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0167a15f-d066-4b57-8d60-66489e2471f8 | Urteilskopf
96 I 667
101. Auszug aus dem Urteil vom 4. Dezember 1970 i.S. X. gegen Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich. | Regeste
Wehrsteuer vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit (Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB).
Solches Einkommen können auch Gewinne bilden, die beim Verkauf von Liegenschaften erzielt werden. Unterscheidung zwischen Erwerbstätigkeit und Verwaltung des privaten Vermögens. | Sachverhalt
ab Seite 668
BGE 96 I 667 S. 668
A.-
Der Beschwerdeführer X., geb. 1908, war früher kantonaler Beamter. Im Jahre 1963 wurde er wegen Invalidität vorzeitig pensioniert. Seit 1952 kaufte er verschiedentlich Liegenschaften. Einige verkaufte er mit oder ohne Gewinn. Die übrigen behielt er; auf einem Grundstück in A. baute er für sich ein Wohnhaus, auf einem anderen, in B. gelegenen ein Ferienhaus. Im Jahre 1954 kaufte er einen 590 m2 messenden Landstreifen in O. für Fr. 1400.-- und im Jahre 1963 einen angrenzenden, in der gleichen Gemeinde liegenden Streifen von 555 m2 für Fr. 2400.--. Am 2. Juni 1966 verkaufte er diese beiden Parzellen der Gemeinde O. zum Preise von Fr. 73 300.--, wobei er einen Gewinn von Fr. 68 000.-- erzielte.
B.-
Für die 14. Wehrsteuerperiode (Berechnungsjahre 1965/66) deklarierte er ein durchschnittliches Einkommen von Fr. 7515.--. Die Veranlagungsbehörde rechnete die Hälfte des Gewinns aus dem Verkauf der Parzellen in O. (Jahresdurchschnitt) hinzu, so dass sich ein steuerbares Einkommen von Fr. 41 500.-- ergab. Der Steuerpflichtige bestritt, dass der Liegenschaftsgewinn der Wehrsteuer unterliege. Die Veranlagung wurde indessen bestätigt, zuletzt von der Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich durch Entscheid vom 15. Dezember 1969.
Die Rekurskommission führte aus, der Steuerpflichtige habe seit 1952 10 Grundstücke in verschiedenen Kantonen gekauft und 5 ganz oder teilweise verkauft. Er habe damit eine planmässige, auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ausgeübt. Anfänglich habe er ein recht bescheidenes Vermögen besessen. Noch am Ende des Jahres 1960 habe er lediglich einen Aktivenüberschuss von rund Fr. 20 000.-- ausgewiesen. Durch die mit geborgtem Geld durchgeführten Grundstückgeschäfte sei es ihm gelungen, bis Ende 1966 ein Reinvermögen von Fr. 150 600.-- zu erwerben. Einzelne Grundstücke hätten sich als Anlageobjekte gar nicht geeignet. Zu ihnen gehörten die Parzellen in O. Der Beschwerdeführer
BGE 96 I 667 S. 669
habe sie in der Absicht des Wiederverkaufs erworben. Er sei auf eine gewinnbringende Verwertung dieses Landes angewiesen gewesen. Es habe keinen Ertrag abgeworfen, mit dem er die zur Finanzierung der Grundstückkäufe eingegangenen Grundpfandschulden von Fr. 267 500.-- hätte verzinsen können. Der streitige Gewinn sei somit als Erwerbseinkommen gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB zu besteuern.
C.-
Gegen den Entscheid der Rekurskommission erhebt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, das steuerbare Einkommen sei auf Fr. 7515.-- herabzusetzen. Es wird geltend gemacht, bis 1963 seien der Beschwerdeführer und seine Ehefrau beruflich tätig gewesen. Die Ersparnisse beider Ehegatten seien in Grundeigentum angelegt worden. Für den Kauf der verhältnismässig billigen Grundstücke habe der Beschwerdeführer keine fremden Mittel nötig gehabt. Von den 10 Grundstücken, die er erworben habe, seien 6 heute noch ganz oder teilweise in seinem Besitz. Zum grössten Teil handle es sich um unerschlossene oder nicht erschliessbare Parzellen. Verschiedene Grundstücke habe er für den privaten Gebrauch erworben. So habe er in die im Jahre 1954 gekaufte Parzelle in O. eine Bienenzucht verlegt. Weil dieses Grundstück langgezogen und schmal sei, habe er auch einen angrenzenden Landstreifen erwerben wollen, was umständehalber erst im Jahre 1963 möglich geworden sei. Es sei ein reiner Zufall, dass die Gemeinde, welche Land für die Leistung von Realersatz gesucht habe, ihm ein verlockendes Angebot für die beiden Parzellen gemacht habe. In einem Zeitraum von 14 Jahren habe er nur bei 3 Verkäufen einen Gewinn erzielt. Seit der Pensionierung habe er Grundstücke nicht mehr gekauft, sondern nur noch verkauft. Alle Verkäufe habe er im Rahmen der ordentlichen Vermögensverwaltung getätigt. Von einem Liegenschaftenhandel könne nicht gesprochen werden. Der streitige Gewinn falle daher nicht in die Berechnung der Wehrsteuer.
D.-
Die kantonalen Behörden und die eidgenössische Steuerverwaltung beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
... (Abs. 1 =
BGE 96 I 657
E. 1).
Der Gewinn, den der Verkauf der Parzellen in O. dem Beschwerdeführer eingebracht hat, ist nicht im Betriebe eines buchführungspflichtigen Unternehmens entstanden, so dass
BGE 96 I 667 S. 670
Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB nicht anwendbar ist. Der Streit geht darum, ob dieser Gewinn Erwerbseinkommen gemäss lit. a daselbst bilde.
2.
Der Beschwerdeführer hat in den Jahren 1952-1966 10 Grundstücke gekauft und 5 ganz oder teilweise wieder verkauft; einige Verkäufe haben ihm Gewinne verschafft. Die kantonalen Behörden und die eidgenössische Steuerverwaltung schliessen daraus, dass er gewerbsmässig Handel mit Liegenschaften getrieben habe. Sie nehmen an, auch der beim Verkauf der Parzellen in O. erzielte Gewinn sei ein Ergebnis dieser Erwerbstätigkeit, weshalb er nach Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB zu versteuern sei.
Indessen ist keine der vorangegangenen Handänderungen bei den früheren Veranlagungen des Beschwerdeführers als gewerbsmässig qualifiziert worden. War das richtig, dann können diese Handänderungen auch nicht als Indiz dafür dienen, dass eine Erwerbstätigkeit vorliegt. Es ist aber auch möglich, dass die bei den früheren Geschäften erzielten Gewinne aus Irrtum nicht besteuert worden sind. Doch steht heute die Besteuerung dieser Gewinne nicht zur Diskussion. Zu beurteilen ist einzig, ob der Gewinn aus dem Verkauf der beiden Grundstücke in O. Erwerbseinkommen darstelle. Dabei kann allerdings ein Rückblick auf die früheren Handänderungen aufschlussreich sein (ASA 33 270). Die Häufung von Grundstückkäufen und -verkäufen kann ein Indiz für gewerbsmässiges Handeln sein, muss es aber nicht. Es kommt vor, dass auch Liegenschaftenhändler gelegentlich ein Grundstück in der Absicht, es zu bewohnen, oder für sonstige private Zwecke erwerben, tatsächlich dafür verwenden und nachher mit Gewinn veräussern. In solchen Fällen kann es gerechtfertigt sein, den Verkauf als einen Akt der Verwaltung des privaten Vermögens zu betrachten, so dass der dabei erzielte Gewinn der Wehrsteuer für Einkommen nicht unterliegt (Urteile Fankhauser vom 23. Oktober 1970 und Graf vom 7. November 1970, nicht veröffentlicht).
3.
Hätte der Beschwerdeführer für die Finanzierung der Grundstückkäufe bedeutende fremde Mittel verwendet, so wäre dies nach der Rechtsprechung ein gewichtiges Indiz für ein berufsmässiges Vorgehen (
BGE 92 I 122
). Er macht jedoch geltend, er habe die Käufe im wesentlichen aus seiner Beamtenbesoldung und aus dem Arbeitsverdienst der Ehefrau, die seit der Verheiratung im Jahre 1942 bis 1963 ebenfalls berufstätig
BGE 96 I 667 S. 671
gewesen sei, finanzieren können. Diese Darstellung ist glaubhaft, zumal die Ehe kinderlos geblieben ist. Vergeblich weisen die Vorinstanz und die eidgenössische Steuerverwaltung darauf hin, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den Käufen auch Fremdkapital in Anspruch genommen hat. Er hat keine anderen als Grundpfandschulden. Der gesamte Schuldbetrag von Fr. 267 500.-- verteilt sich auf die drei Grundstücke in A. (Fr. 210 000.--), B. (Fr. 50 000.--) und C. (Fr. 7500.--). Es ist alltäglich, dass beim Kauf von Grundstücken bestehende Hypotheken übernommen und zur Finanzierung von Bauten Hypothekarkredite zuhilfe genommen werden; beides tun nicht nur Leute, die mit Grundstücken Handel treiben. Auf den Liegenschaften in A. und B. hat der Beschwerdeführer Häuser für sich gebaut, die er heute noch besitzt. Diese Grundstücke hat er auf jeden Fall nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit erworben. Die kleine Hypothek auf seinem Land in C., das immer noch über 2,3 ha umfasst, fällt nicht ins Gewicht. Es ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer die Kaufpreise von Fr. 1400.-- und Fr. 2400.-- für die beiden Parzellen in O. ohne Inanspruchnahme fremder Mittel hat bezahlen können.
Er erklärt, anstatt sein erspartes Geld auf die Sparkasse zu tragen oder in Wertschriften anzulegen, habe er damit Land erworben. Das ist eine mögliche, jedenfalls nicht zum vornherein unglaubhafte oder unvernünftige Art der Anlage. Sie wirft dem Anleger unter Umständen nichts oder nur wenig ab, ist aber nicht nur dem Schwund des Geldwertes und des Wertes vieler Wertpapiere völlig entzogen, sondern gewährt dem Eigentümer noch die Chance eines gewissen Wachstums seiner Vermögenssubstanz, zumal dann, wenn der Boden Bauland ist oder werden kann. Die Parzellen in O., die der Beschwerdeführer in den Jahren 1954 und 1963 gekauft hat, sind in die Bauzone gekommen. Zudem macht der Beschwerdeführer geltend, er habe die zuerst gekaufte Parzelle erworben, um eine Bienenzucht hieher zu verlegen. Dass er das getan hat, ist nicht bestritten. Angesichts dieser Verwendung liegt die Annahme, dass der Kaufein Akt der Vermögensverwaltung war, erst recht nahe.
Allerdings ist es wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer schon beim Entschluss zum Ankauf des Landes in O. die Aussicht auf einen Wiederverkauf und einen dabei erzielbaren Gewinn einkalkuliert hat. Er sagt selbst, die zuerst gekaufte Parzelle sei ein langgezogener, schmaler Streifen gewesen, so
BGE 96 I 667 S. 672
dass es für ihn "wichtig" gewesen sei, auch den angrenzenden Streifen zu erhalten; er habe sich mit dem Eigentümer dieses Streifens schon im Jahre 1954 über den Kauf geeinigt, doch sei die Übereignung erst im Jahre 1963 möglich geworden, weil der Verkäufer bis dahin durch einen langfristigen Pachtvertrag gebunden gewesen sei. Diese Darstellung wird durch die Tatsache bestätigt, dass der Beschwerdeführer den Preis von Fr. 2400.-- für den hinzugekauften Streifen seit 1954 in Raten abbezahlt hat. Zwar haben die beiden Parzellen zusammen nach dem vorgelegten Situationsplan immer noch einen verhältnismässig schmalen Streifen gebildet, der für sich allein wohl kaum hätte überbaut werden können. Gleichwohl kann angenommen werden, dass der Beschwerdeführer von Anfang an in Aussicht genommen hat, das ganze Land bei günstiger Gelegenheit mit Gewinn weiterzuverkaufen. Diese Gelegenheit stellte sich im Jahre 1966 ein, als die Gemeinde O. Land zu kaufen suchte, um bei Enteignungen, Landumlegungen und dgl. Realersatz bieten zu können. Wenn der Beschwerdeführer die Parzellen in der Absicht, sie mit Gewinn wieder zu verkaufen, erworben hat, so ist dies aber noch kein Grund, den erzielten Gewinn als Ergebnis einer Erwerbstätigkeit zu betrachten. Denn einerseits durfte der Beschwerdeführer damit rechnen, bei einem späteren Verkauf auch eine nachträgliche Verzinsung seiner Gestehungskosten zu erreichen, und anderseits ist die Gewinnabsicht nicht ein Merkmal, durch das sich der berufsmässige Liegenschaftenhandel von der Tätigkeit eines umsichtigen Vermögensverwalters unterscheidet. Wer sein Vermögen in Grund und Boden anlegt, wird in der Tat kaum je unterlassen, Überlegungen über die Möglichkeit einer späteren gewinnbringenden Veräusserung anzustellen (
BGE 93 I 288
).
Dass andere Kennzeichen einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit vorhanden sind, ist jedenfalls hinsichtlich der die Grundstücke in O. betreffenden Geschäfte nicht dargetan. Die günstige Gelegenheit, die dem Beschwerdeführer den streitigen Gewinn verschafft hat, ist ohne sein Zutun eingetreten. Sie hat sich auch erst 12 Jahre nach dem Ankauf der einen Parzelle und nach der Einigung über den Zukauf der anderen ergeben. Nichts deutet darauf hin, dass das Geschäft nur dank besonderen Bemühungen des Beschwerdeführers zustande gekommen ist.
BGE 96 I 667 S. 673
Die Würdigung aller Umstände führt zum Schluss, dass keine genügenden Gründe bestehen, den umstrittenen Gewinn als Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB zu erfassen.
4.
(Infolgedessen wird der in Art. 26 WStB festgesetzte Mindestbetrag des steuerpflichtigen Einkommens nicht erreicht.) | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
0168580b-f12d-404b-8266-036e5b38ea63 | Urteilskopf
124 III 229
43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Mai 1998 i.S. E.Q. und P.Q. gegen Helsana Versicherungen AG (Berufung) | Regeste
Art. 47 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG); Art. 102 Abs. 2 Satz 4 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG); Prämienfestsetzung im Bereich der Zusatzversicherung.
Streitigkeiten betreffend die Prämienfestsetzung bei freiwilligen Zusatzversicherung sind vom Zivilrichter zu entscheiden (
Art. 47 Abs. 1 VAG
); die präventive Kontrolle der Tarife durch die Verwaltung schliesst die nachträgliche Prämienfestsetzung durch den Zivilrichter nicht aus (E. 2).
Die Versicherungen sind berechtigt, die Prämien entsprechend dem Risiko des Versicherten festzusetzen, und sind nicht verpflichtet, eine Prämienreduktion aufgrund der unter dem früheren Recht zurückgelegten Versicherungszeiten zu gewähren. Eine solche Verpflichtung besteht nur, wenn der Prämientarif auch unter dem neuen Recht auf die zurückgelegten Versicherungszeiten Rücksicht nimmt (
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
) (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 124 III 229 S. 230
Die Eheleute U.Q. und V.Q., beide geboren 1922, sind langjährige Mitglieder der Helsana Versicherungen AG (vormals Krankenkasse Helvetia). In der Zeit vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1995 waren U.Q. und V.Q. u.a. auch in der Krankenpflege-Zusatzversicherung "BASIS TOP" versichert; die Prämien wurden nach dem Eintrittsalter berechnet, so dass U.Q. und V.Q. in der Altersgruppe 30 eingereiht waren. Im Zusammenhang mit der Revision des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (KUVG 1911) mussten die bis dahin nach dem Krankenversicherungsrecht geführten Zusatzversicherungen dem revidierten Krankenversicherungsgesetz (KVG 1994) angepasst und gleichzeitig dem Privatversicherungsrecht unterstellt werden. Die Krankenkasse Helvetia passte die Krankenpflege-Zusatzversicherungen per 1. Januar 1996 dem neuen Recht an, wobei die bisherige Zusatzversicherung "BASIS TOP" in zwei neue Produkte aufgeteilt wurde, nämlich die "TOP" Krankenpflege-Zusatzversicherung für spezielle Leistungen und die "SANA" Krankenpflege-Zusatzversicherung für Prävention und Komplementärmedizin. Die Prämien in den beiden neu gestalteten Krankenpflegeversicherungen wurden neu nicht mehr nach dem Eintrittsalter der Versicherten, sondern nach dem aktuellen Lebensalter berechnet; U.Q. und V.Q. wurden in die höchste Altersgruppe - Lebensalter mehr als 71 Jahre - eingeteilt, was eine entsprechende Prämienerhöhung zur Folge hatte.
BGE 124 III 229 S. 231
Am 20. August 1996 erhoben U.Q. und V.Q. beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen die Helvetia Krankenkasse und beantragten im wesentlichen, die Krankenkasse sei zu verpflichten, ihnen für die Zusatzversicherungen "TOP" und "SANA" Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewähren; zudem seien bei der Festsetzung der Prämien die unter früherem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten anzurechnen, indem ihnen eine vom Lebensalter unabhängige, jedoch das Eintrittsalter in die Versicherung berücksichtigende Altersgruppeneinteilung gewährt werde. Eventuell seien die Prämien auf maximal das 1,4fache jener einer höchstens 26-30 Jahre alten Person zu begrenzen. Subeventuell seien ihnen Entschädigungen für zuviel bezahlte Prämien zu bezahlen, d.h. Fr. 8'537.05 an V.Q. und Fr. 11'560.70 an U.Q. In ihrer Klageantwort beantragte die Helvetia Krankenkasse sinngemäss, auf die Klage nicht einzutreten, da das angerufene Gericht sachlich nicht zuständig sei. Eventualiter sei die Klage abzuweisen. Mit Urteil vom 17. Juni 1997 hat der Appellationshof des Kantons Bern die Klage zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil erhoben U.Q. und V.Q. beim Bundesgericht Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In seinem Rückweisungsentscheid führte der Appellationshof des Kantons Bern im wesentlichen aus, dass die Tarife der Bewilligungspflicht der Aufsichtsbehörden unterlägen, diese Verfügungen veröffentlicht würden und bei der Rekurskommission für die Aufsicht über die Privatversicherung angefochten werden könnten; gegen den Rekursentscheid stehe unter bestimmten Voraussetzungen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung. Die Tarifgestaltung unterliege somit nicht der Überprüfung durch die Zivilgerichte.
a) Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt eine berufungsfähige Zivilrechtsstreitigkeit im Sinn von
Art. 46 OG
vorliegt. Als solche versteht die Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei und mehreren natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Dieses Verfahren bezweckt die endgültige Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse. Dabei ist nicht entscheidend, welchen Rechtsweg die kantonale Behörde eingeschlagen hat; vorausgesetzt ist nur, dass die Parteien Ansprüche aus
BGE 124 III 229 S. 232
Bundeszivilrecht erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind (
BGE 123 III 346
E. 1a S. 349 mit Hinweisen).
b) Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG; SR 832.10) regelt die soziale Krankenversicherung, welche die obligatorische Kranken- und eine freiwillige Taggeldversicherung umfasst (
Art. 1 Abs. 1 KVG
); das Versicherungsverhältnis untersteht dem öffentlichen Recht. Das frühere, bis 31. Dezember 1995 gültige Krankenversicherungsrecht (KUVG vom 13. Juni 1911) umfasste die von den Krankenkassen angebotenen Zusatzversicherungen grundsätzlich ebenfalls. Nach dem neuen KVG unterstehen die neben der sozialen Krankenversicherung angebotenen Zusatzversicherungen dem Privatrecht, womit auf sie nunmehr das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) anwendbar ist (
Art. 12 Abs. 3 KVG
). Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen gelten daher als zivilrechtlich und sind vom Zivilrichter zu entscheiden (Art. 47 Abs. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz [VAG; SR 961.01]). So hat das Bundesgericht kürzlich entschieden, dass es sich bei der Streitigkeit über die Frage, ob die von der Krankenkasse angebotene Zusatzversicherung den nach
Art. 102 Abs. 2 Satz 3 KVG
garantierten Versicherungsschutz gewähre, um eine Zivilrechtsstreitigkeit handle (
BGE 124 III 44
E. 1/a/aa und 2a).
c) Gemäss
Art. 8 Abs. 1 VAG
haben Versicherungseinrichtungen, die eine Bewilligung zum Geschäftsbetrieb erlangen wollen, der Aufsichtsbehörde ein Gesuch mit dem Geschäftsplan einzureichen. Dieser muss u.a. die in der Schweiz zu verwendenden genehmigungspflichtigen Tarife und ihre Versicherungsmaterialien enthalten (
Art. 8 Abs. 1 lit. f VAG
). Im Genehmigungsverfahren prüft die Aufsichtsbehörde aufgrund der von der Versicherung vorgelegten Tarifberechnungen, ob sich die vorgesehenen Prämien in einem Rahmen halten, der einerseits die Solvenz der einzelnen Versicherungseinrichtungen und andrerseits den Schutz der Versicherten vor Missbräuchen gewährleistet (
Art. 20 VAG
). Verfügungen der Aufsichtsbehörde über Tarife können mit Beschwerde bei der Rekurskommission für die Aufsicht über die Privatversicherung angefochten werden (
Art. 45a Abs. 1 VAG
); gegen deren Entscheid steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung (
Art. 45a Abs. 2 VAG
). Diese Rechtslage entspricht im übrigen
Art. 99 lit. b OG
, welche Bestimmung - als Gegenausnahme - für privatrechtsgestaltende Verfügungen über Tarife auf dem Gebiet der Privatversicherung die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ermöglicht (
BGE 99 Ib 51
E. 1a S. 53 f.; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983, S. 105).
BGE 124 III 229 S. 233
Diese präventive Kontrolle durch die Verwaltung schliesst indessen - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - eine nachträgliche Prüfung durch den Zivilrichter nicht aus. So können Versicherungsbedingungen, auch wenn sie vom Bundesamt für Privatversicherungswesen genehmigt sind, vom Zivilrichter frei auf ihre Gesetzmässigkeit überprüft werden, ob sie zwingenden Bestimmungen des VVG widersprechen, und der Zivilrichter ist an den Genehmigungsentscheid nicht gebunden (
BGE 100 II 453
E. 6 S. 461 ff.). Nicht anders ist der Zivilrichter frei, im konkreten Fall zu prüfen, ob der Prämientarif, auch wenn er vom Bundesamt für Privatversicherungen genehmigt wurde, den Anforderungen zwingender gesetzlicher Bestimmungen widerspricht; dessen Entscheid unterliegt der Berufung ans Bundesgericht (
Art. 46 OG
). Der erforderliche Streitwert ist offensichtlich erreicht, da bei wiederkehrenden Leistungen von unbeschränkter Dauer vom Kapitalwert auszugehen ist, der dem zwanzigfachen Betrag der einjährigen Leistung entspricht (
Art. 36 Abs. 5 und 6 OG
). Die Vorinstanz hat die Klage daher zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen, es liege keine Zivilrechtsstreitigkeit vor, so dass die Berufung diesbezüglich gutzuheissen ist.
d) Der Appellationshof hat sich nur zur Zuständigkeitsfrage geäussert und nicht in der Sache selbst entschieden. Dennoch rechtfertigt sich ausnahmsweise, das Verfahren nicht zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, sondern sogleich in der Sache zu entscheiden. Einerseits sind die Tatsachenfeststellungen vollständig. Anderseits stand den Parteien die Möglichkeit offen, ihren Standpunkt zur hier gestellten Rechtsfrage darzulegen, von welcher Möglichkeit sie sowohl im kantonalen Verfahren als auch im Verfahren vor Bundesgericht Gebrauch gemacht haben. Zu beachten ist schliesslich auch, dass das Gesetz ein rasches Verfahren vorschreibt (
Art. 47 Abs. 2 VAG
).
3.
Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Beklagte berechtigt ist, bei der Prämienberechnung für die Zusatzversicherung ausschliesslich auf das aktuelle Lebensalter der Kläger abzustellen und die zurückgelegte Versicherungszeit unberücksichtigt zu lassen. Gemäss Art. 11 der seit dem 1. Januar 1996 in Kraft stehenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Helsana werden die Prämien dem Lebensalter der versicherten Personen entsprechend angepasst. Die Maximalprämien für über 65jährige Versicherte betragen das Dreifache und für über 70jährige das Vierfache der Prämien für 30jährige. Bei den Taggeldversicherungen darf die Maximalprämie ab Alter 60 das Fünffache der Prämien für über
BGE 124 III 229 S. 234
30jährige nicht übersteigen. Gemäss dieser Regelung ist für die Prämienfestsetzung ausschliesslich das effektive Alter der Versicherten massgebend. Demgegenüber spielen Eintrittsalter bzw. zurückgelegte Versicherungszeiten bei der Prämienfestsetzung keine Rolle. Die hier umstrittenen Prämien wurden - dem Alter der Kläger entsprechend - nach Massgabe der Altersgruppe der über 70jährigen berechnet.
a) Im Bereich der privaten Krankenversicherung können die Prämientarife unterschiedlich ausgestaltet sein. Möglich sind beispielsweise gleiche Prämien für beide Geschlechter und alle Alter, wie dies für die Grundversicherung vorgeschrieben ist (
Art. 61 Abs. 1 KVG
); denkbar sind aber auch nach Geschlecht und Alter abgestufte Prämien, sogenannte risikogerechte Prämien. Werden Prämien nicht entsprechend dem für Geschlecht und Altersklasse bestehenden Erkrankungsrisiko festgelegt, resultiert daraus ein mehr oder weniger grosser Solidaritätseffekt zwischen Geschlechtern und Altersklassen (EIKE STEINMANN, Finanzierungssysteme in der privaten Versicherung, in: Schweizerische Versicherungszeitschrift 1995, S. 218 f.). Bei den Zusatzversicherungen unter der Herrschaft des KUVG entsprach es weit verbreiteter Praxis, die Prämien nach dem Eintrittsalter abzustufen, d.h. bei der Bemessung der Prämien in der Regel auch die zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen mit der Folge, dass Versicherte aufgrund bereits zurückgelegter Versicherungszeiten im Vergleich mit neuversicherten Personen gleichen Alters in den Genuss einer entsprechend tieferen Prämie gelangten. Unter dem neuen Recht können die Versicherungen das System risikogerechter Prämien zur Anwendung bringen und damit den Prämientarif ausschliesslich nach dem effektiven Alter und dem Geschlecht des Versicherten abstufen (BBl 1992 I S. 214; PETER STREIT, Zusatzversicherungen nach Versicherungsvertragsgesetz: Erfahrungen und Entwicklungen, in: Soziale Sicherheit 4/1997, S. 223). Da die Krankheitshäufigkeit in der Regel mit dem Alter zunimmt, fallen nach Altersklassen abgestufte Risikoprämien mit zunehmendem Alter der Versicherten entsprechend höher aus. Allerdings steht es den Krankenkassen auch unter dem neuen Recht frei, beim Prämientarif zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen bzw. auf das Eintrittsalter Rücksicht zu nehmen (BBl 1992 I S. 214) und insoweit das System risikogerechter Prämien zu modifizieren. Diesfalls liegen die Prämien langjähriger Versicherter unter den risikogerechten Prämien, jene junger und neueintretender Mitglieder darüber.
b) Umstritten ist, ob Krankenkassen verpflichtet sind, bei der
BGE 124 III 229 S. 235
Prämiengestaltung langjährigen Versicherten die unter altem Recht zurückgelegte Versicherungszeiten anzurechnen und ihnen entsprechend tiefere Prämien anzubieten, wenn bei der Prämienfestsetzung einzig auf das individuelle Altersrisiko abgestellt wird. Entscheidend dafür ist
Art. 102 Abs. 2 KVG
bzw. dessen Satz 4. Die Bestimmung lautet wie folgt:
"Bestimmungen der Krankenkassen über Leistungen bei Krankenpflege, die über den Leistungsumfang nach Artikel 34 Absatz 1 hinausgehen (statutarische Leistungen, Zusatzversicherungen), sind innert eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes dem neuen Recht anzupassen. Bis zur Anpassung richten sich Rechte und Pflichten der Versicherten nach dem bisherigen Recht. Die Krankenkasse ist verpflichtet, ihren Versicherten Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewähren. Die unter dem früheren Recht zurückgelegten Versicherungszeiten sind bei der Festsetzung der Prämien anzurechnen."
Nach Auffassung der Beklagten bezieht sich die Pflicht zur Anrechnung unter altem Recht zurückgelegter Versicherungszeiten nur auf solche Versicherungsprodukte, die auch unter dem neuen Recht auf das Eintrittsalter Rücksicht nehmen. Zur Begründung beruft sich die Beklagte auf die entsprechende Passage der Botschaft (BBl 1992 I S. 214), welche folgenden Wortlaut hat:
"...Um die Fortführung des bisherigen Versicherungsschutzes zu gewährleisten, sind die Krankenkassen zu verpflichten, die bisher über das gesetzliche Minimum hinaus gewährten Leistungen auf vertraglicher Basis ungeschmälert weiterzuführen. Unter diese Garantie fällt allerdings nur der Umfang der versicherten Leistungen und nicht die Höhe der Prämien. Auch im geltenden Recht besteht keine Garantie bezüglich der Prämienhöhe. Im Gegensatz zum geltenden Recht kann die Prämie aber auch nach dem effektiven Alter abgestuft werden. Nimmt der Prämientarif nach neuem Recht auch auf das Eintrittsalter Rücksicht, was in der Regel der Fall sein dürfte, so sind die unter dem alten Recht zurückgelegten Versicherungszeiten anzurechnen...."
Die Kläger stellen sich demgegenüber auf den Standpunkt,
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
verpflichte die Krankenkassen vorbehaltlos, die unter altem Recht zurückgelegte Versicherungsdauer anzurechnen, und zwar dessenungeachtet, ob sie sich unter dem neuen Recht für ein System risikogerechter Prämien oder für ein System mit Berücksichtigung des Eintrittsalters entschieden haben.
c) Das Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrundeliegenden Wertungen und Zielsetzungen auszulegen; dabei hat sich die Gesetzesauslegung vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die
BGE 124 III 229 S. 236
Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz; gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis (
BGE 121 III 219
E. 1d/aa S. 224 f. mit Hinweisen; ERNST A. KRAMER, Juristische Methodenlehre, Bern 1998, S. 161 ff.).
aa) Die Äusserungen in der Literatur zur Tragweite von
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
sind nicht eindeutig. RAYMOND SPIRA (Le nouveau régime de l'assurance-maladie complémentaire, in: Schweizerische Versicherungs-Zeitschrift 1995, S. 196) illustriert die Anwendung der in Frage stehenden Bestimmung anhand des Beispiels einer beim Inkrafttreten des KVG seit 20 Jahren versicherten Person, deren 20jährigen Mitgliedschaft die Kasse Rechnung tragen müsse, woraus eine erhebliche Verminderung der Prämie resultieren sollte im Vergleich zu einer neu versicherten Person gleichen Alters; allerdings geht der Autor weder auf die Botschaft ein, noch führt er aus, ob seinem Beispiel ein Tarif zugrundeliegt, der auch unter dem neuen Recht auf die Versicherungszeiten bzw. das Eintrittsalter Rücksicht nimmt. Auch VINCENT BRULHART (Quelques remarques relatives au droit applicable aux assurances complémentaires dans le nouveau régime de la LAMal, in: LAMal-KVG, Recueil des travaux en l'honneur de la société suisse de droit des assurances, (IRAL) Lausanne 1997, S. 748 f.) und THOMAS LOCHER (Grundriss des Sozialversicherungsrechts, Bern 1997, § 28 Rz. 3) vertreten die Auffassung,
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
verpflichte die Krankenkassen, die unter dem früheren Recht zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Festsetzung der Prämien anzurechnen, so dass langjährige Versicherte von tieferen Prämien profitieren müssten; aber auch diese Autoren setzen sich mit der Botschaft nicht auseinander und legen nicht dar, ob ihrer Annahme ein Tarif zugrundeliege, der auch unter dem neuen Recht auf die Versicherungsdauer Rücksicht nimmt. Als einziger Autor weist ALFRED MAURER (Verhältnis obligatorische Krankenpflegeversicherung und Zusatzversicherung, in: LAMal-KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, S. 730 ff.) auf einen durch Auslegung nicht überbrückbaren Widerspruch zwischen Gesetzestext und Botschaft hin und fordert, allein auf den Gesetzestext abzustellen, der auf jeden Fall eine Berücksichtigung der bisherigen Versicherungsdauer verlange, und zwar auch dann, wenn die neue Zusatzversicherung nicht auf dieses Kriterium abstelle. Die gegenteilige Meinung vertritt UELI KIESER (Die Neuordnung der Zusatzversicherungen zur Krankenversicherung, AJP 1997, S. 16, insbes.
BGE 124 III 229 S. 237
Fn. 55): Den unter früherem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten sei nur dann Rechnung zu tragen, wenn die Prämie auch unter neuem Recht unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes ausgestaltet werde, wozu die Versicherungen allerdings nicht verpflichtet seien; Kieser hebt hervor, dass mangels entsprechender Äusserungen in der parlamentarischen Gesetzesberatungen der Feststellung in der Botschaft Bedeutung zukomme. PETER STREIT (a.a.O., S. 225 f.) weist zunächst darauf hin, dass sich angesichts der Finanzierung der Zusatzversicherung im Umlageverfahren eine Berücksichtigung bisheriger Versicherungszeiten bei der Prämienfestsetzung versicherungsmathematisch nicht rechtfertigen lasse, und fährt sodann fort, dass die im Gesetz vorgesehene Anrechnung bisheriger Versicherungszeiten als politisches Zugeständnis zu werten sei. Den Materialien ist - abgesehen von der erwähnten Passage in der Botschaft - nichts zur Tragweite von
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
zu entnehmen; weder in der Expertenkommission noch in den parlamentarischen Kommissionen (SPIRA, a.a.O., S. 195), noch in den Beratungen des Parlamentes ist die Frage der Anrechnung bisheriger Versicherungszeiten bei der Prämienfestsetzung thematisiert worden.
bb)
Art. 102 Abs. 2 KVG
schliesst die Höhe und die Art der Bestimmung der Prämie nicht in den Besitzstand ein (BBl 1992 I S. 214). Schon im bisherigen Recht bestand hinsichtlich der Prämienhöhe keine Garantie und waren den Versicherten keine wohlerworbenen Rechte erwachsen. Dennoch gingen viele Versicherte von der Annahme aus, dass das System nicht geändert werden würde und sie dereinst nach Jahren oder Jahrzehnten der Mitgliedschaft den von der jüngeren Generation zugunsten der älteren Versicherten entrichteten Solidaritätszuschlag ebenfalls einfordern und ihrerseits von einer tieferen Prämie profitieren könnten.
Nun gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass während der zurückgelegten Versicherungsdauer keine individuelle Vorfinanzierung einer künftigen - durch steigendes Erkrankungsrisiko erhöhten - Belastung stattgefunden hat, wie es einem Kapitaldeckungsverfahren entsprechen würde. Vielmehr sind die Zusatzversicherungen der Krankenkassen unter dem alten Krankenversicherungsrecht nach dem Umlageverfahren finanziert worden; dies bedeutet, dass die Prämieneinnahmen eines bestimmten Jahres in der Finanzierung der Krankheitskosten des gleichen Jahres aufgingen, weshalb die Bildung individueller Altersrückstellungen, die eingefordert werden könnten, unter dem alten System gar nicht möglich war (STREIT, a.a.O., S. 225; STEINMANN, a.a.O., S. 218 f.). Eine Anrechnung vergangener Versicherungsjahre wäre jedoch nur gerechtfertigt, wenn
BGE 124 III 229 S. 238
während dieser Zeit vom Versicherten Vorauszahlungen zur Finanzierung von individuellen Altersrückstellungen erbracht worden wären; erfolgt die Finanzierung demgegenüber im Umlageverfahren, entbehrt die Anrechnung zurückgelegter Versicherungszeiten einer versicherungsmathematischen Grundlage (STREIT, a.a.O., S. 225).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass es den Krankenkassen im Bereich der privaten Zusatzversicherung freigestellt ist, ob sie die Versicherten ausschliesslich nach Altersklassen einteilen und risikogerechte Prämien verlangen oder ob sie dieses System durch Berücksichtigung zurückgelegter Versicherungszeiten bzw. des Eintrittsalters modifizieren wollen; es ist den Kassen aber auch freigestellt, in welchem Umfang sie dies - gegebenenfalls - verwirklichen wollen, wie es ihnen überhaupt überlassen bleibt, in ihrem Angebot Zusatzversicherungen zu führen. In jedem Fall zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen und langjährigen Versicherten tiefere Prämien anzurechnen, würde aber bedeuten, dass die Krankenkassen im Rahmen der privaten Krankenversicherung in ihrer Freiheit prinzipiell eingeschränkt wären, eine Finanzierung über das System der risikogerechten Prämien zu verwirklichen, und liefe dieser übergeordneten Zielsetzung des neuen Rechts zuwider; da nach dem früheren Umlageverfahren keine Altersrückstellungen gemacht wurden, könnte die Berücksichtigung zurückgelegter Versicherungszeiten nur über die Anhebung risikogerechter Prämien für jüngere und neueintretende Versicherte finanziert werden. Ein solches Modell, das auf einem Solidaritätstransfer zwischen den Altersgruppen basiert, wäre indessen nur mit einem Paket von Zwangsmassnahmen realisierbar gewesen (STREIT, a.a.O., S. 223 f.). Darauf hat der Gesetzgeber mit der Unterstellung der Zusatzversicherung unter das Privatrecht aber bewusst verzichtet. Dies macht deutlich, dass
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
nicht die Bedeutung beigemessen werden kann, die Krankenkassen zu verpflichten, die Prämien in jedem Fall - d.h. völlig ungeachtet des von ihnen gewählten Prämiensystems - unter Berücksichtigung der unter altem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten festzusetzen.
Ein weiteres Indiz für die eingeschränkte Bedeutung der umstrittenen Bestimmung bildet schliesslich der Umstand, dass die Frage der Berücksichtigung zurückgelegter Versicherungszeiten bei der Prämienfestsetzung nicht justiziabel ist, wenn nicht der Prämientarif dazu die nötigen Kriterien liefert. Infolge Fehlens eines objektiven Massstabes ist es nicht möglich, die Anrechnung vergangener Versicherungszeiten mit mathematischen Methoden zu beurteilen
BGE 124 III 229 S. 239
(STREIT, a.a.O., S. 225). Die notwendigen Kriterien liegen nur dann vor, wenn die Versicherungen auch unter dem neuen Recht auf das Eintrittsalter Rücksicht nehmen, wozu sie aber nicht verpflichtet sind. Auch Alfred Maurer, der sich für eine ausnahmslose Berücksichtigung der zurückgelegten Versicherungsdauer bei der Prämienfestsetzung ausspricht, hat darauf hingewiesen, dass nach dem Gesetz unklar sei, unter welchen Voraussetzungen - ob nur bei langer oder auch bei kurzer Dauer - und namentlich auf welche Weise die Anrechnung erfolgen soll (a.a.O., S. 731, Fn. 31).
cc) Aus diesen Gründen verschafft das Übergangsrecht keinen generellen Anspruch darauf, dass zurückgelegte Versicherungszeiten zu einer Prämienreduktion führen. Hingegen ist
Art. 102 Abs. 2 Satz 4 KVG
so zu verstehen - und steht insoweit auch mit der Zielsetzung des KVG in Einklang -, dass unter altem Recht zurückgelegte Versicherungszeiten von den Versicherungen dann anzurechnen sind, wenn der Prämientarif auch unter dem neuen Recht auf das Eintrittsalter Rücksicht nimmt. Zwar dürfte es auch diesfalls an der versicherungsmathematischen Rechtfertigung fehlen, unter altem Recht zurückgelegte Versicherungszeiten anzurechnen. Doch unterziehen sich Versicherungen dieser Anrechnung insoweit aus freien Stücken, als sie sich dafür entscheiden, auch unter dem neuem Recht bei der Prämienfestsetzung zurückgelegte Versicherungszeiten grundsätzlich als Faktor zu berücksichtigen und insoweit das System risikogerechter Prämien nicht konsequent zu verwirklichen. Diesfalls verfügt die Versicherung aber auch über die Anrechnungskriterien, um die Prämienreduktion zu berechnen. Im übrigen ist die so zu verstehende Übergangsbestimmung - entgegen der Auffassung der Kläger - auch keineswegs überflüssig bzw. sinnlos, bestünde doch ansonsten für Krankenkassen, die auch nach dem neuen Recht auf das Eintrittsalter Rücksicht nehmen, gerade wegen des früheren Finanzierungssystems kein Anlass, diesen Prämienvorteil auch hinsichtlich der unter altem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten anzurechnen und es nicht dabei bewenden zu lassen, ihn nur ab Umstellung des Systems zu gewähren. Zusammenfassend ergibt sich, dass unter altem Recht zurückgelegte Versicherungszeiten anzurechnen sind, wenn Versicherungszeiten bzw. das Eintrittsalters generell einen bei der Prämienfestsetzung zu berücksichtigenden Faktor bilden, nicht aber, wenn diese Gesichtspunkte für die Festlegung der Prämien grundsätzlich keine Rolle spielen. Da die Helsana das Kriterium der zurückgelegten Versicherungsdauer bzw. des Eintrittsalters unberücksichtigt lässt und keine Verpflichtung zur Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes besteht, ist die Prämienfestsetzung
BGE 124 III 229 S. 240
nicht zu beanstanden; die Klage ist daher sowohl im Haupt- als auch im Eventualstandpunkt unbegründet.
d) Nach dem Gesagten erweist sich aber ohne weiteres auch das Subeventualbegehren als unbegründet, mit welchem die Rückzahlung von Fr. 8'537.05 für den Kläger und von Fr. 11'560.70 für die Klägerin verlangt wird. Die Kläger gehen fehl in der Annahme, dass für die Versicherten ein individuelles "Prämiendepot für später" eingerichtet wurde, dessen Ausbezahlung sie nun nach dem Systemwechsel beanspruchen können. Wie erläutert wurden die Zusatzversicherungen unter dem alten Recht nach dem Umlageverfahren finanziert, so dass keine individuellen Altersrückstellungen gebildet wurden (vgl. E. 3c/bb). Damit besteht aber offensichtlich kein Anspruch auf angeblich zuviel bezahlte Prämien. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
01716eff-50d8-4dc6-ba99-940dc1000201 | Urteilskopf
102 II 151
24. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 18 mars 1976 dans la cause Meyer contre Meyer. | Regeste
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
.
Begriff des neuen Begehrens in einem Scheidungsprozess. | Erwägungen
ab Seite 151
BGE 102 II 151 S. 151
Extrait des considérants:
2.
Le recours tend, à titre subsidiaire, à une réduction de la rente d'entretien que le défendeur a été condamné à servir à sa femme. Dans son recours au Tribunal cantonal, le défendeur s'était borné à conclure à l'admission de sa conclusion en divorce et au rejet de l'action en séparation de corps de sa femme. Il n'avait pris aucune conclusion quant aux effets accessoires de la séparation de corps et, notamment, n'avait pas critiqué, à titre subsidiaire, le montant de la pension allouée à la demanderesse par le jugement de première instance. L'intimée demande que la conclusion subsidiaire prise devant le Tribunal fédéral soit déclarée irrecevable. Elle fait valoir que le défendeur a soustrait ce point à la connaissance du Tribunal cantonal et qu'il ne saurait aujourd'hui inviter
BGE 102 II 151 S. 152
le Tribunal fédéral à revoir, au mépris de l'
art. 48 OJ
, le jugement rendu en première instance cantonale.
a) Aux termes de l'art. 55 al. 1 litt. b OJ, il ne peut être présenté de conclusions nouvelles dans le cadre du recours en réforme devant le Tribunal fédéral. Est une conclusion nouvelle toute conclusion qui n'a pas été maintenue jusqu'à fin de la procédure devant l'autorité cantonale de dernière instance (
ATF 94 II 211
consid. 4).
Certes, prise à la lettre, la conclusion articulée par Meyer devant le Tribunal cantonal impliquait le rejet de la prétention de la demanderesse à une rente d'entretien, le recours tendant à ce que l'action de dame Meyer fût rejetée: le rejet de l'action en séparation de corps, combiné avec l'admission de la conclusion reconventionnelle en divorce, avait pour effet nécessaire le refus d'une pension d'entretien, allouée à la femme par le Tribunal de première instance en application de l'
art. 160 al. 2 CC
(cf.
ATF 95 II 72
/73). Mais ce refus était lié au rejet de l'action en séparation de corps; au cas où la conclusion du recours en réforme, qui tendait uniquement au divorce, était écartée, l'allocation de la pension d'entretien subsistait.
En réalité, le défendeur n'a porté devant le Tribunal cantonal que le litige relatif au principe du divorce, respectivement de la séparation de corps. Il ne dit mot, dans son mémoire de recours en réforme adressé à la juridiction cantonale de recours, du montant de la rente allouée à la femme. Or il lui était loisible, s'il entendait discuter, devant l'autorité cantonale de dernière instance, la quotité de la pension pour le cas, qu'il ne pouvait exclure d'emblée, où la séparation de corps serait maintenue, de prendre une conclusion subsidiaire en réduction des sommes allouées en première instance. Ne l'ayant pas fait, il doit être réputé y avoir renoncé. C'est d'ailleurs ce qu'a admis implicitement le Tribunal cantonal, par une interprétation souveraine des conclusions prises devant lui (
ATF 81 II 529
,
ATF 95 II 295
consid. 4): il n'a pas examiné le montant de la contribution.
b) On objecterait vainement que le conseil du défendeur peut, à dessein, ne pas avoir formulé des conclusions subsidiaires, par crainte d'affaiblir la position principale de son client, et que, partant, on ne saurait déduire de l'absence de telles conclusions une renonciation à discuter du montant
BGE 102 II 151 S. 153
de la rente, dont les conclusions principales impliquaient la suppression pure et simple.
Certes, le Tribunal fédéral a parfois tenu compte de cet élément. Ainsi il a jugé que l'époux qui s'oppose au divorce n'est pas déchu de ses droits à une indemnité ou à une pension du fait qu'il s'est borné à conclure au rejet de l'action, sans prendre de conclusions reconventionnelles à titre subsidiaire; si le juge entend prononcer le divorce, il doit, en vertu du droit fédéral, donner au défendeur qui a conclu uniquement au rejet de la demande l'occasion de prendre des conclusions quant aux effets accessoires (arrêt non publié Fauguel c. Sandoz, du 19 octobre 1962;
ATF 95 II 67
litt. b; arrêt non publié Bühlmann c. Bühlmann, du 12 mars 1970).
Mais cette jurisprudence, qui vise un cas précis, ne saurait être appliquée en l'espèce.
Il est normal qu'une partie qui s'oppose au divorce s'abstienne de conclusions subsidiaires relatives aux effets accessoires: l'articulation des conditions du droit à une indemnité ou à des aliments postule le plus souvent l'allégation de torts respectifs. La procédure se fait ainsi plus agressive, devenant susceptible d'aggraver à elle seule la rupture du lien conjugal. Le conjoint qui conteste la gravité de la mésentente a intérêt à s'abstenir de tout ce qui est de nature à compromettre davantage une union à laquelle il tient et qu'il ne juge pas irrémédiablement atteinte. La considération de cet intérêt en soi légitime, jointe au fait que le règlement des effets accessoires du divorce (excepté, le cas échéant, la liquidation du régime matrimonial) ne doit pas être renvoyé pour faire l'objet d'un procès spécial (
ATF 95 II 67
litt. a), a conduit à la solution dégagée par la jurisprudence. Une solution contraire, privant la partie défenderesse de toute indemnité ou pension alimentaire non requise au cours de la procédure de divorce, ne tiendrait pas compte de cet intérêt au maintien du mariage et conduirait à des conséquences d'une rigueur intolérable du point de vue social.
En l'espèce, la prétention à une rente a été déduite en justice d'entrée de cause par la demanderesse. Le défendeur l'a discutée: il a allégué en procédure que sa femme avait un revenu annuel de 15'000 fr., allégation qui est en relation avec les conclusions pécuniaires de la demande. Il a offert de prouver son assertion par expertise, preuve dont il a été dispensé par
BGE 102 II 151 S. 154
l'aveu de la demanderesse aux débats principaux. A l'audience de jugement également, il a admis le principe de l'indexation des pensions, ce qui vaut aussi pour la rente due à la femme.
On est ainsi en présence d'une question introduite au procès. Le recourant ne peut dès lors invoquer aucune des considérations relevées ci-dessus en faveur du conjoint défendeur à l'action en divorce. Tout ce qu'il pourrait dire serait qu'il ne voulait pas, devant le Tribunal cantonal, affaiblir sa position principale en prenant une conclusion subsidiaire. Mais ce motif, de pure tactique, qui ne l'a d'ailleurs pas empêché de prendre une conclusion subsidiaire devant le Tribunal fédéral, ne saurait l'emporter sur le devoir de la partie de formuler ses conclusions de façon complète, claire et précise.
Le recourant ne peut pas revenir sur un point qu'il a soustrait à la connaissance de la juridiction cantonale de recours, avec cet effet que le Tribunal fédéral aurait à connaître directement de la décision de première instance. La conclusion subsidiaire du recours est dès lors irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
017511c6-ae68-4342-97c1-d2c8d9c7284e | Urteilskopf
117 III 44
14. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 5 mars 1991 dans la cause Sormani et consorts (recours LP) | Regeste
Art. 231 SchKG
;
Art. 96 KOV
. Verbot, im summarischen Konkursverfahren Anzahlungen an die Gläubiger zu leisten.
1. Dem klaren Wortlaut von Art. 96 der Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter entsprechend, ist es im summarischen Konkursverfahren ausgeschlossen, den Gläubigern eine oder mehrere Abschlagszahlungen zu leisten (E. 1).
2. Gesetzliche Grundlage von
Art. 96 KOV
(E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 44
BGE 117 III 44 S. 44
A.-
Par décision du 1er novembre 1982, le Tribunal de Première instance du canton de Genève ordonna la liquidation sommaire de la faillite de la société Régie de Rive S.A., prononcée le 17 septembre 1982.
Dame Teodolinda Sormani produisit, dans cette faillite, une créance qui fut colloquée en cinquième classe. Le 4 avril 1990, le conseil des héritiers de dame Sormani, décédée entre-temps, demanda le versement d'acomptes. Par décision du 15 mai 1990, l'office refusa de procéder à une répartition provisoire.
B.-
Le 18 mai 1990, les héritiers de dame Sormani portèrent plainte à l'autorité de surveillance. Par décision du 30 janvier 1991,
BGE 117 III 44 S. 45
celle-ci la rejeta, en raison de l'interdiction des répartitions provisoires dans le cadre de la liquidation sommaire d'une faillite.
C.-
Les héritiers de dame Sormani recourent au Tribunal fédéral, concluant à l'annulation de la décision de l'autorité cantonale de surveillance.
Le Tribunal fédéral rejette le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'
art. 231 LP
, seule disposition légale régissant la liquidation sommaire de la faillite, en règle très succinctement les modalités. Celles-ci sont précisées notamment par l'art. 96 de l'ordonnance du 13 juillet 1911 sur l'administration des offices de faillite (OOF, RS 281.32) selon lequel "l'office ne procédera pas à des répartitions provisoires...".
Vu le texte clair de cette règle de procédure, tant l'office que l'autorité de surveillance ont rejeté la demande de paiement d'acomptes présentée par les recourants. On ne saurait soutenir, face à cette norme spéciale, que la règle générale posée par l'
art. 266 LP
pour la liquidation ordinaire, c'est-à-dire la possibilité de procéder à des répartitions provisoires dès l'expiration du délai d'opposition à l'état de collocation, laisserait place à la même possibilité dans la liquidation sommaire. Une telle interprétation serait contraire au texte clair de l'
art. 96 let
. c OOF. S'il est possible que la lettre d'une norme ne corresponde pas à son sens véritable, une interprétation allant à l'encontre de la lettre de la loi ne peut être envisagée que dans des cas exceptionnels (
ATF 108 Ib 401
consid. 3b;
ATF 103 Ia 117
consid. 3). C'est lorsque les conséquences de l'application d'une règle paraissent ne pas correspondre à l'intention du législateur ou lorsqu'une disposition est peu claire malgré sa teneur apparemment limpide qu'il convient de rechercher l'esprit et le but véritables de la norme (
ATF 114 II 406
consid. 3). Ni l'une, ni l'autre de ces hypothèses n'est réalisée en l'espèce: d'une part une répartition provisoire nécessiterait l'établissement et le dépôt, avec avis aux créanciers, d'un tableau de distribution provisoire (art. 82 OOF), c'est-à-dire une formalité supplémentaire relativement lourde, en contradiction avec le caractère sommaire de la liquidation; d'autre part l'
art. 96 let
. c OOF est tout à fait clair.
La décision de l'autorité de surveillance, confirmant indirectement le refus de payer un acompte aux recourants, constitue donc une application justifiée de l'
art. 96 let
. c OOF.
BGE 117 III 44 S. 46
2.
Dans un second moyen, les recourants prétendent que la disposition réglementaire déborde le cadre de la délégation de compétence prévue, en faveur du Tribunal fédéral, par l'
art. 15 al. 2 LP
.
a) Ce grief revient à reprocher à l'art. 96 OOF de violer le principe de la hiérarchie des règles, selon lequel une ordonnance doit être conforme, dans son étendue notamment, à la loi qui la fonde, principe qui découle implicitement de la Constitution (ROBERT ZIMMERMANN, Le contrôle préjudiciel en droit fédéral et dans les cantons suisses, Lausanne 1987, p. 23).
Aux termes de l'
art. 19 al. 1 LP
, les décisions de l'autorité cantonale de surveillance rendues contrairement à la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite sont susceptibles de recours au Tribunal fédéral. Cette règle a été reçue de façon extensive et, par exemple, il a été jugé que les règles sur la bonne foi, déduites de l'
art. 2 CC
ou celles posées, quant à la preuve, par l'
art. 8 CC
, s'appliquent dans le cadre du recours de LP (
ATF 108 III 112
consid. 3;
ATF 105 III 19
). Le Tribunal fédéral revoit l'application de l'ensemble du droit fédéral, y compris les ordonnances qu'il a lui-même édictées, sous réserve du recours de droit public pour violation des droits constitutionnels des citoyens (SCYBOZ, Le Tribunal fédéral et la poursuite, in Centenaire de la LP, Zurich 1989, p. 152, let. C1; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, p. 779). Il contrôle aussi préjudiciellement la constitutionnalité d'une ordonnance du Tribunal fédéral dans le cadre d'un recours de LP (
ATF 88 III 44
).
b) Selon l'
art. 15 al. 2 LP
, le Tribunal fédéral édicte les règlements et ordonnances d'exécution nécessaires. Malgré les termes utilisés dans cette disposition, qui a plus d'un siècle, l'art. 96 OOF est une règle édictée dans une ordonnance dépendante de substitution, selon la terminologie de la doctrine. Elle trouve son fondement dans la loi sur la poursuite pour dettes et la faillite et développe, avec les art. 32, 49, 70 et 93 OOF, la trop brève réglementation esquissée à l'
art. 231 al. 3 LP
(AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, Bâle 1983, p. 111 No 193; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 2e éd., Lausanne 1988, p. 53).
Lorsqu'il s'agit d'apprécier la constitutionnalité d'une ordonnance dépendante de substitution édictée par le Conseil fédéral, le Tribunal fédéral examine si les dispositions de l'ordonnance concourent objectivement à la réalisation du but visé par la loi et y sont adaptées (
ATF 108 IV 125
et les arrêts cités), conformément
BGE 117 III 44 S. 47
au principe de proportionnalité. Si l'on applique, par analogie, cette jurisprudence à l'art. 96 OOF, on constate que l'interdiction de distributions provisoires, avec les formalités qui en découleraient, est conforme et adaptée au but visé par la loi à l'
art. 231 LP
, c'est-à-dire la simplification de la procédure de liquidation. Dès lors, le reproche de violation des limites de la très large délégation législative de l'
art. 15 al. 2 LP
est infondé.
Cette solution est d'autant plus justifiée qu'il s'agit d'une ordonnance appliquée depuis près de huitante ans et guère contestée depuis lors. Si la jurisprudence n'a pas tranché la question de la constitutionnalité d'une disposition d'une ordonnance fondée sur l'
art. 15 al. 2 LP
et dérogeant à la loi (
ATF 88 III 44
), la doctrine est encline à considérer que de tels aménagements, même dérogatoires, bénéficient de la force de la coutume (FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., Fribourg 1974, p. 55/56; FRITZSCHE/ WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs, 3e éd., 1984, p. 52/53). | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
0177cb08-30f7-415b-9737-81da8f400290 | Urteilskopf
116 Ia 382
57. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 21 décembre 1990 en la cause Denys Felber c. Conseil d'Etat du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 45 BV
: Wohnsitzpflicht der Beamten.
Die Wohnsitzpflicht für Genfer Beamte beruht auf einer gesetzlichen Grundlage und entspricht einem öffentlichen Interesse (E. 2). Bei einem Gefängniswärter ist das öffentliche Intresse am Wohnsitz im Kanton nicht im gleichen Masse gegeben wie bei Lehrern und Polizisten (E. 3). Im konkreten Fall überwiegt das private Interesse, das im wesentlichen vom Wohlergehen der Familie des Beamten bestimmt wird, gegenüber dem öffentlichen Interesse des Staates als Arbeitgeber (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 383
BGE 116 Ia 382 S. 383
Au mois de mai 1982, Denys Felber a été engagé comme gardien surnuméraire à la prison de Champ Dollon. Il a ensuite été nommé à ce poste qu'il a conservé jusqu'à ce jour.
Denys Felber s'est marié en 1983. Il est père de deux filles nées en 1986 et 1988.
Le 13 septembre 1984, les époux Felber ont acquis, en copropriété, une parcelle sur la commune de Gland (VD), que leur offraient les frères de Me Felber au prix de 140 francs le m2. En 1986/1987, ils firent bâtir une villa sur cette parcelle, attenante à la maison occupée par la famille de l'épouse. A la fin de la construction, celle-ci s'installa dans la villa, tandis que Denys Felber restait domicilié dans le canton de Genève, afin de respecter l'obligation imposée aux fonctionnaires genevois d'avoir leur domicile et leur résidence effective sur le territoire cantonal.
Le 20 décembre 1989, Denys Felber a demandé au Conseil d'Etat genevois l'autorisation de créer son domicile à Gland, en dérogation à l'art. 13 de la loi générale relative au personnel de l'administration cantonale et des établissements publics médicaux. Il faisait valoir l'absence d'inconvénients pour ses devoirs de service et les liens étroits de son épouse avec le canton de Vaud et sa famille à Gland.
BGE 116 Ia 382 S. 384
Le Conseil d'Etat genevois a rejeté cette requête par décision du 18 avril 1990. Il a retenu en bref que les motifs invoqués par Denys Felber relevaient de la pure convenance personnelle et que les conditions légales pour accorder une dérogation n'étaient donc pas remplies.
Denys Felber a formé un recours de droit public contre la décision du Conseil d'Etat du 18 avril 1990, en concluant à son annulation.
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la décision attaquée.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En vertu de l'
art. 45 Cst.
, le recourant bénéficie, comme tout citoyen suisse, de la liberté d'établissement. Toutefois, à l'exemple des autres droits fondamentaux, la liberté d'établissement peut être limitée par des restrictions fondées sur une base légale suffisante, si elles répondent à un intérêt public et respectent le principe de la proportionnalité. Ces exigences s'appliquent aussi au rapport de dépendance spécial, notamment en matière de statut des fonctionnaires (
ATF 115 Ia 210
consid. 3a et les arrêts cités,
ATF 114 Ib 165
).
Dans le cas particulier, l'obligation de domicile et de résidence est prévue à l'art. 13 de la loi générale relative au personnel de l'administration cantonale et des établissements publics médicaux (en abrégé: LPAC), sous réserve des dérogations qui peuvent être accordées lorsque les conditions légales sont réunies. Selon cette disposition,
"Les membres du personnel occupant une fonction permanente et qui sont au bénéfice d'un engagement de durée indéterminée doivent avoir leur domicile et leur résidence effective dans le canton de Genève (al. 1).
A la condition que l'éloignement de leur domicile ne porte pas préjudice à l'accomplissement de leur devoir de service, le Conseil d'Etat, respectivement la commission administrative concernée, peut accorder aux fonctionnaires des dérogations pour tenir compte de la propriété d'immeuble antérieure à l'engagement, de contraintes familiales graves, du taux d'activité réduit ou de la fin prochaine des rapports de fonction d'un membre du personnel (al. 2)."
Le recourant ne conteste pas que l'art. 13 LPAC lui est applicable et qu'il constitue une base légale suffisante pour lui imposer l'obligation de domicile et de résidence dans le canton de Genève. Il soutient cependant qu'au regard de sa fonction de
BGE 116 Ia 382 S. 385
gardien de prison et des intérêts particuliers de sa famille à demeurer à Gland, cette obligation constitue une exigence disproportionnée par rapport à l'intérêt public en jeu.
3.
La jurisprudence reconnaît l'existence d'un intérêt public à l'obligation de résidence d'un fonctionnaire non seulement lorsque la nature du service l'exige, mais aussi en raison des liens qui peuvent se créer entre le fonctionnaire et la population, liens qui sont mieux garantis lorsque l'intéressé habite au sein de la collectivité de l'employeur de droit public. Ainsi, malgré les critiques de cette jurisprudence (voir RDAF 1986 p. 128 et les références citées), le Tribunal fédéral admet que ces conditions sont en principe réalisées dans le cas des fonctionnaires de l'enseignement (
ATF 115 Ia 207
et ss,
ATF 108 Ia 248
et ss), avec une exception pour l'Ecole française de Berne (arrêt non publié du 5 février 1988 en la cause Tardin c. Conseil-exécutif du canton de Berne), ou dans celui des fonctionnaires de police (
ATF 103 Ia 455
et ss; arrêts non publiés du 11 mai 1987 en la cause Amez-Droz c. Tribunal administratif du canton de Neuchâtel et du 8 décembre 1989 en la cause Bigler-Pastori c. Conseil d'Etat du canton de Vaud et commune de Lausanne). Pour ces derniers, la jurisprudence a précisé que l'obligation de résidence n'était pas seulement justifiée par des impératifs de service, tels que la rapidité d'intervention du corps de police, mais aussi par la préoccupation d'intégrer l'agent public dans la population de la commune, en lui permettant de participer à la vie publique de cette communauté.
La situation du gardien de prison n'est cependant pas comparable. S'il s'agit bien d'un fonctionnaire chargé par l'Etat d'une tâche de police, il ne dispose toutefois d'un pouvoir coercitif que sur des détenus, soit sur un nombre limité de personnes se trouvant dans un milieu clos, qui n'ont parfois aucun lien avec le canton dans lequel elles sont détenues. La fonction de geôlier vise certes à préserver les institutions et à maintenir l'ordre public, mais elle peut être exercée sans qu'il soit nécessaire de s'intégrer à la vie de la communauté locale. En revanche, il est utile que le gardien de prison connaisse le milieu dans lequel vivront les prisonniers après leur libération, dans la mesure où il lui appartient aussi de préparer ces derniers à leur sortie. Même si cette tâche n'est pas aussi importante dans un établissement de détention préventive comme Champ Dollon que dans un établissement d'exécution des peines, on ne saurait contester l'existence d'un certain intérêt public à ce que le gardien de prison vive dans la communauté d'où viennent
BGE 116 Ia 382 S. 386
la plupart des détenus dont il doit s'occuper. Cet intérêt paraît toutefois relatif par rapport à l'intérêt public qui prévaut pour l'intégration de l'enseignant ou de l'agent de police dans la vie de la collectivité où ils exercent leur profession.
Si l'obligation faite par la loi genevoise aux fonctionnaires des prisons d'avoir leur domicile dans le canton n'est donc pas dépourvue de tout intérêt public, son importance doit cependant être examinée, dans le cadre de l'application du principe de la proportionnalité, par la pesée des intérêts en présence.
4.
a) Le respect du principe de la proportionnalité exige que le droit cantonal autorise des dérogations à l'obligation générale de résidence et que l'autorité chargée de l'appliquer procède, dans chaque cas, à une pesée des intérêts publics et privés opposés (
ATF 115 Ia 211
consid. 2c,
ATF 111 Ia 218
/219). A cet égard, le fonctionnaire ne peut faire valoir que des motifs sérieux et importants (
ATF 103 Ia 459
consid. 6a).
Préalablement, il faut relever que le Conseil d'Etat ne prétend pas que l'établissement du recourant à Gland porterait préjudice à l'accomplissement de ses devoirs de service, condition que l'art. 13 al. 2 LPAC pose pour accorder une dérogation à la règle générale imposant au personnel de l'administration de résider dans le canton de Genève. Les motifs invoqués par le recourant doivent dès lors être comparés uniquement à l'intérêt public réduit - qui a été démontré - pour obliger un gardien de prison à établir son domicile dans le canton.
b) A côté de ses intérêts familiaux, le recourant fait valoir qu'il est propriétaire d'une villa à Gland, dont il ne pourrait trouver l'équivalent dans le canton de Genève. A lui seul, ce motif ne saurait toutefois justifier une dérogation à l'obligation de domicile. Cela reviendrait en effet à autoriser tout fonctionnaire genevois à mettre le gouvernement devant un fait accompli, dans la mesure où la loi ne prévoit une dérogation que pour le fonctionnaire déjà propriétaire d'un immeuble extérieur au canton avant son entrée en service, situation à laquelle la pratique a assimilé le fait d'hériter une telle propriété pendant la durée de ses fonctions.
Il n'est néanmoins pas possible de faire totalement abstraction du fait qu'en raison de la tension actuelle et durable qui règne sur le marché immobilier genevois, le recourant aurait sans doute eu de la peine à trouver un logement pour sa famille et lui-même dans le canton de Genève. A cela s'ajoute que le choix de Gland comme commune de domicile n'est pas gratuit, mais répond aux intérêts
BGE 116 Ia 382 S. 387
de l'ensemble de la famille et non aux seuls motifs de convenance personnelle du recourant. Me Felber est en effet très attachée à Gland, où sa famille est domiciliée. Exerçant elle-même une activité lucrative, elle a notamment la possibilité de confier régulièrement ses deux filles à l'une ou l'autre de ses belles-soeurs qui habitent la maison voisine. Dans la mesure où le choix du domicile ne dépend pas seulement de la volonté du mari (
ATF 114 Ib 166
consid. 4), il n'est pas souhaitable que Me Felber continue à demeurer seule avec ses enfants pendant la semaine, au risque de mettre l'union des époux en péril. Le recourant a donc un intérêt privé évident à ne pas être placé devant l'alternative de devoir renoncer à son emploi actuel pour pouvoir rester avec les siens à Gland ou d'obliger sa famille à quitter un immeuble qui lui appartient pour aller vivre dans un canton où il n'est pas certain de pouvoir la loger convenablement.
c) Dans ces circonstances, l'intérêt privé, qui réside essentiellement dans le bien-être de la famille du recourant, doit être considéré comme supérieur à l'intérêt public atténué invoqué par le canton de Genève. Le refus d'accorder au recourant une dérogation à l'obligation de domicile, sur la base d'une application stricte de l'art. 13 al. 2 LPAC, est donc, en l'espèce, contraire au principe de la proportionnalité. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
017a1999-dd44-4673-a079-f09c78f70da2 | Urteilskopf
90 IV 104
22. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1964 i.S. Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh. gegen Büttel. | Regeste
Art. 102 Ziff. 2 SVG
; Veröffentlichung des Strafurteils.
Art und Umfang der Veröffentlichung haben sich nach dem Zweck der Massnahme zu richten. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind sie ins richterliche Ermessen gestellt.
Das gleiche gilt für den Entscheid über die Frage, wo das Urteil zu veröffentlichen sei, z.B. am Orte der Widerhandlung oder am Wohnort des Verurteilten. | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 90 IV 104 S. 104
A.-
Büttel fuhr in der Nacht vom 9. auf den 10. März 1963, angetrunken und ohne im Besitze eines gültigen Führerausweises zu sein, mit einem Motorroller von Appenzell Richtung St. Gallen. Zwischen Gais und Bühler wurde er von der Polizei festgenommen. Die Blutprobe ergab chemisch und interferometrisch eine Alkoholkonzentration von 2,06 Gewichtspromille.
Büttel, der in St. Gallen wohnt, war 1961 und 1962 bereits dreimal wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand bestraft worden.
B.-
Das Bezirksgericht Mittelland verurteilte Büttel in Anwendung der Art. 31 Abs. 1, 90 Ziff. 1, 91 Abs. 1 und 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG zu zwei Monaten Gefängnis und Fr. 200.-- Busse. Zudem verfügte es gestützt auf
Art. 102 Ziff. 2 SVG
, dass das Urteil einmal im Amtsblatt des Kantons St. Gallen zu veröffentlichen sei.
Das Obergericht von Appenzell A.Rh. änderte diesen
BGE 90 IV 104 S. 105
Entscheid am 24. März 1964 dahin ab, dass es die Veröffentlichung im Amtsblatt des Kantons Appenzell A.Rh. anordnete.
C.-
Die Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Obergericht anzuweisen, dass die Veröffentlichung in erster Linie am Wohnort des Verurteilten zu erfolgen habe.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach
Art. 102 Ziff. 2 SVG
ordnet der Richter die Veröffentlichung des Strafurteils gemäss
Art. 61 StGB
an, wenn der Verurteilte besondere Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt hat (lit. a), oder wenn er innert fünf Jahren mehr als einmal wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand bestraft wird (lit. b).
1.
Der Zweck dieser Bestimmung liegt vor allem in der Generalprävention. Die Veröffentlichung des Urteils soll nicht nur den Verurteilten selber in verschärftem Masse an wichtige Verkehrsverpflichtungen erinnern, sondern Strassenbenützern überhaupt zur Warnung gereichen. Indem das Gesetz die Veröffentlichung zwingend vorschreibt, schafft es zugleich eine unwiderlegliche Vermutung, dass die Öffentlichkeit bei Widerhandlungen, die im Strassenverkehr eine besonders gefährliche Rolle spielen, stets an der Bekanntmachung des Urteils interessiert ist. Diese Vermutung hat ihren Grund darin, dass Dritte, die zu gleichen oder ähnlichen Verfehlungen neigen, erfahrungsgemäss die öffentliche Blosstellung und deren Folgen mehr fürchten als die Strafe selber (vgl.
BGE 88 IV 12
und dort angeführte Lehre und Rechtsprechung).
2.
Art und Umfang der Veröffentlichung haben sich nach dem Zweck der Massnahme zu richten. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind sie ins richterliche Ermessen gestellt (
Art. 61 Abs. 4 StGB
). Das heisst insbesondere, dass die Veröffentlichung einerseits nicht weitergehen darf, als ihr Zweck es erfordert, anderseits aber
BGE 90 IV 104 S. 106
auch nicht notwendig in einem kantonalen Amtsblatt zu erfolgen hat, noch sich auf ein solches Blatt zu beschränken braucht. Der Richter ist in der Wahl des Blattes vielmehr frei. Erweist sich eine Veröffentlichung in einem kantonalen Amtsblatt als ungenügend, so kann und soll er sie in künftigen Fällen zur Erhöhung der Wirkung in andern Zeitschriften, namentlich in Blättern, die von Motorfahrzeugführern beachtet werden, anordnen (vgl.
BGE 78 IV 16
; SJZ 51 368, 52 299 Nr. 144). Hinsichtlich des Verurteilten sind dem Richter dabei nur insofern Schranken gesetzt, als er diesem keine durch die Umstände nicht gerechtfertigte oder vom Gesetz nicht gewollte Nachteile zufügen darf und darauf Bedacht nehmen muss, dass die nach
Art. 61 Abs. 1 StGB
vom Verurteilten zu tragenden Kosten sich in angemessenen Grenzen halten.
3.
In das freie Ermessen des Sachrichters fällt auch der Entscheid über die Frage, wo das Strafurteil zu veröffentlichen sei. Dies kann sowohl am Orte der Widerhandlung wie am Wohnort des Verurteilten geschehen. Weder
Art. 102 Ziff. 2 SVG
noch
Art. 61 StGB
schliesst die eine oder andere Möglichkeit aus.
a) Für die Veröffentlichung am Wohnort spricht vor allem, dass sie den Verurteilten dort, namentlich wenn er in ländlichen Verhältnissen wohnt, empfindlicher zu treffen vermag als z.B. an einem Tatort, wo er völlig unbekannt ist. Ginge es allein darum, den Verurteilten von künftigen Straftaten abzuhalten, so müsste die Massnahme meistens am Wohnort angeordnet werden, was nicht heissen will, dass ihre generalpräventive Wirkung diesfalls geringer wäre als bei einer Veröffentlichung am Orte der Widerhandlung. Dass die Massnahme schon wegen der Vielfalt kantonaler Amtsblätter zwangsläufig zu Ungleichheiten führe, wenn sie am Wohnort des Verurteilten angeordnet wird, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zu ersehen. Die Kantone sind gemäss
Art. 352 Abs. 1 StGB
unter sich zur Rechtshilfe verpflichtet. Das gilt auch für die Veröffentlichung eines Urteils in einem ausserkantonalen
BGE 90 IV 104 S. 107
Amtsblatt. Die Berufung auf Sprachverschiedenheiten geht vorliegend jedenfalls fehl, da so oder anders ein deutschschweizerischer Kanton in Frage stände. Dagegen trifft zu, dass eine Anordnung der Massnahme am Wohnort des Verurteilten ausser Betracht fällt, wenn dieser Ort im Ausland liegt.
b) Die Veröffentlichung des Urteils am Orte der Widerhandlung hat ebenfalls ihre Vorzüge. Sie dürfte dem Urteilskanton ihre Durchsetzung meistens erleichtern und auch sonst normalerweise näher liegen als die Anrufung einer ausserkantonalen Stelle. Dazu kommt, dass die Öffentlichkeit am Orte der Widerhandlung, wo in der Regel auch das Strafverfahren durchzuführen ist, an der Bekanntgabe des Urteils besonders interessiert ist. Solches Interesse bietet Gewähr für eine erhöhte präventive Wirkung der Massnahme. Die Veröffentlichung am Orte der Widerhandlung hat zudem den Vorzug, dass sie auch gegenüber einem im Ausland wohnenden Verurteilten angeordnet werden kann.
c) Lassen sich somit für die Wahl dieses wie jenes Ortes gute Gründe anführen, so könnte vorliegend von einer Ermessensüberschreitung, die allein den Kassationshof zum Einschreiten berechtigen würde (
BGE 78 IV 15
), nur die Rede sein, wenn besondere Umstände die Anordnung der Massnahme am Wohnort des Verurteilten derart aufdrängten, dass demgegenüber die Wahl des Tatortes als offensichtlich verfehlt zu bezeichnen wäre. Solche Umstände sind nicht dargetan. Dass die Blosstellung vor der Öffentlichkeit den Verurteilten härter trifft, wenn sein Wohnort mit dem Orte der Widerhandlung zusammenfällt, ändert nichts. Diese Folge ist dem Gesetzgeber nicht entgangen (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II S. 66); er hat die Veröffentlichung des Strafurteils in Fällen, wie dem vorliegenden, nichtsdestoweniger zwingend vorgeschrieben, ihre Wirkungen für den Verurteilten somit bewusst gewollt oder doch zumindest im
BGE 90 IV 104 S. 108
öffentlichen Interesse in Kauf genommen. Gegen die Auffassung der Vorinstanz, dass kein Anlass zu einer zusätzlichen Urteilsveröffentlichung am Wohnort des Verurteilten bestehe, wird in der Beschwerde nichts Besonderes vorgebracht.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
017b15d4-e50a-48b5-8f55-b5c982e75685 | Urteilskopf
117 II 47
12. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 13 mars 1991 dans la cause époux P. contre C. (recours en réforme) | Regeste
Art. 20 Abs. 1 und
Art. 23 ff. OR
. Kantonale Ordnung des Architektenberufes; Architektenvertrag; Gültigkeit.
Der mit einem Architekten, der zur Ausübung des Architektenberufes nach kantonalem Recht nicht berechtigt ist, abgeschlossene Vertrag ist - Willensmängel vorbehalten - gültig. | Sachverhalt
ab Seite 47
BGE 117 II 47 S. 47
A.-
C. exploite un bureau d'architecte à Lausanne. Il collabore dans le cadre de cette activité avec l'architecte M. C. n'est pas inscrit sur la liste des architectes reconnus dans le canton de Vaud.
Les époux P. ont chargé C. de l'étude des plans et de la mise à l'enquête du projet de construction d'un bâtiment.
Le 3 juin 1986, C. a adressé aux époux P. une note d'honoraires s'élevant à 28'949 fr. 20.
Le 9 juin 1986, sieur P. a notamment répondu qu'il contestait toutes prétentions découlant d'un mandat qu'il aurait pu lui donner, alléguant avoir été trompé par C. qui lui aurait affirmé être reconnu par l'Etat alors qu'il ne l'était pas.
B.-
Le 21 juillet 1987, C. a ouvert action contre les époux P. Il a notamment demandé, en dernières écritures, la condamnation des défendeurs à lui payer solidairement la somme de 21'784 fr. 55.
Par jugement du 7 mai 1990, le Tribunal cantonal du canton de Vaud a condamné solidairement les époux P. à payer à C. 21'784 fr. 55.
BGE 117 II 47 S. 48
C.-
Les défendeurs interjettent un recours en réforme contre ce jugement. Ils concluent, principalement, au rejet de la demande et, subsidiairement, à ce que le montant alloué au demandeur soit ramené à 10'892 fr. 30. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable et confirmé le jugement attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les défendeurs invoquent la nullité du contrat d'architecte pour le motif que l'objet du contrat aurait été impossible et illicite.
a) Un contrat est nul en vertu de l'
art. 20 al. 1 CO
si son contenu est illicite, mais il ne l'est pas si la seule participation subjective d'une partie à ce contrat est interdite (
ATF 114 II 280
et les arrêts cités). Selon une jurisprudence constante, lorsque la loi ne consacre pas expressément la nullité d'un acte violant une disposition légale, cette conséquence juridique ne doit être admise que si elle résulte du sens et du but de la disposition en cause, c'est-à-dire si elle est appropriée à l'importance de l'effet combattu (
ATF 115 II 364
consid. 4a et les arrêts cités). S'agissant de l'illicéité d'un contrat, l'
art. 20 CO
ne distingue pas selon que celle-ci découle de violations du droit fédéral ou du droit cantonal (
art. 19 al. 2 CO
;
ATF 114 II 281
consid. 2a et la référence), à la condition toutefois, dans cette dernière hypothèse, que le législateur cantonal soit compétent pour promulguer la réglementation en cause (
ATF 80 II 329
consid. 2).
La jurisprudence a refusé de déclarer nul un contrat de courtage passé avec des courtiers étrangers ayant exercé leur activité en Suisse sans autorisation de la police des étrangers pour le motif que l'interdiction de cette activité ne touchait pas au contenu du contrat, mais à la seule participation subjective d'une des parties (
ATF 114 II 281
consid. 2b et l'arrêt cité). En revanche, si la loi interdit à une personne la conclusion d'un contrat et si les intérêts de la collectivité sont en cause, comme par exemple la santé publique, le contrat sera nul (ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 195). Le médecin, l'avocat et le notaire notamment devraient ainsi bénéficier d'une autorisation pour conclure valablement un contrat (TERCIER, La partie spéciale du Code des obligations, n. 2934).
Le Tribunal fédéral n'a jamais eu à résoudre le cas du contrat passé avec un architecte qui n'est pas autorisé à pratiquer par le droit cantonal. Dans un cas analogue, il n'a que posé le principe
BGE 117 II 47 S. 49
selon lequel les registres publics indiquant les personnes autorisées à pratiquer une profession ne sont pas censés connus au sens de l'
art. 9 CC
(arrêt C. contre M. du 16 juin 1965, consid. 1, in RJN 1961-1965, p. 221).
b) Certaines juridictions cantonales se sont prononcées sur cette question. Ainsi, la Cour d'appel du Tribunal cantonal du canton de Fribourg a admis que la législation cantonale peut interdire que les plans mis à l'enquête soient signés par un architecte ne figurant pas sur la liste officielle, sans que cela empêche un propriétaire de charger un tel architecte d'établir des plans. Selon elle, cette question a d'autant moins d'importance si ledit architecte a des associés figurant sur la liste officielle et que l'un d'eux a apposé sa signature sur les plans (Extraits 1976, p. 38). En revanche, la Cour de cassation civile du canton de Neuchâtel a retenu que les plans établis par une personne qui n'est pas inscrite dans le registre des architectes neuchâtelois sont inutilisables. Elle n'a toutefois pas tranché si, en pareil cas, la prestation est impossible (
art. 20 CO
), inexécutée (
art. 82 CO
) ou entachée d'un vice rédhibitoire (
art. 398 CO
; RJN 1961-1965, p. 220).
La doctrine est divisée. TERCIER, qui approuve la décision neuchâteloise susmentionnée, estime que, lorsque l'objet essentiel du contrat concerne une activité pour laquelle la condition de l'inscription dans un registre cantonal est exigée, le contrat est nul en raison de son exécution objectivement impossible (
art. 20 CO
). Il considère toutefois que cette opinion ne contredit pas le point de vue du Tribunal cantonal fribourgeois, rappelé ci-dessus, qu'un propriétaire peut charger un architecte non inscrit d'établir des plans (La formation du contrat et les clauses d'architecte, in Le droit de l'architecte, n. 163-166). DESSEMONTET, en revanche, opte en faveur de la possibilité d'annuler le contrat pour erreur essentielle car, écrit-il, "il convient de protéger le maître de bonne foi" (Quelques remarques à propos du contrat d'architecte, in Le centenaire du Code des obligations, p. 498). Cette dernière thèse doit être préférée à celle de la nullité. Sans doute les dispositions cantonales sur l'exercice de la profession d'architecte ont-elles pour but la protection du public mais, dans les rapports entre l'architecte et son mandant, celui-ci, lorsqu'il est de bonne foi, bénéficie d'une meilleure protection s'il a le choix de l'invalidité et du maintien du contrat. Lui en imposer la nullité irait à l'encontre de la sauvegarde de ses intérêts, et cela sans qu'on en discerne la raison d'être. Une nullité du contrat serait d'autant plus choquante lorsque, comme
BGE 117 II 47 S. 50
dans la présente espèce, l'architecte a fourni sa prestation. Le fait que le travail exécuté ne donne pas en tout point satisfaction n'est pas déterminant du moment que, conformément au jugement attaqué et à l'expertise sur laquelle il se fonde, il se tient dans des limites admissibles. Le nouvel architecte n'a pas fait mieux que le demandeur. Les imperfections des plans de ce dernier n'ont rien enlevé à leur utilité du point de vue administratif puisque le permis de construire a été délivré. Ils correspondent à ce qu'auraient fourni d'autres architectes.
c) Il découle de ce qui vient d'être exposé que, sous réserve d'éventuels vices du consentement, le contrat litigieux est valide. Le grief des défendeurs tiré de l'impossibilité juridique et celui de la nullité qui découlerait implicitement au moins de la loi vaudoise du 13 décembre 1966 sur la profession d'architecte tombent en conséquence à faux. | public_law | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
017da9af-29ff-495f-879f-cdcbfce5fc94 | Urteilskopf
114 III 71
22. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Oktober 1988 i.S. Betriebliche Altersvorsorgeeinrichtung Wirte gegen Seerestaurant Zürich AG und Obergericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Provisorische Rechtsöffnung; Begriff der durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung (
Art. 82 Abs. 1 SchKG
).
Die anerkannte Schuld muss in der vom Schuldner unterzeichneten Urkunde nicht notwendigerweise ziffernmässig bestimmt sein; es genügt, dass sie leicht bestimmbar ist. Es ist daher willkürlich, die provisorische Rechtsöffnung für die Beitragsforderung einer Personalvorsorgeeinrichtung zu verweigern, wenn deren Höhe in der vom Beitragsschuldner unterzeichneten Anschlussvereinbarung von der gesetzlich vorgesehenen periodischen Anpassung des koordinierten Lohnes an die AHV-Gesetzgebung abhängig gemacht wird. | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 114 III 71 S. 72
Die Seerestaurant Mythenquai AG ist der Betrieblichen Altersvorsorgeeinrichtung Wirte (BAV Wirte) angeschlossen. In der Anschlussvereinbarung vom 13. November 1985 hatte sie sich unterschriftlich verpflichtet, dieser die reglementarisch geforderten Beiträge zu leisten. Mit Gesuchen vom 8. und 9. Februar 1988 ersuchte die BAV Wirte beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich für ihre Beitragsforderungen aus dem 4. Quartal 1986 und aus dem 1. Quartal 1987 im Betrag von Fr. 13'971.90 bzw. Fr. 15'197.20 um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung. Als Rechtsöffnungstitel legte sie die Anschlussvereinbarung und die von der Schuldnerin unterzeichneten Lohnlisten vor. Mit Verfügungen vom 2. März 1988 wies der Einzelrichter die Rechtsöffnungsgesuche ab. Eine dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Mai 1988 abgewiesen. Gegen diesen Entscheid hat die BAV Wirte beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erhoben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Einzelrichter hatte die Abweisung der beiden Rechtsöffnungsbegehren damit begründet, dass sich die Berechnungsgrundlagen der Beitragsforderungen, auf welche in der Anschlussvereinbarung verwiesen werde, seit deren Unterzeichnung durch Änderung von Art. 5 der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 18. April 1984 (BVV 2; SR 831.441.1) offenbar geändert hätten und dass diese Grundlagen nicht mehr als von der Beschwerdegegnerin unterschriftlich anerkannt gelten könnten. Das Obergericht hat darin keinen Verstoss gegen klares Recht erblickt.
Nach
Art. 82 Abs. 1 SchKG
kann die provisorische Rechtsöffnung unter anderem dann verlangt werden, wenn die Forderung auf einer durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung beruht.
BGE 114 III 71 S. 73
In der dem Rechtsöffnungsrichter vorgelegten Anschlussvereinbarung vom 13. November 1985 hatte sich die Beschwerdegegnerin unterschriftlich verpflichtet, alle gemäss Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) und Landes-Gesamtarbeitsvertrag versicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei der Beschwerdeführerin zu versichern und dafür die reglementarisch geforderten Beiträge zu leisten. Sie hatte ferner erklärt, von dem auf der Rückseite des Formulars abgedruckten Reglementsauszug Kenntnis genommen und ihn in dieser Form akzeptiert zu haben. Im Reglementsauszug werden die von den angeschlossenen Betrieben zu leistenden Beiträge in Prozenten des koordinierten Lohns der zu versichernden Arbeitnehmer festgesetzt. Der koordinierte Lohn wird als AHV-Bruttolohn abzüglich Fr. 1'380.-- monatlich, höchstens aber Fr. 2'760.-- und mindestens Fr. 172.50 monatlich definiert, wobei ausdrücklich beigefügt wird, diese Lohngrenzen würden jeweils den Änderungen im BVG angepasst. Eine solche Änderung erfolgte mit Wirkung auf den 1. Januar 1986 durch die Verordnung 86 über die Anpassung der Grenzbeträge bei der beruflichen Vorsorge vom 11. September 1985 (AS 1985 S. 1345).
Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid zu Recht darauf hingewiesen, dass sich eine Schuldanerkennung auch aus einer Gesamtheit von Urkunden ergeben kann, sofern die notwendigen Elemente daraus hervorgehen, und dass die anerkannte Schuld in der vom Schuldner unterzeichneten Urkunde nicht notwendigerweise ziffernmässig bestimmt sein muss, sondern dass es genügt, dass die Schuldsumme leicht bestimmbar ist (
BGE 106 III 99
E. 3). Diese Voraussetzung ist hier aber entgegen der Auffassung der kantonalen Instanzen klarerweise erfüllt. Die Beschwerdegegnerin hat nicht nur die Anschlussvereinbarung unterzeichnet, sondern auch die Lohnlisten für die beiden Quartale, für welche die Versicherungsbeiträge verlangt werden. Da die Anschlussvereinbarung auch die Beitragssätze enthält, lässt sich der Schuldbetrag aus der Gesamtheit dieser Urkunden ohne weiteres bestimmen. Fragen kann sich nur, ob die anerkannte Schuld allein wegen der inzwischen erfolgten Anpassung der Vorschriften betreffend den koordinierten Lohn, von welchem bei der Berechnung der Beiträge auszugehen ist, nicht mehr als leicht bestimmbar gelten kann. Diese Frage ist jedoch ohne Zweifel zu verneinen. Der Begriff des koordinierten Lohns, der in
Art. 8 BVG
umschrieben wird, ist für die berufliche Vorsorge von grundlegender Bedeutung und ist jedem in diesem Bereich Tätigen bekannt, namentlich auch den
BGE 114 III 71 S. 74
Arbeitgebern, die ihre Arbeitnehmer für diesen Teil des Lohns versichern müssen. Ebenso allgemein bekannt ist, dass die obere und die untere Grenze des koordinierten Lohns vom Bundesrat periodisch den Änderungen der AHV-Gesetzgebung angepasst werden, wie dies hier der Fall war (
Art. 9 BVG
). Es ist nicht einzusehen, weshalb eine derartige auf Gesetz beruhende Änderung der Berechnungsgrundlagen vom Beitragsschuldner unter dem Gesichtspunkt von
Art. 82 Abs. 1 SchKG
nicht zum voraus sollte anerkannt werden können. Es kann hier nichts anderes gelten als bei Schuldverpflichtungen, die mit einer Indexklausel versehen sind. Für solche Schuldverpflichtungen wird in der Praxis ständig Rechtsöffnung erteilt, auch wenn deren endgültige Höhe im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Schuldanerkennung - bei der definitiven Rechtsöffnung im Zeitpunkt der Urteilsfällung - nicht feststeht (vgl. z.B. JT 1973 II 93; BJM 1976 S. 107). Gilt eine Schuldverpflichtung, deren definitive Höhe sich erst aus der nachträglichen Entwicklung eines Indexes ergibt, als durch die Unterschrift unter die Schuldanerkennung gedeckt, so kann es sich nicht anders verhalten, wenn in der unterzeichneten Schuldanerkennung die Änderung der für die Bestimmung des koordinierten Lohns massgebenden Grenzbeträge vorbehalten wird. Auch in einem solchen Fall ist der Schuldbetrag ohne weiteres bestimmbar. Die Berücksichtigung der gesetzlichen Anpassung des koordinierten Lohns, wie sie hier für die Berechnung der Versicherungsbeiträge notwendig ist, ist für den Rechtsöffnungsrichter denn auch nicht komplizierter als die Anwendung einer Indexklausel. Im vorliegenden Fall erschöpfen sich die Auswirkungen dieser Gesetzesänderung praktisch darin, dass vom AHV-Bruttolohn statt Fr. 1'380.--, wie ursprünglich vorgesehen, Fr. 1'440.-- pro Monat abgezogen werden müssen, um den koordinierten Lohn zu ermitteln. Dieser und damit auch die von der Beschwerdegegnerin geschuldeten Beiträge sind somit geringer, als wenn noch vom ursprünglichen Betrag ausgegangen worden wäre. Um so stossender ist es, die Rechtsöffnung wegen dieser quantitativ geringfügigen und sich überdies zugunsten der Schuldnerin auswirkenden gesetzlichen Änderungen der Berechnungsgrundlagen zu verweigern.
Entgegen der Auffassung des Obergerichts lässt sich der vorliegende Fall in keiner Weise mit
BGE 106 III 97
vergleichen. In jenem Entscheid ist das Bundesgericht zum Ergebnis gelangt, dass die stillschweigende Genehmigung eines Kontokorrentauszugs zusammen
BGE 114 III 71 S. 75
mit dem vom Schuldner unterzeichneten Krediteröffnungsvertrag keinen Rechtsöffnungstitel für den Passivsaldo des Kontos darstelle. Es liegt in der Tat auf der Hand, dass die Höhe des Saldos durch die Unterzeichnung des Krediteröffnungsvertrags nicht gedeckt ist. Auch wenn sich der Bankkunde verpflichtet, den nicht innert Frist beanstandeten Kontoauszug als richtig anzuerkennen, so fehlt es an der für die Rechtsöffnung erforderlichen unterschriftlichen Anerkennung des Saldos. Dieser ist aufgrund der vom Kunden unterzeichneten Urkunde auch in keiner Weise bestimmbar, liegt es doch völlig in der Hand der Bank, welche Zahlen sie in den Kontoauszug aufnehmen will. Im vorliegenden Fall lässt sich die Schuldsumme demgegenüber aufgrund der Schuldanerkennung anhand objektiver, dem Willen der Parteien entzogener Umstände, nämlich der gesetzlichen Anpassung der für die Ermittlung des koordinierten Lohns massgebenden Grenzbeträge an die AHV-Gesetzgebung, denen sich die Beschwerdegegnerin zum voraus unterworfen hat, ohne weiteres berechnen.
Die Annahme der kantonalen Instanzen, die Beschwerdeführerin habe für die in Betreibung gesetzten Beitragsforderungen keine durch Unterschrift bekräftigte Schuldanerkennung vorgelegt, erweist sich somit als unhaltbar, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
01840bb1-b654-4ce2-a109-40781563d6f9 | Urteilskopf
115 V 224
32. Sentenza del 31 luglio 1989 nella causa N. contro Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato e Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino | Regeste
Art. 73 Abs. 1 BVG
: Rechtsnatur der Stellungnahmen von Vorsorgeeinrichtungen. Nach der Regelung des BVG dürfen weder die privatrechtlichen noch die öffentlichrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen Verfügungen im Rechtssinne erlassen; die Stellungnahmen der Vorsorgeeinrichtungen werden nur aufgrund eines auf Klage hin ergangenen Gerichtsurteils rechtsverbindlich (Erw. 2).
Art. 49 Abs. 2 BVG
,
Art. 4 Abs. 1 BV
: Überprüfung der Ordnung einer öffentlichrechtlichen Vorsorgeeinrichtung unter dem Gesichtspunkt der rechtsgleichen Behandlung. Obwohl das anwendbare kantonale Recht ohne vernünftigen Grund Invalidenrentner und Altersrentner unterschiedlich behandelt, indem es jenen im Gegensatz zu diesen bei der Zusatzleistung für Kinder keine dreizehnte Monatsrate gewährt, kann der Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung jedenfalls dann nicht angerufen werden, wenn in Wirklichkeit diese dreizehnte Rate an Altersrentner nicht ausbezahlt wird oder wenn die Behörde sich zu einer Gesetzesänderung verpflichtet hat mit dem Zwecke, den Anspruch bei dieser Kategorie von Rentnern zu verneinen (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 225
BGE 115 V 224 S. 225
A.-
Renato N., nato nel 1935, dipendente dello Stato del Cantone Ticino, venne pensionato per invalidità con effetto dal 1o maggio 1987.
Mediante provvedimento del 26 giugno 1987, la Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato stabilì l'importo della pensione, nonché il supplemento per i figli minorenni e per una figlia maggiorenne agli studi.
Il 3 agosto 1987 l'amministrazione precisò al pensionato gli elementi di calcolo della liquidazione.
In data 31 dicembre 1987 Renato N. si rivolse alla Cassa chiedendo il versamento di un conguaglio di fr. 392.--, importo questo pari alla tredicesima mensilità sul supplemento per i figli, pro rata temporis dal maggio al dicembre 1987, a suo avviso ancora dovutogli dall'amministrazione. La stessa, per atto 11 gennaio 1988, respinse l'istanza asserendo che il calcolo era stato eseguito in modo esatto nel rispetto della Legge sulla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato (LCP), in sostanza ritenendo che, conformemente al disciplinamento legale vigente, non era dato il diritto alla tredicesima sul supplemento per i figli dei pensionati invalidi.
B.-
Renato N. insorse contro quest'ultimo atto con impugnativa 28 gennaio 1988 rivolta al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino. Messe in risalto asserite
BGE 115 V 224 S. 226
incongruenze procedurali e censurati difetti formali, egli nel merito asserì che l'atto litigioso denegante il diritto alla tredicesima sul supplemento per i figli, ciò giusta un'interpretazione letterale della legge, non era conforme alla volontà del legislatore. Nella misura in cui disconosceva la tredicesima mensilità sui supplementi per i figli dei pensionati invalidi, l'atto in lite era arbitrario e discriminatorio nei confronti dei figli dei pensionati per vecchiaia, per i quali la tredicesima del supplemento era ammessa. Analogo ragionamento doveva essere operato per quanto riferito alla rendita per orfani, per la quale era pure riconosciuta la tredicesima. Chiese pertanto l'assegnazione di quanto gli spettava, ossia il versamento dell'arretrato di fr. 392.-- domandato per il 1987, nonché l'accertamento di pari pretesa per il 1988, invitando la Cassa pensioni ad esaminare e proporre le necessarie modifiche di legge.
La Cassa contrappose che il calcolo rispettava le disposizioni di legge e che pertanto il gravame era da respingere: l'insorgente aveva percepito l'esatto importo che gli spettava a titolo di tredicesima, cui nulla era da aggiungere sul supplemento per i figli.
Renato N. replicò ribadendo le precedenti allegazioni.
Per giudizio 27 aprile 1988 il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino ha respinto l'istanza. Reiette le eccezioni d'ordine, i primi giudici, ravvisata in essa istanza un'azione, l'hanno riconosciuta tempestiva. Nel merito, l'autorità giudiziaria cantonale ha affermato che le argomentazioni dell'assicurato non potevano essere condivise. Infatti, la tredicesima era prestazione dovuta dalla Cassa solo nella misura in cui prevista dalla LCP, nulla al riguardo figurando nella LPP; ora la legge cantonale riconosceva per i funzionari invalidi la tredicesima solo sulla pensione e non già sulla pensione comprensiva del supplemento. Così aveva stabilito il legislatore per scelta insindacabile da parte dei giudici, per cui rettamente quindi l'amministrazione aveva operato il calcolo. Se esatto era il rilievo nel senso che il riconoscimento della tredicesima sul supplemento per i figli di pensionati per vecchiaia e il diniego di essa tredicesima sul supplemento per i figli di invalidi configurava disparità di trattamento, doveva essere rilevato che l'asserto non era decisivo, dal momento che l'amministrazione aveva corretto spontaneamente la svista non corrispondendo in pratica la tredicesima sul supplemento per i figli dei pensionati per vecchiaia. Ugualmente esatto era il rilievo che pure la rendita per orfani, contrariamente
BGE 115 V 224 S. 227
sempre al supplemento per i figli di invalidi, dava diritto a tredicesima, ma anche questo appunto non era determinante: in sostanza, dal momento che, contro le argomentazioni dell'interessato, la LCP garantiva il livello minimo di prestazioni previsto dalla LPP, per cui nulla pertanto sarebbe stato da eccepire. Inoltre il principio della parità di trattamento non era assoluto. Irricevibile infine era la richiesta che il Tribunale facesse ordine alla Cassa di procedere all'esame e preavviso di modificazioni legislative.
C.-
Avverso il giudizio cantonale Renato N. produce ricorso di diritto amministrativo a questa Corte. Operate alcune precisazioni d'ordine, egli adduce che, al seguito di una "svista legislativa" sarebbe stata negata la tredicesima mensilità sul supplemento per i figli dei pensionati invalidi, ragione per cui la legge sarebbe stata applicata in modo scorretto. Critica l'argomento dei primi giudici, considerandolo pretestuoso, secondo cui la svista legislativa sarebbe stata corretta spontaneamente dall'amministrazione, la quale in effetti non avrebbe corrisposto la tredicesima sul supplemento per i figli dei pensionati per vecchiaia.
La Cassa pensioni propone la disattenzione del gravame. L'Ufficio federale delle assicurazioni sociali, a sua volta, riconosciuti esatti i principi procedurali adottati dal Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, nel merito ritiene pertinenti le argomentazioni della precedente istanza.
Pendente lite, il ricorrente ha trasmesso ulteriore documentazione e chiesto l'assunzione di determinate prove; ha pure spedito copie di petizioni rivolte al Gran Consiglio intese ad ottenere la modificazione degli articoli di legge.
Erwägungen
Diritto:
1.
a) Giusta l'
art. 73 cpv. 1 LPP
le controversie tra istituti di previdenza, datori di lavoro e aventi diritto sono decise da un tribunale di ultima istanza cantonale. Questo disposto si applica, da un lato, agli istituti di previdenza registrati di diritto privato o di diritto pubblico - sia per quel che concerne le prestazioni minime obbligatorie che per quel che attiene alle prestazioni più estese di quelle minime (
art. 49 cpv. 2 LPP
) - e, d'altro lato, alle fondazioni di previdenza a favore del personale non registrate, nel campo delle prestazioni che eccedono il minimo obbligatorio
BGE 115 V 224 S. 228
(
art. 89bis cpv. 6 CC
). Giusta l'
art. 73 cpv. 4 LPP
, poi, le decisioni dei tribunali cantonali designati dal cpv. 1 di questo disposto possono essere impugnate davanti al Tribunale federale delle assicurazioni con ricorso di diritto amministrativo.
Nell'evenienza concreta non è dubbio che la controversia opponga la Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato del Cantone Ticino ad un pensionato, che si tratti cioè di una vertenza che ha come oggetto un rapporto assicurativo tra un avente diritto e un istituto previdenziale ai sensi della normativa di cui all'
art. 73 LPP
(cfr.
DTF 114 V 105
consid. 1b; RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, pag. 127; MEYER, Die Rechtswege nach dem BVG, RDS 106/1987 I, pag. 613 e 629).
b) Secondo la giurisprudenza le istanze giudicanti istituite dall'
art. 73 LPP
sono competenti a statuire su controversie relative a diritti o crediti fondati su eventi assicurati insorti dopo l'entrata in vigore, il 1o gennaio 1985, del nuovo diritto sulla previdenza professionale, ciò pure nella misura in cui essi diritti o crediti hanno origine in circostanze in parte antecedenti a questa data e richiedono, se del caso, l'applicazione del vecchio diritto materiale (
DTF 114 V 35
consid. 1a,
DTF 113 V 200
consid. 1b e 292; MEYER, op.cit., pag. 627 seg.). Nella fattispecie, i diritti litigiosi hanno origine in epoca in parte precedente il 1o gennaio 1985; comunque l'evento assicurato è insorto dopo questa data, più precisamente nel 1987.
Dato quanto precede, il Tribunale federale delle assicurazioni è legittimato a pronunciarsi sulla presente vertenza.
2.
Ai sensi dell'
art. 57 cpv. 1 LCP
, contro le decisioni della Cassa pensioni gli interessati possono interporre ricorso entro 30 giorni dalla notificazione al Tribunale cantonale delle assicurazioni.
Nell'evenienza concreta, la Cassa aveva statuito sui diritti alla pensione dell'assicurato per decisione 26 giugno 1987. Già da allora dunque, o comunque dopo che il 3 agosto 1987 l'amministrazione aveva precisato gli elementi di calcolo della prestazione, l'interessato disponeva dei dati necessari per insorgere contro il provvedimento amministrativo. Ora egli solo il 31 dicembre 1987 si è rivolto alla Cassa ai fini di contestare l'atto ottenendo dall'amministrazione l'11 gennaio 1988 un nuovo provvedimento, atto avverso il quale egli si è poi aggravato in data 28 gennaio 1988 al Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino. Ci si deve pertanto chiedere se rettamente l'autorità giudiziaria cantonale, ravvisata nell'istanza un'azione avverso una
BGE 115 V 224 S. 229
presa di posizione dell'amministrazione, ha considerato essere essa istanza tempestiva. In sostanza si deve esaminare la natura giuridica degli atti emessi dalla Cassa, rispettivamente delle istanze con le quali le stesse vennero contestate dinanzi all'autorità giudiziaria cantonale.
Il Tribunale federale ha già avuto modo di affermare, riferendosi all'
art. 73 LPP
, disposto quadro questo in materia di contenzioso, che la legge in tema di previdenza professionale non prevede la possibilità per gli organi dell'istituto di previdenza, contrariamente a quanto predisposto per le altre amministrazioni delle assicurazioni sociali (casse di compensazione, casse malati, ecc.) di rendere decisioni vincolanti, in applicazione del diritto federale, cantonale o comunale. Quell'autorità ha poi ritenuto che se ci si può chiedere se le istituzioni previdenziali di diritto pubblico siano legittimate a determinarsi mediante decisione, si deve comunque ammettere che alle istituzioni di previdenza di diritto privato non è data la facoltà di rendere simili provvedimenti; la procedura di cui all'
art. 73 LPP
è quella dell'azione, quando si ritenga infine che alla base del procedimento non vi è una decisione, bensì una "controversia tra istituti di previdenza, datori di lavoro e aventi diritto" (
DTF 112 Ia 184
consid. 2a). A sua volta, il Tribunale federale delle assicurazioni ha notato anch'esso che la via giudiziaria cui si riferisce l'
art. 73 cpv. 1 LPP
è quella dell'azione, definita come domanda indirizzata all'autorità giudiziaria e intesa al conseguimento di diritti o prestazioni, oppure alla costatazione dell'esistenza o dell'inesistenza di un diritto. La Corte ha quindi ribadito l'opinione del Tribunale federale, nel senso che ha affermato dover essere ammessa la mancata legittimazione per le istituzioni di diritto privato di emanare decisioni "stricto sensu", lasciando comunque ancora insoluto, pur riproponendo i dubbi emessi dal Tribunale federale, il quesito se tale diritto sia dato per le istituzioni di diritto pubblico (
DTF 113 V 200
consid. 2). Simili dubbi sono stati riproposti in una recente sentenza in DTF
DTF 115 V 115
).
Nella fattispecie, essendo la Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato una cassa pubblica e ritenuto che la risposta al quesito è decisiva ai fini di stabilire la tempestività dell'istanza inoltrata al Tribunale cantonale delle assicurazioni, il tema non può essere lasciato irrisolto.
Orbene, anzitutto vuole essere osservato che manifestamente il legislatore non ha inteso stabilire un diverso modo di contrastare
BGE 115 V 224 S. 230
determinazioni degli enti previdenziali a seconda che essi fossero stati retti dal diritto pubblico, oppure dal diritto privato. Né si vede motivo per discriminare i rimedi di diritto. Se ora gli enti di diritto privato non sono abilitati a rendere "decisioni" nel senso stabilito dall'
art. 5 cpv. 1 e 2 PA
, altrettanto deve essere detto per gli enti previdenziali pubblici. Resta che, conformemente all'
art. 5 cpv. 3 PA
, le determinazioni delle casse altro non sono che le dichiarazioni di un'autorità che rifiuta o solleva pretese, da non considerare "decisioni", e da far valere mediante azione. A questo riguardo risulta opinabile quanto asserito da SCHWARZENBACH-HANHART in Die Rechtspflege nach dem BVG, in SZS 1983 pag. 183, nel senso che si tratterebbe di decisioni non destinate a crescere in giudicato. Il carattere tipico della decisione è quello di crescere in giudicato se non oggetto di tempestiva impugnazione. Altrimenti si tratta di atti amministrativi aventi carattere di una dichiarazione di parte, contro la quale può essere intentata azione al fine di ottenere il riconoscimento di diritti denegati, e ciò non nel termine breve di ricorso, pena la perenzione della pretesa, ma nei termini più ampi di prescrizione del diritto; trattasi di dichiarazioni suscettibili di imporsi soltanto in virtù di una decisione di un tribunale (cfr. SPIRA, Le contentieux des assurances sociales fédérales et la procédure cantonale, in Recueil de jurisprudence neuchâteloise 1984, pag. 15, nota 3; MEYER, op.cit., pag. 615 seg.; GRISEL, Traité de droit administratif, pag. 940).
Che tale non poteva che essere la volontà del legislatore quale emerge anzitutto dal Messaggio 19 dicembre 1975 concernente la legge federale sulla previdenza professionale per la vecchiaia, i superstiti e l'invalidità in cui il Consiglio federale afferma essere la via giudiziaria quella dell'azione (FF 1976 I 183). Inoltre, con riserva di alcune eccezioni (cfr. in particolare gli art. 50 cpv. 2, 51 cpv. 5 e 69 cpv. 2 LPP), il legislatore voleva instaurare un disciplinamento identico per le istituzioni previdenziali di diritto privato e di diritto pubblico (per quel che attiene alle suddette eccezioni cfr. RIEMER, op.cit., pag. 85 seg.). Se in sede delle deliberazioni del Parlamento sussistevano divergenze tra le due Camere circa l'opportunità di sottoporre maggiormente le istituzioni di diritto pubblico a norme speciali, segnatamente in materia di organizzazione, di amministrazione e di finanziamento, queste divergenze sono state eliminate nel senso che si è ammessa l'idea di emanare, nella misura del possibile, una regolamentazione uniforme (BU 1980 CS
BGE 115 V 224 S. 231
289-293; 1981 CN 1099 segg., 1982 CE 20-21; cfr.
DTF 113 V 202
consid. 3c).
Ne deve essere dedotto che a ragione il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, considerata l'istanza una petizione, l'ha ritenuta tempestiva, non essendo ovviamente nel caso in esame trascorsi i termini di prescrizione del diritto.
3.
Questa Corte decide di principio nella situazione di fatto e di diritto esistente al momento in cui l'amministrazione rende la decisione litigiosa, quando si ricordi che fatti verificatisi ulteriormente possono imporsi quali elementi d'accertamento retrospettivo della situazione anteriore alla decisione stessa (
DTF 112 V 93
consid. 3,
DTF 109 V 179
consid. 1,
DTF 107 V 5
consid. 4a,
DTF 105 V 141
consid. 1b e 154 consid. 2). In tema di previdenza professionale, ritenuto, come si è visto, che all'origine della vertenza non è data decisione deferibile al giudice mediante ricorso, ma una dichiarazione unilaterale di volontà non impugnabile con gravame, bensì contestabile mediante azione, deve essere ammesso che il Tribunale federale delle assicurazioni decida nella situazione esistente al momento in cui si verifica l'evento assicurato, oppure è fatto valere il diritto contestato.
Nel caso di specie le determinazioni della Cassa vennero rese nel giugno, rispettivamente nel dicembre 1987, per cui è da esaminare la loro conformità con il diritto a quel momento vigente. Pertanto le petizioni rivolte dal ricorrente al Gran Consiglio del Cantone Ticino al fine di conseguire la modificazione delle disposizioni da lui invocate non sono - essendo posteriori alle prese di posizione della Cassa - di rilievo decisivo. Se del caso esse potranno essere considerate nella misura in cui retrospettivamente permettano di stabilire la volontà del legislatore. Analogamente questa Corte non può esaminare il merito di contestazioni successive a quella in esame, attualmente del resto devolute ad altre istanze cantonali.
4.
L'assicurato ha chiesto il riconoscimento di prestazioni scadenti nel dicembre del 1987, nonché l'accertamento delle stesse per il 1988, in sostanza per epoca futura.
La questione di sapere se il Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino doveva o meno pronunciarsi circa il diritto alle prestazioni future deve essere esaminata dalla Corte. In effetti, il Tribunale federale delle assicurazioni esamina d'ufficio le condizioni dalle quali dipende la legittimazione a ricorrere e i presupposti formali di validità e di regolarità della procedura amministrativa (
DTF 113 V 203
consid. 3d,
DTF 112 V 83
consid. 1,
BGE 115 V 224 S. 232
111 V 346 consid. 1a, 110 V 129 consid. 2 e 149 consid. 2b, 107 V 248 consid. 1b; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2a ed., pag. 73 cpv. 3 e sentenze ivi citate).
Ora la legittimazione a chiedere simile accertamento di diritto per il futuro implica l'esistenza di un interesse considerevole e degno di protezione (cfr.
DTF 110 II 357
consid. 2,
DTF 109 Ib 85
; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, pag. 207 segg.; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zum zürcherischen ZPO, pag. 123 segg.). Si deve riconoscere l'esistenza di simile requisito qualora la misconoscenza dell'esistenza, dell'inesistenza o della misura di un diritto o di un obbligo potrebbe condurre l'amministrato a prendere, o, viceversa, tralasciare di prendere, determinate misure, a tal punto da dover subirne un pregiudizio (cfr. GUENG, Zur Tragweite des Feststellungsanspruchs gemäss Art. 25 VwG, in RSJ 1971, pag. 373).
In concreto, l'esistenza di un interesse nel senso predetto appare opinabile. Comunque il tema non è meritevole di più ampie considerazioni da questo profilo. Infatti, la lite verte sostanzialmente sul punto del principio del diritto alla tredicesima del supplemento per i figli dei pensionati invalidi: ora, la soluzione da dare al quesito per il 1987, oggetto sul quale la Corte è tenuta ad entrare nel merito, deve ovviamente valere pure per epoca successiva.
5.
Il ricorrente chiede un complemento degli accertamenti e di essere sentito oralmente.
In sostanza al fine di documentare i suoi assunti, egli postula che si ordini un'inchiesta amministrativa a carico della Cassa pensioni per accertare le competenze e che siano chiamati a deporre ex consiglieri di Stato, il cancelliere dello Stato, il direttore delle assicurazioni sociali. Orbene, nel procedimento amministrativo al ricorrente, e ciò fa parte del suo diritto di essere sentito, è data la facoltà di proporre l'assunzione di prove. Spetta però al giudice di assumere solo quelle aventi rilievo ai fini decisionali (cfr.
DTF 106 Ia 162
consid. 2b,
DTF 104 V 210
consid. a; GYGI, op.cit., pag. 274; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4a ediz., pag. 135).
Nell'evenienza concreta, i documenti esistenti sono esaurienti al riguardo. Ogni ulteriore assunzione di prove apparirebbe priva di rilievo. In particolare non emerge il sospetto che le determinazioni controverse siano state rese da autorità incompetenti, che comunque ci si trovi di fronte ad arbitraria assunzione di poteri. Né poi la chiamata come testi di ex consiglieri di Stato e del
BGE 115 V 224 S. 233
cancelliere presumibilmente intesa a documentare la genesi dei progetti di legge sottoposti al Gran Consiglio valgono a modificare quanto contenuto negli atti parlamentari richiamati d'ufficio da parte di questa Corte. Decisivo è stabilire come si è giunti all'adozione delle disposizioni che hanno dato luogo alla controversia, quale sia il loro testo e se esso sia in contrasto con il diritto federale oppure applicato con arbitrio. Neppure può essere accolta la richiesta del ricorrente di essere sentito oralmente. Il diritto di essere sentito consente alla parte di esprimere quanto del caso, ma questa esposizione può aver luogo anche in forma scritta, come ha fatto l'interessato.
6.
L'ambito del potere cognitivo del Tribunale federale delle assicurazioni in materia di ricorsi risulta dall'art. 132 in relazione con gli
art. 104 e 105 OG
.
Il ricorso di diritto amministrativo può essere interposto per violazione del diritto federale, compreso l'eccesso o l'abuso del potere d'apprezzamento. L'accertamento dei fatti giuridicamente di rilievo da parte dell'autorità giudiziaria inferiore può essere oggetto di impugnativa solo in quanto esso sia stato fatto in modo manifestamente inesatto o incompleto oppure violando norme essenziali di procedura (cfr. i combinati disposti di cui agli
art. 104 lett. b e 105 cpv. 2 OG
).
Nella misura in cui la procedura di ricorso concerne l'assegnazione o il rifiuto di prestazioni assicurative, l'ambito del potere cognitivo della Corte si estende invece anche all'esame dell'adeguatezza della decisione impugnata; il Tribunale in tal caso non è vincolato dall'accertamento di fatto operato dai primi giudici e può scostarsi dalle conclusioni delle parti, a loro vantaggio o pregiudizio (
art. 132 OG
: cognizione lata;
DTF 108 V 247
consid. 1a).
Il Tribunale federale delle assicurazioni non è vincolato dai motivi invocati dalle parti (
art. 114 cpv. 1 OG
con riferimento all'
art. 132 OG
). Esso esamina d'ufficio se il giudizio in lite viola delle norme di diritto federale - ivi compreso quello costituzionale federale - e i principi generali del diritto tali quelli di parità di trattamento e di proporzionalità (
DTF 109 V 210
,
DTF 106 Ib 253
), oppure se la prima istanza ha commesso abuso nei suoi poteri di apprezzamento.
Secondo costante giurisprudenza, il principio dell'uguaglianza ancorato nell'
art. 4 Cost.
vincola anche il legislatore cantonale e comunale. Sotto questo profilo violano l'art. 4 - oltre agli atti
BGE 115 V 224 S. 234
legislativi che non hanno un motivo serio e oggettivo o che appaiono privi di senso e scopo - quelli che fanno delle distinzioni inammissibili, che non trovano cioè corrispondenza alcuna nelle diversità della fattispecie che la disciplina vuole regolare e quelli che - all'opposto - omettono di fare delle distinzioni, quando la diversità delle circostanze da sottoporre a norma impone invece di distinguere e che danno luogo ad una parificazione inammissibile (
DTF 114 Ia 223
consid. 2b, 113 Ia 144 consid. 10 e 244 consid. 5b, 112 Ia 243 consid. 4 e 258 consid. 4a). D'altro canto, un provvedimento può essere arbitrario quando viola chiaramente una norma o un principio del diritto (
DTF 114 Ia 27
consid. 3b, 113 Ia 19 consid. 3a, 113 Ib 311 consid. 2a, 113 III 8 consid. 1a e 84 consid. 2a, 108 Ia 120).
7.
a) Per l'
art. 17 cpv. 1 LCP
, relativo alle prestazioni di vecchiaia, invalidità e per i superstiti, vigente al momento in cui l'amministrazione si è determinata, all'inizio di ogni mese viene versato un tredicesimo della pensione annua. La tredicesima mensilità di pensione viene versata ad una scadenza fissata dal Consiglio di Stato. Secondo il cpv. 3 della stessa disposizione la tredicesima mensilità corrisponde ad un dodicesimo della pensione pagata, esclusi i supplementi Previsti dall'art. 25 cpv. 2 e 3 e dall'art. 27 della legge.
Ora, giusta i cpv. 2 e 3 dell'art. 25 la percentuale della rendita di invalidità è aumentata del 10% dell'aliquota di vecchiaia per ogni figlio beneficiario di una rendita complementare AVS/AI, ritenuto un supplemento massimo per tutti i figli del 50%, mentre nei casi in cui l'invalidità non è riconosciuta dall'assicurazione invalidità la pensione per i figli è del 20% per ogni figlio, calcolata sulla pensione di vecchiaia, ritenuto un massimo del 60%. Secondo l'
art. 27 LCP
il pensionato per invalidità o vecchiaia ha diritto a un supplemento fisso annuo fintanto che non percepisce una rendita AVS/AI.
Conformemente al cpv. 4 dell'
art. 22 LCP
la percentuale della rendita di vecchiaia è aumentata del 10% dell'aliquota di vecchiaia per ogni figlio minorenne o agli studi beneficiario di una rendita completiva AVS/AI, ritenuto un supplemento massimo per tutti i figli del 50%.
Da questa normativa emerge in modo evidente che mentre per i supplementi ai figli di beneficiari di rendite di invalidità è esclusa l'attribuzione della tredicesima, altrettanto non vale per i figli di beneficiari di rendite di vecchiaia. Orbene, nell'evenienza concreta
BGE 115 V 224 S. 235
non può essere affermato, come asserisce il ricorrente, che si tratti di un'arbitraria applicazione di diritto cantonale, da parte dell'amministrazione prima e del giudice poi. Il testo della legge applicabile non permetteva infatti altra soluzione che quella di negare il diritto a tredicesima sui supplementi per i figli di pensionati invalidi, diritto escluso da una disposizione di legge letteralmente interpretabile in un solo modo.
b) Resta invece da esaminare se la norma stessa non violi il diritto federale materiale, in concreto la LPP, oppure, più in generale, costituisca disparità di trattamento.
aa) Per quanto riferito alla LPP vuole essere osservato che il tema delle prestazioni complementari per i figli di invalidi è regolato dall'art. 25 in riferimento agli art. 20 e 21. In sostanza l'ammontare della rendita per i figli deve essere uguale a quello della rendita per gli orfani e pari al 20% della rendita intera di invalidità cui avrebbe avuto diritto l'assicurato, calcolata secondo gli accrediti di vecchiaia ai sensi dell'
art. 16 LPP
in aliquota del salario coordinato (cfr.
art. 24 cpv. 3 LPP
). La legge nulla dice sul diritto a tredicesima, prestazione questa tipica del diritto cantonale.
Ora dall'affermazione secondo cui la rendita dell'orfano è pari al supplemento per i figli di assicurati invalidi e dal fatto che la LCP all'art. 40 concede agli orfani una pensione per la quale la tredicesima non è esclusa, il ricorrente vorrebbe dedurre la difformità delle norme cantonali da quelle della LPP. Questa tesi non può essere condivisa, quando si ricordi che la LPP stabilisce un minimo di prestazioni che in concreto la LCP ha ampiamente rispettato.
bb) Per quanto eccede i minimi della LPP, valgono solo i principi generali, in sostanza il principio della parità di trattamento. A proposito, il ricorrente vede una violazione del principio dell'uguaglianza di trattamento nel fatto che i figli dei pensionati invalidi siano discriminati nei confronti degli orfani e dei figli dei pensionati per ragioni di età.
Orbene, contro il parere del Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino, si deve ammettere non essere insostenibile la disciplina che privilegia l'orfano nei confronti del figlio di un invalido, la situazione del primo essendo diversa al punto da oggettivamente meritare una particolare tutela.
Dove di contro è ravvisabile una manifesta violazione del principio di parità di trattamento è nel fatto che l'
art. 17 cpv. 3
BGE 115 V 224 S. 236
LCP
escluda dalla tredicesima il supplemento per i figli di pensionati invalidi, mentre non lo faccia per quelli di chi è pensionato per ragioni di età. Non si vede infatti un motivo oggettivo di discriminazione, né del resto amministrazione e primi giudici hanno tentato di farlo. Il ricorrente attribuisce questo fatto ad una svista.
Ora, quando si ricordi che la LCP nella sua formulazione originale è del 14 settembre 1976 e che la vertenza riguarda gli art. 17, 22 e 25 della stessa, giova risalire agli atti parlamentari per stabilire se svista è avvenuta e in che modo il testo debba essere interpretato.
Nel Messaggio del Consiglio di Stato al Gran Consiglio concernente la modificazione della legge sulla Cassa pensioni dei dipendenti dello Stato del 10 giugno 1976, per quanto concerne l'art. 17 era osservato:
"Seguendo il criterio adottato per il personale in servizio proponiamo la codificazione nella legge della tredicesima mensilità. Essa corrisponde ad una mensilità di pensione, esclusi i supplementi compensativi (art. 25 cpv. 2 e 3 e art. 27) con l'AVS/AI... La rendita annua totale è pagata anticipatamente all'inizio di ogni mese nella misura di 12/13. Il tredicesimo assegno è pagato a scadenza fissata dal Consiglio di Stato..."
Per quanto riferito all'art. 25 si era detto:
"Per stabilire il diritto alla rendita per orfani (art. 40) e figli minorenni di pensionati (cpv. 2, 3 e 4) ci siamo basati sulla legislazione AVS attualmente in vigore (Cfr. Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, vol. 3, sessione ordinaria primaverile 1976, pag. 939 segg.)."
Circa l'art. 22 nulla ancora si diceva invece sulle prestazioni per i figli.
Il testo allora proposto e accettato in sede commissionale e parlamentare prevedeva unicamente prestazioni complementari per i figli dei pensionati per invalidità, ma non già per i pensionati per ragioni di età (op.cit., pag. 982 seg.). La volontà del legislatore era pertanto quella di attribuire un supplemento unicamente per i figli di pensionati per invalidità, supplemento che non avrebbe beneficiato di diritto a tredicesima. I figli dei pensionati di vecchiaia viceversa non avrebbero avuto diritto a supplemento.
Successivamente la legge venne modificata una prima volta il 18 giugno 1984. Per quanto utile ai fini del presente esame venne stabilito (art. 17 cpv. 3) un nuovo metodo di calcolo della tredicesima mensilità, sempre con la precisazione che esclusi erano "i supplementi previsti dall'art. 25 cpv. 2 e 3 e dall'art. 27 della
BGE 115 V 224 S. 237
presente legge" (cfr. Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, vol. 1, sessione ordinaria primaverile 1984, pag. 689). La modificazione dell'art. 22 riguardava solo l'occupazione parziale.
In occasione di un'ulteriore modificazione del 18 dicembre 1984 (cfr. Raccolta dei verbali del Gran Consiglio, vol. 2, sessione ordinaria autunnale 1984, pag. 927) vennero proposte le modificazioni di legge, ora vigenti, e che danno luogo alla presente controversia. Nel Messaggio del Consiglio di Stato al Gran Consiglio era proposta un'analoga disposizione all'art. 22 cpv. 4 e all'art. 25 cpv. 2, e ciò per il seguente motivo:
"Il riordino formale di queste disposizioni è utile per sancire in modo chiaro il diritto alle prestazioni per i beneficiari delle rendite di vecchiaia e d'invalidità. Le norme LAVS/LAI sono integralmente adottate)... (op.cit., pag. 931)."
Su questo punto la Commissione della gestione argomentò, con riferimento all'art. 22 cpv. 4:
"Questo articolo si riferisce alle persone che a 65 anni di età hanno ancora figli a carico. Veniva già applicato in passato per i casi di vecchiaia, in analogia a quelli di invalidità (op.cit., pag. 953)."
Il che significa che con l'adozione dell'art. 22 si intese parificare i diritti dei pensionati per vecchiaia con quelli dei pensionati invalidi per quanto concerne il supplemento ai figli, supplemento che del resto - a quanto si affermava - era già stato in pratica erogato in via di analogia.
Ma se l'applicazione per analogia permetteva di applicare anche ai pensionati per vecchiaia l'esclusione di cui all'art. 17, ci si deve chiedere quali disposizioni fossero da prendere dopo l'adozione di una norma precisa cui l'art. 17 più non accennava.
Deve a questo proposito essere rilevato che nel Messaggio no. 3337 del 22 giugno 1988 il Consiglio di Stato propone ulteriori modificazioni di legge, tra cui una per l'art. 17 cpv. 3 di asserito "tipo formale" del seguente tenore:
"La tredicesima mensilità corrisponde a un dodicesimo della pensione pagata, esclusi i supplementi previsti dall'art. 22 cpv. 4, dall'art. 25 cpv. 2 e 3 e dall'art. 27 della presente legge."
Al riguardo la Commissione della gestione nel rapporto 17 novembre 1988 ha deciso di proporre l'approvazione della modifica come formulata nel Messaggio, riservato essendo l'esito del presente ricorso. Questo atto è stato accolto dal Gran Consiglio il 28 novembre 1988; lo stesso è stato impugnato dal qui
BGE 115 V 224 S. 238
ricorrente. Comunque, dall'iter parlamentare, dalle affermazioni contenute negli atti del Gran Consiglio, risulta in modo evidente che la volontà del legislatore non era affatto quella di attribuire più diritti ai figli dei pensionati per vecchiaia che a quelli dei pensionati per invalidità, ma al contrario di metterli sullo stesso livello. Dunque, se vi è stata "svista", come afferma il ricorrente, essa non è affatto consistita nel non aver il legislatore tolto dall'
art. 17 cpv. 3 LCP
l'esclusione per i figli di invalidi, ma nel non aver previsto la stessa esclusione per quella dei pensionati di vecchiaia.
La parità di trattamento poteva essere ripristinata in due modi: o concedendo ad ambedue le categorie di assicurati le medesime prestazioni, in concreto la tredicesima, oppure rifiutandole ad ambedue. Il Gran Consiglio ha aderito a questa seconda soluzione, facendo sua una proposta che in sostanza appariva corrispondere alla sua precedente volontà.
Date queste premesse, rimane da esaminare se il ricorrente possa in queste condizioni far valere le prestazioni controverse.
I primi giudici hanno asserito che l'amministrazione già avrebbe denegato le prestazioni in questione per i figli dei pensionati di vecchiaia. Quando si ricordi che secondo la giurisprudenza chi è chiamato ad applicare una legge può derogare dal suo testo letterale quando lo stesso non corrisponde allo scopo della regola o contraddice la sua genesi (
DTF 112 V 172
consid. 3a,
DTF 109 V 62
consid. 4,
DTF 107 V 216
consid. 3b,
DTF 103 Ia 117
consid. 3,
DTF 99 Ia 575
consid. 3), l'amministrazione ben poteva, per analogia, applicare l'esclusione prevista dall'
art. 17 LCP
non solo alle prestazioni dovute in virtù dell'art. 25 cpv. 3, ma anche a quelle previste dall'art. 22 cpv. 4. E ciò senza arbitrio e in un'interpretazione del diritto cantonale conforme alla costituzione e tale da rispettare la volontà del legislatore.
Vero è che il ricorrente contesta che l'amministrazione avesse escluso dalla tredicesima il supplemento per i figli dei pensionati per vecchiaia, deducendo da questa circostanza, ritenuto il principio dell'uguaglianza di trattamento, il diritto alle prestazioni litigiose. Il punto non è comunque meritevole di più ampie indagini. Infatti, anche se, come afferma l'assicurato, essa circostanza non fosse provata, dovrebbe pur essere ricordato che qualora un'autorità esplicitamente riconosca l'illegittimità di una determinata prassi anteriore e affermi chiaramente di volersi in futuro conformare alla legge, il principio dell'uguaglianza di trattamento deve cedere il passo a quello della legalità, fermo
BGE 115 V 224 S. 239
restando comunque che essa autorità sia in grado di far sì che detto intento sia effettivamente concretizzato, nel senso che essa possa effettivamente applicare la legge in modo corretto (
DTF 113 Ib 313
consid. 3,
DTF 110 II 400
consid. 2,
DTF 108 Ia 213
/214,
DTF 102 Ib 364
consid. 5,
DTF 98 Ib 240
; cfr. anche
DTF 101 Ib 370
,
DTF 80 I 426
,
DTF 79 I 177
; AUER, L'égalité dans l'illégalité, ZBL 79/1978 pag. 297). Nella fattispecie l'autorità è andata oltre all'affermazione di volere nel futuro applicare la legge in modo conforme a costituzione: essa ha proposto una modifica legislativa adottata dal Gran Consiglio, così da far coincidere la legge con la prassi.
8.
Dato quanto precede il giudizio cantonale non può che essere confermato. | null | nan | it | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
01861a05-0d54-4d05-acf5-e4b3d3cbe8c3 | Urteilskopf
97 I 629
89. Extrait de l'arrêt du 10 novembre 1971 dans la cause Tundo contre Carlino et Tribunal cantonal neuchâtelois. | Regeste
Rechtsgleichheit bei der Rechtsetzung.
Art. 4 BV
.
Eine kantonale Bestimmung, welche die im Kostenerlass prozessierende Partei davon befreit, der obsiegenden Gegenpartei die von dieser bezahlten Gerichtskosten zu ersetzen, aber die Rückerstattung derselben durch den Staat nicht vorsieht, verletzt den
Art. 4 BV
. | Sachverhalt
ab Seite 630
BGE 97 I 629 S. 630
Résumé des faits:
Selon la loi neuchâteloise du 14 avril 1925 sur l'assistance judiciaire en matière civile (LAJ), la partie qui a obtenu le bénéfice de l'assistance judiciaire totale ou partielle est dispensée de fournir caution et libérée définitivement de l'obligation de payer les frais et dépens de l'autre partie, quelle que soit l'issue du procès; l'Etat lui fait remise de tous les frais; il avance les débours judiciaires pour l'instruction de la cause (art. 4 LAJ).
L'enfant Paolo Carlino, représenté par son curateur l'avocat Béguin, à Neuchâtel, a ouvert action en paternité contre Paolo Tundo; il a obtenu le bénéfice de l'assistance judiciaire totale. Le défendeur a conclu au rejet de la demande. Paolo Carlino s'est désisté de sa demande par exploit du 15 avril 1971.
S'étant vu réclamer 44 fr. de frais judiciaires, Tundo a demandé au Tribunal cantonal de Neuchâtel de mettre ces frais à la charge du demandeur ou de l'Etat. Par ordonnance du 21 avril 1971, le Tribunal cantonal a rejeté la requête, en se fondant sur l'art. 4 LAJ.
Agissant par la voie du recours de droit public, Tundo a requis le Tribunal fédéral de casser cette ordonnance.
Le Tribunal Fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
4.
Il reste à examiner si la réglementation neuchâteloise telle qu'elle a été appliquée sans arbitraire est en elle-même contraire à l'art. 4 Cst.
Selon la jurisprudence constante du Tribunal fédéral, le droit à l'assistance judiciaire découlant de l'art. 4 Cst. ne libère la partie indigente que de l'obligation d'avancer ou de garantir les fraisjudiciaires et les dépens de la partie adverse (RO 89 I 161
BGE 97 I 629 S. 631
consid. 2
;
95 I 415
consid. 2). Il ne lui confère pas le droit d'être libérée définitivement de ces frais (RO 67 I 68
;
85 I 3
). Cependant, le législateur cantonal peut lui accorder ce droit, quel que soit le sort final de ses conclusions. Un tel complément de la garantie minimum résultant du droit fédéral peut être opportun: tout procès comporte des risques et le plaideur indigent, qui s'expose en cas d'échec à se priver du nécessaire pour en payer les frais, hésitera à faire valoir son droit même s'il est dispensé de fournir dépôt ou caution.
Toutefois, le législateur cantonal ne peut, s'il entend faciliter ainsi au plaideur sans ressources la poursuite de son droit, disposer que de ses propres créances et non pas de celles de la partie adverse. La cour de céans n'a pas à revenir aujourd'hui sur une question à laquelle un ancien arrêt répond par la négative (RO 29 I 136 consid. 1) et à décider si l'art. 4 Cst. impose au législateur cantonal de prévoir le remboursement, par la partie qui succombe à la partie victorieuse, des frais de justice avancés par cette dernière. Il suffit de constater que le droit neuchâtelois prévoit cette obligation de remboursement en règle générale (art. 364 PC). L'indigence de la partie qui succombe n'est pas une raison suffisante de déroger à ce principe, même si, en fait, une créance contre cette partie n'a pas grande valeur. Certes, la Chambre de droit public a jugé dans son arrêt Späni c. Tribunal d'appel du canton de Bâle-Ville, du 19 mai 1971, que la règle du droit bâlois, selon laquelle le plaideur au bénéfice de l'assistance judiciaire est dispensé de payer, s'il succombe, les honoraires de l'avocat de la partie adverse, n'était pas contraire à l'art. 4 Cst. Selon cette jurisprudence, le recourant ne pourrait se plaindre de n'avoir pas obtenu le remboursement de ses honoraires d'avocat. Il ne le fait pas du reste. Mais ce qui vaut pour ces honoraires, dus par le plaideur en vertu d'un mandat qu'il confère de sa propre volonté, ne s'applique pas aux frais de justice, que le plaideur est contraint par l'Etat lui-même de payer, sous peine de se voir refuser le concours des tribunaux et de perdre son procès. L'application de l'art. 4 LAJ équivaut à faire supporter les frais de l'assistance judiciaire par un particulier. Elle aboutit à un traitement discriminatoire de la partie non assistée victorieuse, traitement qui ne trouve pas de justification suffisante dans la différence des situations de fait. L'ordonnance attaquée doit ainsi être annulée. Le législateur cantonal aurait pu ne point poser la règle de
BGE 97 I 629 S. 632
l'art. 4 LAJ et se borner, conformément au principe déduit de l'art. 4 Cst., à dispenser le plaideur indigent de l'avance des frais du procès. Il pouvait aussi lui faire remise de ces frais à titre définitif. Il pouvait encore le libérer de l'obligation de supporter, en cas d'échec, les honoraires d'avocat de la partie adverse. Mais s'il voulait le libérer, de plus, de l'obligation de rembourser, dans le même cas, les frais de justice payés par la partie victorieuse, il devait mettre ce remboursement à la charge de l'Etat. La situation faite à l'adversaire victorieux d'un plaideur assisté est d'autant moins équitable que l'Etat se réserve de poursuivre le remboursement des frais avancés ou remis, si la partie assistée revient à meilleure fortune (art. 17 LAJ), alors que la partie victorieuse est totalement privée de tout droit contre le plaideur assisté ou contre l'Etat.
Tant que l'art. 4 LAJ ne sera pas revisé, il appartiendra aux autorités cantonales chargées de l'appliquer de choisir, entre les diverses solutions compatibles avec l'ordre constitutionnel, celle qui leur paraîtra la plus conforme à la volonté du législateur. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
01882629-2288-48a1-aa73-d0a10ecbea1e | Urteilskopf
103 Ia 95
20. Auszug aus dem Urteil vom 30. März 1977 i.S. X. gegen Bezirksrichter Schaffhausen, Polizeidirektion und Obergericht des Kantons Schaffhausen | Regeste
Art. 4 BV
; kantonales Strafrecht.
Verletzung des Grundsatzes nulla poena sine lege durch eine ausdehnende Auslegung des Begriffes Waffentragen auf den blossen Waffenbesitz. | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 103 Ia 95 S. 95
Die Polizeidirektion des Kantons Schaffhausen bestrafte X. wegen Übertretung der Verordnung des Regierungsrates über den Handel mit Waffen und Munition, das Waffentragen und den Waffenbesitz vom 27. März 1973 (WaffenV) mit einer Busse von Fr. 500.--, weil X. bis zum 23. April 1974 zahlreiche Faustfeuerwaffen und Munition besass. Nach § 12 Abs. 1 WaffenV darf ein bestimmter Personenkreis, zu dem X. zweifellos gehört, keine Waffen oder Munition besitzen.
BGE 103 Ia 95 S. 96
Die Polizeidirektion wies die Einsprache des X. gegen ihre Strafverfügung ab. Der Bezirksrichter Schaffhausen wies den hiegegen erhobenen Rekurs ebenfalls ab, setzte jedoch die Busse auf Fr. 100.-- herunter. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es auf sie eintrat. X. führt gegen die Entscheide des Bezirksrichters und des Obergerichts gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei bestraft worden, ohne dass dafür eine gesetzliche Grundlage bestehe, weshalb der Bezirksrichter den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" verletzt habe. Dieser Grundsatz folgt aus
Art. 4 BV
und ist vom Bundesgesetzgeber in den
Art. 1 StGB
übernommen worden. Würde es sich um die Anwendung eidgenössischen Strafrechts handeln, so könnte nur noch die Verletzung der genannten Regel des StGB geltend gemacht werden; denn wenn der Bund ein in der BV garantiertes Freiheitsrecht durch eidgenössisches Privat- oder Strafrecht umschreibt, kommt eine direkte Berufung auf die Verfassung nicht mehr in Frage. Der Bezirksrichter und das Obergericht haben jedoch kantonales, nicht eidgenössisches Strafrecht angewendet, sodass sich der Beschwerdeführer auf
Art. 4 BV
berufen kann mit der Behauptung, das angefochtene Urteil verletze den Satz "Keine Strafe ohne Gesetz" (
BGE 96 I 28
E. 4a mit Hinweisen).
Da sich die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen unerlaubten Waffenbesitzes auf § 12 Abs. 1 WaffenV stützt und der Regierungsrat seine Befugnis zum Erlass der WaffenV in deren Ingress ausdrücklich mit dem Hinweis auf Art. 23 des schaffhausischen EG zum StGB (EGzStGB) begründet, wäre die Bestrafung nur dann als gesetzmässig zu betrachten, wenn Art. 23 EGzStGB den Regierungsrat zum Erlass von Vorschriften auch über den blossen Waffenbesitz ermächtigte.
a) Der Bezirksrichter und das Obergericht sind mit dem Beschwerdeführer darin einig, dass Art. 23 EGzStGB den Waffenbesitz nicht erwähnt und sein Wortlaut deshalb den III. Abschnitt der WaffenV über den Waffenbesitz nicht deckt. Nach der genannten Bestimmung erlässt der Regierungsrat die im öffentlichen Interesse und zum Schutze des
BGE 103 Ia 95 S. 97
Publikums gebotenen Vorschriften über den Handel mit Waffen und Munition und über das Waffentragen. Bezirksrichter und Obergericht halten indessen dafür, mit dem Begriff Waffentragen sei auch der Waffenbesitz gemeint.
b) Nach allgemeinem Sprachgebrauch bedeuten aber Waffentragen und Waffenbesitz klarerweise nicht dasselbe. Waffen besitzt, wer im Sinne von
Art. 919 ZGB
die tatsächliche Gewalt darüber hat. Waffentragen dagegen bedeutet das "Beisichhaben" (Tragen, Mitführen) einer Waffe ausserhalb seiner Wohnung, seiner Geschäftsräumlichkeiten, seines Besitztums. Der Begriff des Waffenbesitzes ist weiter als der des Waffentragens. Er kann nicht als Unterbegriff des Waffentragens aufgefasst werden. Vielmehr ist das Waffentragen eine besondere Art der Ausübung des Waffenbesitzes. Der Waffenträger ist (in der Regel) auch Waffenbesitzer, wogegen der Waffenbesitzer nicht Waffenträger zu sein braucht. Wer eine Waffensammlung hat, ist Waffenbesitzer, möglicherweise ohne jemals Waffen zu tragen.
Die Auslegung, die der Bezirksrichter und mit ihm das Obergericht dem Begriff des Waffentragens in Art. 23 EGzStGB gegeben haben, ist daher eine solche praeter legem, die vom Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt ist (vgl.
BGE 95 IV 72
3a). Sie verstösst, weil sie zu Lasten des Angeklagten ausgefallen ist, gegen den Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" und damit gegen
Art. 4 BV
.
c) Es ist übrigens zu beachten, dass den Behörden, die sich mit dem Problem des Waffenhandels, des Waffentragens und des Waffenbesitzes zu befassen haben, der Unterschied zwischen Waffenbesitz und Waffentragen durchaus geläufig ist. Die beiden Begriffe werden nicht als gleichbedeutend gebraucht. Der BRB über Schusswaffen im Besitze von Ausländern vom 11.5.1940 (AS 1940 I S. 473) bestimmte beispielsweise in Art. 1: "Besitz und Tragen von Schusswaffen und von Munition für solche ist allen Ausländern verboten." § 30 des luzernischen EGzStGB vom 18. Dezember 1940 ermächtigte den Regierungsrat, eine Verordnung über den Besitz, den Handel, das Tragen und den Gebrauch von Waffen und Munition zu erlassen. § 14 des Übertretungsstrafgesetzes vom 14. September 1976, das an die Stelle des EGzStGB getreten ist, ermächtigt den Regierungsrat, eine Verordnung über den Besitz, den Handel, das Tragen, die Aufbewahrung und den
BGE 103 Ia 95 S. 98
Gebrauch von Waffen und Munition zu erlassen. Die entsprechende zürcherische Verordnung vom 28. September 1942 trägt den Titel "Verordnung über den Handel mit Waffen und Munition, das Waffentragen und den Waffenbesitz". Das Tragen von Waffen ohne Bewilligung ist darnach grundsätzlich verboten, der private Besitz von Waffen, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich gestattet.
Die WaffenV des Kantons Schaffhausen, die übrigens weitgehend der WaffenV des Kantons Zürich entspricht, unterscheidet ebenfalls zwischen Waffentragen und Waffenbesitz.
d) Wie der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bezirksrichter nachweisen konnte, waren sich die Behörden des Kantons Schaffhausen, die sich mit der Regelung des Waffenhandels, des Waffentragens und des Waffenbesitzes zu befassen hatten, der Problematik bewusst. Es ist unbestritten, dass gemäss Kommissionsentwurf zum EGzStGB der Regierungsrat ermächtigt werden sollte, Vorschriften über den Waffenbesitz zu erlassen, und dass bei der Beratung dieses Entwurfes der Begriff Waffenbesitz durch Waffentragen ersetzt wurde. Da es sich, wie gesagt, um Begriffe handelt, die sachlich Verschiedenes bedeuten, kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff Waffentragen auch den Waffenbesitz gemeint, zumal jener offensichtlich enger ist als dieser.
Dem Regierungsrat war denn auch bei Erlass der WaffenV bekannt, dass die Ermächtigung des Art. 23 EGzStGB sich nur auf die Regelung des Waffentragens bezog. Die Polizeidirektion machte zum 2. Entwurf der WaffenV vom 5. August 1944 die Bemerkung:
"Das nochmalige Studium der Materie ergab, dass der Regierungsrat auf Grund von Art. 23 EGzStGB befugt ist, Vorschriften über den Handel mit Waffen und Munition und über das Waffentragen zu erlassen, aber nicht ohne weiteres auch über den Waffenbesitz. Über diesen Waffenbesitz kann er auf dem Verordnungswege vermutlich nicht legiferieren und es ist deshalb eventuell ratsam, die Vorlage entsprechend zu kürzen, nämlich
a) Der Titel hat dann nur zu lauten ... 'über das Waffentragen'
b) Der Abschnitt II. Waffenbesitz mit den §§ 6, 7 und 8 ist gänzlich auszumerzen.
Es ist aber zunächst zu prüfen und zu entscheiden, ob der Waffenbesitz nicht als eine blosse Folge des Handelns mit Waffen und Munition
BGE 103 Ia 95 S. 99
zu betrachten ist. Die gleichzeitige Regelung dieser Materie wäre wünschenswert."
Im Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen vom 17. August 1944 ist im Zusammenhang mit der ersten Lesung des Entwurfes zur WaffenV festgehalten:
"Zu Absatz II wirft der Polizeidirektor die Frage auf, ob der Regierungsrat zuständig sei, Bestimmungen über den Waffenbesitz zu erlassen, was aus allgemeinen sicherheitspolizeilichen Erwägungen bejaht wird."
Wie aus diesen Materialien hervorgeht, betrachtete sich der Regierungsrat nicht auf Grund des EGzStGB, sondern auf Grund seiner Aufgabe, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen, als befugt, Vorschriften über den Waffenbesitz zu erlassen.
Bei dieser Sachlage ist es willkürlich anzunehmen, Art. 23 Abs. 1 EGzStGB ermächtige den Regierungsrat zum Erlass von Vorschriften auch über den Waffenbesitz und die Strafandrohung des Art. 23 Abs. 2 gelte ebenfalls für die Verletzung solcher Vorschriften. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
018a1207-f6d0-431b-a03b-d5f0fcd96d2b | Urteilskopf
91 I 152
25. Arrêt de la Ire Cour civile du 16 février 1965 dans la cause Bergerioux contre Bureau fédéral de la propriété intellectuelle. | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Überprüfung des Sachverhaltes.
Art. 105 OG
.
In Patentsachen haben die auf der Anwendung physikalischer Prinzipien beruhenden Schlussfolgerungen des eidg. Amtes für geistiges Eigentum für das Bundesgericht die gleiche Tragweite wie die Meinungsäusserungen von Sachverständigen: das Bundesgericht ist nicht an sie gebunden, weicht von ihnen jedoch nicht ohne Not ab (Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 152
BGE 91 I 152 S. 152
A.-
Le 20 août 1964, Gaston Romain Bergerioux a déposé une demande de brevet concernant un dispositif de protection contre les radiations cosmiques "caractérisé en ce qu'il comprend un élément métallique ayant la forme d'un collier ou d'un bracelet destiné à être porté par le sujet à protéger, ledit élément métallique, constituant une self-inductance, étant relié par ses deux extrémités à un élément formant un condensateur, le tout étant agencé de manière que lesdits éléments réalisent un circuit oscillant pourvu d'une période propre convenable pour éliminer l'influence néfaste des rayonnements électromagnétiques sur ledit sujet".
Par décision du 30 novembre 1964, le Bureau fédéral de la propriété intellectuelle a rejeté la demande de brevet, en application
BGE 91 I 152 S. 153
de l'art. 59 al. 1 LBI. Il a considéré que le dispositif envisagé agit comme amplificateur sur les radiations électromagnétiques de même fréquence et qu'il est inopérant pour les autres. Ainsi, dans la mesure où il est efficace, le dispositif va à fins contraires du but proposé. C'est dire qu'il ne remplit pas la fonction que lui attribue la revendication. L'invention prétendue n'est donc pas utilisable industriellement au sens de l'art. 1er al. 1 LBI.
B.-
Contre cette décision, Bergerioux forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral, en concluant à l'admission de sa demande de brevet. Il conteste que son collier ou bracelet agisse comme amplificateur et prétend au contraire que le circuit forme un système filtrant. Il produit une notice technique à l'appui de ses affirmations.
Ayant repris l'examen de la cause sur la base de cette notice, le Bureau fédéral propose le rejet du recours. Il soutient que les indications essentielles du recourant sont fantaisistes et persiste dans les conclusions techniques de sa décision.
Erwägungen
Considérant en droit:
Selon l'art. 104 al. 1 OJ, le recours de droit administratif n'est recevable que pour violation du droit fédéral, c'est-à-dire pour défaut d'application ou fausse application d'un principe consacré expressément par une prescription fédérale ou découlant implicitement de ses dispositions. Or le recourant ne reproche pas à l'autorité administrative d'avoir mal appliqué le droit fédéral et, en particulier, de s'être fondée sur une notion inexacte de l'invention "utilisable industriellement". Ses arguments sont exclusivement d'ordre technique.
Dans l'arrêt Tomas i Sais (RO 86 I 79), le Tribunal fédéral a jugé que, saisi d'un recours de droit administratif en matière de brevets, il ne peut revoir les déductions techniques faites par le Bureau fédéral. Il a considéré que de pareilles déductions n'étaient pas visées par l'art. 104 OJ, lequel concerne la violation du droit fédéral. Il a estimé en outre que l'art. 105 OJ, qui lui permet de rechercher si la décision attaquée repose sur des constatations de fait inexactes ou incomplètes, ne s'appliquait pas à l'appréciation par le Bureau fédéral des faits exposés dans la demande de brevet. Cet arrêt a été critiqué de façon pertinente en doctrine (J. VOYAME, JdT 1960 I 609/10 et E. EGGENSCHWILER, Die Ermessenskontrolle im verwaltungsrechtlichen
BGE 91 I 152 S. 154
Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht, RDS 1962 I 449 ss., 465 n. 47). Il part en effet d'une notion trop étroite de la constatation de fait. Celle-ci implique parfois un raisonnement (DESCHENAUX, La distinction du fait et du droit dans les procédures de recours au Tribunal fédéral, p. 21). Les déductions tirées conformément aux principes de la physique sont des questions de fait que le Tribunal fédéral peut revoir, en vertu de l'art. 105 OJ (cf., pour le recours en réforme, art. 67 OJ). Pour résoudre ces questions, le législateur a institué le Bureau fédéral comme autorité compétente, apte à juger des problèmes techniques. Sur ce point, les décisions du bureau ont la même portée que l'avis d'un expert. Le Tribunal fédéral n'est pas lié par elles, mais il ne s'en écartera pas sans nécessité. Il se trouve ainsi dans la même situation qu'en présence de décisions rendues par le Département fédéral de l'économie publique en matière de connaissances professionnelles requises pour ouvrir une nouvelle entreprise de l'industrie horlogère (RO 78 I 469).
En l'espèce, ni l'argumentation développée par le recourant ni l'examen du dossier ne suscitent aucun doute sur le bien-fondé de l'avis du Bureau fédéral. L'invention prétendue n'étant pas susceptible d'utilisation industrielle, la demande de brevet a été rejetée à bon droit, sans qu'il fût nécessaire d'examiner si l'exposé du recourant décrivait réellement une invention, ni si celle-ci était nouvelle au sens de la loi.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
018cfaa5-13c9-4478-bdfa-f7a4e4656946 | Urteilskopf
116 II 351
64. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juni 1990 i.S. S. und Verein G. gegen F. (Berufung) | Regeste
Urheberrecht; Endentscheid (
Art. 48 Abs. 1 OG
).
1. Schöpferprinzip gemäss URG (E. 2b). Anknüpfung des Urheberrechts an den Schöpfungsakt (E. 2c). Urheberrechte an jenseitigen Inspirationen? (E. 2c).
2. Die Gegenstandsloserklärung eines hinreichend substantiierten Anspruchs des Bundesrechts mangels fortbestehenden Rechtsschutzinteresses stellt einen Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
dar (E. 3a). Rechtsschutzinteresse an einem Hilfsanspruch bei einer Stufenklage? (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 351
BGE 116 II 351 S. 351
A.-
Der Kläger S. ist der Sohn der verstorbenen B., die über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten mediale Vorträge hielt. Die Vorträge erfolgten in Tieftrance und sollen dem Medium durch die jenseitigen Geisteswesen Joseph und Lena eingegeben worden sein. Die Vorträge, welche sie im Rahmen des Vereins G.
BGE 116 II 351 S. 352
hielt, wurden durch den Beklagten F. auf Tonbändern und Kassetten aufgezeichnet.
B.-
Der Verein G. und S., der sich auf ein von B. erworbenes Urheberrecht berief, belangten F. auf Herausgabe der Tonbänder und Kassetten, auf ein Verbot der Herstellung und Verwertung von Kopien, auf Auskunftserteilung über Herstellung und Inverkehrbringen der Tonträger, auf Erstattung erzielter Gewinne, auf mindestens Fr. 50'000.-- Schadenersatz sowie auf Urteilspublikation. F. begehrte widerklageweise die Feststellung, dass B. an den medialen Kundgebungen kein Urheberrecht erworben habe und demzufolge die Verträge auf Übertragung solcher Urheberrechte an S. nichtig seien.
Mit Teilurteil vom 14. Mai 1985 wies das Obergericht des Kantons Zürich das Widerklagebegehren auf Feststellung fehlenden Urheberrechts der B. ab und trat auf dasjenige um Nichtigerklärung entsprechender Rechtsübertragungen nicht ein. Das Obergericht erklärte am 4. April 1989 das Begehren um Auskunftserteilung als gegenstandslos, verbot dem Beklagten unter Strafandrohung, von den Aufzeichnungen ohne Einwilligung des Klägers Kopien herzustellen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonstwie in Verkehr zu bringen, verpflichtete ihn zu einer Gewinnherausgabe von Fr. 1'200.-- und wies das Begehren auf Urteilspublikation ab.
C.-
Beide Parteien führen gegen den Sachentscheid eidgenössische Berufung. Das Bundesgericht weist beide Berufungen ab, soweit es darauf eintritt, und bestätigt die Urteile der Vorinstanz.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte stellt ein Urheberrecht von B. an ihren Äusserungen in Trance und damit die Möglichkeit eines derivativen Rechtserwerbs des Klägers in Abrede. Erweist sich die Rüge als begründet, ist den geltend gemachten Klageansprüchen die Grundlage entzogen.
a) Dass die vom Beklagten aufgezeichneten Vorträge nach Form und Inhalt urheberrechtlich schützbare Werke darstellen, wird zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Streitig ist einzig, ob B. daran ein Urheberrecht erworben hatte.
b) Nach dem URG, das als Urheber nur physische Personen kennt, entsteht das Urheberrecht in der Person des geistig Schöpfenden. Dies hat das Bundesgericht als Fundamentalsatz der ganzen schweizerischen Urheberrechtsgesetzgebung bezeichnet (BGE
BGE 116 II 351 S. 353
74 II 112; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band II, 3. Aufl. 1985, S. 715/6). An diesem Schöpferprinzip soll auch im Rahmen der Gesetzesrevision festgehalten werden (Botschaft vom 19. Juni 1989 zu einem Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz, URG), BBl 1989 III 477 ff., 525 Ziff. 212.2 und 616 Art. 6).
Schöpfer ist der Hersteller des Werks, derjenige, aus dessen individueller geistiger Tätigkeit das Werk hervorgegangen ist (SCHULZE, N 2 zu § 7 DUrhG; BALZ HÖSLY, Das urheberrechtlich schützbare Rechtssubjekt, Diss. Zürich 1986, S. 103). Erforderlich ist dabei nach herrschender Auffassung ein gestalterisches Tätigwerden, welches den menschlichen Geist im Werk zum Ausdruck bringt (SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 4 und 7 zu § 2 DUrhG; a. A. KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk, S. 75 ff. und 100 ff., welcher auch der Präsentation des natürlich Vorgegebenen urheberrechtserzeugende Wirkung zuerkennt, sofern das präsentierte Werk Individualität im Sinne einer statistischen Einmaligkeit aufweist; vgl. die Kritik an dieser Auffassung etwa bei TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band I, 3. Aufl. 1983, S. 354 oder SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 6 zu § 2 DUrhG mit weiteren Hinweisen).
Die Schöpfung eines Werks ist neutrale Rechtshandlung, nicht Rechtsgeschäft, sondern Realakt (LARESE, Urheberrecht in einem sich wandelnden Kulturbetrieb, S. 106; JOSEF KOHLER, Urheberrecht an Schriftwerken, S. 228; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, S. 185; FROMM/NORDEMANN, 7. Aufl. 1988, N 3 zu § 7 DUrhG; SCHRICKER/LOEWENHEIM, N 5 zu § 7 DUrhG). Sie setzt weder Geschäftsfähigkeit des Schöpfers noch einen auf Erwerb des Urheberrechts gerichteten Willen voraus. Minderjährige und Entmündigte können ebenso Urheberrechte erwerben wie der momentan geistig Umnachtete (ULMER, a.a.O.). Auch ein durch Hypnose zutage gefördertes Werk, das ins Unterbewusstsein verdrängt war und erst durch die hypnotische Behandlung ans Licht gehoben wird, ist als alleiniges Werk des hypnotisierten Schöpfers anzusehen (FROMM/NORDEMANN, a.a.O., N 3 zu § 7 DUrhG).
c) Der Beklagte wendet ein, ein Urheberrecht von B. stehe bereits deshalb ausser Frage, weil sie nach ihrer und vom Kläger übernommenen Darstellung keine eigenen Geistesprodukte, sondern ausschliesslich solche jenseitiger Wesen zur Wahrnehmung gebracht habe, was schöpferisches Handeln ausschliesse. Dabei übersieht er, dass das Urheberrecht nicht an das Schöpfungsbewusstsein,
BGE 116 II 351 S. 354
sondern an den Schöpfungsakt anknüpft, an den positiven Ausdruck des Geisteswerks (
BGE 113 II 196
E. a). Der urheberrechtliche Schutz folgt nicht der Idee, sondern der Formgebung; die Idee ist bloss geschützt, wenn sie in wahrnehmbare Form gekleidet wird (TROLLER, a.a.O., Band I, S. 351 ff.; KUMMER, a.a.O., S. 7 ff.; einlässlich DESBOIS, Le droit d'auteur en France, 3e éd. 1978, S. 22 ff.). Zwar heisst dies nicht, dass nur die Form und nicht auch der Inhalt des Werks geschützt ist (
BGE 88 IV 127
E. 1 am Ende, mit Hinweisen), doch erfüllt ein ungeformter Gedanke den Werkbegriff von vornherein nicht. Für diesen Begriff bleibt anderseits ohne Bedeutung, ob die zur Wahrnehmung gebrachte gedankliche Vorstellung auf Überlegung oder Eingebung beruht. Das dem schweizerischen Recht zugrunde liegende Rationalitätsprinzip rechnet das Geisteswerk demjenigen Rechtssubjekt als Schöpfer zu, welches die Form gewordene Vorstellung erstmals zum Ausdruck bringt, und fragt nicht danach, ob die Vorstellung bewusst oder unbewusst gebildet wurde. Jenseitige Wesen aber sind keine Subjekte schweizerischen Rechts (
Art. 11 ZGB
) und können daher nicht gedankliche Vorstellungen rechtswirksam zum Ausdruck bringen. Die Frage ihrer Existenz stellt und beantwortet sich im Bereich des Irrationalen und ist der Rechtswirklichkeit entrückt. Jenseitige Inspirationen sind daher rechtlich uneingeschränkt ihrem menschlichen Empfänger zuzuordnen und können allein von diesem zu einer urheberrechtlich schützbaren Darstellung gebracht werden (vgl. in diesem Sinne den Entscheid der Londoner Chancery Division in RabelsZ 1928, S. 251). Damit erweist sich die Berufung des Beklagten als unbegründet.
3.
Die Berufung des Klägers und seines Nebenintervenienten richtet sich einzig gegen die obergerichtliche Abschreibung ihres Auskunftsbegehrens als gegenstandslos. Sie machen im wesentlichen geltend, dieser Anspruch bestehe im Immaterialgüterrecht selbständig und nicht bloss akzessorisch zu andern Ansprüchen, weshalb das ihm zugrunde liegende Rechtsschutzinteresse weiterreiche als dasjenige an der Herausgabe des widerrechtlich erzielten Gewinns.
a) Wird ein hinreichend substantiierter Anspruch des Bundesrechts mangels fortbestehenden Rechtsschutzinteresses als gegenstandslos erklärt, liegt darin ein Entscheid über den Anspruch selbst. Dabei handelt es sich um einen prozessrechtlichen Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
, da der kantonale Richter die Beurteilung des Anspruchs aus einem Grunde ablehnt, der endgültig
BGE 116 II 351 S. 355
verbietet, dass dieser unter gleichen tatsächlichen Voraussetzungen nochmals geltend gemacht wird (
BGE 111 II 465
). Er ergeht in Anwendung von Bundesrecht, welches die Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses in seinem Anspruchsbereich abschliessend regelt (
BGE 116 II 198
E. 1;
BGE 114 II 255
E. 2a mit Hinweisen). Auf die Berufung ist daher einzutreten.
b) Das Rechtsschutzinteresse ist vom Kläger nachzuweisen. Dabei ist eine vom kantonalen Richter grundsätzlich (
Art. 63 Abs. 2 OG
) abschliessend zu beurteilende Tatfrage, welche Umstände in der konkreten Streitsache nach den Prozessvorbringen der Parteien und gegebenenfalls dem Ergebnis des Beweisverfahrens erstellt sind und der rechtlichen Subsumtion unter den Begriff des Interesses zugrunde zu legen sind. Frei zu prüfende Rechtsfrage ist dagegen, welche Umstände rechtserheblich sind und ob sie im Einzelfall ausreichen, die Klagebefugnis zu begründen (
BGE 115 II 201
E. b; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 479 f.).
Nach den Feststellungen des Obergerichts wurde das Auskunftsbegehren im Hinblick auf das Begehren um Gewinnherausgabe gestellt. Diese Feststellung ist für das Bundesgericht verbindlich, da Erklärungen oder Handlungen der Parteien im Prozess dem kantonalen Recht unterstehen, welches im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann (
BGE 104 II 114
E. a mit Hinweisen). Die Vorbringen in der Berufung, wonach ein über den Anspruch auf Gewinnherausgabe hinausreichendes Rechtsschutzinteresse geltend gemacht worden sei, sind daher neu und unzulässig (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Insoweit ist auf die Berufung nicht einzutreten.
c) Die prozessuale Verbindung eines der Gewinnermittlung dienenden Auskunftsbegehrens mit dem Leistungsbegehren auf Herausgabe des ermittelten Gewinns stellt eine Stufenklage dar, in welcher der Hilfsantrag auf Auskunft akzessorisch der Bezifferung des Hauptantrages auf Leistung dient (GULDENER, a.a.O., S. 167 Ziff. 3; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 1988, S. 136 Rz. 6). Lässt sich im Rahmen des Beweisverfahrens der beanspruchte Gewinn ermitteln, ohne dass gegen den Beklagten ein Teilurteil auf Auskunft zu ergehen hat, entfällt insoweit das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Weiterverfolgung des Hilfsanspruchs und damit die entsprechende Prozessvoraussetzung (RIXECKER, Die Erledigung im Verfahren der Stufenklage, MDR 1985 S. 633 ff., 634). Das Rechtsschutzinteresse aber muss
BGE 116 II 351 S. 356
auch im Zeitpunkt des Urteils noch vorhanden sein. Fällt es im Verlauf des Verfahrens dahin, so ist dem Klagerecht die gesetzliche Grundlage entzogen und der Prozess wird gegenstandslos (
BGE 109 II 167
).
Von dieser Rechtslage geht zutreffend auch das Obergericht im angefochtenen Entscheid aus. Sein Entscheid über den Hauptanspruch ist nicht angefochten. Folgerichtig besteht auch im Berufungsverfahren kein rechtserhebliches Interesse an der Weiterverfolgung des akzessorischen Hilfsanspruchs mehr. Die Berufung des Klägers und seines Nebenintervenienten erweist sich daher als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
018e5744-1602-42e7-b02a-1ee1130d921c | Urteilskopf
122 II 274
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1996 i.S. Urs Wegmann gegen Politische Gemeinde Wartau und Regierung des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 84 ff.,
Art. 97 ff. OG
; Abgrenzung Verwaltungsgerichtsbeschwerde - staatsrechtliche Beschwerde.
1. Rechtsmittelweg in bezug auf die kantonalrechtliche Kostenverlegung (E. 1b).
Art. 2 Abs. 4 WaG
,
Art. 1 WaV
; Waldfeststellung, Waldeigenschaften.
2. Zweck des Waldfeststellungsverfahrens, Einbezug von über das Waldrecht hinausgehenden Fragen (E. 2)?
3. Bestimmung der Minimalbreite einer Bestockung (
Art. 1 Abs. 1 lit. b WaV
); Vorgehen, wenn dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht keine ausdrückliche Vorschrift zu entnehmen ist (E. 4).
4. Eine Bestockung erfüllt in besonderem Masse Wohlfahrtsfunktionen (
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
), wenn sie - wie eine Bachuferbestockung - in den Schutzbereich des Gewässerschutz-, des Wasserbau- sowie des Natur- und Heimatschutzgesetzes und allenfalls des Fischereigesetzes des Bundes fällt (E. 5).
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör; Kostenverlegung im Einspracheverfahren.
5. Dem Einsprecher dürfen in einem seine Parzelle betreffenden, von Amtes wegen eingeleiteten Waldfeststellungsverfahren keine amtlichen Kosten (einschliesslich Vermessungskosten) auferlegt werden, wenn er vor Erlass der Waldfeststellungsverfügung nicht angehört wurde (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 122 II 274 S. 276
Urs Wegmann ist Eigentümer der Parzellen Nrn. 2357b und 3444a in Saschela/Pulverstampf, Oberschan, politische Gemeinde Wartau. Die Liegenschaft Nr. 3444a ist unüberbaut, wenn man von einem ca. 20jährigen Gerätehaus absieht; das Grundstück Nr. 2357b ist mit einem Einfamilienhaus sowie einem Gartenhäuschen überbaut. Die Parzellen werden im Süden durch einen natürlichen Bachlauf begrenzt, dessen Ufer und Umgebung auf einer Länge von gut 100 m bestockt sind. Die fraglichen zwei Parzellen sind einer Bauzone zugeteilt, während die südlich an den Bachlauf bzw. die Bestockung angrenzenden Grundstücke Nichtbaugebiet sind.
Im Rahmen der in der Gemeinde Wartau laufenden Zonenplanrevision und den dabei notwendigen Abgrenzungen von Baugebiet zu Waldflächen legte das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons St. Gallen in bezug auf verschiedene Bestockungen in der Gemeinde, so auch in Saschela/Pulverstampf, die Waldgrenzen gegenüber dem Baugebiet fest. Urs Wegmann erhob gegen die seine Liegenschaften betreffende Waldfeststellung Einsprache. Er beantragte festzustellen, dass es sich beim fraglichen Baumbestand nicht um Wald im Sinne der Waldgesetzgebung des Bundes handle; für den Eventualfall stellte er den Antrag, die Waldgrenze zurückzuversetzen.
Das Volkswirtschaftsdepartement führte darauf einen Augenschein durch, an welchem der Einsprecher sowie die Vertreter des Kantons übereinkamen, die Stockgrenze neu zu markieren und vermessen zu lassen. Anschliessend gab das Volkswirtschaftsdepartement dipl. Ing. ETH Kreis einen Vermessungsauftrag, worin dieser unter anderem angewiesen wurde, in die Flächenberechnung einen Waldsaum von zwei Metern einzubeziehen. Die Vermessung ergab eine - gegenüber der Waldfeststellungsverfügung gesamthaft leicht vergrösserte - bestockte Fläche von 1'222 m2, die einschliesslich eines Waldsaumes von 2 m zwischen ca. acht und sechzehn Meter breit ist.
Am 21. Juni 1994 wies das Volkswirtschaftsdepartement die Einsprache von Urs Wegmann ab. Es stellte fest, dass die von dipl. Ing. ETH Kreis ausgemessene Bestockungsfläche Wald im Sinne des Bundesgesetzes über den Wald vom 4. Oktober 1991 (Waldgesetz, WaG; SR 921.0) darstelle. Die Einsprachegebühr sowie die Hälfte der Vermessungskosten wurden Urs Wegmann auferlegt. Dagegen erhob Urs Wegmann Rekurs an die Regierung des Kantons St. Gallen. Er erneuerte die in der Einsprache in der Sache gestellten Anträge; in verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde beantragt, die Kosten des Einspracheverfahrens vollumfänglich auf die Staatskasse zu verlegen.
BGE 122 II 274 S. 277
Die Regierung wies den Rekurs allerdings am 16. Mai 1995 ab.
Das Bundesgericht heisst die beim ihm gegen den Regierungsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut und hebt den angefochtenen Entscheid insoweit auf, als er die Kostenverlegung der beiden kantonalen Rechtsmittelverfahren betrifft. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Die angefochtene Verfügung stützt sich in der Sache auf das Waldgesetz und die Verordnung über den Wald vom 30. November 1992 (Waldverordnung, WaV; SR 921.01). Entscheide letzter kantonaler Instanzen über Waldfeststellungen (
Art. 10 WaG
) unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 46 Abs. 1 WaG
,
Art. 97 und 98 lit. g OG
). Dieses Rechtsmittel ist auch insoweit gegeben, als kantonale Ausführungsvorschriften zum eidgenössischen Waldrecht zur Diskussion stehen. Es handelt sich bei diesen Bestimmungen um unselbständiges kantonales Ausführungsrecht zum Bundesrecht und jedenfalls um kantonales Recht, welches einen hinreichend engen Sachzusammenhang mit waldrechtlichen Fragen hat; die Anwendung der fraglichen Vorschriften kann daher im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren überprüft werden (
BGE 121 II 72
E. 1b).
b) Es fragt sich, ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegeben ist, soweit der Beschwerdeführer die gestützt auf kantonales Recht getroffene Kostenverlegung im Einspracheverfahren beanstandet. Er rügt dabei nicht, die fragliche Kostenauflage laufe auf eine Vereitelung des Waldrechtes des Bundes hinaus oder erschwere in anderer Weise die Anwendung der Waldgesetzgebung. Kritisiert wird vielmehr, sie lasse sich im Lichte des Anspruches auf rechtliches Gehör (
Art. 4 BV
) nicht halten.
aa) In der Bundesverwaltungsrechtspflege gilt der Grundsatz der "Einheit des Prozesses" (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 106 f. und 237 f.). Das bedeutet, dass Verfügungen über Verfahrenskosten und Parteientschädigungen, sofern sie sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (
Art. 5 VwVG
in Verbindung mit
Art. 97 OG
), der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (und nicht der Beschwerde an den Bundesrat) unterliegen, falls das erstgenannte Rechtsmittel in der Hauptsache gegeben ist (
Art. 101 lit. b OG
). Diese Regel gilt sinngemäss, wenn eine auf öffentliches Recht des Bundes
BGE 122 II 274 S. 278
gestützte Verfügung nicht nur in der Hauptsache, sondern auch in bezug auf die kantonalrechtliche Kostenverlegung angefochten wird; die strittigen prozessualen Nebenfolgen werden zufolge ihres engen Sachzusammenhanges mit den zu beurteilenden Fragen des Bundesverwaltungsrechts im verwaltungsgerichtlichen und nicht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren beurteilt (in ZBl. 96/1995 S. 186 nicht publizierte E. 1b des bundesgerichtlichen Urteils vom 7. März 1994; in
BGE 119 Ib 229
nicht publizierte E. 2a).
bb) Anders verhält es sich, wenn die Hauptsache zwar vom Bundesverwaltungsrecht geregelt wird, vor Bundesgericht aber ausschliesslich der Kostenpunkt beanstandet wird und sich dieser auf kantonales Recht stützt. In solchen Fällen liegt keine mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbare Verfügung (
Art. 5 VwVG
,
Art. 97 OG
) vor und ist eine Eingabe als staatsrechtliche Beschwerde zu behandeln, sofern die entsprechenden Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Urteil des Bundesgerichtes vom 20. Dezember 1993, E. 1, in Bernische Verwaltungsrechtsprechung [BVR] 1994 S. 335 f.;
BGE 112 V 106
E. 2c). Die staatsrechtliche Beschwerde ist weiter gegen auf kantonalem Verfahrensrecht beruhende Revisionsentscheide gegeben, mit denen nach Erlass einer der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegenden Verfügung nach
Art. 24 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700)
in Abänderung des Sachentscheides eine Parteientschädigung zugesprochen wird (
BGE 117 Ib 216
). Nicht selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar sind zudem kantonalrechtliche Kostenentscheide, wenn das Bundesgericht mangels Legitimation des Beschwerdeführers auf die an sich gegebene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Sachentscheid nicht eintreten und diesen daher nicht ändern kann (
BGE 99 Ib 211
E. 5); eine auch nur mittelbare Überprüfung des Sachentscheides über die Anfechtung des Kostenspruches mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit ausgeschlossen.
cc) Im vorliegenden Fall geht es um ein von Amtes wegen eingeleitetes Verfahren, das in eine erstinstanzliche Verfügung mündet und die anschliessend (zunächst) mit Einsprache angefochten werden kann. Im Gegensatz zu den vorstehend (E. 1b/bb) zitierten Fällen steht die vom Volkswirtschaftsdepartement im Einspracheverfahren getroffene und von der Regierung geschützte Kostenverlegung in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit der Frage, ob und in welchem Umfange die Bestockung auf den Liegenschaften des Beschwerdeführers Wald im Rechtssinne darstellt.
BGE 122 II 274 S. 279
Es steht damit nichts im Wege, die umstrittene Kostenverlegung im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf ihre Vereinbarkeit mit
Art. 4 BV
zu überprüfen (
Art. 104 lit. a OG
; vorne E. 1b/aa und
BGE 118 Ib 11
E. 1a).
c) Nachdem auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.
d) Der rechtserhebliche Sachverhalt ergibt sich aus den anschaulichen Fotodokumentationen, aber auch aus den übrigen Verfahrensakten einschliesslich der verschiedenen Pläne. Auf die Durchführung eines Augenscheines kann daher verzichtet werden.
2.
a) In der Sache wendet der Beschwerdeführer zunächst ein, die Waldfeststellung sei nicht mit raumplanerischen Gesichtspunkten abgestimmt worden. So sei den Interessen an der zweckmässigen Nutzung von Bauland, welche durch das Bestehen von Wald und die damit zusammenhängende Festlegung der Waldabstandslinien erschwert werde, zu wenig Rechnung getragen worden. Auch müsse im Rahmen der Waldfeststellung berücksichtigt werden, dass das fragliche Gehölz bereits durch die Natur- und Heimatschutzgesetzgebung, das Gewässerschutzrecht und allenfalls weitere Bestimmungen geschützt werde.
b) Mit dieser Argumentation verkennt der Beschwerdeführer den Zweck des Waldfeststellungsverfahrens. Dieses dient der Klärung, ob eine Bestockung jene gesetzlichen Eigenschaften erfüllt, welche Voraussetzungen dafür sind, dass von Wald im Sinne der Waldgesetzgebung zu sprechen ist (
Art. 2 WaG
,
Art. 1-3 WaV
). Der Einbezug weiterer Rechtsfragen ist grundsätzlich nicht vorgesehen (
BGE 118 Ib 433
E. 3a; vgl. immerhin die nachstehende E. 5).
Art. 13 Abs. 1 WaG
hält fest, dass in den Bauzonen gestützt auf rechtskräftige Waldfeststellungsverfügungen die Waldgrenzen einzutragen sind. Daraus folgt, dass sich bei der (erstmaligen) Abgrenzung von Wald mit Bauzonen das Baugebiet in der Regel am Bestehen von Wald zu orientieren hat - und nicht das Waldareal an der Ausdehnung der Bauzonen. Erst im Rodungsverfahren (Art. 11 in Verbindung mit
Art. 5 WaG
) und - je nach konkreter Ausgestaltung des kantonalen Rechts - im Verfahren auf Festsetzung von Waldabstandslinien bzw. Bewilligung eines Unterabstandes ist Raum für eine Interessenabwägung, wie sie der Beschwerdeführer verlangt.
