möglichkeit für die Beurteilung der in den einzelnen Nut- zungszonen zulässigen Lichtimmissionen ist die analoge Anwendung der von der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) festgelegten Immissionsgrenzwerte (vgl. Urteil des Ver- waltungsgerichts des Kantons Bern vom 30. Mai 2007 [VGE 22755U], in URP 2007, S. 865 f. sowie Baurecht [BR] 1/2008 Nr. 88; siehe auch Entscheid der Baurekurskommission Zürich vom 8. August 2008 [BRKE I Nr. 0184/2008], in: BEZ 2009 Nr. 19, S. 74 ff., insbesondere S. 78, sowie BR 3/2009 Nr. 305). 4. Die Beschwerdeführer verlangen vorab ein Gutachten mit Mes- sungen über die Intensität der Zierbeleuchtung. Das Verwaltungsgericht hat - wie bereits die Vorinstanz - einen Augenschein bei Dunkelheit durchgeführt, um sich von der Beleuch- tung und den örtlichen Gegebenheiten einen Eindruck zu verschaf- fen. Dabei konnte das Gericht u.a. auch das Ausmass der Beein- trächtigungen in der Liegenschaft der Beschwerdegegner (insbeson- dere im Schlafzimmer) nachvollziehen. Anlässlich des Augenscheins (11. Dezember 2012) war die aktuelle Weihnachtsbeleuchtung in- stalliert. Gestützt auf den Augenschein sowie die Akten, welche ins- besondere auch diverse Fotos aus Vorjahren enthalten, ist das Verwaltungsgericht ohne weiteres in der Lage, den Fall nach rich- terlicher Erfahrung beurteilen zu können. Dies auch hinsichtlich der Ganzjahresbeleuchtung. Diese wurde von den Beschwerdeführern - trotz vorgängigem Ersuchen des Gerichts - am Augenschein zwar nicht präsentiert, der reduzierte Umfang dieser Beleuchtung ist auf- grund der Akten inkl. der Darlegungen der Beschwerdeführer (vgl. Erw. 1.2.2.) sowie der am Augenschein gewonnenen Erkenntnisse indessen genügend klar. Auch wenn ausserhalb der Weihnachtszeit weniger eingeschaltet ist, wie die Beschwerdeführer vorbringen, er- scheint es ebenso plausibel, dass die Beschwerdegegner das Mass der 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 166 Reduktion in einem geringfügigeren Ausmass wahrnehmen, zumal beispielsweise die Fassaden des Hauses bei der Ganzjahresbeleuch- tung mit Spots/Strahlern angeleuchtet bzw. beleuchtet werden, was bei der Weihnachtsbeleuchtung nicht der Fall ist. Demgemäss kann auf die Anordnung eines Gutachtens sowie auf weitere Beweisab- nahmen verzichtet werden. In dem Sinne kann auch der Vorinstanz nicht vorgeworfen wer- den, den Sachverhalt ungenügend ermittelt zu haben. 5. 5.1. Emissionsbegrenzende Schutzmassnahmen nach Art. 12 Abs. 2 USG sind nicht erst dann zu ergreifen, wenn die Umweltbelastung schädlich oder lästig wird (vgl. Art. 11 Abs. 3 USG), sondern es müs- sen gestützt auf das Vorsorgeprinzip (vgl. Art. 11 Abs. 2 USG) die unnötigen Emissionen vermieden werden (BGE 133 II 175; 126 II 368). Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass sämtliche im strengen Sinne unnötigen Emissionen untersagt werden müssten; so gibt es beispielsweise keinen Anspruch auf völlige Ruhe oder darauf, dass eine Anlage völlig geruchsfrei funktionieren müsste (BGE 133 II 175 mit Hinweisen). In der bisherigen Rechtsprechung wurde diesbezüglich der Satz verwendet, das Vorsorgeprinzip finde in umweltrechtlichen Bagatell- fällen keine Anwendung (BGE 133 II 175 f.; 124 II 233). In BGE 133 II 