nouamanetazi's picture
nouamanetazi HF staff
Upload raw/test/40/1617115540.json
333541f
raw
history blame
No virus
9.25 kB
{"source_url": "https://www.neues-deutschland.de", "url": "https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137144.eine-post-koloniale-hoffnung.html", "title": "Eine (post-)koloniale Hoffnung (neues-deutschland.de)", "top_image": "https://www.neues-deutschland.de/img/1200/216151", "meta_img": "https://www.neues-deutschland.de/img/1200/216151", "images": ["https://www.neues-deutschland.de/img/1200/216151", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216508", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216309", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216571", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216324", "https://www.facebook.com/tr?id=160713170997593&ev=PageView&noscript=1", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216151", "https://www.neues-deutschland.de/blobs/a/1/497.png", "https://www.neues-deutschland.de/blobs/6/0/5f40.png", "https://stats.warenform.de/nd/piwik.php?idsite=1", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216421", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216305", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216518", "https://www.neues-deutschland.de/images/paywall-paypal.svg", "https://www.neues-deutschland.de/blobs/5/c/37e1.jpg", "https://www.neues-deutschland.de/images/paywall-sofort-ueberweisung.png", "https://www.neues-deutschland.de/images/logo-magenta.svg", "https://www.neues-deutschland.de/blobs/3/d/3e5.png", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216572", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216507", "https://www.neues-deutschland.de/img/320/216562", "https://www.neues-deutschland.de/blobs/8/7/47ea.jpg"], "movies": [], "text": "Paris, 8 d\u00c3\u00a9cembre 1982 Foto: Wikimedia Commons - cc-by-sa-4.0/Claude Truong-Ngoc\n\nJ\u00fcdisch, arabisch, franz\u00f6sisch. \u00bbIch war eine Art \u203aMischling\u2039 der Kolonisierung, ich verstand alle, weil ich zu niemandem g\u00e4nzlich geh\u00f6rte\u00ab, schrieb der Soziologe und Schriftsteller Albert Memmi 1965 im Vorwort der englischen Ausgabe seines bekanntesten Werks \u00bbDer Kolonisator und der Kolonisierte. Zwei Portr\u00e4ts\u00ab, das 1980 auf Deutsch erschien.\n\nDer Sohn einer j\u00fcdisch-arabischen Handwerksfamilie wurde am 15. Dezember 1920 am Rande des j\u00fcdischen Viertels La Hara in Tunis, in dem damaligen franz\u00f6sischen Protektorat Franz\u00f6sisch-Nordafrika, geboren. Er besuchte eine rabbinische Schule und konnte aufgrund eines Stipendiums die weiterf\u00fchrende Schule besuchen. Er schloss sich der sozialistisch-zionistischen Bewegung Hashomer Hatzair an und begann zu schreiben, zuerst f\u00fcr tunesische Zeitungen.\n\nSp\u00e4ter studierte er an der Universit\u00e4t Algier. Doch mit dem Einmarsch der Deutschen und Italiener 1942 musste er diese verlassen. Er wurde in ein Internierungs- und Arbeitslager im Osten Tunesiens gebracht, aus dem er letztlich fliehen konnte. Innerhalb von sechs Monaten wurden in Tunesien \u00fcber 2500 Juden ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlie\u00df Memmi 1946 das Land der Kolonisierten f\u00fcr jenes der Kolonisatoren. Zu Beginn seines Philosophiestudiums an der Universit\u00e4t Sorbonne in Paris war nicht einmal klar, ob er die Pr\u00fcfungen w\u00fcrde ablegen k\u00f6nnen. Danach gefragt, antwortete ihm der Pr\u00e4sident der Jury: \u00bbEs ist kein Recht. (\u2026) Es ist eine Hoffnung. (\u2026) Sagen wir, es ist eine koloniale Hoffnung.\u00ab\n\nDiese Hoffnung kleidete Memmi in Worte. Zuerst in seinem Roman \u00bbDie Salzs\u00e4ule\u00ab, den er selbst sp\u00e4ter als \u00bbVersuchsballon\u00ab bezeichnete, der ihm half, die Richtung seines Lebens zu finden. Und sp\u00e4ter in seinem ber\u00fchmt gewordenen Essay, bei dem Memmi das Portr\u00e4t des Kolonisierten als eine Art Selbstportr\u00e4t verstand, das jedoch weit \u00fcber seine eigenen Erfahrungen hinausreichte. Die franz\u00f6sische Ausgabe erschien 1957 - ein Jahr nach der Unabh\u00e4ngigkeit Tunesiens und mitten im Unabh\u00e4ngigkeitskriegs Algeriens. So wurde es in Frankreich, obwohl weniger radikal als die Thesen eines Frantz Fanon, von einigen als das \u00bbst\u00f6rendste Buch es Jahres\u00ab bezeichnet - und breit diskutiert. Im Vorwort der englischen Ausgabe schreibt er: \u00bbIch war Tunesier, also kolonisiert. Ich entdeckte, dass wenige Aspekte meines Lebens und meiner Pers\u00f6nlichkeit unber\u00fchrt von diesem Fakt blieben.\u00ab\n\nGerade jetzt, wo manche den postkolonialen Studien eine Unvereinbarkeit mit den J\u00fcdischen Studien attestieren, ist das Werk Albert Memmis eine wertvolle Lekt\u00fcre. Er rekurriert immer wieder auf seine j\u00fcdische Identit\u00e4t: \u00bbDie j\u00fcdische Bev\u00f6lkerung identifizierte sich ebenso viel mit dem Kolonisator als mit den Kolonisierten.