3.
a) Gemäss
Art. 2 WaG
gilt jede Fläche als Wald, die mit Waldbäumen oder -sträuchern bestockt ist und Waldfunktionen (Schutz-, Nutzungs- oder
BGE 122 II 274 S. 280
Wohlfahrtsfunktion) ausüben kann. Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch sind nicht massgebend (
Art. 2 Abs. 1 WaG
). Auch als Wald gelten unter anderem Weidwälder, bestockte Weiden (Wytweiden) und Selven (
Art. 2 Abs. 2 WaG
). Demgegenüber gelten nicht als Wald vor allem isolierte Baum- und Strauchgruppen, Hecken, Alleen, Garten-, Grün- und Parkanlagen sowie Baumkulturen, die auf offenem Land zur kurzfristigen Nutzung angelegt worden sind (
Art. 2 Abs. 3 WaG
).
Innerhalb eines bestimmten Rahmens können die Kantone bestimmen, ab welcher Breite, welcher Fläche und welchem Alter eine ins Baugebiet einwachsende Fläche sowie ab welcher Breite und welcher Fläche eine andere Bestockung als Wald gilt (
Art. 2 Abs. 4 Satz 1 WaG
). Diesen Rahmen legte der Bundesrat wie folgt fest (
Art. 1 Abs. 1 WaV
):
a) Fläche mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 200-800 m2;
b) Breite mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 10-12 m;
c) Alter der Bestockung auf Einwuchsflächen: 10-20 Jahre.
Erfüllt eine Bestockung in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG
, so sind die kantonalen Kriterien nicht massgebend; die Bestockung gilt unabhängig von ihrer Fläche, ihrer Breite oder ihrem Alter als Wald (
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
und
Art. 1 Abs. 2 WaV
).
b) Die Kantone vollziehen die Waldgesetzgebung und erlassen innert fünf Jahren Ausführungsvorschriften (
Art. 50 Abs. 1 WaG
,
Art. 66 WaV
). Der Kanton St. Gallen hat diesen Auftrag erfüllt und sein Forstgesetz vom 1. Dezember 1970 (ForstG) am 12. Januar 1995 der Bundesgesetzgebung angepasst. Bereits am 20. Dezember 1994 wurde die Vollzugsverordnung zum Forstgesetz vom 17. August 1971 (VVForstG) mit Blick auf die durch das Waldgesetz und die Waldverordnung geschaffenen Neuerungen revidiert. Gemäss Art. 2 ForstG bestimmt der Regierungsrat durch Verordnung die Werte, ab denen eine bestockte Fläche als Wald gilt. Nach Art. 1 Abs. 1 VVForstG stellt eine Bestockung Wald dar, wenn es sich in der Bauzone um eine Fläche ab 800 m2 mit einer Breite ab 12 m, je unter Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes, handelt; überdies muss die Bestockung auf einer Einwuchsfläche 15 Jahre oder älter sein. Als zweckmässiger Waldsaum gilt in der Regel ein Streifen vom 2 m Breite (Art. 1 Abs. 2 VVForstG).
Das Kantonsforstamt St. Gallen, welches als Fachbehörde für den Vollzug der Forstgesetzgebung zuständig ist (Art. 9 ForstG), hat Richtlinien für die Waldfeststellung erlassen. Gemäss Ziffer 1 der Richtlinien in der
BGE 122 II 274 S. 281
ursprünglichen Fassung vom 10. März 1993 und in der überarbeiteten Fassung vom 12. Juli 1995 handelt es sich bei den entsprechenden Regeln nicht um Rechtssätze. Die Richtlinien beanspruchen nur verwaltungsinterne Geltung. Sie geben aber dem Bürger und anderen Interessierten Auskunft darüber, nach welchen Massstäben der Forstdienst die Beurteilung einer Bestockung vornimmt. Insoweit sind die Richtlinien Ausdruck des Wissens und der Erfahrung bewährter Fachstellen (so ausdrücklich deren Ziffer 1, wo in Fussnote 1 auf
BGE 107 Ib 50
[E. 3c] verwiesen wird;
BGE 118 Ib 614
E. 4b).
c) Die Beurteilung der Beschwerde hat von den vorstehend erwähnten Rechtsgrundlagen auszugehen. In tatsächlicher Hinsicht sind sich die Verfahrensbeteiligten im wesentlichen darüber einig, dass vom Bestand jener Bestockung auszugehen ist, die anlässlich des vom Volkswirtschaftsdepartement durchgeführten Augenscheines neu markiert und anschliessend durch den Geometer vermessen wurde. Dies entspricht der Bestockung, die in dem Einspracheentscheid beigefügten Plan eingezeichnet ist. Die unterschiedlichen Auffassungen beziehen sich primär auf die rechtliche Würdigung der Bestockung bzw. einzelner ihrer Bestandteile.
Die langgezogene Bestockung weist eine Länge von rund 100 m und eine Gesamtfläche von 1'222 m2 auf. Sie ist (immer einschliesslich eines 2 m breiten Waldsaumes) durchschnittlich 12,22 m breit. Im östlichen und westlichen Drittel beträgt die Breite zwischen 12-16 m mit Verjüngungen gegen die Bestockungsenden; im mittleren Bereich ist die Bestockung auf einer Länge von ungefähr 33 m weniger als 12 m breit, an der schmalsten Stelle knapp 8 m. Der Hauptbestand des Wuchses setzt sich aus einheimischen Waldbäumen, vorwiegend Esche, Buche, Ahorn, Kirschbaum und Birke, zusammen. Das Areal des Waldsaumes ist durch menschliche Eingriffe gezeichnet und kaum mehr natürlich. Die kantonalen Behörden wie auch das EDI als zuständige Fachbehörde des Bundes gehen von einem Kernbestand von Bäumen aus, der älter als 15 Jahre ist.
4.
Die Uferbestockung ist ein Kleingehölz. Der Beschwerdeführer macht geltend, die von der Waldgesetzgebung verlangte Minimalbreite werde nicht eingehalten, weil der Wuchs auf gut einem Drittel der Länge der Bestockung weniger als 12 m (inklusive Waldsaum) breit sei. Damit zerfalle die Bestockung in Teile (in das östliche und in das westliche Drittel der Bestockung), welche je für sich betrachtet das gesetzliche Minimalmass von 800 m2 Waldfläche nicht erreichten.
BGE 122 II 274 S. 282
a) Das Bundesrecht regelt nicht, wie im Einzelfall die Mindestbreite einer Bestockung zu bestimmen bzw. auf welches konkrete Breitenmass abzustellen ist, wenn die Breite einer Bestockung schwankt. Auch das kantonale Recht schweigt sich dazu aus. In einem solchen Fall können von Fachbehörden erlassene Richtlinien zu Rate gezogen werden (
BGE 120 Ib 339
E. 5c). Voraussetzung ist, dass sie sich an den Rahmen des Bundesrechts im allgemeinen und an den Schutzzweck der Waldgesetzgebung im besonderen halten (
BGE 122 II 72
E. 2 und 3). Im Zeitpunkt, als die angefochtene Verfügung erlassen wurde, galten im Kanton St. Gallen die Richtlinien für die Waldfeststellung vom 10. März 1993. Auch sie enthalten aber für die strittige Frage keine Regel (vgl. Ziffern 3.2 und 3.3 der Richtlinien). Namentlich ihre Ziffer 3.3.2, wonach bei einem Bach, der schmäler als 4 m ist, beide Seiten der Bestockung entlang des Gewässers als zusammenhängend betrachtet werden, hilft hier nicht weiter. Ähnliches ist zu den Richtlinien in der überarbeiteten Fassung vom 12. Juli 1995 zu sagen. Immerhin gelten nach Ziffer 3.3.2. Kleinstbestockungen in der Bauzone als Wald, wenn die Mindestwaldfläche von 800 m2 auf einer Länge von 67 m - gemeint: eine zusammenhängende Länge von 67 m - erreicht wird. Gemessen wird im Bereich der breitesten Stelle. Dies wird anhand eines Beispiels mit einer langgezogenen Waldfläche erläutert, die in ihrer Mitte am breitesten ist und die sich gegen ihre beiden Enden verjüngt. Vorliegend verhält es sich jedoch gerade umgekehrt; die langgezogene Bestockung ist an ihren beiden Enden am breitesten und in ihrer Mitte am schmalsten. Ziffer 3.3.2 der Richtlinien in der überarbeiteten Fassung lässt sich daher auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht (ohne weiteres) anwenden.
b) Lässt sich dem Bundesrecht und dem kantonalen Recht keine ausdrückliche Vorschrift entnehmen, mit welcher Methode im Einzelfall die Mindestbreite einer Bestockung zu bestimmen ist, so ist entsprechend der allgemeinen bundesgerichtlichen Praxis zum Wald- und Forstrecht ein nicht allzu schematisches Vorgehen angezeigt. Eine sachgerechte Lösung, die sich mit Sinn und Zweck des Waldgesetzes verträgt, kann nur in Würdigung aller qualitativen und quantitativen Aspekte der Bestockung gefunden werden (
BGE 122 II 72
E. 3b;
BGE 114 Ib 224
E. 9ab;
BGE 107 Ib 50
E. 4b). Ihre konkrete Ausdehnung ist daher im Lichte von
Art. 1 und 2 WaG
sowie von
Art. 1 WaV
und den sachbezüglichen kantonalen Vorschriften in ihrer Gesamtheit zu würdigen (
BGE 108 Ib 509
E. 5).
BGE 122 II 274 S. 283
Eine solche Gesamtbetrachtung hat das Bundesgericht in einem Fall vorgenommen, in welchem zu beurteilen war, ob spitz auslaufende Waldenden, die für sich allein betrachtet die gesetzliche Mindestbreite unterschreiten, noch Waldbestandteil seien (
BGE 108 Ib 509
[Bejahung der Waldqualität]). In einem weiteren Fall bejahte das Bundesgericht die Waldeigenschaft eines Ufergehölzes aufgrund einer qualitativen Würdigung aller massgebenden Faktoren, obwohl die nach kantonalem Recht vorgesehene Mindestbreite (unwesentlich) unterschritten war; entscheidend fiel ins Gewicht, dass die kantonale Regelung dem Bundesrecht nur ungenügend diente (
BGE 107 Ib 50
E. 4b).
c) Mit Blick auf diese Rechtsprechung und die vorstehend genannten allgemeinen Grundsätze kann es nicht angehen, im vorliegenden Fall einzig darauf abzustellen, dass die Uferbestockung im Mittelbereich auf einer Länge von gut 33 m weniger als 12 m breit ist, zumal dieser Teil nicht bloss eine Baumreihe darstellt, welche in aller Regel nicht Wald im Rechtssinne wäre (Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Juni 1986, E. 2e, in ZBl. 89/1988 S. 84). Massgebend für das Bestehen der Waldqualität ist vielmehr als erstes, dass die gesetzliche Mindestbreite von 12 m bei einer Gesamtfläche von 1'222 m2 und einer Länge von 100 m im Durchschnitt (12,22 m) gegeben ist. Sieht man von den spitz auslaufenden Enden ab, ist insgesamt auf einer Länge von gut zwei Dritteln der Uferbestockung die Mindestbreite eingehalten. Sodann ist entscheidend, dass der Bestockungszusammenhang im mittleren Bereich der Bachbestockung nicht unterbrochen ist. Aufgrund der Akten, namentlich der Photodokumentationen und des vom Beschwerdeführer aufgelegten Planes im Massstab 1:250, auf welchem die einzelnen Bäume eingetragen sind, ist festzustellen, dass sowohl auf der Kronen- als auch auf der Stockebene ein ununterbrochener Wuchszusammenhang besteht (zur Bedeutung des Wuchszusammenhanges für die Waldfeststellung:
BGE 118 Ib 614
E. 5b;
BGE 113 Ib 357
E. 2g;
BGE 111 Ib 300
E. 2).
Diese Bewertung erfolgt unter Berücksichtigung eines "zweckmässigen" Waldsaumes (
Art. 1 Abs. 1 lit. b WaV
). Er beträgt 2 m (Art. 1 Abs. 2 VVForstG). Dass ein natürlicher Waldsaum zufolge zahlreicher menschlicher Eingriffe heute fehlt, hat entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zur Folge, dass der Saum nicht mitzuberechnen wäre; die Messmethode muss in jedem Fall einen solchen Saum enthalten (STEFAN M. JAISSLE, Der dynamische Waldbegriff und die Raumplanung, Diss. Zürich 1994, S. 67 f.).
BGE 122 II 274 S. 284
Auch eine Abweichung vom Regelmass von 2 m rechtfertigt sich nicht, obwohl dies nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 VVForstG ausnahmsweise möglich wäre. Wenn - wie der Beschwerdeführer behauptet - der natürliche Waldsaum praktisch überall im Kanton fehlt, so stellt der vorliegende Sachverhalt keine Ausnahme dar, die eine von der Regel abweichende Behandlung rechtfertigen würde.
5.
a) Es fragt sich, ob die Waldqualität der Bachuferbestockung nicht noch aus einem anderen Grunde zu bejahen ist. Gemäss
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
sind die gestützt auf Satz 1 dieser Vorschrift erlassenen kantonalen Kriterien für das Bestehen von Wald unter anderem dann nicht massgebend, wenn eine Bestockung in besonderem Masse Wohlfahrtsfunktionen erfüllt. Zu den Wohlfahrtsfunktionen gehört der Landschaftsschutz (
BGE 120 Ib 339
E. 5d/aa mit Hinweis). Es wäre daher denkbar, dass die Uferbestockung als landschaftsprägendes und -gliederndes Element von solcher Qualität wäre, dass sie die Voraussetzungen von
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
erfüllt.
b) Das Bundesgericht hat bereits im nicht veröffentlichten Urteil vom 6. Dezember 1994 i.S. Gemeinde Risch (E. 6a) festgehalten, dass einer Uferbestockung wegen ihrer Bedeutung als Landschaftselement unter gewissen Voraussetzungen in besonderem Masse Wohlfahrtsfunktion zukommen könne. Diese Voraussetzungen ergeben sich aus dem Bundesrecht, namentlich aus den Vorschriften über den Schutz der immer seltener werdenden natürlichen Gewässerläufe sowie ihrer Ufervegetation und -bestockung (zu den verstärkt in diese Richtung zielenden Bestrebungen des Bundes im Rahmen neuerer Gesetzesrevisionen: BBl. 1987 II 1140 ff. und 1991 III 1144). So wollen das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (Gewässerschutzgesetz, GSchG; SR 814.20) und das Bundesgesetz über den Wasserbau vom 21. Juni 1991 (Wasserbaugesetz, WBG; SR 721.100) natürliche und bewaldete Bachläufe als wertvolle Landschaftselemente so weit wie möglich erhalten; sind sie bereits beeinträchtigt, soll ihre Renaturierung gefördert werden (
Art. 37 Abs. 2 GSchG
,
Art. 4 Abs. 2 WBG
).
Das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451) verstärkt diesen Schutz zusätzlich. Gemäss
Art. 21 Abs. 1 NHG
darf die Ufervegetation ohne besondere naturschutzrechtliche Bewilligung weder gerodet noch überschüttet noch auf andere Weise zum Absterben gebracht werden (Art. 21 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 22 NHG
). Auch nach dem Bundesgesetz über die Fischerei vom 21. Juni 1991 (Fischereigesetz, BGF;
BGE 122 II 274 S. 285
SR 923.0) dürfen Uferbestockungen nur gerodet werden, wenn eine fischereirechtliche Bewilligung vorliegt (
Art. 8 Abs. 3 lit. c BGF
). Der am 1. Februar 1996 in Kraft getretene
Art. 21 Abs. 2 NHG
in der am 24. März 1995 revidierten Fassung (AS 1996 219) trägt den Kantonen zudem auf, Ufervegetationen anzulegen oder zumindest die Voraussetzungen für deren Gedeihen zu schaffen, soweit es die Verhältnisse erlauben.
c) Die Auslegung von
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
kann wie gesagt nicht losgelöst von diesen umweltrechtlichen Bestimmungen erfolgen. Fällt eine Uferbestockung in den Schutzbereich der erwähnten Vorschriften des Gewässerschutz-, des Wasserbau- und des Natur- und Heimatschutzgesetzes, so erfüllt sie in besonderem Masse Wohlfahrtsfunktionen und stellt sie Wald im Rechtssinne dar, auch wenn sie in bezug auf Alter, Fläche und Ausdehnung die gesetzlichen Minimalvoraussetzungen nicht erfüllt. Dies gilt umso mehr in Fällen, in welchen - wie hier - angenommen werden muss, dass der bestockte Bachlauf auch als Lebensraum für Fischnährtiere dienen könnte und daher insoweit zusätzlich in den Schutzbereich des Fischereigesetzes fällt (vgl. die Amtsauskunft der Jagd- und Fischereiverwaltung des Kantons St. Gallen vom 21. November 1994;
BGE 117 Ib 178
E. 4b mit Hinweis).
6.
Der Beschwerdeführer macht im Zusammenhang mit den vom Volkswirtschaftsdepartement durchgeführten Verfahren eine Verletzung seines Anspruches auf rechtliches Gehör nach
Art. 4 BV
geltend. Er bringt allerdings nicht vor, in diesen Verfahren nicht zu Wort gekommen zu sein. Eine entsprechende Rüge wäre auch unbegründet, weil ein allfälliger Verfahrensmangel im Rekursverfahren vor der Regierung, die eine uneingeschränkte Überprüfungsbefugnis besass (Art. 46 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Mai 1965 [VRP]), geheilt worden wäre; der Beschwerdeführer konnte sich in diesem Verfahren umfassend äussern (
BGE 117 Ib 481
E. 8a). Im Vordergrund der Kritik steht die Kostenverlegung im Einspracheverfahren. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass von Amtes wegen Waldfeststellungsverfügungen erlassen werden, ohne zuvor den Grundeigentümer anzuhören. Zur Wahrung seines Anspruches auf rechtliches Gehör sei dieser alsdann gezwungen, Einsprache zu erheben, was mit Kostenfolgen verbunden sei, wenn die Einsprache abgewiesen werde. Das gehe verfassungsrechtlich nicht an.
a) Nach St. Galler Verfahrensrecht werden die Waldgrenzen in der Bauzone in einem Plan festgelegt und anschliessend öffentlich aufgelegt, ohne zuvor
BGE 122 II 274 S. 286
ein förmliches (erstinstanzliches) Verwaltungsverfahren durchzuführen (Art. 17bis und Art. 17ter ForstG). Dementsprechend werden die Grundeigentümer bis zum Erlass der Waldfeststellungsverfügung nicht angehört. Erst im Rahmen der öffentlichen Planauflage können sie zu Wort kommen, doch müssen sie dazu Einsprache erheben (Art. 17quater ForstG). Anders als in den Verfahren auf Erlass eines Baureglementes oder eines Zonenplanes (Art. 29 ff. des St. Galler Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 6. Juni 1972 [Baugesetz, BauG]) und anders als im Baubewilligungsverfahren (Art. 83 f. BauG) dient die Einsprache gegen die Waldfeststellung nicht der formalisierten Ausübung des Anspruches auf rechtliches Gehör vor einer erstinstanzlichen Entscheidung bzw. verbindlichen Planfestsetzung; sie ist vielmehr ein Rechtsmittel im eigentlichen Sinne (vgl. PETER SALADIN, Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel/Stuttgart 1979, S. 165).
Wird die Einsprache abgewiesen, hat jener Beteiligte die Verfahrenskosten zu tragen, dessen Begehren ganz oder teilweise abgewiesen wurde (
Art. 95 Abs. 1 VRP
). In Anwendung dieser Vorschrift hat das Volkswirtschaftsdepartement dem Beschwerdeführer im Einspracheentscheid die gesamten amtlichen Verfahrenskosten und die Hälfte der Kosten für die am Augenschein vereinbarte Neuvermessung der Stockgrenze auferlegt. Ob diese von der Regierung geschützte Kostenverlegung vor
Art. 4 BV
standhält, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 119 Ia 260
E. 6a).
b) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides zur Sache zu äussern (
BGE 119 Ia 260
E. 6a;
BGE 119 Ib 12
E. 4; GEORG MÜLLER in Kommentar BV, Art. 4 Rz. 105). Sowohl die bundesgerichtliche Rechtsprechung (
BGE 112 Ia 5
E. 2c;
BGE 104 Ia 69
) als auch die Lehre (MÜLLER, a.a.O., Art. 4 Rz. 107; THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör [
Art. 4 BV
], recht 1984, S. 11 f.) anerkennen allerdings, dass die Anhörung unter gewissen Voraussetzungen nachgeholt werden darf. So kann die Anhörung des Betroffenen aus verfahrensökonomischen Gründen in ein Einspracheverfahren (als Rechtsmittelverfahren) verwiesen werden, falls das im Interesse eines rationellen Verwaltungsganges wie etwa bei Massenverfügungen (Renten- oder Stipendienentscheide) angezeigt ist (MÜLLER, a.a.O., Art. 4 Rz. 107, COTTIER, a.a.O., S. 12). Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes lässt zum Beispiel eine nachträgliche
BGE 122 II 274 S. 287
Anhörung zu, wenn eine Verfügung durch Einsprache anfechtbar ist (
Art. 30 Abs. 2 lit. b VwVG
).
Im Lichte dieser allgemeinen Grundsätze liegt es nicht ohne weiteres auf der Hand, in Waldfeststellungsverfahren zur Abgrenzung des Baugebietes im Rahmen einer Zonenplanrevision die erstmalige Anhörung der Betroffenen erst im Einsprache- bzw. Rechtsmittelverfahren zuzulassen. Wie es sich mit dieser Frage aber letztlich verhält, kann hier offenbleiben. Der Beschwerdeführer beanstandet weniger das Vorgehen der kantonalen Behörden an sich, sondern richtet seine Kritik gegen das bereits in der Gesetzgebung vorgezeichnete Kostenrisiko, das der Einsprecher auf sich zu nehmen habe, um sich überhaupt rechtliches Gehör zu verschaffen.
d) Der Anspruch auf rechtliches Gehör dient nicht nur der Sachaufklärung, sondern ist auch ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht des Einzelnen beim Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheides (
BGE 119 Ia 260
E. 6a;
118 Ia 17
E. 1c). Dieses Recht ist nur wirksam, wenn sich der Bürger in einer ihn betreffenden Sache, in welcher ein Verwaltungsverfahren ohne seinen Willen eröffnet wurde, frei von Kostenrisiken äussern kann. Wäre dem nicht so, würde die Wahrnehmung seiner Rechte erschwert (in diesem Sinne KLAUS REINHARDT, Das rechtliche Gehör in Verwaltungssachen, Diss. Zürich 1968, S. 124). Es kann daher - unter dem Vorbehalt der Trölerei und des Rechtsmissbrauches - verfassungsrechtlich (
Art. 4 BV
) nicht angehen, im Einspracheverfahren einen Grundeigentümer in einem seine Parzellen betreffenden, von ihm aber nicht angestrengten Waldfeststellungsverfahren mit Entscheidgebühren zu belasten, wenn er vor dem Waldfeststellungsentscheid nicht angehört wurde.
e) Neben den Einsprachegebühren sind dem Beschwerdeführer die im Einspracheverfahren angefallenen (zusätzlichen) Vermessungskosten zur Hälfte auferlegt worden. Die bloss hälftige Kostenauflage trotz vollumfänglicher Einspracheabweisung rechtfertigte sich in den Augen der kantonalen Behörden, weil der Vertreter des Kantonsforstamtes anlässlich des vom Volkswirtschaftsdepartement durchgeführten Augenscheines im Einvernehmen mit dem heutigen Beschwerdeführer die Waldfläche neu markiert habe; also habe das Departement die Kosten mitverursacht.
Im Lichte von
Art. 4 BV
wäre es an sich nicht zu beanstanden, wenn ein Einsprecher Kosten für Beweiserhebungen vorschiessen müsste, weil diese mit verhältnismässig hohem finanziellen Aufwand verbunden sind (vgl.
Art. 33
BGE 122 II 274 S. 288
Abs. 2 VwVG
), und wenn er diese Kosten im Falle des Unterliegens endgültig zu tragen hätte. Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich jedoch nicht, einen Teil der Aufwendungen für den Geometer dem Beschwerdeführer zu belasten. Der Kanton hat das Waldfeststellungsverfahren von Amtes wegen eingeleitet. Es ist seine Aufgabe, dieses Verfahren sachgerecht durchzuführen und für eine fachkundige Vermessung zu sorgen. Dementsprechend hat die öffentliche Hand im Regelfall sämtliche damit verbundenen Aufwendungen zu tragen; eine ganze oder teilweise Kostenüberwälzung ist bei der gegebenen verfahrensrechtlichen Ausgangslage mit
Art. 4 BV
nicht zu vereinbaren.
7.
a) Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gutzuheissen und die angefochtene Verfügung insoweit aufzuheben ist, als sie die Kostenverlegung der beiden kantonalen Rechtsmittelverfahren betrifft; es ist Sache der Regierung, die Kosten für die kantonalen Rechtsmittelverfahren im Lichte der vorstehenden Erwägungen neu zu verlegen. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.
b) Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer nur einen Teil der Gerichtsgebühr zu tragen (
Art. 156 Abs. 1 und 3 OG
); der andere Teil kann dem Kanton St. Gallen gemäss
Art. 156 Abs. 2 OG
nicht belastet werden. Dieser hat jedoch dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen (
Art. 159 Abs. 1 und 3 OG
). | public_law | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
01936357-5159-4ed8-a260-6a201439ab17 | Urteilskopf
118 Ia 406
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. November 1992 i.S. G. und Mitb. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter BV
; Festsetzung von Baulinien für einen Seeuferweg.
Eigentumsverletzung, wenn der Weg an eine auf der Parzellengrenze stehende hohe Ufermauer anschliesst und vollständig auf Seeareal angelegt werden soll, womit ein Einblick auf das Grundstück ausgeschlossen ist, und die Anlage eines begleitenden Grünzuges auf der Liegenschaft nicht in Betracht kommt (E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 407
BGE 118 Ia 406 S. 407
G., B. und H. gehören je eine Liegenschaft in der Gemeinde Kilchberg. Alle Grundstücke liegen direkt nebeneinander und sind der Wohnzone im empfindlichen Gebiet (W1) zugeteilt. Mit Verfügung Nr. 2814 vom 16. August 1988 setzte die Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich (Baudirektion) Verkehrsbaulinien für den Seeuferweg S-61 auf dem Gebiet der Gemeinde Kilchberg fest. Gegen diese Verfügung erhoben G., B. und H. Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich in der Hauptsache mit dem Antrag, die Seeuferweg-Baulinien seien im Bereich der fraglichen Grundstücke aufzuheben. Am 19. Dezember 1990 wies der Regierungsrat die Rekurse ab.
G., B. und H. führen gegen den Entscheid des Regierungsrates am 4. bzw. 8. Februar 1991 staatsrechtliche Beschwerde. Sie verlangen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Das Bundesgericht heisst die Beschwerden von G. und B. vollumfänglich, diejenige von H. teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
b) Die Parzelle Nr. 2187 von G. wird von einer parallel zur Parzellengrenze verlaufenden Baulinie belastet, deren Abstand zur Grenze ca. 5,5 Meter beträgt. Auf der Grenze ist eine Seeufermauer errichtet, welche das höhergelegene Gartenareal vom See trennt. Sie wird durch eine ehemalige kleine Bootshaab unterbrochen, welche zum Teil aufgefüllt und zu einem Sitzplatz umgestaltet wurde. Anschliessend findet die Mauer ihre Fortsetzung auf der benachbarten Parzelle der Beschwerdeführerin B.
Die verhältnismässig bescheidene Breite des Parzellenstreifens, welcher mit der Baulinie belastet ist, könnte zur Annahme verleiten, dass von einem die verfassungsmässigen Rechte des Beschwerdeführers verletzenden Eingriff in sein Eigentum nicht gesprochen werden kann. Der Vergleich mit den grösseren Abständen, welche die Seeuferbaulinie in anderen Abschnitten gegenüber den seeuferseitigen Parzellengrenzen aufweist, scheint diese Annahme zu bestätigen. Werden jedoch die bestehenden baulichen Verhältnisse sowie das Niveau des Geländes betrachtet, so ergeben sich Bedenken. Die Vertreter des Staates legten dar, dass der etwa 2 Meter breite
BGE 118 Ia 406 S. 408
Seeuferweg ungefähr einen halben Meter über dem Seespiegel angelegt werden solle; eine zeitweilige Überflutung des Weges bei hohem Wasserstand sei in Kauf zu nehmen. Bei einer derartigen Gestaltung schliesst der Weg an die relativ hohe bestehende Ufermauer an und kommt vollständig auf heutiges Seeareal zu liegen. Die teilweise aufgefüllte ehemalige kleine Haab, in welcher ein ufernaher Sitzplatz angelegt wurde, muss allerdings geändert werden. Insoweit wird die Ufergestaltung auf der Parzelle des Beschwerdeführers eine Änderung erfahren müssen.
Bei einer Wegführung nahe dem Seespiegel ist ein Einblick in das Gartenareal der Liegenschaft des Beschwerdeführers mit Ausnahme des von der ehemaligen Haab erfassten Abschnittes nicht möglich, wie am Augenschein gezeigt wurde. Dementsprechend ist auch nicht zu befürchten, dass die Weganlage durch eine irgendwie störende Gestaltung der in Frage stehenden Gartenfläche beeinträchtigt werden könnte. Sodann wurde das Wohnhaus des Beschwerdeführers vollständig auf Seeanlageland gebaut. Die Landanlagekonzession enthält zwar keinen Vorbehalt für die spätere Anlegung eines Seeuferweges; der Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers wurde vielmehr verpflichtet, den angrenzenden Schilfbestand im Seeareal zu pflegen. Dennoch ist für allfällige Bauten auf Seeanlageland die Zustimmung der kantonalen Baudirektion erforderlich. Ausserdem müssen bauliche Anlagen einen Mindestabstand von Gewässern einhalten. Gemäss
§ 62 PBG
(Gesetz über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975) ist gegenüber öffentlichen Gewässern und Baulinien für Fluss- und Bachkorrektionen der gleiche Abstand wie gegenüber Nachbargrundstücken, mindestens jedoch ein solcher von 5 Metern einzuhalten; die Baudirektion kann dieses Mass im Einzelfall erhöhen.
In Beachtung dieser Rechtslage ist eine Inanspruchnahme des von der Baulinie belasteten Abschnittes, der vom vorgesehenen Niveau des Seeuferweges aus gar nicht einsehbar ist, für bauliche Anlagen wohl ausgeschlossen. Auch schliesst es die beachtliche Niveaudifferenz zwischen der nur wenig über dem Seespiegel vorgesehenen Wegführung aus, dass der mit der Baulinie belastete Abschnitt des Gartens, dessen Ausmass zwischen Wohnhaus und Ufermauer bescheiden ist, als eine den Weg begleitende Grünanlage in Betracht kommen kann. Eine solche, vom Weg gar nicht einsehbare Grünanlage wäre durch kein öffentliches Interesse zu rechtfertigen.
Diese sich aus den örtlichen Verhältnissen, insbesondere dem Niveau des Gartens und demjenigen des Weges ergebende Beurteilung
BGE 118 Ia 406 S. 409
unterscheidet sich von der nur teilweise vergleichbaren Lage bei der Liegenschaft von A. F. in Thalwil (
BGE 118 Ia 400
E. 4a). Auch bei jener Parzelle kann zwar der Weg unterhalb einer Ufermauer angelegt werden, doch ist diese weniger hoch. Sie schliesst daher den Blick in das Gartenareal nicht von vornherein aus, weshalb im Zusammenhang mit der Weganlage eine Gestaltung gefunden werden muss, die zu einer zumutbaren Belastung für A. F. führt (vgl.
BGE 118 Ia 400
E. 4a). Diese Verschiedenheit der tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigt die Belastung der Liegenschaft A. F. mit der Baulinie, da die entsprechende Fläche in die Ausführungsprojektierung einbezogen werden muss.
Auf Grund der bei der Liegenschaft G. gegebenen Niveauverhältnisse entbehrt demgegenüber die in einem Abstand von rund 5,5 Metern von der Parzellengrenze festgesetzte Baulinie eines ihrem Zweck dienenden Sinnes. Sie ist nicht notwendig zur Sicherung der Weganlage. Die nur etwa 3 Meter breite ehemalige Bootshaab, die umgestaltet werden muss, führt zu keinem anderen Schluss. Die Weganlage wird auch in jenem Bereich durch eine den Interessen des Beschwerdeführers so weit wie möglich Rechnung tragende Einfriedigung ihre Begrenzung finden müssen, wofür sich eine Baulinienbelastung im vorgenommenen Ausmass nicht rechtfertigen lässt. Kann jedoch der Baulinie kein ihrem Zweck entsprechender Sinn beigelegt werden, so fehlt ein ausreichendes öffentliches Interesse für deren Festsetzung im genannten Abstand von der Parzellengrenze. Damit erweist sich die Eigentumsbeschränkung auch als unverhältnismässig. Die Überlegung, die Linie führe zu keiner ins Gewicht fallenden Eigentumsbeschränkung, da sie nur Land belaste, auf welchem ohnehin keine baulichen Anlagen errichtet werden dürften, vermag diese Folgerung nicht zu entkräften, führt doch die Linie zu weiteren rechtlichen Nachteilen wie der Androhung der Enteignungsfolge. Wenn sich bereits aus der Überprüfung der Linienfestsetzung ergibt, dass eine Enteignung des Gartenareales für die Weganlage nicht in Betracht kommt und der Landstreifen auch nicht als eine den Weg begleitende Grünanlage in Frage kommen kann, so hat dies zur Aufhebung der Linie zu führen.
Es folgt hieraus, dass die staatsrechtliche Beschwerde von G. gutzuheissen ist. Freilich ist hieraus nicht zu folgern, dass keine landseitige Baulinie für den der Ufermauer entlangführenden Weg gezogen werden darf. Die Notwendigkeit, Bauarbeiten entlang der Mauer auszuführen und die nötige Umgestaltung der ehemaligen kleinen Bootshaab zu veranlassen, wird eine gegen die Grenzmauer
BGE 118 Ia 406 S. 410
verschobene Linie zu rechtfertigen vermögen, doch ist es Sache der zuständigen Planungsbehörden, die nötigen Abklärungen für eine sachgerechte und dem Gesetzeszweck entsprechende Baulinienziehung zu treffen und nach Durchführung des ordnungsgemässen Verfahrens, in dem auch der Beschwerdeführer zu Worte kommen kann, einen neuen Festsetzungsbeschluss zu erlassen.
c) (Aus den gleichen Gründen ist die Beschwerde von B. gutzuheissen.) | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
01963048-8101-4b69-bc08-85bf3cfbb0b3 | Urteilskopf
104 II 322
57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Oktober 1978 i.S. Bata Schuh AG gegen Minerva Schuhfabrik AG | Regeste
Modellschutz und unlauterer Wettbewerb.
1. Berufung gegen ein Urteil, das die Behandlung eines von mehreren Klagebegehren scheinbar vorbehält, im Ergebnis aber über alle Begehren entscheidet (E. 1).
2.
Art. 23bis MMG
. Klage eines schweizerischen Inhabers internationaler Modellhinterlegungen gestützt auf schweizerisches Recht (E. 2).
3.
Art. 12 Ziff. 1 und 4 MMG
. Neuheit und Schutzfähigkeit von Stiefelmodellen mit schmückender Ausstattung; Begriff des Modells (E. 3).
4.
Art. 24 Ziff. 1 MMG
. Verletzung von Modellrechten durch Nachahmung einer schmückenden Ausstattung? Begriff der Nachahmung (E. 4).
5.
Art. 1 Abs. 1 und 2 lit. d UWG
. Eine Nachahmung, die modellrechtlich nicht zu beanstanden ist, verstösst grundsätzlich auch nicht gegen das UWG; anders verhält es sich jedoch, wenn sie auf eine systematische Annäherung hinausläuft (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 323
BGE 104 II 322 S. 323
A.-
Die Bata Schuh AG, Möhlin, hinterlegte 1975/76 beim Internationalen Amt für gewerbliches Eigentum mehrere Stiefelmodelle aus Plastikmaterial. Dazu gehörten insbesondere die Hinterlegungen Nr. 61'723 mit den Modellen "Panda", "Eskimo" und "Copain", Nr. 62'481 mit "Atlantic", Nr. 62'663 mit "Luchs" und Nr. 63'397 mit "Sheriff". Das Panda-Modell ist mit einem 5 bis 6 cm breiten weichen Kragen ausgestattet, auf dem Panda-Bären in verschiedenen Grössen abgebildet sind. Der Kragen ist mit einem Schnürverschluss ausgerüstet. Das Luchs-Modell zeigt auf der Aussenseite des Schaftes ein eingeprägtes Luchsbild, das kreisförmig eingerahmt ist von den Tiernamen "Luchs-Lynx-Bobcat". Sein Kragen unterscheidet sich von dem des Panda-Modells dadurch, dass sein Äusseres einem Tierfell nachgebildet ist. Die Schaftaussenseite des Sheriff-Modells ist mit einer besonders auffallenden Verzierung von etwa 15 cm Länge sowie einem 3 cm grossen Sheriff-Stern aus Leichtmetall versehen; am obern Rande des Schaftes ist zudem ein halbrundes Läppchen mit der Bezeichnung "Sheriff" angebracht. Alle Modelle sind ausserdem an den bei Lederstiefeln üblichen Nahtstellen mit reliefartigen Linien versehen, die den Eindruck von Verbindungen oder Verstärkungen erwecken.
Die Bata Schuh AG liess Stiefel dieser Art in der Schweiz vertreiben.
B.-
Im Dezember 1976 klagte sie gegen die Minerva Schuhfabrik AG, Porrentruy, weil diese praktisch identische Modelle auf den schweizerischen Markt bringe, dadurch ihre Modellschutzrechte verletze und unlauteren Wettbewerb begehe. Ihre Rechtsbegehren lauteten insbesondere auf Feststellung der Verletzung, auf Untersagung des weiteren Vertriebes, auf Zahlung von Schadenersatz und auf Veröffentlichung des Urteils.
BGE 104 II 322 S. 324
Die Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und erhob Widerklage auf Feststellung, dass die klägerischen Modellhinterlegungen nichtig seien.
In der Replik machte die Klägerin bezüglich des Sheriff-Modells ferner eine Verletzung von Markenrechten geltend, anerkannte die Widerklage dagegen teilweise, indem sie ihre Rechtsbegehren auf die Modelle "Panda", "Luchs" und "Sheriff" beschränkte. Die Beklagte anerkannte ihrerseits das Begehren, dass die Klägerin aus dem Markenrecht ableitete.
Nach den eingeschränkten Rechtsbegehren beantragte die Klägerin dem Handelsgericht des Kantons Bern insbesondere: 1. festzustellen, dass von der Beklagten vertriebene Stiefelmodelle, die näher angegeben werden, ihre durch die Hinterlegungen Nr. 61'723, 62'663 und 63'397 geschützten Modelle "Panda", "Luchs" und "Sheriff" verletzen und der Vertrieb widerrechtlich hergestellter Stiefel gegen Grundsätze des UWG verstosse (Rechtsbegehren 1 lit. a-d); 2. der Beklagten den weiteren Vertrieb der streitigen Modelle zu untersagen (Rechtsbegehren 2) und sie zu verurteilen, ihr für jedes verkaufte Paar Fr. 5.- Schadenersatz zu bezahlen (Rechtsbegehren 3).
Die Beklagte wollte mit der Widerklage festgestellt wissen, dass die noch streitigen Modellhinterlegungen "Panda" (Nr. 61'723), "Luchs" (Nr. 62'663) und "Sheriff" (Nr. 63'397) der Klägerin nichtig und daher im internationalen Register für das Gebiet der Schweiz zu löschen seien.
Durch Urteil vom 8. Dezember 1977 hielt das Handelsgericht fest, dass die Beklagte die Klage mit Bezug auf die behauptete Verletzung der Marke "Sheriff" anerkannte; es verbot ihr bei Strafe, weitere Stiefel mit dieser Marke zu vertreiben. Es hielt ferner fest, dass die Klägerin teilweise den Abstand erklärte, indem sie die Ungültigkeit der Hinterlegung Nr. 61'723 mit Bezug auf die Modelle "Eskimo" und "Copain" sowie der Hinterlegung Nr. 62'481 ("Atlantic") anerkannte. Das Handelsgericht fand sodann, dass alle übrigen Rechtsbegehren der Klage und Widerklage abzuweisen seien.
C.-
Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, der sich die Beklagte angeschlossen hat.
Jede Partei wiederholt sinngemäss ihre vor dem Handelsgericht noch streitigen Rechtsbegehren, hält daran fest und widersetzt sich den Begehren der Gegenpartei.
BGE 104 II 322 S. 325
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin ergänzte ihr Schadenersatzbegehren in der Berufung mit dem Antrag, die Sache zur Ermittlung des Schadenbetrages an das Handelsgericht zurückzuweisen. Die Beklagte hält dem entgegen, die Vorinstanz habe das Verfahren vorläufig im Einvernehmen mit den Parteien auf die Grundsatzfrage beschränkt. Bei Abweisung der Berufung werde die Schadenersatzfrage hinfällig, bei Gutheissung könne sie dagegen vom Handelsgericht weiterbehandelt werden. Dem Antrag der Klägerin sei daher nicht zu entsprechen.
Wollte man dieser Auffassung folgen, so läge ein blosses Teilurteil vor, das die Behandlung eines von mehreren Klagebegehren vorbehält, aber nicht in ein besonderes neues Verfahren verweist; damit wären die Anforderungen an einen berufungsfähigen Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
nicht erfüllt (
BGE 100 II 429
,
BGE 91 II 59
mit Zitaten).
Das ist indes nicht der Sinn des angefochtenen Urteils. Wie daraus erhellt, haben sich die Parteien in der Hauptverhandlung vom 16. November 1977 damit einverstanden erklärt, dass das Handelsgericht die Schadenersatzfrage separat behandelt und einstweilen nur prüft, ob eine widerrechtliche Handlung nach MMG oder UWG vorliege. Die Vorinstanz hat deshalb die Ermittlung des Schadens vom Beweisverfahren ausgenommen und sich in den Erwägungen mit der Wiedergabe der Parteierklärung begnügt. Durch den Urteilsspruch hat sie jedoch "sämtliche übrigen Rechtsbegehren der Klage und Widerklage", sinngemäss also auch das Schadenersatzbegehren der Klägerin abgewiesen, soweit darüber nach dem Abstand der Parteien noch zu entscheiden war. Das leuchtet auch ein, da das Handelsgericht die Schadenersatzfrage nur vorläufig zurückgestellt, dann aber sowohl eine Verletzung von Modellrechten wie einen unlauteren Wettbewerb verneint hat. Damit war dem Ersatzanspruch der Klägerin die Grundlage entzogen. Die Schadenersatzfrage stellt sich dagegen erneut, falls nach der Berufung eine widerrechtliche Handlung gemäss MMG oder UWG anzunehmen ist.
2.
Die Klage stützt sich auf die Modellhinterlegungen beim Internationalen Amt für gewerbliches Eigentum. Das Handelsgericht prüfte die Gültigkeit der Hinterlegungen und deren
BGE 104 II 322 S. 326
Rechtswirkungen gleichwohl nur nach schweizerischem Modellschutzrecht.
Das wird von den Parteien mit Recht nicht beanstandet.
Art. 23bis MMG
stellt auch zugunsten eines schweizerischen Hinterlegers die internationale Hinterlegung einer schweizerischen gleich. Dazu kommt, dass weder die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (AS 1970 S. 620) noch das Haager Abkommen betreffend die internationale Hinterlegung der gewerblichen Muster oder Modelle (BS 11 S. 1045) einen weitergehenden Schutz vorsehen als das MMG oder ihn von abweichenden Bedingungen abhängig machen (
BGE 80 II 357
ff.; TROLLER, Kurzlehrbuch des Immaterialgüterrechts, S. 173).
3.
Da die Beklagte geltend macht, die klägerischen Modellhinterlegungen seien nichtig, ist die Widerklage vorweg zu beurteilen. Diese stützt sich auf
Art. 12 Ziff. 1 und 4 MMG
. Nach diesen Bestimmungen ist eine Hinterlegung ungültig, wenn das Modell zur Zeit der Hinterlegung dem Publikum oder den beteiligten Verkehrskreisen bereits bekannt, also nicht mehr neu gewesen oder wenn der hinterlegte Gegenstand seiner Natur nach kein Modell im Sinne des Gesetzes ist. Gemäss
Art. 6 MMG
ist nach erfolgter Hinterlegung zu vermuten, dass deren Gegenstand neu ist. Das gilt auch für die internationale Hinterlegung (
BGE 80 II 361
).
a) Es ist unbestritten, dass einem hinterlegten Modell die Neuheit auch dann abzusprechen ist, wenn der Inhaber selbst es schon vor der Hinterlegung verwendet hat (
BGE 61 I 206
). Mit solchem Gebrauch hat die Beklagte ihre Einrede der Nichtigkeit bereits im kantonalen Verfahren begründet; sie hielt der Klägerin entgegen, aus den ESGE-Grossistenkatalogen der Jahre 1973/74 ergebe sich, dass sie die streitigen Modelle schon vor deren Hinterlegung hergestellt und vertrieben habe. Die Klägerin hat daraufhin die Einrede teilweise anerkannt, indem sie den beanspruchten Schutz auf die Hinterlegungen Nr. 61'723 vom 2. Oktober 1975, Nr. 62'663 vom 11. März 1976 und Nr. 63'397 vom 8. Juli 1976, d.h. auf die noch streitigen Modelle "Panda", "Luchs" und "Sheriff" beschränkte.
Das Handelsgericht fand, die formelle Neuheit dieser Modelle ergebe sich aus dem Vergleich mit jenen, für welche die Klägerin auf den Schutz verzichtet habe. Die Beklagte wendet dagegen mit Recht ein, dass nach ihren Vorbringen die noch streitigen
BGE 104 II 322 S. 327
Modelle mit den Stiefeln verglichen werden müssen, welche die Klägerin gemäss den Katalogen schon früher hergestellt und vertrieben hat. Dass die Vorinstanz diese selbstverständlich berücksichtigt habe, wie die Klägerin behauptet, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Unterschiede zwischen Stiefeln der noch streitigen und der fallengelassenen Hinterlegungen besagen aber nichts über den Vergleich mit den früheren Katalogmodellen, zumal auch nicht festgestellt ist, dass diese identisch gewesen seien mit den Gegenständen der fallengelassenen Hinterlegungen. Auf eine Rückweisung gemäss
Art. 64 Abs. 1 OG
kann indes verzichtet werden, da der Einwand fehlender Neuheit schon aus rechtlichen Gründen nicht standhält.
Die Beklagte anerkennt, dass die noch streitigen Modelle durch früher hergestellte jedenfalls insoweit nicht vorweggenommen sind, als sie sich durch eine schmückende Ausstattung des Kragens oder der äussern Schaftseite deutlich von den früheren unterscheiden. Der Kragen des Panda-Modells ist mit Panda-Bildern versehen; derjenige des Luchs-Modells, das zudem ein markantes Luchs-Bild aufweist, ist einem Tierfell nachgebildet, während auf dem Sheriff-Modell nebst der Bezeichnung "Sheriff" und dem Sheriff-Stern eine besonders auffallende Verzierung angebracht ist.
Solche Ausstattungen sollen nach Auffassung der Beklagten modellrechtlich belanglos sein, weil sie sich in flächigen Darstellungen erschöpften und daher höchstens als Muster geschützt werden könnten. Das trifft schon in tatsächlicher Hinsicht nur beschränkt zu, handelt es sich zum Beispiel beim Luchs-Bild und beim Sheriff-Stern doch um plastische Elemente. Die Behauptung der Beklagten geht auch sonst fehl. Gewiss wird in der Praxis zwischen Muster und Modell unterschieden, da ersteres ein zweidimensionales, letzteres dagegen ein dreidimensionales Gebilde ist. Das Gesetz macht jedoch keinen Unterschied, weil es beide als äussere Formgebung definiert und sowohl die Voraussetzungen wie die Wirkungen ihres Schutzes einheitlich regelt. Dass
Art. 6 MMG
kombinierte Muster/Modell-Hinterlegungen ausschliesst, ändert daran nichts, da es sich dabei lediglich um eine Form- und Ordnungsvorschrift handelt. Die Originalität eines Modells kann daher nicht nur in seiner räumlichen Gestaltung, sondern auch im graphischen Schmuck bestehen, mit dem seine Oberflächen versehen
BGE 104 II 322 S. 328
sind. Diese Lösung ergibt sich aus der einheitlichen Regelung und trägt vor allem dem Umstand Rechnung, dass beide Elemente häufig eng miteinander verbunden oder aufeinander abgestimmt, im Einzelfall folglich kaum zu trennen sind (
BGE 87 II 50
; TROLLER, Immaterialgüterrecht I S. 536 ff.).
Im vorliegenden Fall ist die schmückende Ausstattung der Modelle nicht blosses Beiwerk, sondern bestimmt den für die Beurteilung massgebenden Gesamteindruck auf das kaufende Publikum (
BGE 84 II 661
). Die zugunsten der Klägerin bestehende Vermutung, die noch streitigen Modelle seien neu, ist daher nicht entkräftet, geschweige denn widerlegt.
b) Mit dem weiteren Einwand, die hinterlegten Stiefelformen seien ihrer Natur nach keine Modelle im Sinne des Gesetzes, versucht die Beklagte deren Schutzfähigkeit zu bestreiten.
Nach
Art. 3 MMG
erstreckt sich der Modellschutz nicht auf die Herstellungsweise, Nützlichkeitszwecke und technische Wirkungen des nach dem Modell hergestellten Gegenstandes. In diesem Sinne sind vorweg alle Merkmale auszuscheiden, die durch Rücksichten auf den Gebrauchszweck und die Herstellung des Gegenstandes bedingt sind (
BGE 95 II 473
/4). Das gilt hier insbesondere von der allgemein üblichen Form und Ausgestaltung, die durch die Morphologie des menschlichen Fusses und den Verwendungszweck des Stiefels weitgehend vorbestimmt sind. Streitig ist, ob solche Überlegungen es zum Beispiel auch rechtfertigen, den Schaft des Stiefels aus einem Stück herzustellen, ihn mittels eines gerillten Randes mit der Sohle zu verbinden, diese unten mit einer Gelenkstütze zu versehen und die Sohlenfläche in eine Rand- und Innenpartie aufzuteilen. Wie es sich damit verhält, ist dem angefochtenen Urteil, abgesehen von einer beiläufigen Bemerkung über die Flächenaufteilung nicht zu entnehmen, obschon es sich um Tatfragen handelt, die vom kantonalen Richter zu beantworten sind (
BGE 95 II 475
,
BGE 87 II 53
). Es besteht diesbezüglich auch keine gesetzliche Vermutung, wie das Handelsgericht anzunehmen scheint;
Art. 6 MMG
bezieht sich nicht auf die Gültigkeit der Hinterlegung schlechthin, sondern nur auf die Neuheit und die Urheberschaft.
Der Modellschutz setzt zudem eine äussere Formgebung voraus, die bei der gewerblichen Herstellung eines Gegenstandes als Vorbild dienen soll (
Art. 2 MMG
). Letzteres trifft hier unstreitig zu. Umstritten ist dagegen das dem Gesetz zugrunde
BGE 104 II 322 S. 329
liegende ästhetische Erfordernis, die sogenannte materielle Neuheit. Nach der Rechtsprechung braucht die Form nicht das Ergebnis einer schöpferischen Tätigkeit zu sein; sie darf aber auch nicht im Nächstliegenden haften bleiben, sondern muss eine gewisse Originalität und damit ein Mindestmass an geistigem Aufwand erkennen lassen. Die Form muss dem Gegenstand ferner gegeben werden, um den Geschmack, den Sinn für das Schöne anzusprechen (
BGE 95 II 472
,
BGE 92 II 204
mit Hinweisen). Auch die Vorinstanz geht davon aus, schliesst sich dann aber den kritischen Bemerkungen KUMMERS zu
BGE 87 II 49
an (ZBJV 99/1963 S. 24), wonach die schlichte Individualität der Formgebung genügt oder der Vergleich mit vorbekannten Formen ein "Anderssein" ergibt, das keinen besonderen qualitativen Schwellenwert mehr übersteigen müsse. TROLLER äussert sich ähnlich (Immaterialgüterrecht I S. 534, Kurzlehrbuch S. 84).
Auf das Merkmal einer gewissen Originalität völlig zu verzichten und sich auf die Prüfung der formellen Neuheit zu beschränken, wie die Vorinstanz das getan hat, geht jedenfalls dann nicht an, wenn dem Ansprecher zum vorneherein enge Grenzen gesetzt sind, einem Erzeugnis ein neuartiges Aussehen zu verleihen. Im vorliegenden Fall reicht bei den noch streitigen Modellen die schmückende Ausstattung indes noch aus, um die Originalität zu bejahen. Die Panda-Bilder, der Tierfellkragen, das mit Tiernamen eingerahmte Luchs-Bild, die Verzierung sowie Sheriff-Stern und -Marke geben den Modellen, die damit versehen sind, ein Mindestmass von originellem Charakter und prägen den für die Beurteilung massgebenden Eindruck auf das kaufende Publikum.
Die mit der Widerklage erhobene und in der Anschlussberufung wiederholte Einrede, die klägerischen Modellhinterlegungen "Panda", "Luchs" und "Sheriff" seien nichtig, erweist sich somit in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet. Die Berufung der Beklagten ist deshalb abzuweisen.
4.
Die Klägerin begründete ihre Rechtsbegehren bereits im kantonalen Verfahren vor allem mit einer Verletzung von Modellrechten gemäss
Art. 24 Ziff. 1 MMG
. Nach dieser Bestimmung ist die Nachahmung eines hinterlegten Modells widerrechtlich, wenn eine Verschiedenheit nur bei sorgfältiger Vergleichung wahrgenommen werden kann; blosse Farbänderungen
BGE 104 II 322 S. 330
sind dabei ausser acht zu lassen. Damit geht das Modellrecht, wie das Handelsgericht zu Recht annimmt, von einem engern Begriff der Nachahmung aus als das Marken- und Wettbewerbsrecht, da das hinterlegte und das widerrechtlich hergestellte Modell nebeneinander zu halten und gleichzeitig zu betrachten sind, man also nicht auf das blosse Erinnerungsbild abstellen darf. Beizupflichten ist der Vorinstanz auch darin, dass eine Nachahmung nicht schon durch geringfügige Unterschiede, die bei näherer Betrachtung ersichtlich sind, ausgeschlossen wird, weil es nicht auf die Abweichungen, sondern auf die Übereinstimmungen und damit wiederum auf den Gesamteindruck ankommt, den die miteinander zu vergleichenden Modelle insbesondere beim letzten Abnehmer hinterlassen (
BGE 83 II 480
E. 3; TROLLER, Immaterialgüterrecht II S. 771). Gestützt auf diese Kriterien gelangte die Vorinstanz zum Schluss, die streitigen Modelle der Parteien unterschieden sich namentlich durch die schmückende Ausstattung ihres Oberteiles, weshalb eine unzulässige Nachahmung zu verneinen sei.
Die Klägerin hält eine zergliedernde Betrachtungsweise, wie sie dem angefochtenen Urteil zugrunde liege, für verfehlt und verlangt eine Beurteilung ihrer Stiefel nach deren Gesamteindruck; diesfalls ergebe sich eine ganze Reihe von Nachahmungen, die zusammen als Verletzung ihrer Modellrechte zu werten seien. Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass alle von ihren Rechtsbegehren nicht oder nicht mehr erfassten Modelle vom Vergleich auszunehmen sind. Das gilt insbesondere für jene Modelle, bezüglich deren die Klägerin auf Widerklage hin den Abstand erklärt hat. Massgebend sind die von ihr eingeschränkten Feststellungsbegehren 1 lit. a-c.
Nach diesen Begehren ist das Sheriff-Modell der Klägerin mit dem Sheriff-bzw. späteren US-Marshall-Modell der Beklagten zu vergleichen. Beide weisen eine ähnliche graphische Verzierung von gleicher Grösse auf, lassen in den Aufschriften und in der Gestaltung des Sterns aber auffällige Unterschiede erkennen. Die Bezeichnung ist auf dem Modell der Klägerin markant in halbrundem Schriftzug und auf einem besonderen Läppchen, auf demjenigen der Beklagten dagegen kaum leserlich und im Stern angebracht. Dieser ist zudem sechszackig und eingeprägt, auf dem Modell der Klägerin dagegen fünfzackig und als Metallstück aufgesetzt. Die schmückende Ausstattung der Klägerin wirkt deshalb kräftiger und plastischer, die der Beklagten
BGE 104 II 322 S. 331
eher schwach und flächig. Dem Panda-Modell der Klägerin sind diejenigen gegenüberzustellen, deren Kragen die Beklagte mit der Marke "Robusto" sowie mit Tierabbildungen gekennzeichnet hat. Hiezu gehören stilisierte Bilder insbesondere von Fischen, Enten und Krokodilen, während die Klägerin auf dem Kragen ihres Modells einzig Panda-Bären wiedergibt, die dem Werbebild des World-Wildlife-Fund (WWF) entsprechen. Durch diese unterschiedliche Ausstattung des Kragens heben sich die streitigen Modelle deutlich voneinander ab. Das Luchs-Modell schliesslich ist mit den Stiefeln zu vergleichen, welche die Beklagte mit einem Löwen- oder Tiger-Bild versehen hat. Der einem Tierfell nachgebildete Kragen des Luchs-Modells ist mit einem Schnürverschluss ausgerüstet, während die Beklagte sich auch hier damit begnügt hat, die Kragen ihrer Stiefel mit der Marke "Robusto" und den stilisierten Tierbildern auszustatten. Die Bilder auf der Aussenseite des Schaftes sodann lassen sich nur insofern miteinander in Beziehung bringen, als sie alle Raubtiere darstellen. Gleichwohl lassen sich die Modelle auch nach diesen Kennzeichen klar auseinanderhalten, da dasjenige der Klägerin ein eingeprägtes und mit Tiernamen eingerahmtes Luchs-Bild zeigt, die Stiefel der Beklagten dagegen Löwe oder Tiger in einer blossen Kontrastfarbe wiedergeben.
Das Handelsgericht hat sich mit der schmückenden Ausstattung der Modelle eingehend auseinandergesetzt. Es fällt auf, dass die Klägerin sich damit überhaupt nicht, mit anderen Merkmalen, welche angeblich nicht technisch bedingt sind und ihre Modelle kennzeichnen sollen, dagegen ausführlich befasst. Der durch die schmückende Ausstattung geprägte Gesamteindruck wird von den übrigen Elementen jedoch kaum beeinflusst, gleichviel inwieweit diese durch die Herstellung oder den Gebrauch der Erzeugnisse bedingt sind oder das gefällige Aussehen der Modelle mitbestimmen sollen. Werden die zu vergleichenden Stiefel nebeneinander gestellt, so sind die Unterschiede in der äussern Aufmachung schon bei oberflächlicher Prüfung zu ersehen; einer näheren Betrachtung bedarf es einzig bei den Western-Stiefeln, weil sie alle in Lederfarben gehalten sind. Dass einzelne Modelle an den falschen Lieferanten zurückgesandt worden sind, ist modellrechtlich unerheblich. Gewiss ist die Verwechslungsgefahr beim kaufenden Publikum erst recht zu bejahen, wenn ihr schon das fachkundige Verkaufspersonal erliegt. Wenn ein Verkäufer Retourware falsch sortiert, beruht
BGE 104 II 322 S. 332
sein Irrtum indes bestenfalls auf einem Erinnerungsbild, nicht auf einer zuverlässigen Vergleichung nebeneinander stehender Modelle.
Die Auffassung des Handelsgerichtes, eine Verletzung von Modellrechten gemäss
Art. 24 Ziff. 1 MMG
sei zu verneinen, ist daher nicht zu beanstanden.
5.
Die Klägerin macht ferner geltend, dass die Beklagte durch den Vertrieb widerrechtlich hergestellter Modelle unlauteren Wettbewerb begangen habe. Zu diesen Modellen zählt sie nicht nur die Stiefel mit schmückender Ausstattung des Kragens oder der äussern Schaftseite (Ziff. 4 hiervor), sondern auch solche, bezüglich deren sie im kantonalen Verfahren auf Ansprüche aus Modellschutz verzichtet hat, weil sie weder mit Western-Zeichen noch mit Zierbildern versehen sind.
a) Mit dem Handelsgericht ist vom Grundsatz auszugehen, dass nicht auf dem Umweg über das UWG als widerrechtlich bezeichnet werden darf, was nach den Spezialgesetzen des gewerblichen Rechtsschutzes erlaubt ist. Zu Unrecht rügt daher die Klägerin, die Vorinstanz habe der Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG
nicht den weiteren Begriff der Nachahmung zugrunde gelegt; denn damit würde der Richter sich über die vom Gesetz gewollte Beschränkung des Muster- und Modellschutzes hinwegsetzen. Wenn die Form einer Ware nicht oder nicht mehr unter diesem Schutz steht, darf sie grundsätzlich auch aus ästhetischen Gründen nachgeahmt werden. Jedermann darf seiner Ware jene Form geben, die sie am gefälligsten und damit am besten verkäuflich macht. Anders verhält es sich insbesondere, wenn eine Ware eine bestimmte Form oder Ausstattung nur deshalb erhalten hat, damit sie von gleichen oder ähnlichen Erzeugnissen anderen Ursprungs unterschieden werden könne. Unter dieser Voraussetzung ist die Form nicht ästhetisch bedingt, sondern bloss äussere Zutat zur Kennzeichnung der Ware und darf daher von andern Herstellern nicht nachgemacht werden (
BGE 103 II 215
E. 3,
BGE 95 II 477
,
BGE 92 II 206
E. 6 mit Hinweisen).
Nach dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht sagen, die klägerischen Stiefel-Modelle hätten sich wegen ihrer besonderen Ausstattung im Verkehr durchgesetzt. Das Handelsgericht hält der Klägerin entgegen, sie behaupte selbst nicht, ihre Stiefel hätten eine solche Geltung erreicht, dass das kaufende Publikum aus ihrem Aussehen auf die richtige Herkunft schliesse. Ein
BGE 104 II 322 S. 333
Anzeichen für die Herkunft könnte zudem einzig im Panda-Bär erblickt werden, der aber nicht auf die Klägerin, sondern auf den WWF hinweise. Dagegen ist nicht aufzukommen mit der Behauptung, die Verkehrsgeltung sei durch die unbestrittenen Retoursendungen bewiesen. Dass im Fachhandel Verwechslungen vorgekommen sind, heisst nicht, auch Käuferkreise hätten Stiefel der streitigen Art ohne weiteres der Klägerin zugerechnet. Der Einwand sodann, die schmückende Ausstattung oder andere Formelemente ihrer Stiefel hätten von Anfang an eine die Herkunft kennzeichnende Funktion gehabt, ist kaum ernst gemeint und durch nichts belegt. Es fällt gegenteils auf, dass die Klägerin ihre Stiefel nicht mit der Firma oder Marke "BATA" versehen hat, um selber Verwechslungen vorzubeugen oder die angeblich beabsichtigte Unterscheidung der Ware im Verkehr zu sichern. Ob sie das Zeichen weggelassen hat, weil sie es nicht mit billigen Massenartikeln in Verbindung bringen wollte, kann offen bleiben. Festzuhalten ist dagegen, dass Käufer solcher Artikel sich erfahrungsgemäss um deren Herkunft überhaupt nicht kümmern (
BGE 92 II 209
,
BGE 87 II 56
).
Soweit die Klägerin die Verwechslungsgefahr bei Stiefeln ohne schmückende Ausstattung mit andern Elementen, insbesondere mit den reliefartigen Linien, dem Schnürverschluss, der Gelenkstütze, der Sohlenaufteilung oder der losen Innensohle begründen will, geht sie ebenfalls fehl. Solche Merkmale sagen über die Herkunft der Ware nichts aus, weil in dieser Hinsicht alle Erzeugnisse der betreffenden Art, woher sie auch kommen mögen, annähernd gleich aussehen. Deswegen lässt sich nicht sagen, die nachgemachte Ware könne mit der eines bestimmten Mitbewerbers verwechselt werden. Sie kann mit allen Waren dieser Art verwechselt werden, aber verletzt ist keiner der Mitbewerber, weil keiner einen Anspruch darauf hat, Waren dieser Ausgestaltung allein herzustellen.
b) Eine andere Frage ist, ob unlauterer Wettbewerb gemäss der in
Art. 1 Abs. 1 UWG
enthaltenen Generalklausel vorliege. Nach dieser Bestimmung gilt jeder Missbrauch des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch täuschende oder andere Mittel, die gegen Treu und Glauben verstossen, als unlauter. Das Gesetz will damit dem Richter die Möglichkeit geben, von den Sonderbestimmungen des Abs. 2 nicht oder nur teilweise erfasste Sachverhalte im Lichte des Grundsatzes von Treu und Glauben allseitig zu würdigen (
BGE 102 II 294
). Dies rechtfertigt sich
BGE 104 II 322 S. 334
namentlich in Fällen der Ausbeutung fremder Leistung, wozu Mitbewerber nach der Erfahrung vor allem dann versucht sind, wenn wegen des grossen oder vielfältigen Angebotes allgemein ein harter Konkurrenzkampf besteht. Die Klägerin wirft der Beklagten denn auch vor, sie habe sich jeweilen prompt von ihren Modellen "inspirieren" lassen und diese systematisch nachgeahmt, um aus ihrem Goodwill Nutzen zu ziehen.
Die wettbewerbliche Leistung eines Konkurrenten gegen die missbräuchliche Ausnützung durch andere zu schützen, gehört zu den Grundgedanken des Wettbewerbsrechtes (
BGE 87 II 56
). Die Grenzen dieses Schutzes sind schwierig festzusetzen, weil schon das Spannungsverhältnis zwischen den Spezialgesetzen über den gewerblichen Rechtsschutz und dem Wettbewerbsrecht Unklarheiten schafft. Regel muss aber bleiben, dass spezialrechtlich nicht geschützte Arbeitsergebnisse als solche wettbewerbsrechtlich ebenfalls nicht schützbar sind, mögen sie auch mit Mühe und Kosten errungen worden sein. Die ästhetische Ausgestaltung einer Ware ist in Bereichen, die vom Muster- oder Modellschutz nicht erfasst werden, nicht das Monopol ihres geistigen Urhebers (
BGE 95 II 468
,
BGE 87 II 63
).
Besondere Umstände können indes selbst ein Verhalten, das nach Muster- oder Modellrecht nicht zu beanstanden ist, im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 UWG
missbräuchlich machen und daher die Anwendung dieser Bestimmung rechtfertigen. Das ist in
BGE 90 II 56
E. 6 zum Beispiel aus den Begleitumständen einer Nachahmung gefolgert worden. Dagegen hat das Bundesgericht mangels tatsächlicher Voraussetzungen bisher offen gelassen, ob das planmässige Heranschleichen an eine fremde Ausstattung als unlauterer Wettbewerb zu werten sei (
BGE 95 II 199
und 469). Das ist an sich ebenfalls zu bejahen. Die systematische Häufung raffinierter Nachahmungen "bis an die Grenze des Unzulässigen" ist mit Treu und Glauben ebensowenig zu vereinbaren, wie eine einmalige genaue Nachahmung, wenn sie wie diese darauf angelegt ist, den guten Ruf des Konkurrenzerzeugnisses in schmarotzerischer Weise auszubeuten (KUMMER, ZBJV 107/1971, S. 228; DAVID, Schweiz. Wettbewerbsrecht, S. 392/393).
c) Solche Umstände erblickt die Klägerin darin, dass die Beklagte ihr Sortiment von Anfang an in Anlehnung an die hinterlegten Modelle aufgebaut und damit eine eigentliche Nachahmungspolitik betrieben habe. Dieser Vorwurf ist auf die
BGE 104 II 322 S. 335
Stiefel mit schmückender Ausstattung von Kragen oder Schaftaussenseite zu beschränken, für die der Modellschutz im Verfahren aufrechterhalten worden ist (Panda, Luchs, Sheriff); die andern Stiefel fallen dabei ausser Betracht, weil ihre Ausstattung wenig typisch ist und ihre Inverkehrsetzung und praktische Bedeutung ungenügend abgeklärt sind.
Aus den hievor angestellten Vergleichen ergeben sich allerdings auffallende Ähnlichkeiten zwischen den Stiefeln der Beklagten und den Panda-, Luchs- und Sheriff-Modellen der Klägerin, weshalb diesbezüglich von einer deutlichen "Annäherung", einem "Ablauschen" (KUMMER a.a.O.) gesprochen werden kann. Diese Ähnlichkeiten reichen indes nicht aus; erforderlich ist eine systematische Annäherung. Von einer solchen kann hier noch nicht die Rede sein, da es sich nur um drei Modelle handelt und beide Parteien zahlreiche andere Typen hergestellt und vertrieben haben, für die der Vorwurf nicht zutrifft. Es rechtfertigt sich in diesem Sinn Zurückhaltung, wenn auf Grund von
Art. 1 Abs. 1 UWG
ein Verhalten, das modellrechtlich nicht zu beanstanden ist und von den besonderen Tatbeständen des
Art. 1 Abs. 2 UWG
nicht erfasst wird, als systematische Annäherung geahndet werden soll.
6.
Liegt somit weder eine Verletzung von Modellrechten noch unlauterer Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin vor, so ist deren weiteren Klagebegehren der Boden entzogen, die Berufung der Klägerin folglich in vollem Umfange abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung und die Anschlussberufung werden abgewiesen, und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 8. Dezember 1977 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
019a0910-be28-4707-af9c-f143e0562525 | Urteilskopf
111 III 70
17. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 19. November 1985 i.S. Alpenblick Immobilien AG (Rekurs) | Regeste
Eine vor der Konkurseröffnung angehobene Betreibung auf Pfandverwertung, die gestützt auf
Art. 206 SchKG
während des Konkursverfahrens dahingefallen ist, wird wieder gültig, wenn das Konkursdekret angefochten und von der Berufungsinstanz aufgehoben wird. | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 111 III 70 S. 70
Die Ersparniskasse Nidwalden strengte gegen die Alpenblick Immobilien AG mit Zahlungsbefehl Nr. 4097 des Betreibungsamtes Giswil vom 19. April 1984 Betreibung auf Pfandverwertung an für eine Forderung von Fr. 400'000.--, die durch eine Grundpfandverschreibung auf den Grundstücken der Schuldnerin in Giswil gesichert war. Der Rechtsvorschlag der Schuldnerin wurde beseitigt, und der Gläubigerin wurde vom Richter die provisorische Rechtsöffnung erteilt.
Mit Zahlungsbefehl Nr. 25782 des Betreibungsamtes Nidwalden vom 14. März 1984 hatte die Ersparniskasse Nidwalden die Alpenblick Immobilien AG auch für eine Forderung von Fr. 31'635.-- betrieben. Nachdem der Rechtsvorschlag der Schuldnerin beseitigt worden war und die Gläubigerin das Fortsetzungsbegehren gestellt hatte, erliess das Amt die Konkursandrohung. Am 22. Februar 1985 eröffnete der Konkursrichter von Nidwalden über die Schuldnerin den Konkurs, wogegen diese beim Obergericht des Kantons Nidwalden Berufung einlegte. Ihr Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung wurde am 8. März 1985 abgelehnt. Am 18. Juli 1985 hiess das Obergericht die Berufung indessen gut und hob das Konkursdekret auf, weil die Schuldnerin den Nachweis erbracht hatte, dass inzwischen sämtliche mit der Konkursandrohung verbundenen Forderungen bezahlt worden seien.
Am 21. August 1985 stellte die Ersparniskasse Nidwalden in der Betreibung Nr. 4097 des Betreibungsamtes Giswil das Verwertungsbegehren. Daraufhin erliess das Betreibungsamt die Steigerungsanzeige,
BGE 111 III 70 S. 71
in welcher die Steigerung der gepfändeten Liegenschaften in Giswil auf den 9. November 1985 angesetzt wurde. Nachträglich wurde die Versteigerung auf den 23. November und schliesslich auf den 4. Januar 1986 verschoben.
Gegen die Ansetzung der Versteigerung in der Betreibung Nr. 4097 des Betreibungsamtes Giswil erhob die Alpenblick Immobilien AG Beschwerde, welche von der Obergerichtskommission des Kantons Obwalden als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs am 24. Oktober 1985 abgewiesen wurde.
Die Alpenblick Immobilien AG führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit den Anträgen, den Entscheid der Obergerichtskommission vom 24. Oktober 1985 und die Betreibung Nr. 4097 aufzuheben und die angesetzte Steigerung zu annullieren.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
In der vorliegenden Rekursschrift stellt sich die Rekurrentin auf den Standpunkt, dass mit der Konkurseröffnung vom 22. Februar 1985 die Betreibung Nr. 4097 auf Grundpfandverwertung dahingefallen sei. Da ihrer Berufung gegen das Konkurserkenntnis die aufschiebende Wirkung versagt worden sei, sei der Konkurs rechtskräftig eröffnet worden und habe die vom Gesetz vorgesehenen Wirkungen entfaltet. Die Tatsache, dass das Konkursdekret schliesslich am 18. Juli 1985 aufgehoben worden sei, habe dieselben Folgen wie der Widerruf des Konkurses nach
Art. 195 SchKG
. Dies gelte um so mehr, als das Obergericht die Berufung gegen die Konkurseröffnung wegen des Vorliegens neuer Tatsachen gutgeheissen habe. Wäre indessen der Berufung gegen das Konkurserkenntnis die aufschiebende Wirkung erteilt und die Berufung anschliessend abgewiesen worden, so wäre der Konkurs am Tag des Entscheids des Obergerichts eröffnet worden. Da aber der Berufung die aufschiebende Wirkung verweigert worden und die Konkurseröffnung damit gültig geblieben sei, habe sie ihre Wirkungen seit dem Erlass des Konkursdekrets vom 22. Februar 1985 durch den Konkursrichter entfaltet. Die Betreibung auf Grundpfandverwertung sei daher gemäss
Art. 206 SchKG
aufgehoben worden. Sie könne nicht wieder aufleben, wenn das Konkursdekret des erstinstanzlichen Richters im
BGE 111 III 70 S. 72
Berufungsverfahren aufgehoben werde. Dies sei auch beim Widerruf des Konkurses nach
Art. 195 SchKG
oder bei der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven nach
Art. 230 SchKG
nicht der Fall.
2.
Dieser Betrachtungsweise der Rekurrentin kann indessen aus den folgenden Überlegungen nicht gefolgt werden:
a) Die Rekurrentin beruft sich zur Begründung ihres Standpunkts auch auf
Art. 230 SchKG
. Es ist jedoch offensichtlich, dass im vorliegenden Fall keine Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven gemäss
Art. 230 SchKG
erfolgt ist. Dieses Vorgehen ist erst angezeigt, wenn der Konkurs definitiv eröffnet worden ist und das Konkursamt feststellt, dass keinerlei zur Masse gehörendes Vermögen vorhanden ist, wovon es dem Konkursgericht Anzeige erstattet. Dieses beschliesst daraufhin die Einstellung und Schliessung des Konkursverfahrens, falls nicht ein Gläubiger die Kosten für dasselbe sicherstellt. Im vorliegenden Verfahren ist jedoch nichts Derartiges geschehen, so dass
Art. 230 SchKG
nicht zur Anwendung kommt. Überdies ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass nach der Rechtsprechung auch bei der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven die Betreibungen auf Pfandverwertung, die in Anwendung von
Art. 206 SchKG
aufgehoben wurden, weil die Konkurseröffnung definitiv war, nach Schliessung des Konkurses weitergeführt werden (
BGE 88 III 21
/22 E. 2).
b) Ebensowenig ist im vorliegenden Fall ein Widerruf des Konkurses im Sinne von
Art. 195 SchKG
gegeben. Dieser kann erst erfolgen, nachdem ein endgültiges Konkurserkenntnis vorliegt und die Gläubiger ihre Forderungen im Konkurs eingereicht haben (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 3. Aufl., S. 312 N. 6). Die Gesamtheit der Passiven muss feststehen, damit der Schuldner den Nachweis erbringen kann, dass sämtliche Gläubiger ihre Konkurseingaben zurückziehen. Aber auch diese Voraussetzung trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Die Obergerichtskommission hat die Konkurseröffnung annulliert, obwohl ihr bekannt war, dass eine Betreibung auf Pfandverwertung hängig war und dass die der Betreibung zugrundeliegende Forderung weder bezahlt worden war, noch dass die Gläubigerin auf deren Geltendmachung verzichtet hatte. Die in
BGE 75 III 69
in fine offengelassene Frage, ob gewisse Betreibungen auch nach dem Konkurswiderruf gemäss
Art. 195 SchKG
weitergeführt werden könnten, wie dies nach der Einstellung des Konkurses mangels
BGE 111 III 70 S. 73
Aktiven im Sinne von
Art. 230 SchKG
der Fall ist, braucht somit auch hier nicht geprüft zu werden.
3.
In Wirklichkeit war der Konkurs am 22. Februar 1985 gemäss
Art. 175 SchKG
eröffnet worden und entfaltete seine Wirkungen bis zum Entscheid des Obergerichts vom 18. Juli 1985. Indessen war die Konkurseröffnung nicht definitiv wegen des hängigen Berufungsverfahrens. Die Massnahmen, die das Konkursamt während dieses Verfahrens treffen konnte, und die Rechtswirkungen des Konkurses konnten nur als vorsorgliche Anordnungen im Sinne von
Art. 170 SchKG
gelten, da schliesslich nicht auf Konkurs erkannt wurde. Nachdem das Konkurserkenntnis des Konkursrichters aufgehoben worden war, mussten auch die vom Konkurs entfalteten Wirkungen dahinfallen. In Übereinstimmung mit der Obergerichtskommission ist daher anzunehmen, dass die vor dem Erlass des Konkursdekrets angehobene Betreibung auf Pfandverwertung, soweit sie gestützt auf
Art. 206 SchKG
dahingefallen war, wieder gültig wurde, nachdem definitiv feststand, dass kein Konkurs durchgeführt werde. Jede andere Lösung hätte zur Folge, dass ein nicht erfolgter Konkurs Wirkungen entfalten könnte, was insbesondere auch im Hinblick auf
Art. 206 SchKG
unmöglich wäre. Unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts spielt die Begründung, mit der die Berufung gegen das Konkursdekret gutgeheissen wurde, keine Rolle. Ob es sich bei den von der Rekurrentin vorgebrachten neuen Tatsachen um Nova im eigentlichen Sinne gehandelt habe oder nicht, ist eine Frage, die sich nicht nach Bundesrecht beurteilt (vgl. GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, S. 238).
Ist die Betreibung Nr. 4097 nach dem Ausgeführten nicht dahingefallen, so hat das Betreibungsamt Giswil die Versteigerung der Liegenschaften der Schuldnerin zu Recht angeordnet. Damit erweist sich der Rekurs als unbegründet. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
019b256a-6c56-4879-8438-35cb941d33f2 | Urteilskopf
105 II 114
21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Mai 1979 i.S. Togal AG gegen Schmidt (Berufung) | Regeste
Art. 736 Ziff. 4 OR
. Auflösung einer Aktiengesellschaft aus wichtigen Gründen.
1. Schwere und anhaltende Missachtung der Kontrollrechte des Minderheitsaktionärs bejaht (E. 2, 3).
2. Schwere finanzielle Benachteiligung angenommen. Sie kann auch bei einer blossen Kürzung der Dividenden vorliegen (E. 4, 5).
3. a) Die Auflösungsklage ist nicht erst dann möglich, wenn die Gesellschaft finanziell ausgehöhlt ist (E. 6a).
b) Grundsatz der Subsidiarität bzw. der Verhältnismässigkeit der Auflösungsklage: Dass der klagende Minderheitsaktionär mit Hilfe des Richters seine Mitgliedschaftsrechte jeweils durchzusetzen vermochte oder vermocht hätte, schliesst die Auflösungsklage nicht aus, solange die missbräuchliche Haltung der Mehrheit andauert und zu erwarten ist, dass der Kläger auch künftig nur zu seinen Rechten kommt, wenn er regelmässig den Richter anruft (E. 6d).
4. a) Für die Frage, ob wichtige Gründe vorliegen, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (E. 6a, b). Diese hat von den konkreten Verhältnissen auszugehen (E. 7).
b) Bei Familiengesellschaften dürfen persönliche Beziehungen der Mitglieder nicht völlig ausser Betracht fallen (E. 7b).
c) Überwiegendes Interesse der Minderheit an der Auflösung bejaht (E. 7b, c). | Sachverhalt
ab Seite 116
BGE 105 II 114 S. 116
Der Togalkonzern setzt sich zusammen aus der Togal AG und den Togalwerken Lugano, Wien und München. Die Togal AG war in den dreissiger Jahren mit Sitz in Zürich gegründet worden "zur dauernden Verwaltung von Beteiligungen samt Finanzierung von Betriebsgesellschaften auf pharmazeutischem Gebiet im allgemeinen und für das Togal im speziellen". Seit 1965 befinden sich 2/3 des Aktienkapitals der Togal AG in der Hand ihres Verwaltungsratspräsidenten Gerhard Smith, während dessen Bruder Günther Schmidt über den letzten Drittel verfügt. Die Togal AG ist Alleinaktionärin des Togalwerks Lugano sowie - teils mittelbar über das Togalwerk Lugano - des Togalwerks Wien, wogegen Günther Schmidt praktisch Alleinaktionär des Togalwerks München ist. Seit anfangs der sechziger Jahren kam es zwischen Günther Schmidt und Gerhard Smith zu Auseinandersetzungen, die ab 1965 vor allem die Frage betrafen, ob die Rechte des Minderheitsaktionärs der Togal AG, Günther Schmidt, ausreichend gewahrt seien. 1970 erhob Günther Schmidt beim Handelsgericht des Kantons Zürich gestützt auf
Art. 736 Ziff. 4 OR
Klage auf Auflösung der Togal AG. Mit Urteil vom 31. Oktober 1978 hiess das Handelsgericht die Klage gut. Die von der Beklagten eingelegte Berufung weist das Bundesgericht ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach
Art. 736 Ziff. 4 OR
wird die Aktiengesellschaft durch Urteil des Richters aufgelöst, wenn Aktionäre, die zusammen mindestens einen Fünftel des Grundkapitals vertreten, aus wichtigen Gründen die Auflösung verlangen.
Streitig ist vor Bundesgericht einzig, ob die vom Handelsgericht festgestellten Tatsachen als wichtige Gründe die Auflösung der Beklagten zu rechtfertigen vermögen. Das angefochtene Urteil stützt sich dabei einerseits auf Missachtung der Kontrollrechte des Klägers als Aktionär und der Vorschriften über die Einberufung der Generalversammlung und anderseits
BGE 105 II 114 S. 117
auf Missbrauch der Mehrheitsstellung durch Gerhard Smith zu seinem finanziellen Nutzen und zum Nachteil des Klägers. In der einen wie in der andern Hinsicht handelt es sich um zahlreiche Vorfälle aus den Geschäftsjahren 1965 bis 1974. Die Beklagte bestreitet zu Recht nicht, dass das Handelsgericht dabei auch Vorkommnisse berücksichtigen durfte, die sich nach Prozesseinleitung im April 1970 zutrugen. Dagegen legt sie mehrere Zuschriften von Prof. W. Bürgi ins Recht, in welchen das angefochtene Urteil kritisiert wird. Diesen Äusserungen kommt lediglich die Bedeutung von Berufungsvorbringen zu, welche gegenüber den wissenschaftlichen Publikationen Bürgis in den Hintergrund treten.
2.
Streitigkeiten entstanden einmal mit Bezuge auf die Einberufung der Generalversammlung und der in diesem Zusammenhang einzuhaltenden Formvorschriften, welche die Mitverwaltungs- und Kontrollrechte des Aktionärs berühren (
Art. 699 und 700 OR
).
a) Da das Geschäftsjahr der Beklagten mit dem Kalenderjahr zusammenfiel, hätte die Generalversammlung gemäss
Art. 699 Abs. 2 OR
jeweils spätestens Ende Juni des folgenden Jahres stattfinden sollen. In den ersten Jahren nach dem Mehrheitserwerb durch Smith wurde dieser Vorschrift nicht nachgelebt, so dass es für die vier Geschäftsjahre 1965-1968 eines Einberufungsbegehrens an den Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich bedurfte. Während sich für die Geschäftsjahre 1969-1971 keine Beanstandung ergab, spitzten sich die Dinge für das Geschäftsjahr 1972 zu: Für eine erste Generalversammlung war nicht fristgerecht eingeladen worden, weshalb der Kläger beim Handelsgericht Anfechtungsklage erhob. Weil die Beklagte die in diesem Verfahren vereinbarte Wiederholung der Generalversammlung unterliess, ersuchte der Kläger den Einzelrichter um einen entsprechenden Befehl. Dieser erging, blieb jedoch wirkungslos, worauf der Einzelrichter im Vollstreckungsverfahren die Durchführung der Generalversammlung durch den zuständigen Notar anordnete und Smith in Fr. 100.- Ordnungsbusse verfällte. Die Beklagte rekurrierte sowohl gegen den Befehl wie gegen seine Vollstreckung an das Obergericht, führte dann aber die Generalversammlung durch; ihre Rekurse wurden teils zu ihren Lasten abgeschrieben, teils abgewiesen. Für die Geschäftsjahre 1973-1976 wurde die ordentliche Generalversammlung rechtzeitig abgehalten. Im
BGE 105 II 114 S. 118
Geschäftsjahr 1974 ergaben sich aber Anstände mit der von der Beklagten beabsichtigten Sitzverlegung nach Lugano, wofür es dreier Generalversammlungen bedurfte. Die beiden ersten waren nicht formgerecht einberufen worden, was zu zwei Anfechtungsklagen des Klägers führte, von welchen die eine beim Friedensrichter anerkannt, die andere gegenstandslos wurde. In diesem Zusammenhang kam es zudem noch zu einem Begehren des Klägers, der Einzelrichter möge die Sitzverlegung vorläufig untersagen, das die Beklagte wiederum anerkannte.
b) Im Zusammenhang mit nicht ordnungsgemässer Einberufung der Generalversammlung kam es so zu zwölf gerichtlichen Verfahren. Alle diese Verfahren gingen, wie das Handelsgericht festhält, zugunsten des Klägers aus, wenn nicht durch Gutheissung oder Anerkennung, so doch durch Gegenstandslosigkeit zulasten der Beklagten. Dabei handelte es sich um leichtere Verstösse, die für sich allein keine Auflösung der Beklagten rechtfertigen. Die Verhältnisse haben sich zudem seit 1969 deutlich gebessert, vom Geschäftsjahr 1972 abgesehen, für welches Smith allerdings eine ungewöhnliche Renitenz bekundete. Die Beklagte macht unter Berufung auf Bürgi geltend, in kleinen Familiengesellschaften werde mit Formvorschriften allgemein grosszügig umgegangen. Das mag zutreffen, denn wo ein Vertrauensverhältnis besteht, werden Förmlichkeiten oft als unnötig empfunden. In Fällen aber, in denen ein Vertrauensverhältnis fehlt, weil die persönliche Beziehungen zwischen den Gesellschaftsmitgliedern getrübt sind, können und müssen die Formvorschriften eine Schutzfunktion erfüllen. Das trifft auch hier jedenfalls seit dem Mehrheitserwerb durch Smith im Jahre 1965 zu. Dass die Beklagte sich über die erwähnten Bestimmungen so leichtfertig hinwegsetzte, kann daher nicht ausser Acht gelassen werden.
3.
a) Hinsichtlich der Kontrollrechte des Aktionärs insbesondere im Sinne von
Art. 696 und 697 OR
kam es seit 1965 ebenfalls zu zahlreichen Gerichtsverfahren. So wandte sich der Kläger für die Geschäftsjahre 1965, 1966, 1967, 1969, 1970, 1972 und 1973 an den zuständigen Einzelrichter, um Auskünfte zu erhalten, die ihm an den Generalversammlungen nicht oder nur ungenügend erteilt wurden. Für die Jahre 1965, 1966, 1967 und 1969 waren wegen Nichtbefolgung richterlicher Befehle besondere Vollstreckungsverfahren nötig, wobei es in zwei Fällen zur Bestrafung von Smith wegen Ungehorsams durch das
BGE 105 II 114 S. 119
Statthalteramt kam. Weitere Verfahren ergaben sich für 1967, 1968 und 1972 zur Erlangung von Protokollabschriften oder Einsicht in Protokolle und andere Akten. Die Beklagte ihrerseits gelangte in diesen Verfahren mit mehreren Rekursen an das Obergericht, so für die Geschäftsjahre 1965, 1966, 1967, 1969 und 1972. Einzelrichter und Obergericht gingen dabei von Anfang an einlässlich auf die Einwendungen der Beklagten ein, doch liess sich diese dadurch nicht nachhaltig beeindrucken.
Auseinandersetzungen dieser Art unterblieben für die Geschäftsjahre 1971 und 1974, weil der Kläger mit Rücksicht auf gerichtliche Vergleichsverhandlungen auf Auskünfte verzichtete, bzw. nicht an der Generalversammlung vertreten war. Für die Geschäftsjahre 1975 und 1976 ist streitig, ob an den Generalversammlungen in Lugano Fragen der Tessiner Anwälte des Klägers gehörig beantwortet wurden. Das Handelsgericht lässt offen, ob der Kläger auf weitere Anrufung des Richters nur deshalb verzichtete, weil nun der Sitz der Beklagten in den Kanton Tessin verlegt war. Einen derartigen Zusammenhang bestreitet die Beklagte. Immerhin erklärt sie selbst, es wären ihr allerhand Schwierigkeiten - offenbar mit den Zürcher Gerichten - erspart geblieben, wenn sie die Sitzverlegung schon früher vorgenommen hätte.
b) Für die Geschäftsjahre 1965-1973 kam es so zu 21 weiteren gerichtlichen Verfahren. Alle diese Verfahren gingen wiederum zu Ungunsten der Beklagten aus. Schon diese Häufung ist eindrücklich, und besondere Widersetzlichkeit zeigte sich jeweils dort, wo es ausser zu erfolglosen Rekursverfahren auch noch zu Vollstreckungsmassnahmen und Bussen kommen musste. Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass dieses Verhalten der Beklagten bzw. ihres Mehrheitsaktionärs als schwere und anhaltende Missachtung der Rechte des Klägers zu betrachten ist. Smith fühlte sich offenbar angegriffen, weil der Kläger namentlich nach seinen persönlichen Bezügen in den verschiedenen Gesellschaften forschte. Die hartnäckig abwehrende Haltung kann aber weder als blosse Zurückhaltung bezeichnet noch mit Einwänden gerechtfertigt werden, die vom Einzelrichter und vom Obergericht bereits widerlegt wurden. Ebensowenig hilft der Hinweis auf zurückhaltende Auskunftspolitik schweizerischer Handels- und Industrieunternehmungen, nachdem der Kläger sich mit solcher Zurückhaltung nicht abfand und seine Rechte wahren wollte. Darin erblickt die
BGE 105 II 114 S. 120
Beklagte ein kleinliches Verhalten, ja ein systematisches Vorgehen des Klägers zur Diffamierung von Smith; Smith habe dann ebenso kleinlich reagiert, sei übertrieben verschlossen und misstrauisch geworden, und diese erheblichen Ungeschicklichkeiten habe der Kläger ausnützen können. Auf den Bruderzwist zwischen dem Kläger und Smith wird zurückzukommen sein (nachfolgend E. 7b). Es geht aber nicht an, dem Kläger seine verschiedenen rechtlichen Schritte vorzuwerfen und damit die Widersetzlichkeit der Beklagten zu rechtfertigen, nachdem, wie der jeweilige Verfahrensausgang zeigt, alle seine Rechtsschutzgesuche begründet waren, ihnen also Verstösse der Beklagten vorausgingen, und ihre Häufung sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass die richterlichen Befehle und Belehrungen die Beklagte nicht von weiteren ähnlichen Verstössen abhielten.
4.
Aufgrund der unter Ausübung seines Auskunftsrechtes beschafften Angaben über Eigenbezüge des Mehrheitsaktionärs der Beklagten behauptet der Kläger, Smith habe durch übermässige Bezüge und andere Vorteile seine Machtstellung auf finanziellem Gebiet fortgesetzt und schwer missbraucht, während der Kläger als Minderheitsaktionär erheblich benachteiligt worden sei. Die Beklagte bestreitet zu Recht nicht mehr, dass in dieser Hinsicht ausser ihren eigenen Leistungen auch jene der von ihr beherrschten Togalwerke Lugano und Wien zu berücksichtigen und dass dabei Smith auch die verhältnismässig bescheidenen Vergütungen an seine Angehörigen anzurechnen sind.
a) In tatsächlicher Hinsicht stehen folgende Bezüge aufgrund des angefochtenen Urteils unwidersprochen fest:
- Das Togalwerk Lugano richtete von 1965 bis 1973 an Smith Fr. 700'000.- an festen Vergütungen und Fr. 440'000.- an Tantiemen aus. Es richtete der Beklagten als Alleinaktionärin vorerst keine Dividende, seit 1968 eine solche von jährlich Fr. 3'200.- (4%) aus.
- In den gleichen Jahren 1965 bis 1973 schüttete die Beklagte (ausgenommen 1967) insgesamt Dividenden von Fr. 575'000.- oder durchschnittlich Fr. 64'000.- jährlich aus, wovon ordnungsgemäss zwei Drittel an Smith und ein Drittel an den Kläger fielen. Ausserdem bezog Smith von der Beklagten 1970 bis 1973 Tantiemen von insgesamt Fr. 250'000.-.
BGE 105 II 114 S. 121
- Das Togalwerk Wien zahlte Smith von 1969 bis 1973 feste Vergütungen von insgesamt rund Fr. 181'000.-.
- Die Bezüge Smiths aus den drei Konzerngesellschaften beliefen sich in den letzterfassten vier Jahren 1970-1973 auf insgesamt Fr. 1'004'600.- oder pro Jahr durchschnittlich Fr. 251'150.-. Nicht berücksichtigt sind die Dividendenleistungen an Smith und ebensowenig die Spesenvergütungen der drei Gesellschaften an Smith mit einem Jahresdurchschnitt von Fr. 15'000.- und jährliche Verwaltungsvergütungen der Beklagten an Smith, die nur für 1972 mit Fr. 6'000.- bekannt sind.
- Die Verhältnisse nach 1973 sind nur ungenügend bekannt und daher nicht berücksichtigt worden.
b) Nach der Berufung kann von schwerer finanzieller Benachteilung nur dann die Rede sein, wenn infolge unangemessener Bezüge der geschäftsführenden Mehrheitsaktionäre ein Reingewinn und damit auch eine Dividende entfällt und die Minderheit deshalb leer ausgeht. Die Beklagte beruft sich dafür auf den grundlegenden
BGE 67 II 162
ff., welcher diesen Fall jedoch ausdrücklich (S. 165) nur als Beispiel anführt, und gleiches gilt für die von der Beklagten zitierte Literatur. Die Minderheit kann wie durch Wegfall auch durch Kürzung der Dividenden benachteiligt werden, wenn dies missbräuchlich erfolgt und insbesondere auf übermässige Bezüge der Mehrheit zurückzuführen ist (vgl. a. FUNK, Komm. des Obligationenrechtes, II, N. 5 zu Art. 736 Mitte). Hier geht der Hinweis in der Korrespondenz Bürgis fehl, dass sich ein Aktionär zulasten seiner Dividende Abschreibungen und Rückstellungen gefallen lassen muss; bemängelt werden nicht Reservebildungen im Interesse der Gesellschaft, sondern es geht um den Vorwurf persönlicher Bereicherung des geschäftsführenden Mehrheitsaktionärs.
Die Beklagte richtete fast immer eine beträchtliche Dividende aus, an welcher der Kläger anteilsgemäss partizipierte; diese Zahlungen sind daher nicht weiter zu berücksichtigen. Dagegen ist von Bedeutung, dass sich die persönlichen Bezüge Smiths als Verwaltungsvergütungen und Tantiemen auf den Reingewinn der Unternehmungen und letztlich auf die Dividendenausschüttung der Beklagten auswirkten. So richtete das Togalwerk Lugano, wie erwähnt, seit 1967 an Smith allein an Tantiemen total Fr. 440'000.- aus, während für Dividenden
BGE 105 II 114 S. 122
nur total Fr. 19'200.- verblieben, und nur daran war der Kläger indirekt beteiligt. Zu Recht beanstandet das Handelsgericht sodann auch, wie vorher schon wiederholt der Revisor des Togalwerks Lugano, dass dieses in den Jahren 1967 und 1969-1971 zwischen 50 und 90% des Reingewinns als Tantiemen an Smith auszahlte. Für die Verwaltung der drei Unternehmungen zusammen bezog denn auch Smith in den letzterfassten vier Jahren 1970-1973 durchschnittlich mehr als Fr. 250'000.- pro Jahr, während als Dividende zugunsten der beiden Aktionäre in dieser Zeit jährlich nicht mehr als Fr. 60'000.- verblieben.
c) Derartige Vergütungen an Mitglieder der Verwaltung müssen ausser durch die finanzielle Lage der Gesellschaft auch durch die Tätigkeit der Verwaltungsräte gerechtfertigt sein (
BGE 86 II 163
,
BGE 84 II 553
E. 2). Das angefochtene Urteil hebt zu Recht diesen Gesichtspunkt besonders hervor. Die Verwaltung der Beklagten wird durch das Togalwerk Lugano geführt und stellt offenbar keine grossen Anforderungen; Smith bezog dafür eine zusätzliche Verwaltungsentschädigung, die vorstehend mangels genügender Zahlen unberücksichtigt blieb. Die Tätigkeit konzentriert sich offensichtlich beim Togalwerk Lugano, bei dem es sich aber ebenfalls um einen Kleinbetrieb mit nur etwa zehn vollbeschäftigten Angestellten handelt und bei welchem die Bezüge von Smith allein zwei Drittel der Gesamtlohnsumme ausmachen. Wie stark Smith als Verwaltungsrat und Geschäftsführer durch das Togalwerk Wien beansprucht wurde, ist weder von der Vorinstanz festgestellt noch mit der Berufung dargelegt; nachdem seine Bezüge dort erheblich geringer waren als im Togalwerk Lugano, kann angenommen werden, sein dortiger Einsatz halte sich in einem bescheideneren Rahmen.
Nach Meinung der Beklagten waren die festgestellten Bezüge Smiths für die Führung der drei Unternehmungen nicht übermässig; verglichen mit den üblichen Bezügen der Leiter schweizerischer Unternehmungen seien jährliche Durchschnittsbezüge von Fr. 174'000.- nicht übersetzt. Der genannte Durchschnitt trifft zwar für die neun Jahre ab 1965 zu, doch ergibt sich ein wesentlich höherer Jahresdurchschnitt von über Fr. 250'000.-, wenn nur die letzterfassten vier Jahre 1970-1973 berücksichtigt werden. Vergleiche mit andern Unternehmungen scheitern sodann schon daran, dass die Berufung alle konkreten Angaben vermissen lässt, die einen Vergleich erlauben
BGE 105 II 114 S. 123
würden; im übrigen könnte sich dieser ohnehin nur auf Unternehmungen beziehen, die hinsichtlich der Inanspruchnahme und Anforderungen an die Geschäftsführung im gleichen bescheidenen Rahmen liegen.
5.
Die persönlichen Bezüge von Smith waren daher weder durch die Abschlüsse der verbundenen Gesellschaften noch durch seine persönliche Tätigkeit in diesen gerechtfertigt. Indem er sie sich gleichwohl zuhielt, missbrauchte er seine Mehrheitsstellung. Das gilt nach Ansicht der Vorinstanz auch für weitere Smith gewährte Vergünstigungen.
a) Smith bewohnt mit seiner Familie die der Togalwerk Lugano gehörende Villa Maria-Luisa in Lugano-Massagno, welche elf Zimmer mit Nebenräumen enthält und in einem Park von 6273 m2 liegt. Dass die Jahresmiete von Fr. 13'800.- dafür bescheiden ist, wird vom angefochtenen Urteil verbindlich festgestellt und kann nicht mit dem Hinweis widerlegt werden, die Eidg. Steuerverwaltung habe diese Bewertung anerkannt. Eine Vergünstigung liegt sodann unbestritten darin, dass der genannte Mietzins von 1965 bis 1976 unverändert blieb. Als schwerwiegend betrachtet aber offenbar auch die Vorinstanz dieses Mietverhältnis nicht.
b) Nach dem angefochtenen Urteil liess sodann Smith 1965 seine persönliche Bankschuld von 2,4 Millionen Franken durch die Beklagte übernehmen. Diesem Vorgang kommt heute keine Bedeutung mehr zu, nachdem Smith auf Einspruch des Klägers den entsprechenden Kredit schon 1966 zurückzahlte.
c) Dagegen schuldet Smith der Beklagten seit 1965 Fr. 123'300.- bzw. seit 1967 Fr. 267'100.- zum (damals) vorteilhaften Zinsfuss von 4 1/2%. Obschon an der Generalversammlung über das Geschäftsjahr 1967 eine Reduktion dieser Position in Aussicht gestellt wurde, unterblieb diese, und es wurde seither gegenteils auch der Zins jeweils zum Kapital geschlagen, das sich bis Ende 1973 bereits auf Fr. 363'300.- belief. Dieses Darlehen verstösst nach Ansicht des Handelsgerichts gegen den statutarischen Zweck der Beklagten und bedeutet einen finanziellen Vorteil, den Smith dank seiner Mehrheitsstellung erlangte. Die Beklagte hält eine solche Darlehensgewährung unter den gegebenen Umständen für durchaus üblich, und auch der Kläger misst ihr mehr nur "als Teil des Mosaiks" Bedeutung zu. Auch hier kann nicht von einem schwerwiegenden Verhalten gesprochen werden, doch lässt dieses
BGE 105 II 114 S. 124
Darlehen wie schon die Miete der Villa erkennen, dass Smith nicht nur durch die ausgewiesenen Bezüge aus seiner Stellung in dieser Unternehmung persönlichen Nutzen zog.
6.
Zusammenfassend erklärt das Handelsgericht auf dieser Grundlage zu Recht, dass Smith seine Stellung als Mehrheitsaktionär der Beklagten sowohl hinsichtlich des Kontrollrechts des Klägers und seines Rechts auf gesetzmässige Einberufung der Generalversammlung als auch in finanzieller Hinsicht schwer und andauernd missbraucht und den Kläger als Minderheitsaktionär in krasser Weise benachteiligt hat. Was Smith sich während vieler Jahre zuschulden kommen liess, kann nach Ansicht des Handelsgerichts mit Rechtsbehelfen, die den Bestand der Beklagten unberührt lassen, nicht behoben werden. Das verleihe dem Interesse des Klägers an der Auflösung der Beklagten ein Gewicht, welches das Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung der Gesellschaft deutlich überwiege. Das Vorliegen wichtiger Gründe im Sinn von
Art. 736 Ziff. 4 OR
sei daher zu bejahen.
a) Die Beklagte hält dem entgegen, dass es sich bei der Auflösungsklage um ein ganz ausserordentliches Rechtsmittel handle. Wie sich aus dem von ihr angerufenen
BGE 67 II 162
ff. ergibt, ist damit nichts anderes gemeint, als dass an das Erfordernis wichtiger Gründe mit Rücksicht auf die entgegenstehenden Interessen ein strengen Massstab anzulegen ist, was auch der Kläger gelten lässt, und dass dabei der Grundsatz der Subsidiarität oder der Verhältnismässigkeit des Mittels zu wahren ist. Wenn der genannte Entscheid zudem vom Verlust der inneren Existenzberechtigung einer AG spricht (S. 165), wird das nicht zur selbständigen Auflösungsvoraussetzung erhoben, sondern werden damit Gesellschaften beurteilt, in welchen ausschliesslich oder vorwiegend Privatinteressen der Mehrheit verfolgt werden. Es braucht deshalb mit einer Auflösungsklage auch nicht zugewartet zu werden, bis die Gesellschaft finanziell bereits ausgehöhlt ist; wichtige Gründe müssen nach
Art. 736 Ziff. 4 OR
nicht auf finanziellem Gebiet liegen. Es kommt daher auch nichts darauf an, welche Reserven die Beklagte noch besitzt.
Wie bei anderen gesetzlichen Bestimmungen, die auf das Vorliegen wichtiger Gründe abstellen, ist der Einzelfall nach Recht und Billigkeit zu beurteilen (
Art. 4 ZGB
); dabei bedarf es nach zutreffender Ansicht der Vorinstanz stets der
BGE 105 II 114 S. 125
Interessenabwägung (F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl., S. 335; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweiz. Aktienrecht, S. 276, N. 18; TERCIER, La dissolution de la société anonyme pour justes motifs, in SAG 46/1974, S. 67 ff., insbes. S. 69).
b) Für diese Interessenabwägung ist von besonderer Bedeutung, dass
Art. 736 Ziff. 4 OR
schon nach seiner Entstehungsgeschichte vor allem den Schutz der Minderheit gegen Machtmissbrauch der Mehrheit gewährleisten soll (
BGE 67 II 165
; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, a.a.O., S. 275, N. 14; BÜRGI, N. 39 zu
Art. 736 OR
). Unter diesem Gesichtspunkt fallen auch Individualinteressen eines Minderheitsaktionärs in Betracht. Dass das Minderheitsinteresse nicht allzu geringfügig ist, wird vom Gesetz selbst durch die Einführung eines Quorums (Fünftel des Aktienbesitzes) sichergestellt. Umso weniger darf durch allzu restriktive Auslegung diese Form des Minderheitsschutzes praktisch um die ganze Wirksamkeit gebracht werden, worauf namentlich TERCIER zutreffend hinweist (a.a.O., insbes. S. 70 und 72).
c) Diesem Minderheitsinteresse an der Auflösung steht ein gewichtiges Interesse der Gesellschaft bzw. ihrer Mehrheit am Fortbestand gegenüber. Zutreffend geht auch das Handelsgericht davon aus, dass eine Auflösung regelmässig nur in Betracht kommt, wenn der Kläger den Missstand nicht durch andere, weniger einschneidende Mittel beheben kann, so durch die Anfechtungs- oder Verantwortlichkeitsklage. In diesem Sinn bezeichnen Lehre und Rechtsprechung die Auflösung als "ultima ratio", unterstellen sie der Subsidiarität oder setzen für sie Verhältnismässigkeit voraus (
BGE 67 II 165
f.,
BGE 84 II 47
,
BGE 104 II 35
; für Verhältnismässigkeit insb. TERCIER, a.a.O., S. 73). Dem trägt das Handelsgericht nach der Berufung zu wenig Rechnung, weil der Kläger die Generalversammlungsbeschlüsse über die Gewinnverteilung und über die Entlastung hätte anfechten und die Verwaltung auf Schadenersatz hätte belangen können. Die geschilderte Rechtsprechung verzichtet aber mit guten Grund auf ein absolutes Erfordernis, sondern formuliert nur eine Regel, die Ausnahmen durchaus zulässt; das ergab sich schon aus
BGE 67 II 166
, wurde dann in
BGE 84 II 47
ausdrücklich hervorgehoben und wird namentlich von BÜRGI betont (N. 43, a.a.O.). Auch dieser bezeichnet zwar die Auflösungsklage als "ultima ratio", sieht darin aber "den fast
BGE 105 II 114 S. 126
einzigen Schutz des geltenden Gesetzes gegen missbräuchliche Anwendung einer Machtposition gegenüber der Minderheit" (N. 39 und 49, a.a.O.; entsprechend auch GUHL/MERZ/KUMMER, S. 642, und näher WILFRIED BERTSCH, Die Auflösung der Aktiengesellschaft aus wichtigen Gründen, Diss. Zürich, S. 49-51).
d) Nach diesen Grundsätzen ist zu prüfen, ob dem Kläger Rechtsbehelfe offen gestanden hätten und zuzumuten waren, die geeignet waren, die genannten Missstände ohne Auflösung der Beklagten zu beseitigen. Dass der Kläger alles Zumutbare getan hat, um sein Auskunftsrecht und seinen Anspruch auf gehörige Einberufung der Generalversammlung durchzusetzen, bestreitet zu Recht auch die Beklagte nicht; wie dargelegt, kam es zu über dreissig Gerichtsverfahren, darunter zu drei Anfechtungsklagen. Die Beklagte verneint aber einen Auflösungsgrund, weil die Anrufung des Richters dem Kläger jeweils zu seinen Rechten verholfen habe. Dieses Argument verkennt die Intention des
Art. 736 Ziff. 4 OR
. Die Auflösungsklage soll dann eingesetzt werden, wenn die untragbaren Verhältnisse in der Aktiengesellschaft anders praktisch nicht zu beseitigen sind. Untragbar ist vorliegend die Einstellung der Mehrheit der Beklagten, welche durch eine langjährige Rechtsverweigerung eine missbräuchliche Haltung an den Tag legt. Wohl konnten die einzelnen Verstösse mit Hilfe des Richters behoben werden, dagegen vermochten diese Prozesse infolge einer aussergewöhnlichen Uneinsichtigkeit des Mehrheitsaktionärs an der grundsätzlichen Einstellung der Beklagten ihrem Minderheitsaktionär gegenüber offensichtlich nichts zu ändern. Nichts rechtfertigt daher die Erwartung, der Kläger werde künftig zu seinem Recht kommen, ohne Jahr für Jahr richterliche Hilfe zu beanspruchen. Das ist ihm nicht zuzumuten.
Ähnlich liegen die Dinge im Zusammenhang mit den Bezügen des Mehrheitsaktionärs. Hier möchte die Beklagte den Kläger auf die Anfechtung von Gewinnverteilungs- und Entlastungsbeschlüssen und auf Schadenersatzklagen verweisen, wovon der Kläger bisher nicht Gebrauch gemacht hat. Nun belegt aber das Verhalten der Beklagten zum Auskunftsrecht des Klägers eindrücklich, dass sie sich auch durch ihr ungünstige Gerichtsentscheide nicht nachhaltig beeindrucken und belehren lässt. Rechtsschritte gegen die Bezüge von Smith hätten daher ebensowenig einen bleibenden Erfolg erzielt, sondern
BGE 105 II 114 S. 127
hätten wohl Jahr für Jahr wiederholt werden müssen. Der hartnäckige und anhaltende Machtmissbrauch als solcher hätte auf diese Weise nicht wirksam auch für die Zukunft unterbunden werden können. Dem Kläger blieb deshalb nur die Auflösungsklage, um tatsächlich Abhilfe zu schaffen (vgl. auch BERTSCH, a.a.O., S. 53, 59 und 61). Es gilt dies umso mehr, als der Kläger für derartige Anfechtungs- oder Verantwortlichkeitsklagen gerade jener Angaben bedurfte, welche die Beklagte ihm so systematisch vorenthielt; damit wurde ihm die Einhaltung der zweimonatigen Klagefrist des
Art. 706 Abs. 4 OR
meist verunmöglicht (BERTSCH, a.a.O., S. 56). Schliesslich ist auch zu bedenken, dass der Kläger nur Aktionär der Beklagten ist und ihm daher ein Vorgehen gegen die Tochtergesellschaften, bei denen diese Vergütungen aufgetreten sind, versagt oder doch erschwert ist (
Art. 706 und 755 OR
; vgl. SIEGWART, Einleitung, N. 155 und 175 f.).
7.
Die Auflösung der Beklagten entscheidet sich auf dieser Grundlage in Abwägung der konkreten auf dem Spiele stehenden Interessen. Der Freundschaftsvertrag von 1953 zwischen den verschiedenen Togal-Gesellschaften, an dem auch der Kläger und Smith beteiligt waren, steht dem, wie das Handelsgericht zu Recht annahm, nicht entgegen; weder konnte er
Art. 736 Ziff. 4 OR
wegbedingen, noch wollte er den Beteiligten unzumutbare Verpflichtungen auferlegen.
a) Die Beklagte verteidigt ihren Mehrheitsaktionär mit der Behauptung, dieser habe als Laie und von seinem Recht Überzeugter fest daran geglaubt, er werde in dem im Tessin anhängigen Prozess mit seiner Darstellung obsiegen, dass der Kläger ihm seinen Aktienanteil verkauft habe; auch wenn das nach dem Prozessausgang nicht zutreffe, habe er sich dem Kläger gegenüber, den er nicht mehr als Aktionär anerkannt habe, doch weitgehend frei gefühlt, sei daher gutgläubig gewesen. Ein solcher Einwand wurde indessen bereits im ersten Auskunftsverfahren zum Geschäftsjahr 1965 zurückgewiesen. Der behauptete Kaufvertrag konnte Smith keinen berechtigten Anlass geben, sich vor einer entsprechenden Gutheissung seiner im Tessin hängigen Klage als Eigentümer der Aktien des Klägers zu gebärden.
b) Das Handelsgericht lehnt zwar zu Recht eine "Culpa-Kompensation" ab, doch lässt sich das Verhalten der Mehrheit ohne Rücksicht auf dasjenige der Minderheit nicht abschliessend
BGE 105 II 114 S. 128
beurteilen. Dabei können auch persönliche Aspekte in Betracht fallen, wenngleich sie in einer Aktiengesellschaft grundsätzlich in den Hintergrund treten (
BGE 67 II 164
;
BGE 91 II 306
f.). Im Rahmen von
Art. 736 Ziff. 4 OR
dürfen sie aber insbesondere dann nicht völlig ignoriert werden, wenn es um eine kleine Familiengesellschaft geht (
BGE 84 II 50
Nr. 6; BÜRGI, a.a.O., N. 47; TERCIER, a.a.O., S. 70, Ziff. 3; W. VON STEIGER, ZBJV 103/1967, S. 127/8). In diesem Sinne beruft sich die Beklagte auf das Zugeständnis des Klägers, er strebe - in extremis über die Liquidation der Beklagten - die Wiederherstellung der ehemaligen Firmeneinheit an; sie leitet daraus ab, dass es ihm gar nicht um seinen Schutz als Minderheit gehe, sondern um die Zerstörung der Beklagten im Hinblick auf einen Ausbau seiner Konkurrenzgesellschaft in München. Das erkläre die Kampfhaltung Smiths, seine verzweifelte Abwehr im Rahmen des Bruderkampfes, dem einige menschliche Tragik zukomme. Auch wenn den Aktionär grundsätzlich keine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft trifft (
BGE 91 II 305
; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, a.a.O., S. 254 f., N. 5/6), ist dieser Einwand im Rahmen der hier vorzunehmenden Interessenabwägung doch zu prüfen. Ein Vorwurf kann dem Kläger allerdings nicht aus der Absicht gemacht werden, die Beklagte zu zerstören, denn das ist das Ziel jeder Auflösungsklage. Sodann spricht nichts dafür, dass die von ihm vorgebrachten Auflösungsgründe lediglich vorgeschoben sind, gegenteils machen sie durchaus verständlich, dass er ihretwegen der unhaltbaren Situation ein Ende setzen will. Seine genannte Äusserung will dartun, dass durch eine Auflösung der Beklagten das väterliche Erbe nicht vernichtet, sondern eher gerettet würde. Der Kläger als Inhaber des Togalwerkes München ist denn auch nicht einfach ein Konkurrent der Beklagten und ihrer Tochtergesellschaften, sondern so gut wie sein Bruder Smith Nachfolger des Firmengründers.
c) Dem Auflösungsinteresse des Klägers steht das Interesse der Beklagten oder zutreffender ihrer Mehrheit am Fortbestand der Gesellschaft gegenüber. Dabei sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Auflösung zu berücksichtigen, von welchen allenfalls auch Dritte betroffen werden können (
BGE 104 II 35
,
BGE 95 II 164
). Dieses Kollektivinteresse ist aber nicht generell dem Individualinteresse der Minderheit vorzuziehen, sondern diesem im Prinzip gleichwertig (so namentlich
BGE 105 II 114 S. 129
BÜRGI, N. 86 ff., insb. 89 vor
Art. 698 OR
; DERS. in SAG 38/1966, S. 70 ff. und SAG 29/1956/57, S. 89 ff.). Bei der Interessenabwägung ist sodann auf die konkreten Verhältnisse der Beklagten abzustellen und nicht auf jene bei grossen Publikumsgesellschaften, wo, auch wenn das erforderliche Aktienquorum erreicht werden sollte, die Interessen der Unternehmung und der beteiligten Dritten, namentliche der Arbeitnehmer, eine Auflösung praktisch ausschliessen (TERCIER, a.a.O., S. 73; JOHN NENNINGER, Der Schutz der Minderheit in der Aktiengesellschaft nach schweiz. Recht, Diss. Basel 1974, S. 53). Die Beklagte ist dagegen eine kleine Familiengesellschaft, die unstreitig über kein eigenes Personal verfügt. Es fehlt an konkreten Behauptungen darüber, welche wirtschaftlichen und sozialen Interessen durch ihre Auflösung beeinträchtigt würden. Weshalb die Zugehörigkeit zu einem Konzern die Folgen besonders bedenklich machen soll, ist ebensowenig dargetan. Da die Auflösung der Beklagten als Holdinggesellschaft die Existenz der Tochtergesellschaften nicht zu tangieren braucht (
Art. 743 Abs. 1 OR
), liegen solch schwerwiegende Folgen jedenfalls nicht auf der Hand. Als unbegründet ist auch das Argument zurückzuweisen, die Auflösung einer Gesellschaft aufgrund solcher Unkorrektheiten würde der schweizerischen Wirtschaft grössten Schaden zufügen und die Grundstruktur des geltenden Aktienrechtes in Frage stellen. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der eher zurückhaltende Schutz der Minderheit durch die Praxis des Bundesgerichts in der Doktrin verschiedentlich Kritik hervorgerufen hat (vgl. insbes. KUMMER, in ZBJV 114/1978, S. 227 ff. zu
BGE 102 II 265
und DERS. in ZBJV 111/1975, S. 137 ff. zu
BGE 99 II 55
ff.). Auch nach BÜRGI ist der Minderheitenschutz, im geltenden Recht nur schwach ausgebildet, durch die bundesgerichtliche Interessenabwägung noch erheblich vermindert worden (SAG 38/1966, S. 70); nach ihm liesse das geltende Recht einen vermehrten Schutz der Minderheit zu (N. 49 zu
Art. 736 OR
). Wo das Schutzbedürfnis der Minderheit, wie hier, ausgewiesen ist, rechtfertigt es sich jedenfalls nicht, zum vornherein ein entscheidendes Bestandesinteresse der Gesellschaft allein aufgrund genereller Überlegungen anzunehmen.
Nachdem feststeht, dass Smith seine Stellung als Mehrheitsaktionär in der beklagten Gesellschaft in mehrfacher Hinsicht
BGE 105 II 114 S. 130
und während rund zehn Jahren schwer missbraucht und den Kläger als Minderheitsaktionär krass benachteiligt hat, und eine Besserung der Verhältnisse nicht erwartet werden kann, muss als Ergebnis der Interessenabwägung die Auflösungsklage geschützt und das angefochtene Urteil bestätigt werden. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
019bee6b-1cfc-4996-bb69-833029872c58 | Urteilskopf
103 Ia 557
81. Auszug aus dem Urteil vom 30. November 1977 i.S. Freie Wähler und Williner gegen Gemeinde Grächen und Staatsrat des Kantons Wallis | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; Durchführung der Gemeindewahlen nach dem Proporzsystem; Verteilung der Restmandate.
1. Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle prüft das Bundesgericht nur, wie es sich mit der Verfassungsmässigkeit der beanstandeten Norm bei Anwendung auf die konkreten Umstände des Beschwerdefalles verhält (E. 3a).
2. Kognition des Bundesgerichts bei der Stimmrechtsbeschwerde, insbes. in bezug auf die Auslegung des kant. Verfassungsrechts (E. 3b).
3. Vereinbarkeit von Art. 67 Abs. 1 WahlG-VS, wonach an der Verteilung der Restmandate nur jene Wahllisten teilnehmen, die bei der ersten Verteilung mindestens einen Sitz erlangt haben, mit Art. 87 Abs. 1 KV-VS, wonach die Gemeindewahlen "nach dem Proporzsystem" durchzuführen sind (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 558
BGE 103 Ia 557 S. 558
Am 20. März 1977 fanden in Grächen/VS Wahlen zur Bestellung der fünf Mitglieder des Gemeinderates statt. Das Wahlbüro ermittelte dafür folgendes Ergebnis:
Liste Nr. 1 (CVP) 1'631 Stimmen
Liste Nr. 2 (CSP) 752 Stimmen
Liste Nr. 3 (Freie Wähler) 412 Stimmen
-------------
2'795 Stimmen
Wahlzahl: 2795/6 = 466
Erste Verteilung
Liste Nr. 1 1'631 : 466 = 3 Sitze
Liste Nr. 2 752 : 466 = 1 Sitz
Liste Nr. 3 412 : 466 = -
Zweite Verteilung (Restmandat)
Liste Nr. 1 1'631 : 4 = 407
Liste Nr. 2 752 : 2 = 376
Liste Nr. 3 412 : 1 = 412 = 1 Sitz
In der Folge berichtigte das Wahlbüro die Sitzverteilung in dem Sinne, dass das Restmandat der Liste Nr. 1 statt der Liste Nr. 3 zugeteilt wurde. Begründet wurde dies damit, dass nach Art. 67 des Gesetzes vom 17. Mai 1972 über die Wahlen und Abstimmungen (WahlG) an der zweiten Verteilung nur diejenigen Listen teilnehmen könnten, die bei der ersten Verteilung mindestens einen Sitz erlangt hätten. Gegen diese Berichtigung rekurrierten die Freien Wähler und Benjamin Williner ohne Erfolg an den Staatsrat des Kantons Wallis. Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde der Freien Wähler und Williners ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Art. 87 Abs. 1 der Walliser Kantonsverfassung bestimmt, dass die Gemeindewahlen nach dem Proporzsystem durchgeführt werden, es sei denn, die kommunale Urversammlung
BGE 103 Ia 557 S. 559
entscheide sich mit 4/5 Mehrheit für das Majorzsystem. Art. 87 Abs. 4 KV sodann sieht vor, dass die Anwendung dieses Grundsatzes durch das Gesetz geregelt wird. Der Walliser Gesetzgeber ist diesem Auftrag in den Art. 78 ff. des Wahlgesetzes nachgekommen, wo insbesondere vorgesehen ist, dass für die nach dem Proporzsystem durchzuführenden Gemeindewahlen die Vorschriften Anwendung finden, die gemäss den Art. 62 ff. für die Wahl des Grossen Rates gelten. Danach erfolgt die Verteilung der Sitze auf die verschiedenen Listen im Verhältnis zu den erzielten Parteistimmen. Nach Ausschluss derjenigen Listen, die das Quorum von 10% des Parteistimmentotals nicht erreicht haben, erhalten die übrigen Listen bei der ersten Verteilung so viele Sitze, als die nach Art. 66 Abs. 1 WahlG zu ermittelnde Wahlzahl in den erzielten Parteistimmenzahlen enthalten ist. Die Wahlzahl wird dabei so berechnet, dass das Stimmentotal durch die um eins erhöhte Zahl der zu bestellenden Mandate dividiert und die sich ergebende Zahl auf die nächsthöhere ganze aufgerundet wird (Art. 65 und 66 WahlG).
Für die zweite Verteilung enthält Art. 67 Abs. 1 WahlG folgende Regelung:
"Wenn nach dieser Verteilung nicht alle Sitze zugewiesen sind, wird die Gesamtstimmenzahl jeder Liste, die bei der ersten Verteilung einen Sitz erlangt hat, durch die um eins erhöhte Zahl der ihr zugeteilten Sitze geteilt und der erste unverteilte Sitz wird jener Liste zugewiesen, die den grössten Quotienten aufwies."
b) Die Beschwerdeführer anerkennen, dass die Liste der Freien Wähler nur 412 Parteistimmen erzielte und dass dies bei einer Wahlzahl von 466 nicht reichte, um bei der ersten Verteilung einen Sitz zu erhalten. Sie machen jedoch geltend, die Liste hätte bei der zweiten Verteilung berücksichtigt werden müssen, weil der Vorschrift von Art. 67 WahlG nicht in klarer Weise entnommen werden könne, dass bei der ersten Verteilung erfolglos gebliebene Listen von der zweiten Verteilung ausgeschlossen seien. Diese Rüge ist jedoch offensichtlich unbegründet. Aus dem Wortlaut von Art. 67 Abs. 1 WahlG geht in eindeutiger Weise hervor, dass bei der zweiten Verteilung lediglich diejenigen Listen zu berücksichtigen sind, die bei der ersten Verteilung einen Sitz erlangt haben, und es bestehen keinerlei Anzeichen dafür, dass dieser Wortlaut den Sinn der Vorschrift nicht richtig wiedergebe. Es kann deshalb nicht gesagt werden, der Staatsrat habe Art. 67 Abs. 1 WahlG unrichtig angewandt,
BGE 103 Ia 557 S. 560
wenn er die Zuteilung des Restmandates an die Freien Wähler ablehnte.
3.
Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, Art. 67 Abs. 1 WahlG sei mit der Kantonsverfassung unvereinbar, wenn er in der beschriebenen Weise ausgelegt werde. Unter diesen Umständen bilde die Kombination von Quorum und Wahlzahl in all denjenigen Wahlkreisen, in welchen weniger als neun Sitze zu verteilen seien, eine selbst für bedeutende Minderheiten unüberwindbare Schranke. In diesen Wahlkreisen sei die Wahlzahl nämlich höher als die zur Erreichung des Quorums notwendige Parteistimmenzahl, was häufig zur Folge habe, dass Parteien, die das Quorum erreicht hätten, bei der ersten Verteilung keinen Sitz zugeteilt erhielten und deshalb auch bei der Verteilung der Restmandate unberücksichtigt blieben. Diese Regelung sei mit dem System des Proporzwahlverfahrens nicht vereinbar. Damit machen die Beschwerdeführer geltend, die beanstandete Bestimmung des Wahlgesetzes verletze Art. 87 Abs. 1 KV, wonach die Gemeindewahlen - unter Vorbehalt eines gegenteiligen Beschlusses der Urversammlung - "nach dem Proporzsystem" durchzuführen sind.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann die Verfassungswidrigkeit einer allgemeinen Norm auch noch im Anschluss an eine darauf gestützte Anwendungsverfügung gerügt werden. Erweist sich dieser Vorwurf als begründet, so führt dies freilich nicht zur Aufhebung der beanstandeten Vorschrift, sondern bloss zur Kassation des angefochtenen Entscheids (
BGE 102 Ia 326
). Auch diese Rechtsfolge kann aber nur eintreten, wenn sich die Vorschrift eben bei Anwendung auf die konkreten Umstände des Beschwerdefalles als verfassungswidrig herausstellt. Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist einzig diese Frage zu prüfen, und das Bundesgericht hat nicht zu untersuchen, wie es sich mit der Verfassungsmässigkeit der Norm unter anderen als den Verhältnissen des streitigen Anwendungsaktes verhält. Im vorliegenden Fall bedeutet das, dass der Einspracheentscheid des Staatsrates nur dann zu kassieren ist, wenn die Beschwerdeführer dartun können, dass Art. 67 Abs. 1 WahlG bei Anwendung auf die Grächener Gemeinderatswahlen mit dem Proporzsystem (Art. 87 Abs. 1 KV) unvereinbar ist.
b) Bei Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen
BGE 103 Ia 557 S. 561
(
Art. 85 lit. a OG
) überprüft das Bundesgericht nicht nur die Auslegung von Bundesrecht und kantonalem Verfassungsrecht frei, sondern auch die Auslegung anderer kantonaler Vorschriften, welche den Inhalt des Stimm- und Wahlrechts normieren oder mit diesem in engem Zusammenhang stehen. In ausgesprochenen Zweifelsfällen schliesst es sich jedoch der von der obersten kantonalen Behörde vertretenen Auslegung an (
BGE 103 Ia 155
E. 2c;
BGE 101 Ia 232
E. 1;
BGE 100 Ia 238
mit Hinweisen). Art. 87 Abs. 1 der Walliser Kantonsverfassung sieht vor, dass die Gemeindewahlen - unter Vorbehalt eines gegenteiligen Beschlusses der kommunalen Urversammlung - "nach dem Proporzsystem" durchgeführt werden. Welcher Art dieses Proporzsystem ist, regelt die Verfassung nicht, sondern sie überlässt es ausdrücklich der Gesetzgebung, hierüber die näheren Vorschriften aufzustellen. Wie das Bundesgericht schon in einem früheren Fall ausgeführt hat (Urteil Geissbühler vom 28. März 1962, in JdT 110/1962, I, S. 271 ff.), besteht nicht "ein" bestimmtes Proporzsystem, sondern gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Verhältniswahlverfahren zu schaffen. Zwischen diesen Möglichkeiten kann sich der kantonale Gesetzgeber, dem die Verfassung in allgemeiner Weise die Ausgestaltung des Wahlverfahrens nach dem Proporzsystem aufgetragen hat, frei entscheiden, und es ist nicht Sache des Bundesgerichts, in diesen Gestaltungsspielraum einzugreifen und seine Beurteilung an diejenige der kantonalen Behörde zu setzen. Das Bundesgericht schreitet vielmehr nur dann ein, wenn die getroffene Lösung nicht mehr als proportionales Wahlverfahren bezeichnet werden kann und sie damit zur kantonalen Verfassungsvorschrift in Widerspruch steht.
In
BGE 100 Ia 268
wurde ausgeführt, die Überprüfung des Bundesgerichts beschränke sich auf Willkür, wenn die kantonale Behörde unmittelbar gestützt auf eine Verfassungsbestimmung gehandelt habe, die ihr hinsichtlich der Wahl der zu treffenden Massnahmen einen Ermessensbereich einräume. Mit dieser Umschreibung, die zu Missverständnissen Anlass geben kann, wollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass das Bundesgericht die Auslegung des kantonalen Verfassungsrechts unter den erwähnten Umständen nicht frei, sondern nur mit beschränkter Kognition überprüfe. Im damaligen Fall war in der Kantonsverfassung vorgesehen, dass der Regierungsrat bei Unfähigkeit einer Gemeinde, einzelne Zweige der Gemeindeverwaltung
BGE 103 Ia 557 S. 562
zu ordnen, "die erforderlichen Massnahmen" treffe. Mit der in
BGE 100 Ia 268
verwendeten Formulierung wollte gesagt sein, dass das Bundesgericht den Inhalt einer solchen, von der Verfassung in das Ermessen der kantonalen Behörde gestellten Massnahme nur darauf hin überprüfe, ob die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens in Willkür verfallen sei. Ein anderer Schluss ist aus jenem Entscheid, der in diesem Sinne klargestellt werden soll, nicht zu ziehen.
c) Ein proportionales Wahlverfahren kennzeichnet sich seinem Ziel nach dadurch, dass es den verschiedenen Gruppierungen, die sich an den Wahlen beteiligen, eine zahlenmässige Vertretung in den zu bestellenden staatlichen Organen ermöglicht, die ihrem Wähleranteil weitgehend entspricht (vgl. die Botschaft des Bundesrates betreffend das Volksbegehren um Einführung der Verhältniswahl für Wahlen in den schweizerischen Nationalrat, BBl 1914, II, S. 124; ferner den Bericht der Studienkommission zur Prüfung von Reformvorschlägen für die Wahl des Nationalrates und das Stimmrechtsalter, Bern 1972, S. 26, im folgenden: Reformbericht; Urteil Geissbühler, E. 3). Es ist indes eine Erfahrungstatsache, dass ein solches Wahlverfahren leicht zu einer Zersplitterung der politischen Gruppierungen führt und dass diese Erscheinung die wirksame Erfüllung der öffentlichen Aufgaben erschwert. Das Bundesgericht hat deshalb anerkannt, dass der kantonale Gesetzgeber Vorkehren gegen diese nachteiligen Folgen des Verhältniswahlverfahrens treffen kann, und dass ihm das auch dann zusteht, wenn die Kantonsverfassung ohne nähere Präzisierung von der Ausgestaltung des Wahlverfahrens "nach dem Proporzsystem" spricht (Urteil Geissbühler, E. 3). Als solche Massnahme kommt vorab die Errichtung eines Quorums in Frage, das diejenigen Gruppierungen von der Verteilung der Mandate ausschliesst, die weniger als einen bestimmten Prozentsatz des Stimmentotals erreicht haben. Eine Sperrwirkung wird ferner dadurch erreicht, dass zur Verteilung der Restmandate nur diejenigen Listen zugelassen werden, deren Stimmenzahl die Höhe der Wahlzahl erreicht, und die demnach mindestens ein Vollmandat erzielt haben. Möglich ist schliesslich, wie es in der Walliser Gesetzgebung der Fall ist, dass diese beiden Massnahmen kombiniert werden (vgl. dazu im einzelnen: Reformbericht, S. 15). Es versteht sich jedoch von selbst, dass solchen Einschränkungen Grenzen gesetzt sind und dass sie als unzulässig
BGE 103 Ia 557 S. 563
gelten müssen, wenn sie sich nicht nur gegen die dargelegten nachteiligen Auswirkungen des proportionalen Wahlverfahrens richten, sondern das Wesen dieses Wahlsystems verändern (Urteil Geissbühler, E. 3).
Die Liste der Freien Wähler erreichte im vorliegenden Fall das Quorum von 10% des Stimmentotals, weshalb auf die Frage, ob die Sperrklausel in dieser Höhe zulässig sei, nicht näher eingegangen werden muss. Es lässt sich aber ohne weiteres feststellen, dass ein solches Quorum nicht beanstandet werden kann, wenn eine Behörde zu wählen ist, die aus lediglich fünf Mitgliedern besteht und ein Sitz demnach einem Stimmenanteil von 20% entspricht (vgl. Urteil Geissbühler, E. 4, hinsichtlich eines Quorums von 15%, das für die Wahl des Grossen Rates vorgesehen war). Es kann aber auch nicht gesagt werden, der Ausschluss der Freien Wähler von der Verteilung des Restmandats, wie Art. 67 WahlG dies für diejenigen Listen vorsieht, die bei der ersten Verteilung ohne Sitz geblieben sind, sei mit dem Proporzsystem unvereinbar. Nach dem Walliser Wahlgesetz hat bei der ersten Verteilung jede Liste, die das erforderliche Quorum erreichte, Anspruch auf soviele Sitze, als die Wahlzahl - die sich aus der Division des Stimmentotals durch die um eins vermehrte Zahl der zu bestellenden Mandate ergibt - in der erzielten Parteistimmenzahl enthalten ist. Im vorliegenden Fall wäre der Liste der Freien Wähler bei der ersten Verteilung demnach ein Sitz zugewiesen worden, wenn sie mindestens einen Sechstel des Stimmentotals erreicht hätte. Wenn diese Liste leer ausging, so geschah dies deshalb, weil sie nicht nur weniger als den einem Mandat genau entsprechenden Stimmenanteil von einem Fünftel erreichte, sondern selbst weniger als einen Sechstel des Stimmentotals auf sich vereinigte. Könnte sie, wie die Beschwerdeführer es verlangen, bei der zweiten Verteilung Anspruch auf das Restmandat erheben, so würde die Liste der Freien Wähler einen grösseren Sitzanteil (einen Fünftel) erhalten, als ihrem Stimmenanteil (weniger als ein Sechstel) entspricht. Darauf gibt Art. 87 KV, der die Durchführung der Gemeindewahlen nach dem Proporzsystem verlangt, jedoch kein Anrecht, und es kann unter den vorliegenden Umständen von einer Verletzung dieser Verfassungsvorschrift nicht gesprochen werden.
Die Beschwerdeführer machen zusätzlich geltend, bei Anwendung von Art. 67 WahlG entfalle auf einen Stimmenanteil
BGE 103 Ia 557 S. 564
von 41% (Listen Nr. 2 und 3) nur ein einziger Sitz, während auf einen Anteil von 58% (Liste Nr. 1) vier Sitze kämen. Das sei im Rahmen eines proportionalen Wahlverfahrens unhaltbar. Auch dieser Einwand ist unbegründet, denn es waren nicht die Listen Nr. 2 und 3, die mit einem Stimmenanteil von 41% einen Sitz errangen, sondern es war die Liste Nr. 2 allein, die mit 26,9% ein Mandat erreichte. Die Liste Nr. 3 ging, wie bereits dargelegt, leer aus, weil sie weniger als einen Sechstel aller Stimmen auf sich vereinigte, und die Liste Nr. 1 schliesslich erzielte mit einem Stimmenanteil von 58,3% vier Sitze, wovon 3 Vollmandate und das Restmandat. Es trifft freilich zu und widerspiegelt sich in diesen Zahlen, dass die Regelung, wie sie in Art. 67 Abs. 1 WahlG getroffen wurde (Ausschluss der Listen, die bei der ersten Verteilung keinen Sitz erreichten; Verteilung der Restmandate nach dem System des grössten Quotienten) bei der Verteilung der Restmandate die grossen Parteien begünstigt. Sie bewirkt, dass Restmandate eher diesen als den kleinen Parteien zufallen und hat zur Folge, dass eher die grossen als die kleinen Parteien einen höheren Sitzanteil erlangen, als ihrem Stimmenanteil entspricht (vgl. dazu Reformbericht, S. 28). Eine solche Regelung, die der Zersplitterung der politischen Kräfte entgegenwirkt, steht zum proportionalen Wahlsystem jedoch nicht in Widerspruch, und der kantonale Gesetzgeber ist nicht gehalten, einen Verteilungsmodus mit der entgegengesetzten Tendenz vorzusehen. Im gleichen Sinne hat sich das Bundesgericht bereits im nicht veröffentlichten Urteil Torrent vom 17. September 1937 ausgesprochen, wovon abzuweichen kein Anlass besteht. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
019d566b-a54f-4295-90e3-b42537cad1a0 | Urteilskopf
81 II 313
52. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Oktober 1955 i. S. P. gegen B. | Regeste
Ehescheidung.
Örtliche Zuständigkeit für die Ergänzung eines unvollständigen Scheidungsurteils und für die Abänderung eines Scheidungsurteils wegen veränderter Verhältnisse (
Art. 157 ZGB
).
Welches Verfahren ist einzuschlagen, wenn im Scheidungsurteil nicht geregelte Einzelheiten der Ausübung des Besuchsrechts (
Art. 156 Abs. 3 ZGB
) streitig werden? | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 81 II 313 S. 313
A.-
Am 22. Juni 1948 schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe der Parteien, stellte die beiden ihr entsprossenen Kinder, geb. 1942 bezw. 1944, unter die elterliche Gewalt der Mutter und räumte dem Vater das Recht ein, "die
BGE 81 II 313 S. 314
Kinder im Sinne von Ziffer 3 der Vereinbarung der Parteien vom 22. Juni 1948 über die Nebenfolgen der Scheidung zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen". Die hier erwähnte Stelle der Scheidungsvereinbarung lautet:
"Herrn P. wird ein weitgehendes Besuchsrecht eingeräumt, wobei sich die Parteien ähnlich wie dies bisher der Fall war, von Fall zu Fall verständigen werden; in der Regel soll Herr P. das Recht haben, die Kinder wöchentlich an einem Nachmittag sowie einmal pro Monat über ein Wochenende zu besuchen oder zu sich zu nehmen. Sie sollen ausserdem jährlich zwei Mal auf drei Wochen zu ihm in die Ferien kommen."
B.-
Während einer Reihe von Jahren konnten sich die Parteien über die Ausübung des Besuchsrechts verständigen. Im Herbst 1954 entstand dagegen Streit darüber, wann der Vater die Kinder im Jahre 1955 zu sich in die Ferien nehmen könne. Er verlangte, dass ihm die Kinder für drei Wochen während der Sommer-Schulferien zu überlassen seien. Die Mutter, die wieder verheiratet ist und heute im Kanton Baselland wohnt, widersetzte sich diesem Wunsch und wollte dem Vater nur erlauben, die Kinder während der Frühlings- oder Herbstferien zu sich zu nehmen.
Hierauf leitete der Vater, der in Zürich wohnt, im Mai 1955 beim Bezirksgericht Zürich Klage ein mit dem Begehren, das Scheidungsurteil vom 22. Juni 1948 sei "zu ergänzen durch Festlegung der einen der beiden in Ziff. 3 der damals genehmigten Konvention stipulierten zwei dreiwöchigen Ferienperioden auf die Sommerschulferien." In der Hauptverhandlung stellte er das weitere Begehren, die zweite Ferienperiode sei zeitlich alternierend festzulegen, und zwar in dem Sinne, dass das Besuchsrecht abwechslungsweise auf die Weihnachtsferien und die Osterferien falle. Die Beklagte beantragte in erster Linie, auf das Ergänzungsbegehren, mit dem in Wirklichkeit eine Änderung des Scheidungsurteils im Sinne von
Art. 157 ZGB
verlangt werde, sei wegen örtlicher Unzuständigkeit der zürcherischen Gerichte nicht einzutreten. Ihre
BGE 81 II 313 S. 315
Eventualanträge gehen auf Abweisung des Klagebegehrens und Einschränkung des Besuchsrechts des Klägers.
Das Bezirksgericht Zürich wies die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten am 21. Juni 1955 ab. Das Obergericht des Kantons Zürich hat sie dagegen mit Entscheid vom 12. August 1955 für begründet erklärt und das Bezirksgericht angewiesen, die Klage wegen Unzuständigkeit von der Hand zu weisen.
C.-
Diesen Entscheid hat der Kläger mit einer Eingabe, die er als Berufung, eventuell als Nichtigkeitsbeschwerde aufgefasst wissen will, an das Bundesgericht weitergezogen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Der angefochtene Entscheid unterliegt der Berufung).
2.
Hat es der Scheidungsrichter aus Versehen oder Rechtsirrtum oder wegen Unkenntnis einer Tatsache unterlassen, eine Frage zu regeln, die bei der Scheidung notwendigerweise geregelt werden muss, so weist das Scheidungsurteil eine Lücke auf, die durch eine entsprechende Ergänzung dieses Urteils auszufüllen ist, und zwar ist hiezu nach Bundesrecht der Richter zuständig, der die Scheidung ausgeprochen hat (vgl.
BGE 44 I 152
ff., wo dieser Richter für zuständig erklärt wurde, eine Parteivereinbarung über die ökonomischen Nebenfolgen, zu der er nicht Stellung genommen hatte, nachträglich zu prüfen und zu genehmigen, und das Urteil des zürcherischen Obergerichts vom 5. Februar 1944 in SJZ 39 S. 330, das den Scheidungsrichter anwies, in einem Nachverfahren über die Elternrechte mit Bezug auf ein nach der Scheidung geborenes, gemäss
Art. 252 ZGB
als ehelich geltendes Kind zu befinden). Für die Beurteilung von Begehren, mit denen wegen veränderter Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils im Sinne von
Art. 157 ZGB
verlangt wird, ist dagegen nach Bundesrecht, wenn die Parteien in der Schweiz wohnen, der Richter am Wohnsitz der
BGE 81 II 313 S. 316
beklagten Partei zuständig (
BGE 46 II 333
ff.,
BGE 51 II 109
,
BGE 61 II 226
). Der Ausgang des vorliegenden Gerichtsstandsstreites hängt also davon ab, ob die Klage, die der Kläger beim Bezirksgericht Zürich eingeleitet hat, auf eine Ergänzung oder auf eine Abänderung des Scheidungsurteils vom 22. Juni 1948 gerichtet ist. Beim Entscheid hierüber ist nicht massgebend, wie der Kläger seine Klage selber qualifiziert hat, sondern es kommt darauf an, worauf sie der Sache nach abzielt.
3.
Nach
Art. 156 Abs. 1 ZGB
trifft der Richter bei der Scheidung oder Trennung über die Gestaltung der Elternrechte und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern "die nötigen Verfügungen". Hinsichtlich der persönlichen Beziehungen ist dabei wegleitend, dass der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, gemäss Art. 156 Abs. 3 ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit den Kindern hat. Das Scheidungsurteil muss daher eine Bestimmung über das Besuchsrecht enthalten. Eine solche ist im vorliegenden Falle denn auch vorhanden, und zwar begnügt sich die vom Scheidungsrichter zum Bestandteil des Urteils gemachte Ziffer 3 der Scheidungskonvention nicht etwa damit, einfach
Art. 156 Abs. 3 ZGB
zu wiederholen und die Regelung aller Modalitäten des Besuchsrechts der Verständigung von Fall zu Fall zu überlassen. Vielmehr setzt jene Klausel fest, wie oft und wie lange der Vater die Kinder in der Regel soll besuchen oder zu sich nehmen können. Der Verständigung von Fall zu Fall überlassen ist nur, an welchem Nachmittag das wöchentliche, an welchem Wochenende das monatliche und in welcher Zeit das zweimal drei Wochen umfassende Besuchsrecht soll ausgeübt werden können. Von einer Regelung dieser Einzelheiten abzusehen, lag im Ermessen des Scheidungsrichters. Dieser konnte ohne Bundesrechtsverletzung annehmen, es sei im Sinne von
Art. 156 ZGB
nicht "nötig", auch diese Punkte im Urteil festzulegen, nachdem die Parteien sich während des der Scheidung vorausgegangenen längern Getrenntlebens über die Besuche
BGE 81 II 313 S. 317
offenbar immer hatten verständigen können und nachdem sie auch sonst eine loyale Gesinnung gezeigt und die in Frage stehende Regelung selber vorgeschlagen hatten. Die nachfolgende Entwicklung hat übrigens dieser Beurteilung der Verhältnisse zunächst durchaus recht gegeben. Von 1948 bis 1954 (also über den Eintritt beider Kinder ins schulpflichtige Alter hinaus) vermochten sich die Parteien jeweilen über den Zeitpunkt der Ausübung des Besuchsrechts zu einigen. Erst im siebenten Jahr nach der Scheidung gelang dies nicht mehr. Unter diesen Umständen lässt sich nicht sagen, das Scheidungsurteil habe eine Frage offen gelassen, die der Scheidungsrichter notwendigerweise hätte positiv regeln sollen. Für eine Ergänzung dieses Urteils, die in einem Nachverfahren zum Scheidungsprozess vorzunehmen wäre, ist daher kein Raum. Die urteilsmässige Regelung der erwähnten Detailpunkte, die der Kläger heute mit seiner Klage anstrebt, lässt sich nur auf dem Wege der Abänderung des Scheidungsurteils gemäss
Art. 157 ZGB
erreichen. Wie die Vorinstanz mit Recht angenommen hat, ist im Wegfall der Verständigungsmöglichkeit, auf die der Scheidungsrichter gezählt hatte, eine Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Bestimmung zu erblicken, die dazu Anlass geben kann, die bisher der Verständigung der Parteien überlassenen Einzelheiten durch Urteil festzusetzen. Die vorliegende Klage ist daher als Abänderungsbegehren zu behandeln.
Richtig ist freilich, dass bei einer Regelung, wie Ziffer 3 der Scheidungskonvention der Parteien sie enthält, die Zwangsvollstreckung auf Schwierigkeiten stossen kann. Daraus folgt jedoch entgegen der Auffassung, die Prof. M. Guldener in dem vom Kläger vorgelegten Rechtsgutachten vertritt, nicht zwingend, dass das Scheidungsurteil vom 22. Juni 1948, das diese Bestimmung genehmigt hat, ergänzungsbedürftig sei. Der Richter kann bei Verhältnissen, wie sie im vorliegenden Fall gegeben waren, sehr wohl finden, es sei nicht nötig, das Besuchsrecht so eingehend
BGE 81 II 313 S. 318
zu ordnen, dass dieses nötigenfalls zwangsweise durchgesetzt werden kann. Nur eine solche Regelung als genügend gelten zu lassen, ist um so weniger gerechtfertigt, als die Zwangsvollstreckung auf diesem Gebiet ohnehin äusserst problematisch ist.
Wenn der Scheidungsrichter bei der Genehmigung der Vereinbarung über das Besuchsrecht gewisse Bedenken zu überwinden hatte, so hatten diese, wie aus der Urteilsbegründung hervorgeht, ihren Grund nicht in der "elastischen" Umschreibung, sondern im ungewöhnlich weiten Ausmass des Besuchsrechts. Es ist daher verfehlt, aus der Tatsache, dass der Scheidungsrichter mit Bezug auf das vereinbarte Besuchsrecht zunächst gewisse Bedenken hegte, den Schluss zu ziehen, der heutige Streit sei nicht auf eine nachträgliche Veränderung der Verhältnisse, sondern auf die Unvollständigkeit des Scheidungsurteils zurückzuführen.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der heutige Kläger im Scheidungsprozess selber ausdrücklich erklären liess, man habe das Besuchsrecht in der Konvention "nicht starr gefasst", weil sich dies mit seinem Beruf nicht vereinen liesse; die gewählte Regelung werde auch weniger Anlass zu Streit geben als eine starre Ordnung, die man doch nicht einhalten könnte. Er hat also bewusst darauf verzichtet, dass im Scheidungsurteil eine genauere Regelung getroffen werde. Wenn er heute gleichwohl geltend macht, das Scheidungsurteil sei lückenhaft und bedürfe daher der Ergänzung, so ist dies rechtsmissbräuchlich. Das Abänderungsverfahren genügt vollauf zur Wahrung seiner berechtigten Interessen.
Der Entscheid
BGE 80 II 5
ff. und die Basler Praxis, nach welcher bei der Scheidung die Erledigung von Streitigkeiten über das Besuchsrecht dem Ehegerichtspräsidenten übertragen wird, haben mit der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Ergänzung oder eine Abänderung des Scheidungsurteils in Betracht komme, nichts zu tun. Der Kläger hat jenen Entscheid und diese Praxis denn
BGE 81 II 313 S. 319
auch nur im Zusammenhang mit der Frage angerufen, welches Gericht für ein allfälliges Ergänzungsverfahren zuständig sei.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und der Entscheid des Obergerichtes des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 12. August 1955 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
019e7880-bee1-4ec1-8480-debd7ca0541d | Urteilskopf
102 Ib 353
58. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1976 i.S. Thürer gegen PTT und Eidg. Schätzungskommission 11. Kreis | Regeste
Enteignung;
Art. 19 lit. a EntG
.
Verkehrswertschätzung von Grundstücken; statistische Methode, Rückwärtsrechnung; Anwendung dieser Methoden. | Erwägungen
ab Seite 353
BGE 102 Ib 353 S. 353
Erwägungen:
2.
Die Enteignete wirft der Schätzungskommission vor, sie habe bei der Berechnung der Enteignungsentschädigung zu Unrecht die statistische Methode von vornherein ausgeschlossen und nur auf die Rückwärtsrechnung abgestellt. Wenn auch, wie die Enteignete selbst einräumt, keine Vergleichsgeschäfte gefunden werden könnten, die "zwingend analog" seien, so hätte dennoch auf Grund der vorhandenen Vergleichspreise erkannt werden müssen, dass die von der Kommission für die Teilabtretung der Parzelle Nr. 190 festgesetzten Entschädigungen zu niedrig seien. Diese Kritik ist nicht ganz unberechtigt.
Der Verkehrswert von Bauland, d.h. der Preis, den eine unbestimmte Vielzahl von Kaufsinteressenten voraussichtlich für das betreffende Grundstück bezahlen würde, lässt sich nur aus bereits bekannten Werten ermitteln. In der Regel kann der Bodenwert anhand von tatsächlich bezahlten Preisen für Land in der gleichen Gegend bestimmt werden, wobei allfälligen Unterschieden der Vergleichsgrundstücke in der Form, Lage, Ausnutzungsmöglichkeit, Umgebung und Bodenbeschaffenheit Rechnung zu tragen ist, also entsprechende Preiszuschläge
BGE 102 Ib 353 S. 354
oder -abzüge vorzunehmen sind (vgl. nicht publ. Entscheide vom 8. Mai 1974 i.S. Grubag AG und 26. Februar 1956 i.S. Meuwly; HÄGI, Die Bewertung von Liegenschaften, 6. A. 1971, S. 50 f., HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 3 zu
Art. 20 EntG
, WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 33 ff.). Diese statistische Methode führt allerdings nur zu richtigen Resultaten, wenn Vergleichspreise in genügender Zahl, und zwar für Objekte ähnlicher Beschaffenheit, zur Verfügung stehen.
Bei der sogenannten Methode der Rückwärtsrechnung wird der Wert von nicht überbauten oder nur mit Abbruchobjekten bebauten Parzellen auf Grund einer hypothetischen, den Ausnutzungsbestimmungen entsprechenden Neuüberbauung berechnet, indem die Anlagekosten vom Ertragswert, der anhand bekannter Mietpreise bestimmt werden kann, abgezogen werden; die sich ergebende Summe entspricht dem Bodenwert. Die Rückwärtsrechnung beruht auf der Überlegung, dass bei Neuüberbauungen der Verkehrswert, der Sachwert und der Ertragswert ungefähr gleich gross sind, da die Mietzinse auf Grund der Baukosten berechnet werden (vgl. HÄGI, a.a.O. S. 54 ff., WIEDERKEHR, a.a.O. S. 36 ff.) Bei Anwendung dieser Methode ist jedoch zu beachten, dass die einzelnen Annahmen mit besonderer Sorgfalt und unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse getroffen werden müssen. Zudem sind die einzelnen Faktoren in eine vernünftige Beziehung zueinander zu stellen. So ist nicht in jedem Falle von einem Bauprojekt auszugehen, das den nach geltender Bauordnung höchst zulässigen Baukubus aufweist, sondern von einer Überbauung, die unter den gegebenen Verhältnissen an Ort - je nach Raumbedarf - wahrscheinlich erstellt worden wäre. Bei der Berechnung des Mietertrages ist der wirtschaftliche Zweck des projektierten Gebäudes festzulegen und dafür abzuklären, ob und in welchem Umfange es aus Läden und Büros bestehen könnte oder ob es sich beispielsweise schon von seiner Lage her nur für Wohnungen eignen würde. Die Festsetzung der Baukosten hat im weiteren nicht nur nach den üblichen Baupreisen, sondern unter Berücksichtigung der regionalen und sogar örtlichen Verhältnisse auf dem Baumarkt zu erfolgen; ausserdem ist der Bauweise und der Art des Ausbaus Rechnung zu tragen. Schliesslich ist in Betracht zu ziehen, dass je nach Projekt, Art und Höhe der Investition
BGE 102 Ib 353 S. 355
vom Bauherrn unterschiedliche Anforderungen an die Rentabilität gestellt werden: wer für den Eigengebrauch oder zum Zwecke einer langfristigen Kapitalanlage baut, will erfahrungsgemäss nicht die gleiche Rendite erzielen wie jener, der ein Gebäude für den sofortigen Weiterverkauf erstellt. - Nur wenn bei der Festsetzung der verschiedenen Faktoren allen diesen Umständen die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird, führt die Rückwärtsrechnung zu brauchbaren Ergebnissen, da auf Grund der Berechnungsformel selbst ziffernmässig geringe Differenzen in den einzelnen Annahmen erhebliche Resultat-Streuungen entstehen lassen. Birgt somit diese Methode einen relativ hohen Unsicherheitsfaktor in sich, ist sie - was übrigens auch für weitere Methoden (Lageklassen-Methode nach Naegeli, Wertabnahmeformel für tiefe Grundstücke usw.) gilt - lediglich zur Kontrolle der anhand der statistischen Methode gefundenen Werte oder nur dann anzuwenden, wenn geeignete Vergleichspreise fehlen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
01a2e4d3-3b7e-4e3f-8332-b8876e271dd7 | Urteilskopf
93 II 311
43. Arrêt de la Ire Cour civile du 3 octobre 1967 dans la cause Gendre SA contre Jaeger et Ratzé. | Regeste
Art. 51, 328, 368, 398 OR.
1. Konkurrierende Schadenersatzklagen des Bauherrn gegen den Architekten und den Unternehmer wegen mangelhafter Ausführung des Bauwerkes (Erw. 1).
2. Haftung des mit der Ausarbeitung der Pläne und der Bauleitung beauftragten Architekten für einen Konstruktionsfehler des Werkes (wegen ungenügender Schräge undichtes Dach) (Erw. 2).
3. Haftung des mit den Dachdeckerarbeiten beauftragten Unternehmers? Tragweite der Vertragsbestimmung, wonach der Unternehmer die Garantie "für absolute Undurchlässigkeit des Dachbelages" übernimmt. Anwendung der kaufrechtlichen Vorschriften über die Haftung für zugesicherte Eigenschaften auf den Werkvertrag (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 93 II 311 S. 311
A.-
En 1958, l'entreprise Gendre SA, qui exploite un garage à Fribourg, a chargé l'architecte Jacques Jaeger de construire des bâtiments industriels à Villars-sur-Glâne.
BGE 93 II 311 S. 312
Par contrat du 28 juillet 1958, Jaeger, agissant au nom de Gendre SA, a confié à l'entrepreneur Robert Ratzé l'exécution de la couverture en éternit des ateliers et des bureaux. Ce contrat a été contresigné par Gendre SA Il contient une clause aux termes de laquelle "l'entrepreneur garantit l'absolue étanchéité de la couverture".
Les travaux de couverture ont été exécutés à la fin de l'année 1958. Dès le début de l'année 1963, l'étanchéité de la couverture s'est révélée déficiente: l'eau s'est infiltrée dans les bureaux et les ateliers, provoquant des inondations. Gendre SA a fait procéder par un tiers au remplacement d'une partie de la toiture et à la réfection des locaux inondés. Les inondations ont aussi gêné le travail dans l'entreprise.
B.-
Par demande du 2 mai 1964, Gendre SA a introduit devant le Tribunal civil de l'arrondissement de la Sarine une action tendant à faire condamner solidairement Jaeger et Ratzé au paiement d'une indemnité de 69 746 fr. avec intérêts à 5% dès le 1er février 1963.
Ratzé et Jaeger ont conclu chacun à libération des fins de la demande. Ils contestaient leur responsabilité.
Confirmant le jugement de première instance rendu le 7 juillet 1966, la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois, par arrêt du 20 mars 1967, a rejeté les conclusions prises par Gendre SA contre Ratzé et admis les conclusions de la demanderesse dirigées contre Jaeger, en les réduisant toutefois à 41 054 fr. 30 avec intérêts à 5% dès le 14 janvier 1964. Le capital alloué correspond au dommage causé par les inondations.
La cour cantonale a considéré que le défaut d'étanchéité provenait d'une inclinaison insuffisante du toit. Il n'avait pas été causé par une exécution défectueuse des travaux, mais par une erreur dans la conception de l'ouvrage. La responsabilité en incombait dès lors à l'architecte, qui ne saurait exciper de la clause de garantie souscrite par l'entrepreneur. Il avait en effet imposé à celui-ci un mode de couverture qu'il ne connaissait pas. Et Ratzé avait exécuté les travaux avec beaucoup de soin, se conformant exactement aux plans de l'architecte et aux instructions de la maison Eternit.
C.-
Contre cet arrêt, deux recours en réforme ont été interjetés par Jaeger, d'une part, et par Gendre SA, d'autre part. Le premier persiste à conclure à libération des fins de la demande dirigée contre lui. La seconde conclut à la réforme en ce sens
BGE 93 II 311 S. 313
que Ratzé soit condamné à lui payer, solidairement avec Jaeger, la somme de 41 054 fr. 30 représentant le dommage arrêté par la juridiction cantonale, avec intérêt à 5% dès le 14 janvier 1964. Elle expose qu'il lui est indifférent que le préjudice soit réparé par l'un ou l'autre des défendeurs. Mais elle craint, si Ratzé est mis hors de cause, de perdre tous ses droits contre lui, au cas où Jaeger serait libéré de toute responsabilité à la suite de l'admission de son propre recours.
D.-
Chacun des deux intimés Jaeger et Ratzé conclut au rejet du recours formé contre lui par Gendre SA Celle-ci conclut au rejet du recours formé contre elle par Jaeger.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Gendre SA a réuni dans un seul procès deux actions distinctes contre deux défendeurs - l'architecte Jaeger et l'entrepreneur Ratzé - qui répondent concurremment du même dommage, en vertu de l'art. 51 CO. Mais la responsabilité de chacun d'eux est indépendante de celle de l'autre et les conditions d'une solidarité passive au sens des art. 143 ss. CO ne sont pas réunies. Il est vrai que chacun des défendeurs a un intérêt juridique à la condamnation de son consort. Toutefois, aucun des deux n'a conclu à ce que l'autre fût condamné à réparer le dommage subi par la demanderesse, ni pris de conclusions tendant à se faire relever des suites d'une condamnation éventuelle. La cour de céans n'est donc pas appelée à statuer sur l'action récursoire que l'un des défendeurs pourrait exercer, le cas échéant, en invoquant l'art. 51 CO. Elle doit se borner à examiner successivement la responsabilité de Jaeger, puis celle de Ratzé, à l'égard de Gendre SA
2.
En sa qualité d'architecte chargé non seulement d'établir les plans, mais aussi de diriger les travaux, Jaeger était lié à Gendre SA par un contrat de mandat (RO 63 II 176, 64 II 10, 89 II 406). Il était tenu d'exécuter avec soin les prestations promises et il répond d'une bonne et fidèle exécution du mandat (art. 398 et 328 CO).
a) Pour ce qui a trait aux plans de la construction, Jaeger a commis une erreur dans la conception de la toiture. La cour cantonale a constaté souverainement que cette erreur était la cause du dommage. Elle a relevé également que le recourant devait connaître, par sa profession d'architecte, les inconvénients des toits à faible pente. Il ne pouvait pas ignorer non plus les
BGE 93 II 311 S. 314
conditions dans lesquelles le matériau choisi devait être utilisé. L'éternit se trouve en effet depuis de nombreuses années sur le marché. Dans la mesure où l'appréciation des juges fribourgeois serait fondée sur l'expérience générale et ne lierait donc pas le Tribunal fédéral, elle ne peut qu'être confirmée. L'architecte qui propose un mode de construction déterminé doit en faire un emploi qui soit conforme aux règles de l'art et garantisse le résultat recherché, en l'espèce l'étanchéité de la couverture. S'il ne satisfait pas à cette exigence, il commet une faute et engage sa responsabilité.
Sans doute la construction d'un bâtiment peut-elle présenter des difficultés techniques dont la solution requiert des connaissances spéciales que l'architecte ne possède pas lui-même. Il doit alors se renseigner auprès de spécialistes et suivre leurs avis. En l'espèce, Jaeger s'est borné à prendre contact avec la maison Eternit, dont le siège central est à Niederurnen, par l'intermédiaire d'un tiers, Sonder. S'il estimait l'avis du fabricant nécessaire, il devait lui exposer personnellement le problème à résoudre. Peu importe que l'établissement de Payerne de la maison Eternit ait accepté sa commande sans réserve et n'ait pas formulé d'objection à ses plans. Le vendeur qui accepte de livrer un matériau n'assume pas la responsabilité d'un entrepreneur à l'égard de l'auteur de la commande. Du reste, la cour cantonale relève que Jaeger a reconnu, lors de son interrogatoire, qu'il n'avait pas reçu de la maison Eternit d'autre garantie que la lettre adressée à Sonder. Or il n'a tenu aucun compte de la recommandation instante faite dans cette lettre au sujet de la pente du toit. Les juges du fait ont constaté que ce manquement était à l'origine du dommage.
b) Dans son recours, Jaeger prétend que la clause de garantie souscrite par Ratzé le dégage de toute responsabilité. Il perd de vue que cette clause concerne les rapports juridiques entre l'entrepreneur et le maître de l'ouvrage, mais ne saurait produire aucun effet à l'égard de l'architecte, qui n'est pas partie au contrat passé avec l'entrepreneur. Assurément, il incombe à l'architecte qui établit les contrats avec les maîtres d'état de rédiger ces actes de telle façon que les engagements des entrepreneurs garantissent au maître de l'ouvrage une exécution convenable des travaux et, à ce défaut, sauvegardent efficacement ses intérêts. Mais cela n'épuise pas les obligations de l'architecte envers son mandant. Il est tenu, au premier chef, d'établir des plans qui
BGE 93 II 311 S. 315
procèdent d'une conception de l'ouvrage conforme aux règles de l'art. Si les plans sont défectueux, l'architecte encourt une responsabilité dont il ne saurait se libérer par une garantie que l'entrepreneur aurait assumée. Si elle est valide, une pareille garantie s'ajoute à celle que l'architecte doit fournir en vertu du mandat qu'il accepte.
Jaeger devait procurer à Gendre SA une couverture étanche. Il n'a pas exécuté cette obligation. Il répond dès lors du dommage résultant de l'inexécution, sans qu'il puisse se disculper en invoquant la prétendue responsabilité de l'entrepreneur Ratzé ou du fournisseur de matériau, la maison Eternit. Le recours en réforme de Jaeger est dès lors mal fondé.
3.
Gendre SA critique l'arrêt cantonal dans la mesure où il libère de toute responsabilité l'entrepreneur Ratzé. Elle explique dans ses motifs qu'elle recourt afin de parer à l'éventualité où, le recours de Jaeger étant admis, celui-ci serait libéré de toute responsabilité. Néanmoins, elle a pris des conclusions qui ne sont assorties d'aucune réserve ni condition. Aussi faut-il entrer en matière, quoique le recours de Jaeger soit rejeté.
a) Selon l'art. 368 CO, l'entrepreneur répond, même en l'absence de faute, de la bienfacture de l'ouvrage. Sa responsabilité est sanctionnée par le droit du maître de refuser l'ouvrage défectueux, ou de réduire le prix, ou encore d'exiger la réfection par l'entrepreneur. S'il a commis une faute, l'entrepreneur peut être astreint à payer de pleins dommages-intérêts. Conformément à la règle de l'art. 97 CO, il doit prouver qu'aucune faute ne lui est imputable (RO 70 II 219; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 11 ss. ad art. 368 CO). Assigné en paiement de dommages-intérêts, Ratzé pouvait se libérer en rapportant cette preuve.
Selon les constatations de l'arrêt attaqué, l'entrepreneur Ratzé a exécuté les travaux avec beaucoup de soin; il s'est conformé exactement aux plans dressés par l'architecte et aux instructions de la maison Eternit. La cour cantonale en déduit avec raison qu'on ne saurait dès lors retenir aucune faute à sa charge dans l'exécution de la couverture du bâtiment. Quant à la matière fournie, l'une des expertises a certes révélé que le mastic n'était pas un matériau approprié, en raison de sa tendance à la dessication. Mais les juges du fait ont constaté que cet inconvénient n'était pas en relation de cause à effet avec le dommage.
L'art. 365 al. 3 CO oblige assurément l'entrepreneur à signaler au maître les faits de nature à compromettre l'exécution de
BGE 93 II 311 S. 316
l'ouvrage. On ne peut toutefois reprocher à Ratzé de n'avoir pas attiré l'attention de Gendre SA ou de son mandataire, l'architecte Jaeger, sur l'insuffisance de la pente donnée à la toiture. L'arrêt déféré constate en effet que le mode de couverture, imposé par l'architecte, était inconnu de l'entrepreneur, auquel un monteur de la maison Eternit a indiqué la manière de poser les plaques. Or un artisan local ne manque pas à la diligence que l'on peut attendre de lui s'il ne perçoit pas un défaut dont il pouvait raisonnablement penser que soit l'architecte, soit le spécialiste de la maison Eternit étaient mieux à même de le déceler que lui.
b) Ratzé a librement souscrit une clause qui garantit formellement "l'absolue étanchéité de la couverture". Cette clause figure dans les "conditions spéciales" de la formule d'adjudication et n'a donc pas pu échapper au signataire. La portée d'une disposition conventionnelle par laquelle un entrepreneur garantit que l'ouvrage présentera des qualités déterminées est semblable à celle d'un vendeur qui attribuerait à la chose vendue des "qualités promises" au sens de l'art. 197 CO (cf. RO 42 II 632, où le Tribunal fédéral examine une clause de garantie en laissant indécise la qualification du contrat comme vente ou contrat d'entreprise). Les règles sur la garantie pour les défauts en matière de contrat d'entreprise présentent en effet une grande analogie avec celles de la vente (OSER/SCHÖNENBERGER, n. 1 ad art. 368 CO).
La souscription d'une pareille clause améliore la position juridique de l'acheteur, respectivement du maître, par rapport à la réglementation légale, en ce sens que le vendeur s'oblige à exécuter en nature l'obligation dérivant de la qualité promise (RO 91 II 348, consid. 2). En matière de vente, la loi ne confère pas à l'acheteur un droit à l'exécution en nature (cf. art. 205 et 208 CO). Pour le contrat d'entreprise, l'art. 368 CO subordonne la réfection par l'entrepreneur à la condition qu'elle soit possible sans frais excessifs. En assumant la garantie contractuelle de "l'absolue étanchéité de la couverture", Ratzé s'est obligé à exécuter les travaux de réfection qu'impliquerait un défaut d'étanchéité.
Mais l'obligation de réparer ne vaut que dans les conditions fixées par la réglementation légale (art. 368 et 97 CO). Pour la vente, l'art. 197 CO met en effet sur le même pied les qualités promises et la garantie légale en raison des défauts. Cette solution
BGE 93 II 311 S. 317
doit être adoptée pour le contrat d'entreprise. Tel est d'ailleurs le sens qu'un profane donnerait à la clause en question, qui institue une responsabilité fondée en dernier ressort sur les règles de la bonne foi et doit s'interpréter selon ces mêmes règles (RO 73 II 220 s., consid. 1 et 1a).
L'obligation fondée sur la clause de garantie est donc limitée à l'exécution en nature de l'ouvrage présentant la qualité promise. Point n'est besoin de décider si la garantie donnée en l'espèce, qui visait essentiellement la couverture en éternit, c'est-à-dire le matériau couvrant la surface du toit, s'étendait à l'ensemble de la toiture, en particulier aux défauts résultant non de l'exécution des travaux de couverture proprements dits, mais de l'inclinaison du toit. De toute manière, Ratzé n'a jamais été mis en demeure par Gendre SA de réparer l'ouvrage défectueux. La réfection de la toiture a été confiée à un autre entrepreneur. Le maître ne saurait dès lors lui réclamer des dommages-intérêts compensatoires pour inexécution d'une pareille obligation de faire (cf. RO 91 II 350, consid. 3). Il a introduit une action en dommages-intérêts fondée sur les défauts du toit qui n'était pas étanche. Or, comme on l'a relevé plus haut, Ratzé n'a pas commis de faute et partant ne répond pas du dommage consécutif à l'absence de la qualité promise.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette les deux recours et confirme l'arrêt rendu le 20 mars 1967 par la Cour d'appel du Tribunal cantonal fribourgeois. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
01ab1644-1db2-4646-8df0-dbbef07c0063 | Urteilskopf
99 Ib 436
59. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. November 1973 i.S. B. gegen X-AG. | Regeste
Art. 704 OR
, Anwendung auf Anlagefonds.
1. Der Anleger ist Gläubiger der Fondsleitung.
2. Ist die Fondsleitung eine Aktiengesellschaft, so darf der Anleger von ihr die Auflegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung verlangen, wenn sie diese nicht veröffentlicht. | Sachverhalt
ab Seite 436
BGE 99 Ib 436 S. 436
A.-
B. besitzt 72 Anteile eines Anlagefonds, dessen Leitung der X-AG oblag. Am 26. September 1969 entzog die Eidg. Bankenkommission der X-AG die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit und ernannte die Schweizerische Treuhandgesellschaft als Sachwalter des in Liquidation stehenden Anlagefonds.
Im August 1972 ersuchte B. das Handelsregisteramt der Stadt Zürich gestützt auf
Art. 704 OR
, von der X-AG die Bilanz und Gewinnrechnung zur Einsicht einzufordern. Das Handelsregisteramt wies das Gesuch durch Verfügung vom 4. September 1972 ab, erklärte sich auf Beschwerde hin am 16. Oktober aber bereit, die Verfügung zurückzunehmen, wenn B. in einer neuen Eingabe dartun könne, dass er gegen die X-AG eine Forderung habe. B. sandte dann dem Handelsregisteramt die Rechenschaftsberichte, welche die Schweizerische Treuhandgesellschaft über ihre Tätigkeit als Sachwalter des Anlagefonds für die Jahre 1970/71 und 1971/72 verfasst hatte. Er machte geltend, aus den Berichten ergebe sich, dass die X-AG ihre vertraglichen Pflichten in gröbster Weise verletzt habe; er
BGE 99 Ib 436 S. 437
überlege sich deshalb, ob er gegen sie auf Schadenersatz klagen solle. Das Handelsregisteramt setzte hierauf der X-AG mit Schreiben vom 6. November 1972 zehn Tage Frist, die letzte von der Generalversammlung genehmigte Jahresrechnung (Bilanz samt Gewinn- und Verlustrechnung) vorzulegen, damit B. sie einsehen könne.
Da die X-AG sich weigerte, der Aufforderung nachzukommen, überwies das Handelsregisteramt die Sache gemäss
Art. 85 Abs. 3 HRegV
seiner Aufsichtsbehörde, der Justizdirektion des Kantons Zürich. Diese wies das Begehren des B. am 23. März 1973 einstweilen mit der Begründung ab, nach den Berichten des Sachwalters könnten die Anleger von der X-AG wahrscheinlich Schadenersatz verlangen; darüber bestehe jedoch zwischen der Schweizerischen Treuhandgesellschaft und der X-AG ein Prozess; die Gläubigereigenschaft des B. müsse deshalb nachBGE 78 I 165ff. als zweifelhaft betrachtet werden, obwohl die Treuhangesellschaft mit ihrer Klage Forderungen der Anleger, also auch solche des Gesuchstellers geltend mache.
B.-
B. führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die X-AG zur Auflegung der Bilanz aufzufordern.
Die Justizdirektion des Kantons Zürich hat eine Vernehmlassung des Handelsregisteramtes eingereicht, auf einen Antrag aber ausdrücklich verzichtet. Die X-AG beantragt die Abweisung der Beschwerde, ebenso das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, das sich den Erwägungen der kantonalen Registerbehörden "vollumfänglich" anschliesst.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 704 OR
hat das Handelsregisteramt von Aktiengesellschaften, die ihre Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz nicht veröffentlichen, diese in der von den Aktionären genehmigten Fassung einzufordern und zur Einsicht aufzulegen, wenn ein Gesellschaftsgläubiger, der sich als solcher ausweist, es verlangt.
Im vorliegenden Fall wird von keiner Seite behauptet oder dargetan, die X-AG habe die Jahresrechnung, deren Auflegung der Beschwerdeführer verlangt, veröffentlicht. Fragen kann sich daher nur, ob B. Gläubiger der X-AG sei.
2.
Gemäss
Art. 2 Abs. 1 AFG
ist der Anlagefonds ein Vermögen, das auf Grund öffentlicher Werbung von den
BGE 99 Ib 436 S. 438
Anlegern zum Zwecke gemeinschaftlicher Kapitalanlage aufgebracht und von der Fondsleitung nach dem Grundsatz der Risikoverteilung für Rechnung der Anleger verwaltet wird. Die Fondsleitung ist fiduziarische Eigentümerin der Werte, welche den Anlagefonds bilden (P. JÄGGI, La loi sur les fonds de placement, JdT 1967 S. 226 ff.; R. JEANPRÊTRE, Le contrat de placement collectif dans le système du droit des obligations, Festgabe W. Schönenberger, Freiburg 1968 S. 288; FORSTMOSER, Zum schweizerischen Anlagefondsgesetz, S. 24 und 36; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 456). Der Anleger hat keine Eigentumsrechte am Fondsvermögen, dagegen erwirbt er durch seine Einzahlung Forderungen gegen die Fondsleitung; er hat Anspruch auf Beteiligung am Vermögen und am Ertrag des Anlagefonds (
Art. 20 Abs. 1 AFG
). Auch kann er den Kollektivanlagevertrag jederzeit widerrufen und gegen Rückgabe des Anteilscheines die Auszahlung seines Anteils am Anlagefonds in bar verlangen (
Art. 21 Abs. 1 AFG
). Schuldnerin ist die Fondsleitung (JÄGGI und JEANPRETRE, beide a.a.O; GUHL/MERZ/KUMMER S. 457). Daraus erhellt, dass der Anleger Gläubiger der Fondsleitung ist.