176 präzisierte das Bundesgericht, dass eine solche Aus- sage indessen zu kurz greife. Daraus könnte abgeleitet werden, bei niedrigen Emissionswerten müssten Massnahmen der Vorsorge von vornherein weder geprüft noch ergriffen werden. Richtig besehen müsse das Verhältnismässigkeitsprinzip als Verfassungsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) auch bei niedrigen Emissionswerten zur Anwen- dung gelangen. Es habe aber dort zur Folge, dass sich besondere An- ordnungen im Sinne der Vorsorge in der Regel nicht rechtfertigten. In diesem Sinne sei zu präzisieren: Sofern sich geringfügige Emissio- nen mit kleinem Aufwand erheblich verringern liessen, so dürfte es grundsätzlich verhältnismässig sein, entsprechende Massnahmen zu verlangen. Wenn sich eine Reduktion bei derartigen Emissionen hingegen als unverhältnismässig oder sogar als unmöglich erweise, 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 167 so sei dahingehend zu entscheiden, dass solche Immissionen von den Betroffenen hinzunehmen seien (BGE 133 II 176; Urteil des Bun- desgerichts vom 21. Juli 2008 [1C_311/2007], Erw. 3.2; zu- stimmend: A LAIN G RIFFEL /H ERIBERT R AUSCH , in: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, Ergänzungsband zur 2. Auflage, Zürich/Ba- sel/Genf 2011, Art. 11 N 14; etwas anders nun wieder: Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 5; Urteil des Bundesgerichts vom 3. Februar 2010 [1C_162/2009], Erw. 3). 5.2. Unstrittig ist, dass eine übliche Weihnachtsbeleuchtung von Wohnhäusern während der Advents- und Weihnachtszeit verbreitet ist und zum kulturbedingten Erscheinungsbild von Gebäuden gehört. Solche Beleuchtungen und auch zurückhaltende Zierbeleuchtungen ausserhalb der Weihnachtszeit strahlen nicht so hell, dass ein Ver- stoss gegen Immissionsvorschriften zu befürchten wäre. Die vorlie- gende Beleuchtung, sowohl in der Form der Weihnachtsbeleuchtung als auch in derjenigen der Ganzjahresbeleuchtung, geht jedoch über ein übliches Mass hinaus, wie sich dem Verwaltungsgericht anläss- lich des Augenscheins klarerweise zeigte und sich auch aus den Ak- ten ergibt. Die Weihnachtsbeleuchtung (vgl. Erw. 1.2.1.) ist üppig und die reduzierte Ganzjahresbeleuchtung beinhaltet (trotz Reduk- tion) noch immer eine Vielzahl von Zierbeleuchtungen inkl. Licht- quellen wie z.B. Spots/Strahler, mit denen die Hausfassaden be- leuchtet werden (vgl. Erw. 1.2.2.). Das Schlafzimmerfenster der Beschwerdegegner (Oberge- schoss) befindet sich vis--vis der beleuchteten Liegenschaft der Be- schwerdeführer, wobei zwischen den Grundstücken einzig die G.strasse liegt. Der Strassenraum zwischen den beiden Liegenschaf- ten wird vor allem durch die Strassenlampe vor dem Haus der Be- schwerdegegner erhellt. Aufgrund des am Augenschein gewonnenen Eindrucks ist auch die Erhellung im Schlafzimmer der Beschwerde- gegner wesentlich auf diese Strassenlampe (bzw. deren von der Strasse reflektierenden Licht) zurückzuführen. Trotz dieses Um- stands kann die vorliegend über das übliche Mass hinausgehende Weihnachts- und Ganzjahresbeleuchtung nicht als umweltrechtlicher 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 168 Bagatellfall eingestuft werden. Im Zweifelsfall ist die Schwelle zum Vorsorgebereich