\u00ab Doch dieses widerspr\u00fcchliche Verh\u00e4ltnis ist bei ihm nicht nur der j\u00fcdischen Erfahrung eigen. Vielmehr analysiert er das koloniale Machtverh\u00e4ltnis insgesamt als eines, dem eine merkw\u00fcrdige Bindung zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten innewohnt, von der es sich zu befreien gilt. Eine Befreiung, die mit der Revolte nicht getan ist. Wie ist es m\u00f6glich, das Verh\u00e4ltnis zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren zu brechen und eine ganz eigenst\u00e4ndige Erz\u00e4hlung zu finden? Diese Frage ist bis heute nicht befriedigend beantwortet.\n\nAus seinem Nachdenken \u00fcber das koloniale Machtverh\u00e4ltnis entstand auch eine grundlegende Definition von Rassismus, die durch die franz\u00f6sische Enzyklop\u00e4die \u00bbEncyclop\u00e6dia Universalis\u00ab kanonisch wurde: Rassismus ist die \u00bbverallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tats\u00e4chlicher oder fiktiver biologischer Unterschiede zum Nutzen des Ankl\u00e4gers und zum Schaden seines Opfers, mit der eine Aggression gerechtfertigt werden soll.\u00ab Rassismus erf\u00fclle daher immer eine bestimmte Funktion.\n\nSechzig Jahre nach der Dekolonisierung sind Memmis Analysen des Machtverh\u00e4ltnisses zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren l\u00e4ngst nicht obsolet geworden. Zwar hat sein 2004 erschienenes Buch \u00bbPortr\u00e4t des Dekolonisierten\u00ab (\u00bbPortrait du d\u00e9colonis\u00e9 arabo-musulman et de quelques autres\u00ab) viele seiner Fans entt\u00e4uscht. Seine scharfe Kritik an den Dekolonisierten falle hinter seine eigene Kritik eines andauernden Machtverh\u00e4ltnisses zur\u00fcck. Doch die Probleme der Dekolonisation scheinen bereits in seinem fr\u00fcherem Essay zum Kolonisierten auf.\n\nAlbert Memmi w\u00e4re dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Er verstarb am 22. Mai in Paris.", "keywords": [], "meta_keywords": ["Frankreich", "Juden", "Literatur", "Rassismus", "Tunesien"], "tags": ["Juden", "Frankreich", "Rassismus", "Schlagw\u00f6rter", "Tunesien", "Literatur"], "authors": ["Ulrike Wagener", "Von Ulrike Wagener"], "publish_date": null, "summary": "", "article_html": "", "meta_description": "Albert Memmi war j\u00fcdisch, arabisch, franz\u00f6sisch. \u00bbIch war eine Art \u203aMischling\u2039 der Kolonisierung, ich verstand alle, weil ich zu niemandem g\u00e4nzlich geh\u00f6rte\u00ab, schrieb der Soziologe der Dekolonisation, der jetzt mit 99 gestorben ist.", "meta_lang": "de", "meta_favicon": "/apple-touch-icon.png", "meta_data": {"generator": "KONTEXT-CMS (c) WARENFORM [www.warenform.net] 10/2007, 11/2009, 10/2011, 1/2013, 09/2017 | Realisation: Felix Langhammer, Axel Gebauer", "viewport": "width=device-width, initial-scale=1.0", "date": "2020-05-27", "keywords": "Frankreich, Juden, Literatur, Rassismus, Tunesien", "news_keywords": "Frankreich, Juden, Literatur, Rassismus, Tunesien", "description": "Albert Memmi war j\u00fcdisch, arabisch, franz\u00f6sisch. \u00bbIch war eine Art \u203aMischling\u2039 der Kolonisierung, ich verstand alle, weil ich zu niemandem g\u00e4nzlich geh\u00f6rte\u00ab, schrieb der Soziologe der Dekolonisation, der jetzt mit 99 gestorben ist.", "author": "Ulrike Wagener", "robots": "index, follow, noarchive, all, max-snippet:200, max-image-preview:large", "msapplication-TileColor": "#004a4e", "msapplication-TileImage": "/apple-touch-icon-144x144.png", "og": {"url": "https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137144.eine-post-koloniale-hoffnung.html", "type": "article", "title": "Eine (post-)koloniale Hoffnung (neues deutschland)", "description": "Albert Memmi war j\u00fcdisch, arabisch, franz\u00f6sisch. \u00bbIch war eine Art \u203aMischling\u2039 der Kolonisierung, ich verstand alle, weil ich zu niemandem g\u00e4nzlich geh\u00f6rte\u00ab, schrieb der Soziologe der Dekolonisation, der jetzt mit 99 gestorben ist.", "image": "https://www.neues-deutschland.de/img/1200/216151"}, "twitter": {"card": "summary_large_image", "url": "https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137144.eine-post-koloniale-hoffnung.html", "title": "Eine (post-)koloniale Hoffnung", "description": "Albert Memmi war j\u00fcdisch, arabisch, franz\u00f6sisch. \u00bbIch war eine Art \u203aMischling\u2039 der Kolonisierung, ich verstand alle, weil ich zu niemandem g\u00e4nzlich geh\u00f6rte\u00ab, schrieb der Soziologe der Dekolonisation, der jetzt mit 99 gestorben ist.", "image": "https://www.neues-deutschland.de/img/800/216151", "site": "@ndaktuell", "creator": "@ul_rikeW"}}, "canonical_link": "https://www.neues-deutschland.de/artikel/1137144.eine-post-koloniale-hoffnung.html"}