Den Akten ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer als Anleger 72 Anteile des Anlagefonds besitzt; er hat sich darüber schon in seinem ersten Gesuch an das Handelsregisteramt ausgewiesen, indem er die Bescheinigung einer Bank vorlegte. Er ist folglich berechtigt, ein Begehren nach
Art. 704 OR
zu stellen, wenn die Fondsleitung wie hier eine Aktiengesellschaft ist, die ihre Bilanz und ihre Verlust- und Gewinnrechnung nicht veröffentlicht.
Daran ändert nichts, dass der Fondsleitung im vorliegenden Fall von der Aufsichtsbehörde die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit entzogen und an ihrer Stelle ein Sachwalter ernannt worden ist. Das fiduziarische Eigentum der X-AG am Anlagefonds wurde davon nicht berührt; es ging insbesondere nicht auf den Sachwalter über. Dieser ist vielmehr ein "amtlicher Treuhänder", der im Auftrag der Aufsichtsbehörde die Interessen der Anleger zu wahren, also eine ähnliche Stellung und Aufgabe hat wie ein Konkursverwalter oder ein Willensvollstrecker (AMONN, Die Aufgaben des Sachwalters nach dem BG über die Anlagefonds, in Wirtschaft und Recht 1970 S. 57; A. METZGER, Die Stellung des Sachwalters nach dem BG über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966, Diss. Zürich 1971 S. 139-154; U. B.
BGE 99 Ib 436 S. 439
MÄTZENER, Die Auflösung und Liquidation von Anlagefonds, Diss. Bern 1972 S. 85 und 94).
Da der Beschwerdeführer als Gläubiger der X-AG anzusehen ist, kommt auch nichts darauf an, ob ein Gesuchsteller nach
Art. 704 OR
seine Forderung beweisen oder bloss glaubhaft machen müsse (
BGE 78 I 168
ff.). Unerheblich ist ferner, ob der Beschwerdeführer allenfalls noch weitere Forderungen gegen die X-AG habe; was die Vorinstanz und die X-AG in ihrer Vernehmlassung dazu ausführen, vermag am Ausgang dieses Verfahrens nichts zu ändern. Es schadet dem Beschwerdeführer auch nicht, dass er die Beschwerde einzig damit begründet hat, es stehe ihm eine Schadenersatzforderung gegen die X-AG zu, die sie gemäss
BGE 96 I 474
ff., wo es um die gleiche Fondsleitung ging, anerkannt habe; denn das Bundesgericht ist an die rechtliche Begründung der Begehren nicht gebunden (
Art. 114 Abs. 1 OG
).
3.
Die X-AG wendet ein,
Art. 704 OR
gelte nicht für das Rechtsverhältnis zwischen einem Anleger und der Fondsleitung;
Art. 22 AFG
regle das Auskunftsrecht des Anlegers abschliessend und gehe zudem als Sondervorschrift der allgemeinen Bestimmung des
Art. 704 OR
vor.
Der Einwand geht fehl. Die Auskunftspflicht der Fondsleitung nach
Art. 22 AFG
bezieht sich auf einzelne Geschäftsvorfälle abgelaufener Jahre oder auf die Grundlagen für die Berechnung des Ausgabe- und Rücknahmepreises der Anteilscheine, betrifft also nur das Vermögen. Die Vorschrift ist, wie die Vorinstanz richtig bemerkt, eine einschränkende Sonderbestimmung gegenüber
Art. 400 OR
, der sonst angewendet werden müsste (
Art. 8 Abs. 3 AFG
). Entgegen
Art. 400 OR
kann der Anleger daher von der Fondsleitung nicht jederzeit Rechenschaft über ihre Geschäftsführung verlangen, soll aber, wie in der Botschaft des Bundesrates zum Entwurf des Gesetzes ausgeführt worden ist (BBl 1965 III 295/6), wenigstens nicht schlechter gestellt werden als ein Aktionär nach
Art. 697 OR
(vgl. JEANPRETRE, a.a.O. S. 290 N. 13).
Art. 704 OR
dagegen bezweckt den Schutz der Gläubiger einer Aktiengesellschaft. Es besteht kein Grund, diese Bestimmung nicht anzuwenden, wenn die Fondsleitung eine Aktiengesellschaft und die Schuldnerin des Anlegers ist.
4.
Der Entscheid der Justizdirektion, die das Gesuch des Beschwerdeführers zu Unrecht abgewiesen hat, ist daher aufzuheben.
BGE 99 Ib 436 S. 440
Sollte die X-AG sich weiterhin weigern, dem Begehren des Beschwerdeführers und der Aufforderung des Handelsregisteramtes vom 6. November 1972 zu entsprechen, so hat die Justizdirektion nach
Art. 85 Abs. 3 HRegV
vorzugehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid der Direktion der Justiz des Kantons Zürich vom 23. März 1973 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
01aedec5-a4e9-4e49-9720-5635f2902b31 | Urteilskopf
98 Ib 42
8. Auszug aus dem Urteil vom 11. Februar 1972 i.S. Montim Verwaltungsgesellschaft, Helene Wili-Franck und Mitbeteiligte gegen Eidg. Bankenkommission. | Regeste
Bundesgesetz über die Anlagefonds (AFG) und Vollziehungsverordnung (AFV); Auflösung eines den Anlagefonds ähnlichen Sondervermögens von Gesetzes wegen und Anordnung der Liquidation.
Auch ein Sondervermögen mit relativ kurzer Laufzeit der Investition kann unter
Art. 1 Abs. 2 AFG
und
Art. 5 Abs. 1 AFV
fallen; Gesetzmässigkeit des
Art. 5 Abs. 1 AFV
.
Einer Aktiengesellschaft, die das nach
Art. 3 AFG
auszuweisende Grundkapital nicht mehr in entsprechenden Aktiven besitzt, kann die Bewilligung zur Fondsleitung nicht erteilt werden.
Ob die Aufsichtsbehörde mit Rücksicht auf die besondere Natur eines Sondervermögens Abweichungen vom AFG - namentlich von den Art. 3 und 4 sowie 53 Abs. 4 - zulassen soll, ist Ermessensfrage (
Art. 5 Abs. 2 AFV
). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 98 Ib 42 S. 43
Die Montim Verwaltungsgesellschaft (nachfolgend "Montim") wurde am 8. Januar 1958 als Aktiengesellschaft mit einem voll einbezahlten Aktienkapital von Fr. 300 000.-- gegründet. Ursprünglicher Zweck der Gesellschaft war "die Gründung und Verwaltung von Investment-Trusts, insbesondere aber die Ausgabe von Trust-Zertifikaten in Verbindung mit kanadischen und schweizerischen Banken und Treuhandgesellschaften über Landparzellen in Greater Montreal (Canada)". Aufgrund einer Statutenänderung vom 19. Dezember 1969 bezweckt sie nunmehr generell die Verwaltung von Anlagefonds; jeder Hinweis auf die Anlagen in Kanada in den Statuten ist weggefallen. Am 10. Januar 1958 erliessen die Montim als Fondsleitung und die Investment Bank Zürich als Treuhänderin eine "Verwaltungsordnung des Montreal-Immobil-Anlagefonds für Grundbesitz in Montreal, Canada". Entsprechend dieser Verwaltungsordnung wurden zwischen dem März 1958 und dem 1. Mai 1959 fünf Serien von "Landzertifikaten - Certificats de Lot de Terrain" ausgegeben. Die Serien haben eine unterschiedliche deutlich aufgedruckte Laufdauer (1962 bis 1966) und einen unterschiedlichen Ausgabepreis ($2 bis 2.32 je m2). Die Liquidation des Fonds wird in den Ziffern 6 und 7 der Verwaltungsordnung im einzelnen geregelt.
Nach dem Inkrafttreten des AFG am 1. Februar 1967 meldeten sich die Montim als Fondsleitung und die Investment Bank Zürich als Depotbank bei der Eidg. Bankenkommission an (
Art. 55 AFG
). Am 29. Juni 1967 wurde das Aktienkapital der Montim auf Fr. 500 000.-- erhöht; die neu ausgegebenen Inhaberaktien wurden durch Verrechnung mit Forderungen der Aktionäre gegen die Gesellschaft liberiert. Die Eidg. Bankenkommission nahm mit Entscheid vom 29. Juni 1967 an, die in Montreal angelegten Vermögen der Zertifikatsinhaber seien kein Anlagefonds im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 AFG
, weil sie nicht nach dem Grundsatz der Risikoverteilung verwaltet würden; es handle sich vielmehr um den "Anlagefonds ähnliche Sondervermögen" im Sinne von
Art. 5 AFV
. In der Folge wurde die Verwaltungsordnung (Fondsreglement) gemäss
Art. 54 AFG
dem neuen Recht angepasst.
BGE 98 Ib 42 S. 44
Am 1. April 1968 richtete die Eidg. Bankenkommission ein Zirkular an die Fondsleitungen, in dem sie darauf hinwies, dass die Erleichterungen der Übergangszeit nach dem Inkrafttreten des AFG teils am 31. Januar 1969, teils am 31. Januar 1970 dahinfallen (
Art. 53 und 54 AFG
). Alle Fondsleitungen müssten deshalb bis zu jenem Zeitpunkt die gesetzlichen Anforderungen gemäss
Art. 3 und 4 AFG
(Organisation, Mindestkapital, eigene Mittel) voll erfüllen. Sämtliche provisorischen Bewilligungen zur Fondsleitung würden am 31. Januar 1970 dahinfallen. Die Fondsleitungen hätten deshalb vor diesem Datum um eine definitive Bewilligung nachzusuchen. Am 5. November 1969 schrieb die Eidg. Bankenkommission der Montim, sie werde in den ersten Tagen des Monats Februar 1970 festzustellen haben, ob die Adressatin bis Freitag, den 30. Januar 1970, hinsichtlich Gegenstand und Zweck der Gesellschaft, Grundkapital und eigene Mittel sich den Vorschriften des AFG angepasst habe, ob ihr demzufolge die definitive Bewilligung zur Leitung von Anlagefonds erteilt werden könne, oder ob - bei negativer Feststellung - die von ihr verwalteten Anlagefonds von Gesetzes wegen aufgelöst und deshalb ohne Verzug von ihr zu liquidieren seien (
Art. 53 Abs. 4 AFG
). Gleichzeitig wurde die Montim aufgefordert, innert dieser nicht mehr erstreckbaren Frist neben einem Handelsregisterauszug, einer Jahresbilanz oder Zwischenbilanz gemäss
Art. 9 AFV
und einem Revisionsbericht eine "begründete Erklärung" beizubringen, dass nach ihrer Ansicht die Voraussetzungen für die Erteilung der definitiven Betriebsbewilligung erfüllt seien. Daraufhin erhöhte die Montim an einer ausserordentlichen Generalversammlung vom 30. Januar 1970 ihr Grundkapital von Fr. 500 000.-- auf Fr. 1000 000.-- durch einfache Erhöhung des Nennwertes der 1000 Aktien ohne Kapitaleinzahlung und ersuchte am 31. Januar 1970 um die definitive Erteilung der Bewilligung zur Fondsleitung.
Mit Verfügung vom 4. März 1970 stellte die Eidg. Bankenkommission (Kammer für Anlagefonds) fest, dass die Montim den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge, da sie ihre eigenen Mittel nicht innert gesetzlicher Frist dem AFG angepasst habe. Sie verweigerte ihr daher die nachgesuchte Bewilligung und stellte fest, dass demzufolge die anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen Montreal-Immobil Serien I-V aufgelöst seien und dass die Montim verpflichtet werde, diese Sondervermögen
BGE 98 Ib 42 S. 45
ohne Verzug zu liquidieren. Diesen Entscheid fochten sowohl die Montim als auch Frau Helene Wili-Franck und die Dellanonna Stiftung, Zug, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Sie verlangten die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Das Bundesgericht hob mit Urteil vom 19. Februar 1971 (
BGE 97 I 91
) den Entscheid der Eidg. Bankenkommission wegen formeller Rechtsverweigerung auf.
Am 6. Juli 1971 fällte die Eidg. Bankenkommission einen neuen Entscheid, der sich inhaltlich weitgehend mit dem früheren deckt. Gegen diesen Entscheid erheben die Montim sowie zahlreiche Anleger Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Montim nimmt im wesentlichen ihre früheren Argumente wieder auf. Sie beantragt, es sei ihr die Bewilligung zur Leitung der Montim Anlagefonds definitiv zu erteilen; eventuell sei ihr eine Nachfrist von 30 Tagen anzusetzen, um die gesetzlichen Bedingungen zu erfüllen, die das Bundesgericht aufstellen werde, und festzuhalten, dass es nur dann zur Auflösung der Sondervermögen kommen müsse, wenn dieser Termin nicht innegehalten werde. Die Anleger verlangen, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und festzustellen, dass das AFG nicht auf die Montreal-Immobil Serien I-V beziehungsweise die Montim-Verwaltungsgesellschaft anwendbar ist; eventuell sei die Sache an die Eidg. Bankenkommission zu neuer Beurteilung zurückzuweisen mit der Weisung, in Anwendung von
Art. 5 Abs. 2 AFV
die nachgesuchte Bewilligung zur Führung der Geschäfte eines Anlagefonds im Sinne von
Art. 3 Abs. 1 AFG
zu erteilen; im Falle der Gutheissung der Beschwerde sei das Urteil im Schweizerischen Handelsamtsblatt zu publizieren.
Die Eidg. Bankenkommission beantragt die Abweisung der Beschwerden, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 53 Abs. 4 AFG
bestimmt:
"Erfüllt die Fondsleitung oder die Depotbank bis zum Ablauf der Anpassungsfrist nicht die Vorschriften dieses Gesetzes über ihre Organisation und die eigenen Mittel, so sind ihre Anlagefonds von Gesetzes wegen aufgelöst und von ihnen ohne Verzug zu liquidieren."
Die Beschwerde richtet sich dagegen, dass die Eidg. Bankenkommission diese Bestimmung auf die Montim angewandt und
BGE 98 Ib 42 S. 46
sich geweigert hat, einen Aufschub der Liquidation der Sondervermögen zu bewilligen. Sowohl die Leitung der Montim als auch eine Anzahl Anleger bestreiten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt und dementsprechend die von der Montim verwalteten Sondervermögen aufzulösen seien. Sie machen geltend, die unverzügliche Liquidation liege keineswegs im Interesse der Anleger. Der Schutzverband für Wertpapier- und Investmentsparen schliesst sich mit seiner Eingabe den Begehren der Montim an.
2.
(Prozessuales.)
3.
Die Beschwerdeführer und die Eidg. Bankenkommission sind darüber einig, dass der Montreal-Immobil-Anlagefonds - trotz dieser Bezeichnung auf den von der Montim ausgegebenen "Landzertifikaten" - kein Anlagefonds im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 Abs. 1 AFG
ist. Es fehlte von allem Anfang an das wesentliche Merkmal, dass das Vermögen "nach dem Grundsatz der Risikoverteilung" angelegt und verwaltet werden sollte. Streitig ist, ob es sich um ein "anlagefonds-ähnliches Sondervermögen" im Sinne von
Art. 1 Abs. 2 AFG
handelt. Derartige Sondervermögen sind vom Bundesrat in
Art. 5 Abs. 1 AFV
dem Gesetz unterstellt worden; doch kann die Aufsichtsbehörde mit Rücksicht auf die besondere Natur solcher Vermögen Abweichungen vom Gesetz und von der Verordnung zulassen (
Art. 5 Abs. 2 AFV
).
Nach
Art. 5 Abs. 1 AFV
liegt ein anlagefondsähnliches Sondervermögen vor, wenn das Vermögen vertragsgemäss nicht nach dem Grundsatz der Risikoverteilung angelegt wird, im übrigen aber der Definition des
Art. 2 Abs. 1 AFG
entspricht. Es muss sich mithin um ein Vermögen handeln, das auf Grund öffentlicher Werbung von den Anlegern zum Zwecke der gemeinschaftlichen Kapitalanlage aufgebracht und von der Fondsleitung für Rechnung der Anleger verwaltet wird. Dieser Umschreibung entspricht das Vermögen des Montreal-Immobil-Fonds. Die Eidg. Bankenkommission hat dementsprechend bereits in ihrem nicht angefochtenen Entscheid vom 29. Juni 1967 die Montim und die von ihr verwalteten Sondervermögen dem AFG unterworfen. Dies schliesst nun freilich nicht aus, dass jedenfalls die Anleger im vorliegenden Verfahren die Frage des Geltungsbereiches des AFG erneut aufwerfen können. Sie bestreiten dessen Anwendbarkeit unter Hinweis auf die Expertise von Prof. Willeke und mit der Begründung, es fehle das
BGE 98 Ib 42 S. 47
Element der gemeinschaftlichen Kapitalanlage. Den Anlegern sei bewusst gewesen, dass sie sich an einem einmaligen kollektiven Preisdifferenzgeschäft beteiligten, an einer einmaligen kollektiven Spekulation.
Richtig ist, dass in anderen Gebieten des Bundesrechts Spekulation und Kapitalanlage unterschieden werden (vgl.
Art. 19 EGG
;
BGE 83 I 313
). Kollektive Kapitalanlagen und kollektive Spekulationen bzw. kollektive Preisdifferenzgeschäfte sind jedoch keine Gegensätze; diese sind lediglich Spezialfälle der ersten, wobei das Hauptgewicht auf dem kollektiven Element der Geschäfte liegt. Jede Spekulation - über Börsentermingeschäfte hinaus - verlangt eine Investition von Mitteln, eine Kapitalanlage; nur hofft der Anleger, sein Geld bloss relativ kurzfristig investieren zu müssen. Der Umstand, dass den Anlegern des Montreal-Immobil-Fonds eine relativ kurze "Laufzeit der Investition" in Aussicht gestellt wurde, schliesst somit keineswegs das Bestehen einer kollektiven Kapitalanlage aufgrund öffentlicher Werbung aus. Hinzukommt, dass nach dem nunmehr geltenden Fondsreglement der Serien I-III die Dauer des Fonds völlig unbestimmt ist. Die in Frage stehenden Sondervermögen fallen demnach unter die Bestimmungen der
Art. 1 Abs. 2 AFG
und
Art. 5 Abs. 1 AFV
.
Fehl geht das Argument der Montim, der Bundesrat habe in
Art. 5 Abs. 1 AFV
die ihm durch
Art. 1 Abs. 1 AFG
eingeräumte Kompetenz überschritten; die "anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen" fielen nur dann unter das Gesetz, wenn sie nach dem Grundsatz der Risikoverteilung verwaltet würden. Der Begriff "den Anlagefonds ähnliche Sondervermögen" des
Art. 1 Abs. 2 AFG
ist nämlich ein unbestimmter Rechtsbegriff. Der Bundesrat musste ihn im Hinblick auf die Zielsetzungen des AFG als Schutzgesetz auslegen (vgl. A. METZGER, Die Stellung des Sachwalters nach dem AFG, Diss. Zürich 1971, S. 2; H.-J. HÄFLIGER, Die Auflösung des Kollektivanlagevertrages, Diss. Zürich 1969, S. 11 f.). Wenn der Bundesrat annahm, Sondervermögen, bei deren Anlage nicht auf die Risikoverteilung gesehen werde, die im übrigen aber der Definition des
Art. 1 Abs. 2 AFG
entsprächen, seien den Anlagefonds ähnlich, hielt er sich im Rahmen einer durchaus vertretbaren Auslegung des
Art. 1 Abs. 2 AFG
. Denn auch die durch öffentliche Werbung gewonnenen Anleger solcher Sondervermögen bedürfen des polizeilichen Schutzes, selbst wenn diese Sondervermögen
BGE 98 Ib 42 S. 48
nicht "Anlagefonds" genannt werden dürfen (
Art. 2 Abs. 2 AFG
;
BGE 93 I 480
; Urteil vom 6. März 1970 i.S. Ring Hotel Verwaltungs-AG; auch Botschaft zum AFG, BBl 1965 III 315).
4.
Um die Bewilligung zur Weiterführung der Fondsleitung zu erhalten, muss die Montim nach den massgeblichen Bestimmungen des AFG drei Bedingungen erfüllen: Der ausschliessliche Zweck der Montim hat die Leitung von Anlagefonds zu sein (
Art. 3 Abs. 2 AFG
); ferner hat sie ein mindestens zur Hälfte einbezahltes Grundkapital von 1 Mio Franken aufzuweisen (
Art. 3 Abs. 3 AFG
); schliesslich müssen die eigenen Mittel der Fondsleitung - nach Abzug des Betrages, der in Anteilscheinen angelegt ist, welche die Fondsleitung selbst ausgegeben hat - mindestens 1% des Anlagefondsvermögens erreichen (
Art. 4 AFG
und
Art. 7 AFV
). Die Montim erfüllt unbestrittenerwassen die erste der drei Bedingungen. Zu prüfen ist, wie weit die Leitung der Sondervermögen das einbezahlte Grundkapital in eigenen Anteilscheinen anlegen darf und ob der Anspruch auf Bewilligungserteilung auch dann noch besteht, wenn zwar in der Vergangenheit das minimale Grundkapital einbezahlt wurde, dieses aber im Zeitpunkt der Anmeldung nicht mehr vollumfänglich vorhanden ist.
Nach
Art. 4 Abs. 2 AFG
darf die Fondsleitung die vorgeschriebenen eigenen Mittel nicht in Anteilscheinen anlegen, die sie selber ausgegeben hat. Die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung zeigt, dass sich der Gesetzgeber der grossen Bedeutung eines vollgedeckten, nicht in Anteilscheinen angelegten Grundkapitals als Garantiekapital für die Anleger bewusst war (vgl. StenBull 1966 StR, S. 157 ff.). Aus seinen Beratungen muss der Schluss gezogen werden, dass die "vorgeschriebenen eigenen Mittel", die nicht in eigenen Anteilscheinen angelegt werden dürfen, durch zwei Mindestgrenzen bestimmt werden: einerseits müssen sie das vorgeschriebene Grundkapital decken, anderseits müssen sie mindestens 1% des Anlagevermögens erreichen. Nimmt man mit den Beschwerdeführern an, die eigenen, nicht in Anteilscheinen angelegten Mittel der Leitung der Montim erreichten Fr. 169 187.65 (Fr. 500 000.-- abzüglich Verlustvortrag Fr. 195 470.70 und Wert eigener Anteilscheine Fr. 135 341.65), so erreichen sie zwar 1% des Fondsvermögens; sie decken jedoch keineswegs das einbezahlte Mindest-Stammkapital, das nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nicht einmal kurzfristig in Anteilscheinen soll angelegt werden können
BGE 98 Ib 42 S. 49
(
Art. 4 Abs. 2 AFG
). Eine derartige Anlage von eigenen Mitteln in eigenen Anteilscheinen wäre nur zulässig, wenn die Gesellschaft über Reserven oder über ein durch Aktien gedecktes, das vorgeschriebene Mindestkapital übersteigendes Grundkapital verfügen würde.
Da der Gesetzgeber nicht gestatten wollte, dass das gesetzliche Mindestkapital in eigenen Anteilscheinen angelegt werden kann, so folgt daraus a fortiori, dass es nicht angeht, einer Aktiengesellschaft eine Bewilligung zur Fondsleitung zu erteilen, die das nach
Art. 3 AFG
auszuweisende Grundkapital gar nicht mehr in entsprechenden Aktiven besitzt, sondern es teilweise verloren hat. Der blosse Umstand, dass die Aktionäre in der Vergangenheit ein bestimmtes Aktienkapital einbezahlt haben, das als solches in den Statuten und im Handelsregister ausgewiesen ist, bedeutet noch keinerlei Garantie für die Anleger. Die Montim hätte deshalb die Bewilligung zur Fondsleitung nur erhalten können, wenn sie per 31. Januar 1970 ein einbezahltes Aktienkapital von Fr. 500 000.-- ausgewiesen hätte, das voll durch richtig bewertete Aktiven - und zwar andere als eigene Anteilscheine - gedeckt gewesen wäre. Dies hat sie nicht getan. Die Eidg. Bankenkommission hat ihr deshalb zu Recht die definitive Bewilligung zur Fondsleitung nicht erteilt.
Gleichzeitig mit der Unterstellung der anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen unter das AFG hat der Bundesrat der Aufsichtsbehörde die Kompetenz eingeräumt, "mit Rücksicht auf die besondere Natur solcher Vermögen" Abweichungen vom Gesetz und von der Verordnung zuzulassen (
Art. 5 Abs. 2 AFV
). Welche Abweichungen zugelassen werden sollen, liegt im Ermessen der Eidg. Bankenkommission. Diese weist darauf hin, dass der Montim bei der Genehmigung des Fondsreglementes solche Abweichungen zugestanden wurden, hält jedoch dafür, es rechtfertige sich nicht, bei derartigen Sondervermögen ohne Risikoverteilung die gesetzlichen Anforderungen an die Verwalter (
Art. 3 und 4 AFG
) zu mildern. Dem ist beizupflichten. Die in den
Art. 3 und 4 AFG
geforderten kapitalmässigen Bedingungen (Grundkapital und eigene Mittel) sind Voraussetzungen für die Geschäftstätigkeit der Fondsleitung (
Art. 44 AFG
). Sie bezwecken, den Anlegern einen gewissen Schutz zu bieten, wenn die Fondsleitung ihre Pflichten verletzt und wenn Schadenersatzansprüche gegen die Fondsleitung geltend gemacht werden müssen. Es gelingt nämlich unter Umständen im Zeitpunkt
BGE 98 Ib 42 S. 50
der Gefährdung der Rechte der Anleger nicht mehr, von der Fondsleitung oder der Depotbank Sicherstellungen in ausreichender Höhe zu verlangen, auch wenn sie von der Aufsichtsbehörde verfügt werden (
Art. 43 Abs. 2 AFG
;
BGE 96 I 81
; auch METZGER, S. 40 und 43 ff.). Wenn die Eidg. Bankenkommission hinsichtlich der Vorschriften der
Art. 3 und 4 AFG
die gleichen Anforderungen an die Montim stellte wie an die Leiter von Anlagefonds, kann ihr weder Ermessensüberschreitung noch Ermessensmissbrauch vorgeworfen werden.
5.
Hat die Eidg. Bankenkommission der Montim zu Recht die definitive Bewilligung zur Leitung der anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen verweigert, so treten die Rechtswirkungen des
Art. 53 Abs. 4 AFG
ein: Die Sondervermögen sind von Gesetzes wegen aufgelöst und die Leitung ist verpflichtet, dieselben "unverzüglich" zu liquidieren, sofern die Eidg. Bankenkommission diesbezüglich nicht gestützt auf
Art. 5 Abs. 2 AFV
eine Ausnahmebewilligung gewährt. Sowohl die Montim als auch die beschwerdeführenden Anleger stellen gestützt auf
Art. 5 Abs. 2 AFV
den Eventualantrag, es sei der Vermögensleitung eine 30tägige Frist anzusetzen, um die gesetzlichen Bedingungen, wie sie vom Bundesgericht umschrieben werden, zu erfüllen - mit der Wirkung, dass bei Wahrung der Nachfrist die Sondervermögen nicht aufgelöst werden müssen.
Der Gesetzgeber wollte mit den Übergangsbestimmungen des AFG, namentlich mit Art. 53 Abs. 4, klare Verhältnisse schaffen. Alle Leitungen von Anlagefonds und anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen hatten hinreichend Zeit, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welche Bedingungen sie hinsichtlich Organisation und eigener Mittel (
Art. 3 und 4 AFG
) zu erfüllen hatten, um die definitive Bewilligung zu erhalten. Die Montim wusste spätestens aufgrund des Schreibens vom 5. November 1969, was von ihr erwartet wurde. Wenn sie glaubte, die Eidg. Bankenkommission lege das AFG falsch aus, hätte sie sofort eine Feststellungsverfügung (Art. 25 VwG) verlangen und dieselbe fristgerecht beim Bundesgericht anfechten können. Dies hat sie nicht getan; vielmehr hat sie bis zum letzten Tag vor Fristablauf gewartet, um eine beschränkte, aber völlig ungenügende Anpassung ihrer eigenen Mittel an das neue Recht vorzunehmen. Sie befand sich diesbezüglich in keiner anderen Lage als irgendeine Leitung eines Anlagefonds, die ihre Organisation und ihre eigenen Mittel dem neuen Recht anpassen musste.
BGE 98 Ib 42 S. 51
Es bestand demnach auch kein Anlass, der Montim wegen der besonderen Natur des von ihr verwalteten Sondervermögens eine Ausnahme zuzugestehen. Weil die Leitung der Montim die Anpassungsfrist versäumt hatte, musste die Eidg. Bankenkommission feststellen, dass die anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes aufgelöst sind und liquidiert werden müssen. Freilich deutet das Eventualbegehren der Montim darauf hin, dass sie sich im Falle der Ansetzung einer Nachfrist bemühen würde, ihre eigenen Mittel den Vorschriften des Gesetzes anzupassen, um ihre Tätigkeit weiterführen zu können. Das vermag ihr jedoch nicht zu helfen. Es bestand für die Eidg. Bankenkommission keine Rechtspflicht, eine Nachfrist zu gewähren, ja es ist überhaupt fraglich, ob eine Fristerstreckung zulässig gewesen wäre. Die Eidg. Bankenkommission durfte überdies insbesondere mit in Betracht ziehen, dass nach den ursprünglichen Vertragsbedingungen in den "Landzertifikaten" die Transaktion längst hätte abgeschlossen sein sollen. Die Überführung der Sondervermögen in das Liquidationsstadium entspricht deshalb durchaus der ursprünglichen Zwecksetzung der kollektiven Kapitalanlage.
Es kann sich demnach lediglich fragen, ob die Eidg. Bankenkommission ihr Ermessen insofern über-, unterschritten oder missbraucht hat, als sie in Anwendung von
Art. 53 Abs. 4 AFG
die unverzügliche Liquidation der Sondervermögen verlangt und eine diesbezügliche Ausnahmebehandlung der Montim nach
Art. 5 Abs. 2 AFV
verweigert. Diese Frage ist zu verneinen.
Mit der Auflösung der Sondervermögen "von Gesetzes wegen" ist nur deren Liquidation rechtlich eingeleitet; die bisherige provisorische Vermögensleitung wird Liquidator; sie erhält einen neuen, vom bisherigen Fondsreglement gegebenenfalls abweichenden Auftrag. Bei den gewöhnlichen Anlagefonds geht der Gesetzgeber davon aus, es liege im Interesse der Anleger, wenn die Sondervermögen unverzüglich liquidiert werden, damit es möglichst bald zur Verteilung des Liquidationsergebnisses nach
Art. 30 Abs. 2 AFG
kommt. Diese Vermutung des Gesetzgebers trifft im allgemeinen zu; dies deshalb, weil die gewöhnlichen Anlagefonds nach dem Prinzip der Risikoverteilung angelegt sind, so dass in der Regel ein Zuwarten mit der Auflösung die Stellung der Anleger nicht verbessern wird. Wenn jedoch die Mittel eines anlagefonds-ähnlichen Sondervermögens in
BGE 98 Ib 42 S. 52
einem einzigen grossen Vermögensobjekt, insbesondere in einer einheitlichen grossen Landparzelle investiert sind, kann gegebenenfalls die unverzügliche Veräusserung an Dritte nur mit grossen Verlusten für die Anleger vorgenommen werden, während bei einem gewissen Zuwarten ein wesentlich besseres Ergebnis erhofft werden kann. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist Ermessensfrage. Die Eidg. Bankenkommission geht daher, wenn sie die Gewährung einer Ausnahmebewilligung im vorliegenden Fall verweigert, zu Recht davon aus, dass es ihrem Ermessen anheimgestellt ist, wann sie gestützt auf die Kannvorschrift des
Art. 5 Abs. 2 AFV
eine Ausnahme vom Gesetz zulassen will. Sie hat im angefochtenen Entscheid im einzelnen dargelegt, wann die Statuierung einer Ausnahme vom Gebot der unverzüglichen Liquidation rechtlich möglich ist und praktisch gerechtfertigt erscheint. Anhand dieser Kriterien hat sie begründet, warum sie im vorliegenden Fall ein Abweichen von der Regel des
Art. 53 Abs. 4 AFG
verweigert. Ihre Begründung hält stich; namentlich kann ihr, wenn sie sich dabei mehr von rechtlichen denn von weniger bestimmten wirtschaftlichen Überlegungen leiten liess, nicht vorgeworfen werden, sie habe von der Möglichkeit der Wahl zwischen sachlich gerechtfertigten Zwecken keinen pflichtgemässen Gebrauch gemacht. Anderseits ist den Akten hinsichtlich der Zukunftsaussichten für die Verwertung des Landbesitzes in Greater Montreal nichts Sicheres zu entnehmen; es wird aus ihnen vielmehr ersichtlich, dass der Grund für das angeblich zu erwartende schlechte Liquidationsergebnis nicht so sehr in der besonderen Struktur dieser anlagefonds-ähnlichen Sondervermögen zu suchen ist, sondern in der mangelnden Qualität der kollektiven Kapitalanlage. Die Dauer der einzelnen Zertifikatsserien ist denn auch längst schon abgelaufen. Mit der blossen Behauptung, dass ein unverzüglicher Verkauf des gesamten Landkomplexes zu Tagespreisen keineswegs die zweckmässigste Form der Auflösung der Sondervermögen darstellte, vermögen die Beschwerdeführer daher gegen den Ermessensentscheid der Eidg. Bankenkommission nicht durchzudringen.
6.
...
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerden werden abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
01aee3d6-cb7a-4bd6-825f-f1acfed60b33 | Urteilskopf
102 V 10
4. Extrait de l'arrêt du 10 mars 1976 dans la cause Caisse d'assurance et de réassurance de la Fédération des sociétés de secours mutuels de la Suisse romande contre Germanier et Cour de justice civile du canton de Genève | Regeste
Art. 27 KUVG
. Begriff der Rückversicherung in der Krankenversicherung.
Art. 30 KUVG
, 103 lit. a OG. Berechtigung des Mitgliedes einer rückversicherten Kasse, eine Verfügung der Rückversicherungskasse anzufechten. | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 102 V 10 S. 10
Résumé des faits:
A.-
Anna Germanier, née en 1929, domiciliée à Genève, est membre depuis une dizaine d'années de la Caisse-maladie
BGE 102 V 10 S. 11
Hispano-Oerlikon-Verntissa (HOV), caisse reconnue ayant un siège à Genève. Celle-ci assure la prénommée pour les soins médicaux et pour une indemnité journalière. La caisse HOV est elle-même membre de la Caisse d'assurance et de réassurance de la Fédération des sociétés de secours mutuels de la Suisse romande (CAR), société coopérative de réassurance avec siège à Genève également.
Le 20 octobre 1973, Anna Germanier signa à l'intention de la CAR une formule de demande d'admission à des assurances complémentaires, pour les cas de maladie seulement. La CAR l'admit sans réserve. Toutes les opérations en relation avec ces assurances complémentaires s'effectuent par l'intermédiaire de la caisse primaire (de la procédure d'admission au versement des prestations, en passant par l'encaissement des cotisations).
Le 13 mars 1974, Anna Germanier consulta le Dr S., chirurgien.
Après avoir pris l'avis de son médecin-conseil, la CAR écrivit le 14 juin 1974 à la caisse HOV qu'elle ne pouvait prendre en charge le traitement parce que l'affection existait avant la conclusion des assurances complémentaires. Elle rendit le 12 mars 1975 une décision formelle de refus, qu'elle notifia à la caisse HOV, avec copie "à Mme Germanier pour son orientation".
B.-
Anna Germanier recourut contre cet acte administratif.
La Cour de justice civile du canton de Genève lui donna gain de cause le 9 mai 1975.
C.-
La CAR a formé en temps utile un recours de droit administratif contre le jugement cantonal. Elle conclut au rétablissement de la décision litigieuse.
L'intimée conclut au rejet du recours.
Dans son préavis, l'Office fédéral des assurances sociales propose principalement d'annuler le jugement rendu par la Cour de justice civile, qui selon lui n'aurait pas dû entrer en matière. Subsidiairement, il conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Suivant l'art. 30 LAMA, lorsque l'assuré ou le candidat n'accepte pas une décision de la caisse, celle-ci doit la lui
BGE 102 V 10 S. 12
communiquer par écrit dans les trente jours, avec indication des motifs, ainsi que des voies et du délai de recours (al. 1). Recours peut être formé contre cette décision, dans les trente jours dès sa communication, auprès du tribunal des assurances prévu à l'art. 30bis al. 1 LAMA (al. 2).
Selon cet art. 30bis al. 1, les cantons désignent un tribunal des assurances dont la juridiction s'étend à tout le canton pour connaître, en instance unique sur le plan cantonal, des contestations des caisses entre elles ou avec leurs assurés ou des tiers qui concernent des droits que les parties font valoir en se fondant sur la LAMA, les dispositions d'exécution fédérales ou cantonales ou les dispositions établies par les caisses.
Les caisses dont il est question ci-dessus sont au premier chef les caisses-maladie reconnues qui pratiquent l'assurance directe. Mais il s'agit aussi des fédérations de caisses visées par l'art. 27 al. 1 LAMA (cf. p.ex. RO 99 V 78 et 129, RJAM 1970 No 59 p. 17).
2.
En l'espèce, la décision litigieuse de la CAR a été adressée à la caisse HOV. La première était habilitée à procéder ainsi (RO 99 V 78). C'est la caisse réassurée qui en principe aurait donc eu qualité pour attaquer cet acte administratif, comme le relève l'Office fédéral des assurances sociales. Or ce n'est pas elle qui a saisi le tribunal cantonal, mais son assurée. On pourrait donc être tenté d'admettre que les premiers juges n'auraient pas dû entrer en matière sur le recours. Toutefois, selon l'art. 103 lit. a OJ, a qualité pour recourir auprès du Tribunal fédéral des assurances (cf. art. 132 OJ) quiconque est atteint par la décision administrative et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée, le droit de recourir à la juridiction suprême impliquant celui de saisir la juridiction inférieure (cf. p.ex. RO 101 V 120, RO 99 V 165 consid. 1, 98 V 54 consid. 1). Or, si l'on ne peut affirmer de manière générale qu'en tout état de cause un membre d'une caisse réassurée soit atteint par le refus de l'organe de réassurance de fournir ses prestations à l'institution primaire d'assurance, cette condition est réalisée en l'occurrence: la caisse HOV ne joue qu'un rôle d'intermédiaire, pour les prestations en cause. S'agissant des assurances complémentaires en question, le statut de l'intimée est donc très proche de celui d'un assuré direct, et l'on peut même se demander si l'on doit encore parler de réassurance dans son
BGE 102 V 10 S. 13
cas, malgré la terminologie des règlements de la CAR. On serait donc en droit de penser que cette institution ne remplit pas la condition imposée par l'art. 27 al. 1 LAMA aux fédérations de caisses qui veulent être reconnues par l'autorité de surveillance, à savoir de pratiquer exclusivement la réassurance. Quoi qu'il en soit, il n'appartient pas au Tribunal fédéral des assurances de statuer d'office sur le mérite d'une reconnaissance que personne n'a attaquée. Au surplus, la notion de réassurance pourrait être comprise largement en matière d'assurances sociales et couvrir l'opération qui, pour une fédération, consiste à assurer à titre complémentaire des personnes qui ont conclu une assurance de base (art. 12 al. 1 LAMA) auprès d'une caisse-maladie réassurée, en traitant avec l'assuré dans des conditions telles que la caisse-maladie joue un rôle d'intermédiaire seulement.
En conséquence, dans les présentes circonstances, la Cour de justice était en droit d'accueillir le recours de dame Germanier... | null | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
01b7bfd3-4f7c-48be-857f-65a2a36ccc80 | Urteilskopf
83 I 16
4. Urteil vom 27. März 1957 i.S. Grundul gegen Bryner & Co. GmbH und Richteramt III Bern. | Regeste
Art. 84 Abs. 1 lit. c O G,
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
. Das Bundesgericht prüft die Anwendung von Staatsverträgen mit dem Ausland frei (Erw. 1); es berücksichtigt dabei auch neue tatsächliche und rechtliche Vorbringen (Erw. 2).
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. Wer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens? (Erw. 3). Wann sind Flüchtlinge von der cautio judicatum solvi befreit? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 83 I 16 S. 16
A.-
Julius Grundul wurde 1889 in den baltischen Provinzen des Russischen Reichs auf dem Gebiet des nachmaligen Lettland geboren. 1913 wanderte er nach China aus, wo er Beamter des Marinezollamts in Tien-Tsin wurde.
BGE 83 I 16 S. 17
Mit der Gründung der Republik Lettland im Jahre 1918 erlangte er die lettische Staatsangehörigkeit. 1940 wurde Lettland durch die URSS besetzt. Kurz bevor die Kommunisten im Jahre 1947 in Tien-Tsin an die Macht kamen, trat Grundul von seinem Amt zurück. Seinen Plan, nach USA auszureisen, konnte er indes nicht mehr verwirklichen. In der Folge wurde er von der Zweigstelle Shanghai der "IRO" (International Refugee Organization, Internationale Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen) als "bona-fide refugee" registriert und mit den erforderlichen Ausweisen ausgestattet. Auf Empfehlung dieser Organisation wurde er Anfangs 1955 in Norwegen aufgenommen, wo er seither in einem Flüchtlingsheim lebt.
B.-
Am 11. Oktober 1956 erhob Grundul beim Richteramt III in Bern gegen die Firma Bryner & Co. GmbH Klage auf Bezahlung von Fr. 5504.--.
Vor Einreichung einer Antwort beantragte die Beklagte, der Kläger sei zur Sicherstellung der Prozesskosten zu verpflichten, da er keinen Wohnsitz in der Schweiz habe und sich als Staatenloser nicht darauf berufen könne, dass sein Wohnsitzstaat Norwegen der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 angehöre. In seiner Vernehmlassung wiedersetzte sich der Kläger diesem Begehren. Er machte geltend, lettische Staatsangehörige, welche die Sowjetunion verlassen hätten, seien als Flüchtlinge zu betrachten. Als Flüchtling habe er gemäss Art. 16 Ziff. 3 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (im Folgenden Genfer Abkommen genannt) in Verbindung mit Art. 17 der Haager Übereinkunft keine Prozesskostensicherheit zu leisten. In ihren Gegenbemerkungen wandte die Beklagte demgegenüber ein, der Kläger habe Norwegen in der Klageschrift als seine "Heimat" bezeichnet, was darauf schliessen lasse, dass er schon zur Zeit seiner Tätigkeit im Fernen Osten in jenem Land Wohnsitz gehabt habe. Ein Staatenloser sei jedoch nur dann als Flüchtling im Sinne des Genfer Abkommens zu betrachten, wenn er sich ausserhalb des Landes,
BGE 83 I 16 S. 18
in dem er früher Wohnsitz gehabt habe, aufhalte und in dieses nicht mehr zurückkehren könne oder infolge begründeter Befürchtungen nicht zurückkehren wolle. Das treffe auf den Kläger, der schon vor dem Umsturz in China seinen Wohnsitz in Norwegen gehabt haben müsse, nicht zu.
Das Richteramt III schloss sich der Auffassung der Beklagten an. Gestützt auf Art. 70 Ziff. 1 der bernischen ZPO setzte es dem Kläger mit Verfügung vom 9. Januar 1957 eine Frist von zwanzig Tagen an, um den Betrag von Fr. 1000.-- als Prozesskostensicherheit beim Gericht zu hinterlegen. Für den Unterlassungsfall drohte es ihm die kostenfällige Rückweisung der Klage (
Art. 76 ZPO
) an.
C.-
Mit Eingabe vom 25. Januar 1957 führt Grundul staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Er beantragt, die Kostensicherungsauflage sei aufzuheben. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, ob Lettland trotz der Besetzung durch die Sowjetunion als selbständiges Staatswesen bestehe und weiterhin an der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht teilhabe, und ob er, Grundul, die lettische Staatsangehörigkeit (auf die er nie verzichtet habe und die ihm auch nicht durch individuellen Hoheitsakt entzogen worden sei) noch besitze, könne offen bleiben, da er jedenfalls als Flüchtling auf Grund des Genfer Abkommens Anspruch auf Befreiung von der Kostensicherungspflicht habe. Die Voraussetzungen, unter denen eine Person nach Art. 1 lit. A dieses Abkommens als Flüchtling gilt, erfülle er in zweifacher Hinsicht. Einmal sei er nach der Verfassung der Internationalen Flüchtlingsorganisation als Flüchtling betrachtet worden. Sodann befinde er sich infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, ausserhalb seines (früheren) "Wohnsitzstaats". Entgegen der Annahme des Richteramts III habe er während der für die Bezeichnung des "Wohnsitzstaats" massgebenden Zeit in China Wohnsitz gehabt. Nach Norwegen sei er erst Anfangs 1955 gekommen. Dass dieses Land in der Klageschrift als seine "Heimat" bezeichnet wurde, beruhe auf
BGE 83 I 16 S. 19
einem Übersetzungsfehler. Da ihm das Richteramt III keine Gelegenheit geboten habe, zu den Gegenbemerkungen der Beklagten Stellung zu nehmen, habe er diesen Irrtum nicht berichtigen können.
D.-
Die Firma Bryner & Co. GmbH schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Sie macht geltend, es sei Sache des Klägers gewesen, rechtzeitig alle Beweismittel beizubringen, aus denen seine Flüchtlingseigenschaft hervorgehe. Wenn der Richter beim Entscheid dieser Frage mangels sonstiger Angaben auf die Ausführungen der Klageschrift abgestellt habe, so liege darin keine Willkür. Der Kläger habe im übrigen auch heute nicht dargetan, dass keine der Voraussetzungen gegeben seien, unter denen nach Art. 1 lit. C des Genfer Abkommens einer Person die Flüchtlingseigenschaft abzusprechen ist.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde begründet erklärt
Erwägungen
in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer bezeichnet die Beschwerde als solche wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Er erblickt eine formelle und materielle Rechtsverweigerung (Willkür) darin, dass die kantonale Instanz Art. 1 lit. A und Art. 16 Ziff. 3 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie mittelbar auch Art. 17 Abs. 1 und 2 der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht missachtet habe. Art. 1 lit. A des Genfer Abkommens umschreibt die Voraussetzungen, unter denen einer Person in den Vertragsstaaten und im Verkehr zwischen diesen der besondere Status eines Flüchtlings zuerkannt wird. Art. 16 Ziff. 3 dieses Abkommens und Art. 17 Abs. 1 und 2 der Haager Übereinkunft handeln von der Sicherstellung der Prozesskosten (cautio judicatum solvi). Die Verletzung derartiger staats- und völkerrechtlicher bzw. prozessrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen mit dem Ausland bildet nach
Art. 84 Abs. 1 lit. c OG
einen eigenen Beschwerdegrund. Das Bundesgericht hat die Anwendung solcher staatsvertraglicher Bestimmungen nicht nur unter dem beschränkten
BGE 83 I 16 S. 20
Gesichtswinkel der Willkür, sondern in tatsächlicher Hinsicht frei zu überprüfen (
BGE 81 I 142
Erw. 1,
BGE 82 I 245
Erw. 1 und dort angeführte Urteile). Der Rüge der Rechtsverweigerung kommt daneben keine selbständige Bedeutung zu.
2.
Beschwerden wegen Verletzung anderer als zivil- und strafrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen mit dem Ausland sind zulässig, bevor von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist (
Art. 86 Abs. 3 OG
;
BGE 82 I 82
und dortige Zitate). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 68 I 162
Erw. 2,
BGE 73 I 51
Erw. 2,
BGE 78 I 116
Erw. 6,
BGE 81 I 142
Erw. 1) sind in den Fällen, in denen der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu werden braucht, im bundesgerichtlichen Verfahren neue rechtliche und tatsächliche Vorbringen statthaft. Auf die in der Beschwerdeschrift erstmals aufgestellten Behauptungen und auf die vom Beschwerdeführer eingereichten neuen Beweismittel ist daher einzutreten.
3.
Dem am 28. Juli 1951 in Genf abgeschlossenen Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (AS 1955 S. 443 ff., ROLF 1955 S. 461 ff.) sind sowohl die Schweiz (vgl. Bundesbeschluss über die Genehmigung dieses Abkommens vom 14. Dezember 1954, AS 1955 S. 441) als auch Norwegen (vgl. AS 1955 S. 462) beigetreten. Gemäss Art. 1 lit. A Ziff. 1 Abs. 1 des Staatsvertrags ist Flüchtling im Sinne des Abkommens jede Person, die nach der Verfassung der Internationalen Flüchtlingsorganisation (oder nach bestimmten früheren Vereinbarungen) als Flüchtling betrachtet wurde ("has been considered a refugee under...the Constitution of the International Refugee Organization"; "a été considérée comme réfugiée... en application de la Constitution de l'Organisation internationale pour les réfugiés"). Ist einer Person von den zuständigen Organen der Internationalen Flüchtlingsorganisation die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, so ist dieser Entscheid auch für die Vertragsstaaten des Genfer Abkommens bindend. Eine Überprüfung der Verfügungen
BGE 83 I 16 S. 21
dieser Organisation haben sich die Vertragsstaaten nur für die Fälle vorbehalten, in denen einer Person die Flüchtlingseigenschaft von dieser Seite nicht zuerkannt worden war (vgl. Art. 1 lit. A Ziff. 1 Abs. 2 des Abkommens im englischen und französischen Originaltext, der in der deutschen Übersetzung, AS 1955 S. 444, ungenau wiedergegeben worden ist).
Wie aus dem von der "Philippines & Far East Mission" der "IRO" ausgestellten "Certificate of Travel" hervorgeht, wurde der Beschwerdeführer von der Internationalen Flüchtlingsorganisation als Flüchtling ("bona-fide refugee, eligible for IRO legal and political protection") anerkannt. Er ist somit nach Art. 1 lit. A Ziff. 1 Abs. 1 des genannten Staatsvertrags als Flüchtling im Sinne des Genfer Abkommens zu betrachten.
Der Beschwerdeführer kann im weiteren auch auf Grund von Art. 1 lit. A Ziff. 2 des Genfer Abkommens Anspruch auf die Zuerkennung der Rechtsstellung eines Flüchtlings erheben. Nach dieser Bestimmung gilt jede Person als Flüchtling, "die sich auf Grund von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ausserhalb ihres Heimatlandes (country of his nationality, pays dont elle a la nationalité) befindet und dessen Schutz nicht beanspruchen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht beanspruchen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse ausserhalb ihres Wohnsitzstaates befindet und dorthin nicht zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht zurückkehren will".
Der Ausdruck "Wohnsitzstaat", wie ihn die nicht mit Gesetzeskraft ausgestattete deutsche Übersetzung verwendet, führt zu einer Unsicherheit, die auch die kantonale Instanz zu unrichtigen Schlüssen veranlasst haben mag. Der englische und der französische Originaltext bringen demgegenüber mit der Umschreibung "outside the
BGE 83 I 16 S. 22
country of his former habitual residence", "hors du pays dans lequel elle avait sa résidence habituelle" klar zum Ausdruck, dass der Staatenlose, der als Flüchtling anerkannt werden will, sich ausserhalb des Staates befinden muss, in dem er seinen ordentlichen Wohnsitz hatte, bevor er "infolge solcher Ereignisse" ("as a result ofsuch events") anderwärts Zuflucht suchte.
Der Beschwerdeführer war von 1913 bis 1947 Beamter des Marinezollamts in Tien-Tsin. Alles spricht dafür, dass er während dieser Zeit und bis zu seiner Ausreise nach Europa dort Wohnsitz hatte. Nach der Besetzung des kontinentalen China durch die Streitkräfte der chinesischen Volksrepublik in den Jahren 1947/48 musste er wegen seiner politischen Überzeugung, bis zu einem gewissen Grade wohl auch wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, jenes Land verlassen. In sein Ursprungsland Lettland, das 1940 von den Sowjettruppen besetzt und als Lettische Sozialistische Sowjetrepublik in die Sowjetunion eingegliedert worden war, konnte er aus denselben Gründen nicht zurückkehren, wie er auch von dieser Seite keinen diplomatischen Schutz zu erwarten hat. Ob er, wie er geltend macht, heute noch die lettische Staatsangehörigkeit besitze, oder ob er als Staatenloser zu betrachten sei, kann bei dieser Sachlage offen bleiben. Im einen wie im andern Falle erfüllt er die Voraussetzungen, unter denen eine Person nach Art. 1 lit. A Ziff. 2 des Genfer Abkommens als Flüchtling zu gelten hat.
Die in Art. 1 lit. C Ziff. 1-6 des Abkommens genannten Umstände, unter denen ein Flüchtling nicht mehr des einem solchen zu gewährenden Schutzes teilhaftig wird, treffen auf den Beschwerdeführer offensichtlich nicht zu.
4.
Gemäss Art. 16 Ziff. 3 des Genfer Abkommens ist der Flüchtling in den Vertragsstaaten, in denen er nicht seinen ordentlichen Aufenthalt hat, hinsichtlich der Zulassung vor Gericht, des Armenrechts und der cautio judicatum solvi gleich zu behandeln wie ein Angehöriger des Landes, in dem er seinen ordentlichen Aufenthalt hat.
BGE 83 I 16 S. 23
Der Beschwerdeführer ist seit Anfangs 1955 im Vertragsstaate Norwegen niedergelassen. Er ist daher in der Schweiz wie ein norwegischer Staatsangehöriger zu behandeln.
Norwegen ist wie die Schweiz der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 (BS 12 S. 277 ff.) beigetreten. Nach Art. 17 Abs. 1 und 2 der Übereinkunft dürfen die Gerichte eines Vertragsstaates den Angehörigen eines anderen Vertragsstaates, der in einem Vertragsstaate seinen Wohnsitz hat, wegen seiner Eigenschaft als Ausländer oder deswegen, weil er keinen Wohnsitz oder Aufenhalt im Inland hat, nicht zur Sicherstellung der Prozesskosten verhalten. Diese Bestimmung ist, wie dargelegt, auch auf den Beschwerdeführer anwendbar (vgl. BBl. 1954 II S. 77).
Die kantonale Instanz hat dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 70 Ziff. 1 der bernischen ZPO mangels eines Wohnsitzes in der Schweiz zur Hinterlegung einer Prozesssicherheit Frist angesetzt. Dies war nach dem Gesagten unzulässig. Die angefochtene Verfügung ist daher aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
01cb4f6a-b70c-4d0c-a166-4c69ed119db2 | Urteilskopf
136 II 120
12. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_135/2009 vom 22. Januar 2010 | Regeste
Art. 8 in Verbindung mit
Art. 14 EMRK
;
Art. 8 und 190 BV
;
Art. 3 Anhang I FZA
;
Art. 42 AuG
;
Art. 17 Abs. 2 ANAG
; Teilfamiliennachzug zu einem eingebürgerten Schweizer ("Inländerdiskriminierung").
Zusammenfassung der Praxis zum Familiennachzug von Schweizer Bürgern nach
Art. 17 Abs. 2 ANAG
und zur Problematik der Inländerdiskriminierung (E. 2 und 3). Tragweite von
Art. 8 BV
(Rechtsgleichheitsgebot; E. 3.3.2) sowie von Art. 14 in Verbindung mit
Art. 8 EMRK
(akzessorisches Diskriminierungsverbot; E. 3.3.3) unter Berücksichtigung von
Art. 42 Abs. 2 AuG
. "Appellentscheid" im Rahmen von
Art. 190 BV
, den Familiennachzug von Schweizer Bürgern den neuen Verhältnissen im Bereich des FZA anzupassen (E. 3.5). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 136 II 120 S. 121
X. (geb. 1967) stammt ursprünglich aus Serbien. Er ist seit dem 6. Februar 1998 mit einer Schweizerin verheiratet. Am 1. Juli 2002 wurde er eingebürgert. X. hat drei Kinder aus erster Ehe, die über die serbische Staatsangehörigkeit verfügen. Anlässlich der Scheidung hatte das Gemeindegericht Bujanovac das Sorgerecht der Mutter zugesprochen; in der Folge lebten die Kinder bei dieser sowie den Grosseltern väterlicherseits. Am 21. September 2007 übertrug das Gemeindegericht das Sorgerecht auf X.
Am 6. Dezember 2006 ersuchte X. darum, seinen Kindern eine Einreisebewilligung zum Verbleib bei ihm zu erteilen, was die Sicherheitsdirektion (Migrationsamt) des Kantons Zürich am 23. August 2007 ablehnte, da keine stichhaltigen Gründe für eine Veränderung der bisherigen Betreuungsverhältnisse ersichtlich seien. Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich teilten diese Einschätzung am 2. Juli 2008 bzw. 21. Januar 2009.
Die Kinder von X. beantragen vor Bundesgericht, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und ihnen die Einreisebewilligung zum Verbleib bei ihrem Vater im Kanton Zürich zu erteilen,
BGE 136 II 120 S. 122
eventuell sei die Angelegenheit zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie machen geltend, ihre leibliche Mutter sei nicht mehr willens und wegen ihrer Wiederverheiratung auch nicht mehr in der Lage, sie zu betreuen; dasselbe gelte wegen des fortgeschrittenen Alters und des Gesundheitszustands für ihre Grosseltern. In der Abweisung ihres Gesuchs liege eine unzulässige Inländerdiskriminierung.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen. Das Bundesamt für Migration weist daraufhin, dass keine Diskriminierung eines schweizerischen Staatsangehörigen vorliege, da auch EU-Bürger ihre Familienangehörigen nur nachziehen könnten, wenn diese sich bereits vorher rechtmässig und dauerhaft im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten des Freizügigkeitsabkommens aufgehalten hätten (
BGE 130 II 1
), woran das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Juli 2008 C-127/08
Metock
(in: EuGRZ 2008 S. 612 ff.) nichts geändert habe, da die Schweiz nicht verpflichtet sei, dieses zu übernehmen.
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 22. Januar 2010 öffentlich beraten und die Beschwerde abgewiesen.
(Zusammenfassung)
Aus den Erwägungen:
Erwägungen
1.
1.1
Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit Bewilligungen ausgeschlossen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (
Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
). Das strittige Familiennachzugsgesuch wurde vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) eingereicht und ist deshalb noch in Anwendung des inzwischen aufgehobenen Bundesgesetzes vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu beurteilen (ANAG;
Art. 126 Abs. 1 AuG
). Danach haben ledige ausländische Kinder unter 18 Jahren von Schweizer Bürgern in analoger Anwendung von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
Anspruch auf Familiennachzug, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (
BGE 130 II 137
E. 2.1 S. 141;
BGE 129 II 249
E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen). Da der
BGE 136 II 120 S. 123
gesuchstellende Vater Schweizerbürger ist und die drei Kinder zum Zeitpunkt der Gesuchseinreichung, auf den es für die Eintretensfrage ankommt (statt vieler:
BGE 129 II 249
E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen), noch nicht 18 Jahre alt waren, besteht vorliegend ein Rechtsanspruch auf ihren Nachzug im Sinne von
Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
.
1.2
Die Beschwerdeführer berufen sich zudem auf die Familiennachzugsbestimmungen des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142. 112.681): Dieses gewähre nicht nur Angehörigen der Vertragsstaaten weitergehende Rechte als
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, sondern auch Schweizer Bürgern, welche ihre Kinder nachziehen wollten, ansonsten Inländer in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise diskriminiert würden (sog. "Inländerdiskriminierung" bzw. "discrimination à rebours"; vgl. hierzu etwa: ANNE WALTER, "Inländerdiskriminierung" bei Familiennachzug, Nijmegen/Osnabrück 2008, S. 1 ff.; ALVARO BORGHI, La libre circulation des personnes entre la Suisse et l'UE, 2010, N. 452 ff.). Ob die minderjährigen Beschwerdeführer, die nicht Bürger eines Signatarstaates sind, sich selber direkt auf das Abkommen berufen können, braucht nicht weiter geprüft zu werden, da sie im vorliegenden Verfahren durch ihren Vater vertreten sind, der als Schweizer Bürger das Nachzugsgesuch für sie gestellt hat. Erweist sich die Beschwerde bezüglich der Anwendung von
Art. 17 ANAG
als unbegründet (hierzu unten E. 2), wird deshalb die Frage einer allfälligen Inländerdiskriminierung zu prüfen sein (hierzu E. 3).
2.
2.1
Die in der Rechtsprechung zu
Art. 17 ANAG
entwickelten Voraussetzungen für den zeitlich gestaffelten (nachträglichen) Familiennachzug von Kindern unterscheiden sich danach, ob die Gesamtfamilie oder bloss eine Teilfamilie in der Schweiz zusammengeführt werden soll (Nachzug zu den gemeinsamen Eltern oder bloss zu einem Elternteil). Anders als bei zusammenlebenden Eltern besteht beim Nachzug zu einem Elternteil kein bedingungsloser Anspruch auf Familienvereinigung. Für eine solche müssen besondere familiäre Gründe bzw. eine zwingend nötig gewordene Änderung in den Betreuungsverhältnissen sprechen (
BGE 133 II 6
E. 3.1 S. 9 f.;
BGE 130 II 1
E. 2.2 S. 4;
BGE 129 II 11
E. 3.1.2 und 3.1.3 S. 14 f.;
BGE 124 II 361
E. 3a
BGE 136 II 120 S. 124
S. 366; ALBERTO ACHERMANN, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts 2006/2007 im Bereich des Ausländer- und Bürgerrechts, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2006/2007, Achermann und andere [Hrsg.], 2007, S. 141 ff., dort S. 157 ff.). Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn im Heimatland alternative Pflegemöglichkeiten bestehen, die dem Kindeswohl besser entsprechen, weil dadurch vermieden werden kann, dass die Kinder aus ihrer bisherigen Umgebung und dem ihnen vertrauten Beziehungsnetz gerissen werden (
BGE 133 II 6
E. 3.1.2 S. 11 f.;
BGE 125 II 585
E. 2c S. 588 ff. mit Hinweisen). An den Nachweis der fehlenden Betreuungsmöglichkeit im Heimatland sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je älter das nachzuziehende Kind ist bzw. je grösser die Integrationsschwierigkeiten erscheinen, die ihm hier drohen (vgl.
BGE 129 II 11
E. 3.3.2 S. 16 sowie
BGE 133 II 6
E. 5.3 S. 19 f. mit Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR]
Tuquabo-Tekle und andere gegen Niederlande
vom 1. Dezember 2005 [Nr. 60665/00]).
2.2
Aufgrund des von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalts (vgl.
Art. 105 Abs. 1 BGG
) bestanden vorliegend keine zwingenden familiären Gründe für den beantragten Teilfamiliennachzug: Die Beschwerdeführer waren zum Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs 15, 12 und 11 Jahre alt. Sie haben einen wesentlichen Teil ihrer identitätsprägenden Jugend bei der Mutter bzw. bei den Grosseltern väterlicherseits in der Heimat verbracht. Zwar leiden die Grosseltern inzwischen unter altersbedingten Gesundheitsproblemen, doch ist nicht ersichtlich, inwiefern sie mit Blick auf das heutige Alter der Beschwerdeführer (rund 18, 16 und 15 Jahre) diese nicht mehr sinnvoll betreuen könnten, zumal sich deren Mutter zwar wieder verheiratet hat, aber nach wie vor ebenfalls Kontakte zu ihnen pflegt. Im Frühjahr 2007 hatte ihr Vater erklärt, die Kinder seien jetzt alt genug, um mit ihm zusammenzuleben - in Serbien hätten sie keine Zukunft. Obwohl er seit 1998 mit einer Schweizerin verheiratet und schon 2002 eingebürgert worden ist, ersuchte er erst Ende 2006 um ihren Nachzug, wobei er damals noch nicht über das Sorgerecht über sie verfügte. Es sind unter diesen Umständen keine stichhaltigen Gründe für den beantragten Familiennachzug ersichtlich; die Beschwerdeführer würden durch diesen aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und stünden hier vor grossen, nur sehr schwer zu überwindenden Integrationsproblemen.
BGE 136 II 120 S. 125
3.
3.1
Die Beschwerdeführer bzw. deren Vater machen für diesen Fall geltend, sie würden im Vergleich zu EU-/EFTA-Bürgern, die ihre Angehörigen nachziehen wollten, diskriminiert bzw. ohne sachlichen Grund schlechter behandelt. Diese sogenannte "Inländerdiskriminierung" stehe im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen, Schweizer Bürger hinsichtlich des Familiennachzugs Staatsangehörigen der EU bzw. der EFTA gleichzustellen, wie dies in
Art. 42 Abs. 2 AuG
zum Ausdruck komme.
3.2
3.2.1
Wie bereits dargelegt, findet auf die Beschwerdeführer bzw. deren Vater noch die Familiennachzugsregelung gemäss dem ANAG Anwendung, weshalb sie sich nicht direkt auf
Art. 42 AuG
berufen können. Das Bundesgericht hat die Frage, ob die für Schweizer Bürger gegenüber EU- und EFTA-Staatsangehörigen ungünstigeren Nachzugsbestimmungen allenfalls gestützt auf
Art. 8 BV
oder auf Art. 8 in Verbindung mit
Art. 14 EMRK
zu kompensieren sind, unter dem bisherigen Recht verneint: In
BGE 129 II 249
ff. wies es darauf hin, dass den zuständigen Behörden die umstrittene Ungleichbehandlung bei Vertragsabschluss bekannt gewesen sei; das Freizügigkeitsabkommen enthalte keine Bestimmungen über den Familiennachzug von Schweizern, soweit diese nicht selber von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten. Zwar gehe der Bundesrat davon aus, dass Schweizer Bürger mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens den Angehörigen von EU-Mitgliedstaaten "grundsätzlich gleichzustellen" seien; die entsprechende Regelung solle indessen Gegenstand des neuen Ausländergesetzes bilden. Der Gesetzgeber habe sich - so das Bundesgericht - damit bewusst dafür entschieden, Schweizern, welche von ihren Freizügigkeitsrechten keinen Gebrauch gemacht hätten, (zumindest vorerst) nicht die gleichen Rechtsansprüche zu gewähren wie EU-/EFTA-Bürgern und die Diskussion über die Gleichstellung erst im Rahmen der Totalrevision des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu führen. Aufgrund von Art. 191 (heute Art. 190) BV, sei das Gericht an diesen klar zum Ausdruck gebrachten Willen gebunden, weshalb eine Anerkennung weitergehender Rechtsansprüche, insbesondere eine Angleichung an
Art. 3 Anhang I FZA
, nicht möglich sei.
3.2.2
Trotz der an diesem Entscheid geübten Kritik (vgl. etwa HOTTELIER/MOCK, Le Tribunal fédéral suisse et la "discrimination à rebours" en matière de regroupement familial, Revue trimestrielle des
BGE 136 II 120 S. 126
droits de l'homme 2003 S. 1275 ff.) hat das Bundesgericht in
BGE 130 II 137
ff. hieran festgehalten: Der Gesetzgeber habe sich für eine "umfassende Neuregelung" des Familiennachzugs im Rahmen der laufenden Totalrevision der Ausländergesetzgebung ausgesprochen und bewusst auf eine sofortige gesetzliche Anpassung der Rechtsstellung von Schweizer Bürgern an jene von EU- und EFTA-Staatsangehörigen beim Familiennachzug verzichtet. Dass das geltende Ausländerrecht das Nachzugsrecht für ausländische Familienmitglieder von Schweizer Bürgern nicht ausdrücklich regle und diese Lücke über eine analoge Anwendung von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
habe geschlossen werden müssen (
BGE 118 Ib 153
E. 1b S. 155 f.), bedeute nicht, dass für diese Frage heute auf die entsprechende Regelung des Freizügigkeitsabkommens abzustellen sei. Für eine solche Anpassung bestehe kein Raum, nachdem der Gesetzgeber selber eine vorgezogene Teilrevision in diesem Punkt abgelehnt habe. Diese Rechtsprechung halte auch vor
Art. 8 und
Art. 14 EMRK
stand, schlössen die entsprechenden Bestimmungen doch Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit grundsätzlich nicht aus (so die Urteile des EGMR
Moustaquim gegen Belgien
vom 18. Februar 1991, Serie A Bd. 193 § 48 f., sowie
C. gegen Belgien
vom 7. August 1996,
Recueil CourEDH 1996-III S. 915
§ 37 f.). Eine allfällige (vorübergehende) Ungleichbehandlung in dieser Frage beruhe "auf zu respektierenden gesetzgebungspolitischen Gründen, zumal es nicht um einschneidende Eingriffe, sondern bloss um eine allfällige Ausweitung des Umfangs der bisher zulässigen - und an sich als ausreichend erachteten - Familiennachzugsmöglichkeiten gehe, welche der nationale Gesetzgeber im gebotenen demokratischen Verfahren noch zu prüfen haben" werde. Die auf
BGE 129 II 249
ff. zurückgehende bundesgerichtliche Rechtsprechung erscheine mit
Art. 14 EMRK
vereinbar, zumal der Familiennachzug im Rahmen von
Art. 3 Anhang I FZA
voraussetze, dass die nachzuziehende Person bereits in einem anderen Vertragsstaat ein Aufenthaltsrecht nach nationalem Recht erworben habe (
BGE 130 II 1
ff. in Übernahme des Entscheids des EuGH vom 23. September 2003 C-109/01
Akrich
[in: EuGRZ 2003 S. 607]).
3.3
3.3.1
Das neue Ausländergesetz, welches am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, will die Familiennachzugsbestimmungen für Schweizer Bürger möglichst gleich regeln, wie das Freizügigkeitsabkommen dies für EU-Bürger tut (
Art. 42 Abs. 2 AuG
). Ihm liegt jedoch die
BGE 136 II 120 S. 127
Rechtslage zugrunde, wie sie sich für EU-/EFTA-Angehörige aus dem Entscheid des EuGH i.S.
Akrich
ergeben hat. In der Zwischenzeit hat sich diese grundlegend gewandelt: Mit Urteil vom 29. September 2009 schloss sich das Bundesgericht der Änderung der Rechtsprechung des EuGH i.S.
Metock
an und stellte fest, dass das Recht auf Familiennachzug gestützt auf das FZA nicht mehr von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt der nachzuziehenden Person in einem Signatarstaat des Abkommens abhängt (vgl.
BGE 136 II 5
E. 3). Am 5. Januar 2010 hat es die bisher von ihm offengelassene Frage bejaht, ob der Familiennachzug nach dem Freizügigkeitsabkommen auch für Stiefkinder gilt, da es sich dabei nicht um einen neuen, an die EU-Bürgerschaft anknüpfenden weiterführenden Aspekt der Personenfreizügigkeit innerhalb der Union, sondern um eine Konsolidierung des "Acquis communautaire" handelt, wie die Schweiz ihn mit der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens übernommen hat (
BGE 136 II 65
E. 4). Der Nachzugsanspruch steht unter dem Vorbehalt (1) des räumlichen, persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs sowie des jeweiligen Fortbestehens der Bewilligungs- und Nachzugsvoraussetzungen des Freizügigkeitsabkommens, (2) der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (
Art. 5 Anhang I FZA
), (3) allfälliger offensichtlich überwiegender Interessen des nachzuziehenden Kindes im Sinne der Kinderrechtskonvention (KRK; SR 0.107;
BGE 136 II 78
E. 4.8) sowie (4) des Verbots des Rechtsmissbrauchs (
Art. 51 AuG
; Art. 35 der Richtlinie 2004/38/EG [ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 ff.]).
3.3.2
Ein Erlass verstösst gegen das Willkürverbot (
Art. 9 BV
), wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt oder sinn- und zwecklos ist. Er verletzt das Gebot der Rechtsgleichheit (
Art. 8 BV
), wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Das Rechtsgleichheitsgebot ist insbesondere verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird (
BGE 127 I 185
E. 5 S. 192). Allerdings kann eine Regelung, die Gleiches ungleich oder Ungleiches gleich behandelt, dann zulässig sein, wenn die Gleich- oder Ungleichbehandlung notwendig ist, um das Ziel der Regelung zu erreichen, und die Bedeutung des Ziels die Gleich- oder Ungleichbehandlung rechtfertigt. In diesem Fall muss abgewogen werden zwischen dem Interesse an der
BGE 136 II 120 S. 128
Erreichung des Regelungsziels und dem Interesse an der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 105, Rz. 495, unter Hinweis auf
BGE 116 Ia 321
ff.).
3.3.3
Das akzessorische Diskriminierungsverbot von
Art. 14 EMRK
verbietet Unterscheidungen aufgrund bestimmter Merkmale bei der Umsetzung von in der EMRK garantierten Rechten und Freiheiten. Es kann immer schon dann angerufen werden, wenn der umstrittene Sachverhalt in den Schutzbereich einer konventionsrechtlichen Garantie fällt; deren Verletzung ist nicht erforderlich. Nicht jede unterschiedliche Behandlung bildet dabei bereits eine Diskriminierung. Eine solche liegt nur vor, wenn aufgrund eines verpönten Kriteriums (Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, nationale oder soziale Herkunft usw.) vergleichbare Situationen unterschiedlich behandelt werden, ohne dass sich dies objektiv und sachlich rechtfertigen lässt; die umstrittene Massnahme muss mit Blick auf den verfolgten Zweck zulässig erscheinen und die zu dessen Realisierung eingesetzten Mittel müssen verhältnismässig sein. Ungleichbehandlungen nach der Staatsangehörigkeit sind nicht ausgeschlossen, bedürfen aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte indessen regelmässig besonders gewichtiger Unterscheidungsgründe (CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München/Basel/Wien 2009, § 26 S. 455 N. 16). Eine privilegierte Behandlung der eigenen Staatsangehörigen sowie der Staatsangehörigen von Staaten, mit denen enge Beziehungen gepflegt werden, ist grundsätzlich zulässig, muss jedoch im Einzelfall jeweils hinsichtlich der konkreten Massnahme und des jeweiligen Unterscheidungskriteriums auf ihre Vereinbarkeit mit
Art. 14 EMRK
untersucht werden (vgl. ACHERMANN/CARONI, Einfluss der völkerrechtlichen Praxis auf das schweizerische Migrationsrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 6.43 ff.;MARTINA CARONI, Die Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Bereich des Ausländer- und Asylrechts, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Achermann und andere [Hrsg.], 2008, S. 265 ff., dort S. 284 f.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beruht eine Benachteiligung von Drittstaatsangehörigen gegenüber Staatsangehörigen eines EU-Staates bei aufenthaltsbeendenden Massnahmen auf objektiven und sachlichen Gründen, da die EU eine besondere Rechtsgemeinschaft bildet (Urteil des EGMR
BGE 136 II 120 S. 129
Moustaquim gegen Belgien
vom 18. Februar 1991, a.a.O., § 49; vgl. zurProblematik ausländerrechtlicher Differenzierungen auch: EPINEY/CIVITELLA, Die rechtliche Stellung von Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen in der Schweiz - ein Vergleich ausgewählter Aspekte, in: Jahrbuchfür Migrationsrecht 2007/2008, Achermann undandere [Hrsg.], 2008, S. 3 ff., dort insbesondere S. 55 f. mit weiteren Hinweisen).
3.4
3.4.1
Es erscheint zweifelhaft, inwiefern heute ein sachlicher Grund bestehen soll, Schweizer Bürger bezüglich des Nachzugs ihrer ausländischen Familienangehörigen schlechter zu behandeln als EU- bzw. EFTA-Angehörige. Wohl liegt ein Unterschied darin, dass der sachliche Geltungsbereich des Freizügigkeitsabkommens genau gleich wie die entsprechende Grundfreiheit des Gemeinschaftsrechts auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnitten ist, also davon abhängt, ob das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen worden ist, was bei einem rein landesinternen Sachverhalt nicht der Fall ist. Aus dem Freizügigkeitsabkommen können deshalb keine Familiennachzugsrechte für schweizerische Staatsangehörige abgeleitet werden, die ihrerseits von der Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben. Das bedeutet allerdings nicht, dass schweizerisches Verfassungsrecht die daraus resultierende Ungleichbehandlung schweizerischer Staatsangehöriger erlaubt (vgl. PETER UEBERSAX, Einreise und Aufenthalt, in: Ausländerrecht, a.a.O., N. 7.144). Zwar mag es sachliche Gründe geben, welche es rechtfertigen können, eine strengere landesrechtliche Regelung aufrechtzuerhalten und auf schweizerische Staatsangehörige weiterhin anzuwenden, auch wenn eine entsprechende Regelung aufgrund der sektoriellen Abkommen Bürgern der EU bzw. der EFTA nicht entgegengehalten werden kann; solche sind indessen im vorliegenden Zusammenhang nicht ersichtlich, zumal die Verweigerung des Familiennachzugs einen nicht zu unterschätzenden Eingriff in das durch die Bundesverfassung und die EMRK garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens (
Art. 13 BV
,
Art. 8 EMRK
) bedeutet. Zwar besteht dieses Recht nicht voraussetzungslos, sondern unterliegt es Einschränkungen, die sich unter anderem auch mit einer restriktiven Ausländerpolitik begründen lassen. Jedoch sind solche Beschränkungen, soweit sie zu Rechtsungleichheiten führen, nur statthaft, wenn sie in einer gemeinsamen Rechtsordnung, wie sie das Freizügigkeitsabkommen unter den Signatarstaaten schafft, in verhältnismässiger Weise einem
BGE 136 II 120 S. 130
schutzwürdigen Zweck dienen. Ob ein solcher für eine Schlechterstellung von Schweizer Bürgern beim Familiennachzug besteht, erscheint fraglich, nachdem der Gesetzgeber mit der Einführung von
Art. 42 AuG
erklärtermassen selber die gestützt auf das ANAG bestehende umgekehrte Diskriminierung von Schweizer Bürgern gegenüber Personen beseitigen wollte, die sich auf die günstigeren Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens und der Rechtsprechung dazu berufen konnten (vgl. PETER UEBERSAX, Einreise und Aufenthalt, a.a.O., N. 7.144 f. mit weiteren Hinweisen; MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 4 und 6a zu
Art. 42 AuG
).
3.5
Die Feststellung führt im vorliegenden Fall dennoch nicht dazu, dass die Beschwerde gutgeheissen werden könnte:
3.5.1
Nach
Art. 190 BV
sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Damit kann Bundesgesetzen weder im Rahmen der abstrakten noch der konkreten Normenkontrolle die Anwendung versagt werden. Zwar handelt es sich dabei um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot (
BGE 131 II 710
E. 5.4 S. 721;
BGE 129 II 249
E. 5.4 S. 263, mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Bd. II, 2. Aufl. 2008, N. 8 zu
Art. 190 BV
), und es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu prüfen; wird eine solche festgestellt, muss das Gesetz aber angewandt werden, und das Bundesgericht kann lediglich gegebenenfalls den Gesetzgeber einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern.
3.5.2
Der vorliegende Sachverhalt ist, wie bereits dargelegt, noch auf der Grundlage des ANAG und der dazu ergangenen Rechtsprechung zu beurteilen (vgl.
BGE 129 II 249
ff.;
BGE 130 II 137
ff.). Es bestehen keine zwingenden sachlichen Gründe, vor einem Entscheid des Gesetzgebers die Praxis zum bisherigen Recht zu ändern (vgl.
BGE 135 II 78
E. 3 mit Hinweisen). Zwar hat sich dieser im Ausländergesetz darum bemüht, den Familiennachzug von Schweizer Bürgern mindestens gleich grosszügig zu gestalten wie denjenigen von EU-/EFTA-Staatsangehörigen. Er hat dies indessen - wie bereits ausgeführt - aufgrund des damaligen Standes der Rechtsprechung, d.h. in Übernahme der "Akrich"-Rechtsprechung, getan, die heute überholt ist. Aus Gründen der Gewaltenteilung ist es deshalb
BGE 136 II 120 S. 131
vorerst ihm zu überlassen, darüber zu befinden, unter welchen Bedingungen und aus welchen Gründen er allenfalls eine Gleich- oder Ungleichbehandlung von Schweizer- und EU/EFTA-Bürgern unter dem neuen Recht hinnehmen will. Dies gilt umso mehr, als er bereits beim Erlass des Ausländergesetzes nicht alle umgekehrten Diskriminierungen beseitigt hat (vgl. etwa
Art. 42 Abs. 1 AuG
; ALVARO BORGHI, a.a.O., N. 457 ff.).
3.5.3
Es kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben, ob
Art. 42 Abs. 2 AuG
künftig allenfalls in teleologischer Auslegung wortlautwidrig im Sinne der FZA-Regelung verstanden werden müsste (so MARC SPESCHA, Inländerdiskriminierung im Ausländerrecht?, AJP 2008, S. 1432 ff., insbesondere S. 1436 f.; MATTHIAS OESCH, Inländerdiskriminierung, ZBJV 145/2009 S. 787 ff.). Es ist nicht am Bundesgericht, dem Gesetzgeber hinsichtlich der künftigen Regelung Vorgaben zu machen, nachdem diesem mehrere Lösungen offenstehen, die zu einem verfassungs- und konventionskonformen Resultat und zu einer konsistenten Regelung des Familiennachzugs führen können (vgl.
BGE 136 II 5
E. 3.6.1). Der Gesetzgeber hat das Problem bereits erkannt: Zwar hat er der parlamentarischen Initiative Tschümperlin zur Beseitigung und Verhinderung von Inländerdiskriminierung (08.494), welche darauf abzielte, mit einem dynamischen Verweis auf die jeweils für EU-/EFTA-Staatsangehörigen geltende Regelung eine Ungleichbehandlung zu verhindern, keine Folge gegeben (vgl. AB 2009 N 1748), doch tat er dies mit Hinweis darauf, dass wegen der Rechtsprechung "Akrich" kein Handlungsbedarf bestehe. Nachdem das Bundesgericht inzwischen die Rechtsprechung i.S. "Metock" übernommen hat (vgl. MARC SPESCHA, Erweiterte Familiennachzugsrechte für EU-BürgerInnen: Metock-Rechtsprechung des EuGH gilt auch im Geltungsbereich des FZA, AJP 2010 S. 102 ff., dort S. 105), wird er erneut prüfen müssen, ob und welche Änderungen sich mit Blick auf das Gesamtsystem des Familiennachzugs aufdrängen. Nur falls er sich dem Problem in absehbarer Zeit nicht annehmen sollte, könnte das Bundesgericht im Rahmen von
Art. 190 BV
allenfalls gestützt auf
Art. 14 EMRK
und den Vorrang des Völkerrechts gehalten sein, über den vorliegenden Appellentscheid hinaus eine Konventionswidrigkeit im Einzelfall allenfalls selber zu korrigieren (vgl.
BGE 133 V 367
E. 11 S. 386 ff.;
BGE 128 IV 201
E. 1.3;
BGE 128 III 113
E. 3a mit weiteren Hinweisen). Soweit ersichtlich hat der EGMR das Problem einer möglichen Verletzung von
Art. 14 EMRK
durch eine umgekehrte Diskriminierung,
BGE 136 II 120 S. 132
d.h. durch eine Schlechterstellung der eigenen Staatsangehörigen, bisher nicht beurteilen müssen, weshalb es sich im Rahmen von
Art. 190 BV
rechtfertigt, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu belassen, im demokratischen Verfahren die sich aus der neuen Situation ergebenden Konsequenzen zu ziehen. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
01cca9cf-3626-44b3-848f-e8acaac438c9 | Urteilskopf
103 Ib 373
60. Urteil vom 9. Dezember 1977 i.S. S. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei.
Art. 100 lit. b OG
,
Art. 11 Abs. 4 ANAG
.
Der Entscheid der letzten kantonalen Instanz, mit dem die Aufhebung oder die vorübergehende Einstellung einer Ausweisung verweigert wird, unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 374
BGE 103 Ib 373 S. 374
Erwägungen:
1.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich hatte den italienischen Staatsangehörigen S. unbefristet aus der Schweiz ausgewiesen. Der Ausländer hat um Aufhebung der Ausweisung ersucht. Das Gesuch ist von der Polizeidirektion des Kantons Zürich und auf Rekurs hin auch vom Regierungsrat abgewiesen worden. Gegen den Rekursentscheid führt S. gemäss der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Zwischen dem Gericht und dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat ein Meinungsaustausch über die Zuständigkeit zur Beurteilung der Beschwerde stattgefunden.
2.
Nach
Art. 100 lit. b Ziff. 1-4 OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei in bestimmten Fällen unzulässig. Wie sich aus Ziff. 4 ergibt, ist sie gegen die auf
Art. 10 ANAG
gestützte Ausweisung zulässig. Ebenso kann eine Verfügung, die eine solche Ausweisung androht, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (
BGE 96 I 270
). Die Verweigerung der Aufhebung oder der vorübergehenden Einstellung der Ausweisung (
Art. 11 Abs. 4 ANAG
) ist in
Art. 100 lit. b OG
nicht erwähnt. Daraus ist jedoch nicht zu schliessen, dass sie der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegt. Insbesondere kann dies nicht aus
Art. 100 lit. b Ziff. 4 OG
abgeleitet werden.
Massgebend ist vielmehr
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
. Diese Bestimmung schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Erteilung oder Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung aus, wenn das Bundesrecht keinen Anspruch auf die Bewilligung einräumt, d.h. wenn es den Entscheid dem Ermessen der Behörde anheimstellt, wie dies in
Art. 4 ANAG
vorgesehen ist.
Art. 11 Abs. 4 ANAG
bestimmt, dass die aufgrund des
Art. 10 ANAG
verfügte Ausweisung "in Ausnahmefällen" aufgehoben oder vorübergehend eingestellt werden "kann". Demnach ist auch der Entscheid über dahingehende
BGE 103 Ib 373 S. 375
Gesuche in das Ermessen der Behörde gestellt.
Art. 11 Abs. 4 ANAG
fügt bei, dass mit der Aufhebung oder der vorübergehenden Einstellung der Ausweisung eine durch die Ausweisung aufgehobene Bewilligung nicht wiederhergestellt wird. Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung einer fremdenpolizeilichen Bewilligung, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt, durch
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
ausgeschlossen ist, kann sie nach dem Sinn dieser Bestimmung auch gegen die Verweigerung der Aufhebung oder Einstellung einer Ausweisung nicht offenstehen; denn hier wie dort handelt es sich um Ermessensentscheide, und zudem verschafft die Aufhebung oder Einstellung der Ausweisung dem Ausländer noch nicht eine fremdenpolizeiliche Bewilligung, auch nicht eine blosse Toleranzbewilligung, sondern nur die Möglichkeit, jeweils für kurze Zeit das Gebiet der Schweiz zu betreten. Deshalb muss angenommen werden, dass
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
auf die Verweigerung der Aufhebung oder vorübergehenden Einstellung einer Ausweisung analog anzuwenden ist. An der in
BGE 97 I 63
vertretenen, aus
Art. 101 lit. d OG
abgeleiteten Auffassung, dass ein solcher Entscheid der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliege, kann nicht festgehalten werden.
Im vorliegenden Fall ist daher die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig, wie im Meinungsaustausch festgestellt worden ist.
3.
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat im Meinungsaustausch die Auffassung vertreten, die Beschwerde an den Bundesrat sei hier ebenfalls unzulässig. Es schliesst aus einer Gegenüberstellung von Art. 125 Abs. 1 lit. b und c alt OG und
Art. 73 Abs. 1 lit. b und c VwVG
, dass mit der neuen Ordnung die Zuständigkeit des Bundesrates auf dem Gebiete der Fremdenpolizei nicht habe erweitert werden sollen. Nach Ansicht des Departementes wäre es auch widersprüchlich, einerseits von ihm getroffene Entscheide über Beschwerden gegen Verfügungen der Eidg. Fremdenpolizei als endgültig zu erklären (
Art. 20 Abs. 3 ANAG
), anderseits aber den Weiterzug von Entscheiden über Beschwerden gegen Verfügungen der kantonalen Fremdenpolizei an den Bundesrat allgemein zuzulassen. Das Departement nimmt an, in Fremdenpolizeisachen könne beim Bundesrat nur Beschwerde wegen Verletzung von Bestimmungen über Freizügigkeit und
BGE 103 Ib 373 S. 376
Niederlassung in Staatsverträgen mit dem Ausland geführt werden, sofern nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig sei (
Art. 73 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 VwVG
).
Schliesslich bemerkt das Departement, nach seinem Dafürhalten liege auch kein Grund dafür vor, dass der Bundesrat sich unter dem Gesichtspunkte des
Art. 71 VwVG
(Aufsichtsbeschwerde) mit der Sache befasse. Dem Regierungsrat könne nicht vorgeworfen werden, er habe klares Recht, wesentliche Verfahrensvorschriften oder öffentliche Interessen offensichtlich missachtet.
Angesichts dieser Ausführungen des Departements besteht für das Gericht kein Anlass, die vorliegende Beschwerde dem Bundesrat zu übergeben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
01cdea20-3ed8-442b-b304-3602adb1df27 | Urteilskopf
126 V 11
3. Extrait de l'arrêt du 18 février 2000 dans la cause Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève contre P., représenté par l'Hospice général, Institution genevoise d'action sociale, et Commission cantonale de recours en matière d'AVS/AI, Genève | Regeste
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
: Parteientschädigung.
Der durch eine Institution der öffentlichen Sozialhilfe vertretene obsiegende Versicherte hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung. | Erwägungen
ab Seite 11
BGE 126 V 11 S. 11
Extrait des considérants :
1.
Il s'agit d'examiner si un assuré qui obtient gain de cause devant l'autorité cantonale de recours peut prétendre une indemnité de dépens, en vertu de l'
art. 85 al. 2 let
. f LAVS, lorsqu'il est représenté en justice par l'Hospice général, Institution genevoise d'action sociale (ci-après: l'Hospice général). A cet égard, il y aura lieu de prendre également en considération la pratique du Tribunal fédéral des assurances en matière de dépens (
art. 159 OJ
).
2.
Dans un arrêt du 12 juillet 1996 (
ATF 122 V 278
), le Tribunal fédéral des assurances a changé sa jurisprudence en matière de droit aux dépens. Il a jugé qu'une partie représentée par l'Association suisse des invalides (ASI) et qui obtient gain de cause a droit à une indemnité de dépens, tant pour la procédure de recours fédérale (
ATF 122 V 280
consid. 3e/aa) que pour la procédure cantonale (VSI 1997 p. 36 consid. 5). A cette occasion, la Cour de céans a laissé indécis le point de savoir si cette réglementation est applicable lorsque d'autres organismes offrent une représentation qualifiée aux assurés (
ATF 122 V 280
consid. 3e/bb).
Selon la jurisprudence, peuvent également prétendre des dépens les assurés qui sont représentés par le Service juridique de la Fédération suisse pour l'intégration des handicapés (SVR 1997 IV no 110 p. 341), Pro Infirmis (arrêt non publié K. du 30 avril 1998), l'Union Helvetia (arrêt non publié B. du 3 février 1995), le Syndicat industrie et bâtiment (arrêt non publié S. du 18 octobre 1982), un médecin (consid. 7 non publié de l'arrêt
ATF 122 V 230
), la rédaction
BGE 126 V 11 S. 12
du Schweizerischer Beobachter (arrêt non publié H. du 15 février 1999), le Patronato INCA (arrêt non publié G. du 19 novembre 1998), CARITAS (arrêt non publié P. du 28 mai 1998), diverses communautés de travail de malades et d'invalides (consid. 4 non publié dans Praxis 1998 no 59 p. 374; arrêts non publiés S. du 28 novembre 1989 et H. du 7 mars 1986), l'avocat d'une assurance de protection juridique (arrêt non publié H. du 27 janvier 1992), le Centro Consulenze (arrêt non publié F. du 6 avril 1990) et l'association Schweizerische Multiple Sklerose (arrêt non publié S. du 3 février 1999).
En revanche, postérieurement à l'arrêt
ATF 122 V 278
, la Cour de céans n'a pas alloué de dépens à un assuré qui avait confié la défense de ses intérêts à l'Hospice général et qui avait obtenu gain de cause dans un litige qui l'opposait à un assureur-accidents (arrêt du 19 août 1996, publié dans la SVR 1997 UV no 91 p. 331).
3.
La Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS/AI a justifié l'allocation de dépens en se fondant sur les considérants de l'arrêt
ATF 122 V 278
. Elle a rappelé que si un membre d'une association ne supporte pas de frais judiciaires personnellement (comme c'est le cas en l'espèce), outre les cotisations éventuelles dont il s'acquitte, l'association qui le représente doit néanmoins rémunérer ses juristes ou avocats. Aussi l'allocation d'une indemnité en faveur du mandataire, l'Hospice général, lui a-t-elle paru équitable.
Dans ses observations sur le recours, la commission a précisé que l'Hospice général emploie ses propres avocats et que les assurés ne peuvent alors pas bénéficier de l'assistance juridique.
4.
A l'appui de ses conclusions, l'office recourant allègue que selon l'art. 169 de la Constitution de la République et canton de Genève, l'Hospice général est un organisme chargé de l'assistance publique. L'art. 1 al. 1 de la loi genevoise sur l'assistance publique (RS/GE J 4 05, LAP/GE) stipule que la famille pourvoit à l'entretien de ses membres; à défaut, l'Etat, soit pour lui les organismes chargés de l'assistance publique, intervient de façon appropriée. L'assistance publique s'étend à toutes les personnes séjournant dans le canton de Genève (
art. 2 LAP
/GE). L'Hospice général est placé sous la direction générale et la surveillance du département de l'action sociale et de la santé (
art. 3 al. 1 LAP
/GE). Cet organisme est un établissement de droit public qui est chargé d'appliquer la politique sociale définie par la Grand Conseil et le Conseil d'Etat (
art. 14 LAP
/GE).
Compte tenu de ce qui précède, l'office recourant soutient que le but et le fonctionnement de l'Hospice général, qui est une institution
BGE 126 V 11 S. 13
publique et générale d'aide sociale, sont très différents de ceux poursuivis par l'ASI. Il estime en conséquence qu'il ne se justifie pas d'appliquer aux assurés représentés par l'Hospice général la nouvelle jurisprudence de l'arrêt
ATF 122 V 278
.
5.
Les arguments du recourant sont pertinents. Contrairement aux représentants qualifiés énoncés au consid. 2, dont le champ d'activité ressortit au droit privé, l'Hospice général est une institution de droit public. Celle-ci ne tire pas ses ressources des cotisations ou du soutien financier de ses membres, mais essentiellement de subventions étatiques destinées à lui permettre de mener à bien sa fonction d'organisme d'assistance publique du canton de Genève.
Faute de justification économique, il n'y a donc pas lieu d'appliquer les principes exposés dans l'arrêt
ATF 122 V 278
au cas de l'assuré représenté par une institution publique d'assistance. En l'espèce, l'intimé n'a pas engagé de frais pour la défense de ses intérêts et son mandataire l'assiste gratuitement (le contraire n'est ni allégué ni établi) en vertu de la législation genevoise sur l'assistance publique. Dans ces conditions, l'allocation d'une indemnité de dépens n'était pas justifiée. | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
01dc600f-c710-43a1-a2e8-86d3c1dd490d | Urteilskopf
120 Ib 64
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Februar 1994 i.S. X. gegen Gemeinde Küttigen und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Informationsfreiheit; Art. 52 f. BG über Radio- und Fernsehen vom 21. Juni 1991 (RTVG; SR 784.40); Verbot von Dachantennen.
Kommunales Baurecht genügt als gesetzliche Grundlage für die Einschränkung der Informationsfreiheit. Verfassungskonforme Auslegung von § 66 der Bauordnung von Küttigen (E. 4).
Voraussetzungen, unter denen ein Ortsbild als "bedeutend" im Sinne von
Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG
gilt. Das Ortsbild der Dorfkernzone von Küttigen erfüllt diese Anforderungen jedenfalls in dem Teil, in welchem der Beschwerdeführer wohnt (E. 5).
Mit dem Anschluss an ein Kabelnetz, das den Empfang von heute 21 Fernsehprogrammen gewährleistet, ist die von
Art. 53 Abs. 1 lit. b RTVG
als unabdingbare Voraussetzung für ein Antennenverbot geforderte Grundversorgung gewährleistet (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 65
BGE 120 Ib 64 S. 65
X. ist Eigentümer eines Wohnhauses an der Alten Staffeleggstrasse in Küttigen. Das Haus liegt nach dem Zonenplan vom 11. Dezember 1981 in der Dorfkernzone gemäss § 44 der Bauordnung vom 11. Dezember 1981 (genehmigt vom Grossen Rat am 26. Februar 1982; BO), der Garten in der Dorfzone gemäss § 43 BO.
Am 18. Dezember 1989 stellte der Gemeinderat von Küttigen auf dem Dachfirst des Wohnhauses von X. eine nicht bewilligte Parabolantenne fest. Nachdem er diesem Gelegenheit gegeben hatte, sich zur Sache zu äussern, verfügte der Gemeinderat am 23. Januar 1990 den Abbruch der Antenne und büsste X. mit 300 Franken.
Dagegen erhob X. Beschwerde ans Baudepartement des Kantons Aargau, welches am 27. September 1990 einen Augenschein durchführte. An diesem wurde vereinbart, dass X. ein Baugesuch für eine Parabolantenne auf der Südseite des Daches einreichen sollte. Das Verfahren wurde daraufhin sistiert. Am 26. Februar 1991 wies der Gemeinderat das neu eingereichte Baugesuch für eine solche in der Farbe des Daches braun lackierte Antenne, welche den Dachfirst nicht übersteigen würde, ab. Zur Begründung führte er an, das Wohnhaus befinde sich in der Dorfkernzone, in welcher nach § 66 BO Aussenantennen generell ausgeschlossen seien. Das Baudepartement nahm in der Folge das Verfahren wieder auf. Es wies die Beschwerde am 13. Juni 1991 ab und verfügte den Abbruch der Parabolantenne innert 30 Tagen.
Diesen Entscheid fochten X. und Y., dessen Firma Z. AG die in Frage stehende Satellitenempfangsanlage hergestellt und montiert hatte, beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau an. Dieses wies die Beschwerde des ersteren am 16. Juni 1992 ab und trat auf diejenige des letzteren mangels Legitimation nicht ein.
BGE 120 Ib 64 S. 66
Dagegen gelangt X. mit Eingaben vom 28. Januar 1993 sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verschiedener von EMRK, Bundesverfassung und Kantonsverfassung garantierter Individualrechte als auch mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 52 und 53 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen vom 21. Juni 1991 (RTVG; SR 784.40) ans Bundesgericht.
Baudepartement, Gemeinderat und das Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerden abzuweisen. Das EVED äusserte sich am 10. Mai 1993 im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens zur Auslegung von
Art. 53 RTVG
im allgemeinen, verzichtet jedoch mangels eigener örtlicher Kenntnisse auf einen Antrag. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein und weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich als Bestandteil der Informationsfreiheit geschützte Empfangsfreiheit ist zulässig, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist.
b) Der angefochtene Entscheid wendet § 66 BO an, welcher wie folgt lautet: "Aussenantennen sind nicht gestattet. Bestehende Anlagen dürfen nicht erneuert werden." Diese Bestimmung widerspricht offensichtlich
Art. 53 RTVG
, der das Verbot von Aussenantennen nur noch für bestimmte Gebiete zulässt und ist insofern überholt. Der Gemeinderat ist sich dessen bewusst und will § 66 BO nur noch auf Dachantennen innerhalb der Dorfkernzone anwenden. Diese erstreckt sich auf einer Länge von rund 500 m entlang der Hauptstrasse und weist je eine Gebäudetiefe auf, ist somit durchaus ein "bestimmtes" Gebiet im Sinne des Bundesrechts.
Im Entwurf für eine neue Bauordnung der Gemeinde ist die Bestimmung nicht mehr enthalten; es wird nur noch verlangt, dass sich Aussenantennen einwandfrei in das Orts- und Landschaftsbild einzupassen haben (§ 64 Entwurf BO, Fassung Kant. Vorprüfung vom Februar 1993).
Es ist nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Behörden den mit übergeordnetem Recht in Widerspruch geratenen § 66 BO bis zu dessen Revision einschränkend und verfassungskonform (Art. 2 ÜbBest. BV) auslegen. Zwar ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit nicht unproblematisch, das nach dem Wortlaut der Bestimmung für das ganze
BGE 120 Ib 64 S. 67
Gemeindegebiet geltende Verbot von Aussenantennen nur noch auf Teile davon (die Dorfkernzone) und dort nur noch auf Dachantennen anzuwenden. Das muss jedoch zumindest für die Übergangszeit bis zur Revision der BO - sie befindet sich bereits in der kantonalen Vorprüfung - hingenommen werden, weil sonst die Gemeinde bis dahin keinerlei Handhabe mehr hätte, die Errichtung von Aussenantennen zu ordnen und gegebenenfalls zu verhindern, auch dort nicht, wo das zum Schutz eines bedeutenden Ortsbildes notwendig wäre. § 66 BO bildet somit, im Lichte von
Art. 53 RTVG
ausgelegt, eine genügende gesetzliche Grundlage für ein Antennenverbot.
5.
a) Für die Interessenabwägung und die Prüfung der Verhältnismässigkeit im Anwendungsfall hat der Bundesgesetzgeber in
Art. 53 RTVG
bereits eine Wertung vorgenommen. Danach wird dem Grundrecht auf möglichst unbehinderten Zugang zu allen frei verfügbaren Informationsquellen hohe Priorität eingeräumt; die aus raumplanerischen Gründen erwünschten Verbote von Aussenantennen - diese können das Orts- und Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen - fallen nur noch unter den einschränkenden Voraussetzungen des
Art. 53 RTVG
in Betracht.
Gemäss
Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG
sind Antennenverbote nur zum Schutz bedeutender Ortsbilder zulässig. Aus den Materialien geht hervor, dass der Gesetzgeber damit ausdrücklich an die Formulierung von
Art. 17 Abs. 1 lit. c RPG
anknüpfen wollte; der Versuch des Ständerates, "bedeutend" zu streichen, wurde vom Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren bewusst verhindert (Amtl.Bull. Nationalrat 1991 S. 344).
b) Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers wurde Küttigen ins Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz aufgenommen und als Ortsbild von regionaler Bedeutung eingestuft (hrsg. vom EDI, Bern 1988, Kanton Aargau Bd. 1 S. 20; ISOS). Richtig ist nur, dass Küttigen im Bundesinventar nicht dokumentiert ist, weil sich diese Dokumentation auf die Ortsbilder von nationaler Bedeutung beschränkt. Dementsprechend ist Küttigen im Anhang zur Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 (SR 451.12) ebenfalls nicht enthalten (Art. 5 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966, SR 451; NHG).
Daraus folgt jedoch entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers noch keineswegs, dass das Ortsbild von Küttigen nicht bedeutend ist im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 lit. c RPG
bzw.
Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG
. Der Natur- und
BGE 120 Ib 64 S. 68
Heimatschutz ist in erster Linie Sache der Kantone (
Art. 24sexies Abs. 1 BV
), und ihnen obliegt es gemäss
Art. 17 RPG
auch in erster Linie, die für den Schutz bedeutender Ortsbilder erforderlichen Massnahmen zu treffen. Nach § 16 des Dekretes über den Schutz von Kulturdenkmälern vom 14. Oktober 1975 ist der Ortsbildschutz im Kanton Aargau Sache der Gemeinden; es liegt somit zunächst an ihnen, ihr Ortsbild zu beurteilen und die erforderlichen Schutzmassnahmen zu treffen.
c) Nach § 44 Abs. 1 BO bildet die Dorfkernzone "das eigentliche Dorf Küttigen und wird in ihrem Gesamtbild als schützenswürdiger Ortsteil bezeichnet". Nach dem Grundplan (GP) des ISOS befindet sich die Liegenschaft des Beschwerdeführers im südöstlichen Teil der "Bebauung Trottegass", welche als Bebauung mit gewissen räumlichen und architekturhistorischen Qualitäten von insgesamt besonderer Bedeutung ausgeschieden ist, deren Substanz zu erhalten ist (Plan L: Zone G.3). Dem Ortsbild attestiert das Inventar (Plan O) gewisse Lage-, räumliche und architekturhistorische Qualitäten. Im Inventar werden zudem die räumlichen Qualitäten besonders hervorgehoben: "Gewisse räumliche Qualitäten durch den zusammenhängenden Strassenraum entlang der Durchgangsstrasse mit differenzierter Begrenzung durch die leichte Staffelung der Bauten. Ausgeprägte ländliche Raumbildungen in den seitlichen Bebauungsästen durch das ausgewogene Zusammenwirken von locker aufgereihten Altbauten und intakten Zwischenbereichen mit Ziergärten und Vorplätzen."
d) Die Fotodokumentation (ISOS Plan F, Nrn. 17, 28) bestätigt diese räumliche Qualität, jedenfalls für den südöstlichen Teil der Bebauung Trottegass in unmittelbarer Nähe von zwei als Einzelobjekten geschützten Gebäuden an der Verzweigung der neuen Staffeleggstrasse (ehemaligen Zollhaus, Nr. 27, und Gasthof "zum Kreuz", Nr. 30; Plan L: Objekte E.1.0.3-4). Dieser Ortsteil verfügt zudem über architektonische Qualitäten, sind doch im Zonenplan sowohl die Liegenschaft des Beschwerdeführers, als auch die daran anstossenden übrigen Gebäude im Strassenknie Benkenstrasse - Alte Staffeleggstrasse als schützenswerte Häuser bezeichnet. Der Beschwerdeführer nennt keine Anhaltspunkte, welche die Einstufung dieses Gebiets als Ortsbild von regionaler Bedeutung durch das ISOS in Frage stellen würden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass Gemeinde und Vorinstanz diesen Teil des Ortsbilds als bedeutend im Sinn von
Art. 17 Abs. 1 lit. c RPG
bzw.
Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG
betrachten. Ob
BGE 120 Ib 64 S. 69
das für die gesamte Dorfkernzone gleichermassen gilt, braucht hier nicht entschieden zu werden. Das ISOS stuft ihre Erhaltenswürdigkeit südlich der Verzweigung Staffeleggstrasse-Trottengasse weniger hoch ein, während andere Gebiete, etwa die Bebauung Vorstadt oder der Mühlebezirk, als bedeutende Ortsbilder ebenfalls in Betracht kämen.
Die Liegenschaft des Beschwerdeführers befindet sich demzufolge innerhalb eines bedeutenden Ortsbildes, und es steht ausser Frage, dass dieses gerade im aus verschiedenen Richtungen von den Höhen her einsehbaren Küttigen durch Parabol-Dachantennen beeinträchtigt würde. Das Antennenverbot liegt daher im öffentlichen Interesse (
Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG
).
6.
Der Beschwerdeführer kann über das Kabelnetz von Küttigen heute 21 Programme empfangen. Die von
Art. 53 Abs. 1 lit. b RTVG
als unabdingbare Voraussetzung für ein Antennenverbot statuierte Grundversorgung ist damit gewährleistet (vgl.
Art. 42 RTVG
und die Botschaft dazu in BBl 1987 III 742 f.). Ein besonders qualifiziertes Interesse am Empfang zusätzlicher Programme (
Art. 53 Abs. 2 RTVG
) vermag der Beschwerdeführer nicht nachzuweisen. Selbst wenn er ein solches geltend machen würde, bliebe ihm ohnehin die Möglichkeit, ein Baugesuch für eine Antennenanlage unterhalb des Daches an der Fassade oder auf einem Balkon zu stellen, wo sie nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts grundsätzlich bewilligungsfähig wäre. Oder er könnte die Antenne in seinem Garten aufstellen, der in der Dorfzone liegt, auf die § 66 BO nicht mehr angewendet wird. Das Verwaltungsgericht hält dazu fest, dass das technisch ohne nennenswerte Empfangseinbusse möglich ist. Diese Sachverhaltsfeststellung ist nicht offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das angefochtene Antennenverbot auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht und von
Art. 53 RTVG
anerkannte öffentliche Interessen verfolgt, welche die entgegenstehenden Privatinteressen des Beschwerdeführers überwiegen. Es trifft ihn nicht unverhältnismässig, da er über das Kabel 21 Programme empfangen kann und ihm nicht untersagt ist, an einem anderen (vielleicht etwas weniger idealen) Standort eine Parabolantenne aufzustellen. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
01e389c8-78fc-441d-99c5-38771d2605fd | Urteilskopf
96 II 351
46. Arrêt de la Ire Cour civile du 8 décembre 1970 dans la cause Ringgenberg contre Dumanet. | Regeste
Art. 368 Abs. 2 OR
.
Das Verhalten des Unternehmers, der sich als unfähig erweist, eine ihm anvertraute Arbeit pflichtgemäss auszuführen, kommt emer Weigerung gleich.
Entscheidet der Besteller sich diesfalls, was sein Recht ist, für die Verbesserung, so kann er diese durch einen Dritten vornehmen lassen und vom Unternehmer vollen Ersatz des Schadens verlangen, der ihm daraus entsteht (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 351
BGE 96 II 351 S. 351
A.-
Erwin Ringgenberg s'est adressé à Jules Dumanet pour construire, dans un bâtiment qui lui appartient à Noiraigue, une dalle destinée à servir de sol à un atelier de menuiserie et à supporter diverses machines dont l'une pesait une tonne environ.
Dumanet a terminé ces travaux en juillet 1965.
Le 10 avril 1967, Ringgenberg a ouvert contre Dumanet,
BGE 96 II 351 S. 352
devant le Tribunal cantonal neuchâtelois, une action en paiement de 10 000 fr. à titre de dommages-intérêts. Selon lui, la dalle ne pouvait pas supporter la charge prévue, si bien qu'il avait fallu reprendre l'ouvrage complètement.
B.-
Le Tribunal cantonal neuchâtelois a reconnu que la dalle litigieuse n'était de loin pas assez solide pour supporter les machines auxquelles elle était destinée, faute d'avoir été calculée par un architecte ou par un ingénieur. Il a admis que le défendeur avait commis une faute évidente, engageant sa responsabilité et que les défauts avaient été signalés en temps utile. Il a constaté enfin que la facture envoyée par l'entreprise Regazzoni et Maggi pour le renforcement de la dalle s'élevait à 11 965 fr. 75, y compris 1819 fr. 85 relatifs à la démolition partielle de l'ouvrage du défendeur. Dans son jugement du 6 juillet 1970, le Tribunal cantonal neuchâtelois n'a toutefois admis les conclusions de la demande qu'à concurrence de 1819 fr. 85. Il a considéré que le demandeur avait intenté "uniquement l'action en dommages-intérêts" et qu'il n'avait prouvé qu'un seul élément de dommages, à savoir le coût de la démolition de la dalle; le solde de la facture Regazzoni et Maggi en revanche ne saurait être pris en considération que dans le cadre d'une action en réduction de prix qui, en l'occurrence, n'avait pas été ouverte.
C.-
Le demandeur a introduit un recours en réforme. Il y reprend ses conclusions initiales et propose subsidiairement le renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour nouveau jugement.
L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant reproche au Tribunal cantonal neuchâtelois d'avoir constaté par inadvertance que la dalle litigieuse en hourdis avait été démolie puis remplacée par une nouvelle, en béton, par les soins de l'entreprise Regazzoni et Maggi.
Il ressort en effet nettement du dossier et en particulier des pièces auxquelles le jugement déféré renvoie expressément que la dalle défectueuse n'a pas été détruite, mais qu'elle a été consolidée au moyen de sommiers auxquels il a fallu faire de la place en démolissant quelques hourdis. De plus, l'ancienne chape, qui n'adhérait pas, a été enlevée et remplacée; il ne s'agissait
BGE 96 II 351 S. 353
là toutefois pas d'une nouvelle dalle, qui aurait été plus épaisse. L'entreprise Regazzoni et Maggi a bien construit une dalle en béton, mais à l'étage supérieur, et qui n'est pas en cause ici.
L'inadvertance manifeste de l'autorité cantonale doit dès lors être rectifiée conformément à l'art. 63 al. 2 OJ. Cela fait, il apparaît d'emblée qu'une distinction entre les frais de démolition de l'ancienne dalle et le coût d'une nouvelle dalle ne repose sur rien: l'entier de la facture Regazzoni et Maggi concerne les travaux de réparation et de renforcement de l'ouvrage de l'intimé.
2.
a) Le jugement déféré, faute d'un recours sur ces points, a établi définitivement que la dalle était défectueuse et que l'intimé avait commis une faute engageant en principe sa responsabilité. En pareil cas, les règles du contrat d'entreprise, qui s'appliquent en l'occurrence, accordent au maître d'oeuvre l'action rédhibitoire, l'action en réduction du prix ou l'action en réfection et, de surcroît, puisque l'entrepreneur est en faute, l'action en dommages-intérêts (art. 368 CO).
Ainsi que le relève pertinemment le jugement déféré, le recourant n'a introduit ni l'action rédhibitoire, ni l'action en réduction. On ne saurait toutefois admettre sans autre l'opinion des premiers juges, selon qui le coût des travaux facturés par l'entreprise Regazzoni et Maggi ne pourrait, pour sa plus grande part, être pris en considération que dans le cadre d'une action en réduction du prix, en tant que l'un des éléments du compte.
b) Le maître d'oeuvre était en droit d'opter pour la réparation et d'obliger l'entrepreneur à procéder à ses frais à la réfection de l'ouvrage (art. 368 al. 2 CO). La solution adoptée permettait d'éviter la destruction et par conséquent la perte totale de la dalle litigieuse en procédant à l'étayage et au renforcement de celle-ci pour lui donner les qualités promises. Elle représentait par conséquent une mesure adéquate pour réduire le dommage.
c) L'intimé s'était toutefois montré absolument incapable de construire correctement la dalle qui lui avait été commandée et il avait commis des fautes propres à enlever toute confiance au recourant. Un tel comportement est assimilable au refus de réparer, éventualité dans laquelle le maître doit être autorisé à faire exécuter la réfection par un tiers et à réclamer à l'entrepreneur la pleine réparation du préjudice qui en résulte pour lui (BECKER, Kommentar zum schweizerischen Zivilgesetzbuch, Obligationenrecht, Berne 1934, ad art. 368 no 10, p. 480;
BGE 96 II 351 S. 354
GAUTSCHI, Berner Kommentar, Das Obligationenrecht, Berne 1967, ad art. 368 no 20, p. 352). Le montant réclamé correspond alors aux dommages-intérêts compensatoires pour inexécution d'une obligation de faire (RO 91 II 350 et 93 II 327; BECKER, op.cit., ad art. 368 no 13, p. 480; OSER/SCHÖNENBERGER, Kommentar zum schweizerischen Zivilgesetzbuch, Das Obligationenrecht, Zurich 1936, ad art. 368 no 11 ss., p. 1402 ss.; GAUTSCHI, op. cit, ad art. 368 no 24, p. 355).
d) La prétention du recourant à se faire, dans le cadre d'une action en dommages-intérêts, rembourser par l'intimé la facture de l'entreprise Regazzoni et Maggi est donc en principe fondée. Le Tribunal fédéral toutefois, pour être en mesure de réformer le jugement déféré, devrait disposer de constatations auxquelles l'autorité cantonale n'a pas procédé. Il faudrait notamment savoir si le coût de la réfection de la dalle n'était pas excessif (art. 368 al. 2 CO); quel est le montant du préjudice, compte tenu de la plus-value ou de la moins-value apportée à l'immeuble du recourant par la dalle telle qu'elle se présente actuellement et, enfin, si les dommages-intérêts doivent être réduits au regard des circonstances (art. 43 CO) ou de la faute concurrente du recourant (art. 44 CO). La cause doit dès lors être renvoyée à l'autorité cantonale conformément à l'art. 64 al. 1 OJ, pour qu'elle statue à nouveau dans le sens des considérants.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet le recours et annule le jugement rendu le 6 juillet 1970 par le Tribunal cantonal neuchâtelois;
2. Renvoie la cause à l'autorité cantonale pour qu'elle statue à nouveau dans le sens des considérants. | public_law | nan | fr | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
01e4e2ca-d1c2-447c-af98-38680973d04c | Urteilskopf
136 III 6
2. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. AG gegen Baugenossenschaft B. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_333/2009 vom 4. Dezember 2009 | Regeste
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
; Bauhandwerkerpfandrecht; Gerüstbau.
Die Montage eines Gerüsts, das nicht eigens für einen bestimmten Bau hergestellt wurde und auf einer anderen Baustelle wieder verwendet werden kann, ist keine Arbeit, für die ein Bauhandwerkerpfandrecht beansprucht werden kann. Für eine Änderung dieser Praxis bestehen keine ernsthaften sachlichen Gründe (E. 2-6). | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 136 III 6 S. 6
A.
Die Baugenossenschaft B. ist Eigentümerin des selbstständigen und dauernden Baurechts Grundbuch-Nr. 8635 mit Mehrfamilienhäusern, die sie sanieren lassen wollte. Sie übertrug die Gerüstarbeiten für den Pauschalbetrag von Fr. 50'300.- an die K. AG. Das Gerüst wurde ab 4. Februar 2008 aufgebaut und musste in verschiedenen Bauetappen umgestellt bzw. dem Baufortschritt angepasst, d.h. teilweise abgebaut und in geänderter Form wieder aufgebaut werden. Verwendet wurde kein für das Bauvorhaben eigens hergestelltes Gerüst, sondern ein gängiges Element-/Systemgerüst.
BGE 136 III 6 S. 7
Dessen Abbau erfolgte ab 9. Juli 2008 und wurde am 7. August 2008 beendet.
B.
Die K. AG (Beschwerdeführerin) und die Baugenossenschaft B. (Beschwerdegegnerin) vereinbarten im März/April 2008 die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zur Sicherstellung des Vergütungsanspruchs von Fr. 50'300.-. Die vorläufige Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts für Fr. 50'300.- zugunsten der Beschwerdeführerin und zulasten von Nr. 8635 wurde am 14. April 2008 im Grundbuch vorgemerkt. Die Beschwerdeführerin erhob am 3. Juli 2008 Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts für Fr. 50'300.- nebst Zins. Die Beschwerdegegnerin schloss auf Abweisung. Die von der Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin inzwischen gestellten Rechnungen über insgesamt Fr. 51'300.- blieben unbezahlt. Das Handelsgericht des Kantons Bern wies die Klage ab.
C.
Dem Bundesgericht beantragt die Beschwerdeführerin die Anweisung an das zuständige Grundbuchamt, das vorläufig eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht für Fr. 50'300.- nebst Zins definitiv im Grundbuch einzutragen. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Anspruch auf Errichtung eines gesetzlichen Grundpfandes besteht gemäss
Art. 837 Abs. 1 ZGB
"für die Forderungen der Handwerker oder Unternehmer, die zu Bauten oder andern Werken auf einem Grundstücke Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben, an diesem Grundstücke, sei es, dass sie den Grundeigentümer oder einen Unternehmer zum Schuldner haben" (Ziff. 3). Streitig ist, ob der Gerüstbau der Beschwerdeführerin als "Arbeit" im Sinne von
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
erfasst werden kann. Das Bundesgericht hat im Jahr 2005 entschieden, dass der Monteur des Baugerüsts nicht in den Genuss des Bauhandwerkerpfandrechts kommt, unabhängig von der Qualifikation des Vertrags, der ihn mit dem Bauherrn oder dem Unternehmer bindet, zumindest wenn das Gerüst nicht für einen bestimmten Bau hergestellt worden ist (
BGE 131 III 300
). Das Handelsgericht hat sich auf den bundesgerichtlichen Entscheid gestützt. Die Beschwerdeführerin beantragt eine Praxisänderung. Sie begründet die Berechtigung und die
BGE 136 III 6 S. 8
Notwendigkeit der Änderung von
BGE 131 III 300
damit, dass die Frage nach der Pfandberechtigung von Bauarbeiten allgemein und insbesondere für den Gerüstbau von erheblicher Tragweite sei, dass
BGE 131 III 300
in der massgebenden Lehre auf heftige Kritik gestossen sei und dass die Rechtssicherheit durch eine Änderung von
BGE 131 III 300
nicht ernsthaft gefährdet werde, da es sich um ein erstmaliges und einmaliges Präjudiz handle, das erst vor relativ kurzer Zeit gefällt worden sei. Wie das Bundesgericht neu zu entscheiden habe, legt die Beschwerdeführerin unter anderem mit Hinweis auf die laufende Gesetzesrevision ausführlich dar. Entscheidend ist ihr Einwand, dass der Anspruch auf Errichtung des Bauhandwerkerpfandrechts zwar eine sachenrechtliche Beziehung zwischen der forderungsbegründenden Leistung und dem Grundstück voraussetze, diese sachenrechtliche Beziehung aber nicht oder zumindest nicht in jedem Fall in einer unmittelbaren Einwirkung der Bauarbeit auf das Baugrundstück bestehen müsse. Die Beschwerdegegnerin verlangt, an
BGE 131 III 300
festzuhalten und auf die sachenrechtliche Betrachtungsweise abzustellen, die den wirtschaftlichen Überlegungen der Beschwerdeführerin weiterhin vorzuziehen sei.
3.
Eine Änderung der Praxis lässt sich regelmässig nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich deshalb auf ernsthafte sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt worden ist (
BGE 135 I 79
E. 3 S. 82;
BGE 135 II 78
E. 3.2 S. 85;
BGE 133 III 335
E. 2.3 S. 338). Es ist zu prüfen, ob die Vorbringen der Beschwerdeführerin so gewichtig sind, dass sich eine Änderung der vom Bundesgericht in
BGE 131 III 300
eingehend begründeten grundsätzlichen Ablehnung des Bauhandwerkerpfandrechts für Forderungen aus besagten Gerüstbauarbeiten rechtfertigt.
4.
Die Beschwerdeführerin begründet die Notwendigkeit einer Änderung von
BGE 131 III 300
mit der daran geübten Kritik in der Lehre und mit der Wichtigkeit des Entscheids über diese Frage für das Baugewerbe.
4.1
Dass die Pfandberechtigung von Forderungen aus Gerüstbau in der Baupraxis wichtig ist, steht ausser Diskussion. Das
BGE 136 III 6 S. 9
Bundesgericht hat denn auch bei erster geeigneter Gelegenheit ein Leiturteil dazu gefällt. Es hat sich dabei mit der Lehre befasst und namentlich auf das massgebende Standardwerk "Das Bauhandwerkerpfandrecht" von RAINER SCHUMACHER verwiesen. In der 2. Auflage von 1982 (N. 260) bejaht der Kommentator die Frage, ob der Gerüstbauer einen Anspruch auf Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts habe (
BGE 131 III 300
E. 4.1 S. 304), während er - was hier ergänzt sei - die Frage in der 1. Auflage von 1979 (N. 104) noch verneint hat. Er hat das in
BGE 131 III 300
veröffentlichte Urteil besprochen (in: Baurecht, BR 2005 S. 163-166: Kein Bauhandwerkerpfandrecht beim Gerüstbau?) und an der Pfandberechtigung des Gerüstbaus auch in der 3. Auflage des Standardwerkes von 2008 festgehalten (N. 298 und N. 321-324). Diese Lehrmeinung halten weitere Autoren, die ihr auch schon vor der Veröffentlichung von
BGE 131 III 300
gefolgt sind, für zutreffend, ohne - wie die Beschwerdeführerin zutreffend hervorhebt - einen eigenen Standpunkt zu entwickeln (z.B. JOSEF HOFSTETTER, in: Basler Kommentar, 2. Aufl. 2003 und 3. Aufl. 2007, je N. 4 zu Art. 839/840 ZGB).
4.2
In seinem Rechtsprechungsbericht fasst HEINZ REY zusammen, bei der Beantwortung der sich in
BGE 131 III 300
stellenden Hauptfrage stehe die sachenrechtliche Betrachtungsweise im Vordergrund, die der Rechtssicherheit dienende Kriterien zu liefern vermöge, um den Kreis der Pfandrechtsprivilegierten zu umgrenzen. Er hält dies für anerkennenswert und fährt fort, indessen wäre zu wünschen, dass vor allem die Doktrin, vom Gesetzeswortlaut des
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
ausgehend, der davon spricht, dass derjenige ebenfalls pfandrechtsprivilegiert ist, der "Arbeit allein" erbracht hat, den Zweck des Bauhandwerkerpfandrechts auch unter anderen Gesichtspunkten (einschliesslich bereicherungs- und gewinnherausgaberechtlichen) neu überdenken würde. Er verweist auf die kritisch-konstruktiven Bemerkungen zu diesem Urteil von RAINER SCHUMACHER (BR 2005 S. 163 ff.) und meint, insbesondere sei seine Qualifikation des Gerüstbaus als eine typische Bauarbeit ebenso beachtenswert wie sein Vorschlag, bei der hängigen Revision des Immobiliarsachen- und Grundbuchrechts die durch den vorliegenden Entscheid geschaffene Problematik in einem grösseren systematischen Rahmen zu reflektieren. Dem könne nur zugestimmt werden (Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts, veröffentlicht im Jahr 2005. Sachenrecht, ZBJV 143/2007 S. 830). Nicht bloss aus Gründen der Rechtssicherheit, sondern unter dem Aspekt der direkten
BGE 136 III 6 S. 10
Wertvermehrung stimmt TAMARA BERCHTOLD dem Urteil in ihrer Doktorarbeit zu. Die Leistungen des Gerüstbauers stellten ein Beispiel für indirekte Arbeiten dar, die sich ebenfalls auf den Bauvorgang auswirkten, aber eben nicht unmittelbar mit der Baute verbunden würden und auch nicht zu einer direkten Wertvermehrung führten (Zur Revisionsbedürftigkeit des Bauhandwerkerpfandrechts, 2008, S. 103 f.; gl.M. CHRISTOPH THURNHERR, Das Bauhandwerkerpfandrecht - eine aktuelle Übersicht, ZBJV 142/2006 S. 909 ff., 916).
4.3
Die wenigen Hinweise auf die Literatur verdeutlichen, dass das Bundesgericht die unterschiedlichen Lehrmeinungen in
BGE 131 III 300
beachtet und in Weiterführung seiner Rechtsprechung das Bauhandwerkerpfandrecht für Forderungen aus Gerüstbau nicht zugelassen hat. Die seither weiterhin unterschiedlichen Lehrmeinungen wiederholen und verdeutlichen die bisherigen Standpunkte und können deshalb eine Änderung von
BGE 131 III 300
für sich allein nicht rechtfertigen.
5.
Entscheidend ist die sachenrechtliche Beziehung, die die pfandberechtigten von den sonstigen Bauarbeiten abgrenzt. Mit ihren Vorbringen zur Auslegung vermag die Beschwerdeführerin keine ernsthaften Gründe darzutun, die eine Praxisänderung stützen könnten.
5.1
Grundgedanke und Rechtfertigung des gesetzlichen Grundpfandes für die Forderungen der Handwerker und Unternehmer bestehen darin, dass ihre Arbeit einen Mehrwert schafft, diese Arbeit in der Regel aber nicht zum Voraus, sondern erst nach Abschluss vergütet wird. Weil das Ergebnis ihrer Arbeit zu einer Baute oder einem anderen Werk auf einem Grundstück sachenrechtlich zu dessen Bestandteil wird, kann die Vergütung der Arbeit nicht anders als durch ein Pfandrecht an diesem Grundstück gesichert werden (TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl. 2009, § 112 N. 37-38 S. 1117 f.; STEINAUER, Les droits réels, Bd. III, 3. Aufl. 2003, N. 2855-2859 S. 267 f.).
5.2
Die sachenrechtliche Betrachtungsweise lässt sich auf den Wortlaut - als Ausgangspunkt jeder Auslegung - von
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
stützen. Voraussetzung des Anspruchs auf Errichtung des gesetzlichen Grundpfandes ist, dass "zu Bauten oder andern Werken auf einem Grundstücke Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert" worden sein muss ("sur l'immeuble pour lequel ils ont fourni des matériaux et du travail ou du travail seulement" bzw. "che avessero fornito materiali e lavoro, o lavoro soltanto, per una
BGE 136 III 6 S. 11
costruzione o per altre opere sopra un dato fondo"). Als pfandberechtigt gelten nur Forderungen für "Material und Arbeit" und für "Arbeit allein", die sich mit dem Werk auf dem Grundstück verbinden. Es scheiden damit - wie die Beschwerdeführerin hervorhebt - blosse Materiallieferungen oder geistige Arbeit aus, folgerichtig aber auch die Gerüstbauarbeiten, weil das Gerüst sich nur vorübergehend mit dem Werk auf dem Grundstück verbindet und nicht zu dessen Bestandteil wird. Die Bauarbeit bezieht sich unmittelbar auf das Gerüst und nicht auf das Grundstück (
BGE 131 III 300
E. 3 S. 303 und E. 4.2 S. 305). Der Gerüstbau unterscheidet sich nicht von den Arbeitsleistungen im Zusammenhang mit dem Baubewilligungsverfahren (z.B. Aufstellen des Baugespanns) oder mit der Einrichtung der Baustelle (z.B. Auf- und Abbau des Baukrans). Forderungen daraus sind anerkanntermassen nicht pfandberechtigt (SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 3. Aufl. 2008, N. 326).
5.3
Den sachenrechtlichen Bezug hat die Rechtsprechung zum einen insofern gelockert, als alle Leistungen und Lieferungen ein und desselben Handwerkers oder Unternehmers in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden müssen. Sind sie als "un seul travail spécifique" zu betrachten, werden sie auch gesamthaft durch ein Baupfand geschützt (
BGE 131 III 300
E. 3 S. 303). In diesem Sinn gelten Leistungen und Lieferungen des gleichen Handwerkers oder Unternehmers, die teils pfandberechtigt, teils nicht pfandberechtigt sind, in ihrem ganzen Umfang als pfandgeschützt, wenn nichts Abweichendes vereinbart worden oder die Ausscheidung unterblieben ist (
BGE 103 II 33
E. 4 S. 40). Dieser Sonderfall wird hier nicht geltend gemacht, geht es doch um eine Forderung einzig aus Gerüstbau, der nach der allgemeinen Regel (E. 5.2 soeben) nicht pfandgeschützt ist.
5.4
Zum anderen und hier entscheidend kann die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts für die Lieferung von Sachen verlangt werden, die eigens für einen bestimmten Bau angefertigt worden und deshalb sonst nicht oder nur schwer verwendbar sind. Dieser zweite Sonderfall könnte auch das Gerüst erfassen, das im Hinblick auf einen bestimmten Bau hergestellt wird
und
auf einer anderen Baustelle nicht oder kaum wieder verwendet werden kann (
BGE 131 III 300
E. 3 S. 303 f. und E. 4.2 S. 305). Die Voraussetzung trifft hier nicht zu, da gemäss den handelsgerichtlichen Feststellungen kein speziell für den besagten Auftrag angefertigtes Gerüst, sondern ein Element-/Systemgerüst mit einem Meccano zum
BGE 136 III 6 S. 12
Zusammensetzen verwendet wurde. Einem derartigen Gerüst fehlt die als dauernd gewollte Verbindung mit dem Bau oder anderen Werk auf dem Grundstück (
BGE 106 II 333
E. 4b S. 337). Der Auf-, Um- und Abbau des Gerüsts unterscheidet sich damit wesentlich von pfandgeschützten Lieferungen wie Frischbeton und ähnliche für einen bestimmten Bau speziell vorfabrizierte Materialien, die zur körperlichen Verbindung mit dem Bau oder anderen Werken auf dem Grundstück vorgesehen sind (STEINAUER, a.a.O., N. 2873a S. 274, mit Hinweisen). Dass in diesem Zusammenhang nicht von Arbeit mit einer "unmittelbaren physischen Einwirkung auf das Grundstück" gesprochen werden kann, ist richtig, betrifft aber nur die Formulierung und nicht das Ergebnis. Es genügt und ist notwendig, dass die Arbeitsleistung zu einer körperlichen Verbindung mit dem Grundstück bestimmt ist (
BGE 97 II 212
E. 1 S. 215: "destinées à une construction déterminée"). Dass die Arbeit auf der Baustelle selbst geleistet werden muss, ist ebenso wenig vorausgesetzt (STEINAUER, a.a.O., N. 2873b S. 274; vgl. auch SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 3. Aufl. 2009, S. 436 N. 1710-1712, je mit Hinweisen).
5.5
Die Anerkennung einer Pfandberechtigung für den Bau eines wieder verwendbaren Gerüsts, wie sie die Beschwerdeführerin fordert, bedeutete nicht bloss eine weitere Lockerung der sachenrechtlichen Betrachtungsweise, sondern deren vollständige Aufgabe und damit ein Abweichen vom Konzept des Bauhandwerkerpfandrechts. Vorausgesetzt ist, dass die pfandgeschützten Leistungen "se matérialisent dans la construction" (
BGE 119 II 426
E. 2a S. 427), d.h. sich mit dem Bau oder anderen Werk auf dem Grundstück körperlich verbinden müssen (E. 5.1-5.3) oder zu einer solchen Verbindung wenigstens bestimmt sein müssen (E. 5.4 soeben). Dass der Gerüstbau zu 65 % in manueller Arbeit besteht, unerlässlich für die Erstellung eines Bauwerks auf einem Baugrundstück ist und ein erfolgsbezogenes Mitwirken an der gesamten arbeitsteiligen Bauausführung darstellt, begründet für sich allein keine Pfandberechtigung, kann doch der Gerüstbau nicht als eine Arbeit zu Bauten oder anderen Werken auf einem Grundstück betrachtet werden, die sich mit dem Grundstück dauernd körperlich verbindet oder zu einer solchen Verbindung bestimmt ist. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin vermögen eine Praxisänderung nicht zu rechtfertigen.
6.
Schliesslich verweist die Beschwerdeführerin auf die laufende Gesetzesrevision. Ein "Unmittelbarkeitsprinzip" sei nicht vorgesehen.
BGE 136 III 6 S. 13
Gemäss der Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Register-Schuldbrief und weitere Änderungen im Sachenrecht) vom 27. Juni 2007 bleibt das Grundkonzept des Bauhandwerkerpfandrechts unverändert. Neu wird in
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
die Ausdehnung des Pfandschutzes auf Abbrucharbeiten vorgeschlagen ("die zu Bauten oder andern Werken auf einem Grundstück oder zum Abbruch derselben Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben"). Die weiteren, teilweise lediglich redaktionellen Änderungen interessieren im vorliegenden Zusammenhang nicht (BBl 2007 5283 S. 5319 f.). Der Ständerat als Erstrat hat den Pfandschutz zusätzlich auf den Gerüstbau, die Baugrubensicherung und dergleichen erweitert (AB 2008 S 415-419: "die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbrucharbeiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben"). Im Nationalrat (AB 2009 N 622-626) wurde die Erweiterung der pfandgeschützten Bauleistungen unterstützt (Voten Thanei, Amherd und Huber, alle S. 624) und vereinzelt auch abgelehnt (Votum Schwander, S. 623), dem Beschluss des Ständerats aber schliesslich zugestimmt (Abstimmung, S. 626). Uneinigkeit besteht in der Frage des Bauhandwerkerpfandrechts für Subunternehmer. Mit Bezug auf
Art. 837 ZGB
ist die Differenzbereinigung erfolgt (AB 2009 S 938-941 und Sitzung des Nationalrats vom 26. November 2009). Im Urteilszeitpunkt stehen die Schlussabstimmungen noch aus.
Nach dem derzeitigen Stand der Revision sollen künftig nicht mehr nur Leistungen zu Bauten oder anderen Werken auf einem Grundstück pfandgeschützt sein, sondern Leistungen auf einem Grundstück auch zu Abbrucharbeiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung und dergleichen. Allein die Formulierung verdeutlicht, dass Arbeit auf einem Grundstück im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben genügen soll, die bisherige körperliche Verbindung der Arbeit mit dem Grundstück oder wenigstens die Bestimmtheit der Arbeit zu einer solchen Verbindung hingegen nicht mehr verlangt wird. Der Zusatz "und dergleichen" dürfte bedeuten, dass letztlich jede Lieferung von Material und Arbeit oder Arbeit allein auf einem Grundstück pfandberechtigt sein wird, wenn und soweit sie nur mit einem konkreten Bauvorhaben im Zusammenhang steht. Die vorgesehene Revision passt nicht in das heutige rechtliche Umfeld und läuft auf eine Änderung des bisherigen Rechts hinaus. Unter diesen Umständen kann sie weder bei der Auslegung des geltenden
BGE 136 III 6 S. 14
Rechts berücksichtigt werden noch die verlangte Praxisänderung rechtfertigen (vgl. HAUSHEER/JAUN, Die Einleitungsartikel des ZGB, 2003, N. 58 und N. 193 f. zu
Art. 1 ZGB
; STEINAUER, Le Titre préliminaire du Code civil, SPR II/1, 2009, N. 274 S. 92, bei/in Anm. 24, und N. 459 S. 160, je mit Hinweisen). | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
01e6b34c-0589-49ef-978f-644e5fd9c831 | Urteilskopf
105 Ia 190
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Juli 1979 i.S. F. gegen Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; kantonale Prüfung.
Kognition des Bundesgerichts bei staatsrechtlichen Beschwerden gegen kantonale Examensentscheide. | Sachverhalt
ab Seite 190
BGE 105 Ia 190 S. 190
Mit Schreiben vom 24. April 1978 teilte der Studiensekretär der Hochschule St. Gallen dem Beschwerdeführer F. mit, dass er die Zwischenprüfung im Fach "Volkswirtschafts-Lehre I" zum dritten Mal und damit endgültig nicht bestanden habe. Gegen diesen Prüfungsentscheid reichte F. beim Senat Einsprache ein; sie blieb ohne Erfolg. Auch die beim Hochschulrat der Hochschule St. Gallen eingelegte Beschwerde wurde abgewiesen. Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende auf
Art. 4 BV
gestützte Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Bei staatsrechtlichen Beschwerden gegen Prüfungsentscheide ist die Kognition des Bundesgerichts grundsätzlich nicht anders als bei andern auf
Art. 4 BV
gestützten Beschwerden. Demnach überprüft das Bundesgericht die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung der kantonalen Behörden lediglich auf Willkür hin und greift nur ein, wenn diese offensichtlich falsch sind oder auf einem offenkundigen Versehen
BGE 105 Ia 190 S. 191
beruhen (
BGE 101 Ia 306
;
BGE 98 Ia 142
mit Hinweisen). Auch bei der Anwendung und Auslegung des kantonalen Rechts - sowohl des Verfahrensrechts, als auch der materiellen Vorschriften - steht dem Bundesgericht die Willkürprüfung zu, und es hebt den angefochtenen Entscheid nur auf, wenn kantonale Vorschriften in unhaltbarer Weise ausgelegt und angewendet wurden, so dass der Entscheid mit keinen sachlichen Gründen vertreten werden kann (
BGE 102 Ia 3
;
BGE 97 I 627
, 923). Das Bundesgericht prüft indessen frei, ob die unmittelbar aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Garantien, insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei (
BGE 103 Ia 138
;
BGE 102 Ia 26
;
BGE 101 Ia 170
).
Eine besondere Kognitionsregelung ergibt sich freilich für die Überprüfung von Examensleistungen. Deren Bewertung erfolgt nach pflichtgemässem Ermessen der Prüfungsinstanz. Bei Ermessensentscheiden einer Verwaltungsbehörde kann das Bundesgericht nach der allgemeinen Regel auf Willkürbeschwerden hin eingreifen, wenn diese die Grenze zulässigen Ermessens offensichtlich überschritten hat, d.h. wenn ihr Entscheid auf einer unhaltbaren Würdigung der Umstände beruht oder wenn sie sich von Erwägungen hat leiten lassen, die offensichtlich keine oder doch keine massgebliche Rolle spielen dürfen (
BGE 100 Ia 307
E. 3b;
99 Ia 452
E. 4, 563 E. 2 mit Hinweis). Bei der Überprüfung von Examensentscheiden ist wegen deren besonderer Natur noch grössere Zurückhaltung geboten (vgl. Urteil vom 10. Mai 1967 i.S. R., vom 20. Dezember 1978 i.S. S.; SJZ 73/1977, S. 10; vgl.
BGE 99 Ia 591
f.). Die Besonderheit besteht vorab darin, dass eine sachgerechte Beurteilung oftmals die Kenntnis der Verhältnisse an der betreffenden Schule oder Universität sowie der Persönlichkeit der Kandidaten voraussetzt. Zudem werden Prüfungen in sehr verschiedenartigen Materien abgenommen, so dass als Examinatoren häufig Fachleute berufen werden, welche aufgrund ihrer Spezialkenntnisse und ihrer Erfahrung in einer bestimmten, zumeist nicht rechtlichen Materie zur Abnahme von Prüfungen besonders geeignet sind. Schliesslich erfordert eine wirksame Kontrolle einer Prüfungsleistung den Vergleich mit den Arbeiten der andern Kandidaten und eine Auseinandersetzung mit den übrigen Leistungen des Betroffenen. Die Abänderung einer Examensbewertung durch das Bundesgericht birgt daher die Gefahr neuer Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in sich.
BGE 105 Ia 190 S. 192
Diese Gefahr besteht insbesondere, wenn die Prüfung aufgrund des Entscheides wiederholt werden muss, denn Examen lassen sich nicht unter völlig gleichen Bedingungen nochmals durchführen (vgl. dazu im einzelnen PLOTKE, Probleme des Schulrechts, Prüfungen und Promotionen, 1974, S. 249 ff., 341 ff.). Aus diesen oder ähnlichen Erwägungen verzichten die Kantone oftmals auf Rechtsmittel gegen Prüfungsentscheide oder lassen nur formelle Rügen zu (
BGE 99 Ia 591
; Blätter für Zürcherische Rechtsprechung 70/1971, S. 52 f.; Urteil des BGer vom 1. Oktober 1975 i.S. D.). Auch das OG schliesst in Art. 99 lit. f die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen über das Ergebnis von eidgenössischen Berufs-, Fach- oder andern Fähigkeitsprüfungen aus (vgl. BBl 1965 II 1314). Der Bundesrat tritt auf Beschwerden von ETH-Studenten gegen das Ergebnis der Diplomprüfung ebenfalls nicht ein (VPB 39/1975 Nr. 85). Gegen letztinstanzliche Prüfungsentscheide kantonaler Behörden kann zwar gestützt auf
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde geführt werden, doch kann es nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, gewissermassen die Prüfung selbst zu wiederholen. Das Bundesgericht prüft daher bei solchen Beschwerden in erster Linie, ob das gesetzlich vorgeschriebene oder unmittelbar durch
Art. 4 BV
gewährleistete Prüfungsverfahren durchgeführt wurde und ob die kantonalen Rechtsmittelbehörden ihrer Kontrollpflicht in hinreichender Weise nachgekommen sind. Bezüglich der Bewertung von Examensleistungen prüft es lediglich, ob sich die entscheidenden Instanzen von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, so dass der Prüfungsentscheid unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht mehr vertretbar erscheint.
b) Gemäss Art. 26 der Ordnung für die wirtschaftswissenschaftliche Diplomprüfung vom 24. Januar 1968 können im kantonalen Einsprache- und Rekursverfahren nur die Verletzung wesentlicher Vorschriften der Prüfungsordnung und der zu ihrem Vollzug erlassenen Bestimmungen, Unangemessenheit in der Beurteilung des Leumunds sowie Willkür bei der Bewertung der Prüfungsleistung geltend gemacht werden. Indem die kantonalen Rechtsmittelinstanzen ihre Kognition im Sinne dieser Bestimmung beschränkt haben, haben sie kein Verfassungsrecht verletzt. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
01e73306-df81-468f-9869-2bb236c91c81 | Urteilskopf
80 IV 234
48. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1954 i.S. Kaufmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 112 StGB
, Mord.
Umstände und Überlegung, die eine besonders verwerfliche Gesinnung des Täters offenbaren; Verminderung der Willensfreiheit schliesst sie nicht aus. | Sachverhalt
ab Seite 234
BGE 80 IV 234 S. 234
A.-
Marie Kaufmann-Studer, geb. 1914, bewohnte mit ihrem Ehemanne, ihren sieben Kindern im Alter von zwei bis fünfzehn Jahren und ihrem 73 Jahre alten Vater in
BGE 80 IV 234 S. 235
Schüpfheim ein eigenes Haus, in dem sie einen Zigarrenladen führte. Obschon aus dem Verdienste des Ehemannes als Fabrikarbeiter monatlich etwa Fr. 700.-- in den Haushalt flossen, geriet die Familie wegen Vergnügungs- und Geltungssucht der Ehefrau immer mehr in Schulden. Vom Juli 1952 bis 12. März 1953 wurde für Forderungen von zusammen Fr. 4785.-- achtundzwanzigmal Hausrat und Ware des Geschäftes gepfändet. Ungefähr während des letzten halben Jahres dieser Zeitspanne sagte Marie Kaufmann, die sämtliche Betreibungsurkunden entgegennahm, ihrem Manne nichts mehr von den Betreibungen. Obschon sie hohe Abschlagszahlungen leistete, kam es bis zum 5. März 1953 wieder zu Betreibungen für Fr. 2384.--. Marie Kaufmann fürchtete immer mehr, ihre sorgfältig verheimlichte Schuldenmacherei werde ihrem Ehemanne und ihrem Vater bekannt, insbesondere als am 16. und 20. März der Betreibungsbeamte bei ihr erschien, einen neuen Zahlungsbefehl brachte und mit ihr über die Rückstände sprach, wobei er darauf hinwies, dass er Ende März die Versteigerung ansetzen müsse, wenn sie nicht eine Nachlassstundung nachsuche und es ihrem Ehemanne nicht gelinge, für zwei Monate den Lohn zum voraus zu beziehen. In ihrer Angst und primitiven Triebhaftigkeit, die mit Oberflächlichkeit ihres Denkens und Fühlens verbunden war, kam sie am 20. März 1953 nach dem Besuche des Betreibungsbeamten auf den Gedanken, ihren Vater und ihren Ehemann umzubringen, damit sie die Versteigerung nicht erlebten. Sie grübelte, wie sie das machen wolle, kam aber zu keinem Schlusse, weil ihr vor der Tat grauste. In der Nacht vom 20./21. März schlief sie nur wenig und in der Nacht vom 21./22. März gar nicht, weil ihr Nachdenken sie immer wieder zum gleichen Ergebnis führte, nämlich dass die beiden Männer die Versteigerung nicht erleben dürften.
Besonders stark beschäftigte der Gedanke sie am Abend des 22. März, einem Sonntag. Der Ehemann hatte sich an diesem Tage auf ihr Betreiben zum Besuche seiner Schwester
BGE 80 IV 234 S. 236
nach Weggis begeben. Als sie um 20 Uhr vernahm, ihr Vater habe das Nachtessen mit der Bemerkung abgelehnt, es solle fressen, wer Hunger habe, entschloss sie sich nach langem inneren Kampfe, ihn zu töten, damit er nicht am folgenden Morgen ihren Ehemann über die Lage der Familie unterrichte. Gegen 21 Uhr schickte sie die beiden älteren Kinder zum Bahnhof ihren Vater abholen; die anderen Kinder waren schon zu Bett gegangen. Dann nahm sie eine Axt, vergewisserte sich von der Laube her, dass Vater Studer schlief, ging in das Zimmer, schlug dem Schlafenden mit mehreren Axthieben den Schädel ein und deckte ihn mit einer Bettdecke zu. Hierauf stellte sie die Axt in die Laube, reinigte in der Küche den mit Blut bespritzten Ärmel und bereitete dem heimkehrenden Ehemanne das Nachtessen zu.
Nach der Mahlzeit begab sie sich mit ihrem Manne zu Bett, blieb aber schlaflos. In schwerem inneren Kampfe entschloss sie sich morgens 3 Uhr des 23. März, auch den Ehemann zu töten, holte die Axt, stellte sie bereit, legte sich wieder zu Bett, brütete weiter vor sich hin, erhob sich gegen 4 Uhr nochmals, ergriff die Axt und zertrümmerte dem Schlafenden mit mehreren Hieben den Schädel. Hernach ging sie in die Küche die blutige Axt waschen, stellte sie in den Keller und begab sich in ihr Bett zurück, die blutüberströmte Leiche ihres Ehemannes unbedeckt im Bette nebenan lassend. Etwas später kam sie auf den Gedanken, einen Raubüberfall vorzutäuschen, ging in den Laden, legte Zigarrenpakete in einen leeren Koffer, räumte die Ladenkasse aus, liess die Schublade offen und öffnete anschliessend zum gleichen Täuschungszwecke auch in der Stube einige Behälter und Türen. Nachher weilte sie noch mehrere Stunden lang neben dem Toten im Bett.
B.-
Am 14. Juli 1954 erklärte das Obergericht des Kantons Luzern Marie Kaufmann des wiederholten Mordes schuldig. Es nahm an, die Einsicht in das Unrecht der Taten habe ihr nicht gefehlt, doch sei ihre Fähigkeit, sich gemäss dieser Einsicht zu verhalten, in mittlerem Grade
BGE 80 IV 234 S. 237
herabgesetzt gewesen. Es milderte daher die Strafe gemäss
Art. 11 und 66 StGB
auf zwanzig Jahre Zuchthaus. Es stellte die Verurteilte für zehn Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein. Auf die Freiheitsstrafe rechnete es ihr die seit 23. März 1953 ausgestandene Untersuchungshaft an.
C.-
Marie Kaufmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des Obergerichts habe sie nicht unter Umständen und mit einer Überlegung getötet, die eine besonders verwerfliche Gesinnung offenbarten. Die Verminderung ihrer Zurechnungsfähigkeit schliesse eine besonders verwerfliche Gesinnung aus. Die Gesinnung im Zeitpunkt der Tat könne nur dann eine Rolle spielen, wenn der Sinn des Täters im wesentlichen frei sei, d.h. wenn er besinnen könne, was er tue, und wenn nicht im wesentlichen Impulse, über die er nicht mehr mächtig sei, die Tat bewirkten. Die Beschwerdeführerin habe sich somit nur der vorsätzlichen Tötung (
Art. 111 StGB
) schuldig gemacht.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Mord (
Art. 112 StGB
) unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung (
Art. 111 StGB
) dadurch, dass der Mörder "unter Umständen oder mit einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder seine Gefährlichkeit offenbaren".
Das Obergericht hat die Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin verneint, dagegen ihre besonders verwerfliche Gesinnung bejaht. Es schliesst auf solche Gesinnung aus den Umständen der Tat (äusserer Hergang, Vorgeschichte, Beweggrund) und weil die Beschwerdeführerin mit Überlegung gehandelt habe.
Damit verkennt das Obergericht, dass die Überlegung als solche weder allein noch in Verbindung mit den Umständen der Tat Merkmal des Mordes ist. Die Tat kann mit
BGE 80 IV 234 S. 238
Überlegung (préméditation, premeditazione) begangen worden und dennoch nur vorsätzliche Tötung sein, z.B. in dem schon in den Erläuterungen zum Vorentwurf (S. 120) und in der Botschaft des Bundesrates (S. 31) erwähnten und auch in der Bundesversammlung angeführten Falle, dass eine arme Witwe nach langen Seelenkämpfen aus Verzweiflung mit ihrem Kinde ins Wasser geht und lebend herausgezogen wird, während das Kind umkommt. Wie der Kassationshof schon in
BGE 70 IV 7
ausgeführt hat, liegt das Kennzeichen des Mordes nicht in der Überlegung, sondern in der Gefährlichkeit oder der besonders verwerflichen Gesinnung des Täters, die in der von ihm angestellten Überlegung oder auch bloss in den Umständen der Tat zum Ausdruck kommen. Wenn der Richter nicht schon allein aus den Umständen der Tat auf besonders verwerfliche Gesinnung schliesst und damit die Tat als Mord würdigt, sondern auch die Überlegungen berücksichtigt, die der Täter vor der Begehung gemacht und die ihn zur Tat bewogen haben, ist daher zu erwägen, ob sie die Gesinnung des Täters wirklich als besonders verwerflich erscheinen lassen.
2.
Im vorliegenden Falle trifft das zu. Die Überlegung der Beschwerdeführerin, sie wolle ihren Ehemann und ihren Vater umbringen, damit sie nicht erführen, in welche Lage sie die Familie durch ihre Schuldenmacherei gebracht hatte, insbesondere damit sie die Versteigerung der gepfändeten Sachen nicht erlebten, verrät einen besonders hohen Grad von Unmoral. Wie das Obergericht verbindlich feststellt, handelte die Beschwerdeführerin rein aus Egoismus. Sie wollte die beiden Haupturheber möglicher Vorwürfe aus der Welt schaffen; es war ihr nicht darum zu tun, ihnen die Schande der Versteigerung oder des drohenden Verlustes des Heimes zu ersparen; das war nur ein vorgeschobener Beweggrund, mit dem sie ihre Verbrechen vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen versuchte. Die Beschwerdeführerin handelte umso verwerflicher, als sie nicht unverschuldet in Not geraten, sondern durch Misswirtschaft,
BGE 80 IV 234 S. 239
die auf eine Vergnügungs- und Geltungssucht zurückging, in die bedrängte Lage gekommen war und es auch ihrer eigenen verfehlten Einstellung zuzuschreiben hatte, dass die beiden Männer noch nicht wussten, was der Familie drohte. Dass der Ehemann anlässlich früherer Betreibungen geschimpft hatte, mildert die Verwerflichkeit der Gesinnung der Beschwerdeführerin nicht. Das Schimpfen war durchaus berechtigt gewesen, und dass der Ehemann dabei besondere Bosheit oder eine drohende Haltung an den Tag gelegt oder die Beschwerdeführerin sogar geschlagen habe, behauptet sie nicht. Die zunehmende Angst der Beschwerdeführerin war objektiv unbegründet und ging subjektiv nur auf eine abwegige Charakterveranlagung zurück. Soweit diese die Willensfreiheit im Zeitpunkt der Tat herabsetzte, wurde ihr durch Milderung der Strafe Rechnung getragen. An der besonderen Verwerflichkeit der Gesinnung der Täterin ändert sie nichts. Gesinnung ist nicht, wie der Verteidiger annimmt, gleichbedeutend mit Fähigkeit des Besinnens im Augenblick der Tat. Verminderung der Willensfreiheit ändert an der Gesinnung nichts, die den Täter mit dem vorhandenen Teil von Willensfreiheit, für den er einzustehen hat, zum Verbrechen treibt. Ob die Gesinnung des vermindert Einsichtsfähigen gleich zu beurteilen sei wie die des voll Einsichtsfähigen, kann sich im vorliegenden Falle nicht fragen, da die Sachverständigen und das Obergericht der Beschwerdeführerin entgegen der Behauptung des Verteidigers die Fähigkeit, das Unrecht ihrer Taten voll einzusehen, nicht abgesprochen haben. Die Beschwerdeführerin hätte sich insbesondere auch sagen können und sollen, dass sie ihren sieben Kindern schweres Unrecht zufüge, ihnen den Vater und den Grossvater für immer zu entreissen. Wer durch solche Bedenken egoistische Regungen, wie die Beschwerdeführerin ihnen erlegen ist, nicht zu überwinden vermag, obschon er mehr als zwei Tage und Nächte über die Tat brütet, bekundet eine besonders verwerfliche Gesinnung.
BGE 80 IV 234 S. 240
3.
Die Umstände der Tat offenbaren übrigens gleiche Gesinnung. Zu diesen Umständen gehören hier schon die Bande des Blutes und der Ehe, mit denen die Beschwerdeführerin und ihre Opfer verbunden waren. Es bedarf eines aussergewöhnlichen Grades von Gefühlsrohheit, aus dem hier festgestellten Beweggrunde den eigenen Vater und den Ehemann zu töten. Das gewählte Mittel, ihnen mit mehreren Axtschlägen den Schädel zu zertrümmern, erhöht die Scheusslichkeit der Tat. Dass die Opfer schliefen, ersparte ihnen zwar Schmerzen, zeugt aber von Feigheit der Täterin und abgründigem Missbrauch des Vertrauens, das die Glieder einer in Hausgemeinschaft lebenden Familie einander entgegenbringen und das insbesondere zwischen Ehegatten und Blutsverwandten des ersten Grades besteht. Die Verwerflichkeit der Gesinnung der Beschwerdeführerin wird auch erhöht durch die Häufung zweier Verbrechen in ein und derselben Nacht, wobei das zweite erst endgültig beschlossen wurde, als das erste schon begangen war. Nur roheste Gesinnung kann es einem Weibe ermöglichen, am eigenen Manne eine so abscheuliche Tat, wie sie zuvor am Vater begangen wurde, zu wiederholen und sich nachher für mehrere Stunden neben die blutüberströmte Leiche zu Bette zu legen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
01ed9b78-6487-4d67-a0cc-c2d8f575c2bd | Urteilskopf
95 I 542
78. Auszug aus dem Urteil vom 9. Dezember 1969 i.S. Niederberger gegen Staatsanwaltschaft und Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 88 OG
. Legitimation bei Abweisung eines Begnadigungsgesuches; E.1.
Art. 31 Ziff. 8 zürch. KV. Verfassungsmässigkeit der zürcherischen Ordnung des Begnadigungsrechtes, die es der Gesetzgebung überlässt, die Fälle zu bestimmen, in welchen der Regierungsrat das Gesuch dem Kantonsrat zu unterbreiten hat; Überprüfungsbefugnis; E. 3 und 4.
Keine Verletzung der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes (
Art. 251 Abs. 3 BStP
); E. 5. | Sachverhalt
ab Seite 543
BGE 95 I 542 S. 543
Am 12. Dezember 1966 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich den Beschwerdeführer wegen Betruges, fortgesetzter und wiederholter Veruntreuung, wiederholter und fortgesetzter ungetreuer Geschäftsführung sowie wiederholter und fortgesetzter Urkundenfälschung, begangen in den Jahren 1957 bis 1959, zu zwei Jahren Gefängnis, abzüglich 302 Tage erstandener Untersuchungshaft. Der Verurteilte verlangte vom Regierungsrat des Kantons Zürich die Begnadigung. Dieser lehnte das Begehren ab. Niederberger stellte ein Wiedererwägungsgesuch. Er wurde auch damit abgewiesen.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Niederberger, der Beschluss vom 5. September 1968 sei aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist dazu bestimmt, den Bürger vor einer Beeinträchtigung in ihm verfassungsmässig zustehenden Rechten durch den Staat und seine Organe zu schützen. Sie setzt also voraus, dass der Betroffene in einem rechtlich geschützten Interesse, einem ihm persönlich zustehenden Rechtsanspruch verletzt ist.
Die einschlägigen Gesetze enthalten darüber keine Vorschriften, unter welchen Voraussetzungen der durch den Strafrichter Verurteilte zu begnadigen ist. Es sind dafür ausserhalb der richterlichen
BGE 95 I 542 S. 544
Beweiswürdigung, Rechtsanwendung und Strafzumessung liegende Verhältnisse massgebend. Sie können unter Umständen auch bloss politischer Natur sein. Darum steht der Begnadigungsbehörde bei der Ausübung des Gnadenrechtes ein weitgehendes freies Ermessen zu. Auf die Gewährung von Gnade besteht kein Rechtsanspruch, der etwa demjenigen gleichgestellt werden könnte, dass der Beschuldigte im Zweifelsfalle nicht verurteilt werden darf. Darum erhebt sich die Frage, ob und inwieweit allenfalls wegen Verweigerung der Begnadigung staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden kann. Bestenfalls kann gesagt werden, die Begnadigungsbehörde habe sich bei der Ausübung der ihr zustehenden Befugnis an Grundsätze zu halten und sie könne, jedenfalls für den Regelfall, bei gleichen tatsächlichen Verhältnissen nicht einem Gesuchsteller entsprechen, das Gesuch des anderen aber ablehnen.
Inwieweit der Entscheid des Regierungsrates, der es abgelehnt hat, das Gesuch des Beschwerdeführers dem Kantonsrat zum Entscheid zu unterbreiten, staatsrechtlicher Anfechtung zugänglich ist, mag jedoch dahingestellt bleiben, wenn sich die Beschwerde bei der sich aufdrängenden Zurückhaltung des über die Verfassungsmässigkeit urteilenden Richters als unbegründet erweist.
2.
...
3.
Die Verfassung des Kantons Zürich überträgt in Art. 31 Ziff. 8 das Begnadigungsrecht dem Kantonsrat "nach Massgabe von Art. 56 dieser Verfassung". Danach steht ihm das Begnadigungsrecht zu; es ist aber der Gesetzgebung überlassen, die Fälle zu bezeichnen, in welchen der Regierungsrat, an den die Begnadigungsgesuche zu richten sind, verpflichtet ist, ein Gesuch mit einem Antrag dem Kantonsrat vorzulegen. Für die übrigen Fälle wird der Regierungsrat als befugt bezeichnet, über die Vorlegung der Gesuche an den Kantonsrat oder über deren Abweisung zu befinden. Ausgeführt wird die Vorschrift durch § 491 der Strafprozessordnung. Er bestimmt, der Regierungsrat sei, wenn das Urteil auf lebenslängliches Zuchthaus lautet, oder wenn der Richter an ein erhöhtes Mindestmass der Zuchthausstrafe gebunden war, ferner bei politischen Vergehen und Verbrechen, verpflichtet, das Gesuch mit seinem Antrag dem Kantonsrat vorzulegen. In allen anderen Fällen entscheidet er über die Vorlegung oder Abweisung. In der Lehre ist streitig, ob mit der Neufassung der beiden Verfassungsvorschriften die frühere
BGE 95 I 542 S. 545
Streitfrage, ob
§ 491 StPO
eine verfassungsmässig unzulässige teilweise Übertragung des Begnadigungsrechts an den Regierungsrat darstelle, gelöst wurde (in diesem Sinn PETRZILKA, Erläuterungen, S. 517; a.M. WOLFFERS, Zur Begnadigung nach zürcherischem Recht, ZBl 41 (1940) S. 465). Die angefochtene Ordnung verstösst weder gegen kantonales Verfassungs- noch gegen Bundesrecht.
Welche Begnadigungsgesuche dem Kantonsrat zu unterbreiten sind, wird in Art. 56 KV dem Gesetzgeber überlassen. Dieser stellt in
§ 491 StPO
auf die Schwere der Strafe ab. Ob diese Unterscheidung verfassungswidrig ist, ist bloss unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
zu prüfen. Dass
§ 491 StPO
eine Verfassungsvorschrift ausführt, ist ohne Bedeutung. Gesetzliche Vorschriften, die einen in der Verfassung selbst angeführten Grundsatz ausführen, werden dadurch nicht Verfassungsrecht. Die Auslegung durch den Regierungsrat wäre nur zu beanstanden, wenn sie mit dem Wortlaut oder dem Sinn und Zweck der Vorschrift unvereinbar und sachlich nicht zu rechtfertigen wäre.
4.
Nur diejenigen Begnadigungsgesuche dem Kantonsrat zur Behandlung zu überweisen, welche schwere Fälle betreffen, lässt sich mit sachlichen Gründen rechtfertigen. Die Prüfung daraufhin, ob auf die Vollstreckung einer ausgesprochenen Strafe verzichtet werden soll, ist nicht bloss gewährleistet, wenn der Kantonsrat entscheidet, sondern auch, wenn der Entscheid darüber dem Regierungsrat zukommt. Er ist ebenso wie jener in der Lage, zu prüfen, ob Gründe der Billigkeit und Zweckmässigkeit für Bewilligung oder Ablehnung der Begnadigung sprechen. Es werden damit auch nicht gleiche Verhältnisse ungleich behandelt. Die Schwere der zu verbüssenden Strafe ist ein zulässiges Unterscheidungskriterium. Da der Regierungsrat in gleicher Weise wie der Kantonsrat zu prüfen hat, ob sich die Begnadigung rechtfertigt, läuft die Ordnung nicht auf eine Privilegierung von Gesuchstellern hinaus, die den Gesetzen in schwerer Weise zuwider gehandelt haben.
5.
Bundesrecht bezeichnet der Beschwerdeführer als verletzt, weil
Art. 251 Abs. 3 BStP
vorschreibe, dass im Verfahren in Bundesstrafsachen, die von den kantonalen Gerichten zu beurteilen sind, die Urteile den Parteien in schriftlicher Ausfertigung zugestellt werden sollen.
Art. 251 BStP
findet sich unter dem dritten Titel des Gesetzes. Er ordnet das Verfahren in Bundesstrafsachen, die von den
BGE 95 I 542 S. 546
kantonalen Gerichten zu beurteilen sind. Die darin enthaltenen Vorschriften gelten bei Beurteilung von Strafsachen eidgenössischen Rechts, für Urteile der kantonalen Gerichte, wenn sie eidgenössisches Strafrecht anwenden. Die Vorschrift über die Begründung dieser Urteile soll dem Bundesgericht die durch Verfassung und Gesetz zugewiesene Aufgabe ermöglichen, die Entscheidung auf eine Verletzung eidgenössischen Rechts zu überprüfen.
Begnadigungsentscheide unterliegen nicht der bundesgerichtlichen Überprüfung. Sie gehen nicht vom Richter aus, sondern stellen einen Hoheitsakt dar, der ausserhalb des prozessualen Rechtsganges gewährt wird. Der Entscheid darüber bedarf deshalb keiner schriftlichen Begründung. Eine solche wäre angesichts der für den Entscheid massgebenden Gesichtspunkte auch nicht leicht möglich (HAFTER, Strafrecht, Allgem. Teil S. 443 N. 2). | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
01ee89da-a74d-49f6-90e6-d7340d0e29cf | Urteilskopf
84 II 628
84. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1958 i.S. Fässler gegen Möbel AG | Regeste
Kauf gegen ratenweise Vorauszahlung.
1.
Art. 1, 2, 184 OR
. Der Vertrag ist selbst dann zustande gekommen, wenn die Parteien hinsichtlich des allfälligen Kaufpreisrestes auf die Teilzahlungsbedingungen des Verkäufers verweisen. Wenn solche im Geschäft des Verkäufers fehlen, setzt der Richter sie nach Recht und Billigkeit fest (Erw. 1).
2.
Art. 20 OR
,
Art. 27 Abs. 2 ZGB
.
a) Sittenwidrige Einschränkung des Rechts des Käufers, die Kaufgegenstände zu Konkurrenzpreisen aus angemessenen Beständen auszuwählen? (Erw. 2).
b) Macht die Möglichkeit, dass der Verkäufer seine Verpflichtungen nicht erfülle, den Kauf unsittlich? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 629
BGE 84 II 628 S. 629
A.-
Die ledige Arztgehilfin Klara Fässler, geb. 1935, schloss am 26. Juli 1957 mit der Möbel AG folgenden "Aussteuer-Kaufvertrag auf Vorzahlung" ab:
"1. Der unterzeichnete Käufer bestellt bei der Möbel AG Aussteuergegenstände (Möbel, Bettinhalt, Wäsche, Teppiche nach eigener Wahl) im Betrage von Fr. 5000.-- (Kaufsumme).
2. Der Käufer leistet eine erste Zahlung von Fr. 50.- am 31. Juli 1957 und monatliche Ratenzahlungen von mindestens Fr. 50.- jeweils am letzten jeden Monats, erstmals am 31. August 1957. Sobald 2/5 der vereinbarten Kaufsumme einbezahlt sind, können restliche Zahlungen bis zum Zeitpunkt der Lieferung beliebig erbracht werden. Der Käufer hat jedoch innert 10 Jahren seit Vertragsabschluss soviel einzuzahlen, dass zusammen mit Zins und Zinseszins die oben erwähnte Kaufsumme erreicht wird.
3. Die Zahlungen haben auf das Vorzahlungskonto bei der Schweizerischen Volksbank, St. Gallen, Postcheckkonto IX 12564 zu erfolgen. Die ersten Raten bis zum Betrage von 12% der Kaufsumme gelten als Anzahlung an die Möbel AG und werden von dieser verzinst. Alle 12% der Kaufsumme übersteigenden Beträge werden einem Sparheft der Schweizerischen Volksbank St. Gallen gutgeschrieben. Das Sparheft. bleibt bei der Schweizerischen Volksbank deponiert. Über das Sparguthaben kann nur mit gegenseitiger Zustimmung der beiden Vertragsparteien verfügt werden. Sämtliche Zahlungen des Käufers werden von der Möbel AG in den ersten 5 Jahren ab Vertragsabschluss zum doppelten Sparkassa-Zinsfuss im Maximum zu 5% und nachher noch zum Normal-Sparkassa-Zinsfuss verzinst.
4. Der Käufer kann seine Wahl jederzeit treffen, hat aber spätestens 10 Jahre nach Vertragsabschluss von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Die Wahl hat mindestens 6 Wochen vor dem gewünschten Liefertermin zu erfolgen. Bei der Auswahl werden 2 Bahnbillete vom Wohnort nach St. Gallen retour, jedoch im Maximum 2% der Kaufsumme vergütet. Die Lieferung erfolgt in der ganzen Schweiz mit Camion franko Haus. 5 Jahre Garantie gegen Reissen und Springen der Möbel.
5. Die Wahl erfolgt auf Grund der im Zeitpunkt der Wahl in den Ausstellungsräumen der Möbel AG sich befindenden sowie in deren Katalogen und Prospekten aufgeführten Modelle. Massgebend sind dabei die im Zeitpunkt der Wahl in den Ausstellungsräumen angeschriebenen bzw. in den gedruckten Detailpreislisten der Möbel AG und des Schweiz. Engros-Möbelfabrikanten (SEM)-Verbandes aufgeführten Barzahlungspreise.
6. Sofern das Guthaben des Käufers 2/5 der Kaufsumme erreicht, kann dieser Lieferung verlangen und den Restbetrag zu den Teilzahlungsbedingungen der Möbel AG tilgen. Mit Zustimmung der Verkäuferin kann eine derartige Regelung bereits früher getroffen werden. Sind bei der Möbellieferung mindestens 40 % der Kaufsumme bezahlt,
BGE 84 II 628 S. 630
so werden dem Käufer 2% des vorausbezahlten Betrages gutgeschrieben.
7. Sollte sich der Käufer nach 10 Jahren seit Vertragsabschluss noch nicht verheiratet haben, so ist er berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, hat aber hiefür die Möbel AG mit 12% der Kaufsumme zu entschädigen. Der Käufer erhält in diesem Falle die von ihm geleisteten Beträge einschliesslich des üblichen Bankzinses, unter Abzug der oben erwähnten Entschädigung, innert 30 Tagen zurück. Hat jedoch der Käufer zu diesem Zeitpunkt das 40. Altersjahr vollendet, so verzichtet die Möbel AG auf Entschädigung.
8. Bei Todesfall des Käufers werden die von ihm einbezahlten Beträge sowie der übliche Bankzins, ohne jeden Abzug, an seine Erben zurückerstattet. Ebenso erfolgt eine derartige Zurückerstattung an den Käufer im Falle unheilbarer Krankheit, dauernder schwerer Invalidität oder anderer wichtiger Gründe. (Auflösung des Verlöbnisses gilt nicht als wichtiger Grund.)
9. Mit Zustimmung der Möbel AG kann dieser Vertrag auch auf einen andern Käufer überschrieben werden."
Am 16. August und 7. September 1957 zahlte Klara Fässler der Möbel AG in Erfüllung des Vertrages zweimal je Fr. 50.-. Am 26. September liess sie ihr mitteilen, dass sie den Vertrag wegen Täuschung, Irrtums und Übervorteilung unverbindlich erkläre. Im gleichen Briefe machte sie geltend, solche Verträge seien allgemein sittenwidrig.
B.-
Am 21. November 1957 reichte Klara Fässler gegen die Möbel AG beim Kantonsgericht St. Gallen Klage ein mit dem Begehren auf gerichtliche Feststellung, dass der Vertrag nichtig, eventuell für die Klägerin unverbindlich sei, und auf Verurteilung der Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Fr. 100.--.
Das Kantonsgericht wies die Klage am 2. Mai 1958
entsprechend dem Antrage der Beklagten ab.
C.-
Die Klägerin hat rechtzeitig die Berufung erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage. Sie macht geltend, das angefochtene Urteil verletze Art. 1, 2, 20 Abs. 1, 23 f., 28 OR und
Art. 27 Abs. 2 ZGB
.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin macht geltend, der Vertrag sei nicht gültig zustande gekommen, weil die Parteien sich über die Teilzahlungsbedingungen nicht geeinigt hätten, zu denen
BGE 84 II 628 S. 631
sie den Rest des Kaufpreises zu tilgen habe, wenn sie gemäss Ziffer 6 die Lieferung der Kaufsache verlange.
Das trifft nicht zu. Eine Einigung liegt vor, denn die Parteien haben die "Teilzahlungsbedingungen der Möbel AG" als massgebend erklärt, also jene, welche die Beklagte in Abzahlungsgeschäften anzuwenden pflege. Fragen kann sich nur, ob es im Geschäfte der Beklagten solche Bedingungen wirklich gibt. Sollte das nicht zutreffen, so wären die gegenüber der Klägerin anzuwendenden Teilzahlungsbedingungen anhand des erwähnten Hinweises im Vertrage nicht bestimmbar. Dieser würde also insoweit eine Lücke aufweisen. Sie beträfe jedoch einen Nebenpunkt im Sinne des
Art. 2 OR
und stände daher der Verbindlichkeit des Vertrages nicht im Wege. Die Klägerin vermag zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung nicht anzuführen, sie habe dem Rechte, die Kaufsache gegen Abzahlung des Restpreises vorzeitig zu beziehen, entscheidende Bedeutung beigemessen. Dieses Recht ist ihr im Vertrage ausdrücklich eingeräumt worden und mag für sie wesentlich gewesen sein. Die Einzelheiten der Teilzahlungen, die sie nach seiner Ausübung zu leisten haben wird (Höhe und Fälligkeit der Raten, Zuschläge für Kreditierung, Sicherstellung des ausstehenden Betrages durch Eigentumsvorbehalt usw.), können dennoch nebensächlich sein. In dem in
BGE 84 II 266
ff. veröffentlichten Urteil hat denn auch das Bundesgericht in den Zahlungsbedingungen hinsichtlich eines Kaufpreisrestes Nebenpunkte gesehen. Dort war der Käufer schon nach Entrichtung eines Fünftels des Kaufpreises nicht mehr zu weiteren Vorauszahlungen verpflichtet, konnten also im Zeitpunkt der Lieferung vom Kaufpreis noch bis zu vier Fünfteln ausstehen. Im vorliegenden Falle kann der Rest höchstens drei Fünftel des ganzen Kaufpreises erreichen. Um so weniger kann gesagt werden, die Einzelheiten seiner Abzahlung hätten schon beim Abschluss des Vertrages festgelegt werden müssen. Sollten sie nicht auf Grund des Geschäftsbrauches der Beklagten bestimmbar sein und die Parteien sich über sie
BGE 84 II 628 S. 632
auch nicht einigen können, so wird der Richter sie "nach der Natur des Geschäftes" festlegen (
Art. 2 Abs. 2 OR
), d.h. nach Recht und Billigkeit entscheiden (
Art. 4 ZGB
). Die Übung im Möbelhandel wird ihm Richtschnur sein.
2.
Die Klägerin macht geltend, ihr Recht, die Kaufgegenstände zu Konkurrenzpreisen auszuwählen, sei in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise eingeschränkt und der Vertrag sei daher nichtig (
Art. 20 Abs. 1 OR
,
Art. 27 Abs. 2 ZGB
). Den Verstoss gegen die guten Sitten sieht sie darin, dass ihr nicht zugestanden sei, die Kaufsachen ausser bei der Verkäuferin bei einer dem Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverband angeschlossenen Firma auszuwählen, wie die Käufer in den in
BGE 84 II 13
ff. und 266 ff. veröffentlichten Fällen es tun konnten. Sie macht geltend, sie sei hinsichtlich Auswahl und Preise der Willkür der Beklagten ausgeliefert. Dazu komme, dass das Vorzahlungsgeschäft der Beklagten im Verhältnis zu ihrem gesamten Umsatz einen immer grösser werdenden Raum einnehme. Die Beklagte werde dereinst an "Direktkunden" nicht mehr interessiert sein und es daher wagen können, nur noch wenige Standarttypen anzubieten und die Preise beliebig zu erhöhen.