eher tief anzusetzen. Die Beschwerdeführer wohnen nur wenige Meter entfernt. Aus ihrem Schlafzimmer im Oberge- schoss sehen sie direkt auf die beleuchtete Liegenschaft. Zwar kann während der Vegetationszeit davon ausgegangen werden, dass ein Teil der Lichter verdeckt wird, die Beschwerdeführer beleuchten im Rahmen der Ganzjahresbeleuchtung jedoch mit Spots/Strahlern auch die Hausfassaden, Zierbeleuchtung leuchtet auch aus den Fenstern und vom Carport. Von der Beleuchtung sind die Beschwerdegegner daher - selbst in der Vegetationszeit - ohne weiteres in besonderer Weise, mehr als jedermann, betroffen. Dies führt dazu, dass emissi- onsmindernde Massnahmen und deren Verhältnismässigkeit (im Sin- ne von BGE 133 II 176) zu prüfen sind (vgl. Urteil des Bundesge- richts vom 28. September 2010 [1C_216/2010], Erw. 5). Wie dargelegt gelangt das Vorsorgeprinzip nach der publizierten präzisierten Rechtsprechung des Bundesgerichts ohnehin auch bei geringen Emissionen zur Anwendung, wobei der Grundsatz der Ver- hältnismässigkeit in solchen Fällen regelmässig zur Folge hat, dass sich besondere Anordnungen nicht rechtfertigen (vgl. Erw. 5.1.; BGE 133 II 176; A LAIN G RIFFEL /H ERIBERT R AUSCH , a.a.O., Art. 11 N 14). In der Lehre wird aus diesem Grund auch davon gesprochen, dass es keine eigenständige Kategorie "Bagatellfälle" gebe, bei wel- cher Massnahmen der Vorsorge von vornherein nicht in Betracht zu ziehen wären (A LAIN G RIFFEL /H ERIBERT R AUSCH , a.a.O., Art. 11 N 14). Vor diesem Hintergrund ist schliesslich auch der Einwand der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe nicht näher begründet, wes- halb kein Bagatellfall vorliege, nicht weiter relevant, da das Vorsor- geprinzip auch bei geringen Emissionen in Betracht zu ziehen ist. 5.3. 5.3.1. Emissionsbegrenzungen können u.a. mit betrieblichen Vor- schriften vorgenommen werden (Art. 12 Abs. 1 lit. c USG). Die Vor- instanz ordnete eine zeitliche Limitierung der Beleuchtung an. Die Zierbeleuchtung sei um 22.00 Uhr abzuschalten; lediglich am 24., 25. und 26. Dezember dürfe die Weihnachtsbeleuchtung bis 01.00 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 169 Uhr des Folgetags eingeschaltet bleiben. Zu prüfen ist vorab, ob diese Lösung mit Art. 11 Abs. 2 USG vereinbar ist: Gemäss dieser Bestimmung sind die von der Beleuchtung ausgehenden Emissionen im Rahmen der Vorsorge so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Der wirt- schaftlichen Tragbarkeit kommt bei der vorliegenden Zierbe- leuchtung keine Bedeutung zu. Anstelle der wirtschaftlichen Tragbar- keit ist jedoch eine Interessenabwägung vorzunehmen, welche u.a. auch das ideelle Interesse der Beschwerdeführer an der Beleuchtung berücksichtigt. 5.3.2. Heranzuziehen sind insbesondere die "Empfehlungen zur Ver- meidung von Lichtemissionen" des BUWAL (heute BAFU) aus dem Jahre 2005 (Empfehlungen BAFU). Darin wird empfohlen, vordring- lich vor jeglichen technischen Überlegungen die Notwendigkeit der geplanten Lichtanlage zu prüfen. In der Regel geht der Planung einer Aussenleuchte ein Bedürfnis voraus. Handelt es sich dabei beispiels- weise um objektive Sicherheitsbedürfnisse, besteht die Notwendig- keit zur Erstellung. Bei den subjektiven Bedürfnissen steht