Das Kantonsgericht stellt indessen fest, dass die Beklagte ein sehr leistungfähiges Unternehmen hat und über eine sehr grosse Auswahl verfügt. Die Klägerin wird daher schon in den Ausstellungsräumen der Beklagten viele Möglichkeiten finden, Aussteuergegenstände auszuwählen. Die Befürchtung, in Zukunft werde es anders sein, weil die Beklagte sich immer mehr dem Vorzahlungsgeschäft zuwende, ist unbegründet. Die Klägerin hat in der Replik darauf hingewiesen, dass die Barzahler von 1950 bis 1957 von 69 auf 58% gesunken seien. Sie anerkennt somit die von der Beklagten vorgelegte Aufstellung, aus der sich das ergibt. Der gleichen Aufstellung ist indes auch zu entnehmen, dass der Anteil der Barzahler im Jahre 1953 auf 33% gefallen war und dann wieder ständig grösser wurde,
BGE 84 II 628 S. 633
bis er 1957 58% erreichte. Nichts spricht also dafür, dass die Beklagte das Barzahlungsgeschäft mehr und mehr aufgebe. Ob und inwieweit dadurch die Wahlmöglichkeiten zu Ungunsten der Klägerin eingeschränkt und die Preise erhöht würden, kann deshalb dahingestellt bleiben, und es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob die Möglichkeit des Eintritts dieser Tatbestände genügen würde, den Vertrag heute als unsittlich zu erklären.
Der Klägerin ist auch nicht beizupflichten, wenn sie glaubt, sie dürfe Aussteuergegenstände nur aus den in den Räumen der Beklagten ausgestellten oder in deren Katalogen und Prospekten aufgeführten Modellen auswählen. Gewiss erwähnt der erste Satz der Ziffer 5 des Vertrages nur diese Möglichkeiten. Unter der gleichen Ziffer haben die Parteien jedoch festgehalten, dass auch die in den gedruckten Listen des Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverbandes angegebenen Barzahlungspreise massgebend sein sollen. Der Hinweis auf diese Preise wäre sinnlos, wenn das Wahlrecht der Klägerin so eingeschränkt wäre, wie sie meint. Die Preise der in den Ausstellungsräumen der Beklagten stehenden Möbel sind laut Ziffer 5 des Vertrages dort angeschrieben, und die Preise der im Katalog der Klägerin aufgeführten Sachen sind in einem Anhang dazu genannt. Also gelten die den Listen des Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverbandes zu entnehmenden Preise für Ware, die bei den Mitgliedern dieses Verbandes erhältlich ist und die Beklagte auf Wunsch der Klägerin daselbst zu beziehen und an die Klägerin abzugeben haben wird. Die Beklagte hat im kantonalen Verfahren denn auch anerkannt, es sei ihr jederzeit möglich, bei allen dem Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverband angeschlossenen Fabriken Ware zu erhalten, und die Klägerin könne solche Ware aus den Katalogen dieser Fabriken auch auswählen. Bei dieser Erklärung ist sie zu behaften.
Es trifft somit nicht zu, dass der Vertrag die Freiheit der Klägerin, die Kaufgegenstände zu Konkurrenzpreisen
BGE 84 II 628 S. 634
aus angemessenen Beständen auszuwählen, in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise einschränke.
3.
Die Klägerin sieht einen Verstoss gegen die guten Sitten ferner darin, dass der Vertrag sie zur Verschiebung der Heirat nötigen oder wirtschaftlich zugrunde richten würde, wenn die Beklagte nicht liefern könnte oder wollte.
Ob ein Vertrag den guten Sitten widerspricht, beurteilt sich nach seinem Inhalt (
BGE 84 II 27
, 277). Daher ist fraglich, ob die Lage, in die eine Patrei kommen könnte, wenn die andere leistungsunfähig werden, die Erfüllung verweigern oder in Verzug geraten sollte, jemals einen Vertrag unsittlich machen kann. Verträge werden abgeschlossen, um erfüllt zu werden, und die Rechte, die dem Gläubiger zustehen, wenn das nicht geschieht, sind in Art. 82, 83, 97 ff. und 102 ff. OR sowie in den Bestimmungen über die einzelnen Vertragsverhältnisse eingehend geordnet. Zudem sind Leistungsunfähigkeit, Erfüllungsverweigerung und Verzug, wie die Klägerin selber unterstellt, beim Abschluss des Vertrages noch ungewiss, während die Frage der Nichtigkeit nach dem Sachverhalt beurteilt werden muss, wie er im Zeitpunkt des Abschlusses besteht. Nur unter dem Gesichtspunkt einer von Anfang an bestehenden Gefahr könnten daher die erwähnten Verhältnisse für die Frage der Unsittlichkeit des Vertrages überhaupt eine Rolle spielen. Um in Betracht fallen zu können, müsste aber die Gefahr im einzelnen Falle konkret nachgewiesen sein. Die Klägerin hätte daher anhand von Tatsachen dartun müssen, dass die Möglichkeit der Leistungsunfähigkeit, der Erfüllungsverweigerung oder des Verzuges der Beklagten konkret bestehe; die bloss abstrakte Möglichkeit, die daraus abgeleitet wird, dass ein Möbelhändler einmal seinen Verpflichtungen nicht nachkommen könnte oder wollte, kann den vorliegenden Vertrag nicht unsittlich machen. Übrigens verstösst dieser auch schon deshalb nicht gegen die guten Sitten, weil die Klägerin zugunsten der Beklagten nur Fr. 600.-- vorauszuzahlen hat, während alle weiteren Zahlungen von der Schweizerischen
BGE 84 II 628 S. 635
Volksbank auf einem gesperrten Sparheft gutzuschreiben sind, so dass die Klägerin für den grössten Teil ihrer Leistungen gesichert sein wird. Dass sie durch den Verlust von Fr. 600.-- wirtschaftlich zugrunde gerichtet wäre, tut sie nicht dar und ist angesichts ihres Alters und Berufes, der ihr zugegebenermassen ohne weiteres erlaubt, monatlich Fr. 50.- für den Erwerb von Möbeln aufzuwenden, nicht nachgewiesen. Wer finanzielle Verpflichtungen eingeht, verstösst nur dann gegen die guten Sitten, wenn er dadurch seine wirtschaftliche Existenz gefährdet (
BGE 51 II 167
f.,
BGE 84 II 23
, 277).
4.
Die Klägerin macht geltend, der Vertrag sei für sie jedenfalls wegen Irrtums (Art. 23 f. OR) und absichtlicher Täuschung (
Art. 28 OR
) unverbindlich, weil der Hinweis auf die gedruckten Preislisten des Schweizerischen Engros-Möbelfabrikantenverbandes in Ziffer 5 des Vertrages den Eindruck erwecken solle, sie könne aus den in diesen Listen enthaltenen Modellen auswählen, während sie die Auswahl in Wirklichkeit nur aus Modellen treffen könne, die im Lager der Beklagten ständen oder in ihren Prospekten aufgeführt seien.
Diese Rüge ist schon deshalb unbegründet, weil Ziffer 5 des Vertrages in der Tat so auszulegen ist, wie die Klägerin sich vorgestellt haben will (Erw. 2). Wäre es anders, so verstiesse die Berufung auf Irrtum und Täuschung übrigens gegen Treu und Glauben, da die Beklagte bereit ist, den Vertrag so gelten zu lassen, wie ihn die Klägerin verstanden haben will (
Art. 25 OR
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, vom 2. Mai 1958 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
01ef4aca-ee79-4954-bfb0-895cc3a2cb02 | Urteilskopf
139 III 285
41. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre B. (recours en matière civile)
5A_90/2013 du 27 juin 2013 | Regeste
Art. 10 Abs. 1 lit. d des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts (Europäisches Sorgerechtsübereinkommen, ESÜ); Grund für die Verweigerung der Anerkennung eines Entscheides betreffend das Sorgerecht für ein Kind.
Die Anerkennung kann versagt werden, wenn vor der Einreichung des Exequaturgesuchs im Rahmen eines im ersuchten Staat eingeleiteten Verfahrens ein Entscheid ergangen ist, welcher mit dem Entscheid, für welchen die Anerkennung beantragt wird, unvereinbar ist und wenn die Versagung dem Wohl des Kindes entspricht (Art. 10 Abs. 1 lit. d ESÜ). Ein Entscheid vorsorglicher Natur genügt (E. 3.2). | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 139 III 285 S. 285
A.
A., né en 1968 de nationalité belge, et B., née en 1972 de nationalité belge, sont les parents de C., née en 2003 à Z. (Belgique), qui est également de nationalité belge.
Selon l'accord portant sur les relations personnelles du requérant avec sa fille, ratifié par jugement du Tribunal de la jeunesse de Bruges du 3 avril 2008, les parents exercent l'autorité parentale conjointe
BGE 139 III 285 S. 286
sur l'enfant dont la résidence principale est à l'adresse de la mère et la résidence secondaire auprès du père.
B.
B. a obtenu l'autorisation de déménager en Suisse avec sa fille par jugement du Tribunal de la jeunesse de Bruges du 11 août 2011, l'exercice de l'autorité parentale conjointe sur l'enfant étant maintenue. Elle s'est installée à Lausanne avec l'enfant le 19 août 2011.
Par arrêt du 2 avril 2012, la Cour d'appel de Gand a confirmé le jugement attaqué s'agissant de l'autorisation de déménagement et du maintien de l'autorité parentale conjointe; elle a notamment accordé au père un droit au contact personnel sur C. pendant "toute période de vacances entière telle que fixée en Suisse" ainsi qu'un week-end par mois.
Ce jugement a été notifié à l'intimée en Suisse le 13 juin 2012. Il n'a pas fait l'objet d'un pourvoi en cassation.
C.
Le 18 juin 2012, la mère a formé une requête auprès de la Justice de paix du district de Lausanne visant à régler les relations personnelles entre l'enfant et son père. Dans le cadre de cette procédure, elle a déposé différentes requêtes de mesures préprovisionnelles visant à régler ou suspendre le droit de visite à exercer sur des périodes précises. Le Juge de paix y a fait droit les 20 juin et 16 août 2012 notamment.
D.
Le 2 novembre 2012, A. a saisi la Chambre des tutelles du Tribunal cantonal du canton de Vaud d'une demande de reconnaissance et d'exequatur de l'arrêt de la Cour d'appel de Gand du 2 avril 2012.
Par jugement du 4 décembre 2012, la Chambre des tutelles a rejeté cette demande et mis les frais et les dépens à la charge du requérant.
E.
Le 27 juin 2013, délibérant en séance publique, le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière civile interjeté par A.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.2
La Convention européenne du 20 mai 1980 sur la reconnaissance et l'exécution des décisions en matière de garde des enfants et le rétablissement de la garde des enfants (RS 0.211.230.01; ci-après: Convention de Luxembourg), ratifiée tant par la Suisse que par la Belgique, est applicable en l'espèce, la Convention de La Haye du 19 octobre 1996 concernant la compétence, la loi applicable, la reconnaissance, l'exécution et la coopération en matière de
BGE 139 III 285 S. 287
responsabilité parentale et de mesures de protection des enfants (CLaH 96; 0.211.231.011) n'ayant pas encore été ratifiée par la Belgique. Elle tend à assurer et accélérer le renvoi de l'enfant à la personne à qui il a été enlevé en violation d'une décision portant sur la garde; en termes d'efficacité elle a largement été dépassée par la CLaH 80 (Convention du 25 octobre 1980 sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants; RS 0.211.230.02) (arrêt 5A_131/2011 du 31 mars 2011 consid. 2.1 et les références citées). L'art. 7 de la Convention de Luxembourg prévoit que les décisions relatives à la garde rendues dans un Etat contractant sont reconnues et, lorsqu'elles sont exécutoires dans l'Etat d'origine, elles sont mises à exécution dans tout autre Etat contractant. Selon l'art. 11, les décisions sur le droit de visite et les dispositions des décisions relatives à la garde qui portent sur le droit de visite sont reconnues et mises à exécution dans les mêmes conditions que les autres décisions relatives à la garde (al. 1); toutefois, l'autorité compétente de l'Etat requis peut fixer les modalités de la mise en oeuvre et de l'exercice du droit de visite compte tenu notamment des engagements pris par les parties à ce sujet (al. 2). L'intérêt pratique à se prévaloir de l'art. 11 par. 1 de la Convention de Luxembourg est limité non seulement en raison des nombreux motifs de refus de reconnaissance de l'art. 10 par. 1 de la Convention (arrêt 5A_131/2011 du 31 mars 2011 consid. 3.1.2), mais également du fait que l'exercice du droit de visite doit s'effectuer selon les instructions fixées par l'autorité compétente de l'Etat requis (art. 11 par. 2 de la Convention de Luxembourg; BUCHER, in Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, n° 179 ad
art. 85 LDIP
).
La Convention de Luxembourg pose des conditions différentes à la reconnaissance des décisions selon que l'enfant a été déplacé sans droit (art. 8 et 9) ou de manière licite (art. 10).
Lorsque, comme en l'espèce, l'enfant n'a pas été déplacé sans droit, la reconnaissance est soumise à l'art. 10 de la Convention de Luxembourg. En vertu de cet article, la reconnaissance peut être refusée s'il est constaté que les effets de la décision sont manifestement incompatibles avec les principes fondamentaux du droit régissant la famille et les enfants dans l'Etat requis (par. 1 let. a); s'il est constaté qu'en raison de changements de circonstances incluant l'écoulement du temps mais excluant le seul changement de résidence de l'enfant à la suite d'un déplacement sans droit, les effets de la décision d'origine ne sont manifestement plus conformes à l'intérêt de l'enfant
BGE 139 III 285 S. 288
(par. 1 let. b); si, au moment de l'introduction de l'instance dans l'Etat d'origine, l'enfant avait la nationalité de l'Etat requis ou sa résidence habituelle dans cet Etat alors qu'aucun de ces liens de rattachement n'existait avec l'Etat d'origine ou s'il avait à la fois la nationalité de l'Etat d'origine et de l'Etat requis et sa résidence habituelle dans l'Etat requis (par. 1 let. c) ou si la décision est incompatible avec une décision rendue, soit dans l'Etat requis, soit dans un Etat tiers tout en étant exécutoire dans l'Etat requis, à la suite d'une procédure engagée avant l'introduction de la demande de reconnaissance ou d'exécution, et si le refus est conforme à l'intérêt de l'enfant (par. 1 let. d).
S'agissant de ce dernier motif de refus, il suffit qu'une décision, même provisionnelle, ait été rendue dans une procédure engagée avant le dépôt de la requête d'exequatur et que cette décision soit incompatible avec la décision dont la reconnaissance est requise (PIRRUNG, in J. Staudingers Kommentar [...], Vorbem C-H zu Art 19 EGBGB, Berlin 2009, n° E 61 des remarques préliminaires à l'art. 19 EGBGB; GMÜNDER, Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Scheidungsurteilen unter besonderer Berücksichtigung von kindesrechtlichen Nebenfolgen, 2006, p. 138). | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
01ef8541-b5e9-4c3a-9e5e-ed6c8599f26c | Urteilskopf
141 IV 344
45. Estratto della sentenza della Corte di diritto penale nella causa A. contro Corte dei reclami penali del Tribunale d'appello del Cantone Ticino (ricorso in materia penale)
6B_498/2014 del 9 settembre 2015 | Regeste
Art. 135 Abs. 1 StPO
, Art. 1 Abs. 2 lit. a sowie Abs. 3 lit. c und
Art. 8 Abs. 1 MWSTG
; Empfänger der Dienstleistungen der amtlichen Verteidigung im Bereich des Strafverfahrens.
Die amtliche Verteidigung kann die Mehrwertsteuer auf den Staat überwälzen (E. 3).
Im Bereich des Strafverfahrens ist der Staat der Empfänger der Dienstleistungen der amtlichen Verteidigung. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung muss deshalb um den Betrag der Mehrwertsteuer erhöht werden, dies auch für den Fall, dass die beschuldigte Person ihren Wohnsitz im Ausland hat (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 141 IV 344 S. 344
A.
Il 3 aprile 2013 l'avv. A. è stata nominata difensore d'ufficio di un imputato domiciliato all'estero. Dopo l'emanazione dell'atto d'accusa,
BGE 141 IV 344 S. 345
ma prima dello svolgimento del dibattimento di primo grado, questi ha nominato un difensore di fiducia. Il mandato d'ufficio ha di conseguenza preso fine.
Con decisione del 9 dicembre 2013, il Presidente della Corte delle assise correzionali di Lugano ha statuito sulla nota d'onorario sottopostagli dall'avvocata, non riconoscendole l'imposta sul valore aggiunto (IVA).
B.
L'avvocata ha impugnato tale decisione dinanzi alla Corte dei reclami penali del Tribunale d'appello del Cantone Ticino (CRP). Dopo aver chiesto di esprimersi sul gravame anche all'Amministrazione federale delle contribuzioni (AFC), con sentenza del 14 aprile 2014 la CRP ha respinto il reclamo, confermando che le prestazioni fornite dalla legale non soggiacciono all'IVA.
C.
Avverso questa sentenza, l'avv. A. si aggrava al Tribunale federale con un ricorso in materia penale, postulando l'aumento dell'8 %, corrispondente all'IVA, dell'importo riconosciutole a titolo di indennità per onorario e spese.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso e rinviato la causa all'istanza precedente.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
La causa verte esclusivamente sulla questione di sapere se le tassazioni delle difese di ufficio di imputati con domicilio all'estero debbano comprendere anche un importo a titolo di IVA.
(...)
3.
3.1
La riscossione dell'IVA è effettuata in particolare secondo il principio della trasferibilità dell'imposta (art. 1 cpv. 3 lett. c LIVA [RS 641.20]), che permette di raggiungere lo scopo perseguito dall'IVA, ossia l'imposizione dell'utilizzazione a titolo privato di reddito e sostanza a scopo di consumo (
art. 1 cpv. 1 LIVA
;
DTF 140 II 80
consid. 2.3.2). Se le prestazioni imponibili risultano da un rapporto di diritto privato, il trasferimento dell'imposta è disciplinato dagli accordi tra le parti conformemente all'
art. 6 LIVA
, mentre è retto dal diritto pubblico qualora esse si fondino sul diritto pubblico (
DTF 140 II 80
consid. 2.4.1-2.5.5).
3.2
Il difensore d'ufficio svolge un compito pubblico regolato dal diritto pubblico. Al momento della sua designazione, tra l'avvocato
BGE 141 IV 344 S. 346
e lo Stato si instaura un particolare rapporto giuridico, in virtù del quale il primo vanta nei confronti del secondo una pretesa di diritto pubblico a essere retribuito conformemente alla pertinente regolamentazione cantonale o federale (v.
art. 135 cpv. 1 CPP
;
DTF 139 IV 261
consid. 2.2.1;
DTF 122 I 1
consid. 3a pag. 2). In una sentenza anteriore all'entrata in vigore del CPP, ma valida anche sotto l'egida dell'
art. 135 cpv. 1 CPP
(v. sentenza 6B_638/2012 del 10 dicembre 2012 consid. 3.4), il Tribunale federale ha precisato che, se l'avvocato nominato difensore d'ufficio vi è assoggettato, l'autorità deve tener conto dell'aumento degli oneri risultanti dall'IVA e maggiorare, nella stessa proporzione, l'indennità assegnatagli (
DTF 122 I 1
consid. 3c pag. 4). In altre parole, il difensore d'ufficio può trasferire sullo Stato l'onere dell'IVA. Tale trasferimento presuppone però che le prestazioni da questi fornite siano imponibili sotto il profilo dell'IVA.
4.
4.1
Le prestazioni di servizi (art. 3 lett. e LIVA) di un avvocato (assoggettato all'imposta;
art. 10 LIVA
), che non si identificano con una delle categorie annoverate dall'
art. 8 cpv. 2 LIVA
, soggiacciono al principio del luogo del destinatario (
art. 8 cpv. 1 LIVA
). Se quest'ultimo è domiciliato in Svizzera, tali prestazioni sono imponibili, ma non lo sono se è domiciliato all'estero, in quanto l'IVA è riscossa sulle prestazioni effettuate sul territorio svizzero (v.
art. 1 cpv. 2 lett. a LIVA
; Info IVA 18 concernente il settore avvocati e notai, gennaio 2010, n. 2.1, consultabile sul sito internet dell'AFC
www.estv.admin.ch
sotto Documentazione/Imposta sul valore aggiunto/Pubblicazioni/LIVA 2010/Pubblicazioni basate sul web/Info IVA concernenti i settori; consultato il 29 giugno 2015). Per determinare l'imponibilità delle prestazioni dell'avvocato occorre dunque identificare il loro destinatario nell'ambito delle difese di ufficio.
4.2
In relazione al patrocinio dell'imputato, il CPP opera una doppia distinzione: da un lato tra la difesa facoltativa e quella obbligatoria, dall'altro tra difensore di fiducia e difensore d'ufficio. La difesa facoltativa lascia all'imputato la libertà di decidere di difendersi da sé o di affidare la sua difesa a un patrocinatore, mentre quella obbligatoria gli impone di farsi affiancare da un difensore (di fiducia o d'ufficio) per ragioni connesse alla gravità della pena prospettata, alla persona stessa dell'imputato, oppure alla situazione processuale in cui si trova. Nell'ambito della difesa di fiducia, l'imputato sceglie liberamente il suo patrocinatore assumendone i relativi costi, per
BGE 141 IV 344 S. 347
contro, in quello della difesa d'ufficio, è l'autorità che designa all'imputato un difensore retribuito, almeno provvisoriamente, dallo Stato (sentenza 1B_394/2014 del 27 gennaio 2015 consid. 2.2.1).
La difesa d'ufficio si caratterizza con il mandato che lo Stato conferisce a un avvocato a favore dell'imputato (
DTF 131 I 217
consid. 2.4). Con la sua designazione, tra l'avvocato e lo Stato si instaura un particolare rapporto di diritto pubblico, nell'ambito del quale il primo è chiamato a svolgere un compito di interesse pubblico, a cui non può di regola sottrarsi (v. art. 12 lett. g della legge del 23 giugno 2000 sugli avvocati [LLCA; RS 935.61]), e il secondo gli corrisponde un'adeguata retribuzione stabilita sulla base di norme di legge (v.
art. 135 cpv. 1 CPP
;
DTF 139 IV 261
consid. 2.2.1;
DTF 131 I 217
consid. 2.4 pag. 220), anche nel caso in cui la difesa d'ufficio sia stata disposta per motivi diversi dalla mancanza di mezzi dell'imputato (sentenza 1B_76/2013 dell'8 maggio 2013 consid. 2.1). Benché legato allo Stato da questo particolare rapporto, il difensore d'ufficio è vincolato, entro i limiti della legge e delle norme deontologiche, unicamente agli interessi dell'imputato (
art. 128 CPP
): gli incombe, operando in completa indipendenza rispetto allo Stato, di fronteggiare l'azione penale e di adoperarsi per ottenere il proscioglimento dell'imputato o una condanna la più clemente possibile (
DTF 106 Ia 100
consid. 6b pag. 105). Sotto questo profilo, l'attività del difensore d'ufficio non si differenzia da quella del difensore di fiducia (WALTER FELLMANN, Anwaltsrecht, 2010, n. 806). Essa è dunque svolta nell'interesse principale dell'imputato, ma anche dello Stato. Se da un lato infatti la designazione di un difensore d'ufficio corrisponde a un diritto costituzionale e convenzionale dell'imputato (art. 29 cpv. 2 e 3 nonché
art. 32 cpv. 2 Cost.
, art. 6 n. 3 lett. c CEDU, art. 14 n. 3 lett. d Patto ONU II [RS 0.103.2]), dall'altro lato costituisce anche un mezzo dello Stato per adempiere i suoi doveri volti segnatamente a garantire un processo equo, ad attuare il principio della parità delle armi e ad assolvere il suo obbligo di assistenza (v.
art. 3 cpv. 2 CPP
; sentenza 1B_699/2012 del 30 aprile 2013 consid. 2.7 relativa alla difesa obbligatoria). Proprio con riferimento a questo obbligo, lo Stato non può inoltre limitarsi a designare un difensore d'ufficio, ma è pure tenuto a intervenire (anche d'ufficio) in caso di difesa inefficace (
art. 134 cpv. 2 CPP
; sentenza 1B_187/2013 del 4 luglio 2013 consid. 2.1 e 2.2, in SJ 2014 I pag. 205). La difesa d'ufficio non rappresenta il semplice finanziamento statale di un mandato privato (
DTF 132 V 200
consid. 5.1.4 pag. 205): lo Stato
BGE 141 IV 344 S. 348
designa il difensore, interviene in caso di difesa inefficace e decide della retribuzione. Le difese d'ufficio costituiscono un rapporto tripartito in cui lo Stato impone all'avvocato di effettuare delle prestazioni a favore dell'imputato, conferendogli una sorta di mandato a favore di terzi.
4.3
Né la LIVA né la relativa ordinanza (OIVA; RS 641.201) definiscono il destinatario della prestazione. Di principio esso si determina sulla base delle regole contrattuali che disciplinano il negozio. In linea di massima, il destinatario corrisponde alla persona che si è fatta promettere la prestazione (sentenza 2A.202/2006 del 27 novembre 2006 consid. 3.2). Non è per contro necessario che effettui pure la controprestazione, potendo quest'ultima essere fornita da un terzo in sua vece (art. 3 lett. f LIVA). Di conseguenza la persona o l'entità su cui grava l'onere effettivo della controprestazione non può essere considerata automaticamente quale destinataria della prestazione. D'altra parte, il destinatario non si confonde forzatamente con il beneficiario della prestazione, potendo spesso stipulare la prestazione a favore di terzi (RIVIER/ROCHAT PAUCHARD, Droit fiscal suisse, La taxe sur la valeur ajoutée, 2000, pag. 88).
Sotto l'egida della vecchia regolamentazione dell'imposta sul valore aggiunto (vecchia ordinanza del 22 giugno 1994 concernente l'imposta sul valore aggiunto [vOIVA; RU 1994 1464],rispettivamente vecchia legge federale del 2 settembre 1999 concernente l'imposta sul valore aggiunto [vLIVA; RU 2000 1300]), un autore si è chinato sul trattamento fiscale del contratto a favore di terzi (PIERRE-MARIE GLAUSER, Stipulation pour autrui et représentation en TVA, L'expert-comptable suisse 8/1998 pag. 1463 segg. [in seguito: Stipulation];
lo stesso
, in mwst.com, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2000, n. 32 segg. ad
art. 11 LIVA
). Poiché il promittente effettua la sua prestazione direttamente al terzo beneficiario, sotto il profilo economico oggetto dell'imposta non dovrebbe essere il rapporto tra il fornitore della prestazione (promittente) e lo stipulante-pagatore, bensì quello tra il promittente e il terzo-consumatore (GLAUSER, Stipulation, op. cit., pag. 1465 seg. e 1468). Quest'ultimo dovrebbe dunque essere considerato il destinatario della prestazione. L'autore rileva tuttavia che, tenuto conto delle specificità dell'IVA in particolare in materia di deduzione dell'imposta precedente, si dovrebbe considerare il contratto a favore di terzi come il risultato di un tipo di rappresentanza indiretta. In tal caso la prestazione economicamente fornita dal promittente direttamente al terzo verrebbe
BGE 141 IV 344 S. 349
allora suddivisa in due prestazioni distinte, quella del promittente allo stipulante e quella dello stipulante al terzo, ignorando l'IVA il rapporto tra promittente e terzo (GLAUSER, Stipulation, op. cit., pag. 1468). Il destinatario della prestazione del promittente dovrebbe allora essere considerato lo stipulante.
4.4
Trasponendo quanto precede alle difese d'ufficio, benché in primo luogo sia l'imputato a beneficiare delle prestazioni di servizio del difensore, il destinatario di queste ultime dev'essere considerato lo Stato. D'altronde, lo Stato corrisponde pure all'entità che si è fatta promettere la prestazione, rilevato che per prestazione ai sensi della LIVA si intende anche quella che avviene in virtù di una legge o su ordine di un'autorità (art. 3 lett. c LIVA), e su cui pesa l'onere della controprestazione. | null | nan | it | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
01f0bb24-b7b4-4819-80ac-4a95a2e624ae | Urteilskopf
93 IV 32
10. Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1967 i.S. Schneider gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 32 Abs. 1 und 36 Abs. 2 SVG; Geschwindigkeit und Vortrittsrecht.
1. Der Vortrittsberechtigte ist nicht verpflichtet, seine Geschwindigkeit zum vorneherein zugunsten Nichtberechtigter herabzusetzen (Erw. 1).
2. Bei verdeckter Sicht nach links darf und soll er den Vortritt im Vertrauen darauf ausüben können, dass der von links kommende Fahrer dem beschränkten Überblick Rechnung trage (Erw. 2).
3. Zur Verminderung einer an sich zulässigen Geschwindigkeit ist er erst gehalten, wenn bestimmte Anzeichen dafür bestehen, dass ihn ein Wartepflichtiger in seiner Fahrt behindern könnte (Erw. 3).
4. Pflichtgemässes Verhalten eines Fahrers an einer Kreuzung, vor der ihm bloss die Sicht in die linke Seitenstrasse verdeckt war (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 93 IV 32 S. 32
A.-
In Oberglatt vereinigen sich vier Nebenstrassen (Hofstetter-, Bülacher-, Rümlang- und Bahnhofstrasse) so, dass sie zusammen eine Kreuzung bilden. Dem Fahrer, der sich auf der Hofstetterstrasse der Verzweigung nähert, wird die Sicht in die von links einmündende Bülacherstrasse zunächst durch ein Haus völlig verdeckt; erst etwa 12 m vor der Einmündung
BGE 93 IV 32 S. 33
kann er sich Rechenschaft geben, ob von links her ein Fahrzeug nahe, mit dem er auf der Kreuzung zusammentreffen könnte. Die von rechts einmündende Bahnhofstrasse kann er dagegen schon aus einer viel grösseren Entfernung gut überblicken.
Am 19. November 1965, etwa um 9.30 Uhr, fuhr Schneider mit einem Personenwagen "Ford-Taunus" auf der Hofstetterstrasse gegen die erwähnte Verzweigung. Er setzte die Geschwindigkeit auf 40 km/Std herab und wollte die Kreuzung in Richtung Rümlangstrasse durchfahren. Gleichzeitig näherte sich von der Bülacherstrasse her mit 25-30 km/Std ein Personenwagen "Austin", der von Buser gesteuert war. Als Schneider die Verzweigung erreichte, stiess das Auto Busers von links gegen die Mitte seines Wagens. Der "Ford-Taunus" wurde nach rechts auf einen Hofplatz abgetrieben, wo er gegen einen stillstehenden Lieferwagen prallte und eine Fussgängerin, die zwischen die beiden Fahrzeuge geriet, erheblich verletzte.
B.-
Das Bezirksgericht Dielsdorf hielt Schneider für mitschuldig und verurteilte ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von
Art. 125 Abs. 1 StGB
zu 300 Franken Busse.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 13. Dezember 1966 dieses Urteil im Schuldspruch, setzte aber die Busse auf Fr. 100.-- herab. Es wirft Schneider vor, die Geschwindigkeit insbesondere der schlechten Sicht nach links nicht angepasst zu haben.
C.-
Schneider führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach ständiger Rechtsprechung (
BGE 90 IV 90
Erw. b und dort angeführte Urteile) darf der Berechtigte den Vortritt an Strassenverzweigungen nicht mit beliebiger Geschwindigkeit ausüben. Er hat trotz seines Vortrittsrechtes die Geschwindigkeit den Strassen- und Verkehrsverhältnissen anzupassen und aufmerksam zu sein. Er darf es zudem nicht bei der Beobachtung nach rechts bewenden lassen, sondern muss sich zumindest durch einen raschen Blick auch nach links vergewissern, dass er freie Fahrt habe. Wenn er dabei sieht oder bei pflichtgemässer
BGE 93 IV 32 S. 34
Aufmerksamkeit sehen könnte, dass ihm jemand den Vortritt nicht lassen will oder nicht mehr lassen kann, darf er ihn nicht erzwingen. Er muss in solcher Lage vielmehr seinerseits alles Zumutbare vorkehren, um einen Zusammenstoss zu verhüten (
Art. 26 Abs. 2 SVG
).
Dagegen braucht der Berechtigte seine Fahrweise nicht schon zum vorneherein auf die Möglichkeit einzustellen, dass ein anderer sein Vortrittsrecht missachten könnte. Selbst bei schlechter Sicht nach links ist er nicht gehalten, so langsam auf die Verzweigung zu fahren, dass er nötigenfalls auch die von links nahenden Fahrzeuge durchlassen könnte. Er hat an Verzweigungen die Geschwindigkeit nur so zu mässigen, dass er die gleichzeitig von rechts Kommenden vor ihm durchfahren lassen kann und den von links Nahenden nicht verunmöglicht, ihm den Vortritt zu gewähren (
BGE 84 IV 59
f;
BGE 89 IV 100
f.).
2.
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Freilich erlauben Raum und Zeit einem Vortrittsberechtigten oft nicht mehr, der Gefahr eines Zusammenstosses zu begegnen, wenn für ihn die Sicht nach links erst im Einmündungsgebiet beginnt. Das allein rechtfertigt jedoch noch keine Ausnahme. Der Grundsatz, dass der Berechtigte seine Fahrt nicht zum vorneherein zugunsten Nichtberechtigter zu verlangsamen hat, muss ohne Rücksicht darauf gelten, ob für ihn die Sicht nach links gut oder schlecht sei. Das liegt nicht nur im Interesse einer klaren und einfachen Ausscheidung der gegenseitigen Verpflichtungen, sondern entspricht auch dem Verkehrsgefühl. Selbst besonders verantwortungsbewusste Fahrer setzen die Geschwindigkeit an unübersichtlichen Einmündungen von links nicht soweit herab, dass sie vor einem überraschend aus der Seitenstrasse kommenden Fahrzeug noch jederzeit anhalten könnten. Das kann auch das Gesetz nicht verlangen. Solange er keinen Grund zu besonderer Vorsicht hat, darf und soll daher der Berechtigte den Vortritt im Vertrauen darauf ausüben können, dass der von links kommende Fahrer dem beschränkten Überblick Rechnung trage, ihn auf der Verzweigung also nicht überrasche und in der Fahrt hindere.
Würde anders entschieden, so wäre das Vortrittsrecht als grundlegende Verkehrsregel weitgehend entwertet. Der Berechtigte müsste bei verdeckter Sicht nach links seine Fahrgeschwindigkeit bis auf Schrittempo verlangsamen und sich in die Verzweigung hineintasten; er hätte gegenüber dem von
BGE 93 IV 32 S. 35
links Kommenden praktisch keinen Vorteil mehr. Die sich aus der Vortrittsregel ergebenden Verantwortlichkeiten würden verzettelt und die klaren Verpflichtungen des Vortrittsbelasteten (
Art. 14 Abs. 1 VRV
) verwischt, womit erfahrungsgemäss das Pflichtbewusstsein der Beteiligten nur abgestumpft wird. Der verwegene Fahrer könnte dann erst recht versucht sein, sich auch dort wie ein Vortrittsberechtigter zu gebärden, wo die Berechtigung einem andern zusteht.
Diese Folgen zeigen, dass vom Berechtigten nicht verlangt werden kann, seine Geschwindigkeit im Hinblick auf noch nicht sichtbare Fahrer, die von links kommen und mit ihm auf der Verzweigung zusammentreffen könnten, herabzusetzen. Sie machen zudem deutlich, dass eine strikte und einfache Anwendung der Vortrittsregel nicht nur im Interesse der Flüssigkeit, sondern auch der Sicherheit des Verkehrs liegt.
3.
Art. 32 Abs. 1 SVG
steht dem nicht entgegen. Gewiss hat nach der allgemeinen Regel über die Geschwindigkeit auch der Vortrittsberechtigte dort, wo sein Fahrzeug den Verkehr stören könnte, wie vor unübersichtlichen Stellen oder nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen, langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten. Diese Bestimmung kann dem Vortrittsberechtigten jedoch nicht zum vorneherein die gleiche Sorgfaltspflicht auferlegen wollen wie dem Vortrittsbelasteten. Gleiche Anforderungen rechtfertigen sich nur, wenn der Vortrittsberechtigte seinerseits gleichzeitig mit dem Vortritt von rechts kommender Fahrzeuge belastet ist oder wenn infolge ungünstiger Strassen- oder Verkehrsverhältnisse jeder mit Rücksicht auf die erhöhten allgemeinen Schwierigkeiten besonders vorsichtig fahren muss, wie das z.B. im Falle Kunz zutraf (
BGE 91 IV 142
).
Dagegen stellt eine Kreuzung, vor der ihm bloss die Sicht in die linke Seitenstrasse verwehrt ist, für den Vortrittsberechtigten weder eine unübersichtliche Stelle noch eine nicht frei überblickbare Verzweigung im Sinne von
Art. 32 Abs. 1 SVG
dar. Diese Unübersichtlichkeit der Kreuzung geht vielmehr zu Lasten desjenigen, der von links kommt, verpflichtet daher den Berechtigten sowenig zur Mässigung seiner Fahrweise wie die blosse Möglichkeit, dass sein Recht missachtet werde; zur Verminderung einer an sich zulässigen Geschwindigkeit ist er erst gehalten, wenn bestimmte Anzeichen dafür bestehen, dass ihn ein Wartepflichtiger in seiner Fahrt behindern könnte.
BGE 93 IV 32 S. 36
Kann der Berechtigte sich darüber wegen der beschränkten Sicht nach links erst unmittelbar vor der Verzweigung Rechenschaft geben und kann er alsdann einen Zusammenstoss nicht mehr vermeiden, so trifft daher den Vortrittsbelasteten die ganze Verantwortung (
BGE 89 IV 101
/2).
4.
Nach dem angefochtenen Urteil hatte Schneider freie Sicht auf die von rechts einmündende Bahnhofstrasse. Dass sich auf dieser Strasse gleichzeitig ein Fahrzeug der Kreuzung näherte, ist weder von einer Seite behauptet worden noch festgestellt. Bezirksgericht und Obergericht werfen dem Beschwerdeführer denn auch nicht vor, er wäre ausserstande gewesen, einem von rechts zufahrenden Fahrzeug den Vortritt zu lassen, und er hätte aus diesem Grunde seine Geschwindigkeit mehr als nur auf 40 km/Std herabsetzen sollen.
Die kantonalen Instanzen erblicken das Verschulden des Beschwerdeführers in erster Linie vielmehr darin, dass er seine Geschwindigkeit nicht der schlechten Sicht nach links angepasst hat; sie halten dafür, auch Schneider habe auf den unübersichtlichen Teil der Verzweigung Rücksicht nehmen, folglich so langsam fahren müssen, dass er nötigenfalls vor der Kreuzung hätte anhalten können. Dieser Auffassung kann jedoch aus den hievor angeführten Gründen nicht beigepflichtet werden, soll das Vortrittsrecht nicht weitgehend illusorisch bleiben, ja ins Gegenteil verkehrt werden. Der Verkehr ist in hohem Masse an einer einfachen und klaren Anwendung des Vortrittsrechts interessiert. Auf lange Sicht ist ihm daher zweifellos am besten gedient, wenn mit dieser Grundregel Ernst gemacht und nicht immer wieder versucht wird, einen Teil der Verantwortung auf den Vortrittsberechtigten abzuschieben.
Schneider ist nicht so schnell gefahren, dass er einem gleichzeitig von links nahenden, die Umstände jedoch berücksichtigenden Fahrer verunmöglicht hätte, ihm den Vortritt zu lassen. Da er vom linken Strassenrand einen Abstand von etwa 3 m einhielt, hätte er Buser auch nicht daran gehindert, sich in die Kreuzung hineinzutasten. Ebensowenig kann ihm vorgeworfen werden, er habe sich im Augenblick, als er freie Sicht nach links bekam, fehlerhaft verhalten, die Lage nicht erfasst oder sogar den Vortritt erzwingen wollen. Aus dem Unfallplan erhellt im Gegenteil, dass er sofort anzuhalten versuchte, als er den von links kommenden Wagen erblicken konnte, aber schon
BGE 93 IV 32 S. 37
nach 4 m Bremsweg von Buser gerammt wurde.
Dem Beschwerdeführer kann schliesslich auch nicht vorgeworfen werden, dass er mit Rücksicht auf drei Fussgänger, die sich beim Lieferwagen aufhielten, langsamer hätte fahren sollen. Es handelte sich dabei um den Milchhändler und zwei Frauen (eine davon war das Opfer), die ausserhalb der Verzweigung bei ihm Milch einkauften. Nichts in den Akten deutet darauf hin, dass sich eine dieser Personen angeschickt hätte, die Strasse zu überqueren, ganz abgesehen davon, dass sie das auf einem der kaum 10 m entfernten Fussgängerstreifen hätte tun müssen. Aus den Akten ist auch sonst nichts ersichtlich, was Schneider hätte veranlassen können, seine Geschwindigkeit gegen die Kreuzung hin weiter herabzusetzen, als er es getan hat. Er ist daher freizusprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Vorinstanz angewiesen, den Beschwerdeführer freizusprechen. | null | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
01f3eae7-83b6-42cb-a8c7-01a1708d7e7b | Urteilskopf
93 I 577
73. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1967 i.S. J. Hummel Kommanditgesellschaft gegen Eidgen. Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Markenrecht. Schutzverweigerung gegenüber international hinterlegter Marke wegen Täuschungsgefahr über die Beschaffenheit der Ware. Madrider Abkommen (Fassung von Nizza 1957) Art. 5 Abs. 1; Pariser Verbandsübereinkunft (Fassung von Lissabon 1958) Art. 6 Abs. 1, 6 quinquies lit. B Ziff. 3 (Erw. 1).
Kombinierte Wort/Bild-Marke, die neben dem Firmanamen HUM-MEL das Bild eines Insekts enthält, das als Biene angesehen werden kann. Unzulässigkeit dieser Marke für Kerzen, die nicht aus Bienenwachs hergestellt sind. MSchG Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 (Erw. 2, 3 a).
Ausschluss der Täuschungsgefahr mit Rücksicht auf den Wortbestandteil HUMMEL? (Erw. 3 b). | Sachverhalt
ab Seite 577
BGE 93 I 577 S. 577
A.-
Die Firma J. Hummel Kommanditgesellschaft, in Massing (Bundesrepublik Deutschland), ist Inhaberin einer in der deutschen Warenzeichenrolle unter der Nr. 824 567 eingetragenen kombinierten Wort/Bild-Marke. Am 1. November 1966 liess sie diese gestützt auf das Madrider Abkommen von 1891 betreffend die internationale Eintragung der Fabrik- oder Handelsmarken
BGE 93 I 577 S. 578
im internationalen Register unter der Nr. 324 710 eintragen.
Die Marke ist für "Bougies (éclairage)", also für Kerzen zu Beleuchtungszwecken, bestimmt. Sie enthält das stilisierte Bild eines Insektes, unter dem der Firmanamen "J. Hummel KG" angebracht ist.
B.-
Das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum teilte am 22. Mai 1967 dem internationalen Büro mit, der Marke werde in der Schweiz der Schutz nur für Kerzen gewährt, die aus Bienenwachs hergestellt seien.
C.-
Gegen diese teilweise Schutzverweigerung hat die Markeninhaberin verwaltungsgerichtliche Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, die Verfügung des Amtes vom 22. Mai 1967 sei aufzuheben und ihrer Marke den Schutz für "Bougies (éclairage)" uneingeschränkt zu gewähren.
Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ist das Madrider Abkommen betreffend die internationale Registrierung der Fabrik- oder Handelsmarken (MMA) in seiner am 15. Juni 1957 in Nizza revidierten Fassung massgebend, die sowohl von der Schweiz als auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden ist. Gemäss
Art. 5 Abs. 1 MMA
darf die Schweiz einer international registrierten Marke den Schutz nur unter den Bedingungen verweigern, unter denen sie nach der Pariser Verbandsübereinkunft (PVU) zum Schutze des gewerblichen Eigentums eine zur Eintragung in das schweizerische Register hinterlegte Marke zurückweisen dürfte. Massgebend ist die 1958 in Lissabon revidierte Fassung der PVU, die in Art. 6 Abs. 1 vorsieht, dass die Bedingungen für die Hinterlegung und Eintragung von Fabrik- oder Handelsmarken in jedem Lande durch die Landesgesetzgebung bestimmt werden. Nach Art. 6 quinquies, lit. B Ziff. 3 PVU sodann darf eine Eintragung verweigert werden, wenn die Marke gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstösst, insbesondere, wenn sie geeignet ist, das Publikum zu täuschen.
2.
Nach
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
, der kraft der Verweisung in Art. 6 Abs. 1 PVU auf das Landesrecht anwendbar ist, hat das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum die Eintragung
BGE 93 I 577 S. 579
einer gegen die guten Sitten verstossenden Marke zu verweigern. Sittenwidrigkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung unter anderem vor, wenn die Marke geeignet ist, den Käufer in irgendeiner Hinsicht irrezuführen, insbesondere ihn über die Beschaffenheit der Ware zu täuschen (
BGE 91 I 52
Erw. 2,
BGE 89 I 51
Erw. 4, 293 Erw. 2, 301 Erw. 2 und dort erwähnte Entscheide). Das schweizerische Recht stimmt also in diesem Punkte mit der in Art. 6 quinquies PVU getroffenen Regelung überein. Nach ständiger Rechtsprechung ist Sittenwidrigkeit schon dann zu bejahen, wenn eine objektive Täuschungsgefahr besteht; einer Täuschungsabsicht des Markeninhabers bedarf es nicht (
BGE 78 I 280
).
3.
Das Amt erachtet die streitige Marke als irreführend, weil die Kaufsinteressenten das darin abgebildete Insekt als Biene ansehen und daher annehmen könnten, die so gekennzeichneten Kerzen seien aus Bienenwachs hergestellt. Der Käufer bringe das Bienenmotiv in unmittelbaren Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kerze. Bienenwachskerzen würden aber ihres Wohlgeruches wegen von gewissen Käuferschichten den aus andern Stoffen (Stearin oder Paraffin) hergestellten Kerzen vorgezogen, obwohl sie qualitativ nicht besser, aber teurer seien als diese.
Diese Ausführungen treffen in jeder Hinsicht zu und sind überzeugend. Was die Beschwerdeführerin demgegenüber vorbringt, hält der Prüfung nicht stand.
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, das in der Marke abgebildete Insekt sei für jedermann als Hummel erkenntlich, da es keine Bienen mit ausgeprägten Querstreifen und einem durch einen dicken Querstreifen abgesetzten Kopf gebe; ebenso sei allgemein bekannt, dass die Hummel für die Herstellung von Bienenwachs nicht in Betracht komme.
Die Beschwerdeführerin verkennt jedoch, dass die Ware, für welche die Marke bestimmt ist, dem breiten Publikum angeboten wird und der Durchschnittskäufer im allgemeinen ein oberflächlicher Beobachter ist (
BGE 84 II 581
; vgl. ferner
BGE 90 II 50
lit. c, 264 und dort erwähnte Entscheide). Vor allem aber verfügt die grosse Mehrheit des angesprochenen Publikums nicht über die von der Beschwerdeführerin vorausgesetzten zoologischen Kenntnisse und ist daher nicht befähigt, beim Kaufe von Kerzen derartige naturwissenschaftliche Überlegungen anzustellen. Zudem liegt die Gefahr einer Irreführung um so näher, als in der
BGE 93 I 577 S. 580
Werbung und der Ausgestaltung von Bildmarken häufig stilisierte Darstellungen verwendet werden.
b) Die Beschwerdeführerin glaubt, eine Irreführung des Publikums sei nicht zu befürchten, weil unterhalb des dargestellten Insekts das Wort "HUMMEL", d.h. der Name der Herstellerfirma, stehe; das rufe selbstverständlich sofort einer Gedankenverbindung zwischen dem dargestellten Insekt und dem Namen.
Selbst wenn man das für den deutschsprachigen Teil der Bevölkerung gelten lassen müsste, versagt dieses Argument jedoch für die französisch oder italienisch sprechende Bevölkerung; für diese bleibt die Gefahr einer Irreführung unvermindert bestehen. Täuschungsgefahr auch nur für eines der verschiedenen Sprachgebiete der Schweiz genügt aber, um eine Marke unzulässig zu machen (
BGE 91 I 53
,
BGE 82 I 51
und dort erwähnte Entscheide).
c) Die Beschwerdeführerin befürchtet, in der angefochtenen Verfügung des Amtes zeichne sich eine Praxis ab, die "ein ausserordentliches Hemmnis für die Neueintragung von Warenzeichen darstellen würde". Es gehe nicht an, "aus einer bildlichen Darstellung irgendeine vollkommen abwegige Auffassung herauszulesen und diese dann zu ungunsten des Markeninhabers anzuwenden".
Diese Rüge ist unbegründet. Die rechtliche Bewertung des Bildteils der streitigen Marke durch das Amt steht im Einklang mit
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
und ist daher keineswegs "völlig abwegig". Dass sich hieraus möglicherweise gewisse Erschwerungen für die Neueintragung von Warenzeichen ergeben, ist kein Grund, über die geltende gesetzliche Ordnung hinwegzugehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
01fbd02a-4548-4bfd-bfa5-fcaf92083d03 | Urteilskopf
103 V 175
39. Extrait de l'arrêt du 16 décembre 1977 dans la cause Delaplace contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et Tribunal des assurances du canton de Berne | Regeste
Art. 71 Abs. 1 KUVG
.
Anforderungen an den Unfallnachweis. | Erwägungen
ab Seite 175
BGE 103 V 175 S. 175
Extrait des considérants:
a) Aux termes de l'
art. 67 al. 1er LAMA
, la Caisse nationale assure contre les risques d'accidents professionnels ou non professionnels suivis de maladie, d'invalidité ou de mort. La loi ne définit pas l'accident mais, dès le début de son activité, le Tribunal fédéral des assurances a déclaré qu'il fallait entendre par là une atteinte dommageable, soudaine et involontaire portée au corps humain par une cause extérieure plus ou moins exceptionnelle (voir p.ex.
ATF 100 V 76
et la jurisprudence citée; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, Berne, 1963, pp. 86-96). Autant que les circonstances permettent de l'exiger d'eux, l'assuré ou ses survivants qui entendent réclamer les prestations de la Caisse nationale doivent, sinon prouver, du
BGE 103 V 175 S. 176
moins rendre vraisemblable que les éléments d'un accident, tel qu'il a été défini ci-dessus, sont réunis dans l'espèce. Il suffit qu'un élément en question fasse défaut pour que l'assurance soit dégagée de sa responsabilité. La Cour de céans a d'autre part déjà jugé à de nombreuses reprises que, lorsque l'accident incriminé est survenu en l'absence de témoins, l'administration ne saurait subordonner la reconnaissance du cas à la condition que l'intéressé apporte des preuves strictes de toutes les circonstances de temps et de lieu qui ont accompagné l'événement allégué. L'assuré serait souvent, en effet, dans l'impossibilité de le faire. Mais la Caisse nationale ne peut pas non plus être astreinte à accepter sans condition les dires du requérant: elle est en droit d'exiger de ce dernier qu'il donne de ces circonstances une version plausible. S'il ne le fait pas, s'il fournit des explications inexactes ou contradictoires, si la description de l'accident n'est pas convaincante, l'existence de celui-ci n'est pas vraisemblable, la demande de prestations manque de base et la Caisse nationale doit refuser le cas.
Il appartient cependant, en définitive, au juge de dire si les conditions de l'accident sont réalisées; il doit d'ailleurs enquêter d'office sur les faits de la cause (voir
ATF 96 V 95
) et a la faculté de requérir en ce faisant l'assistance des parties, qui ont l'obligation de la lui fournir. Si l'instruction ne permet pas de tenir un accident pour établi ou du moins pour vraisemblable (la simple possibilité ne suffit pas), le juge constatera l'absence de preuves ou d'indices pertinents et, par conséquent, l'inexistence juridique d'un accident. Le Tribunal fédéral des assurances a rappelé ces principes notamment dans l'arrêt non publié Nordmann du 8 juin 1972 (voir également MAURER, op.cit., pp. 171 ss ch. II).
Lorsque les lésions peuvent avoir une origine purement pathologique, la jurisprudence s'est toujours montrée particulièrement exigeante pour apprécier le caractère - accidentel ou non - de l'événement (voir p.ex.
ATF 99 V 136
et les arrêts cités ainsi que MAURER, op.cit., pp. 88 ss, 96 ss).
b) D'autre part, le dommage subi doit être la conséquence de l'événement assuré. Il doit y avoir entre celui-ci et l'atteinte à la santé un rapport de causalité adéquate; il faut donc que l'événement soit, dans le cours normal des choses, apte à entraîner une telle conséquence dommageable (voir MAURER, op.cit., pp. 95 et 287 ss). | null | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
020018ef-97a9-4bcd-a8a0-257b81c85a1a | Urteilskopf
121 III 310
64. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1995 i.S. T. gegen Bank X. (Berufung) | Regeste
Geldüberweisung mit Hilfe des Bankenclearingsystems; vertraglicher Direktanspruch des Überweisenden gegen die sich weisungswidrig verhaltende Empfängerbank (Art. 32, 112, 127, 398 Abs. 3 OR).
Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr ist die Erstbank indirekte Stellvertreterin des Überweisenden. Zwischen diesem und der Empfängerbank bestehen deshalb keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen (E. 3).
Gegen die im vorliegenden Fall als auftragsrechtliche Substitutin der Erstbank handelnde Empfängerbank kann der Überweisende einen direkten Schadenersatzanspruch geltend machen (E. 4), auf welchen die zehnjährige Verjährungsfrist von
Art. 127 OR
anwendbar ist (E. 5a).
Begriff des Sperrkontos (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 311
BGE 121 III 310 S. 311
W. und B. waren einzige Aktionäre der Firma M. AG. Ende 1987 vereinbarten sie, dass B. die Gesellschaft allein weiterführe und die 300 Namenaktien von W. erwerbe. Da B. nicht über die für den Aktienkauf nötigen Mittel verfügte, stellte ihm der mit ihm befreundete T. ein Darlehen von Fr. 300'000.-- in Aussicht und erklärte sich bereit, den Betrag sogleich auf ein Sperrkonto bei der Bank Y. zu überweisen. B. sollte auf diese Weise ermöglicht werden, sich in den Kaufverhandlungen über die erforderlichen Mittel auszuweisen, über das Geld aber erst nach Abschluss eines schriftlichen Darlehensvertrags mit T. verfügen können.
Am 14. Dezember 1987 wies T. die Bank Z. AG mit Vergütungsauftrag an, der Bank Y. Fr. 300'000.-- zu überweisen. Die Bank Z. AG führte den Auftrag mittels des On-line-Bankenclearingsystems SIC (Swiss Interbank Clearing) aus. In der SIC-Überweisung waren "B. & T. Sperrkonto" als Begünstigte aufgeführt. Am 16. Dezember 1987 liess die Bank B. wissen, die von T. überwiesenen Fr. 300'000.-- seien einem am gleichen Tag auf seinen Namen eröffneten Konto gutgeschrieben worden. Dieses Konto trug die bankinterne Bezeichnung "Sperrkonto B. & T.". Gegenüber T. erfolgte von seiten der Bank keine Mitteilung.
Entgegen den Abmachungen von T. mit B. kam in der Folge kein schriftlicher Darlehensvertrag zwischen ihnen zustande.
Am 18. März 1988 verkaufte W. seinen Aktienanteil an der Firma M. AG zum Preis von Fr. 372'000.-- an B. Der Kaufpreis war mit Fr. 300'000.-- "in bar sofort" und darüber hinaus ab 1. April 1988 in monatlichen Raten von Fr. 2'000.-- zu tilgen.
Mit Vergütungsauftrag vom 29. März 1988 gab B. den von T. überwiesenen Betrag von Fr. 300'000.-- zugunsten von W. gegen Aushändigung der Namenaktien frei. Die Bank Y. verwendete ihn zur Verrechnung mit Forderungen, die sie gegenüber W. hatte. T. wurden diese Vorgänge Mitte 1988 bekannt.
Auf Anfrage von T. bestätigte die Bank Y. mit Schreiben vom 19. Januar 1989, "per 17. Dezember 1987 Fr. 300'000.-- auf Sperrkonto B. & T. gutgeschrieben zu haben". Am 23. März 1989 teilte sie dem von T. beauftragten Anwalt mit, das Geld sei für den Aktienkauf verwendet worden.
BGE 121 III 310 S. 312
T. liess ihr darauf mit Schreiben vom 5. Mai 1989 mitteilen, er mache vorsorglich Schadenersatzansprüche geltend.
Zwischen Juli 1990 und November 1991 erwirkte T. von B. mehrere Abzahlungen an die Darlehensschuld im Gesamtbetrag von Fr. 39'640.--. Danach stellte B. seine Zahlungen ein.
Am 22. Juni 1992 erhob T. beim Bezirksgericht Aarau Klage gegen die Bank X. als Rechtsnachfolgerin der Bank Y. Er stellte den Antrag, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 270'000.-- nebst 8 1/4% Zins seit 1. Oktober 1991 sowie von Fr. 568.75 rückständiger Zinsen zu verpflichten. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. April 1993 ab.
Der Kläger appellierte an das Obergericht des Kantons Aargau, das sein Rechtsmittel mit Urteil vom 18. März 1994 abwies. Wie bereits das Bezirksgericht verneinte auch das Obergericht mangels Vertragsbeziehungen einen vertraglichen Schadenersatzanspruch des Klägers. Es bejahte dagegen grundsätzlich eine Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung im Sinne von
Art. 41 OR
, kam indessen zum Ergebnis, die entsprechende Forderung des Klägers sei verjährt.
Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Zu prüfen bleibt, ob sich nicht aus den Abläufen im Zusammenhang mit der Ausführung des Vergütungsauftrags durch die beiden Banken vertragliche Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten ergeben können. Zu erörtern ist zunächst die rechtliche Bedeutung des von den Banken verwendeten Clearingsystems.
a) Das Bankenclearingsystem SIC steht als Girosystem im Dienste des mehrgliedrigen Überweisungsverkehrs (vgl. zur Ausgestaltung des Systems: EMCH/RENZ/BÖSCH, Das Schweizerische Bankgeschäft, 4. Aufl., S. 552 ff.). Das System ermöglicht eine zentral gesteuerte und damit schnelle Abwicklung von Kettenüberweisungen, die ihren Grund darin haben, dass der Überweisungsempfänger sein Konto nicht bei der gleichen Kontostelle unterhält wie der Überweisende.
Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr handeln die zwischengeschalteten Banken in eigenem Namen, aber auf fremde Rechnung, somit als indirekte Stellvertreterinnen. Eine dergestalt vorgenommene Überweisung wird mittels mehrerer, kettenartig verbundener Verträge abgewickelt, an denen unterschiedliche Parteien beteiligt sind, wobei die Relativität der
BGE 121 III 310 S. 313
jeweiligen Rechtsbeziehungen zu beachten ist. So besteht zwischen dem Überweisenden und der Erstbank ein Girovertrag, auf den die Regeln des Auftragsrechts Anwendung finden. Der in diesem Rahmen erfolgende Vergütungsauftrag ist eine an die Erstbank gerichtete Weisung (
Art. 397 OR
) des Inhalts, mit der kontoführenden Bank des Empfängers ein Anweisungsverhältnis im Sinne von
Art. 466 ff. OR
einzugehen. Die beteiligten Banken sind sodann unter sich durch selbständige Giroverträge verbunden, auf die ebenfalls die Regeln des Auftragsrechts anwendbar sind. Aus alldem ergibt sich, dass zwischen dem Überweisenden und der Empfängerbank grundsätzlich keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen bestehen (vgl. GUGGENHEIM, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis, 3. Auflage, S. 234 und 238 ff.; CLAUS HELBIG, Die Giroüberweisung, deren Widerruf und Anfechtung nach deutschem und schweizerischem Recht, Diss. Genf 1970, S. 60 ff.; CdJ GE in SJ 105/1983 78 mit Hinweisen; zum deutschen Recht: CANARIS, in Grosskomm. HGB, 4. Auflage, Bankvertragsrecht, Erster Teil, Rz. 392; zum österreichischen: AVANCINI/IRO/KOZIOL, Österreichisches Bankvertragsrecht, Band I, Rz. 6/21; zum französischen: RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD, Droit bancaire, 6. Auflage, Rz. 296 ff.).
b) Zu beachten ist allerdings, dass nach
Art. 32 Abs. 2 OR
eine direkte Stellvertretung auch dann gegeben sein kann, wenn sich der Vertreter beim Vertragsabschluss nicht als solcher zu erkennen gibt. Die Anwendung dieser Bestimmung liesse sich im Fall von mehrgliedrigen Überweisungen damit begründen, dass sich die mitwirkenden Banken des gegenseitigen Handelns auf fremde Rechnung bewusst sind und es ihnen gleichgültig sein kann, mit wem sie den Vertrag schliessen. Letzteres trifft indessen nicht zu. Es ist offensichtlich, dass den am Clearingverkehr beteiligten Banken nicht gleichgültig sein kann, ob sie nur unter sich oder auch mit einer möglicherweise unbestimmten Anzahl fremder Bankkunden vertraglich verbunden sind, ergäben sich in der Geschäftsabwicklung doch erhebliche Unsicherheiten, wenn sie sich auch um die internen Beziehungen zwischen ihren Clearingpartnern und deren Kunden kümmern müssten. Aus
Art. 32 Abs. 2 OR
abgeleitete vertragliche Bindungen der Prozessparteien fallen somit ausser Betracht.
4.
Zu berücksichtigen und von entscheidender Bedeutung ist indessen, dass die Erstbank vom Kläger mit der Ausführung eines Auftrags betraut worden ist, den sie nur mit Hilfe der Empfängerbank erfüllen konnte.
Art. 398 Abs. 3 OR
BGE 121 III 310 S. 314
sieht als Ausnahme von der Regel der persönlichen Auftragsbesorgung jene Fälle vor, in welchen der Beauftragte ermächtigt oder durch die Umstände genötigt ist, einen Dritten mit der Besorgung des Geschäfts zu betrauen, oder wenn dies übungsgemäss als zulässig betrachtet wird. Als "übungsgemäss zulässig" gilt die Übertragung der Geschäftsbesorgung auf einen Dritten auch dann, wenn der Auftraggeber von vornherein weiss, dass der Erstbeauftragte zur persönlichen Ausführung ausserstande ist (FELLMANN, Berner Kommentar, N. 580 zu
Art. 398 OR
).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erstbank erhielt vom Kläger den Auftrag, den Begünstigten "B. & T." Fr. 300'000.-- auf ein "Sperrkonto" bei der Bank Y. zu überweisen. Der Kläger durfte nach dem Vertrauensprinzip erwarten, dass auch der Vollzug der Gutschrift auf dem "Sperrkonto" zum Vertragsinhalt gehörte. Die Erstbank war deshalb gegenüber dem Kläger nicht nur dazu verpflichtet, der Empfängerbank seine Zahlungsbereitschaft anzuzeigen, sondern auch, die Gutschrift auf dem angegebenen Konto zu veranlassen. Die Gutschrift konnte sie aus rechtlichen Gründen nicht selbst vornehmen, sondern sie musste die kontoführende Empfängerbank damit beauftragen; zur Erreichung des Vertragsziels und Erfüllung eines Teils des Vertrages somit im Interesse des Auftraggebers eine am Vertrag nicht beteiligte Drittpartei beiziehen. Unter diesen Umständen ist die Empfängerbank als Substitutin im auftragsrechtlichen Sinn zu betrachten (vgl.
BGE 110 II 183
E. 2 S. 196; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 535 ff. zu Art. 398 und N. 35 ff. zu
Art. 399 OR
; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 5. Auflage, Rz. 2842 ff.; HONSELL, Obligationenrecht, Besonderer Teil, S. 274; BUCHER, Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 232).
a) Gemäss
Art. 399 Abs. 3 OR
kann der Auftraggeber die Ansprüche, welche dem Beauftragten gegenüber dem Substituten zustehen, unmittelbar gegen diesen geltend machen. Als Vorbild für diese Bestimmung diente Art. 1994 Abs. 2 des französischen Code Civil, welcher den Auftraggeber ohne Einschränkung berechtigt, direkt gegen den Substituten vorzugehen ("Dans tous les cas, le mandant peut agir directement contre la personne que le mandataire s'est substituée". Vgl. dazu FELLMANN, Berner Kommentar, N. 3 und 5 zu
Art. 399 OR
). Nach einem Teil der Lehre soll die Regelung von
Art. 399 Abs. 3 OR
einen Ausgleich schaffen für das Haftungsprivileg des Beauftragten im Falle befugter Substitution (
Art. 399 Abs. 2 OR
: Beschränkung auf die Haftung für gehörige Sorgfalt bei der Wahl und Instruktion des Substituten; HOFSTETTER, in Schweiz. Privatrecht, Bd.
BGE 121 III 310 S. 315
VII/2, S. 75; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 93 zu
Art. 399 OR
mit Hinweisen).
Nach dem Wortlaut von
Art. 399 Abs. 3 OR
kann der Auftraggeber nur solche Ansprüche geltend machen, welche dem Beauftragten gegenüber dem Substituten zustehen. In der Lehre besteht indessen Einigkeit, dass diese Bestimmung, falls sie nach ihrem Wortlaut ausgelegt wird, insbesondere unter Berücksichtigung des erwähnten Haftungsprivilegs des Beauftragten zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Wäre nämlich auf den Wortlaut abzustellen, so könnte sich der Hauptauftraggeber für den Ersatz von Schaden, der aus nicht gehöriger Auftragsausführung durch den Substituten entstanden ist, meistens nicht gegen diesen wenden, denn der Schaden tritt in solchen Fällen regelmässig nicht beim Beauftragten, sondern beim Auftraggeber ein (vgl. zum Ganzen FELLMANN, Berner Kommentar, N. 600 ff. zu
Art. 398 OR
). Aus diesen Gründen wird in der Literatur durchwegs befürwortet, den direkten Anspruch des Auftraggebers gegen den Substituten nicht davon abhängig zu machen, ob dieser den Beauftragten durch sein Verhalten geschädigt hat. Die rechtliche Grundlage für den Direktanspruch des Auftraggebers sieht die Mehrheit der Lehre in solchen Fällen allerdings nicht in
Art. 399 Abs. 3 OR
, sondern im Vertragsverhältnis zwischen dem Beauftragten und dem Substituten. Dieses wird teils als Vertrag zugunsten eines Dritten, des Hauptauftraggebers, im Sinne von
Art. 112 OR
qualifiziert (GAUTSCHI, Berner Kommentar, N. 10a zu
Art. 399 OR
; BUCHER, a.a.O., S. 232; WEBER, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 6 zu Art. 399; HOFSTETTER, a.a.O., S. 75; vgl. auch
BGE 110 II 183
E. 2b S. 186). Teils wird im Substitutionsauftrag ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gesehen (FELLMANN, N. 615 ff. zu
Art. 398 OR
und N. 102 zu
Art. 399 OR
). Vereinzelt wird schliesslich die Auffassung vertreten, der Direktanspruch lasse sich unmittelbar aus
Art. 399 Abs. 3 OR
ableiten, weil diese Bestimmung als gesetzlich geregelter Fall der Drittschadensliquidation zu deuten sei (HONSELL, a.a.O., S. 275). Im Ergebnis stimmen diese Auffassungen mit dem bereits zitierten Bundesgerichtsentscheid überein, wo festgehalten wurde, der Hauptauftraggeber sei gegenüber dem Substituten weisungsberechtigt, und dieser werde schadenersatzpflichtig, wenn er eine solche Weisung nicht befolge (
BGE 110 II 183
E. 2b S. 186 f.).
b) Ein Vergleich mit dem Recht und der Rechtsprechung der Nachbarländer zeigt, dass ein Direktanspruch des Hauptauftraggebers gegenüber dem
BGE 121 III 310 S. 316
Substituten insbesondere auch für den Fall der mehrgliedrigen Banküberweisung allgemein anerkannt ist.
Wie bereits festgehalten, gibt Art. 1994 Abs. 2 des französischen Code civil (CC) dem Auftraggeber das Recht, direkt gegen den Substituten vorzugehen. Nach französischer Lehrmeinung ist die Empfängerbank im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr Substitutin der erstbeauftragten Bank. Unterlaufen ihr bei der Auftragsausführung Fehler, so kann der Hauptauftraggeber den ihm daraus entstandenen Schaden gestützt auf Art. 1994 Abs. 2 CC gegen sie einklagen (RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD, a.a.O., Rz. 297; Encyclopédie juridique DALLOZ, Droit commercial, Rz. 73 f. zum Stichwort "virement").
Nach mehrheitlicher deutscher Lehre liegt beim mehrgliedrigen Überweisungsverkehr der Fall eines zwischen den Banken geschlossenen Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte vor. Der Hauptauftraggeber kann als "geschützter Dritter" vertragliche Schadenersatzansprüche direkt gegen die Empfängerbank geltend machen (MünchKomm/GOTTWALD, N. 120 zu § 328 BGB; LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14. Auflage, S. 228 Fn. 28; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 21 ff. und 395; VON GABLENZ, Die Haftung der Banken bei Einschaltung Dritter, S. 225). Begründet wird die Schutzwürdigkeit des Hauptauftraggebers mit dem Hinweis darauf, dass in den Massengeschäften des bankenmässigen Zahlungsverkehrs der Publikumsschutz als Korrelat der mit der Verfahrensstandardisierung erzielten Kostenvorteile zu betrachten sei (ESSER/SCHMIDT, Schuldrecht, Band I/2, 7. Auflage, S. 253). Als weiteres Argument wird zudem vorgebracht, der Schutz des Hauptauftraggebers könne nicht von der Zufälligkeit der Zwischenschaltung einer weiteren Bank abhängen, wenn diese einen haftungsbegründenden Fehler gemacht habe (CANARIS, Schutzwirkungen zugunsten Dritter bei "Gegenläufigkeit" der Interessen, JZ 1995, S. 441 ff., S. 443).
In der österreichischen Literatur wird ebenfalls die Auffassung vertreten, das Verhältnis zwischen der Bank des Auftraggebers und der Empfängerbank könne als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Auftraggebers angesehen werden. Bei Einschaltung weiterer Banken liege eine Kette von Verträgen vor, die mit Schutzwirkung zugunsten des Auftraggebers ausgestattet seien. Zu bedenken sei jedoch, dass die dem Auftraggeber entstehenden Nachteile stets blosse Vermögensschäden seien und diese in der Regel nicht in den Schutzbereich einbezogen seien. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz werde allerdings dann anerkannt, wenn die Hauptleistung ersichtlich gerade dem
BGE 121 III 310 S. 317
geschädigten Dritten zukommen solle, was insbesondere bei Verträgen zugunsten Dritter oder bei mittelbarer Stellvertretung der Fall sei. Diese Voraussetzung könne bei der Überweisung wohl als gegeben angesehen werden, da die Hauptleistung in der Zahlung für den Überweisenden liege und die Bank des Überweisenden - erkennbar - als dessen mittelbarer Stellvertreter agiere (AVANCINI/IRO/KOZIOL, a.a.O., Band I, Rz. 6/24; vgl. auch Band II, Rz. 3/142 mit Hinweisen).
c) Zu berücksichtigen ist schliesslich, dass sich die Anerkennung eines Direktanspruchs auch aufgrund von - zum Teil bereits erwähnten - Überlegungen aufdrängt, die unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit von
Art. 399 Abs. 3 OR
unmittelbar auf die rechtliche Wertung der Interessen der am Überweisungsverhältnis beteiligten Parteien abstellen. Als Ausgangspunkt dient der Umstand, dass die indirekten Vertretungsverhältnisse im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmässig offenliegen, weil keine der beteiligten Banken davon ausgehen darf, die andere handle ausschliesslich auf eigene Rechnung. Das Drittinteresse ist dem bankeninternen Giroverkehr immanent und allseits erkennbar, ebenso das Schutzbedürfnis des Überweisenden gegenüber Fehlleistungen der Banken. Der bankeninterne Giroverkehr steht im Dienste der Überweisungspartner und soll die Geschäftsabwicklung zwischen den Banken erleichtern. Die mit dieser Erleichterung einhergehenden Risiken von Fehlleistungen aber müssen sachgerecht die Banken und nicht die Überweisungspartner tragen. Diese dürfen nicht allein wegen der Zwischenschaltung einer weiteren Bank schutzlos bleiben, obwohl die Voraussetzungen einer Pflichtverletzung an sich vorliegen. Es geht letztlich darum, zu verhindern, dass aufgrund rein zahlungstechnischer oder organisatorischer Zufälligkeiten Schutzansprüche wegfallen bzw. Pflichten leerlaufen, die "eigentlich", das heisst abgesehen von der Vertragsgläubigerstellung des Geschädigten, gegeben sind (CANARIS, JZ 1995, S. 443).
5.
a) Der Direktanspruch des Hauptauftraggebers ist vertraglicher Natur. Das gilt unabhängig davon, ob er unmittelbar aus
Art. 399 Abs. 3 OR
abgeleitet oder seine Grundlage in einem Vertrag zugunsten Dritter im Sinne von
Art. 112 OR
gesehen wird. Anwendbar ist somit die zehnjährige Verjährungsfrist von
Art. 127 OR
, die mit der Klageeinreichung im Juni 1992 offensichtlich eingehalten worden ist.
b) Das Obergericht wirft der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin vor, sie hätte dem Vermerk auf dem Formular der SIC-Überweisung entnehmen
BGE 121 III 310 S. 318
müssen, dass der Kläger mit aller Wahrscheinlichkeit das Geld nicht B. allein, sondern ihm und einer weiteren Person, "T.", habe gutschreiben wollen, wobei aber unklar gewesen sei, ob diese zwei Personen an den Fr. 300'000.-- als Solidargläubiger oder als Gläubigergemeinschaft hätten berechtigt sein sollen. Diese Zweifel hätten die Bank Y. veranlassen müssen, die Absenderbank oder den in der SIC-Überweisungsanzeige aufgeführten Absender aufzufordern, das begünstigte Konto bzw. die begünstigten Personen eindeutig zu bezeichnen, oder "das Geld zu retournieren".
Dem Obergericht ist zuzustimmen, dass der Vermerk, Begünstigte seien "B. & T. Sperrkonto" unter den gegebenen Umständen zwar keine eindeutige Bedeutung hatte, von der Adressatin aber jedenfalls nicht als Weisung verstanden werden durfte, den Betrag von Fr. 300'000.-- einem Konto gutzuschreiben, über das B. allein verfügen konnte. Nach der hier massgebenden Fachsprache liegt das entscheidende Kriterium des Sperrkontos nicht in einer Mehrzahl von Inhabern, sondern allgemeiner darin, dass die Verfügungsmacht des Kontoinhabers über das Guthaben besonderen Einschränkungen, namentlich der Zustimmung eines Dritten, unterstellt ist (CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 250; AVANCINI/IRO/KOZIOL, a.a.O., Rz. 4/201). Beim sogenannten Und-Konto, auf welches das Obergericht offenbar Bezug nimmt, handelt es sich um eine besondere Ausgestaltung des Sperrkontos mit mehreren Inhabern, die nur gemeinsam - als Gläubigergemeinschaft - darüber verfügen können (GUGGENHEIM, a.a.O., S. 212; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 230 und 251). Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin handelte somit weisungswidrig, das heisst in Verletzung des im Überweisungsverhältnis eingegangenen Girovertrags, indem sie den vom Kläger überwiesenen Betrag dem Konto von B. gutschrieb. Diese Vertragsverletzung bildet nach den vorangehenden Ausführungen die Grundlage des Direktanspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten.
c) Das Obergericht hat sich - entsprechend seiner Rechtsauffassung - zu den übrigen Voraussetzungen einer vertraglichen Schadenersatzpflicht der Beklagten noch nicht geäussert. Dabei handelt es sich insbesondere um die Fragen der Kausalität der Vertragsverletzung für den geltend gemachten Schaden, des Verschuldens der Beklagten und des Ausmasses ihrer Ersatzpflicht. In Gutheissung des Eventualbegehrens der Berufung ist daher die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
0202b616-0fc8-46b8-baa2-72538c6f9ec4 | Urteilskopf
99 II 349
48. Arrêt de la Ire Cour civile du 11 juillet 1973 dans la cause Industriewerk Schaeffier OHG contre Pitner et Nadella SA | Regeste
Art. 35 OG
.
Wiederherstellungsbegehren einer Partei, deren rechtzeitig eingereichte, von einem Rechtsanwaltskandidaten unterzeichnete Berufung nach
Art. 29 Abs. 2 OG
als unzulässig erklärt worden ist. Voraussetzung der Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist. | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 99 II 349 S. 349
A.-
Par arrêt du 1er février 1973 (RO 99 II 121), la Ire Cour civile du Tribunal fédéral a déclaré irrecevable en vertu de l'art. 29 al. 2 OJ le recours en réforme signé au nom et par mandat d'Industriewerk Schaeffier OHG par un avocat stagiaire. Celui-ci était au bénéfice d'une autorisation ad hoc qui lui donnait pouvoir de rédiger et de déposer l'acte de recours et qui émanait de l'avocat X., membre du barreau bernois, lui-même mandaté par la recourante selon un procuration écrite avec clause de substitution. Le Tribunal fédéral a considéré que l'art. 29 al. 2 OJ ne permettait d'agir devant lui comme mandataires dans les affaires civiles et pénales qu'aux avocats patentés, à l'exclusion des avocats stagiaires.
L'avocat X. a reçu l'expédition complète de cet arrêt le 4 mai 1973.
B.-
Par acte du 14 mai 1973, Industriewerk Schaeffier OHG, représentée par Me X., a déposé une demande de restitution
BGE 99 II 349 S. 350
du délai de recours en réforme, accompagnée d'un nouveau mémoire de recours portant la signature de ce dernier.
Les intimés ont conclu au rejet de la demande de restitution.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le mandataire de la requérante fait valoir qu'il a participé à un congrès tenu à Mexico du 12 au 18 novembre 1972, avec lequel il a fait coïncider ses vacances. Il a ainsi été tenu absent de son étude du 10 novembre au 11 décembre 1972.
A supposer ce motif valable au regard de l'art. 35 al. 1 OJ, la demande de restitution du délai et l'acte de recours en réforme devaient selon cette disposition être présentés dans les dix jours à compter de celui où l'empêchement avait cessé. En l'espèce, ils devaient donc intervenir le 21 décembre 1972 au plus tard. Ce terme était reporté au 2 janvier 1973 en vertu de l'art. 34 al. 1 litt. c OJ. Expédiée le 14 mai 1973, la présente demande de restitution est tardive, et pour cela irrecevable.
2.
Selon la requérante, c'est la notification, le 4 mai 1973, de l'expédition complète de l'arrêt du 1er février 1973 qui a mis fin à l'empêchement. Elle ignorait jusqu'alors le vice retenu par le Tribunal fédéral pour déclarer le recours en réforme irrecevable. La requérante invoque les arrêts RO 84 II 404, 94 IV 95 et 96 II 245 (recte: 265).
a) Dans les arrêts RO 84 II 406 (consid. 1 in fine) et 94 IV 96, le Tribunal fédéral mentionne la faculté de la partie dont le recours est déclaré irrecevable en vertu de l'art. 29 al. 2 OJ de demander la restitution pour inobservation du délai de recours. Mais il précise expressément dans le premier de ces arrêts que les conditions de l'art. 35 OJ doivent être remplies ("beim Zutreffen der Voraussetzungen von
art. 35 OG
"). Or on a vu que tel n'était précisément pas le cas en l'espèce.
b) L'arrêt RO 96 II 265 s. admet qu'il y a empêchement sans faute au sens de l'art. 35 OJ lorsque deux sections du Tribunal fédéral ont développé une jurisprudence divergente sur un point déterminé - l'une d'elles seulement ayant publié ses décisions à ce sujet - et que le justiciable, fort de la jurisprudence publiée, s'engage dans une voie de recours qui se révèle ensuite erronée.
Les circonstances de cet arrêt ne sont aucunement réalisées en l'espèce. A supposer même que la requérante ait été induite
BGE 99 II 349 S. 351
en erreur par un arrêt publié du Tribunal fédéral (RO 82 II 108 ss.), comme elle l'allègue, cela n'a pas eu pour effet de l'amener à choisir une voie de droit inappropriée, et partant de l'empêcher d'agir dans le délai fixé par la voie du recours en réforme. Elle a au contraire respecté ce délai en déposant le 27 novembre 1972 son acte de recours en réforme.
Au surplus, c'est à tort que la requérante prétend qu'elle pouvait déduire la recevabilité de cet acte de la jurisprudence publiée du Tribunal fédéral, en particulier de l'arrêt RO 82 II 108 consid. 2 rendu par la IIe Cour civile. Il s'agissait là d'une affaire provenant d'un canton où l'exercice du barreau est libre (art. 29 al. 2, deuxième phrase, OJ), ce qui n'est pas le cas du canton de Berne. Or deux ans plus tard et dans un arrêt également publié (RO 84 II 405 s.), la IIe Cour civile a laissé ouverte la question de savoir si cette jurisprudence était applicable à des litiges provenant de cantons où la profession d'avocat est soumise à autorisation. Ce dernier arrêt se référait en outre à deux décisions antérieures prononçant l'irrecevabilité de recours déposés par des mandataires qui ne satisfaisaient pas aux exigences de l'art. 29 al. 2 OJ (RO 78 II 117, 79 II 104 ss.). Par la suite, le Tribunal fédéral a encore publié quatre arrêts dans le même sens (RO 87 II 130, 89 IV 180 consid. 1, 94 IV 95 s., 97 II 95 s.).
3.
Le vice que la requérante entend faire corriger n'est en réalité pas l'inobservation d'un délai, condition d'application de l'art. 35 OJ. Il réside dans l'ignorance en laquelle son mandataire et le signataire du recours en réforme se trouvaient de l'incapacité des avocats stagiaires d'agir valablement dans une affaire civile devant le Tribunal fédéral, c'est-à-dire dans leur méconnaissance de l'art. 29 al. 2 OJ et de la jurisprudence y relative. En sollicitant la restitution du délai de recours en réforme, la requérante vise à obtenir du Tribunal fédéral qu'il revienne sur son arrêt du 1er février 1973, c'est-à-dire qu'il modifie sa jurisprudence; elle voudrait que la solution consacrée par l'arrêt RO 82 II 110 consid. 2 in fine, selon laquelle le vice résultant de l'inobservation de l'art. 29 al. 2 OJ peut sous certaines conditions être corrigé par l'octroi d'un délai supplémentaire pour la signature de l'acte de recours, fût étendue aux litiges provenant des cantons où la profession d'avocat est soumise à autorisation. Pareille prétention est totalement étrangère au but poursuivi par l'art. 35 OJ.
BGE 99 II 349 S. 352
4.
Au demeurant, la requérante n'établit ni l'impossibilité d'agir valablement dans le délai légal de 30 jours, ni l'absence de faute de sa part ou de la part de son mandataire (art. 35 al. 1 OJ; RO 78 IV 132 s., 87 IV 150 s.). L'absence pour cause de vacances n'excuse ni une partie ni son avocat, qui doivent s'organiser en sorte que les délais soient respectés en leur absence (RO 63 II 422, 91 II 152 et les arrêts cités; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, n. 3 ad art. 35 p. 38 s.). Le surcroît de travail du mandataire, le manque de temps, la difficulté de rédiger un recours important ne sont pas des motifs suffisants.
En l'espèce, l'arrêt cantonal a été prononcé publiquement le 20 octobre 1972. L'avocat genevois de la requérante a reçu l'arrêt motivé le 27 octobre et l'a communiqué le même jour au mandataire bernois, qui dit l'avoir reçu le 30 octobre. Il restait suffisamment de temps à ce dernier pour organiser avec sa mandante le dépôt du recours en temps utile et conformément aux exigences légales, jusqu'à son départ le 10 novembre.
5.
La demande de restitution étant irrecevable, il est superflu d'examiner si la requérante était déchue du droit d'invoquer l'art. 35 OJ pour avoir payé les dépens à sa partie adverse et avoir ainsi acquiescé au prononcé du Tribunal fédéral, comme le font valoir les intimés.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Déclare la requête irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02063f9c-ad7a-42b0-9d39-31e0a1960c59 | Urteilskopf
94 II 319
48. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 10 décembre 1968 dans la cause Fabrique des montres Vulcain et Studio SA contre Charles Aerni SA et consorts. | Regeste
Art. 4 PatG 1907.
1. Offenkundigkeit liegt vor, wenn die Erfindung auf irgendeine Weise dargelegt und dem Publikum zugänglich gemacht worden ist;
tatsächliche Kenntnisnahme durch die Fachleute ist nicht erforderlich (Erw. IV/1 und 2).
2. Die Neuheit einer Erfindung wird nur durch eine Vorveröffentlichung zerstört, die die gleiche Aufgabe stellt und diese auf genau gleiche Weise löst in Bezug auf alle Merkmale, die der Fachmann zu ihrer Wiederholung benötigt (Erw. IV/3).
3. Vergleichung der neuheitsbegründenden Merkmale zweier Erfindungen (Taschen-Weckeruhr und Armband-Weckeruhr) unter diesem Gesichtspunkt; Fehlen der Identität (Erw. IV/4).
4. Begriff des technischen Fortschritts und der Erfindungshöhe (Erw. V/1-3).
5. Hat ein Verfahren oder eine Vorrichtung trotz Veröffentlichung in einer den Fachleuten zugänglichen Zeitschrift die Technik nicht beeinflusst, sondern ist es seit langem in Vergessenheit geraten, so kann nicht auf diese Veröffentlichung zurückgegriffen werden, um den durch eine neue Erfindung bewirkten technischen Fortschritt zu widerlegen (Erw. V/4-6). | Sachverhalt
ab Seite 320
BGE 94 II 319 S. 320
A.-
La Fabrique des montres Vulcain et Studio SA, précédemment Ditisheim et Cie, est titulaire du brevet suisse no 259 170, enregistré le 15 janvier 1949 et pour lequel la demande avait été déposée le 27 septembre 1943. Ce brevet comporte la revendication suivante:
Montre-bracelet-réveil caractérisée en ce qu'elle comporte un fond mince constituant une membrane acoustique, et des moyens pour que ladite membrane puisse transmettre dans de bonnes conditions son mouvement vibratoire à l'air ambiant, et pour la préserver du contact de tout objet extérieur à la montre et de toute partie du corps de l'usager pouvant amortir ledit mouvement vibratoire.
BGE 94 II 319 S. 321
La description spécifie que l'organe de protection, qui peut consister en une plaque percée d'ouvertures ou en un treillis, est établi conjointement avec la boîte de façon que le volume d'air compris entre cet organe, la membrane acoustique et la lunette "constitue un petit résonateur et communique avecl'air ambiant, ce qui est nécessaire à la bonne audition de la sonnerie".
La montre fabriquée selon ce brevet fut mise sur le marché sous le nom de montre Cricket. Elle connut d'emblée un grand succès et fut contrefaite par plusieurs entreprises.
En 1950 déjà, Ditisheim a actionné pour contrefaçon Lecoultre et Cie SA et la société Jäger Lecoultre, lesquelles ont conclu reconventionnellement à l'annulation du brevet. Statuant en dernière instance le 18 mars 1958, le Tribunal fédéral a admis la validité du brevet.
En 1960, dans un procès pour contrefaçon, porté en première instance devant le Tribunal fédéral par la Fabrique des montres Vulcain et Studio SA, Enicar SA, fabrique d'horlogerie à Longeau, a conclu à la nullité du brevet. Statuant, le 14 novembre 1961, le Tribunal fédéral en a derechef reconnu la validité.
B.-
Le 31 janvier 1963, la Fabrique des montres Vulcain et Studio SA a ouvert action devant le Tribunal cantonal neuchâtelois contre treize fabriques d'horlogerie. Elle demandait des dommages-intérêts pour contrefaçon du brevet no 259 170, décrit ci-dessus et expiré aujourd'hui depuis plus de sept ans. Les défenderesses ont invoqué la nullité du brevet. Contre trois défenderesses, l'action a pris fin par une transaction.
Le 1er juillet 1968, le Tribunal cantonal neuchâtelois a prononcé la nullité du brevet no 259 170.
C.-
La Fabrique des montres Vulcain et Studio SA a formé un recours en réforme; elle requiert le Tribunal fédéral de constater la validité du brevet no 259 170 et de renvoyer la cause à la cour cantonale.
Les intimées concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
I.
...
II.
Le brevet litigieux ayant été délivré avant le 1er janvier 1956, sa validité doit, selon l'art. 112 LBI, être établie conformément à l'art. 16 LBI 1907.
BGE 94 II 319 S. 322
III.
Les défenderesses, et après elles le Tribunal cantonal neuchâtelois, admettent - ce qui avait déjà été soutenu dans les deux procès précédents - que les brevets français, américain, belge et anglais, obtenus en 1885 et 1886 par Bapst et Falize, ainsi que la montre de poche dite "Cigale", qui en est l'application pratique, constituent une antériorité. Ils soutiennent qu'au regard de celle-ci, le brevet no 259 170 ne définit pas une invention nouvelle et, de plus, qu'en considération de l'état de la technique au jour du dépôt de la demande, état qui serait déterminé par le brevet Bapst et Falize, le brevet no 259 170 n'emporterait pas un progrès technique et ne procéderait pas non plus d'une idée créatrice.
IV.1.
Selon l'art. 4 LBI 1907, ne sera pas réputée nouvelle l'invention qui, avant le dépôt de la demande, aura été divulguée en Suisse ou exposée, par des écrits ou des dessins, dans des publications se trouvant en Suisse, de manière à pouvoir être exécutée par des hommes de métier. Il suffit donc en principe que l'invention ait été exposée d'une façon quelconque et rendue accessible au public; peu importe que les gens du métier en aient effectivement pris connaissance et qu'elle ait été ou non insérée dans des publications où ils puisent, d'ordinaire, leurs informations.
IV.2.
Du point de vue de la nouveauté, le brevet Bapst et Falize pourrait en tout cas exclure la validité du brevet no 259 170 du fait qu'il a été divulgué en Suisse dans l'acception que ce terme prend à l'art. 4 LBI 1907 et que l'on vient de définir. Premièrement, en effet, trois exemplaires de la montre Cigale ont été périodiquement exposés en vitrine, à Genève, par la maison Vacheron et Constantin et ont été vendus, l'un en 1910, les deux autres en 1923. Secondement, un résumé en anglais du brevet américain de Bapst et Falize a été publié et se trouve à la disposition du public à la bibliothèque de l'Ecole polytechnique fédérale depuis le 21 octobre 1900 au moins; cette publication est assez explicite pour que l'homme du métier puisse exécuter l'objet du brevet. Ces deux faits constituent, à eux seuls, une divulgation suffisante, de sorte qu'il n'est pas nécessaire de rechercher ce qu'il en est à cet égard de la publication
BGE 94 II 319 S. 323
- ignorée avant la présente procédure - d'une description de la montre Cigale dans la revue "La Nature", qui se trouve dans quinze bibliothèques publiques, en Suisse.
IV.3.
Selon la doctrine et la jurisprudence constante, l'invention est réputée nouvelle tant qu'une antériorité, fût-elle divulguée, n'en fournit pas, prise isolément, tous les éléments constitutifs. Pour qu'elle exclue la nouveauté, il faut que l'antériorité pose le même problème et le résolve d'une façon identique dans tous les éléments nécessaires à l'homme du métier. Il doit y avoir identité des éléments constitutifs du brevet (RO 58 II 69 s.; BLUM et PEDRAZZINI, n. 7 ad art. 7 LBI, p. 344; TROLLER, Immaterialgüterrecht, t. I, p. 203). La divulgation étant prise, à l'art. 4 LBI 1907, dans un sens très large, il est juste, en revanche, d'exiger que les éléments constitutifs des deux inventions comparées soient strictement identiques.
Se fondant sur l'avis des experts judiciaires, l'autorité cantonale a admis que les brevets Bapst et Falize, divulgués comme on l'a dit plus haut, excluaient la nouveauté du brevet no 259 170, lequel n'innoverait que par la réduction d'une montre de poche au calibre d'une montre-bracelet, réduction qui serait à la portée d'un homme du métier. C'est là une appréciation juridique reposant sur des constatations de fait d'ordre technique, que le Tribunal fédéral revoit librement de par l'art. 67 OJ. La cour recherchera donc s'il y a identité entre les éléments constitutifs de l'un et l'autre brevet.
IV.4.
a) Le mécanisme qui provoque la vibration de la membrane diffère dans les deux montres (Cigale et Cricket); il est hors de cause, car il ne fait pas l'objet du brevet.
b) Les montres, objets des deux brevets, diffèrent par leurs dimensions. Les experts estiment cependant que, sur la base du brevet Bapst et Falize tel qu'il a été divulgué en Suisse, l'homme du métier est en mesure d'exécuter, au lieu de la montre de poche décrite, une montre-bracelet, c'est-à-dire un mouvement d'un calibre très sensiblement inférieur. C'est là un point de fait de nature technique. La cour n'a cependant aucune raison de révoquer en doute les constatations des experts, ni d'ordonner un complément d'instruction à cet égard, complément qui n'est du reste pas requis (RO 91 II 70 s.). Du fait qu'un homme du métier pouvait, sur la base de ce qu'on avait divulgué du brevet Bapst et Falize, reproduire la montre de poche à une échelle réduite pour en faire une montrebracelet,
BGE 94 II 319 S. 324
seul point décisif pour la nouveauté, il ne suit du reste pas encore que le modèle ainsi réduit présenterait les mêmes qualités techniques. A cet égard, par conséquent, la recourante allègue en vain que, si l'on diminuait d'un tiers environ la surface de la membrane acoustique, la sonorité en serait réduite au point que le fonctionnement du dispositif d'alarme ne serait pratiquement plus du tout audible.
c) Sur une autre question, en revanche, les deux inventions diffèrent nettement l'une de l'autre.
Selon le brevet no 259 170, la membrane acoustique sert en même temps de fond à la montre; sa fonction est d'assurer à la fois l'étanchéité de la boîte et de propager avec un rendement élevé les vibrations sonores. Dans le brevet Bapst et Falize, la membrane sonore est, au contraire, fixée à la cuvette, qui est ajourée pour laisser passer le son; un couvercle ajouré lui aussi, s'y ajoute encore. Du côté opposé au cadran, le mouvement de la montre Cigale est ainsi couvert par trois organes successifs, tandis qu'il n'y en a que deux dans la montre Cricket, la membrane sonore et le fond étant combinés en une seule pièce.
Sans doute, dans la montre Cigale, la membrane acoustique, sertie sur le bord de la cuvette, assure-t-elle en fait une certaine étanchéité. Mais, de l'avis des experts judiciaires, elle ne remplit cette fonction que partiellement. Dans la montre Cricket, en revanche, la membrane sonore, du fait qu'elle réalise une étanchéité - dont on ne se préoccupait nullement à l'époque où Bapst et Falize ont pris leur brevet - constitue quelque chose de nouveau, de différent par rapport à la prétendue antériorité. Peu importe, du point de vue de la nouveauté, que, comme le relèvent les experts, cette modification fût commandée par l'abandon de la cuvette dans la montre moderne.
d) Le brevet Bapst et Falize ne s'occupe que de la vibration de la membrane acoustique; il est muet sur les moyens qui permettraient de transmettre cette vibration à l'air ambiant. Cette transmission, au contraire, est gênée par le couvercle. De plus, le même brevet ignore le problème de la protection de la membrane; l'existence d'une cuvette éliminait le problème.
La revendication du brevet no 259 170, en revanche, pose ces deux questions. Les moyens employés pour les résoudre sont exposés dans la description qui est jointe à la revendication et se réfère à deux dessins, l'un en plan, l'autre en coupe: la membrane acoustique avec le couvercle de la montre (qui joue,
BGE 94 II 319 S. 325
lui aussi le rôle d'organe protecteur) et le volume d'air compris entre eux constituent un petit résonateur.
e) Vu ces différences, qui portent sur les éléments constitutifs des deux objets brevetés, on ne saurait admettre que ces objets soient identiques. Partant, la solution adoptée, sur ce point, par la cour cantonale repose sur une application erronée de l'art. 4 LBI 1907. Au contraire de ce qu'a jugé cette cour, le brevet no 259 170 définit un objet nouveau.
V.1.
Pour que l'objet d'un brevet constitue une invention, il ne suffit pas qu'il soit nouveau; il faut encore qu'il réalise un progrès technique clairement reconnaissable et essentiel dans le domaine qu'elle concerne. Pour juger si cette condition est remplie, on compare l'état de la technique avant et après le dépôt du brevet litigieux. Enfin, l'objet du brevet doit procéder d'une idée créatrice, d'un certain degré d'originalité, le niveau inventif. Ici encore, il faut se référer à l'état de la technique et rechercher si un homme du métier, possédant une bonne formation et connaissant ainsi l'état de la technique, était capable de réaliser l'invention, grâce à son expérience et à ses capacités, par un effort intellectuel normal (RO 85 II 138 et 513 et les arrêts cités).
V.2.
Pour son appréciation du progrès technique et du niveau inventif, la cour cantonale s'est fondée sur l'état de la technique résultant de la description de la montre Cigale, parue dans la revue "La Nature", en 1890.
Elle a jugé à bon droit que si c'est bien ce critère qui détermine l'état de la technique au jour du dépôt de la demande, le brevet no 259 170 n'entraîne pas un progrès technique et n'atteint pas non plus un niveau inventif suffisant. Mais elle a constaté aussi que la publication parue dans la revue "La Nature", touchant la montre Cigale, était le seul élément qui justifiait cette conclusion. Si l'on fait abstraction de cet article, en revanche, il faut admettre que le brevet no 259 170 apporte un progrès technique et une idée nouvelle répondant au niveau inventif indispensable. Les défenderesses, en effet, n'ont offert aucune autre preuve que la montre Cigale et leur démonstration repose uniquement sur sur cette base. Quant à l'expertise, elle se ramène tout entière à une appréciation du brevet no 259 170 par référence à la montre Cigale.
BGE 94 II 319 S. 326
Le jugement attaqué ne pourra donc subsister que si la cour cantonale s'est fondée sur une juste notion de l'état de la technique et du niveau inventif en faisant intervenir, pour en juger, la publication relative à la montre Cigale dans la revue "La Nature", en 1890.
V.3.
Dans son arrêt du 14 novembre 1961, rendu dans une cause qui opposait la présente demanderesse et recourante à Enicar SA (RO 87 II 269), le Tribunal fédéral a défini l'état de la techique dans les termes suivants:
"Une antériorité peut consister, selon l'art. 4 LBI de 1907, dans une realisation ou une publication antérieure ignorée ou complètement oubliée des techniciens. Cette disposition introduit donc, en matière de nouveauté, une notion de l'état de la technique qui est une pure fiction (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweiz. Patentrecht I ad art. 7, rem. 6 p. 342; TROLLER, Immaterialgüterrecht I p. 202 et ss.).
" Il n'en est pas de même dans le domaine du progrès techique et du niveau inventif, Ici, l'état de la technique s'apprécie selon les connaissances effectives des hommes du métier. On ne doit tenir compte d'une invention antérieure que si elle a réellement exercé une influence sur l'état de la technique. Lors donc que, par exemple, une publication n'a pas été divulguée ou est tombée dans l'oubli, on ne peut la prendre en considération pour juger si l'objet d'un brevet litigieux constitue une invention (MATTER, Aktuelle Fragen aus dem Gebiet des Patent- und des Patentprozessrechtes, RDS 1944, p. 30 a; TROLLER, op.cit., p. 199)". TROLLER, dans la 2e édition de l'ouvrage précité (p. 220), a souscrit à cette jurisprudence.
On recherchera donc, en l'espèce, si l'invention de Bapst et Falize a réellement exercé une influence sur l'état de la technique et faisait partie des connaissances effectives de l'homme du métier.
V.4.
Lorsqu'un périodique largement diffusé dans les milieux techniques décrit un procédé ou un mécanisme nouveau, on peut présumer que les techniciens en ont pris connaissance et que ce procédé ou ce mécanisme s'est inséré dans l'état de la technique. Mais la présomption n'existe pas lorsque la description remonte à de nombreuses années et n'a eu aucune influence sur la technique (très nettement dans ce sens; MATTER, loc.cit.; cf. GRUR Ausl. 1965 p. 577).
V.5.
En l'espèce, la cour cantonale, suivant l'avis des experts,
BGE 94 II 319 S. 327
admet que l'existence, en Suisse, depuis 1902, d'une ou plusieurs montres de poche Cigale n'était apparemment connue que de quelques personnes et que l'on n'en saurait conclure que tout homme du métier devait en être informé. En revanche, de l'avis de cette même cour, tel n'est pas le cas de la description de la montre Cigale parue dans "La Nature", et cela à cause de la large diffusion de cette revue. C'est en raison de cet unique "fait nouveau" que la cour cantonale a admis que la montre Cigale avait exercé une influence sur l'état de la technique et que, partant, le brevet no 259 170 n'avait pas entraîné de progrès technique.
Cependant, la publication, dans la revue "La Nature", est antérieure de plus de cinquante ans au dépôt de la demande de brevet. De plus, même si cette revue est largement répandue et accessible au public dans plusieurs bibliothèques, en Suisse, elle n'est cependant pas spécialisée dans les problèmes de l'horlogerie ou, plus généralement, de la mécanique. Elle s'occupe de toutes les sciences, de la géographie à la botanique et à la biologie; c'est une revue de culture scientifique générale. Ce n'est pas là que le technicien de l'horlogerie, au cours de recherches, ira puiser sa documentation technique spéciale.
La cour cantonale n'a pas constaté et les défenderesses ne semblent pas avoir tenté de prouver que la publication touchant la montre Cigale eût encore été connue de quiconque lors du dépôt de la demande. Au surplus, le jugement déféré rappelle lui-même que Guye, directeur de l'Ecole d'horlogerie de La Chaux-de-Fonds, un des meilleurs connaisseurs de l'état de la technique horlogère, chargé par le Département fédéral de l'économie publique d'examiner la valeur du mécanisme breveté sous le no 259 170, n'a pas mentionné le brevet Bapst et Falize au nombre de ceux qu'il cite dans le domaine des montresréveils; il paraît ne pas le connaître.
V.6.
Sans doute, il importerait peu que la publication fût oubliée et que l'auteur de l'invention eût sombré dans l'oubli si l'invention, elle, se fût imposée dans la pratique et eût été effectivement connue des horlogers, en 1943. Or, bien au contraire, selon les faits constants, la publication dans la revue "La Nature" n'a pas eu d'influence sur la technique ou, tout au moins, n'en avait plus aucune au mois de septembre 1943 lorsque la demande de brevet fut déposée (montre Cricket). A ce moment en effet et depuis un certain nombre d'années,
BGE 94 II 319 S. 328
selon le jugement attaqué, plusieurs fabriques d'horlogerie importantes s'étaient attaquées, sans parvenir à le résoudre, au problème de la montre-bracelet-réveil. Aucune solution n'avait été trouvée. Divers systèmes ont été proposés dans ce domaine, fondés sur des techniques différentes, allant jusqu'à l'avertisseur tactile; mais ils n'ont eu aucun succès. De plus, la forte sonorité de la montre Cricket a surpris le monde horloger. Par la réalisation de cette montre, la recourante a vaincu un préjugé technique, les gens du métier ne pensant pas que l'on pût obtenir un son aussi intense d'un dispositif acoustique logé dans une boîte de petites dimensions. Enfin, dès son apparition sur le marché, la montre Cricket a été contrefaite par de nombreux fabricants, qui en ont produit des dizaines de milliers d'exemplaires.
Ces faits prouvent qu'au mois de septembre 1943, les connaissances effectives des hommes du métier ne permettaient pas de résoudre convenablement le problème de la montre-braceletréveil. Ils établissent de façon manifeste que le procédé Bapst et Falize, qui, selon la cour cantonale, met à la portée de l'homme du métier la solution de ce problème, n'avait, en réalité, exercé aucune influence sur l'état de la technique et ne faisait pas partie des connaissances effectives de l'homme du métier.
Sur ce point, par conséquent, l'arrêt entrepris se fonde sur une conception erronée de l'état de la technique. Car on ne saurait tenir compte, pour déterminer cet état, de publications qui, comme celle de la revue "La Nature", étaient totalement tombées dans l'oubli, d'où on les a tirées pour les fins d'un procès relatif à un brevet (MATTER, loc.cit.). Dans la présente espèce, la profondeur de l'oubli où était tombée la description de la montre Cigale se mesure à la peine que l'on a eue à la redécouvrir; ce n'est qu'au troisième procès, plus d'une dizaine d'années après les nombreuses mises en garde et démarches diverses de la recourante, que les défenderesses sans doute actives et disposant de moyens de recherche efficaces, ont pu alléguer ce fait nouveau. Du reste, la nouveauté du fait, à elle seule, prouve que les hommes du métier l'ignoraient.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet le recours, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
020b213b-70cf-4baf-8672-bda834ef333b | Urteilskopf
97 II 369
52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Dezember 1971 i.S. Bühlmann gegen Bühlmann. | Regeste
Scheidungsprozess.
Zeugeneinvernahme eines Arztes.
Nur der Patient ist befugt, den Arzt vom Berufsgeheimnis zu entbinden.
Die Befreiung ist schon in der Anrufung des Arztes als Zeuge enthalten.
Vernehmung über medizinische Befunde und über andere Beobachtungen. | Sachverhalt
ab Seite 369
BGE 97 II 369 S. 369
In einem Scheidungsprozess hat die letzte kantonale Instanz die Klage der Ehefrau abgewiesen, ohne verschiedene von der Klägerin angerufene Zeugen zu vernehmen. In Gutheissung der Berufung der Klägerin hat das Bundesgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Vornahme der notwendigen Beweisergänzungen und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Klägerin hat ein vom 29. Januar 1969 datiertes Arztzeugnis von Dr. X. zu den Akten gegeben und dessen Einvernahme als Zeuge verlangt. Dieser Antrag wurde vom Obergericht
BGE 97 II 369 S. 370
abgelehnt mit dem Hinweis, dass Ärzte über die von ihnen in einem ärztlichen Zeugnis festgehaltenen medizinischen Befunde nur beim Vorliegen besonderer Gründe als Zeugen einvernommen würden. Im vorliegenden Fall sei kein solcher Grund gegeben. Soweit das ärztliche Zeugnis von Dr. X. auch Feststellungen nichtmedizinischer Art enthalte, beruhe es nicht auf eigenen Wahrnehmungen, sondern auf Angaben der Klägerin. Hätte der Arzt über die Beziehungen der Parteien eigene Beobachtungen gemacht, dürfte er übrigens ohne Zustimmung des Beklagten nicht darüber aussagen, da diese Wahrnehmungen wohl unter das ärztliche Berufsgeheimnis fallen würden.
Die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Zustimmung des Ehemannes der Patientin notwendig wäre, um ihren Arzt vom Berufsgeheimnis zu entbinden, erscheint indessen als abwegig. Durch das Arztgeheimnis geschützt ist allein der Patient, hier also die Klägerin. Der Patient ist der Berechtigte im Sinne von
Art. 321 Ziff. 2 StGB
, welcher den Arzt vom Berufsgeheimnis befreien kann (
BGE 75 IV 75
Erw. 3; LOGOZ, Commentaire du code pénal suisse, Bd. II, N. 8 a zu
Art. 321 StGB
). Das gleiche gilt auch im Zivilprozess (LEUCH, Kommentar zur Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 4 zu
Art. 246 ZPO
; Luzern, Entscheidungen des Obergerichts oder Maximen, Bd. IX S. 580 f. Nr. 676). Die Befreiung des Arztes vom Berufsgeheimnis liegt hier schon in seiner Anrufung als Zeuge durch den Berechtigten (LEUCH, a.a.O.). Der vom Berufsgeheimnis befreite Arzt untersteht der allgemeinen Zeugnispflicht (Entscheidungen des Luzerner Obergerichts, a.a.O.). Abwegig ist demnach auch die im angefochtenen Urteil vertretene Ansicht, wonach Ärzte über die von ihnen in einem Zeugnis festgehaltenen medizinischen Befunde in der Regel nicht einvernommen werden. Das würde eine unzulässige Beschränkung der Beweisrechte des Patienten bedeuten.
In dem bei den Akten liegenden ärztlichen Zeugnis weist Dr. X. darauf hin, dass er die häuslichen Verhältnisse der Parteien ziemlich gut kenne. Er betreute die Klägerin während Jahren und musste daher in der Lage sein, auch eigene Beobachtungen über die gegenseitigen Beziehungen der Parteien zu machen. Seine Einvernahme als Zeuge drängte sich daher auf. Die Vorinstanz hat diesem Beweisantrag grundsätzlich Folge zu leisten. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02103c50-df32-4d53-a03c-52bd90406c73 | Urteilskopf
114 V 94
20. Auszug aus dem Urteil vom 21. März 1988 i.S. Schweizerische Betriebskrankenkasse gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen betreffend K. | Regeste
Art. 45bis IVG
,
Art. 88quater Abs. 2 IVV
,
Art. 103 lit. a OG
: Beschwerdebefugnis der Krankenkassen bei Verfügungen der Invalidenversicherung. Krankenkassen sind grundsätzlich nicht legitimiert, rentenablehnende Verfügungen der Invalidenversicherung anzufechten. | Sachverhalt
ab Seite 94
BGE 114 V 94 S. 94
A.-
Mit Verfügung vom 6. Februar 1986 verneinte die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen den Anspruch des 1920 geborenen Wilhelm K. auf eine halbe Invalidenrente bei einem ab Dezember 1983 bestehenden Invaliditätsgrad von 44% mangels Vorliegens eines Härtefalles. Der Versicherte focht die - ausschliesslich an ihn gerichtete - Verfügung nicht an. In der Folge verlangte die Schweizerische Betriebskrankenkasse (SBKK), welche ihm bis zu seiner Pensionierung am 6. August 1985 für
BGE 114 V 94 S. 95
720 Tage Krankengeld in der versicherten Höhe ausgerichtet hatte, mit Schreiben vom 14. Februar und 21. März 1986 die Zustellung einer Verfügung an sie. Die Ausgleichskasse kam diesem Begehren am 25. März 1986 nach.
B.-
Die SBKK erhob gegen die Verfügung der Ausgleichskasse am 4. April 1986 Beschwerde. Sie beabsichtigte, im Falle der Zusprechung einer Invalidenrente einen Teil des Krankengeldes infolge Überversicherung zurückzufordern. Sie verlangte daher die Herausgabe der IV-Akten und stellte vorsorglich das Begehren, es sei Wilhelm K. ab 1. Dezember 1983 eine halbe Invalidenrente zu gewähren.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen trat auf die Beschwerde mit Entscheid vom 2. Juli 1986 nicht ein. Dabei verneinte es die Beschwerdelegitimation der SBKK.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SBKK, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr die Beschwerdelegitimation zuzuerkennen.
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Eidg. Versicherungsgericht hat von Amtes wegen zu prüfen, ob die Vorinstanz auf die Beschwerde der SBKK gegen die ablehnende Rentenverfügung der Ausgleichskasse zu Recht nicht eingetreten ist (vgl.
BGE 112 V 83
Erw. 1 mit Hinweisen). Es stellt sich die Frage, ob die SBKK im Sinne der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im vorinstanzlichen Verfahren beschwerdebefugt war. Dabei ist die Beschwerdelegitimation der Krankenkasse unter dem Titel von
Art. 103 lit. a OG
zu prüfen. Denn sie verfolgt mit der Beschwerdeführung nicht nur ein öffentliches Interesse an der richtigen Durchführung der Kranken- und Invalidenversicherung, sondern - wie dies nach der Rechtsprechung für die Berechtigung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss lit. a von
Art. 103 OG
vorausgesetzt ist - wie ein Privater ein angeblich bestimmtes, eigenes finanzielles Interesse (vgl.
BGE 113 Ib 32
Erw. 2,
BGE 110 Ib 154
Erw. 1c und 197,
BGE 108 Ib 170
).
a) Die Massstäbe, welche
Art. 103 lit. a OG
und die Praxis bezüglich der Beschwerdebefugnis im letztinstanzlichen Verfahren setzen, sind auch für das erstinstanzliche Beschwerdeverfahrenrichtungsweisend.
BGE 114 V 94 S. 96
Im Hinblick auf die derogatorische Kraft des Bundesrechts und entsprechend dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens dürfen nach der Rechtsprechung bei Streitigkeiten des Bundesverwaltungsrechts, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weitergezogen werden können, auf kantonaler Ebene an die Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen gestellt werden, als sie
Art. 103 lit. a OG
für die Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Wer gemäss
Art. 103 lit. a OG
im letztinstanzlichen Verfahren beschwerdebefugt ist, muss deshalb auch im kantonalen Rechtsmittelverfahren zum Weiterzug berechtigt sein (
BGE 112 Ib 173
Erw. 5a,
BGE 111 V 350
Erw. 2b, ARV 1983 S. 41 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
b) Nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit
Art. 132 OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Verfügungsadressaten verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde. Das rechtliche oder auch bloss tatsächliche Interesse braucht somit mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichnete Norm geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe (
BGE 111 V 152
Erw. 2a, 350 Erw. 2b und 388 Erw. 1b).
3.
a) Die Ausgleichskasse richtete ihre Verfügung vom 6. Februar 1986 an Wilhelm K. als einzigen Adressaten. Da der SBKK nicht die Stellung eines Adressaten zukommt, ist ihre Befugnis zur Beschwerde bei der Vorinstanz nicht unter dem Titel "Verfügungsadressat", sondern unter jenem eines "Nichtadressaten bzw. Drittbeschwerdeführers" zu beurteilen (vgl. in diesem Zusammenhang ARV 1983 S. 40 Erw. 2a).
BGE 114 V 94 S. 97
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hatte sich schon mehrmals mit der Frage zu befassen, ob ein Dritter beschwerdebefugt ist. In
BGE 106 V 187
hat es entschieden, dass ein Rückversicherungsverband nicht berechtigt ist, den Entscheid eines kantonalen Versicherungsgerichts anzufechten, der eine dem Verband angeschlossene Krankenkasse zu Leistungen an einen Versicherten verpflichtete. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Möglichkeit, dass die Belastung der Krankenkasse eventuell eine Ausgleichspflicht des Verbandes auslösen könnte, bestehe bloss theoretisch und hänge von verschiedenen, derzeit weitgehend noch unbekannten und nicht voraussehbaren Faktoren ab; aus diesem Grunde liege kein hinreichendes prozessuales Rechtsschutzinteresse vor. Ebenfalls verneint wurde die Beschwerdebefugnis des Gläubigers eines verstorbenen Versicherten, den die Arbeitslosenkasse in der Anspruchsberechtigung eingestellt hatte; das Interesse des Gläubigers, allfällige Nachzahlungen aus der Arbeitslosenversicherung mit seinem Guthaben gegenüber dem Verstorbenen verrechnen zu können, wurde als bloss mittelbar bezeichnet (ARV 1980 S. 61). Sodann hat das Eidg. Versicherungsgericht unter der Herrschaft des alten, bis Ende 1983 geltenden Rechts zur Arbeitslosenversicherung erkannt, dass der Arbeitgeber durch die Einstellung seiner Arbeitnehmer in der Anspruchsberechtigung zwar mehr als irgendein Dritter berührt sei, aber grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung einer den Anspruch auf Leistungen seiner Arbeitnehmer betreffenden Verfügung hat. Sein Interesse wurde als nicht unmittelbar und auch zu wenig konkret erachtet. Hinzu kam, dass die erfolgreiche Anfechtung einer Verfügung, welche Leistungen an den Arbeitnehmer verweigert, dem Arbeitgeber ohnehin praktisch nicht viel nützen würde. Denn er kann den Arbeitnehmer nicht dazu verhalten, auf den vertraglichen Lohn zu verzichten und statt dessen den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bei der Arbeitslosenkasse und gegebenenfalls auch auf dem Beschwerdeweg geltend zu machen. Ohne oder gegen den Willen des versicherten Arbeitnehmers hat die Arbeitslosenversicherung keine Leistungen zu erbringen (ARV 1983 S. 38). Ferner wurde die Beschwerdelegitimation des Arbeitgebers mangels eines schutzwürdigen Interesses verneint bezüglich einer Verfügung, womit eine Ausgleichskasse die Rückerstattung von Beiträgen anordnete, welche zu Unrecht von Personen bezahlt wurden, die der AHV als Versicherte ohne beitragspflichtigen Arbeitgeber unterstellt worden sind (
BGE 110 V 165
). Im weiteren
BGE 114 V 94 S. 98
wurde einer Durchführungsstelle die Beschwerdelegitimation hinsichtlich Eingliederungsmassnahmen für Versicherte abgesprochen. Zur Begründung führte das Eidg. Versicherungsgericht aus, die Durchführungsstelle sei zwar durch die Kassenverfügung berührt, mit welcher die Invalidenversicherung die Übernahme der Kosten des im Ergotherapie-Zentrum absolvierten Haushalttrainings ablehnte. Indessen könne ihr ein schutzwürdiges Interesse an der Beschwerdeerhebung nicht zugebilligt werden, da sie in keiner näheren Beziehung zur Versicherten stehe. Ausserdem gestatte
Art. 103 lit. a OG
nicht jedem beliebigen Gläubiger, die Rechte des Versicherten in seinem eigenen Namen geltend zu machen (ZAK 1979 S. 122). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte das Eidg. Versicherungsgericht auch in einem Fall, in welchem eine Nichte die Rückerstattung eines Teils der für ihre Tante übernommenen Krankheitskosten zu deren Lebzeiten verlangte. Da die Nichte nach
Art. 328 Abs. 1 ZGB
nicht verpflichtet war, ihre Tante zu unterstützen, war sie bezüglich des Anspruches auf Rückerstattung der von ihr erbrachten Leistungen nur als Gläubigerin zu betrachten. Sie war daher nicht berechtigt, im erstinstanzlichen Verfahren die Nichtberücksichtigung von Behandlungskosten und Medikamenten bei der Prüfung des Anspruchs ihrer Tante auf Ergänzungsleistungen anzufechten. Denn mit
Art. 103 lit. a OG
- sinngemäss anwendbar im erstinstanzlichen Verfahren - wollte der Gesetzgeber sicherlich nicht jeden beliebigen Gläubiger eines Versicherten ermächtigen, seine Rechte stellvertretend geltend zu machen (
BGE 101 V 120
).
c) Schliesslich ist auf
Art. 76 Abs. 1 lit. h IVV
hinzuweisen, wonach die Verfügung der Ausgleichskasse der vom Bund anerkannten Krankenkasse in den Fällen von Artikel 88quater zuzustellen ist. Absatz 1 dieser Verordnungsbestimmung lautet:
Hat eine Krankenkasse dem Sekretariat der zuständigen Kommission mitgeteilt, dass sie für einen ihr gemeldeten Versicherten Kostengutsprache oder Zahlung geleistet habe, so ist ihr die Verfügung der Ausgleichskasse über die Zusprechung oder Ablehnung medizinischer Massnahmen zuzustellen.
Art. 88quater Abs. 2 IVV
ordnet an:
Lehnt die Versicherung medizinische Massnahmen ganz oder teilweise ab und würde deswegen die Krankenkasse leistungspflichtig, so kann diese die entsprechende Verfügung der Ausgleichskasse selbständig mit den in Artikel 69 IVG vorgesehenen Rechtsmitteln anfechten.
BGE 114 V 94 S. 99
Die Verfügung der Ausgleichskasse über die Zusprechung oder Ablehnung von Invalidenrenten ist nach dieser Regelung der Krankenkasse nicht zuzustellen, und auch die Anfechtung einer ablehnenden Rentenverfügung durch die Krankenkasse ist nach der erwähnten Ordnung nicht vorgesehen. Hätte der Bundesrat das Beschwerderecht der Krankenkassen ausdehnen wollen, so hätte er hiezu Gelegenheit gehabt, als er am 20. Dezember 1982 die Verordnung über die Unfallversicherung und gleichzeitig
Art. 76 Abs. 1 lit. e IVV
erliess. Danach ist die Verfügung der Ausgleichskasse u.a. dem zuständigen Unfallversicherer zuzustellen, sofern er dem Versicherten Leistungen erbringt. Zwar kann eine anerkannte Krankenkasse nach
Art. 68 Abs. 1 lit. c UVG
auch ein "zuständiger Unfallversicherer" im Sinne von
Art. 76 Abs. 1 lit. e IVV
sein. Indessen hat der Bundesrat
Art. 76 Abs. 1 lit. h IVV
nicht geändert und damit eine Unterscheidung getroffen bezüglich des Beschwerderechts der Krankenkassen, je nachdem, ob sie als Unfallversicherer oder als Krankenversicherer handeln.
d)
Art. 88quater Abs. 2 IVV
, gemäss welchem Krankenkassen Verfügungen der Ausgleichskassen bezüglich medizinischer Massnahmen anfechten können, stützte sich zunächst auf lit. b des nunmehr aufgehobenen
Art. 45bis IVG
mit dem Randtitel "Verhältnis zur Krankenversicherung" (in Kraft vom 1. Januar 1968 bis 31. Dezember 1978), welche Bestimmung wie folgt gelautet hatte:
Der Bundesrat regelt das Verhältnis zur Krankenversicherung, insbesondere:
a. hinsichtlich der Rückerstattung der Kosten von medizinischen Massnahmen, die von einer vom Bund anerkannten Krankenkasse bezahlt worden sind und nachträglich von der Invalidenversicherung übernommen werden;
b. hinsichtlich der Anfechtung von Verfügungen der Ausgleichskassen durch die vom Bund anerkannten Krankenkassen in Fällen, in denen diese für Kosten medizinischer Massnahmen Gutsprache erteilt oder vorläufig Zahlung geleistet haben.
Der Bundesrat, welcher von der an ihn delegierten Kompetenz Gebrauch machte, beschränkte in
Art. 88quater Abs. 2 IVV
das Beschwerderecht der Krankenkassen gegen ablehnende Verfügungen der Invalidenversicherung bewusst auf medizinische Massnahmen, obwohl der Ausdruck "insbesondere", welcher am Anfang der Delegationsnorm in
Art. 45bis IVG
stand, es ihm gestattet hätte, das Beschwerderecht der Krankenkassen auszudehnen (vgl. ZAK 1968 S. 42 ff.).
BGE 114 V 94 S. 100
Art. 45bis IVG
mit dem Marginale "Verhältnis zu anderen Sozialversicherungszweigen" in der neuen, seit 1. Januar 1979 in Kraft stehenden Fassung lautet:
Der Bundesrat ordnet das Verhältnis zu den anderen Sozialversicherungszweigen und erlässt ergänzende Vorschriften zur Verhinderung von Überentschädigungen beim Zusammenfallen von Leistungen.
Der Wortlaut dieser neuen, weiter gefassten Delegationsnorm hätte den Bundesrat zweifellos berechtigt, das Beschwerderecht der Krankenkassen extensiver zu regeln. Wenn er dennoch davon abgesehen hat, so nicht deshalb, weil er diese Möglichkeit übersehen hätte, wie dies von der Beschwerdeführerin behauptet wird. Vielmehr ist von einem qualifizierten Schweigen des Verordnungsgebers auszugehen, welches eine Lückenfüllung oder analoge Anwendung von
Art. 88quater Abs. 2 IVV
im Sinne ihrer Ausführungen ausschliesst. Namentlich kann auch nicht angenommen werden, der Bundesrat wäre im Hinblick auf die Neufassung des
Art. 45bis IVG
verpflichtet gewesen, das Recht der Krankenkassen auf Beschwerde gegen Verfügungen der Invalidenversicherung umfassender auszugestalten, als dies in der geltenden Regelung vorgesehen ist.
e) Die SBKK hat ein rein pekuniäres Interesse an der Beschwerdeführung, indem sie davon ausgeht, im Falle einer Rentenzusprechung durch gerichtlichen Entscheid von Wilhelm K. ihre erbrachten Krankengeldleistungen infolge Überversicherung teilweise zurückfordern zu können. Dieses Interesse im Hinblick auf eine mögliche - nicht näher substantiierte - Überversicherung erweist sich nicht als schützenswert, weil es nicht unmittelbar und auch zu wenig konkret im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ist. Insbesondere kann die Beschwerdelegitimation auch nicht mit dem Bemühen um Verhinderung einer Überversicherung begründet werden. Denn eine Überversicherung würde ja allenfalls überhaupt erst entstehen, wenn die Beschwerdeerhebung zu einer Rentenzusprechung führt. Das Interesse der Beschwerdeführerin, durch (erfolgreiche) Beschwerdeführung gegebenenfalls eine Überversicherung auszulösen und diese dann durch Rückforderung der erbrachten eigenen Versicherungsleistungen wieder zu beseitigen, vermag den praxisgemäss an das erforderliche Rechtsschutzinteresse gestellten strengen Anforderungen nicht zu genügen (vgl. hiezu GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., 1983, S. 161 f.). Begründet die bloss theoretische Möglichkeit einer eventuellen finanziellen Entlastung kein hinreichendes prozessuales
BGE 114 V 94 S. 101
Rechtsschutzinteresse (vgl.
BGE 106 V 187
), so verneinte die Vorinstanz die Beschwerdelegitimation der SBKK als "Drittbeschwerdeführerin" zu Recht. Sie trat somit richtigerweise auf die Beschwerde nicht ein, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
0212c0f4-a33c-44b9-be45-c0313abc6d8b | Urteilskopf
137 II 128
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_485/2010 vom 20. Dezember 2010 | Regeste
Art. 31,
Art. 32 Abs. 2 lit. a und
Art. 33 lit. d VGG
;
Art. 28 Abs. 1 lit. e SGG
;
Art. 25 Abs. 1 und
Art. 80e Abs. 1 IRSG
;
Art. 17 BG-RVUS
;
Art. 83 lit. h und
Art. 84 BGG
; Fiskalauskunft an die USA im "Fall UBS".
Behördenzuständigkeiten in fiskalischen Amts- und Rechtshilfeverfahren; Vorliegen eines besonders bedeutenden Falles (E. 1). Schlussverfügungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung, die sich auf internationales Amtshilferecht stützen, hat nicht das Bundesstrafgericht als Beschwerdeinstanz zu prüfen, sondern das Bundesverwaltungsgericht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 137 II 128 S. 129
A.
Mit Schlussverfügung vom 16. August 2010 bewilligte die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV), Task Force Amtshilfe USA, Amtshilfe an die USA. Auf eine Beschwerde von X. und Y., zwei von der Schlussverfügung betroffenen Bankkunden der UBS AG (Schweiz), trat das Bundesstrafgericht, II. Beschwerdekammer, am 13. Oktober 2010 (mangels Zuständigkeit) nicht ein.
B.
Gegen den Nichteintretensentscheid des Bundesstrafgerichts gelangten die betroffenen Bankkunden mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. Oktober 2010 an das Bundesgericht. Sie rügen u.a. Verstösse gegen den Rechtshilfevertrag mit den USA (RVUS), die Bundesverfassung, die EMRK, den UNO-Pakt II und das Bundesgesetz betreffend den Rechtshilfevertrag mit den USA (BG-RVUS). Die Beschwerdeführer beantragen im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. (...)
(Auszug)
Aus den Erwägungen:
Erwägungen
1.
Gemäss
Art. 84 BGG
ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, wenn er eine Auslieferung, eine Beschlagnahme, eine Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten oder eine Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt (Abs. 1).
Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Abs. 2). Auch Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung können nach der Praxis eine materielle Prüfung durch das Bundesgericht nach sich ziehen (vgl.
BGE 136 IV 20
E. 1.2 S. 22,
BGE 133 IV 88
E. 3 S. 89 ff.;
BGE 134 IV 156
E. 1.3.3 S. 160 f.;
BGE 133 IV 215
E. 1.2 S. 217 f.,
BGE 133 IV 271
E. 2 S. 273 ff.; Pra 2010 Nr. 22 S. 141; zur betreffenden Rechtsprechung s. AEMISEGGER/FORSTER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 29-32 zu
Art. 84 BGG
). In begründeten Fällen kann dies auch für wichtige Fragen betreffend Sachurteilsvoraussetzungen im Beschwerdeverfahren (etwa zur Beschwerdelegitimation) zutreffen (Urteil 1C_287/2008 vom 12. Januar 2009 E. 1.3, in: Pra 2010 Nr. 22 S. 141).
BGE 137 II 128 S. 130
1.1
In der streitigen Schlussverfügung der EStV wurde unbestrittenermassen die Übermittlung von Informationen aus dem Geheimbereich an die USA bewilligt. Insofern ist die Sachurteilsvoraussetzung von
Art. 84 Abs. 1 BGG
erfüllt. Die Frage, ob hier Rechts- oder Amtshilfe zu gewähren sei (
Art. 84 und 83 lit. h BGG
) bzw. ob eine Umgehung von Rechtshilfevorschriften vorliege, bildet Streitgegenstand der Beschwerde. Die Beschwerdeführer vertreten die Ansicht, es stelle sich im vorliegenden Zusammenhang eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die vom Bundesgericht (unter dem Gesichtspunkt von
Art. 84 BGG
) materiell zu prüfen sei.
1.2
Die Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden das Bundesverwaltungsgericht als einzige gerichtliche Instanz (oder aber das Bundesstrafgericht bzw. das Bundesgericht) zur Beurteilung von Beschwerden zuständig sei, stellt im Lichte der oben dargelegten Praxis eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Dabei ist auch der wirtschafts- und rechtspolitischen Wichtigkeit und Tragweite der Angelegenheit "UBS-Fiskalauskünfte USA" Rechnung zu tragen (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates vom 14. April 2010 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG sowie des Änderungsprotokolls, BBl 2010 2965 ff., 2969 ff.; s. auch URS R. BEHNISCH, Aktuelle Entwicklungen in der Amts- und Rechtshilfe im Steuerbereich, in: Aktuelle Fragen der internationalen Amts- und Rechtshilfe, Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], 2009, S. 249 ff.; BONNARD/GRISEL, L'Accord UBS: spécificités, validité, conformité aux droits de l'homme, RDAF 2010 II S. 361 ff.; COTTIER/MATTEOTTI, Der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichtes zum UBS-Amtshilfeabkommen, erste Einschätzungen und Auswirkungen, Jusletter vom 8. März 2010; LEUPOLD/KUSTER, Hintergrund und Zustandekommen des Abkommens über ein Amtshilfegesuch betreffend UBS AG, ASA 2009 S. 345 ff.; LÖTSCHER/BUHR, Abkommen Schweiz-USA in Sachen UBS: sind dem Bundesverwaltungsgericht die Hände gebunden-, Anwaltsrevue 13/2010 S. 9 ff.; MARKUS REICH, Das Amtshilfeabkommen in Sachen UBS oder die Grenzen der Staatsvertragskompetenz des Bundesrats: die Rechtslage nach dem BVGer-Urteil vom 21. Januar 2010, IFF Forum für Steuerrecht 2010 S. 111 ff.; HENRI TORRIONE, Abus [impôt éludé], fraude et soustraction en droit fiscal suisse, une étude comparative de ces notions à partir de la jurisprudence du TF et de l'arrêt du TAF du 5 mars 2009 dans l'affaire UBS, in: Evasion fiscale, 2010, S. 149 ff.; ROBERT
BGE 137 II 128 S. 131
WALDBURGER, Das Amtshilfeverfahren wegen "Steuerbetrugs und dergleichen" mit den USA, IFF Forum für Steuerrecht 2009 S. 91 ff.).
Das Bundesgericht hat sich zur Frage der Zuständigkeiten (in der vorliegenden Konstellation) bisher noch nicht äussern können.
1.3
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde im Hinblick auf
Art. 84 BGG
als zulässig. Sie ist (im ordentlichen Verfahren und in Besetzung mit fünf Richtern nach
Art. 20 Abs. 2 BGG
) materiell zu beurteilen.
(...)
2.
Das Bundesstrafgericht (BStGer) begründet seinen Nichteintretensentscheid damit, dass es sich bei der streitigen erstinstanzlichen Verfügung der EStV nicht um eine Schlussverfügung betreffend internationale Rechts-, sondern betreffend internationale Amtshilfe handle. Zuständige Beschwerdeinstanz sei daher nicht das BStGer, sondern das Bundesverwaltungsgericht (BVGer).
2.1
Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen zusammengefasst Folgendes geltend:
Die von den eidgenössischen Behörden als Amtshilfeverfahren behandelte Streitsache sei als internationales Rechtshilfeverfahren in Strafsachen mit den USA zu qualifizieren. Daher müsse das amerikanische Ersuchen aufgrund der verfahrensrechtlichen und materiellen Bestimmungen des Staatsvertrags vom 25. Mai 1973 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (RVUS; SR 0.351.933.6) und des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1975 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen (BG-RVUS; SR 351.93) geprüft werden. Für die Schlussverfügung zuständig sei nicht die EStV, sondern das Bundesamt für Justiz (Zentralstelle USA). In diesem Zusammenhang erhobene Beschwerden habe das BStGer zu prüfen. Für die streitige Frage, ob das BStGer oder das BVGer als Beschwerdeinstanz zuständig sei, habe das Bundesgericht eine inhaltliche Abgrenzung zwischen Amts- und Rechtshilfe zu treffen. Das BStGer habe im angefochtenen Entscheid eine "rein formale" Abgrenzung vorgenommen, was unzulässig sei und zur rechtsmissbräuchlichen Umgehung der Vorschriften über die internationale Strafrechtshilfe führe. Die bestehenden Amtshilfenormen (insbesondere das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA oder das Abkommen zwischen der Schweiz und den USA betreffend Amtshilfegesuch UBS
BGE 137 II 128 S. 132
AG) bildeten keine Grundlage für das streitige Auskunftsersuchen bzw. für eine Zuständigkeit des BVGer. Mit der nachträglichen Genehmigung des Abkommens USA/UBS habe der Gesetzgeber u.a. die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung, das Rechtsgleichheitsprinzip und das Rückwirkungsverbot verletzt. Auch die materiellen Voraussetzungen der internationalen Strafrechtshilfe seien nicht erfüllt, was vom BStGer festzustellen sei.
Die anderslautende Rechtsauffassung des BStGer verstosse gegen Völkerrecht (diverse Bestimmungen des UNO-Paktes II, der EMRK und des RVUS) und Bundesrecht (diverse Vorschriften der BV und des BG-RVUS).
2.2
Die Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörden des ersuchten Staates in internationalen Amts- und Rechtshilfeverfahren ist im innerstaatlichen Recht geregelt (vgl.
BGE 132 II 1
E. 2 S. 5 ff.;
BGE 128 II 355
E. 1.1-1.2 S. 357 ff.;
BGE 126 II 495
E. 3-5 S. 497 ff.;
BGE 125 II 65
E. 1-2 S. 69 ff.; Urteil 1C_287/2008 vom 12. Januar 2009, in: Pra 2010 Nr. 22 S. 141 E. 2.1-2.2). Eine Zuständigkeit des BStGer zur Prüfung von Schlussverfügungen der EStV betreffend Fiskalamtshilfe an die USA lässt sich aus dem massgeblichen schweizerischen Recht nicht ableiten:
2.2.1
Im Rahmen der Totalrevision der Bundesrechtspflege übertrug der Gesetzgeber (per 1. Januar 2007) die Zuständigkeit für die erstinstanzliche gerichtliche Beurteilung von
Rechtshilfe
fällen dem BStGer (
Art. 28 Abs. 1 lit. e SGG
[in der Fassung gemäss Anhang VGG Ziff. 14; AS 2006 2235]; Art. 25 Abs. 1 und Art. 80e Abs. 1IRSG [je in den Fassungen gemäss Anhang VGG Ziff. 30]). Rechtshilfeentscheide der kantonalen und eidgenössischen Behörden stellen zwar grundsätzlich Verfügungen i.S.v.
Art. 5 VwVG
(SR 172.021) dar. Gemäss
Art. 25 Abs. 1 und
Art. 80e Abs. 1 IRSG
(SR 351.1) sowie
Art. 17 BG-RVUS
(in der Fassung gemäss Anhang VGG Ziff. 33) i.V.m. Art. 28 Abs. 1 lit. e Ziff. 4 SGG unterliegen erstinstanzliche Schluss- und Zwischenverfügungen der kantonalen und der Bundesbehörden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, jedoch unmittelbar der Beschwerde an die zuständige Beschwerdekammer des BStGer. Damit ist in
Rechtshilfe
sachen der Ausschlussgrund für eine Beschwerde ans BVGer gemäss
Art. 32 Abs. 2 lit. a VGG
(SR 173.32) erfüllt.
Art. 25 IRSG
und
Art. 17 BG-RVUS
stellen insofern (im Sinne von
Art. 32 Abs. 2 lit. a VGG
) spezialgesetzliche Regelungen dar (vgl. zum Ganzen AEMISEGGER/FORSTER a.a.O., N. 6-8 zu
Art. 84 BGG
; zur Unterscheidung zwischen Rechtshilfe
BGE 137 II 128 S. 133
und Amtshilfe an die USA s. auch Urteil des BGer 1C_47/2010 vom 4. März 2010 E. 2.2).
2.2.2
Die internationale
Amtshilfe
(insbesondere in Fiskalsachen) hat der Gesetzgeber demgegenüber in den justiziellen Aufgabenbereich des BVGer gelegt, welches (gestützt auf
Art. 31 und 33 lit. d VGG
i.V.m.
Art. 83 lit. h BGG
) in diesem Sachbereich auf Beschwerde hin
endgültig
entscheidet (vgl. AEMISEGGER/FORSTER, a.a.O., N. 6 zu
Art. 84 BGG
; HEINZ AEMISEGGER, Der Beschwerdegang in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, in: Reorganisation der Bundesrechtspflege: Neuerungen und Auswirkungen in der Praxis, Ehrenzeller/Schweizer [Hrsg.], 2006, S. 103 ff., 136; THOMAS HÄBERLI, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 178-180 zu
Art. 83 BGG
; für Fiskalamtshilfe an die USA s. auch
Art. 20k der Verordnung vom 15. Juni 1998 zum schweizerisch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen vom 2. Oktober 1996 [SR 672. 933.61; im Folgenden: Vo DBA-USA;]
; Urteil des BVGer A-7789/2009 vom 21. Januar 2010, teilweise publ. in:
BVGE 2010/7
).
2.3
Im vorliegenden Fall stützt sich die erstinstanzliche Schlussverfügung der EStV auf internationales
Amtshilferecht
, nämlich auf das Doppelbesteuerungsabkommen vom 2. Oktober 1996 mit den USA (SR 0.672.933.61; im Folgenden: DBA-USA, mit Änderungsprotokoll vom 23. September 2009 [BBl 2010 4359; 2010 235, 247];s. auch Vo DBA-USA; ADV [SR 672.204]) sowie auf das Abkommen vom 19. August 2009 zwischen der Schweiz und den USA über ein Amtshilfegesuch betreffend die UBS AG (Schweiz) mit Änderungsprotokoll vom 31. März 2010 (SR 0.672.933.612; AS 2010 1459; BBl 2010 3001, 3027; im Folgenden: Abkommen USA/UBS, genehmigt von der Bundesversammlung mit Bundesbeschluss vom 17. Juni 2010 [AS 2010 2907, 2909; BBl 2010 2965 ff.]). DieEStV bewilligte in ihrer Verfügung ein Amtshilfeersuchen der USA (nämlich des U.S. Internal Revenue Service in Washington, D.C.). Nach den anwendbaren völkerrechtlichen Normen steht es dem ersuchenden Staat (auch im Fiskalauskunftsrecht) grundsätzlich frei, ob er gestützt auf die Bestimmungen des Rechtshilferechts (RVUS, BG-RVUS, IRSG i.V.m. VStrR usw.) ein Rechtshilfegesuch stellen will oder - wie hier - ein Amtshilfeersuchen gestützt auf die oben genannten einschlägigen Rechtsquellen. Zwar kann der ersuchende Staat nicht autonom bestimmen, ob und in welchem Umfang er Amtshilfe erhält; diesbezüglich hat er den Verfahrensweg vor den Behörden des ersuchten Staates zu durchlaufen. Der ersuchende
BGE 137 II 128 S. 134
Staat kann jedoch selber wählen, ob er ein Amts- oder ein Rechtshilfegesuch
einreichen
und
prüfen lassen
will (s. dazu BEHNISCH, a.a.O., S. 250; WALDBURGER, a.a.O., S. 94 f., 105; zum Abkommen USA/UBS als völkerrechtlich verbindlicher Staatsvertrag, seiner nachträglichen Genehmigung durch das Parlament und seinem Verhältnis zum DBA-USA vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2965 ff., 2985 f. Ziff. 6.2-6.3; REICH, a.a.O., S. 112-127). Auch die Rüge von Betroffenen, ein Amtshilfegesuch sei rechtsmissbräuchlich gestellt worden (oder diene der blossen Umgehung der Bestimmungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen), ist von den im Amtshilfeverfahren zuständigen Justizbehörden des ersuchten Staates zu beurteilen (dazu oben, E. 2.2.2).
2.3.1
Daran vermag auch das Vorbringen der Beschwerdeführer nichts zu ändern, der streitige Amtshilfeentscheid der EStV komme faktisch einem Rechtshilfeentscheid gleich. Die Frage, ob es sich um eine Amts- oder eine Rechtshilfeangelegenheit handelt, richtet sich nach den anwendbaren internationalen und innerstaatlichen Rechtsquellen. Da die amerikanischen Behörden ihr Auskunftsersuchen auf spezifisches (völkerrechtlich verbindliches) materielles und formelles Amtshilferecht stützen (und nicht auf die separaten Bestimmungen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen), bleibt bei der Bestimmung des
Verfahrens
und der behördlichen bzw. gerichtlichen
Prüfungszuständigkeiten
kein Platz für eine weitere (rechtsdogmatisch-begriffliche) "Abgrenzung" zwischen Amts- und Rechtshilfe: Fiskalauskunftsfälle wie den vorliegenden haben die Vertragsstaaten verbindlich dem Amtshilferecht zugewiesen (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2965 ff., 2976 Ziff. 4.2). Diese normative Festlegung der Verfahren und Zuständigkeiten ist (gemäss
Art. 190 BV
) auch für das Bundesgericht massgebend (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2010 2985 Ziff. 6.2; REICH, a.a.O., S. 120 f., 126). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer lässt sich der rechtspolitische Entscheid des Gesetzgebers auch nicht über begriffliche Argumentationen zur (rechtsdogmatisch schwierigen und ungeklärten) Abgrenzung zwischen Amts- und Rechtshilfe umstossen (vgl. zu den wissenschaftlichen Definitionsbemühungen z.B. CAROLIN HÜRLIMANN-FERSCH, Die Voraussetzungen für die Amts- und Rechtshilfe in Steuerstrafsachen, 2010, S. 6-10; WALDBURGER, a.a.O., S. 93-96; ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, 3. Aufl. 2009, Rz. 9-10). Die materielle Eingrenzung der Amts- und Rechtshilfe, insbesondere die Prüfung der Frage, ob im Einzelfall die
BGE 137 II 128 S. 135
Amts- bzw. Rechtshilfevoraussetzungen erfüllt sind, bleibt den dafür zuständigen Justizbehörden vorbehalten.
2.3.2
Dass ein Vertragsstaat den Verfahrensweg der internationalen Amtshilfe wählt und sein Ersuchen durch die dafür zuständigen Amtshilfebehörden und Justizorgane des ersuchten Staates prüfen lässt, bildet entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer keine unzulässige Umgehung der Rechtshilfe in Strafsachen. Für die Prüfung und Gewährleistung, dass Amtshilfeersuchen nicht "missbräuchlich" gestellt werden bzw. dass Amtshilfe - insbesondere in Form von Bankauskünften an ausländische Fiskalbehörden - nur unter den geltenden völkerrechtlichen und gesetzlichen Voraussetzungen bewilligt wird, sind die im Amtshilfeverfahren zuständigen Behörden und Justizorgane des ersuchten Staates zuständig. Wie bereits dargelegt (E. 2.2.2), hat der schweizerische Gesetzgeber die letztinstanzliche justizielle Prüfung von Amtshilfeersuchen in die Hände des BVGer gelegt.
2.3.3
Auch das Vorbringen der Beschwerdeführer,
materiellrechtlich
sei Amtshilfe (oder Rechtshilfe) nicht zulässig, führt weder zur "Umdeutung" des streitigen Amtshilfeverfahrens in ein Rechtshilfeverfahren noch zur Zuständigkeit des BStGer als Beschwerdeinstanz in Rechtshilfeangelegenheiten. Die materiellen Einwände gegen die Schlussverfügung der EStV betreffend Amtshilfe an die USA wären vielmehr im Beschwerdeverfahren vor dem BVGer vorzubringen. Dies gilt insbesondere für die Rügen, mit der nachträglichen Genehmigung des Abkommens USA/UBS (samt Änderungsprotokoll) habe der Gesetzgeber die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung (sowie diverse verfassungs- und völkerrechtliche Normen) verletzt, oder es sei ihnen, den Beschwerdeführern, kein Abgabebetrug vorzuwerfen. Das BVGer hat seine Zuständigkeit in solchen Fällen denn auch schon (gestützt auf das VGG) mit Recht bejaht (vgl. Urteil des BVGer A-7789/2009 vom 21. Januar 2010, teilweise publ. in:
BVGE 2010/7
). Im vorliegenden Fall hat das BVGer seine Zuständigkeit mit Zwischenverfügung vom 23. September 2010 bereits ausdrücklich bestätigt.
2.4
Die übrigen von den Beschwerdeführern angerufenen diversen Bestimmungen des Völker- und Bundesrechts haben im vorliegenden Zusammenhang (streitige Zuständigkeitsfrage) keine über das Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung.
BGE 137 II 128 S. 136
2.5
Der angefochtene Nichteintretensentscheid des BStGer erweist sich als bundes- und völkerrechtskonform. Die Beschwerde ist insoweit abzuweisen.
2.6
Soweit die Vorbringen und Rechtsbegehren der Beschwerdeführer sich auf materiellrechtliche Fragen des Amts- und Rechtshilferechts beziehen, die nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheides bilden, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
021c61d3-af75-42be-9627-503296eb5f8e | Urteilskopf
139 V 115
17. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. D. gegen IV-Stelle Zug (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_813/2012 vom 5. März 2013 | Regeste
Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG
;
Art. 2 HVI
; Ziff. 15.02 HVI-Anhang.
Das elektronische Kommunikationsgerät ProxTalker ist aufgrund der fehlenden Sprachentwicklung und eingeschränkten nonverbalen Reaktionsmöglichkeiten der Versicherten als notwendiges Hilfsmittel zu betrachten (E. 6.2.2). | Erwägungen
ab Seite 115
BGE 139 V 115 S. 115
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Nach
Art. 8 Abs. 1 IVG
haben Invalide oder von einer Invalidität bedrohte Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, soweit diese notwendig und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, wieder herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern (a) und die Voraussetzungen für den Anspruch auf die einzelnen Massnahmen erfüllt sind (b). Gemäss
Art. 8 Abs. 2 IVG
besteht der Anspruch auf Leistungen nach Massgabe der Art. 13 (medizinische Massnahmen bei Geburtsgebrechen) und 21 (Hilfsmittel) unabhängig von der Möglichkeit einer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich.
BGE 139 V 115 S. 116
2.2
Zu beurteilen ist, ob Anspruch auf die Abgabe eines ProxTalker durch die Invalidenversicherung besteht. Anhand von Symbolkärtchen, die auf das Gerät gelegt und gedrückt werden, erkennt der ProxTalker codierte Nachrichten und macht diese mittels Sprachausgabe hörbar. Laut Benutzerhandbuch soll die Kommunikationshilfe Menschen eine (neue) Stimme geben und ihnen eine einfachere Möglichkeit zum Gespräch mit anderen bieten.
3.
3.1
Das kantonale Gericht hat den strittigen Anspruch unter dem Rechtstitel der Abgabe von Hilfsmitteln nach
Art. 21 IVG
verneint.
3.2
Nach
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG
hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, die Aus- und Weiterbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel (
Art. 21 Abs. 2 IVG
).
3.3
In Ausführung dieser Grundsatznorm und gestützt auf eine Subdelegation (
Art. 14 IVV
; SR 831.201) erliess das Eidgenössische Departement des Innern die Verordnung vom 29. November 1976 über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI; SR 831.232.51). Die dort angefügte Liste sieht die Abgabe von elektrischen und elektronischen Kommunikationsgeräten für schwer sprech- und schreibbehinderte Versicherte vor, die zur Pflege des täglichen Kontakts mit der Umwelt auf ein solches Gerät angewiesen sind und über die notwendigen intellektuellen und motorischen Fähigkeiten zur Bedienung eines solchen Geräts verfügen; die Abgabe erfolgt leihweise (Ziff. 15.02 HVI-Anhang). Diese Bestimmung hat die Verwaltung in ihren Weisungen konkretisiert. Nach Rz. 15.02.1 des Kreisschreibens des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI;
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/category:34
) fallen unter den Begriff der elektrischen und elektronischen Kommunikationsgeräte elektrische und elektronische Schreibgeräte sowie Geräte mit synthetischer Sprachausgabe. Diese enge Definition der (elektrischen und elektronischen)
BGE 139 V 115 S. 117
Kommunikationsgeräte hat das Bundesgericht mit Blick auf den Wortlaut von Ziff. 15.02 HVI-Anhang dahin gehend präzisiert, dass unter Kommunikation - entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch - nicht bloss die Verständigung mittels (geschriebener oder gesprochener) Sprache zu verstehen ist, sondern auch die Verständigung durch Zeichen und andere Mittel (Urteil 9C_214/2008 vom 31. Juli 2008 E. 2.3).
3.4
Unter den Parteien ist unbestritten, dass es sich beim ProxTalker - im Gegensatz etwa zu einem Bilderbuch, das in beschränktem Umfang Laute (z.B. Tierlaute) von sich geben kann, wenn auf ein Bild gedrückt wird - um ein Kommunikationsgerät mit synthetischer Sprachausgabe im Sinne der Definition gemäss Rz. 15.02.1 KHMI handelt.
4.
4.1
Praxisgemäss ist unter einem Hilfsmittel im Sinne des IVG ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag (
BGE 131 V 9
E. 3.3 S. 13).
4.2
Die Möglichkeiten der Versicherten, den Kontakt mit der Umwelt herzustellen, sind aufgrund ihrer Behinderung (Angelman-Syndrom) stark eingeschränkt. Es besteht eine schwere Sprechbehinderung mit fehlender Sprachentwicklung. Gemäss den fachärztlichen Angaben ist syndrombedingt auch nicht mit dem Erwerb einer aktiven Lautsprache zu rechnen. Im Gegensatz zu anderen von einem Angelman-Syndrom betroffenen Kindern verfügt die Versicherte aber über ein sehr gutes Sprachverständnis, einen ausgeprägten Kommunikationswunsch und eine soziale Interaktionsfähigkeit. Als Folge ihrer Grunderkrankung konnte sie auch keine Gebärden erlernen und aktiv anwenden. Die Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen oder von sich aus etwas mitzuteilen, sind daher sehr begrenzt und beschränken sich auf das Zeigen auf Kärtchen, Fotos und Symbole. Das Kommunikationsgerät bringt diesbezüglich insofern eine Verbesserung, als es die Versicherte in die Lage versetzt, einfache Sprachinhalte zu vermitteln. Nach Angaben der mit ihr befassten Ärzte und Therapeuten kann der ProxTalker aufgrund seiner variablen Funktionsweise an die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes angepasst werden und ihm so die Möglichkeit geben, sich selbst verbal kommunikativ auszudrücken. Das modulare System gewährleistet eine dauernde Adaption an den vorhandenen Wort- und Begriffsschatz. Da der ProxTalker eine verbale Kommunikation im Sinne der
BGE 139 V 115 S. 118
Vermittlung einfacher Sprachinhalte im Fall der Versicherten überhaupt erst möglich macht, ging die Vorinstanz davon aus, dass dem Gerät Hilfsmittelcharakter zuerkannt werden kann, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
5.
5.1
Der Anspruch auf Hilfsmittel im Rahmen der im HVI-Anhang aufgeführten Liste erstreckt sich auf Vorkehren, die für den Kontakt mit der Umwelt notwendig sind (
Art. 2 Abs. 1 HVI
). Das Erfordernis ergibt sich aus dem allgemein für Eingliederungsmassnahmen geltenden Grundsatz, dass die versicherte Person in der Regel nur Anspruch auf die dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen hat, nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren (vgl.
Art. 8 Abs. 1 IVG
). Das Gesetz will die Eingliederung lediglich so weit sicherstellen, als dies im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist (
BGE 134 I 105
E. 3 S. 107;
BGE 131 V 9
E. 3.6.1 S. 19). Nach der Rechtsprechung bezieht sich die Notwendigkeit des Hilfsmittels auf die konkrete Situation, in welcher die versicherte Person lebt (
BGE 135 I 161
E. 5.1 S. 166). Zudem besteht nur Anspruch auf Hilfsmittel in einfacher und zweckmässiger Ausführung (
Art. 21 Abs. 3 IVG
und
Art. 2 Abs. 4 HVI
). Die einfache und zweckmässige Hilfsmittelversorgung muss zeitgemäss sein (
BGE 132 V 215
E. 4.3.3 S. 227; SVR 2011 IV Nr. 64 S. 191, 9C_807/2010 E. 31; vgl. für den Bereich der Kommunikationsgeräte auch: SVR 2005 IV Nr. 23 S. 89, I 722/03 E. 4.1).
5.2
Die Vorinstanz hat einen Anspruch auf Abgabe des ProxTalker verneint, weil die Versicherte für die Herstellung und Pflege des täglichen Kontaktes mit der Umwelt nicht auf ein solches Kommunikationsgerät angewiesen sei. Die gesprochene Sprache stellt nach Ansicht des kantonalen Gerichts keine zwingende Voraussetzung für die Kommunikation dar, sondern könne, gerade bei kleinen Kindern, bei denen die Auseinandersetzung mit der Umwelt nicht auf die verbale Ebene beschränkt sei, auch durch Zeichen oder andere Mittel erfolgen. Da die Versicherte in der Lage sei, auf die gesprochene Sprache nonverbal zu reagieren, könne sie ihr Mitteilungsbedürfnis auch ohne das beantragte Gerät befriedigen, indem sie beispielsweise auf ein Bild oder Foto zeige. Für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt sei der ProxTalker nicht notwendig, denn er ermögliche keine spontane und situationsbezogene Kommunikation, sondern lediglich die Wiedergabe vordefinierter und eigens
BGE 139 V 115 S. 119
programmierter Wörter, Geräusche und Sätze. Daraus schloss die Vorinstanz, dass - soweit bei der Versicherten überhaupt möglich - die Verfestigung logopädisch vermittelter (Wort-)Kenntnisse und Fähigkeiten und damit therapeutische Anstrengungen im Vordergrund stünden.
5.3
In der Beschwerde wird geltend gemacht, entgegen dem angefochtenen Entscheid trage der ProxTalker durchaus zur spontanen, situationsbezogenen Kommunikation bei. In diesem Sinne sei er zur Pflege des Kontakts mit der Umwelt und aktiven Teilnahme am Familien- und Gesellschaftsleben notwendig. Der Vorinstanz wird vorgeworfen, den Angaben in den medizinischen Unterlagen und den Fachberichten der Ergotherapeutin und der Berufsberaterin der IV-Stelle hinsichtlich der beschränkten Möglichkeiten einer nonverbalen Reaktion und Kommunikation der Versicherten nicht genügend Rechnung zu tragen. Kritisiert wird auch, dass eine Verständigung mittels Zeichen oder anderer Mittel keine ausreichende Kommunikationsform darstelle und zunehmend an Grenzen stosse. Bildkarten und Fotos würden dem Kommunikationsbedürfnis der Versicherten nicht mehr gerecht und könnten keinen Beitrag zur Weiterentwicklung eines Kindes im Grundschulalter leisten. Die von der Vorinstanz geäusserte Befürchtung einer Vernachlässigung der zwischenmenschlichen Zuwendung wegen des Einsatzes des ProxTalker ist nach Ansicht der Eltern unbegründet, da das Kind aufgrund seiner schweren Hilflosigkeit intensive Pflege und Aufmerksamkeit erhalte.
6.
6.1
6.1.1
Der ProxTalker erlaubt es sprechbehinderten Personen, mittels indirekter verbaler Kommunikation, sich selbst verbal-kommunikativ auszudrücken. Im Gegensatz zur Verwendung von Kärtchen mit Bildern und Symbolen ist somit eine gleichzeitige "eigene" Sprachausgabe möglich. Die Lautsprache ist unter Anwesenden die üblichere Form der Kommunikation als das Zeigen auf Bilder. Etwas anderes kann auch dem von der Vorinstanz erwähnten Urteil 9C_214/2008 vom 31. Juli 2008 E. 2.3 nicht entnommen werden. Wenn dort im Zusammenhang mit einem "Big Buddy Button" ausgeführt wurde, unter Kommunikation sei auch die Verständigung durch Zeichen oder andere Mittel zu verstehen, kann daraus nicht abgeleitet werden, die Verständigung durch Zeichen, Laute und Gesten stelle bereits eine ausreichende Kommunikationsform dar und lasse ein Kommunikationsgerät mit Sprachausgabe als nicht notwendig erscheinen. Eine Verbesserung gegenüber einfachen
BGE 139 V 115 S. 120
Bildern bietet der ProxTalker insofern, als er der Versicherten aufgrund der Sprachausgabe eine Kontaktaufnahme aus eigenem Antrieb erlaubt, indem diese beispielsweise jemanden "rufen" kann. Anhand von Bildern und Fotos kann sie zwar etwas zu essen oder die Wasserflasche verlangen, indem sie das Bild einer Bezugsperson bringt. Dafür muss sie jedoch zuerst deren volle Aufmerksamkeit erlangen.
6.1.2
Abgesehen von einer besseren und üblicheren Verständigung mittels verbaler Laute weist das beantragte Kommunikationsgerät gegenüber einem Bilderbuch auch deswegen einen Mehrwert auf, weil es mit einer grossen Anzahl von codierten Bildern ausgestattet werden kann und so eine laufende Anpassung an die vorhandene Kommunikationsfähigkeit erlaubt. Eine solch variable Palette könnte nur mit einer grossen Anzahl von Bilderbüchern erreicht werden, welche zudem schwer zu transportieren wären. Da mit dem ProxTalker ganze Sätze wiedergegeben werden können, bietet er umfassendere Mitteilungsmöglichkeiten als ein Bilderbuch. Hinsichtlich der Unterstützung in der Kommunikation ist ein Bilderbuch somit unvergleichlich weniger gut geeignet als das beantragte Hilfsmittel.
6.2
6.2.1
Laut Ziff. 4.2 des gemäss
Art. 27 Abs. 1 IVG
in Verbindung mit
Art. 24 Abs. 2 IVV
zwischen dem BSV und der Active Communication GmbH abgeschlossen Vertrages vom 6. Dezember 2010 (verlängert bis 31. Dezember 2012 gemäss IV-Rundschreiben des BSV Nr. 301 vom 16. August 2011; vgl. auch IV-Rundschreiben Nr. 318 vom 21. Dezember 2012), auf welchen IV-Stelle und Vorinstanz verweisen, erfolgt keine Finanzierung durch die Invalidenversicherung bei Hilfsmitteln, welche hauptsächlich in der Sonderschule benutzt werden oder der Sprachförderung dienen (Zuständigkeit der Kantone).
6.2.2
Im Unterschied zu dem in
BGE 131 V 9
beurteilten Fall eines von Trisomie 21 betroffenen Kindes dient der ProxTalker nicht hauptsächlich dem Spracherwerb oder dem Aneignen der Sprechfähigkeit der Versicherten. Im Gegensatz zu einem an Trisomie 21 leidenden Kind, das im Vergleich mit nichtbehinderten Altersgenossinnen und Altersgenossen einen Entwicklungsrückstand hinsichtlich Wortschatz und Artikulationsfähigkeit aufweist und bei dem es somit nicht darum geht, mit Hilfe eines Kommunikationsgerätes ein behinderungsbedingt bleibendes Defizit auszugleichen, fehlt bei der Versicherten aufgrund ihrer Grunderkrankung die für eine Sprachentwicklung notwendige Basis. Sie wird mit
BGE 139 V 115 S. 121
überwiegender Wahrscheinlichkeit nie eine Lautsprache erwerben können. Anders als andere Kinder in ihrem Alter verfügt sie nicht über eine eingeschränkte, sondern über gar keine eigene verbale Kommunikation. Es geht folglich in erster Linie darum, ihr mittels bildunterstützter (verbaler) Kommunikationshilfe überhaupt die Möglichkeit zu geben, aus eigenem Antrieb Kontakt aufzunehmen und ihre (Grund-) Bedürfnisse mitzuteilen. Damit kommt dem ProxTalker bei der eigentlichen Kommunikation im Alltag eine wesentliche selbstständige Bedeutung zu.
6.3
6.3.1
Damit der gesetzgeberischen Zielsetzung, auch Schwerstinvaliden den Kontakt mit der Umwelt zu ermöglichen, Rechnung getragen werden kann, geht die Rechtsprechung davon aus, dass an die Kommunikationsfähigkeit dieser Versichertenkategorie keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (bereits erwähntes Urteil 9C_214/2008 E. 2.3 mit Hinweis auf die Botschaft vom 27. Februar 1967 zur 1. IV-Revision, BBl 1967 I 653, 668 f. und 676 f.). Bei einem schwerstbehinderten Kind genügt unter Umständen bereits eine mit dem Kommunikationsgerät erreichbare Verbesserung des Kontakts mit der Umwelt. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Indikation gegeben ist.
6.3.2
Die Anerkennung des ProxTalker als Kommunikationsgerät kann entgegen dem angefochtenen Entscheid nicht mit dem Argument verneint werden, dieses erlaube keine spontane und situationsbezogene Kommunikation. Für die pflegerische Betreuung bedeutet es beispielsweise schon eine erhebliche Erleichterung, wenn das Gerät vorprogrammierte Wörter und Sätze wiedergibt. Der ProxTalker ist für die Versicherte die einzige Möglichkeit einer sprachlichen Kommunikation überhaupt. Da sie sich auch keiner über das Zeigen auf Bilder oder Gegenstände hinausgehenden Gebärdensprache bedienen kann und aufgrund der fehlenden kognitiven und motorischen Voraussetzungen nicht mit einer Schreibfähigkeit zu rechnen ist, kommt dem Gerät im Rahmen der Mitteilung elementarer Lebensbedürfnisse erhebliche Bedeutung zu, auch wenn dieses der Versicherten nicht erlaubt, sich aller Facetten der Sprache und der spontanen und situationsbezogenen Interaktion zu bedienen. Eine solche Verbesserung des täglichen Kontakts wird vom gesetzlich angestrebten Eingliederungserfolg von
Art. 21 Abs. 2 IVG
erfasst, dessen Ziel es ist, die Autonomie der invaliden Person aufgrund der in der Liste angeführten Hilfsmittel zu fördern.
BGE 139 V 115 S. 122
6.4
Da der ProxTalker der Versicherten eine über den nonverbalen Ausdruck mittels Zeigen auf Bilder hinausgehende Kommunikation erst ermöglicht und sie für die Pflege des täglichen Kontaktes mit der Umwelt auf ein ihre Kommunikationsfähigkeit unterstützendes Gerät angewiesen ist, ist der ProxTalker in ihrem Falle als notwendiges Hilfsmittel im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 HVI
in Verbindung mit Ziff. 15.02 HVI-Anhang zu betrachten.
7.
7.1
Das Erfordernis der notwendigen intellektuellen und motorischen Fähigkeiten zur Bedienung des Gerätes im Sinne von Ziff. 15.02 HVI-Anhang ist bei schwerstbehinderten Kindern dahin gehend zu verstehen, dass einzelfallweise zu prüfen ist, ob mit einem Hilfsmittel die Kommunikationsfähigkeit des Kindes unter Berücksichtigung seiner Möglichkeiten nützlich erweitert werden kann (bereits erwähntes Urteil 9C_214/2008 E. 2.4). Dies ist im Falle der Versicherten zu bejahen, da der ProxTalker - auch nach Ansicht der mit ihr befassten Ärzte - ein einfach zu bedienendes Gerät ist, das ihr im täglichen Kontakt zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet.
7.2
Der ProxTalker ist zudem gemessen an der zu erfüllenden Aufgabe besserer kommunikativer Möglichkeiten durchaus zweckmässig und angemessen.
8.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid vor Bundesrecht nicht standhält und die Versicherte angesichts der hiervor aufgezeigten Umstände Anspruch auf Abgabe des streitigen Kommunikationsgeräts durch die Invalidenversicherung hat. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
021c8365-605f-4f8c-91df-5dccd112177d | Urteilskopf
124 V 253
41. Auszug aus dem Urteil vom 30. Juni 1998 i.S. T. gegen Ausgleichskasse Gross- und Transithandel und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 52 AHVG
: Verschuldensbeurteilung bei Zahlungsaufschub mit Tilgungsplan.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die verantwortlichen Arbeitgeberorgane ihren Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Beitragszahlungspflicht nachgekommen sind, ist ein mit der Ausgleichskasse vereinbarter Zahlungsaufschub mit Tilgungsplan mitzuberücksichtigen, soweit dem Beitragspflichtigen damit ein Abweichen von den ordentlichen Zahlungsterminen zugestanden wird (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 254
BGE 124 V 253 S. 254
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gegenstand der Schadenersatzforderung gemäss Verfügung vom 30. Oktober 1995 und der Klage vom 15. Dezember 1995 bilden unbezahlt gebliebene paritätische Sozialversicherungsbeiträge aus
- der Beitragsrechnung für Dezember 1994 vom 16. Dezember 1994
über 18'624 Franken,
- der Jahresabrechnung 1994 vom 17. Januar 1995 über
Fr. 116'797.35 und
- der Jahresabrechnung 1995 vom 4. August 1995 über
Fr. 90'646.55.
Bis Oktober 1994 ist die X AG der Beitragspflicht ordnungsgemäss nachgekommen. Den Pauschalbetrag für November 1994 hat sie nach erfolgter Mahnung und eingeleiteter Betreibung bezahlt. Für die am 16. Dezember 1994 in Rechnung gestellten Beiträge für Dezember 1994 wurde sie am 5. Februar 1995 gemahnt. Nachdem die Firma bereits zuvor die Jahresabrechnung für 1994 vom 17. Januar 1995 erhalten hatte, ersuchte sie um Zahlungsaufschub, welchem Begehren die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 22. Februar 1995 in der Weise entsprach, dass der geschuldete Restbetrag für 1994 von Fr. 135'421.35 mit einer Zahlung von 18'624 Franken Ende Mai 1995 und monatlichen Zahlungen von Fr. 23'359.45 auf Ende Juli, August, September, Oktober und November 1995 getilgt werden sollte. Gleichzeitig erklärte sich die Ausgleichskasse mit den von der Firma vorgeschlagenen Zahlungsterminen für die Pauschalrechnungen ab Januar 1995 einverstanden.
b) In
BGE 108 V 202
Erw. 2 hat das Eidg. Versicherungsgericht ausgeführt, dass eine Zahlungsvereinbarung ein grobfahrlässiges Verschulden nicht ausschliesst, weil im Zahlungsaufschub lediglich der Versuch zu erblicken ist, den bereits widerrechtlich eingetretenen Zahlungsrückstand nachträglich wieder in Ordnung zu bringen. Der Zahlungsaufschub vermöge die nicht rechtzeitige Bezahlung sowohl der bereits verfallenen als auch der erst fällig werdenden Beiträge nicht zu entschuldigen bzw. zu rechtfertigen; es frage sich lediglich, ob die Zahlungsrückstände, welche zur Stundung Anlass gegeben hätten, sich durch ein entschuldbares oder gerechtfertigtes Verhalten begründen liessen. Diese (in der nicht publizierten Erw. 8b des in AHI 1994 S. 36 auszugsweise veröffentlichten Urteils K. vom 13. September 1993 bestätigte und auf einer
BGE 124 V 253 S. 255
Verschuldensvermutung beruhende) Rechtsprechung ist dahingehend zu präzisieren, dass ein Zahlungsaufschub mit Tilgungsplan zwar an der Widerrechtlichkeit der nicht ordnungsgemässen Bezahlung der Beiträge nichts ändert und sich die Verschuldensfrage primär nach den Umständen beurteilt, die zum Zahlungsrückstand geführt haben; bei der Beurteilung der Frage, ob die verantwortlichen Organe ihren Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Einhaltung der Beitragszahlungspflicht nachgekommen sind, ist eine Zahlungsvereinbarung jedoch mitzuberücksichtigen, soweit dem Beitragspflichtigen damit ein Abweichen von den ordentlichen Zahlungsterminen zugestanden wird.
4.
a) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer T. als einziger Verwaltungsrat der X AG sich kurz nach Erhalt der für den eingetretenen Schaden massgebenden Beitragsforderungen mit der Ausgleichskasse in Verbindung gesetzt und einen Tilgungsplan für die fälligen sowie einen Zahlungsplan für die künftigen Beiträge unterbreitet, welchem die Verwaltung "unter Berücksichtigung kleiner Änderungen" entsprochen hat. Aus der diesbezüglichen Verfügung vom 22. Februar 1995 geht hervor, dass die Beiträge für Januar 1995 bis spätestens Ende März 1995 zu bezahlen waren. Am 12. April 1995 erfolgte die Mahnung für diese Beiträge; am 10. Mai 1995 wurde über die X AG der Konkurs eröffnet.
Aufgrund der Verfügung vom 22. Februar 1995, welche - entgegen
Art. 38bis Abs. 1 AHVV
- keine sofortige erste Teilzahlung vorsah, hatte die X AG die ausstehenden Beiträge ab Ende Mai 1995 zu tilgen. Weil bereits am 10. Mai 1995 über die Firma der Konkurs eröffnet wurde, kann dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe nicht für die Einhaltung des Tilgungsplanes gesorgt und keine konkreten Bemühungen zur Zahlung der ausstehenden Beiträge unternommen. Der Sinn des am 22. Februar 1995 verfügten Zahlungsaufschubs bestand gerade darin, die Firma vorübergehend von der Beitragszahlungspflicht zu befreien. Ein Verschulden liegt allenfalls hinsichtlich der Nichteinhaltung der Zahlungsvereinbarung in bezug auf den Beitrag für Januar 1995 vor. Dass diese kurz vor der Konkurseröffnung fällig gewordene Zahlung nicht mehr erfolgte, kann dem Beschwerdeführer jedoch nicht als qualifiziertes Verschulden angerechnet werden (vgl.
BGE 121 V 244
Erw. 5).
b) Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer den Zahlungsaufschub beantragte, obschon er damit rechnen musste, dass die Firma in Konkurs gehen werde und er die Zahlungsvereinbarung nicht werde einhalten können,
BGE 124 V 253 S. 256
bestehen nicht. Am 20. Januar 1995 hatte der Beschwerdeführer für die X AG eine Vereinbarung mit der indischen R. Industries Ltd. abgeschlossen, mit welcher der X AG über eine Aktienkapitalerhöhung neue Mittel zugeflossen wären. Im Rahmen eines unter Mitwirkung der Bank S eingesetzten "Steering-Committees" wurden im Februar/März 1995 weitere Massnahmen zur Behebung der Liquiditätskrise geprüft. Dass diese Massnahmen von vornherein als nicht erfolgversprechend zu betrachten waren, lässt sich nicht sagen.
Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, war auch die Ausgleichskasse davon ausgegangen, dass es sich bei den finanziellen Schwierigkeiten der X AG um vorübergehende Liquiditätsprobleme handelte, hätte sie andernfalls doch keinen Zahlungsaufschub bewilligen, sondern die ausstehenden Beiträge in Betreibung setzen müssen. Wenn sich die Erwartungen auf eine finanzielle Gesundung der Firma in der Folge nicht erfüllt haben, so berechtigt dies die Verwaltung nicht, die gestundeten Beiträge auf dem Wege einer Schadenersatzforderung nach
Art. 52 AHVG
geltend zu machen, solange dem Beschwerdeführer kein qualifiziertes Verschulden nachzuweisen ist. Eine haftungsbegründende grobe Pflichtverletzung kann dem Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen aber nicht zur Last gelegt werden. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
0220dc79-6581-40cc-a4a9-84529411f8bd | Urteilskopf
97 II 212
30. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 28 octobre 1971 dans la cause Bétonfrais Lausanne SA contre Inverni. | Regeste
Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
.
Wer Frischbeton herstellt und diesen für den Bau eines Hauses an einen Unternehmer liefert, hat Anspruch auf die Errichtung eines Bauhandwerkerpfandrechts. | Sachverhalt
ab Seite 213
BGE 97 II 212 S. 213
A.-
Fernando Inverni est propriétaire de divers terrains sis à l'avenue de Chailly à Lausanne. En 1968, il a commencé à construire sur ces terrains un immeuble à usage locatif. Il a chargé l'entreprise A. Morel SA, à Lausanne, des travaux de béton et de maçonnerie.
A. Morel SA s'est fournie en béton frais nécessaire à la construction auprès de Bétonfrais Lausanne SA Cette société exploite à Crissier une fabrique de béton frais. Elle dispose de dépôts de ciment, de gravier et d'autres adjuvants, ainsi que d'installations automatiques pour la fabrication du béton. Elle est en mesure de fabriquer en cinq minutes environ du béton malaxé présentant le dosage et contenant les adjuvants demandés par le client. Chaque fourniture est faite sur la base d'une commande, ordinairement présentée par le chauffeur du camion du client. L'employé de Bétonfrais Lausanne SA établit un bulletin de livraison reproduisant les données de la commande et met en marche l'installation de malaxage qui fabrique la quantité de béton demandée, avec le dosage, la granulométrie et les adjuvants requis. Le béton est alors déversé automatiquement sur le camion du client. Ce béton doit être utilisé au plus tard dans les deux heures. Après ce délai, il commence à se durcir et devient inutilisable. Transporté sur le chantier, il est déversé dans un silo d'où il est mis en place dans les coffrages. Il peut également, si la forme et la disposition du coffrage le permettent, être déversé directement dans le coffrage, où il est pervibré.
Les livraisons de béton à A. Morel SA se sont échelonnées entre le 30 avril et le 13 octobre 1969. Elles ont porté sur 970,5 m3 de béton frais pour un prix total de 54 860 fr. 60. Cette somme comprend un montant de 4440 fr. facturé à titre de frais de transport, certaines livraisons de béton ayant été effectuées sur le chantier d'Inverni par des transporteurs commis par Bétonfrais Lausanne SA
En 1969, la situation financière d'A. Morel SA s'est dégradée. Le 20 octobre 1969, cette société a été pourvue d'un curateur.
Bétonfrais Lausanne SA a alors réclamé le paiement de ses factures et menacé de requérir l'inscription d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs. A la suite de pourparlers entre Bétonfrais Lausanne SA, le curateur de la société et le conseil d'Inverni, le maître de l'ouvrage a consigné 54 850 fr. à la Banque cantonale vaudoise à Lausanne. Cette consignation
BGE 97 II 212 S. 214
a été faite pour garantir la prétention de Bétonfrais Lausanne SA Les parties ont précisé qu'elle ne pourra être levée que moyennant accord de Bétonfrais Lausanne SA, d'Inverni et d'A. Morel SA ou sur décision judiciaire. Ensuite de cette consignation, Bétonfrais Lausanne SA a renoncé à requérir l'inscription d'une hypothèque légale.
A. Morel SA a été déclarée en faillite le 11 décembre 1969. Bétonfrais Lausanne SA a produit dans cette faillite une créance de 54 850 fr. et revendiqué la somme consignée par Inverni. L'administration de la masse a admis la production en 5e classe, mais a rejeté la revendication, la créance ne pouvant à son avis bénéficier de l'hypothèque légale. Bétonfrais Lausanne SA a alors ouvert action à la masse directement devant le Tribunal fédéral en modification de l'état de collocation. Par convention du 15 janvier 1971, les parties ont transigé ce procès, la masse s'engageant à lever la consignation soit en faveur de Bétonfrais Lausanne SA, soit en faveur d'Inverni sur le vu d'un jugement rendu entre ces deux parties.
Par convention du 24 décembre 1970, Bétonfrais Lausanne SA et Inverni avaient d'ores et déjà convenu de saisir directement le Tribunal fédéral de leur litige, en application de l'art. 41 OJ.
B.-
Par demande du 1er février 1971, Bétonfrais Lausanne SA a ouvert action contre Inverni devant le Tribunal fédéral. Elle a conclu à ce que lui soit reconnu le droit à une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs pour le montant de sa créance de 54 850 fr. et, partant, à ce que la somme consignée à la Banque cantonale vaudoise lui soit versée.
Le défendeur a conclu au rejet de la demande.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La première question à résoudre est de savoir si les livraisons de béton frais effectuées par la demanderesse doivent être considérées comme une fourniture, par un artisan ou un entrepreneur, de matériaux et de travail pour un bâtiment, selon l'art. 837 al. 1 ch. 3 CC.
L'idée à la base de cette disposition légale est que la plus-value créée par la construction doit garantir les créances des entrepreneurs et artisans dont les prestations sont à l'origine de cette plus-value (RO 41 I 293). Ce privilège est d'autant plus de mise qu'ensuite de leur incorporation à l'immeuble, dont ils
BGE 97 II 212 S. 215
sont devenus une partie intégrante, les matériaux ne peuvent plus être séparés. Le fournisseur ne peut se réserver le droit de répéter la chose livrée, ni se constituer une autre garantie réelle (RO 95 II 90). L'art. 837 al. 1 ch. 3 CC limite ce privilège aux créances des artisans et entrepreneurs qui ont fourni des matériaux et du travail ou du travail seulement. Selon la jurisprudence (RO 72 II 350), il n'est pas nécessaire que l'artisan ou entrepreneur ait lui-même incorporé à l'immeuble les matériaux qu'il fournit. Le simple vendeur, fournisseur de choses fongibles qu'il a fabriquées lui-même, n'est cependant pas au bénéfice du droit à l'hypothèque légale. Il peut se prémunir contre l'insolvabilité de l'acheteur sans dommage pour lui en refusant de livrer. Il conserve la possibilité de disposer autrement de sa marchandise. Il n'en va pas de même de celui qui fournit des choses fabriquées spécialement pour l'immeuble en exécution d'un contrat d'entreprise. En refusant de livrer, le fournisseur, qui ne peut que difficilement utiliser ailleurs ses matériaux, s'expose à un dommage. Aussi, dans l'arrêt précité, le Tribunal fédéral a-t-il reconnu le droit à l'hypothèque légale à celui qui avait fabriqué des poutrelles de béton destinées à une construction déterminée. LEEMANN (n. 39 ad art. 837 CC) admet également que celui qui livre des fenêtres, des portes, des pierres artificielles ou des poutres, fabriquées selon les mesures indiquées, bénéficie de l'hypothèque légale.
En l'espèce, le béton frais n'est pas une chose fongible, préparée à l'avance, que la demanderesse prélève sur un stock. Il est au contraire fabriqué selon des données précises. La demanderesse crée ainsi une chose nouvelle. Elle exécute un ouvrage en vertu d'un contrat d'entreprise. Sans doute cette fabrication est-elle simple et très rapide. Mais cela tient au fait que la demanderesse dispose d'installations perfectionnées. La nature juridique de sa prestation reste toutefois la même. La rapidité et la facilité de cette fabrication ne sont que le résultat du progrès technique. La prestation de la demanderesse ne diffère guère de celle d'un sous-traitant qui fabriquerait le béton au chantier dans une bétonnière ordinaire. D'autre part, le béton frais devient en très peu de temps inutilisable, puisqu'il se durcit deux heures après sa fabrication. La situation de la demanderesse n'est donc pas comparable à celle d'un vendeur de matériaux pris sur un stock. Elle se rapproche beaucoup plus de celle d'un sous-traitant qui fournit des choses fabriquées
BGE 97 II 212 S. 216
spécialement pour un bâtiment. Aussi bien la demanderesse aurait-elle eu le droit de requérir l'inscription d'une hypothèque légale des artisans et entrepreneurs en garantie de sa créance résultant des livraisons de béton frais.
2.
Le défendeur fait valoir qu'une somme de 4440 fr., comprise dans le montant non contesté de la créance, représente des frais de transport du béton frais et que, partant, elle ne peut être garantie par l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs.
Le transporteur, certes, n'est pas au bénéfice de cette hypothèque (RSJ 1951 p. 95 no 31). Mais en l'espèce, le transport du béton opéré par des transporteurs commis par la demanderesse ne constitue qu'une modalité d'exécution du contrat d'entreprise. Il n'y a dès lors pas de raison de procéder à la déduction requise, d'autant moins que si le béton avait été transporté par l'entreprise A. Morel SA, celle-ci aurait englobé le transport dans sa facture au bénéfice du privilège.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
1. Le défendeur Fernando Inverni est tenu d'autoriser la déconsignation, en faveur de la demanderesse Bétonfrais Lausanne SA, de la somme de 54 850 fr. qu'il a consignée le 3/5 décembre 1969 à la Banque cantonale vaudoise à Lausanne.
2. Faute par Inverni de donner l'autorisation prévue ci-dessus, Bétonfrais Lausanne SA pourra obtenir la déconsignation en sa faveur sur la présentation du présent arrêt et de la transaction passée avec la masse en faillite d'A. Morel SA le 15 janvier 1971. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02216472-2c0d-4da1-a52f-e17287b97d8b | Urteilskopf
140 III 75
14. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. AG contre Z. (recours en matière civile)
4A_490/2013 du 28 janvier 2014 | Regeste
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit; Fällung des Entscheids nach Ablauf des Amtes des Einzelschiedsrichters.
Prüfung der Fälle, in denen der Schiedsrichtervertrag vor dem Urteilsspruch enden kann (E. 3.2.1). Anwendung auf die Umstände des konkreten Falles (E. 3.2.2 und 3.3).
Ein Entscheid, der nach Erlöschen der Amtsbefugnisse des Einzelschiedsrichters ergeht, ist mit Beschwerde wegen Unzuständigkeit im Sinne von
Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG
anfechtbar (E. 4.1). | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 140 III 75 S. 75
A.
Par contrats de location signés les 14 juin 2002 et 8 mai 2003, X. AG (ci-après: la recourante), société anonyme de droit suisse, a remis à bail à Z. (ci-après: l'intimée), société anonyme de droit français, deux avions à hélices destinés au transport de passagers et de fret. Les deux contrats étaient régis par le droit suisse quant au fond. Une clause compromissoire identique, incluse dans chacun d'eux,
BGE 140 III 75 S. 76
fixait le siège de l'arbitrage à Genève et confiait à un arbitre unique, nommé par le "Tribunal de Genève", le soin de trancher, dans les meilleurs délais, tout différend que les parties auraient été incapables de régler dans les dix jours.
B.
Un litige survenu entre les parties au sujet de l'exécution de leurs obligations respectives a donné lieu à la mise en oeuvre de la procédure arbitrale prévue par les deux contrats de location.
En avril 2010, un avocat genevois, désigné conjointement par les parties en qualité d'arbitre unique (ci-après: l'arbitre), a accepté d'arbitrer ce litige. Le Tribunal de première instance du canton de Genève a entériné cette désignation par jugement du 27 mai 2010.
La procédure proprement dite a débuté le 7 juin 2010, par le dépôt de la demande d'arbitrage, pour prendre fin le 4 mai 2011, à l'issue de l'audience de plaidoiries, lorsque l'arbitre a gardé la cause à juger.
Après leur constitution, en date du 13 janvier 2012, les conseils actuels de la recourante sont intervenus une première fois auprès de l'arbitre, à la mi-juin 2012, pour connaître l'état d'avancement de son travail de délibération. Il leur a été répondu que la sentence serait rendue, en principe, à la fin de ce mois-là. Les mandataires de la recourante ont relancé l'arbitre à une dizaine de reprises. N'ayant rien obtenu de concret, en dépit de diverses promesses précises de l'intéressé, ils se sont faits plus pressants au fil du temps.
L'arbitre a finalement rendu sa sentence le 3 septembre 2013. Le conseil de l'intimée en a reçu un exemplaire le même jour, l'étude des mandataires de la recourante le lendemain.
En annexe à une lettre du 6 septembre 2013, l'arbitre a adressé un dispositif rectificatif aux avocats des parties.
C.
Le 4 octobre 2013, la recourante a saisi le Tribunal fédéral d'un recours en matière civile aux fins d'obtenir l'annulation de la sentence et de son complément. Elle a fait valoir, à titre principal, que l'arbitre unique avait été irrégulièrement désigné (
art. 190 al. 2 let. a LDIP
[RS 291]).
Par arrêt du 28 janvier 2014, le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la sentence du 3 septembre 2013 telle que rectifiée le 6 septembre 2013.
(résumé)
BGE 140 III 75 S. 77
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.2
3.2.1
Le contrat d'arbitre - receptum arbitrii ou arbitri (cf.
ATF 136 III 597
consid. 5 p. 600; sur la terminologie, voir THOMAS CLAY, L'arbitre, Paris 2001, p. 487-498) - désigne la relation contractuelle qui se noue entre l'arbitre et les parties. Il participe de la nature mixte de l'arbitrage, lequel revêt un caractère contractuel par sa source et juridictionnel par son objet (FOUCHARD/GAILLARD/GOLDMAN, Traité de l'arbitrage commercial international, Paris 1996, n. 1122). L'arbitre, tel le juge étatique, est investi du pouvoir de trancher un différend par une sentence équivalant à un jugement, mais il tient ce pouvoir de la volonté des parties (KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, Arbitrage international, Droit et pratique à la lumière de la LDIP, 2
e
éd. 2010, n. 24). Le contrat d'arbitre est souvent qualifié de mandat sui generis, mais les règles du mandat (
art. 394 ss CO
) sont largement exclues par le statut de l'arbitre, s'agissant notamment des conditions dans lesquelles ce contrat prend fin (PIERRE-YVES TSCHANz, in Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, n° 55 ad
art. 179 LDIP
).
Le contrat d'arbitre s'éteint normalement en même temps que l'instance, c'est-à-dire, dans la grande majorité des cas, lorsque la sentence finale est rendue (pour autant qu'elle ne soit pas nulle ni annulée) voire, plus rarement, suite à un retrait d'instance, que ce soit par un désistement ou par une transaction. Il peut toutefois se terminer de manière anticipée, pendente lite, en particulier si l'arbitre décède, s'il est récusé, s'il est révoqué par les parties, s'il est destitué par le juge ou s'il démissionne (TSCHANZ, op. cit., n° 60 ad
art. 179 LDIP
; POUDRET/BESSON, Comparative Law of International Arbitration, 2
e
éd. 2007, n. 430).
Selon l'
art. 179 al. 1 LDIP
, les arbitres sont révoqués conformément à la convention des parties. La révocation (
Abberufung, revocation
) émane de celles-ci. Non soumise, en principe, à l'exigence d'une forme particulière, contrairement à ce qui prévaut en matière d'arbitrage interne (cf. l'art. 370 al. 1 du Code de procédure civile du 19 décembre 2008 [CPC; RS 272]qui requiert un accord écrit), elle peut intervenir en tout temps et sans motifs, mais doit émaner de toutes les parties à l'arbitrage. D'où l'expression de révocation
BGE 140 III 75 S. 78
conjointe, souvent utilisée pour qualifier cette manifestation de volonté. La révocation est possible même à l'égard d'un arbitre désigné par un tiers ou par le juge d'appui. L'arbitre visé ne peut pas s'y opposer (BERGER/KELLERHALS, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 2
e
éd. 2010, n. 843-848; LALIVE/POUDRET/REYMOND, Le droit de l'arbitrage interne et international en Suisse, 1989, n° 9 ad
art. 179 LDIP
).
Le concept de révocation, auquel l'
art. 179 al. 1 LDIP
se réfère, inclut aussi celui de destitution (
Absetzung, removal
; BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 851; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, op. cit., n. 413b; LALIVE/POUDRET/REYMOND, op. cit., n° 10 ad
art. 179 LDIP
et les auteurs cités). La destitution désigne la fin de la mission d'un arbitre prononcée par un juge ou par une institution d'arbitrage à la requête d'une partie en cas de justes motifs tenant à la personne de l'arbitre (BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 849-856, spéc. n. 852; POUDRET/BESSON, op. cit., n. 431; LALIVE/POUDRET/REYMOND, ibid.) mais ne constituant pas des motifs de récusation (KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, ibid.). Elle se justifie, en particulier, comme le rappelle l'
art. 370 al. 2 CPC
pour l'arbitrage interne, lorsqu'un arbitre n'est pas en mesure de remplir sa mission en temps utile ou ne s'en acquitte pas avec la diligence requise. A défaut d'une convention des parties établissant directement ou indirectement (par référence à un règlement d'arbitrage) des règles en la matière, c'est le juge du siège du tribunal arbitral (juge d'appui) qui sera saisi de la requête ad hoc et qui appliquera par analogie la disposition précitée, conformément à l'
art. 179 al. 2 LDIP
. Il sied de rappeler ici que les parties sont tombées d'accord pour appliquer la loi de procédure civile du 10 avril 1987 du canton de Genève (LPC/GE) jusqu'à la fin de la procédure arbitrale, nonobstant l'entrée en vigueur du CPC. Dès lors, en vertu de l'
art. 461B al. 1 let. a LPC
/GE, c'est le Tribunal de première instance du canton de Genève qui était compétent pour destituer l'arbitre unique. Il l'eût d'ailleurs aussi été sous l'empire du nouveau droit de procédure civile (voir l'
art. 86 al. 2 let
. d de la loi genevoise du 26 septembre 2010 sur l'organisation judiciaire [LOJ; RSG E 2 05] en liaison avec les art. 370 al. 2 et 356al. 2 let. a CPC).
La démission d'un arbitre en cours de procédure ne fait l'objet d'aucune disposition spécifique dans le droit suisse de l'arbitrage interne et international (BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 857). Le contrat d'arbitre n'étant pas un mandat pur et simple, il échappe à la règle, ancrée à
BGE 140 III 75 S. 79
l'
art. 404 al. 1 CO
, selon laquelle le mandat peut être répudié en tout temps (LALIVE/POUDRET/REYMOND, op. cit., n° 8 ad
art. 179 LDIP
). Aussi est-il communément admis que l'arbitre n'est en droit de démissionner que pour de justes motifs (
ATF 117 Ia 166
consid. 6c p. 169 et les auteurs cités; KAUFMANN-KOHLER/RIGOZZI, op. cit., n. 413c; pour des exemples de justes motifs, cf. BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 861). Si toutes les parties à la procédure acceptent la démission d'un arbitre, cette acceptation a le même effet qu'une révocation. Dans l'hypothèse inverse, à défaut de règles topiques résultant de la convention des parties ou du règlement d'arbitrage choisi par elles, c'est le juge d'appui qui statuera sur la validité de la démission litigieuse (BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 863). Pour le surplus, quant à sa nature juridique, la démission s'apparente à la répudiation du mandat. Comme celle-ci, elle consiste dans l'exercice d'un droit formateur résolutoire qui éteint le rapport de droit que les parties avaient noué avec l'arbitre unique en concluant le contrat d'arbitre (cf. PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2
e
éd. 1997, p. 30). A l'instar de la répudiation du mandat, la démission sortit ses effets ex nunc, soit immédiatement, soit à l'expiration du délai si elle est donnée pour un terme déterminé (cf. JOSEF HOFSTETTER, Der Auftrag und die Geschäftsführung ohne Auftrag, SPR vol. VII, 2
e
éd. 2000, p. 58). Assortir la répudiation du mandat ou la démission d'une condition est d'ordinaire peu compatible avec le principe de la sécurité du droit. Cependant, une répudiation ou une démission conditionnelle ne saurait être exclue d'emblée, de même qu'une révocation conditionnelle du mandat d'ailleurs, pour peu qu'il n'en résulte pas une situation incertaine dans la personne du destinataire de la manifestation de volonté. Est ainsi généralement tenue pour admissible la révocation ou la répudiation du mandat assortie d'une condition potestative dont la réalisation dépend de la seule volonté du mandataire ou du mandant, telle la révocation d'ores et déjà signifiée au mandataire pour le cas où il n'exécuterait pas ses obligations contractuelles dans un certain délai (HOFSTETTER, ibid.; WALTER FELLMANN, Commentaire bernois, 1992, n° 38 ad
art. 404 CO
; ROLF H. WEBER, in Commentaire bâlois, Obligationenrecht, vol. I, 5
e
éd. 2011, n° 6 ad
art. 404 CO
).
Il est une dernière hypothèse dans laquelle le contrat d'arbitre peut prendre fin avant le prononcé de la sentence. Les parties ont, en effet, le droit de limiter, dans la convention d'arbitrage ou dans un accord ultérieur, la durée de la mission du tribunal arbitral. Cette
BGE 140 III 75 S. 80
faculté, que leur réserve l'
art. 366 al. 1 CPC
s'agissant d'un arbitrage interne, doit aussi leur être reconnue en matière d'arbitrage international (POUDRET/BESSON, op. cit., n. 452 dernier §; BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 916; PHILIPP HABEGGER, in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2
e
éd. 2013, n° 1a ad
art. 366 CPC
). Sans doute, dans l'un et l'autre domaine, est-il prévu - expressément (
art. 366 al. 2 CPC
) ou indirectement par la mise en oeuvre des
art. 179 al. 1 et 185 LDIP
- que ce délai puisse être prolongé par convention entre les parties, voire, à la demande de l'une d'elles (ou encore du tribunal arbitral dans un arbitrage interne en tout cas, cf.
art. 366 al. 2 let. b CPC
), par une décision du juge d'appui (BERGER/KELLERHALS, ibid.; HABEGGER, ibid.). Toujours est-il que, si une telle prolongation n'est pas requise ou qu'elle ne soit pas accordée, la sentence finale n'interviendra, le cas échéant, qu'au-delà de la date butoir fixée à l'arbitre pour l'exécution de sa mission (sur les risques que comporte la limitation de cette mission dans le temps, cf. PHILIPPE SCHWEIZER, in CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, n
os
1-6 ad
art. 366 CPC
).
3.2.2
Il y a lieu de rechercher maintenant si les manifestations de volonté émanant des parties et de l'arbitre, telles qu'elles ressortent des faits retenus plus haut, présentent les traits distinctifs de l'un ou l'autre des cas de figure qui viennent d'être envisagés sur le plan théorique. Cela suppose d'en établir le sens en conformité avec les règles générales régissant l'interprétation de telles manifestations, que ces dernières revêtent un caractère unilatéral ou bilatéral (cf. arrêt 4A_219/2013 du 4 septembre 2013 consid. 3.2 et les précédents cités). Ainsi, en vertu du principe de la confiance, l'accent sera mis sur la manière dont le destinataire de la manifestation de volonté considérée pouvait comprendre celle-ci de bonne foi en fonction de l'ensemble des circonstances. L'auteur de cette manifestation de volonté devra s'en laisser imputer le sens objectif quand bien même il ne correspondrait pas à sa volonté intime (
ATF 135 III 410
consid. 3.2).
L'hypothèse d'une destitution de l'arbitre peut être écartée d'emblée en l'espèce. Il est, en effet, constant que le Tribunal de première instance n'a pas été saisi d'une requête ad hoc par l'une ou l'autre des parties. Il aurait pu l'être, à vrai dire, et les conseils de la recourante avaient d'ailleurs menacé par deux fois l'arbitre d'en appeler au juge d'appui. Ils ont toutefois opté pour une autre solution par la suite,
BGE 140 III 75 S. 81
d'entente avec l'intimée, ce qu'il leur était loisible de faire du moment que la loi établit la primauté de la convention des parties en la matière (cf.
art. 179 al. 1 et 2 LDIP
).
Bien plus délicat est, en revanche, le point de savoir auquel des autres cas de figure envisagés plus haut les manifestations de volonté litigieuses doivent être rattachées. Pour trancher cette question, il y a lieu d'interpréter, en les replaçant dans leur contexte, les écrits échangés de part et d'autre pendant la période allant du 3 juin au 4 septembre 2013.
Il en appert, tout d'abord, que, si l'arbitre, dans son courrier électronique du 3 juin 2013, a offert sa démission, sous réserve de l'accord des parties, pour le cas où la sentence ne serait pas rendue à la date du 30 juin 2013, il ne l'a pas fait de sa propre initiative, mais en réponse à une suggestion formulée dans un courriel du même jour par le directeur de la recourante. Il a du reste qualifié cette suggestion de dure (
tough proposal
) et sa conduite ultérieure - demande d'octroi d'un délai de grâce et notification de la sentence aux conseils des parties en dépit de l'expiration de ce délai - démontre, si besoin est, qu'il n'entendait pas faire valoir un juste motif, tenant à sa personne ou à d'autres facteurs, qui l'aurait empêché de poursuivre sa mission et de la mener jusqu'à son terme. Force est de souligner, ensuite, que les conseils des parties ne sont pas restés sans réaction à réception de l'offre de démission conditionnelle de l'arbitre. De fait, dans la lettre qu'il a rédigée le 8 août 2013 sur papier à en-tête de son étude et qui a finalement été envoyée à l'arbitre le 27 du même mois, l'un des conseils de la recourante, constatant que le délai proposé par l'arbitre lui-même avait expiré sans qu'une sentence n'ait été rendue, a déclaré accepter l'offre de démission sous la même condition, mais avec un nouveau délai fixé au 30 août 2013. Quant au conseil de l'intimée, il a contresigné cette lettre pour accord. A la date du 27 août 2013 toujours, l'arbitre a répondu aux deux mandataires pour leur signifier qu'il se voyait contraint d'accepter leurs conditions, tout en réclamant une ultime prolongation de ce nouveau délai jusqu'au lundi 2 septembre 2013, ce qu'ils ont accepté par un fax du même jour portant leurs deux signatures en précisant que sa démission serait effective à cette dernière date à 17h00 au cas où ils n'auraient pas reçu la sentence d'ici là. Sur quoi, l'arbitre leur a indiqué, dans un courriel du 28 août 2013, qu'il acceptait les termes de ce dernier écrit.
La volonté ainsi manifestée, au terme de l'instance arbitrale, par les protagonistes de la cause en litige n'est pas d'une clarté telle qu'elle
BGE 140 III 75 S. 82
présenterait les caractéristiques de l'une seulement des trois causes d'extinction prématurée du contrat d'arbitre susmentionnées (en sus de la destitution), à l'exclusion des deux autres. Pour ce qui est de la démission, si l'arbitre a bien écrit "I shall resign" dans son courriel du 3 juin 2013, on vient de souligner qu'il ne l'a pas fait de son plein gré parce qu'il entendait en réalité poursuivre sa mission malgré le retard accumulé par lui dans la mise en oeuvre de celle-ci. Il paraît donc difficile d'admettre, en l'occurrence, l'existence d'une démission stricto sensu, autrement dit l'exercice par l'arbitre d'un droit formateur résolutoire (la répudiation du mandat sui generis) soumis à la condition potestative et suspensive de l'absence de notification de la sentence dans le délai imparti. Si l'hypothèse d'une démission conditionnelle devait être néanmoins retenue ici, encore faudrait-il préciser que cet acte formel a été accompli contre le gré de son auteur, sous la pression des événements. Une révocation conjointe et conditionnelle de l'arbitre par les parties pourrait également être retenue dès lors que les mandataires de celles-ci ont expressément accepté la proposition de démission conditionnelle que l'arbitre leur avait soumise. Cette figure juridique correspondrait sans doute mieux que celle de la démission à la volonté commune exprimée par ces mandataires de sanctionner, de guerre lasse, l'inaction ou, à tout le moins, l'extrême manque de diligence de l'arbitre par une révocation. Vrai est-il toutefois, bien que cela ne soit pas décisif, que ce dernier terme n'apparaît pas dans les écrits précités. Le comportement des parties pourrait enfin être regardé comme un accord passé en cours d'instance par celles-ci en vue de limiter la durée de la mission de l'arbitre. Cependant, pareille construction juridique n'expliquerait guère la participation active de l'intéressé aux discussions qui ont eu lieu quant à la poursuite et à la fin de sa mission.
Quoi qu'il en soit, les circonstances de la cause révèlent clairement la volonté concordante des deux parties à la procédure d'arbitrage considérée de voir le contrat d'arbitre prendre fin ipso facto le 2 setembre 2013 à 17h00 au cas où l'une d'elles n'aurait pas reçu la sentence finale avant cette date couperet. Il en ressort tout aussi nettement que l'arbitre unique ne pouvait pas comprendre autrement, selon les règles de la bonne foi, la volonté manifestée de la sorte par ses deux mandantes. Il apparaît, en définitive, que la cause de l'extinction prématurée des pouvoirs de l'arbitre doit être recherchée davantage dans un accord tripartite conclu à cet effet par chacune des parties avec l'autre, d'une part, et par les deux parties conjointement
BGE 140 III 75 S. 83
avec l'arbitre, d'autre part, que dans une simple démission de l'arbitre ou dans la révocation de celui-ci par une décision commune des deux mandantes.
Il suit de là que les objections soulevées par l'intimée pour exclure que le contrat d'arbitre ait valablement pu prendre fin à la date et à l'heure fixées dans le fax du 27 août 2013 ne peuvent pas être retenues. Ainsi en va-t-il de l'argument fondé sur la jurisprudence voulant que l'arbitre ne puisse mettre fin à sa mission qu'en invoquant de justes motifs. Semblable argument ne tient pas compte de ce que l'extinction du contrat d'arbitre n'a pas été le fait d'une décision unilatérale de l'arbitre de mettre un terme à sa mission parce qu'il aurait estimé avoir des raisons de répudier son mandat, mais la conséquence d'un accord que les deux parties avaient passé avec l'intéressé à cette fin. N'est pas plus fondé le moyen pris de l'effet guérisseur (
sanatio
) qu'aurait produit l'acceptation par l'intimée de la sentence qui lui a été notifiée après la survenance du délai ultime imparti à l'arbitre pour procéder à la notification de cette décision. De fait, il serait contraire, à la fois au principe pacta sunt servanda et à la règle du parallélisme des formes, de permettre à une partie à un accord bilatéral ou multilatéral d'en écarter les conséquences de son chef par un acte unilatéral, telle la réception de la sentence. Pareil acte n'eût donc été concluant, en l'espèce, que si la recourante avait agi de même en acceptant, elle aussi, sans formuler la moindre réserve, la notification tardive de la sentence. Or, il n'en a rien été, comme cela ressort des faits relatés dans le présent arrêt.
3.3
Dès lors, force est de constater, en guise de conclusion intermédiaire, que la sentence litigieuse, datée du 3 septembre 2013, a été rendue après que la mission de l'arbitre unique avait pris fin, le 2 septembre 2013 à 17h00.
4.
4.1
Une sentence rendue postérieurement à l'expiration de la mission de l'arbitre unique ou du tribunal arbitral n'est pas nulle, mais annulable sur recours. L'
art. 36 let
. g du concordat sur l'arbitrage du 27 mars 1969 (CA; RO 1969 1117) érigeait ce vice de procédure en motif de recours, en prévoyant que la sentence pouvait être attaquée en nullité "lorsque le tribunal arbitral a[vait] statué après l'expirationdu délai qui a[vait] pu lui être imparti pour remplir sa mission". Ledroit actuel de l'arbitrage international et interne en Suisse ne contient pas de disposition spécifique comparable à la règle concordataire
BGE 140 III 75 S. 84
abrogée. Dans sa grande majorité, la doctrine considère le vice de procédure en question comme un problème de compétence ratione temporis visé par l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
(arbitrage international) ou par l'
art. 393 let. b CPC
(arbitrage interne), car le tribunal arbitral ou l'arbitre unique, en statuant hors délai, s'arrogerait implicitement une compétence qu'il n'a plus (cf. parmi d'autres: BERGER/KELLERHALS, op. cit., n. 917; RÜEDE/HADENFELDT, Schweizerisches Schiedsgerichtsrecht, 2
e
éd. 1993, p. 371 1
er
§; LALIVE/POUDRET/REYMOND, op. cit., n° 4g ad
art. 36 CA
; PIERRE JOLIDON, Commentaire du Concordat suisse sur l'arbitrage, 1984, n° 10b ad
art. 36 CA
; SCHWEIZER, op. cit., n° 14 ad
art. 370 CPC
; HABEGGER, op. cit., n° 11 ad
art. 366 CPC
; STEFAN GRUNDMANN, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [éd.],2
e
éd. 2013, n° 10 ad
art. 366 CPC
; RICHARD GASSMANN, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [éd.], 2010,n° 3 ad
art. 366 CPC
; FELIX DASSER, in ZPO, Oberhammer [éd.], 2010, n° 6 ad
art. 366 CPC
; PLANINIC/KUBAT ERK, in ZPO Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Gehri/Kramer [éd.], 2010, n° 8 ad
art. 366 CPC
). Quelques auteurs réservent cependant la possibilité d'admettre que le tribunal arbitral ou l'arbitre unique qui statue après l'expiration du délai assigné à sa mission doit être assimilé à un tribunal arbitral irrégulièrement composé, respectivement à un arbitre unique irrégulièrement désigné au sens des
art. 190 al. 2 let. a LDIP
et 393 let. a CPC (SCHWEIZER, ibid. [à titre très éventuel];SCHWANDER/STACHER, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO],Brunner/Gasser/Schwander [éd.], 2011, n° 3 ad
art. 366 CPC
).En théorie, les deux constructions juridiques pourraient s'appliquer au vice de procédure examiné. Aussi bien, l'arbitre unique (ou le tribunal arbitral) qui statue après que sa mission a expiré peut-il être regardé à la fois comme une personne usurpant les pouvoirs d'un arbitre (ou d'un tribunal arbitral) et comme un arbitre (ou un tribunal arbitral) ayant dépassé les limites temporelles de sa compétence juridictionnelle. Si l'on s'en tient toutefois à la délimitation jurisprudentielle du champ d'application de l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
, la préférence doit être donnée à la seconde construction juridique. En effet, comme le Tribunal fédéral l'a rappelé récemment (arrêt 4A_282/2013 du 13 novembre 2013 consid. 4), par régularité de la constitution du tribunal arbitral ou de la désignation de l'arbitre unique, au sens de cette disposition, il faut entendre la manière dont le ou les arbitres ont été nommés ou remplacés (
art. 179 LDIP
) et les questions relatives à leur indépendance (
art. 180 LDIP
). Or, vue sous l'angle
BGE 140 III 75 S. 85
restrictif ainsi défini par la jurisprudence, la position de l'arbitre ou du tribunal arbitral qui statue hors délai n'est pas assimilable à celle d'un arbitre ou d'un tribunal qui n'aurait pas été régulièrement nommé ou remplacé; elle s'apparente davantage à celle d'un arbitre ou d'un tribunal arbitral dont la désignation ne souffre aucune discussion, mais qui a simplement omis de respecter la limite dans le temps qui avait été fixée à sa compétence juridictionnelle. Cela étant, il n'échappe pas à la Cour de céans que le critère distinctif permettant d'écarter une construction juridique au profit de l'autre demeure assez flou. La sécurité du droit commande néanmoins de trancher la question. On le fera en traitant le vice de procédure considéré comme un motif de recours au sens de l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
ou de l'
art. 393 let. b CPC
.
Dans le cas concret, la recourante, quant à elle, s'est fondée exclusivement sur l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
pour fustiger le comportement de l'arbitre. A la rigueur du droit et, singulièrement, de la jurisprudence relative à l'
art. 77 al. 3 LTF
, elle pourrait se voir reprocher de n'avoir pas invoqué le moyen pertinent dans son mémoire de recours (cf. arrêt 4A_538/2012 du 17 janvier 2013 consid. 4.3.1). Toutefois, déclarer son recours irrecevable pour ce seul motif reviendrait à faire preuve d'un formalisme excessif, étant donné l'incertitude qui régnait jusqu'à ce jour sur la question de la disposition - l'
art. 190 al. 2 let. a LDIP
ou l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
- entrant en ligne de compte. On y renoncera donc. L'intimée n'a, du reste, soulevé aucune objection en ce qui concerne le choix du grief formulé par la recourante.
Dès lors, la sentence finale attaquée doit, en principe, être annulée au motif, prévu à l'
art. 190 al. 2 let. b LDIP
, que l'arbitre unique s'est déclaré à tort compétent pour la rendre après que ses pouvoirs s'étaient éteints. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
02246e23-1ab6-4fe9-aef8-680fd8df7ef7 | Urteilskopf
116 II 21
4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. März 1990 i.S. J. R.-A. gegen W.R. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anordnung der Gütertrennung durch den Eheschutzrichter (
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
).
1. Ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, womit aufgrund von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
die Gütertrennung angeordnet oder verweigert wird, kann nicht mit Berufung, sondern nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden (E. 1).
2. Voraussetzung für die Anordnung der Gütertrennung durch den Eheschutzrichter ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts, die ihrerseits - nach
Art. 175 ZGB
- nur zulässig ist, wenn die Persönlichkeit eines Ehegatten, seine wirtschaftliche Sicherheit oder das Wohl der Familie durch das Zusammenleben gefährdet ist (E. 4).
3. Im vorliegenden Fall wird durch die Verweigerung der Gütertrennung
Art. 4 BV
nicht verletzt (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 116 II 21 S. 22
A.-
Der Amtsgerichtspräsident II von Luzern-Land hob, gestützt auf
Art. 175 ZGB
, am 15. Juni 1988 den gemeinsamen Haushalt der Eheleute R.-A. für unbestimmte Zeit auf und regelte die Nebenfolgen des Getrenntlebens. Das von der Ehefrau gestellte Begehren um Anordnung der Gütertrennung wies er hingegen ab. Mit Entscheid vom 18. Mai 1989 hiess das Obergericht des Kantons Luzern den von der Ehefrau erhobenen Rekurs insofern gut, als es den persönlichen Unterhaltsbeitrag neu festsetzte. Doch leistete es dem Begehren, es sei nach Massgabe von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
die Gütertrennung anzuordnen, ebenfalls keine Folge.
B.-
Die Ehefrau focht den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(willkürliche Anwendung von Bundesrecht, Ermessensunterschreitung, Verweigerung des rechtlichen Gehörs, willkürliche Sachverhaltsfeststellung) an. Das Bundesgericht, das vorweg über die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde zu befinden hatte, trat darauf ein und wies sie ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die Anordnung der Gütertrennung nach Massgabe von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
ist eine der Massnahmen, die der
BGE 116 II 21 S. 23
Richter nach dem neuen Eherecht zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft treffen kann. Die jüngste Rechtsprechung geht davon aus, dass - wie schon nach altem Recht - ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, womit Eheschutzmassnahmen angeordnet werden (oder deren Anordnung abgelehnt wird), nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden könne (
BGE 115 II 297
ff.,
BGE 114 II 20
E. 1,
BGE 111 II 103
ff.).
Indessen unterscheidet sich die Anordnung der Gütertrennung von den anderen Eheschutzmassnahmen insofern, als sie von Gesetzes wegen auch aufrechterhalten bleibt, wenn die Ehegatten das Zusammenleben wiederaufnehmen (
Art. 179 Abs. 2 ZGB
). Deshalb und weil die Anordnung der Gütertrennung tiefgehend in die Vermögensrechte der Ehegatten eingreift, rechtfertigt sich eine nähere Prüfung der auch von der Lehre aufgeworfenen Frage, ob der letztinstanzliche kantonale Entscheid nur mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann oder ob - allenfalls anders als bei den übrigen Eheschutzmassnahmen - die Berufung an das Bundesgericht zugelassen werden soll (für die Berufungsfähigkeit gewisser Eheschutzentscheide HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 24 ff. zu
Art. 180 ZGB
; SCHNYDER, Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, in: Berner Tage für die juristische Praxis 1987, Bern 1988, S. 28; anderer Meinung DESCHENAUX/STEINAUER, Le nouveau droit matrimonial, Bern 1987, S. 159 ff.; VOGEL, Der Richter im neuen Eherecht, in: SJZ 83/1987, S. 132; jetzt aber, die Berufungsfähigkeit bejahend, VOGEL, in: ZBJV 125/1989, S. 276. - Vgl. auch
BGE 41 II 17
ff., wo über die Anordnung der Gütertrennung ohne Begründung des prozessualen Vorgehens im Berufungsverfahren entschieden wurde, und die Bemerkung hiezu bei LEMP, N 5 zu Art. 183 aZGB).
a) Das Bundesgericht hat in einigen Urteilen die Berufung gegen Eheschutzentscheide unter anderem deswegen als unzulässig bezeichnet, weil derartige Auseinandersetzungen nicht als Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne von Art. 44 bzw. 46 OG anzusehen seien (
BGE 115 II 298
E. 2. mit Hinweis auf
BGE 95 II 71
E. 1,
BGE 91 II 416
E. 1). An dieser Auffassung kann, wie in
BGE 115 II 298
E. 2 erkannt worden ist, grundsätzlich nicht mehr festgehalten werden (vgl. immerhin
BGE 110 II 12
E. 1, wo auf Art. 171 aZGB und
Art. 291 ZGB
gestützte Vorkehren als privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahmen sui generis und demnach nicht als Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne der Art. 44 bzw. 46 OG betrachtet
BGE 116 II 21 S. 24
wurden; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 17 zu
Art. 177 ZGB
). Ausschlaggebend ist vielmehr, nun mit Blick auf den kantonalen Entscheid, womit die Gütertrennung angeordnet wird, ob dieser als Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
betrachtet werden kann.
b) Im Verfahren nach
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
wird nur über die Anordnung der Gütertrennung entschieden, während hernach der ordentliche Richter über die güterrechtliche Auseinandersetzung entscheidet. Der Eheschutzrichter kann bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse oder wenn es sich herausstellt, dass er irrtümlich von falschen tatsächlichen Annahmen ausgegangen ist, auf seine Anordnung zurückkommen, indem er den früheren Güterstand mit einer neuen Verfügung wiederanordnet (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 8 zu
Art. 179 ZGB
; Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Ehegüterrecht und Erbrecht), BBl 1979 II 1284). Auf die Frage jedoch, ob die Anordnung der Gütertrennung gerechtfertigt war oder nicht, kann im nachfolgenden ordentlichen Verfahren, in dem die güterrechtliche Auseinandersetzung vorzunehmen ist, nicht mehr zurückgekommen werden. Vielmehr ist der ordentliche Richter an die Anordnung des Eheschutzrichters gebunden, und insofern erscheint der Entscheid des die Gütertrennung anordnenden Eheschutzrichters als endgültig.
Der Gütertrennung kommt auch insoweit endgültiger Charakter zu, als jener Ehegatte, der den grösseren Vorschlagsteil aufweist, mit der Anordnung der Gütertrennung definitiv einen Teil seines Vermögens dem anderen Ehegatten abtreten muss (
Art. 215 Abs. 1 ZGB
). Auf die materiellrechtlichen Wirkungen abstellen möchte denn auch POUDRET bei Beantwortung der Frage, ob ein Endentscheid vorliege (Recours de droit public ou recours en réforme au Tribunal fédéral en matière d'inscription provisoire de l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs?, in: Mélanges Pierre Engel, Lausanne 1989, S. 293).
Sodann kann nicht darüber hinweggesehen werden, dass über die Anordnung der Gütertrennung im summarischen Eheschutzverfahren - und folglich in aller Regel mit Beweisbeschränkung - entschieden wird, während für die anschliessende güterrechtliche Auseinandersetzung der ordentliche Richter zuständig ist (
Art. 194 ZGB
). Die verfahrensrechtliche Folge ist, dass die vom ordentlichen Richter nicht wieder in Frage zu stellende Anordnung der Gütertrennung nur mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten
BGE 116 II 21 S. 25
werden kann, die nachfolgende güterrechtliche Auseinandersetzung aber nicht nur der vollen Kognition des kantonalen Richters unterliegt, sondern auch mit dem ordentlichen Rechtsmittel der Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (vgl. auch HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 24 zu
Art. 180 ZGB
).
c) Nun wird aber nach ständiger Rechtsprechung von einem Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
verlangt, dass der kantonale Richter über den streitigen Anspruch materiell entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grund abgelehnt hat, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch nochmals geltend gemacht wird ("res iudicata";
BGE 111 II 465
E. 1a). Kein Endentscheid liegt demgegenüber vor, wenn nur um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht wurde, der streitige Anspruch somit zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden kann (
BGE 104 II 217
E. 2 mit Hinweisen).
Den richterlichen Massnahmen zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft nach
Art. 172 ff. ZGB
ist gemeinsam, dass ihnen die Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden kann. Vielmehr passt der Richter bei veränderten Verhältnissen auf Begehren eines Ehegatten die Massnahme an oder hebt sie auf, wenn ihr Grund weggefallen ist (
Art. 179 Abs. 1 ZGB
). Allerdings bleibt die aufgrund von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
angeordnete Gütertrennung nach der ausdrücklichen Vorschrift von
Art. 179 Abs. 2 ZGB
bestehen, wenn die Ehegatten das Zusammenleben wiederaufnehmen. Das ändert aber nichts daran, dass auch diese Anordnung sich der Einrede der "res iudicata" entzieht, kann doch der Richter selbst ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung auf seine Verfügung - Anordnung der Gütertrennung oder Abweisung des Gesuchs um deren Anordnung - zurückkommen, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass der Richter von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder dass dieser sich inzwischen verändert hat (Botschaft, BBl 1979 II 1284).
Hiegegen lässt sich nicht etwa einwenden, dass auch der Entziehung und der Wiederherstellung der elterlichen Gewalt, der Entmündigung, der Anordnung einer Beistandschaft und der fürsorgerischen Freiheitsentziehung die für den Endentscheid charakteristische Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden könne und dass diese Anordnungen nichtsdestoweniger der Berufung an das Bundesgericht unterliegen; denn das Gesetz
BGE 116 II 21 S. 26
erklärt hiefür die Berufung ausdrücklich als zulässig (
Art. 44 lit. d, e und f OG
; vgl. auch Art. 373 Abs. 2 (und Art. 397 Abs. 1) ZGB).
Kein Gegenargument liegt auch darin, dass die Abänderung von Scheidungsurteilen bezüglich Rente oder Elternrechte verlangt werden kann (
Art. 153 Abs. 2 und
Art. 157 ZGB
). Das ursprüngliche Scheidungsurteil ist in materielle Rechtskraft erwachsen, und es wird über die darin festgelegten Rechte und Pflichten nur deshalb noch einmal befunden, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (Bühler/Spühler, N 4 zu
Art. 153 ZGB
, N 4 zu
Art. 157 ZGB
).
Schliesslich macht auch die endgültige Änderung in den Vermögensverhältnissen der Ehegatten, welche durch die Anordnung der Gütertrennung bewirkt wird, diese nicht zu einem Endentscheid im prozessualen Sinn. Auch durch andere Massnahmen - so durch die Zuweisung von Wohnung und Hausrat (
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB
), die Anweisungen an die Schuldner (
Art. 177 ZGB
) oder die richterliche Zustimmung zur Veräusserung der Wohnung (
Art. 169 Abs. 2 ZGB
) - wird empfindlich in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten eingegriffen. Allerdings werden dadurch nicht eigentliche Rechte zugesprochen oder entzogen, sondern es wird nur (teilweise für eine begrenzte Zeit) die Verfügungsbefugnis darüber eingeschränkt.
Es bleibt somit dabei, dass auch die auf
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
gestützte Anordnung der Gütertrennung, weil ihr die Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden kann, nicht als Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
zu betrachten ist und sich somit der Berufung an das Bundesgericht entzieht.
d) Für die Zulassung nur gerade der staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Anordnung der Gütertrennung im Eheschutzverfahren sprechen am Ende auch erhebliche praktische Gründe. Insbesondere lässt sich damit eine Gabelung des Rechtsweges in Berufung (gegen die Anordnung der Gütertrennung) und staatsrechtliche Beschwerde (gegen alle oder die meisten übrigen Eheschutzentscheide) vermeiden, wodurch dem Gebot der Rechtssicherheit entsprochen wird.
Darüber hinaus würde die Zulassung der Berufung voraussetzen, dass die tatsächlichen Verhältnisse im kantonalen Verfahren nicht nur provisorisch, sondern in endgültiger Weise geklärt werden (
BGE 104 II 220
E. 2c). Das hätte zur Folge, dass den Kantonen wesentliche prozessuale Verfahrensvorschriften, insbesondere ein Verbot der Beweisstrengebeschränkung, vorgegeben
BGE 116 II 21 S. 27
werden müssten. Ein solcher indirekter Eingriff in das Verfahrensrecht der Kantone durch die Rechtsprechung ginge aber umso weniger an, als der Bundesgesetzgeber ausdrücklich vorgesehen hat, dass die Gütertrennung (auch) im Eheschutzverfahren angeordnet werden kann.
Damit hat der Bundesgesetzgeber aber auch die (oben E. b) erwähnte Unzulänglichkeit hingenommen, die darin besteht, dass die Gütertrennung im summarischen Verfahren angeordnet wird und nur mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann, während über die daran anschliessende güterrechtliche Auseinandersetzung im ordentlichen kantonalen Verfahren und im Berufungsverfahren vor Bundesgericht entschieden wird.
3.
Ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts begründet, so muss der Richter nach
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
auf Begehren eines Ehegatten die Gütertrennung anordnen, wenn es die Umstände rechtfertigen.
Das Obergericht hat dem Begehren der Ehefrau um Anordnung der Gütertrennung im Sinne dieser Bestimmung keine Folge geleistet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Gütertrennung, die eine sehr einschneidende Massnahme sei und das Ziel des Eheschutzes, die Eheleute wieder zu vereinigen, eher erschweren als erleichtern dürfte, sollte nur mit grosser Zurückhaltung angeordnet werden. An die im Gesetz erwähnten "Umstände" sollte daher ein strenger Massstab angelegt werden. Eine andere Praxis könnte zur Unterlaufung des Instituts der gerichtlichen Trennung nach
Art. 147 ZGB
führen. Im vorliegenden Fall könne eine Gefährdung der finanziellen Interessen der Ehefrau weder im selbständigen Verkauf des Einfamilienhauses durch den Ehemann noch in seiner Erklärung gemäss Art. 9d SchlTZGB erblickt werden. Der Ehemann habe lediglich vom Gesetz erlaubte Möglichkeiten genutzt; darin könne kein rechtsmissbräuchliches Verhalten gesehen werden. Zudem habe die Ehefrau nicht einmal behauptet, ihre eigenen finanziellen Interessen oder jene der Gemeinschaft seien durch das Verhalten des Ehemannes gefährdet. Die Behauptung der Ehefrau, ihre finanziellen Interessen seien prekär, vermöchten nicht zu genügen.
In seiner Vernehmlassung unterstreicht das Obergericht des Kantons Luzern noch einmal, dass die Anordnung der Gütertrennung wegen ihres einschneidenden Charakters nur in Frage kommen könne, wenn die finanziellen Interessen eines Ehegatten wirklich gefährdet seien. Reine Billigkeitsüberlegungen fielen
BGE 116 II 21 S. 28
daher ebensowenig ins Gewicht wie der Umstand, dass mit einer länger dauernden Trennung der Ehegatten zu rechnen sei. Die Ehefrau hätte somit zumindest glaubhaft machen müssen, dass ihre finanziellen Interessen während der länger dauernden Trennung ernstlich gefährdet seien, was sie aber nicht getan habe.
4.
Die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft des neuen Eherechts, zu denen
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
gehört, sind vom Bundesgesetzgeber umfassender und der Tendenz nach auch griffiger als im alten Recht ausgestaltet worden. Indessen sind Sinn und Zweck der Eheschutzmassnahmen unverändert geblieben: Sie sind auf Aussöhnung der Ehegatten, auf Vermeidung künftiger oder Behebung bestehender Schwierigkeiten ausgerichtet und wollen verhindern, dass die Uneinigkeit der Ehegatten zur völligen Entfremdung führt (Botschaft, BBl 1979 II 1271 f.; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 8, 9 zu Vorbemerkungen vor
Art. 171 ff. ZGB
(S. 378 f.), N 17 zu
Art. 175 ZGB
; NÄF-HOFMANN, Das neue Ehe- und Erbrecht im Zivilgesetzbuch, 2. Auflage Zürich 1989, N 411 f., 424; BERSIER, Le juge et le nouveau droit du mariage, in: Le nouveau droit du mariage, Travaux des journées d'étude de la Faculté de droit de l'Université de Lausanne des 7 et 8 mars 1986, Lausanne 1986, S. 121, 125; VOGEL, Schutz der ehelichen Gemeinschaft I, in: Das neue Eherecht, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Band 26, St. Gallen 1987, S. 115 f., 125 unten; WEBER, Schutz der ehelichen Gemeinschaft II, in: Das neue Eherecht, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, Band 26, St. Gallen 1987, S. 155).
Voraussetzung für die Anordnung der Gütertrennung durch den Eheschutzrichter ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts, die ihrerseits - nach
Art. 175 ZGB
- nur zulässig ist, wenn die Persönlichkeit eines Ehegatten, seine wirtschaftliche Sicherheit oder das Wohl der Familie durch das Zusammenleben gefährdet ist. Es drängt sich also auf, die "Umstände" im Sinne von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
unter dem Blickwinkel von
Art. 175 ZGB
zu sehen und folglich vor allem die Frage nach der Gefährdung der wirtschaftlichen Sicherheit des Ehepartners, der um Gütertrennung nachsucht, zu stellen (Botschaft, BBl 1979 II 1278; WEBER, a.a.O., S. 155; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 38 zu
Art. 176 ZGB
). Denkbar ist allerdings auch, dass der Schutz der Persönlichkeit eines Ehegatten die Gütertrennung als notwendig erscheinen
BGE 116 II 21 S. 29
lässt. Insofern lässt sich in der Tat nicht die - vom Obergericht des Kantons Luzern offenbar vertretene - Meinung aufrechterhalten, an die im Gesetz erwähnten "Umstände" müsse ein strenger Massstab angelegt werden und es gehe demnach ausschliesslich um die wirtschaftlichen Interessen im engsten Sinne. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, enthält
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
sinngemäss einen Verweis auf
Art. 4 ZGB
.
Das kann freilich nicht bedeuten, dass der Eheschutzrichter irgendwelche Umstände zu berücksichtigen und, schlicht dem Wunsch des die Gütertrennung verlangenden Ehegatten entsprechend und die konkrete Situation ausser acht lassend, einen Billigkeitsentscheid zu treffen hätte. Vielmehr ist - wie erwähnt -
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
mit Blick auf die Umstände anzuwenden, die nach
Art. 175 ZGB
zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben. So sind wohl auch HAUSHEER/REUSSER/GEISER (N 38 zu
Art. 176 ZGB
) zu verstehen, worauf die Beschwerdeführerin verweist. In diesem Rahmen aber soll der Eheschutzrichter alle Umstände prüfen, in denen die Ehegatten leben, und im Hinblick darauf über die Anordnung der Gütertrennung entscheiden. Dass dabei die Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund steht, liegt auf der Hand; doch sind andere Überlegungen wirtschaftlicher Natur oder auch solche, die mit Rücksicht auf die Person der Ehegatten angestellt werden, nicht vorweg ausgeschlossen (zum Beispiel Berufswünsche, deren Erfüllung ein gewisses, vom andern Ehepartner aber grundlos verweigertes Kapital erfordern).
5.
Geht man von den soeben dargelegten Überlegungen aus, so scheint es, dass das Obergericht des Kantons Luzern (das sich vorwiegend auf die Meinung von WEBER (a.a.O., S. 155) stützt)
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
eher zu eng ausgelegt hat. Doch heisst das noch nicht, dass das Obergericht deswegen geradezu in Willkür verfallen wäre. Als willkürlich würde das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid vielmehr nur aufheben, wenn er die angerufene Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzte oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderliefe (
BGE 114 Ia 27
f. E. 3b,
BGE 113 Ia 19
f. E. 3a, 28 f. E. 1a,
BGE 113 Ib 311
E. 2a,
BGE 113 III 8
E. 1a, 84 E. 2a mit weiteren Hinweisen). Ob dieser qualifizierte Vorwurf gegenüber dem angefochtenen Entscheid erhoben werden kann, lässt sich nur beurteilen, wenn geprüft wird, mit welchen Vorbringen der Ehefrau sich das Obergericht auseinanderzusetzen hatte.
BGE 116 II 21 S. 30
a) Mit der staatsrechtlichen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin zum einen geltend, die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts sei durch den Ehemann eingeleitet worden, indem er ohne Mitwirkungsmöglichkeit der Ehefrau die vordem eheliche Wohnung veräussert habe. Zum andern behauptet die Beschwerdeführerin, eine Wiedervereinigung der Parteien sei äusserst unwahrscheinlich.
Diese Vorbringen genügen nicht, um dem Obergericht des Kantons Luzern Willkür anzulasten. Darin, dass der Ehemann noch kurz vor Inkrafttreten des revidierten Eherechts, das die ausdrückliche Zustimmung der Ehefrau bei der Veräusserung der Familienwohnung zwingend vorsieht (
Art. 169 ZGB
), die Familienwohnung verkauft hat, hätte tatsächlich ein Umstand liegen können, der Massnahmen des Eheschutzrichters - und damit allenfalls auch die Gütertrennung - gerechtfertigt hätte. Obschon der Ehemann mit der Veräusserung eine unter altem Recht ihm allein zustehende Befugnis ausgeübt hat, weist sein Vorgehen unmittelbar vor Inkrafttreten des neuen Rechts doch darauf hin, dass das Wohl der Familie hätte gefährdet sein können (Zwang zur Wohnungssuche unter Zeitdruck, vielleicht Verletzung der Unterhaltspflicht im weiteren Sinne). Jedoch hat die Beschwerdeführerin nach den unangefochtenen Feststellungen im Entscheid des Obergerichts nie Derartiges behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht.
Der Umstand, dass eine Wiedervereinigung äusserst unwahrscheinlich sei, wie die Beschwerdeführerin ohne nähere Begründung behauptet, gäbe allenfalls Grund zur Klage auf Scheidung oder Trennung der Ehe, ist aber für sich allein kein "Umstand" im Sinne von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
, der den Richter bereits zur Anordnung der Gütertrennung veranlassen müsste.
b) Die Beschwerdeführerin bringt freilich noch vor, sie habe im kantonalen Verfahren sehr wohl aufgezeigt, dass durch die Nichtanordnung der Gütertrennung ihre wirtschaftlichen Interessen verletzt, mithin gefährdet würden. Sie habe auch darauf aufmerksam gemacht, dass sie als alleinstehende bzw. alleinerziehende Person auf ein gewisses Eigenkapital angewiesen sei; und zu diesem Eigenkapital komme sie nur, wenn die Gütertrennung angeordnet werde. Im Verlaufe des Rekursverfahrens habe sich ihre finanzielle Situation zugespitzt, so dass sie nicht einmal mehr in der Lage gewesen sei, ihren Steuerverbindlichkeiten nachzukommen.
BGE 116 II 21 S. 31
Soweit in diesen Ausführungen nicht unzulässige neue Vorbringen zu erblicken sind (
BGE 109 Ia 314
E. 1,
BGE 108 II 71
E. 1 mit Hinweisen), vermögen sie die Auffassung der Beschwerdeführerin, das Obergericht habe in krasser Weise sein Ermessen unterschritten und sei damit in Willkür verfallen, nicht zu stützen. Die Gütertrennung drängt sich im Eheschutzverfahren allenfalls als ultima ratio auf (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N 38 zu
Art. 176 ZGB
; WEBER, a.a.O., S. 155). Die Beschwerdeführerin legt aber nicht dar, dass andere von ihr verlangte Massnahmen - etwa die Verpflichtung des Ehemannes zu Unterhaltsleistungen oder allenfalls zur Zahlung weiterer Beiträge, die der Ehemann aufgrund seiner allgemeinen Unterstützungspflicht gemäss
Art. 159 ZGB
schuldet - nicht zum Erfolg geführt hätten und dass deshalb ihre wirtschaftliche Sicherheit gefährdet worden wäre.
c) Richtig ist, dass die der Ehefrau allenfalls zustehenden Erträgnisse aus dem Eigengut und der Errungenschaft vorläufig dem Ehemann zufallen. Diese Erträgnisse sind indessen in die Berechnung des Einkommens des Ehemannes einzubeziehen, das Grundlage für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau bildet, und insofern ist sie mittelbar an diesen Erträgnissen beteiligt. Jedenfalls lässt sich dem Obergericht des Kantons Luzern nicht Willkür vorwerfen, weil es im Umstand, dass die Erträgnisse dem Ehemann zufallen, keine die Gütertrennung rechtfertigende Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen der Ehefrau gesehen hat.
d) Nicht offensichtlich unhaltbar ist es ferner, dass das Obergericht es abgelehnt hat, reine Billigkeitsüberlegungen anzustellen, indem es nur gerade dem - an sich verständlichen - Wunsch der Ehefrau, schon jetzt über ein bestimmtes Kapital frei verfügen zu können, stattgegeben hätte.
Dass die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts durch den Ehemann eingeleitet worden sei, weil er die eheliche Wohnung verkauft hat, ist eine blosse Behauptung der Beschwerdeführerin und für sich allein, aber auch zusammen mit den übrigen Behauptungen nicht geeignet, eine willkürliche Anwendung von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
darzutun.
Aus den Vorbringen der Ehefrau im kantonalen Rekursverfahren ergibt sich nichts, was den Vorwurf rechtfertigen würde, das Obergericht des Kantons Luzern habe in Missachtung dieser Vorbringen und des unter dem Gesichtspunkt von
Art. 176 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
erheblichen Sachverhalts einen willkürlichen Entscheid gefällt. Sie hat im kantonalen Verfahren nur ausgeführt, der
BGE 116 II 21 S. 32
Ehemann habe die eheliche Wohnung am 30. Dezember 1987 verkauft und damit die Rechtsfolgen von
Art. 169 Abs. 1 ZGB
umgehen wollen. Der Feststellung des Obergerichts, dass nichts auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Ehemannes hinweise, setzt aber die Beschwerdeführerin kein stichhaltiges Argument entgegen.
e) Die Ehefrau hat im kantonalen Verfahren auch vorgebracht, der Ehemann habe am 17. Dezember 1987 die Erklärung gemäss Art. 9d Abs. 2 SchlTZGB abgegeben, was nach der Lehre zwar kein besonderer Auflösungsgrund sei, aber im Zusammenhang mit der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts als Grund für die Anordnung der Gütertrennung betrachtet werden müsse. Ob es richtig ist, wenn das Obergericht des Kantons Luzern sich dieser Auffassung nicht angeschlossen hat, könnte höchstens bei freier Prüfung (im Berufungsverfahren) beurteilt werden; offensichtlich unhaltbar ist der Standpunkt des Obergerichts aber auf jeden Fall nicht. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus HAUSHEER/REUSSER/GEISER (N 38 zu
Art. 176 ZGB
) herleiten, worauf sich die Beschwerdeführerin stützt. Es ergibt sich daraus nur, dass die Umstände, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, allenfalls hinreichenden Anlass für die Anordnung der Gütertrennung geben können, wenn keine anderen Massnahmen zur Behebung der ehelichen Schwierigkeiten taugen.
Anders wäre wohl zu entscheiden, wenn die Beschwerdeführerin aus dem tatsächlich ehefeindlichen Verhalten des Ehemannes auf eine bewusste Absicht, sie zu schädigen, hätte schliessen müssen. Eine solche Absicht könnte berechtigtes Misstrauen wecken, und es wäre ihr mit der Anordnung der Gütertrennung zu begegnen. So gesehen, ist es unzutreffend, wenn das Obergericht des Kantons Luzern - sich an WEBER (a.a.O., S. 155) anlehnend - ausführt, die Gütertrennung würde die Wiedervereinigung der Ehegatten eher erschweren denn erleichtern. Eine umgekehrte, die Ehe stützende Entwicklung könnte nach der Anordnung der Gütertrennung ebensogut eintreten. Doch darüber hat die Ehefrau im kantonalen Verfahren kein Wort verloren, so dass das Obergericht keinen Anlass hatte, den Sachverhalt in dieser Richtung weiter abzuklären. Der Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich deshalb auch hier als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
022a0af2-2a16-4462-876b-471c4653b9c3 | Urteilskopf
85 II 70
14. Estratto della sentenza 27 febbraio 1959 della II Corte civile nella causa S. contro S. | Regeste
Ehescheidung, güterrechtliche Auseinandersetzung (
Art. 154 ZGB
).
Schmucksachen, die der Ehemann seiner Gattin gab und die nicht Familienschmuck sind, kann er bei Scheidung der Ehe nicht zurückverlangen, er vermöge denn nachzuweisen, dass er sie der Frau nur zum Tragen an bestimmten Anlässen anvertraut hatte oder dass die Rückgabe im Fall einer Ehescheidung vereinbart worden war. | Erwägungen
ab Seite 70
BGE 85 II 70 S. 70
A differenza del pretore, il Tribunale di appello ha ritenuto che i preziosi custoditi dalla Banca dello Stato non potessero essere riconosciuti proprietà della moglie e ne ha computato il valore di stima, di 9400 fr., nella sostanza coniugale. Esso ha considerato che incombeva alla convenuta provare che detti preziosi le erano stati donati dall'attore, che in concreto tale prova non era stata fornita e che comunque, se donazione vi fosse stata, l'attore era in diritto d'esigere la restituzione dei preziosi perchè la convenuta aveva gravemente contravvenuto, con l'adulterio, ai suoi obblighi di famiglia verso il donante (art. 249 num. 2 CO).
Tale ragionamento non può essere condiviso, già nella misura in cui ha escluso che vi fosse stata donazione dei gioielli. Nella sentenza RU 71 II 255, il Tribunale federale ha bensì detto che, nel caso di coniugi i quali vivono insieme, non torna applicabile la presunzione dell'art. 930 CC che il possessore di una cosa mobile ne è anche il proprietario.
BGE 85 II 70 S. 71
Ciò non significa però che un coniuge, quando si prevale del possesso e dell'uso di una cosa mobile, debba lui medesimo provare in tutti i casi che l'altro gliel'ha donata. In realtà, la donazione può risultare dalle circostanze, per esempio dal fatto che gli oggetti di cui si tratta non furono acquistati da un coniuge per collocare dei capitali e sono per la loro natura destinati all'esclusivo uso dell'altro coniuge. Se queste due condizioni sono adempiute, la presunzione deve essere, in assenza di elementi giustificanti una conclusione diversa, che la consegna degli oggetti è avvenuta a titolo di donazione e non a titolo di semplice comodato, già perchè gli oggetti di cui si tratta corrispondono alla definizione di beni riservati giusta l'art. 191 cp. 1 CC. Nella fattispecie, il Tribunale di appello ha negato che l'attore abbia acquistato gioielli per scopi di tesaurizzazione. Ne segue che l'acquisto dovette necessariamente essere fatto, tenuto conto della natura dei gioielli comperati, per l'esclusivo uso personale della convenuta. Così stando le cose, devesi convenire che, se veramente intendeva affidare i gioielli alla moglie soltanto perchè li portasse in determinate occasioni, l'attore avrebbe dovuto precisare tale circostanza e garantirsi i necessari mezzi di prova già al momento della consegna dei gioielli. Non avendolo fatto, egli non può limitarsi oggi ad affermare che nel suo caso particolare vi sarebbe stato comodato e non donazione. Quanto precede non è inconciliabile con la citata sentenza RU 71 II 255, poichè si trattò allora di decidere se la donazione potesse essere presunta per gioielli di valore che il marito aveva ereditati da sua madre. Una contraddizione è esclusa, tanto più che già in quella sentenza, pur trattandosi di gioielli di famiglia, il Tribunale federale definì dubbia, nella migliore ipotesi, l'opinione che il comodato fosse la regola, per lo meno tra persone use a possedere gioielli di quella natura.
Neppure la tesi del Tribunale di appello, fondata tra l'altro sul parere di KNAPP (Le régime matrimonial de l'union des biens, pag. 292/293), che la convenuta dovrebbe
BGE 85 II 70 S. 72
comunque restituire i gioielli in applicazione dell'art. 249 cp. 2 CO può essere condivisa nella fattispecie. Certo, l'obbligo di restituzione è stato sancito, quando la moglie abbia gravemente contravvenuto ai suoi obblighi verso il marito, dalla citata sentenza RU 71 II 255. Ma è già stato detto che quella sentenza concerneva gioielli che il marito aveva ereditati dalla madre. Sarebbe urtante - considerò il Tribunale federale - se gioie di famiglia, che il marito ha affidate alla moglie in certo senso come alla persona che ha preso il posto di sua madre in seno alla famiglia, fossero lasciate alla moglie medesima quando per sua colpa cessa di occupare tale posto. Basta questa citazione a dimostrare che la restituzione dei gioielli fu allora ordinata per motivi del tutto speciali. Riservati tali casi eccezionali, un coniuge non può pretendere, per causa di divorzio, la restituzione dei doni fatti all'altro, quand'anche egli fosse coniuge innocente. In assenza di una prescrizione esplicita del diritto matrimoniale, non è in particolare lecito far riferimento analogetico, per giustificare la restituzione dei doni tra coniugi in caso di divorzio, all'art. 477 CC concernente i motivi di diseredazione. Come il Tribunale federale ha esposto nella sentenza inedita 9 ottobre 1947 relativa alla causa Iseli (consid. 1), non si può infatti presumere che le donazioni tra coniugi siano fatte alla condizione che il matrimonio non sia sciolto per divorzio; tale condizione deve, salvo nei casi speciali come quello della donazione di gioielli di famiglia, essere stata stipulata. In concreto, l'attore non pretende e non ha in ogni modo provato che la restituzione dei gioielli in caso di divorzio fosse stata stipulata, sia pure implicitamente. Di conseguenza, i gioielli vanno riconosciuti proprietà della convenuta, tanto più che il divorzio è stato pronunciato per adulterio di ambedue le parti e l'attore nemmeno può invocare a suo favore di essere coniuge innocente. | public_law | nan | it | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
023265bb-a31e-47cc-9b93-b64a550c4dac | Urteilskopf
117 IV 203
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1991 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 21 UWG
,
Art. 1 und
Art. 2 AV
. Bewilligungspflichtiger Sonderverkauf.
1. Eine Veranstaltung im Sinne von
Art. 2 AV
ist bewilligungspflichtig, wenn sie sich auf das gesamte Warensortiment des Veranstalters und damit auch auf der AV unterstellte Waren bezieht (E. 2a).
2. Vorübergehende Natur einer Veranstaltung, bei der gemäss öffentlicher Ankündigung 130'000 Gutscheine über Fr. 10.-- für ein -Preis-Abonnement der schweizerischen Transportunternehmungen beim Kauf von beliebigen Waren für mindestens Fr. 30.-- aus dem Sortiment des Veranstalters abgegeben werden (E. 2b/aa).
Abgabe solcher Gutscheine als Zugabe (E. 2b/bb).
3. Der Vorsatz setzt voraus, dass der Täter weiss oder in Kauf nimmt, die öffentlich angekündigte Veranstaltung beziehe sich auch auf der AV unterstellte Waren (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 117 IV 203 S. 204
A.-
In den Tageszeitungen "Der Bund", "Bieler Tagblatt" und "Journal du Jura" erschien am 5. Dezember 1988 ein Inserat der Firma Denner AG. In dessen Zentrum befand sich oval eingerahmt folgender Text: "Pro Einkauf ab Fr. 30.--: Denner schenkt Ihnen Fr. 10.-- an ein neues 1/2-Preis-Abo. Sie bezahlen nur Fr. 90.-- statt Fr. 100.--." Rechts oberhalb davon war zu lesen: "130'000 1/2-Preis-Abo-Gutscheine". Darunter findet sich folgender Text: "Nur solange Vorrat - Pro Einkauf ab Fr. 30.-- erhalten Sie max. zwei Gutscheine, die in jeder SBB-Station einlösbar sind. - Jeder Gutschein ist drei Jahre gültig. - Reservationen sind leider nicht möglich. - Erhältlich in allen Denner-Filialen und in den meisten Denner-Satelliten."
Verantwortlich für diese Inserataktion ist X., Marketing-Direktor der Firma Denner.
Die Gutscheine wurden auch beim Kauf von Non-food-Artikeln abgegeben.
Eine Bewilligung für die öffentliche Ankündigung von ausverkaufsähnlichen Veranstaltungen im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 UWG
war nicht eingeholt worden.
B.-
Der Gerichtspräsident VII von Bern sprach X. am 10. November 1989 frei von der Anschuldigung der Widerhandlung gegen die Ausverkaufsverordnung.
C.-
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft verurteilte das Obergericht des Kantons Bern am 26. April 1990 X. wegen Widerhandlung gegen die Ausverkaufsverordnung, vorsätzlich begangen durch Durchführung eines bewilligungspflichtigen Sonderverkaufs ohne Bewilligung im Dezember 1988 in Bern und anderswo, zu einer Busse von Fr. 500.--.
E.-
X. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
F.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
BGE 117 IV 203 S. 205
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 21 Abs. 1 UWG
braucht es für die öffentliche Ankündigung und die Durchführung von Ausverkäufen oder ähnlichen Veranstaltungen, bei denen vorübergehend besondere Vergünstigungen in Aussicht gestellt werden, eine Bewilligung der zuständigen kantonalen Behörde. Nach
Art. 25 Abs. 1 UWG
wird mit Haft oder Busse bis zu 20'000 Franken bestraft, wer vorsätzlich den Ausverkaufsvorschriften (Art. 21) zuwiderhandelt. Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse (Abs. 2). Gemäss Art. 2 Abs. 1 der Verordnung über Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen (Ausverkaufsverordnung, AV; SR 241.1) sind Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen Veranstaltungen des Detailverkaufs, bei denen dem Käufer durch öffentliche Ankündigung vorübergehend besondere Vergünstigungen in Aussicht gestellt werden, die der Verkäufer sonst nicht gewährt. Gemäss
Art. 26 UWG
sind für Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben durch Beauftragte und dergleichen
Art. 6 und 7 VStrR
anwendbar. Wird eine Widerhandlung beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person begangen, so sind die Strafbestimmungen auf diejenigen natürlichen Personen anwendbar, welche die Tat verübt haben (
Art. 6 Abs. 1 VStrR
).
Der Beschwerdeführer ist unstrittig verantwortlich für die am 5. Dezember 1988 erschienenen Inserate. Zu prüfen ist demnach, ob die darin angekündigte Aktion eine "ähnliche Veranstaltung" im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 UWG
darstellt.
2.
a) Ähnliche Veranstaltungen im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 UWG
kommen gemäss
Art. 1 Abs. 2 lit. a AV
nicht in Betracht bei Sonderverkäufen für Nahrungs- und Genussmittel, Tierfutter, Schnittblumen und von allen Artikeln des täglichen Gebrauchs, die der Reinigung oder der Körperpflege dienen. Die 1/2-Preis-Abo-Gutscheine (nachstehend jeweils kurz Gutscheine) wurden jedoch auch beim Einkauf auf Waren abgegeben, für welche die Vorschriften betreffend Sonderverkäufe gelten (von der Ausnahmeregelung nicht erfasste Non-Foods).
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, entscheidend sei nicht, dass sich aufgrund der Inserate die Aktion auch auf von der AV erfasste Non-food-Artikel bezogen habe, und sich statt dessen auf eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" stützen will, ist er, soweit er damit den objektiven Tatbestand in Frage stellen sollte, nicht zu hören. Denn objektiv genügt, dass sich die Aktion nach
BGE 117 IV 203 S. 206
ihrem Wortlaut auch auf von der AV erfasste Non-food-Artikel bezog. Ebenso ist unerheblich, dass das 1/2-Preis-Abonnement nicht einen Non-food-Artikel, sondern einen Ausweis für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zum halben Preis darstellt. Denn der Beschwerdeführer hat nicht 1/2-Preis-Abonnemente zu einem günstigeren Preis angeboten, sondern Waren, die der AV unterstehen, und beim Kauf dieser Waren Gutscheine abgegeben, auf deren Charakter als vorübergehend gewährte Vergünstigung unten einzugehen ist.
b) Unstrittig wurde die Aktion öffentlich angekündigt und handelte es sich dabei um eine Veranstaltung des Detailverkaufs. Zu prüfen ist, ob dem Käufer besondere Vergünstigungen in Aussicht gestellt wurden und ob diese nur vorübergehender Natur waren. Das sind vom Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zu überprüfende Rechtsfragen. Bei deren Beurteilung kommt es nicht darauf an, welchen Sinn der Veranstalter der Ankündigung beigelegt hat, sondern ist der Eindruck massgebend, den die Ankündigung auf den unbefangenen Durchschnittsleser macht (
BGE 116 IV 164
, 170, je mit Hinweisen).
aa) Die in den Inseraten angekündigte Aktion war bloss vorübergehender Natur. Zwar wurde sie zeitlich und datumsmässig nicht klar begrenzt. Dem Käufer wurde in den Inseraten aber unmissverständlich mitgeteilt, dass das Angebot nur so lange gelte, bis die 130'000 Gutscheine verteilt seien. Das konnte angesichts der Vielzahl der Denner-Filialen in der ganzen Schweiz sowie unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass gemäss der Ankündigung der Gutschein schon bei einem Einkauf ab Fr. 30.-- abgegeben wurde und zudem drei Jahre lang gültig war, nicht lange Zeit dauern. Für den Leser galt es also möglichst rasch zu handeln, d.h. einen Einkauf über mindestens Fr. 30.-- zu tätigen. Dies wurde ihm gemäss den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid noch durch die ausdrücklichen Hinweise "nur solange Vorrat" (dazu
BGE 116 IV 170
) und "Reservationen sind leider nicht möglich" mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Dass sich vorliegend das Gutscheinsangebot nicht auf eine bestimmte, sondern auf sämtliche angebotene Waren bezog und dass es damit von der Entscheidung des Kunden abhing, beim Kauf welcher Waren im Einzelfall der Gutschein abgegeben wurde, ändert daran nichts. Der Aussagegehalt der Aktion lässt sich nämlich wie folgt formulieren: Während der beschränkten Zeitdauer, wo Gutscheine im Laden vorhanden sind, geben wir auf jedes Warenpaket im Werte
BGE 117 IV 203 S. 207
von mindestens Fr. 30.-- einen Gutschein ab. Daraus wird deutlich, dass auf die vom Käufer bestimmten Waren während einer beschränkten Zeit die Gutscheine abgegeben wurden.
bb) In den inkriminierten Inseraten wurden den Käufern nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil besondere Vergünstigungen im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 UWG
und
Art. 2 Abs. 1 AV
in Aussicht gestellt. Eine solche besondere Vergünstigung kann nicht nur in der Gewährung von Preisreduktionen auf den vom Verkäufer angebotenen Waren, sondern auch in sog. Zugaben bestehen (vgl.
BGE 97 IV 247
,
BGE 90 IV 110
/111,
BGE 89 IV 218
, je mit Hinweisen; RUDOLF FLÜELER, Die rechtliche Regelung des Ausverkaufswesens in der Schweiz, Diss. Bern 1957, S. 77, LUCAS DAVID, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 1988, S. 145, 147; siehe auch die BIGA-Empfehlungen vom 1. März 1988 zum Vollzug der Ausverkaufsverordnung, Ziff. 1347). Die Abgabe eines Gutscheins über Fr. 10.-- für ein 1/2-Tax-Abonnement beim Kauf von Waren für mindestens Fr. 30.-- stellt eine solche Zugabe dar. Beim fraglichen Gutschein handelt es sich keineswegs bloss um einen geringwertigen Reklamegegenstand (s. dazu
BGE 103 IV 213
) oder um eine kleine Gefälligkeit, sondern um einen wirtschaftlichen Wert. Der Käufer konnte durch Investition von Fr. 30.-- (für den Kauf von Waren in einer Denner-Filiale) und von Fr. 90.-- (für den Kauf eines 1/2-Tax-Abonnements zum tatsächlichen Preis von Fr. 100.--), also von total Fr. 120.--, etwas erwerben, was effektiv Fr. 130.-- wert war, und auf diese Weise in den Genuss eines "Rabatts" von 7,6% gelangen. Dass der im Gutschein liegende wirtschaftliche Wert von Fr. 10.-- nur durch den Kauf eines 1/2-Tax-Abonnements realisiert werden konnte, ändert nichts. Das 1/2-Tax-Abonnement erfreut sich grosser Beliebtheit und wird von weiten Kreisen der Bevölkerung gekauft. Es darf zudem davon ausgegangen werden, dass gerade diejenigen Personen, welche ohnehin die Absicht hatten, ein 1/2-Tax-Abonnement zu kaufen bzw. ihr Abonnement zu erneuern, vom öffentlich angekündigten Angebot der Denner AG Gebrauch machen wollten und daher möglichst rasch einen Einkauf für mindestens Fr. 30.-- tätigten. Die Aktion war zur Anregung der Kauflust geeignet.
cc) Nun liesse sich einwenden, dass die strafrechtliche Verfolgung einer Aktion, wie sie hier zu beurteilen ist, vom Sinn und Zweck der Ausverkaufsverordnung, die sich auf das UWG abstützt, nicht mehr gedeckt sei (wie der erstinstanzliche Richter
BGE 117 IV 203 S. 208
angenommen hat). In der Tat kann man sich fragen, ob die nur eingeschränkte Zulässigkeit von Sonderverkäufen noch sinnvoll ist, da täuschende Verkaufsbedingungen und Angebotsgestaltung sowie Fälle unlauterer Werbung ohnehin vom UWG erfasst sind. Die Beibehaltung der Regelung betreffend die Sonderverkäufe entspricht jedoch einer gesetzgeberischen Entscheidung (
BGE 116 IV 169
E. 3b).
Der Beschwerdeführer hat somit den objektiven Tatbestand von
Art. 25 UWG
erfüllt.
3.
Die Vorinstanz bejaht den Vorsatz mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe die fragliche Veranstaltung "wissentlich und willentlich ohne Einholung einer Bewilligung" durchgeführt. Der Beschwerdeführer macht geltend, es entspreche "bloss einem redaktionellen Versehen", dass in den inkriminierten Inseraten "Spirituosen, Tabak- und Non-food-Artikel nicht ausgenommen wurden". Damit bestreitet er sinngemäss den Vorsatz. Der Beschwerdeführer hatte gemäss dem Polizei-Rapport vom 20. März 1989 schon anlässlich seiner ersten Einvernahme auf den Vorhalt, dass auch Non-food-Artikel in die angekündigte Aktion einbezogen seien, erklärt, "dass dies seinerzeit übersehen worden sei und dass bei der nächsten Abo-Aktion der Zusatz verwendet werde: (ausgenommen Spirituosen, Tabak- und Non-food-Artikel)".
Vorsätzliche Widerhandlung gegen die Ausverkaufsvorschriften gemäss
Art. 25 Abs. 1 UWG
setzt entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht nur voraus, dass der Täter mit Wissen und Willen eine bewilligungspflichtige Veranstaltung ohne Einholung einer Bewilligung durchgeführt hat, sondern überdies, dass er das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für die Bewilligungspflicht gekannt hat. Wenn der Beschwerdeführer davon ausgegangen sein sollte, das inkriminierte Inserat beziehe sich nur auf Waren, für die gemäss
Art. 1 Abs. 2 lit. a AV
die Ausverkaufsverordnung nicht gilt, dann fehlte ihm der entsprechende Vorsatz. Das angefochtene Urteil enthält keine diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen. Die Sache ist daher insoweit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich nach Ergänzung des Sachverhalts erneut über das Vorliegen des Vorsatzes und im Falle von dessen Verneinung zur Frage der fahrlässigen Tatbegehung im Sinne von
Art. 25 Abs. 2 UWG
auszusprechen haben. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
0233fe3c-6c95-4f89-a7d5-5ffced61f85d | Urteilskopf
108 Ib 316
58. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. Juni 1982 i.S. Wehrsteuerverwaltung des Kantons Bern gegen U.W.S. und Kantonale Rekurskommission Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 22 Abs. 1 lit. a und e, Art. 23 WStB.
Unterhaltsaufwendungen an einem neu erworbenen Grundstück können bei Privat- und Geschäftsliegenschaften nicht vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Diese Praxis gilt auch für (buchführende und nichtbuchführende) Landwirte, die ein landwirtschaftliches Heimwesen nicht zum Verkehrs-, sondern zum landwirtschaftlichen Ertragswert erworben haben. | Sachverhalt
ab Seite 316
BGE 108 Ib 316 S. 316
U.W.S. bewirtschaftete seit 1964 den Bauernhof seines Vaters als Pächter. Seit 1967 führt er als Betriebsinhaber eine doppelte RUF-Buchhaltung, deren Ergebnisse die Veranlagungsbehörden jeweils der Wehrsteuerveranlagung zu Grunde legen. Mit Kaufvertrag vom 20. Dezember 1974 übernahm er den Hof zum amtlichen (Ertrags-) Wert zu Eigentum, wobei der Übergang von Nutzen und Gefahr rückwirkend auf den 1. Januar 1974 vereinbart wurde.
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In der 18. Wehrsteuerperiode beanspruchte er einen Abzug von Unterhaltskosten für die gepachteten und dann zu Eigentum erworbenen Grundstücke, die er u.a. im Bemessungsjahr 1974 in seinen Geschäftsabschlüssen als Aufwand verbucht hatte. Die Veranlagungsbehörde rechnete den 1974 als Aufwand verbuchten Betrag zum wehrsteuerpflichtigen Einkommen auf. U.W.S. erhob Einsprache, die von der Veranlagungsbehörde abgewiesen wurde, und anschliessend Beschwerde bei der kantonalen Rekurskommission Bern.
Die kantonale Rekurskommission hiess in ihrem Urteil vom 31. August 1979 die Beschwerde gut. Sie ging in ihrer Begründung davon aus, dass die in
BGE 99 I 362
ff. eingeleitete Rechtsprechung, wonach die unmittelbar nach dem Erwerb einer Liegenschaft an dieser ausgeführten Arbeiten für die Wehrsteuer nicht als Unterhaltskosten abgezogen werden könnten, für zum Ertragswert erworbene landwirtschaftliche Liegenschaften nicht Anwendung finde.
Gegen diesen Rekursentscheid führt die Wehrsteuerverwaltung des Kantons Bern Verwaltungsgerichtsbeschwerde, mit der sie Herstellung der ursprünglichen Veranlagung beantragt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB werden vom rohen Einkommen die Kosten des Unterhalts von Grundstücken und Gebäuden während der Berechnungsperiode abgezogen. Nicht in Abzug gebracht werden können die Aufwendungen für Anschaffung oder Verbesserung von Vermögensgegenständen (Art. 23 WStB). Während früher Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB immer dann zur Anwendung gebracht wurde, wenn es sich um Unterhaltsarbeiten in technischem Sinne handelte, hat das Bundesgericht in
BGE 99 Ib 362
ff. eine Praxisänderung vorgenommen und erkannt, dass auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise abzustellen ist, da nur dann die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen richtig erfasst wird. Im Augenblick, wo das Grundstück in das Vermögen des Steuerpflichtigen eintritt, repräsentiert es einen bestimmten Wert, der insbesondere von seinem Unterhaltszustand abhängt. Einzig die Ausgaben, die notwendig sind zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung dieses Zustandes, sind gemäss Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB vom Roheinkommen abziehbar. Unterhaltsaufwendungen
BGE 108 Ib 316 S. 318
im technischem Sinn, die eine Wertvermehrung über den Wert im Zeitpunkt des Kaufs hinaus bewirken, sind als Aufwendungen für Anschaffung oder Verbesserung von Vermögensgegenständen im Sinne von Art. 23 WStB zu betrachten (a.a.O., S. 365). Daher können Kosten von Unterhaltsarbeiten, die unmittelbar nach dem Grundstückserwerb vorgenommen werden, in der Regel nicht vom Einkommen abgezogen werden. Nur jene Kosten sind abziehbar, die notwendig sind für die Beseitigung eines Schadens, der seit dem Erwerb eintrat. Auf diese Weise wird auch die Rechtsgleichheit hergestellt zwischen demjenigen, der eine Liegenschaft in schlechtem Zustand (und zu entsprechend niedrigem Preis) kauft, und jenem, der eine Liegenschaft nach der Renovation durch den früheren Eigentümer (zu entsprechend höherem Preis) kauft (a.a.O., S. 366). Diese Rechtsprechung wurde seither in
BGE 103 Ib 197
ff. sowie in weitern nicht amtlich publizierten Urteilen vom 14. März 1980 (ASA 49 S. 563 ff.), 13. Februar 1981 (E. 1, teilweise publiziert in
BGE 107 Ib 22
ff.) und 24. März 1981 i.S. M. gegen kantonale Rekurskommission Bern bestätigt.
Eine Ausnahme vom Grundsatz, wonach für die Qualifizierung von Instandstellungskosten als werterhaltend oder wertvermehrend auf den Zustand der Liegenschaft im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs abzustellen ist, wurde einzig in
BGE 107 Ib 24
f., E. 2a für den Fall des Erbgangs gemacht, da die Erben in die gesamte vermögensrechtliche Stellung des Erblassers eintreten (
Art. 560 ZGB
) und Instandstellungskosten an einem Erbschaftsgegenstand für sie denselben Charakter haben, den sie für den Erblasser gehabt hätten (vgl. KÄNZIG, Wehrsteuer, 2. Aufl., Art. 22, N. 166, S. 655). Diese Ausnahme greift nicht Platz, wenn bei der Erbteilung eine Sache durch Singularsukzession (vgl.
Art. 637 ZGB
) zu ausschliesslichem Eigentum zugewiesen wird (
BGE 107 Ib 25
E. b; Entscheid vom 24. März 1981 i.S. M. gegen kantonale Rekurskommission Bern).
2.
Noch nicht erörtert hat das Bundesgericht bisher allerdings, ob seine in
BGE 99 Ib 362
ff. eingeleitete Praxis für Betriebsliegenschaften gleichermassen wie für Privatliegenschaften und namentlich für private Wohnliegenschaften gilt. Der Beschwerdegegner beruft sich darauf, bei Instandstellungskosten handle es sich um Aufwand an den Betriebsgebäuden, der mit seiner selbständigen Erwerbstätigkeit als Landwirt direkt zusammenhänge, und den er demzufolge unter dem Konto Liegenschaftsunterhalt in seiner Buchhaltung (ertragsmindernd) ausgewiesen habe. Es
BGE 108 Ib 316 S. 319
fragt sich also, ob ein Abzug für den Liegenschaftsunterhalt bei Geschäftsliegenschaften ausschliesslich unter Art. 22 Abs. 1 lit. a WStB fällt, nicht unter lit. e, und ob allenfalls die 1973 eingeleitete Praxisänderung bloss für unter lit. e fallende Abzüge von Bedeutung ist.
a) KÄNZIG, von dessen Kritik an seiner früheren Auffassung sich das Bundesgericht bei der Praxisänderung leiten liess, bemerkt beiläufig (a.a.O., 2. Aufl., Art. 22, N. 164, S. 652), Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB habe nur die Unterhaltskosten von Privatliegenschaften zum Gegenstand. Art. 22 Abs. 1 WStB bezieht sich aber nicht bloss auf Abzüge vom Brutto-Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit und aus Ertrag des Privatvermögens, sondern ebenfalls auf Abzüge vom Erwerbseinkommen Selbständigerwerbender, einschliesslich der Teilhaber von Personengesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 18 und Art. 21 Abs. 1, lit. a WStB). Lit. b, c und f können sogar ausschliesslich für Selbständigerwerbende gelten. Auch sie können die Kosten des Unterhalts von Geschäftsliegenschaften von ihrem Roheinkommen in Abzug bringen, wie Art. 22 Abs. 1 lit. e WStB es allgemein vorsieht. Soweit es sich um Roheinkommen aus einer Unternehmertätigkeit handelt (zu der auch die des Landwirts zu rechnen ist, vgl. KÄNZIG, a.a.O., Art. 22, N. 24, S. 513 f.), würde dafür zwar schon die Vorschrift in Art. 22 Abs. 1 lit. a WStB über den Abzug der zur Erzielung des steuerbaren Einkommens erforderlichen Gewinnungskosten genügen. Ein grundsätzlicher Unterschied ergibt sich daraus aber nicht, was den Abzug der Liegenschaftsunterhaltskosten vom Roheinkommen betrifft.
b) Selbst wo es sich um einen buchführungspflichtigen Unternehmer handelt, sind im Rahmen der kaufmännischen Buchhaltung die Kosten der Instandstellung neu erworbener Liegenschaften nicht als geschäftsmässig begründeter Betriebsaufwand der Erfolgsrechnung zu belasten, sondern zu aktivieren (BLUMER/GRAF, Kaufm. Bilanz und Steuerbilanz, 6. Aufl., S. 414; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., § 19 lit. b, N. 130, S. 84; - STUDER, Bilanzsteuerrecht, S. 84/85 und KÄNZIG, a.a.O., 1. Aufl., Art. 49, N. 66, S. 352 halten die Aktivierung immerhin soweit unerlässlich, als infolge Instandstellungsarbeiten der wirkliche Wert eines Vermögensgegenstands den steuerlich massgebenden Buchwert übersteigt).
c) Erst recht ist ein grundsätzlicher Unterschied nicht zu machen, wo ein Geschäftsbetrieb - wie namentlich ein Landwirtschaftsbetrieb -
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nicht buchführungspflichtig ist. Während bei buchführungspflichtigen Betrieben die Steuerbehörden eventuell nicht eingreifen, falls Instandstellungsarbeiten nach dem Erwerb einer Liegenschaft zu Lasten des Betriebserfolgs als Aufwand gebucht werden, da mit einer entsprechenden Erhöhung des steuerbaren Gewinns in späteren Steuerperioden zu rechnen ist, und bei einer Veräusserung oder Betriebsaufgabe die gebildete stille Reserve - soweit noch erhalten - von der Kapitalgewinnbesteuerung erfasst wird (Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB), sind Kapitalgewinne bei der Veräusserung oder Privatentnahme von Grundstücken aus nicht buchführungspflichtigen Betrieben nicht wehrsteuerpflichtig. (Bei Landwirtschaftsbetrieben ist überdies damit zu rechnen, dass in späteren Steuerperioden mangels genügender Bücher die Einkommensbesteuerung nach dem geschätzten volkswirtschaftlichen Einkommen zu erfolgen hat.) Es könnte daher zu einer ungerechtfertigten Entlastung von der Einkommenssteuer führen, wenn die Wehrsteuerbehörden es zuliessen, dass der nicht buchführungspflichtige Unternehmer nach dem Erwerb einer Liegenschaft die Instandstellungskosten als Aufwand verbucht und den steuerbaren Geschäftsgewinn entsprechend schmälert.
d) Sodann stützt sich die in
BGE 99 Ib 362
ff. eingeleitete Praxisänderung im wesentlichen auf Art. 23 WStB, der Aufwendungen für Anschaffungen oder Verbesserung von Vermögensgegenständen generell nicht zum Abzug zulässt, unabhängig davon, ob sie unter Art. 22 Abs. 1 lit. a oder lit. e WStB fielen, unabhängig auch davon, ob sie auf Geschäfts- oder Privatliegenschaften getätigt worden sind (MASSHARDT, Wehrsteuerkommentar, Ausgabe 1980, Art. 23, N. 1, S. 173/74; KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 23, N. 2, S. 699/700).
e) Es besteht darum kein Anlass, für Geschäftsliegenschaften von der seit
BGE 99 Ib 362
geltenden Praxis abzuweichen. Dies erst recht nicht, weil buchführende Betriebsinhaber auf aktivierten Instandstellungskosten in der Folge Abschreibungen vom Buchwert zu Lasten des Betriebserfolgs künftiger Jahre vornehmen dürfen, und zwar nach Ziff. I lit. a des Kreisschreibens der Eidg. Steuerverwaltung vom 14. Februar 1952 (ASA 20, S. 345) auch buchführende Landwirte auf Betriebsgebäuden (KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 22, N. 34, S. 527; vgl. die revidierten Richtlinien im Merkblatt von 1979, a.a.O., S. 599 ff.).
3.
Die Vorinstanz geht an sich von diesen gleichen Grundsätzen aus, welche sie allerdings nuancieren will.
BGE 108 Ib 316 S. 321
a) Dabei erblickt sie den Grundgedanken der bundesgerichtlichen Praxis darin, dass der Mehrwert, den eine neuerworbene Liegenschaft durch Instandstellungsarbeiten regelmässig erfährt, realisierbar sei, d.h. die in schlechtem Zustand erworbene Liegenschaft nach Vornahme der Unterhaltsarbeiten zu einem höheren Preis verkauft werden könne. Der von der Vorinstanz so formulierte Grundgedanke ist als Ausgangspunkt jedoch zu eng. Die bundesgerichtliche Praxis beruht auf dem Gedanken, dass - unabhängig von Verkaufsmöglichkeiten, bei denen ein Mehrwert der Liegenschaft sich realisieren lässt - der innere Wert des Grundstücks durch Instandstellungsarbeiten nach dem Erwerb über den im Erwerbszeitpunkt vorhandenen inneren Wert hinaus erhöht wird und die Instandstellungsaufwendungen deswegen nach Art. 23 WStB nicht in Abzug gebracht werden können. Es kann darum offen bleiben, ob wertvermehrende Aufwendungen für eine landwirtschaftliche Liegenschaft - eventuell bedingt, wie auch die Vorinstanz selber zugesteht - realisierbar sind.
b) Deshalb kann es entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht entscheidend darauf ankommen, ob eine Liegenschaft zum Verkehrswert oder - als landwirtschaftliches Heimwesen - zum Ertragswert gemäss Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes erworben wird. Wie in der in
BGE 99 Ib 362
eingeleiteten Praxis inzwischen mehrfach entschieden wurde, kann es bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise, die vom innern Wert der Liegenschaft im Erwerbszeitpunkt ausgeht, keinen Unterschied machen, wenn der Steuerpflichtige einen von diesem innern Wert abweichenden Erwerbspreis bezahlte, sei es beispielsweise, weil ihm versteckte Mängel der Liegenschaft entgangen waren (
BGE 103 Ib 200
/1, E. 3b, vgl. betreffend die aargauische Einkommenssteuer auch das nicht amtlich publizierte Urteil vom 5. Juli 1977 in ASA Bd. 47, S. 633, E. 3), oder weil er die Liegenschaft auf Rechnung künftiger Erbschaft besonders günstig oder sogar unentgeltlich erwarb (nicht publiziertes Urteil vom 24. März 1981 i.S. M. gegen kantonale Rekurskommission Bern). Dass der Steuerpflichtige im Erwerbszeitpunkt in einem Falle einen Vermögensverlust erlitt, im andern Falle eine unentgeltliche Vermögenszuwendung erhielt, ändert nichts daran, dass er sein Vermögen durch die Instandstellungsarbeiten an der Liegenschaft nach dem Erwerbszeitpunkt vermehrte.
4.
Die Vorinstanz wollte bewusst die in
BGE 99 Ib 362
ff. eingeleitete Praxis aufgeben für sämtliche landwirtschaftlichen
BGE 108 Ib 316 S. 322
Grundstücke, an denen der Erwerber kurz nach dem Eigentumserwerb Instandstellungsarbeiten ausführt. Dazu besteht kein genügender Anlass.
a) Es kann offen bleiben, wie weit der Unterhaltszustand der Gebäude den Ertragswert landwirtschaftlicher Grundstücke beeinflusst, wie dies die Beschwerdeführerin geltend macht. Auch Unterhaltsarbeiten nach dem Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke erhöhen - genau wie bei nichtlandwirtschaftlichen Grundstücken - das Vermögen des Erwerbers, zu dem die Grundstücke vom Eigentumserwerb an zu rechnen sind. Gewiss erhöht sich mit dem innern Wert der Grundstücke der landwirtschaftliche Ertragswert nicht im gleichen Masse, sondern - wie die Beschwerdeführerin einräumt - nur um vielleicht 30-40% der Kosten der wertvermehrenden Bauarbeiten. Dies wirkt sich bei der Besteuerung des Vermögens durch Kanton und Gemeinde zu Gunsten des Steuerpflichtigen aus und kann sich später gegebenenfalls bei einer Veräusserung zum Ertragswert zu seinen Ungunsten auswirken. Für die Einkommensbesteuerung jedoch bleiben die Instandstellungskosten nach dem Erwerb der Liegenschaft auf ihre Verbesserung gerichtet (Art. 23 WStB), was ganz allgemein nicht voraussetzt, dass sie sich in einer Erhöhung des Ertrags- oder Verkehrswertes voll niederschlagen. (Man denke an unnötig hohe Aufwendungen wegen Fehlern der Bauausführung oder aus Liebhaberei des Eigentümers.) Eine von der Praxis, wie sie für alle übrigen Steuerpflichtigen gilt, abweichende Behandlung der Landwirte lässt sich mit den von der Vorinstanz angestellten Überlegungen nicht rechtfertigen. Davon ist das Bundesgericht schon in
BGE 107 Ib 22
ff. stillschweigend ausgegangen.
b) Während der Beschwerdegegner schon in den Bemessungsjahren 1973/4, als die Buchführungspflicht gemäss Art. 89 Abs. 3 WStB in der seit 1. Januar 1978 geltenden Fassung vom 9. Juni 1977 noch nicht Gesetz war, eine Betriebsbuchhaltung führte, ist dies bei der grossen Mehrzahl der Landwirte noch heute nicht der Fall. Diese werden vielmehr nach statistisch erhobenen Erfahrungswerten des sog. volkswirtschaftlichen Einkommens (oder Netto-Rohertrag) der Landwirtschaftsbetriebe veranlagt (MASSHARDT, a.a.O., Art. 21, N. 27/8, S. 87; KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 21, N. 42, S. 258/59; vgl. REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Bd. II § 19 lit. b, N. 448 ff., S. 177 ff. und als weitere Anwendungsbeispiele AGVE 1975, S. 334 ff. und RDAF 1971, S. 129 ff.). Dabei sind die
BGE 108 Ib 316 S. 323
mittleren Gebäudeunterhaltskosten statistisch miterfasst. Besonderheiten des einzelnen Betriebs werden durch Zuschläge oder Abzüge berücksichtigt, welche den Netto-Rohertrag in einem bestimmten Umfange abweichen lassen von den für die einzelne Gemeinde bestimmten Mittelwerten pro Flächeneinheit. Das geschieht in Bern wie in andern Kantonen durch eine Punktierung der verschiedenen den Ertrag beeinflussenden Betriebsfaktoren, wozu auch die Betriebseinrichtungen und somit die Gebäude gehören. Eine Berücksichtigung des schlechten, besonders hohe Unterhaltskosten verursachenden Gebäudezustands ist im Rahmen dieser Punktierung an sich möglich, kann aber neben der Vielzahl anderer punktierter Faktoren nur von relativ geringem Einfluss auf das Ergebnis, den für die Steuerveranlagung massgebenden Netto-Rohertrag des Betriebs sein. Davon werden für die Veranlagung des Reinertrags des Landwirtschaftsbetriebs einzig die Löhne, Schuld- und Pachtzinsen in Abzug gebracht, während der Mietwert der Wohnung des Betriebsinhabers, die Subventionen und Familienzulagen individuell hinzugerechnet werden. Ein individueller Abzug für Gebäudeunterhaltskosten wird dagegen nicht zugelassen (vgl. für die bernische Staatssteuer die Verordnung vom 28. September 1956/25. Oktober 1972 betreffend den Abzug der Kosten des Unterhalts, der Sachversicherung und der Verwaltung von Grundstücken sowie der Liegenschaftssteuer bei der Veranlagung der direkten Staats- und Gemeindesteuern, VOU, bei H. GRUBER, Handkommentar zum bernischen Steuergesetz, 3. Aufl., Anhang V, insbesondere § 6 Abs. 2, S. 330; ebenso die neue Fassung der VOU vom 12. November 1980, bei Gruber, a.a.O., 4. Aufl., Anhang V, insbesondere Art. 4 Abs. 2, S. 365/66; REIMANN/ZUPPINGER/SCHÄRRER, a.a.O., N. 451, S. 177 und N. 462-466, S. 179/80; MASSHARDT, a.a.O., N. 29/30, S. 87/88; RIVIER: Droit fiscal suisse, S. 100; RDAS 1971, S. 131), namentlich auch nicht in Form des Pauschalabzugs (Richtlinien der Eidg. Steuerverwaltung vom 31. Oktober 1967, vgl. ASA 36, S. 271; KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 22, N. 175, S. 664).
Im Ergebnis entsteht daher kein Widerspruch zu den Veranlagungsgrundsätzen, wie sie bei der grossen Zahl der Landwirtschaftsbetriebe angewendet werden, und auch keine stossende Ungleichbehandlung der Buchführenden verglichen mit den nach dem volkswirtschaftlichen Einkommen veranlagten Landwirten, wenn Instandstellungskosten nach dem Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke zum Abzug nicht zugelassen werden.
BGE 108 Ib 316 S. 324
5.
Der Beschwerdegegner hat auch geltend gemacht, es seien ihm seinerzeit als Pächter sämtliche Instandstellungskosten zum Abzug zugelassen worden, die er schon damals auf einem Konto Liegenschaftsunterhalt ertragsmindernd verbucht habe. Dies trifft in der Tat zu, wurden doch in der Wehrsteuerveranlagung der 16. und 17. Periode solche Unterhaltskosten (einschliesslich Abschreibungen auf eigenen Investitionen in den Pachtliegenschaften) von den Veranlagungsbehörden anerkannt. In seinem Rekurs betreffend die kantonale Steuerveranlagung hatte der Beschwerdegegner eine rechtsungleiche Behandlung als Eigentümer und Pächter gerügt.
Soweit er diese Rüge nun auch für die Wehrsteuer erheben will, tut er dies zu Unrecht. Denn sind vom Pächter, der schon nach Gesetz den ordentlichen (gewöhnlichen) Unterhalt der Pachtgrundstücke zu tragen hat (
Art. 284 Abs. 1 und 2 OR
; KÄNZIG, a.a.O., 2. Aufl., Art. 22, N. 175, S. 665), nach Pachtvertrag auch die in grösseren zeitlichen Abständen anfallenden Instandhaltungs- bzw. Instandstellungsarbeiten zu seinen Lasten auszuführen, so handelt es sich für ihn um Gewinnungskosten. Im Rahmen einer geordneten Buchhaltung, wie sie der Beschwerdegegner schon als Pächter führte, mussten ihm solche den Gewinn schmälernde Aufwendungen auch steuerrechtlich zugestanden werden (KÄNZIG, a.a.O., Art. 21, N. 42, S. 259), da es sich nicht um Aufwendungen für die Verbesserung von Gegenständen des eigenen Vermögens (Art. 23 WStB) handelte.
Mit dem Erwerb des Hofs zu Eigentum, bei dem Nutzen und Schaden rückwirkend auf den 1. Januar 1974 auf den Beschwerdegegner übergingen, entfielen für ihn seit dem gleichen Zeitpunkt auch die Verpflichtungen aus dem früheren Pachtvertrag. Die Veranlagungsbehörde behandelte zutreffend die 1974 gemachten Ausgaben für die Instandstellung der Gebäude als wertvermehrende, der Verbesserung der Gegenständen des eigenen Vermögens dienende Anlage. Sind die Aufwendungen in der Buchhaltung des Beschwerdegegners somit zu aktivieren, steht ihm dafür das Recht zu, jährliche Abschreibungen vorzunehmen (vgl. vorne E. 2e). | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
02433e02-66b3-4262-be81-19d74f89e69f | Urteilskopf
111 Ib 68
16. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Mai 1985 i.S. X. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verfahren;
Art. 100 lit. b Ziff. 2 und 4 OG
.
1. Die Beschwerde gegen einen bevorstehenden Wegweisungsentscheid ist verfrüht (E. 1).
2. Die Abschiebung eines Ausländers in ein Land, in welchem ihm eine schwerwiegende menschenrechtswidrige Behandlung droht, kann
Art. 3 EMRK
verletzen (E. 2).
3. Recht auf eine wirksame Beschwerde nach
Art. 13 EMRK
. Inwiefern ist diese Bestimmung direkt anwendbar? (E. 3)
4. Der Ausschluss der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Asylfällen hält vor
Art. 13 EMRK
stand. Auch der verwaltungsinterne Rechtsweg kann eine wirksame Beschwerde sein (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 111 Ib 68 S. 69
A.-
X., offenbar ernsthaft von Blutrache bedroht, flüchtete vor der Nachstellung durch die Familie einer von einem Dritten getöteten Schwägerin und liess Frau und Kinder in der Türkei zurück. Das Bundesamt für Polizeiwesen verweigerte ihm das Asyl mit der Begründung, dass Blutrache-Gefahr kein Asylgrund sei. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement wies die dagegen gerichtete Verwaltungsbeschwerde durch Entscheid vom 10. Januar 1985 ab.
B.-
Mit rechtzeitiger Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 11. Januar 1985 beantragt X., der Entscheid des Departements sei aufzuheben und ihm das Asyl zu gewähren; eventuell sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung führt er an, er habe nach
Art. 3 EMRK
(Verbot unmenschlicher Behandlung) Anspruch darauf, in der Schweiz bleiben zu können; andernfalls müsste er, weil ihn kein anderes Land aufnähme, in die Türkei zurückkehren, wo er ohne staatlichen Schutz der konkret drohenden Blutrache ausgeliefert wäre. Nach
Art. 13 EMRK
habe er Anspruch auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz, welches Erfordernis beim Entscheid eines Departements der eidgenössischen Regierung nicht erfüllt sei.
BGE 111 Ib 68 S. 70
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung vom 21. März 1985, auf die Beschwerde nicht einzutreten. Zur Begründung wird dargelegt, dass der Departementsentscheid gemäss Asylgesetz endgültig und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach OG ausgeschlossen sei. Gegen einen allfälligen Wegweisungsentscheid des Bundesamtes für Polizeiwesen stünde die Beschwerde an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement offen.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den Asylverweigerungs-Entscheid des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, indirekt und gewissermassen vorsorglicherweise aber auch gegen einen allfälligen künftigen Wegweisungsentscheid. Die
Art. 3 und 13 EMRK
werden auf jeden Fall, auch nach der Meinung des Beschwerdeführers, nur aktuell, wenn er infolge der Wegweisung zur Rückkehr in die Türkei gezwungen wäre. Ob diese Eventualität eintritt, ist offen, solange keine Wegweisung verfügt ist. Die Beschwerde ist daher - soweit sie sich gegen den Wegweisungsentscheid richtet - verfrüht, weshalb in diesem Punkt darauf nicht eingetreten werden kann.
2.
a) Die EMRK enthält kein ausdrückliches Recht auf Asylgewährung oder auch nur auf Einreise in ein fremdes Land und Aufenthalt daselbst. Die Europäische Menschenrechtskommission hat jedoch in einer Reihe von Fällen erklärt, dass sich Ansätze zu einem solchen Recht aus
Art. 3 EMRK
, insbesondere aus dem darin enthaltenen Verbot unmenschlicher Behandlung ergeben; denn die Vertragsstaaten hätten sich verpflichtet, die freie Ausübung ihrer völkerrechtlichen Befugnisse, inbegriffen das Recht zur Kontrolle der Ein- und Ausreise von Fremden sowie die Auslieferung im Umfang der Verpflichtungen zu beschränken, die sie mit Unterzeichnung der EMRK eingegangen sind. Auch das allgemeine Völkerrecht enthält Regeln, welche die freie Ausübung des Asyl- und Auslieferungsrechts durch die Staaten beschränken. Der Grundsatz des "non-refoulement", d.h. das Verbot, eine Person in ein Land auszuliefern oder abzuschieben, in welchem ihr eine schwerwiegende menschenrechtswidrige Behandlung droht, ist Völkergewohnheitsrecht
BGE 111 Ib 68 S. 71
(W. KÄLIN, Das Prinzip des Non-Refoulement, Bern 1982; ERMACORA/NOWAK/TRETTER, Die Europäische Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte, Wien 1983, S. 177 ff.; Digest of Strasbourg Case-Law relating to the European Convention on Human Rights, vol. 1, 1984, S. 117 ff.; vgl. auch VPB 1983 N. 62). Die Europäische Menschenrechtskommission hat wiederholt erkannt, dass es eine "unmenschliche Behandlung" im Sinne von
Art. 3 EMRK
sein könne, einen Ausländer in ein Land abzuschieben oder auszuliefern, in welchem die durch die EMRK garantierten Rechte grob verletzt werden;
Art. 3 EMRK
ist bereits verletzt, wenn eine Person in ein bestimmtes Land abgeschoben wird, in welchem ihr mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine
Art. 3 EMRK
verletzende Behandlung droht. In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dies gelte auch für die Wegweisung, wenn die Person praktisch keine andere Möglichkeit hat, als sich in das Land zu begeben, wo ihr die Menschenrechtsverletzung droht (ERMACORA/NOWAK/TRETTER, a.a.O., S. 178, unter Berufung auf V. LIEBER, Die neuere Entwicklung des Asylrechts im Völkerrecht und Staatsrecht unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Asylpraxis, Zürich 1973).
b)
Art. 13 EMRK
gewährt für den Fall, dass die durch die EMRK garantierten Rechte und Freiheiten verletzt werden, dem Verletzten das Recht, eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen. Da eine Verletzung von
Art. 3 EMRK
durch Wegweisung infolge Asylverweigerung unter den gegebenen Umständen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, ist zu prüfen, ob im schweizerischen Recht die durch
Art. 13 EMRK
geforderte wirksame Beschwerde an eine nationale Instanz gewährleistet ist oder vom Bundesgericht gewährleistet werden könnte.
3.
Gegen die Asylverweigerung und die Wegweisung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausgeschlossen (
Art. 100 lit. b Ziff. 2 und 4 OG
). Diese Ausschlussbestimmungen wurden vor Ratifikation der EMRK durch die Schweiz erlassen. Die EMRK, als ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag, ist für die rechtsanwendenden Behörden nicht weniger verbindlich als die Bundesgesetze (
Art. 113 Abs. 3 BV
); sie geht als jüngeres Recht den früher erlassenen Bundesgesetzen, unter Umständen auch jüngerem Gesetzesrecht vor. Würden die Ausschlussbestimmungen des OG dazu führen, dass in einem Fall, der die durch die EMRK garantierten Rechte und Freiheiten tangiert, die wirksame Beschwerde an eine nationale Instanz fehlt, so hätten die Ausschlussbestimmungen
BGE 111 Ib 68 S. 72
allenfalls vor
Art. 13 EMRK
zurückzuweichen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass
Art. 13 EMRK
unmittelbar anwendbar (self-executing) ist, was davon abhängt, ob die Bestimmung justiziabel ist, d.h. vom Richter in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann (BGE 15. Oktober 1982 i.S. Eggs, E. 3a mit Hinweisen, auszugsweise wiedergegeben in SJIR 1982, 290 ff.; vgl. auch L. WILDHABER, Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 1979, 229 ff., bes. S. 340). Grundsätzlich geht
Art. 13 EMRK
die unmittelbare Anwendbarkeit ab, denn die Bestimmung erfordert die Schaffung einer nationalen Beschwerdeinstanz; diese Aufgabe kann an sich nur der Gesetzgeber erfüllen; es gibt indessen Fälle, in welchen die direkte Anwendbarkeit von
Art. 13 EMRK
nicht ausgeschlossen ist. Im vorliegenden Fall könnte der Beschwerdeführer den Entscheid des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes beim Bundesgericht anfechten, wenn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht durch die Ausschlussbestimmungen (
Art. 100 lit. b OG
) ausgeschlossen wäre. Das Gericht brauchte indessen nur die Ausschlussbestimmungen nicht anzuwenden, um die wirksame Beschwerde zu gewährleisten, wenn diese tatsächlich durch die Ausschlussbestimmungen verhindert würde; Justiziabilität wäre gegeben.
Wie es sich mit dem erst nach Inkrafttreten der EMRK erlassenen Asylgesetz (SR 142.31) verhält, das den Departementsentscheid über die Asylverweigerung und die damit zusammenhängende Wegweisung für endgültig erklärt (Art. 11 Abs. 2 und Art. 21a Abs. 2), kann offenbleiben.
4.
Aus der Stellung von Art. 13 in der Konvention, aus seinem Wortlaut im Vergleich zu den Art. 5 und 6 und aus der Entstehungsgeschichte folgern herrschende Lehre und Rechtsprechung, dass nicht unbedingt eine Beschwerde an eine Gericht gewährleistet sein muss, damit sie als "wirksam" bezeichnet werden kann; eine Beschwerdemöglichkeit an eine Verwaltungsbehörde kann genügen. Erforderlich ist, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Prüfung seiner Vorbringen hat, und dass die Beschwerdebehörde den angefochtenen Akt gegebenenfalls aufheben kann; ausserdem müssen die rechtsstaatlich notwendigen minimalen Verfahrensrechte gewährleistet sein, namentlich der Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Begründung des Entscheides
BGE 111 Ib 68 S. 73
(T.A. WETZEL, Das Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz (
Art. 13 EMRK
) und seine Ausgestaltung in der Schweiz, Basel 1983, S. 96 ff., mit zahlreichen Hinweisen).
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, und es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beschwerdemöglichkeit gegen die asylrechtlichen und fremdenpolizeilichen Verfügungen des Bundesamtes für Polizeiwesen an das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement diesen allgemeinen Erfordernissen nicht entsprechen würde; die Lehre nimmt denn auch an, dass die Verwaltungsbeschwerde an ein Departement als Beschwerdemöglichkeit im Sinne von
Art. 13 EMRK
genügt (WETZEL, a.a.O., S. 159). Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat eine umfassende Kognition; der Beschwerdeführer kann insbesondere ganz allgemein (
Art. 49 VwVG
) die Verletzung von Bundesrecht rügen, wozu auch die EMRK zählt. Der Beschwerdeführer behauptet einzig, aus der Unterordnung des Bundesamtes für Polizeiwesen unter das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement ergebe sich, dass die beiden Behörden voneinander nicht völlig unabhängig seien. An der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Beschwerdeinstanz wäre dann zu zweifeln, wenn diese mehr oder weniger an die Auffassungen der untergebenen Verfügungsinstanz gebunden wäre (WETZEL, a.a.O., S. 101 N 255); doch dies ist im Verhältnis zwischen dem Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und dem Bundesamt für Polizeiwesen offensichtlich nicht der Fall. Es besteht daher kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdemöglichkeit an das Departement den Erfordernissen von
Art. 13 EMRK
nicht entspricht.
Damit halten auch die Ausschlussbestimmungen (
Art. 100 lit. b Ziff. 2 und 4 OG
) vor der EMRK stand. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann daher auch nicht eingetreten werden, soweit sie sich gegen die Asylverweigerung richtet. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
0247a5c3-2482-4dd9-828e-7a15a5355bdb | Urteilskopf
112 II 500
84. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 25 novembre 1986 dans la cause R. contre T. (recours en réforme) | Regeste
Art. 6 OR
.
Stillschweigen nach Empfang eines Kontoauszugs oder einer Rechnung stellt kein Akzept gemäss
Art. 6 OR
dar. Insbesondere kann die Nichtbestreitung einer detaillierten Rechnung eines Unternehmers während einiger Monate nicht als stillschweigende Annahme dieser Rechnung betrachtet werden. | Sachverhalt
ab Seite 500
BGE 112 II 500 S. 500
A.-
Dans le cadre de la construction d'un chalet, dame R., maître de l'ouvrage, a confié l'exécution des travaux de menuiserie et de charpente à l'entreprise T. Cette adjudication résulte d'un accord verbal conclu au printemps 1979, sur la base d'une soumission établie le 22 mars 1979, d'un montant total de 71'211 francs.
L'exécution des travaux a duré jusqu'à la première moitié d'octobre 1979, soit légèrement plus longtemps que souhaité par le maître de l'oeuvre. Ce fait est dû en bonne partie à des travaux supplémentaires ordonnés par dame R.
Au terme des travaux, T. a adressé sa facture de 90'199 fr. 45 à l'architecte responsable de la construction, habilité par le maître de l'oeuvre à traiter avec les entrepreneurs et à recevoir toute correspondance. Le 3 mars 1980, soit plus de quatre mois après réception de cette facture, dame R. a établi son propre décompte, signé par
BGE 112 II 500 S. 501
son architecte. Elle prétendait à diverses déductions d'un montant global de 3'122 fr. 85, dont une indemnité de 1'000 francs pour retard dans l'exécution des travaux, ainsi qu'à un rabais de 6%. T. a contesté ce décompte le 5 mars 1980. Le 29 avril 1980, sa fiduciaire a établi à l'intention de dame R. un décompte présentant un solde dû de 8'393 fr. 45 après déduction des acomptes versés par 81'428 francs.
B.-
T. a ouvert action le 22 juin 1982 contre dame R. en paiement de 8'393 fr. 45 avec intérêt à 5% dès le 16 octobre 1980.
La défenderesse a conclu au rejet de la demande et, reconventionnellement, au paiement de 5'000 francs.
Le 4 décembre 1985, le Tribunal cantonal du Valais a condamné la défenderesse à payer au demandeur le montant de 8'393 fr. 45 avec intérêt à 5% dès le 16 octobre 1980 et rejeté la demande reconventionnelle.
C.-
Le Tribunal fédéral admet partiellement le recours en réforme de la défenderesse, annule le jugement attaqué et renvoie la cause à la cour cantonale pour qu'elle statue à nouveau dans le sens des considérants.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Le Tribunal cantonal n'a pas examiné le bien-fondé des déductions totalisant 2'122 fr. 85, opérées par la défenderesse dans son décompte du 3 mars 1980. Il considère en effet que la contestation de la défenderesse constitue un abus de droit, pour avoir été élevée quatre mois et demi seulement après réception du décompte du demandeur. Il se réfère à la jurisprudence du Tribunal fédéral en matière de contrat de travail, selon laquelle la partie qui entend invoquer des prétentions en dommages-intérêts connues, dans leur principe ou leur quotité, doit en faire part à son cocontractant avant d'accomplir les actes accompagnant la fin des relations de travail (
ATF 110 II 346
), ainsi qu'aux arrêts admettant l'existence d'un délai de déchéance à propos des prétentions supplémentaires du travailleur en paiement de jours de congé, d'heures supplémentaires ou de frais de voyage (
ATF 101 II 289
,
ATF 91 II 386
;
ATF 105 II 41
ss pour la situation postérieure à l'entrée en vigueur de l'
art. 341 al. 1 CO
). Relevant que cette jurisprudence découle du principe général de la bonne foi, qui exige en cas de refus ou de désaccord une réaction du contractant à réception de l'avis de son partenaire touchant à
BGE 112 II 500 S. 502
l'exécution d'une obligation, la cour cantonale juge que l'entrepreneur qui, au terme de l'exécution des travaux dont il a été chargé, remet une facture détaillée au maître de l'oeuvre peut attendre de celui-ci qu'il réagisse dans un délai relativement bref s'il entend formuler des objections ou contester certains postes du décompte établi. En l'espèce, il était abusif, de la part de la défenderesse, de remettre en cause aussi tardivement le décompte détaillé établi par le demandeur.
b) On ne saurait suivre la cour cantonale lorsqu'elle considère que l'inaction de la défenderesse durant plus de quatre mois après réception de la facture détaillée du demandeur vaut ratification ou acceptation de cette facture et qu'une contestation de celle-ci serait contraire au principe de la bonne foi. On ne se trouve pas dans une situation comparable à celles qui sont à la base des arrêts cités par le jugement attaqué, soit dans un cas où on peut exiger, comme en matière de contrat de travail, en considération notamment des égards que se doivent réciproquement les parties à ce contrat, que certaines prétentions supplémentaires ou certaines contestations de décomptes soient formulées rapidement ou lors des règlements de comptes.
La non-contestation, durant quelques mois, d'une facture détaillée d'entrepreneur ne peut pas être tenue pour une acceptation tacite de cette facture. Assimiler une facture à une lettre de confirmation entre commerçants, exigeant une réaction en cas de désaccord, procéderait d'une interprétation trop extensive de l'
art. 6 CO
(
ATF 88 II 89
consid. 3c). Il serait contraire à l'expérience générale de la vie de présumer que le destinataire d'une facture est disposé à en payer le montant. On ne saurait astreindre le destinataire de toute facture à protester immédiatement lors de sa réception, sous peine de se voir opposer ultérieurement son accord avec le paiement du prix demandé. En matière de contrat d'entreprise plus particulièrement, le maître qui entend s'opposer à une prétention dont l'entrepreneur doit établir le bien-fondé, comme en l'espèce, n'a pas de délai à respecter. Aussi longtemps qu'il n'a pas reconnu expressément ou tacitement la facture de l'entrepreneur, il peut en contester les bases de calcul, même en cours de procédure (
ATF 96 II 61
). L'
art. 6 CO
n'est pas applicable en pareil cas; le silence gardé à réception d'un relevé de compte ou d'une facture inexacte ou mal fondée ne vaut donc pas acceptation (arrêt Breccolini c. Sarkos S.A., du 21 mai 1980, consid. 6a, publié in SJ 1981, p. 41).
BGE 112 II 500 S. 503
c) A titre subsidiaire, la cour cantonale considère que "la défenderesse n'a même pas prouvé que le décompte du demandeur ne correspondait pas à la réalité". Cette considération méconnaît l'
art. 8 CC
. Selon cette disposition, c'est au demandeur qu'il appartient de prouver le bien-fondé de sa facture, soit la quotité et la valeur de ses prestations d'entrepreneur. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
024a2bb7-b1c7-494a-a8b5-66679b770e65 | Urteilskopf
110 II 225
46. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1984 i.S. K. gegen K. (Berufung) | Regeste
Befristung der Rentenverpflichtung gemäss
Art. 151 Abs. 1 ZGB
.
Die Ehefrau erleidet durch die Scheidung einen materiellen Schaden, da sie den Anspruch auf Unterhalt durch den gut verdienenden Gatten wie auch die Ansprüche, die ihr als verheiratete Frau gegenüber der Sozialversicherung zugestanden wären, verliert. Anderseits hat sich die wenig über vierzig Jahre alte Klägerin, Mutter eines 17- und eines 19jährigen Kindes, im Berufsleben bereits wieder zurechtgefunden. Sie kann die Zeit und die Kraft, die sie durch den Wegfall der Haushaltführungs- und weiteren Beistandspflichten gewonnen hat, für berufliche Tätigkeit einsetzen und gelangt so zu einem ausreichenden Erwerbseinkommen. Es rechtfertigt sich deshalb eine zeitliche Befristung ihrer Unterhaltsberechtigung gemäss
Art. 151 Abs. 1 ZGB
auf zehn Jahre. | Sachverhalt
ab Seite 226
BGE 110 II 225 S. 226
In der Scheidung der Eheleute K. sprach das Bezirksgericht der Ehefrau eine indexierte Rente von Fr. 500.- gemäss
Art. 151 Abs. 1 ZGB
zu. Die Berufung des beklagten Ehemannes wies das Kantonsgericht Graubünden mit Urteil vom 12. Dezember 1983 ab; die Berufung der Klägerin hingegen hiess das Gericht gut und erhöhte ihren Rentenanspruch im Sinne der zitierten Bestimmung auf Fr. 900.-.
Der Ehemann focht das Urteil des Kantonsgerichts mit Berufung beim Bundesgericht an und beantragte, er sei lediglich zu einer Unterhaltsleistung von Fr. 500.-, begrenzt auf die Dauer von fünf Jahren ab Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteils, zu verpflichten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt für den Fall, dass der Klägerin eine Rente zugebilligt werde, die Leistung auf fünf Jahre zu befristen. Zur Begründung führt er an, die Klägerin sei durch die Betreuung der Kinder nicht mehr gebunden, sei jung und gesund und sei schon während der Ehe einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die Klägerin erziele ein für die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes ausreichendes Einkommen und erleide durch die Ehescheidung keinerlei nennenswerte Nachteile.
Gestützt auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 98 II 166
) ist die Vorinstanz zur Auffassung gelangt, dass sich eine zeitliche Begrenzung der Unterhaltspflicht keinesfalls rechtfertigen lasse. Durch die Scheidung der Ehe, welche immerhin 16 Jahre gedauert habe und welcher der Sohn Marco entsprossen sei, erleide die Klägerin zweifellos eine zeitlich nicht befristete finanzielle Einbusse. Ihre Aussichten auf eine geeignete Arbeit und damit auch auf ein ausreichendes Einkommen würden sich mit zunehmendem Alter verschlechtern; daher würde ihre Existenzgrundlage nach der Scheidung weniger sicher sein als während der Ehe.
Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 151 Abs. 1 ZGB
fordert für jeden konkreten Fall, dass abgeklärt wird, ob eine geschiedene Frau trotz Kinderbetreuung sich auf längere Sicht eine wirtschaftliche Situation werde schaffen können, welche die durch die Scheidung erlittenen Nachteile auszugleichen vermag. Massgebliche Kriterien zur Beantwortung dieser Frage sind die Dauer der Ehe, die Schwere des Verschuldens des pflichtigen Ehegatten, das Alter und der Gesundheitszustand des
BGE 110 II 225 S. 227
anspruchsberechtigten Gatten, seine Ausbildung, seine finanzielle Situation, die allgemeine Wirtschaftslage sowie die dem Gatten wieder offenstehende Möglichkeit, ganz oder teilweise einer Erwerbsarbeit nachzugehen (
BGE 109 II 289
). Vor allem ist eine Übergangsrente vertretbar, wenn die Ehegatten noch jung und die Kinder nicht mehr klein sind und wenn der anspruchsberechtigte Gatte bereits wieder in das Erwerbsleben eingegliedert ist (
BGE 109 II 88
E. 3a, 186 f.).
Im vorliegenden Fall hat die Ehe der Parteien immerhin 16 Jahre gedauert. Das Verschulden des Ehemannes an der Zerrüttung der Ehe wiegt schwer. Auch erleidet die Berufungsbeklagte durch die Scheidung zweifellos einen materiellen Schaden, da sie den Anspruch auf Unterhalt durch den gut verdienenden Gatten wie auch die Ansprüche, die ihr als Ehefrau gegenüber der Sozialversicherung zugestanden wären, verliert. Auf der anderen Seite steht fest, dass die Klägerin erst wenig über vierzig Jahre alt ist. Die Kinder sind 17- und 19jährig und somit nicht mehr auf die volle Betreuung durch die Mutter angewiesen. Was insbesondere den Beruf der Klägerin anbetrifft, ist sie als Coiffeuse ausgebildet und hat diese Tätigkeit wenigstens zeitweise auch während der Ehe ausgeübt. Um im Geschäft ihres Mannes mitarbeiten zu können, hat sie einen Schreibmaschinenkurs besucht. Sodann geht aus dem Urteil der Vorinstanz hervor, dass die Klägerin jetzt als Verkäuferin im Kaufhaus Vilan arbeitet; sie bezieht dort einen Brutto-Jahreslohn von Fr. 19'200.-.
Die Berufungsbeklagte hat sich also im Berufsleben bereits wieder zurechtgefunden. Sie kann die Zeit und die Kraft, die sie durch den Wegfall der Haushaltführungs- und weiteren Beistandspflichten gewonnen hat, für berufliche Tätigkeit einsetzen und gelangt so zu einem ausreichenden Erwerbseinkommen. Es rechtfertigt sich deshalb, ihre Unterhaltsberechtigung gegenüber dem von ihr geschiedenen Ehemann zeitlich zu begrenzen. Immerhin lassen sich die - allgemein gehaltenen - Bedenken der Vorinstanz, mit zunehmendem Alter könnten sich die Verdienstmöglichkeiten der Klägerin verschlechtern, und der Einwand der Klägerin, sie hätte beim Fortbestand der Ehe nicht wieder eine ganztägige Berufstätigkeit aufnehmen müssen, nicht ganz von der Hand weisen. Diese Überlegungen rechtfertigen es, die Zeit, während welcher der Berufungskläger nach Massgabe von
Art. 151 Abs. 1 ZGB
unterhaltspflichtig ist, nicht zu kurz zu bemessen. Eine Befristung auf zehn Jahre erscheint als angemessen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
024db600-5846-41d9-b819-bc6844fd65ba | Urteilskopf
84 IV 153
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Oktober 1958 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Spycher. | Regeste
Art. 67 Ziff. 1 Abs. 1,
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
.
Ermessen des Richters bei der Strafschärfung wegen Rückfalls und Zusammentreffens von strafbaren Handlungen. | Sachverhalt
ab Seite 153
BGE 84 IV 153 S. 153
Ernst Spycher beging am 8. und am 14. November 1957, als noch nicht fünf Jahre vergangen waren, seit er eine Gefängnisstrafe verbüsst hatte, Unzucht mit Kindern. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte ihn deswegen am 28. Februar 1958 zu einem Jahr Zuchthaus.
Der Generalprokurator beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, das Urteil sei wegen Verletzung der
Art. 67 und 68 StGB
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Strafe neu festsetze.
BGE 84 IV 153 S. 154
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Spycher hat wiederholt mit Kindern unzüchtige Handlungen im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 StGB
vorgenommen. Daher trifft der Strafschärfungsgrund des
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
zu. Nach dieser Vorschrift verurteilt der Richter den Täter, der durch (eine oder) mehrere Handlungen mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, zu der Strafe der schwersten Tat und erhöht deren Dauer angemessen. Nach Auffassung des Generalprokurators soll das Obergericht die Vorschrift verletzt haben, indem es Spycher zu einem Jahr Zuchthaus, also zur gesetzlichen Mindestdauer dieser Strafart, verurteilte. Er macht geltend,
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
sei dahin zu verstehen, dass durch die Ermittlung der Strafe für die schwerste Tat zugleich festgelegt werde, welcher Art die Gesamtstrafe sei; diese Vorschrift gestatte nicht, statt die Dauer der Einsatzstrafe zu erhöhen, auf eine strengere, alternativ angedrohte Strafart zu erkennen.
Diese Auffassung mag zwar den Wortlaut der angeführten Bestimmung für sich haben. Sie würde aber dazu führen, dass immer dann, wenn der Richter nach den Grundsätzen des
Art. 63 StGB
für die schwerste Tat zwar die mildere der alternativ angedrohten Strafarten für angezeigt hält, aber annähernd oder überhaupt auf das Höchstmass dieser Strafart erkennt, eine Strafschärfung wegen der anderen Straftaten, wie zahlreich und schwer sie auch sein mögen, von vorneherein nur in sehr beschränktem Masse möglich oder überhaupt ausgeschlossen wäre. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Träfe die vom Generalprokurator vertretene Auffassung zu, so hätte der Richter im vorliegenden Falle, je nachdem er für die schwerste Tat eine Gefängnis- oder eine Zuchthausstrafe für angemessen hält, an sich eine Gesamtstrafe von vier Tagen bis zu drei Jahren Gefängnis oder von einem Jahr und einem Tag bis zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus aussprechen, dagegen - abgesehen von der
BGE 84 IV 153 S. 155
angedrohten Mindestdauer (drei Tage Gefängnis) - einzig auf ein Jahr Zuchthaus nicht erkennen dürfen. Für eine solche Beschränkung des richterlichen Ermessens besteht kein sachlicher Grund.
Entsprechend verhält es sich mit Bezug auf die Strafschärfung wegen Rückfalls (
Art. 67 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
). Wäre dem Richter, wie der Generalprokurator geltend macht, verwehrt, diese dadurch vorzunehmen, dass er von der leichteren zu der schwereren der alternativ angedrohten Strafarten übergeht, so würde der Rückfall immer dann zu keiner strengeren Bestrafung des Verurteilten führen, wenn der Richter bei alternativer Strafandrohung für die Tat als solche das gesetzliche Höchstmass der milderen Strafart als angemessene Sühne erachtet. | null | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
02544666-7e1e-45cd-80cf-e986680fbefa | Urteilskopf
139 III 449
64. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. GmbH gegen Handelsregisteramt des Kantons Aargau (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_206/2013 vom 5. September 2013 | Regeste
Verzicht auf die eingeschränkte Revision gemäss
Art. 727a Abs. 2 OR
(Opting-out).
Voraussetzungen des Verzichts auf die eingeschränkte Revision (E. 2.1, 2.3.1 und 2.3.3); Belege zum Nachweis dieser Voraussetzungen (E. 2.3.2 und 2.3.4) | Sachverhalt
ab Seite 450
BGE 139 III 449 S. 450
A.
A.a
Die X. GmbH (Beschwerdeführerin) mit Sitz in Y. wurde am 8. Oktober 2003 in das Handelsregister eingetragen. Sie verfügte seit ihrer Gründung im Jahr 2003 nie über eine Revisionsstelle.
A.b
Mit Eingabe vom 22. Januar 2011 meldete die Beschwerdeführerin unter Beifügung von Belegen die Eintragung des Verzichts auf eine eingeschränkte Revision (Opting-out) beim Handelsregisteramt des Kantons Aargau (Beschwerdegegner) an.
Mit Schreiben vom 26. Januar 2011 bestätigte das Handelsregisteramt den Eingang der Anmeldung und forderte von der Beschwerdeführerin nebst den bereits eingereichten Beilagen zusätzlich den Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für den Jahresabschluss 2009 nach.
Mit Eingabe vom 2. Juli 2011 meldete die Beschwerdeführerin den Eintrag von A. als Vorsitzende der Geschäftsführung an und erneuerte gleichzeitig die Anmeldung des Opting-outs. Sie stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass für die Eintragung des Opting-outs kein Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors benötigt werde.
Mit Schreiben vom 22. November 2011 forderte das Handelsregisteramt die Beschwerdeführerin erneut auf, den Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für den Jahresabschluss 2009 beizubringen.
B.
B.a
Mit Verfügung vom 17. September 2012 verweigerte das Handelsregisteramt sowohl den Eintrag des Opting-outs als auch den Eintrag von A. als Vorsitzende der Geschäftsführung.
B.b
Dagegen reichte die Beschwerdeführerin am 20. Oktober 2012 Beschwerde beim Handelsgericht des Kantons Aargau ein mit folgenden Rechtsbegehren:
"1. Die Verfügung des Handelsregisteramtes des Kantons Aargau vom 17. September 2012 sei aufzuheben.
2. Das Handelsregisteramt des Kantons Aargau sei anzuweisen, die am 2. Juli 2011 zur Eintragung angemeldete Vorsitzende der Geschäftsführung im Handelsregister einzutragen.
BGE 139 III 449 S. 451
3. Das Handelsregisteramt des Kantons Aargau sei anzuweisen, den am 22. Januar 2011 zur Eintragung angemeldeten Verzicht auf eine eingeschränkte Revision (opting-out-Anmeldung) im Handelsregister einzutragen."
Mit Urteil vom 20. Februar 2013 wies das Handelsgericht die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen ficht die Beschwerdeführerin das Urteil des Handelsgerichts an und wiederholt die vor der Vorinstanz gestellten Anträge.
Das Handelsregisteramt und die Vorinstanz beantragen Abweisung der Beschwerde.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 62 i.V.m. 83 der Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007 (HRegV; SR 221.411). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz gehöre ein Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für den Jahresabschluss 2009 nicht zu den Beilagen, welche für die Anmeldung eines Opting- outs im Handelsregister erforderlich sind.
2.1
2.1.1
Gemäss Art. 818 Abs. 1 i.V.m.
Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR
müssen Gesellschaften mit beschränkter Haftung ihre Jahresrechnung und gegebenenfalls ihre Konzernrechnung durch eine Revisionsstelle
ordentlich
prüfen lassen, wenn zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren überschritten werden: a. Bilanzsumme von 20 Millionen Franken; b. Umsatzerlös von 40 Millionen Franken; c. 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.
Sind die Voraussetzungen für eine ordentliche Revision nicht gegeben, so muss die Gesellschaft ihre Jahresrechnung durch eine Revisionsstelle
eingeschränkt
prüfen lassen (
Art. 727a Abs. 1 OR
).
Gemäss
Art. 727a Abs. 2 OR
kann auf die eingeschränkte Revision mit der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter
verzichtet
werden, wenn die Gesellschaft nicht mehr als zehn Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt hat (sog. Opting-out). Dieses Opting-out ist gemäss
Art. 727a Abs. 5 OR
dem Handelsregister anzumelden.
2.1.2
Gemäss
Art. 83 HRegV
gelten bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung u.a. für die Revision und für die
BGE 139 III 449 S. 452
Revisionsstelle die handelsregisterrechtlichen Bestimmungen über die Aktiengesellschaft sinngemäss. Hierzu gehört
Art. 62 HRegV
, der unter dem Marginale "Verzicht auf eine eingeschränkte Revision" steht und wie folgt lautet:
1
Aktiengesellschaften, die weder eine ordentliche noch eine eingeschränkte Revision durchführen, müssen dem Handelsregisteramt mit der Anmeldung zur Eintragung des Verzichts eine Erklärung einreichen, dass:
a. die Gesellschaft die Voraussetzungen für die Pflicht zur ordentlichen Revision nicht erfüllt;
b. die Gesellschaft nicht mehr als zehn Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt hat;
c. sämtliche Aktionärinnen und Aktionäre auf eine eingeschränkte Revision verzichtet haben.
2
Diese Erklärung muss von mindestens einem Mitglied des Verwaltungsrats unterzeichnet sein. Kopien der massgeblichen aktuellen Unterlagen wie Erfolgsrechnungen, Bilanzen, Jahresberichte, Verzichtserklärungen der Aktionärinnen und Aktionäre oder das Protokoll der Generalversammlung müssen der Erklärung beigelegt werden. Diese Unterlagen unterstehen nicht der Öffentlichkeit des Handelsregisters nach den Artikeln 10-12 und werden gesondert aufbewahrt.
3
Die Erklärung kann bereits bei der Gründung abgegeben werden.
4
Das Handelsregisteramt kann eine Erneuerung der Erklärung verlangen.
5
Soweit erforderlich, passt der Verwaltungsrat die Statuten an und meldet dem Handelsregisteramt die Löschung oder die Eintragung der Revisionsstelle an.
Vorliegend ist umstritten, ob zu den "massgeblichen aktuellen Unterlagen" i.S. von
Art. 62 Abs. 2 Satz 1 HRegV
auch der Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für die als Beleg einzureichende Jahresrechnung gehört.
2.2
Die Vorinstanz führte aus, dass mit Inkrafttreten des neuen GmbH-Rechts per 1. Januar 2008 alle Gesellschaften mit beschränkter Haftung grundsätzlich (eingeschränkt) revisionspflichtig wurden. Ohne entsprechendes Opting-out müssten daher bei GmbHs die Jahresrechnungen der Jahre 2008 und folgende revidiert werden. Daraus schloss die Vorinstanz, dass bei einem Opting-out ab dem Geschäftsjahr 2009 oder später der Nachweis der Revision der vorangehenden Jahresrechnungen ab 2008 notwendig sei. Mit der Anmeldung sei in diesem Fall nebst den weiteren Unterlagen eine von einem zugelassenen Revisor geprüfte Bilanz (mit Vorjahreszahlen) und eine Jahresrechnung 2008 einzureichen. Andernfalls dürfe das
BGE 139 III 449 S. 453
Handelsregisteramt davon ausgehen, dass kein gültiges Opting-out beschlossen wurde.
Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin das von der Gesellschafterversammlung beschlossene Opting-out mit Eingabe vom 22. Januar 2011 beim Handelsregister angemeldet, wobei die Anmeldung zugleich den entsprechenden Zirkulationsbeschluss enthalten habe. Der Verzicht auf die Revisionsstelle könne aber frühestens für das Geschäftsjahr 2010 gelten, da die Gesellschaft die Fristen für den Beschluss eines Verzichts für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 verpasst habe. Entsprechend sei die Beschwerdeführerin für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 revisionspflichtig und müsse der Anmeldung auf einen Verzicht der Revisionsstelle eine von einem zugelassenen Revisor geprüfte Bilanz (mit Vorjahreszahlen) und Jahresrechnung 2009 beilegen. Da die Beschwerdeführerin es unterlassen habe, einen entsprechenden Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für den Jahresabschluss 2009 beizulegen, habe das Handelsregisteramt die Eintragung des Opting-outs zu Recht verweigert.
2.3
2.3.1
Die Voraussetzungen eines Opting-outs ergeben sich aus Art. 727 i.V.m. 727a Abs. 2 OR und werden in
Art. 62 Abs. 1 lit. a-c HRegV
wiederholt. Es handelt sich dabei um die folgenden drei Erfordernisse (PETER/CAVADINI/DUNANT, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 7 zu
Art. 727a OR
; PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 15 N. 514 ff.; Botschaft vom 23. Juni 2004 zur Änderung des Obligationenrechts [Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht] sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren, BBl 2004 3969, 4014 Ziff. 2.1.1.2):
(1) Nichterfüllen der Voraussetzungen für die Pflicht zur ordentlichen Revision (
Art. 62 Abs. 1 lit. a HRegV
;
Art. 727a Abs. 1 OR
);
(2) Nichtüberschreiten von zehn Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt (
Art. 62 Abs. 1 lit. b HRegV
;
Art. 727a Abs. 2 OR
);
(3) Verzicht sämtlicher Gesellschafter auf eine eingeschränkte Revision (
Art. 62 Abs. 1 lit. c HRegV
;
Art. 727a Abs. 2 OR
);
Aus der intertemporalrechtlichen Vorschrift von
Art. 174 HRegV
ergibt sich weiter, dass das Opting-out erst ins Handelsregister eingetragen werden darf, wenn ein Mitglied des Verwaltungsrats schriftlich bestätigt, dass die Revisionsstelle die Jahresrechnung für das
BGE 139 III 449 S. 454
Geschäftsjahr, welches vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts begonnen hat, geprüft hat. Diese Vorschrift bezieht sich indessen nur auf Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften, also Gesellschaftsformen, die bereits unter altem Recht revisionspflichtig waren (FLORIAN ZIHLER, in: Handelsregisterverordnung [HRegV], Siffert/Turin [Hrsg.], 2013, N. 1 zu
Art. 174 HRegV
). Für Gesellschaften mit beschränkter Haftung gilt diese Regel nicht.
Das Opting-out kann aufgehoben werden, falls ein Aktionär spätestens zehn Tage vor der Generalversammlung eine eingeschränkte Revision verlangt (
Art. 727a Abs. 4 Satz 2 OR
; BÖCKLI, a.a.O., § 15 N. 518).
2.3.2
Zweck
der "massgeblichen aktuellen Unterlagen" i.S. von
Art. 62 Abs. 2 Satz 2 HRegV
ist der Nachweis der Voraussetzungen eines gültigen Opting-outs (ZIHLER, a.a.O., N. 16 zu
Art. 62 HRegV
; WATTER/MAIZAR, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 33 zu
Art. 727a OR
; vgl. auch Urteil 4A_509/2012 vom 8. März 2013 E. 2.2). Bei der Vorschrift von
Art. 62 Abs. 2 Satz 2 HRegV
handelt es sich mithin um eine Konkretisierung des in
Art. 15 Abs. 2 HRegV
verankerten Belegprinzips, wonach die ins Handelsregister einzutragenden Tatsachen zu belegen und die dazu erforderlichen Belege dem Handelsregisteramt einzureichen sind (dazu ZIHLER, a.a.O., N. 6 ff. zu
Art. 15 HRegV
).
Nach der Rechtsprechung soll mit der Jahresrechnung (bestehend aus Bilanz und Erfolgsrechnung) belegt werden, dass die Gesellschaft die erste Opting-out-Voraussetzung erfüllt, nämlich das Nichterfüllen der Voraussetzungen für die Pflicht zur ordentlichen Revision (Urteil 4A_509/2012 vom 8. März 2013 E. 2.2; vgl. auch WATTER/MAIZAR, a.a.O., N. 33 zu
Art. 727a OR
).
Um dies zu belegen, genügt freilich eine Jahresrechnung, die den massgeblichen Normen des Rechnungslegungsrechts entspricht. Eines Prüfungsberichts einer Revisionsstelle bedarf es hierzu nicht, obliegt es doch dem Handelsregisteramt, summarisch zu prüfen, ob Struktur und Inhalt der eingereichten Bilanzen und Erfolgsrechnungen ausreichend sind, um die Höhe der Bilanzsumme und des Umsatzerlöses bestimmen zu können (ZIHLER, a.a.O., N. 17 zu
Art. 62 HRegV
). Auch für den Nachweis der weiteren beiden Opting-out
-
Voraussetzungen, also das Nichtüberschreiten von zehn Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt und der Verzicht sämtlicher Gesellschafter auf eine eingeschränkte Revision, bedarf es keines Prüfungsberichtes. Dies
BGE 139 III 449 S. 455
steht im Einklang mit der Praxismitteilung des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister vom 2. Juli 2009 (S. 3), wonach als Beleg lediglich eine gemäss
Art. 961 OR
unterzeichnete
, nicht aber revidierte Jahresrechnung eingereicht werden muss. Auch in der Lehre wird vertreten, dass die Jahresrechnungen, die als Belege beim Handelsregisteramt eingereicht werden, nicht revidiert sein müssen (ZIHLER, a.a.O., N. 20 zu
Art. 62 HRegV
; implizit auch BÖCKLI, a.a.O., § 15 N. 676).
2.3.3
Eine andere Lehrmeinung, auf welche die Vorinstanz abgestellt hat und die offenbar der Praxis einiger kantonaler Handelsregisterämter entspricht, verlangt hingegen, dass bei einem Opting-out ab einem späteren Jahr als 2008 auch der Nachweis der Revision der vorangegangenen Jahre zu erbringen sei, wobei die Revisionsstelle im Hinblick auf diese Berichterstattung nur zu wählen, nicht aber im Handelsregister einzutragen sei (MICHAEL GWELESSIANI, Praxiskommentar zur Handelsregisterverordnung, 2. Aufl. 2012, N. 280a zu
Art. 62 HRegV
). Diese Lehrmeinung gründet auf der Überlegung, dass seit dem 1. Januar 2008 sämtliche Kapitalgesellschaften, also auch Gesellschaften mit beschränkter Haftung, zumindest eingeschränkt revisionspflichtig sind (Art. 727 ff. i.V.m. 818 OR sowie Art. 7 der Übergangsbestimmungen der Änderung vom 16. Dezember 2005). Sie impliziert, dass die (bisherige) Erfüllung der Revisionspflicht bzw. das Vorliegen einer revidierten Jahresrechnung eine
weitere, ungeschriebene Voraussetzung
eines wirksamen Opting-outs bildet. Davon geht auch die Vorinstanz aus, wenn sie dafürhält, dass ohne "von einem zugelassenen Revisor geprüfte Bilanz (mit Vorjahreszahlen) und Jahresrechnung 2008 (...) kein gültiges Opting-out beschlossen" worden sei.
Diese (isolierte) Lehrmeinung verkennt freilich, dass sich die Voraussetzung der Erfüllung der Revisionspflicht bzw. des Vorliegens einer geprüften Jahresrechnung weder aus Art. 727 i.V.m. 727a Abs. 2 OR noch aus
Art. 62 Abs. 1 lit. a-c HRegV
ergibt. Aus diesen Normen lassen sich lediglich die drei oben in E. 2.3.1 genannten Voraussetzungen ableiten. Eine zusätzliche Voraussetzung einer geprüften Jahresrechnung ergibt sich weder aus den Materialien, noch wird dies in der Literatur zu Art. 727 f. OR vertreten (statt aller BÖCKLI, a.a.O., § 15 N. 514 ff., 676). Ebensowenig lässt sich aus den von der Vorinstanz zitierten Praxismitteilungen des Eidgenössischen Amtes für das Handelsregister vom 28. November 2008 (S. 2), bzw. vom 2. Juli
BGE 139 III 449 S. 456
2009 (Ziff. 2.1) eine entsprechende Voraussetzung ableiten, äussern sich diese doch lediglich zur Gültigkeit der Genehmigung einer Jahresrechnung nach
Art. 731 Abs. 3 OR
. Hat eine Gesellschaft keine Revisionsstelle bestellt und damit ihre (bisherige) Revisionspflicht nicht erfüllt, so hätte dies im Rahmen eines Organisationsmängelverfahrens von einer nach
Art. 731b OR
aktivlegitimierten Partei (Handelsregisteramt, Gesellschafter, Gläubiger) geltend gemacht werden müssen, steht aber einem wirksamen Opting-out nicht entgegen.
2.3.4
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass ein Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für die als Beleg einzureichende Jahresrechnung nicht zu den "massgeblichen aktuellen Unterlagen" i.S. von
Art. 62 Abs. 2 Satz 2 HRegV
gehört. Denn die (bisherige) Erfüllung der Revisionspflicht bzw. das Vorliegen einer revidierten Jahresrechnung bildet weder eine weitere, ungeschriebene Voraussetzung eines wirksamen Opting-outs, noch bedarf es eines Prüfungsberichts zum Nachweis der drei aus Art. 727 i.V.m. 727a Abs. 2 OR sowie
Art. 62 Abs. 1 lit. a-c HRegV
folgenden Opting-out-Voraussetzungen.
Die Vorinstanz ist in Verletzung von Art. 727 f. OR i.V.m.
Art. 62 HRegV
somit zu Unrecht zum Schluss gelangt, dass die Beschwerdeführerin dem Handelsregisteramt zur Eintragung des Opting-outs den Prüfungsbericht eines zugelassenen Revisors für den Jahresabschluss 2009 nachreichen muss.
2.4
Die Beschwerde ist somit in diesem Punkt begründet und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben, soweit das Begehren um Eintragung des Opting-outs abgewiesen wurde. Den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (
Art. 105 Abs. 1 BGG
) lässt sich indessen nicht entnehmen, welche Belege die Beschwerdeführerin ihrer Anmeldung des Opting-outs beigelegt hat bzw. welchen Inhalt diese haben. Damit kann das Bundesgericht auch nicht reformatorisch beurteilen, ob die für den Nachweis der Opting-out-Voraussetzungen notwendigen Belege vorliegen. Die Sache ist daher in Anwendung von
Art. 107 Abs. 2 BGG
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat festzustellen, ob die notwendigen Belege vorliegen (wobei der zu Unrecht verlangte Prüfungsbericht nicht dazu gehört), und neu zu entscheiden, ob das Opting-out im Handelsregister einzutragen ist. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
025b25b0-22c7-4f67-9a53-aa6fedf99015 | Urteilskopf
103 Ib 227
36. Urteil vom 1. Juli 1977 i.S. Landwirtschaftliche Konsumgenossenschaft Wehntal gegen Regierungsrat des Kantons Zürich | Regeste
Bewilligung für den Verkehr mit Giften.
- Einer Firma im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG können mehrere Bewilligungen für den Verkehr mit Giften abgegeben werden (E. 1).
- Art. 7 GG verlangt, dass an jedem Ort, wo der Verkehr mit Giften betrieben wird, eine Person anwesend ist, die eine Bewilligung innehat oder aufgrund deren Kenntnisse der Firma eine Bewilligung ausgestellt worden ist (E. 2, 3); Verhältnismässigkeit der Bestimmung (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 103 Ib 227 S. 227
Die Landwirtschaftliche Konsumgenossenschaft Wehntal, deren Verwalter eine Bewilligung C für den Verkehr mit Giften innehat, verkaufte in ihren Depots in Niederweningen und Schöfflinsdorf Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel der Giftklassen 3 und 4. Das Kantonale Laboratorium Zürich forderte die Genossenschaft am 10. Oktober 1975 auf, für die beiden Depots je eigene Bewilligungen C einzuholen oder auf den Verkauf von Erzeugnissen der Giftklasse 2-4
BGE 103 Ib 227 S. 228
zu verzichten. Gleichzeitig verbot es ihr einstweilen, in den beiden Depots Erzeugnisse mit Giften dieser Klassen zu verkaufen. Eine beim Regierungsrat des Kantons Zürich gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Genossenschaft die Aufhebung des regierungsrätlichen Entscheides. Sie macht geltend, es sei ausreichend, wenn in einer Firma der Geschäftsführer über eine Bewilligung für den Verkauf von Gift verfüge.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Art. 8 Abs. 2 GG legt fest, dass die allgemeine Bewilligung für den Verkehr mit Giften Personen zu erteilen ist, die dafür über die nötigen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen verfügen, oder Firmen, Betrieben, Anstalten und Instituten, in denen Personen, welche diese Voraussetzungen erfüllen, für den Verkehr mit Giften verantwortlich sind. Damit wird gesagt, dass Bewilligungen nicht nur an natürliche Personen erteilt werden, sondern auch an kaufmännische Unternehmungen und die genannten weiteren Einrichtungen. Diese Bestimmung lässt aber nicht den Schluss zu, dass einer Unternehmung nur eine Bewilligung abgegeben werden könne. Die Möglichkeit, dass Bewilligungen Anstalten (établissements, stabilimenti) und Instituten, die nicht selbständige juristische Personen oder Unternehmungen zu sein brauchen, sondern Teile davon darstellen können, erteilt werden, deutet im Gegenteil darauf hin, dass einer Firma auch mehrere Bewilligungen abgegeben werden können. Wieviele Bewilligungen in einem gegebenen Fall für eine Unternehmung erforderlich sind, geht aus Art. 8 Abs. 2 GG allerdings nicht direkt hervor.
2.
Für die Frage der erforderlichen Anzahl von Bewilligungen in einer Firma ist vor allem Art. 7 GG massgebend. Diese Bestimmung stellt den Grundsatz auf, dass der Verkehr mit Giften, unter Vorbehalt bestimmter Ausnahmen, einer Bewilligung bedarf. Es hängt somit von der Bedeutung des Begriffs des Giftverkehrs ab, in welchen Fällen eine Bewilligung erforderlich ist. Nach Art. 3 Abs. 1 GG gilt als Verkehr insbesondere das Herstellen, Verarbeiten, Aufbewahren, Verwenden, Einführen, Abgeben, Beziehen, Anpreisen, Anbieten
BGE 103 Ib 227 S. 229
oder Beseitigen. Dieser Begriff ist somit sehr weit gefasst. Nach der Botschaft zum Giftgesetz wurde mit dieser weiten Fassung bezweckt, den gesamten Verkehr mit Giften von der Einfuhr oder Herstellung an bis zum Verbrauch so zu regeln, dass der Schutz von Leben oder Gesundheit in jeder Phase so gut als möglich gewährleistet wird (BBl 1968 I 1440). Ein solch umfassender Schutz von Leben und Gesundheit ist aber nur durchführbar, wenn grundsätzlich an jedem Ort, wo der Verkehr mit Giften betrieben wird, eine Person vorhanden ist, welche die Gefahren der Gifte in einem bestimmten Umfang kennt. Um zu gewährleisten, dass an den Giftverkaufsstellen Personen tätig sind, die diese Voraussetzungen erfüllen, ist es unerlässlich, dass deren Kenntnisse in geeigneter Form geprüft werden, und dass der Giftverkehr nur an Stellen betrieben wird, welchen aufgrund solcher Prüfungen Bewilligungen erteilt worden sind.
Dieser Schluss ergibt sich auch aus verschiedenen Bestimmungen der Verordnung zum Giftgesetz. Nach Art. 31 GV muss die für den Giftverkauf verantwortliche Person beispielsweise fähig sein, erste Hilfe zu leisten. Dies wäre bei einer Überwachung aus Distanz nicht möglich. Ferner ist der Verkäufer von Gift nach Art. 60 GV verpflichtet, den Empfänger auf die Gefährlichkeit des Giftes aufmerksam zu machen. Auch diese Pflicht wäre durch eine stichprobeweise Überwachung nicht erfüllbar. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Vorschriften, welche die Zielsetzungen des Giftgesetzes präzisieren und verdeutlichen. Sie sind deshalb gesetzmässig, und es kann nicht beanstandet werden, dass die Vorinstanz sie zur Auslegung des Erlasses herangezogen hat (vgl.
BGE 99 Ib 62
f., 195;
BGE 98 Ia 287
mit Verweisungen; IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung. 5. Aufl. I, S. 50 f.).
Gewiss muss die verantwortliche Person nicht ununterbrochen zugegen sein. Ein bloss sporadisches Erscheinen in der Giftverkaufsstelle ist aber keinesfalls genügend (vgl.
BGE 94 I 230
betreffend die Präsenzpflicht des Apothekers).
3.
Das Giftgesetz enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Verantwortlichkeit für verschiedene Giftverkaufsstellen von ein und derselben Person übernommen werden könnte, solange diese Giftverkaufsstellen rechtlich miteinander verbunden sind. Der Inhaber einer solchen Bewilligung C könnte unter diesen Voraussetzungen nur stichprobeweise die
BGE 103 Ib 227 S. 230
verschiedenen Giftverkaufsstellen überwachen. Es leuchtet ein, dass eine genügende Überwachung des Giftverkehrs durch verantwortliche und ausgebildete Personen nicht gewährleistet wäre, wenn in einer Grossverteilerorganisation mit zahlreichen Verkaufsstellen ein Direktor am Zentralsitz eine allgemeine Bewilligung C inne hätte. Das Giftgesetz verlangt vielmehr, dass jede Giftverkaufsstelle einer Bewilligung bedarf, unabhängig von der Rechtsform, in welcher sie betrieben wird. Es ist sogar denkbar, dass je nach der Grösse eines Betriebes und dem Umfang des Verantwortlichkeitsbereiches ein einziger Bewilligungsträger pro Giftverkaufsstelle nicht ausreicht. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin kann nicht der Schluss gezogen werden, dass in Supermärkten oder Grossverkaufsstellen eine einzige verantwortliche Person genüge, und dass daher zugelassen werden müsse, dass für mehrere örtlich getrennte Verkaufsstellen ebenfalls nur eine Bewilligung erworben werde.
4.
Die Regelung, wonach von den Servicemonteuren keine Bewilligung C verlangt wird, kann ebenfalls nicht dazu führen, dass vom Gesetz abgewichen wird. Dies kann umso weniger geschehen, als diese Regelung in Überprüfung steht. Die bei den Servicemonteuren verfolgte Praxis stützt sich auf ein Kreisschreiben, also auf eine Verwaltungs- und nicht eine Rechtsvorschrift, so dass sie ohnehin nur unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit von Belang sein könnte (GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, 2. Aufl., S. 144 f.). Eine rechtsungleiche Behandlung liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor, weil die Regelung für die Servicemonteure einen anderen Sachverhalt betrifft.
5.
Die Beschwerdeführerin stützt sich auch zu Unrecht auf Art. 13 GG. Diese Bestimmung enthält eine Aufzählung einer Reihe von Formen des Giftverkehrs, die auch dann verboten sind, wenn eine individuelle Verkehrsbewilligung vorliegt. Art. 13 GG hat nicht die Aufgabe, alle Möglichkeiten des verbotenen Giftverkehrs aufzuzählen. Aus der Tatsache, dass der Giftverkauf in Filialgeschäften ohne eigene Bewilligung in Art. 13 GG nicht ausdrücklich verboten wird, kann die Konsumgenossenschaft Wehntal somit nichts für sich ableiten.
6.
Die Beschwerdeführerin ruft im weiteren das Verhältnismässigkeitsprinzip an. In dieser Hinsicht darf nicht ausser
BGE 103 Ib 227 S. 231
acht gelassen werden, dass die Bewilligung C mit einem zumutbaren Aufwand auch von Personen ohne höhere Schulbildung erlangt werden kann (vgl. Reglement über Kurse und Prüfungen zum Erwerb einer allgemeinen Bewilligung C für den Verkehr mit Stoffen und Erzeugnissen der Giftklassen 2 bis 4 für den landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Bedarf; SR 814.832.531.7). Die Auslegung des Giftgesetzes, wonach pro Giftverkaufsstelle eine Bewilligung vorhanden sein muss, kann im Rahmen der verfassungskonformen Interpretation deshalb nicht als unverhältnismässig gelten. Es stehen gerade im landwirtschaftlichen Verkehr mit Giften (Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel) besonders hoch zu wertende Rechtsgüter wie Menschen, Tiere und Pflanzen auf dem Spiel.
Fehl geht auch der Einwand, der Entscheid der Vorinstanz sei unverhältnismässig, weil im aktuellen Fall keine polizeiliche Gefahr vorliege. Polizeivorschriften wie das Giftgesetz sind dazu bestimmt, abstrakte Gefährdungen eines Polizeigutes abzuwehren, die nach der Lebenserfahrung wahrscheinlich eine konkrete Bedrohung eines Polizeigutes nach sich ziehen würden. Solche Polizeivorschriften entheben die rechtsanwendende Behörde von der Verpflichtung, im Einzelfall zu prüfen, ob ein polizeiliches Interesse ein Eingreifen verlangt. Dieses polizeiliche Interesse gilt als begründet und dargetan, wenn ein Sachverhalt von der betreffenden Polizeivorschrift erfasst wird (IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung 5. Aufl., II S. 973 f.; JOST, Die neueste Entwicklung des Polizeibegriffs im schweizerischen Recht, Diss. Bern 1975, S. 91; vgl. auch
BGE 100 Ib 98
f.).
7.
Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, dass die mit der Erlangung einer Bewilligung C verbundene finanzielle Belastung verschiedene Depots von landwirtschaftlichen Genossenschaften zwinge, den Giftverkauf einzustellen. Dies führe zu einer Unterversorgung mit Giftstoffen. Eine solche Befürchtung, die im übrigen durch nichts belegt ist, kann keinesfalls dazu führen, dass eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausnahme gewährt wird.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
026abc9c-9a14-42fa-956a-65c5da655967 | Urteilskopf
116 Ia 446
65. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. September 1990 i.S. Erbengemeinschaft X. gegen Z. Verlag AG (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 87 OG
; nicht wiedergutzumachender Nachteil.
Die Begriffe des Nachteils als materielle Voraussetzung des vorsorglichen Rechtsschutzes (vorliegend
Art. 53 Ziff. 1 URG
) und als formell-prozessuale Voraussetzung der Beschwerde nach
Art. 87 OG
sind nicht identisch. Jener liegt in der Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in seiner materiellen Rechtsstellung, dieser in der Verweigerung der Verfassungskontrolle. | Erwägungen
ab Seite 447
BGE 116 Ia 446 S. 447
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, weil der für die Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheides gemäss
Art. 87 OG
verlangte nicht wiedergutzumachende Nachteil vorliegend nicht gegeben sei. Dem ist nicht so, denn die Begriffe des Nachteils als materielle Voraussetzung des vorsorglichen Rechtsschutzes und als formell-prozessuale Voraussetzung der Beschwerde nach
Art. 87 OG
sind nicht identisch. Die vorsorgliche Massnahme will die vorläufige Beurteilung und antizipierte Vollstreckung zum Zwecke der Sicherung des fälligen Anspruchs ermöglichen und ist gegeben, wenn das Zuwarten bis zum Entscheid im ordentlichen Verfahren dem Kläger wirtschaftlichen oder immateriellen Schaden brächte. Der Nachteil ist hier Anspruchsvoraussetzung. Fehlt er, ist das Begehren abzuweisen. Der Nachteil nach
Art. 87 OG
ist demgegenüber Beschwerdevoraussetzung; fehlt er, wird auf die Beschwerde nicht eingetreten. Erforderlich ist dabei nicht eine materiellrechtliche Beeinträchtigung im Falle des Zuwartens. Es genügt auch ein bloss formeller Rechtsnachteil (
BGE 115 Ia 314
und 319), welcher namentlich darin bestehen kann, dass eine spätere Anfechtung des Massnahmeentscheides zufolge dessen Wegfalls mit dem Hauptentscheid nicht mehr möglich ist (
BGE 108 II 71
,
BGE 103 II 122
). Der Nachteil liegt nicht in der Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in seiner materiellen Rechtsstellung, sondern in der Verweigerung der Verfassungskontrolle, d.h. in der Beeinträchtigung seiner formellen Rechtsstellung. Letztinstanzliche Massnahmeentscheide sind deshalb gemäss der bisherigen Praxis stets beschwerdefähig, und es kann offenbleiben, ob der angefochtene Beschluss, der nicht
BGE 116 Ia 446 S. 448
an eine andere kantonale Behörde weitergezogen werden konnte, als End- oder bloss als Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
anzusehen sei (
BGE 114 II 369
E. 2a, 108 II 71 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
027408f1-dc45-45ad-b6b4-81842200bb28 | Urteilskopf
106 V 124
30. Urteil vom 4. Juli 1980 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zug gegen Scherrer und Verwaltungsgericht des Kantons Zug | Regeste
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
,
Art. 58 Abs. 1 und
Art. 64 Abs. 1 VwVG
,
Art. 72 BZP
.
Parteientschädigung im kantonalen Beschwerdeverfahren, das gegenstandslos geworden ist. | Sachverhalt
ab Seite 124
BGE 106 V 124 S. 124
A.-
Mit Verfügung vom 21. September 1979 verweigerte die Ausgleichskasse des Kantons Zug Felix Scherrer
BGE 106 V 124 S. 125
Kostengutsprache für die Behandlung seiner Augen und für Brillen, weil das Leiden die für die Anerkennung als Geburtsgebrechen Nr. 425 erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle.
B.-
Gegen diese Verfügung reichte Rechtsanwältin X. beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug am 22. Oktober 1979 Beschwerde ein, indem sie darauf hinwies, dass Felix Scherrer auch an den Geburtsgebrechen Nr. 426 und 427 leide; die Ärztin Dr. B. habe die Invalidenversicherungs-Kommission von diesen beiden Geburtsgebrechen im Sinne eines Wiedererwägungsgesuches bereits unterrichtet. Diese ärztliche Mitteilung war in der Tat bereits am 24. September 1979 erfolgt, und am 17. Oktober 1979 hatte die Invalidenversicherungs-Kommission in Aufhebung ihres früheren Beschlusses vom 20. September 1979 beschlossen, für die Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 426 aufzukommen. Dieser Beschluss wurde dem Vater des Versicherten mit Verfügung der Ausgleichskasse vom 19. Oktober 1979 eröffnet. Die Invalidenversicherungs-Kommission gab am 20. November 1979 dem kantonalen Verwaltungsgericht von ihrem Beschluss Kenntnis und erachtete das Beschwerdebegehren als unbegründet. Mit Verfügung vom 29. November 1979 schrieb der Präsident des Verwaltungsgerichts die Beschwerde als gegenstandslos vom Geschäftsverzeichnis ab und verpflichtete die Kasse, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten.
C.-
Die Ausgleichskasse erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid betreffend die Parteientschädigung aufzuheben. Sie begründete dies im wesentlichen damit, dass es keinen obsiegenden Beschwerdeführer gebe, weil sich die Beschwerde gegen eine Verfügung gerichtet habe, die im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung bereits aufgehoben gewesen sei...
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
hat der im kantonalen AHV-Prozess obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und -vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Aufgrund dieser Bestimmung verhielt der vorinstanzliche Richter die Ausgleichskasse zur Bezahlung
BGE 106 V 124 S. 126
einer Parteientschädigung an Felix Scherrer. Die Kasse ihrerseits vertritt die Auffassung,
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
sei nicht anwendbar, weil es im vorliegenden Fall gar keine obsiegende Partei gebe.
In ähnlicher Weise wie die zitierte Vorschrift des AHVG bestimmt
Art. 64 Abs. 1 VwVG
mit dem Randtitel "Parteientschädigung", dass die Beschwerdeinstanz der ganz oder teilweise obsiegenden Partei eine Entschädigung für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zusprechen kann. Wie die Parteientschädigung zu bemessen ist, wird gestützt auf
Art. 64 Abs. 5 VwVG
in Art. 8 der bundesrätlichen Verordnung über die Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsverfahren näher umschrieben. Art. 8 Abs. 7 schreibt vor: "Die Beschwerdeinstanz setzt gegebenenfalls auch dann eine Parteientschädigung fest, wenn die Beschwerde gegenstandslos wird, weil die Vorinstanz die angefochtene Verfügung nach Art. 58 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zugunsten des Beschwerdeführers in Wiedererwägung zieht." Zwar ist diese Bestimmung auf das Verfahren vor den kantonalen Rechtspflegeinstanzen, die aufgrund von
Art. 69 IVG
entscheiden, nicht anwendbar. Indessen rechtfertigt es sich, in Anlehnung an
Art. 64 Abs. 1 VwVG
und Art. 8 Abs. 7 der zitierten Verordnung den
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
in dem Sinne auszulegen, dass auch bei Gegenstandslosigkeit der Beschwerde eine Parteientschädigung zugesprochen werden kann. Über deren Höhe ist aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Grundes der Gegenstandslosigkeit zu entscheiden (vgl.
Art. 72 BZP
).
2.
Nachdem die Ärztin Dr. B. die heute streitige Verfügung vom 21. September 1979 erhalten hatte, machte sie die Invalidenversicherungs-Kommission mit Schreiben vom 24. September 1979 darauf aufmerksam, dass der Beschwerdeführer auch an den Geburtsgebrechen Nr. 426 und 427 leide. Erst am 19. Oktober 1979 hob die Ausgleichskasse ihre abweisende Verfügung wieder auf, indem sie Kostengutsprache für die Behandlung des Geburtsgebrechens Nr. 426 gewährte. Diese Verfügung gelangte frühestens am Samstag, den 20. Oktober 1979, in den Besitz des Vaters des Versicherten. Am 22. Oktober 1979 lief aber die Frist zur Beschwerdeführung gegen die Verfügung vom 21. September 1979 ab. Bei diesen
BGE 106 V 124 S. 127
Gegebenheiten kann dem Vater des Versicherten kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er noch am 19. Oktober 1979, also unmittelbar vor Ablauf der Beschwerdefrist, die Rechtsanwältin X. konsultierte. Mit Recht hat daher der kantonale Richter der Ausgleichskasse eine Parteientschädigung auferlegt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
0286dccf-081c-4bf7-949f-ec0d71426525 | Urteilskopf
108 IV 175
44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Februar 1982 i.S. A. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 260 Abs. 1 StGB
.
Das Beschmieren von Tramwagen mit Farbe im Rahmen einer öffentlichen Zusammenrottung ist eine Gewalttätigkeit im Sinne des Gesetzes; zu dieser bedarf es nicht der Anwendung besonderer physischer Kraft. | Erwägungen
ab Seite 175
BGE 108 IV 175 S. 175
Aus den Erwägungen:
4.
Den Schuldpunkt des Landfriedensbruchs (
Art. 260 Abs. 1 StGB
) ficht A. zunächst erneut mit Behauptungen tatsächlicher
BGE 108 IV 175 S. 176
Natur an, mit denen er sich zu den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz in Widerspruch setzt und die deshalb nicht zu hören sind (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
In rechtlicher Beziehung aber kann, was die Begriffe der Zusammenrottung und der Teilnahme an dieser anbelangt, auf das zum Tatbestand des
Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
Gesagte verwiesen werden. Dasselbe gilt für den Teilnahmevorsatz. Legt man aber die entsprechenden rechtlichen Erwägungen zugrunde und berücksichtigt man, dass sich der Menge eine unbestimmte Zahl beliebiger Personen anschliessen konnte, sie also eine öffentliche war (
BGE 108 IV 34
E. 1a), so ist nicht ersichtlich, inwiefern das angefochtene Urteil gegen Bundesrecht verstossen sollte; dass A. objektiv und subjektiv an einer Zusammenrottung teilgenommen hat, aus der heraus gegen Menschen und Sachen Gewalttätigkeiten begangen wurden, steht nach den tatsächlichen Annahmen der Vorinstanz fest. So stellt der tätliche Angriff gegen Polizeiadjunkt X. ebenso eine Gewalttätigkeit im Sinne des Gesetzes dar wie das Verschmieren von Tramwagen des Kurses 466 mit Sprayfarbe; der Begriff der Gewalttätigkeit setzt zwar eine aktive, agressive Einwirkung auf Menschen oder Sachen voraus, nicht notwendig aber auch die Aufwendung besonderer physischer Kraft (s. STRATENWERTH, BT II, S. 293 in Verbindung mit BT I, S. 90). Er umfasst in seiner Weite alles, von der Tötung bis zu einer geringfügigen Sachbeschädigung (HAFTER, BT, zweite Hälfte, S. 455), und unter Umständen sogar die unmittelbar bloss drohende Anwendung von Gewalt (
BGE 103 IV 245
). Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet, soweit auf sie überhaupt einzutreten ist. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
0288ecc8-6fb2-44d2-b539-754c48b642e7 | Urteilskopf
125 III 339
59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. August 1999 i.S. V. gegen Versicherung X. (Berufung) | Regeste
Art. 83 Abs. 3 SVG
; Verjährung der Rückgriffsrechte.
Gemäss
Art. 83 Abs. 1 SVG
tritt die Verjährung von Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen aus Motorfahrzeug- oder Fahrradunfällen, die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werden, nicht vor der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung ein. Dasselbe gilt auch für Rückgriffsansprüche gemäss
Art. 83 Abs. 3 SVG
(E. 3-5). | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 125 III 339 S. 339
V. fuhr am 10. Oktober 1994 mit dem Lastwagen seiner Arbeitgeberin von Liestal Richtung Sissach, als er mit der Leiteinrichtung einer Baustellenabschrankung am rechten Strassenrand kollidierte. Durch den Aufprall geriet das Fahrzeug auf die gegenüberliegende Strassenseite, wo es schliesslich an einer Lärmschutzwand am Fahrbahnrand zum Stehen kam. An dem Lastwagen, der Baustellenabschrankung und der Lärmschutzwand sowie am Personenwagen eines Dritten entstand Sachschaden in der Höhe von insgesamt Fr. 144'312.55. Aufgrund dieses Unfalls wurde V. mit Strafbefehl
BGE 125 III 339 S. 340
vom 7. Juni 1995 wegen grober Verkehrsregelverletzung gebüsst, wobei der Strafbefehl auch einen zweiten, im vorliegenden Zusammenhang nicht interessierenden Unfall mit einfacher Verkehrsregelverletzung umfasste.
Die Haftpflichtversicherung der Halterin des Lastwagens, die Versicherung X., beglich den Schaden bis auf Fr. 1'000.- Selbstbehalt und nahm auf V. Rückgriff wegen grobfahrlässiger Verursachung des Unfalls. Dieser widersetzte sich einer Zahlung mit der Begründung, der Anspruch sei verjährt.
Das Bezirksgericht Liestal hiess die Klage der Versicherung mit Urteil vom 14. Mai 1998 im Betrage von Fr. 20'000.- nebst Zins gut. Gleich entschied das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 23. März 1999.
Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
a)
Art. 83 des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (SVG; SR 741.01)
regelt die Verjährung sowohl der direkten Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche aus Motorfahrzeug- und Fahrradunfällen als auch der im Strassenverkehrsgesetz vorgesehenen Rückgriffsrechte. In beiden Fällen beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich zwei Jahre. Wird der Anspruch jedoch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährung vorsieht, so gilt diese gemäss
Art. 83 Abs. 1 SVG
auch für den zivilrechtlichen Direktanspruch. Demgegenüber enthält Absatz 3, welcher die Verjährung der Rückgriffsrechte zum Gegenstand hat, dem Wortlaut nach keine entsprechende Präzisierung. Weder aus der Botschaft des Bundesrates zum Strassenverkehrsgesetz noch aus den Beratungen in National- und Ständerat geht hervor, aus welchen Gründen in Absatz 3 ein Verweis auf die strafrechtlichen Verjährungsfristen unterblieb bzw. ob die Differenz zwischen den beiden Absätzen auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurückgeht. Der Botschaft lässt sich immerhin entnehmen, dass eine einheitliche Verjährung des Anspruchs gegen den Fahrzeugführer, den Halter und den Haftpflichtversicherer sowie gegen weitere, neben dem Halter haftende Personen angestrebt wurde. Entsprechend der Regel von
Art. 60 OR
sollte ferner vermieden werden, dass der Zivilanspruch verjährt, bevor die Verfolgungsverjährung des Strafrechts eintritt. Was die Verjährung der Rückgriffsrechte anbelangt,
BGE 125 III 339 S. 341
erwähnte die Botschaft wiederum das Ziel einer einheitlichen Regelung, ohne aber zur Frage der Anwendbarkeit der strafrechtlichen Verjährungsfristen Stellung zu nehmen (BBl 1955 II 58 f.).
b) Die Verjährungsfristen des Strafrechtes gelten subsidiär in weiten Bereichen des ausservertraglichen Haftpflichtrechts. Neben
Art. 60 Abs. 2 OR
und
Art. 83 Abs. 1 SVG
sieht auch
Art. 39 Abs. 1 RLG
(Rohrleitungsgesetz; SR 746.1) sie ausdrücklich vor. Ausserdem gelten sie mittels Verweis auf
Art. 60 OR
auch im Umweltschutzgesetz (SR 814.01), Sprengstoffgesetz (SR 941.41) und Jagdgesetz (SR 922.0). Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelungen ist die Harmonisierung der Vorschriften des Zivil- und Strafrechts im Bereich der Verjährung. Es erschiene unbefriedigend, wenn der Täter zwar noch bestraft werden könnte, die Wiedergutmachung des zugefügten Schadens aber nicht mehr verlangt werden dürfte (
BGE 122 III 225
E. 5 S. 228;
BGE 122 III 5
E. 2b S. 7;
BGE 100 II 332
E. 2a S. 334 f.; BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl., Bern 1998, N. 66 f.; ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl., Bern 1998, S. 269 f.; BERTI, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 1996, N. 11 zu
Art. 60 OR
).