die grundsätzliche Frage der Erforderlichkeit im Raum. Insbesondere die Anstrahlung von Gebäudefassaden, Kunstobjekten, Bäumen, Garten- objekten oder sonstigen Gegenständen stellt dabei einen problemati- schen Bereich dar. Als Leitlinie gilt auch hier, dass alles eine Frage des Masses ist (vgl. Empfehlungen BAFU, S. 28 f.). Bezüglich des Zeitmanagements wird empfohlen, eine Synchronisation mit dem Nachruhefenster (z.B. wie beim Lärmschutz) von 22:00 bis 06:00 Uhr anzustreben. Reklamen und nicht mehr notwendige Leuchten sollen ganz abgestellt oder ihre Beleuchtungsstärke soll so weit wie möglich reduziert werden. Die Betriebsdauer in der Nacht ist mit Zeitschaltuhren und Bewegungsmeldern sinnvoll auf die Bedürfnisse abzustimmen (Empfehlungen BAFU, S. 34). - Von einer ähnlichen Grundidee geht z.B. der Leitfaden zur "Vermeidung von unnötigen Lichtemissionen" des Amts für Umwelt des Kantons Solothurn aus dem Jahre 2011 (Leitfaden Solothurn) aus. Dieser Leitfaden differen- ziert zwischen Funktionalen Aussenbeleuchtungen (klarer Bezug zur Sicherheit) und Nicht-funktionalen Aussenbeleuchtungen (nicht ein- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 170 deutig funktional im Sinne der Sicherheit; z.B. ästhetische Beleuch- tungen wie Objektanstrahlungen, Lichtreklamen etc.) (vgl. Leitfaden Solothurn, S. 15, 30). Bezüglich des Zeitmanagements seien im Lärmschutz die Zeiten von 06.00 bis 22.00 Uhr und 22.00 bis wieder 06.00 Uhr definiert. Dieser Ansatz solle übernommen werden, so dass die gewünschte Nachtruhe einen ganzheitlichen Sinn mache. Leuchten aus der Nicht-funktionalen Gruppe seien in diesem Zeit- fenster auszuschalten. Leuchten aus der Funktionalen Gruppe seien nur solange brennen zu lassen, wie dies aus Sicherheitsgründen not- wendig sei. Mit Zeitschaltuhr, Bewegungsmeldern oder ähnlichen technischen Massnahmen seien ebenfalls die Brennzeiten zu optimie- ren (vgl. Leitfaden Solothurn, S. 17). Bei der zu beurteilenden Weihnachts- und der Ganzjahresbe- leuchtung handelt es sich um eine Zierbeleuchtung bzw. Lichtin- stallation, welche nach objektiven Kriterien nicht direkt der Sicher- heit dient, sondern der Verschönerung von Haus und Garten. Sie gehört zu den ästhetischen bzw. dekorativen Beleuchtungen, die Be- schwerdeführer sehen sie denn auch als Teil eines Gesamt-Kunst- werks bzw. als Ausdruck ihrer Lebensfreude und Persönlichkeitsent- faltung. Dem privaten Interesse der Beschwerdeführer am möglichst uneingeschränkten Betrieb ihrer Zierbeleuchtung steht das Interesse an der Vermeidung von (unnötigen) Lichtemissionen entgegen. Das Bedürfnis der Bevölkerung bzw. Nachbarschaft an einer ungestörten Nachtruhe ist hoch zu werten, auch ökologische (siehe z.B. Empfeh- lungen BAFU, S. 17 ff.) und energiesparende Gründe sprechen für eine Einschränkung solcher Beleuchtungen, insbesondere wenn sie das ganze Jahr über betrieben werden. Die in den Empfehlungen vor- geschlagene Synchronisation mit dem Nachtruhefenster erscheint grundsätzlich sinnvoll, zumal so die Nachtruhe einen ganzheitlichen Sinn macht. Gemäss dem in E. geltenden Polizeireglement beginnt die Nachtruhe um 22.00 Uhr (§ 9 Abs. 2 Polizeireglement), die Lärm- schutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) defi- niert