In
BGE 111 II 429
E. 2d S. 439 f. (bestätigt in
BGE 112 II 172
E. II/2c S. 190) entschied das Bundesgericht, die längere strafrechtliche Verjährungsfrist sei auch juristischen Personen entgegenzuhalten, welche den von ihren Organen verursachten Schaden zu ersetzen haben. In
BGE 112 II 79
E. 3 S. 81 ff. hielt das Bundesgericht sodann fest, auch der unmittelbare Anspruch gegen den Versicherer gemäss
Art. 65 Abs. 1 SVG
unterliege gegebenenfalls der strafrechtlichen Verjährungsfrist. Es führte aus, der Wortlaut von
Art. 83 Abs. 1 SVG
mache - ebenso wie
Art. 60 Abs. 2 OR
- die Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsfrist allein davon abhängig, dass die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werde, setze aber nicht voraus, dass diese Handlung vom Beklagten selbst begangen worden sei. Ein Teil der Lehre schloss daraus,
Art. 60 Abs. 2 OR
gelte allgemein auch gegenüber demjenigen, der für das Verhalten des Täters wie für sein eigenes einzustehen habe (BREHM, a.a.O., N. 101 zu
Art. 60 OR
). Diese Auffassung wurde in
BGE 122 III 225
E. 5 S. 228 bestätigt und die längere Verjährungsfrist nach
Art. 60 Abs. 2 OR
folgerichtig auch auf die Hilfspersonenhaftung gemäss
Art. 55 OR
ausgedehnt.
c) Wird ein Haftpflichtversicherer vom Geschädigten unmittelbar in Anspruch genommen, kann er diesem gemäss
Art. 65 Abs. 2 SVG
keinerlei Einreden aus dem Versicherungsvertrag oder aus dem Bundesgesetz
BGE 125 III 339 S. 342
über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) entgegenhalten. Im Interesse eines konsequenten und umfassenden Schutzes des Geschädigten ist der Versicherer deshalb unter Umständen gehalten, Leistungen zu erbringen, die er aufgrund des internen Rechtsverhältnisses zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer bzw. dem Versicherten abzulehnen oder zu kürzen berechtigt wäre. Zum Ausgleich räumt ihm
Art. 65 Abs. 3 SVG
ein gesetzliches Rückgriffsrecht ein. Diesen Anspruch in verjährungsrechtlicher Hinsicht anders zu behandeln als das direkte Forderungsrecht des Geschädigten, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Versicherer, der von Gesetzes wegen eine Leistung zu erbringen hat, zu der er vertraglich nicht verpflichtet ist, muss sich vom Geschädigten die längere strafrechtliche Verjährungsfrist entgegenhalten lassen (
BGE 112 II 79
E. 3 S. 81 ff.). Es wäre daher unbillig, wenn sein Rückgriff gegen den Schädiger seinerseits der kürzeren zweijährigen Verjährungsfrist unterliegen würde. Umgekehrt gibt es keinen Grund, einen Schädiger, der eine strafbare Handlung begangen hat, zu privilegieren und seine zivilrechtliche Leistungspflicht vor dem ihr zugrunde liegenden Delikt verjähren zu lassen, nur weil der Geschädigte in Anwendung von
Art. 65 Abs. 1 SVG
direkt gegen den Versicherer vorgegangen ist. Es erschiene nicht weniger unbefriedigend als im Falle des Direktanspruchs, wenn der Regressanspruch verjähren könnte, solange der Schädiger noch strafrechtlich verfolgt werden kann. Dies ist denn auch die einhellige Meinung jener Autoren, die sich zu dieser Frage äussern (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 4. Aufl., Zürich 1989, Rz. 776; BUSSY/RUSCONI, a.a.O., N. 5.3 zu
Art. 83 SVG
; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Bern 1988, Rz. 1508).
d) Diese Überlegungen führen zum Schluss, dass der Gesetzgeber den Verweis auf die Verjährungsfristen des Strafrechts in
Art. 83 Abs. 3 SVG
nicht bewusst unterlassen hat. Beim Erlass dieser Bestimmung stand eine einheitliche Regelung von Beginn und Dauer der Verjährung der Rückgriffsrechte des Strassenverkehrsgesetzes im Vordergrund (E. 3a hiervor). Einer Klärung bedurfte namentlich der Beginn der Verjährung, wofür - zusätzlich zur Kenntnis des Ersatzpflichtigen - der Zeitpunkt der letzten Zahlung des Rückgriffsberechtigten nahe lag, da damit erst das Regressrecht entstehen und dessen Obergrenze bestimmt werden kann. Eine Abweichung von den in
Art. 83 Abs. 1 SVG
vorgesehenen Fristen wurde hingegen nicht beabsichtigt. Dem Bestreben nach möglichst weitgehender
BGE 125 III 339 S. 343
Vereinheitlichung der Verjährung würde vielmehr zuwiderlaufen, den regressierenden Versicherer anders zu behandeln als den unmittelbar Geschädigten. Demnach ist Abs. 3 so zu lesen, dass die erneute Erwähnung derselben Verjährungsfrist wie in Abs. 1 lediglich den Gleichlauf der Verjährungsdauer betont, während eigentlicher Regelungsgegenstand der dies a quo ist. Bei Herleitung der Schadenersatzklage aus einer strafbaren Handlung muss die in
Art. 83 Abs. 1 SVG
vorgesehene strafrechtliche Verjährungsfrist deshalb auch für den Regressanspruch gelten.
4.
a) Was der Beklagte in der Berufungsschrift dagegen vorbringt, vermag daran nichts zu ändern. Verfehlt ist zunächst das Argument, der Regress des Versicherers sei vertraglicher Natur, so dass es an einer strafbaren Handlung und damit an einer Voraussetzung für die Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsfrist fehle. Wie aus dem Wortlaut von
Art. 83 Abs. 1 SVG
hervorgeht, setzt die Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist bloss voraus, dass die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet wird. Weder kommt es darauf an, dass die Straftat vom Beklagten selbst begangen wurde (
BGE 122 III 225
E. 5 S. 228), noch verlangt der Wortlaut dieser Bestimmung, dass der Kläger als Opfer zu betrachten ist. Die Rechtsnatur des Rückgriffsrechts des Versiche-rers ist im Übrigen umstritten (vgl. OFTINGER/STARK, a.a.O., § 26 Rz. 214 und FN 376). Fest steht jedoch, dass der Regress auf dem Gesetz, nämlich
Art. 65 Abs. 3 SVG
beruht, und dass er auf eine Rückerstattung von Leistungen zielt, die der Versicherer über seine Vertragspflicht hinaus erbracht hat. Diese Leistungen erbringt der Versicherer mithin entgegen der Auffassung des Beklagten nicht in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten, sondern vielmehr - aufgrund des gesetzlichen Einredenausschlusses gemäss
Art. 65 Abs. 2 SVG
- trotz möglicher Einreden aus Vertrag oder Gesetz.
b) Auch die vom Beklagten vorgeschlagene grammatikalische Auslegung von
Art. 83 Abs. 1 SVG
vermag nicht zu überzeugen. Beim Regress des Versicherers gemäss
Art. 65 Abs. 3 SVG
wird der Anspruch offensichtlich «aus einer strafbaren Handlung hergeleitet», ist diese (bzw. die grobfahrlässige Herbeiführung des Schadenereignisses) doch gerade Grund und Voraussetzung für den Rückgriff.
c) Der Beklagte will seinen Standpunkt ferner aufgrund systematischer Auslegung gestützt wissen. Er macht geltend, das Rückgriffsrecht des Versicherers bezwecke eine Wiederherstellung der «normalen Verhältnisse gemäss VVG». Dieses Gesetz sehe aber in
Art. 46 VVG
für alle Forderungen aus Versicherungsverträgen eine
BGE 125 III 339 S. 344
zweijährige Verjährungsfrist vor. Der Beklagte übersieht allerdings, dass
Art. 83 SVG
eigene Verjährungsbestimmungen enthält und nicht auf das VVG verweist. Das erscheint folgerichtig, da der Einredenausschluss gemäss
Art. 65 Abs. 2 SVG
und als dessen Ausgleich der Regress des Versicherers gemäss
Art. 65 Abs. 3 SVG
ihre Grundlage nicht im Versicherungsvertrag, sondern im Gesetz haben (OFTINGER/STARK, a.a.O., § 26 Rz. 214 und FN 376). Im Übrigen hätte es der Gesetzgeber, wenn er eine blosse Anpassung an die Fristen des VVG bezweckt hätte, bei einem Verweis belassen können.
d) Unbegründet ist sodann die Befürchtung des Beklagten, die allgemeine zweijährige Verjährungsfrist gemäss
Art. 83 Abs. 3 SVG
würde zur Makulatur verkommen, weil einige der im SVG geregelten Rückgriffsrechte stets mit einer als Vergehen strafbaren Handlung in Zusammenhang stünden. Wie der Beklagte selbst aufzeigt, handelt es sich dabei um weniger als die Hälfte, nämlich um zwei der insgesamt fünf Rückgriffsrechte, welche das SVG erwähnt. Für die Anwendung der zweijährigen Verjährungsfrist bleibt mithin genügend Raum.
e) Die Ausführungen des Beklagten zu den Unterschieden zwischen Ersatz- und Rückgriffsanspruch vermögen seinen Standpunkt ebenso wenig zu stützen. Namentlich trifft nicht zu, dass es der Versicherer in der Hand habe, den Beginn der Verjährungsfrist durch Erbringen der letzten Zahlung selbst festzusetzen. Die Zahlungen an den Geschädigten stehen nicht im Belieben des Versicherers, sondern er ist von Gesetzes wegen dazu verpflichtet (
Art. 65 Abs. 1 SVG
) und kann im Rahmen des vom Schädiger zu ersetzenden Schadens vom Geschädigten dazu angehalten werden. Auch das Argument, der Versicherer werde anders als der Geschädigte an den Schadenfall und damit an die Möglichkeit des Regresses erinnert, wenn er vom Geschädigten direkt in Anspruch genommen werde, ist verfehlt. Der Beklagte verkennt dabei den wahren Regelungszweck, die Harmonisierung der zivil- und strafrechtlichen Verjährung (E. 3b hiervor). Namentlich kann er aus einer anders gelagerten, speziellen Verjährungsregelung im Kernenergiehaftpflichtgesetz nichts zu seinen Gunsten ableiten. Dasselbe gilt für die vom Beklagten angeführte Anzeigeobliegenheit gemäss Vorentwurf zur Revision des Haftpflichtrechts, den das geltende Recht nicht kennt.
f) Schliesslich lässt sich auch aus dem Aspekt der Rechtssicherheit nichts zu Gunsten des Beklagten ableiten. Die Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfristen bedeutet keineswegs, dass der Schuldner in alle Zukunft noch in Anspruch genommen
BGE 125 III 339 S. 345
werden kann, sondern nur, dass Direktanspruch und Regress-anspruch in verjährungsrechtlicher Hinsicht einheitlich behandelt werden.
5.
Nach dem Gesagten unterliegt die Regressforderung der Klägerin der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist. Der Beklagte wurde wegen des Unfalls vom 10. Oktober 1994 wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG
verurteilt. Diese Bestimmung sieht als Strafe Gefängnis oder Busse vor. Gemäss
Art. 70 StGB
tritt die Verfolgungsverjährung in diesem Fall nach fünf Jahren ein. Die Vorinstanz hat mithin im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die Verjährungseinrede des Beklagten abgewiesen hat. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
028db78a-0bc0-4a96-9d9c-865042426c4d | Urteilskopf
90 I 206
32. Auszug aus dem Urteil vom 14. Oktober 1964 i.S. Bucher gegen Kuster und Kantonsgericht Schwyz. | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 680, 686 und 702 ZGB
.
Öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Bauvorschriften der Kantone und Gemeinden. Die Annahme, die schwyzerischen Gemeinden seien nur zum Erlass öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften befugt und die Abstandsvorschriften der Bauverordnung der Gemeinde Lachen seien öffentlich-rechtlicher Natur, ist nicht willkürlich. | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 90 I 206 S. 207
Der Grundeigentümer Bucher klagte beim Bezirksgericht March auf Untersagung des Bauvorhabens seines Nachbars Kuster an der Speerstrasse in Lachen mit der Begründung, der Grenzabstand des Neubaus entspreche nicht den Vorschriften der Art. 10 und 11 der Bauverordnung der Gemeinde Lachen (BVL); zudem verletze der Neubau
Art. 684 ZGB
, indem er dem Grundstück des Klägers Licht, Luft und Sonne entziehe. Das Bezirksgericht bejahte in einem Vorentscheid seine Zuständigkeit zur Behandlung der Klage wegen Verletzung des
Art. 684 ZGB
, verneinte sie dagegen mit Bezug auf die Rüge der Missachtung von Abstandsvorschriften der BVL. Es wies sodann die Klage wegen Verletzung des
Art. 684 ZGB
mit Urteil ab.
Bucher reichte gegen den Vorentscheid Rekurs und gegen das Urteil Berufung ein. Das Kantonsgericht hat beide Rechtsmittel abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, das schwyzerische Baugesetz ermächtige die Gemeinden nur zum Erlass öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften. Die kantonalen Bauvorschriften privatrechtlicher Natur seien ausschliesslich im EG ZGB enthalten, das keine Delegation der Rechtssetzungsbefugnis an die Gemeinden vorsehe. Die Einsprache, die mit der Rüge des ungenügenden Grenzabstandes eine Verletzung von Bestimmungen der BVL beanstande, stütze sich insoweit auf öffentliches Recht, dessen Missachtung mit verwaltungsrechtlicher und nicht mit privatrechtlicher Einsprache geltend zu machen sei. Das Bezirksgericht sei deshalb mit Recht insoweit auf die Klage nicht eingetreten. Die Rüge, das Bauvorhaben entziehe der Liegenschaft des Klägers Licht, Luft und Sonne und verletze dadurch
Art. 684 ZGB
, sei zwar privatrechtlicher Natur, so dass darauf einzutreten sei; die behaupteten Beeinträchtigungen stellten indessen keine Einwirkungen im Sinne von
Art. 684 ZGB
dar, was zur materiellen Abweisung der Einsprache führe.
Bucher hat das Urteil des Kantonsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
BGE 90 I 206 S. 208
angefochten. Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.-3. (Prozessuales. Die behauptete Verletzung des
Art. 684 ZGB
hätte, da der Streitwert mehr als Fr. 8000.-- beträgt, mit Berufung geltend gemacht werden müssen. Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde ist nur zu prüfen, ob die Annahme des Kantonsgerichts, die Zivilgerichte seien zur Beurteilung der Rüge der Verletzung von Abstandsvorschriften der BVL unzuständig, vor
Art. 4 BV
standhalte.)
4.
Das Kantonsgericht geht davon aus, dass die Verletzung öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften im Kanton Schwyz im Verwaltungsstreitverfahren und nicht vor den Zivilgerichten geltend zu machen sei. Der Beschwerdeführer ficht diese Feststellung nicht an. Er erblickt Willkür allein darin, dass das Kantonsgericht die in der Baueinsprache angerufenen Bestimmungen der BVL dem öffentlichen Recht zurechnet.
Art. 702 ZGB
behält den Kantonen und Gemeinden vor, baupolizeiliche Beschränkungen des Grundeigentums aufzustellen. Gemäss
Art. 5 und 686 ZGB
sind die Kantone ausserdem befugt, zivilrechtliche Bauvorschriften, insbesondere über die Bauabstände, zu erlassen. Kantonale Bauvorschriften können mithin öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Charakter haben; sie können aber auch zugleich dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht angehören und insofern gemischte Normen sein. Welchem Rechtsgebiet eine kantonale Bauvorschrift angehöre, ergibt sich aus dem kantonalen Recht, dessen Auslegung und Anwendung das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (und der hier nicht in Betracht fallenden Rechtsgleichheit) überprüft (vgl. zum Ganzen BUSER, Baupolizei und Strassenrecht im Kanton Aargau, ZBl 1932 S. 357; KIRCHHOFER, Über die Legitimation zum staatsrechtlichen Rekurs, ZSR 55 S. 171; SCHWANDER,
BGE 90 I 206 S. 209
Die Rechtssetzung durch die Gemeinden im Kanton Schwyz, S. 42; ZWAHLEN, Du droit des voisins à l'observation des règles de police des constructions, in Mélanges François Guisan, S. 325 ff., insbesondere S. 336-341).
a) Die BVL, deren Abstandsvorschriften hier in Frage stehen, stützt sich gemäss Ingress auf § 1 des kantonalen Baugesetzes (BauG) vom 1. Dezember 1899. Dieses räumt den Gemeinden in § 1 die Befugnis ein, Bauvorschriften aufzustellen, insbesondere solche über die Baupolizei (lit. c) und über nachbarrechtliche Verhältnisse, die mit dem Bauwesen im Zusammenhang stehen (lit. d). Während lit. c öffentlich-rechtliche Vorschriften vorsieht, betrifft lit. d privatrechtliche Bestimmungen des Nachbarrechts (SCHWANDER, a.a.O., S. 43). Dass lit. c heute noch in Kraft steht, ist unbestritten; fraglich ist dagegen, ob lit. d noch gelte. Das Baugesetz entstammt der Zeit vor Einführung des ZGB. Von der Befugnis zum Erlass zivilrechtlicher Bauvorschriften, die
Art. 686 ZGB
den Kantonen belässt, hat der Kanton Schwyz in den §§ 143 ff. des EG ZGB Gebrauch gemacht. Diese Bestimmungen ordnen das dem Kanton vorbehaltene Nachbarrecht nach allen Richtungen hin und ohne eine Befugnis der Gemeinden zur Regelung einzelner privater nachbarrechtlicher Beziehungen zu erwähnen. Zwar spricht § 158 Abs. 1 Satz 2 EG ZGB von (Bebauungsplänen und) Bauvorschriften der Gemeinden; er betrifft aber, wie aus Satz 1 zu schliessen ist, baupolizeiliche Normen, also öffentliches Recht. Diese Umstände legen die Annahme nahe, der kantonale Gesetzgeber habe die Befugnis, im Rahmen des ZGB privatrechtliche Bauvorschriften aufzustellen, ganz an sich ziehen wollen und er habe damit § 1 lit d BauG stillschweigend aufgehoben. Ist dem so, dann entbehren privatrechtliche Bauvorschriften der Gemeinden der gesetzlichen Grundlage; sie sind deshalb nichtig. Nach dieser im Schrifttum von SCHWANDER (a.a.O., S. 43-45) vertretenen, sachlich begründeten und darum nicht willkürlichen Auffassung können die in der Baueinsprache angerufenen
BGE 90 I 206 S. 210
Abstandsvorschriften der BVL nur dann Wirkungen entfalten, wenn es sich um öffentlich-rechtliche Bestimmungen handelt.
b) Die Art. 10 und 11 BVL können denn auch ohne Willkür dem öffentlichen Recht zugerechnet werden. Das Bundesgericht hat sich schon in
BGE 89 I 518
dahin ausgesprochen, dass die Vorschriften der BVL über die Abstände und die Bauhöhe dem öffentlichen Recht angehören. Die Einwendungen der Beschwerde geben keinen Anlass, auf diese Stellungnahme zurückzukommen.
Nach Art. 13 BVL kann der Grenzabstand, "im Einverständnis mit dem Nachbar" ausnahmsweise auf 3,5 m herabgesetzt werden. Der Beschwerdeführer leitet daraus ab, die Abstandsvorschriften der Art. 10-12 BVL seien nicht rein öffentlich-rechtlicher, sondern auch privatrechtlicher, mithin also gemischter Natur. Diese Folgerung ist nicht zwingend. Art. 13 BVL besagt nicht, wer den Grenzabstand auf 3,5 m herabsetzt: ob die Parteien in ihrer Vereinbarung oder der Gemeinderat auf Grund der Vereinbarung. Im zweiten Falle würde es sich um eine ins Ermessen der Behörde gestellte Ausnahmebewilligung handeln, die ein Institut des öffentlichen Baurechts darstellt. Auch im ersten Falle wäre jedoch nicht notwendigerweise auf eine privatrechtliche oder gemischtrechtliche Ausgestaltung der Abstandsvorschriften zu schliessen. Zwar erklärt
Art. 680 Abs. 3 ZGB
, die Aufhebung oder Abänderung von Eigentumsbeschränkungen öffentlich-rechtlichen Charakters sei ausgeschlossen. Diese Feststellung hat indessen nicht die Tragweite, die ihr dem Wortlaute nach zuzukommen scheint. Es konnte nicht Aufgabe des Bundeszivilgesetzgebers sein, über die Ordnung und Handhabung des kantonalen öffentlichen Rechts zu befinden (vgl. LIVER, N. 24 zu
Art. 5 ZGB
mit Bezug auf das kantonale Privatrecht). So ist es den Kantonen unbenommen, die Behörden zu einer Aufhebung und Abänderung öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkungen zu ermächtigen (HAAB, N. 9 ff. zu
Art. 680 ZGB
).
BGE 90 I 206 S. 211
Desgleichen sind die Kantone frei, den unmittelbar interessierten Privaten die Befugnis einzuräumen, sich innerhalb bestimmter Grenzen über die Anwendbarkeit von Eigentumsbeschränkungen zu verständigen. Trifft ein Kanton eine solche Ordnung, so verliert die Eigentumsbeschränkung dadurch nicht ohne weiteres ihren öffentlich-rechtlichen Charakter. Entgegen einer gelegentlich vertretenen Auffassung ist das nachgiebige Recht nicht schlechtweg dem Privatrecht gleichzusetzen, wie umgekehrt das öffentliche Recht nicht durchwegs zwingender Art zu sein braucht (HUBER, N. 129 zu
Art. 6 ZGB
). Dass Art. 13 BVL den Beteiligten eine gewisse Verfügungsmacht über die Anwendung der Abstandsvorschriften einräumt, schliesst es damit nicht aus, dass die Art. 10-12 BVL öffentlich-rechtlicher Natur sind.
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, § 143 EG ZGB setze auf privatrechtlicher Ebene einen Mindestgrenzabstand von 1,50 m fest, der nur durch andere privatrechtliche, nicht dagegen durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen des gemeindlichen Baurechts erhöht werden könne; die Art. 10-12 BVL müssten daher privatrechtlichen Charakter haben. Dieser Einwand geht gleichfalls fehl. Gemäss § 158 EG ZGB gelten die in diesem Gesetz enthaltenen beschränkenden Bestimmungen über Bauten, also auch die Vorschriften über die Grenzabstände, "für die Bebauungspläne und Bauvorschriften der Gemeinden" als Mindestmass. Dass die "Bebauungspläne" dem öffentlichen Recht angehören, steht ausser Frage; dasselbe gilt im Regelfalle für die "Bauvorschriften" der Gemeinden. Das Gesetz sieht demnach selber vor, dass die darin enthaltenen privatrechtlichen Vorschriften durch öffentlichrechtliche Bestimmungen verschärft werden können. Es darf daher nicht gefolgert werden, da § 143 EG ZGB privatrechtlicher Natur sei, müssten auch die ihn abändernden Bestimmungen des Gemeinderechts diesen Charakter haben.
5.
Der Beschwerdeführer hat nach dem Gesagten nicht
BGE 90 I 206 S. 212
dargetan, dass die Annahme, Art. 10 und 11 BVL gehörten dem öffentlichten Recht an, willkürlich sei. Das Kantonsgericht, das unbestrittenermassen nicht über die Verletzung öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften zu befinden hat, hat dem Beschwerdeführer somit mit der Vonderhandweisung der betreffenden Rüge das rechtliche Gehör nicht verweigert. Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob die massgebenden Vorschriften des kantonalen Verfahrensrechts nicht dahin ausgelegt werden könnten, dass neben rein öffentlich-rechtlichen Anständen auch solche über die Anwendung gemischtrechtlicher Normen im Verwaltungsstreitverfahren und nicht vor den Zivilgerichten auszutragen seien. Das Bundesrecht stünde, wie die Beschwerdeantwort mit Fug bemerkt, einer solchen Ausscheidung der Zuständigkeiten nicht entgegen (vgl. Art. 3 und 64, letzter Absatz BV;
Art. 54 Abs. 2 SchlT ZGB
). | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
029570a8-0a10-4e23-8a5a-570a93d7d5cf | Urteilskopf
124 I 170
21. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 18 juin 1998 dans la cause B. contre Ministère public du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 5 EMRK
,
Art. 4 BV
; Überwälzung der Kosten der Untersuchungshaft auf den Verurteilten, persönliche Freiheit, Gleichbehandlung, Willkür.
Einem Verurteilten die Kosten der Untersuchungshaft aufzuerlegen, verletzt die persönliche Freiheit nicht (E. 2b).
Art. 5 EMRK
spricht sich nicht darüber aus, wer die Kosten der Untersuchungshaft zu tragen hat (E. 2c).
Einem Verurteilten die Kosten der Untersuchungshaft aufzuerlegen, verstösst nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, solange es nicht um die Kosten des anschliessenden Vollzugs einer Freiheitsstrafe geht (E. 2e). Eine kantonale Bestimmung mit dem Inhalt, dass der Verurteilte die Kosten der Untersuchungshaft zu tragen hat, ist nicht in sich willkürlich (E. 2g).
Art. 4 BV
; Beweiswürdigung, Willkür.
Gegenüber der Meinung des behandelnden Arztes diejenige der richterlichen Gutachter als objektiver zu betrachten, ist nicht willkürlich (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 171
BGE 124 I 170 S. 171
A.-
Par jugement du 21 juillet 1997, le Tribunal criminel du district de Lausanne a condamné B. à la peine de 6 ans de réclusion pour crime manqué de meurtre, voies de fait, vol et contravention à la loi et au règlement sur le commerce des armes, munitions et explosifs. Il a révoqué un sursis accordé précédemment et statué sur les prétentions civiles, ainsi que sur les frais de la procédure.
Par arrêt du 22 décembre 1997, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois, statuant sur les recours du condamné et de la partie civile, a modifié la décision sur les prétentions civiles, mais confirmé le jugement attaqué pour le surplus.
La cour cantonale a notamment approuvé la décision des premiers juges de mettre à la charge du condamné les frais de détention préventive.
La cour cantonale a également observé que c'était à juste titre que les premiers juges n'avaient pas ordonné un internement ou une hospitalisation, qui n'étaient pas préconisés par les experts. L'opinion divergente de la doctoresse L., avec qui l'accusé a entrepris une thérapie lors de sa détention, n'a pas été considérée comme décisive.
B.-
B. forme un recours de droit public au Tribunal fédéral contre cet arrêt. Il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de l'arrêt attaqué et sollicite par ailleurs l'assistance judiciaire.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) Invoquant une violation de sa liberté personnelle, de l'
art. 5 CEDH
, ainsi que du principe de l'égalité de traitement garanti par l'
art. 4 Cst.
, le recourant reproche à l'autorité cantonale d'avoir mis à sa charge les frais de son séjour en détention préventive.
b) Selon la jurisprudence, la liberté personnelle, droit constitutionnel non écrit, imprescriptible et inaliénable, confère à l'individu le droit d'aller et de venir et le droit au respect de son intégrité corporelle; elle le protège, en outre, dans l'exercice de sa faculté d'apprécier une situation de fait déterminée et d'agir selon cette appréciation; cette garantie n'englobe certes pas la protection de toute possibilité de choix et de détermination de l'homme, si peu importante soit-elle; elle recouvre cependant toutes les libertés élémentaires dont l'exercice est
BGE 124 I 170 S. 172
indispensable à l'épanouissement de la personne humaine; elle se conçoit, dès lors, comme une garantie générale et subsidiaire à laquelle le citoyen peut se référer lorsque les droits fondamentaux dont il allègue la violation ne font pas l'objet de garanties particulières; la liberté personnelle oblige le détenteur de la puissance publique à un comportement envers le citoyen qui soit compatible avec le respect de sa personnalité; elle protège intégralement la dignité de l'homme et sa valeur propre (
ATF 123 I 112
consid. 4a p. 118 et les arrêts cités). La liberté personnelle n'est pas absolue; elle peut être limitée, moyennant une base légale, un intérêt public et le respect du principe de la proportionnalité; les restrictions ne peuvent d'ailleurs la vider de toute substance (
ATF 123 I 221
consid. 4 p. 226;
ATF 121 IV 345
consid. 1f p. 351 et les arrêts cités).
En l'espèce, le recourant conteste une prétention pécuniaire de l'Etat, de sorte qu'il ne soulève pas une question touchant sa liberté d'aller et de venir, son intégrité corporelle ou une autre manifestation élémentaire de sa personnalité (cf.
ATF 119 Ia 99
consid. 2b p. 101). Sa liberté personnelle n'est donc pas atteinte par la décision dont il se plaint.
c) Le recourant invoque une violation de l'
art. 5 CEDH
.
Cette disposition fixe les conditions dans lesquelles une personne peut être privée de sa liberté et confère certains droits procéduraux à toute personne arrêtée ou détenue. Elle ne règle cependant en rien le sort des frais de la détention préventive. Dès lors que la disposition visée ne règle pas la question, le recourant ne peut en déduire aucun droit à ce que les frais de détention préventive ne soient pas mis à sa charge.
Par ailleurs, il n'est nullement établi que l'autorité cantonale prolongerait la durée de la détention préventive pour augmenter le montant des frais mis à la charge du condamné.
d) Le recourant ne prétend pas que sa condamnation aux frais de détention préventive violerait arbitrairement les normes du droit cantonal applicables. Il n'y a donc pas lieu d'examiner la question sous cet angle (
art. 90 al. 1 let. b OJ
;
ATF 110 Ia 1
consid. 2a p. 3).
e) Le recourant se plaint d'une inégalité de traitement entre la détention préventive, dont les frais sont mis à la charge du condamné, et l'exécution de peine, qui est gratuite pour ce dernier.
Le principe de l'égalité de traitement contenu à l'
art. 4 Cst.
exige que ce qui est semblable soit traité de la même façon dans la mesure de la similitude et que ce qui est dissemblable soit traité différemment dans la mesure de la dissemblance; il ne peut être fait aucune
BGE 124 I 170 S. 173
distinction pour laquelle on ne trouve aucune justification raisonnable dans les circonstances de fait pertinentes; le droit à l'égalité est violé si deux situations de fait semblables sont traitées différemment sans motif sérieux (
ATF 123 I 1
consid. 6a p. 7, 19 consid. 3b p. 23;
ATF 123 II 9
consid. 3a p. 11 s., 16 consid. 6a p. 26;
ATF 122 I 18
consid. 2b/cc p. 25, 61 consid. 3a p. 67, 305 consid. 6a p. 313, 343 consid. 4b p. 349;
ATF 122 II 113
consid. 1b p. 118, 221 consid. 5c p. 227). Une norme ne doit pas établir des distinctions qui ne trouvent aucune justification objective dans la situation à réglementer ou omettre les distinctions qui s'imposent (
ATF 123 I 1
consid. 6a p. 7, 112 consid. 10b p. 141;
ATF 123 V 81
consid. 4a p. 85;
ATF 122 I 18
consid. 2b/cc p. 25;
ATF 122 II 113
consid. 1b p. 118;
ATF 122 V 113
consid. 3a/bb p. 119, 300 consid. 4a p. 304, 306 consid. 5c/aa p. 312).
Il existe une différence fondamentale entre la détention préventive et l'exécution d'une peine privative de liberté.
La réclusion et l'emprisonnement sont exécutés de manière à exercer sur le détenu une action éducative et à préparer son retour à la vie libre (
art. 37 ch. 1 al. 1 CP
). Le détenu est astreint au travail qui lui est assigné; on lui confie autant que possible des travaux répondant à ses aptitudes et lui permettant, une fois remis en liberté, de subvenir à son entretien (
art. 37 ch. 1 al. 2 CP
). Pour son travail, le détenu reçoit en principe un pécule, qui devrait également favoriser sa réinsertion à sa sortie de prison (art. 376 à 378 CP).
La personne placée en détention préventive est présumée innocente et ne saurait être astreinte à un travail. La détention préventive n'a pas de but éducatif et ne tend pas à la réinsertion sociale; aussi brève que possible, elle doit seulement permettre le déroulement de l'action pénale dans de bonnes conditions, en empêchant l'accusé de s'enfuir, de perturber l'enquête, voire de commettre de nouvelles infractions.
Dès lors que la détention préventive, contrairement à l'exécution d'une peine de réclusion ou d'emprisonnement, n'a pas pour mission d'exercer sur le détenu une action éducative et de préparer son retour à la vie libre (cf.
art. 37 ch. 1 al. 1 CP
), il s'agit d'une mesure différente, dans sa conception et son but, qui n'implique pas nécessairement la gratuité du séjour. La distinction litigieuse trouve donc une justification dans la différence des situations juridiques.
L'imputation de la détention préventive (
art. 69 CP
) ne concerne que le calcul du solde de peine à subir et n'y change rien.
Quant au régime de l'exécution anticipée, il découle logiquement de la distinction qui vient d'être examinée entre la détention préventive
BGE 124 I 170 S. 174
et l'exécution de peine. Le recourant ne fait d'ailleurs pas valoir qu'il aurait sollicité une exécution anticipée qui lui aurait été refusée sans raison.
f) Le recourant n'invoque pas - d'une manière qui réponde aux exigences de l'
art. 90 al. 1 let. b OJ
- que sa détention préventive aurait violé le principe de la célérité (cf.
art. 5 par. 3 CEDH
), de sorte qu'il n'y a pas lieu d'examiner la question sous cet angle.
g) Sans le dire très clairement, le recourant semble considérer la réglementation cantonale comme arbitraire en soi.
Supposé que ce moyen soit recevable, il n'est pas douteux que la détention préventive engendre des frais pour la collectivité, tandis que le détenu reçoit des prestations de l'Etat, en particulier la nourriture et les soins médicaux, qu'il devrait assumer s'il était en liberté. A l'instar d'un patient qui doit payer ses frais de séjour dans un hôpital public, il n'est pas illogique de mettre des frais de séjour à la charge de celui qui est détenu à titre préventif. On fera certes observer que ce séjour lui est imposé, mais lorsqu'il est reconnu coupable, on doit constater qu'il a commis une faute qui a engendré des frais pour la collectivité et il n'est pas insoutenable de les mettre à sa charge.
Le recourant ne prétend pas que le montant réclamé serait en lui-même arbitraire, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'examiner la question sous cet angle.
Il est vrai que les frais de détention préventive peuvent rendre plus difficile la réinsertion sociale du condamné. La même remarque peut aussi être faite avec les autres frais de la procédure, en particulier les frais d'expertise. Il faut cependant rappeler que la détention préventive n'a pas pour but de favoriser la réinsertion sociale du délinquant. Savoir si la collectivité devrait prendre de tels frais à sa charge, plutôt que de les répercuter sur le condamné, est une question dont on peut discuter. Cependant, pour admettre l'arbitraire, il ne suffit pas qu'une autre solution puisse entrer en considération ou même qu'elle soit préférable (
ATF 123 I 1
consid. 4a p. 5;
ATF 121 I 113
consid. 3a p. 114;
ATF 119 Ia 113
consid. 3a p. 117;
ATF 118 Ia 129
consid. 2 p. 130). Comme il n'est pas insoutenable de mettre de tels frais à la charge du condamné, le grief est infondé.
Aucun des droits constitutionnels invoqués par le recourant ne lui permet d'exiger la gratuité de la détention préventive.
Quant au fait que la période de détention préventive qui a couru pendant la procédure de cassation cantonale ne lui a pas été facturée, il s'agit d'une décision qui lui est favorable et dont il n'a en conséquence pas qualité pour se plaindre.
BGE 124 I 170 S. 175
4.
Invoquant l'arbitraire dans l'appréciation des preuves, le recourant reproche à la cour cantonale d'avoir mal tenu compte de l'avis du médecin traitant et des experts.
La cour cantonale a manifestement préféré l'opinion des experts à celle du médecin traitant. Ce choix n'est pas arbitraire. En effet, un médecin traitant, qui a entrepris une psychothérapie, a naturellement le souci d'éviter tout ce qui pourrait perturber son travail et souhaite notamment éviter de provoquer chez son patient un ressentiment qui rendrait sa mission plus difficile ou même impossible. La doctrine va dans le même sens en excluant que, pour des motifs d'objectivité et d'impartialité, le médecin avec qui l'expertisé entretient une relation thérapeutique puisse intervenir comme expert (HANS-LUDWIG SCHREIBER, Der Sachverständige im Verfahren und in der Verhandlung, in Ulrich Venzlaff/Klaus Foerster, Psychiatrische Begutachtung, Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, 2ème éd. 1994, p. 83 ss, 91; MARC HELFENSTEIN, Der Sachverständigenbeweis im schweizerischen Strafprozess, Zurich 1978, p. 100). Dans ces circonstances, il n'est pas arbitraire de considérer comme plus objective l'opinion émise par des experts choisis en toute indépendance par l'autorité dans le seul but de renseigner la justice.
Les experts ont clairement dit qu'il n'était pas nécessaire d'interner ou d'hospitaliser le recourant. Ils ont préconisé un traitement ambulatoire, mais seulement si ce dernier y consentait. Ils ont ajouté que le recourant était accessible à une sanction pénale et que le traitement ambulatoire préconisé ne serait pas entravé par l'exécution d'une peine. Ils n'ont donc pas exclu l'exécution d'une peine, ni recommandé de la suspendre. L'interprétation de la cour cantonale sur ce point ne saurait être qualifiée d'arbitraire.
Il est vrai que les experts, pour favoriser la réinsertion du recourant, ont estimé qu'il serait souhaitable que, après sa sortie de prison, il se rende dans une maison pour alcooliques. Tel qu'il est formulé, ce voeu n'implique pas un placement immédiat et une suspension de la peine. On ne sait si les experts envisageaient, comme pour le traitement ambulatoire, une entrée volontaire du recourant dans cette maison ou s'ils ont estimé que les autorités devraient faire pression sur lui dans le cadre de la libération conditionnelle. Il n'est toutefois pas nécessaire de trancher cette question à ce stade. Il suffit ici de constater que la cour cantonale n'a pas interprété l'opinion des experts d'une manière arbitraire. | public_law | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
029c2d5b-de73-4201-9639-431b468cb2b3 | Urteilskopf
137 II 305
25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
2D_56/2010 vom 26. Mai 2011 | Regeste
Art. 83 lit. c Ziff. 2, 3 und 4 sowie
Art. 113 ff. und 115 BGG
; Art. 66 sowie 83 Abs. 1 und 6 AuG; zulässiges Rechtsmittel gegen einen kantonalen Entscheid über Vollzugshindernisse bei der Wegweisung.
Gegen separate letztinstanzliche kantonale Entscheide über Vollzugshindernisse bei der Wegweisung steht ausschliesslich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen. Da die weggewiesene Person keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass der Kanton beim Vorliegen von Vollzugshindernissen dem hierfür ausschliesslich zuständigen Bundesamt Antrag auf vorläufige Aufnahme stellt, kann nur die Verletzung besonderer verfassungsmässiger Rechte (Schutz des Lebens, Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung usw.) geltend gemacht oder die Verletzung von Parteirechten gerügt werden, deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (sog. "Star"-Praxis; E. 1-3). Beurteilung des konkreten Falls (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 137 II 305 S. 306
Die kosovarische Staatsangehörige X. (geb. 1984) heiratete Ende 2004 einen in der Schweiz niedergelassenen Landsmann, worauf ihr eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei diesem erteilt wurde. Im August 2007 trennten sich die Eheleute; am 5. März 2008 wurde die Ehe geschieden. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich verlängerte in der Folge am 5. September 2008 die Aufenthaltsbewilligung von X. nicht mehr. Die von dieser hiergegen ergriffenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. das Urteil 2D_23/2009 vom 24. Juli 2009).
Am 4. März 2010 forderte die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich (Migrationsamt) X. auf, die Schweiz nunmehr bis zum 31. Mai 2010 zu verlassen. Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies am 16. Juni 2010 den hiergegen gerichteten Rekurs ab, soweit er darauf eintrat. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung lehnte er mit der Begründung ab, dass die Eingabe
BGE 137 II 305 S. 307
aussichtslos gewesen sei. X. gelangte darauf an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches am 8. September 2010 ihre Beschwerde ebenfalls abwies, soweit es darauf eintrat. Das Gericht ging im Wesentlichen davon aus, dass keine Vollzugshindernisse gegen die Wegweisung "manifest" seien, weshalb es sich nicht rechtfertige, beim Bundesamt für Migration eine vorläufige Aufnahme zu beantragen oder "eine entsprechende Antragsstellung" anzuordnen. Bezüglich des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung liess es die Frage der Aussichtslosigkeit der Eingabe offen, da X. auf jeden Fall ihre Mittellosigkeit nicht hinreichend dargetan habe.
Das Bundesgericht weist die von X. hiergegen eingereichte Beschwerde (mit substituierter Begründung bezüglich der unentgeltlichen Rechtspflege im Kanton) ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts unzulässig, die Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundes- noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (
Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG
). Sie ist ausgeschlossen gegen Entscheide über die vorläufige Aufnahme (Ziff. 3) und die Wegweisung (Ziff. 4). Gegen entsprechende
kantonale
Entscheide steht indessen die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen (Urteil 2D_67/2009 vom 4. Februar 2010 E. 2.1). Der Betroffene kann in diesem Rahmen - in dem es nicht mehr um den negativen Sach-, sondern mit der Wegweisung lediglich noch um den damit verbundenen Vollzugsentscheid geht - keine Rügen erheben, die Gegenstand des Entscheids über den Widerruf bzw. über die Nichtverlängerung der Bewilligung gebildet haben oder hätten bilden müssen (Urteile 2C_425/2010 vom 17. August 2010 E. 4 und 2D_67/2009 vom 4. Februar 2010 E. 2.4 und 5).
1.2
Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Bewilligung mehr. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hat sie am 4. März 2010 angehalten, die Schweiz zu verlassen, und das Vorliegen von Vollzugshindernissen verneint. Nur noch die Verfassungsmässigkeit dieses - durch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 8. September 2010 bestätigten - Wegweisungsentscheids bildet Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antrag, auch die Entscheide des
BGE 137 II 305 S. 308
Regierungsrats und der Sicherheitsdirektion aufzuheben, ist unzulässig, da diese kantonal nicht letztinstanzlich sind (vgl. Art. 113 und 114 in Verbindung mit
Art. 86 BGG
; KIENER/KUHN, Rechtsschutz im Ausländerrecht, Jahrbuch für Migrationsrecht 2005/2006 S. 91 ff., dort S. 108).
2.
Zur Verfassungsbeschwerde ist legitimiert, wer (lit. a) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder zu Unrecht keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und (lit. b) ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids dartun kann (
Art. 115 BGG
). Das erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich dabei nicht bereits aus dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot oder dem Verhältnismässigkeitsgebot (vgl.
BGE 134 I 153
E. 4; PETER UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2009, N. 7.147). Zur Willkürrüge ist eine Partei nur legitimiert, wenn sie sich auf eine gesetzliche Norm berufen kann, die ihr im Bereich der betroffenen und angeblich verletzten Interessen einen Rechtsanspruch einräumt oder zumindest den Schutz ihrer Interessen bezweckt (vgl.
BGE 133 I 185
E. 6.1 S. 198). Trotz fehlender Legitimation in der Sache kann der Betroffene die Verletzung von Parteirechten rügen, deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (sog. "Star"-Praxis). Unzulässig sind Vorbringen, die im Ergebnis wiederum auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen, wie die Behauptung, die Begründung sei unvollständig oder zu wenig differenziert bzw. die Vorinstanz habe sich nicht oder in willkürlicher Weise mit den Argumenten der Partei auseinandergesetzt und Beweisanträge in offensichtlich unhaltbarer antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt (vgl.
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 313 [zum OG];
BGE 133 I 185
E. 6.2 S. 199; Urteil 2D_13/2007 vom 14. Mai 2007 E. 2.3 mit weiteren Hinweisen).
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe in willkürlicher Weise verneint, dass bei ihr Wegweisungsvollzugshindernisse bestünden. Der Vollzug der Wegweisung sei ihr unzumutbar. Auf ihre Rüge und den damit verbundenen Antrag, den Kanton anzuhalten, beim Bundesamt für Migration um eine vorläufige Aufnahme nachzusuchen, ist mangels eines entsprechenden Rechtsanspruchs nicht einzutreten:
3.1
Ist der Vollzug der Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, verfügt das Bundesamt für Migration
BGE 137 II 305 S. 309
die vorläufige Aufnahme (Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]). Diese "kann" von den kantonalen Behörden beantragt werden, nicht aber vom Betroffenen selber (Art. 83 Abs. 6 AuG; ZÜND/ARQUINT HILL, Beendigung der Anwesenheit, Entfernung und Fernhaltung, in: Ausländerrecht, a.a.O., N. 8.103). Die vorläufige Aufnahme bildet eine grundsätzlich zeitlich beschränkte Ersatzmassnahme, wenn der Vollzug der Wegweisung undurchführbar ist. Sie tritt neben die rechtskräftige Wegweisung und berührt deren Bestand nicht, sondern setzt ihn voraus. Sie ist keine Aufenthaltsbewilligung, sondern ein vorübergehender Status, der die Anwesenheit regelt, solange der Wegweisungsvollzug - d.h. die exekutorische Massnahme der Wegweisung zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands - nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich erscheint (vgl. RUEDI ILLES, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 2 f. zu Art. 83 AuG; SPESCHA/KERLAND/BOLZLI, Handbuch zum Migrationsrecht, 2010, S. 117 f.; PETER BOLZLI, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 3 f. zu Art. 83 AuG). Im ausländerrechtlichen Verfahren ist in der Regel mit dem negativen Bewilligungsentscheid gleichzeitig die Wegweisung als Vollstreckungsverfügung und logische Konsequenz der fehlenden Aufenthaltsberechtigung anzuordnen (Art. 66 Abs. 1 AuG) sowie dem Betroffenen eine angemessene Ausreisefrist anzusetzen (Art. 66 Abs. 2 AuG).
3.2
Vollzugshindernisse können von jedem weggewiesenen Ausländer gegenüber jeder wegweisenden Behörde vorgebracht werden (ILLES, a.a.O., N. 6 zu Art. 83 AuG; SPESCHA/KERLAND/BOLZLI, A.A.O., S. 118; BOLZLI, a.a.O., N. 5 zu Art. 83 AuG). Unabhängig davon, ob es sich um ein asyl- oder ein ausländerrechtliches Verfahren handelt, hat diejenige Instanz, welche den Vollzug der Weg- oder Ausweisung anordnet, sämtliche Wegweisungsvollzugshindernisse zu prüfen. Werden Sachverhaltselemente behauptet, die dem Vollzug der Wegweisung entgegenstehen, muss die kantonale Behörde diese bei ihrem Wegweisungsentscheid oder in dessen Vollzugsphase prüfen; eine Verweisung in das Asylverfahren kommt nur infrage, wenn die betroffene Person ausdrücklich den Willen geäussert hat, ein Asylgesuch im Sinne von Art. 18 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) stellen zu wollen (vgl.
BVGE 2010/42
E. 4-12; s. auch ILLES, a.a.O., N. 6 zu Art. 83 AuG). Andernfalls sind sämtliche allfälligen Hindernisse von der kantonalen Migrationsbehörde im ausländerrechtlichen Wegweisungsverfahren zu
BGE 137 II 305 S. 310
berücksichtigen. Zwar ist die vorläufige Aufnahme, über die das Bundesamt und auf Beschwerde hin das Bundesverwaltungsgericht definitiv entscheiden, eine Folge der Feststellung, dass der Vollzug der Weg- oder Ausweisung "nicht möglich", "nicht zulässig" oder "nicht zumutbar" ist, doch hat der Betroffene im ausländerrechtlichen Verfahren keinen Anspruch auf eine vorläufige Aufnahme: Art. 83 Abs. 6 AuG sieht ausdrücklich nur vor, dass die kantonale Behörde beim Bundesamt diese beantragen
kann.
Art. 83 AuG verschafft dem Einzelnen keinen Rechtsanspruch; im Gegenteil: Der Gesetzgeber schloss den direkten Zugang des Ausländers zu diesem Verfahren bewusst aus und überliess es dem Kanton, gegebenenfalls ein solches einzuleiten. Auf die Willkürrügen der Beschwerdeführerin ist deshalb nicht einzutreten; dies auch nicht insofern, als sie - im Sinne einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör - geltend macht, es seien zu hohe Beweisanforderungen gestellt worden. Diese Frage lässt sich von der materiellen Beurteilung kaum trennen; im Übrigen wäre die Rüge unbegründet, wie im Zusammenhang mit der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung durch die kantonalen Behörden zu zeigen sein wird.
3.3
Gegen den kantonalen Wegweisungsentscheid bzw. das Verneinen von Vollzugshindernissen durch die kantonalen Behörden kann mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde hingegen an das Bundesgericht gelangt werden, soweit sich die betroffene ausländische Person dabei auf
besondere verfassungsmässige Rechte
beruft, die ihr unmittelbar ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von
Art. 115 lit. b BGG
verschaffen. Zu denken ist dabei etwa an den Schutz des Lebens (
Art. 10 Abs. 1 BV
/
Art. 2 EMRK
), an das Verbot jeder Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (
Art 10 Abs. 3 BV
/
Art. 3 EMRK
) oder an das Verbot einer Ausschaffung in einen Staat, in welchem dem Betroffenen Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht (
Art. 25 Abs. 3 BV
) bzw. an das Gebot, Flüchtlinge nicht in einen Staat auszuschaffen oder auszuliefern, in dem sie verfolgt werden (
Art. 25 Abs. 2 BV
). Die entsprechenden Rügen müssen indessen jeweils rechtsgenügend begründet werden (Art. 116 i.V.m.
Art. 106 Abs. 2 BGG
); das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nicht von Amtes wegen, sondern nur soweit diese klar, sachbezogen und falls möglich belegt dargetan werden ("qualifizierte Rügepflicht"; vgl. BGE
BGE 137 II 305 S. 311
133 II 249 E. 1.4.2 S. 254, 396 E. 3.1 S. 399). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf keines dieser Grundrechte; sie begründet auch nicht, weshalb und inwiefern ein solches durch den angefochtenen Entscheid verletzt würde.
4.
4.1
In formeller Hinsicht macht die Beschwerdeführerin geltend, ihr sei in verfassungswidriger Weise im kantonalen Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung verweigert worden. Hierzu ist sie im Rahmen der "Star"-Praxis legitimiert, doch erweist sich ihre Kritik im Resultat als unbegründet. Zutreffend ist der Einwand, das Verwaltungsgericht habe überspitzt formalistisch entschieden (vgl.
BGE 120 V 413
E. 4b S. 417;
BGE 115 Ia 12
E. 3b S. 17; je mit Hinweisen), wenn es davon ausgegangen sei, sie habe ihre Mittellosigkeit mangels Angaben zu ihrem (nicht bestehenden) Vermögen unzureichend dargetan. Indessen treffen die Ausführungen des Regierungsrats zu, dass ihre Eingaben gestützt auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine ernsthaften Aussichten auf Erfolg hatten.
4.2
Die kantonalen Behörden haben sich eingehend mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt und zur Beurteilung ihrer Situation auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgestellt, welche den von ihr ins Recht gelegten Bericht der Flüchtlingshilfe relativierte. Danach herrscht im Kosovo zurzeit "klarerweise" keine generell unsichere, von bewaffneten Konflikten oder jederzeit drohenden Unruhen geprägte Lage, aufgrund derer sich die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sähe (vgl.
EMARK 2005 Nr. 24
E. 10.1 S. 215). Die Situation als geschiedene Frau dürfte die Beschwerdeführerin im Kosovo zwar vor Probleme stellen, doch scheint - wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat - wenig glaubwürdig, dass sie von ihren Eltern bei einer Rückkehr in ihr Heimatland verstossen und überhaupt nicht mehr unterstützt würde, nachdem die entsprechenden verwandtschaftlichen Pflichten im Kosovo "sehr ausgeprägt" sind (Urteil des BVGer E-6301/2007 vom 11. August 2010 E. 4.2.2).
4.3
Hinsichtlich der geltend gemachten gesundheitlichen Probleme ist darauf hinzuweisen, dass wegen solcher nur dann auf eine Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs geschlossen werden dürfte, wenn eine notwendige medizinische Behandlung im Heimatland
BGE 137 II 305 S. 312
fehlte und die Rückkehr zu einer raschen und lebensgefährlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands führen würde. Es geht dabei um jene medizinische Versorgung, die zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz absolut notwendig erscheint und ohne die eine erhebliche Verschlechterung der Gesundheitslage einträte (ILLES, a.a.O., N. 34 zu Art. 83 AuG;
derselbe
, Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, 2009, S. 233). Die Beschwerdeführerin leidet zwar aufgrund des Verhaltens ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an depressiven Verstimmungen und verschiedenen Ängsten; diese stehen aber im Wesentlichen im Zusammenhang mit dem drohenden Verlust der Zukunftsaussichten in der Schweiz. Soweit ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen hierüber hinausgehen, ist nicht ersichtlich, inwiefern es bundesrechtswidrig sein könnte, wenn das Verwaltungsgericht gestützt auf den Bericht der schweizerischen Botschaft im Kosovo vom 5. Februar 2010 zum Schluss gekommen ist, die gesundheitliche Basisversorgung der Beschwerdeführerin sei in der Stadt Gjilan hinreichend sichergestellt, nachdem es dort drei Institutionen gibt, welche entsprechende posttraumatische Belastungsstörungen behandeln, und sich in der Stadt zudem auch private Psychiatriepraxen finden. Die von ihr ergriffenen Rechtsmittel waren aussichtslos. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
029ccdbe-e853-4729-bc58-7df84467fe25 | Urteilskopf
91 I 249
40. Urteil vom 24. Juni 1965 i.S. Multengut AG gegen Gemeinde Binningen und Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Gemeindesteuern,
Art. 4 BV
.
1. Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechtes überprüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
(Erw. 1).
2. Steuern dürfen nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und lediglich in dem vom Gesetz festgelegten Umfange erhoben werden (Erw. 3).
3. § 141 Abs. 6 des basellandschaftlichen Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952, wonach die Gemeinden "berechtigt sind, die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären", ermächtigt die Gemeinden nur, für die Gemeindesteuern entweder das bisherige System der Besteuerung nach Gemeindegesetz beizubehalten, oder als Ganzes das System der Staatssteuer gemäss kantonalem Steuergesetz zu zu übernehmen (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 91 I 249 S. 250
A.-
Im Kanton Basel-Land ist gemäss § 33 der Kantonsverfassung (KV) die Organisation der Gemeinden, die Festsetzung ihres Wirkungskreises und ihrer Mithilfe bei der staatlichen Verwaltung der Gesetzgebung vorbehalten. Gesetzgeber ist nach § 11 ff. KV der Landrat unter Vorbehalt der Volksabstimmung.
Das Gesetz betreffend die Organisation und Verwaltung der Gemeinden vom 14. März 1881 (Gemeindegesetz, GG) ermächtigt die politischen Gemeinden, unter bestimmten Voraussetzungen Steuern zu erheben (§ 137) und präzisiert in § 138:
"Die Gemeindesteuern können verlegt werden:
a) auf die Haushaltungen und einzeln stehende Personen, seien letztere Niedergelassene oder Aufenthalter (Haushaltungssteuer, Personalsteuer, Vorausleistung);
b) auf Gebäude und Grundstücke (Kataster);
c) auf das Vermögen, soweit es in Fahrhabe (hausrätliche Gegenstände, die zum eigenen häuslichen Gebrauche dienen, ausgenommen) und in Kapitalien besteht;
d) auf Einkommen und Erwerb.
Statt der Steuer auf die unter b) und c) erwähnten Objekte kann auch eine Steuer vom gesamten Reinvermögen erhoben werden."
Nach § 146 GG sind ausser den in der Gemeinde wohnhaften Bürgern, Niedergelassenen und Aufenthaltern unter anderem auch die auswärts wohnenden Besitzer von im Gemeindebann gelegenen Grundstücken steuerpflichtig.
Im Gesetz über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 (StG) wurde die Besteuerung der juristischen Personen neu geordnet. Kapitalgesellschaften, wozu in erster Linie die Aktiengesellschaften gehören, entrichten seither eine Gewinn- und eine Kapitalsteuer (
§ 41 StG
). Der Kapitalsteuer "unterliegen das einbezahlte Aktien- bzw. Stammkapital, die offenen und die stillen Reserven" (
§ 44 StG
). Die Vermögensbestandteile werden nach den für die natürlichen Personen geltenden Bestimmungen bewertet (
§ 44 Abs. 2 StG
,
§
§ 30-37 StG
). Über die Grundstückbewertung sagt
§ 32 StG
:
"Der Wert der Grundstücke wird unter billiger Berücksichtigung des Verkehrswertes und des Ertragswertes berechnet. Massgebend ist die Katasterschätzung (§ 92).
Für landwirtschaftliche Gebäude sowie für ausserhalb des engeren Baugebietes gelegenes Land, das vorwiegend der landwirtschaftlichen Nutzung dient, ist nur der Ertragswert massgebend. Innerhalb des engeren Baugebietes werden der überbaute Boden, der Hofraum und der Baumgarten eines landwirtschaftlichen Betriebes in dem
BGE 91 I 249 S. 251
durch die Katasterverordnung bestimmten Umfange zum Ertragswert angerechnet.
Für den Begriff des Grundstückes gelten die Vorschriften des schweizerischen Zivilgesetzbuches (Art. 655). Insbesondere fallen darunter der Grund und Boden und die Gebäude."
Für die Gemeindesteuern gelten gemäss
§ 141 StG
bis zum Inkrafttreten eines neuen Gemeindegesetzes unter anderem folgende Übergangsbestimmungen:
"Die durch den Staat festgesetzte Katasterschätzung der Grundstücke ist auch für die von der Gemeinde erhobenen Steuern massgebend.
Kapitalgesellschaften, deren Zweck ausschliesslich oder vorwiegend in der Beteiligung oder dauernden Verwaltung von Beteiligungen an andern Unternehmungen besteht, haben an die Gemeinde die gleiche Kapitalsteuer zu entrichten wie an den Staat.
Für die juristischen Personen gilt der gleiche Steuerfuss wie für die natürlichen Personen.
Die in den §§ 13 und 14 dieses Gesetzes bezeichneten Institutionen sind im gleichen Umfange wie bei der Staatssteuer auch von der Gemeindesteuer befreit. Ausgenommen sind die Gebäude, die einer gemäss § 14 von der Staatssteuer befreiten privatrechtlichen Institution oder der Versicherungskasse für das Staats- und Gemeindepersonal gehören. Diese können von den Gemeinden mit einer Objektsteuer belegt werden, deren Ansatz für die erste Million des gesamten Gebäudekatasters 1,5 ‰ und für den restlichen Teil 3 ‰ betragen muss. Sofern solche Institutionen eine Grundsteuer zu entrichten haben, fällt diese ganz den Gemeinden zu.
Die Gemeinden sind berechtigt, die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären."
Ein neues Gemeindegesetz ist bis anhin nicht erlassen worden.
B.-
Am 23. März 1953 beschloss die Einwohnergemeinde Binningen ein Gemeindesteuerreglement (GStR), das vom Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft am 14. April 1953 genehmigt wurde. Es sieht in den §§ 6 ff. die Erhebung einer Einkommens-, einer Vermögens- und einer Objektsteuer vor. Nach § 10 GStR unterliegt der Vermögenssteuer grundsätzlich "das gesamte reine Vermögen der natürlichen und der juristischen Personen".
Dem Antrag des Gemeinderates folgend beschloss die Einwohnergemeinde Binningen am 19. Dezember 1960, § 10 GStR durch folgenden Absatz 2 zu ergänzen:
"Juristische Personen entrichten die Vermögenssteuer mindestens von dem in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapital mit Einschluss der Reserven."
BGE 91 I 249 S. 252
Es ist unbestritten, dass dieser Nachtrag am 25. September 1961 von der nunmehr dafür zuständigen Direktion des Innern genehmigt worden ist.
C.-
Die Firma Multengut AG ist eine Immobiliengesellschaft, die ihren zivilrechtlichen Sitz im Jahre 1957 von Basel nach Schaffhausen verlegt hat. Im Jahre 1961 machte sie mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend, dass auch ihr allgemeines Steuerdomizil nach Schaffhausen verlegt worden sei. Mit Entscheid vom 12. Mai 1962 stellte das Bundesgericht fest, dass der wirkliche Sitz und damit das primäre Steuerdomizil der Multengut AG immer noch Basel sei, doch müsse der Grundbesitz in Binningen und Schaffhausen an diesen Orten versteuert werden.
In der Gemeindesteuererklärung für Aktiengesellschaften für das Jahr 1961 vom 20. April 1961 hat die Firma Multengut AG einen steuerbaren Reingewinn von Fr. .... und ein steuerbares Kapital, einschliesslich Reserven, von Fr. .... deklariert und mit eingereichter Bilanz ausgewiesen. Die verhältnismässige Aufteilung auf die beteiligten Gemeinden ergab für Binningen 66,46%. Die Multengut AG wurde demgemäss von der Gemeindeverwaltung am 28. Juni 1961 "für die Vermögenssteuer" mit Fr. .... veranlagt.
Die Firma Multengut AG war damit nicht einverstanden. Sie erhob am 6. Juli 1961 Einsprache mit dem Antrag, "pro 1961 für ein Vermögen von Fr. 0" eingeschätzt zu werden. Zur Begründung berief sie sich im wesentlichen darauf, dass die Gemeinde Binningen keine Kapital-, sondern nur eine Vermögenssteuer erheben dürfe. Auf Grund der massgeblichen Katasterwerte ergebe sich für die Multengut AG kein steuerbares Vermögen. Es sei zwar richtig, dass nach § 10 GStR juristische Personen mindestens das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital mit Einschluss der Reserven zu versteuern haben. Diese Bestimmung sei jedoch verfassungswidrig.
Die Gemeindeverwaltung Binningen wies die Einsprache am 12. Oktober 1961 ab. Der alsdann bei der Gemeindesteuer-Rekurskommission eingereichte Rekurs wurde am 11. Dezember 1961 ebenfalls abgewiesen. Mit Entscheid vom 26. Oktober 1963 wies schliesslich auch die Steuerrekurskommission Baselland die von der Firma Multengut AG bei ihr eingereichte Beschwerde ab.
D.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. Dezember
BGE 91 I 249 S. 253
1963 beantragt die Firma Multengut AG, es sei der Entscheid der Steuerrekurskommission Baselland vom 26. Oktober 1963 "als kantonal und eidgenössisch verfassungswidrig und willkürlich aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter o/e Kostenfolge". Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen hingewiesen.
E.-
Die Gemeindesteuer-Rekurskommission Binningen beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Steuerrekurskommission Baselland hat sich zwar vernehmen lassen, aber auf die Stellung eines Antrages verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid ist mit keinem kantonalen Rechtsmittel anfechtbar (
§ 103 StG
). Die Beschwerdeführerin hat ein rechtliches Interesse am Weiterzug. Die Beschwerdefrist ist eingehalten. Der Vertreter der Beschwerdeführerin ist durch Vollmacht ausgewiesen. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten.
Das Begehren, die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, ist dagegen nicht zulässig, weil staatsrechtliche Beschwerden der vorliegenden Art rein kassatorischer Natur sind (
BGE 87 I 445
Erw. 2 mit Verweisungen,
BGE 89 I 368
Erw. 1).
Ausser auf
Art. 4 BV
beruft sich die Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer Beschwerde auch auf zahlreiche Vorschriften der kantonalen Verfassung, insbesondere auf § 33 KV, wonach die "Organisation der Gemeinden" und die "Festsetzung ihres Wirkungskreises" der Gesetzgebung vorbehalten sind. Der Rüge der Verletzung dieser kantonalen Verfassungsbestimmungen kommt indessen neben der Willkürrüge keine selbständige Bedeutung zu. Die Beschwerde macht nur geltend, gewisse Vorschriften des Gemeindesteuerreglementes und der sich darauf stützende Entscheid der Steuerrekurskommission widersprächen dem kantonalen Gemeindegesetz und dem kantonalen Steuergesetz und seien darum verfassungswidrig. Dass die erwähnten Gesetze selber verfassungswidrig seien, wird nicht behauptet. Es handelt sich somit um die Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechtes, die das Bundesgericht nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür überprüft (vgl. Urteil
BGE 91 I 249 S. 254
vom 16. Juli 1948 in Sachen Portlandzementfabrik Laufen gegen Baselland;
BGE 91 I 176
, Erw. 3).
2.
Der angefochtene Entscheid stützt sich auf § 10 Abs. 2 GStR. Die Beschwerdeführerin bestreitet dessen Verfassungs- und Gesetzmässigkeit. Zu Recht wird jedoch nicht die Aufhebung der genannten Bestimmung verlangt. Eine staatsrechtliche Beschwerde gegen sie selber wäre längst verspätet, da die Einwohnergemeinde Binningen darüber schon am 19. Dezember 1960 Beschluss gefasst und das Departement des Innern den fraglichen Nachtrag am 25. September 1961 genehmigt hat. Zulässig ist dagegen die Anfechtung einer Anwendungsverfügung durch den Betroffenen. Das Bundesgericht prüft in derartigen Fällen vorfrageweise die Verfassungsmässigkeit der grundlegenden Vorschrift (
BGE 83 I 113
Erw. 2 mit Verweisungen,
BGE 86 I 274
Erw. 1 mit Verweisungen).
§ 10 Abs. 2 GStR verdankt seine Entstehung dem Umstand, dass bei einer normalen Vermögensbesteuerung viele Immobiliengesellschaften steuerfrei blieben, weil einerseits die Hauptaktiven (Liegenschaften) zum niedrigen Katasterwert einzusetzen, anderseits aber die erheblichen Schulden (Hypotheken) zum effektiven Betrag abzuziehen waren, sodass kein Vermögen ausgewiesen wurde. Nach der unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Gemeindesteuer-Rekurskommission Binningen hat deshalb zunächst die Gemeinde Muttenz in ihr Steuerreglement eine Bestimmung aufgenommen, wonach Aktiengesellschaften die Vermögenssteuer mindestens vom einbezahlten Aktienkapital zu entrichten haben. Andere Gemeinden folgten diesem Beispiel, und es scheint, dass der Regierungsrat, bzw. nach heutiger Ordnung das Departement des Innern, diese Neuerungen jeweilen genehmigt hat. Über deren Verfassungs- und Gesetzmässigkeit ist damit freilich noch nicht entschieden; das Bundesgericht ist an solche Genehmigungsbeschlüsse nicht gebunden.
3.
Nach dem im Rechtsstaate allgemein geltenden Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Steuer dürfen Steuern nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und lediglich in dem vom Gesetz festgelegten Umfange erhoben werden (IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung 2. Auflage S. 100 f., speziell Ziffer I;
BGE 84 I 93
Erw. 2 mit Verweisungen,
BGE 85 I 84
und 278,
BGE 87 I 14
; § 33 KV). Die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung der Gemeindesteuern im Kanton Baselland sind das
BGE 91 I 249 S. 255
Gemeindegesetz aus dem Jahre 1881 und das Steuergesetz von 1952. Letzteres geht als lex posterior dem Gemeindegesetz vor. Ausdrücklich aufgehoben wurden durch
§ 142 StG
die §§ 139-141, 150 und 151 GG. Soweit im kantonalen Verfahren auf diese Bestimmungen Bezug genommen wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen. Anderseits kann aber nicht, wie die Gemeindeverwaltung dies in ihrer Beschwerdeantwort tut, behauptet werden, das Gemeindegesetz sei so veraltet und "durchlöchert", dass "sich die Beschwerdeklägerin kaum darauf wird berufen können". Die steuerrechtlichen Bestimmungen des Gemeindegesetzes bleiben anwendbar, soweit sie durch das Steuergesetz nicht ausdrücklich oder durch widersprechende neue Vorschriften aufgehoben worden sind.
Nach § 138 GG, der weder aufgehoben noch abgeändert wurde, dürfen die Gemeinden von juristischen Personen Gemeindesteuern auf Einkommen und Erwerb, sowie auf dem gesamten Reinvermögen (oder auf Gebäuden, Grundstücken, Fahrhabe- und Kapitalvermögen) erheben. Darnach kann also die Beschwerdeführerin mit einer Vermögenssteuer belastet werden. - Das Steuergesetz sieht dagegen in § 41 für die Staatssteuer vor, Kapitalgesellschaften hätten eine Gewinnsteuer und eine Kapitalsteuer zu entrichten. Dem Gemeindegesetz sind diese Steuerarten fremd.
Die beiden genannten Steuersysteme sind grundsätzlich verschieden. Steuerobjekt der Vermögenssteuer ist die Differenz von Aktiven und Passiven; bei der Kapitalsteuer dagegen wird das Eigenkapital (Grundkapital und Reserven laut Bilanz) einer Gesellschaft steuerlich erfasst, ohne Rücksicht darauf, ob das Grundkapital durch die Aktiven gedeckt ist oder nicht (vgl. ERNST BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, S. 120; RÜTTIMANN, Das steuerpflichtige Kapital der Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht, S. 12; Basellandschaftliche Steuerpraxis II S. 266). Während für die Vermögenssteuer die Progression gilt (
§
§ 40 und 141 Abs. 4 StG
), wird die Kapitalsteuer im Kanton Baselland - wie in den meisten übrigen Kantonen - proportional erhoben (
§ 45 StG
; RÜTTIMANN, a.a.O. S. 13).
4.
Nach
§ 141 Abs. 6 StG
sind die Gemeinden berechtigt, "die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären". - Machen sie von diesem Recht keinen Gebrauch, so bleibt es bei der Ordnung nach Gemeindegesetz,
BGE 91 I 249 S. 256
ergänzt durch die "Übergangsbestimmungen für die Gemeindesteuer" gemäss § 141 Abs. 1-5 und 7-10 StG. Holdinggesellschaften haben so an die Gemeinden ohne weiteres die gleiche Kapitalsteuer zu entrichten wie an den Staat (
§ 141 Abs. 3 StG
). Die in den
§
§ 13 und 14 StG
aufgeführten Institutionen sind mit gewissen Ausnahmen von der Gemeindesteuer ebenso befreit wie von der Staatssteuer (
§ 141 Abs. 5 StG
). Von allen übrigen Kapitalgesellschaften, zu denen auch die Beschwerdeführerin gehört, können die Gemeinden nur eine Einkommens- und eine Vermögenssteuer erheben (§ 138 GG). Für die Erhebung einer von der Staatssteuereinschätzung unabhängigen Kapitalsteuer in der Gemeinde fehlt dagegen die gesetzliche Grundlage, sofern nicht gestützt auf
§ 141 Abs. 6 StG
die Staatssteuereinschätzung allgemein auch für die Gemeindesteuer als gültig erklärt worden ist.
Wenn deshalb der angefochtene Entscheid erklärt, Absatz 2 von § 10 GStR spreche zwar von einer Vermögenssteuer, bezwecke aber die Erhebung einer Kapitalsteuer, so ist mit der Beschwerdeführerin festzustellen, dass dafür im Rahmen des Gemeindegesetzes keine und nach Steuergesetz nur dann eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist, wenn die Gemeinde Binningen im Sinne von
§ 141 Abs. 6 StG
vorgegangen ist.
5.
Zu beantworten ist demnach die Frage: Lässt sich § 141 Abs. 6 ohne Willkür als gesetzliche Grundlage von § 10 Abs. 2 GStR bezeichnen?
a) Wie erwähnt gibt
§ 141 Abs. 6 StG
den Gemeinden das Recht, "die Staatssteuereinschätzung" für die Gemeindesteuer als gültig zu erklären. Dem Wortlaute nach würde sich diese Bestimmung nur auf die Einschätzung, also auf die Feststellung der Steuerforderung auf Grund der Veranlagung (BLUMENSTEIN, a.a.O. S. 282) beziehen. Es ist jedoch ausgeschlossen, dass die Übernahme im Sinne der angeführten Vorschrift lediglich die Faktoren der Veranlagung erfassen könnte, während es im übrigen bei dem vom Gemeindegesetz vorgesehenen System der Einkommens- und Vermögensbesteuerung bliebe. Einkommen und Vermögen der Kapitalgesellschaften werden gemäss Steuergesetz für die Staatssteuer nicht überprüft, sondern nur Gewinn und Kapital nach Bilanz. Übernahme der Staatssteuereinschätzung bedeutet also zwangsläufig Übernahme des im Steuergesetz vorgesehenen Systems der Besteuerung durch die Gemeinde und damit bei den Kapitalgesellschaften
BGE 91 I 249 S. 257
Erhebung von Gewinn- und Kapitalsteuern durch die Gemeinde gemäss den für die Staatssteuer als massgeblich festgestellten Bilanzwerten.
b) In der Beschwerdeantwort der kantonalen Steuerrekurskommission wird mit Recht darauf hingewiesen, dass die Gemeinden gemäss
§ 141 Abs. 5 StG
von den in den
§
§ 13 und 14 StG
aufgeführten juristischen Personen keine Kapitalsteuer erheben dürfen. Soweit § 10 Abs. 2 GStR eine Kapitalsteuer für sämtliche juristische Personen und damit auch für die in den
§
§ 13 und 14 StG
genannten Institutionen einführt, entbehrt er deshalb offensichtlich einer gesetzlichen Grundlage. Da jedoch § 10 Abs. 2 GStR nicht mehr selbständig angefochten werden kann und die Beschwerdeführerin nicht zu den nach Steuergesetz von der Kapitalsteuer befreiten Institutionen gehört, ist diese Frage im vorliegenden Falle ohne Bedeutung.
c) Nach
§ 141 Abs. 6 StG
dürfen die Gemeinden die Staatssteuereinschätzung "allgemein" auch für die Gemeindesteuern übernehmen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, damit sei gesagt, dass die Gemeinden sich entweder ganz für das System nach Steuergesetz oder für dasjenige nach Gemeindegesetz entscheiden müssten. Es sei unzulässig, die Staatssteuereinschätzung nur teilweise zu übernehmen. Demgegenüber ist die Gemeindeverwaltung Binningen in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Entscheid der Auffassung, nach dem Grundsatz a maiore ad minus seien die Gemeinden auch berechtigt, an Stelle der ganzen Staatssteuereinschätzung lediglich einen Teil derselben zu übernehmen.
Es ist unbestritten, dass als gemeinderechtliche Übernahmebestimmung nur § 10 Abs. 2 GStR in Betracht fällt und dass damit die Staatssteuereinschätzung nur in sehr eingeschränktem Umfange von der Gemeinde übernommen worden ist, nämlich
- nur für die juristischen und nicht auch für die natürlichen Personen,
- nur für die Vermögens- und nicht für die Einkommensbesteuerung, und
- nur als Mindeststeuer für den Fall, dass die reguläre Vermögenssteuer weniger einbringen würde.
Abgesehen davon ist auch fraglich, ob die kantonale Kapitalsteuer als solche in diesem beschränkten Umfange im Rahmen des Gemeindesteuerrechtes für anwendbar erklärt wurde. § 10 Abs. 2 GStR spricht nicht ausdrücklich von einer "Kapitalsteuer"
BGE 91 I 249 S. 258
und nimmt nicht Bezug auf die Staatssteuereinschätzung oder auf
§ 141 Abs. 6 StG
, sondern sieht einfach die Erhebung einer "Vermögenssteuer... von dem in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapital mit Einschluss der Reserven" vor. Das Objekt dieser Steuer ist somit identisch mit demjenigen der Kapitalsteuer gemäss
§ 44 StG
, auch wenn es mit etwas anderen Worten umschrieben wird. Das heisst jedoch noch nicht, dass damit die Kapitalsteuer gemäss Steuergesetz von der Gemeinde übernommen worden ist. Dazu gehörte auch die Übernahme des verhältnismässig starren Steuersatzes gemäss
§ 45 StG
, der mit dem progressiven Steuersatz bei der Vermögenssteuer nichts gemein hat. Der Wortlaut von § 10 GStR spricht eher dafür, dass die Gemeinde beabsichtigte, das Kapital der juristischen Personen als das für die allgemeine Vermögenssteuer massgebliche Vermögen heranzuziehen. Dies scheint auch das in Muttenz gewählte System zu sein. Als Übernahme der Staatssteuereinschätzung könnte eine solche Regelung nicht anerkannt werden, weil darin eine durch nichts gerechtfertigte und deshalb willkürliche Verkuppelung zweier Systeme läge: Erhebung einer Vermögenssteuer vom bilanzierten Eigenkapital. Hiefür fehlt eine gesetzliche Grundlage. Es scheint indessen, dass von der Beschwerdeführerin für die Gemeinde eine eigentliche Kapitalsteuer im Sinne des Steuergesetzes verlangt worden ist. Die in Rede stehende Gemeindesteuerrechnung erfasst offenbar das Kapital der Beschwerdeführerin in gleicher Weise wie die Staatssteuerrechnung. § 10 Abs. 2 GStR entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, die Bezeichnung "Vermögenssteuer" sei einfach ungenau und es wolle in Wirklichkeit eine Kapitalsteuer gemäss Steuergesetz erhoben werden, lässt sich nicht als willkürlich bezeichnen, da damit Systemwidrigkeiten wenigstens mit Bezug auf bestimmte Steuersubjekte und eine bestimmte Steuerart vermieden werden.
Unter Berücksichtigung der vorhin unter Ziffer 5 lit. a vorgenommenen Präzisierung ist der Wortlaut von
§ 141 Abs. 6 StG
klar. Er ermächtigt die Gemeinden, das im kantonalen Steuergesetz vorgesehene Besteuerungssystem "allgemein auch für die Gemeindesteuer" für anwendbar zu erklären. Was anders damit gemeint sein könnte als eine vollständige, umfassende, sich auf alle Steuerpflichtigen und alle Steuerobjekte erstreckende Übernahme der Staatssteuereinschätzung, ist nicht ersichtlich. Auch mit dem Sinn dieser gesetzlichen Regelung
BGE 91 I 249 S. 259
ist eine andere Auslegung nicht vereinbar. Ein Besteuerungssystem, wie es im kantonalen Steuergesetz geregelt ist, bildet in der Regel ein einheitliches Gebilde. Es lässt sich nur schwer in seine einzelnen Bestandteile zerlegen, weil diese aufeinander abgestimmt sind und oft auch so eng miteinander zusammenhängen, dass sie sich vernünftigerweise gar nicht trennen lassen. Sachlich vertretbar ist deshalb allein die mit dem Wortlaut von § 141 Abs. 6 übereinstimmende Auffassung, mit den in
§ 141 StG
enthaltenen "Übergangsbestimmungen für die Gemeindesteuer" werde den Gemeinden die Möglichkeit geboten, für die Gemeindesteuern bis zum Inkrafttreten eines neuen Gemeindegesetzes entweder mit gewissen Anpassungen das bisherige System der Einkommens- und Vermögensbesteuerung nach Gemeindegesetz beizubehalten, oder aber als Ganzes das System der Staatssteuer gemäss Steuergesetz zu übernehmen. Ohne Willkür kann deshalb
§ 141 Abs. 6 StG
nicht als gesetzliche Grundlage von § 10 Abs. 2 GStR bezeichnet werden, der, auch ausdehnend interpretiert, die Staatssteuereinschätzung nur in ganz beschränktem Umfange auf das Gemeindesteuerrecht überträgt. Die gegenteilige Auffassung der kantonalen Steuerrekurskommission verstösst demnach gegen
Art. 4 BV
, sodass ihr Entscheid in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben ist. Auf die weiter von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände braucht unter diesen Umständen nicht eingetreten zu werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Entscheid der Steuerrekurskommission Baselland vom 26. Oktober 1963 aufgehoben wird. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
029cec53-3ed7-4eb6-a5fb-f70b6a8c7afa | Urteilskopf
93 I 17
3. Urteil vom 8. März 1967 i.S. Storck gegen St. Moritz, Gemeindevorstand und Kur- und Verkehrsverein. | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
; wann ist die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges (
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
) ausnahmsweise nicht erforderlich? (Erw. 2).
Kurtaxe. Niederlassungsfreiheit. Doppelbesteuerung.
Eine Ordnung, welche die Eigentümer von Ferienhäusern (und deren Gäste) nicht gleich den am Orte Niedergelassenen von der Kurtaxe befreit, verstösst nicht gegen
Art. 45 Abs. 6 BV
(Erw. 4).
Voraussetzungen der Anwendbarkeit von
Art. 46 Abs. 2 BV
auf die von den Ferienhauseigentümern erhobene Kurtaxe. Bedeutung der Höhe der Kurtaxe und der Verwendung ihres Ertrages (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 18
BGE 93 I 17 S. 18
A.-
Die Gemeinde St. Moritz hat am 27. Mai 1962 ein Kurtaxengesetz (KTG) erlassen, das u.a. folgende Bestimmungen enthält:
Art. 1. Jeder in St. Moritz übernachtende Gast hat an die Kosten der Aufwendungen der Gemeinde für Kur- und Sporteinrichtungen, sowie für die Organisation des Kur- und Verkehrsvereins, einen Beitrag in der Form einer Kurtaxe pro Übernachtung zu leisten.
Art. 2. Gäste im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die nicht in St. Moritz Wohnsitz gemäss
Art. 23 ff. ZGB
haben, und bei denen die Voraussetzungen für die Erhebung der ordentlichen Steuern fehlen. Grundeigentum in St. Moritz begründet zwar Steuerpflicht, nicht aber Befreiung von der Kurtaxe.
Art. 9. Die Kurtaxengelder sind ausschliesslich zur Hebung und Förderung des Kur- und Sportortes St. Moritz bestimmt. Sie müssen im Interesse der Gäste verwendet werden. Die Entlastung des ordentlichen Gemeindehaushaltes durch Kurtaxengelder ist nicht zulässig. Die Propaganda für den Kur- und Sportort St. Moritz darf nicht mit Kurtaxengeldern finanziert werden.
Art. 10. Die Handhabung dieses Gesetzes, der Einzug der Kurtaxen und die Verwendung der Taxeinnahmen werden an den Kur- und Verkehrsverein St. Moritz delegiert.
Die Gemeinde hat zwei Vertreter im Vorstand des Kur- und Verkehrsvereins.
Art. 12. Die Logisgeber besorgen den Einzug der Kurtaxen beim Gast... Die Logisgeber haften für die von den Gästen zu bezahlenden Kurtaxen mit diesen solidarisch.
BGE 93 I 17 S. 19
Die Kurtaxe beträgt bei den Beherbergungsbetrieben je nach deren Klasse Fr. 1.10 bis 2.20, in den Ferienhäusern, Ferienwohnungen und Privatzimmern einheitlich Fr. 1.10 je Logiernacht; niedrigere Kurtaxen sind nur für Zeltplätze (50 Rappen) sowie für Schulen, Institute, Kinderheime usw. (40 Rappen) vorgesehen (Art. 3). Bestimmte Personen sind von der Kurtaxe befreit, u.a. das Dienstpersonal der Gäste sowie "Besuche, die unentgeltlich im Haushalt von Personen übernachten, die der Kurtaxenpflicht nicht unterstellt sind" (Art. 5). Ferienhausbesitzer und Dauermieter von Ferienwohnungen können auf ihr Begehren die Kurtaxe für ihre Familien und ihre unentgeltlich beherbergten Gäste in der Form einer Jahrespauschale entrichten, die je nach Lage und Komfort des Hauses Fr. 40.- bis 80.- je Bett beträgt und vom Gemeindevorstand festgesetzt wird.
B.-
Der Beschwerdeführer Dr. Walter Storck wohnt in Zürich. Er und seine Ehefrau sind Miteigentümer je zur Hälfte eines Ferienhauses mit 9 Betten in der Gegend der Meierei in St. Moritz. Er wurde vom Kur- und Verkehrsverein im Oktober 1965 "zwecks Reglierung" der Kurtaxen um Auskunft über einige Punkte ersucht und erhielt am 25. Februar 1966 folgende Veranlagung:
319 Logiernächte à Fr. 1.10 im Winter 1963/64
und im Sommer 1964 Fr. 350.90
256 Logiernächte à Fr. 1.10 im Winter 1964/65
und im Sommer 1965 Fr. 281.60
zusammen Fr. 632.50
Der Beschwerdeführer focht diese Veranlagung beim Gemeindevorstand St. Moritz wegen Verletzung von
Art. 4 und 46 Abs. 2 BV
an. Die Beschwerde wurde am 16. Juni 1966 abgewiesen.
C.-
Gegen den Entscheid des Gemeindevorstands hat Dr. Walter Storck staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt gänzliche Aufhebung des angefochtenen Entscheids eventuell Aufhebung desselben, "soweit er sich auf die am Domizil des Beschwerdeführers nicht mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden und in seinem Ferienhaus unentgeltlich beherbergten Gäste (,Gratisgäste') bezieht". Als Beschwerdegrund macht er Verletzung von
Art. 45 Abs. 6,
Art. 46 Abs. 2 und
Art. 4 BV
geltend. Die teilweise weitschweifige Begründung
BGE 93 I 17 S. 20
dieser Rügen ist, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.-
Die Gemeinde St. Moritz und der Kur- und Verkehrsverein St. Moritz beantragen die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
E.-
Neben der staatsrechtlichen Beschwerde hat Storck gegen den Entscheid des Gemeindevorstands vom 16. Juli 1966 vorsorglich beim Gemeinderat St. Moritz eine Beschwerde eingereicht, die sich auf den Beschwerdegrund von
Art. 4 BV
beschränkt.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer und seine mit ihm in Güterverbindung lebende Ehefrau sind Miteigentümer je zur Hälfte des Ferienhauses in St. Moritz. Im Hinblick hierauf behauptet der Beschwerdeführer, er sei zur staatsrechtlichen Beschwerde sowohl für sich selbst wie auch als gesetzlicher Vertreter seiner Ehefrau (Art. 168 Abs. 2 und 200 Abs. 1 ZGB) legitimiert. Durch das als verfassungswidrig bezeichnete KTG, namentlich durch dessen Art. 1, 2 und 12, werden zwar beide Ehegatten betroffen. Das KTG ist aber schon am 1. Dezember 1962 in Kraft getreten, und die Frist zu seiner Anfechtung längst abgelaufen. Die Beschwerde richtet sich gegen die vom Gemeindevorstand bestätigte Kurtaxenveranlagung. Diese ist nur an den Beschwerdeführer adressiert. Nur von ihm ist die Kurtaxe eingefordert worden, weshalb nur er durch den angefochtenen Entscheid beschwert ist. Ob seine Ehefrau gleichwohl zur Beschwerde legitimiert sei, kann offen bleiben, da auf die vom Beschwerdeführer in eigenem Namen sowie als Steuersubstitut seiner Gäste erhobene Beschwerde jedenfalls einzutreten ist (vgl.
BGE 90 I 80
, 162).
2.
Der Beschwerdeführer macht in erster Linie Verletzung von
Art. 45 Abs. 6 und
Art. 46 Abs. 2 BV
geltend. Dafür ist die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforderlich (
Art. 86 Abs. 2 OG
). Dagegen ist sie vorgeschrieben für die vom Beschwerdeführer weiterhin erhobene Rüge der Verletzung des
Art. 4 BV
(
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
). Gegen den mit der Beschwerde angefochtenen Entscheid des Gemeindevorstands standen dem Beschwerdeführer noch kantonale Rechtsmittel zur Verfügung, und zwar zunächst die Beschwerde an den Gemeinderat, die er denn auch, unter Beschränkung auf den Beschwerdegrund
BGE 93 I 17 S. 21
des
Art. 4 BV
, vorsorglich ergriffen hat. Er ist jedoch der Auffassung, dass er auch für diesen Beschwerdegrund den kantonalen Instanzenzug nicht zu erschöpfen brauche, dass also auf die vorliegende Beschwerde in vollem Umfange einzutreten sei.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges abgesehen, wenn die Beschwerde aus
Art. 4 BV
keine selbständige Bedeutung hat, sondern lediglich zur Begründung der Beschwerde wegen Verletzung anderer Vorschriften der BV dient, für deren Anrufung jenes Erfordernis nicht gilt (
BGE 30 I 291
,
BGE 46 I 247
,
BGE 83 I 105
). Das trifft hier nicht zu. Die Rüge der Verletzung des
Art. 4 BV
hat im wesentlichen selbständige Bedeutung, denn es wird damit geltend gemacht, durch die Anwendung des KTG werde der Beschwerdeführer in mehrfacher Hinsicht rechtsungleich behandelt.
b) Eine Ausnahme vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges hat das Bundesgericht auch dann gemacht, wenn die Ergreifung des kantonalen Rechtsmittels sich als zwecklos und als leere Formalität erwiese (
BGE 86 I 39
/40 mit Verweisungen,
BGE 89 I 362
/3). Auch diese Voraussetzung ist hier, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, nicht erfüllt. Sie wurde bisher bejaht in Fällen, wo der angefochtene Entscheid auf einer von der Rechtsmittelinstanz erlassenen oder genehmigten Vorschrift beruhte (
BGE 38 I 438
,
BGE 66 I 7
) oder wo die erste Instanz von der Rechtsmittelinstanz angewiesen worden war, im Sinne ihrer Erwägungen neu zu entscheiden (
BGE 86 I 39
/40,
BGE 89 I 362
/3). Etwas derartiges liegt hier nicht vor. BONNARD hat in ZSR 1962 II 428/9 freilich empfohlen, die erwähnte Rechtsprechung weiter zu entwickeln und vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges auch dann abzusehen, wenn die Meinung der kantonalen Rekursinstanz auf Grund einer alten und festen Rechtsprechung bekannt sei. Ob dieser Auffassung zu folgen und ob angesichts der drei vom Beschwerdeführer erwähnten Rekursentscheide, die der Bündner Grosse Rat in den Jahren 1951, 1961 und 1963 über die Kurtaxen von Arosa und Flims gefällt hat, von einer alten und feststehenden Praxis zu sprechen ist, kann dahingestellt bleiben. Dies vor allem deshalb, weil der Entscheid des Gemeindevorstands St. Moritz gemäss Art. 15 KTG zunächst beim Gemeinderat angefochten werden kann
BGE 93 I 17 S. 22
und der Beschwerdeführer nicht behauptet, dass seine eigene oder eine analoge Streitsache je vom Gemeinderat beurteilt worden sei. Nachdem der Beschwerdeführer den Beschluss des Gemeindevorstands vorsorglich an den Gemeinderat weiter gezogen hat, besteht kein Anlass, dem Entscheid dieser Instanz und der kantonalen Behörden vorzugreifen, zumal da er die Überzeugung vertritt, er bringe neue Argumente vor. Anderseits liegt auch kein Grund vor, den Entscheid über die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 45 Abs. 6 und
Art. 46 Abs. 2 BV
bis zum letztinstanzlichen Entscheid über jene kantonalen Rechtsmittel zu verschieben (vgl.
BGE 83 I 105
Erw. 1b mit Verweisungen).
3.
Der Beschwerdeführer ficht nicht nur Bestimmungen des KTG als verfassungswidrig an, sondern beanstandet auch die Verwendung der Kurtaxengelder, insbesondere die im streitigen Zeitraum erfolgten Rückstellungen für die Errichtung eines Hallenschwimmbades und einer Kunsteisbahn, die sich zur Zeit im Bau befinden, sowie die Finanzierung des Kinderparadieses, weil darin im Durchschnitt der Jahre 1961/63 mehr Kinder von Ortseinwohnern als von Kurgästen betreut worden seien. Diese Vorbringen sind, soweit sie der Begründung der Rüge der Verletzung der Niederlassungsfreiheit und des Doppelbesteuerungsverbotes dienen, entgegen der Auffassung der Gemeinde zulässig, obwohl sie dem Gemeindevorstand nicht unterbreitet worden sind; denn bei Beschwerden, bei denen der kantonale Instanzenzug nicht erschöpft zu werden braucht, sind neue Vorbringen und Beweismittel vor Bundesgericht nicht ausgeschlossen (
BGE 87 I 51
,
BGE 85 I 44
). Dagegen fällt die Rüge aus einem andern Grund ausser Betracht. Sollten nämlich die Kurtaxengelder entgegen der klaren Vorschrift von Art. 9 KTG nicht ausschliesslich im Interesse der Gäste verwendet werden, so würde dies den Beschwerdeführer nicht von der Abgabepflicht befreien, sondern ihn lediglich berechtigen, mit einer Beschwerde gemäss 15 KTG die vorschriftsgemässeVerwendung der Kurtaxengelder zu verlangen (
BGE 90 I 96
/7), was er bisher nicht getan hat.
4.
Der Beschwerdeführer erblickt darin, dass er als Eigentümer eines Ferienhauses in St. Moritz dort für sich, seine Angehörigen und seine Gäste die Kurtaxe zu entrichten hat, während Personen mit zivilrechtlichem Wohnsitz in St. Moritz von der Abgabepflicht befreit sind, eine Verletzung von
Art. 45
BGE 93 I 17 S. 23
Abs. 6 BV
. Diese Bestimmung ist eine Folge der in Abs. 1 von
Art. 45 BV
enthaltenen Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit und schützt den (kantonsfremden oder kantonsangehörigen) Niedergelassenen vor der Belastung mit "besondern" Steuern, d.h. vor solchen Abgaben, die unter den gleichen Bedingungen von Bürgern des Kantons oder der Gemeinde nicht gefordert werden (BURCKHARDT, Komm. der BV, S. 405/6).
Damit sich der Beschwerdeführer auf
Art. 45 Abs. 6 BV
berufen könnte, müsste er in St. Moritz niedergelassen oder einem Niedergelassenen gleichgestellt sein. In der Beschwerde wird zugegeben, dass der Wortlaut der Bestimmung auf den Fall "zugeschnitten" ist, wo der Ort der Niederlassung gleichzeitig den Wohnsitz des Niedergelassenen bildet. In der Tat versteht die BV, wie sich auch aus Art. 43, 46 Abs. 1 und vor allem aus Art. 47 ergibt, unter Niederlassung ein auf eine gewisse Dauer berechnetes Verweilen an einem Ort im Gegensatz zum bloss vorübergehenden Aufenthalt (vgl.
BGE 42 I 303
; BURCKHARDT a.a.O. S. 433 unten; FLEINER-GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht S. 243). Im Recht des Schweizerbürgers, sich an jedem Ort niederzulassen, ist freilich auch der Anspruch enthalten, sich daselbst vorübergehend aufzuhalten, und demjenigen, der die Niederlassungsfreiheit nach Abs. 2 oder 3 von
Art. 45 BV
verwirkt hat, braucht auch der Aufenthalt nicht bewilligt zu werden (
BGE 42 I 300
und ständige Rechtsprechung). Ferner kann die Erteilung der Niederlassungsbewilligung (durch welche die Niederlassung noch nicht begründet, sondern nur festgestellt wird, dass ihr keine polizeilichen Gründe entgegenstehen) auch von demjenigen verlangt werden, der am betreffenden Ort nicht Wohnsitz nehmen, sondern sich zu einem andern Zweck, z.B. zur Berufsausübung, aufhalten möchte (vgl.
BGE 32 I 447
,
BGE 59 I 206
). Daraus folgt aber nicht, dass Niedergelassene und Aufenthalter in jeder Beziehung gleich zu behandeln wären. Der Beschwerdeführer behauptet das auch nicht. Er glaubt indes, der durch zivilrechtlichen Wohnsitz geschaffenen Beziehung zu einem Orte sei die Beziehung gleichzustellen, die infolge Grundeigentums, insbesondere an einem Ferienhaus, bestehe. Dem kann nicht beigepflichtet werden.
Art. 45 BV
gewährleistet nur das persönliche Verweilen an einem Ort für kürzere oder längere Dauer. Wenn ein Kanton, wie es früher vorkam, von einem auswärts Wohnenden für den Erwerb von Grund und Boden
BGE 93 I 17 S. 24
die Einholung einer Niederlassungsbewilligung am betreffenden Orte verlangte (SALIS, Bundesrecht Nr. 563, 577), so handelte es sich nicht um eine Niederlassung, auf welche die Grundsätze des
Art. 45 BV
anwendbar wären (BURCKHARDT a.a.O. S. 388). Ebensowenig vermag Grundeigentum für sich allein seinem Inhaber die Stellung eines Niedergelassenen im Sinne von
Art. 45 Abs. 6 BV
zu verschaffen. Auf diese Bestimmung könnte sich der Beschwerdeführer nur berufen, wenn seine persönliche Anwesenheit in St. Moritz als eigentliche Niederlassung im Gegensatz zu blossem Aufenthalt zu betrachten wäre. Davon kann aber offensichtlich nicht die Rede sein. Nach seinen Angaben hat der Beschwerdeführer im einen der beiden in Frage stehenden Jahre 15, im andern 24 mal und seine Ehefrau 65 bzw. 57 mal in St. Moritz übernachtet, was den Rahmen von gewöhnlichen Ferien- und Erholungsaufenthalten nicht überschreitet, gleichgültig ob es sich dabei um mehrere kürzere Aufenthalte oder um eine zusammenhängende Folge von Tagen handelte.
Die Berufung auf
Art. 45 Abs. 6 BV
würde dem Beschwerdeführer übrigens selbst dann nichts nützen, wenn er als Niedergelassener zu betrachten wäre. Diese Bestimmung ist nur verletzt, wenn der Niedergelassene unter den gleichen Bedingungen anders als ein Ortsbürger besteuert wird, und das träfe hier nur zu, wenn einem Bürger von St. Moritz, der - wie der Beschwerdeführer - in einer andern Gemeinde niedergelassen ist und wohnt, aber ein Ferienhaus in St. Moritz hat und dort seine Ferien oder einzelne Urlaubstage verbringt, von der Kurtaxe befreit wäre. Das wird in der Beschwerde jedoch nicht behauptet und ist nach dem KTG auch nicht der Fall. Damit erweist sich die Rüge, Art. 2 KTG verstosse gegen
Art. 45 Abs. 6 BV
, als unbegründet. Diese Bestimmung verlangt nicht, dass Personen mit und ohne Wohnsitz in der Gemeinde gleich behandelt werden, sondern nur, dass der in der Heimatgemeinde ansässige Ortsbürger gegenüber den Niedergelassenen nicht bevorzugt werde. Gerade das aber bewirkt Art. 2 KTG nicht.
5.
Das Bundesgericht hat in
BGE 64 I 305
,
BGE 67 I 204
/5 und
BGE 90 I 94
/5 für die Kurtaxen der Kantone Tessin und der Gemeinden Arosa und Flims angenommen, es handle sich um eine für einen bestimmten, von den allgemeinen Gemeindeaufgaben verschiedenen Zweck erhobene "geringe Sondersteuer". In allen drei Urteilen, auf deren zum Teil ausführliche Begründung verwiesen
BGE 93 I 17 S. 25
wird, hat es die Anwendung des
Art. 46 Abs. 2 BV
auf die streitigen Kurtaxen abgelehnt, jedoch einen Vorbehalt gemacht für den Fall, dass eine als Kurtaxe bezeichnete Abgabe den Charakter einer Aufenthaltssteuer habe. Als blosses Surrogat der ordentlichen Steuer auf dem Erwerbseinkommen und beweglichen Vermögen müsste sie dann auch dem Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung unterstellt werden. Der Beschwerdeführer behauptet, dass das bei der Kurtaxe von St. Moritz zutreffe.
a) Die Beschwerde legt zunächst die Entwicklung des Kurtaxenrechts in Preussen einlässlich dar. Diese Ausführungen tragen aber zur Entscheidung der Frage, ob die vom Beschwerdeführer geforderte Kurtaxe mit
Art. 46 Abs. 2 BV
vereinbar sei, nichts bei.
b) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, dass die Gemeinde St. Moritz sozusagen ausschliesslich vom Fremdenverkehr lebe und dass daher alles, was zu dessen Förderung diene, zu den allgemeinen und zugleich wichtigsten Gemeindeaufgaben gehöre, weshalb die Kurtaxe, trotzdem sie nach Art. 9 KTG "im Interesse der Gäste verwendet werden" müsse und nicht zur "Entlastung des ordentlichen Gemeindehaushaltes" dienen dürfe, als ordentliche Steuer dem
Art. 46 Abs. 2 BV
zu unterstellen sei.
Richtig ist, dass die "Hebung und Förderung des Kur- und Sportortes St. Moritz", für welche die Kurtaxengelder nach Art. 9 KTG bestimmt sind, auch als eine allgemeine Gemeindeaufgabe zu betrachten ist. Und richtig ist, dass vom Ergebnis dieser Förderung auch zahlreiche Ortsbewohner Nutzen ziehen, unmittelbar dadurch, dass sie die Kur- und Sporteinrichtungen ebenfalls benützen können, mittelbar dadurch, dass diese Einrichtungen Gäste anziehen, die der einheimischen Bevölkerung Verdienst bringen (
BGE 90 I 100
). Allein dadurch unterscheidet sich die Kurtaxe von St. Moritz nicht wesentlich von derjenigen der Bündner Kurorte Arosa und Flims, die das Bundesgericht früher zu beurteilen hatte. Besteht überhaupt ein Unterschied, so ist er höchstens ein solcher des Masses und ändert nichts daran, dass die Erhebung der Kurtaxen und alles, was damit finanziert wird, grundsätzlich getrennt ist von der ordentlichen Gemeindeverwaltung. Zu dieser gehört, was auch geschaffen, betrieben, unterhalten und bezahlt werden müsste, wenn St. Moritz kein Kurort wäre, nämlich die allgemeine Gemeindeverwaltung,
BGE 93 I 17 S. 26
die Strassen und die Schulen, die Wasserversorgung, die Sicherheits- und die Gesundheitspolizei, die Feuerwehr usw. Demgegenüber gehören zur Förderung des Kur- und Sportorts jene Aufwendungen, die für die 3751 Ortseinwohner allein niemals gemacht würden, so etwa der Personal- und Sachaufwand für ein mit allen modernen Hilfsmitteln ausgerüstetes, reich dokumentiertes und dem Besucher mit Gratisauskünften dienendes Verkehrsbüro, Beiträge an Sportorganisationen, Sporteinrichtungen und Sportanlässe für ein internationales Publikum, der Aufwand für das Kurorchester, der Unterhalt von Spazierwegen, Ruhebänken und Skipisten, der Bau und Unterhalt einer Reithalle, eines Hallenschwimmbades, einer Kunsteisbahn usw. Daraus sowie aus der getrennten Erhebung und Verwaltung der zur Finanzierung der ordentlichen Gemeindeausgaben dienenden Steuern einerseits und der Kurtaxen andererseits ergibt sich, dass die Kurtaxe auch in St. Moritz eine Sondersteuer für einen von der ordentlichen Gemeindeverwaltung klar unterschiedenen Zweck darstellt. Wohl leistet auch die Gemeinde aus ihrer allgemeinen Kasse Beiträge für Kurortsveranstaltungen und besondere Kurortsaufgaben. Diese Zuschüsse sind aber bescheiden, machen im Haushalt der Gemeinde weniger als 1% der Gesamtausgaben aus und ändern am Charakter der Kurtaxe als einer im Interesse der Gäste zu verwendenden Sondersteuer nichts (
BGE 90 I 96
). Der Kurgast wird dadurch jedenfalls nicht belastet. Ebensowenig wird er dadurch belastet, dass einzelne der für ihn geschaffenen Einrichtungen auch durch Ortseinwohner benützt werden, denn dadurch werden die Betriebskosten im Durchschnitt gesenkt, sogar dann, wenn den Ortseinwohnern, wie der Beschwerdeführer behauptet, Vorzugspreise eingeräumt werden sollten. Entscheidend ist einzig, dass mit den Kurtaxen Einrichtungen finanziert werden, die für die Ortseinwohner allein nicht geschaffen und betrieben würden. Das Begehren des Beschwerdeführers, den Gemeindevorstand von St. Moritz zu genauen Angaben über die Benützung aller mit Kurtaxen finanzierten Kur- und Sporteinrichtungen durch Ortsansässige und Gäste anzuhalten, ist daher ohne Belang für die zu beurteilende Rechtsfrage.
c) Das Bundesgericht hat die Unterstellung der Kurtaxen von Arosa und Flims unter
Art. 46 Abs. 2 BV
namentlich auch deshalb abgelehnt, weil es sich um eine "geringe" Sondersteuer
BGE 93 I 17 S. 27
handle. Diese Qualifikation wäre fraglich, wollte man den Gesamtertrag der Kurtaxen demjenigen der übrigen Gemeindesteuern gegenüberstellen, macht er doch in den Jahren 1961-1963 18,2%, 19,2% und 24% der Summe der übrigen Gemeindesteuern aus. Es geht aber hier nicht um dieses Verhältnis, sondern um die Belastung des Gastes, d.h. darum, ob die Kurtaxe für diesen, hier also für den Beschwerdeführer, eine "geringe" Sondersteuer darstellte.
Der Beschwerdeführer behauptet - angesichts der Ausführungen in
BGE 67 I 204
ff. und
BGE 90 I 97
mit Recht - nicht, ein Betrag von Fr. 1.10 je Logiernacht sei beim heutigen Geldwert schon an sich nicht mehr eine "geringe" Steuer. Er setzt auch die dadurch bewirkte Belastung nicht in Vergleich zu den Steuern, die er an seinem Wohnsitz entrichtet. Die Kurtaxe soll deshalb keine "geringe" Sondersteuer mehr sein, weil der Beschwerdeführer sie auch für Gäste, die er unentgeltlich beherberge, bezahlen müsse und sie faktisch nicht auf sie abwälzen könne. Die sich daraus ergebende Belastung des Beschwerdeführers aber sei, verglichen mit der Vermögenssteuer, die er in St. Moritz für sein Ferienhaus zu entrichten habe, nicht mehr gering.
Gemäss Art. 12 KTG besorgen die Logisgeber den Einzug der Kurtaxen beim Gast, und sie haften für die von ihren Gästen zu bezahlenden Kurtaxen solidarisch. Der Beschwerdeführer ist somit zugleich Steuerschuldner (für sich selbst) und Steuersubstitut (für seine Gäste). Dass er für seine Ehefrau, obwohl sie Miteigentümerin des Ferienhauses ist, die Kurtaxe bezahlen muss, mag richtig sein. Die Abgabe für seine Kinder, die alle erwachsen sind, sowie für weitere Gratisgäste muss der Beschwerdeführer dagegen nicht übernehmen. Tut er es auf Grund einer gesellschaftlichen Gepflogenheit, so wird er dafür in der Regel durch Gastgeschenke, Gegeneinladungen und dgl. schadlos gehalten. Auf jeden Fall kann ein freiwilliges Opfer des Gastgebers gegenüber dem Gast beim Entscheid darüber, ob die Kurtaxe von St. Moritz eine geringe oder nicht mehr eine geringe Sondersteuer sei, nicht in Betracht fallen.
Damit fällt auch der Schluss, den der Beschwerdeführer aus dem Vergleich der Kurtaxenbelastung mit der Gemeinde-Vermögenssteuer für sein Ferienhaus zieht, denn dieser Vergleich beruht auf der Annahme, dass der Beschwerdeführer durch die Kurtaxen für seine Gratisgäste rechtlich belastet sei.
BGE 93 I 17 S. 28
Rechnet man nur mit der Kurtaxe für ihn und seine Ehefrau, so sinkt das Verhältnis von rund 50% auf kaum 13%. Das ist keineswegs so viel, dass dadurch der Charakter der Kurtaxe verändert und sie zu einem Surrogat der ordentlichen Steuer auf dem Erwerbseinkommen und beweglichen Vermögen gestempelt würde. Damit das zuträfe, müsste die Kurtaxe für den Beschwerdeführer und seine Ehefrau sich dem Betrag nähern, den er zu entrichten hätte, wenn er für die Zeit seines Aufenthaltes in St. Moritz die ordentlichen Steuern auf seinem Erwerbseinkommen und beweglichen Vermögen zu bezahlen hätte, worüber der Beschwerdeführer aber keine Berechnungen angestellt hat.
Am rechtlichen Charakter der Kurtaxe ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer sie während Jahren, nämlich solange er sein Ferienhaus in der bisherigen Weise benützt, wird bezahlen müssen. Der angebliche "Zwang" zu solcher Benützung macht die von den Ferienhausbesitzern erhobene Kurtaxe nicht zu einer Abgabe anderer Art, weil diese Kurgäste im Gegensatz zu den Hotelgästen nicht mehr "umworben" und "angelockt" werden müssen. Ferner ist es bedeutungslos, ob der Beschwerdeführer die mit der Kurtaxe finanzierten Einrichtungen benützt oder nicht benützt; es genügt, dass er sie benützen kann (
BGE 90 I 94
und 97) und dass sie, wie schon gesagt, für die Ortseinwohner allein nicht geschaffen und betrieben würden. Damit fällt auch der Vorwurf der "sachwidrigen Ordnung", mit dem die Verletzung des Doppelbesteuerungsverbots zu begründen versucht wird.
d) Die Kurtaxen der Hotelgäste sind nach der Klasse der Beherbungsbetriebe und damit indirekt nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gäste abgestuft, was für sich allein eher für die Anwendung von
Art. 46 Abs. 2 BV
sprechen würde (
BGE 90 I 97
). An einer solchen Abstufung fehlt es indessen gerade für die in Ferienhäusern übernachtenden Gäste; für sie beträgt die Kurtaxe einheitlich gleich viel wie für die in den Hotels letzter Klasse übernachtenden Gäste (Art. 3 lit. a und b KTG). Der Beschwerdeführer gibt dies im Prinzip zu; die Vorbehalte, die er dabei anbringt, heben diese Zugabe nicht auf.
e) Aus dem unter lit. b-d Dargelegten ergibt sich, dass alle Merkmale, die dazu Anlass gaben, die Kurtaxen von Arosa und Flims (
BGE 67 I 204
ff. und
BGE 90 I 92
ff.) dem
Art. 46 Abs. 2 BV
nicht zu unterstellen, auch bei der Kurtaxe von St. Moritz -
BGE 93 I 17 S. 29
jedenfalls soweit es die in Ferienhäusern übernachtenden Gäste betrifft - zutreffen. Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers (Preisvorteile für Ortseinwohner und Kurkarteninhaber, unterschiedliche Behandlung der unentgeltlich beherbergten Gäste der Ortseinwohner und der Ferienhauseigentümer, interne Doppelbelastung des Beschwerdeführers, Benachteiligung des Beschwerdeführers gegenüber dem auswärts wohnenden Inhaber einer Geschäftsniederlassung in St. Moritz usw.) betreffen die Rüge der Verletzung des
Art. 4 BV
und fallen gemäss dem in Erw. 2 hievor Dargelegten hier ausser Betracht. Das führt zur Abweisung des Hauptbegehrens und des Eventualbegehrens des Beschwerdeführers, soweit darauf einzutreten ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit daraufeinzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
029e6f14-da8e-41b0-b436-1e9bb3188fa7 | Urteilskopf
97 V 130
33. Extrait de l'arrêt du 24 août 1971 dans la cause Dufaux contre Société vaudoise et romande de secours mutuels (SVRSM) et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 12 bis KUVG
.
Das Krankengeld der Versicherten, welche die altersmässigen Voraussetzungen des Anspruchs auf eine einfache Altersrente erfüllen, darf auf das gesetzliche Minimum herabgesetzt werden (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 130
BGE 97 V 130 S. 130
Considérant en droit:
1.
Il s'agit en l'espèce d'examiner s'il est loisible d'imposer aux rentiers de l'assurance-vieillesse et survivants la réduction de leurs indemnités journalières au minimum légal même s'ils exercent encore une activité rémunérée, de sorte que la maladie leur cause une perte de gain.
Une caisse-maladie n'est pas libre de réduire en tout temps et sans motif, par décision unilatérale, le montant de l'indemnité journalière due en vertu de ses propres statuts à un assuré, à un groupe d'assurés, voire à l'ensemble de ses assurés. Ce principe résulte des règles générales de l'assurance et -indirectement - des art. 5 bis al. 4 in fine, 8 al. 4 et 9 al. 2 LAMA, ainsi que des art. 5 et 10 al. 2 Ord. II et 15 al. 1er Ord. III.
Dans l'arrêt Delapierre du 5 mars 1969 (ATFA 1969 p. 18), le Tribunal fédéral des assurances a reconnu aux caisses le droit de ne plus assurer contre la perte de gain leurs membres ayant atteint l'âge de l'assurance-vieillesse et survivants au-delà du montant minimum de l'indemnitéjournalière; il a précisé qu'une telle limitation est motivée et a considéré que la période de
BGE 97 V 130 S. 131
l'activité normale de l'individu est censée prendre fin au moment fixé pour l'ouverture du droit à une rente de vieillesse, soit à l'accomplissement de la 65e année pour les hommes et de la 62e année pour les femmes, comme le dispose l'art. 21 al. 1er LAVS. Cette limitation a été déclarée justifiée notamment afin de ne pas imposer à la communauté des assurés le financement du mauvais risque que constituerait l'assurance, pour un montant autre que symbolique (celui prévu par la loi, actuellement 2 fr.), de la perte de gain d'une catégorie de personnes considérées par le législateur comme peu aptes au travail en moyenne. Ce motif est fondé sur l'étendue du risque et vaut aussi bien contre l'assurance des rentiers actifs que contre celle des rentiers inactifs; ces derniers ne subissent d'ailleurs aucune perte de gain et, dès lors, doivent en principe être exclus du régime de l'indemnité journalière.
Par conséquent, le fait que la recourante soit restée active après avoir atteint l'âge de l'assurance-vieillesse et survivants ne lui permet point d'exiger, envers et contre le règlement de la SVRSM, le maintien du montant de l'indemnité journalière primitive.
Reste réservé le cas - qui ne se présente pas ici - des rentes de vieillesse différées.
2.
Il faut examiner encore si des circonstances spéciales permettraient à la recourante de bénéficier en l'espèce d'une exception à la règle générale.
L'assurée fait valoir à l'appui de son recours sa qualité d'"assurée collective" comme employée de la Maison X. Mais il y a lieu de constater qu'elle a passé, avant 1970 déjà, de cette catégorie à celle des assurés individuels. De plus, elle ne saurait se prévaloir du fait qu'en 1970, elle n'était assurée auprès de la SVRSM que pour l'indemnité journalière (et non pour les frais pharmaceutiques par exemple). Le but de semblables prestations est en effet de compenser l'incapacité de travail et non de couvrir - ne fût-ce qu'indirectement - les frais de guérison.
La recourante estime enfin que la réduction n'aurait pas dû intervenir au cours d'une période de maladie. Cette objection se heurte à l'un des motifs qui rendent licite la disposition réglementaire en cause. Ainsi que le Tribunal fédéral des assurances a eu l'occasion de le relever dans l'arrêt Delapierre sus-mentionné, il s'agit notamment de tracer une limite entre
BGE 97 V 130 S. 132
le domaine de l'assurance-maladie et celui de l'assurancevieillesse en matière de perte de gain, afin qu'il ne puisse y avoir cumul en faveur de certains assurés. Le Tribunal fédéral des assurances a jugé que, "s'il en était autrement (c'est-à-dire si la disposition réglementaire était déclarée illicite), les caisses n'auraient guère le moyen d'empêcher qu'on ne les oblige indirectement à jouer pendant 720 jours, voire plus, le rôle de caisse de retraite (dans le même sens, PFLUGER dans SKS 1969, no 3, p. 44)".
3.
Vu ce qui précède, la disposition des statuts ou du règlement réduisant l'indemnité pleine et entière au minimum légal dès la survenance de l'âge de l'assurance-vieillesse et survivants est valable quelles que soient les circonstances. La seule question pouvant faire l'objet d'une réserve est celle du moment à partir duquel une nouvelle disposition est opposable aux assurés lorsque ceux-ci n'en ont eu connaissance que tardivement. Cette question n'est plus litigieuse en l'espèce. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02a05283-cdd9-4e17-b2fa-1d1fbacad73d | Urteilskopf
105 III 72
17. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 6 septembre 1979 dans la cause M. W. (recours) | Regeste
Verkauf aus freier Hand.
Rechtsnatur des Verkaufs aus freier Hand (Frage offen gelassen).
Die Beurteilung von Streitigkeiten über die Gültigkeit, die Bedingungen und die Wirkungen eines Verkaufs aus freier Hand obliegt dem Zivilrichter (E. 2).
Befugnis, im Falle des Konkurses vor der zweiten Gläubigerversammlung die Verwertungsart für Mobilien festzulegen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 105 III 72 S. 73
A.-
La société S.T. S.A., à Gland, a été déclarée en faillite le 31 mai 1978. La première assemblée des créanciers a confié l'administration de la masse et la liquidation à une administration spéciale.
La société en faillite est propriétaire de 95% des actions de la société anglaise A. Ltd. Cette société doit diverses sommes à la faillie.
M. W., administrateur délégué d'A. Ltd, s'intéressa au rachat des actions propriété de la faillie et, le 15 septembre 1978, prit contact avec l'administration spéciale. Par accord des 13 et 17 novembre 1978, l'administration spéciale vendit à M. W. les actions A. Ltd au prix symbolique de Fr. 1.-, l'acheteur s'engageant à lui verser 60'173 livres sterling en paiement de créances de la faillie contre A. Ltd. Les parties subordonnèrent les effets de leur convention à l'approbation de la banque X. qui prétendait avoir un droit de gage sur les actions en cause.
La banque X. refusa d'abord de renoncer à son gage et offrit de racheter les actions au prix de Fr. 10'000.- et 60'173 livres sterling. Le 17 janvier 1979 toutefois, elle renonça à son droit de gage tout en maintenant son offre d'achat.
Le 19 janvier 1979, l'administration spéciale convoqua les créanciers de S.T. S.A. en une assemblée extraordinaire fixée au 19 février 1979. Elle porta à l'ordre du jour l'autorisation qu'elle sollicitait de vendre de gré à gré les actions A. Ltd au prix de Fr. 10'000.- et 60'173 livres sterling.
La convocation réservait aux créanciers et aux autres personnes intéressées le droit de présenter des offres supérieures.
BGE 105 III 72 S. 74
B.-
M.W. a déposé plainte en temps utile auprès de l'autorité inférieure de surveillance. Il a demandé l'annulation de la décision prise par l'administration spéciale, autant qu'elle portait sur la réalisation des actions A. Ltd, et il a conclu à l'exécution de l'accord passé les 13 et 17 novembre 1978.
Le 19 février 1979, l'assemblée extraordinaire des créanciers décida de vendre les actions A. Ltd par voie d'enchères limitées aux Personnes présentes. La vente fut subordonnée au rejet définitif de la plainte déposée par M.W.
Le Président du Tribunal du district de Nyon a rejeté la plainte le 10 mars 1979.
Par arrêt du 11 juillet 1979, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté le recours déposé par M.W. et a confirmé la décision de l'autorité inférieure de surveillance.
C.-
M. W. a recouru en temps utile contre cet arrêt. Il conclut à l'annulation de la décision du 19 janvier 1979, autant qu'elle porte sur la réalisation des actions A. Ltd, la masse en faillite étant liée par l'accord passé avec le recourant. Il demande que l'administration spéciale soit invitée à lui remettre les actions A. Ltd aux conditions prévues dans l'accord susmentionné.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le recourant ne critique pas en soi la convocation des créanciers en une assemblée extraordinaire réunie avant la seconde assemblée prévue à l'
art. 252 LP
. Il conteste la décision prise par l'administration spéciale de saisir cette assemblée extraordinaire du mode de réalisation des actions A. Ltd. L'administration aurait viole la loi en soumettant à la décision des créanciers la réalisation de valeurs mobilières qu'elle avait déjà valablement vendues de gré à gré. Le recourant soutient que l'administration pouvait considérer les actions A. Ltd comme biens sujets à dépréciation rapide et avait donc le droit de les vendre de gré à gré sans en référer aux créanciers. Il prétend subsidiairement que, l'administration eût-elle excédé ses pouvoirs au plan interne, la masse n en serait pas moins obligée par le contrat conclu par son organe avec un tiers de bonne foi.
2.
La nature juridique de la vente de gré à gré, son appartenance au droit public ou au droit privé sont controversées en doctrine
BGE 105 III 72 S. 75
(BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, p. 440 s; BRAND, FJS no 988 p. 9; FAVRE, Droit des poursuites, 3e éd., p. 224 s; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2e éd., tome I, p. 285 s; HAAB, n. 64-65 ad art. 656; HINDERLING, RDS 1964 I p. 110 ss; JAEGER-DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis, n. 2 ad art. 130; LEEMANN, RSJ 1931/32, p. 257-259). Le Tribunal fédéral, après avoir considéré la vente de gré à gré comme un acte du droit privé, soustrait à l'application de l'
art. 136bis LP
(
ATF 50 III 110
ss consid. 2), a laissé cette question ouverte (
ATF 101 III 55
consid. 2,
ATF 76 III 104
consid. 1; cf. en outre
ATF 63 III 81
consid. 2, 63 III 85). La Chambre n'a pas en l'espèce à déterminer si les autorités de surveillance peuvent annuler, pour violation des règles du droit de l'exécution, une vente de gré à gré qui, considérée du point de vue de l'acheteur, a été valablement conclue. Elle n'est en effet pas saisie de conclusions tendant à l'annulation de l'accord passé les 13 et 17 novembre 1978.
Quelle que soit la nature juridique de la vente de gré à gré, la procédure de la plainte et du recours ne permet pas de trancher de manière satisfaisante les contestations qui peuvent surgir entre parties sur la validité, les conditions et les effets d'une telle vente (cf., dans ce sens, FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, tome I, p. 286, 282 s; HINDERLING, RDS 1964, p. 117 s). Ces questions doivent donc relever de la compétence exclusive du juge civil. Partant, les conclusions du recourant qui tendent à l'exécution de la vente conclue les 13 et 17 novembre 1978 sont irrecevables.
Pour les mêmes motifs, la Chambre n'a pas à juger si, en soumettant le mode de réalisation des actions A. Ltd à l'assemblée extraordinaire des créanciers, l'administration spéciale a méconnu l'effet obligatoire d'une vente valablement conclue de gré à gré. Les autorités de surveillance ne peuvent en effet entrer en matière sur des griefs tirés exclusivement de la violation de règles dont l'application ressortit au seul juge civil. La Chambre doit donc uniquement déterminer si, au plan strictement interne, l'administration a viole une règle du droit des poursuites en saisissant l'assemblée extraordinaire des créanciers, sans préjudice du droit pour le recourant de soutenir devant le juge civil qu'au plan externe, la masse est liée par le contrat conclu les 13 et 17 novembre 1978.
BGE 105 III 72 S. 76
3.
a) Dans la liquidation ordinaire, la décision de vendre les biens de la masse non par voie d'enchères publiques mais de gré à gré relève de la seconde assemblée (
art. 256 LP
) et, dans la mesure prévue à l'
art. 238 LP
, de la première assemblée des créanciers; les créanciers ne doivent pas seulement approuver la vente de gré à gré mais avoir la possibilité de présenter des offres supérieures à celle qui leur est soumise (
ATF 101 III 56
s et les arrêts cités).
Avant la seconde assemblée des créanciers, il appartient à l'administration de prendre les mesures que nécessitent la gestion et la liquidation de la masse (
art. 236 LP
). L'administration vend les biens sujets à dépréciation ou dispendieux à conserver (
art. 243 al. 2 LP
). L'administration ne peut se décharger des tâches que la loi lui confie; elle doit accomplir, sous sa propre responsabilité, les actes de liquidation qui lui paraissent s'imposer et, pour le reste, attendre les décisions de la seconde assemblée des créanciers sur le mode de réalisation. Elle ne viole toutefois pas la loi lorsque, même avant la seconde assemblée, elle soumet une vente de gré à gré à l'approbation des créanciers et leur donne la possibilité de présenter des offres supérieures. Au contraire, en procédant de la sorte, l'administration se conforme au principe qui donne aux créanciers un pouvoir général de décision sur le mode de réalisation; elle garantit l'égalité des créanciers en leur permettant à tous de participer à une vente de gré à gré; elle sauvegarde les intérêts de la masse en suscitant, comme en l'espèce, des offres plus avantageuses.
b) Le recourant soutient, et la cour cantonale semble l'avoir admis, qu'aux conditions prévues à l'
art. 243 al. 2 LP
, l'administration peut vendre des biens de gré à gré sans en référer aux créanciers. La question peut rester ouverte, car selon l'arrêt attaqué, les conditions d'application de l'
art. 243 al. 2 LP
ne sont pas réunies en l'espèce.
L'urgence d'une mesure de liquidation est essentiellement une question de fait, relevant de l'appréciation des autorités de poursuite. Le Tribunal fédéral ne peut donc revoir ce point que si l'autorité de surveillance a viole des règles du droit fédéral en matière de preuve ou s'est inspirée, dans l'appréciation des faits, de conceptions juridiques erronées (
art. 19 LP
,
art. 81 et 43 OJ
;
ATF 101 III 30
s consid. 2,
ATF 25 I 540
s). Le recourant n'a pas soutenu que tel fût le cas en l'espèce. D'ailleurs, la durée des pourparlers et des délibérations, ainsi que le résultat des
BGE 105 III 72 S. 77
enchères montrent que les actions A. Ltd n'étaient pas exposées à une dépréciation rapide.
c) L'administration a soumis la vente des actions A. Ltd à l'approbation des créanciers non par voie de circulaire, mais en convoquant une assemblée extraordinaire avant la seconde assemblée prévue à l'
art. 252 LP
. Le choix entre ces deux modes de consultation relève de la libre appréciation de l'administration et le recourant n'a pas prétendu que celui qui a été adopté en l'espèce fût déraisonnable, ni qu'il heurtât le but de la procédure de faillite ou violât des normes la régissant de manière impérative.
4.
Le recourant prétend que l'administration spéciale, en convoquant une assemblée extraordinaire des créanciers et en portant la vente des actions A. Ltd à l'ordre du jour, est revenue sur une décision qu'elle avait prise antérieurement et valablement exécutée. Une autorité de poursuite ne peut corriger une mesure irrégulière que durant le délai de plainte; à l'expiration de ce délai, seules les décisions nulles et de nul effet peuvent être révoquées (
ATF 97 III 5
s consid. 2). Mais en l'espèce, l'administration n est pas revenue sur une décision entrée en force; elle a simplement considéré que sa propre détermination ne faisait que préparer la décision de la masse, décision à prendre par une assemblée extraordinaire des créanciers.
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
02a224c4-926a-4fea-80c9-40bafc446c56 | Urteilskopf
138 V 197
25. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause B. contre Office fédéral des assurances sociales (recours en matière de droit public)
9C_533/2011 du 15 mars 2012 | Regeste
Art. 17a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71; Unterstellung unter die AHV.
Wird eine in der Schweiz wohnhafte französische Staatsangehörige, die eine Altersrente der französischen Sécurité sociale (staatliches Basissystem) und Renten aus der französischen obligatorischen beruflichen Zusatzvorsorge bezieht, nicht von der Unterstellung unter die schweizerische AHV befreit, so verletzt dies Art. 17a der Verordnung Nr. 1408/71 nicht (E. 2-5). | Sachverhalt
ab Seite 198
BGE 138 V 197 S. 198
A.
B., ressortissante française née en 1944, réside en Suisse depuis le 1
er
décembre 2001. Elle n'y exerce aucune activité lucrative et est de ce fait au bénéfice d'un forfait fiscal. Depuis le 1
er
janvier 2005, elle perçoit une pension de retraite de la sécurité sociale française (régime général) et des rentes du régime complémentaire professionnel français.
Le 1
er
mars 2003, la Caisse cantonale vaudoise de compensation AVS (CCVD) a ouvert un compte individuel au nom de B. pour une affiliation obligatoire en qualité d'assurée n'exerçant aucune activité lucrative. Calculée sur la base du montant de son forfait fiscal, la cotisation annuelle acquittée correspondait au maximum légal.
Par courrier du 8 octobre 2007, B. a demandé à la CCVD à être exemptée de l'assujettissement à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité suisse avec effet rétroactif au 1
er
janvier 2005. Après avoir consulté l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), la CCVD a, en date du 21 octobre 2008, informé B. du rejet de sa demande d'exemption. L'assurée a alors requis par courrier du 29 janvier 2009 une décision formelle de l'OFAS que celui-ci a notifiée le 24 février 2009.
B.
Par jugement du 13 mai 2011, le Tribunal administratif fédéral a rejeté le recours formé par l'assurée contre cette décision.
C.
B. interjette un recours en matière de droit public. Elle conclut principalement à la réforme du jugement attaqué, en ce sens qu'elle est mise au bénéfice d'une exemption de l'assujettissement à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité obligatoire avec effet au 1
er
janvier 2005, subsidiairement à l'annulation de ce jugement et au renvoi de la cause à l'autorité inférieure pour nouvelle décision au sens des considérants.
L'OFAS conclut au rejet du recours. B. a présenté des observations complémentaires.
Le recours a été rejeté.
BGE 138 V 197 S. 199
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
Le Tribunal administratif fédéral a considéré que la recourante ne pouvait pas fonder sa demande d'exemption de l'assurance sur la réglementation européenne et la jurisprudence de la Cour de justice de l'Union européenne (jusqu'au 30 novembre 2009: Cour de justice des Communautés européennes [CJCE]; ci-après: la Cour de justice). En cotisant pendant au moins onze mois à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité, la recourante - quelles que soient ses ressources - recevra, conformément à la législation suisse, une rente proportionnée à la durée et au montant pris en compte. Elle bénéficie ainsi d'une protection complémentaire aux prestations qu'elle reçoit déjà, si bien qu'elle ne peut pas soutenir que les cotisations versées ne lui apporteraient pas de bénéfices correspondants. Il était d'ailleurs dans l'esprit même du système sur lequel reposait l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité - assurance sociale basée sur le principe de la solidarité - que toute personne domiciliée en Suisse y participe.
2.2
La recourante reproche à la juridiction de première instance d'avoir ignoré la teneur et la portée de l'art. 17
bis
du Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RS 0.831.109.268.1; ci-après: Règlement 1408/71). D'après cette disposition, le titulaire d'une pension ou d'une rente au titre de la législation d'un Etat membre disposerait de la faculté de déroger au système légal, pour autant qu'il ne soit pas soumis à l'assurance-vieillesse et survivants en raison d'une activité professionnelle et qu'il en fasse la demande. Le Règlement 1408/71 ne contiendrait aucune disposition dérogatoire en matière de prestations de vieillesse qui pourrait faire obstacle à l'application de l'art. 17
bis
dudit Règlement. La jurisprudence exclurait d'ailleurs expressément la possibilité pour l'Etat de résidence de percevoir des cotisations vieillesse, dès lors que la personne intéressée bénéficie de prestations ayant un objet analogue prises en charge par l'institution de l'Etat membre compétent en matière de pension.
2.3
Dans sa réponse, l'OFAS relève que l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité est une assurance sociale, basée sur le principe de solidarité: toute personne travaillant ou résidant en Suisse doit
BGE 138 V 197 S. 200
payer des cotisations jusqu'à ce qu'elle atteigne l'âge ordinaire de la retraite. On ne saurait dès lors soutenir que certaines catégories de personnes, compte tenu de leurs revenus ou de leur fortune, puissent en être exemptées, au motif que ladite assurance ne leur apporterait pas de bénéfices correspondants. Une exemption à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité suisse conduirait à des résultats choquants. Ainsi, il ne saurait être exclu qu'une législation nationale prévoie une pension d'un faible montant en faveur d'une personne encore jeune au regard de l'âge ordinaire de la retraite suisse, pension par ailleurs jugée suffisante par l'Etat débit-rentier, mais totalement inadaptée pour vivre en Suisse; le bénéficiaire d'une telle pension résidant en Suisse percevrait alors des prestations complémentaires à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité, tout en étant exempté de l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité sur simple demande. De même, accepter que les personnes n'ayant pas atteint l'âge ordinaire de la retraite selon la LAVS et bénéficiant d'une rente de vieillesse d'un autre Etat soient exemptées de l'assujettissement à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité durant leur résidence en Suisse reviendrait à admettre des âges ordinaires de la retraite différents sur le territoire helvétique.
3.
La seule question qu'il convient d'examiner en l'occurrence est de savoir si le refus prononcé par l'OFAS et confirmé par le Tribunal administratif fédéral d'exempter la recourante de l'assujettissement à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité suisse enfreint les règles du droit communautaire (notamment le Règlement 1408/71) et la jurisprudence de la Cour de justice (art. 16 al. 2 de l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes [ALCP; RS 0.142.112.681]; au sujet de la prise en considération des arrêts de la Cour de justice postérieurs à cette date, cf. 132 V 423 consid. 9.2 p. 437 et les références citées).
4.
4.1
Selon l'art. 1 par. 1 annexe II "Coordination des systèmes de sécurité sociale" ALCP, fondée sur l'
art. 8 ALCP
et faisant partie intégrante de celui-ci (
art. 15 ALCP
), en relation avec la section A de cette annexe, les Parties contractantes appliquent entre elles en particulier le Règlement 1408/71 ainsi que le Règlement (CEE) n° 574/72 du Conseil, du 21 mars 1972, fixant les modalités d'application du Règlement (CEE) n° 1408/71 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non
BGE 138 V 197 S. 201
salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RS 0.831.109.268.11), ou des règles équivalentes.
4.2
Le Règlement 1408/71 s'applique en particulier aux travailleurs salariés ou non salariés qui sont ou ont été soumis à la législation d'un ou de plusieurs Etats membres et qui sont des ressortissants de l'un des Etats membres (art. 2 par. 1 du Règlement 1408/71). Cette notion couvre toute personne qui, exerçant ou non une activité professionnelle, possède la qualité d'assuré au titre de la législation de sécurité sociale d'un ou de plusieurs Etats membres (voir
ATF 134 V 236
consid. 5.2.3 p. 244 et les références citées). Ainsi, les titulaires d'une pension ou d'une rente dues au titre de la législation d'un ou de plusieurs Etats membres, même s'ils n'exercent pas une activité professionnelle, relèvent, du fait de leur affiliation à un régime de sécurité sociale, des dispositions du règlement concernant les travailleurs, à moins qu'ils ne fassent l'objet de dispositions particulières édictées à leur égard (
ATF 130 V 247
consid. 4.1 p. 250; voir également
ATF 133 V 265
consid. 4.2.3 p. 270).
4.3
La recourante, qui réside en Suisse et est titulaire d'une pension de retraite de la sécurité sociale française (régime général) et de rentes du régime complémentaire professionnel français, tombe donc dans le champ d'application personnel de l'ALCP en général et du Règlement 1408/71 en particulier.
5.
5.1
Le Titre II du Règlement 1408/71 (art. 13 à 17
bis
) contient des règles qui permettent de déterminer la législation applicable pour toute la généralité des cas. L'art. 13 par. 1 énonce le principe de l'unicité de la législation applicable en fonction des règles contenues aux art. 13 par. 2 à 17
bis
, dans le sens de l'applicabilité de la législation d'un seul Etat membre.
5.2
Selon l'
art. 13 par. 2 let
. f du Règlement 1408/71, la personne à laquelle la législation d'un Etat membre cesse d'être applicable, sans que la législation d'un autre Etat membre lui devienne applicable en conformité avec l'une des règles énoncées aux alinéas précédents ou avec l'une des exceptions ou règles particulières visées aux art. 14 à 17, est soumise à la législation de l'Etat membre sur le territoire duquel elle réside, conformément aux dispositions de cette seule législation. Cette disposition a été introduite par le Règlement (CEE) n° 2195/91du Conseil du 25 juin 1991 (JO L 206 du 29 juillet 1991 p. 2). Avant l'insertion de l'
art. 13 par. 2 let
. f dans le Règlement,
BGE 138 V 197 S. 202
l'art. 13 par. 2 let. a du Règlement (principe de la lex loci laboris) devait être interprété en ce sens qu'un travailleur qui cessait ses activités exercées sur le territoire d'un Etat membre et qui était allé sur le territoire d'un autre Etat membre sans y travailler restait soumis à la législation de l'Etat membre de son dernier emploi, quel que soit le temps qui s'était écoulé depuis la cessation des activités en question et la fin de la relation de travail (arrêt de la CJCE du 12 juin 1986 C-302/84
Ten Holder
, Rec. 1986 p. 1821 point 15), à moins que cette cessation ne soit définitive (arrêts de la CJCE du 21 février 1991 C-140/88
Noij
, Rec. 1991 I-387 points 9 et 10, et du 10 mars 1992 C-215/90
Twomey
, Rec. 1992 I-1823 point 10).
L'
art. 13 par. 2 let
. f, introduit dans le Règlement 1408/71 à la suite de l'arrêt
Ten Holder
, a pour objet de régler la situation d'une personne qui a cessé toute activité salariée sur le territoire d'un Etat membre et qui ne remplit donc plus les conditions de l'art. 13 par. 2 let. a (exercice d'une activité salariée) ou celles des autres éventualités de l'art. 13 et des art. 14 à 17 du Règlement 1408/71. En vertu de cette disposition, la personne qui a cessé toute activité salariée sur le territoire d'un Etat membre (et ne remplit pas les conditions des autres dispositions relatives à la détermination du droit applicable) est soumise, au titre de la législation de l'Etat membre sur le territoire duquel elle réside, à savoir soit à la législation de l'Etat où elle a préalablement exercé une activité salariée lorsqu'elle continue à y avoir sa résidence, soit à celle de l'Etat où, le cas échéant, elle a transféré sa résidence (arrêt de la CJCE du 11 juin 1998 C-275/96
Kuusijärvi
, Rec. 1998 I-3419 points 33 et 34, 43 à 45). Cette disposition implique désormais qu'une cessation de toute activité professionnelle, qu'elle soit temporaire ou définitive, met la personne concernée en dehors du champ d'application de l'art. 13 par. 2 let. a du Règlement 1408/71 (arrêt de la CJCE du 20 janvier 2005 C-302/02
Laurin Effing
, Rec. 2005 I-553 point 43; voir également
ATF 132 V 244
consid. 4.3.1 p. 248).
5.3
D'après l'art. 17
bis
du Règlement 1408/71, le titulaire d'une pension ou d'une rente due au titre de la législation d'un Etat membre ou de pensions ou de rentes dues au titre des législations de plusieurs Etats membres, qui réside sur le territoire d'un autre Etat membre, peut être exempté, à sa demande, de l'application de la législation de ce dernier Etat, à condition qu'il ne soit pas soumis à cette législation en raison de l'exercice d'une activité professionnelle. Également introduite par le Règlement (CEE) n° 2195/91 du 25 juin 1991, cette
BGE 138 V 197 S. 203
disposition doit permettre l'exemption des titulaires de pensions ou de rentes de l'assujettissement à la législation de l'Etat de résidence, quand ils ont déjà droit aux prestations d'assurance-maladie, de maternité et aux prestations familiales au titre de la législation d'un autre Etat membre (JO L 206 du 29 juillet 1991 p. 2 ). D'après l'exposé des motifs accompagnant le projet de règlement, l'art. 17
bis
a pour objectif d'empêcher des affiliations inutiles. En effet, il faut éviter qu'une personne "ex-active" qui bénéficie d'une pension suffisante au titre de la législation d'un Etat membre, laquelle lui assure déjà des prestations de maladie et des prestations familiales, mais qui réside dans un autre Etat membre, connaissant un régime d'assurance basé sur la résidence, soit obligée de payer dans ce dernier Etat des cotisations qui ne lui apportent pas les bénéfices correspondants.
5.4
La doctrine est peu diserte sur le sens et la portée qu'il convient de donner à cette disposition. HEINZ-DIETRICH STEINMEYER (in Europäisches Sozialrecht, 4
e
éd. 2005, ad art. 17
bis
du Règlement 1408/71) expose que dans la mesure où le titulaire d'une pension ou d'une rente peut en principe percevoir sa rente dans n'importe quel Etat membre, il peut arriver que celui-ci fasse usage de son droit à la libre circulation et réside sur le territoire d'un autre Etat membre que celui qui verse la rente. Dès lors que certains Etats membres intègrent par exemple les bénéficiaires de pension ou de rente dans leur système national d'assurance-maladie, cela peut donner lieu pour ce cercle de personnes à une double assurance. Or, le titulaire d'une pension ou d'une rente ne doit être soumis qu'à la législation d'un seul Etat membre. C'est pourquoi, l'art. 17
bis
prévoit une possibilité d'exemption, qui ne vaut toutefois que pour autant que la personne intéressée ne soit pas soumise à cette législation en raison de l'exercice d'une activité professionnelle.
5.5
A ce jour, la Cour de justice ne s'est pas prononcée sur la portée et le sens qu'il convenait de donner à l'art. 17
bis
du Règlement 1408/71. En revanche, elle a retenu que ledit Règlement ne s'opposait pas à ce qu'une personne qui, après avoir travaillé en qualité de salarié sur le territoire d'un Etat membre et bénéficiant de ce fait d'une pension de retraite, établit sa résidence dans un autre Etat membre, où elle n'exerce aucune activité, soit soumise à la législation de ce dernier Etat. Il existait toutefois un principe général découlant du Règlement 1408/71 selon lequel le titulaire d'une pension ou d'une rente ne peut pas se voir réclamer, du fait de sa résidence sur le territoire
BGE 138 V 197 S. 204
d'un Etat membre, des cotisations d'assuré obligatoire pour la couverture de prestations prises en charge par une institution d'un autre Etat membre (arrêt
Noij
précité points 14 et 15). Ultérieurement, la Cour de justice a précisé que ce principe s'opposait à ce que l'Etat membre sur le territoire duquel réside le titulaire d'une pension ou d'une rente exige le paiement par celui-ci de cotisations ou de retenues équivalentes prévues par sa législation pour la couverture de prestations de vieillesse, d'incapacité de travail et de chômage, lorsque l'intéressé bénéficie de prestations ayant un objet analogue prises en charge par l'institution de l'Etat membre compétent en matière de pension ou de rente et que les cotisations ou retenues versées ne lui assurent aucune prestation supplémentaire compte tenu des prestations dont il bénéficie déjà (arrêt de la CJCE du 10 mai 2001 C-389/99
Rundgren
, Rec. 2001 I-3760 points 55 à 57).
5.6
De l'ensemble de ces éléments, il est possible de tirer les enseignements suivants:
5.6.1
Le droit communautaire tend en principe à ce que les intéressés soient soumis au régime de la sécurité sociale d'un seul Etat membre, afin que les cumuls des législations nationales applicables et les complications qui peuvent en résulter soient évités. C'est pourquoi les dispositions du Titre II du Règlement 1408/71 forment un système de règles de conflit dont le caractère complet a comme effet de soustraire au législateur de chaque Etat membre le pouvoir de déterminer l'étendue et les conditions d'application de sa législation nationale, quant aux personnes qui y sont soumises et le territoire à l'intérieur duquel les dispositions nationales produisent leurs effets. Ainsi que la Cour de justice l'a relevé, "les Etats membres ne disposent pas de la faculté de déterminer dans quelle mesure est applicable leur propre législation ou celle d'un autre Etat membre", étant "tenus de respecter les dispositions du droit communautaire en vigueur" (arrêt
Ten Holder
précité points 19 à 21 et les références). Contrairement à ce que l'OFAS a constamment soutenu au cours de la procédure, l'art. 17
bis
du Règlement 1408/71 n'est pas conçu comme une norme potestative (Kann-Vorschrift); les Etats membres ne disposent d'aucune marge de manoeuvre lorsqu'ils sont saisis d'une demande d'exemption de l'application d'une législation au sens de l'art. 17
bis
du Règlement 1408/71. Toute interprétation contraire reviendrait sinon à vider de son sens cette disposition et, plus généralement, à ignorer le but du système mis en place au Titre II du
BGE 138 V 197 S. 205
Règlement 1408/71, dès lors que le demandeur serait soumis à l'arbitraire de l'Etat membre auprès duquel il a déposé une demande d'exemption.
5.6.2
Si le droit communautaire tend en principe à ce que les intéressés soient soumis au régime de la sécurité sociale d'un seul Etat membre, il peut néanmoins arriver des situations où deux législations nationales concurrentes s'appliquent. Tel est notamment le cas lorsque le titulaire d'une rente due au titre de la législation d'un Etat membre réside sur le territoire d'un autre Etat membre. Au regard des travaux préparatoires relatifs à l'art. 17
bis
du Règlement 1408/71 et de la jurisprudence de la Cour de justice décrite ci-dessus, lesquels ne font au final qu'exprimer la même idée, une exemption ne peut être accordée qu'à des conditions très précises, soit uniquement lorsque le régime d'assurance dont l'exemption est demandée n'est pas susceptible d'apporter à la personne intéressée un bénéfice correspondant aux contributions versées. Le but recherché par le système de l'exemption est clairement d'éviter une situation inutile de double assurance. Tel est manifestement le cas en matière d'assurance-maladie, lorsque la personne assurée a déjà droit aux prestations équivalentes de cette assurance en vertu de la législation d'un autre Etat membre (voir également l'art. 33 du Règlement 1408/71; EDGAR IMHOF, Über die Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 1408/71 [anwendbares Sozialrecht, zugleich Versicherungsunterstellung], RSAS 2008 p. 337 n. 74).
Quand bien même il n'est pas fait mention dans les travaux préparatoires d'une telle hypothèse, une situation inutile de double assurance peut également se présenter en matière de pensions, comme le met en évidence l'arrêt de la CJCE
Rundgren
. Dans ce précédent, la Cour de justice a constaté que la République de Finlande ne pouvait réclamer le paiement de cotisations de pension nationale prévues par la législation finlandaise, au motif que celle-ci n'assurerait à l'intéressé aucune protection supplémentaire, dès lors que le montant de ses revenus (composés de pensions et d'une rente versées en application de la législation suédoise) excédait le seuil en deçà duquel la pension nationale finlandaise était attribuée. Les circonstances de cet arrêt ne sont toutefois pas transposables à la situation suisse. L'assurance-vieillesse, survivants et invalidité suisse est conçue comme un régime obligatoire d'assurance à couverture universelle qui offre une protection s'étendant aussi bien à la population vivant en Suisse qu'aux personnes qui entretiennent un lien étroit et
BGE 138 V 197 S. 206
effectif avec la Suisse comme par exemple celles qui y exercent ou y ont exercé une activité lucrative. Toute personne ayant cotisé durant au moins onze mois et un jour (
art. 50 RAVS
[RS 831.101]) peutprétendre au moment de la survenance de l'âge légal de la retraite à la rente ordinaire de vieillesse (
art. 21 et 29 LAVS
). Une personne au bénéfice d'une pension ou d'une rente d'un autre Etat membre ne subit dès lors aucun préjudice du fait d'une affiliation obligatoire à l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité, dès lors que les cotisations qu'elle aura versées lui donneront droit à une rente qui viendra compléter la rente étrangère.
5.7
Il résulte de ce qui précède que la Suisse est tenue d'accorder une exemption à la personne qui en fait la demande, lorsque l'application de deux législations nationales aboutit à des cumuls et des chevauchements inutiles. Eu égard aux particularités de ce régime d'assurance, une telle exemption ne peut pas concerner l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité suisse. C'est par conséquent à bon droit que la demande d'exemption formulée par la recourante a été rejetée. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02ac1a44-738c-4ef7-bd96-fc3e43c78cd9 | Urteilskopf
99 Ib 481
66. Arrêt du 19 décembre 1973 dans la cause Commune de Saint-Léonard contre CFF. | Regeste
Enteignung. Aufhebung eines Niveau-Überganges.
Unanwendbarkeit des eidgenössischen Enteignungsverfahrens bei der Aufhebung eines Niveau-Überganges, der nur aus Gefälligkeit und auf Zusehen hin bestand.
Streitigkeit aus dem Eisenbahngesetz vom 20. Dezember 1957, die das Bundesgericht als einzige Instanz beurteilt. | Sachverhalt
ab Seite 481
BGE 99 Ib 481 S. 481
A.-
A l'occasion de la pose de la double voie entre Sion et Brigue, les CFF ont décidé de supprimer, dans la région de St-Léonard, deux passages à niveau distants de 600 m environ et reliant deux routes qui longent la voie ferrée, à savoir au nord la route cantonale Sion-Sierre et au sud le chemin de Mangold, lequel sert de dévestiture à de vastes terrains cultivés s'étendant en direction du Rhône. Quelques années auparavant (1962), ils avaient participé par 800 000 fr. environ à la construction d'un passage routier supérieur et d'un passage inférieur pour petits véhicules routiers, situés respectivement à 1075 m et 750 m à l'ouest du plus proche passage à niveau.
Avant la suppression des passages à niveau, le trafic rural empruntait la route cantonale jusqu'à ceux-ci; depuis leur suppression, il passe par le passage supérieur créé en 1962, puis par le chemin de Mangold, de 3 m de large et sans revêtement, que la
BGE 99 Ib 481 S. 482
commune a décidé d'élargir et d'améliorer; le coût des travaux était estimé à 540 000 fr. à l'époque. Par lettre du 19 avril 1968, les CFF avaient proposé d'y participer pour 100 000 fr., mais la commune avait refusé cette offre, jugée insuffisante. Par lettre du 16 septembre 1968, les CFF avaient présenté le problème à l'Office fédéral des transports, en ajoutant qu'au besoin le Tribunal fédéral aurait à se prononcer en application des art. 19 al. 2 et 40 al. 2 de la loi fédérale sur les chemins de fer.
Le 21 février 1969, après une procédure d'enquête dans laquelle la commune de St-Léonard avait fait opposition, l'Office fédéral des transports avait approuvé le projet relatif à la pose de la double voie dans la région. Sa décision disait sous chiffre 4:
"Notre approbation comporte, entre autres, la suppression des passages à niveau des km 99'554 et 100'156 sur le territoire de la commune de Saint-Léonard. Les questions relatives à l'aménagement approprié des liaisons entre le village de Saint-Léonard et le territoire communal situé au sud de la voie ferrée ne peuvent être tranchées dans le cadre de la présente procédure d'approbation de plans. A défaut d'entente entre les parties, la suppression des passages à niveau devrait, à notre avis, faire l'objet d'une procédure d'expropriation."
La commune de St-Léonard avait reçu une copie de cette décision, laquelle ne fit l'objet d'aucun recours et devint définitive.
B.-
Le 18 septembre 1969, les CFF ont demandé au Président de la Commission d'estimation du 2e arrondissement (ancienne organisation) l'autorisation d'ouvrir la procédure sommaire d'expropriation (art. 33 LEx.), ce qui leur a été accordé le 31 janvier 1970. Ils précisaient dans leur requête qu'il s'agissait d'estimer l'indemnité due par eux non pas pour la suppression des passages à niveau, mais pour la perte de l'usage de ces deux passages. La requête était cependant accompagnée d'un plan d'expropriation indiquant l'emplacement des deux passages à niveau supprimés et d'un tableau des droits à exproprier mentionnant comme tels ces deux passages.
Dans son intervention des 17/18 mars 1970, la commune de St-Léonard a déclaré n'avoir pas d'opposition à faire à l'expropriation.
A la séance de conciliation du 11 août 1970, les CFF ont offert la somme de 50 000 fr., correspondant à leur avis à la capitalisation des frais annuels d'entretien, alors que la commune réclamait 500 000 fr. La tentative de conciliation a échoué.
BGE 99 Ib 481 S. 483
Dans leur mémoire du 13 juillet 1973 à la Commission d'estimation, les CFF ont soutenu qu'il n'y avait en l'espèce aucun droit privé de passage; qu'un passage à niveau public était régi non point par le droit privé, mais par le droit public, plus précisément par la loi fédérale sur les chemins de fer; que, par conséquent, l'obligation des CFF se limitait, conformément à l'art. 20 de cette loi, à la réparation du surcroît de charge que peut représenter pour la commune le fait que le chemin de Mangold doit écouler, sur sa partie ouest séparant les passages à niveau supprimés du nouveau passage supérieur, le trafic qui, précédemment, ne l'utilisait qu'au-delà de ces passages. Sans mentionner de chiffre, les CFF demandaient à la Commission d'estimer équitablement le surcroît de charge précité.
Par mémoire du 18 juillet 1973, la commune de St-Léonard a réclamé 500 000 fr. Elle admettait qu'il ne s'agissait pas d'une servitude de droit privé propre à être expropriée comme droit réel, et qu'aucun droit de cette nature ne passerait aux CFF ni ne serait supprimé; elle soutenait en revanche que la suppression de deux passages à niveau obligeait les CFF à mettre les usagers dans la même situation de commodité qu'auparavant et à les indemniser pour les détours à faire, pour la moindre commodité et pour créer des voies d'accès convenables.
Par prononcé du 18 juillet 1973, la Commission fédérale d'estimation du 3e arrondissement (nouvelle organisation) a obligé les CFF à participer aux frais de réfection du chemin de Mangold dans la proportion de 40% pour le lot I et de 20% pour le lot II, au maximum par 150 000 fr., puis à verser à la commune de St-Léonard une indemnité de 3000 fr. pour frais extrajudiciaires en application de l'art. 115 LEx.
C.-
Par recours de droit administratif du 29 septembre 1973, la commune de St-Léonard demande au Tribunal fédéral d'annuler ce prononcé, puis de dire que les CFF sont condamnés à lui payer la somme de 500 000 fr. avec intérêt à 5 1/4% dès le 6 septembre 1969, ainsi qu'un montant de 15 000 fr. à titre de dépens de première instance.
D.-
Dans ses observations, la Commission d'estimation explique son prononcé sans présenter de proposition.
Les CFF concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'art. 5 LEx., l'expropriation peut avoir pour
BGE 99 Ib 481 S. 484
objet les droits réels immobiliers, les droits résultant des dispositions sur la propriété foncière en matière de voisinage, et en outre les droits personnels des locataires ou fermiers de l'immeuble à exproprier. La procédure d'expropriation suppose donc qu'il y ait, d'une manière ou d'une autre, atteinte à un de ces droits réels ou personnels. La loi fédérale du 20 décembre 1957 sur les chemins de fer (LCF), applicable aux CFF en vertu de l'art. 4 al. 1 de la loi fédérale du 23 juin 1944 sur les CFF, confirme ce principe général en son art. 20, selon lequel la loi fédérale sur l'expropriation est applicable à la réparation du "préjudice causé aux tiers par des empiètements sur leurs droits".
En l'espèce, la commune de St-Léonard n'était atteinte dans aucun droit, ni réel ni personnel. Ce point est admis tant par elle-même que par les CFF et la Commission d'estimation. En tout cas, aucune servitude de passage en faveur de la commune et de ses habitants n'était inscrite au registre foncier sur les passages à niveau sources du litige. Il n'y avait pas non plus de servitude dite apparente dispensée de l'inscription au registre foncier (art. 676 al. 3 CC): d'une part il ne s'agissait pas de conduite, d'autre part il aurait fallu une convention dont l'existence n'a jamais été alléguée. Il ne saurait être question non plus de prescription acquisitive, dont on peut douter qu'elle soit en principe possible sur le domaine ferroviaire et qui suppose de toute façon la réalisation de diverses conditions (art. 662 et 731 al. 3 CC); il eût d'ailleurs appartenu à la commune de St-Léonard d'en prouver la réalisation, ce qu'elle n'a même pas cherché à faire. Théoriquement aurait pu exister un droit découlant d'une concession ou d'un contrat de droit administratif, encore qu'un tel acte se conçoive difficilement pour l'usage du domaine ferroviaire par un tiers autre qu'une entreprise de chemin de fer; mais rien n'a été allégué non plus dans ce sens.
En définitive, la faculté d'utiliser les passages à niveau n'existait qu'à bien plaire et avait un caractère précaire, sous réserve de la législation sur les chemins de fer. Ainsi la procédure fédérale d'expropriation était inapplicable et la Commission fédérale d'estimation incompétente.
b) C'est à tort que, devant cette commission, les parties ont oralement fait intervenir, en sens contraire, l'art. 69 al. 2 LEx. D'une part, en effet, il n'y avait aucune contestation sur l'existence d'un droit faisant l'objet d'une demande d'indemnité au
BGE 99 Ib 481 S. 485
sens de l'art. 69 al. 1, puisque les deux parties s'accordaient à dire qu'il n'y avait pas de droit préexistant; d'autre part, si la Commission avait été appelée à statuer sur ce point, elle n'aurait pu que constater l'absence d'un tel droit, et en déduire que la prétention à indemnité n'était pas fondée du tout, selon la loi sur l'expropriation.
c) En réalité, le litige relevait uniquement de la loi fédérale du 20 décembre 1957 sur les chemins de fer, à première vue de l'art. 19, éventuellement aussi des art. 25 ss.
Or, selon l'art. 40 al. 2 LCF, le Tribunal fédéral connaît en instance unique de toutes les contestations pécuniaires relatives à l'application des art. 19 al. 2, 21 al. 2, 25 à 32, 34 à 37. La compétence du Tribunal fédéral est en outre rappelée par l'art. 116 lettre k OJ.
2.
a) En présence de cette situation, le Président de la Commission fédérale d'estimation du 2e arrondissement (ancienne organisation) aurait dû refuser l'ouverture de la procédure d'expropriation, et la Commission d'estimation du 3e arrondissement (nouvelle organisation) se déclarer d'office incompétente, en renvoyant les parties à agir selon l'art. 40 al. 2 LCF. L'accord des parties n'y changeait rien, car les règles de compétence sont, de par leur nature, impératives et on ne peut pas y déroger par convention, sauf disposition contraire de la loi. Quand à la remarque faite par l'Office fédéral des transports dans sa décision d'approbation des plans du 21 février 1969, elle ne liait pas la Commission d'estimation; c'était en effet une simple opinion, ainsi que cela ressort des mots "à notre avis" qui y figurent.
Ayant à appliquer le droit d'office dans la procédure du recours de droit administratif et étant en outre autorité de surveillance (art. 63 LEx.), le Tribunal fédéral doit constater que la décision attaquée a été rendue par une autorité incompétente et, partant, l'annuler pour ce motif, en tant qu'elle concerne le fond de l'affaire (ch. 1 à 4 du dispositif), quand bien même la recourante a expressément renoncé à faire valoir ce moyen.
b) On peut sans doute se demander s'il n'y a pas formalisme excessif, de la part du Tribunal fédéral, à refuser de statuer sur une affaire dont il est saisi en tant qu'autorité de recours en matière d'expropriation fédérale, alors qu'il serait compétent pour statuer sur la même affaire si elle lui était soumise en instance unique, en application de l'art. 40 al. 2 LCF.
BGE 99 Ib 481 S. 486
Mais s'il statuait sur le fond du recours, en faisant abstraction des questions de compétence, le Tribunal fédéral créerait un fâcheux précédent, source d'insécurité juridique et de confusion; en outre, il ne saurait pas très bien quel droit appliquer: la loi sur l'expropriation ou la loi sur les chemins de fer. Aussi s'imposet-il, pour la clarté de l'affaire, de la remettre sur la bonne voie en annulant, pour cause d'incompétence, la décision attaquée.
Le Tribunal fédéral ne saurait non plus, après avoir prononcé une telle annulation, convertir d'office le présent recours en une action de droit administratif, en considérant l'acte de recours comme acte introductif d'instance. Ce procédé insolite n'apporterait guère de réelle économie de procédure: il faudrait, en effet, ordonner malgré tout un nouvel échange de mémoires, pour permettre aux parties de défendre leurs intérêts dans le cadre de la législation fédérale sur les chemins de fer, puis engager la procédure préparatoire des art. 34 et 35 PCF, auxquels renvoie l'art. 120 OJ, et prendre enfin des mesures d'instruction, sous forme d'inspection locale et peut-être d'expertise.
On peut d'autant mieux s'en tenir à la solution adoptée cidessus (consid. 2 a) qu'il n'en résulte pas, pour les parties, d'autre préjudice que d'avoir dû participer à une procédure devenue inutile et subi de ce fait une perte de temps. Il n'est d'ailleurs pas exclu qu'après l'échec de leur première procédure, les parties cherchent et parviennent à s'entendre, pour n'avoir pas à engager un procès direct devant le Tribunal fédéral.
3.
a) L'annulation de la décision attaquée dans les chiffres 1 à 4 de son dispositif ne dispense pas le Tribunal fédéral de se prononcer sur les dépens de première instance (chiffre 5 du dispositif). La recourante y a droit de toute façon, puisqu'elle a dû participer à la procédure annulée à la suite d'erreurs successives d'autorités fédérales: l'Office des transports, les CFF et la Commission d'estimation. Elle aurait certes pu se soustraire d'entrée de cause à cette procédure, en s'opposant à l'ouverture d'une expropriation; en raison de la façon dont l'affaire était engagée, on comprend cependant qu'elle ne l'ait pas fait.
b) La recourante estime insuffisante la somme de 3000 fr. qui lui a été allouée pour ses dépens, et elle réclame 15 000 fr., en invoquant l'art. 115 LEx.
Selon le premier alinéa de cette disposition, l'expropriant est tenu de verser une indemnité convenable à l'exproprié à raison des frais extrajudiciaires occasionnés par les procédures d'opposition,
BGE 99 Ib 481 S. 487
de conciliation et d'estimation. En parlant non pas de remboursement des frais, mais d'indemnité convenable, cette disposition laisse un large pouvoir d'appréciation à la Commission d'estimation, et le Tribunal fédéral ne pourrait intervenir qu'en cas d'excès ou d'abus de ce pouvoir (art. 104 lettre a OJ). Pour en juger, la Commission doit se fonder sur le bordereau des opérations et débours de l'avocat et sur les pièces établissant des dépenses particulières et inévitables, lorsque de tels documents ont été produits. Dans le cas contraire, elle doit estimer le travail et les frais présumables de l'avocat sur la base du dossier et de la plus ou moins grande complexité de l'affaire. Le tarif cantonal des avocats n'est en tout cas pas applicable, car il s'agit d'une procédure fédérale. Tout au plus la Commission pourrait-elle s'inspirer par analogie du Tarif du 14 novembre 1959 pour les dépens alloués à la partie adverse dans les causes portées devant le Tribunal fédéral. Pour les procès directs en matière de droit public et administratif, l'art. 5 ch. 2 de ce tarif fixe un minimum de 300 fr. et un maximum de 10 000 fr. La valeur litigieuse n'est à elle seule pas déterminante. Les plus importants de ces principes ressortent déjà de la jurisprudence (ZIMMERLI, Die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichts auf dem Gebiet des Enteignungsrechtes, ZBl 74/1973 p. 177 ss., voir 6.11 p. 193 avec citation d'arrêts non publiés).
En l'espèce, la recourante n'a produit aucune pièce sur ce point, ni devant la Commission d'estimation, ni devant le Tribunal fédéral à l'appui de son recours. Elle se borne à dire que le problème était particulièrement délicat, qu'il a obligé la commune à s'entourer de conseils techniques et juridiques et que de nombreuses entrevues et séances ont eu lieu. En réalité, l'affaire était peut-être délicate, mais non pas très complexe. D'après le dossier, l'avocat de la recourante a agi pour la première fois le 17 mars 1970, par une intervention écrite de 4 pages dans la procédure d'opposition à l'expropriation. Puis il a pris part le 11 août 1970 à la séance de conciliation, après quoi il a déposé un mémoire de 7 pages et participé enfin à l'audience de jugement du 18 juillet 1973. En dehors de cela, il a évidemment dû étudier l'affaire et tenir probablement un certain nombre de conférences avec sa cliente et d'autres personnes peut-être. Tout cela n'avait cependant rien d'extraordinaire. En outre, la Commission d'estimation pouvait appliquer l'art. 115 al. 2 LEx. Introduite lors de la revision du 18 mars 1971, cette disposition prévoit en effet
BGE 99 Ib 481 S. 488
qu'il est possible de renoncer complètement ou en partie à allouer des dépens lorsque les conclusions de l'exproprié sont rejetées intégralement ou en majeure partie; or, en l'espèce, la commune de St-Léonard n'avait obtenu que 150 000 fr. au maximum, alors qu'elle réclamait 500 000 fr.; elle avait donc été déboutée en majeure partie, ce qui justifiait une réduction des dépens.
Compte tenu de tout cela, il apparaît que la Commission d'estimation n'a commis ni excès, ni abus, ni même erreur d'appréciation en fixant à 3000 fr. les dépens dus par les CFF. Le recours doit donc être rejeté sur ce point.
4.
Pour les mêmes motifs indiqués ci-dessus (consid. 3 a) à propos des dépens de première instance, il convient d'allouer des dépens à la recourante en application de l'art. 116 LEx. pour la procédure devant le Tribunal fédéral, procédure qu'elle a introduite par un mémoire sérieux de 19 pages.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Annule les chiffres 1 à 4 du dispositif du prononcé rendu le 18 juillet 1973 par la Commission fédérale d'estimation du 3e arrondissement; confirme le chiffre 5 du même dispositif.
2. Met à la charge des CFF, en plus d'un émolument de justice, des frais d'expédition et des débours de la chancellerie, une indemnité de 800 fr. à payer à la recourante à titre de dépens pour l'instance devant le Tribunal fédéral. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
02ac93d9-ee77-436c-8f1a-c300107cabbc | Urteilskopf
124 II 529
51. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Oktober 1998 i.S. A. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
; Gleichstellungsgesetz; Lohngleichheit; Solothurner Sozialbetreuerin.
Keine Geschlechtsdiskriminierung durch Höhereinstufung von Männern mit Führungsfunktion gegenüber einer Frau ohne Führungsfunktion (E. 4).
Geschlechtsdiskriminierung durch generelle Einstufung der Funktion "Sozialbetreuer(in)"? Voraussetzungen, damit eine Funktion als geschlechtsspezifisch betrachtet werden kann (E. 5).
Gutheissung der Beschwerde wegen ungenügender Feststellung des Sachverhalts (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 529
BGE 124 II 529 S. 529
Im Zuge einer für das ganze Staatspersonal durchgeführten Besoldungsrevision (Projekt BERESO) erliess der Kantonsrat des Kantons Solothurn am 17. Mai 1995 eine Verordnung über die
BGE 124 II 529 S. 530
Besoldungen des Staatspersonals sowie der Lehrkräfte an kantonalen Schulen. Diese Verordnung enthält einen Einreihungsplan für eine Anzahl von Funktionen. Die Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" ist in die Klassen 14-16 eingereiht. Gemäss § 7 der Verordnung reiht sodann der Regierungsrat auf Vorschlag der Kommission für Besoldungs- und Personalfragen jede im Einreihungsplan nicht ausdrücklich genannte Funktion entsprechend ihrem Schwierigkeitsgrad und nach den von ihm beschlossenen Richtpositionsumschreibungen in eine Lohnklasse ein. Die Verordnung trat am 1. Januar 1996 in Kraft.
Im Herbst 1995 wurde den Staatsbediensteten individuell die ab 1. Januar 1996 geltende Einreihung provisorisch mitgeteilt.
A. arbeitet seit 1985 als Sozialarbeiterin bei der Jugendanwaltschaft des Kantons Solothurn. Bis Ende 1995 war sie in der alten Lohnklasse 10 eingestuft. Gemäss Mitteilung vom Herbst 1995 wurde sie provisorisch neu in die Besoldungsklasse 15 eingereiht.
Mit Beschluss vom 2. Juli 1996 bestätigte der Regierungsrat des Kantons Solothurn die Einreihung in die Besoldungsklasse 15.
A. erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung betreffend definitive Einreihung in die Lohnklasse 15 aufzuheben und ihre Funktion in die Lohnklasse 17 einzureihen, eventuell den Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 4 Abs. 1 und 2 BV
sowie von Art. 3 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von
Art. 3 GlG
, einerseits indem der Kanton generell die Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" nur in die Lohnklassen 14-16 eingereiht habe, andererseits indem konkret ihre Stelle nur in die Lohnklasse 15 eingereiht worden sei.
a) Gemäss
Art. 3 Abs. 1 GlG
dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden. Eine direkte Diskriminierung liegt vor, wenn sich eine Ungleichbehandlung ausdrücklich auf die Geschlechtszugehörigkeit oder auf ein Kriterium stützt, das nur von einem der beiden Geschlechter erfüllt werden kann, und wenn sie sich nicht sachlich rechtfertigen lässt. Eine indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn eine formal geschlechtsneutrale Regelung im
BGE 124 II 529 S. 531
Ergebnis wesentlich mehr bzw. überwiegend Angehörige des einen Geschlechts gegenüber denjenigen des anderen benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 124 II 409
E. 7 S. 424 f., mit Hinweisen).
b) Insbesondere haben Mann und Frau Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit (
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
;
Art. 3 Abs. 2 GlG
). Eine besoldungsmässige Diskriminierung kann sich sowohl aus der konkreten Entlöhnung einer bestimmten Person im Vergleich mit Personen des anderen Geschlechts ergeben als auch aus der generellen Einstufung bestimmter Funktionen. Auch hier kann die Diskriminierung direkt oder indirekt sein. Zwar kommt den zuständigen kantonalen Behörden bei der Ausgestaltung eines Besoldungssystems im öffentlichen Dienst ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu (
BGE 123 I 1
E. 6b/c S. 8;
BGE 121 I 49
E. 4c S. 53 f.). Das Lohngleichheitsgebot schränkt diesen grossen Spielraum nicht grundsätzlich ein. Es bedeutet nicht, dass nur noch eine ganz bestimmte Methode für die Bewertung von Arbeitsplätzen zulässig wäre, und legt nicht positiv fest, welcher Massstab dabei anzuwenden ist; es verbietet jedoch die Wahl direkt oder indirekt geschlechtsdiskriminierender Bewertungskriterien (
BGE 124 II 409
E. 9b S. 427; vgl.
BGE 123 I 1
E. 6b S. 8; je mit Hinweisen).
c) Bezüglich der Entlöhnung wird eine Diskriminierung vermutet, wenn diese von der betroffenen Person glaubhaft gemacht wird (
Art. 6 GlG
). Es obliegt alsdann dem Arbeitgeber, diese Vermutung zu widerlegen.
4.
a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Diskriminierung durch ihre individuelle Einstufung in die Lohnklasse 15, während die männlichen Sozialarbeiter in der Bewährungshilfe und in der Strafanstalt Oberschöngrün in den Klassen 16 bzw. 18 eingereiht seien. Der Kanton bestreitet nicht, dass die von der Beschwerdeführerin genannten Sozialarbeiter höher eingestuft sind. Er bringt jedoch vor, einer der Sozialarbeiter der Bewährungshilfe sei deren Leiter und deshalb in der Klasse 18; der andere sei Stellvertreter des Leiters und deshalb in der Klasse 16. Die Sozialarbeiter der Strafanstalt hätten eine grössere psychische Belastung zu tragen als die Beschwerdeführerin; zudem hätten sie Führungsfunktionen wahrzunehmen, indem sie während der Wochenend-Pikettdienste über die ganze Anstalt weisungsberechtigt seien.
b) Aus den Stellenbeschreibungen der Sozialarbeiter der Bewährungshilfe geht hervor, dass einer der dortigen Sozialarbeiter, der in die Klasse 18 eingereiht ist, für deren Leitung in fachlicher und organisatorischer
BGE 124 II 529 S. 532
Hinsicht verantwortlich ist. Er hat vier Unterstellte; einer davon ist sein Stellvertreter und in Klasse 16 eingestuft. Die übrigen Sozialarbeiter der Bewährungshilfe sind - wie die Beschwerdeführerin - in die Klasse 15 eingestuft. Die beiden in die Klasse 16 eingereihten Sozialarbeiter der Strafanstalt Oberschöngrün haben während ihrer Pikettdienste die Gesamtverantwortung für die Anlage, was eine Führungsaufgabe darstellt. Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber gemäss ihrer Stellenbeschreibung keine Führungsverantwortung. Sie ist in die Jugendanwaltschaft integriert, die vom Jugendanwalt geleitet wird. Wohl hat sie den Psychologen der Jugendanwaltschaft während dessen Abwesenheit zu vertreten, doch nimmt auch dieser keine eigentliche Führungsaufgabe wahr.
c) Es ist allgemein üblich und mit dem Rechtsgleichheitsgebot vereinbar, Funktionen mit Führungsverantwortung höher einzustufen als Funktionen, die im Übrigen vergleichbar sind, jedoch keine Führungsaufgaben umfassen. Unterschiede in der Führungsfunktion sind ein sachlich haltbares Kriterium für eine ungleiche Lohneinstufung (nicht publizierte Urteile des Bundesgerichts vom 8. Juni 1998 i.S. F., E. 2d; vom 6. November 1995 i.S. M., E. 2). Das gilt grundsätzlich auch im Herrschaftsbereich des Gleichstellungsgesetzes. Mit Führungsfunktion von Männern besetzt werden, stellt jedenfalls solange keine Diskriminierung dar, als die sich daraus ergebenden Lohnunterschiede in dem Rahmen liegen, der auch bei Funktions-unterschieden zwischen Angehörigen des nämlichen Geschlechts üblich und zulässig ist. Vorliegend beträgt die Differenz gegenüber den meisten der genannten Sozialarbeiter eine Lohnklasse, gegenüber dem Leiter der Bewährungshilfe drei Lohnklassen. Diese Unterschiede können mit der erhöhten Verantwortung sachlich gerechtfertigt werden und bewegen sich grundsätzlich im Rahmen des Zulässigen. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass in anderen Bereichen der solothurnischen Verwaltung die Lohnunterschiede zwischen Stellen mit und ohne Führungsverantwortung geringer seien.
d) Es ist somit hinsichtlich der individuellen Einreihung der Beschwerdeführerin im Vergleich mit den männlichen Sozialarbeitern keine Diskriminierung glaubhaft gemacht.
5.
a) Die Beschwerdeführerin erblickt eine Diskriminierung in der generellen Einstufung der Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" in die Lohnklassen 14-16. Sie vergleicht diese Einstufung mit derjenigen der Technischen Sachbearbeiter I, welche in die
BGE 124 II 529 S. 533
Klassen 18-22 eingestuft sind. Es wird nicht geltend gemacht, dieser Unterschied basiere direkt auf der Geschlechtszugehörigkeit oder auf einem Kriterium, das nur von einem der beiden Geschlechter erfüllt werden kann. Es kann somit nicht eine direkte, sondern bloss eine indirekte Diskriminierung zur Diskussion stehen.
b) Die Beschwerdeführerin beanstandet die im Rahmen des Projekts BERESO durchgeführte Funktionsanalyse. Sie beantragte in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht ausdrücklich die Edition der Unterlagen betreffend Einstufung der Staatsangestellten mit HFS-, HTL- oder HWV-Ausbildung. Der Kanton hat dem Bundesgericht Botschaft und Entwurf des Regierungsrates vom 5. April 1995 an den Kantonsrat vorgelegt, worin in groben Zügen das Verfahren der vereinfachten Funktionsanalyse dargestellt wird. Nicht bei den Akten befindet sich indessen die eigentliche Funktionsanalyse, aus welcher offenbar die Bewertung der einzelnen Schlüsselstellen anhand der in der Botschaft dargestellten Kriterien hervorginge. Das Bundesgericht ist daher nicht in der Lage, die Funktionsanalyse nachzuvollziehen und auf allfällige diskriminierende Elemente hin zu überprüfen.
c) Der Regierungsrat hatte dem Kantonsrat für die Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" die Lohnklassen 15-17 vorgeschlagen. Der Kantonsrat übernahm bei den meisten Funktionen den Vorschlag des Regierungsrates. Bei den Sozialbetreuern I traf er jedoch einen Minusklassenentscheid und stufte sie in die Klassen 14-16 ein. Dies erfolgte gemäss Angaben des Kantons aufgrund von Quervergleichen namentlich mit dem Pflegebereich; für diesen ganzen Bereich, in welchem notorisch ein grosser Anteil von Frauen beschäftigt ist, hatte bereits der Regierungsrat gegenüber den Ergebnissen der Funktionsanalyse einen Minusklassenentscheid getroffen. Unter diesen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass der Minusklassenentscheid bei den Sozialbetreuern eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.
d) Nicht jede unzulässige Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen stellt eine Geschlechterdiskriminierung dar. Vielmehr ist dazu erforderlich, dass durch die beanstandete Regelung im Ergebnis wesentlich mehr Angehörige des einen Geschlechts gegenüber denjenigen des andern benachteiligt werden (vorne E. 3a). Demgemäss liegt nach Lehre und Rechtsprechung eine besoldungsmässige Geschlechterdiskriminierung nur vor, wenn zum Nachteil einer geschlechtsspezifisch identifizierten Arbeit sachlich unbegründete Lohnunterschiede bestehen (
BGE 124 II 409
E. 8a S. 425, 436 E. 6a
BGE 124 II 529 S. 534
S. 439; ANDREAS C. ALBRECHT, Der Begriff der gleichwertigen Arbeit im Sinne des Lohngleichheitssatzes «Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit" [
Art. 4 Abs. 2 BV
]. Diss. Basel 1998, S. 159 ff. ELISABETH FREIVOGEL, in BIGLER-EGGENBERGER/KAUFMANN, Kommentar zum Gleichstellungsgesetz, Basel 1997, Rz. 115 ff. zu
Art. 3 GlG
). Ein Lohnunterschied zwischen zwei typisch weiblich oder zwei typisch männlich identifizierten Tätigkeiten kann demgegenüber keine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstellen (
BGE 124 II 409
E. 8a, 436 E. 6a;
BGE 113 Ia 107
E. 4a S. 116; FREIVOGEL, a.a.O., Rz. 103 zu
Art. 3 GlG
). Gleiches gilt im Vergleich zwischen zwei geschlechtsneutral identifizierten Berufen. In solchen Verhältnissen finden nur die Schranken von
Art. 4 Abs. 1 BV
Anwendung.
Die geschlechtsspezifische Identifizierung der benachteiligten Funktion ist somit Tatbestandsvoraussetzung, damit eine Geschlechterdiskriminierung in Frage kommt, und grenzt den Anwendungsbereich von
Art. 4 Abs. 2 BV
bzw.
Art. 3 GlG
von demjenigen des allgemeinen Rechtsgleichheitsgebots von
Art. 4 Abs. 1 BV
ab.
e) Damit
Art. 4 Abs. 2 BV
bzw. das Gleichstellungsgesetz für die Beurteilung einer geltend gemachten generellen Ungleichbehandlung überhaupt Anwendung finden, muss deshalb zunächst geprüft werden, ob die Tätigkeit, deren Benachteiligung gerügt wird, geschlechtsspezifisch identifiziert ist. Ob das der Fall ist, kann nicht immer einfach beantwortet werden und hängt teilweise auch von Wertungen ab (ASTRID EPINEY/NORA REFAEIL, in: BIGLER-EGGENBERGER/KAUFMANN, a.a.O., S. 403 Rz. 102; NORA REFAEIL/KARINE SIEGWART, Das Konzept der mittelbaren Diskriminierung im europäischen und schweizerischen Recht, in: REFAEIL ET AL, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im europäischen und schweizerischen Recht. Ausgewählte Fragen, Bern 1997, S. 5-42, 29). In erster Linie ist jedoch auf das quantitative, statistische Element abzustellen (Botschaft zum Gleichstellungsgesetz, BBl 1993 I 1296; ALBRECHT, a.a.O., S. 96). Der Anteil des einen Geschlechts in der Gruppe der Benachteiligten muss erheblich höher sein als der Anteil des andern Geschlechts (BBl 1993 I 1296; ALBRECHT, a.a.O., S. 96 f.; KATHRIN ARIOLI, Die Rechtsfigur der indirekten Diskriminierung, AJP 1993 S. 1327-1335, 1330). Ferner kann die geschichtliche Dimension mitberücksichtigt werden (FREIVOGEL, a.a.O., Rz. 118 f. zu
Art. 3 GlG
).
f) Von welchem statistischen Verhältnis an eine Tätigkeit als typisch weiblich betrachtet werden kann, gilt in der Literatur als offen (ARIOLI, a.a.O., S. 1330; REFAEIL/SIEGWART, a.a.O., S. 28, mit Hinweisen).
BGE 124 II 529 S. 535
Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, schon ein Verhältnis von 150:100 könnte unter gewissen Voraussetzungen erheblich sein (ALBRECHT, a.a.O., S. 160). Berufe, in denen drei Fünftel der Beschäftigten weiblich sind, sind jedoch in der Regel noch nicht oder jedenfalls nicht notwendigerweise typische Frauenberufe. So werden beispielsweise gesamtschweizerisch heute rund vier Fünftel der Primarlehrerpatente an Frauen erteilt (Bundesamt für Statistik, Bildungsabschlüsse 1996, S. 33 f.). Trotzdem gilt der Primarlehrerberuf nicht als spezifisch weiblich; er wird im Gegenteil als geschlechtsneutral identifizierter Vergleichsberuf herangezogen für die Beurteilung, ob typische Frauenberufe wie Kindergärtnerinnen oder Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen diskriminiert werden (
BGE 124 II 409
E. 8b, 436 E. 6b; FREIVOGEL, a.a.O., Rz. 115 FN 141 zu
Art. 3 GlG
). Gewisse Abweichungen von einer durchschnittlichen Geschlechterverteilung sind normal und unterliegen auch einem zeitlichen und örtlichen Wechsel. Beispielsweise sind notorisch gerade bei Lehrberufen die Geschlechteranteile regional unterschiedlich; würde bereits ein Frauenanteil von 60% genügen, um einen Beruf zu einem typischen Frauenberuf zu machen, dann wäre der Lehrerberuf in einigen Kantonen typisch weiblich, in anderen nicht; auch innerhalb eines Kantons wäre der Beruf je nach Region oder Gemeinde unterschiedlich zu qualifizieren. Die Beurteilung, ob der Beruf geschlechtsspezifisch identifiziert ist, wäre damit abhängig davon, welche Grundgesamtheit (Gemeinde, Kanton, Region, Land) betrachtet wird. Analoges würde für manche andere Berufe gelten. Das Verbot der Geschlechterdiskriminierung zielt nicht auf derartige lokal und zeitlich variable Unterschiede ab, die sich innerhalb einer gewissen Abweichung von Durchschnittswerten bewegen, sondern auf typisch geschlechtsmässig segmentierte Berufe.
g) Auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft liegt eine mittelbare Diskriminierung nur vor, wenn "erheblich" oder "wesentlich" oder "prozentual sehr viel mehr" Frauen als Männer nachteilig betroffen sind (EuGH C-243/95 vom 17. Juni 1998, Hill, zit. nach Wochenbulletin Nr. 16/98 S. 10 ff.; EuGH C-1/95, Gerster, Slg. 1997 I-5253, Rn 30; EuGH 170/84, Bilka, Slg. 1986 1607 Rz. 31; REFAEIL/SIEGWART, a.a.O., S. 28). Soweit in den bisher entschiedenen Fällen das entsprechende Verhältnis quantitativ bekannt war, war der Anteil der von einer Regelung benachteiligten Frauen durchwegs in der Grössenordnung von ca. 10:1 oder mehr (EuGH 170/84, Bilka, Slg. 1986 1607, 1610:
BGE 124 II 529 S. 536
Verhältnis 10:1; EuGH 102/88, Ruzius-Wilbrink, Slg. 1989 4311, 4316: 88%; EuGH 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989 2734, 2752: 89%; EuGH C-127/92, Enderby, Slg. 1993 I-5535, 5550: 98 bzw. 99%; EuGH C-400/93, Royal Copenhagen, Slg. 1995 I-1275, 1298: 155 von 156 Personen; EuGH C-1/95, Gerster, Slg. 1997 I-5253: 87%; EuGH C-100/95, Kording, Slg. 1997 I-5289: 92,4p%; EuGH C-243/95, Hill: 98 bzw. 99,2%).
h) Es ist im Lichte dieser Grundsätze zu prüfen, ob Sozialarbeit bzw. die Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin" eine typisch weibliche Tätigkeit ist.
aa) Nach der Darstellung des Beschwerdegegners sind in der kantonalen Verwaltung vier Sozialarbeiter und drei Sozialarbeiterinnen beschäftigt. Von der beanstandeten Regelung werden somit mehr Männer als Frauen betroffen. Die Gesamtzahl der Beschäftigten ist jedoch zu klein, um abschliessende Folgerungen auf die Geschlechtsbezogenheit der Funktion zuzulassen.
bb) Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Beruf der Sozialarbeiterin sei wegen der überwiegend weiblichen Zahl der Absolventinnen als typischer Frauenberuf zu betrachten. Aus den von ihr eingereichten Unterlagen geht jedoch einzig hervor, dass im Jahre 1995 rund 77% der an Höheren Fachschulen für Sozialarbeit Zugelassenen und rund 70% der Abschliessenden Frauen waren und dass der Frauenanteil unter den Sozialarbeitern im Jahre 1980 zwei Drittel betrug. Diese wenigen Angaben genügen nicht, um zuverlässig beurteilen zu können, ob die Funktion "Sozialbetreuer" bzw. die für diese Funktion erforderliche Berufsausbildung als geschlechtsspezifisch im dargestellten Sinne betrachtet werden kann.
cc) Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Tätigkeit der Fürsorgerin sei aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte als typisch weiblich zu betrachten. Auch dies kann jedoch aufgrund der Akten nicht als erstellt betrachtet werden. Es ist auch nicht notorisch. Zwar mag zutreffen, dass historisch ein erheblicher Teil der unentgeltlichen sozialen Arbeit von Frauen wahrgenommen wurde. Ob das auch gilt für die berufsmässig ausgeübte Sozialarbeit, ist jedoch dem Bundesgericht nicht bekannt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann auch nicht generell behauptet werden, Arbeit im zwischenmenschlichen Bereich sei traditionell eine typisch weibliche Tätigkeit. Es gibt zahlreiche Berufe, deren Aufgabenschwergewicht im zwischenmenschlichen Bereich liegt, die aber weder historisch noch aktuell als typisch weiblich betrachtet werden können (z.B. Pfarrer, Arzt, Lehrer, Polizist).
BGE 124 II 529 S. 537
6.
a) Gesamthaft kann somit aufgrund der Akten nicht zuverlässig beurteilt werden, ob die generelle Lohnklasseneinreihung der Sozialbetreuer I eine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstellt. Der Regierungsrat hat die spezifischen Anforderungen an die Erhebung des Sachverhalts, die ihm in Gleichstellungsangelegenheiten obliegen (
BGE 118 Ia 35
E. 2;
BGE 117 Ia 262
E. 4), nicht genügend erfüllt. Insoweit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde begründet. Aufgrund der Akten kann allerdings auch nicht festgestellt werden, dass die Lohneinreihung der Beschwerdeführerin in der Tat diskriminierend sei und - wie im Hauptbegehren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt - in die Klasse 17 anzuheben wäre. Die Frage muss vielmehr im Sinne des von der Beschwerdeführerin gestellten Eventualbegehrens von den kantonalen Behörden neu beurteilt werden.
b) Entscheidet das Bundesgericht in der Sache nicht selber, so weist es diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück (
Art. 114 Abs. 2 OG
). Vorinstanz war vorliegend der Regierungsrat. Seit 15. Februar 1997 wäre Vorinstanz indessen das Verwaltungsgericht (
Art. 98a OG
; vgl.
BGE 123 II 231
E. 7). Das Bundesgericht hat in einem analogen, ebenfalls den Kanton Solothurn betreffenden Fall deshalb den angefochtenen Entscheid des Regierungsrates nicht aufgehoben, sondern die Sache zur Beurteilung an das kantonale Verwaltungsgericht überwiesen (nicht publiziertes Urteil vom 8. Juli 1998 i.S. Sch.). Das rechtfertigte sich deshalb, weil dort einzig eine individuelle Diskriminierung geltend gemacht wurde, deren Beurteilung von Sachverhalten im Einzelfall abhing, welche ein Gericht seiner Natur nach besser abklären kann als eine politische Behörde. Vorliegend steht indessen die generelle Lohneinreihung der Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" zur Diskussion. Es rechtfertigt sich deshalb, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Angelegenheit an den Regierungsrat zurückzuweisen, damit dieser Gelegenheit erhält, die generelle Funktioneneinreihung unter Würdigung des gesamten Lohnsystems zu überprüfen. Der Regierungsrat wird dabei zu beurteilen haben, ob die Funktion "Sozialbetreuer/Sozialbetreuerin I" im dargestellten Sinne geschlechtsspezifisch ist und bejahendenfalls, ob sich die gegenüber den technischen und administrativen Sachbearbeitern I tiefere Lohneinreihung sachlich begründen lässt. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02acb8c4-317a-4a0f-9070-0c194511e6b9 | Urteilskopf
114 IV 133
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1988 i.S. V. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 314 StGB
; ungetreue Amtsführung.
Ein Rechtsgeschäft im Sinne von
Art. 314 StGB
schliesst ab, wer zwar keine formelle, aber die faktische Entscheidungskompetenz besitzt (E. 1a).
Auch die Verletzung öffentlicher ideeller Interessen kommt einer Schädigung gleich (E. 1b; Bestätigung der Rechtsprechung).
2.
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 und
Art. 142 StGB
; Bereicherung, geringfügige Veruntreuung.
Wer sich Originaldokumente aneignet und diese durch Kopien ersetzt, bereichert sich, weil Originalen ein höherer Beweiswert zukommt (E. 2b).
Die Aneignung einer Vielzahl von Originaldokumenten stellt nicht mehr eine geringfügige Veruntreuung im Sinne von
Art. 142 StGB
dar (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 114 IV 133 S. 134
V. war vom 17. April 1972 bis Ende Juli 1981 vollamtlicher landwirtschaftlicher Fachbeamter des kantonalen Steueramtes. Ihm wird vorgeworfen, dass er entgegen den Ausstandsvorschriften während oder nach einer bezahlten privaten Beratung von Landwirten bei Hofübergaben, Hofabtretungen, Erbteilungen, Landverkäufen usw. auch als Beamter tätig geworden sei, indem er in dieser Eigenschaft Anträge an die verfügenden Behörden gestellt habe, die diese von ihm als Fachmann in der Regel übernommen hätten. Überdies habe er immer wieder Akten des kantonalen Steueramtes nach Hause mitgenommen und diese nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst trotz mehrfacher Aufforderung nicht zurückgegeben. Schliesslich habe er sich verschiedentlich Fahrkosten sowohl vom Kanton X. wie auch von seinen privaten Kunden vollumfänglich ersetzen lassen, ohne dass diese von der doppelten Rechnungsstellung und Bezahlung gewusst hätten.
Nachdem das Bundesgericht ein erstes Urteil des Obergerichts des Kantons X. aufgehoben hatte, verurteilte dieses V. am 29. März 1988 wegen fortgesetzter ungetreuer Amtsführung, qualifizierter Veruntreuung und Betrugs zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 4 1/2 Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.--. Gleichzeitig sprach es ihn von zahlreichen Veruntreuungs- und Betrugsvorwurfen frei.
V. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventualiter
BGE 114 IV 133 S. 135
sei das angefochtene Urteil wegen mangelnder Begründung des Schädigungsvorsatzes bei der ungetreuen Amtsführung im Verfahren nach
Art. 277 BStP
zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Den Tatbestand der ungetreuen Amtsführung gemäss
Art. 314 StGB
erfüllt, wer als Beamter vorsätzlich die bei einem Rechtsgeschäfte von ihm zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigt, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nie an einem Rechtsgeschäft im Sinne dieser Bestimmung teilgenommen. Er habe lediglich Orientierungshilfen und Empfehlungen zuhanden der Gemeindebehörden ausgearbeitet, jedoch nie selbst entschieden. Die Entscheidungskompetenz liege ausschliesslich beim Steueramt, Sektion Buchprüfungen, und hauptsächlich bei den kommunalen Steuerkommissionen.
Wie die Vorinstanz darlegt, hatte der Beschwerdeführer selbst formell zwar keine endgültigen Entscheidungen zu treffen, besass jedoch aufgrund seines Fachwissens und seiner Stellung als vollamtlicher Beamter faktische Entscheidungskompetenz. Das muss nach dem Wortlaut von
Art. 314 StGB
genügen. Denn wer als Beamter einen Entscheid derart beeinflusst, kann die öffentlichen Interessen auch dann schädigen, wenn er nicht selbst formell die Entscheidung trifft. Die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe keine öffentlichen Interessen verletzt. Richtig ist, dass in
BGE 101 IV 411
E. 2 angenommen wurde, der Verstoss gegen eine Ausstandsvorschrift für sich allein genüge noch nicht zur Annahme einer Schädigung ideeller Interessen des Staates. Einen solchen Schluss begründete die Vorinstanz jedoch zusätzlich damit, dass der Beschwerdeführer durch seine teils amtliche, teils private Tätigkeit bei Identität von Kunde und Steuerpflichtigem das Vertrauen der Bürger in die rechtsgleiche Behandlung der Steuerpflichtigen und in die Objektivität und Unabhängigkeit der Steuerbehörden erheblich beeinträchtigte. Das ist wesentlich mehr als das Vorliegen einer Interessenkollision, wie sie bereits besteht, wenn ein Beamter als Teilhaber einer Firma ein Interesse an der Vergabe von Aufträgen an diese haben kann.
BGE 114 IV 133 S. 136
Eine Verletzung der öffentlichen ideellen Interessen genügt für die Erfüllung des Tatbestandes (
BGE 101 IV 412
E. 2); eine Verletzung öffentlicher Interessen finanzieller Art ist nicht erforderlich. Unerheblich ist, ob gegen den Beschwerdeführer ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden konnte, weil er weder eine Bewilligung für seine private Tätigkeit eingeholt noch die Ausstandsvorschriften beachtet hatte. Da der strafrechtliche Vorwurf darüber hinausgeht (siehe Absatz hievor), zielt die Argumentation des Beschwerdeführers, er habe nur der Vorschrift des kantonalen Steuergesetzes nachgelebt, wonach Steuerbehörden und Steuerpflichtige gemeinsam die für eine vollständige und gerechte Besteuerung massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse festzustellen haben, an der Sache vorbei.
c) Der Beschwerdeführer bestreitet, in unrechtmässiger Vorteilsabsicht gehandelt zu haben.
Die Vorinstanz begründete diese damit, der Beschwerdeführer habe durch die Vermengung von amtlicher und privater Tätigkeit beabsichtigt, zusätzlich Beratungshonorare zu erzielen. Sie liess offen, ob er darüber hinaus die privat Beratenen zum Nachteil des Staates unzulässig begünstigte. Diese Begründung ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden; der Beschwerdeführer bringt denn auch keine substantielle Rüge dagegen vor.
2.
Der Beschwerdeführer rügt, er sei zu Unrecht wegen Veruntreuung verurteilt worden.
a) Veruntreuung gemäss
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
begeht, wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern. Die Vorinstanz hat angenommen, dieser Tatbestand sei erfüllt, weil der Beschwerdeführer amtliche Originalakten zu seinen privaten Akten genommen habe. Originalakten stehen zweifellos im Eigentum des Staates. Die Aneignung derartiger Akten kann deshalb den Tatbestand eines Aneignungsdeliktes erfüllen (vgl.
BGE 70 IV 66
E. 1). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sich in den Akten des kantonalen Steueramtes noch Kopien der behändigten Originalakten befinden sollten; denn Originalakten haben nicht zuletzt deshalb bei den zuständigen Amtsstellen zu verbleiben, weil im Streitfall ein Rückgriff auf diese unumgänglich sein kann. Auch im Behalten der Akten kann eine Aneignungshandlung liegen, nämlich dann, wenn der Täter zum Ausdruck gebracht hat, dass er sie nicht mehr herausgeben will; damit hat er sie seinem Vermögen einverleibt (vgl.
BGE 85 IV 19
E. 2). Der Beschwerdeführer selbst
BGE 114 IV 133 S. 137
ist in seiner Nichtigkeitsbeschwerde gegen das erste Urteil des Obergerichts davon ausgegangen, dass er diese Akten seiner privaten Aktensammlung einverleibt hatte. Damit steht fest, dass er sich die Akten, wenn nicht schon bei der Mitnahme nach Hause, so doch jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt aneignete. Insbesondere ist entgegen den Ausführungen in der Beschwerde die dauernde Enteignung des kantonalen Steueramtes respektive des Staates ebenso wie die Zueignung durch den Beschwerdeführer zu bejahen.
b) Das subjektive Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Bereicherungsabsicht ist ebenfalls erfüllt; denn in der Regel ist mit der Aneignung auch eine Bereicherung verbunden. Bereicherungsabsicht entfällt etwa dann, wenn dem Geschädigten der Gegenwert für den angeeigneten Gegenstand zugekommen ist. Das trifft nicht zu, wenn der Amtsstelle nur eine Kopie verbleibt, weil einer solchen nicht der gleiche Beweiswert zukommen kann wie einem Original.
Im übrigen räumt der Beschwerdeführer selbst ein, dass die Dokumente für ihn einen wirtschaftlichen Wert darstellten ("Als sachübergreifende Präjudiziensammlung dienten sie ihm zugegebenermassen der Erleichterung und der Qualitätshebung seiner freiberuflichen Arbeit nach dem Ausscheiden aus dem Staatsdienst"). In der Praxis ist denn auch die Bereicherungsabsicht bei der Aneignung von Rationierungsmarken (
BGE 70 IV 66
f.), Checkformularen (Kantonsgericht St. Gallen, SJZ 69/1973, S. 312) und Briefen, die im Hinblick auf Geschäftsgeheimnisse von Bedeutung waren (Appellationsgericht Basel-Stadt, SJZ 52/1956, S. 362), bejaht worden.
Rechtswidrig war die Bereicherung, weil der Beschwerdeführer kein Recht hatte, sich Originalakten anzueignen.
c) Der Beschwerdeführer rügt, es liege höchstens eine geringfügige Veruntreuung im Sinne von
Art. 142 StGB
vor. Soweit er sich überhaupt Originalschreiben angeeignet habe, stellten diese höchstens einen geringen Wert im Sinne jener Bestimmung dar.
Die Vorinstanz hat sich mit dieser Frage nicht befasst. Aus ihrem Urteil ergibt sich jedoch, dass sich der Beschwerdeführer eine Vielzahl von Originaldokumenten angeeignet hat. Diese Feststellung ist für das Bundesgericht verbindlich (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
). Von einer geringfügigen Veruntreuung im Sinne von
Art. 142 StGB
kann deshalb keine Rede sein. Nicht entscheidend für den Wert der angeeigneten Akten ist die Frage, welches die
BGE 114 IV 133 S. 138
Kosten für Fotokopien wären. Massgeblich ist vielmehr der Wert der Originaldokumente für das Staatswesen. Der Verlust einer Vielzahl von Originaldokumenten wiegt schwerer als die Kosten für die Erstellung von Kopien, da solche nie den Wert eines Originals erreichen. Die Rüge ist demnach unbegründet. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
02b0b47f-7569-475f-a5f2-1574f5a95ce5 | Urteilskopf
87 I 268
46. Auszug aus dem Urteil vom 4. Oktober 1961 i.S. Ziegler gegen Regierungsrat des Kantons Uri. | Regeste
Handels- und Gewerbefreiheit, Reklame.
Befugnis des Gewerbetreibenden zur Reklame, insbesondere zum Hinweis auf besondere Vorzüge der angebotenen Waren und Dienste. Grenzen der Reklame. Anwendung auf die Vermietung von Zimmern an Passanten und Feriengäste. | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 87 I 268 S. 268
Aus dem Tatbestand:
Am 24. März 1958 erliess der Regierungsrat des Kantons Uri gestützt auf das Wirtschaftsgesetz vom 5. Mai 1918
BGE 87 I 268 S. 269
(WG) eine "Bekanntmachung" über die "Beherbergung von Fremden in Privatzimmern", die zu Beginn jedes Jahres im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht wird. Nach dieser "Bekanntmachung" hat derjenige, der fremde Gäste gewerbsmässig in Privatzimmern beherbergt, eine Bewilligung einzuholen (Ziff. I), die ganzjährig oder für einzelne Monate (Saison) erteilt wird (Ziff. II). Die Bekanntmachung enthält besondere Vorschriften über die Zimmervermietung (Ziff. IV), darunter die folgende:
4. Das Anwerben von Gästen auf der Strasse, auf öffentlichen Plätzen, an Haltestellen der Eisenbahn, Dampfschiffe und Postautos usw. ist verboten. Gestattet ist nur für die Dauer der Bewilligung die Anschrift "Privatzimmer zu vermieten".
Der Beschwerdeführer Ernst Ziegler ist Eigentümer eines Wohnhauses in Altdorf und vermietet seit einigen Jahren Zimmer an Passanten und Feriengäste. Am 22. Februar 1961 erhielt er die Bewilligung zur Beherbergung fremder Personen für eine Anzahl Betten in der Sommersaison. Ein Teil der Fremdenzimmer ist mit fliessendem kaltem und warmem Wasser versehen. Im März 1961 stellte der Beschwerdeführer auf dem ihm gehörenden Vorplatz zwischen dem Haus und der Strasse eine 30 cm hohe und 64 cm breite Tafel auf mit der Anschrift:
ZIMMER
Fliess. Wasser warm u. kalt
Nachdem die Polizei den Beschwerdeführer erfolglos ersucht hatte, diese Anschrift durch den vorgeschriebenen Text "Privatzimmer zu vermieten" zu ersetzen, erliess die kantonale Polizeidirektion einen Amtsbefehl, durch den der Beschwerdeführer unter Androhung von Strafen nach
Art. 292 StGB
aufgefordert wurde, die beanstandete Anschrift innert 8 Tagen zu entfernen.
Einen hiegegen erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat mit Entscheid vom 5. Juni 1961 ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Wer gewerbsmässig Gäste beherberge, habe sich bei der Ausübung des Gewerbes und bei seinen
BGE 87 I 268 S. 270
Ankündigungen an das Publikum strikte im Rahmen seiner Bewilligung zu halten. Um sowohl für das Publikum wie für die Privatzimmervermieter eine ganz klare Regelung zu schaffen, habe der Regierungsrat nur die Anschrift "Privatzimmer zu vermieten" zugelassen. Diese Regelung dränge sich vernünftigerweise auf. Die öffentliche Ankündigung müsse deutlich sagen, dass blosse Privatzimmer angeboten werden. Der Hinweis auf fliessendes kaltes und warmes Wasser lasse bei einer Privatwohnung die Frage offen, ob es sich um blosse Mitbenutzung einer entsprechenden Einrichtung oder um eigens mit Wasseranschluss ausgestattete Zimmer handle. Die öffentliche Anpreisung von eigens für gewerbsmässige Gästebeherbergung mit Wasser und Boileranschluss etc. ausgestatteten Zimmern falle je nach Umständen bereits unter die Bewilligungspflicht für Logierhäuser. Es wäre für die Rechtsanwendung und für die polizeiliche Überwachung praktisch unmöglich, zu klarer und gleichmässiger Handhabung der bestehenden Vorschriften zu gelangen, wenn statt der Anschrift "Privatzimmer zu vermieten" alle erdenklichen Formulierungen zugelassen werden müssten. Die fragliche Regelung diene erstens dem Schutze des Publikums vor falschen Anschein erweckenden Ankündigungen, zweitens der Wettbewerbsgleichheit im Verhältnis zum ordentlichen Gastgewerbe, dessen Anpreisungen ebenfalls normiert seien, und drittens der Wettbewerbsgleichheit unter den Privatzimmervermietern selbst.
C.-
Gegen diesen Enscheid hat Ernst Ziegler staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 31 und 4 BV
erhoben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut im Sinne folgender
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Die gewerbsmässige Vermietung von Zimmern an Fremde, mit der sich der Beschwerdeführer auf Grund einer ihm erteilten staatlichen Bewilligung befasst, ist wie
BGE 87 I 268 S. 271
jede zum Zwecke des Erwerbs berufsmässig ausgeübte Tätigkeit ein Gewerbe im Sinne des
Art. 31 BV
und steht daher unter dem Schutze der Handels- und Gewerbefreiheit (
BGE 80 I 143
). Dieser Schutz bezieht sich auch auf die Reklame (
BGE 47 I 51
); der Handel- und Gewerbetreibende ist befugt, das Publikum auf seine Tätigkeit aufmerksam zu machen, ihm seine Waren oder Dienste anzubieten. Den Inhabern freier Berufe (Anwälten, Ärzten usw.) dürfen die Kantone eine eigentliche kommerzielle, aufdringliche Reklame verbieten (
BGE 54 I 96
,
BGE 67 I 87
,
BGE 68 I 14
und 68). Bei den übrigen Berufen dagegen darf die Reklame wie die Berufsausübung selber nur aus polizeilichen Gründen, im Interesse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit sowie zur Wahrung von Treu und Glauben eingeschränkt werden.
3.
Der Beschwerdeführer macht für die in seinem Haus zu mietenden Zimmer Reklame durch eine vor dem Hause aufgestellte Tafel mit der Aufschrift "Zimmer. Fliess. Wasser warm und kalt". Der Regierungsrat verbietet ihm auf Grund seines Beschlusses vom 24. März 1958, der nur die Anschrift "Privatzimmer zu vermieten" zulässt, vor allem den Hinweis auf die Ausstattung der Zimmer mit fliessendem Wasser, aber auch die Verwendung des Ausdrucks "Zimmer" statt "Privatzimmer". Für diese Einschränkungen gibt der angefochtene Entscheid zwei Gründe an, einerseits den Schutz des Publikums vor einer einen falschen Anschein erweckenden Ankündigung und anderseits die Wettbewerbsgleichheit der Privatzimmervermieter unter sich und im Verhältnis zum ordentlichen Gastgewerbe. Mit letzterem lässt sich jedoch eine Beschränkung der Reklame nicht begründen. Das Recht auf Reklame schliesst die Befugnis ein, auf besondere Vorzüge hinzuweisen, durch die sich die angebotenen Waren oder Dienste von denjenigen der Konkurrenten unterscheiden. Die Ausstattung der den Passanten und Feriengästen angebotenen Zimmer mit fliessendem kaltem und warmem Wasser stellt einen besondern, von den Gästen allgemein geschätzten Komfort dar.
BGE 87 I 268 S. 272
Ein im Interesse der Konkurrenten aufgestelltes Verbot, bei der Reklame auf einen solchen Vorzug hinzuweisen, stellt einen staatlichen Eingriff in den freien wirtschaftlichen Wettbewerb dar und verstösst gegen
Art. 31 BV
. Derartige kantonale Verbote dürften übrigens, was der Beschwerdeführer freilich nicht geltend macht, auch deshalb unzulässig sein, weil das UWG den Schutz der Mitbewerber abschliessend regelt und in Art. 22 nur handels- und gewerbepolizeiliche Vorschriften der Kantone mit Einschluss solcher über unlauteres Geschäftsgebaren im engern Sinne, d.h. über das Verhältnis der Gewerbetreibenden zu ihren Kunden, vorbehält (
BGE 82 IV 50
ff.,
BGE 84 IV 42
Erw. 2).
a) Aus diesem Gesichtspunkt dürfen den Vermietern von Privatzimmern solche Aufschriften auf Reklametafeln verboten werden, welche die Kundschaft irreführen könnten. Als Zimmer mit fliessendem kaltem und warmem Wasser gelten nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nur solche, bei denen sich der Wasseranschluss im Zimmer selber oder in einem dazu gehörigen Toilettenraum befindet. Wenn dies nur bei einem Teil der angebotenen Zimmer zutrifft, verlangen Treu und Glauben, dass es in der Aufschrift zum Ausdruck gebracht wird. Dagegen dürfen ungenaue und irreführende Aufschriften auf Reklametafeln nicht dadurch verhindert werden, dass alle Hinweise auf den gebotenen Komfort, selbst wenn sie wahr und eindeutig sind, verboten werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit sind gewerbepolizeiliche Eingriffe unzulässig, wenn ihr Zweck durch eine weniger weit gehende Massnahme erreicht werden kann (
BGE 86 I 274
Erw. 1 mit Verweisungen). Irreführende Reklame kann aber zweifellos auch mit repressiven oder präventiven Mitteln wirksam verhindert werden. Der Einwand des Regierungsrates, dass Angaben über die Ausstattung von Zimmern mit fliessendem kaltem und warmem Wasser "behördlich unkontrollierbar" seien, ist unhaltbar. Da die Privatzimmervermieter sich darüber auszuweisen
BGE 87 I 268 S. 273
haben, dass die Schlafräume den gesundheitspolizeilichen Anforderungen entsprechen und die erforderlichen sanitarischen Einrichtungen vorhanden sind (Ziff. IV/1 der "Bekanntmachung"), haben die Behörden die angebotenen Zimmer vor der Erteilung der Bewilligung ohnehin zu besichtigen. Dabei können sie ohne weiteres auch prüfen, ob die Aufschriften auf den Reklametafeln unrichtig oder irreführend sind. Der angefochtene Entscheid verletzt somit
Art. 31 BV
und ist aufzuheben, soweit dem Beschwerdeführer verboten wird, auf seiner Reklametafel auf die Ausstattung eines Teiles seiner Zimmer mit fliessendem kaltem und warmem Wasser hinzuweisen.
b) Ob der Regierungsrat im Grunde nur diesen Hinweis beanstandet oder dem Beschwerdeführer auch die Verwendung des Ausdrucks "Zimmer" ohne den Zusatz "Privat" verbieten will, geht aus der Beschwerdeantwort, wo es heisst, über die Zulässigkeit der da und dort anzutreffenden einfachen Anschrift "Zimmer" könne hier nicht diskutiert werden, nicht klar hervor. Der Regierungsrat kann diese Frage bei seinem neuen Entscheid nochmals prüfen. Dabei fällt folgendes in Betracht. Das WG kennt neben der Bewilligung zur gewerbsmässigen Beherbergung von Fremden in Privatzimmern 11 Kategorien von Wirtschaftspatenten mit verschiedenen Befugnissen. Die Behörden können verlangen, dass jeder Patentinhaber für die an oder vor dem Haus angebrachten Tafeln und Schilder die seinem Patent entsprechende Bezeichnung wähle, damit die Art des Betriebs für jedermann ersichtlich ist und Verwechslungen ausgeschlossen sind (vgl.
Art. 30 und 5 lit. c WG
). Sofern die Anschrift "Zimmer mit fliessendem kaltem und warmem Wasser" im Kanton Uri als Hinweis auf den Betrieb eines Logierhauses oder einer Fremdenpension im Sinne von
Art. 5 lit. c und 1 WG
zu verstehen und üblich sein sollte, wie der Regierungsrat andeutet, steht nichts entgegen, den Privatzimmervermietern die Verwendung der Bezeichnung "Privatzimmer" (mit fliessendem kaltem und warmem Wasser) vorzuschreiben.
BGE 87 I 268 S. 274
c) Reklametafeln können durch ihre Grösse oder ihren Standort die Verkehrssicherheit gefährden oder durch ihr Aussehen das Orts- und Landschaftsbild verunstalten. Auch diese Gesichtspunkte können daher Einschränkungen des Rechts auf Reklame rechtfertigen. Der Regierungsrat behauptet jedoch nicht, dahingehende Vorschriften erlassen zu haben, und hat jedenfalls die Reklametafel des Beschwerdeführers nicht aus diesen Gründen beanstandet.
d) Das in Ziff. IV/4 der "Bekanntmachung" vom 24. März 1958 enthaltene Verbot des Anwerbens von Gästen auf der Strasse, auf öffentlichen Plätzen usw. wird vom Beschwerdeführer mit Recht nicht angefochten. Es erscheint als gerechtfertigt, weil das öffentliche Grundeigentum nicht für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und die Reklame für diese zur Verfügung gestellt zu werden braucht (
BGE 80 I 144
mit Zitaten), weil ein solches Anwerben die öffentliche Ordnung und Ruhe stören könnte und weil es überdies der behördlichen Kontrolle weitgehend entzogen wäre und zu Missbräuchen führen könnte. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
02b5d6d3-94b5-43c6-8c3e-4798e5039e1b | Urteilskopf
92 II 15
3. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Februar 1966 i.S. Doris X. und A. X. gegen Nervensanatorium Z. | Regeste
Haftung für Hilfspersonen,
Art. 101 OR
.
Berufung, Anforderungen an den Berufungsantrag (Erw. 1).
Begriff des Handelns der Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen (Erw. 2-5). | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 92 II 15 S. 15
A.-
Im Jahre 1956 wurde die damals 17jährige Doris X. von ihrem Vater wegen schwerer psychischer Störungen im Zusammenhang mit der Pubertät in einem privaten Nervensanatorium untergebracht. Sie befand sich dort vom 2. Juni bis zum 18. August 1956 und wurde vom Assistenzarzt Dr. Y., Spezialarzt FMH für Psychiatrie, behandelt. Zwischen dem 33jährigen, verheirateten Arzt und der Patientin entspann sich ein Liebesverhältnis. Die beiden umarmten und küssten einander im Sprechzimmer des Arztes wie auch auf Ausflügen, die sie gemeinsam im Auto des Arztes unternahmen. Im Sprechzimmer wies der Arzt die Patientin an, auf einer Couch abzuliegen, und legte sich auf sie. Zum Geschlechtsverkehr kam es jedoch während des Sanatoriumsaufenthaltes der Patientin noch nicht. Dagegen fassten die beiden den Plan, miteinander eine Ferienreise zu machen. Nachher sollte Doris X. zur ambulanten Behandlung in das Sanatorium zurückkehren und sich von dort aus zur Arztgehilfin ausbilden lassen.
Am 18. August 1956 wurde Doris X. aus dem Sanatorium nach Hause entlassen, da sich ihr Gesundheitszustand gebessert habe. Auf Empfehlung des behandelnden Arztes hatte sich Vater X. damit einverstanden erklärt, seine Tochter allein eine Ferienreise nach Italien machen zu lassen. In Wirklichkeit trafen sich Doris X. und der Arzt am 23. August 1956 abredegemäss in Arth-Goldau und unternahmen im Auto des Arztes eine dreiwöchige Reise nach Italien und Südfrankreich, auf der sie jeweils im Zelt übernachteten und öfters miteinander geschlechtlich verkehrten. Die intimen Beziehungen wurden auch nach der
BGE 92 II 15 S. 16
Rückkehr aus den Ferien in der Privatwohnung des Arztes während der Ferienabwesenheit seiner Ehefrau fortgesetzt. Mit Schreiben vom 16. September 1956, von dem weder die Anstaltsleitung noch der Chefarzt Kenntnis erhielten, teilte Dr. Y. dem Vater X. mit, seine Tochter habe sich aus den Ferien bei ihm zurückgemeldet; sie sei in sehr gutem Zustand und scheine die Ferien gut benutzt zu haben. Er schlug vor, die Tochter als Arztgehilfin ausbilden zu lassen, und anerbot sich, sie weiterhin ärztlich zu betreuen.
Der Chefarzt des Sanatoriums erhielt am Tage der Rückkehr des Assistenzarztes aus den Ferien Kenntnis vom wahren Sachverhalt. Er kündigte dem Assistenten unverzüglich und lehnte es ab, Doris X. wieder in das Sanatorium aufzunehmen. Dr. Y. verliess im November 1956 mit seiner Familie die Schweiz und liess sich in Italien nieder. Doris X. hatte vergeblich versucht, ihn zurückzuhalten und zu überreden, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten. Sie verfiel deshalb von neuem in nervöse Depressionen und musste in der Zeit von Anfang Dezember 1956 bis Ende April 1957 wiederholt in verschiedenen Nervenheilanstalten zur Behandlung untergebracht werden. Am 13. März 1957 gestand sie ihrem Vater, mit Dr. Y. ein Liebesverhältnis mit intimen Beziehungen gehabt zu haben. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass ihre ursprünglich vorgesehene Ausbildung als Lehrerin nicht mehr in Betracht komme, machte sie 1958 eine Postlehre. Hierauf war sie zunächst vollamtlich als Postgehilfin und dann vom Frühjahr 1963 bis zu ihrer Verheiratung im Frühjahr 1964 halbtägig als Privatangestellte des Posthalters auf einem Postamt tätig.
Dr. Y. wurde vom Obergericht des Kantons Bern mit Urteil vom 18. März 1960 wegen Unzucht mit einem Anstaltspflegling im Sinne von
Art. 193 Abs. 2 StGB
bedingt zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Das Gericht erblickte die strafbare unzüchtige Handlung darin, dass er sich im Sanatorium auf der Couch auf die Patientin gelegt hatte.
B.-
Mit Klage vom 26. September 1963 belangten Doris X. und ihr Vater das Nervensanatorium gestützt auf
Art. 101 OR
(Haftung für Hilfspersonen) auf Ersatz des ihnen aus dem Verhalten des Assistenzarztes der Beklagten erwachsenen Schadens, sowie auf Genugtuung.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie machte geltend, die Voraussetzungen für die Anwendung des
Art. 101
BGE 92 II 15 S. 17
OR
seien nicht erfüllt, und erhob verschiedene weitere Bestreitungen und Einreden (Fehlen eines Kausalzusammenhanges zwischem dem Verhalten des behandelnden Arztes und dem geltend gemachten Schaden, Nichtlegitimation des Vaters X., Verjährung).
C.-
Der Appellationshof des Kantons Bern beschränkte das Verfahren auf die Frage der grundsätzlichen Haftung der Beklagten. Er kam zum Schlusse, der von der Beklagten als Hilfsperson beigezogene Arzt habe die Handlungen, aus denen die Kläger ihre Ansprüche ableiten, nicht in Ausübung, sondern nur bei Gelegenheit seiner Verrichtungen begangen, weshalb die Beklagte für den dadurch den Klägern allenfalls verursachten Schaden nicht einzustehen habe. Der Appellationshof wies demgemäss die Klage mit Urteil vom 2. Dezember 1964 ohne Prüfung aller weiteren Fragen ab.
D.-
Gegen das ihnen am 7. August 1965 zugestellte Urteil des Appellationshofes haben die Kläger die Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Beklagte zur Bezahlung einer Genugtuungssumme von Fr. 10'000.-- an die Erstklägerin und von Schadenersatz- und Genugtuungsleistungen von Fr. 8'214.95 an den Zweitkläger, je nebst Zinsen, zu verurteilen und die Sache zur Festsetzung der Höhe der Schadenersatzansprüche der Erstklägerin an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventuell beantragen sie die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Festsetzung der Höhe sämtlicher Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche beider Kläger.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
hat die Berufungsschrift genau anzugeben, welche Abänderungen des angefochtenen Entscheides beantragt werden, d.h. welchen Sachentscheid das Bundesgericht nach Auffassung des Berufungsklägers fällen soll. Das Gesetz verlangt also einen materiellen Berufungsantrag, mit dem die ganze oder teilweise Gutheissung eines von der Vorinstanz abgewiesenen Klagebegehrens unter genauer Bezifferung des vor Bundesgericht noch geforderten Betrages beantragt wird (
BGE 71 II 186
,
BGE 91 II 283
und dort erwähnte Entscheide; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 200).
BGE 92 II 15 S. 18
Ein materieller Berufungsantrag dieser Art fehlt im vorliegenden Falle hinsichtlich des von der Erstklägerin erhobenen Schadenersatzanspruchs; der in Bezug hierauf allein gestellte Rückweisungsantrag ist prozessualer Natur.
Über den Mangel eines materiellen Berufungsantrages kann jedoch hinweggesehen werden; denn selbst wenn das Bundesgericht die Haftbarkeit der Beklagten grundsätzlich bejahen würde, könnte es kein abschliessendes Urteil fällen, sondern es müsste die Sache zur Ermittlung der Höhe der Schadenersatzanspruches der Erstklägerin an die Vorinstanz zurückweisen. Bei solcher Sachlage lässt aber die Rechtsprechung den bloss prozessualen Antrag auf Rückweisung genügen (
BGE 91 II 283
und dortige Hinweise). Auf die Berufung ist daher auch bezüglich der Schadenersatzforderung der Erstklägerin einzutreten.
2.
Die Parteien sind darüber einig, dass die Beklagte den bei ihr angestellten Assistenzarzt Dr. Y. als Hilfsperson im Sinne von
Art. 101 OR
zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten aus einem von ihr mit der Erstklägerin abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrag beigezogen hat und daher für sein Verhalten einstehen muss, soweit er nicht nur bei Gelegenheit, sondern in Ausübung seiner Verrichtungen gehandelt hat. Streitig ist dagegen, ob letztere Voraussetzung erfüllt ist.
3.
Damit angenommen werden kann, die Hilfsperson habe in Ausübung ihrer Verrichtungen gehandelt, genügt nach Lehre und Rechtsprechung nicht jeder zeitliche oder räumliche Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der Schädigung des Vertragspartners des Geschäftsherrn, sondern es bedarf weiter eines funktionellen Zusammenhanges in dem Sinne, dass die schädigende Handlung zugleich eine Nichterfüllung oder schlechte Erfüllung der Schuldpflicht des Geschäftsherrn aus seinem Vertrag mit dem Geschädigten darstellt (
BGE 90 II 17
,
BGE 85 II 270
). Die Haftungsbestimmung des
Art. 101 OR
beruht auf dem Gedanken, wer Hilfspersonen beiziehe, um eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen, müsse sich das Verhalten der Hilfsperson wie ein eigenes anrechnen lassen, soweit es mit der Erfüllung des in Frage stehenden Vertrages in sachlicher Beziehung steht. Massgebend ist somit, ob der Geschäftsherr, wenn er die von der Hilfsperson begangene schädigende Handlung selber vorgenommen hätte, dafür vertraglich (und nicht etwa nur aus unerlaubter Handlung) haften würde (BECKER, 2. Aufl.,
Art. 101 OR
N. 14; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht,
BGE 92 II 15 S. 19
2. Aufl., II/1 S. 111). Trifft dies zu, so hat er auch für das Verhalten der Hilfsperson einzustehen, die für ihn, an seiner Stelle, tätig geworden ist, und kann sich von der Schadenersatzpflicht nur durch den Nachweis befreien, dass auch ihm selber, wenn er gleich gehandelt hätte wie die Hilfsperson, kein Verschulden vorgeworfen werden könnte (BECKER,
Art. 101 OR
N. 15 i.f.; OFTINGER a.a.O. S. 112;
BGE 70 II 221
).
Es ist daher abzuklären, welche vertraglichen Pflichten der Beklagten aus dem Vertrag erwuchsen, den sie mit der Erstklägerin (bzw. mit dem für diese handelnden Vater, dem Zweitkläger) abgeschlossen hatte. Dabei handelte es sich um einen sog. Hospitalisierungsvertrag, durch den sich die Beklagte verpflichtete, der Erstklägerin einerseits in ihrem Nervensanatorium Unterkunft und Verpflegung zu gewähren, und sie anderseits wegen ihres Leidens ärztlich zu behandeln und sie wenn möglich zu heilen. Dass keiner der Teilhaber der Kollektivgesellschaft, die damals das Sanatorium betrieb, die ärztliche Behandlung selber übernehmen konnte, sondern dafür eine ärztlich ausgebildete Hilfsperson zuziehen musste, ist belanglos. Entscheidend ist, dass die Beklagte diese Pflicht vertraglich übernommen hatte; dem Gläubiger dürfen keine Nachteile daraus erwachsen, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht in eigener Person erfüllen kann oder erfüllen will.
Im Rahmen dieser ärztlichen Behandlung waren in positiver Hinsicht die nach anerkannten medizinischen Grundsätzen gebotenen therapeutischen Massnahmen zu treffen. In negativer Beziehung hatte alles zu unterbleiben, was den guten Erfolg der Behandlung gefährden konnte. Da die Erstklägerin an depressiven Störungen litt, hatte die ärztliche Behandlung darin zu bestehen, ihr psychisches Verhalten so zu beeinflussen und zu lenken, dass sie ihr seelisches Gleichgewicht zurückgewinne. Es versteht sich nun von selbst, dass der behandelnde Arzt durch die Anknüpfung eines nach den gegebenen Umständen aussichtslosen Liebesverhältnisses mit der Erstklägerin das mit der Behandlung angestrebte Resultat keineswegs förderte, sondern gegenteils in hohem Masse gefährdete. Sein Verhalten verletzte somit eine der Beklagten obliegende vertragliche Unterlassungspflicht und stellte darum eine schlechte Erfüllung der Schuldpflicht der Beklagten dar. Diese muss sich deshalb gemäss den oben dargelegten Grundsätzen sein Handeln wie ein eigenes anrechnen lassen.
BGE 92 II 15 S. 20
4.
Die Vorinstanz verneint eine Haftung der Beklagten, weil das Verhalten des behandelnden Arztes mit anerkannten Grundsätzen einer seriösen medizinischen Behandlung unvereinbar gewesen sei und darum mit dem der Beklagten erteilten Auftrag nichts mehr zu tun gehabt habe; der behandelnde Arzt habe vielmehr gerade das Gegenteil von dem getan, was angezeigt gewesen wäre, und habe in ihm erkennbarer Weise der von der Beklagten übernommenen Schuldpflicht zuwidergehandelt.
Damit verkennt die Vorinstanz das Wesen der vom Gesetz vorgesehenen Haftung für Hilfspersonen von Grund auf. Entscheidend ist, wie oben dargelegt wurde, dass der behandelnde Arzt mit seinem Verhalten eine Vertragspflicht der Beklagten verletzte. Dass ihm dies erkennbar war und er damit zugleich eine zivilrechtlich unerlaubte und strafrechtliche verfolgbare Handlung beging, für die er auch persönlich einzustehen hat, befreit die Beklagte nicht von der Verantwortlichkeit für die Folgen der Vertragsverletzung. Die Auffassung der Vorinstanz hätte zur Folge, dass eine Haftung der Vertragspartei um so eher verneint werden müsste, je gröber deren Hilfsperson ihre Pflichten verletzt hätte. Damit würde im Endergebnis der Anwendungsbereich des
Art. 101 OR
auf jene Fälle beschränkt, in denen die Hilfsperson die dem Geschäftsherrn obliegenden Vertragspflichten, mit deren Verrichtung sie betraut worden ist, klaglos erfüllt.
Art. 101 OR
bezweckt aber gerade, den Geschäftsherrn auch für mangelhafte Erfüllungshandlungen und für unrichtige und schädliche Massnahmen der Hilfsperson haften zu lassen. Er hat daher nicht nur für den Schaden einzustehen, den die Hilfsperson dem Gläubiger durch mangelnde Sorgfalt in der Erfüllung der ihr übertragenen Verrichtungen verursacht, sondern er haftet auch für Schaden, der dadurch entsteht, dass die Hilfsperson den Rahmen der ihr erteilten Befugnisse überschreitet, ja sogar, wenn sie ausdrücklichen Weisungen des Geschäftsherrn zuwiderhandelt (
BGE 90 II 20
lit. d,
BGE 85 II 271
) oder den Gläubiger durch bewusste Verletzung einer Vertragspflicht absichtlich schädigt und so die ihr übertragene Vertragserfüllung unmöglich macht (BECKER,
Art. 101 OR
N. 16; VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 567 f.; OFTINGER, op.cit. II/1 S. 146 f.).
Die erste Voraussetzung der Haftung der Beklagten, nämlich dass Dr. Y. in Ausübung der ihm übertragenen Verrichtungen handelte, als er sich mit der Erstklägerin in ein Liebesverhältnis einliess, ist somit erfüllt.
BGE 92 II 15 S. 21
5.
Die Beklagte macht geltend, sie könne auf jeden Fall nur für die von ihrem Assistenzarzt während des Sanatoriumsaufenthalts der Erstklägerin begangenen Handlungen verantwortlich gemacht werden. Die Vorgänge, die sich nach dem Austritt der Erstklägerin aus dem Sanatorium, auf der Ferienreise im Ausland ereigneten, besonders also die geschlechtlichen Beziehungen des Arztes mit der Erstklägerin, hätten dagegen ausser Betracht zu bleiben.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die ärztliche Behandlung der Erstklägerin war mit ihrer Entlassung aus dem Sanatorium nicht abgeschlossen. Es war vorgesehen, dass die Patientin nach den Ferien wieder dorthin zurückkehre und vom Assistenzarzt auch weiterhin betreut werden sollte. Der Plan, gemeinsame Ferien zu verbringen, wurde während des Sanatoriumsaufenthaltes gefasst und liess sich nur verwirklichen, weil der behandelnde Arzt in einem Bericht und in mündlichen Besprechungen den Eltern der Erstklägerin empfahl, sie allein eine Ferienreise unternehmen zu lassen. Dieser Rat erfolgte also unzweifelhaft im Rahmen der ärztlichen Behandlung. Dabei war sich der Arzt nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz bewusst, dass es während der gemeinsamen Ferien zum Geschlechtsverkehr kommen werde. Auch der Bericht, den der Arzt nach der Rückkehr aus den Ferien am 16. September 1956 dem Vater der Klägerin erstattete und bestimmte therapeutische Massnahmen sowie die weitere ärztliche Betreuung der Klägerin vorschlug, zeigt deutlich, dass die ärztliche Behandlung damals noch nicht abgeschlossen war. Die Beklagte hat deshalb auch für das Verhalten ihres Angestellten während der Ferienreise und nach der Rückkehr von dieser einzustehen.
6.
Da die Klage entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mit der Begründung abgewiesen werden kann, der Arzt habe als Hilfsperson der Beklagten nicht in Ausübung seiner Verrichtungen gehandelt, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Beurteilung aller weiteren Voraussetzungen der von den Klägern erhobenen Schadenersatzansprüche. Sie wird insbesondere zu prüfen haben, ob und inwieweit ein rechtserheblicher Kausalzusammenhang besteht zwischen dem Verhalten des behandelnden Arztes und den von den Klägern behaupteten Schadensfolgen (Notwendigkeit weiterer psychiatrischer Behandlung und
BGE 92 II 15 S. 22
weiterer Anstaltsaufenthalte der Erstklägerin, Beeinträchtigung derselben in ihrer Berufswahl usw.). Ebenso hat die Vorinstanz über die von der Beklagten bestrittene Klagelegitimation des Zweitklägers zu befinden und zu der Verjährungseinrede der Beklagten Stellung zu nehmen. Auch über die Begründetheit der von den Klägern erhobenen Genugtuungsforderungen kann entgegen der Meinung der Berufung ohne Abklärung der weiteren Klagevoraussetzungen nicht entschieden werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Appellationshofs des Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 2. Dezember 1964 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02b88463-d669-40fa-b3ec-9d589c30df2d | Urteilskopf
117 V 71
10. Urteil vom 11. Januar 1991 i.S. X gegen Bundesamt für Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 23 Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 1 MVG
: Bemessung des Integritätsschadens und Beginn der Integritätsrente.
- Bemessung des Integritätsschadens (Zusammenfassung der Rechtsprechung; Erw. 3a).
- Die Beeinträchtigung der Integrität bemisst sich an den Folgen, welche die geschädigte Gesundheit auf primäre Lebensfunktionen hat (Erw. 3a/bb/aaa).
- Der Integritätsschadensgrad kann 60% übersteigen, richtet sich jedoch weder direkt noch analogieweise nach den Ansätzen gemäss Anhang 3 zur UVV (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 3c/aa).
- Bemessung des Integritätsschadens bei mehreren körperlichen Beeinträchtigungen (Erw. 3c/bb).
- Unerheblich für die Bemessung des Integritätsschadens ist, ob dieser mit einem Hilfsmittel ganz oder teilweise ausgeglichen werden kann (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 3c/cc).
- Verlust beider Hände, Perforationsverletzung eines Auges mit Hornhautnarbe und Narben im Gesicht mit 70% bemessen (Erw. 3d).
- In Fällen von Gliederverlusten ist der Beginn der Rente auf jenen Zeitpunkt festzusetzen, in welchem die Stumpfverhältnisse im wesentlichen prognostizierbar sind und Rehabilitationsmassnahmen der plastischen Chirurgie ausser Betracht fallen. Prothetische Versorgung, Anpassung und Angewöhnung sind unerheblich (Erw. 4b).
Art. 25bis MVG
: Anpassung der Rente. Dem Erfordernis der vollen Anpassung an die Teuerung ist Genüge getan, wenn es mit der Zeit zu einem vollen Teuerungsausgleich kommt (Erw. 5).
Art. 25 Abs. 2 und
Art. 37 Abs. 1 MVG
: Auskauf der Integritätsrente.
- Die 4. Auflage der Barwerttafeln Stauffer/Schaetzle ist auf alle noch nicht rechtskräftig erledigten Fälle anzuwenden (Erw. 6b).
- Dem Auskauf ist grundsätzlich der massgebliche Jahresverdienst am 1. Januar des vollen bzw. des folgenden Rentenjahres zugrunde zu legen. Ergeht die Verfügung über den Auskauf nach dem Folgejahr, so ist der im der Verfügung massgebliche Jahresverdienst heranzuziehen (Erw. 6c). | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 117 V 71 S. 73
A.-
X erlitt im Militärdienst im September 1984 bei der Behebung eines Defekts an einer Panzerhaubitze zusammen mit zwei weiteren Wehrmännern einen schweren Unfall. Gemäss Bericht des Kreisarztes Dr. med. B. vom 8. November 1985 blieben folgende Unfallfolgen zurück:
"1) Status nach Amputation rechte Hand im Radiocarpalgelenk.
2) Status nach Amputation linke Hand im Vorderarmbereich distal.
3) Status nach Perforationsverletzung rechtes Auge mit Hornhautnarbe und entrundeter Pupille nach Hornhautnaht, Kontrolle des linken Auges, Iridectomie nasalis inferior mit anterioren Synechien. Visus 1,5-1,25 ohne Korrektur. Bezüglich rechtem Auge keine Arbeitsbeeinträchtigung.
4) Audiogramm normal.
5) Status nach multiplen Gesichtsverletzungen.
6) Multiple Zahnverletzungen."
BGE 117 V 71 S. 74
Das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) anerkannte die volle Bundeshaftung der Militärversicherung und sprach X im Zusammenhang mit der medizinischen, persönlichen und beruflichen Rehabilitation eine Vielzahl von Leistungen zu. Im Anschluss an einen Zwischenbericht des Inselspitals Bern vom 8. August 1985 und an eine kreisärztliche Untersuchung vom 7. November 1985 prüfte es die Frage der Integritätsrente und erliess am 4. Dezember 1985 eine vorläufige Mitteilung, welche auf folgenden Rentenelementen beruhte:
- Bundeshaftung: 100%
- Rentenansatz bis 31.12.1985: Fr. 15'000.--
ab 01.01.1986: Fr. 15'750.--
- Leistungsansatz: 85%
- Integritätsschaden: 60%
- Rentendauer: vom 1.8.1985 hinweg für unbestimmte Zeit
Ferner wurde die Integritätsrente mit dem Betrag von Fr. 190'450.60 von Amtes wegen auf den 1. Januar 1986 ausgekauft. Auf Einspruch des X hin, womit dieser Rentenansatz und Integritätsschadenshöhe beanstandete, hielt das BAMV am 7. März 1986 an der vorläufigen Mitteilung mit einem gleichlautenden Vorschlag fest. Im Anschluss an die beiden Urteile Gasser (
BGE 112 V 376
) und Beiner (BGE
BGE 112 V 387
) des Eidg. Versicherungsgerichts berechnete das BAMV die Integritätsrente neu, indem es statt den bisher herangezogenen Fr. 15'000.-- und Fr. 15'750.-- einen Rentenansatz von Fr. 25'934.-- und Fr. 26'972.-- anwendete, was zu einer Erhöhung der Auskaufssumme von Fr. 190'450.60 auf Fr. 326'147.65 führte. Dementsprechend änderte es mit Verfügung vom 5. August 1987 die Rentenelemente ab und sprach X vom 1. August 1985 hinweg für unbestimmte Zeit eine Integritätsrente von 60% zu, welche auf den 1. Januar 1986 mit Fr. 326'147.65 (Fr. 26'972.--x0,85x0,5 [recte 0,6]xLebenserwartungsindex 23,71) ausgekauft wurde.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 28. November 1988 teilweise gut, indem es den Beginn der Rente auf den 1. April 1985 festsetzte; im übrigen wies es die Beschwerde ab.
C.-
X lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, das BAMV sei zu verpflichten, ihm mit Wirkung ab 22. September 1984 eine Integritätsrente in der Höhe von mindestens 75% auf anrechenbaren Jahresverdiensten von
BGE 117 V 71 S. 75
Fr. 26'160.-- (bis 31. Dezember 1984), Fr. 27'120.-- (1985) und Fr. 27'240.-- (ab 1. Januar 1986) zuzusprechen.
Das BAMV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Kognition)
2.
(Rechtliches Gehör)
3.
Streitig ist zunächst die Höhe des Integritätsschadensgrades. Während BAMV und kantonales Gericht die Abgeltung der Integritätseinbusse mit 60% für angemessen halten, beantragt der Beschwerdeführer eine solche mit mindestens 75%.
a) Kann von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden, so ist eine Invalidenrente auszurichten, wenn der versicherte Gesundheitsschaden eine voraussichtlich bleibende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit hinterlässt, oder eine Integritätsrente, wenn er eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität zur Folge hat (
Art. 23 Abs. 1 MVG
).
aa)
Art. 23 Abs. 1 MVG
in seiner ursprünglichen, bis Ende Dezember 1963 in Kraft gewesenen Fassung setzte eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität voraus. Das prägte die Rechtspraxis insofern, als sich die meisten gerichtlich beurteilten Fälle um die Frage drehten, ob eine solch schwere Beeinträchtigung der Integrität vorliege oder nicht. Das Eidg. Versicherungsgericht verneinte den schweren Integritätsschaden beim Verlust der letzten und zweier Drittel der mittleren Phalanx des linken Zeigefingers (unveröffentlichtes Urteil B. vom 1. Februar 1950), bei ausgeheilter Lungen-Tbc mit einseitigem Pneumothorax ohne Dyspnoe und ohne irgendwelche Organbeschwerden (unveröffentlichtes Urteil P. vom 16. Februar 1950) und selbst bei einem beidseitigen Pneumothorax (unveröffentlichtes Urteil St. vom 30. Juni 1952), bei einem Status nach Thoraxplastik und Bilobektomie nach Lungen-Tbc (unveröffentlichtes Urteil B. vom 31. Januar 1961), bei Netzhautablösung (EVGE 1955 S. 155) und bei einem teilweise kompensierten Diabetes (unveröffentlichtes Urteil G. vom 25. Juli 1958). Das Gericht bejahte den schweren Integritätsschaden im Falle des Verlustes eines Auges bei erhalten gebliebenem Augapfel (20%; unveröffentlichtes Urteil K. vom 17. September 1958), bei Knieversteifung (25%, zusammen mit
BGE 117 V 71 S. 76
erwerblicher Beeinträchtigung; EVGE 1954 S. 254 Erw. 2) und bei Verlust einer Niere (unveröffentlichtes Urteil W. vom 13. April 1961). Nur sogenannte einschneidende Störungen des Lebensgenusses begründeten den Integritätsrentenanspruch (unveröffentlichtes Urteil S. vom 12. Juni 1959). Zu beachten ist, dass nach der damaligen Rechtspraxis bei Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit und einer Integritätseinbusse der höhere Schaden abgegolten, die niedrigere andere Beeinträchtigung aber nicht vollständig ausser acht gelassen wurde, dies im Sinne der im Rahmen von
Art. 25 Abs. 3 MVG
während Jahrzehnten angewendeten Kombinationsmethode (EVGE 1954 S. 253, 1966 S. 151 Erw. 2; unveröffentlichtes Urteil B. vom 28. Februar 1967). Erst mit dem Urteil Rey vom 27. November 1970 (
BGE 96 V 113
Erw. 2d; bestätigt in
BGE 105 V 322
Erw. 1b) wurde diese Kombinationsmethode aufgegeben, weil im Rahmen von
Art. 25 Abs. 3 MVG
weder eine Kumulation noch eine Kombination zulässig sei. Diese Rechtsprechung änderte das Eidg. Versicherungsgericht nochmals mit
BGE 110 V 117
(Urteil Andres vom 23. Mai 1984). Die angeführten Änderungen bezüglich der Gesamtrente nach
Art. 25 Abs. 3 MVG
mögen mit ein Grund dafür gewesen sein, dass sich bezüglich der Festsetzung des Invaliditätsschadensgrades keine kohärente und umfassende Gerichtspraxis herausbilden konnte, weshalb es weitgehend bei dem der Militärversicherung mit
Art. 25 Abs. 1 MVG
eingeräumten weiten Ermessen blieb.
bb) Den Übergang zur erheblichen Beeinträchtigung der Integrität gemäss
Art. 23 Abs. 1 MVG
in der revidierten, am 1. Januar 1964 in Kraft getretenen Fassung legte das Eidg. Versicherungsgericht dahingehend aus, dass zwar nach wie vor leichte Integritätsschäden nicht zu einer Rente berechtigen würden; die Anforderungen dürften aber auch nicht übersetzt werden. Mit dem Kriterium der Erheblichkeit sei eine mittlere Stufe zwischen den schweren und leichten Integritätsschäden getroffen worden. Ergebe die Vergleichung des Zustandes, wie er vor dem Eintritt des Versicherungsfalles bestand, mit dem beeinträchtigten Zustand, dass der Wehrpflichtige durch die versicherte Gesundheitsschädigung in seinem Lebensgenuss beachtlich eingeschränkt werde, so sei der Rentenanspruch grundsätzlich zu bejahen (EVGE 1964 S. 213 Erw. 4a; vgl. auch BBl 1963 I 857).
aaa) Ein Integritätsschaden gibt grundsätzlich dann Anspruch auf eine Rente der Militärversicherung, wenn der Versicherte objektiverweise im Lebensgenuss erheblich eingeschränkt ist.
BGE 117 V 71 S. 77
Rechtserheblich in diesem Sinne ist die Störung primärer Lebensfunktionen, nicht auch die blosse Behinderung in der sonstigen Lebensgestaltung wie beispielsweise beim Sport, bei der Teilnahme an gesellschaftlichen Anlässen und dergleichen (
BGE 113 V 143
Erw. 2c,
BGE 112 V 380
Erw. 1b und 389 Erw. 1a mit Hinweis). Die Rente für erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität wird in Würdigung aller Umstände nach billigem Ermessen festgesetzt (
Art. 25 Abs. 1 MVG
).
Nach der Rechtsprechung wird die Beeinträchtigung prozentmässig ermittelt aufgrund vergleichender Betrachtung des funktionell-anatomischen Zustandes vor und nach Eintritt des versicherten Gesundheitsschadens (
BGE 113 V 143
Erw. 2c,
BGE 112 V 390
Erw. 1a mit Hinweisen). Das Eidg. Versicherungsgericht hat aber bereits in EVGE 1968 S. 98 klargestellt, dass aus dieser Formulierung der Ermittlung des Prozentsatzes aufgrund vergleichender Betrachtung des funktionell-anatomischen Zustandes vor und nach Eintritt des versicherten Gesundheitsschadens nicht geschlossen werden dürfe, es handle sich bei der prozentualen Integritätsschädigung um "einen rein medizinischen Vergleichsbegriff". Bei der Schätzung der Integritätsbeeinträchtigung ist so wenig wie bei der Bemessung der Erwerbsfähigkeit nur auf die vergleichende medizinisch-theoretische Beurteilung des Gesundheitszustandes vor und nach Eintritt der Behinderung abzustellen. Das Gericht hat von Anfang an erklärt, dass nicht die aus dem Vergleich des medizinischen Zustandes hervorgehende Prozentzahl die Integritätsfrage entscheidet, sondern das Ausmass, in dem der Versicherte infolge Störung primärer Lebensfunktionen im Lebensgenuss eingeschränkt ist. Diese Einschränkung kann aber - objektiv betrachtet - unter Umständen auch dann nur gering sein, wenn die rein medizinische Betrachtung eine Beschränkung von beträchtlichem Ausmass ergäbe. Auch das Umgekehrte ist denkbar. Der für die Berechnung der Integritätsrente massgebende Prozentsatz ist folglich das Ergebnis rechtlicher Würdigung, nämlich die prozentuale Beeinträchtigung der Integrität in den Grenzen ermessensmässiger Abschätzung (EVGE 1968 S. 98 mit Hinweis auf EVGE 1966 S. 153). Daraus folgt, dass nicht der Gesundheitsschaden als solcher die Integritätsbeeinträchtigung darstellt; vielmehr bemisst sich die Integritätsbeeinträchtigung an den Folgen, welche die geschädigte Gesundheit auf primäre Lebensfunktionen hat. Dabei kann die feinstmögliche Einschätzung mit +/- 5% erfolgen, weil eine Abstufung der Integritätsrente nach einzelnen
BGE 117 V 71 S. 78
Prozenten in der Praxis nicht durchführbar wäre (unveröffentlichtes Urteil St. vom 12. Juli 1988).
bbb) Ein Überblick über die von der Rechtsprechung unter der Herrschaft des revidierten MVG beurteilten Einzelfälle (vgl. hiezu auch GLAUSER, Die Integritätsschadenpraxis der Militärversicherung, in: Schweizerische Ärztezeitung, Bd. 71 [1990], S. 387) ergibt folgendes Bild:
Im Bereich der an der Erheblichkeitsschwelle von 5% liegenden Integritätsbeeinträchtigungen finden sich namentlich nicht besonders schwere Sinnesschädigungen, so der Hörfähigkeit (EVGE 1964 S. 214 Erw. 4b; unveröffentlichtes Urteil Sch. vom 16. Oktober 1979, bestätigt im unveröffentlichten Urteil R. vom 9. März 1988; ebenso unveröffentlichtes Urteil D. vom 12. Januar 1976). Status nach doppelseitiger kavernöser Lungen-Tbc mit Verminderung der Vitalkapazität um 1/3 wurde mit 5% bemessen (unveröffentlichtes Urteil M. vom 19. Juli 1989), ebenso ein geringfügiger Knieschaden (erwähntes Urteil St. vom 12. Juli 1988).
Im Bereich von 10-20% finden sich schwerere Sinnesschädigungen (unveröffentlichtes Urteil D. vom 19. November 1975, 15% für beidseitigen Hörschaden; unveröffentlichtes Urteil M. vom 18. Oktober 1983, 10% für Verlust des Geschmacks- und Geruchssinnes, verbunden mit leichten Sicht- und Erinnerungsschwierigkeiten; erwähntes Urteil B. vom 28. Februar 1967, 20% für Verlust der Sehfähigkeit des rechten Auges) und schwerere internmedizinische Beeinträchtigungen oder solche der Extremitäten (unveröffentlichtes Urteil Sch. vom 28. August 1968, linksseitige Peronäuslähmung, 10%; EVGE 1966 S. 148, 10% für Schmerzen im linken Bein, Hinken und Stockbedürftigkeit; EVGE 1968 S. 88, 10% für stark verschwartete rechte Lunge mit eingeschränkter Lungenfunktion).
Im Bereich der schweren Beeinträchtigungen erleidet ein Versicherter nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts einen Integritätsschaden von rund 50%, wenn er beide Beine verliert, und einen solchen von rund 55-60%, wenn er sowohl ein Bein als auch einen Arm verliert. 100%ig ist der Integritätsschaden nicht schon bei jeder erheblichen Beeinträchtigung einer primären vitalen Funktion, sondern erst, wenn praktisch alle primären Lebensfunktionen erheblich beeinträchtigt sind (unveröffentlichtes Urteil K. vom 12. November 1975). Diese Grundsätze führten im erwähnten Urteil K. vom 12. November 1975 im Falle einer Amputation des rechten Oberschenkels im oberen Drittel zu einem
BGE 117 V 71 S. 79
Integritätsschadensgrad von 40%. In
BGE 113 V 140
hat das Eidg. Versicherungsgericht die Festsetzung des Integritätsschadens auf 65% im Falle eines Versicherten, der an vollständiger Paraplegie beider Beine und an Störungen der Blasen- und Darmentleerung sowie der Sexualfunktion litt, unbeanstandet gelassen (
BGE 113 V 143
Erw. 3a in Verbindung mit 145 vor Erw. 4). 70% wurden anerkannt für den Verlust beider Beine eines 25jährigen Versicherten mit zusätzlichen Beeinträchtigungen, aber intakter Psyche (
BGE 96 V 114
Erw. 3a) und ebenfalls 70% für den Verlust eines Beines und des rechten Armes, mit zusätzlich verstümmelter linker Hand und lumbalen Schmerzen (unveröffentlichtes Urteil B. vom 18. September 1973).
ccc) Insoweit das BAMV im Rahmen dieser Rechtsprechung versucht, durch interne Weisungen, Richtlinien, Tabellen, Skalen usw. eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten zu gewährleisten, ist dies nach ständiger Rechtsprechung im Grundsatz nicht zu beanstanden (erwähntes Urteil St. vom 12. Juli 1988, unveröffentlichte Urteile M. vom 26. Oktober 1987 und H. vom 2. Dezember 1986). Das heisst indessen noch nicht, dass diese Grobraster und Faustregeln ohne weiteres rechtlich zutreffend und im Einzelfall angemessen sind, wie nachfolgend in verschiedener Richtung darzutun sein wird.
b) Das BAMV bemass den Integritätsschadensgrad mit 60% gestützt auf den Bericht des Kreisarztes Dr. med. B. vom 8. November 1985. Darin wurde folgendes festgehalten:
"Bei beidseitiger Handamputation bei hier den linken Ellenbogen überragender Prothese (geringere Beweglichkeit mit Prothese links) erreicht der Integritätsschaden 40-50%. Der Status nach Iridectomie rechts mit dezentraler Cornealnarbe und die Gesichtsnarben wirken sich erhöhend aus. Die Neigung zum Schwitzen erschwert die Prothesenbetätigung, wo der Patient noch nicht das Optimum erreicht hat."
Auf dieser Grundlage bewertete der Chefarzt des BAMV den Integritätsschaden folgendermassen (Aktennotiz vom 20. November 1985):
"Der Integritätsschaden ist zweifellos als sehr schwer einzustufen.
Unseren Regeln folgend muss allein schon der totale Verlust der
Greiffunktion - auch wenn die Prothesen diesen Verlust teilweise
wettmachen - mit 50% Integritätsverlust gleichgesetzt werden; dazu kommen
noch die kosmetische Beeinträchtigung und die psychische Belastung, die für
sich allein nochmals als selbständiger erheblicher Integritätsschaden zu
gelten haben. Der Gesamtintegritätsschaden muss deshalb mit 60% bewertet werden."
BGE 117 V 71 S. 80
Das kantonale Gericht erwog, die vom BAMV angewandte Methode der Bemessung des Integritätsschadens sei nicht zu beanstanden, habe doch das Eidg. Versicherungsgericht bestätigt, dass die Richtwerte gemäss Anhang 3 zur UVV für die Militärversicherung grundsätzlich nicht, auch nicht analogieweise anwendbar seien (
BGE 113 V 143
Erw. 3b). Die Festsetzung auf 60% entspreche den durch den früheren und jetzigen Chefarzt des BAMV am 20. November 1985 bzw. am 10. Juni 1987 vorgenommenen Beurteilungen, welche miteinander übereinstimmen würden. Der Beschwerdeführer bringe nichts vor, was daran Zweifel wecken würde. Die Festsetzung des Integritätsschadensgrades auf 60% sei insbesondere auch im Vergleich zum bereits erwähnten Urteil
BGE 113 V 140
angemessen, wo das Eidg. Versicherungsgericht einen Integritätsschaden von 65% für vollständige Paraplegie beider Beine und Störungen der Blasen- und Darmentleerung sowie der Sexualfunktion "bestätigt" habe.
Der Beschwerdeführer beanstandet in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zunächst, dass das BAMV in seiner Praxis Schwerstschädigungen lediglich bis zu 60% einstufe; damit anerkenne "die Militärversicherung expressis verbis, dass ihre Skala etwa bei 60 und nicht bei 100 endet - ein totaler Widerspruch für eine Prozentsatzskala (von 100)". Zweitens rügt es der Beschwerdeführer als Verstoss gegen das Gebot des
Art. 25 Abs. 1 MVG
, alle Umstände zu würdigen, wenn das BAMV in seiner Integritätsschadenstabelle vom 11. Mai 1987 für den Verlust einer Hand 25% einsetze und für die Amputation beider Hände eine rein proportional höhere Einbusse, somit von 50%, annehme. Der Verlust beider Hände habe für den Betroffenen vielmehr eine proportional höhere Einbusse zur Folge als der Verlust einer Hand, indem der beidseits Amputierte "überhaupt nichts mehr ertasten, fühlen, berühren, greifen, halten, streicheln usw." könne; wenn der Verlust einer Hand gemäss Praxis des BAMV 25% Einbusse bedeute, müsse der Verlust "beider Hände mehr als das Doppelte, also ca. das Dreifache, mithin 75% ausmachen". Der Beschwerdeführer zieht drittens die Richtigkeit des Urteils
BGE 113 V 140
in Zweifel, insoweit darin eine analoge Anwendung der Prozentsätze gemäss Anhang 3 zur UVV verneint worden sei. Die Praxis der Militärversicherung müsse grundsätzlich überprüft und deren Skalen/Tabellen/Richtlinien grundlegend einer "sozialmedizinischen resp. sozialpsychiatrischen Begutachtung unterzogen werden". Gegen die Annahme eines Integritätsschadensgrades von 60% wendet der
BGE 117 V 71 S. 81
Beschwerdeführer schliesslich ein, das BAMV habe damit den zum beidseitigen Handverlust hinzutretenden Befunden und Beeinträchtigungen (ungenügende Prothesen, Augenverletzung, psychische Schwierigkeiten) nicht ausreichend Rechnung getragen, wobei er auch diesbezüglich die Durchführung weiterer Beweismassnahmen beantragt.
c/aa) Auch in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nimmt das BAMV den Standpunkt ein, "mit der Skala von 5%-60% (decke) die Militärversicherung praktisch genau denselben Schadensbereich ab wie die SUVA mit ihrer Skala von 5%-100%. Es (sei) also nicht so, dass die Militärversicherung denselben Schaden nur zu drei Fünfteln entschädige im Vergleich zur SUVA. Denn massgebend (sei) schliesslich die ausbezahlte Entschädigungssumme und nicht der Invaliditätsansatz."
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Wenn das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 113 V 143
Erw. 3b, woran festzuhalten ist, das Entschädigungssystem nach Anhang 3 zur UVV für die Militärversicherung nicht, auch nicht analogieweise anwendbar erklärt hat, so heisst dies anderseits nicht, es könne im Rahmen von
Art. 25 Abs. 1 MVG
keine 60% übersteigenden Integritätsschäden geben. Allein schon die dargelegte Rechtsprechung (Erw. 3a/bb/bbb hievor), welche im Falle von Schwerstschädigungen Integritätsschadenssätze von bis 65 und 70% bestätigt hat, belegt das Gegenteil. Die Überlegung des BAMV-Chefarztes Dr. med. Glauser in seiner Aktennotiz vom 10. Juni 1987, wonach ein Integritätsschaden von 100% bedeuten würde, "dass alle Körperfunktionen erloschen sind, d.h. dass der Tod eingetreten ist", mit der Schlussfolgerung, dass ein "Integritätsschaden von 100% ... theoretisch demnach gar nicht erreicht werden" könnte, ist unzutreffend. Für die Annahme eines 100%igen Integritätsverlustes genügt es nach dem bereits erwähnten Urteil K. vom 12. November 1975, dass "praktisch alle primären Lebensfunktionen erheblich beeinträchtigt", dagegen nicht total ausgefallen sind. Es besteht daher auch im Bereich der Militärversicherung Raum für die Grenze von 60% übersteigende Integritätsschäden (ebenso Glauser, a.a.O., S. 387 f.), was aber das BAMV in Vernehmlassung und Duplik zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Unrecht in Abrede stellt.
bb) Mit dem Beschwerdeführer kann sodann der Praxis des BAMV insoweit nicht gefolgt werden, als mehrere körperliche Beeinträchtigungen (namentlich bei paarigen Organen) rein
BGE 117 V 71 S. 82
proportional und daher nicht umfassend mit Blick auf die Gesamtheit der Beeinträchtigung in den primären Lebensfunktionen berücksichtigt werden. Zu dem bis Ende 1983 gültig gewesenen
Art. 94 Abs. 2 KUVG
, der die Rentenzusprechung bei einer Mehrzahl von invalidisierenden Unfällen regelte, entschied das Eidg. Versicherungsgericht, dass die Gesamtinvalidität keineswegs der Summe der einzelnen aus den verschiedenen Unfällen sich ergebenden Invaliditätsgrade zu entsprechen braucht; würden die einzelnen Ansprüche nicht vereinigt und die betreffenden Invaliditätsgrade einfach addiert, so könnte sich leicht ein Resultat ergeben, welches der tatsächlichen Gesamtinvalidität nicht gerecht würde; ein einzelner Körperschaden wirkt sich nämlich in Verbindung mit andern Körperschäden (z.B. bei paarigen Organen) oft stärker aus, als wenn er allein bleibt; anderseits kann die blosse Addition der Invaliditätsgrade bei der Schädigung verschiedenartiger Organe auch ein zu hohes Resultat zeitigen (
BGE 98 V 171
Erw. 4a mit Hinweisen, bestätigt im unveröffentlichten Urteil B. vom 15. Juli 1983 mit Hinweis auf das unveröffentlichte Urteil Sch. vom 16. Dezember 1975).
Das Zusammenwirken mehrerer Integritätsschäden hat das BAMV auch in seiner Praxis gemäss
Art. 25 Abs. 1 MVG
gebührend zu berücksichtigen. Zwar ist nichts dagegen einzuwenden, dass das BAMV im Sinne eines Grobrasters beim Verlust einer vitalen Grundfunktion von einem Satz von 50% ausgeht. Das entspricht der dargelegten Gerichtspraxis, wonach ein Versicherter einen Integritätsschaden von "rund 50%" erleidet, wenn er beide Beine verliert, und einen solchen von "rund 55-60%", wenn er sowohl ein Bein als auch einen Arm verliert (erwähntes Urteil K. vom 12. November 1975). Beim Verlust beider Hände bleibt es nun aber nicht nur beim vollständigen Ausfall der mechanischen Greiffunktion; vielmehr geht dadurch auch die nur durch die Hände ermöglichte körperliche Empfindungs-, Ausdrucks- und Kontaktfähigkeit verloren, was nebst der Unmöglichkeit, sein Leben praktisch-manuell bewältigen zu können, eine sehr einschneidende, schmerzhaft empfundene Einschränkung im Lebensgenuss darstellt.
cc) Nicht gefolgt werden kann dem BAMV schliesslich bezüglich der Integritätsschadenshöhe darin, dass es laut Eingabe an das kantonale Gericht vom 28. September 1988 auf dem Standpunkt steht, für die Rentenhöhe sei "grundsätzlich die apparative Versorgung mitzuberücksichtigen ... bzw. nach deren Anpassung"
BGE 117 V 71 S. 83
festzusetzen; in den "vorliegenden Fällen (seien) aber trotz einer relativ guten Versorgung die Ansätze für den totalen Händeverlust (ohne Prothesen) angenommen bzw. beibehalten" worden. Für diese Betrachtungsweise kann sich das BAMV zwar auf eine alte Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts berufen. So hat dieses im unveröffentlichten Urteil St. vom 12. März 1959 bei einem Versicherten, welchem die Militärversicherung eine hörprothetische Versorgung abgegeben hatte, erwogen, weil ein solcher Apparat den Integritätsschaden "wenn nicht gänzlich, so doch weitgehend beheben wird", könne der Versicherte nicht fordern, "dass die Militärversicherung die Anschaffung eines Hörapparates finanziere und darüber hinaus noch für die dank jenem Apparat praktisch behobene dienstbedingte Invalidität eine Rente zahle". Die prothetische Versorgung eines Versicherten zähle - gleich der ärztlichen Behandlung im engern Sinne - begrifflich zur Hilfsmittelabgabe und gehe grundsätzlich der Ausrichtung einer Invalidenrente vor (mit Verweisung auf das in SJZ 53 [1957] S. 362 f. auszugsweise publizierte Urteil G. vom 28. Juni 1956 und das unveröffentlichte Urteil P. vom 2. Mai 1957). Im erwähnten Urteil Sch. vom 28. August 1968 hat das Eidg. Versicherungsgericht bei der Beurteilung einer Peronäuslähmung als Integritätsschaden massgeblich darauf abgestellt, dass der Versicherte dank Verwendung einer Heidelberger-Feder mit Schaleneinlage "flüssig und ohne merkliches Hinken zu gehen" vermag. Noch im unveröffentlichten Urteil J. vom 6. Februar 1976 hielt es das Gericht für die Bemessung des Integritätsschadens für "ausschlaggebend, dass dem Versicherten die Anschaffung einer Hörbrille bewilligt wurde, welche ihm den Eindruck des stereophonen Hörens vermittelt; ausgenommen bei wenigen Arbeiten kann er dieses Hilfsmittel stets tragen, so dass die Beeinträchtigung im Lebensgenuss nur als geringfügig zu bezeichnen ist".
An dieser Rechtsprechung kann nicht länger festgehalten werden, weil sie sich mit dem Begriff des Integritätsschadens nicht verträgt. Zwar ist, wie dargelegt (Erw. 3a/bb/aaa hievor), der Gesundheitsschaden als solcher nicht gleichbedeutend mit dem Integritätsschaden; vielmehr kommt es auf die Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die primären Lebensfunktionen an. Damit ist aber auch gesagt, dass es für die Schwere der Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die Vornahme der primären Lebensfunktionen unmassgeblich ist, ob die Einschränkung in den primären Lebensfunktionen durch Hilfsmittel ganz
BGE 117 V 71 S. 84
oder teilweise ausgeglichen werden kann. Die Abgabe von geeigneten Hilfsmitteln ändert am Integritätsschaden nichts, dies im Gegensatz zu den Krankenpflegemassnahmen, welche direkt die Verbesserung des beeinträchtigten Gesundheitszustandes zum Ziele haben. Dass der Anspruch auf Krankenpflege und auf Hilfsmittelversorgung im Militärversicherungsrecht systematisch am gleichen Ort (bei
Art. 16 Abs. 1 MVG
) eingeordnet ist, ändert an der verschiedenen Zielrichtung dieser beiden Leistungskategorien nichts. Der Grundsatz "Eingliederung vor Rente" gilt selbstverständlich auch in bezug auf die Hilfsmittel im Hinblick auf die Invalidenrentenberechtigung gegenüber der Militärversicherung; bezüglich des Anspruches auf Integritätsrente dagegen ist er nicht anwendbar. Diese Betrachtungsweise liegt auch der Rechtsprechung im Bereich der Unfallversicherung (
Art. 24 Abs. 1 und
Art. 25 Abs. 1 UVG
,
Art. 36 UVV
) zugrunde. Das Eidg. Versicherungsgericht hat im
BGE 115 V 147
ausgeführt, entscheidend sei, ob der Versicherte eine Integritätsschädigung erlitten habe. Ob diese dank einem Hilfsmittel mehr oder weniger vollständig ausgeglichen werden kann mit der Folge, dass sie sich im täglichen Leben nicht mehr oder nur noch in geringem Masse nachteilig auswirkt, sei hingegen unerheblich. Die gegenteilige Auffassung verkenne den Zweck der Integritätsentschädigung, durch eine pekuniäre Leistung einen gewissen Ausgleich zu bieten für körperliche Schmerzen, Leid, verminderte Lebensfreude, Beeinträchtigung des Lebensgenusses und ähnliche Ursachen seelischen Unbehagens; diese Beeinträchtigungen bestünden unabhängig von Ausgleichsmöglichkeiten durch Hilfsmittel (
BGE 115 V 149
Erw. 3a). Diese Grundsätze haben auch im Rahmen von
Art. 25 Abs. 1 MVG
Gültigkeit. Das Urteil
BGE 113 V 140
, wonach das Entschädigungssystem nach Anhang 3 zur UVV auch nicht analogieweise in das Militärversicherungsrecht zu übertragen ist (
BGE 113 V 143
Erw. 3b), steht dem nicht entgegen. Denn in diesem Punkt geht es nicht um die je systemspezifischen Leistungsmodalitäten von Militärversicherung einerseits und Unfallversicherung anderseits, sondern um ein grundlegendes Element des Begriffes des Integritätsschadens als solchen, welcher da wie dort gleich zu verstehen ist.
d) Im Lichte dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Einschätzung des beidseitigen Handverlustes mit 50% durch kantonales Gericht und Militärversicherung zu tief ist. Im Hinblick auf den vollständigen Verlust der Greiffunktion, die zusätzlichen
BGE 117 V 71 S. 85
Einschränkungen und die damit verbundene psychische Belastung ist es angemessen, für diese Beeinträchtigungen einen Ansatz von 60% anzunehmen. Eine weitere Erhöhung dieses Satzes aus psychischen Gründen käme nur dann in Frage, wenn der Unfall einen eigentlichen psychischen Gesundheitsschaden von Krankheitswert verursacht hätte (vgl. in diesem Zusammenhang
BGE 96 V 114
Erw. 3a), was indessen hier nicht zutrifft. Mit der Annahme eines Integritätsschadensgrades von 60% für den Handverlust ist vielmehr der glaubhafte psychische Druck abgegolten. In diesem Punkt ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unbegründet. Der Standpunkt des Beschwerdeführers ist des weitern auch insofern nicht stichhaltig, als er rügt, den zusätzlichen Beeinträchtigungen in Gestalt der Augenverletzung und der verbliebenen Gesichtsnarben habe das BAMV mit einem Zuschlag von je 5% nicht gebührend Rechnung getragen. Diesbezüglich hat das BAMV vielmehr sein Ermessen in einer Weise ausgeübt, das auch im Rahmen der Ermessenskontrolle nicht zu beanstanden ist. Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen hieran nichts zu ändern, weshalb insbesondere von den beantragten Beweismassnahmen abzusehen ist. Der Beschwerdeführer hat damit Anspruch auf eine Integritätsrente von 70% statt 60%, wie verfügt und vom kantonalen Gericht bestätigt.
4.
Streitig und zu prüfen ist sodann der Beginn der Integritätsrente.
a) Das BAMV legte den Beginn der Integritätsrente auf den 1. August 1985 fest, weil der Beschwerdeführer bis zum 22. August 1985 in der Ergotherapie war. Es stützte sich dabei auf eine im Anschluss an den Bericht des Kreisarztes vom 8. November 1985 durch seinen Chefarzt vorgenommene Beurteilung (Aktennotiz vom 20. November 1985) ab, wonach im vorliegenden Falle nicht der Zeitpunkt abgewartet werden dürfe, in welchem der Versicherte die volle Fertigkeit im Bedienen seiner Prothesen erlangt habe; massgebend sei vielmehr der Zeitpunkt, in welchem die Ergotherapie beendet worden sei.
Das kantonale Gericht hat unter Berufung auf SCHATZ (Kommentar zur Militärversicherung, S. 135 f.) ausgeführt, die Integritätsrente werde "mit dem in
Art. 23 Abs. 1 MVG
umschriebenen Zeitpunkt der Stabilität des Gesundheitszustandes des Versicherten nicht nur festgesetzt, sondern auch erstmals ausbezahlt. Eine auf den Eintritt des Integritätsschadens rückwirkende Ausbezahlung der Integritätsrente, wie sie das Unfallversicherungsrecht
BGE 117 V 71 S. 86
kenne (vgl.
BGE 113 V 53
), oder eine differenzierte Festsetzung und Ausbezahlung von Integritätsrenten, um zu verhindern, dass eine der Hauptverletzung untergeordnete und noch nicht stabile Nebenverletzung die Ablösung des Krankengeldes durch die Integritätsrente verzögert", kenne das MVG nicht. Im vorliegenden Fall sei laut Beurteilung des Integritätsschadens durch den Chefarzt des BAMV vom 10. Juni 1987 der Rentenbeginn frühestens auf den 1. April 1985 festzulegen, "nachdem die Augenverhältnisse auf Ende März 1985 als ruhig gemeldet wurden. Dagegen seien von seiten der Arme erst Anfang August 1985 stabile Verhältnisse gemeldet worden, so dass deswegen ein Rentenbeginn ab 1. August 1985 ohne weiteres vertretbar wäre."
Der Standpunkt des Beschwerdeführers lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die Rente festgesetzt werden soll, wenn im Sinne von
Art. 23 Abs. 1 MVG
keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten mehr erwartet werden könne, was jedoch keineswegs ausschliesse, dass der Rentenbeginn rückwirkend auf den Unfallzeitpunkt angesetzt werde. Jede andere Lösung führe dazu, dass ein längerer Heilungsprozess entschädigungsmindernd wirke, was nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sei. Insbesondere bei Unfällen wie dem hier zur Diskussion stehenden, wo es im Unfallzeitpunkt zu Gliedverlusten komme, müsse der Rentenbeginn mit dem Unfallzeitpunkt gleichgesetzt werden. Der Endzustand sei im Unfallzeitpunkt durch die Amputation der Hände erreicht.
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in dem von den Verfahrensbeteiligten erwähnten, unveröffentlichten Urteil W. vom 26. Februar 1987 entschieden, der Beginn der Integritätsrente im Sinne von
Art. 25 MVG
richte sich nach
Art. 23 Abs. 1 MVG
. Sinngemäss gelte die gleiche Regelung wie in
Art. 19 Abs. 1 UVG
bzw.
Art. 76 KUVG
. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Eine besondere von den Grundsätzen gemäss
Art. 23 Abs. 1 MVG
,
Art. 76 KUVG
und
Art. 19 Abs. 1 UVG
abweichende Regelung gilt nur für den Anspruch auf Integritätsentschädigung der Unfallversicherung, und zwar im Hinblick auf die Vorschrift von
Art. 24 Abs. 2 UVG
, wonach die Integritätsentschädigung der Unfallversicherung mit der Invalidenrente festgesetzt wird (dazu
BGE 113 V 51
ff. Erw. 3a und b). Das Erfordernis eines im wesentlichen stabilen Gesundheitszustandes hat das Eidg. Versicherungsgericht implizit auch im bereits erwähnten Urteil St. vom 12. Juli 1988 bestätigt.
BGE 117 V 71 S. 87
Im Lichte dieser Grundsätze muss dem BAMV entgegengehalten werden, dass der Anspruch auf eine Integritätsrente nicht erst in jenem Zeitpunkt entsteht, in dem die Stumpfverhältnisse vollständig konsolidiert sind und die prothetische Versorgung mit Erfolg abgeschlossen worden ist. Anderseits kann aber auch der Auffassung des Beschwerdeführers nicht beigepflichtet werden, dass mit dem am Unfalltag aufgetretenen Gliederverlust stabile Verhältnisse eingetreten seien, welche den Anspruch auf eine Integritätsrente begründen würden. Angesichts der Mittel der heutigen plastischen Chirurgie ist ein solcher Zustand in dem Sinne noch nicht endgültig, als er die Möglichkeit nicht ausschliesst, durch operative Massnahmen die gesundheitliche Beeinträchtigung an sich wieder zu verbessern. Solche Möglichkeiten eines plastisch-chirurgischen Eingriffs wurden insbesondere im vorliegenden Fall im September/Oktober 1984 zunächst noch ernsthaft erwogen, bevor sich die Ärzte des Inselspitals, nach umfassender Information des Versicherten und mit dessen Einverständnis, entschlossen, die myoelektrisch-prothetische Versorgung an die Hand zu nehmen (Krankengeschichte-Eintrag des Inselspitals Bern vom 6. November 1984). In Fällen von Gliederverlusten entsteht der Anspruch auf Integritätsrente somit in jenem Zeitpunkt, da die Stumpfverhältnisse im wesentlichen prognostizierbar sind - was im November 1984 trotz einiger auftretender Schwierigkeiten der Fall war (vgl. Krankengeschichte-Eintrag des Inselspitals Bern vom 26. November 1984) - und Rehabilitationsmassnahmen der plastischen Chirurgie, welche an der Integrität selber ansetzen würden, ausser Betracht fallen. Die gesamte Periode der prothetischen Versorgung, Anpassung und Angewöhnung schliesst dagegen den Anspruch auf Integritätsrente nicht aus, weil die Frage, ob und in welcher Weise dank Hilfsmittelabgabe die Fähigkeiten des Versicherten verbessert werden, für die Beurteilung des Integritätsschadens, wie dargelegt, unmassgeblich ist. Daher ist der Beginn der Integritätsrente im vorliegenden Fall auf den 1. Dezember 1984 festzusetzen. Daran ändert nichts, dass sich der Beschwerdeführer damals noch einer augenärztlichen Behandlung unterziehen musste, bestand doch diese zum einen vorwiegend in periodischen Kontrollen. Sodann kommt anderseits der Beeinträchtigung des rechten Auges im Vergleich zum Verlust der beiden Hände eine derart untergeordnete Bedeutung zu, welche es nicht rechtfertigen würde, deswegen den Rentenbeginn hinauszuschieben.
BGE 117 V 71 S. 88
5.
Zu prüfen ist des weitern die Frage, auf welche Weise der im Urteil Gasser vom 29. Dezember 1986 (
BGE 112 V 376
) für das Jahr 1983 auf Fr. 25'400.-- festgelegte massgebliche Mittelwert für die hier zur Diskussion stehenden Jahre 1984 bis 1986 der Entwicklung der Konsumentenpreise anzupassen ist. Dabei ist von
Art. 25bis MVG
auszugehen, wonach der Bundesrat die Renten dem eingetretenen Anstieg oder Rückgang der Teuerung voll anzupassen hat (Abs. 1) und die Anpassung durch Erhöhung oder Herabsetzung des der Rente zugrundeliegenden Jahresverdienstes auf den gleichen Zeitpunkt wie die AHV/IV-Rentenanpassung zu erfolgen hat (Abs. 2).
a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat im Urteil Gasser vom 29. Dezember 1986 (
BGE 112 V 376
) entschieden, die mit den Urteilen Gysler (EVGE 1966 S. 148) und Lendi (EVGE 1968 S. 88) eingeführte Praxis des Mittelwertes ermögliche auch im Anschluss an das Urteil Andres (
BGE 110 V 117
) zusammen mit der vollen Kumulierbarkeit der Ansprüche (
BGE 112 V 382
Erw. 4) sachgerechte Lösungen. Wenn es im Laufe der Jahre zu überhöhten Entschädigungen der Integritätseinbussen gekommen sei, so sei dies nicht auf den Mittelwert als Prinzip, sondern auf die Tatsache zurückzuführen, dass dieser Wert ab 1972 nicht nur der Teuerung, sondern zusätzlich auch der Lohnentwicklung fortlaufend angepasst worden sei. Da der Integritätsschaden und seine Abgeltung mit Lohn nichts zu tun hätten und die Integritätsrenten daher von der Lohnentwicklung nicht berührt würden, sei der Mittelwert der Lohnentwicklung nicht anzupassen. Die bisherige Rechtspraxis zu
Art. 25 Abs. 1 MVG
wurde deshalb dahin berichtigt, dass der im Jahre 1966 gültige Mittelwert von Fr. 12'000.-- lediglich der seitherigen Entwicklung der Konsumentenpreise angepasst werden darf (
BGE 112 V 385
Erw. 6, bestätigt in
BGE 112 V 392
Erw. 3b in fine und
BGE 115 V 308
). Für das Jahr 1983 wurde der massgebende Mittelwert auf Fr. 25'400.-- festgesetzt (
BGE 112 V 385
Erw. 6).
b) Das BAMV interpretiert die sich ihm aufgrund des Urteils Gasser stellende Aufgabe, auch künftig die erforderlichen Anpassungen an die Entwicklung der Konsumentenpreise vorzunehmen, folgendermassen:
"Mit den Anpassungen der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung, die gemäss
Art. 25bis MVG
auf den gleichen Zeitpunkt wie die AHV/IV-Rentenanpassung (nach
Art. 33ter AHVG
also in der Regel alle zwei Jahre) zu erfolgen haben, wurden und werden gleichzeitig auch immer der neue
BGE 117 V 71 S. 89
höchstanrechenbare Jahresverdienst (in Anwendung von
Art. 20 Abs. 3 MVG
) und - in Analogie dazu - der für die Berechnung der Integritätsschadenrenten massgebende Mittelwert neu festgesetzt. Für das Jahr 1983, für das das Eidg. Versicherungsgericht den massgebenden Mittelwert für die Integritätsschadenrenten auf Fr. 25'400.-- festgesetzt hat, war keine Rentenanpassung vorgesehen. Eine solche erfolgte aber aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen auf den 1. Januar 1984. Um den normalen Anpassungsrhythmus einhalten und sicherstellen zu können, haben wir den für die Integritätsschadenrenten massgebenden Mittelwert auf den gleichen Zeitpunkt (rückwirkend) entsprechend der im Jahre 1983 eingetretenen Teuerung (2,1%) auf Fr. 25'934.-- erhöht. Damit ist der Stand der allgemeinen Anpassung der Leistungen der Militärversicherung an die Lohn- und Preisentwicklung per 1. Januar 1984 erreicht worden, mit welcher gemäss Art. 5 Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates vom 19. Oktober 1983 die Teuerung bis zum Stand von 104,0 Punkten des Landesindexes der Konsumentenpreise als ausgeglichen galt.
Da die Renten der Militärversicherung - wie bereits erwähnt - nicht Jahr für Jahr, sondern in der Regel alle zwei Jahre an die Lohn- und Preisentwicklung angepasst werden, haben wir den für die Integritätsschadenrenten massgebenden Mittelwert rückwirkend ab 1. Januar 1986 auf Fr. 26'972.-- festgesetzt. Dabei wurde die Teuerung mit 4% berücksichtigt. Sie gilt gemäss Art. 6 Abs. 2 der Verordnung des Bundesrates vom 16. Oktober 1985 über die Anpassung der Leistungen der Militärversicherung an die Lohn- und Preisentwicklung bis zum Stand des Landesindexes der Konsumentenpreise von 108,3 Punkten als ausgeglichen. Dieser Mittelwert gilt bis zur nächsten Anpassung der Leistungen der Militärversicherung (voraussichtlich bis 1. Januar 1988)." (Stellungnahme der Rentensektion des BAMV vom 19. Mai 1987.)
In der Duplik bringt das BAMV zusätzlich vor, "dass der effektive Stand des Landesindexes der Konsumentenpreise im Dezember 1987 110,6 Punkte betrug und damit unter dem ausgeglichenen Stand von 110,7 Punkten lag."
Das kantonale Gericht ist dem Einwand des Beschwerdeführers, das Eidg. Versicherungsgericht habe mit dem Urteil Gasser klargemacht, dass die Integritätsrenten dem Index der Konsumentenpreise unterstellt seien und nicht der Rentenanpassungsverordnung, nicht gefolgt. Das Eidg. Versicherungsgericht habe im Urteil Gasser einzig bemängelt, dass für die Abgeltung eines Integritätsschadens auch die veränderten Erwerbseinkommen statt nur die Teuerung berücksichtigt worden seien; im übrigen sei die Berechnungsmethode der Militärversicherung nicht beanstandet worden. Im Sozialversicherungsrecht gelte der allgemeine Grundsatz, dass Rentenleistungen nicht bei jeder Auszahlung an die laufende Teuerung angepasst werden, sondern erst, wenn die Lohn- bzw. Preisentwicklung ein bestimmtes Ausmass erreicht habe (Hinweis auf
BGE 117 V 71 S. 90
Art. 33ter AHVG
und
Art. 34 UVG
). Es bestehe kein rechtsgenüglicher Anlass, im Falle der Integritätsrente der Militärversicherung von diesem allgemeinen Grundsatz abzuweichen und neben der periodischen Teuerungsanpassung gemäss
Art. 25bis Abs. 2 MVG
bei der Festsetzung und dem Auskauf einer Integritätsrente eine individuelle Teuerungsberechnung auf den Zeitpunkt der Festsetzung bzw. des Auskaufs hin vorzunehmen, selbst wenn dadurch die seit der letzten periodischen Teuerungsanpassung aufgelaufene Teuerung unberücksichtigt bleibe.
Der Beschwerdeführer hält auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an seiner bereits im Administrativverfahren vertretenen Auffassung fest, mit dem Urteil Gasser habe das Eidg. Versicherungsgericht klargemacht, "dass die Integritätsrenten dem BFS-Index unterstellt werden und nicht den Rentenanpassungsverordnungen, wie sie das BAMV sonst kennt. Ein Blick in den Landesindex der Konsumentenpreise des BIGA (September 1966 = 100) zeigt auf, dass das Jahresmittel pro 1983 212,1 (oder gerundet 212) betrug. Mit diesem und keinem andern Index hat das Eidg. Versicherungsgericht im Falle Gasser gerechnet." Im weitern beanstandet der Beschwerdeführer die Unklarheit der Grundlagen, auf welche sich das BAMV beruft. Jedenfalls seien die vom BAMV berechneten Mittelwerte und auch der vom Bundesrat nach Art. 5 der Teuerungsverordnung vom 21. Oktober 1987 ab 1. Januar 1988 geltende Mittelwert von Fr. 27'566.-- zu tief.
c) Im Urteil Gasser hat das Eidg. Versicherungsgericht diesbezüglich lediglich folgendes festgehalten: "Beizufügen bleibt, dass das BAMV zu gebotener Zeit die jeweils notwendige Anpassung an die zwischenzeitliche Teuerung vorzunehmen haben wird" (
BGE 112 V 386
vor Erw. 7). Insbesondere hat es im Urteil Gasser lediglich zum einen die Tatsache beanstandet, dass die Integritätsrenten seit 1972 nicht nur der Teuerung, sondern auch der Lohnentwicklung fortlaufend angepasst wurden. Zum andern hat es die vom BAMV im Anschluss an das Urteil Andres (
BGE 110 V 117
) gewählte und mit Verordnung vom 16. Oktober 1985 auf Fr. 15'000.-- bzw. Fr. 15'750.-- festgesetzte Rentenbasis gerügt (
BGE 112 V 383
ff. Erw. 5 und 6). Im
BGE 115 V 315
(unten) hat das Eidg. Versicherungsgericht unmissverständlich bestätigt, dass die Festsetzung der Integritätsrenten im Rahmen des
Art. 25 Abs. 1 MVG
, welche den rechtsanwendenden Behörden einen weiten Bereich des Ermessens eröffnet, zu jeder Zeit auf der Grundlage einer
BGE 117 V 71 S. 91
Verwaltungs- und Gerichtspraxis erfolgte. Insbesondere beruhte die Massgeblichkeit des entgangenen Jahreseinkommens bzw. seit den Urteilen Gysler und Lendi des Mittelwertes des versicherbaren Verdienstes auf einer Rechtspraxis, und nicht auf den bundesrätlichen Verordnungen über die Teuerungsanpassung, welchen insoweit keine normative Bedeutung zukam und zukommt. Eine ganz andere Frage ist es aber, durch wen und auf welche Weise der nun von der Rechtsprechung seit dem Urteil Gasser umschriebene Jahresverdienst als Berechnungselement der Integritätsrente an die Teuerung anzupassen ist. Dafür bleiben
Art. 25bis MVG
und die gestützt darauf erlassenen bundesrätlichen Verordnungen über die Anpassungen der Leistungen der Militärversicherung an die Preisentwicklung massgeblich. Dabei hat der Verordnungsgeber seit dem Urteil Gasser einzig zu berücksichtigen, dass er den anrechenbaren Jahresverdienst, soweit er für die Integritätsrente gilt, nur der Teuerung, nicht aber der Lohnentwicklung anpassen darf. Verlangt ist zudem weiter, dass der Bundesrat dabei die Integritätsrenten der Teuerung voll anpasst, wie es
Art. 25bis Abs. 1 MVG
strikte vorschreibt. In der Duplik hat das BAMV das Verhältnis seiner amtsinternen Ansätze bzw. jener gemäss der bundesrätlichen Teuerungsverordnung vom 21. Oktober 1987 zu denjenigen, die sich aus dem Landesindex der Konsumentenpreise des Bundesamtes für Statistik (BFS) ergeben, dargelegt:
Jahr Teuerung neuer Jahres- ausgeglichen bis Erlass
1. Jan. verd. f. Integr.- ... Punkte des LJ
Rente der Konsum.-Preise
1983 -- Fr. 25'400.-- -- EVG/Gasser
1984 2,1% Fr. 25'934.-- 104 Punkte MV-Vfg. 9.2.87
1986 4% Fr. 26'972.-- 108,3 Punkte MV-Vfg. 9.2.87
1988 2,2% Fr. 27'566.-- 110,7 Punkte Vo BR 21.10.87
Dabei hat der BFS-Landesindex der Konsumentenpreise jeweils Ende Dezember betragen (vgl. Volkswirtschaft 1989, Heft 12, S. *15, und 1990, Heft 12, S. *15):
1984 105,1 Punkte
1985 108,5 Punkte
1986 108,5 Punkte
1987 110,6 Punkte
1988 112,8 Punkte
1989 118,4 Punkte
BGE 117 V 71 S. 92
Da unter der vom BAMV/Bundesrat angenommenen Teuerungsrate von 2,1% (1984/85), 4% (1986/87) und 2,2% (1988/89) der Landesindex der Konsumentenpreise nur bis zu 104 Punkten (1984/85), 108,3 Punkten (1986/87) und nur für anfangs 1988 vorübergehend mit 110,7 Punkten mehr (nämlich um 0,1) als ausgeglichen war, fragt sich, ob das Ziel der vollen Anpassung im Sinne von
Art. 25bis MVG
damit erreicht ist. Diese Frage ist zu bejahen, auch wenn der gesetzlich geforderte volle Ausgleich der Teuerung nicht für die jeweilige Rentenfestsetzungsjahre zum Tragen kommt, sondern erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Das kann nicht beanstandet werden, ist dies doch eine Folge der Praxis des BAMV, die Integritätsrenten auch nach dem Urteil Gasser nur allzweijährlich an die Teuerung anzupassen, was aber der Regel des
Art. 25bis MVG
entspricht. Entscheidend ist, dass es mit der Zeit zu einem vollen Teuerungsausgleich kommt.
6.
Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer nach der Darstellung des BAMV in seiner Vernehmlassung bei einem Rentenbeginn am 1. Dezember 1984 (Erw. 4 hievor) ein niedrigeres Kapital erhält, ist auch die Art und Weise des Auskaufs durch das BAMV zu prüfen, zumal der Beschwerdeführer im Administrativverfahren den anwendbaren Lebenserwartungskoeffizienten bestritt.
a) Die Voraussetzungen für einen Auskauf sind unstreitig gegeben (
Art. 25 Abs. 2 MVG
; vgl. auch
BGE 112 V 386
Erw. 7). Die Rente wird gemäss
Art. 37 Abs. 1 MVG
nach ihrem Barwert ausgekauft. Das BAMV lebt diesem Gebot in der Weise nach, dass es zunächst unter Anwendung des anrechenbaren Jahresverdienstes, des Integritätsschadensgrades, der Bundeshaftung und des Leistungsansatzes (bei Integritätsrenten stets 85%) den Betrag der Jahresrente ermittelt. Dieser Betrag wird unter Zuhilfenahme der Barwerttafeln Stauffer/Schaetzle, 3. Aufl., kapitalisiert, wobei der Lebenserwartungskoeffizient der Tafel 30 (Mortalität, Zinsfuss 3,5%) entnommen wird, was bei einem 1985 23jährigen einen Faktor von 23.87 und 1986 bei einem 24jährigen einen Faktor von 23.71 ergibt. Dabei erfolgt nach der Praxis des BAMV der Auskauf nicht rückwirkend, sondern jeweils auf den 1. Januar des vollen bzw. folgenden Rentenjahres. Die rückliegenden Monate oder die einzelnen Monate des Spruchjahres würden dem Versicherten im Monatsbetreffnis ausbezahlt.
b) Diese Praxis ist im Grundsatz nicht zu beanstanden (vgl. zum alten MVG aus dem Jahre 1901 EVGE 1949 S. 27 Erw. 6).
BGE 117 V 71 S. 93
Aus EVGE 1949 S. 27 Erw. 6 geht indessen gerade hervor, dass bei der Kapitalisierung die allgemein gebräuchlichen neuesten verfügbaren Barwerttafeln zu benützen sind. Zwar kann dem BAMV kein Vorwurf gemacht werden, wenn es im Administrativverfahren und auch noch in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde die 3. Auflage der Barwerttafeln Stauffer/Schaetzle verwendete. 1989 ist jedoch die 4. Auflage der Barwerttafeln von Stauffer/Schaetzle erschienen. Diesen Umstand hat das Eidg. Versicherungsgericht bereits für die Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Eingliederungserfolges im Sinne von
Art. 12 Abs. 1 IVG
berücksichtigt (ZAK 1989 S. 453). Auch im Rahmen von
Art. 37 Abs. 1 MVG
ist die 4. Auflage der Barwerttafeln Stauffer/Schaetzle für die Kapitalisierung der Renten anzuwenden, und zwar für alle Fälle, welche noch nicht rechtskräftig erledigt worden sind. Denn angesichts des instrumentalen Charakters dieses Werkes besteht eine gewisse Verwandtschaft zu prozessualen Bestimmungen, welche ebenfalls in der Regel ab sofort auf alle hängigen Fälle zur Anwendung kommen (
BGE 112 V 360
Erw. 4a). Folglich hat das BAMV den noch zu ermittelnden Jahresrentenbetrag mit dem Faktor 24.06 als dem für einen am 1. Januar 1985 23jährigen massgeblichen zu multiplizieren (Tafel 30 von Stauffer/Schaetzle, Barwerttafeln, 4. Aufl.).
c) Schliesslich ist noch die Frage zu prüfen, welcher Jahresverdienst dem Auskauf zugrunde zu legen ist. An sich wäre es naheliegend, für den Auskauf auf jenen massgeblichen Jahresverdienst abzustellen, der sich nach dem Gesagten (Erw. 6b hievor) für das Folgejahr des Rentenbeginns ergibt. Im vorliegenden Fall wäre dies somit der vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1985 geltende Wert von Fr. 25'934.--. Falls die Verfügung nach dem Folgejahr des Rentenbeginns ergeht, rechtfertigt es sich indessen, davon abzuweichen und jenen massgeblichen Jahresverdienst heranzuziehen, der im Zeitpunkt der effektiv verfügten Zusprechung der Auskaufssumme gilt. Damit wird in billiger Weise (
Art. 25 Abs. 1 MVG
) dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versicherte ab festgesetztem Rentenbeginn noch nicht über den Auskaufsbetrag verfügen konnte. Im vorliegenden Fall ist somit dem Auskauf angesichts des Verfügungsdatums (5. August 1987) der vom 1. Januar 1986 bis 31. Dezember 1987 gültige Betrag von Fr. 26'972.-- zugrunde zu legen.
7.
Zusammenfassend ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer mit Wirkung ab 1. Dezember 1984 eine 70%ige Integritätsrente im
BGE 117 V 71 S. 94
Rahmen des Auskaufs auf 1. Januar 1985 auf der Grundlage eines anrechenbaren Jahresverdienstes von Fr. 26'972.--, kapitalisiert mit einem Lebenserwartungskoeffizienten von 24.06, zusteht.
8.
(Kostenpunkt) | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02ba2842-f0a9-47da-8505-e16356cbc6e7 | Urteilskopf
113 II 406
72. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 17 novembre 1987 dans la cause Sibra Management S.A. contre Ville de Lancy (recours en réforme) | Regeste
Mieterstreckung; Geschäftsräume.
1. Streitwert (E. 1).
2. Auslegung des Begriffs "Geschäftsräume", wie er in
Art. 267a OR
verwendet wird (E. 2 und 3).
3. Der hier beurteilte Sachverhalt, wo eine Gemeinde die von ihr gemieteten Räume einem Quartierverein zur Verfügung gestellt hat, damit dessen Mitglieder dort verschiedene Freizeitbeschäftigungen ausüben können, ist der Vermietung von Geschäftsräumen gleichgestellt worden (E. 4).
4. Ausnahme vom Grundsatz, wonach die Erstreckung des Mietverhältnisses im persönlichen Interesse des Mieters liegen muss (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 407
BGE 113 II 406 S. 407
A.-
Par contrat du 24 février 1982, Sibra Management S.A. (ci-après: Sibra S.A.), à Fribourg, a loué à la ville de Lancy, pour qu'elle le mît à la disposition d'une association de quartier, un local sis dans un immeuble dont elle est propriétaire au Petit-Lancy. Le bail devait expirer le 31 mars 1983, mais il était reconductible tacitement d'année en année.
Le 18 décembre 1985, Sibra S.A. a résilié le contrat de bail pour le 31 mars 1986.
B.-
La ville de Lancy s'est opposée à la résiliation et a sollicité la prolongation judiciaire du bail pour une durée de deux ans.
Par jugement du 3 septembre 1986, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève a rejeté la demande.
Statuant le 1er juin 1987, sur appel de la ville de Lancy, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a annulé ce jugement et prolongé le bail jusqu'au 31 mars 1988.
C.-
La défenderesse interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral contre l'arrêt de la Chambre d'appel, en concluant au rejet de la requête visant à prolonger le bail.
La demanderesse et intimée propose le rejet du recours et la confirmation de l'arrêt attaqué.
Le Tribunal fédéral rejette le recours, dans la mesure où il est recevable, et confirme l'arrêt cantonal.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La contestation portant sur la prolongation du bail est de nature pécuniaire. Sa valeur litigieuse correspond au loyer et aux frais accessoires (sur ce dernier point, cf., mutatis mutandis,
ATF 86 II 59
No 9) dus pour la durée de la prolongation demandée; cependant, lorsque le preneur a déjà bénéficié d'une prolongation de fait, elle se détermine d'après la durée du bail restant à courir
BGE 113 II 406 S. 408
au moment du prononcé de l'autorité cantonale de dernière instance (
ATF 109 II 351
/352 et les arrêts cités).
En l'espèce, la Chambre d'appel a rendu son arrêt le 1er juin 1987. A cette date, seul restait en litige le solde de la prolongation sollicitée, soit les 10 mois devant encore s'écouler jusqu'au 31 mars 1988. Eu égard au loyer annuel de 9'204 fr. et à la provision de 1'920 fr. par an pour les frais de chauffage et d'eau chaude, la valeur litigieuse de la présente contestation se monte donc à 9'270 fr. (5/6 de 11'124 fr.). Comme elle excède la limite de 8'000 fr. prévue à l'
art. 46 OJ
, le recours en réforme de la défenderesse est recevable.
2.
En vertu de l'
art. 267 al. 1 CO
, le locataire peut requérir, sous certaines conditions, la prolongation judiciaire de son bail pour une durée d'une année au plus s'il s'agit d'un logement et de deux ans au plus s'il s'agit de locaux commerciaux et du logement qui en dépend. Le local occupé par l'association de quartier n'est assurément pas un logement. Aussi la question se pose-t-elle de savoir s'il peut être considéré comme un local commercial, au sens de la disposition précitée. La demanderesse, à l'instar de la cour cantonale, y répond par l'affirmative. La défenderesse, en accord avec le premier juge, le nie.
a) Le Tribunal fédéral n'a pas encore eu l'occasion de définir positivement la notion de local commercial. Dans les deux arrêts qu'il a rendus à ce sujet, il s'est borné à en exclure les terrains non bâtis (
ATF 98 II 203
ss consid. 4, avec une réserve concernant des situations tout à fait particulières) ainsi que les places de parc et les garages loués séparément (
ATF 110 II 51
).
b) Si elle n'est guère plus abondante, la jurisprudence cantonale est en revanche plus explicite. Pour le Tribunal d'appel de Bâle-Ville, un local peut être qualifié de commercial même si une telle activité n'y est pas exercée par le preneur; il en va ainsi du local mis à la disposition d'une association (BJM 1971, p. 175 in fine/176). Le Tribunal supérieur du canton de Zurich interprète lui aussi de manière extensive la notion de local commercial, dans laquelle il inclut tout ce qui ne sert pas à l'habitation (ZR 78 (1979), No 132). A l'opposé, le point de vue des autorités judiciaires vaudoises apparaît nettement plus restrictif. A titre d'exemple de cette autre conception de la même notion, on citera un jugement rendu le 30 mars 1983 par le Tribunal des baux qui a refusé le qualificatif de commercial à un local destiné aux réunions d'une association de ressortissants italiens, du fait que cette association
BGE 113 II 406 S. 409
n'avait pas un but économique et n'exerçait pas une industrie en la forme commerciale pour atteindre son but (Communications de l'Office fédéral du logement concernant le droit du loyer, fasc. 16, No 1; l'arrêt attaqué, p. 9, cite encore un arrêt non publié de la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois du 20 septembre 1983).
c) Rares sont les auteurs qui ont tenté de définir les locaux commerciaux au sens de l'
art. 267a CO
(voir aussi l'
art. 290a CO
). La plupart de ceux qui l'ont fait sont d'avis qu'il convient de prendre le terme "commercial" dans son acception la plus large, ne serait-ce que pour des raisons pratiques. JEANPRÊTRE (La prolongation des baux à loyer, in: Dixième journée juridique, Genève 1970, p. 118) ne voit pas pourquoi la loi laisserait sans protection le preneur dont l'activité, ni commerciale ni même économique, paraît digne d'être protégée (congrégation religieuse, bureau de bienfaisance, association artistique, groupement sportif, administration publique). Aussi, reprenant la définition de l'art. 9 al. 1 de l'ordonnance du 23 février 1962 concernant l'assouplissement du contrôle des loyers (RO 1962, p. 180), qualifie-t-il de locaux commerciaux "les choses louées qui ne servent pas de logement". SCHMID (n. 6 ad art. 267a), GUINAND/KNOEPFLER (FJS No 361, p. 2 in fine) et les auteurs du Guide du locataire (p. 225) lui emboîtent le pas sans motiver leur opinion. MOSER (Die Erstreckung des Mietverhältnisses nach Artikel 267a - 267f des Obligationenrechts, thèse Zurich 1975, p. 51) donne également la préférence à cette solution, bien qu'il définisse les locaux commerciaux comme ceux qui sont utilisés pour l'exercice d'une activité lucrative indépendante. Pour EGLI (Kündigungsbeschränkungen im Mietrecht, Zurich 1986, p. 15), la définition proposée par JEANPRÊTRE est sans doute trop large, mais il sied néanmoins d'étendre l'application de l'
art. 267a CO
à des locaux, tels que ceux d'une association, qui ne servent pas à des fins commerciales. GMÜR/CAVIEZEL (Mietrecht - Mieterschutz, 2e éd., p. 7) assimilent eux aussi les locaux d'une association aux locaux commerciaux.
3.
Sur la base de cette analyse de la jurisprudence et de la doctrine, il n'est pas possible d'exclure a priori le local litigieux de la catégorie des locaux commerciaux. Il reste à vérifier le bien-fondé de cette conclusion provisoire. A cet effet, il convient de circonscrire la notion de local commercial à l'aide des critères usuels, dont le rappel s'impose à titre préliminaire.
BGE 113 II 406 S. 410
a) La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre (cf.
ATF 112 Ia 117
,
ATF 112 III 110
et les arrêts cités). Toutefois, si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, il faut alors rechercher quelle est la véritable portée de la norme, en la dégageant de tous les éléments à considérer, soit notamment des travaux préparatoires, du but de la règle, de son esprit ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose, ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales (cf.
ATF 112 II 4
, 170,
ATF 111 Ia 297
,
ATF 108 Ia 196
,
ATF 105 Ib 53
consid. 3a et les arrêts cités; concernant les différents principes et méthodes d'interprétation voir p.ex. DESCHENAUX, Le Titre préliminaire du code civil, in: Traité de droit civil suisse, t. II/I, p. 76 ss, et MEIER-HAYOZ, Nos 140 ss ad
art. 1er CC
). L'interprétation d'une loi fédérale n'est contraire à l'
art. 113 al. 3 Cst.
que dans la mesure où elle s'écarte aussi bien du sens et du but de la disposition considérée que de son texte clair (
ATF 111 Ia 297
, précité, et les références).
b) aa) L'
art. 267a CO
traite notamment de la prolongation du bail des "locaux commerciaux" ("Geschäftsräume", "locali d'affari"). Cette expression n'est pas aussi explicite que le terme de "logement" qui figure dans la même disposition (cf. MOSER, op.cit., ibid.). En effet, si la notion de local est suffisamment précise pour ne pas prêter à discussion, celle de commerce présente en revanche des contours assez flous. Preuve en est le fait que, dans le langage courant comme dans la terminologie juridique, elle reçoit diverses significations. Dans la langue ordinaire, le mot "commerce" est employé, entre autres, en tant que synonyme de magasin, ou encore par opposition à l'agriculture et à l'industrie, voire, lato sensu, pour désigner une activité à but économique (cf. Le Grand Robert de la langue française, 2e éd., vol. 2, p. 734/735). Quelle que soit la définition retenue, on ne voit pas qu'elle puisse embrasser des activités qui ne revêtiraient pas un tel caractère. Il en va différemment dans le vocabulaire juridique; sans doute l'acception traditionnelle du terme en question y a-t-elle cours (cf.
art. 934 CO
et 53 ORC), mais, pour le législateur, les tribunaux et les commentateurs, le commerce n'implique pas nécessairement l'exercice d'une activité lucrative (voir les références figurant au consid. 2 lettres b et c). C'est dire que l'interprétation littérale n'est d'aucun secours dans le cas particulier.
bb) Les travaux préparatoires ne permettent pas non plus d'établir clairement le sens que l'auteur de la loi a entendu donner
BGE 113 II 406 S. 411
aux termes de locaux commerciaux. Ils révèlent certes la volonté du législateur de restreindre le champ d'application des art. 267a-f CO et de n'y point faire entrer n'importe quelle chose immobilière (voir les références citées dans l'arrêt
ATF 98 II 204
consid. 4a, susmentionné). Pour le reste, si le Conseil fédéral, dans son message du 27 novembre 1968 (FF 1968 II 873 ss), et les Chambres fédérales, durant leurs délibérations (BO CE 1969 p. 59 ss et 361 ss, 1970 p. 80 ss et 141 ss; BO CN 1969 p. 513 ss, 1970 p. 45 ss, 197 ss, 273 ss et 329 ss), ont évoqué le problème de la pénurie de locaux commerciaux, ils l'ont fait sous le seul angle économique, sans chercher à délimiter ce type de locaux d'avec les autres locaux ne servant pas à l'habitation. Il n'est pas possible d'affirmer, dans ces conditions, que leur intention était de refuser le bénéfice des dispositions protectrices de la loi aux preneurs de cette dernière catégorie de locaux.
cc) Visant à assurer la cohérence de l'ordre juridique, la méthode systématique commande, notamment, que l'on interprète une disposition en fonction des autres règles de droit de même contenu (cf. MEIER-HAYOZ, n. 188 ad
art. 1er CC
).
En matière de bail à loyer, l'application de cette méthode conduit logiquement à l'examen de l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif (AMSL; RS 221.213.1). Il y est, en effet, aussi question des "locaux commerciaux" (p.ex. art. 2 al. 1; voir en outre l'
art. 1er al. 1 OSL
, RS 221.213.11). Le projet de loi du Conseil fédéral les définissait comme "des locaux destinés à l'exercice d'une activité lucrative" (art. 5 al. 2; FF 1972 I 1239). Cette définition n'a cependant pas trouvé grâce aux yeux du législateur qui a jugé préférable de laisser à d'autres le soin de dire ce que recouvre la notion de local commercial (BO CE 1972 p. 326; BO CN 1972 p. 950). Comme on pouvait s'y attendre, ceux qui s'en sont chargés ont exprimé des opinions divergentes à ce sujet. A l'instar du Tribunal supérieur du canton de Zurich (ZR 78 (1979) No 132, précité), RAISSIG/SCHWANDER (Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, 3e éd., p. 39) et CLASS (Die ordentliche Vermieterkündigung nach § 564 b BGB und
Art. 267 OR
der Wohnraummiete ..., thèse Zurich 1987, p. 7) qualifient de commerciaux tous les locaux qui ne servent pas de logement. Plus restrictif, BARBEY (L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, Lausanne 1984, p. 19) refuse apparemment d'assimiler aux locaux commerciaux ceux qui ne sont pas destinés à l'exercice d'une activité humaine
BGE 113 II 406 S. 412
à but lucratif ou idéal. Quant à MÜLLER (Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, thèse Zurich 1976, p. 75/76), il semble partisan d'une conception purement économique du local commercial (dans le même sens, voir l'arrêt vaudois cité au consid. 2b).
L'exposé de ces différents avis suffit à démontrer le peu d'utilité du recours à l'interprétation systématique pour résoudre la question litigieuse.
dd) Il y a, en revanche, davantage d'enseignements à tirer de l'analyse des travaux en cours concernant la révision du droit du bail à loyer et du bail à ferme.
Dans son message du 27 mars 1985 (FF 1985 I 1369 ss), le Conseil fédéral propose de considérer comme locaux commerciaux "les locaux destinés à l'exploitation d'une entreprise ou à l'exercice d'une profession (bureaux, magasins, ateliers, dépôts)" (p. 1402). Il appartiendra, selon lui, à la jurisprudence de marquer la limite entre les habitations, les locaux commerciaux et les autres locaux qui peuvent faire l'objet d'un bail (ibid.). La commission d'experts, présidée par le professeur Soliva, suggérait, quant à elle, dans son avant-projet déposé en 1980, de préciser cette limite en ce sens que les dispositions relatives à la protection contre le congé seraient inapplicables "au bail des locaux qui ne servent ni à l'habitation ni à l'exercice d'une activité lucrative" (art. 273a ch. 2). Or, ce sont les motifs qu'elle avançait à ce propos qui présentent un réel intérêt pour la cause en litige. On lit, en effet, ce qui suit dans le rapport explicatif accompagnant l'avant-projet (p. 39): "Ce champ d'application de l'art. 273a est quelque peu plus étroit que celui de l'actuel art. 267a du code des obligations, parce que la protection contre le congé y est beaucoup plus étendue. Il ne doit pas comprendre, notamment, les baux portant sur des locaux qui ne servent ni d'habitation, ni à l'exercice d'une activité professionnelle (par exemple les locaux d'un club)."
Au vu de cette remarque, il apparaît donc que les experts sont eux aussi partis de l'idée que, de lege lata, le local commercial n'est pas forcément celui dans lequel est exercée une activité à but lucratif.
ee) Du point de vue téléologique, enfin, la même conclusion s'impose.
L'intention du législateur, il est vrai, n'était pas d'inclure tous les locaux dans la sphère protectrice de la loi, auquel cas il eût sans doute choisi une formulation plus générale que celle de l'
art. 267a
BGE 113 II 406 S. 413
CO
. Le Tribunal fédéral s'est d'ailleurs fondé sur cette considération implicite pour constater l'impossibilité d'obtenir une prolongation judiciaire d'un bail portant sur un garage isolé (
ATF 110 II 51
, précité). Il ne peut dès lors souscrire sans réserve à l'opinion selon laquelle toutes les choses qui ne servent pas de logement doivent être rangées dans la catégorie des locaux commerciaux. Au contraire, il paraît conforme à l'esprit et au but de la loi de n'y intégrer que celles qui contribuent effectivement au développement de la personnalité privée ou économique du preneur. En effet, seule la perte prématurée de telles choses, du fait de leur importance, est susceptible d'entraîner, suivant les circonstances, des conséquences pénibles pour le locataire. Tel ne sera généralement pas le cas, lorsque le local pris à bail n'était pas destiné à l'exercice d'une activité humaine.
Cela étant, on ne voit pas pour quelles raisons la protection de la loi devrait être refusée aux preneurs qui n'exercent pas une activité lucrative: collectivités publiques, fondations à but idéal, associations religieuses, politiques, scientifiques, artistiques, sportives ou autres. Il est évident que le but poursuivi par de telles corporations est tout aussi digne d'attention que le but économique qui caractérise les sociétés commerciales. Aussi convient-il de leur reconnaître le droit de se prévaloir de l'
art. 267a CO
à la condition, toutefois, qu'il existe un rapport suffisamment étroit entre ce but et l'usage pour lequel la chose a été louée, ce qu'il y aura lieu de vérifier de cas en cas.
c) En conclusion, force est d'admettre, au vu de toutes ces considérations, que cette interprétation extensive de la notion de local commercial est la seule qui corresponde à la finalité des dispositions concernant la prolongation du bail. Au demeurant, même si elle n'est pas aussi large que celle proposée par la doctrine, elle s'en rapproche pour l'essentiel. Il sied, partant, de s'y tenir.
4.
Dans le cas particulier, la chose louée a été mise à la disposition d'une association de quartier afin de créer un point de rencontre et de permettre aux intéressés de suivre différents cours (porcelaine, gymnastique, tennis de table), d'assister à des conférences ou encore de se retrouver au sein de clubs de lecture et de bridge. La connexité entre ces activités, inhérentes au but de pareille association, et l'usage auquel était destiné le local, de par la volonté des contractants, est donc manifeste. De ce fait, la Cour de justice n'a pas violé le droit fédéral en qualifiant l'objet du bail de local commercial, au sens de l'
art. 267a CO
.
BGE 113 II 406 S. 414
5.
La défenderesse soutient, par ailleurs, que les conditions d'application de cette disposition ne sont pas réunies, étant donné que la résiliation du contrat de bail n'aurait de conséquences pénibles - si tant est qu'elle en ait - que pour l'association de quartier, et non pas pour le "preneur", soit la ville de Lancy.
Fondé dans ses prémisses, le raisonnement pèche par sa conclusion. Il a certes le mérite de souligner que le preneur doit avoir un intérêt personnel à la prolongation du bail, ce qui suppose qu'il exerce lui-même une activité dans les locaux dont le bailleur lui a cédé l'usage (cf. arrêt non publié Erbgemeinschaft Walter Kamer, du 20 octobre 1987, consid. 2a et les références). Il ignore toutefois la spécificité de la présente cause, qui justifie une dérogation à cette règle, laquelle a été conçue avant tout pour le cas où le preneur se sert de la chose louée à des fins de placement, par exemple en la sous-louant. Rien de tel en l'occurrence, puisque l'on a affaire à une corporation de droit public qui met à la disposition d'une partie de ses membres un local de réunions et contribue ainsi à satisfaire les besoins culturels et sociaux des habitants d'un quartier. Si la demanderesse a recours à une institution du droit privé - le bail -, elle l'utilise pour remplir une tâche d'intérêt général, et uniquement pour cela. Qu'elle le fasse par l'intermédiaire d'une association de quartier n'y change rien. Comme le local en question constitue le moyen matériel nécessaire à l'accomplissement de cette tâche, la demanderesse doit être admise à requérir la prolongation du bail le concernant. | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02cbbd8e-50d4-4acd-919f-f86c85a75a22 | Urteilskopf
92 IV 128
33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Oktober 1966 i.S. Schiesser gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 148 Abs. 1 StGB
.
1. Die schweizerischen Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken sind kein Geld mehr im Sinne des Gesetzes.
2. Der gutgläubige Käufer, der eine gestohlene Münze dieser Art erwirbt, ist geschädigt, weil er seine eigene Leistung erbringt, ohne eine von Drittansprüchen freie Gegenleistung zu erhalten, worauf er nach Vertrag Anspruch hätte (Erw. a und b).
3. Die unrechtmässige Bereicherung des Verkäufers liegt im Verwertungserlös der gestohlenen Münze (Erw. c). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 92 IV 128 S. 128
Aus dem Tatbestand:
Schiesser hielt sich am Abend des 12. Januar 1964 in einem Gasthof in Igis auf. Gegen 23 Uhr verliess er die Gaststube und
BGE 92 IV 128 S. 129
drang in das Schlafzimmer der Wirtin ein, wo er sich aus ihrem Schmuckkästchen einen Goldring, eine Halskette im Werte von etwa Fr. 300.-- und ein deutsches Geldstück aneignete. An der Kette hing eine schweizerische Goldmünze zu 20 Franken, die er am folgenden Tag aus der Fassung ausbrach und der Graubündner Kantonalbank in Landquart für Fr. 39.- verkaufte.
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden erklärte Schiesser am 21. Dezember 1965 des Diebstahls sowie des Betruges schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von einem Monat. Den Betrug erblickte das Gericht im Verkauf der gestohlenen Goldmünze.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten, der Freispruch von der Anklage des Betruges verlangte, wurde vom Kassationshof abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Wie der Kassationshof in
BGE 72 IV 9
entschieden hat, ist sowohl wegen Diebstahls als auch wegen Betruges strafbar, wer eine Sache stiehlt und sie als die seinige einem gutgläubigen Dritten verkauft. Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht, macht aber sinngemäss geltend, dass diese Rechtsprechung nicht auf Fälle wie den vorliegenden bezogen werden dürfe. Geld könne gemäss
Art. 935 ZGB
vom gutgläubigen Empfänger nicht zurückgefordert werden. Der Grund dafür liege in der Schwierigkeit, Geldstücke nach Vermischung mit andern wieder zu individualisieren. Diese Schwierigkeit bestünde auch bei Goldmünzen üblicher Prägung, wenn sie mit andern gleicher Art vermengt würden. Obschon die schweizerischen Goldmünzen zu 20 Franken nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel verwendet würden, rechtfertige es sich, sie als Geld im Sinne von
Art. 935 ZGB
und damit im Falle des gutgläubigen Erwerbes als unvindizierbare Sachen zu behandeln. So gesehen sei die Bank aber nicht verpflichtet gewesen, das gekaufte Goldstück wieder herauszugeben, folglich auch nicht geschädigt worden.
a) Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil
Art. 935 ZGB
den gutgläubigen Erwerber, ausser bei Inhaberpapieren, bloss bei Geld schützt und ein 20-Franken-Goldstück kein Geld im Sinne des Gesetzes ist. Die alten schweizerischen Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken, die sogenannten "Vreneli", sind unter der Herrschaft des früheren Münzgesetzes vom 3. Juni 1931 (BS 6, 51) zwar
BGE 92 IV 128 S. 130
gesetzlich anerkanntes Zahlungsmittel geblieben; sie haben aber nach der Auskunft der Schweizerischen Nationalbank ihre Eigenschaft als Kurantmünzen praktisch schon durch die Abwertung des Frankens im Jahre 1936 eingebüsst. In Art. 3 des neuen Münzgesetzes vom 17. Dezember 1952 (AS 1953, 209) sind sie denn auch nicht mehr aufgeführt. Sie stellen daher keine gesetzlichen Zahlungsmittel mehr dar. Art. 17 des neuen Gesetzes ändert daran nichts. Nach dieser Bestimmung sollen die alten Goldmünzen zu 100, 20 und 10 Franken lediglich weiterhin den gleichen strafrechtlichen Schutz geniessen wie die kursfähigen Münzen (
BGE 80 IV 263
; StenBull NR 1952 S. 466, 472/73, StR 1952 S. 337).
Erwarb die Bank somit kein Geld, so durfte die Wirtin, der das gestohlene Goldstück gehörte, es wie eine andere bewegliche Sache während fünf Jahren von jedem Empfänger zurückfordern (
Art. 934 Abs. 1 ZGB
). Daraus erhellt, dass die Kaufsache für die Bank nicht frei von Drittansprüchen war, wie sie es auf Grund des vorgespiegelten Sachverhaltes hätte sein müssen. Die Käuferin durfte nach den Umständen annehmen, dass der Beschwerdeführer rechtmässig über die Goldmünze verfüge, sie daher durch den Kauf Eigentum an der Münze erlange. In Wirklichkeit erhielt sie jedoch eine gestohlene Sache, an der ihr der Beschwerdeführer das Eigentum nicht verschaffen konnte und die deshalb der Entwehrung durch den rechtmässigen Eigentümer ausgesetzt blieb. Lief die Käuferin aber Gefahr, die Sache entschädigungslos zurückerstatten zu müssen, so war sie geschädigt. Das gälte selbst dann, wenn die Bank das Goldstück nur gegen Vergütung des ausgelegten Kaufpreises hätte hergeben müssen (
Art. 934 Abs. 2 ZGB
); denn im einen wie im andern Fall war die Käuferin schon dadurch geschädigt, dass sie ihre eigene Leistung erbrachte, ohne die Gegenleistung zu erhalten, auf die sie nach Vertrag Anspruch hatte (
BGE 72 IV 11
, 130;
BGE 76 IV 96
;
BGE 87 IV 11
).
b) Der Beschwerdeführer wendet freilich ein, die Münze hätte, weil mit andern Goldstücken gleicher Art vermischt, gar nicht mehr bestimmt werden können; die Bank sei daher unbekümmert darum, dass er ihr kein Eigentum übertragen habe, Eigentümer der Kaufsache geworden. Es verhalte sich diesfalls gleich wie bei Geldstücken.
Ob die Käuferin die Goldmünze mit gleichartigen vermengt habe, ist nicht abgeklärt worden und kann dahingestellt bleiben.
BGE 92 IV 128 S. 131
Der Beschwerdeführer entginge der Bestrafung wegen Betruges auch dann nicht, wenn seine Behauptung zutreffen sollte. Bei Vermengung von Geld oder andern vertretbaren Sachen gleicher Art, die einzeln nicht mehr bestimmbar sind, wird zwar, wie die Beschwerde richtig annimmt, der Besitzer der Gesamtmenge auch deren Eigentümer (
BGE 47 II 270
Erw. 2,
BGE 90 IV 188
). Dieser kann aber vom bisherigen Eigentümer, dessen Recht auf eine Sache zufolge der Vermengung untergegangen ist, auf Schadenersatz belangt oder aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch genommen werden (Komm. LEEMANN, N. 21 zu
Art. 727 ZGB
; WIELAND, N. 6 zu
Art. 727 ZGB
). Daraus folgt, dass der Erwerb der Münze selbst dann, wenn sie zusammen mit andern aufbewahrt wurde und aus der Menge nicht mehr herauszufinden war, mit (obligatorischen) Drittansprüchen belastet blieb. Dann hatte sie für die Bank aber nicht den Wert, den der Beschwerdeführer vortäuschte. Diesen Wert erhielt die Münze erst, als die Mutter des Beschwerdeführers die gestohlene Halskette zurückerstattete und das fehlende Goldstück durch ein anderes ersetzte. Bis dahin war die Bank um den ausbezahlten Betrag, den sie ohne die Irreführung nicht erlegt hätte, im Sinne von
Art. 148 Abs. 1 StGB
geschädigt. Die betrügerische Verwertung der gestohlenen Münze führte somit so oder anders zu einem Schaden, der durch die Strafe wegen Diebstahls nicht abgegolten wird.
c) Mit dem Tatbestandsmerkmal der unrechtmässigen Bereicherung verhält es sich nicht anders. Durch den Diebstahl verschaffte der Beschwerdeführer sich erst die Möglichkeit, die Münze verwerten zu können. Dieser Vorteil stellte für ihn eine Bereicherung dar, die aber nicht mit dem Verwertungserlös gleichgesetzt werden darf. Mag eine Goldmünze dem rechtmässigen Besitzer auch gleich viel bedeuten wie ein Barbetrag in der Höhe ihres Handelspreises, so ist sie für den Dieb doch minderen Wertes, weil sie nicht in seinem Eigentum steht (
BGE 72 IV 10
). Um den Vorteil, den ihm die gestohlene Münze bot, nutzbar machen zu können, musste der Beschwerdeführer noch eine weitere Handlung begehen. Indem er sie zum Verkaufe vorwies, handelte er daher in der Absicht, sich eine neue Bereicherung zu verschaffen (vgl.
BGE 72 IV 118
). | null | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
02ccaae7-e9fa-4e99-bdbc-a5ef9d2406bd | Urteilskopf
86 III 130
31. Entscheid vom 8. Dezember 1960 i.S. Haskel. | Regeste
Betreibung auf Grund eines Arrestes.
Art. 278 SchKG
.
Die Identität des Betriebenen mit dem Arrestschuldner ist gegeben, auch wenn von mehreren durch gemeinsamen Arrestbefehl belangten Schuldnern nur einer betrieben wird.
Auch in einem solchen Fall ist dem für die ganze Arrestforderung gestellten Betreibungsbegehren zu entsprechen. Will der Schuldner die solidarische Verpflichtung bestreiten, so kann er Recht vorschlagen. | Sachverhalt
ab Seite 131
BGE 86 III 130 S. 131
A.-
Auf Grund eines Arrestbefehls für eine Forderung von Fr. 54'000.-- nebst Zins gegen "Schuldner: Isaac Haskel und Lazares Raschkes, Bermuda House, 4/6 Hallstreet, Manchester 2" (so laut Original; in der Abschrift für den Schuldner heisst es: "Isaac Haskel & Lazares Raschkes...") arrestierte das Betreibungsamt Zürich 1 am 27. Juli 1960 "sämtliche Guthaben der beiden Schuldner gegenüber dem Schweizerischen Bankverein...". Zur Prosequierung des Arrestes hob der Gläubiger beim nämlichen Amte die Betreibung Nr. 5340 gegen Isaac Haskel, am angegebenen Ort in Manchester, an, mit dem erläuternden Beisatz: "solidarisch mit Lazare Raschkes, gleiche Adresse".
B.-
Isaac Haskel führte gegen das Betreibungsamt Beschwerde mit dem Antrag, alle Vollzugsmassnahmen dieses Amtes gegen ihn, insbesondere der Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 5340, seien aufzuheben. Er erklärte, der Arrestbefehl richte sich gegen zwei Schuldner, denn eine Gesellschaft Isaac Haskel & Lazares Raschkes existiere in Manchester nicht; der Gläubiger wäre für deren Existenz beweispflichtig. Das Betreibungsamt hätte den Arrest angesichts der kollektiven Schuldnerbezeichnung nicht vollziehen dürfen. Ferner sei es unzulässig gewesen, auf Grund dieses Arrestbefehls eine Betreibung nur gegen den einen Schuldner einzuleiten; nach
Art. 70 Abs. 2 SchKG
sei vielmehr
BGE 86 III 130 S. 132
für jeden Mitschuldner ein Zahlungsbefehl auszustellen.
C.-
In beiden kantonalen Instanzen abgewiesen, hat Isaac Haskel gegen den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde vom 18. November 1960 Rekurs an das Bundesgericht eingelegt. Er stellt den Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Zahlungsbefehl der Betreibung Nr. 5340 des Amtes Zürich 1 nichtig zu erklären; eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Betreibung Nr. 5340 lautet eindeutig auf den Rekurrenten als Schuldner, solidarisch haftend neben Lazares Raschkes. Diese Schuldnerbezeichnung ist einwandfrei. Da es sich jedoch um die Prosequierung des Arrestes Nr. 68 handelt, der den Betreibungsort, wie auch die zu gegebener Zeit zu pfändenden und zu verwertenden Gegenstände bestimmt hat, ist ferner zu prüfen, ob der betriebene Schuldner mit dem Arrestschuldner identisch sei.
Das trifft zu, denn der Arrestbefehl richtete sich gleichfalls gegen den Rekurrenten: freilich nicht gegen ihn allein, sondern zugleich gegen den Mitschuldner Lazares Raschkes. Die beiden Schuldner wurden mit Namen und (gemeinsamem) Wohnort genau bezeichnet. Gegen die vorliegenden Vollstreckungsmassnahmen lässt sich daher nichts aus
BGE 32 I 604
= Sep.-Ausg. 9 S. 262 und
BGE 67 III 140
herleiten. Dass zwei verschiedene Schuldner belangt wurden, nicht etwa eine Gesellschaft mit kollektiver Personenfirma (Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft), ergibt sich aus dem Original des Arrestbefehls ("... Haskel und... Raschkes"). Aber auch die Verwendung des Zeichens "&" statt des Wortes "und" in der Abschrift für den Schuldner schuf keine Unsicherheit, wie sich aus dessen eigenen Vorbringen in der Beschwerde ergibt. Übrigens war das Zeichen "&" dem Rekurrenten als
BGE 86 III 130 S. 133
Empfänger dieser Abschrift auch deshalb als bedeutungslose Abkürzung von "und" erkennbar, weil als Arrestgegenstand "sämtliche Guthaben der beiden Schuldner..." bezeichnet waren. Daraus war ersichtlich, dass der Gläubiger gar nicht gegen eine Gesellschaft mit kollektiver Firma vorzugehen gedachte. Freilich führte der gemeinsam gegen beide Schuldner verlangte Arrestbefehl nur zur Arrestierung von Guthaben "bis zur Deckung der umstehenden Arrestforderung samt Zins und Kosten, d.h. bis zur Sperrelimite von Fr. 66'000.--", und es steht dahin, ob bloss Guthaben des Rekurrenten oder bloss solche des Mitschuldners Raschkes oder solche beider, und in welchem Verhältnis der Nennbeträge, vom Arrestbeschlag betroffen worden sind. Das steht jedoch der Anhebung von Arrestbetreibungen je für die ganze Forderung nicht entgegen; nur wird der Erfolg der Betreibung gegen den Rekurrenten davon abhangen, welche ihm zustehenden Guthaben arrestiert wurden und daher in dieser Betreibung verwertet werden können. Die Unzukömmlichkeiten des gegen die beiden Schuldner gemeinsam gestellten Arrestbewilligungsgesuches hat der Gläubiger seinem Vorgehen zuzuschreiben. Im übrigen aber stand es ihm frei, den Arrest nur gegen den einen der beiden Schuldner - auf Verwertung der diesem gehörenden Arrestgegenstände - zu prosequieren. Natürlich betrifft die gegen den Rekurrenten angehobene Betreibung nur ihn, nicht auch den Mitschuldner, der besonders hätte betrieben werden müssen (nach
Art. 70 Abs. 2 SchKG
; vgl. auch
BGE 81 III 92
ff.). Dem Rekurrenten seinerseits war unbenommen, Recht vorzuschlagen, zumal auch, um allenfalls seine solidarische Mitverpflichtung zu bestreiten.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
02cfd838-6580-421d-9154-5349c362f66c | Urteilskopf
89 II 268
36. Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. September 1963 i.S. Meyer gegen Gemeinde Savièse. | Regeste
Haftung einer Gemeinde aus unerlaubten Handlungen ihrer Organe. Klage auf Schadenersatz wegen angeblich rechtswidriger Ausschliessung eines Metzgers von der Benützung des Gemeindeschlachthauses.
Handlung in Ausübung gewerblicher Verrichtungen (
Art. 61 Abs. 2 OR
) oder hoheitlicher Funktionen? Da letzteres zutrifft, ist nicht Bundesprivatrecht (
Art. 41 ff. OR
), sondern kantonales öffentliches Recht anwendbar. Diesem unterliegt auch der Anspruch der Gemeinde auf Benützungsgebühren.
Nichteintreten auf die Berufung an das Bundesgericht wegen ausschliesslicher Massgeblichkeit des kantonalen Rechts (
Art. 43 Abs. 1 und
Art. 60 Abs. 1 lit. a OG
) und wegen Fehlens einer Zivilrechtsstreitigkeit (
Art. 46 OG
). | Sachverhalt
ab Seite 269
BGE 89 II 268 S. 269
A.-
Am 23. November 1960 verbot die Schlachthauskommission der Gemeinde Savièse dem dort niedergelassenen Metzgermeister Meyer in Anwendung von Art. 38 des vom Gemeinderat am 2. März 1960 erlassenen und vom Staatsrat des Kantons Wallis am 12. Mai 1960 genehmigten Schlachthausreglements den Zutritt zu dem von der Gemeinde im Jahre 1958 errichteten Schlachthause, weil er seit Dezember 1959 wegen einer Meinungsverschiedenheit die Benützungsgebühren nicht mehr bezahlt hatte. Nach Hinterlegung des streitigen Betrags wurde dieses Verbot auf Weisung des Staatsrats am 15. Dezember 1961 aufgehoben.
BGE 89 II 268 S. 270
B.-
Im Februar 1962 reichte Meyer gegen die Gemeinde Savièse Klage auf Schadenersatz im Betrage von Fr. 8187.50 ein mit der Begründung, er habe infolge des erwähnten Verbots, das ohne Grund in rechtswidriger Weise erlassen worden sei, einen Schaden in dieser Höhe erlitten, für den die Gemeinde nach
Art. 41 ff. OR
hafte. Die Beklagte erhob Widerklage auf Zahlung von Gebühren im Betrage von insgesamt Fr. 836.20 für die Untersuchung des nach Savièse eingeführten Fleisches von Tieren, die der Kläger während der Dauer der Schlachthaussperre in einer andern Gemeinde (Brämis) geschlachtet hatte.
Mit Urteil vom 7. Juni 1963 hat das Kantonsgericht Wallis die Hauptklage abgewiesen und die Widerklage gutgeheissen.
C.-
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Hauptklage sei zu schützen und die Widerklage abzuweisen.
Vom Bundesgericht gestützt auf
Art. 51 lit. c und
Art. 52 OG
angefragt, inwieweit das angefochtene Urteil auf der Anwendung eidgenössischer, kantonaler oder Gemeinde-Vorschriften beruhe, hat das Kantonsgericht am 9. September 1963 mitgeteilt, das Urteil beruhe auf kantonalem Recht; selbst wenn bundesrechliche Bestimmungen angewendet worden wären, "so würde darin in concreto immer noch kant. Ersatzrecht zu erblicken sein." Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.
Erwägungen
Erwägungen:
Mit der Berufung an das Bundesgericht kann gemäss
Art. 43 Abs. 1 OG
nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf einer Verletzung des Bundesrechts. Ist der dem Bundesgericht unterbreitete Rechtsstreit nach kantonalem oder ausländischem Recht zu beurteilen und kann deshalb von vorneherein nicht die Rede davon sein, dass der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletze, so ist auf die Berufung nicht einzutreten
BGE 89 II 268 S. 271
(vgl. den letzten Satzteil von
Art. 60 Abs. 1 lit. a OG
). Mit einem derartigen Falle hat man es hier zu tun.
a) Ein Gemeindeschlachthaus ist ein aus Gründen des öffentlichen Wohls errichteter Gemeindebetrieb, der den Gemeinden keine Nettoeinnahmen abwerfen, d.h. nicht auf die Erzielung eines Gewinns gerichtet sein darf (Art. 44 Abs. 3 der eidg. Fleischschauverordnung vom 11. Oktober 1957). Daher kann nicht angenommen werden, die Schlachthauskommission der beklagten Gemeinde habe die Massnahme, in welcher der Kläger eine die Schadenersatzpflicht der Gemeinde begründende unerlaubte Handlung erblickt, in Ausübung gewerblicher Verrichtungen im Sinne von
Art. 61 Abs. 2 OR
getroffen. Vielmehr handelt es sich um eine obrigkeitliche Massnahme. Die Haftung des Gemeinwesens für unerlaubte Handlungen, die von Organen der Kantone oder Gemeinden bei Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen begangen werden, richtet sich nicht nach
Art. 41 ff. OR
in Verbindung mit
Art. 55 ZGB
, sondern (abgesehen von hier nicht zutreffenden Sonderfällen) nach kantonalem Recht. Die
Art. 41 ff. OR
können hier, wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung zutreffend bemerkt hat, höchstens als kantonales Ersatzrecht, dessen Anwendung das Bundesgericht nicht überprüfen kann, herangezogen werden (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 9-11, 13 und 14 zu
Art. 61 OR
, mit Hinweisen).
b) Dem kantonalen Recht (bzw. Gemeinderecht) gehören auch die Vorschriften an, in deren angeblicher Verletzung der Kläger eine unerlaubte Handlung erblickt und auf welche die widerklageweise geltend gemachte Gebührenforderung der Beklagten sich stützt. Wenn Art. 44 Abs. 1 der eidg. Fleischschauverordnung bestimmt, dass die Organisation der öffentlichen Schlachtanlagen, deren sanitarische und polizeiliche Beaufsichtigung, Öffnung, Schliessung, Schlacht- und Beschauzeit usw. sowie die Taxen für deren Benützung, für die Fleischschau und für weitere Leistungen durch ein vom Kanton zu genehmigendes Gemeindereglement bestimmt werden und dass vor
BGE 89 II 268 S. 272
Erlass solcher Reglemente die Anlagebenützer sowie der Fleisch- und Fleischwarenhandel angehört werden sollen, so ändert dies nichts daran, dass solche Reglemente Gemeinderecht (allenfalls, z.B. mit Bezug auf die Ordnung des Rekursrechts, kantonales Recht) darstellen.
Vor der Vorinstanz hat der Kläger, nachdem er sich in der Klage selber auf das Reglement der Gemeinde Savièse vom 2. März 1960 berufen hatte, freilich geltend gemacht, dieses Reglement sei wegen Unterlassung der durch Art. 44 der eidg. Verordnung vorgeschriebenen Anhörung der Beteiligten ungültig. In der Berufungsschrift behauptet er (im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz) neuerdings, dass die "Metzgerinteressenten" bei der Aufstellung dieses Reglements nicht begrüsst worden seien. Er leitet aber daraus nicht mehr ab, dass das Reglement ungültig sei, und wendet gegen die Annahme der Vorinstanz, dass es sich bei der angeblich verletzten Vorschrift um eine blosse Ordnungsvorschrift handle, nichts ein. Für das Bundesgericht besteht kein Anlass, sich mit dieser Frage von Amtes wegen zu befassen. Es bleibt also dabei, dass die Streitsache, die der Kläger dem Bundesgericht mit der vorliegenden Berufung unterbreitet hat, nicht nach Bundesrecht, sondern ausschliesslich nach kantonalem Recht zu beurteilen ist.
Auf die Berufung kann im übrigen auch deswegen nicht eingetreten werden, weil es sich beim Streit über die Haftung einer Gemeinde aus obrigkeitlichen Handlungen ihrer Organe und über Gebühren für die Fleischschau nicht um eine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von
Art. 46 OG
, sondern um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit handelt. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02d5079b-e8d0-47e0-bc24-78ac7ac31758 | Urteilskopf
94 I 213
32. Sentenza 8 maggio 1968 nella causa X. contro Tribunale di appello del cantone Ticino. | Regeste
Notariat. Unvereinbarkeit.
Der Entscheid der kantonalen Behörde, der die vom Beschwerdeführer ausgeübte Tätigkeit als Direktor der Agentur einer Versicherungsgesellschaft als mit derjenigen des Notars unvereinbar im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. c des Tessiner Notariatsgesetzes in der Fassung vom 25. Juli 1967 betrachtet, ist nicht willkürlich (Erw. 1). Ebenso wenig verletzt er wohlerworbene Rechte des Beschwerdeführers, welcher unter der Herrschaft der früheren Bestimmungen beide Tätigkeiten gleichzeitig ausüben konnte (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 213
BGE 94 I 213 S. 213
A.-
La legge sul notariato del Cantone Ticino del 20 febbraio 1940 è stata parzialmente modificata il 19 gennaio 1967. In particolare, l'art. 8, il quale prevedeva l'incompatibilità tra le funzioni di notaio e quelle
"a) di Consigliere di Stato, di magistrato, di funzionario, o di persona in rapporto di impiego con lo Stato, ad eccezione dei funzionari delle Giudicature di pace;
b) di insegnante delle scuole pubbliche cantonali, comunali o consortili;
c) di magistrato, funzionario od impiegato della Confederazione e delle sue amministrazioni",
è stato abrogato e sostituito da una nuova disposizione (art. 11 del testo unico) del seguente tenore:
"La funzione di notaio è incompatibile:
a) con la carica di Consigliere di Stato e di magistrato giudiziario ad eccezione dei giudici supplenti o straordinari;
BGE 94 I 213 S. 214
b) con qualsiasi impiego o funzione - ad eccezione dei mandati - a carattere permanente o duraturo stipendiato o retribuito dalla Confederazione, dai Cantoni, da un Comune, dalle loro amministrazioni o aziende o da altro ente di diritto pubblico;
c) con le professioni e funzioni di direttore o funzionario di banca, di agente di assicurazione, di cambio o di borsa, di mediatore immobiliare, di mediatore e consulente finanziario. Fanno eccezione solo le agenzie bancarie di carattere locale."
La novella legislativa del 19 gennaio 1967 contiene inoltre la seguente norma transitoria (IV):
"I notai che con l'entrata in vigore della presente legge venissero a trovarsi in uno stato d'incompatibilità a tenore del nuovo articolo 8 della legge sul notariato potranno continuare ad esercitare le funzioni di notaio per un periodo di quattro mesi dall'entrata in vigore della presente legge. Entro la fine di detto periodo dovranno optare rispettivamente o per le funzioni di notaio o per le cariche, funzioni, impieghi o professioni incompatibili con il notariato."
Le nuove disposizioni sono entrate in vigore il 10 settembre 1967.
B.-
X., a partire dalla primavera del 1951, ha sempre esercitato contemporaneamente la funzione di notaio e quella di direttore particolare della compagnia di assicurazioni Y.
Mediante circolare del 15 settembre 1967 il Tribunale di appello del Cantone Ticino l'ha invitato a comunicargli se in lui esistessero motivi d'incompatibilità ai sensi delle nuove disposizioni e, in caso affermativo, a decidere per quale funzione tra quelle divenute oramai incompatibili intendesse optare. X. ha risposto, con lettera del 5 dicembre 1967, contestando d'essere un "agente di assicurazione" ai sensi della legge notarile. Egli ha rilevato di occuparsi unicamente della gestione e dell'amministrazione del portafoglio della società, nonchè del coordinamento del lavoro degli agenti, senza invece acquisire per conto proprio clienti nuovi. Ha inoltre addotto che l'attività notarile non è per lui accessoria, ma costituisce una fonte essenziale di entrate per la sua famiglia.
Il Tribunale di appello del Cantone Ticino, mediante decisione del 15 gennaio 1968, ha accertato nella persona di X. l'"esistenza di una causa d'incompatibilità con la funzione di notaio", e l'ha di conseguenza diffidato ad optare per l'una o l'altra delle funzioni divenute incompatibili.
C.-
X. impugna questa decisione mediante un tempestivo
BGE 94 I 213 S. 215
ricorso di diritto pubblico. Egli chiede al Tribunale federale di accertare che l'attività di direttore particolare della compagnia di assicurazioni Y. non è incompatibile con l'esercizio del notariato; domanda di conseguenza l'accoglimento del ricorso e la revoca del giudizio impugnato.
Il ricorrente adduce d'essere legato alla compagnia Y. da un semplice rapporto di mandato che non crea nei suoi riguardi alcun vincolo di subordinazione verso la società. In sostanza egli si troverebbe in una posizione analoga a quella dei gerenti delle agenzie bancarie di carattere locale, i quali possono, in forza di un'esplicita eccezione introdotta dalla legge, continuare ad esercitare contemporaneamente il notariato. Col misconoscere tutte queste circostanze il Tribunale di appello avrebbe commesso un diniego di giustizia materiale. Il ricorrente rimprovera inoltre alla precedente istanza di aver arbitrariamente ignorato il senso della legge, la quale mirerebbe unicamente a proteggere la funzione di notaio, evitando ch'essa sia esercitata a titolo accessorio: tuttavia, per lui, il notariato è una attività non solo principale, ma addirittura essenziale. Il ricorrente fa infine valere d'avere un diritto acquisito all'esercizio del notariato, diritto da cui non potrebbe essere spogliato senza arbitrio.
Il Tribunale di appello, invitato a presentare le sue osservazioni al ricorso, ha rinunciato ad esprimersi.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Il Tribunale di appello ha negato al ricorrente il diritto di esercitare contemporaneamente, in futuro, le attività di notaio e di agente della compagnia d'assicurazioni Y., fondandosi sull'art. 11 cpv. 1 lett. c della legge ticinese sul notariato nel testo unico del 25 luglio 1967 che, appunto, ha introdotto l'incompatibilità tra quelle funzioni.
A torto X. ritiene arbitraria questa decisione, che considera fondata su di una insostenibile applicazione della citata norma legale.
L'opinione del Tribunale di appello, che ha ravvisato nell'attività svolta dal ricorrente a favore della compagnia Y. quella di un agente di assicurazione ai sensi della legge notarile non travalica affatto il senso e lo scopo di quella disposizione. Essa nemmeno si trova in contrasto con l'accezione normale che vien data alla nozione di "agente d'assicurazione" nel
BGE 94 I 213 S. 216
linguaggio comune; nè, infine, si trova in contrasto con il significato che tale espressione possiede nel diritto federale (cfr. in particolare, l'art. 34 LCA). Il ricorrente medesimo, che si definisce "direttore particolare" della compagnia d'assicurazioni Y., non contesta del resto di essere legato a questa società da un rapporto contrattuale diverso dal contratto di lavoro. In realtà, tale rapporto può essere, di massima, qualificato come un contratto d'agenzia nel campo delle assicurazioni (v., per quanto concerne i rapporti giuridici tra la società d'assicurazioni e l'agente: art. 418 e segg. CO; GAUTSCHI, N. 15a agli
art. 418a e 418
b CO; HANSJÖRG WEHRLI, Der Versicherungsagenturvertrag, p. 35 e segg.). Invero, è proprio dell'agente d'assicurazione non solo di cercare clienti e di concludere contratti, ma anche di assolvere taluni compiti amministrativi, tra i quali rientra, in particolare, la gestione del portafoglio della società. Ora, questa era appunto, in linea di massima, la mansione assegnata al ricorrente: non si vede pertanto come quest'ultimo possa rimproverare alla precedente istanza di averlo arbitrariamente considerato un agente di assicurazione, assoggettandolo quindi alla norma di incompatibilità di cui si tratta. In realtà, la decisione che è il frutto di quell'opinione non viola in modo manifestamente grave una norma legale o un principio giuridico chiaro e incontestabile, nè si trova in stridente contrasto con il senso dell'equità (RU 90 I 139 e riferimento). L'interpretazione che la precedente istanza ha dato alla citata norma d'incompatibilità corrisponde anzi alla volontà del legislatore, che ha inteso escludere dallo esercizio dell'attività notarile i notai trovantisi in uno "stretto rapporto di lavoro con una ditta di carattere commerciale o affine" (v. rapporto complementare della Commissione della legislazione concernente la modificazione di alcune norme in materia di notariato, del 9 gennaio 1967, p. 6).
2.
Il fatto che X. non si occupi direttamente dell'acquisizione dei nuovi clienti, compito che lascia ai collaboratori, appare irrilevante. E, anzi, del tutto normale che il direttore regionale di una compagnia d'assicurazioni affidi a collaboratori il compito di stabilire e mantenere i contatti con la clientela: non per questo, tuttavia, egli perde la qualifica e le prerogative dell'agente di assicurazione.
Dal momento che la legge, giusta il suo chiaro tenore, vuole impedire il contemporaneo esercizio delle attività di notaio e di
BGE 94 I 213 S. 217
agente di assicurazione, si rivela senza importanza il rilievo fatto valere dal ricorrente circa la misura dell'attività notarile ch'egli ha svolto sinora.
Il ricorrente afferma poi di non trovarsi in una posizione diversa da quella del gerente di un'agenzia bancaria locale, cui la legge permette di continuare l'esercizio del notariato. Questa opinione è però infondata già per il fatto che X. esplica la sua attività d'agente della società Y. sul territorio di tutto il Cantone, e non semplicemente su di una sua limitata circoscrizione. Non si vede inoltre perchè debba essere proprio ritenuta arbitraria la decisione che rifiuta di estendere in via analogica ad altri rami commerciali l'eccezione che il legislatore ha stabilito solo per i gerenti di agenzie bancarie locali.
3.
Il ricorrente sostiene infine di aver sempre svolto contemporaneamente, a partire dal 1951, le attività tuttora dichiarate incompatibili: ritiene quindi che siano sorti, nei suoi confronti, dei diritti acquisiti che lo Stato non potrebbe ora ignorare o abolire.
A questo punto occorre rilevare quanto segue. Il brevetto di notaio non conferisce all'interessato soltanto il diritto di svolgere determinate funzioni di carattere ufficiale; esso gli procura anche, sebbene indirettamente, una fonte di guadagno, dal momento che le mansioni notarili sono esercitate dietro compenso. Ora, secondo la giurisprudenza, anche certi diritti pecuniari derivanti da rapporti di diritto pubblico (quali il diritto del funzionario allo stipendio o alla pensione) sono protetti dalla garanzia costituzionale della proprietà (RU 70 I 21/22, 74 I 470 lett. b, 77 I 144 consid. 2, 83 I 65 consid. 2, 87 I 325; FAVRE, Droit constitutionnel suisse, p. 287). Censurando una inammissibile limitazione di diritti acquisiti, il ricorrente fa quindi valere, in sostanza, una violazione della garanzia costituzionale della proprietà, la quale è sancita, secondo la concezione oggi dominante, dal diritto costituzionale non scritto della Confederazione (RU 89 I 98 e riferimenti di dottrina
;
93 I 137
consid. 3).
Tuttavia, X. non dimostra d'aver "acquisito" il diritto di continuare a svolgere le funzioni notarili. Egli potrebbe tutt'al più essere al beneficio di un tale diritto, e quindi avvalersene, qualora la censurata incompatibilità contrastasse con una esplicita garanzia contenuta nella legge medesima oppure specialmente stabilita nel caso singolo (RU 70 I 22 lett. b, 74 I 470,
BGE 94 I 213 S. 218
77 I 144 consid. 2, 83 I 65 consid. 2, 87 I 325: cfr. inoltre NARBEL, Les droits acquis des fonctionnaires, p. 72 e segg.). Ma l'esistenza di una garanzia simile, che mettesse il ricorrente al riparo dall'estensione delle norme sull'incompatibilità, non viene asserita nel ricorso, nè è desumibile dagli atti. Il ricorrente non può quindi rimproverare al Tribunale di appello di aver limitato in modo inammissibile i suoi diritti acquisiti, dal momento che egli non se ne è dimostrato titolare.
Si deve quindi concludere che la decisione impugnata non può considerarsi in contrasto con il principio della garanzia costituzionale della proprietà. Del resto, quand'anche si volesse ammettere che l'autorizzazione ad esercitare il notariato abbia procurato al ricorrente un diritto acquisito, la tesi contenuta nel gravame non sarebbe per questo meglio sostenibile. Con la decisione impugnata, infatti, X. non è stato puramente e semplicemente spogliato del diritto di esercitare il notariato, ma soltanto posto davanti ad un'alternativa in cui aveva completa libertà di scelta.
4.
Il ricorrente non può dunque, oggettivamente, considerarsi vittima della violazione di diritti costituzionali. Il gravame va quindi respinto, anche se bisogna convenire che l'impugnato giudizio colpisce duramente il ricorrente, impedendogli di continuare una attività da cui traeva una parte essenziale dei suoi guadagni.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
02d69dc5-13cc-46a9-81b1-3be316852df5 | Urteilskopf
95 I 302
42. Estratto della sentenza 21 maggio 1969 nella causa Bonoli contro Ticino. | Regeste
Enteignungsrecht. Minderwert einer Liegenschaft wegen Verlusts des Zugangs zur Strasse.
1. Wenn bei Teilenteignung eine Liegenschaft infolge Wegfalls oder Verlegung der öffentlichen Strasse keinen genügenden Zugang mehr hat und deshalb eine Wertverminderung erleidet, so ist der Enteigner grundsätzlich zum Ersatz des Schadens verpflichtet (Erw. 5).
2. Der gleiche Grundsatz gilt für die aus dem selben Grund eintretende Verminderung des Wertes einer Liegenschaft, die zwar von der Enteignung nicht betroffen worden ist, die aber wirtschaftlich mit einer enteigneten, dem gleichen Eigentümer gehörenden Liegenschaft zusammenhängt (Erw. 6).
3. Befugnis des Enteigners, gleichwertigen Realersatz im Sinne des
Art. 18 EntG
anzubieten (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 303
BGE 95 I 302 S. 303
Riassunto della fattispecie:
A.-
La procedura espropriativa inerente alla costruzione della strada nazionale n. 2 dal km 21.500 al km 26.565, dichiarata aperta dal Presidente della Commissione federale di stima del VII circondario il 21 gennaio 1964, concerne, tra gli altri beni, la particella n. 198 di Pazzallo, appartenente ai fratelli Franco e Osvaldo Bonoli. Tale fondo, che si trova all'estremità meridionale del territorio di Pazzallo, là dove questo confina con Grancia, misura mq 8487, ed è colpito dall'espropriazione definitiva limitatamente a mq 2125. Gli è adiacente la particella n. 290 di Grancia, appartenente ai medesimi proprietari.
B.-
Mediante decisione del 20 ottobre 1966 la Commissione federale di stima del VII circondario fissò, oltre ad un importo di fr. 8500.-- per la frazione espropriata della particella n. 198, un'indennità di fr. 1600.-- per la svalutazione della sua frazione residua, cui veniva a mancare il precedente sbocco sulla cantonale.
C.-
Gli espropriati si sono aggravati tempestivamente davanti al Tribunale federale adducendo che la perdita dell'accesso era pregiudizievole a tutta la proprietà, e quindi anche alla particella n. 290 di Grancia. Pertanto, anche la svalutazione di questo fondo doveva essere risarcita.
L'ente espropriante ha proposto la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Estratto dei considerandi:
5.
La presente vertenza riguarda la svalutazione (connessa alla perdita d'un accesso stradale indiretto) subita da una particella adiacente a un fondo parzialmente espropriato e appartenente al medesimo proprietario.
a) Prima di affrontare il quesito di sapere se quella svalutazione dà al proprietario il diritto di pretendere un'indennità, occorre esaminare se, di per sè, la soppressione di uno sbocco stradale diretto del quale beneficiava un fondo parzialmente espropriato può fondare una pretesa d'indennità.
L'importo di fr. 1600.-- stabilito dalla precedente istanza per il deprezzamento della particella n. 198 non è invero più litigioso. Tuttavia, pur se quella indennità non può essere in
BGE 95 I 302 S. 304
ogni caso modificata, il problema va discusso a titolo pregiudiziale per la soluzione dell'attuale vertenza.
In tre sentenze pronunciate dal Tribunale federale sul finire del secolo scorso (e pubblicate in RU 7, p. 523 e segg., 20, p. 63 e segg., rispettivamente 23, I, p. 113 e segg.), l'ente espropriante non fu tenuto responsabile del deprezzamento che particelle parzialmente espropriate avevano subito in seguito alla soppressione o all'aggravamento di un accesso stradale. Questa prassi è stata tuttavia presto modificata e - sotto l'influsso della giurisprudenza del Reichsgericht germanico - sostituita da una più favorevole all'espropriato.
Nella sentenza RU 31 II 1 e segg. (v., in particolare, p. 3), il Tribunale federale ha infatti ritenuto che il pregiudizio procurato ad un fondo parzialmente espropriato da un peggioramento dell'accesso dipendente dalla correzione di un tratto di strada doveva essere risarcito, sussistendo un nesso causale tra il danno e l'espropriazione. La circostanza che un altro proprietario - cui non fosse stato tolto alcun terreno ma che avrebbe ciononostante subito gli stessi pregiudizi - si sarebbe trovato nell'impossibilità di far valere una pretesa, non influiva affatto, secondo il Tribunale, sul diritto dell'espropriato ad ottenere la piena indennità. Questo principio è stato confermato pochi mesi dopo nella sentenza RU 31 II 363 e segg. Con motivi analoghi (per quel che riguarda l'esistenza d'un nesso causale tra danno e espropriazione) l'ente espropriante è stato riconosciuto, in RU 33 II 215/216, responsabile del danno provocato ad una villa sino allora tranquilla, e parzialmente espropriata, dalla messa in esercizio di una linea ferroviaria.