die Nachtzeit in verschiedenen Bereichen ebenfalls ab 22.00 Uhr (vgl. z.B. Anhänge 3-5 zur LSV; ferner unterscheidet z.B. auch die deutsche Richtlinie "Hinweise zur Messung und Beurtei- 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 171 lung von Lichtimmissionen" des Länderausschusses für Immissions- schutz vom 10. Mai 2000 bei der Beurteilung der Raumaufhellung und Blendung zwischen Werten vor und nach 22 Uhr [LAI 2000, S. 4, 7]). Die Liegenschaft der Beschwerdeführer ist in bewohntem Gebiet. Unter dem Jahr erscheint daher eine Beschränkung der Be- triebszeit der Beleuchtung analog dem Nachtruhefenster auf 22.00 Uhr sinnvoll und angemessen. Für die Zierbeleuchtung im Sinne der "Ganzjahresbeleuchtung" ist die Betriebszeit daher entsprechend der Vorinstanz auf 22.00 Uhr zu begrenzen. Bezüglich der "Weihnachtsbeleuchtung" liegt die Interessenlage etwas anders: Weihnachtsbeleuchtungen gehören in der Advents- und Weihnachtszeit zum kulturbedingten Erscheinungsbild, sie sind ver- breitet und üblich und in dieser Zeit ist die Akzeptanz für solche Zierbeleuchtungen allgemein höher. Solche Installationen werden hierzulande regelmässig vom ersten Advent bis zum 6. Januar betrie- ben. So hat auch die Gemeinde E. die öffentliche Weihnachtsbe- leuchtung während dieser Zeit in Betrieb. Für private Weihnachtsbe- leuchtungen schreibt die Gemeinde zwar nichts vor, in der Regel würden die Leute ihre Beleuchtungen jedoch zwischen dem ersten Advent und dem 6. Januar unterhalten. In dieser Zeit, d.h. zwischen dem ersten Advent und dem 6. Januar, erscheint für Zierbeleuch- tungen daher ein etwas grosszügigeres Regime geboten und dem feierlichen bzw. festlichen Aspekt darf Rechnung getragen werden. Im Vergleich zu einer Zierbeleuchtung unter dem Jahr rechtfertigt es sich deshalb, in dieser Zeit etwas üppigere Zierbeleuchtungen im Rahmen des Vorsorgeprinzips zu tolerieren und auch eine grosszü- gigere Betriebszeit (und insofern ein gewisses Abweichen vom Nachtruhefenster) zuzulassen. Wenn die Beschwerdeführer die (Weihnachts-)Beleuchtung in dieser Zeit bis längstens um 01.00 Uhr brennen lassen, erscheint dies tolerierbar. Dies gilt jedoch wie gesagt nur zwischen dem ersten Advent und dem 6. Januar, auch wenn die Beschwerdeführer die weihnachtliche Zeit nach ambrosianischem Ritus feiern. Üppige Weihnachtsbeleuchtungen bereits ab dem 11. November und bis zum 2. Februar sind im Kanton Aargau weder verbreitet noch üblich. Vor dem ersten Advent und nach dem 6. Ja- 2013 Obergericht, Abteilung Verwaltungsgericht 172 nuar dürfen die Beschwerdeführer daher nur die Ganzjahresbeleuch- tung betreiben und zwar längstens bis 22.00 Uhr. 5.3.3. Weitergehende Massnahmen erscheinen im Rahmen des Vorsor- geprinzips nicht angezeigt. Die Erhellung im Schlafzimmer der Be- schwerdeführer ist wesentlich auf die Strassenlampe vor dem Haus zurückzuführen. Die Zierbeleuchtung bzw. Lichtinstallation beinhal- tet zudem keine blinkenden oder sich bewegenden Objekte oder ähnliche Lichteffekte. Auch konnte am Augenschein keinerlei Blend- effekt festgestellt werden. Die Betriebszeit der Beleuchtung ist somit grundsätzlich auf 22.00 Uhr zu beschränken (Ganzjahresbeleuch- tung); zwischen dem ersten Advent und dem 6. Januar darf die Weih- nachtsbeleuchtung betrieben werden und zwar bis längstens bis 01.00 Uhr. Mit diesen Einschränkungen kann dem Vorsorgeprinzip (Art. 11 Abs. 2 USG) angemessen Rechnung getragen werden. Die Emissionen lassen sich mit minimalem Aufwand (es ist lediglich ein Umschalten der Zeitschaltuhren notwendig) erheblich verringern. 5.4. Zu prüfen ist, ob trotz der im Rahmen des Vorsorgeprinzips anzuordnenden Einschränkung der Betriebszeit störende oder lästige Immissionen bestehen, die im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 USG zu begrenzen wären. Bei Lichtimmissionen bestehen keine Grenzwerte wie bei gewissen Arten von Lärm oder Luftverunreinigungen. Es ist deshalb im Einzelfall zu beurteilen, ob Immissionen schädlich oder lästig sind (Art. 13-15 USG). So wie es beispielsweise keinen An- spruch auf absolute Ruhe gibt, gibt es auch keinen Anspruch auf absolute Dunkelheit. In einer Wohnzone - wie vorliegend (W2, mit Empfindlichkeitsstufe II [vgl. Bauzonenplan sowie BNO; insbeson- dere §§ 8 Abs. 1 und 13 Abs. 1 BNO]) - muss ein gewisses Mass an Immissionen aus alltäglichem menschlichen Zusammenleben gedul- det werden. Wie bereits dargelegt ist die Erhellung wesentlich auf die Strassenlampe vor dem Haus zurückzuführen und die Zierbeleuch- tung beinhaltet weder blinkende noch sich bewegende oder ähnliche Lichteffekte; am Augenschein konnte auch kein Blendeffekt festge- stellt werden. Abgesehen von der Advents- und Weihnachtszeit (ers- ter Advent bis 6. Januar), in der sich eine längere Leuchtdauer (bis 2013 Bau-, Raumentwicklungs- und Umweltschutzrecht 173 01.00 Uhr) rechtfertigt, wird die Betriebszeit zudem entsprechend dem Nachtruhefenster (22.00 Uhr) festgelegt. Unter Berücksichti- gung all dieser Umstände erscheinen die von der strittigen Zierbe- leuchtung ausgehenden Lichtimmissionen nicht störend oder lästig. Eine weitergehende Beschränkung der Immissionen ist nicht notwen- dig. 6. (...) 7. Zusammenfassend ist die Beschwerde in dem Sinne gutzuheis- sen, dass die Weihnachtsbeleuchtung zwischen dem 1. Advent und dem 6. Januar bis 01.00 Uhr betrieben werden darf. Während der übrigen Zeit darf bis 22.00 Uhr die Ganzjahresbeleuchtung betrieben werden. (Hinweis: Das Bundesgericht hat eine Beschwerde in öffent- lich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Entscheid abgewie- sen; BGE 140 II 33 ff.=Urteil vom 12. Dezember 2013 [1C_250/2013].)
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AG_VG_001_AGVE-2013-33_2012-12-03
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2013-33.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2013-33.pdf
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2001 Verwaltungsrechtspflege 391 [...] 85 Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts. - Beschwerdeentscheide des Regierungsrats in Nutzungsplanungs- sachen (§ 26 Abs. 1 BauG) können erst zusammen mit dem Genehmi- gungsentscheid (§ 28 BauG) angefochten werden (§ 6 Abs. 1 ABauV). Dies schliesst auch die direkte Anfechtung des Beschwerdeentscheids beim Verwaltungsgericht gestützt auf § 53 VRPG aus. Entscheid des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 10. April 2001 in Sachen R. AG und F. AG gegen Entscheid des Regierungsrats.
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http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2001-85.html
https://agve.weblaw.ch/pdf/AGVE-2001-85.pdf
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2003 Kantonale Steuern 125 [...] 38 Sicherstellung (§ 232 StG). - Gegen die Sicherstellungsverfügung kann Rekurs und Beschwerde erhoben werden (Erw. 3/b). - Die aufschiebende Wirkung dieser Rechtsmittel ist ausgeschlossen (Erw. 2-4). Beschluss des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 23. Mai 2003 in Sa- chen P. Inc. gegen Entscheid des Steuerrekursgerichts. 2003 Verwaltungsgericht 126 Aus den Erwägungen 2. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat aufschiebende Wir- kung, wenn nicht durch besondere Vorschrift oder aus wichtigen Gründen in den angefochtenen Verfügungen und Entscheiden selbst etwas anderes bestimmt wird (§ 44 Abs. 1 VRPG). Gemäss § 232 Abs. 3 StG hemmt der Rekurs die Vollstreckung der Sicherstellungs- verfügung nicht. An einer entsprechenden Bestimmung für die Ver- waltungsgerichtsbeschwerde fehlt es im StG. Es ist deshalb durch Auslegung zu ermitteln, ob das Fehlen einer solchen Vorschrift auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zurückzuführen ist oder ob die zitierte Bestimmung nach ihrem Sinn für das ganze Rechtsmittelverfahren gilt und auch die Verwaltungsgerichtsbe- schwerde umfasst. 3. b/bb) Ziel der Einführung von § 232 ff. StG war es, nach dem Vorbild von Art. 169 DBG, ein wirksames Instrument zur Sicher- stellung der Steuern zu schaffen (Kurzkommentar zum Vorentwurf I der Projektleitung vom 13. Juli 1994 betr. Bezug, Erlass und Siche- rung der Steuern, S. 8; Kurzkommentar zum Vorentwurf I der Be- gleitkommission vom 2. Dezember 1994, S. 98; Botschaft des Regie- rungsrates vom 21. Mai 1997 [Botschaft], S. 128 f.). Durch die Gleichstellung der Sicherstellungsverfügung mit dem Arrestbefehl und der Statuierung ihrer sofortigen Vollstreckbarkeit (§ 232 Abs. 1 StG) wollte man erreichen, dass das Betreibungsamt ohne Umweg über den Arrestrichter und Abwarten der Rechtskraft direkt um Vollzug des Arrests angegangen werden kann. Im Gegenzug war man bestrebt, den Rechtsschutz auszubauen (Botschaft, S. 128). Nach dem als Vorbild dienenden Art. 169 Abs. 3 DBG sind Si- cherstellungsverfügungen des KStA direkt mit Verwaltungsgerichts- beschwerde beim Bundesgericht anfechtbar; die Kantone können keine Rechtsmittelinstanz dazwischenschalten (vgl. dazu Ernst Kän- zig/Urs R. Behnisch, Die direkte Bundessteuer, III. Teil, 2. Auflage, Basel 1992, Art. 118 N 9, zu Art. 118 Abs. 3 des inzwischen aufge- hobenen BdBSt). In Abkehr vom bisherigen Recht, wonach gegen Sicherstellungsverfügungen lediglich die Verwaltungsbeschwerde an das Finanzdepartement möglich war (§ 166 Abs. 2 aStG), öffnete der 2003 Kantonale Steuern 127 Gesetzgeber im StG den Rechtsmittelweg an ein Gericht, konkret das Steuerrekursgericht (Botschaft, S. 128). Anders als bei § 225 Abs. 4 StG wurde der Rekursentscheid nicht als endgültig bezeichnet, sodass die Verwaltungsgerichtsbe- schwerde zulässig ist. Bei der Formulierung von § 232 StG wurde offenbar dieser kantonale Rechtsmittelweg mit seinen zwei Rechts- mittelinstanzen (§§ 167 f. StG; § 54 VRPG) nicht ganz zu Ende ge- dacht. Entsprechend wurde in § 232 Abs. 2 StG nur das Rekursver- fahren geregelt und bei der Nachbildung von Art. 169 Abs. 3 DBG in § 232 Abs. 3 StG lediglich der Begriff "Beschwerde" durch "Rekurs" ersetzt. Ein bewusster Entscheid des Gesetzgebers, der Verwaltungs- gerichtsbeschwerde die hemmende Wirkung nicht zukommen zu lassen, ergibt sich aus den Materialien nicht (vgl. Protokoll des Gros- sen Rats vom 5. Mai 1998 [1. Lesung], Art. 597, S. 946, und vom 15. Dezember 1998 [2. Lesung], Art. 960, S. 1484; sowie Protokoll der Nichtständigen Kommission Nr. 07 "Steuergesetz" vom 12. De- zember 1997 [1. Beratung], S. 433 ff., und vom 16. Oktober 1998 [2. Beratung], S. 211, wo § 232 StG in der heutigen Fassung diskus- sionslos genehmigt wurde). cc) § 232 Abs. 3 StG bezweckt, dass die sofortige Vollstreck- barkeit der Sicherstellungsverfügung (§ 232 Abs. 1 StG) auch durch die Erhebung des Rekurses nicht umgangen werden kann. Die Be- stimmung soll verhindern, dass ein Steuerpflichtiger, welcher mögli- cherweise bereits einen Steuergefährdungstatbestand erfüllt, während der Rekursfrist und gegebenenfalls der Dauer des Rekursverfahrens weitere Vermögenswerte zu Ungunsten des Steuergläubigers entäus- sern kann, ohne dass der Fiskus oder die Rechtsmittelinstanz gegen ein solches Vorgehen einschreiten könnten (vgl. VPB 63/1999, S. 497). Dieser Zweck würde in Frage gestellt, wenn nach Zustellung des Steuerrekursentscheides durch Erhebung einer Verwaltungsge- richtsbeschwerde die aufschiebende Wirkung herbeigeführt werden könnte (§ 44 Abs. 1 VRPG; Michael Merker, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Kommentar zu den §§ 38-72 VRPG], Diss. Zürich 1998, § 44 N 7). 2003 Verwaltungsgericht 128 c) In Zusammenfassung der einzelnen Auslegungselemente er- gibt sich, dass der aargauische Gesetzgeber in § 232 Abs. 3 StG die Regelung von Art. 169 DBG nachbilden wollte; ein qualifiziertes Schweigen liegt nicht vor. Nach Sinn und Zweck der Bestimmung dürfen Rechtsmittel (nicht nur der Rekurs, sondern auch die Verwal- tungsgerichtsbeschwerde) die Vollstreckung der Sicherstellungsver- fügung nicht hemmen. Demzufolge kommt der Verwaltungsgerichts- beschwerde keine aufschiebende Wirkung zu. 4. a) Zu prüfen bleibt, ob der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt werden kann. b) Aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung ist zu schliessen, dass § 232 Abs. 3 StG bei Sicherstellungsverfügungen die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels generell ausschliessen will. Ausnahmen hätte er ausdrücklich festhalten müssen, so wie er dies in einer Reihe von Spezialgesetzen (§ 67 p Abs. 2 EGZGB; § 28 BauG; § 70 des Gesetzes über die politischen Rechte [SAR 131.100] vom 10. März 1992) auch getan hat. In diesen Erlas- sen wird jeweils festgehalten, dass der Beschwerde bzw. dem Gesuch um gerichtliche Beurteilung nur - aber immerhin - auf entsprechende Anordnung der Rechtsmittelinstanz aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. auch VPB 63/1999, S. 498). Demnach fehlt es für die Erteilung der aufschiebenden Wirkung an einer gesetzlichen Grundlage.
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AG_VG_001_AGVE-2003-38_2003-05-02
http://agve.weblaw.ch/html//AGVE-2003-38.html
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