Ultimamente il Tribunale federale ha preso ancora posizione sul quesito dei pregiudizi subiti da un fondo parzialmente espropriato in seguito alla soppressione di un accesso stradale. Nella sentenza RU 83 II 538 e segg. (v., in particolare, p. 542/543) è stato rilevato che la questione dell'accesso ad una strada pubblica va esaminata in base al diritto cantonale, ed è stato altresì osservato che spetta di massima al giudice civile decidere se un simile diritto è stato o meno violato (art. 69 LEspr.). Su questo giudizio e sulle sue considerazioni poggia pure il progetto di sentenza del 7 dicembre 1965 nella causa Caverzasio contro Ticino, confermato con sentenza del 23 febbraio 1966. Nella sentenza RU 94 I 286 e segg. (v., in particolare, p. 298 e 299), il Tribunale federale ha tuttavia
BGE 95 I 302 S. 305
modificato la giurisprudenza su questo punto, ed ammessa le competenza dell'autorità d'espropriazione a giudicare siffatte questioni.
b) In sostanza si può in linea di principio affermare che l'ente pubblico può di per sè limitare o sopprimere, senza indennità, l'uso comune di una pubblica strada (cfr. art. 3 LCStr.; v. pure RU 79 I 205). Questa facoltà è stata sempre più o meno esplicitamente ammessa dalla giurisprudenza, e l'ente publico che ne fa uso non viola nessun diritto dei proprietari, in particolare non viola i diritti di vicinato la cui espropriazione darebbe luogo a indennità (art. 5 LEspr.).
aa) Si deve ammettere una eccezione all'accennato principio, e riconoscere l'obbligo dell'ente pubblico ad un adeguato risarcimento o ad una sostituzione in natura, quando il fondo parzialmente espropriato non ha più, in seguito alla soppressione o allo spostamento della strada, un accesso sufficiente a quest'ultima, di guisa che il proprietario si vede costretto a chiedere al vicino il passaggio necessario ai sensi dell'art. 694 CC (v. HAAB, N. 26 all'art. 694 CC). Sarebbe in effetti incompatibile con la garanzia della proprietà lasciar in un simile caso sottrarre senza contropartita l'unico sufficiente accesso alla strada pubblica di cui il proprietario beneficia. Un caso simile incide nella proprietà in un modo assimilabile ad una espropriazione.
bb) D'altra parte, giusta l'art. 22 cpv. 2 LEspr., nel fissare l'indennità si deve tener conto del danno derivante dalla perdita o dalla diminuzione dei vantaggi influenti sul valore venale, che senza l'espropriazione la frazione residua avrebbe conservati secondo ogni probabilità. Tale danno non è necessariamente la risultante della soppressione di un diritto. Esso può benissimo derivare dall'abolizione di vantaggi di fatto connessi al diritto espropriato: la giurisprudenza ha ripetutamente affermato a questo riguardo che anche l'abolizione di questi ultimi può, secondo le circostanze, dar luogo a indennità (RU 51 I 365/366, 92 I 437; cfr. inoltre WALTER BURCKHARDT, Die Entschädigungspflicht nach schweizerischem Expropriationsrecht, ZSR vol. 32 (1913), p. 145 e segg., il quale osserva che l'ente espropriante è tenuto ad indennizzare all'espropriato il danno che questi poteva sperare di evitare conservando la proprietà del fondo, e pone con ciò le premesse dell'attuale art. 22 cpv. 2 LEspr.; v. altresì la sentenza 29 maggio 1967 del
BGE 95 I 302 S. 306
Bundesgerichtshof tedesco, pubblicata in Neue Juristische Zeitschrift, 1967 (20) II, p. 1750/51).
Pertanto, se la costruzione di un'opera per la quale è stata concessa la facoltà di espropriare, rende necessario lo spostamento di una strada cantonale, e toglie con ciò ad una particella parzialmente espropriata l'accesso diretto a quest'ultima, può sorgere per il fondo un evidente pregiudizio di fatto che dev'essere in linea di massima risarcito (v. WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, p. 88 e segg.; HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 10 all'art. 22). La circostanza che il mappale possiede un altro sufficiente accesso ad una strada pubblica (per cui il proprietario non si vedrebbe costretto a chiedere al vicino il passo necessario) non esclude a priori una pretesa d'indennità. Essa riduce soltanto l'ammontare di quest'ultima. La facoltà del proprietario parzialmente espropriato di pretendere un risarcimento cade solo quando il rimanente accesso alla rete stradale è tanto buono che la soppressione dell'altro non cagiona alcuna svalutazione del fondo. Resta beninteso riservato all'espropriante il diritto di offrire un compenso in natura ai sensi dell'art. 18 cpv. 2 LEspr.
cc) È lecito a questo punto chiedersi se il proprietario può, nelle accennate circostanze, pretendere anche la restituzione dei contributi di miglioria da lui eventualmente versati per la correzione o la costruzione di una strada che viene soppressa. Tale quesito, tuttavia, non concerne la fattispecie, e può rimanere indeciso. Egualmente, non c'è necessità di esaminare qui se la stessa posizione giuridica del proprietario parzialmente espropriato debba essere riconosciuta al proprietario cui vengono imposte limitazioni dell'uso comune di una strada, nell'ambito di una procedura di rilottizzazione introdotta in materia di strade nazionali al fine di evitare le espropriazioni (v. gli
art. 21 e 23
dell'ordinanza d'esecuzione 24 marzo 1964 della legge federale sulle strade nazionali; cfr. pure RU 92 I 180 consid. 5).
6.
Accertato che, in linea di massima, i fratelli Bonoli avevano diritto ad una indennità per la soppressione dell'accesso dalla strada cantonale alla particella n. 198 parzialmente espropriata, rimane ora da esaminare se essi potevano formulare una analoga pretesa anche nei confronti della vicina particella n. 290, non colpita dall'attuale espropriazione.
BGE 95 I 302 S. 307
A questo riguardo occorre rilevare quanto segue. I fondi n. 198 e 290 sono tra loro adiacenti e, appartenendo ai medesimi proprietari, formano un unico complesso economico. Vero è che essi giacciono in due differenti comuni, il cui limite giurisdizionale è ivi costituito appunto dal confine tra i citati mappali: ma tale circostanza non ha evidentemente alcun valore nell'attuale vertenza. Anche il fatto che l'una delle particelle è costituita di bosco mentre l'altra è prativa non appare influente, e non è tale da togliere il carattere d'unità economica al complesso dei beni. Ora, l'espropriazione (parziale o totale) di uno dei beni facenti parte del complesso dev'essere assimilata ad una espropriazione parziale di quest'ultimo (v. art. 19 lett. b LEspr., il quale par la di esproprio parziale "di un fondo o di più fondi economicamente connessi"). Sarebbe d'altra parte iniquo porre il proprietario in una situazione peggiore per il semplice fatto che il suo fondo unito è iscritto a registro sotto due o più numeri. Si impone quindi di applicare l'art. 22 LEspr. anche al caso di fondi attigui ed economicamente connessi.
La particella n. 290 conserva invero, anche dopo la soppressione dello sbocco indiretto alla sottostante strada cantonale, l'accesso ad una stradicciola forestale situata nella sua parte superiore. Tuttavia, quest'ultimo accesso è insufficiente e la particella subisce un indubbio pregiudizio in seguito alla scomparsa del primo. Ne consegue che la pretesa d'indennità fatta valere dagli espropriati per la soppressione dell'accesso stradale indiretto dalla particella n. 290 appare, di massima, fondata.
7.
Giusta l'art. 18 LEspr., quando l'espropriazione pregiudichi le vie di comunicazione l'ente espropriante può offrire all'espropriato, al posto di una prestazione liquida, un equivalente in natura che tuteli sufficientemente gli interessi di quest'ultimo.
Nella fattispecie, lo Stato del Cantone Ticino ha offerto di costruire un accesso al mappale n. 290 prolungando la strada già esistente sul fondo Gygax. I periti giudiziali, nel loro rapporto complementare, hanno accertato che quell'accesso è oramai costruito nella misura di 6/7, l'ente espropriante avendo già provveduto a prolungare la strada esistente sul fondo Gygax di circa 70 metri, fino al confine della particella n. 308 con la n. 198. Secondo i periti, tuttavia, la sostituzione in natura
BGE 95 I 302 S. 308
risarcirà completamente gli espropriati solo se la piccola strada verrà prolungata ancora di circa 10 metri (per un dislivello di 4), fino a raggiungere il sentiero che corre sul mappale n. 290.
Vien quindi fatto obbligo all'espropriante di prolungare la citata strada nel modo e nella misura prevista. Con ciò gli espropriati saranno completamente tacitati. | public_law | nan | it | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
02dad006-e0d7-4bc1-a8af-a5193d297454 | Urteilskopf
106 V 58
13. Extrait de l'arrêt du 13 février 1980 dans la cause Fleury contre Service de l'industrie, du commerce et du travail, Lausanne, et Commission cantonale vaudoise d'arbitrage pour l'assurance-chômage | Regeste
Art. 17 Abs. 4 AlVV
.
Im Rahmen dieser Bestimmung kann eine Wohngemeinschaft nicht einer Ehe gleichgesetzt werden. | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 106 V 58 S. 58
A.-
Dame Fleury, née en 1944, célibataire, a obtenu en juillet 1977 un diplôme de branches commerciales. Accompagnée de sa fille alors âgée de six ans, elle a quitté la Suisse le 10 novembre 1977 pour rejoindre son ami en Colombie et s'y marier. Ce dernier projet ne s'étant pas réalisé, elle est rentrée en Suisse le 18 octobre 1978 et a fait contrôler son chômage depuis le 28 novembre 1978.
Indécise quant à la suite à donner à la demande d'indemnisation qui lui était présentée, la caisse d'assurance-chômage a soumis le cas au Service cantonal de l'industrie, du commerce et du travail. Celui-ci a constaté que l'art. 19 al. 2 OAC n'était pas applicable, le séjour en Colombie n'ayant pas eu pour but d'y travailler ou d'y parfaire sa formation; il a considéré qu'il en allait de même de l'art. 17 al. 4 OAC, les circonstances évoquées ne constituant pas un événement semblable au divorce, à la mort ou à l'invalidité du conjoint; aussi a-t-il prononcé par décision du 22 décembre 1978 que, l'assurée ne justifiant pas des 150 jours de travail requis par l'art. 12 OAC et n'étant pas dispensée de cette justification, son chômage n'était pas indemnisable.
B.-
L'intéressée a recouru, en concluant à l'application de l'art. 17 al. 4 OAC. Elle faisait valoir, lettre de son ami à l'appui, qu'elle avait vécu en Colombie comme sous régime marital; que, si les circonstances ne constituaient pas un événement semblable au divorce, elles constituaient de toute évidence une séparation; que cette dernière l'avait contrainte, pour des raisons économiques, d'exercer une activité lucrative afin de subvenir à ses besoins et à ceux de sa fille.
BGE 106 V 58 S. 59
Par jugement du 28 mars 1979, la Commission cantonale d'arbitrage pour l'assurance-chômage a rejeté le recours et confirmé la décision attaquée. Elle a considéré en bref que, son ami n'ayant aucune obligation d'entretien à son égard ni à celui de sa fille, l'assurée devait en tout temps partir de l'idée qu'elle pouvait être astreinte à exercer une activité lucrative et que la situation n'avait rien de comparable avec les suites d'un divorce, de la mort ou de l'invalidité d'un conjoint au sens de l'art. 17 al. 4 OAC.
C.-
L'assurée interjette recours de droit administratif.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'art. 12 al. 1 OAC dispose que l'assuré qui exerce son droit aux indemnités pour la première fois dans l'année civile doit prouver qu'au cours des 365 jours qui précédent le début du chômage il a exercé pendant au moins 150 jours entiers une activité salariée suffisamment contrôlable et pour laquelle il était tenu de payer des cotisations; sont cependant réservées certaines exceptions.
Parmi ces dernières, seule peut en l'occurrence entrer en ligne de compte celle prévue à l'art. 17 al. 4 OAC. Selon cette disposition et l'al. 1 du même article (applicable par analogie), sont dispensées de justifier d'une telle activité durant une année au plus - depuis la survenance de l'événement en cause -, et à condition qu'elles se mettent à l'entière disposition de l'office du travail en vue de leur placement, les "personnes qui, par suite de divorce, de mort ou d'invalidité du conjoint ou à la suite d'un événement semblable sont contraintes, pour des raisons économiques, d'exercer une activité lucrative".
Le texte vise au premier chef les personnes mariées qui se voient privées de l'entretien jusqu'alors fourni par le conjoint, que cette privation provienne de l'extinction de l'obligation d'entretien (en cas de divorce ou de décès du conjoint) ou de l'impossibilité de son exécution (en cas d'invalidité du conjoint), et qui se trouvent de ce fait contraintes d'entreprendre désormais une activité lucrative pour subvenir à leurs besoins ou à ceux de leurs proches. Considérée dans ce contexte, la notion d'"événement semblable" englobe sans nul doute le cas du conjoint à qui l'entretien cesse d'être fourni à la suite d'un événement entraînant pour lui des effets pécuniaires semblables à ceux du divorce, du décès
BGE 106 V 58 S. 60
ou de l'invalidité. L'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail cite ainsi les cas d'emprisonnement, d'absence ou d'abandon du domicile conjugal, que l'on peut tous ramener à la notion plus générale de séparation de fait avec privation effective des prestations d'entretien, alors même que celles-ci restent juridiquement dues.
Bien que ne mentionnant expressément que le divorce, le décès ou l'invalidité du conjoint, ce qui - comme aussi dans le cadre de l'extension envisagée ci-dessus - présuppose l'existence actuelle ou passée d'une union conjugale avec l'obligation légale d'entretien en découlant, le texte parle de "personnes" et non pas seulement de "personnes mariées". Est-ce à dire qu'il pourrait viser d'autres personnes que des conjoints? On ne saurait sans doute l'exclure d'emblée, si l'on songe par exemple à la situation de la fille soignant ses parents âgés des années durant contre son seul entretien et qui, à leur décès, se voit obligée d'exercer une activité lucrative; peut-être l'extinction de l'obligation - légale elle aussi - d'assistance entre parents pourrait-elle en ce cas être qualifiée d'événement semblable à l'extinction de l'obligation entre conjoints.
3.
La situation est toutefois fort différente dans les cas où, comme en l'espèce, n'existe et n'a jamais existé aucune obligation légale d'entretien ou d'assistance (cf., dans un domaine quelque peu différent, DTA 1979 No 24 p. 121). Même si elles durent en fait et entraînent un devoir moral, de telles situations sont par essence précaires en droit, chacun pouvant y mettre fin sans avoir eu dans le passé ni avoir pour l'avenir une quelconque obligation pécuniaire; et chacun devant donc s'attendre à voir cesser à tout moment les prestations que l'autre lui versait juridiquement à bien plaire. Certes, tout comme la femme mariée que son mari abandonne, la concubine - terme qui ne comporte pas forcément une condamnation morale - peut se voir obligée, pour des raisons économiques, d'entreprendre une activité lucrative; et elle sera même désavantagée, ne disposant pas des moyens de droit que la loi reconnaît à l'épouse pour obtenir éventuellement par contrainte des prestations d'entretien ou de remplacement. Mais les cas d'union libre présentent une telle variété, allant du simple partage temporaire de la couche à la vie commune aussi "classique" que celle d'un couple marié, et peuvent se modifier d'une telle façon au cours du temps, qu'une claire délimitation est
BGE 106 V 58 S. 61
impossible entre des situations qui seraient assimilables à celle de conjoints et celles qui ne le seraient pas. Vouloir s'écarter, dans le cadre de l'art. 17 al. 4 OAC, des notions du droit civil entraînerait un certain arbitraire et aboutirait à une insécurité du droit.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02dad9a1-7bd2-40bf-8a34-d799758786f0 | Urteilskopf
119 Ib 412
42. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Dezember 1993 i.S. X. gegen Schweizerische Asylrekurskommission (III. Kammer) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 60 VwVG
,
Art. 101 lit. a und b OG
; Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Praxisänderung).
Wo die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid in der Hauptsache ausgeschlossen ist, steht dieses Rechtsmittel nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses (
Art. 101 lit. a und b OG
) auch nicht gegen Disziplinarmassnahmen gemäss
Art. 60 VwVG
zur Verfügung. | Sachverhalt
ab Seite 412
BGE 119 Ib 412 S. 412
Rechtsanwalt X. vertrat einen pakistanischen Asylsuchenden vor der Schweizerischen Asylrekurskommission. Der zuständige Einzelrichter wies dessen Beschwerde am 28. Januar 1993 im Namen der III. Kammer der Rekurskommission ab.
Am 19. Februar 1993 erteilte der Präsident der III. Kammer der Asylrekurskommission Rechtsanwalt X. für sein Verhalten in diesem
BGE 119 Ib 412 S. 413
Beschwerdeverfahren einen Verweis. Rechtsanwalt X. wurde zur Last gelegt, er habe in Verletzung der verfahrensrechtlichen Sorgfaltspflichten von seinem Klienten gelieferte Falschdokumente eingereicht und seiner Eingabe eine mit der Sache in keinem Zusammenhang stehende Bestätigung eines Arztes für einen anderen Patienten beigelegt.
Das Bundesgericht tritt auf die von Rechtsanwalt X. gegen den Beschluss des Präsidenten der III. Kammer der Asylrekurskommission vom 19. Februar 1993 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern diese von den in
Art. 98 OG
genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und keiner der in
Art. 99-102 OG
oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen Ausschlussgründe gegeben ist (
BGE 115 Ib 347
E. 1b S. 350 mit Hinweisen).
a) Der angefochtene Verweis stützt sich auf
Art. 60 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021)
, wonach die Beschwerdeinstanz Parteien oder deren Vertreter, die den Anstand verletzen oder den Geschäftsgang stören, mit Verweis oder mit Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.-- bestrafen kann. Der Entscheid des Präsidenten der III. Kammer der Asylrekurskommission vom 19. Februar 1993 stellt grundsätzlich eine gemäss
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 VwVG
anfechtbare Verfügung dar (vgl.
BGE 108 Ia 11
;
BGE 108 Ia 172
;
BGE 103 Ia 426
E. 1b S. 428 f.).
b) Nach Art. 11 Abs. 2 lit. a und b des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979 (AsylG; SR 142.31) beurteilt die Schweizerische Asylrekurskommission Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesamtes für Flüchtlinge über die Verweigerung des Asyls und die Wegweisung endgültig. Entsprechend bestimmt
Art. 100 lit. b Ziff. 2 OG
, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide über die Gewährung oder Verweigerung des Asyls ausgeschlossen ist. Es fragt sich, ob trotz des Ausschlusses der Weiterziehbarkeit in der Sache gegen einen neben dem Hauptentscheid ausgesprochenen Verweis an den Rechtsvertreter des Asylbewerbers die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist.
BGE 119 Ib 412 S. 414
2.
Das Bundesgericht hat die Frage in drei Entscheiden bejaht (nicht veröffentlichte Urteile vom 3. Juni 1986 i.S. W. c. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement [A.373/1985] und vom 20. März 1987 i.S. G. c. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement [A.547/1986]; Urteil vom 8. März 1990 i.S. T. c. Département Fédéral de Justice et Police [2A.279/1989], publiziert in: VPB 56/1992 Nr. 36). Diese Praxis bedarf einer Überprüfung.
a) Nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wenn sie in der Hauptsache unzulässig ist, grundsätzlich auch gegen alle Zwischenverfügungen des betreffenden Verfahrens ausgeschlossen (
Art. 101 lit. a OG
;
BGE 111 Ib 73
E. 2a S. 75; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 106 f., 237, 331). Dieselbe Regel gilt nach
Art. 101 lit. b OG
für Verfügungen über Verfahrenskosten und Parteientschädigungen. Unter "Zwischenverfügungen" gemäss
Art. 101 lit. a OG
sind nicht nur verfahrensleitende Anordnungen im engeren Sinn zu verstehen, sondern auch allfällige Teilentscheide und Nichteintretensentscheide sowie Verfügungen über die Gewährung oder Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege (
BGE 111 Ib 73
E. 2a S. 74 f.; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, Basel 1979, S. 84; GYGI, a.a.O., S. 237). Unter die Regel von
Art. 101 lit. a OG
müssen nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift aber auch prozessdisziplinarische Massnahmen gemäss
Art. 60 VwVG
(Verweis oder Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.--) fallen. Diese haben ebenfalls keinen selbständigen Charakter, sondern sie dienen der Aufrechterhaltung der Prozessdisziplin in einem bestimmten, vor der sanktionierenden Behörde durchgeführten Verfahren. Die Bindung dieser Massnahmen an ein bestimmtes Verfahren ergibt sich aus dem Wortlaut von
Art. 60 VwVG
, wonach die urteilende Beschwerdeinstanz "die Parteien oder deren Vertreter" disziplinieren kann. Solche Sanktionen erscheinen somit als begleitende Anordnungen zu einem hängigen Hauptverfahren und sind daher den Zwischenverfügungen gemäss
Art. 101 lit. a OG
gleichzustellen, d.h. ein allfälliger Ausschluss der Weiterziehbarkeit in der Hauptsache gilt auch für diese Nebenentscheide.
b) Dass Disziplinarmassnahmen gemäss
Art. 60 VwVG
nicht bloss die Partei selber, sondern auch deren Vertreter treffen können, steht einer solchen Einstufung nicht entgegen. Ebenso können sich Verfügungen über die Gewährung oder Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege zugleich an den Anwalt richten, ohne dass sie deswegen
BGE 119 Ib 412 S. 415
von der Regel des Art. 101 lit. a bzw. lit. b OG ausgenommen wären (GYGI, a.a.O., S. 331).
c) Für die vorstehende Auslegung sprechen noch weitere Überlegungen: Wären prozessdisziplinarische Massnahmen nach
Art. 60 VwVG
unabhängig von der Weiterziehbarkeit der Hauptsache gesondert mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, könnte ihre Beurteilung nicht selten eine aufwendige Auseinandersetzung mit dem gesamten vorinstanzlichen Prozess erfordern, obwohl der Gesetzgeber in der betreffenden Materie eine Anrufung des Bundesgerichtes an sich gerade ausschliessen wollte. Vollends fragwürdig wäre eine solche Regelung aber insbesondere im Bereich des Asylwesens, wo dem Betroffenen in der Sache selber, obwohl für ihn existentielle Interessen auf dem Spiel stehen, der Zugang zum Bundesgericht verwehrt ist, hingegen für eine im Rahmen des gleichen Verfahrens ergangene, gemessen an der Tragweite des Sachentscheides völlig geringfügige Disziplinarmassnahme gegen den Anwalt (oder die Partei selber) dieser Rechtsweg offenstünde. Eine Anwendung des Grundsatzes der Einheit des Verfahrens auch auf Massnahmen nach
Art. 60 VwVG
vermeidet derartige sinnwidrige Konsequenzen. Wo nach der Regelung des Bundesgesetzgebers die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid in der Hauptsache ausgeschlossen ist, steht dieses Rechtsmittel auch nicht gegen Disziplinarmassnahmen gemäss
Art. 60 VwVG
zur Verfügung. An der gegenteiligen bisherigen Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden.
3.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach nicht einzutreten.
Da die neue Praxis im vorliegenden Fall erstmals zur Anwendung gelangt und der Beschwerdeführer gestützt auf die bisherige Praxis damit rechnen durfte, dass auf seine Beschwerde eingetreten werde, rechtfertigt es sich, entgegen dem Ausgang des Verfahrens auf eine Kostenauflage zu verzichten (
Art. 156 Abs. 1 OG
). Auf eine Parteientschädigung besteht, da der Beschwerdeführer in eigener Sache handelte und die Angelegenheit für ihn mit keinem besonderen Aufwand verbunden war, kein Anspruch (
BGE 110 V 132
). | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
02db3597-2fa4-4afe-8c04-28420dc03722 | Urteilskopf
119 II 236
48. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 25 mai 1993 dans la cause Denaro Hypo Leasing AG contre Masse en faillite B. (recours en réforme) | Regeste
Finanzierungsleasingvertrag; Klage der Leasinggesellschaft auf Herausgabe des Vertragsgegenstandes gegen die Konkursmasse einer Person, welcher der Leasingnehmer den Vertragsgegenstand geliehen hat.
1. Da es sich beim Leasingnehmer um eine im Handelsregister eingetragene Gesellschaft handelt, und der Vertragsgegenstand für berufliche Zwecke bestimmt ist, sind vorliegend gemäss
Art. 226m Abs. 4 OR
einzig die Art. 226h Abs. 2, 226i Abs. 1 und 226k OR anwendbar (E. 3).
2. Begriff und Wesensmerkmale des Finanzierungsleasingvertrages: Zusammenfassung von Lehre und Rechtsprechung (E. 4).
3. Hat der Leasingnehmer mit einem Dritten einen Kaufvertrag über eine Sache abgeschlossen und ist diese vor Abschluss des Leasingvertrages an den Leasingnehmer ausgeliefert worden, so hat dieser das Eigentum daran erworben; da die Leasinggesellschaft nie Eigentümerin des Leasingobjektes geworden ist, kann sie nicht auf Herausgabe dieser Sache klagen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 119 II 236 S. 237
A.-
a) Le 10 mars 1986, la société Hoefliger AG, à Lengnau, a vendu à la société Microdia S.A., à Yverdon, un tour CNC Dainichi BX 45 avec FANUC 10 TF, protection anticopeaux et poupée coulissante programmée. Le contrat, établi en langue allemande sur une formule préimprimée de l'Association suisse des vendeurs de machines et outils, édition 1976, prévoit le paiement par le leasing (Zahlung über Leasing) et le droit de réserve de propriété du vendeur. En outre, les deux actionnaires de Microdia, B. et C., répondent solidairement du paiement des acomptes du leasing-bail. La machine a été livrée à Microdia S.A. le 28 mai 1986. Aucune réserve de propriété n'a été inscrite.
Les 24 juin/1er juillet 1986, un contrat de leasing portant sur le tour CNC Dainichi BX 45 a été conclu entre Denaro Hypo Leasing AG et Microdia S.A. La durée prévue était de 60 mois, du 1er août 1986 au 31 juillet 1991, et le loyer mensuel était fixé à 6'444 francs, payables la première fois le 1er juillet 1986.
Le 25 juin 1986, Hoefliger AG a envoyé à Denaro Hypo Leasing AG une facture d'un montant de 335'100 francs concernant le tour livré à Microdia S.A. Denaro Hypo Leasing a payé cette facture.
b) Microdia S.A., qui n'utilisait pas la machine, l'a prêtée à B. Celui-ci est tombé en faillite le 12 mai 1987. La machine a été inventoriée dans les actifs de la masse en faillite. Denaro Hypo Leasing AG en a revendiqué la propriété. L'administration de la faillite a contesté la revendication et a fixé à Denaro Hypo Leasing AG un délai pour ouvrir action.
B.-
Par jugement du 20 mars 1992, la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté l'action en revendication introduite en temps utile par Denaro Hypo Leasing AG.
C.-
Cette dernière recourt en réforme au Tribunal fédéral. Elle reprend les conclusions en revendication formulées dans l'instance cantonale.
La masse en faillite de B. conclut au rejet du recours.
Le Tribunal fédéral confirme le jugement attaqué.
BGE 119 II 236 S. 238
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Dans l'
ATF 118 II 151
ss, du 30 avril 1992, le Tribunal fédéral a rappelé la notion, la fonction et les caractéristiques du leasing financier ou crédit-bail, ainsi que les solutions proposées par la doctrine et la jurisprudence au sujet de la qualification de cette nouvelle forme de financement, d'une part, et de l'applicabilité des dispositions sur la vente à tempérament, d'autre part.
Ce dernier point n'est d'aucune utilité pour la recourante. Abstraction faite de ce qu'une partie importante de la doctrine et de la jurisprudence cantonale n'applique pas les dispositions sur la vente à tempérament au leasing financier (
ATF 118 II 155
consid. 5b), en l'espèce le preneur (Microdia S.A.) était une société commerciale inscrite au registre du commerce et l'objet du contrat était destiné à un usage professionnel. Il s'ensuit que, comme l'a dit l'autorité cantonale, en vertu de l'
art. 226m al. 4 CO
, seuls étaient applicables les art. 226h al. 2, 226i al. 1 et 226k CO. La nullité du contrat de leasing étant par conséquent exclue d'emblée, on ne voit pas en quoi ces dispositions, qui ont été édictées afin de protéger l'acheteur en demeure, pourraient fonder le droit de propriété de la recourante sur l'objet revendiqué.
4.
Dans une première phase du contrat de leasing, la société de leasing (le crédit-bailleur) acquiert à ses frais, mais selon les indications de son client (le preneur), le bien à financer auprès du fournisseur désigné par le client; ensuite, dans une deuxième phase, elle laisse le bien acquis à la disposition du client pour une durée fixe (dite période irrévocable), correspondant, en règle générale, à la durée de vie économique du bien: le preneur assume l'intégralité des risques et des charges, et paie à la société de leasing des redevances calculées de manière à couvrir intégralement le remboursement de la mise de fonds de la société de leasing. Enfin, à l'issue de la période fixe, dans une troisième phase, le preneur dispose de plusieurs options: il peut restituer le bien à la société de leasing, demander une prorogation du contrat, conclure un nouveau contrat de leasing portant sur le financement d'un bien similaire (par exemple d'un modèle plus avancé techniquement), acheter le bien au prix convenu ou à convenir (cf. MARIO GIOVANOLI, Leasing (crédit-bail), FJS No 363 p. 3-4;
ATF 118 II 153
/154 consid. 4b).
De profondes divergences subsistent dans la doctrine quant à la qualification juridique du leasing financier, en particulier du leasing financier de biens d'investissement mobiliers.
BGE 119 II 236 S. 239
Certains auteurs voient dans le contrat de leasing un contrat d'aliénation sui generis, soumis aux prescriptions sur la vente par acomptes et à celles sur le pacte de réserve de propriété. D'autres auteurs rapprochent le contrat de leasing du contrat de bail et mettent l'accent sur la cession de l'usage du bien objet du leasing. D'autres encore définissent le leasing financier comme un contrat de crédit sui generis avec des éléments du prêt et du transfert de propriété à fin de sûreté; ils considèrent cette notion comme conciliable avec la prohibition de l'hypothèque mobilière résultant de l'
art. 717 CC
, étant donné que le crédit-bailleur acquiert le bien non pas du preneur lui-même, mais d'un tiers fournisseur (GIOVANOLI, op.cit., p. 14-16; BERND STAUDER, Das Finanzierungs-Investitionsgüterleasing von Mobilien durch eine Leasingsgesellschaft: offene Fragen, in ERNST A. KRAMER, Neue Vertragsformen der Wirtschaft, 2e éd., 1992, p. 77-79;
ATF 118 II 156
consid. 6a).
La jurisprudence cantonale s'est prononcée, dans sa grande majorité, en faveur de la notion de contrat innomé ou sui generis de cession d'usage qui attribue au preneur la position de propriétaire économique, tout en laissant la propriété juridique à la société de leasing; d'où la conséquence que le bien objet du financement ne tombe pas dans la masse en faillite du preneur. Le fait que, selon les constatations souveraines de l'autorité cantonale, la société de leasing n'avait pas l'intention d'aliéner a été considéré comme déterminant par le Tribunal fédéral dans l'arrêt susmentionné du 30 avril 1992; l'action en revendication a été admise (
ATF 118 II 156
/157 consid. 6c).
Cet arrêt a été critiqué par HAUSHEER (RJB 1992 p. 480-484), fidèle à une opinion qu'il avait déjà exprimée dans le passé. Cet auteur estime que la volonté des parties n'est pas décisive dans la mesure où elle est en conflit avec des dispositions de droit impératif, notamment les dispositions relatives au pacte de réserve de propriété (
art. 715 CC
) et à la constitution en gage d'une chose mobilière (
art. 884 CC
). Un droit de gage dans lequel le débiteur garde la possession de la chose ou la stipulation d'une sûreté sans inscription dans le registre des pactes de réserve de propriété ne paraissent pas compatibles avec le principe du numerus clausus des droits réels et la protection des tiers. Même si l'on devait en rester à la notion de la cession d'usage sui generis, il y aurait lieu de tenir compte des règles impératives du nouveau droit de bail.
5.
La présente affaire est atypique à plusieurs égards.
BGE 119 II 236 S. 240
Tout d'abord, la recourante, société de leasing, n'a pas acquis du tiers fournisseur la machine objet du financement. Le contrat de vente a été passé le 10 mars 1986 entre ce tiers et Microdia S.A., désignée comme acheteur, à qui la machine a été livrée le 28 mai 1986. L'autorité cantonale affirme qu'en matière de leasing financier l'objet du leasing est parfois remis au preneur avant la signature du contrat (de leasing), à titre d'essai notamment; mais elle ne constate pas qu'en l'espèce telle a été la volonté des parties au contrat de vente.
En outre, bien qu'il précise que le paiement aura lieu par leasing (Zahlung über Leasing), le contrat de vente ne donne aucune indication quant à la personne du crédit-bailleur. La pratique connaît, du reste, le leasing direct du fournisseur ou fabricant des biens objets du contrat, sans l'intermédiaire d'une société spécialisée de leasing financier. A la différence de cette dernière, qui n'intervient que comme bailleur de crédit et qui n'assume aucune responsabilité quant au bien financé, le fournisseur ou fabricant du bien n'est pas libéré de toute responsabilité découlant de la livraison, des qualités promises et des défauts du bien qu'il fournit (cf. GIOVANOLI, op.cit., p. 10).
Ce n'est que les 24 juin/1er juillet 1986, donc bien postérieurement à la vente et à la livraison de la machine par Hoefliger AG à Microdia S.A., que le contrat de leasing entre la recourante et Microdia S.A. a été conclu. On constate, par ailleurs, que les conditions du leasing financier ne sont pas identiques à celles du contrat de vente, puisqu'elles ne font pas mention du versement à la commande et du montant du rachat après cinq ans. Certes, Denaro Hypo Leasing AG, à qui la facture a été envoyée le 25 juin 1986, a payé au fournisseur le prix de la machine livrée à Microdia S.A. Mais elle n'a jamais acquis du fournisseur le bien en question et n'a jamais disposé d'un titre de propriété. Contrairement à l'opinion de l'autorité cantonale, ce n'est pas ce paiement qui peut, à lui seul et à défaut d'un accord de volontés, qui n'est pas constaté, entre le fournisseur et la recourante, avoir attribué à Denaro Hypo Leasing AG le droit de propriété sur le bien fourni.
Microdia S.A. est devenue propriétaire de la machine par tradition, en vertu du contrat de vente qui la désignait comme acquéreur et de la livraison intervenue bien avant la conclusion du contrat de leasing. La recourante n'a jamais acquis la propriété de l'objet qu'elle aurait par la suite mis à la disposition du preneur, partie au contrat de leasing. Elle n'est pas non plus au bénéfice d'un pacte de réserve
BGE 119 II 236 S. 241
de propriété. Dès lors, elle n'est pas habilitée à revendiquer l'objet du contrat de leasing dans la faillite de B.
La solution adoptée par les parties se rapproche du "lease-back" ou "cession-bail", impraticable en droit suisse, au vu des normes impératives des
art. 717 et 884 CC
(cf. GIOVANOLI, op.cit., p. 7-8); elle ne s'y identifie cependant pas, puisque la recourante n'a pas acquis de Microdia S.A. la propriété de la machine. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
02e1e582-6c63-45ad-adde-7b931803fc38 | Urteilskopf
107 Ib 116
24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. Juli 1981 i.S. H. gegen Regierungsrat des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
. Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Befreiung von der Anschlusspflicht aus wichtigen Gründen.
Im Bereiche von Kanalisationen sind gemäss
Art. 18 Abs. 1 Satz 1 GSchG
grundsätzlich auch häusliche Abwässer aus landwirtschaftlichen Betrieben mit Nutztierhaltung an die Kanalisation anzuschliessen. Die in
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
vorgesehene Ausnahmeregelung will im Einzelfall Härten und offensichtliche Unzweckmässigkeiten verhindern (E. 2).
Selbst wenn aus technischer Sicht der Befreiung solcher häuslicher Abwässer von der Anschlusspflicht nichts entgegensteht, darf eine Ausnahmebewilligung nur dann erteilt werden, wenn das Beharren auf der Anschlusspflicht zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führen würde oder offensichtlich unzweckmässig wäre. Im Blick auf das Gleichbehandlungsgebot kann von Bedeutung sein, ob die fragliche Liegenschaft in der Bauzone oder in der Landwirtschaftszone liegt (E. 4).
Hier liegen keine besonderen Umstände vor, die ein Abweichen von der Regel nahelegen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 117
BGE 107 Ib 116 S. 117
H. stellte am 13. März 1980 beim thurgauischen Amt für Umweltschutz und Wasserwirtschaft (AUW) ein Gesuch um Befreiung von der Anschlusspflicht an die örtliche Kanalisation. Das Gesuch wurde abgewiesen, ebenso die hierauf beim Regierungsrat des Kantons Thurgau eingereichte Beschwerde. Der Regierungsrat begründete seinen Entscheid wie folgt: Die Verwertung der häuslichen Abwässer zusammen mit der Stalljauche entlaste unbestrittenermassen die Gewässer, sofern die verdünnte Jauche fach- bzw. zeitgerecht ausgebracht werde. Der Stapelraum des Beschwerdeführers sei jedoch zu klein, so dass die Jauche unter Umständen auch in der klimatisch und pflanzenbaulich ungünstigen Zeit ausgebracht werden müsse. Das Angebot H.'s, seine Jauchegrube zu vergrössern, sei nicht zu berücksichtigen; könnten die Grundeigentümer im Baugebiet auch nach dem Bau der Kanalisation noch die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Anschlusspflicht schaffen, so könnte das Sanierungs- und Finanzierungskonzept kleiner Orte über den Haufen geworfen werden.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt H. die Aufhebung dieses Entscheides. Er macht geltend, die von mehreren Bundesämtern herausgegebene "Wegleitung für den Gewässerschutz in der Landwirtschaft" nenne drei Voraussetzungen für eine Befreiung von der Anschlusspflicht, die auch erst nachträglich, innert einer von den Behörden angesetzten Frist, erfüllt werden könnten.
BGE 107 Ib 116 S. 118
Sobald er die geplante grössere Jauchegrube erstellt habe, erfülle er alle Voraussetzungen.
Erwägungen
Das Bundesgericht weist die Beschwerde aus folgenden Erwägungen ab:
2.
a) Nach Art. 18 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG) sind alle im Bereich der öffentlichen und der öffentlichen Zwecken dienenden privaten Kanalisationen (Kanalisationsbereich) anfallenden Abwässer an diese anzuschliessen. Zum Kanalisationsbereich im Sinne dieser Bestimmung gehören nach Art. 18 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 (AGSchV) das durch das Generelle Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzte Gebiet sowie die ausserhalb desselben bestehenden Bauten und Anlagen, soweit deren Anschluss an das Kanalisationsnetz zweckmässig und zumutbar ist.
Der in
Art. 18 GSchG
enthaltene Grundsatz der Anschlusspflicht steht in enger Beziehung zu
Art. 17 GSchG
: Nach dieser Bestimmung sind die Kantone und Gemeinden verpflichtet, für die Ableitung und Reinigung der Abwässer die erforderlichen öffentlichen Kanalisationssysteme und zentralen Abwasserreinigungsanlagen zu erstellen. Wie der Bundesrat in der Botschaft zum Gewässerschutzgesetz ausführte (BBl 1970 II 1., zu Art. 17, S. 451), ist die mechanisch-vollbiologische Reinigung der gesammelten Abwässer erfahrungsgemäss nur dann finanziell tragbar, wenn Gemeinden oder Gemeindegruppen Sammelkläranlagen bauen. Im Blick auf die hohen Kosten solcher Anlagen gewähren Bund und Kantone erhebliche Subventionen (
Art. 33 ff. GSchG
,
Art. 32 AGSchV
). Aus
Art. 17 Abs. 4 GSchG
ergibt sich, dass der Bundesgesetzgeber aber auch den Kausalabgaben eine bedeutende Rolle zumisst (vgl. KARL KÜMIN, Öffentlich-rechtliche Probleme des Gewässerschutzes in der Schweiz, Diss. Zürich 1973, S. 80 ff.). Die in
Art. 18 GSchG
statuierte Anschlusspflicht beruht somit nicht nur auf Überlegungen der Abwasserbeseitigungstechnik, sondern soll auch eine ausgewogene gemeinschaftliche und rechtsgleiche Finanzierung der für den Gewässerschutz erforderlichen Kanalisations- und Reinigungsanlagen sicherstellen.
b) Ausnahmsweise kann jedoch die zuständige kantonale Behörde für bestimmte Abwässer besondere Arten der Behandlung und Ableitung anordnen (
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
), d.h. unter
BGE 107 Ib 116 S. 119
bestimmten Voraussetzungen ist eine Befreiung von der Anschlusspflicht möglich. Dies kommt für Abwässer in Frage, "die für die zentrale Reinigung nicht geeignet sind oder für die diese aus andern wichtigen Gründen nicht angezeigt ist".
Wie im öffentlichen Baurecht stellt diese Ausnahmeregelung im Gewässerschutzrecht ein allgemeines Rechtsinstitut dar, das bezweckt, im Einzelfall Härten und offensichtliche Unzweckmässigkeiten zu beseitigen (
BGE 99 Ia 137
f. E. 7a). Derartige Härtefälle können als Folge besonderer Umstände auftreten, mit denen die notwendigerweise generalisierenden und schematisierenden Normen nicht gerechnet haben. Die strikte Anwendung der Norm in diesen Fällen würde zu einem offensichtlich ungewollten Ergebnis führen. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung ist daher immer, dass solche besondere Umstände vorliegen. ob dies im konkreten Fall zutrifft, ist sorgfältig zu prüfen, da eine leichtfertige Erteilung von Ausnahmebewilligungen die verfassungsrechtlichen Gebote der Gesetzmässigkeit der Verwaltung und der rechtsgleichen Behandlung der Bürger verletzen würde. Das Institut der Ausnahmebewilligung darf nicht so gehandhabt werden, dass damit im Ergebnis das Gesetz selbst geändert wird (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, Nr. 37 S. 227 N. III b; ERICH ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, N. 2 zu § 155 S. 437).
3.
Besondere Arten der Behandlung und Ableitung können nach
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
einerseits für solche Abwässer angeordnet werden, die für die zentrale Reinigung nicht geeignet sind. Gemeint sind damit nach der Botschaft des Bundesrates gewisse industrielle Abwässer, die sich wegen ihrer Beschaffenheit nicht für eine zentrale Behandlung zusammen mit den häuslichen Abwässern eignen oder die keiner mechanisch-biologischen Reinigung bedürfen, wie beispielsweise Kühlwässer (BBl 1970 II 1., zu Art. 18. S. 452).
Als zweite Ausnahme nennt
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
Abwässer, für welche die zentrale Reinigung "aus andern wichtigen Gründen nicht angezeigt ist".
a) "Wichtige Gründe" und "angezeigt" sind unbestimmte Rechtsbegriffe. Die Botschaft des Bundesrates führt nicht näher aus, was damit gemeint ist. Sie erwähnt nur, die Anschlusspflicht entfalle zwangsläufig für bestehende Bauten und Anlagen, die entweder weit vom Kanalisationsrayon entfernt oder aber im Bereiche einer erst geplanten öffentlichen Kanalisation liegen
BGE 107 Ib 116 S. 120
(BBl 1970 II 1., zu Art. 18, S. 452). Daraus folgt, dass bestehende Bauten und Anlagen, in deren Nähe eine Kanalisationsleitung in Betrieb genommen wird, regelmässig der Anschlusspflicht unterliegen. Der Umstand, dass eine Baute im Zeitpunkt der Inbetriebnahme einer Kanalisationsleitung bereits besteht, gilt mithin nicht als Ausnahmesachverhalt im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
(vgl. auch
BGE 101 Ib 193
E. 2a). Die Beratungen in der Bundesversammlung haben diese Begriffe nicht näher geklärt (Sten.Bull. 1971 N 138 f., 150 ff., 163, 503 f.; S 698 f., 1166).
Die Allgemeine Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 (AGSchV) enthält keine Ausführungsbestimmungen, welche die nach
Art. 18 Abs. 1 GSchG
zulässigen Ausnahmen von der Anschlusspflicht näher umschreiben. Immerhin findet sich unter den "Grundsätzen für die besonderen Arten der Abwasserbeseitigung" die Vorschrift von
Art. 24 Abs. 1 AGSchV
, wonach bestehende abflusslose Gruben "als Übergangslösung belassen" werden können. Der Bundesrat betrachtet die abflusslosen Gruben somit für häusliche Abwässer als ein Provisorium, das im Laufe der Zeit durch Anschluss an eine Kanalisation sein Ende finden soll. Die Anlage neuer Gruben ist nicht vorgesehen.
Die Verordnung des Bundesrates vom 19. Juni 1972 zum Schutze der Gewässer gegen Verunreinigung durch wassergefährdende Flüssigkeiten sieht in Art. 1 Abs. 2 Satz 2 für Abwässer und landwirtschaftliche Abgänge besondere Vorschriften vor. Die Verordnung des Bundesrates vom 8. Dezember 1975 über Abwassereinleitungen regelt diese Verhältnisse. Doch sagt auch sie nichts Ausdrückliches über die Zulässigkeit der Einleitung von häuslichen Abwässern in Stalljauchegruben. Hievon handelt nun erstmals eine von mehreren Bundesämtern herausgegebene Wegleitung.
b) Die Bundesämter für Landwirtschaft und für Umweltschutz haben in Zusammenarbeit mit dem Eidg. Meliorationsamt und Eidg. landwirtschaftlichen Forschungsanstalten eine vom Dezember 1979 datierte "Wegleitung für den Gewässerschutz in der Landwirtschaft" herausgegeben, in der sie den allgemein Interessierten und den kantonalen Behörden Richtlinien insbesondere über Düngung, Anschlusspflicht und Hofdüngerverwertung geben. Hier in Betracht fällt namentlich der 2. Teil "Ableiten und Verwerten der Abwässer aus Landwirtschaftsbetrieben im Kanalisationsbereich" auf den Seiten 15-20. Diese Ausführungen werden auf S. 20 wie folgt zusammengefasst:
BGE 107 Ib 116 S. 121
"Im Kanalisationsbereich unterliegen grundsätzlich alle häuslichen Abwässer, mit Einschluss derjenigen aus der Landwirtschaft, der Anschlusspflicht. Die wichtigen Gründe für das Befreien von dieser Pflicht sind dann gegeben, wenn
- es sich um einen Betrieb mit landwirtschaftlicher Nutztierhaltung handelt;
- das ordnungsgemässe Lagern und das anschliessende Ausbringen der Gülle zusammen mit sämtlichen häuslichen Abwässern auf die eigene landwirtschaftliche Nutzfläche gewährleistet ist; als eigenes Land gilt z.B. gesichertes Pachtland, nicht aber durch Hofdüngerabnahmeverträge belastete eigene oder fremde Nutzflächen;
- ein ausgewogenes Verhältnis (etwa 1-1,5: 1) zwischen der Menge häuslicher Abwässer und jener an Gülle gegeben ist.
Dabei müssen alle drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein."
4.
a) Das Bundesgericht hat im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur zu untersuchen, ob die angefochtene Verfügung vor dem Bundesrecht, d.h. vor den einschlägigen Gesetzen, Staatsverträgen und der Verfassung standhält, ob der rechtserhebliche Sachverhalt unrichtig oder unvollständig festgestellt wurde oder ob die angefochtene Verfügung unangemessen sei (
Art. 104 OG
in Verbindung mit
Art. 10 GSchG
). Es hat jedoch nicht zu prüfen, ob die angefochtene Verfügung mit der "Wegleitung" im Einklang stehe; diese "Wegleitung" enthält im hier massgeblichen zweiten Teil verwaltungsinterne Richtlinien, die der Schaffung einer einheitlichen Verwaltungspraxis dienen sollen, die aber für das Bundesgericht nicht verbindlich sind (
BGE 105 Ib 140
E. 2 mit Verweisen). Die Anwendung der in
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe "wichtige Gründe" und "angezeigt" überprüft das Bundesgericht als Rechtsfrage frei. Dabei übt es aber Zurückhaltung, da der Verwaltung ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzuerkennen ist, soweit vorwiegend technische Fragen der Zweckmässigkeit zu lösen sind (
BGE 104 Ib 112
E. 3 mit Verweisen).
b) Die Wegleitung umschreibt die Voraussetzungen, die landwirtschaftliche Betriebe mit Nutztierhaltung erfüllen müssen, damit "wichtige Gründe" im Sinne von
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
angenommen werden dürfen und von der Anschlusspflicht für die häuslichen Abwässer abgesehen werden kann. Sie weist darauf hin, dass nicht nur seitens der Betriebe bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, sondern dass sich aus der Sicht der gesamten Abwasserreinigung und -beseitigung eine andere Lösung aufdrängen muss (S. 17). In der Zusammenfassung auf Seite 20 wird dieser
BGE 107 Ib 116 S. 122
Aspekt allerdings nicht mehr erwähnt. Geschieht das Verwerten der mit häuslichen Abwässern verdünnten Gülle mit Sachkenntnis und Sorgfalt, so wird dabei - wie sich der Wegleitung (S. 17) und der Vernehmlassung des EDI entnehmen lässt - ein eindeutig besserer Reinigungserfolg erzielt als durch das Behandeln der Abwässer in einer Abwasserreinigungsanlage. Aus technischer Sicht steht somit einer Befreiung von der Anschlusspflicht nichts entgegen, wenn die in der Wegleitung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Bei der Auslegung von
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
ist aber auch zu beachten, dass mit der Anschlusspflicht ein weiterer Zweck verfolgt wird, nämlich die ausgewogene gemeinschaftliche und rechtsgleiche Finanzierung der für den Gewässerschutz erforderlichen Kanalisations- und Reinigungsanlagen (vgl. vorn, E. 2a).
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
hält ausdrücklich fest, dass eine Sonderbehandlung nur "ausnahmsweise" möglich ist. Diesem Erfordernis ist - neben dem Vorliegen "wichtiger Gründe" - ebenfalls Beachtung zu schenken (vgl. auch den französischen und den italienischen Text des Gewässerschutzgesetzes). Würde man immer dann, wenn die in der Wegleitung genannten Voraussetzungen erfüllt sind, eine Ausnahmebewilligung erteilen, so würde dies im Ergebnis dazu führen, dass ein ganzer Berufsstand, die viehhaltende Landwirtschaft, von der Anschlusspflicht befreit werden könnte. Gerade in kleinen Bauerndörfern könnte so die Finanzierung der vom Gesetz verlangten Anlagen verunmöglicht oder doch stark beeinträchtigt werden. Von einer Ausnahme kann unter diesen Umständen nicht mehr gesprochen werden. Die Ausnahme würde zur Regel, es entstünde ein Sonderrecht zugunsten eines Zweiges der Landwirtschaft, was der Gesetzgeber gerade nicht wollte (vgl. KÜMIN, a.a.O., S. 131 ff.). Setzt sich die Meinung durch, die häuslichen Abwässer aus Landwirtschaftsbetrieben könnten besser verwertet werden, wenn sie zusammen mit der tierischen Jauche gelagert und auf die Wiesen ausgebracht werden, so sind das Gewässerschutzgesetz und die entsprechenden Verordnungen zu ändern; auf dem Wege der Auslegung von
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
kann dieses Ziel nicht erreicht werden.
Sind die drei in der Wegleitung genannten Voraussetzungen erfüllt, so sprechen in technischer Hinsicht wichtige Gründe für eine Befreiung von der Anschlusspflicht. ob eine Sonderbehandlung "ausnahmsweise" "angezeigt" ist, bleibt aber in jedem Fall noch zu prüfen. Dies wird auch in der Wegleitung angedeutet. So
BGE 107 Ib 116 S. 123
heisst es auf Seite 17: "Für landwirtschaftliche Betriebe kann ein solches Befreien nur dann in Betracht fallen, wenn alle drei nachstehenden Voraussetzungen ... erfüllt werden."
Eine Ausnahmebewilligung kann nur dann erteilt werden, wenn das Beharren auf der Anschlusspflicht zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führen würde oder offensichtlich unzweckmässig wäre, d.h. wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regel verlangen. In diesem Zusammenhang kommt dem Gleichbehandlungsgebot von
Art. 4 BV
grosses Gewicht zu. Es ist daher mitzuberücksichtigen, ob die fragliche Liegenschaft in der Bauzone oder in der Landwirtschaftszone liegt. Innerhalb des durch das GKP abgegrenzten Gebietes, das sich nach dem im Zonenplan ausgeschiedenen Baugebiet richtet (
Art. 15 AGSchV
), besteht grundsätzlich Anschlusspflicht. Zu beachten ist in diesem Fall auch Art. 19 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, der eine zeitgerechte Erschliessung durch das Gemeinwesen verlangt und weiter bestimmt, dass das kantonale Recht die Beiträge der Grundeigentümer regle. Erfüllt nun ein Landwirt, dessen Hof in der Bauzone liegt, die technischen Voraussetzungen für eine einwandfreie eigene Abwasserverwertung zusammen mit der Jauche, so würde er im Vergleich zu den übrigen Grundeigentümern in der Bauzone bevorzugt, wenn er nur schon aus diesem Grunde von der Anschlusspflicht befreit werden könnte. Anders liegen die Verhältnisse bei Liegenschaften ausserhalb des GKP: Eine Anschlusspflicht besteht hier nur, wenn zufälligerweise eine Kanalisationsleitung in der Nähe des fraglichen Grundstückes vorbeiführt und der Anschluss zweckmässig und zumutbar ist (
Art. 18 AGSchV
). Garantiert auch in diesem Fall ein Landwirt mit Nutztierhaltung eine einwandfreie eigene Abwasserverwertung, so kann das Beharren auf der Anschlusspflicht zu einer unverständlichen Härte im Vergleich zu den übrigen landwirtschaftlichen Betrieben mit Nutztierhaltung in der Landwirtschaftszone führen. Diese differenzierte Betrachtungsweise rechtfertigt sich übrigens auch im Hinblick auf
Art. 19 und 20 GSchG
.
5.
a) Der Hof des Beschwerdeführers befindet sich im Ortskern. Er liegt gemäss Zonenplan in der Wohn- und Gewerbezone. Zudem liegt er im Perimeter des generellen Kanalisationsprojektes. Die im Bereich der Dorfstrasse nach Norden führende Kanalisationsleitung läuft der Ost- und Nordgrenze des Grundstückes H.'s entlang. Technisch wäre der Anschluss ohne besonderen Aufwand
BGE 107 Ib 116 S. 124
möglich. Die Anschlussgebühr beträgt Fr. 2'000.--. Der Beschwerdeführer beziffert die gesamten Aufwendungen auf Fr. 5'000.-- bis Fr. 6'000.--.
b) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die zweite der in der Wegleitung genannten technischen Voraussetzungen derzeit nicht gegeben ist. Der ihm zur Verfügung stehende Stapelraum ist zu klein, um die Stallgülle und die häuslichen Abwässer während der klimatisch und pflanzenbaulich ungünstigen Zeit sammeln zu können. Der Beschwerdeführer erklärt sich aber bereit, eine genügend grosse Grube zu bauen. Nach Ansicht des Regierungsrates verlangt die Wegleitung jedoch, dass bereits im Zeitpunkt des Befreiungsgesuches ein genügend grosser Stapelraum vorhanden ist, wobei ein solches Gesuch offenbar schon eingereicht werden müsste, bevor die Kanalisationsanlagen überhaupt geplant worden wären. Das hätte in der Praxis zur Folge, dass kaum jemand diese Voraussetzung erfüllen könnte. Es muss daher genügen, wenn sich der Gesuchsteller verpflichtet, eine grössere Grube erst noch zu erstellen.
c) Besondere Umstände, die eine ausnahmsweise Befreiung von der Anschlusspflicht angezeigt erscheinen lassen, liegen jedoch nicht vor:
Wird die Anschlusspflicht bejaht, so bedeutet das nicht, dass der Beschwerdeführer unbedingt kostbares Dach- oder Brunnenwasser zur Verdünnung der Jauche verwenden muss; wie das AUW zutreffend bemerkt hat, kann ein Schieber in die Abwasserleitung eingebaut werden, so dass die häuslichen Abwässer bei Bedarf vorübergehend in die Jauchegrube geleitet werden können. Bezeichnenderweise hat der Beschwerdeführer hiezu nicht Stellung genommen.
Das Argument des Beschwerdeführers, er wohne in einer abgelegenen, ländlichen Gemeinde, in der kaum noch gebaut werden dürfte, spricht nicht für eine Befreiung von der Anschlusspflicht. Ob die ausgeschiedene Bauzone zu gross oder zu klein bemessen sei, ist ohne Bedeutung für die Frage der Anschlusspflicht (vgl.
BGE 101 Ib 66
E. 5a). Zudem sind gerade kleine Gemeinden darauf angewiesen, dass jeder Grundeigentümer innerhalb der Bauzone seinen Anteil an die Finanzierung der Kanalisationssysteme und der Kläranlage beiträgt. Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer - wie sich dem von ihm unbestrittenen Bericht des AUW vom 28. Juli 1980 entnehmen lässt - nicht geduldet hat, dass die Kanalisation durch sein Grundstück geführt werde, und dass er damit der Gemeinde
BGE 107 Ib 116 S. 125
erhebliche Mehrkosten verursacht hat. Es ist offensichtlich, dass der Beschwerdeführer darauf ausgeht, sich den finanziellen Leistungen an das gemeinschaftliche Werk zu entziehen.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er beabsichtige die Einrichtung einer Biogasanlage. Das AUW hat dieses Argument geprüft und gezeigt, dass eine solche Anlage keinen Zusammenhang mit der Frage der Anschlusspflicht hat. Gegenteils wird bei Einleitung der häuslichen Abwässer in den Jauchekasten der für die Erzeugung von Biogas erforderliche Konzentrationsgrad der Jauche vermindert. Es ist dem Beschwerdeführer auch bei Bejahung der Anschlusspflicht unbenommen und keineswegs erschwert, eine Biogasanlage einzurichten.
Vierzehn Landwirte, die in der gleichen Gemeinde wie der Beschwerdeführer wohnen und die sich in analoger Situation wie dieser befinden, haben sich der Anschlusspflicht unterzogen. Würde dem Beschwerdeführer eine Ausnahmebewilligung erteilt, obwohl keine besonderen Umstände vorliegen, so käme dies einer stossenden Ungleichbehandlung im Verhältnis zu diesen andern Grundeigentümern in der Bauzone gleich.
6.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Regierungsrat zu Recht davon ausging, die Voraussetzungen von
Art. 18 Abs. 1 Satz 2 GSchG
für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
02e2ab63-3b11-4861-b91a-4f21c837f874 | Urteilskopf
81 III 1
1. Entscheid vom 19. Januar 1955 i.S. Kruszona. | Regeste
Zwangsvollstreckung unter Ehegatten.
Für das Haushaltungsgeld kann die Ehefrau den Ehemann auch dann nicht betreiben, wenn es durch eine Verfügung des Eheschutzrichters oder eine von diesem genehmigte Vereinbarung festgesetzt worden ist (
Art. 173, 176 Abs. 2 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 81 III 1 S. 1
Die Eheleute Kruszona schlossen am 24. November 1951 vor dem Eheschutzrichter, den die Ehefrau um Ermahnung des Ehemannes im Sinne von
Art. 169 ZGB
ersucht hatte, einen Vergleich, durch den der Ehemann sich verpflichtete, der Ehefrau ab 1. Dezember 1951 ein monatliches Haushaltungsgeld von Fr. 360.-- zu geben
BGE 81 III 1 S. 2
und ihr ab 1. Januar 1952 für ihre persönlichen Anschaffungen vierteljährlich Fr. 150.-- zu entrichten. Mit Verfügung vom gleichen Tage genehmigte der Eheschutzrichter diesen Vergleich.
Als die Ehefrau den Ehemann im September 1954 für verfallene "Beiträge gemäss ... Verfügung ... vom 24. November 1951" betrieb, führte dieser Beschwerde mit dem Antrag, die Betreibungen seien wegen Verletzung des Verbots der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten (
Art. 173 ZGB
) aufzuheben. Die untere kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde ab, die obere dagegen hat sie am 9. Dezember 1954 gutgeheissen.
Diesen Entscheid hat die Ehefrau an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
Die streitigen Betreibungen könnten vor
Art. 173 ZGB
nur dann Bestand haben, wenn die Voraussetzungen von
Art. 176 Abs. 2 ZGB
erfüllt wären, d.h. wenn es sich bei den in Betreibung gesetzten Forderungen um Beiträge handeln würde, die dem einen Ehegatten gegenüber dem andern durch den Richter auferlegt worden sind. Eine andere Ausnahme vom Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten trifft von vornherein nicht zu.
Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, stellen die Leistungen, für welche die Rekurrentin ihren Ehemann betrieben hat, nicht Beiträge des einen Gatten an den Unterhalt des andern im Sinne von
Art. 170 Abs. 3 ZGB
dar. Das durch die Verfügung vom 24. November 1951 abgeschlossene Verfahren vor dem Eheschutzrichter hatte nicht die Aufhebung des gemeinsamen Haushalts und die Regelung der daraus sich ergebenden Folgen zum Gegenstand. Es handelte sich vielmehr darum, welche Beträge der Ehemann der Rekurrentin dieser zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse der Familie im gemeinsamen Haushalt zur Verfügung zu stellen habe, m.a.W. wie das Haushaltungsgeld
BGE 81 III 1 S. 3
zu bemessen sei, welchen Ausdruck die Parteien wenigstens für die monatlich zu zahlenden Fr. 360.-- selber gebraucht hatten. Das Haushaltungsgeld, das der Frau als Führerin des gemeinsamen Haushalts zukommt und im Eigentum des Mannes bleibt, bis es ausgegeben ist (
BGE 51 II 100
ff.), fällt nicht unter den Begriff der "Beiträge" (subsides, sovvenzioni) im Sinne von
Art. 176 Abs. 2 ZGB
, der nach Sinn und Zweck des Verbots der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nicht ausdehnend ausgelegt werden darf. Hievon abgesehen gibt das Gesetz dem Eheschutzrichter keine Handhabe, diese Leistung des Ehemannes in verbindlicher Weise (d.h. nicht bloss im Sinne einer Empfehlung, wie sie im Rahmen der in
Art. 169 ZGB
vorgesehenen Ermahnung möglich ist) festzusetzen. Kommt der Ehemann der Pflicht zur Leistung eines angemessenen Haushaltungsgeldes trotz Mahnung nicht nach, so hat der Eheschutzrichter nur die Möglichkeit, auf Grund von
Art. 171 ZGB
Anweisungen an die Schuldner zu erlassen (wobei die Höhe des Haushaltungsgeldes lediglich als Vorfrage zu prüfen ist) oder der Ehefrau in Anwendung von
Art. 170 Abs. 1 ZGB
wegen Gefährdung ihres wirtschaftlichen Auskommens das Getrenntleben zu bewilligen und ihr Unterhaltsbeiträge im Sinne von Art. 170 Abs. 3 zuzusprechen (vgl.
BGE 51 II 101
unten). Ist der Richter zur verbindlichen Festsetzung des Haushaltungsgeldes nicht befugt, so kann selbstverständlich auch die richterliche Genehmigung einer Vereinbarung über das Haushaltungsgeld dieses nicht zu einer "durch den Richter auferlegten" Leistung stempeln. Die streitigen Betreibungen sind daher mit Recht aufgehoben worden. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
02e3ebf0-57f1-4abd-b270-d0b20cd8c661 | Urteilskopf
136 V 313
36. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause Caisse de retraite X. contre B. et Fondation de prévoyance Y. (recours en matière de droit public)
9C_40/2010 du 6 octobre 2010 | Regeste
Art. 6, 25 und 49 BVG
.
Obligatorische und weitergehende berufliche Vorsorge: Das Anrechnungsprinzip gilt auch mit Bezug auf Kinderrenten (Änderung der Rechtsprechung; E. 5.3.7). | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 136 V 313 S. 313
A.
B., né en 1971, perçoit depuis le 1
er
janvier 2001 une rente entière de l'assurance-invalidité, assortie de rentes complémentaires pour son épouse et son enfant, ainsi que des prestations d'invalidité de la prévoyance professionnelle versées par la Caisse de retraite X. (ci-après: la caisse de retraite).
B.
En 2005, Z. SA a été absorbée par la société A. SA (aujourd'hui: C. SA). A la suite de cette fusion, l'Autorité de surveillance des fondations et des institutions de prévoyance de la République et canton de Genève a, par décision du 6 août 2007, prononcé la liquidation de la caisse de retraite. Alors que les assurés actifs étaient transférés dans une nouvelle institution de prévoyance, les droits et obligations découlant du rapport d'assurance entre la caisse de retraite
BGE 136 V 313 S. 314
et B. ont été repris, à compter du 1
er
janvier 2007, par la Fondation de prévoyance Y. (ci-après: la fondation de prévoyance; convention de cession et de reprise des 18 décembre 2006 et 8 janvier 2007).
C.
Le 29 septembre 2008, B. a ouvert action devant le Tribunal cantonal des assurances sociales de la République et canton de Genève contre la fondation de prévoyance, en concluant à ce qu'elle soit condamnée à lui verser, à compter du 1
er
janvier 2002, une rente complémentaire pour enfant de la prévoyance professionnelle. La fondation de prévoyance a appelé en cause la caisse de retraite.
Par jugement du 3 novembre 2009, le Tribunal cantonal des assurances sociales a admis la demande. Il a condamné d'une part la caisse de retraite à verser à l'assuré la somme de 39'312 fr. (avec intérêts à 5 % dès le 1
er
octobre 2008) au titre des rentes complémentaires pour enfant dues pour la période courant du 1
er
janvier 2002 au 31 décembre 2006 (chiffre 3 du dispositif). Il a condamné d'autre part la fondation de prévoyance à verser à l'assuré (1) la somme de 14'607 fr. (avec intérêts à 5 % dès le 1
er
octobre 2008) au titre des rentes complémentaires pour enfant dues pour la période courant du 1
er
janvier 2007 au 30 septembre 2008, et (2) une rente mensuelle de 895 fr. à compter du 1
er
octobre 2008 (chiffres 4 et 5 du dispositif). La caisse de retraite et la fondation de prévoyance ont également été condamnées respectivement à verser une indemnité de dépens de 1'800 fr. à l'assuré (chiffres 6 et 7 du dispositif).
D.
La caisse de retraite interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement. Elle conclut, principalement, à l'annulation des chiffres 3 et 7 du dispositif du jugement attaqué et, subsidiairement, au renvoi de la cause à la juridiction cantonale pour nouvelle décision au sens des considérants. Elle assortit son recours d'une requête d'effet suspensif.
B. conclut au rejet du recours, tandis que la fondation de prévoyance en propose l'admission. L'Office fédéral des assurances sociales a renoncé à se déterminer.
Le recours a été admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.2
La seule question que le Tribunal fédéral doit examiner en l'espèce est de savoir si la caisse de retraite recourante est tenue d'allouer à l'intimé une rente complémentaire pour enfant de la
BGE 136 V 313 S. 315
prévoyance professionnelle pour la période courant du 1
er
janvier 2002 au 31 décembre 2006. Faute de recours de la fondation de prévoyance, le jugement attaqué est entré en force de chose jugée pour les parties qui concernent cette dernière (chiffres 4, 5 et 6 du dispositif).
3.
3.1
Le système suisse de prévoyance vieillesse, survivants et invalidité repose sur le principe des trois piliers (
art. 111 Cst.
). Les prestations du premier pilier (assurance-vieillesse, survivants et invalidité fédérale et prestations complémentaires) doivent couvrir les besoins vitaux des personnes assurées de manière appropriée (
art. 112 al. 2 let. b Cst.
), alors que les prestations du deuxième pilier (prévoyance professionnelle) doivent permettre aux personnes assurées de maintenir de manière appropriée leur niveau de vie antérieur (
art. 113 al. 2 let. a Cst.
; voir également
art. 1 al. 1 LPP
[RS 831.40]). II incombe au troisième pilier (prévoyance individuelle) de compléter les mesures collectives des deux premiers piliers selon les besoins personnels.
3.2
De manière générale, il est admis que le niveau de vie antérieur est maintenu, lorsqu'une personne qui a mené une carrière professionnelle normale - avec une durée complète de cotisation - touche un revenu de substitution - rente du premier et du deuxième pilier - égal à 60 % au moins de son dernier salaire brut. Cette conception n'a toutefois pas valeur absolue. En effet, pour les personnes de condition modeste, maintien du niveau de vie et couverture des besoins vitaux tendent par exemple à se confondre (Message du 10 novembre 1971 à l'appui d'un projet portant révision de la constitution dans le domaine de la prévoyance vieillesse, survivants et invalidité, FF 1971 II 1631 ch. 130.31; Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, FF 1976 I 125 ch. 312; Message du 20 novembre 1996 relatif à une nouvelle constitution fédérale, FF 1997 I 331).
4.
4.1
Tant le financement que la mise en oeuvre de la prévoyance professionnelle doivent être fixés à l'avance dans les statuts et les règlements (
art. 50 LPP
) selon des critères schématiques et objectifs et respecter les principes d'adéquation, de collectivité, d'égalité de traitement, de planification ainsi que d'assurance (
art. 1 al. 3
BGE 136 V 313 S. 316
LPP
;
ATF 131 II 593
consid. 4.1 p. 603 et les références). Le principe d'assurance de la prévoyance professionnelle est respecté lorsque l'aménagement des rapports entre la personne assurée et l'institution de prévoyance permet d'atteindre les buts de la prévoyance professionnelle non seulement pour les cas de vieillesse, mais également pour les cas d'invalidité et de décès (cf. art. 1h de l'ordonnance du 18 avril 1984 sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité [OPP 2; RS 831.441.1]; Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, FF 1976 I 127 ch. 313; arrêt 2A.554/2006 du 7 mars 2007 consid. 5.6; voir également JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, in Commentaire LPP et LFLP, 2010, n
os
65 ss ad
art. 1 LPP
).
4.2
Les institutions de prévoyance qui participent à l'application du régime obligatoire de la prévoyance professionnelle (
art. 48 al. 1 LPP
) doivent respecter les exigences minimales fixées aux art. 7 à 47 LPP (
art. 6 LPP
). Il leur est toutefois loisible de prévoir des prestations supérieures aux exigences minimales fixées dans la loi (
art. 49 LPP
; Message à l'appui de la LPP, FF 1976 I 127 ch. 313 et 314;
ATF 131 II 593
consid. 4.1 p. 603 et les références).
4.3
Lorsqu'une institution de prévoyance décide d'étendre la prévoyance au-delà des exigences minimales fixées dans la loi (prévoyance surobligatoire ou plus étendue), on parle alors d'institution de prévoyance "enveloppante". Une telle institution est libre de définir, dans les limites des dispositions expressément réservées à l'
art. 49 al. 2 LPP
en matière d'organisation, de sécurité financière, de surveillance et de transparence, le régime de prestations, le mode de financement et l'organisation qui lui convient, pour autant qu'elle respecte les principes d'égalité de traitement et de proportionnalité ainsi que l'interdiction de l'arbitraire (
ATF 115 V 103
consid. 4b p. 109).
4.4
Dans les faits, une institution de prévoyance "enveloppante" propose, en général, un plan de prestations unique qui inclut les prestations minimales et les améliore, sans opérer de distinctions entre prévoyance obligatoire et prévoyance plus étendue. Afin de s'assurer que les prestations réglementaires respectent les exigences minimales de la LPP, autrement dit si la personne assurée bénéficie au moins des prestations minimales légales selon la LPP (
art. 49 al. 1 LPP
en corrélation avec l'
art. 6 LPP
), l'institution de prévoyance est
BGE 136 V 313 S. 317
tenue de pouvoir procéder à un calcul comparatif entre les prestations selon la LPP (sur la base du compte-témoin que les institutions de prévoyance doivent tenir afin de contrôler le respect des exigences minimales de la LPP [Alterskonto;
art. 11 al. 1 OPP 2
]) et les prestations réglementaires (Schattenrechnung; cf.
ATF 136 V 65
consid. 3.7 p. 71 et les références; voir également
ATF 114 V 239
consid. 6a p. 245).
4.5
Au lieu d'aménager la prévoyance plus étendue dans le cadre d'une institution de prévoyance "enveloppante", il est possible d'opérer une séparation organisationnelle stricte entre la prévoyance obligatoire et la prévoyance surobligatoire ("splitting"). Lorsque l'institution de prévoyance - constituée sous la forme d'une fondation en vertu des
art. 331 al. 1 CO
et 89
bis
CC - assure, pour la part surobligatoire, les risques vieillesse, décès et invalidité, elle doit alors tenir compte des dispositions expressément réservées à l'
art. 89
bis
al. 6 CC
, lesquelles sont similaires, dans les grandes lignes, aux règles posées à l'
art. 49 al. 2 LPP
(voir SCHNEIDER, op. cit., n° 210 ad Introduction générale).
5.
5.1
Selon l'
art. 25 LPP
, les bénéficiaires d'une rente d'invalidité ont droit à une rente complémentaire pour chaque enfant qui, à leur décès, aurait droit à une rente d'orphelin; le montant de la rente équivaut à celui de la rente d'orphelin. La rente pour enfant est calculée selon les mêmes règles que la rente d'invalidité.
5.2
Selon la jurisprudence, les exigences minimales fixées dans la LPP garantissent non seulement le montant minimal des prestations de la prévoyance obligatoire, mais également le genre de prestations qu'une institution de prévoyance doit allouer. Le règlement d'une institution de prévoyance "enveloppante" qui accorde, en lieu et place d'une rente d'invalidité et d'une rente complémentaire d'invalidité pour enfant, une rente d'invalidité supérieure au montant minimum de la rente d'invalidité et de la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévues par la LPP, n'est pas conforme au droit fédéral. Dès lors que la rente complémentaire d'invalidité pour enfant constitue une prestation à part entière dans le système de la prévoyance professionnelle tel que voulu par le législateur, la personne assurée a droit au montant de la rente d'invalidité réglementaire ainsi qu'au montant de la rente d'invalidité pour enfant calculé conformément à l'
art. 25 LPP
, si le règlement de prévoyance ne
BGE 136 V 313 S. 318
prévoit pas le versement d'une telle rente (
ATF 121 V 104
consid. 4 p. 106).
5.3
Bien que cette jurisprudence n'ait pas suscité de critiques de la part de la doctrine, il convient de revenir dessus.
5.3.1
Un revirement de jurisprudence ne peut se justifier que si la nouvelle solution répond mieux à l'intention du législateur, ou lorsqu'il tient à un changement des circonstances extérieures ou à l'évolution des conceptions juridiques. Le changement de jurisprudence doit donc se fonder sur des motifs matériels très sérieux, qui doivent être d'autant plus déterminants que la jurisprudence est ancienne, afin de ne pas heurter gratuitement la sécurité du droit. Si la jurisprudence se révèle erronée ou que son application a conduit à des abus répétés, elle ne saurait être maintenue (
ATF 136 III 6
consid. 3 p. 8 et les arrêts cités).
5.3.2
Selon le Message du 19 décembre 1975 à l'appui d'un projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité, les institutions de prévoyance doivent servir au moins les prestations prescrites par la loi et respecter les principes qui y figurent quant à l'organisation et au financement des institutions de prévoyance, conservant pour le surplus la plus grande autonomie possible. Elles peuvent ainsi offrir aux assurés des prestations plus étendues que celles imposées par la loi ou assumer d'autres tâches que la seule prévoyance-vieillesse, survivants et invalidité. Pour des raisons de sécurité financière et afin que le bon fonctionnement de la prévoyance obligatoire soit garanti, quelques dispositions de la loi sont toutefois applicables à l'ensemble des activités de l'institution de prévoyance (FF 1976 I 128 ch. 314, 222 ch. 531). Il s'agit des dispositions qui font aujourd'hui l'objet du catalogue de l'
art. 49 al. 2 LPP
. Selon la volonté du législateur, le régime de l'assurance obligatoire, tel qu'il est décrit aux art. 7 à 47 LPP, a pour but de fixer les exigences minimales que les institutions de prévoyance enregistrées au registre de la prévoyance professionnelle doivent respecter.
5.3.3
5.3.3.1
Le système des rentes complémentaires a été introduit lors de la création de l'assurance-invalidité. Afin de remédier "aux conséquences économiques fâcheuses de l'invalidité du chef de famille pour la femme et les enfants", le législateur avait prévu de compléter la rente principale qui lui était allouée par des rentes
BGE 136 V 313 S. 319
complémentaires pour ses proches parents. Ces rentes devaient dépendre de l'existence d'un droit à une rente principale et revenir au même ayant droit; les proches parents n'avaient pas un droit propre aux rentes complémentaires, de sorte que l'unité juridique du cas de rente était maintenue (Message du 24 octobre 1958 relatif à un projet de loi sur l'assurance-invalidité ainsi qu'à un projet de loi modifiant celle sur l'assurance-vieillesse et survivants, FF 1958 II 1225 ss, 2
e
partie, chapitre F, III, ch. 2). Les rentes complémentaires devaient s'ajouter à la rente principale et constituer un revenu de substitution pour l'assuré invalide en vue de lui permettre de subvenir à l'entretien de sa famille (arrêt U 53/07 du 18 mars 2008 consid. 5.2.2.1, in SVR 2009 UV n° 7 p. 26; voir également arrêt du Tribunal fédéral des assurances B 25/00 du 24 septembre 2001 consid. 5b).
5.3.3.2
Le projet de loi sur la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité présenté par le Conseil fédéral ne prévoyait pas l'allocation de rentes pour enfant. Dans le cadre des travaux parlementaires, la commission du Conseil national a proposé de compléter les rentes de vieillesse et d'invalidité par une rente pour enfant, afin d'assurer le parallélisme entre les deux premiers piliers de la prévoyance (art. 17a et 23a du projet soumis aux Chambres, devenus ensuite les
art. 17 et 25 LPP
). La proposition de la commission du Conseil national a été adoptée par les Chambres fédérales sans que cela ne donne lieu à discussion (cf. BO 1977 CN 1326 s.; BO 1980 CE 273 et 275).
5.3.3.3
En calquant le système des rentes complémentaires de la prévoyance professionnelle sur celui du premier pilier, le législateur a exprimé la volonté de voir les mêmes principes être appliqués dans les deux piliers de la prévoyance. A l'
ATF 121 V 104
, le Tribunal fédéral des assurances s'est détourné de cette volonté, et a nié, sans raison évidente, le caractère accessoire de la rente complémentaire pour enfant par rapport à la rente principale.
5.3.4
Le but assigné à la prévoyance (premier et deuxième piliers) est de réparer, principalement sous la forme du versement d'une rente, les conséquences économiques et financières résultant de la réalisation du risque assuré (vieillesse, décès ou invalidité) en permettant à la personne assurée de maintenir son niveau de vie à un niveau approprié (cf. supra consid. 3.1 et 3.2). De par sa nature, la rente versée revêt un caractère indemnitaire. Le fait que la personne assurée ne puisse plus assurer l'entretien convenable de sa famille
BGE 136 V 313 S. 320
ne constitue qu'une partie du dommage global qu'elle subit en raison de la survenance du risque assuré (cf.
ATF 128 V 20
consid. 3e p. 28). La rente complémentaire pour enfant a donc pour effet d'augmenter la rente de vieillesse ou d'invalidité à laquelle la personne assurée peut prétendre et, partant, de compenser les éléments du revenu perdus à la suite de la survenance du risque assuré et destinés à l'entretien convenable de la famille (
ATF 134 V 15
consid. 2.3.3 p. 17; arrêt B 25/00 du 24 septembre 2001 consid. 5b, in RSAS 2003 p. 432). Nonobstant le texte de la loi, la rente principale et la rente complémentaire pour enfant ne sont que deux éléments d'une même prestation, la rente de vieillesse ou d'invalidité (principe d'assurance). Si le montant de la rente réglementaire est supérieur au montant total de la rente due au titre de rente principale et de rente complémentaire pour enfant selon le régime obligatoire, l'objectif assigné à la prévoyance professionnelle est rempli, puisque le préjudice subi à la suite de la réalisation du risque assuré a été réparé par la prestation reçue.
5.3.5
5.3.5.1
A l'
ATF 114 V 239
, le Tribunal fédéral des assurances a consacré pour le calcul des prestations d'assurance l'application de la méthode comparative (Anrechnungs- ou Vergleichsprinzip). Selon cette méthode, il convient de mettre en parallèle le montant de la prestation fixée selon la LPP et le montant de la prestation déterminé selon les dispositions réglementaires, la somme la plus élevée étant allouée à la personne assurée (cf. supra consid. 4.4). Le Tribunal fédéral des assurances a expressément rejeté l'application de la méthode cumulative (Splittings- ou Kumulationsprinzip), selon laquelle l'assuré a droit au montant de la prestation fixée selon la LPP pour la part obligatoire, auquel s'ajoute un montant calculé d'après les dispositions réglementaires pour la part surobligatoire (consid. 7 et 8; voir également
ATF 115 V 27
consid. 4 p. 30).
5.3.5.2
La méthode comparative a été consacrée depuis lors dans la loi. L'art. 2 al. 2 de la loi fédérale du 17 décembre 1993 sur le libre passage dans la prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité (loi sur le libre passage, LFLP; RS 831.42) impose en effet aux institutions de prévoyance dans un cas de libre passage l'obligation de procéder à une comparaison, en exigeant que le montant de la prestation de sortie fixée d'après le règlement soit au moins égal à la prestation de sortie calculée selon les dispositions légales (art. 15 à 19 LFLP). Ce faisant, la LFLP admet l'existence d'un mode
BGE 136 V 313 S. 321
de calcul réglementaire à côté du mode de calcul légal et, partant, l'identité propre de chacun d'entre eux (arrêt du Tribunal fédéral des assurances B 48/96 du 16 septembre 1997 consid. 4d, in SVR 1998 BVG n° 5 p. 17).
5.3.5.3
L'
ATF 121 V 104
, en tant qu'il considère que la personne assurée peut cumuler la rente d'invalidité réglementaire avec la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévue à l'
art. 25 LPP
, constitue une exception à la méthode comparative. Alors même que la loi ne contient aucun point d'appui en faveur d'une application cumulative des dispositions légales et réglementaires, le Tribunal fédéral des assurances a introduit, en contradiction avec la jurisprudence antérieure et sans motiver cette exception, un cas d'application de la méthode cumulative.
5.3.6
Dans les faits, le système de la prévoyance professionnelle obligatoire connaît deux régimes distincts. Le premier voit les institutions de prévoyance n'appliquer que le régime de l'assurance obligatoire; elles sont alors soumises aux règles fixées aux art. 7 à 47 LPP. Le second voit les institutions de prévoyance étendre la prévoyance au-delà des prestations minimales; elles sont libres de fixer dans leur règlement de prévoyance le régime des prestations, les art. 7 à 47 LPP ne servant alors qu'à fixer la valeur de référence que l'institution de prévoyance doit, en tout état de cause, respecter pour atteindre le but de la prévoyance.
5.3.7
Sur le vu de ce qui précède, un examen attentif du but de la loi, du système de celle-ci et de sa genèse permet de conclure que la jurisprudence consacrée à l'
ATF 121 V 104
repose sur des fondements erronés. Les arrêts rendus ultérieurement sur la base de cette jurisprudence ne permettent pas une autre appréciation (p. ex.
ATF 133 V 575
). En conséquence, il y a lieu d'abandonner la jurisprudence actuelle et d'admettre que l'institution de prévoyance "enveloppante" qui accorde, en lieu et place d'une rente d'invalidité et d'une rente complémentaire d'invalidité pour enfant, une rente d'invalidité unique dont le montant est supérieur au montant de la rente d'invalidité et de la rente complémentaire d'invalidité pour enfant prévues par la LPP, respecte le droit fédéral (voir dans ce sens également
ATF 136 V 65
concernant la portée de la méthode comparative en matière de rentes d'invalidité).
6.
6.1
En l'espèce, le jugement du Tribunal cantonal des assurances sociales, en tant qu'il constate que l'intimé a droit, au titre de rente
BGE 136 V 313 S. 322
complémentaire pour enfant et pour autant que la limite de surindemnisation ne soit pas dépassée, au montant correspondant au 20 % de la rente d'invalidité réglementaire de la prévoyance professionnelle versée à l'intimé, n'est pas conforme aux principes décrits ci-dessus. Il a droit aux prestations fixées conformément aux dispositions réglementaires, sous réserve que le montant de celles-ci ne soit pas inférieur au montant des prestations légales relevant du régime obligatoire de la prévoyance professionnelle.
6.2
6.2.1
Faute pour le règlement de prévoyance de prévoir des rentes complémentaires pour enfant (cf. art. 8 du règlement), l'intimé a droit, au titre des prestations de la prévoyance professionnelle, à la somme de 53'700 fr., soit le montant - non contesté - de la rente d'invalidité qu'il perçoit actuellement.
6.2.2
Les exigences minimales de la LPP sont respectées. Au regard des pièces versées au dossier, le régime obligatoire de la prévoyance professionnelle garantit à l'intimé le droit à une rente annuelle d'invalidité d'un montant de 18'014 fr. (
art. 23 et 24 LPP
) et à une rente complémentaire pour enfant d'un montant de 3'603 fr. (
art. 25 LPP
en corrélation avec l'
art. 21 al. 1 LPP
). La somme de ces prestations (21'617 fr.) est de loin inférieure au montant de la rente d'invalidité versée actuellement sur la base du règlement de prévoyance (53'700 fr.), de sorte que l'intimé ne subit aucun préjudice du fait que ledit règlement ne prévoit pas le versement de rentes complémentaires pour enfant. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02eaec86-b319-459c-833f-08b7d25d398f | Urteilskopf
98 V 121
33. Auszug aus dem Urteil vom 10. Februar 1972 i.S. Leuch gegen Krankenkasse der Schweizerischen Bundesbahnen und Versicherungsgericht des Kantons Zürich | Regeste
Im kantonalen Krankenversicherungsprozess gemäss
Art. 30bis KUVG
besteht kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung.
Ein entsprechender Kostenentscheid kann daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerdenichtwegen Verletzungdes kantonalen Rechtes selbständig angefochten werden (
Art. 128 OG
). | Erwägungen
ab Seite 121
BGE 98 V 121 S. 121
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist allein die Frage, ob dem Beschwerdeführer durch die Vorinstanz zu Recht keine Parteientschädigung zugesprochen worden ist. Zu prüfen ist daher, ob dieser Kostenentscheid mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selbständig angefochten werden kann.
2.
Gemäss
Art. 128 OG
beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 97 und 98 lit. b bis h OG
auf dem Gebiete der Sozialversicherung. Für den Begriff der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97. OG auf Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren. Nach Art. 5 Abs. 1 VwG gelten als
BGE 98 V 121 S. 122
Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auföffentliches Recht des Bundes stützen (und im übrigen noch weitere, hinsichtlich ihres Gegenstandes näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).
Aus
Art. 101 lit. b OG
ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen über Verfahrenskosten und Parteientschädigungen zulässig ist, wenn in der Hauptsache die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist.
Der Entscheid in der Hauptsache entspricht dem Verfügungsbegriff des Art. 5 VwG. Er fällt unter
Art. 98 lit. g OG
und ist der Verwaltungsgerichtsbeschwerde durch keine Ausschlussbestimmung entzogen. Das Eidg. Versicherungsgericht hat deshalb auf eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung über die Parteientschädigung einzutreten, wenn diese sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt.
3.
Die Kantone haben gemäss
Art. 30bis Abs. 3 KUVG
das Rekursverfahren zu regeln.
Im Gegensatz zu
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
, anwendbar auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung (
Art. 69 IVG
), der Ergänzungsleistungen (
Art. 7 Abs. 2 ELG
), der Erwerbsersatzordnung (
Art. 24 Abs. 2 EOG
) und der Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und Kleinbauern (
Art. 22 Abs. 3 FLG
), sowie im Gegensatz zu
Art. 56 Abs. 1 lit. e MVG
schreibt das KUVG in Streitsachen weder gegen die Krankenkassen (Art. 30bis) noch gegen die SUVA (Art. 121) vor, dass der obsiegenden Partei eine Parteientschädigung zugesprochen werden müsse (vgl. auch Art. 54 Abs. 2 AIVG). Diese Differenzierung innerhalb der eidgenössischen Sozialversicherungsgesetzgebung hat der Richter und haben die Parteien hinzunehmen (EVGE 1967 S. 64 Erw. 5 und S. 193 Erw. 5). Das Eidg. Versicherungsgericht hat aber wiederholt entschieden, dass es den Kantonen prinzipiell freisteht, dem obsiegenden Versicherten eine Parteientschädigung zuzusprechen (EVGE 1967 S. 64 Erw. 5 und S. 193 Erw. 5, 1968 S. 173 Erw. 5).
4.
Aus dem Gesagten folgt, dass in Krankenkassenstreitigkeiten kein bundesrechtlicher Anspruch auf Parteientschädigung besteht. Ein entsprechender kantonaler Kostenentscheid kann daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht selbständig angefochten werden, weil er sich nicht auf öffentliches
BGE 98 V 121 S. 123
Recht des Bundes stützt und somit den Verfügungsbegriff von Art. 5 VwG nicht erfüllt (
Art. 97 Abs. 1 OG
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht ein getreten. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
02ebbc85-e5cd-4384-955b-0cfc28fc0c4b | Urteilskopf
139 IV 191
25. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause X. contre Ministère public central du canton de Vaud (recours en matière pénale)
1B_81/2013 du 14 mars 2013 | Regeste
Art. 236 StPO
; keine periodische automatische Haftprüfung im vorzeitigen Strafvollzug.
Die Untersuchungshaft endet mit dem vorzeitigen Antritt einer freiheitsentziehenden Sanktion (
Art. 220 Abs. 1 StPO
). Wenn die verhaftete Person dem vorzeitigen Strafvollzug zustimmt, verzichtet sie auf eine periodische automatische Überprüfung ihrer Haft. Sie hat jedoch in Anwendung von
Art. 31 Abs. 4 BV
sowie
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
die Möglichkeit, jederzeit ihre Freilassung zu beantragen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 139 IV 191 S. 192
A.
X. s'est trouvée en détention provisoire le 3 avril 2012, sous la prévention d'escroquerie par métier, subsidiairement d'utilisation frauduleuse d'un ordinateur par métier. Sa détention provisoire a été régulièrement prolongée par le Tribunal des mesures de contrainte du canton de Vaud, en dernier lieu pour une durée de trois mois jusqu'au 3 janvier 2013.
Le 8 novembre 2012, X. a demandé au Ministère public de l'arrondissement de Lausanne (ci-après: le Ministère public) la mise en oeuvre d'une procédure simplifiée ainsi que la possibilité de bénéficier du régime d'exécution anticipée de la peine. Le 13 novembre 2012, le Ministère public a autorisé l'intéressée à exécuter sa peine de manière anticipée (
art. 236 al. 1 CPP
). X. a été renvoyée en jugement par acte du 7 janvier 2013. La date du jugement n'est pas fixée.
Le 11 janvier 2013, X. a présenté au Tribunal d'arrondissement de Lausanne, direction de la procédure, une demande de mise en liberté immédiate. Celui-ci l'a transmise au Tribunal des mesures de contrainte, qui, par ordonnance du 23 janvier 2013, l'a rejetée. Par arrêt du 6 février 2013, la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal cantonal) a rejeté le recours formé par la prénommée contre cette ordonnance. Elle a considéré en substance que la détention préventive de la prénommée avait pris fin le 13 novembre 2012 au moment où elle avait commencé à exécuter sa peine de manière anticipée et que, de ce fait, elle avait perdu tout intérêt à voir ses conditions de détention examinées périodiquement.
BGE 139 IV 191 S. 193
B.
Agissant par la voie du recours en matière pénale, X. demande principalement au Tribunal fédéral de réformer l'arrêt du 6 février 2013, en ce sens qu'elle est immédiatement libérée, sa détention ne reposant sur aucun titre valable depuis le 4 janvier 2013. Elle conclut subsidiairement à l'annulation de l'arrêt attaqué et au renvoi de la cause à l'instance précédente pour nouvelle décision au sens des considérants. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours, dans la mesure de sa recevabilité.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
La recourante soutient que l'exécution anticipée de peine dont elle bénéficie ne dispense pas la direction de la procédure de solliciter périodiquement la prolongation de la détention provisoire. Elle dénonce une violation de l'
art. 227 al. 7 CPP
qui serait applicable par renvoi - découlant d'une interprétation systématique du CPP - de l'
art. 236 CPP
: l'absence de renvoi de l'
art. 236 CPP
à l'
art. 227 CPP
devrait être considérée comme une lacune à combler. Elle prétend aussi que sa détention ne repose sur aucun titre de détention depuis le 4 janvier 2013.
4.1
Conformément à l'
art. 236 al. 1 CPP
, la direction de la procédure peut autoriser le prévenu à exécuter de manière anticipée une peine privative de liberté ou une mesure entraînant une privation de liberté si le stade de la procédure le permet.
La détention provisoire s'achève lorsque le prévenu commence à purger sa sanction privative de liberté de manière anticipée (
art. 220 al. 1 2
e
hypothèse CPP). Lors de l'exécution anticipée de la peine, il ne s'agit donc plus de détention provisoire ou de détention pour des motifs de sûreté (MATTHIAS HÄRRI, in Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, n° 2 ad
art. 236 CPP
).
Le CPP prévoit en outre que la détention provisoire peut être prolongée plusieurs fois, chaque fois de trois mois au plus et, dans des cas exceptionnels, de six mois au plus (
art. 227 al. 7 CPP
). Si le principe de la prolongation régulière de la détention pour des motifs de sûreté s'applique à la période comprise entre la notification de l'acte d'accusation et le prononcé du jugement de première instance (
ATF 137 IV 180
consid. 3.5 p. 185), le Tribunal fédéral a récemment jugé que le principe du contrôle périodique de la détention pour des
BGE 139 IV 191 S. 194
motifs de sûreté n'était pas transposable lors de la procédure d'appel (
ATF 139 IV 186
consid. 2.2.3).
Par ailleurs, selon la jurisprudence, l'
art. 227 CPP
ne s'applique pas (ou plus) lorsqu'une personne qui se trouvait précédemment en détention provisoire entame l'exécution anticipée de sa peine (
ATF 137 IV 177
consid. 2.1 p. 179). La procédure pénale suisse ne prévoit pas que le Tribunal des mesures de contrainte doive, de manière analogue, vérifier d'office périodiquement que les conditions de la détention sont encore remplies, après que le prévenu a débuté l'exécution anticipée de la peine (
ATF 137 IV 177
consid. 2.1 p. 179; cf. MARKUS HUG, in Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [éd.], 2010, n° 4 ad
art. 236 CPP
). En effet, l'
art. 236 CPP
ne contient aucun renvoi à l'
art. 227 al. 7 CPP
.
Dans la mesure où la personne concernée a donné son consentement pour exécuter sa peine de manière anticipée, elle a par là même renoncé à certains des droits que lui confère l'
art. 5 CEDH
(NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3
e
éd. 2012, p. 373 n° 1042; PATRICK ROBERT-NICOUD, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n° 2 ad
art. 236 CPP
). Il en va ainsi du contrôle périodique de la détention, lequel interviendrait en application de l'
ATF 137 IV 180
consid. 3.5. Il n'en demeure pas moins que le prévenu a la possibilité de solliciter en tout temps sa mise en liberté, en vertu des
art. 31 al. 4 Cst.
et 5 par. 4 CEDH (HÄRRI, op. cit., n° 20 ad
art. 236 CPP
; OBERHOLZER, op. cit., p. 373 n° 1043;
ATF 117 Ia 72
).
4.2
En l'occurrence, la détention provisoire de la recourante a pris fin le 13 novembre 2012, date à laquelle elle a commencé à exécuter sa peine de manière anticipée. Dès lors qu'elle a demandé à bénéficier du régime d'exécution anticipée de sa peine et qu'elle est désormais détenue à ce titre, elle ne peut prétendre au contrôle périodique de sa détention, pour les motifs qui ont été exposés au considérant précédent. A cet égard, le passage de la contribution de MATTHIAS HÄRRI (op. cit., n° 21 ad
art. 236 CPP
), cité par la recourante, se rapporte à l'exécution anticipée des mesures et non pas à l'exécution anticipée de la peine.
Pour le reste, la recourante a en tout temps la possibilité de demander sa mise en liberté. Tant qu'elle ne le demande pas, son consentement pour l'exécution anticipée de la peine est toujours valable, de sorte que la question du titre de détention ne se pose pas. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
02ebf1a9-2ce2-4ab8-bf84-e12a728746dd | Urteilskopf
113 Ia 104
19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Mai 1987 i.S. Renova AG gegen Frau B. und H. sowie das Obergericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, § 95 Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau (ZPO/TG). Kostenregelung bei subjektiver Klagenhäufung.
Willkür bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzesnormen (E. 2b).
Fasst der Kläger, ohne dazu gezwungen zu sein, für die gleiche Forderung mehr als eine Person ins Recht, so bleiben diese subjektiv gehäuften Klagen selbständig; die Kostenentscheide sind für die einzelnen Klagen voneinander unabhängig zu gestalten (E. 2c). Ausnahmen von dieser Regel sind bei einer erweiterten Kostenpflicht aus materiellem Recht denkbar (E. 2e).
Auch
§ 95 ZPO
/TG geht von dieser Konzeption der Kostenregelung aus. Es ist somit willkürlich, eine generelle Kostenpflicht des unterliegenden Streitgenossen gegenüber dem obsiegenden auf dem Regressweg einzuführen (E. 2d). | Erwägungen
ab Seite 105
BGE 113 Ia 104 S. 105
Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:
2.
a) Weiter rügt die Beschwerdeführerin, das Obergericht habe § 95 Abs. 1 der Thurgauer Zivilprozessordnung willkürlich angewendet, indem es sie verpflichtet habe, den Beschwerdegegner für das kantonale Verfahren zu entschädigen. Ohne Begründung weiche es dabei vom Grundsatz ab, wonach den Unterliegenden die Kosten aufzuerlegen seien, ein Prinzip, das es im übrigen strikt anwende.
Die vom Bezirksgericht Kreuzlingen erkannte Entschädigungspflicht der Beschwerdeführerin gegenüber dem Beschwerdegegner schützt das Obergericht mit der Begründung, das Bezirksgericht hätte zwar die Beschwerdegegnerin verpflichten können, den Beschwerdegegner zu entschädigen. Sie hätte ihr aber gleichzeitig den Regress auf die Beschwerdeführerin einräumen müssen. Wenn
BGE 113 Ia 104 S. 106
sie letztere direkt leistungspflichtig erkläre, verletze sie keine Regel des Zivilprozessrechts. Entsprechend verpflichtet sie die Beschwerdeführerin, den Beschwerdegegner auch für das Verfahren vor Obergericht zu entschädigen.
b) Willkür im Sinne von
Art. 4 BV
liegt bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzesnormen nicht schon dann vor, wenn eine andere Auslegung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erschiene. Das Bundesgericht greift erst dann ein, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist (
BGE 112 Ia 27
mit Hinweisen).
c) Die alternative wie die eventuelle subjektive Klagehäufung haben notwendigerweise zur Folge, dass bei Gutheissung einer Klage die andere abgewiesen oder gegenstandslos wird. Dieses Risiko trägt der Kläger und nimmt er auch in Kauf, zumal er zu einer solchen Klagenhäufung nie verpflichtet ist. Die subjektiv gehäuften Klagen bleiben rechtlich selbständig, auch wenn sie in einem einheitlichen Urteil erledigt werden. Entsprechend sind die Kostenschlüsse selbständig zu gestalten. Der unterliegende Kläger wird daher den obsiegenden Streitgenossen gegenüber kostenpflichtig, wobei unerheblich ist, ob die Klage abgewiesen oder als gegenstandslos vom Protokoll abgeschrieben wird. Das entspricht der einhelligen Lehre (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 303 Ziff. 4; LEUCH, N. 1 zu
Art. 36 ZPO
/BE; BLOMEYER, Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 628; ROSENBERG-SCHWAB, Zivilprozessrecht, 14. Aufl., S. 283).
Alternative und eventuelle subjektive Klagehäufungen haben in aller Regel ihren Grund darin, dass mehrere mögliche Beklagte sich gegenseitig die Schuldpflicht zuzuschieben versuchen. Dies reicht indessen für sich allein nicht aus, den tatsächlich passivlegitimierten für sämtliche Kosten, auch diejenigen der Mitbeklagten, haftbar zu erklären. Würde so argumentiert, könnte sich letztlich der Kläger seines Risikos der richtigen Beklagtenwahl entschlagen, was fundamentale Grundsätze des Zivilprozessrechtes verletzen würde. Die prozessuale Risikoverteilung würde im Endergebnis umgekehrt.
d) Das Obergericht geht von einer eventuellen oder subjektiven Klagehäufung aus und weist folgerichtig die Klage gegen den Beschwerdeführer ab, nachdem es diejenige gegen die Beschwerdeführerin gutgeheissen hat. Eine direkte Kostenpflicht des einen Streitgenossen gegen den andern lässt sich, wie auch das Obergericht anerkennt, nicht auf
§ 95 ZPO
/TG abstützen. "Gegner" im
BGE 113 Ia 104 S. 107
Sinne des ersten Absatzes dieser Bestimmung ist ausschliesslich die Gegenpartei. Damit bleibt kein Raum, um die generelle Kostenpflicht des unterliegenden Streitgenossen gegenüber dem obsiegenden auf dem Regressweg einzuführen. Hinzu kommt, dass
§ 95 Abs. 1 ZPO
/TG nur zum Ersatz der notwendigen Kosten des Prozessgegners verpflichtet. Diese ausdrückliche Einschränkung ist ergänzend zu beachten. Zusatzkosten aus alternativer oder eventueller Klagehäufung sind nach dem Gesagten nicht notwendig.
e) Ausnahmen von der Regel sind in besonders gelagerten Fällen denkbar, was etwa zutreffen mag, wenn der effektiv Passivlegitimierte den Kläger in einer
Art. 41 OR
oder den Grundsatz von Treu und Glauben verletzenden Weise zur Klagehäufung "zwingt", was eine erweiterte Kostenpflicht aus materiellem Recht zu begründen vermag.
Das Bezirksgericht rechtfertigt die Kostenpflicht der Beschwerdeführerin einzig mit dem Hinweis, sie habe "durch ihre Weigerung, die Forderung von Fr. 55'000.-- anzuerkennen und zu bezahlen", das Verfahren verursacht. Diese allgemeine Formulierung trifft auf jeden verurteilten Beklagten zu und reicht nicht aus, die erweiterte Kostenpflicht zu begründen. Das Obergericht fügt keine zusätzlichen Argumente bei. Sein Entscheid, die Beschwerdeführerin zu verpflichten, den Beschwerdegegner zu entschädigen, ist - jedenfalls mit der vorliegenden Begründung - unhaltbar und daher insoweit aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
02ec8c79-801f-4de9-b678-d2bb18b0d08e | Urteilskopf
91 I 50
10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. März 1965 i.S. Greiter gegen Eidg. Amt für geistiges Eigentum. | Regeste
Markenrecht. Schutzverweigerung gegenüber international hinterlegter Marke wegen Täuschungsgefahr über die Herkunft der Ware.
Zulässigkeit geographischer Angaben.
Unzulässigkeit der Marke "Monte Bianco" für Parfümerien, Kosmetikartikel und Sonnenschutzmittel, die aus Österreich stammen.
Madrider Übereinkunft (Fassung von London 1934) Art. 5 Abs. 1. Pariser Verbandsübereinkunft (Fassung von London 1934)
Art. 6 lit. B Ziff. 3. MSchG Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2. | Sachverhalt
ab Seite 51
BGE 91 I 50 S. 51
A.-
Franz J. Greiter in Lauterach-Bregenz ist Inhaber der im österreichischen Markenregister eingetragenen Wortmarke "Monte Bianco" für Parfümerien, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege sowie Sonnenschutzmittel; tatsächlich wird die Marke nur für ein Sonnenschutzmittel verwendet.
Am 9. Mai 1964 liess Greiter gestützt auf die Madrider Übereinkunft betreffend die internationale Eintragung der Fabrik- oder Handelsmarken die Marke "Monte Bianco" unter der Nr. 283379 im internationalen Register eintragen für "Produits de parfumerie, cosmétiques ainsi que substances contre les coups de soleil".
Das eidg. Amt für geistiges Eigentum teilte am 16. Oktober 1964 dem internationalen Amt gestützt auf Art. 5 der Madrider Übereinkunft sowie unter Berufung auf Art. 6 lit. B Ziff. 3 der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums (PVU) und
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
mit, der Marke werde für das Gebiet der Schweiz der Schutz verweigert, weil sie geeignet sei, das Publikum über die Herkunft der damit bezeichneten Waren zu täuschen.
B.-
Gegen diese Schutzverweigerung, die das internationale Amt dem Markeninhaber am 28. Oktober 1964 bekanntgab, erhob dieser beim Bundesgericht verwaltungsgerichtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Schutzverweigerung sei aufzuheben und das eidg. Amt anzuweisen, der beanspruchten internationalen Marke den vollen Schutz zu gewähren.
BGE 91 I 50 S. 52
Das eidg. Amt für geistiges Eigentum beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde ist die Madrider Übereinkunft betreffend die internationale Eintragung der Fabrik- oder Handelsmarken in ihrer in London revidierten Fassung vom 2. Juni 1934 massgebend, der sowohl die Schweiz (am 24. Oktober 1939) als auch Österreich (am 19. August 1947) beigetreten sind.
Nach Art. 5 Abs. 1 dieser Übereinkunft darf eine Schutzverweigerung "nur unter den Voraussetzungen verfügt werden, welche auf Grund der allgemeinen Übereinkunft auf eine zur nationalen Eintragung hinterlegte Marke anwendbar wären." Mit der "allgemeinen Übereinkunft" ist die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des Gewerblichen Eigentums (PVU) gemeint, und zwar ist für den vorliegenden Fall die sowohl von Österreich wie von der Schweiz ratifizierte Londoner Fassung von 1934 massgebend, da der im Jahre 1958 in Lissabon revidierte Text von Österreich nicht ratifiziert worden ist.
2.
Gemäss Art. 6 lit. B Ziff. 3 PVU dürfen Marken zurückgewiesen werden, welche gegen die guten Sitten oder gegen die öffentliche Ordnung verstossen, namentlich solche, welche geeignet sind, das Publikum zu täuschen. Die PVU betrachtet also gleich wie die ständige schweizerische Rechtsprechung zu
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG
eine Marke als sittenwidrig, wenn sie geeignet ist, den Käufer in irgend einer Hinsicht irrezuführen. Daher ist eine Marke unzulässig, wenn sie geographische Angaben enthält, die zu der Annahme verleiten könnten, die Ware stamme aus dem Lande, auf das die Angabe hinweist, obschon dies in Wirklichkeit nicht zutrifft. Anders verhält es sich nur, wenn die geographische Angabe offensichtlich blossen Phantasiecharakter hat und darum nicht als Herkunftbezeichnung aufgefasst werden kann (
BGE 89 I 301
, 293 und dort erwähnte Entscheide).
3.
Das eidg. Amt erachtet die Marke "Monte Bianco" als irreführend, weil sie von den Käufern als Hinweis auf
BGE 91 I 50 S. 53
Frankreich aufgefasst werden könne, während die Waren, für die sie bestimmt ist, aus Österreich stammen. Der Beschwerdeführer bestreitet eine solche Täuschungsgefahr.
Bei der Entscheidung dieser Frage ist auf die Auffassung des schweizerischen Durchschnittskäufers abzustellen. Als Abnehmer fallen alle Bevölkerungsschichten in Betracht, und es genügt, wenn auch nur in einem der verschiedenen Sprachgebiete der Schweiz eine Täuschungsgefahr besteht (
BGE 82 I 51
und dort erwähnte Entscheide).
a) "Monte Bianco" ist der italienische Name des Mont Blanc. Die Tatsache, dass der Gipfel dieses Namens und auch der grössere Teil der als "Mont Blanc-Massiv" bezeichneten Gebirgsgruppe auf französischem Gebiet liegen, ist in der Schweiz allgemein bekannt, insbesondere seit Chamonix infolge der Erschliessung des Mont Blanc-Massivs durch verschiedene Schwebebahnen sich zu einem bedeutenden Zentrum sowohl für das Bergsteigen im Sommer als auch für den Wintersport entwickelt hat. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Bezeichnung "Monte Bianco" weise an sich nicht auf Frankreich hin, ist daher, mindestens für den italienisch sprechenden Teil der Bevölkerung, unzutreffend.
Unrichtig ist auch die Auffassung des Beschwerdeführers, der Mont Blanc sei kein allgemein bekanntes Wahrzeichen für etwas spezifisch Französisches, weshalb die Gefahr einer Ideenverbindung zwischen der Marke "Monte Bianco" und dem Mont Blanc und damit Frankreich als Herkunftsland nicht bestehe. Eine solche Ideenverbindung liegt aber im vorliegenden Fall, im Gegensatz zu dem vom Beschwerdeführer angerufenen
BGE 68 I 205
, zum mindestens für die Schweizer italienischer Sprache nahe; dies um so mehr, als die französischen Parfümerien Weltruf geniessen. Dass der Beschwerdeführer die Marke gegenwärtig nur für ein Sonnenschutzöl verwendet, ist unerheblich. Denn der Schutzbereich seiner Marke erstreckt sich gemäss Eintrag neben Sonnenschutzerzeugnissen auch auf Parfümerie- und Kosmetikartikel.
Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, wenn man schon von einer Ideenverbindung sprechen wolle, so verweise die Marke auf die europäische Herkunft der damit versehenen Ware, weil der Mont Blanc als der höchste europäische Berg bekannt sei. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Der Mont Blanc ist nicht nur als der höchste Berg Europas bekannt,
BGE 91 I 50 S. 54
sondern vor allem als französischer Berg, und die Annahme französischer Herkunft der Ware liegt daher bedeutend näher als die weither geholte Ideenverbindung, dass mit der Marke auf ein europäisches Erzeugnis angespielt werden wolle.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Marke "Monte Bianco" habe einen klar erkennbaren symbolischen Charakter, da sie die Gedankenassoziation "Grosser Schneeberg - Höhenlage - starke Sonneneinwirkung" hervorrufe. Dieser Einwand liesse sich allenfalls hören, wenn der Schutzbereich der Marke auf Sonnenschutzmittel beschränkt wäre. Er erledigt sich aber von selber, da die Marke ganz allgemein für Parfümerie- und Kosmetikartikel beansprucht wird und nicht einzusehen ist, inwiefern die vom Beschwerdeführer behauptete Ideenverbindung bei solchen zutreffen sollte.
c) Die geographische Angabe hat somit nicht offensichtlich bloss Phantasiecharakter. Sie kann vielmehr beim Durchschnittskäufer namentlich im italienischen Sprachgebiet als Herkunftbezeichnung verstanden werden und zu der irrigen Auffassung verleiten, die damit bezeichnete Ware stamme aus Frankreich.
Ob die Marke "Monte Bianco" wegen ihres italienischen Wortlautes und weil das Mont Blanc-Massiv ein Grenzmassiv ist, auch zur irrigen Annahme verleiten könnte, es handle sich um Waren italienischer Herkunft, kann bei dieser Sachlage offen bleiben.
4.
Ist aber die Marke "Monte Bianco" geeignet, die schweizerischen Käufer oder auch nur den italienisch sprechenden Teil derselben über die Herkunft der damit versehenen Waren zu täuschen, so hat das eidg. Amt ihr den Schutz für das Gebiet der Schweiz zu Recht verweigert. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
02f3bb0a-1ba2-4311-99d0-847e8a97e4b8 | Urteilskopf
135 III 430
64. Estratto della sentenza della II Corte di diritto civile nella causa A. SA contro Commissione del Tribunale cantonale dei Grigioni (ricorso in materia civile)
5A_50/2009 del 27 marzo 2009 | Regeste
Art. 295 Abs. 1 SchKG
;
Art. 46 Abs. 2 und
Art. 98 BGG
; Nachlassstundung; Fristenlauf.
Die Nachlassstundung ist eine vorsorgliche Massnahme, aufgrund welcher der gesetzliche Fristenstillstand für die Beschwerdeführung beim Bundesgericht nicht gilt (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 430
BGE 135 III 430 S. 430
A.
A.a
La A. SA ha chiesto il 28 aprile 2008 la concessione di una moratoria concordataria di sei mesi alla Commissione del Tribunale distrettuale Moesa, che il 9 maggio 2008 ha respinto l'istanza.
A.b
Con sentenza 25 giugno 2008 la Commissione del Tribunale cantonale dei Grigioni ha annullato la predetta decisione, ha concesso alla A. SA una moratoria provvisoria di due mesi ai sensi dell'
art. 293 cpv. 3 LEF
e ha rinviato la causa alla Commissione del Tribunale distrettuale per la nomina di un commissario provvisorio e per decisione sulla moratoria definitiva.
A.c
Il 14 luglio 2008 la Commissione del Tribunale distrettuale ha nominato un commissario provvisorio, gli ha assegnato un termine
BGE 135 III 430 S. 431
scadente il 27 agosto 2008 per la presentazione del rapporto e ha convocato le parti per l'udienza principale del 3 settembre 2008. In tale data essa ha poi respinto l'istanza di moratoria concordataria.
B.
Con sentenza 1° dicembre 2008 (notificata il 4 dicembre 2008) la Commissione del Tribunale cantonale ha respinto un ricorso della A. SA e ha confermato la decisione di primo grado.
C.
Con ricorso in materia civile, datato 20 gennaio 2009 e consegnato alla posta tale giorno, la A. SA chiede la modifica della sentenza cantonale nel senso di essere posta al beneficio di una moratoria concordataria di 6 mesi.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Il Tribunale federale si pronuncia d'ufficio e con pieno potere d'esame sulla propria competenza e sull'ammissibilità del rimedio esperito (
art. 29 cpv. 1 LTF
;
DTF 134 III 115
consid. 1).
1.1
La ricorrente afferma, come peraltro confermato dal Tribunale cantonale dei Grigioni, di aver ricevuto la sentenza impugnata il 5 dicembre 2008 e ritiene che il suo ricorso, consegnato alla posta il 20 gennaio 2009, sia tempestivo in seguito alla sospensione dei termini prevista dall'art. 46 cpv. 1 lett. c LTF fra il 18 dicembre e il 2 gennaio incluso. Sennonché le ferie giudiziarie invocate dalla ricorrente non sono applicabili ai procedimenti concernenti l'effetto sospensivo e altre misure provvisionali (
art. 46 cpv. 2 LTF
). La nozione di misure provvisionali ai sensi dell'
art. 46 cpv. 2 LTF
corrisponde a quella di misure cautelari dell'
art. 98 LTF
(
DTF 134 III 667
consid. 1.3). Decisivo per stabilire se si tratta di una decisione finale di diritto materiale, che il Tribunale federale può esaminare liberamente (
art. 95 LTF
), o di una misura cautelare, contro cui può unicamente essere fatta valere la violazione di diritti costituzionali (
art. 98 LTF
), non è tanto la procedura in cui è stata emanata la pronunzia attaccata; determinante è piuttosto se una questione di diritto viene decisa in modo definitivo sulla base di un esame completo in fatto e diritto che acquisisce forza di cosa giudicata, senza riservare la decisione in una procedura principale (
DTF 133 III 589
consid. 1).
1.2
Una moratoria concordataria può unicamente essere concessa se vi sono possibilità di giungere a un concordato (
art. 294 cpv. 2 LEF
) e serve a prepare quest'ultimo (HANS ULRICH HARDMEIER, Kurzkommentar SchKG, 2009, n. 1 ad
art. 295 LEF
; AMONN/WALTHER,
BGE 135 III 430 S. 432
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8
a
ed. 2008, § 54 n. 27). La sua durata è limitata a un periodo da 4 a 6 mesi (
art. 295 cpv. 1 LEF
), che può essere prorogato su domanda del commissario fino a 12 mesi e, in casi particolarmente complessi, fino a 24 mesi al massimo (
art. 295 cpv. 4 LEF
). Giusta l'
art. 297 LEF
, essa ha per effetto il divieto di promuovere o proseguire esecuzioni contro il debitore (ad eccezione dei casi previsti dal cpv. 2), la sospensione dei termini di prescrizione e perenzione (cpv. 1) e del corso degli interessi dei crediti non garantiti da pegno (cpv. 3), nonché l'applicabilità delle regole del fallimento sulla compensazione (cpv. 4). Con la moratoria concordataria il diritto di disporre del debitore, che può in linea di principio continuare la sua attività sotto la vigilanza del commissario (
art. 298 cpv. 1 LEF
), non viene soppresso, ma unicamente limitato (per i negozi giuridici che necessitano per legge dell'autorizzazione del giudice del concordato v. l'
art. 298 cpv. 2 LEF
). Se non viene revocata (v. sui motivi di revoca gli art. 298 cpv. 3 e 295 cpv. 5 LEF) prima, la moratoria decade automaticamente trascorso il periodo per cui è stata pronunciata (
DTF 130 III 380
consid. 3.3).
1.3
Questi elementi, in particolare il suo carattere temporaneo che regola una situazione giuridica in attesa di un disciplinamento definitivo in una decisione ulteriore (v. per questa definizione il Messaggio del 28 febbraio 2001 concernente la revisione totale dell'organizzazione giudiziaria federale, FF 2001 3892 n. 4.1.4.2), caratterizzano la moratoria concordataria come una misura cautelare. Anche il suo effetto, in gran parte di differimento, la fanno apparire un procedimento di cui all'
art. 46 cpv. 2 LTF
. Con la moratoria concordataria non viene nemmeno decisa in modo definitivo una questione di diritto materiale e, alla stregua delle misure cautelari emanate nel corso di un processo civile, essa presuppone una prognosi favorevole sulle possibilità di successo della domanda principale, in casu di concordato. Così stando le cose, contrariamente a quanto sostenuto dalla ricorrente, i termini ricorsuali non erano sospesi dalle ferie giudiziarie natalizie e il rimedio, consegnato alla posta ben oltre il termine di 30 giorni previsto dall'
art. 100 cpv. 1 LTF
, si appalesa tardivo e quindi inammissibile. | null | nan | it | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
02fa163b-bd5c-4828-9edb-2df70e9af3c2 | Urteilskopf
139 V 164
24. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit social dans la cause Office cantonal de l'emploi du canton de Genève contre M. (recours en matière de droit public)
8C_601/2012 du 26 février 2013 | Regeste
Gesetzmässigkeit von
Art. 26 Abs. 2 AVIV
(Art. 17 Abs. 1 letzter Satz AVIG).
Die Einstellung in der Anspruchsberechtigung unterliegt ausschliesslich den spezifischen Bestimmungen der Arbeitslosenversicherung (nicht
Art. 43 Abs. 3 ATSG
). Daraus folgt, dass vorbehältlich eines entschuldbaren Grundes eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung ausgesprochen werden kann, wenn die Nachweise der Arbeitsbemühungen nicht innert der Frist des
Art. 26 Abs. 2 AVIV
eingereicht werden, ohne dass eine zusätzliche Frist gewährt werden müsste. Unerheblich ist, dass die Nachweise später erbracht werden, zum Beispiel in einem Einspracheverfahren (E. 3.2 und 3.3). | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 139 V 164 S. 165
A.
M. s'est inscrit au chômage le 15 janvier 2010.
Par décision du 16 juin 2011, confirmée sur opposition le 9 septembre 2011, l'Office cantonal de l'emploi (ci-après: OCE) a sanctionné l'assuré pour recherches d'emploi "nulles" durant le mois de mai 2011 et prononcé une suspension du droit à l'indemnité de cinq jours.
B.
M. a recouru contre cette décision devant la Cour de justice du canton de Genève, Chambre des assurances sociales.
(...) La juridiction cantonale a partiellement admis le recours en ce sens qu'elle a réduit la suspension du droit à l'indemnité de chômage à un jour (jugement du 31 juillet 2012).
C.
L'OCE interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement dont il demande l'annulation. (...)
Le recours a été admis.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
Selon l'
art. 26 al. 2 OACI
(RS 837.02), dans sa teneur en vigueur dès le 1
er
avril 2011 (RO 2011 1179), l'assuré doit remettre la preuve de ses recherches d'emploi pour chaque période de contrôle au plus tard le cinq du mois suivant ou le premier jour ouvrable qui suit cette date. A l'expiration de ce délai, et en l'absence d'excuse valable, les recherches d'emploi ne sont plus prises en considération.
Dans sa version antérieure, l'ordonnance prévoyait à ce sujet que si l'assuré n'avait pas remis ses justificatifs à cette même échéance, l'office compétent lui impartissait un délai raisonnable pour le faire. Simultanément, il l'informait par écrit qu'à l'expiration de ce délai et en l'absence d'excuse valable, les recherches d'emploi ne pourraient pas être prises en considération (ancien
art. 26 al. 2
bis
OACI
).
BGE 139 V 164 S. 166
Issu de la 3
e
révision de la LACI (RS 837.0) et de ses dispositions d'exécution sur le modèle d'une directive du Secrétariat d'Etat à l'économie (SECO), ce nouvel alinéa 2
bis
a permis d'abolir des pratiques qui, auparavant, différaient d'un canton à l'autre (BORIS RUBIN, Assurance-chômage, 2
e
éd. 2006, p. 394 note de bas de p. 1184). La sanction - la non prise en compte des recherches d'emploi - n'intervenait que si les justificatifs n'étaient toujours pas remis à l'expiration de ce nouveau délai et si l'assuré ne disposait d'aucune excuse valable pour expliquer son "double retard". Dans ce cas, le défaut de recherches d'emploi réalisait l'état de fait visé par l'
art. 30 al. 1 let
. c LACI et justifiait une suspension du droit de l'assuré à l'indemnité de chômage sur cette base (voir
ATF 133 V 89
consid. 6.2 p. 91). Dans ce dernier arrêt, l'ancien Tribunal fédéral des assurances a jugé que cette disposition de l'ordonnance était conforme à la loi: sauf excuse valable, des recherches d'emploi remises tardivement n'étaient plus prises en compte et ne pouvaient donc plus faire l'objet d'un examen sous l'angle quantitatif et qualitatif. Le Tribunal a précisé que l'
art. 26 al. 2
bis
OACI
était d'une certaine manière calqué sur l'
art. 43 al. 3 LPGA
(RS 830.1;
ATF 133 V 89
consid. 6.2.3 p. 93). On rappellera que selon cette disposition, si l'assuré ou d'autres requérants refusent de manière inexcusable de se conformer à leur obligation de renseigner ou de collaborer à l'instruction, l'assureur peut se prononcer en l'état du dossier ou clore l'instruction et décider de ne pas entrer en matière; il doit leur avoir adressé une mise en demeure écrite les avertissant des conséquences juridiques et leur impartissant un délai de réflexion convenable.
3.2
La nouvelle version de l'ordonnance, même si elle ne prévoit plus l'octroi d'un délai de grâce, n'apparaît pas non plus contraire à la loi. Tout d'abord, l'ancienne disposition revenait
de facto
à accorder aux assurés un véritable droit de déposer les preuves de recherches d'emploi en retard - une excuse valable ne devait être fournie qu'en cas de retard par rapport au délai raisonnable (supplémentaire) imparti par l'office -, situation qui était jugée insatisfaisante tant sur le plan juridique que pratique (cf. RUBIN, op. cit., p. 394 n. 5.8.6.7). Ensuite, dans la LPGA, le domaine des sanctions est régi en priorité par l'
art. 21 LPGA
qui n'est toutefois pas applicable dans l'assurance-chômage (art. 1
er
al. 2 LACI). Le législateur a en effet estimé que le régime des sanctions de la LACI ne pouvait pas s'harmoniser avec la LPGA (rapport de la Commission du Conseil national de la sécurité sociale et de
BGE 139 V 164 S. 167
la santé du 26 mars 1999 relatif au projet de loi fédérale sur la partie générale du droit des assurances sociales [LPGA]; FF 1999 4215). On peut ainsi en inférer que l'
art. 43 al. 3 LPGA
n'est pas davantage applicable. On ne voit pas en effet que ce même législateur ait voulu soustraire les suspensions du droit à l'indemnité de la réglementation de l'
art. 21 LPGA
, mais non de celle de l'
art. 43 al. 3 LPGA
. La suspension du droit à l'indemnité est donc exclusivement soumise aux dispositions spécifiques de l'assurance-chômage, en particulier l'
art. 30 LACI
et les dispositions d'exécution adoptées par le Conseil fédéral (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in Soziale Sicherheit, SBVR vol. XIV, 2
e
éd. 2007, p. 2424 n. 825).
Enfin, les conséquences attachées au défaut de production dans le délai des documents probatoires ne doivent pas nécessairement reposer sur une base légale formelle (question évoquée, mais laissée indécise dans l'
ATF 133 V 89
consid. 6.2.3 p. 93). L'assuré doit apporter la preuve de ses efforts en vue de rechercher du travail pour chaque période de contrôle (
art. 17 al. 1, troisième phrase, LACI
), sous peine d'être sanctionné (
art. 30 al. 1 let
. c LACI). L'
art. 26 al. 2 OACI
n'est en définitive que la concrétisation de ces dispositions légales.
3.3
Il en résulte que, sauf excuse valable, une suspension du droit à l'indemnité peut être prononcée si les preuves ne sont pas fournies dans le délai de l'
art. 26 al. 2 OACI
, sans qu'un délai supplémentaire ne doive être imparti. Peu importe que les preuves soient produites ultérieurement, par exemple dans une procédure d'opposition. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
0305064e-acbb-4193-baec-728dc5b1dee5 | Urteilskopf
137 III 87
14. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bank Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_260/2010 vom 15. November 2010 | Regeste
Art. 50 LugÜ
(in der Fassung bis 31.12.2010) und
Art. 80 SchKG
; ausländische vollstreckbare Urkunde.
Bei einer auf Geld lautenden vollstreckbaren öffentlichen Urkunde ist definitive Rechtsöffnung zu gewähren (E. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 137 III 87 S. 87
Gestützt auf eine deutsche Grundschuldbestellungsurkunde mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung leitete die Gläubigerbank gegen den Schuldner in der Schweiz die Betreibung ein.
Die kantonalen Instanzen erteilten definitive Rechtsöffnung mit der Begründung, die vollstreckbare öffentliche Urkunde sei gemäss
BGE 137 III 87 S. 88
Art. 50 LugÜ
in dem für Urteile massgeblichen Verfahren zu vollstrecken, mithin in demjenigen der definitiven Rechtsöffnung.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Schuldner Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung des Rechtsöffnungsgesuchs. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Unbestrittenermassen wird vorliegend Rechtsöffnung verlangt gestützt auf eine beglaubigte Ausfertigung einer deutschen notariellen Urkunde mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung, die nach § 794 Abs. 1 Ziff. 5 der deutschen ZPO einen Vollstreckungstitel darstellt.
Gemäss
Art. 50 Abs. 1 LugÜ
in der Fassung vom 16. September 1988 (SR 0.275.11; AS 1991 2436) werden öffentliche Urkunden, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat auf Antrag in den Verfahren nach den Artikeln 31 ff. LugÜ - d.h. wie eine gerichtliche Entscheidung - für vollstreckbar erklärt. Die kantonalen Gerichte haben gestützt auf diese Normen die Urkunde inzident für vollstreckbar erklärt und definitive Rechtsöffnung im Sinn von
Art. 80 SchKG
erteilt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es gehe vorliegend nicht um einen richterlichen Entscheid, sondern um eine Urkunde, deren Inhalt noch nie auf seine materiellrechtliche Richtigkeit überprüft worden sei. Es verstosse gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und den Ordre public, hierfür definitive Rechtsöffnung zu gewähren, weil mit der vollstreckbaren öffentlichen Urkunde kein Verzicht auf den Justizgewährungsanspruch verbunden sei und in Deutschland die Vollstreckungsabwehrklage im Sinn von
§ 767 ZPO
offenstünde.
3.
In der Lehre wird darauf hingewiesen, dass
Art. 80 Abs. 1 SchKG
zwar von einem "vollstreckbaren gerichtlichen Urteil" spricht, aber
Art. 50 LugÜ
keine andere Wahl lässt, als bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung anzuwenden (z.B. VISINONI-MEYER, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde im internationalen und nationalen Bereich, 2004, S. 48). Dadurch werden ausländische Titel indirekt bevorzugt, weil das schweizerische Recht die vollstreckbare öffentliche Urkunde nicht kennt. Dieses Institut wird deshalb in der auf 1. Januar 2011 in Kraft
BGE 137 III 87 S. 89
tretenden schweizerischen Zivilprozessordnung auch für das Binnenverhältnis eingeführt (vgl.
Art. 347 ff. ZPO
, AS 2010 1821 SR 272; Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7386 ff. Ziff. 5.24.2) und im auf diesen Zeitpunkt angepassten
Art. 80 Abs. 2 Ziff. 1
bis
SchKG
dem gerichtlichen Entscheid gleichgestellt.
In der Literatur wird überwiegend die Meinung vertreten, dass vollstreckbare öffentliche Urkunden aufgrund von
Art. 50 LugÜ
im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung zu vollstrecken sind (NAEGELI, in: Kommentar zum Lugano-Übereinkommen [LugÜ], 2008, N. 49 zu
Art. 50 LugÜ
; DONZALLAZ, La Convention de Lugano [...], Bd. II, 1997, N. 4218; VOCK, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 9 zu
Art. 80 SchKG
; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 39 zu Art. 80 und N. 32 zu
Art. 82 SchKG
; STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 67 zu
Art. 80 SchKG
; STAEHELIN, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde - eine Ausländerin vor der Einbürgerung, in: Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung, 2005, S. 207; SCHWANDER, Vollstreckbare öffentliche Urkunden - Rechtsnatur, Verfahren der Erstellung und der Vollstreckung, AJP 2006 S. 674 f.; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 19 N. 59b; VISINONI-MEYER, Die Vollstreckung einer öffentlichen Urkunde gemäss
Art. 50 LugÜ
in der Schweiz, in: Schweizerisches und internationales Zwangsvollstreckungsrecht, S. 429 f.; KREN, Anerkennbare und vollstreckbare Titel nach IPR-Gesetz und Lugano-Übereinkommen, in: Beiträge zum schweizerischen und internationalen Zivilprozessrecht, 1991, S. 453; LEUTNER, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, Freiburg im Breisgau 1996, S. 193; STÜCHELI, Die Rechtsöffnung, 2000, S. 276; SCHMID, Negative Feststellungsklagen, AJP 2002 S. 782 f.; MEIER, Besondere Vollstreckungstitel nach dem Lugano-Übereinkommen, in: Das Lugano- Übereinkommen, 1990, S. 193; MARKUS, Lugano-Übereinkommen und SchKG-Zuständigkeiten, 1996, S. 86; OBERHAMMER, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde im Vorentwurf einer eidgenössischen ZPO, in: Schweizerisches und internationales Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, S. 249; grundsätzlich auch PETER, Ausländische Urkunden als Titel für die provisorische Rechtsöffnung, in: Vorsorgliche Massnahmen aus internationaler Sicht, 2000, S. 153 f., wobei nur die provisorische Rechtsöffnung möglich sein soll, wenn das Recht, dem die Urkunde zuzuordnen ist, dem Schuldner noch
BGE 137 III 87 S. 90
eine Klage zur Abwehr der Forderung zugesteht; a.M.: WALTER, Wechselwirkungen zwischen europäischem und nationalem Zivilprozessrecht, Zeitschrift für Zivilprozess [ZZP] 1994 S. 339; WITSCHI, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde nach Art. 50 Lugano-Übereinkommen in der Schweiz, 2000, S. 83; tendenziell die provisorische Rechtsöffnung empfehlend auch JAMETTI GREINER, Die vollstreckbare öffentliche Urkunde, Der Bernische Notar [BN] 1993 S. 54).
Von den drei letztgenannten Publikationen stammen zwei aus der Zeit vor der SchKG-Revision, als dem Schuldner weder die negative Feststellungs- noch die Rückforderungsklage und damit keine materiellrechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten offenstanden. WALTER begründet sein Eintreten zugunsten der provisorischen Rechtsöffnung denn auch genau mit diesem Umstand (a.a.O., S. 338), ebenso JAMETTI GREINER (a.a.O., S. 52), welche festhält, dass wohl anders zu entscheiden wäre, wenn die negative Feststellungsklage im SchKG eingeführt würde (a.a.O., S. 56). Aus der Zeit nach der SchKG-Revision bleibt somit als einzige Publikation mit abweichender Meinung diejenige von WITSCHI, welcher aber einräumt, dass das Verfahren der definitiven Rechtsöffnung "staatsvertragskonformer" wäre als dasjenige der provisorischen (a.a.O., S. 76).
Wie die vorstehende Zusammenstellung zeigt, ist nach der herrschenden Lehre bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden definitive Rechtsöffnung zu gewähren. Der Vertragswortlaut von
Art. 50 LugÜ
, der für die Vollstreckbarerklärung auf die für gerichtliche Entscheidungen geltende Regelung verweist, lässt in der Tat keine andere Möglichkeit zu, ist doch für Urteile im Anerkennungsfall unbestrittenermassen definitive Rechtsöffnung zu erteilen. In der Botschaft vom 21. Februar 1990 zum LugÜ wird zu Art. 50 lapidar festgehalten, dass die betreffenden Urkunden den vollstreckbaren Urteilen gleichgestellt würden und dies keiner besonderen Erläuterung bedürfe (BBl 1990 II 329 Ziff. 241); der Gesetzgeber war sich also der Bedeutung von
Art. 50 LugÜ
bewusst und hat die Konsequenzen billigend akzeptiert. Dies wird übrigens bekräftigt durch die Botschaft zur schweizerischen ZPO, wo mit Bezug auf
Art. 50 LugÜ
festgehalten wird, dass "schon heute (...) öffentliche Urkunden in der Schweiz in den gleichen Verfahren wie Urteile zu vollstrecken" sind (BBl 2006 7387 Ziff. 5.24.2).
Vor diesem Hintergrund geht die Ansicht des Beschwerdeführers, für eine Forderung, die noch nie richterlich beurteilt worden sei,
BGE 137 III 87 S. 91
müsse die definitive Rechtsöffnung als Ordre public-widrig angesehen werden, an der Sache vorbei. Von einem Verstoss gegen den schweizerischen Ordre public kann auch deshalb nicht gesprochen werden, weil die am 1. Januar 2011 in Kraft tretende schweizerische ZPO in Art. 347 ff. die vollstreckbare öffentliche Urkunde auch für das Binnenverhältnis einführt (AS 2010 1821) und diese, soweit sie über eine Geldleistung trägt, gemäss Art. 349 als definitiver Rechtsöffnungstitel gelten wird (AS 2010 1822). Auch wenn diesfalls durch eine auf das gleiche Datum in Kraft tretende Modifikation von
Art. 81 Abs. 2 SchKG
Einwendungen gegen die Leistungspflicht zulässig sein werden, sofern diese sofort beweisbar sind (AS 2010 1849) - ob die betreffenden Einwendungen auch gegen ausländische vollstreckbare Urkunden möglich sein werden (vgl. dazu STAEHELIN, a.a.O., N. 28 zu
Art. 81 SchKG
), ist vorliegend nicht zu entscheiden -, bedeutet dies nicht, dass die definitive Rechtsöffnung mit den aktuell zulässigen Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners gegen den schweizerischen Ordre public oder gegen
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verstossen würde, wie der Beschwerdeführer ebenfalls moniert:
Zum einen stehen dem Beschwerdeführer je nach Beurteilung der Zuständigkeitsfragen entweder Rechtsbehelfe nach der deutschen ZPO (etwa die Vollstreckungsgegenklage gemäss § 676) oder die negative Feststellungsklage nach
Art. 85a SchKG
und ferner die Rückforderungsklage von
Art. 86 SchKG
offen (zu diesen Möglichkeiten statt vieler: NAEGELI, a.a.O., N. 84 ff. zu
Art. 50 LugÜ
m.w.H.). Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers verhält es sich mithin nicht so, dass ihm jede Möglichkeit genommen wäre, die Forderung materiell überprüfen zu lassen.
Zum anderen sagt
Art. 50 LugÜ
nicht, dass die Urkunde ein Urteil sei; sie ist es auch nicht und sie kann im Unterschied zu einem gerichtlichen Entscheid insbesondere nicht in Rechtskraft erwachsen.
Art. 50 Abs. 1 LugÜ
bestimmt einzig, dass die öffentliche Urkunde, die in einem Vertragsstaat aufgenommen und vollstreckbar ist, in einem anderen Vertragsstaat in den Verfahren nach den
Art. 31 ff. LugÜ
vollstreckbar zu erklären ist. Nun sind aber nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Rechtsöffnungsverfahren nicht nur die in
Art. 81 Abs. 1 SchKG
genannten Einwendungen gegen die Forderung zulässig; vielmehr kann vorweg der Rechtsöffnungstitel als solcher bestritten werden: Bei einem definitiven Titel kann beispielsweise geltend gemacht werden, das Urteil sei gefälscht,
BGE 137 III 87 S. 92
nichtig oder nicht rechtskräftig und es liege deshalb gar kein definitiver Rechtsöffnungstitel im Sinn von
Art. 80 Abs. 1 SchKG
vor (Urteil 5A_104/2007 vom 9. August 2007 E. 2.2). Bei einem separaten Exequatur könnte der Schuldner dies zwar erst im Rechtsbehelfsverfahren tun (vgl.
Art. 34 Abs. 1 und
Art. 36 Abs. 1 LugÜ
), aber beim Inzidenzverfahren im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens können wegen dessen kontradiktorischer Natur die betreffenden Vorbringen selbstverständlich von Anfang an geltend gemacht werden (vgl. dazu SCHWANDER, a.a.O., S. 675 f.). Es versteht sich von selbst, dass solche formellen Einwände gegen die Qualität des Rechtsöffnungstitels nicht nur gegen einen richterlichen Entscheid, sondern umso mehr auch gegen die vollstreckbare öffentliche Urkunde erhoben werden können, wenn
Art. 50 LugÜ
bestimmt, dass diese nach den Regeln von
Art. 31 ff. LugÜ
, d.h. wie ein Urteil für vollstreckbar zu erklären sind. Solche Einwände gegen die Urkunde werden jedoch in der vorliegend zu beurteilenden Beschwerde nicht vorgebracht; der Beschwerdeführer beschränkt sich vielmehr auf das Vorbringen, die definitive Rechtsöffnung sei bei vollstreckbaren öffentlichen Urkunden per se unzulässig. Dies trifft nach dem Gesagten nicht zu.
4.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, der auf Deutsche Mark lautenden Forderung mangle es nach der Einführung des Euro an genügender Bestimmtheit und sie könne deshalb nicht mehr direkt vollstreckbar sein, ist er auf die einschlägigen Verordnungen der EU hinzuweisen: Der Euro ist an die Stelle der Währungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten getreten (Art. 3 der Verordnung [EG] Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro [ABl. L 139 vom 11. Mai 1998 S. 1]; EuroVO II). Wird in Rechtsinstrumenten - d.h. in Rechtsvorschriften, Verwaltungsakten, gerichtlichen Entscheidungen, Verträgen, einseitigen Rechtsgeschäften, Zahlungsmitteln (vgl. Art. 1 EuroVO II) -, die am Ende der Übergangszeit bestehen, auf nationale Währungseinheiten Bezug genommen, so ist dies als Bezugnahme auf die Euro-Einheit entsprechend dem jeweiligen Umrechnungskurs zu verstehen (Art. 14 EuroVO II). Der Umrechnungskurs wurde auf DM 1,95583 = 1 Euro festgesetzt (Art. 1 der Verordnung [EG] Nr. 2866/98 des Rates vom 31. Dezember 1998 über die Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Währungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einführen [ABl. L 359 vom 31. Dezember 1998 S. 1]; EuroVO III). | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
0305993e-6a9c-48c8-aaaa-5668b1c35f73 | Urteilskopf
99 Ib 397
52. Extrait de l'arrêt du 16 novembre 1973 dans la cause Véron, Grauer SA contre le Département fédéral de l'économie publique. | Regeste
Art. 3 Abs. 1 BB vom 20. Dezember 1972, Art. 1 Verordnung des Bundesrates vom 10. Januar 1973 über Massnahmen zur Stabilisirung des Baumarktes.
Die beiden ersten Absätze des Art. 1 der Verordnung dürfen nicht unabhängig voneinander ausgelegt werden. Sofern der zweite denersten nicht einschränkt, verdeutlicht er ihn doch, indem er vorsieht, dass kraft einer gesetzlichen Vermutung gewisse Umbauarbeiten nicht als Abbruch gelten, selbst wenn sie wesentliche Bestandteile eines Gebäudes berühren. | Sachverhalt
ab Seite 398
BGE 99 Ib 397 S. 398
Résumé des faits
A.-
La maison Véron, Grauer SA, à Genève, qui s'occupe de transports internes et internationaux, terrestres et maritimes, de camionnages, de déménagements, d'emballages, d'entrepôts, de garde-meubles, etc., est principalement installée à la rue du Mont-Blanc, dans des locaux loués. Mais elle utilise aussi des immeubles dont elle est propriétaire ailleurs, notamment un bâtiment de 654 m2 qui a été construit en 1946 à l'angle des rues Richemont et Rothschild, et qui comprend un rez-de-chaussée à l'usage de remise, garage et dépôt, ainsi qu'un étage, avec toiture métallique en lanterneaux, servant d'entrepôt locatif.
Se sentant dans une situation précaire à l'avenue du Mont-Blanc, et désirant centraliser ses services, elle a décidé d'agrandir ce bâtiment pour y concentrer son activité. Le rez-de-chaussée subira des modifications sans qu'il soit touché au gros oeuvre et tout en continuant à servir en partie d'entrepôt, remise et garage; l'actuel étage d'entrepôts sera démoli, avec sa toiture métallique, et remplacé par trois nouveaux étages de bureaux, dont un en attique. Selon un devis général établi le 30 novembre 1972, le coût total de l'opération sera de 2 260 000 fr.
Le 19 décembre 1972, le Département cantonal des travaux publics délivra l'autorisation de construire, mais en interdisant provisoirement l'exécution des travaux en application de l'art. 4 de l'AF du 25 juin 1971 sur la stabilisation du marché de la construction.
B.-
Le Préposé fédéral à la stabilisation du marché de la construction (ci-après: le Préposé), ayant rendu le 13 avril 1973 une décision refusant l'autorisation d'entreprendre les travaux, Véron, Grauer SA, recourut alors au Département fédéral de l'économie publique (ci-après: le Département fédéral), en soutenant
BGE 99 Ib 397 S. 399
quant à l'interdiction de démolir qu'il aurait fallu appliquer non pas l'art. 1er al. 1, mais l'art. 1er al. 2 de l'ordonnance du 10 janvier 1973, et en contestant le refus d'accorder une dérogation sur la base de l'art. 6 al. 3 de l'AF du 20 décembre 1972. Le recours ne contestait pas l'assujettissement à l'interdiction de construire.
C.-
Le Département fédéral ayant rejeté le recours le 20 août 1973, Véron, Grauer SA demande au Tribunal fédéral, par la voie du recours de droit administratif, d'annuler son prononcé.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
...
2.
...
3.
Il convient d'examiner en premier lieu si l'interdiction de démolir était applicable.
L'art. 3 al. 1 de l'AF 1972 interdit de démolir des maisons d'habitation et des immeubles commerciaux de tout genre. Selon l'art. 1er al. 3 de l'ordonnance du Consei Ifédéral du 10 janvier 1973 concernant la stabilisation du marché de la construction (ci-après: ordonnance du 10 janvier 1973), sont réputés maisons d'habitations et immeubles commerciaux de tout genre les bâtiments qui ont été construits soit pour le logement, soit pour l'exercice d'une activité lucrative, ou qui ont été utilisés à ces fins pendant une période assez longue, à l'exception des bâtiments industriels appartenant à un complexe industriel et de toutes les constructions mobilières.
La recourante ne conteste pas, et il n'est pas contestable, que le bâtiment en cause a le caractère d'un immeuble commercial au sens de cette définition, parce que destiné à une activité lucrative, et que par conséquent il est en principe assujetti à l'interdiction de démolir. Elle soutient en revanche qu'il n'y aura pas démolition, mais simple transformation. Cette question dépend de l'interprétation donnée aux deux premiers alinéas de l'art. 1er de l'ordonnance du 10 janvier 1973, et le Tribunal fédéral peut revoir cette interprétation librement dans le cadre d'un recours de droit administratif. Le premier alinéa dit qu'il y a démolition lorsque des éléments essentiels d'un bâtiment disparaissent. Selon le deuxième alinéa, les travaux de transformation qui ne modifient pas la destination antérieure du bâtiment et qui, en particulier, n'entraînent pas la disparition de logements familiaux à loyers modérés, ne sont pas tenus
BGE 99 Ib 397 S. 400
pour des démolitions. La décision attaquée ne retient que le premier de ces deux textes, considéré comme "un tout en luimême", alors que la recourante voudrait voir appliquer le second, qui semble lui donner raison.
Le Département fédéral est en tout cas trop restrictif, lorsqu'il affirme que l'art. 1er al. 2 vise simplement à ne pas interdire les travaux d'entretien et de rénovation. En effet, le mot "transformation" a dans le langage courant de la construction un sens plus large, et les auteurs de l'ordonnance du 10 janvier 1973 ne l'auraient pas employé s'ils n'avaient voulu permettre que les travaux d'entretien et de rénovation. Dans le sens habituel du mot, la transformation d'un bâtiment implique presque toujours certaines démolitions plus ou moins importantes.
L'interprétation des autorités intimées revient à dire que le deuxième alinéa de l'art. 1er de l'ordonnance vise uniquement les petites transformations n'entraînant pas la disparition d'éléments essentiels du bâtiment. Mais, si tel était son sens, cette disposition aurait été superflue et elle serait dépourvue de raison d'être, car une telle transformation ne tombe pas sous le coup de l'interdiction de démolir en vertu déjà du premier alinéa. On doit donc admettre que, selon la volonté des auteurs de l'ordonnance, le deuxième alinéa apporte une précision sinon une exception au premier, en prévoyant qu'en vertu d'une présomption légale, certaines transformations, même touchant des éléments essentiels, ne sont pas considérées comme des démolitions. On ne saurait dès lors interpréter l'un des alinéa sans tenir compte de l'autre.
Dans ses observations, le Préposé objecte qu'en parlant au premier alinéa d'"éléments essentiels", le Conseil fédéral a nettement manifesté sa volonté de ne pas limiter l'interdiction de démolir à la seule hypothèse où l'immeuble disparaît entièrement; c'est sans doute vrai, mais cela ne l'empêchait pas de prévoir une atténuation à la rigueur du principe, ainsi qu'il l'a fait par le deuxième alinéa. Le Préposé dit aussi que, s'il n'y avait pas démolition en cas de transformation entraînant la disparition d'un élément essentiel, il serait possible de procéder à la démolition presque intégrale en ne laissant subsister par exemple que les murs porteurs et d'éluder ainsi l'interdiction. Il s'agit là toutefois d'une hypothèse extrême qui ne suffit pas à ébranler l'interprétation logique des textes applicables. Au surplus, un tel procédé ne serait pas licite au regard des deux premiers alinéas de l'ordonnance du 10 janvier 1973 considérés
BGE 99 Ib 397 S. 401
dans leur ensemble, car la présomption légale, qui n'est pas absolue, serait aisément renversée.
En l'espèce, il y a transformation du bâtiment existant par surélévation, et l'art. 1er al. 2 de l'ordonnance du 10 janvier 1973 est donc applicable, vu qu'il n'y a pas changement de destination. Certes, cette transformation entraînera la démolition du premier étage actuel et de sa toiture métallique, c'est-à-dire d'un élément que l'on pourrait considérer comme essentiel; mais c'est sans importance, en raison de l'interprétation qu'on vient de retenir. Au demeurant, toute surélévation d'un bâtiment existant entraîne nécessairement la démolition au moins partielle de l'étage supérieur et de la toiture (sauf si c'est une dalle). Il serait contraire au but de l'arrêté fédéral, qui est d'empêcher avant tout la disparition de locaux encore utilisables, d'entraver une telle opération qui tend précisément à tirer le meilleur parti possible d'une construction existante et qui charge moins le marché que l'édification d'un bâtiment entièrement nouveau sur un terrain nu. Dans ce cas, l'interprétation logique des textes conduit donc à un résultat qui est raisonnable.
Pour ces motifs, le recours doit être admis sur ce point, et il y a donc lieu de prononcer que le projet de la recourante n'était pas assujetti à l'interdiction de démolir. Il n'est dès lors pas nécessaire de décider si l'ordonnance du 10 janvier 1973 ne sort pas du cadre que représente pour elle l'art. 3 al. 1 de l'arrêté fédéral de 1972 (cf. HANS GSTREIN, Das eidgenössische Gebäudeabbruchverbot, RSJ 1973 No 69 p. 336-7). | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
03183c5d-76d5-4dfa-a55c-11b0f157e746 | Urteilskopf
103 II 247
42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1977 i.S. Immobiliengesellschaft X. gegen Y. | Regeste
Ausweisung eines Mieters nach
Art. 265 OR
; Begriff der Zivilrechtsstreitigkeit und des Endentscheides; Abgrenzung zwischen Miet- und Pachtvertrag.
1.
Art. 46,
Art. 48 Abs. 1 OG
. Der Entscheid über das Ausweisungsbegehren eines Vermieters im Sinne von
Art. 265 OR
, der gestützt auf § 222 Ziff. 2 der zürcherischen ZPO ergeht, ist ein Endentscheid in einer Zivilrechtsstreitigkeit (E. 1).
2. Abgrenzung zwischen Miet- und Pachtvertrag (E. 2).
3. Hinterlegung des Mietzinses bei Ansetzung einer Zahlungsfrist gemäss
Art. 265 OR
; Zulässigkeit (E. 3a)? Fristenlauf bei gerichtlicher Hinterlegung (E. 3c und d). | Sachverhalt
ab Seite 248
BGE 103 II 247 S. 248
A.-
Mit schriftlichem Vertrag vom 15. April 1972 vermietete die Immobiliengesellschaft X. dem Y. Räumlichkeiten im Erdgeschoss und im Keller einer Liegenschaft in Zürich zur Benützung als Restaurations-, Dancing-, und Nachtcafébetrieb. Der Mietzins war vierteljährlich zu entrichten und an eine Indexklausel gebunden, die die Parteien bei jeder Veränderung des Indexstandes und bei jeder Änderung des Hypothekarzinsfusses berechtigte, "auch während der festen Vertragsdauer eine Mietzinsanpassung zu verlangen, sofern diese mindestens 5% des Basismietzinses ausmacht". Der Vertrag sollte am 30. September 1987 endigen. Den am 1. Oktober 1976 fälligen Mietzins für das vierte Quartal 1976 im Betrage von Fr. 59'230.75 bezahlte Y. nicht, weshalb ihm die Vermieterin am 30. November 1976 im Sinne von
Art. 265 OR
eine dreissigtägige Zahlungsfrist ansetzte. Am 23. Dezember 1976 hinterlegte der Mieter bei der Bezirksgerichtskasse Zürich einen Teilbetrag von Fr. 30'000.-- und überwies der Vermieterin weitere Fr. 30'000.--; gleichzeitig ersuchte er den Einzelrichter um Bewilligung der Hinterlegung. Mit Verfügung vom 8. Februar 1977 wies der Einzelrichter das Hinterlegungsbegehren ab. Hiegegen erhob Y. beim Obergericht des Kantons Zürich
BGE 103 II 247 S. 249
Rekurs, aber nur hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen. Am 21. März 1977 teilte ihm der Einzelrichter mit, dass er die Rückzahlung des Depositums veranlassen werde. Dieses wurde abzüglich der Gerichtskosten dem Postcheckkonto des Y. am 29. März 1977 gutgeschrieben. Alsdann wurde der ausstehende Mietzins für das vierte Quartal 1976 vom Mieter bezahlt. Die Quittungen tragen das Datum vom 31. März und vom 1. April 1977.
B.-
Mit Eingabe vom 11. März 1977 stellte die Immobiliengesellschaft X. beim Einzelrichter im summarischen Verfahren gegen Y. das Begehren, es sei dieser innert 10 Tagen aus den von ihm gemieteten Räumlichkeiten auszuweisen. Der Einzelrichter gab mit Verfügung vom 9. Juni 1977 dem Begehren statt, weil die dreissigtägige Zahlungsfrist vor der Bezahlung des ausstehenden Mietzinses abgelaufen sei.
Der Beklagte rekurrierte an das Obergericht des Kantons Zürich und machte erstmals geltend, zwischen den Parteien bestünde ein Pachtvertrag, weshalb nach der zwingenden Vorschrift des
Art. 293 OR
eine Zahlungsfrist von 60 Tagen anzunehmen sei. Das Obergericht (II. Zivilkammer) folgte dieser Auffassung und wies das Ausweisungsbegehren der Klägerin am 5. August 1977 ab.
C.-
Die Klägerin hat die Berufung erklärt, mit der sie das Bundesgericht um Gutheissung ihres Ausweisungsbegehrens ersucht; ferner sei dem Beklagten eine "Ausweisungsfrist" von 10 Tagen anzusetzen.
Demgegenüber stellt der Beklagte den Antrag auf Nichteintreten; allenfalls sei die Berufung abzuweisen und der Beschluss des Obergerichts zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Für seinen Nichteintretensantrag stützt sich der Beklagte auf
BGE 101 II 357
. Dort führte das Bundesgericht unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung und die Literatur aus, dass der Entscheid über die Ausweisung eines Mieters kein Entscheid in einer Zivilrechtsstreitigkeit sei, der die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Mieter und Vermieter endgültig regle. Vielmehr handle es sich dabei um einen Akt der Zwangsvollstreckung, der vom kantonalen Recht beherrscht werde.
BGE 103 II 247 S. 250
Abgesehen von den in den Art. 44 lit. a bis d und
Art. 45 lit. b OG
erwähnten Sonderfällen, die hier nicht in Frage stehen, ist die Berufung an das Bundesgericht nur in Zivilrechtsstreitigkeiten zulässig (
Art. 44 Abs. 1 und
Art. 46 OG
). Darunter versteht die Rechtsprechung ein Verfahren zwischen natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Träger privater Rechte oder zwischen einer solchen Person und einer nach Bundesrecht die Stellung einer Partei besitzenden Behörde, das sich vor dem Richter oder vor einer andern Spruchbehörde abspielt und auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt (
BGE 103 II 317
E. 2c, 101 II 359 E. 1, 368 E. 2a, 100 II 7, 292 E. 1 mit Hinweisen).
Wird ein Mietvertrag im Rahmen von
Art. 265 Abs. 1 OR
aufgelöst, so hat der Vermieter einen Rückgabeanspruch, der auf
Art. 271 OR
beruht. Bei der Vermietung von Immobilien kann er deshalb den Mieter durch den Richter verpflichten lassen, die Mietsache zu räumen (vgl. SCHMID, N. 30 zu
Art. 265 OR
und N. 36 und 37 zu
Art. 271 OR
). Ob das kantonale Prozessrecht hiefür ein ordentliches oder ein summarisches Verfahren, z.B. ein Befehlsverfahren, vorsieht, ändert jedenfalls nichts daran, dass es bei einem solchen Streit um das Kernstück des Mietvertrages überhaupt geht, nämlich um die Gebrauchsüberlassung im Sinne von
Art. 253 OR
. Dass bei einer Ausweisung das Vertragsverhältnis der Parteien "intakt" bleibe, wie in älteren Urteilen des Bundesgerichts dargelegt wurde (
BGE 30 II 100
E. 5, 22 S. 1077, 21 S. 757), kann unter diesen Umständen nicht gesagt werden. Das gilt unbekümmert darum, ob dem Mieter nach vollzogener Ausweisung allenfalls Schadenersatzansprüche zustehen (
BGE 101 II 360
).
Richtig ist, dass gegen blosse Vollstreckungsmassnahmen die Berufung nicht zulässig ist, da sie keine Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne der
Art. 44 und 46 OG
sind (
BGE 95 II 377
E. 1,
BGE 78 II 176
,
BGE 72 II 52
). Von Vollstreckungsmassnahmen ist aber nur dann zu sprechen, wenn es ein bestimmtes Sachurteil zu vollstrecken gilt (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1958, S. 597). Nach zürcherischem Recht erfolgt die Ausweisung von Mietern und Pächtern kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung auf Grund von
§ 222 Ziff. 2 ZPO
, nämlich im Befehlsverfahren "zur schnellen
BGE 103 II 247 S. 251
Handhabung klaren Rechts bei nicht streitigen tatsächlichen Verhältnissen". Ein solches Befehlsverfahren ist - im Gegensatz zum Befehlsverfahren "zur Vollstreckung rechtskräftiger gerichtlicher Entscheide" (
§ 222 Ziff. 1 ZPO
) - ein eigentliches Erkenntnisverfahren, da Gegenstand der Entscheidung der materielle Bestand des geltend gemachten Anspruches und nicht seine Vollstreckbarkeit ist (GULDENER, Zwangsvollstreckung und Zivilprozess, in: ZSR 74/1955 I, S. 20 f.). Angesichts dieser Regelung geht es nicht an, das Ausweisungsverfahren als blosses Vollstreckungsverfahren zu behandeln. Dass im zürcherischen Befehlsverfahren auch Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne der
Art. 44 und 46 OG
beurteilt werden können, hat das Bundesgericht schon in früheren Entscheiden, die noch zur alten ZPO ergangen sind, ohne weiteres anerkannt (vgl.
BGE 100 II 287
E. 1,
BGE 94 II 107
E. 1,
BGE 90 II 463
E. 1).
b) Zu prüfen bleibt im Rahmen der Eintretensfrage noch, ob der angefochtene Beschluss, mit dem das Ausweisungsbegehren der Klägerin abgewiesen wurde, ein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
sei. Das trifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann zu, wenn mit einem Erkenntnis über einen materiellen Anspruch entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grunde abgelehnt wird, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch zwischen den gleichen Parteien nochmals geltend gemacht wird (
BGE 102 II 61
E. 1,
BGE 101 II 362
E. 1,
BGE 100 II 287
E. 1, 429 E. 1). Ein Endentscheid liegt unter anderem dann nicht vor, wenn nur um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht wurde und der streitige Anspruch mithin zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden kann (
BGE 101 II 362
E. 1,
BGE 97 II 187
E. 1 mit Hinweisen).
In seiner bisherigen Rechtsprechung erachtete das Bundesgericht auf Grund der nunmehr ausser Kraft getretenen zürcherischen ZPO vom 13. April 1913 obergerichtliche Entscheidungen betreffend Befehlsbegehren als berufungsfähig, sofern das Begehren gutgeheissen und der Beklagte zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wurde, ohne dass dadurch zwangsläufig ein ordentliches Verfahren ausgelöst wurde; nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden konnten hingegen Entscheide, die ein Befehlsbegehren abwiesen (
BGE 102 II 62
E. 2 und 3 mit Hinweisen). Die Grundlage für diese Rechtsprechung besteht aber nicht mehr, bestimmt doch
BGE 103 II 247 S. 252
§ 212 Abs. 1 der ZPO vom 13. Juni 1976, dass Entscheide im summarischen Verfahren hinsichtlich der Rechtskraft denjenigen im ordentlichen Verfahren gleichstehen. Damit hat der zürcherische Gesetzgeber insbesondere auch Entscheidungen über Befehlsbegehren im Sinne von
§ 222 Ziff. 2 ZPO
unbeschränkte Rechtskraftwirkung zuerkannt. Sie haben damit in jeder Hinsicht endgültigen Charakter (vgl.
BGE 102 II 62
E. 2 und 3), weshalb es sich bei ihnen um Endentscheide im Sinne von
Art. 48 Abs. 1 OG
handelt (vgl. STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen ZPO, N. 13 zu § 222).
Jedenfalls für das neue zürcherische Zivilprozessrecht lässt sich daher die Auffassung nicht aufrechterhalten, dass ein auf
Art. 265 Abs. 1 OR
beruhendes Ausweisungsverfahren keine Zivilrechtsstreitigkeit sei und nicht zu einem Endentscheid führe (
BGE 101 II 359
). Da vorliegend ein Streitwert von Fr. 8'000.-- ohne weiteres gegeben ist, ist auf die Berufung einzutreten.
2.
a) Die Vorinstanz glaubt, zwischen den Parteien bestehe nicht ein Miet-, sondern ein Pachtvertrag, weshalb dem Beklagten auf Grund von
Art. 293 OR
eine Zahlungsfrist von 60 Tagen zustand. Art. 44 des von den Parteien abgeschlossenen Vertrages sehe nämlich vor, dass der Beklagte zu einer "seriösen Geschäftsführung" verpflichtet sei, "die insbesondere zu keinen Klagen Anlass gibt, welche zum Entzug der Nachtcafébewilligung führen können". Das sei eine für den Pachtvertrag typische Verpflichtung, die ihre Grundlage in
Art. 283 Abs. 1 OR
finde. Ferner sei zu berücksichtigen, dass nach Vertrag bei Entzug oder Nichterteilung des Wirtschaftspatentes sowie bei der Nichterteilung der Bewilligung, das Lokal bis zwei Uhr morgens offen zu halten, der Basismietzins von Fr. 200'000.-- auf Fr. 170'000.-- herabgesetzt werde. Das zeige, dass die Klägerin unmittelbar an der wirtschaftlichen Nutzung beteiligt sei.
b) Beim Pachtvertrag überlässt der Verpächter dem Pächter eine nutzbare Sache oder ein nutzbares Recht zum Gebrauch und zum Bezug der Früchte oder der Erträgnisse (
Art. 275 Abs. 1 OR
). Dem Mieter steht dagegen nur der blosse Gebrauch der ihm überlassenen Sache zu (
Art. 253 OR
), und zwar ohne Rücksicht auf ihre Nutzbarkeit. Im Unterschied zu ausländischen Rechtsordnungen kennt das schweizerische Recht eine besondere Regelung der
BGE 103 II 247 S. 253
sogenannten Geschäftsmiete nicht; Vertragsverhältnisse, die die Überlassung von Räumlichkeiten zu geschäftlichen Zwecken gegen Entgelt betreffen, stehen vielfach auf der Grenze zwischen Miete und Pacht (
BGE 93 II 460
E. 4). Dass der Unternehmer mit und in diesen Räumen zu Erträgnissen gelangen will, führt indes solange nicht zur Annahme eines Pachtverhältnisses, als diese Erträgnisse vor allem auf seine Tätigkeit und nicht auf den blossen Gebrauch der Sache zurückzuführen sind (
BGE 93 II 456
E. 1,
BGE 68 II 239
E. 1,
BGE 33 II 604
E. 3). Büroräume, Ladenlokale, Werkstätten und dergleichen sind deshalb in aller Regel nur Gegenstand von Mietverträgen (vgl.
BGE 68 II 239
E. 1,
BGE 54 II 183
, 41 II 726,
BGE 33 II 603
,
BGE 28 II 241
E. 3), und zwar selbst dann, wenn auch die Einrichtungen der fraglichen Räumlichkeiten mitvermietet werden (SCHMID, N. 4 zu den Vorbemerkungen zu Art. 253 bis 304 OR). Wird hingegen mit Räumen das darin betriebene Geschäft samt seinen Geschäftsbeziehungen überlassen, so handelt es sich um Pacht, da sich in diesem Fall der Vertrag auf eine Gesamtheit nutzbarer Rechte bezieht (
BGE 93 II 456
E. 1; SCHMID N. 4 zu den Vorbemerkungen zu Art. 253 bis 304 OR; BECKER, N. 3 zu
Art. 253 OR
; REYMOND, in Schweizerisches Privatrecht, Band VII/1, Basel und Stuttgart 1977, S. 259).
c) Nach dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag überlässt die Klägerin dem Beklagten die auf den beiliegenden Plänen bezeichneten Räume, nämlich das Erdgeschoss und den Keller, zur Benützung als Restaurations-, Dancing- und Nachtcafébetrieb. Das Inventar gemäss besonderem Verzeichnis ging bei Vertragsabschluss in das Eigentum des Mieters über und ist bei Beendigung der Miete nicht mehr zurückzugeben (Art. 39). Das Obergericht sieht darin einen Hinweis auf das Vorliegen eines Pachtvertrages, weil dem Beklagten Inventar zur Verfügung stand. Dieses konnte indessen gar nicht mehr Gegenstand einer Gebrauchsüberlassung sein, da der Beklagte bei Vertragsschluss Eigentümer wurde. Davon abgesehen, ist dem obergerichtlichen Beschluss nicht zu entnehmen, dass dieses Inventar für den Betrieb des Nachtlokals auch nur annähernd ausgereicht hätte, was aber zutreffen müsste, wenn man aus diesem Umstand Argumente für das Vorliegen eines Pachtvertrages ableiten wollte.
Für das Obergericht ist entscheidend, dass sich der Beklagte zu einer "seriösen Geschäftsführung" verpflichtet hat, "die
BGE 103 II 247 S. 254
insbesondere zu keinen Klagen Anlass gibt, welche zum Entzug der Nachtcafébewilligung führen können". Eine solche Verpflichtung obliege nur dem Pächter auf Grund von
Art. 283 Abs. 1 OR
, nicht aber dem Mieter. Diese Auffassung ist unzutreffend. Dass das Mietvertragsrecht keine dem
Art. 283 Abs. 1 OR
entsprechende Vorschrift enthält, schliesst keineswegs aus, dass solches vertraglich vereinbart werden kann. Aber auch ohne besondere Abrede ist in manchen Fällen eine eigentliche Bewirtschaftungspflicht des Mieters als Ausfluss der Sorgfaltspflicht im Sinne von
Art. 261 Abs. 1 OR
schon nach Treu und Glauben zu bejahen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn gewerbliche Mietobjekte mit besonderer Zweckbestimmung in Frage stehen, deren Wert, insbesondere Kundschaftswert, durch einen Betriebsunterbruch oder durch eine schlechte Betriebsführung beeinträchtigt würde (
BGE 68 II 239
E. 2,
BGE 41 II 730
E. 3,
BGE 33 II 605
E. 3,
BGE 28 II 242
E. 3; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 7 zu
Art. 261 OR
; BECKER, N. 11 zu
Art. 261 OR
; REYMOND, a.a.O., S. 234). Der Umstand allein, dass der Übergeber von Geschäftsräumen ein wirtschaftliches Interesse daran hat, ob und wie darin ein Betrieb geführt werde, spricht somit noch nicht für Pacht (SCHMID, N. 5 zu den Vorbemerkungen zu Art. 253 bis 304 OR und N. 35 zu den Vorbemerkungen zu Art. 253 bis 274 OR).
Der von den Parteien geschlossene Vertrag sieht vor, dass der Basismietzins von Fr. 200'000.-- auf Fr. 170'000.-- herabgesetzt werde, wenn ohne Verschulden des Beklagten das Wirtschaftspatent nicht erteilt oder entzogen und wenn der Wirtschaftsbetrieb durch polizeiliche oder richterliche Verfügung eingeschränkt werde. Die Vorinstanz glaubt, daraus schliessen zu können, dass dem Beklagten seitens der Klägerin ein nutzbares Recht überlassen worden sei; § 7 des zürcherischen Gesetzes über das Gastwirtschaftsgewerbe und den Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 21. Mai 1939 bestimme nämlich, dass das Patent sich auf ein bestimmtes Lokal beziehe. Die Vorinstanz übersieht, dass nach § 9 desselben Gesetzes Patente nur derjenigen natürlichen Person erteilt werden können, die für den Betrieb verantwortlich ist, und dass die Abtretung eines solchen Patentes "zur Ausübung an Dritte" unzulässig ist. Dass der Vertrag für den Fall einer Betriebseinschränkung auf Grund behördlicher Anordnung nur eine Herabsetzung des Mietzinses
BGE 103 II 247 S. 255
um 15% vorsieht, zeigt überdies, dass die Überlassung der blossen Räume auch nach der Vertragsmeinung im Vordergrund stand. Für die Auffassung der Vorinstanz lässt sich daraus aber so oder anders nichts ableiten, denn selbst wenn der vertraglich vereinbarte Zins in der Weise vom Geschäftserfolg abhängig wäre, dass er in Prozenten des erzielten Umsatzes bestimmt würde, könnte man noch nicht auf Pacht schliessen (vgl.
BGE 93 II 453
; SCHMID N. 6 zu
Art. 262 OR
).
Art. 43 des Vertrages ermächtigt den Beklagten dagegen, die übernommenen Räume umzubauen, wobei er das Recht hat, auf Vertragsbeendigung die Einrichtungen wieder zu entfernen, ohne dass er den früheren Zustand wiederherstellen oder besondere Instandstellungen vornehmen müsste. Das zeigt deutlich, dass dem Beklagten die blossen Räume überlassen wurden, ohne dass der Klägerin die Möglichkeit offen steht, nach der Auflösung des Vertrages den Betrieb mit dem gleichen Mobiliar weiterzuführen. Dieser Umstand deutet jedenfalls auf ein Mietverhältnis hin.
d) Davon, dass im vorliegenden Falle dem Beklagten ein bestehender Wirtschaftsbetrieb samt seinen Geschäftsbeziehungen überlassen worden sei, kann nach dem Gesagten keine Rede sein. In seiner Berufungsantwort gesteht der Beklagte denn auch ein, dass der fragliche Betrieb im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschlossen war; auch das spricht gegen Pacht. Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen eines Pachtvertrages schliessen liessen, sind nicht zu ersehen. Vielmehr ergibt sich aus den dargelegten Umständen, dass die Klägerin dem Beklagten nur Räume für die Einrichtung eines Wirtschaftsbetriebes überliess. Bei dem von den Parteien abgeschlossenen Vertrag handelt es sich somit um einen Mietvertrag, weshalb die dreissigtägige Frist von
Art. 265 Abs. 1 OR
zum Zuge kommt.
3.
a) Ist dem Mieter eine Frist zur Zahlung des Mietzinses im Sinne von
Art. 265 OR
angesetzt, so kann er die Auflösung des Vertrages durch Hinterlegung des ausstehenden Betrages nur dann abwenden, wenn er durch eine besondere vertragliche Bestimmung dazu ermächtigt ist oder wenn die Voraussetzungen der
Art. 92, 96 oder 168 Abs. 1 OR
gegeben sind (SCHMID, N. 27 zu
Art. 265 OR
; BECKER, N. 10 zu
Art. 265 OR
). Letzteres trifft im vorliegenden Falle ohnehin nicht zu. Dagegen bestimmt der mit dem Marginale "Verrechnung"
BGE 103 II 247 S. 256
versehene Art. 7 des Vertrages, dass gegenüber Mietzinsforderungen die Verrechnung von Gegenansprüchen ausgeschlossen sei; doch könnten solche vom Mieter gerichtlich hinterlegt werden. Ob der Beklagte, der behauptet, auf Grund der Anpassungsklausel einen niedrigeren Mietzins schuldig zu sein, wirklich einen Gegenanspruch im Sinne des Vertrages geltend macht, kann dahingestellt bleiben, da - wie sich zeigen wird - die dreissigtägige Zahlungsfrist trotz Hinterlegung abgelaufen ist. Immerhin ist festzuhalten, dass der Vertrag eine "gerichtliche Hinterlegung" vorsieht. Das kann nur so verstanden werden, dass der streitige Betrag beim Richter zu hinterlegen ist, was selbstverständlich nur dann und nur solange möglich ist, als dies nach dem anwendbaren kantonalen Prozessrecht zulässig ist.
b) Die Klägerin setzte dem Beklagten am 30. November 1976 "eine dreissigtägige Frist" bis "Ende Dezember 1976" zur Bezahlung des rückständigen Mietzinses. Hierauf zahlte der Beklagte am 23. Dezember 1976 der Klägerin Fr. 30'000.-- und überwies weitere Fr. 30'000.-- an die Bezirksgerichtskasse Zürich. Das Begehren um Hinterlegung dieses Betrages, das der Beklagte beim Einzelrichter im summarischen (bis Ende 1976 nichtstreitigen) Verfahren anhängig machte, wurde von diesem am 8. Februar 1977 abgewiesen. Die entsprechende Verfügung kam dem Vertreter des Beklagten am 11. Februar 1977 zu und wurde vom Beklagten hinsichtlich der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen beim Obergericht des Kantons Zürich mit Rekurs angefochten. Das alles ist unbestritten und ergibt sich aus der Verfügung des Einzelrichters vom 9. Juni 1977, die durch den vorinstanzlichen Beschluss aufgehoben wurde. Da in diesem Beschluss aber die entsprechenden Feststellungen fehlen, ist der Tatbestand im dargelegten Sinne gestützt auf
Art. 64 Abs. 2 OG
zu ergänzen.
c) Der Beklagte behauptet, mit der vorläufigen Hinterlegung sei die Fristansetzung vom 30. November 1976 dahingefallen; sie hätte deshalb nach Abschluss des Hinterlegungsverfahrens erneuert werden müssen; allenfalls habe sie nach diesem Zeitpunkt von neuem zu laufen begonnen. Dem ist nicht beizupflichten. Das Begehren des Beklagten um Hinterlegung des streitigen Betrages wurde abgewiesen, weil die dafür vom kantonalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen
BGE 103 II 247 S. 257
nicht erfüllt waren. Unter diesen Umständen konnte die Einzahlung an die Gerichtskasse - wenn überhaupt - höchstens einen Stillstand der Zahlungsfrist bewirken. Dieser Stillstand, der mit jenem gemäss
Art. 134 Abs. 1 OR
verglichen werden kann, musste aber jedenfalls dann sein Ende finden, als der richterliche Entscheid, mit dem das Hinterlegungsgesuch abgewiesen wurde, in Rechtskraft erwuchs. Spätestens dann stand nämlich fest, dass die vertraglich vorgesehene "gerichtliche Hinterlegung" unzulässig und damit nicht möglich war. Keine Rolle spielen kann hingegen, wann der hinterlegte Betrag von der Gerichtskasse zurückerstattet wurde, denn das beschlägt das zwischen den Parteien bestehende privatrechtliche Verhältnis nicht.
d) Wie lange die im Vertrage vorgesehene gerichtliche Hinterlegung zulässig war und damit die dem Beklagten angesetzte Frist zum Stillstand bringen konnte, hängt somit davon ab, wann die Verfügung des Einzelrichters vom 8. Februar 1977, mit dem das Hinterlegungsbegehren des Beklagten abgewiesen wurde, in Rechtskraft erwuchs. Das ist eine Vorfrage, die sich nach kantonalem Recht entscheidet. Obwohl sich die Vorinstanz zu dieser Frage nicht äusserte, kann das Bundesgericht im Berufungsverfahren dazu Stellung nehmen (
Art. 65 OG
).
Gegen die Verfügung des Einzelrichters vom 8. Februar 1977 betreffend die Hinterlegung des ausstehenden Mietzinses erhob der Beklagte hinsichtlich der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen Rekurs. Nach § 275 der zürcherischen ZPO hemmt der Rekurs indes die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides nur im Umfange der Rekursanträge. Im übrigen tritt die Rechtskraft aber ein, sobald die Rechtsmittelfrist unbenutzt abgelaufen ist (
§ 190 Abs. 2 ZPO
; vgl. STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 1 zu
§ 275 ZPO
). Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die einzelrichterliche Verfügung im Hauptpunkte - und damit in dem in diesem Zusammenhang allein entscheidenden Belange - nach Ablauf der zehntägigen Rekursfrist (
§ 276 Abs. 1 ZPO
) rechtskräftig wurde. Das war am 22. Februar 1977 der Fall, weil die fragliche Verfügung am 11. Februar 1977 zugestellt wurde. Vom 22. Februar 1977 an lief die dem Beklagten auf Grund von
Art. 265 OR
angesetzte Frist somit weiter. Da von dieser Frist schon bis zur Anhängigmachung des Hinterlegungsbegehrens
BGE 103 II 247 S. 258
22 Tage verstrichen waren (1. bis 22. Dezember 1976), lief sie am 1. März 1977 ab. Die nach dem vorinstanzlichen Beschluss am 31. März 1977 erfolgte Zahlung war somit verspätet; das führt zur Auflösung des Mietvertrages auf den 1. März 1977, weshalb der Beklagte die von ihm belegten Lokale zu räumen hat (SCHMID, N. 29 und 30 zu
Art. 265 OR
). Ob die Zahlung erst am 1. April 1977 erfolgt sei, wie die Klägerin unter Hinweis auf ein offensichtliches Versehen der Vorinstanz behauptet, braucht nicht geprüft zu werden, da die Zahlung unter diesen Umständen ohnehin verspätet ist.
e) Wie schon im kantonalen Verfahren beantragt die Klägerin auch vor Bundesgericht, es sei dem Beklagten zur Räumung der gemieteten Lokale eine zehntägige Frist anzusetzen. Dazu äussert sich der Beklagte nicht. Dem klägerischen Begehren ist deshalb ohne weiteres zu entsprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 5. August 1977 aufgehoben und der Beklagte in Gutheissung der Klage verpflichtet, die bei der Klägerin gemieteten Räumlichkeiten innert 10 Tagen zu räumen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |