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ovgnrw-2022-08-08-4-e-7221
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 E 72/21
"2022-08-08T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:45"
"2022-10-17T11:09:14"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0808.4E72.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 28.12.2020 wird dem Kläger für das Klageverfahren in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B.      aus M.     beigeordnet.</p> <p>Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger kann nach den dargelegten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der erstinstanzlichen Prozessführung nicht aufbringen (vgl. § 166 VwGO i. V. m. § 115 ZPO). Die Rechtsverfolgung erscheint auch nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 GG und an Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzbegehrens darf dabei nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsache-verfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Schwierige, bislang nicht hinreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 –, BVerfGE 81, 347 = juris, Rn. 26 ff., und vom 2.5.2016 – 2 BvR 1267/15 –, juris, Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon ist es noch hinreichend wahrscheinlich, dass dem Kläger ein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 24.9.2020 zusteht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Erfolgsaussichten hat die Klage gegen den Bescheid vom 24.9.2020, weil die Feststellungen teilweise auf einem in wesentlichen Punkten unzutreffenden Sachverhalt beruhen. Insbesondere hatten sich die Forderungen nicht seit Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens erhöht; zudem war die Umsatzsteuer für den Monat Juli 2020 am 24.9.2020 ausweislich der von dem Finanzamt E.        -V.    unter dem 15.9.2020 übersandten Übersicht (Verwaltungsvorgang, Bl. 60 f.) ebenso wie die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2019 noch nicht fällig. Weiterhin bedarf die Zuverlässigkeit des Klägers unter Berücksichtigung der Einwände aus der Klagebegründung einer Überprüfung im Klageverfahren. Diese kann schon mit Blick auf die pandemiebedingten Besonderheiten und die vergleichsweise geringe Höhe der am 24.9.2020 fälligen Steuerrückstände nicht im Prozesskostenhilfeverfahren ausreichend verlässlich vorgenommen werden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Insofern dürfte im Klageverfahren in den Blick zu nehmen sein, wie die am 24.9.2020 fälligen Steuerrückstände sowohl in ihrer Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Klägers im Rahmen der Beurteilung der Unzuverlässigkeit zu gewichten sind. Dabei ist auch die Zeitdauer von Bedeutung, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.8.2020 – 4 A 2461/19 –, juris, Rn. 7 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang dürfte auch zu prüfen sein, ob die den Betrieben zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheids eröffneten coronabedingten Steuerherabsetzungs- und Stundungsmöglichkeiten bei der Gewichtung der Steuerrückstände Berücksichtigung finden können, unabhängig davon, ob ein Stundungsantrag tatsächlich gestellt worden war.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (vgl. Nr. 5502 und Vorbemerkung 9 Abs. 1 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Die Kostenentscheidung im Übrigen folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</p>
346,210
ovgnrw-2022-08-08-4-a-249421a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 A 2494/21.A
"2022-08-08T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:45"
"2022-10-17T11:09:14"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0808.4A2494.21A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 12.8.2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Minden wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.10.2021 – 4 A 1374/21.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.2.2017 – 4 A 685/14.A –, juris, Rn. 5 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„ob in vergleichbaren Fällen in Bezug auf die Rückkehr von Asylsuchenden nach Pakistan auf die mangelnde Gewährung des Existenzminimums eine Abschiebung rechtmäßig ergehen kann im Hinblick auf den Verstoß gegen Art. 3 und 8 EMRK i. V. m. § 60 Abs. 5 AufenthG“,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht schlüssig dar.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mit den Schilderungen zu den politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Pakistan, die dazu führten, dass er – der Kläger – kein lebenswertes Leben im Hinblick auf Ernährung, Arbeit, medizinische Versorgung und Wohnung in Pakistan führen könne, erschüttert er nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die humanitären Verhältnisse in Pakistan stünden seiner Abschiebung nicht zwingend entgegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu einer besonders gefährdeten Personengruppe gehöre (vgl. Urteilsabdruck, Seite 17, zweiter Absatz). Er könne in Pakistan als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann ein ausreichendes Einkommen für sich finden (vgl. Urteilsabdruck, Seite 13, erster Absatz). Es besteht auch unter Berücksichtigung der Schilderung zu den Verhältnissen in Pakistan kein Anhalt dafür, dass einem Rückkehrer nach Pakistan die Sicherstellung seines Existenzminimums generell nicht möglich oder unzumutbar sein oder aber die konkrete Gefahr einer Verletzung seines Privat- und Familienlebens bestehen könnte. Insoweit benennt der Kläger bereits keine Erkenntnisquellen, aus denen sich eine generell fehlende Existenzsicherungsmöglichkeit für arbeitsfähige Rückkehrer ergeben könnte. Es ist nicht Aufgabe des Senats, sondern obliegt aufgrund seiner Darlegungslast gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dem Kläger, diejenigen Informationen aufzufinden und konkret zu benennen, die aus seiner Sicht für die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Frage von Bedeutung sind.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
346,202
vg-schleswig-holsteinisches-2022-08-08-12-b-2722
{ "id": 1071, "name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht", "slug": "vg-schleswig-holsteinisches", "city": 647, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
12 B 27/22
"2022-08-08T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:22"
"2022-10-17T11:09:12"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0808.12B27.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.625,09 € festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag des Antragstellers,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die mit justizvollzugsinterner Stellenausschreibung ausgeschriebene Funktionsstelle der Leitung der Elektrowerkstatt der JVA A-Stadt, bewertet mit der Besoldungsgruppe A9mZ SHBesO, mit dem Beigeladenen zu besetzen, bevor nicht rechtskräftig über seinen Widerspruch entschieden wurde,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>bleibt ohne Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Nach der Bestimmung des § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint (Satz 2). Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der gewährten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Auch wenn der Beigeladene nicht ins Beamtenverhältnis übernommen, sondern als Tarifbeschäftigter eingestellt werden würde, besteht für den Antragsteller jedenfalls die Gefahr, dass der Beigeladene durch die vorläufige, wenn auch rechtlich rückgängig zu machende Wahrnehmung der Werkstattleitung einen Bewährungsvorsprung im Verhältnis zum Antragsteller erlangt, der die Chancen in einem späteren Auswahlverfahren zu Lasten des Antragstellers verändern würde (VGH Kassel, Beschluss vom 26.11.2008 – 1 B 1870/08 –, juris Rn. 3 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch ist in beamtenrechtlichen Konkurrentenverfahren glaubhaft gemacht, wenn der unterlegene Bewerber darlegt, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft war und seine Aussichten, bei erneuter Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, seine Auswahl mithin möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.2002 – BvR 857/02 –, juris Rn. 83; BVerwG, Beschluss vom 20.01.2004 – 2 VR 3.03 –, juris Rn.8; OVG Schleswig, Beschluss vom 28.04.2017 – 2 MB 5/17 –, n.v.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) gewährt ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dementsprechend hat jeder Bewerber Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch). Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es dabei, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen und als vorrangiges Auswahlkriterium auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.02.2003 – 2 C 16.02 –, juris Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 04.10.2012 – 2 BvR 1120/12 –, juris Rn. 12). Maßgeblich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil, welches anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte gebildet wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 58, Kammerbeschlüsse vom 14.10.2012 – 2 BvR 1120/12 –, juris Rn. 12 und vom 09.08.2016 – 2 BvR 1287/16 –, juris Rn. 79).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>In bestimmten Fällen lässt es Art. 33 Abs. 2 GG zu, dass der Dienstherr die Kandidaten im Anschluss an den Vergleich der Gesamturteile anhand der für das Beförderungsamt wesentlichen Einzelaussagen der dienstlichen Beurteilungen weiter vergleicht. Dies kommt insbesondere bei wesentlich gleichem Gesamtergebnis in Betracht. Gerade dann kommt den Einzelaussagen nach dem Sinn und Zweck der dienstlichen Beurteilungen, über Leistung und Eignung der Beamten ein differenziertes Bild zu geben, besondere Bedeutung zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 32, Kammerbeschluss vom 09.08.2016 – 2 BvR 1287/16 –, juris Rn. 76).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Erst wenn die Bewerber aufgrund ihrer dienstlichen Beurteilungen als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, ist ein Rückgriff auf das leistungsbezogene Erkenntnismittel eines sogenannten strukturierten Auswahlgesprächs zulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2010 – 1 WB 39.09 –, juris, Rn. 39; OVG Schleswig, Beschluss vom 27.02.2019 – 2 MB 22/18 –, juris Rn. 21). Darüber hinaus bleibt es dem Dienstherrn unbenommen bei gleicher Eignung auf Hilfskriterien wie die Schwerbehinderung oder die Frauenförderung zurückzugreifen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.07.2006 – 6 B 807/06 –, juris Rn.15).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft gewesen ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Es bestehen zunächst keine Bedenken an der Entscheidung des Antragsgegners, die Stelle neben Beamten auch für Tarifbeschäftigte auszuschreiben. Gemäß § 132 Abs. 1 LStVollzG SH werden die Aufgaben der Anstalten von Vollzugsbeamten wahrgenommen; sie können aus besonderen Gründen auch anderen Bediensteten der Anstalten übertragen werden. Durch die Vorschrift wird Art. 33 Abs. 4 GG konkretisiert, wonach die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Unabhängig von der Frage, ob hier „besondere Gründe“ i.S.d. § 132 Abs. 1 Satz 2 LStVollzG oder ein Ausnahmefall im Rahmen des Art. 33 Abs. 4 GG vorliegen, dient der Funktionsvorbehalt aus Art. 33 Abs. 4 GG nicht dem Schutz des Beamten, sondern dem Schutz des von hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung in seinen Grundrechten betroffenen Bürgers (BVerfG, Urteil vom 18.01.2012 – 2 BvR 133/10 –, juris Rn. 126). Der Antragsteller kann sich folglich nicht auf eine Verletzung des Art. 33 Abs. 4 GG bzw. dessen Konkretisierung im § 132 Abs. 1 LStVollzG berufen. Darüber hinaus ist die Beamten- oder Angestellteneigenschaft auch unter dem Blickwinkel des Art. 33 Abs. 4 GG grundsätzlich kein Gesichtspunkt, der unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betrifft (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2011 – 2 BvR 2305/11 –, juris Rn. 20).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Der Beigeladene erfüllt entgegen der Ansicht des Antragstellers das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle. Hat sich der Dienstherr in der Stellenausschreibung des Personalauswahlinstruments eines Anforderungsprofils bedient und hierbei in rechtmäßiger Weise den Kreis der Bewerber durch das Aufstellen eines sog. konstitutiven Anforderungsprofils, dessen Merkmal die Bewerber zwingend erfüllen müssen, gesteuert und eingeengt, scheiden Bewerber, die ein konstitutives Merkmal nicht erfüllen, aus dem Auswahlverfahren aus. Ein umfassender Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsvergleich (Qualifikationsvergleich) findet dann nur zwischen den Bewerbern statt, die das konstitutive Anforderungsprofil erfüllen (VGH Kassel, Beschluss vom 30.03.2022 – 1 B 308/21 –, juris Rn. 33). In der Stellenausschreibung heißt es: „Die Ausschreibung richtet sich an Angehörige des Justizvollzuges der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt der Laufbahnzweige Werkdienst und allgemeiner Vollzugsdienst, sowie vergleichbare Tarifbeschäftigte. Eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin, Elektroinstallateur oder vergleichbar mit erfolgreich abgeschlossener Meisterprüfung sind erforderlich.“ Die erforderliche abgeschlossene Meisterprüfung als Elektroinstallateur haben beide Konkurrenten unstreitig. Eine Ausbildung im Justizvollzug ist hingegen nicht konstitutives Merkmal der Ausschreibung. Der Wortlaut ist insofern eindeutig: Die Ausschreibung richtet sich an Angehörige des Justizvollzuges in den jeweiligen Laufbahnzweigen, sowie vergleichbare Tarifbeschäftigte. Der Beigeladene ist als Tarifbeschäftigter seit über zehn Jahren dem Vollzugsdienst des Antragsgegners angehörig. Da er ebenso wie der Antragsteller im Werkdienst der Justizvollzugsanstalt beschäftigt ist, ist die geforderte Vergleichbarkeit gegeben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner durfte den Antragsteller und den Beigeladenen aufgrund ihrer dienstlichen Beurteilungen auch als im Wesentlichen gleich bewerten. Der Antragsteller erhielt die Gesamtleistungsbewertung „3 oberer Bereich – die Leistungen werden übertroffen – “, während der Beigeladene mit der Gesamtnote „4 – die Anforderungen werden deutlich übertroffen –“ bewertet wurde. Ob aber nach ihrem Gesamtergebnis wesentlich gleiche Beurteilungen vorliegen, die einen solchen weiteren Vergleich ermöglichen, richtet sich nicht allein nach dem formalen Gesamturteil. Vielmehr sind auch etwaige Unterschiede im Maßstab der Beurteilung der Bewerber zu berücksichtigen. Solche Unterschiede kommen etwa dann in Betracht, wenn sich bei konkurrierenden Bewerbern die dienstlichen Beurteilungen auf unterschiedliche Statusämter beziehen, da an Inhaber eines höheren statusrechtlichen Amtes von vornherein höhere Erwartungen zu stellen sind als an Inhaber eines niedrigeren statusrechtlichen Amtes. Dieser Grundsatz gilt zwar nicht ausnahmslos und kann nicht schematisch auf jeden Fall der Beförderungskonkurrenz angewendet werden. Vielmehr hängt das zusätzlich zu berücksichtigende Gewicht der in einem höheren Statusamt erteilten Beurteilung von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.02.2017 – 2 BvR 1558/16 –, juris Rn. 21; OVG Schleswig, Beschluss vom 27.02.2019 – 2 MB 22/18 –, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Vorliegend liegt indes nur eine beförderungsrechtliche Stufe zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen. Der Antragsteller unterhielt im Zeitraum der Beurteilung das Amt eines Justizbetriebsinspektors (A 9 gemäß Anlage 1 SHBesG). Der Beigeladene wurde als Tarifbeschäftigter zwar nach EG 7 TV-L beurteilt. Er wurde aber zum 1. Januar 2020 in die EG 8 eingruppiert. Hierbei handelt es sich nicht um eine Beförderung des Beigeladenen, sondern lediglich um eine Änderung der Eingruppierung gemäß des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TV-Ü) vom 12. Oktober 2006, i.d.F. des Änderungstarifvertrages Nr. 10 vom 2. März 2019. Die Beschäftigung des Beigeladenen hatte sich nicht verändert. Damit lag zum maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahlentscheidung bei entsprechendem Vergleich zwischen dem Antragsteller als Beamten und dem Beigeladenen als Tarifbeschäftigten nur eine Stufe. Dieser Unterschied konnte durch die bessere Gesamtbewertung des Beigeladenen ausgeglichen werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Auch bei einer Gegenüberstellung der Einzelmerkmale sind die beiden Bewerber als im Wesentlichen gleich einzuschätzen. Der Antragsteller erhielt im Rahmen der Leistungsbeurteilung dreimal eine „4 (Die Anforderungen werden deutlich übertroffen)“, zehnmal eine „3 (Die Anforderungen werden übertroffen)“ und zweimal eine „2 (Die Anforderungen werden erfüllt)“. Der Beigeladene wurde derweil zweimal mit einer „5 (Die Anforderungen werden hervorragend übertroffen)“, dreimal mit einer „4“ und viermal mit einer „3“ bewertet. Im Gegensatz zum Antragsteller wurde das Führungsverhalten des Beigeladenen nicht beurteilt, da dieser keine Führungsverantwortung wahrgenommen hat. Die insgesamt etwas besseren Einzelnoten der Leistungsmerkmale rechtfertigen die bessere Gesamtbewertung des Beigeladenen. Im Rahmen der Befähigungsbewertung wurden zwei Befähigungsmerkmale des Antragstellers mit „A (besonders stark ausgeprägt)“, sieben Merkmale mit „B (stärker ausgeprägt)“ und ein Merkmal mit „C (normal ausgeprägt)“ beurteilt. Der Beigeladene wurde in vier Befähigungsmerkmales mit „A“, vier Merkmalen mit „B“ und zwei Merkmalen mit „C“ bewertet. Auch hier konnte der Antragsgegner die Befähigungsmerkmale der beiden Bewerber wegen des höheren Statusamtes des Antragstellers als im Wesentlichen gleich ansehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Weiterhin ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner die beiden Konkurrenten im strukturierten Auswahlgespräch als im Wesentlichen gleich bewertet hat. Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, dass der Antragsgegner es versäumt habe, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Wird eine Bewerberauswahl, wie im vorliegenden Fall nach Feststellung einer aus den dienstlichen Beurteilungen und ihrer um-fassenden Auswertung folgenden Leistungsgleichheit, ergänzend maßgeblich auf die Eindrücke in einem Auswahlgespräch gestützt, so muss sie ebenso wie eine sonstige Auswahlentscheidung daraufhin überprüft werden können, ob der Dienstherr von zutreffenden Rechtsbegriffen ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe sowie Verwaltungsvorschriften beachtet und keine sachwidrigen Erwägungen angestellt hat. Dies erfordert aber kein möglichst detailliertes Protokoll, insbesondere kein Wortprotokoll der Gespräche. Vielmehr reicht es aus, wenn die an die Stellenbewerber gerichteten Fragen bzw. die besprochenen Themen, die Antworten der Bewerber, die Bewertung dieser Antworten durch die Auswahlkommission sowie der persönliche Eindruck von den Bewerbern in den Grundzügen festgehalten werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.03.2017 – OVG 10 S 38.16 –, juris Rn. 23). Diesen Maßstäben wird die Protokollierung des Antragsgegners gerecht. Er hat nachvollziehbar aufgelistet, welche Fragen mit welchen Punkten bewertet wurden und welche Punkte durch den Gesamteindruck der Bewerber zu erreichen wären. Darüber hinaus ergibt sich eindeutig, wie jeder Bewerber durch die Auswahlkommission für jede Frage und dessen Gesamtauftreten bewertet wurde. Den Bewerbern wurden dieselben zehn Fragen gestellt und deren Antworten wurden protokolliert und festgehalten. Weitere etwaige Mängel des Auswahlgesprächs sind weder vorgetragen noch ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner durfte im Rahmen seiner Auswahlentscheidung auf das Hilfskriterium der Schwerbehinderung zurückgreifen. Hierbei handelt es sich um ein Hilfskriterium vornehmlich mit sozialem Bezug. Es ist anerkannt, dass bei Auswahlentscheidungen auch hierauf maßgeblich abgestellt werden darf (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 – 2 C 19.10 –, juris Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 24.07.2006 – 6 B 807/06 –, juris Rn. 29). Dem Hilfskriterium der Schwerbehinderung darf aber erst dann Bedeutung beigemessen werden, wenn sich aus dem Vergleich anhand leistungsbezogener Kriterien kein Vorsprung eines Bewerbers ergibt (BVerwG, Urteil vom 30.06.2011 – 2 C 19.10 –, juris Rn. 20). So liegt es hier. Das strukturierte Auswahlgespräch ergab eine Differenz von weniger als 5% zugunsten des Antragstellers. Er erzielte 67 Gesamtpunkte (von 108 möglichen), während der Beigeladene 63 Gesamtpunkte erreichte. Diese Differenz ist im Ergebnis so gering, dass sich dem Antragsgegner der Rückgriff auf Hilfskriterien eröffnete. Die Entscheidung des Antragsgegners, die Leistung der Konkurrenten im Auswahlgespräch als gleich einzuordnen, ist auch nicht etwa willkürlich. So legte der Antragsgegner bereits vor Durchführung des Auswahlgesprächs fest, dass erst ein Punkteunterschied von 5% in der Gesamtsumme für eine Entscheidung aufgrund des Gesprächs ausreichen sollte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Da die beiden Bewerber sowohl anhand ihrer Beurteilungen als auch anhand des Auswahlgesprächs gemessen an dem Maßstab der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichauf sind, durfte der Antragsgegner die Schwerbehinderung des Beigeladenen maßgeblich berücksichtigen, da dieser gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX Menschen mit Behinderungen gleichgestellt ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller hat auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen, da dieser einen Antrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und beträgt ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,172
ovgnrw-2022-08-08-8-b-69122
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8 B 691/22
"2022-08-08T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:51"
"2022-10-17T17:55:56"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0808.8B691.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Mai 2022 wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.400,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Fahrtenbuchauflage findet ihre rechtliche Grundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Hiernach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Dies ist dann der Fall, wenn die Bußgeldbehörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Zu den angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2021 - 8 B 1475/21 -, juris Rn. 3 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht maßgeblich darauf abgestellt, dass der Fahrer, der unter Verwendung des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000, dessen wirtschaftliche Halterin die Antragstellerin sei, am 8. Oktober 2021 einen Geschwindigkeitsverstoß begangen habe, nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung habe ermittelt werden können. Ein für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung ursächliches Ermittlungsdefizit ergebe sich nicht aus dem Umstand, dass die Bußgeldbehörde unter dem 12. November 2021 nicht sie, die Antragstellerin, sondern ihren Vater - den im Register eingetragenen Halter des Tatfahrzeugs - als Fahrer zu dem Verkehrsverstoß angehört habe. Die Antragstellerin habe aus Kostengründen die „Konstruktion“ einer Haltertrennung gemeinsam mit ihrem Vater bewusst gewählt. Sie müsse sich daher zurechnen lassen, dass ihr Vater seine nur „formale“ Haltereigenschaft nicht schon nach Erhalt des Anhörungsschreibens offenbart habe. Darüber hinaus sei ihr jedenfalls nach Treu und Glauben der Einwand verwehrt, sie selbst sei nicht zur Mitwirkung aufgefordert worden, nachdem ihr Vater die wahre Halterstellung erst nach Eintritt der Verfolgungsverjährung offenbart habe.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diesen Erwägungen setzt das Beschwerdevorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. Die Rüge der Antragstellerin, der Landkreis I.          als zuständige Bußgeldbehörde habe keine der Antragstellerin zurechenbare Pflicht des Vaters zur Mitwirkung an der Aufklärung der Zuwiderhandlung begründet, stellt den angefochtenen Beschluss im Ergebnis nicht infrage.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt, wie sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht voraus, dass der Halter eine Obliegenheit zur Mitwirkung an der Aufklärung eines Verkehrsverstoßes verletzt hat. Der Fahrtenbuchauflage kommt eine präventive und keine strafende Funktion zu. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2017 ‑ 8 A 671/16 -, juris Rn. 28, und vom 11. November 2013 - 8 B 1129/13 -, juris Rn. 12 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Darauf, ob die Antragstellerin von der Anhörung ihres Vaters und damit von den Ermittlungen der Bußgeldbehörde wusste oder sie (sonst) ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft, kommt es daher ebenso wenig an wie auf die Frage, ob der Antragstellerin eine „Pflichtverletzung“ ihres Vaters zugerechnet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass die Feststellung des Fahrzeugführers trotz zureichender Ermittlungsbemühungen der zuständigen Behörde unmöglich war.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Letzteres ist hier der Fall. Der für die Zuwiderhandlung vom 8. Oktober 2021 verantwortliche Fahrzeugführer konnte vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht festgestellt werden. Hierfür war, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, kein Ermittlungsdefizit der Bußgeldbehörde ursächlich. Zwar ist angesichts der vorgelegten Erklärungen nicht zweifelhaft und steht zwischen den Beteiligten auch nicht in Streit, dass die Antragstellerin bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise als Halterin des Tatfahrzeugs anzusehen ist,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">zu den rechtlichen Maßstäben vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 - 7 C 14.84 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juli 2020 - 8 B 892/20 -, juris Rn. 7 f., m. w. N., und vom 7. Februar 2017 ‑ 8 A 671/16 -, juris Rn. 16 ff., m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">so dass diese richtige Adressatin der angeordneten Fahrtenbuchauflage ist. Gleichwohl kann der Bußgeldbehörde mangels anderweitiger Anhaltspunkte zur Haltereigenschaft nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie anstelle der Antragstellerin ausschließlich deren Vater als eingetragenen Inhaber der Zulassung zu dem Verkehrsverstoß schriftlich angehört hat. Daraus, dass die Bußgeldbehörde es unterlassen hat, die Antragstellerin als Halterin vor Eintritt der Verfolgungsverjährung zu dem mit ihrem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß anzuhören, folgt kein für das negative Ermittlungsergebnis ursächliches Ermittlungsdefizit. Die Bußgeldbehörde durfte bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Ordnungswidrigkeitenverfahrens aufgrund der für sie erkennbaren Umstände davon ausgehen, mit dem Vater der Antragstellerin als eingetragenem Zulassungsinhaber den (alleinigen) Halter des Fahrzeugs angehört zu haben. Gerade die Fahrzeugzulassung ist ein gewichtiges Indiz für die Haltereigenschaft und kann bei der Gesamtwürdigung im Einzelfall - insbesondere bei ungeklärten Verhältnissen - ausschlaggebende Bedeutung haben. Denn der Gesetzgeber misst den im Fahrzeugregister enthaltenen Eintragungen bei der Halterbestimmung erhebliches Gewicht bei. Insbesondere die Bestimmungen in §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 32 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 StVG legen nahe, dass der Fahrzeughalter mit demjenigen identisch ist, dem ein Kennzeichen für das Fahrzeug zugeteilt oder ausgegeben wird.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2017 ‑ 8 A 671/16 -, juris Rn. 20 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Für die Bußgeldbehörde bestand daher keine Veranlassung, den Anhörungsbogen an eine andere Person als den Zulassungsinhaber, mithin den Vater der Antragstellerin, zu senden. Bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte kann sie grundsätzlich davon ausgehen, dass die im Fahrzeugregister eingetragene Person auch tatsächlich der Halter ist, und sich auf die Anhörung dieser Person beschränken. Sie ist nicht verpflichtet, die Haltereigenschaft des Zulassungsinhabers von Amts wegen infrage zu stellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen vorzunehmen. Hierzu bestand auch keine besondere Veranlassung. Aus der Stellungnahme des Vaters der Antragstellerin vom 20. November 2011, in der er lediglich bestritten hat, selbst der verantwortliche Fahrer gewesen zu sein, und ergänzend auf die schlechte Qualität des Fotos verwiesen hat, ergab sich kein Hinweis auf eine abweichende Haltereigenschaft. Der Vater der Antragstellerin hat die wahre Haltereigenschaft gegenüber der Antragsgegnerin erst im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Fahrtenbuchauflage gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. Februar 2022 offengelegt, nachdem bereits die Verjährung eingetreten und somit eine Ahndung des Verkehrsverstoßes unmöglich geworden war.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Zu einer anderen Bewertung führt auch nicht der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Antragstellerin, das an ihren Vater gerichtete Anhörungsschreiben der Bußgeldbehörde habe keinen Hinweis auf eine „Pflicht“ zur Benennung des Halters enthalten. Die Bußgeldbehörde hatte keinen Anlass, ihn zur Benennung des Halters aufzufordern. Dem Vater der Antragstellerin musste klar sein, dass die Behörde ihn als (vermeintlichen) Halter des Tatfahrzeugs mit dem begangenen Verkehrsverstoß konfrontierte. Denn das Anhörungsschreiben enthielt im vorletzten Satz den ausdrücklichen Hinweis, dass ihm „als Halter des Kraftfahrzeuges gemäß § 31 a StVZO die Führung eines Fahrtenbuches auferlegt werden“ könne, falls sich nicht feststellen lasse, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe. Die zutreffenden Verhältnisse zur Haltereigenschaft hätte er daraufhin zu erkennen geben können, um der Behörde Anknüpfungspunkte für weiterführende Ermittlungsansätze zu geben. Im Übrigen musste sich dem mit der Haltertrennung hinlänglich vertrauten Vater der Antragstellerin, der die Anmeldung des Fahrzeugs seiner Tochter auf seinen Namen (wiederholt) bewusst zur Nutzung seiner kostengünstigen Zeitwagenversicherung gewählt hat, auch ohne weiteres aufdrängen, dass die Bußgeldbehörde ihn für den Fahrzeughalter hielt. Anderenfalls ist nämlich nicht zu erklären, weshalb das Anhörungsanschreiben sonst an ihn adressiert wurde. Unabhängig davon kommt der Verletzung einer „Mitwirkungspflicht“ für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage, wie bereits oben dargelegt, eine rechtliche Bedeutung nur insoweit zu, als sich hiernach das Erfordernis weiterer behördlicher Ermittlungsmaßnahmen richten kann.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Die weitere Rüge der Antragstellerin, die Bußgeldbehörde habe es fehlerhaft unterlassen, gegenüber dem Vater der Antragstellerin weitere Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen, ist unbehelflich. Der Vater der Antragstellerin hat in seinem Antwortschreiben vom 20. November 2021 lediglich erklärt, dass die Person auf dem übersandten Lichtbild nicht identifizierbar sei, und eine Kopie seines Personalausweises beigefügt; er bitte um Einstellung des Verfahrens. Aufgrund dieser Einlassung ergaben sich für die Bußgeldbehörde keine weiteren erfolgversprechenden Ermittlungsansätze, insbesondere durfte sie in der berechtigten Annahme einer Haltereigenschaft des Vaters der Antragstellerin davon ausgehen, dass dieser keine weiterführende Angaben zur Aufklärung des Verstoßes (etwa die regelmäßig von einem Halter zu erwartende Benennung zumindest eines Kreises nutzungsberechtigter Personen) machen wollte. Weitere Maßnahmen zur Feststellung des verantwortlichen Fahrers waren bei dieser Sachlage aus Sicht der Bußgeldbehörde nicht angezeigt. Gleichwohl handelte die Behörde sogar überobligatorisch, indem sie - erfolglos - das Polizeipräsidium N.       am 14. Dezember 2021 um eine Fahrerermittlung ersuchte.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">3. Weshalb die Behörde den Vater der Antragstellerin, wie diese schließlich meint, von vornherein nicht hätte anschreiben dürfen, weil dieser schon aufgrund seines erkennbaren Alters nicht als verantwortlicher Fahrer in Betracht gekommen sei, erschließt sich nicht im Geringsten. Eine andere Möglichkeit, als zunächst den eingetragenen und anhand des Fahrzeugkennzeichens zu ermittelnden Zulassungsinhaber anzuschreiben, der regelmäßig zugleich auch Halter des betreffenden Fahrzeugs ist, steht der Behörde in aller Regel nicht zu Gebote.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat für jeden Monat der auf zwölf Monate befristeten Geltungsdauer  der Fahrtenbuchauflage einen Betrag in Höhe von 400,- Euro zugrunde (Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) und setzt im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieses Verfahrens den Streitwert auf die Hälfte des sich daraus ergebenden Betrages fest (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs).</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,144
ovgni-2022-08-08-1-la-18721
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
1 LA 187/21
"2022-08-08T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:38"
"2022-10-17T17:55:51"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 30. September 2021 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 4.000 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts wird insoweit geändert.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Kläger wenden sich gegen eine Zwangsgeldfestsetzung; sie meinen, die mit dieser durchzusetzende Beseitigungsverfügung sei durch von ihnen vorgenommene Veränderungen an den betroffenen Gebäuden gegenstandslos geworden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Kläger sind Eigentümer eines Wochenendhauses in einem durch Bebauungsplan als Sondergebiet Wochenendhausgebiet festgesetzten Gebiet. Bei zwei Ortsbesichtigungen im Jahr 2011 stellte der Beklagte fest, dass auf dem Grundstück der Kläger, teilweise außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen, ein Garagengebäude mit Satteldach in Holzbauweise mit einer Grundfläche von ca. 5 x 7,50 m und an dieses angebaut ein weiteres Nebengebäude mit Pultdach (aus Wellblech, Eternit o.ä.) in Holzbauweise mit einer Grundfläche von ca. 5 x 5 m errichtet worden waren; ferner war der Zwischenraum zwischen Haupthaus und Garage mit einer Grundfläche von ca. 3,50 x 7,50 m mit einer Überdachung aus Folie und Dachlatten versehen. Mit inzwischen bestandskräftiger Verfügung vom 10. September 2012 untersagte der Beklagte den Klägern „die weitere Nutzung der Garage mit Geräteraum zu Ziffer 2 und des angebauten Geräteschuppens zu Ziffer 3“ und forderte sie auf, „die Garage mit Geräteraum und den Geräteschuppen [innerhalb einer inzwischen abgelaufenen Frist] zu beseitigen und die Abbruchmaterialien ordnungsgemäß an einer dafür zugelassenen Stelle abzulagern.“ Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte er ein Zwangsgeld i.H.v. 1.000 EUR (500 EUR je Gebäude) an.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Nachdem die Kläger am 13. Juni 2019 mitgeteilt hatten, die bauaufsichtliche Anordnung umgesetzt zu haben, stellte der Beklagte bei einer Vorortkontrolle am 26. Juni 2019 fest, dass das Garagengebäude auf Schwerlastrollen gesetzt worden war. Bei dem ursprünglich angebauten Nebengebäude waren die Dachplatten durch eine Folie ersetzt worden. Daraufhin setzte der Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Juli 2019 das in der Beseitigungsverfügung angedrohte Zwangsgeld fest und drohte unter Fristsetzung ein weiteres Zwangsgeld i.H.v. 6.000 EUR an.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die auf § 64 ff. NPOG gestützte Zwangsgeldfestsetzung sei rechtmäßig. Die u.a. auf Beseitigung der Garage und des Geräteschuppens sowie ordnungsgemäße Lagerung der Abbruchmaterialien gerichtete Grundverfügung sei unanfechtbar; ob eine Durchsetzung ausscheide, wenn diese nach Rechtskraft rechtswidrig geworden sei, könne dahinstehen, denn das sei nicht der Fall. Die von den Klägern vorgenommenen Maßnahmen bewirkten nicht, dass die betroffenen Anlagen nunmehr im Einklang mit öffentlichem Baurecht stünden. Die Garage sei weiter eine bauliche Anlage, da sie auch nach Anbringung der Schwerlasträder auf dem Erdboden ruhe. Auch der Austausch der Bedachung des Schuppens ändere nichts an dessen Eigenschaft als bauliche Anlage. Beide Anlagen verstießen weiter gegen öffentliches Baurecht; die ungenehmigte Garage sei nicht genehmigungsfrei, da sie die in Nr. 1.2 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO genannte Maximalgröße von 30 m² überschreite. Zudem überschreite die Größe von Garage und Schuppen die für derartige Nebenanlagen im Bebauungsplan festgesetzten Maximalgrößen. Die Grundverfügung sei nicht beachtet worden. Die Verfügung sehe die Beseitigung der benannten Anlagen vor; diese sei nicht erfolgt. Ob die von den Klägern vorgenommenen Veränderungen bewirkten, dass es sich bei diesen Anlagen nunmehr um ein aliud handele, sei unerheblich, zumal die Grundverfügung ausdrücklich die ordnungsgemäße Ablagerung der Abbruchmaterialien an einer dafür vorgesehenen Stelle vorsehe. Die Zwangsgeldfestsetzung sei ermessensfehlerfrei erfolgt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel und besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>1.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens eine erhebliche Tatsachenfeststellung oder einen tragenden Rechtssatz mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese als offen erweisen. Das darzulegen, ist den Klägern nicht gelungen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Ohne Erfolg greifen die Kläger ihren bereits im erstinstanzlichen Verfahren zentralen Vortrag auf, die Garage, deren Beseitigung ihnen aufgegeben worden sei, existiere nicht mehr, da diese durch die Aufsetzung auf Schwerlastrollen und ihre Verschiebung auf dem Grundstück - nach den im Verwaltungsvorgang befindlichen Lichtbildern um ca. einen Meter vom angebauten Schuppen weg in Richtung Osten - ihre Identität verloren habe. Die den Klägern aufgegebene Handlung war die „Beseitigung“ der baulichen Anlage und die Entsorgung des Abbruchsmaterials. Beseitigung in diesem Sinne ist nicht die Veränderung der Anlage in einen Zustand, der baurechtlich schon als ein „aliud“ angesehen werden könnte, sondern - um im Bild der Kläger zu bleiben - die Überführung in den Zustand eines baurechtlichen „nullums“. Es mag sein, dass im Einzelfall die Bauaufsichtsbehörde eine Umwandlung der baulichen Anlage in eine „andere“ bauliche Anlage unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten als Austauschmittel gegenüber der angeordneten Beseitigung akzeptieren muss, wenn dies unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr keinen Bedenken begegnet, weil dadurch ein dauerhaft baurechtmäßiger Zustand hergestellt wird. Davon kann hier indes keine Rede sein. Zum einen machen die von den Klägern vorgenommen Alternativmaßnahmen die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands allzu leicht und ergeben kaum Sinn, wenn dies nicht auch tatsächlich beabsichtigt ist. Auf ein „Katz-und-Maus-Spiel“, in dem die Kläger den Beklagten durch geringfügiges Versetzen des Garagengebäudes zum Erlass ständig neuer bauaufsichtlicher Verfügungen zwingen könnten, muss sich der Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht einlassen. Zum anderen ist der nunmehr herbeigeführte Zustand im Wesentlichen denselben baurechtlichen Bedenken ausgesetzt wie der ursprüngliche. Die Verschiebung des Garagengebäudes um einen Meter führt - wie die der Grundverfügung beigefügte Karte zeigt - nicht dazu, dass dieses innerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen läge; zudem überschreitet seine Grundfläche weiterhin die Verfahrensfreistellungsgrenze der Nr. 1.2 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO sowie materiell-rechtlich die Höchstgrundfläche bzw. das Höchstvolumen für Nebenanlagen nach dem Bebauungsplan, die für offene Carports bei 15 m², für Geräteschuppen bei 15 m³ liegt. Allseits geschlossene Garagen sind insgesamt unzulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Weshalb die am Geräteschuppen vorgenommenen Änderungen den Anforderungen an eine Beseitigung genügen sollen, haben die Kläger mit ihrem fristgemäßen, d.h. bis zum 30. Januar 2022 eingegangenen Zulassungsvorbringen nicht dargelegt. Der Austausch des Bedachungsmaterials würde nicht einmal die Identität des Vorhabens in Frage stellen. Soweit die Kläger erstmals in ihrem Schriftsatz vom 24. März 2022 geltend machen, der Schuppen sei vollständig beseitigt, kann dies schon aus formalen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass dieser Vortrag völlig unsubstantiiert bleibt und im Widerspruch zu den Ausführungen in der Zulassungsantragsbegründung vom 31. Januar 2022 - dort ist nur von einer Entfernung des Daches die Rede - steht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>2.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Die von den Klägern geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Frage, „ob eine Veränderung einer baulichen Anlage in der Weise, dass sie auf einen fahrbaren Untersatz gesetzt wurde und diese vom Grundstück entfernt worden ist, zur Folge hat, dass auch die erforderliche Identität mit der Anlage verloren gegangen ist, deren Beseitigung […] aufgegeben wurde“, würden sich im Berufungsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil eine Entfernung des Garagengebäudes vom Grundstück nicht einmal behauptet, geschweige denn substantiiert wurde. Im Übrigen würde, wie dargelegt, ein Identitätsverlust des ursprünglichen Gebäudes keine Erfüllung der bauaufsichtlichen Verfügung bedeuten und die Zwangsgeldfestsetzung nicht rechtswidrig machen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 12 d) sowohl der Streitwertannahmen des Senats für nach dem 1. Januar 2002 eingegangene, wie auch aus den Streitwertannahmen für nach dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren (abrufbar jeweils auf der Internetseite des Nds. Oberverwaltungsgerichts) und berücksichtigt neben der Zwangsgeldfestsetzung auch die Zwangsgeldandrohung. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts war dementsprechend gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG zu ändern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006731&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,134
ovgni-2022-08-08-5-me-6222
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
5 ME 62/22
"2022-08-08T00:00:00"
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Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen - 3. Kammer - vom 14. Juni 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren sind nicht erstattungsfähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 33.453,42 EUR festgesetzt<em>.</em></p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die beabsichtigte Besetzung eines höherwertigen Dienstpostens mit dem Beigeladenen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Auf die im Dezember 2021 ausgeschriebene Stelle eines Justizrates oder einer Justizrätin - Dienstposten im Rechtspflegerdienst mit überwiegenden Tätigkeiten nach § 3 RpflG ohne Geschäftsleitung - der Besoldungsgruppe A 13 NBesG bei Gerichten im Landgerichtsbezirk G. -Stadt bewarben sich u. a. der Antragsteller und der Beigeladene.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Der 1959 geborene Antragsteller steht im Statusamt eines Justizamtsrates (Besoldungsgruppe A 12) im niedersächsischen Justizdienst und versieht seinen Dienst bei dem Amtsgericht G. -Stadt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Ihm wurde zunächst seine Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2019 (Beurteilungszeitraum vom 1.9.2016 bis zum 31.8.2019) mit der Rangstufe „C: Die Leistungsanforderungen werden gut erfüllt (Oberer Bereich)“ in der Gesamtbeurteilung am 9. Januar 2020 eröffnet. Dagegen erhob der Antragsteller Widerspruch und nachfolgend Klage. Nachdem die angegriffene Beurteilung aufgehoben worden war, eröffnete der Beurteiler dem Antragsteller am 3. Dezember 2020 die neugefasste Regelbeurteilung. Der Antragsteller erhielt wiederum in der Gesamtbeurteilung die Rangstufe „C (Oberer Bereich)“. In den Leistungsmerkmalen „Fachkompetenz“ und „Verwendungsbreite/Einsatzbereitschaft“ erhielt er die Rangstufe „B“ (zweithöchste Rangstufe von fünf Rangstufen) sowie in den drei weiteren Leistungsmerkmalen „Leistungsverhalten“, „Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“ und „Sozialverhalten“ die Rangstufe „C“ (dritthöchste Rangstufe). Die Untermerkmale „Belastbarkeit“ und „Arbeitszuverlässigkeit“ des Leitungsvermerkmals „Leistungsverhalten“ wurden mit der Rangstufe „C“ und das weitere Untermerkmal „Arbeitsorganisation“ mit der Rangstufe „B“ bewertet. Beim Leistungsmerkmal „Sozialverhalten“ erhielt der Antragsteller beim Untermerkmal „Kooperation“ die Rangstufe „C“ und beim Untermerkmal „Kommunikation“ die Rangstufe „B“.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der 1972 geborene Beigeladene steht im Statusamt eines Justizamtsrates (Besoldungsgruppe A 12) im niedersächsischen Justizdienst und ist am Amtsgericht G. -Stadt tätig. Ihm wurde zunächst seine Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2019 (Beurteilungszeitraum vom 1.9.2016 bis zum 31.8.2019) am 12. Dezember 2019 eröffnet mit dem Gesamturteil „B: Die Leistungsanforderungen werden deutlich übertroffen“. Nachdem diese Beurteilung aufgehoben worden war, eröffnete der Beurteiler dem Beigeladenen am 7. Juli 2020 die neugefasste Regelbeurteilung. Der Beigeladene erhielt wiederum in der Gesamtbeurteilung die Rangstufe „B“. In den Leistungsmerkmalen „Fachkompetenz“, „Leistungsverhalten“, Sozialverhalten“ und „Verwendungsbreite/Einsatzbereitschaft“ erhielt er die Rangstufe „B“ sowie in dem verbleibenden Leistungsmerkmal „Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“ die Rangstufe „C“. Beim Leistungsmerkmal „Leistungsverhalten“ wurden die Untermerkmale „Belastbarkeit“ und „Arbeitsorganisation“ mit der Rangstufe „B“ und das Untermerkmal „Arbeitszuverlässigkeit“ mit der Rangstufe „C“ bewertet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner entschied, die ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen. In seinem Auswahlvermerk vom 9. Februar 2022 führte er aus: Die Auswahlentscheidung erfolge auf der Grundlage der aktuellen dienstlichen Beurteilungen zugunsten des Beigeladenen wegen des besseren Gesamturteils im Vergleich zu den Mitbewerbern. Dieser habe das Gesamturteil „B“ und damit ein besseres Gesamturteil erreicht als die Mitbewerber mit „C (oberer Bereich)“. Seine Auswahlentscheidung teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Schreiben vom selben Tag mit.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Dagegen hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben (3 A 96/22) und mit Antrag vom 15. Februar 2022 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 14. Juni 2022 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar habe der Antragsteller einen Anordnungsgrund, jedoch nicht einen Anordnungsanspruch in Form der Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs glaubhaft gemacht. Die Auswahlentscheidung sei aller Voraussicht nach rechtmäßig. Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Beurteilungen hielten einer rechtlichen Überprüfung stand. Sie seien nicht wegen eines Verstoßes gegen den (Grundsatz des) Vorbehalt(s) des Gesetzes rechtswidrig. Der insoweit gegebene Rechtsmangel sei für einen bisher noch nicht abgelaufenen Übergangszeitraum nach Ergehen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2021 - BVerwG 2 C 2.21 - hinzunehmen. Die Regelbeurteilung des Antragstellers sei rechtmäßig. Insoweit folge die Kammer dem Beschluss des Senats vom 13. August 2021 - 5 ME 88/21 - über ein vorangegangenes Konkurrentenstreitverfahren, an welchem der Antragsteller beteiligt gewesen sei. Der Ausgang oder die Berechtigung der in der Begründung des Gesamturteils erwähnten Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträge habe nicht Eingang in die Gesamtbeurteilung gefunden. In diesem Zusammenhang sei der Beurteiler nicht gleichheitswidrig vorgegangen, wenn er im Gesamturteil der Beurteilung des Beigeladenen vermerkt habe, das Rechtsmittel gegen dessen Entscheidungen in aller Regel erfolglos geblieben seien. Denn insofern habe der Beurteiler den Ausgang von Rechtsmitteln bezogen auf materiell-rechtliche Entscheidungen des Beigeladenen (und nicht etwa von Dienstpflichtverletzungen) zur Begründung des Gesamturteils herangezogen. Auch die Regelbeurteilung des Beigeladenen habe sich als rechtmäßig erwiesen. Die Kritik des Antragstellers, der Schwerpunkt der Tätigkeit des Beigeladenen hätte im Beurteilungszeitraum beim Amtsgericht H. -Stadt gelegen, was sich bei der Gewichtung der dort erstellten Beurteilungsbeiträge in der abschließenden Beurteilung so aber nicht wiederfände, denn angesichts der dort für die Zeit bis April 2019 mehrheitlich vergebenen Note „C“ erschiene nicht plausibel, dass sich der Beurteiler darüber hinwegsetzt hätte und insgesamt zu einer Benotung der einzelnen Leistungsmerkmale mehrheitlich mit der Wertungsstufe „B“ käme, verkenne die Befugnis und die Aufgabe des Beurteilers. Die Vergleichsmöglichkeit und die damit verbundene Kenntnis des Leistungsgefüges der Vergleichsgruppe, die der Beurteiler als Teilnehmer der Beurteilerkonferenz habe, fehlten jenen, die lediglich Beurteilungsbeiträge erstellt hätten. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Beurteiler in Kenntnis des Leistungsgefüges in der Vergleichsgruppe eine Einordnung der in jedem Einzelfall vorgelegten Beurteilungsbeiträge vornehme, um die unterschiedlichen Bewertungen der Beurteilungsbeiträge und die unterschiedlich langen Zeiträume der jeweiligen Zusammenarbeit zu betrachten. Deshalb komme den jeweiligen Zeiträumen, für die die Beurteilungsbeiträge erstellt worden seien, nicht allein aufgrund der jeweiligen Länge eine daran ausgerichtete Priorität zu. Vorliegend habe der Beigeladene ohnehin bereits seit dem 1. Januar 2018 mit der Hälfte seiner Arbeitszeit beim Amtsgericht G. -Stadt gearbeitet, was etwas mehr als die Hälfte des Beurteilungszeitraums ausmache. Die Gesamtbeurteilung unter Ziffer 13 (der Regelbeurteilung) lasse deutlich erkennen, dass der Beurteiler keineswegs den erheblichen Umfang der Tätigkeit des Beigeladenen beim Amtsgericht H. -Stadt nur am Rande berücksichtigt habe. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beurteiler aufgrund seiner Kenntnis sämtlicher in die Vergleichsgruppe einzubeziehenden Beschäftigten den Beurteilungsbeitrag des Direktors des Amtsgerichts H. -Stadt (I.) dahingehend relativiert, dass der Beigeladene mit einer solchen Leistung im Rahmen der Vergleichsgruppe und unter Berücksichtigung der übrigen Erkenntnisse auch in den Einzelmerkmalen überwiegend höher einzustufen sei, als es I. bei den angekreuzten Wertungsstufen vollzogen habe. Entsprechendes gelte für den Beurteilungsbeitrag von Richter am Amtsgericht J.. Schließlich komme in der Gesamtbeurteilung zum Ausdruck, dass der Beurteiler die aus seiner Sicht überaus positive Leistungsentwicklung des Beigeladenen in den Blick genommen habe. Soweit der Antragsteller einwende, der Richter am Amtsgericht J. sei als Teilnehmer der Beurteilerkonferenz in der Lage gewesen, die Kriterien und Maßstäbe für die Bewertungen der Leistungen des Beigeladenen für die gesamte Vergleichsgruppe einschätzen zu können, gehe dieser Einwand fehlt, weil dessen Beurteilungsbeitrag bereits am 18. Juni 2019 und damit deutlich vor der Beurteilerkonferenz erstellt worden sei. Aus dem Vorstehenden ergebe sich zugleich, dass beim Antragsteller und dem Beigeladenen ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab angewandt worden sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, der der Antragsteller entgegentritt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Beschwerde des Antragsstellers bleibt ohne Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, vermögen eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht herbeizuführen. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch für den von ihm begehrten Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Auswahlentscheidung seinen Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen, auf die sich die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen stützt, rechtswidrig wären.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Auswahlentscheidungen als Akt wertender Erkenntnis unterliegen lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien verstoßen hat (BVerwG, Urteil vom 30.1.2003 - BVerwG 2 A 1.02 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2020 - 5 ME 166/19 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 6.10.2011 - 5 ME 296/11 -, juris Rn. 3; Beschluss vom 15.11.2010 - 5 ME 244/10 -, juris Rn. 20). Erweist sich die Auswahlentscheidung anhand dieses Maßstabs als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der jeweilige Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung zum Zuge kommt, erscheint eine Auswahl des jeweiligen Antragstellers also jedenfalls möglich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.9.2002 - 2 BvR 857/02 -, juris Rn. 11 ff.; BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 32; Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2020, - 5 ME 244/10 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 8.9.2011 - 5 ME 234/11 -, juris Rn. 27), hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg. Dabei darf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren zurückbleiben (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 32). Das bedeutet, dass sich die Verwaltungsgerichte nicht auf eine wie auch immer geartete summarische Prüfung beschränken dürfen, sondern eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der Bewerberauswahl vornehmen müssen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Der maßgebliche rechtliche Rahmen ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 GG, wonach öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinn nur nach Kriterien vergeben werden dürfen, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen des Amtes genügen wird. Der Dienstherr darf das Amt nur dem Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 19). Dementsprechend darf die Bewerbung des Konkurrenten nur aus Gründen zurückgewiesen werden, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - BVerwG 2 C 6.11 -, juris Rn. 10; Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 21).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellen dienstlichen Beurteilungen (BVerwG, Beschluss vom 21.12.2016 - BVerwG 2 VR 1.16 -, juris Rn. 23; Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 21; Urteil vom 27.2.2003 - BVerwG 2 C 16.02 -, juris Rn. 12), weil für die zu treffende Entscheidung hinsichtlich Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auf den aktuellen Stand abzustellen ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil der aktuellen dienstlichen Beurteilungen, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist (BVerwG, Beschluss vom 20.6.2013 - BVerwG 2 VR 1.13 -, juris Rn. 21). Sofern aufgrund dieser aktuellen Beurteilungen von einer im Wesentlichen gleichen Beurteilung auszugehen ist, ist für die Auswahlentscheidung (zunächst) auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.8.2003 - BVerwG 2 C 14.02 -, juris Rn. 22 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2020 - 5 ME 166/19 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 27.5.2005 - 5 ME 57/05 -, juris Rn. 20), ehe die Heranziehung nicht leistungsbezogener Hilfskriterien in Betracht kommt. Wenn Bewerber in der aktuellen dienstlichen Beurteilung mit dem gleichen Gesamturteil bewertet worden sind, hat der Dienstherr (als weiteres unmittelbar leistungsbezogenes Kriterium) zunächst die aktuellen Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen (BVerwG, Beschluss vom 19.12.2014 - BVerwG 2 VR 1.14 -, juris Rn. 35; Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2020 2020 - 5 ME 166/19 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 21.12.2016 - 5 ME 151/16 -, juris Rn. 19). Sind die Bewerber auch nach der umfassenden inhaltlichen Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen („ausschärfende Betrachtung“) als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen, kann die zuständige Behörde auf andere leistungsbezogene Gesichtspunkte abstellen. So kann sie zum Beispiel der dienstlichen Erfahrung, der Verwendungsbreite oder der Leistungsentwicklung, wie sie sich aus dem Vergleich der aktuellen mit früheren dienstlichen Beurteilungen ergibt, Vorrang einräumen (BVerwG, Beschluss vom 22.11.2012 - BVerwG 2 VR 5.12 -, juris Rn. 25, 37). Es ist aber auch nicht zu beanstanden, auf das leistungsbezogene Erkenntnismittel eines so genannten strukturierten Auswahlgesprächs zurückzugreifen (BVerwG, Beschluss vom 27.4.2010 - BVerwG 1 WB 39.09 -, juris Rn. 39; Nds. OVG, Beschluss vom 28.1.2020 - 5 ME 166/19 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 21.12.2016 - 5 ME 151/16 -, juris Rn. 23; Beschluss vom 16.12.2014 - 5 ME 177/14 -, juris Rn. 29).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Die Verwaltungsgerichte haben im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen zu überprüfen. Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung, die als solche kein Verwaltungsakt und deshalb nicht der Bestandskraft fähig ist, können unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem gegebenenfalls anschließenden verwaltungsgerichtlichen „Konkurrentenstreit“ geltend gemacht werden. Der Beamte braucht also nicht den Ausgang des isolierten Streites um die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung abzuwarten. Andererseits ist der Dienstherr nicht verpflichtet, Beförderungsverfahren nur deshalb „auszusetzen“, weil einer der Bewerber eine für die Auswahlentscheidung bedeutsame dienstliche Beurteilung angreift (BVerwG, Urteil vom 18.4.2002 - BVerwG 2 C 19.01 -, juris Rn. 15; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 14). Erweist sich eine dienstliche Beurteilung, welche Grundlage eines Vergleichs zwischen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ist, als fehlerhaft, so hat das Gericht den Dienstherrn in einem etwaigen Hauptsacheverfahren zur Neubescheidung zu verpflichten, wenn das Ergebnis des Auswahlverfahrens auf der fehlerhaften Grundlage beruhen kann. Dementsprechend ist die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen, wenn sie Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann (BVerwG, Beschluss vom 20.1.2004 - BVerwG 2 VR 3.03 -, juris Rn. 10 f.; Urteil vom 18.4.2002 - BVerwG 2 C 19.01 -, juris Rn. 16; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 7.1.2020 - 5 ME 153/19 -, juris Rn. 33). Aus der gegenseitigen Abhängigkeit der Bewerbungen folgt, dass jeder Bewerber im Stande sein muss, sowohl eigene Benachteiligungen als auch Bevorzugungen eines anderen zu verhindern, die nicht durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind. Daher kann sich eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs insbesondere aus der Beurteilung eines Mitbewerbers oder aus dem Leistungsvergleich zwischen ihnen ergeben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.10.2007 - 2 BvR 2457/04 -, juris Rn. 13). Der Antragsteller eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Stellenbesetzung kann im Rahmen dieses Verfahrens also auch die dienstliche Beurteilung des ausgewählten Bewerbers angreifen (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 24). Voraussetzung ist aber, dass sich ein derartiger Verstoß auf die Erfolgsaussichten der eigenen Bewerbung auswirken kann. Deren Erfolg muss bei rechtsfehlerfreiem Verlauf zumindest ernsthaft möglich sein (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2.10.2007 - 2 BvR 2457/04 -, juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 24).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Nach Maßgabe dessen hält die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers sei nicht verletzt, der beschwerdegerichtlichen Überprüfung stand.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>a)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Soweit das Verwaltungsgericht eine Rechtswidrigkeit der Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen mit Blick auf die Anforderungen des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes mit der Begründung verneint hat, der damit verbundene Rechtsmangel sei für einen noch nicht abgelaufenen Übergangszeitraum hinzunehmen, wendet der Antragsteller ein: Das Bundesverwaltungsgericht habe in der in Bezug genommenen Entscheidung offen gelassen, wie lange der Übergangszeitraum anhalten dürfe. Auch unter der Annahme, dass der Übergangszeitraum noch nicht abgelaufen sei, müsse angesichts dessen, dass entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine gesetzliche Grundlage für die Beurteilungen fehle, dazu führen, dass besonders strenge Maßstäbe für die Inhaltskontrolle der ohne gesetzliche Grundlage erstellten Beurteilungen gälten. Den gebotenen strengen Maßstab habe das Verwaltungsgericht bei der Prüfung der dienstlichen Beurteilungen nicht angelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Dem folgt der Senat nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen - darunter diejenigen zur Bildung des Gesamturteils unter Würdigung aller Einzelmerkmale - nicht allein Verwaltungsvorschriften überlassen bleiben können, sondern derart wesentlich sind, dass sie generell in Rechtsnormen zu regeln sind (BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 A 3.20 -, juris Rn. 14; Urteil vom 7.7.2021 - BVerwG 2 C 2.21 -, juris Rn. 32 ff.). Für die hier zu überprüfende Auswahlentscheidung und die ihr zugrunde liegenden Beurteilungen hat dies jedoch keine Konsequenzen, da das Bundesverwaltungsgericht zugleich entschieden hat, dass der bisherige Zustand für einen Übergangszeitraum hinzunehmen ist (BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 C 2.21 -, juris Rn. 15; Urteil vom 7.7.2021 - BVerwG 2 C 2.21 -, juris Rn. 24). Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass ohne die vorübergehende Weitergeltung der das Beurteilungsverfahren regelnden Verwaltungsvorschriften die für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung wichtigen Auswahlentscheidungen nicht getroffen werden könnten. Das Fehlen gesetzlicher Vorgaben sei daher für einen Übergangszeitraum hinzunehmen, um einen der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferneren Zustand zu vermeiden (BVerwG, Urteil vom 7.7.2021 - BVerwG 2 C 2.21 -, juris Rn. 40). In Anlehnung an die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem zur Geltung des Wesentlichkeitsgrundsatzes im Beihilferecht ergangenen Urteil vom 28. Mai 2008 - BVerwG 2 C 24.07 - (juris Rn. 10 ff.) und angesichts des Umstands, dass sich die gegenwärtige Legislaturperiode des Niedersächsischen Landtags angesichts der anstehender Wahlen im Auslaufen befindet, erachtet der Senat eine Begrenzung des dem Landesgesetzgeber zuzubilligenden Übergangszeitraums auf den regulären Ablauf der in diesem Jahr beginnenden neuen Legislaturperiode des Landtages für angemessen und zur Fehlerbehebung für ausreichend (vgl. zur Dauer des Übergangszeitraums auch OVG Saarl., Urteil vom 13. Januar 2022 - 1 A 58/20 -, juris Rn. 46).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist nicht davon auszugehen, dass die an dienstliche Beurteilungen zu stellenden Rechtmäßigkeitsanforderungen während des Übergangszeitraums einem besonders strengen Maßstab unterlägen. Der Antragsteller zeigt schon nicht auf, auf welcher rechtlichen Grundlage er diesen rechtlichen Ansatz zu stützen vermag. Jedenfalls lässt sich den angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen, dass im Nachgang zu dieser Rechtsprechung die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit dienstlicher Beurteilungen während des Übergangszeitraums strengeren Maßstäben unterlägen als zuvor. Vielmehr hat es entschieden, dass während des beschriebenen Übergangszeitraums die das Beurteilungsverfahren regelnden Verwaltungsvorschriften (unverändert) heranzuziehen sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>b)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, die dienstliche Beurteilung des Antragstellers sei rechtmäßig und dieser könne weder ein besseres Gesamtergebnis noch „bessere einzelne Noten in seiner Beurteilung“ erreichen. Insbesondere sei der Beurteiler nicht deshalb „gleichheitswidrig vorgegangen“, weil einerseits mit Blick auf den Antragsteller der Ausgang bzw. die Berechtigung von Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträgen nicht Eingang in die Gesamtbeurteilung gefunden habe, andererseits er beim Beigeladenen in dem Gesamturteil vermerkt habe, dass Rechtsmittel gegen dessen Entscheidungen in aller Regel erfolglos geblieben seien. Denn insofern habe der Beurteiler den Ausgang von Rechtsmitteln bezogen auf materiell-rechtliche Entscheidungen des Beigeladenen zur Begründung seines Gesamturteils herangezogen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Hiergegen wendet der Antragsteller ein: Der Beurteiler habe bei der Würdigung seiner - des Antragstellers - Leistungen und der des Beigeladenen unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Wenn der Beurteiler in der Gesamtbeurteilung des Beigeladenen bemerkt, „soweit es - nur wenige - Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers gegeben hat, waren die erfolglos“ habe er mutmaßlich sowohl die Häufigkeit als auch die Berechtigung der erhobenen Entscheidungen des Beigeladenen geprüft und entsprechend positiv gewürdigt. Hinsichtlich seiner - des Antragstellers - Beurteilung habe der Beurteiler dem unter dem Az. 3 A 99/21 geführten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zur Begründung der Bewertung der Leistungen „Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen, Befangenheitsanträge“ erwähnt, und sich auf den Standpunkt gestellt, es käme nicht auf deren Berechtigung an, da es sich „in Beurteilungsverfahren regelmäßig nicht um die Verletzung von Dienstpflichtverletzungen“ gehe. Damit habe der Beurteiler folglich in seinem Fall die Berechtigung der Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträge nicht geprüft, allein aber die Tatsache, dass solche erhoben worden seien, bei der Bewertung seiner - des Antragstellers - Leitungen negativ berücksichtigt. Es könne insoweit nicht angehen, dass unterschiedliche Maßstäbe bei der Bewertung von Leistungen „durch den Antragsgegner“ (gemeint wohl: durch den Beurteiler) zur Anwendung gelangten. Im Fall des Beigeladenen habe der Beurteiler die Berechtigung von Rechtsmitteln geprüft und wegen deren Erfolgslosigkeit bei der Beurteilung positiv berücksichtigt. In seinem - des Antragstellers - Fall habe er die Berechtigung von Rechtsmitteln aber nicht geprüft, sondern negativ berücksichtigt. Wenn das Verwaltungsgericht hierzu ausführe, der Beurteiler hätte den Ausgang von Rechtsmitteln gegen materiell-rechtliche Entscheidungen zur Begründung seines Gesamturteils herangezogen, so sei Fakt, dass die Erfolglosigkeit der Rechtsmittel positive Berücksichtigung bei der Bewertung der Leistungen des Beigeladenen gefunden habe. Wenn das Verwaltungsgericht erkläre, der Ausgang bzw. die Berechtigung von Dienstaufsichtsbeschwerden habe keinen Eingang in die Gesamtbeurteilung gefunden, so lasse es Folgendes unberücksichtigt. Der Beurteiler habe bei seiner - des Antragstellers - Beurteilung allein die Tatsache, dass Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträge erhoben worden seien, als negativen Aspekt gewürdigt. Daher sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Beurteiler bei der Bewertung der Leistungen unterschiedliche Maßstäbe angelegt und die Bewerber nicht neutral bewertet habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Dieses Vorbringen vermag eine Änderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu rechtfertigen. Der Antragsteller hat sich hiermit nicht substantiiert mit der tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, sondern lediglich seinen vor dem Verwaltungsgericht bereits vertretenen Standpunkt wiederholt und bekräftigt. Damit wird dieses Vorbringen dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Der Begriff des „Darlegens“ im Sinne von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist durch das Darlegungserfordernis im (Berufungs-)Zulassungsrecht (§ 124a Abs. 4 VwGO) vorgeprägt (vgl. VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 1.7.2002 - 11 S 1293/02 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschluss vom 29.10.2013 - 5 ME 220/13 -, juris Rn. 14). Das Darlegungserfordernis verlangt von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Erforderlich ist, dass die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpft und aufzeigt, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss (OVG M.-V., Beschluss vom 7.9.2010 - 1 M 210/09 -, juris Rn. 8). Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (Nds. OVG, Beschluss vom 31.5.2012 - 5 ME 86/12 -), an der es hier fehlt. Mit der Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass der Beurteiler nicht gleichheitswidrig vorgegangen sei, wenn er in der Beurteilung des Beigeladenen die regelmäßige Erfolglosigkeit von Rechtsmitteln vermerkt habe, weil er insofern den Ausgang von Rechtsmitteln „bezogen auf materiell-rechtliche Entscheidungen des Beigeladenen (und nicht etwa die Feststellung von Dienstpflichtverletzungen)“ zur Begründung des Gesamturteils herangezogen habe, und dessen rechtlichen Ansatz setzt sich der Antragsteller nicht inhaltlich auseinander, sondern hält ihr lediglich sein bisheriges Vorbringen mit seiner gegenteiligen Auffassung entgegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht zu Recht ein gleichheitswidriges Vorgehen des Beurteilers verneint.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Das Gebot, bei der Erstellung der Beurteilung von einem richtigen Sachverhalt auszugehen und allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe zu beachten, erfordert es, nachvollziehbar darzulegen, aus welchem Grund der betroffene Beamte das ihm durch die dienstliche Beurteilung erteilte Gesamturteil erhalten hat (Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 44; Beschluss vom 10.1.2008 - 5 LA 102/04 -, juris Rn. 4). Das gefundene Gesamturteil muss mit den Einzelbewertungen in dem Sinne übereinstimmen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen ergibt (BVerwG, Beschluss vom 21.12.2016 - BVerwG 2 VR 1.16 -, juris Rn. 39; Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 13.14 -, juris Rn. 27; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 44).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Der Grundsatz, dass das Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung nach außen erkennbar aus der Bewertung und Gewichtung der einzelnen Leistungs- und Befähigungsmerkmale zu entwickeln und hinreichend plausibel zu machen ist, verlangt jedoch nicht, dass die tatsächlichen Grundlagen, auf denen Werturteile beruhen, notwendigerweise in die dienstliche Beurteilung selbst aufzunehmen sind (BVerwG, Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 13.14 -, juris Rn. 17; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 45). Der Dienstherr kann einerseits einzelne Tatsachen oder Vorkommnisse im Beurteilungszeitraum aufgreifen und aus ihnen wertende Schlussfolgerungen ziehen, wenn er sie etwa zur Charakterisierung des Beamten für besonders typisch hält oder für eine überzeugende Aussage zu einzelnen Beurteilungsmerkmalen für wesentlich erachtet. Er kann sich andererseits aber auch auf die Angabe zusammenfassender Werturteile aufgrund einer unbestimmten Vielzahl nicht benannter Einzeleindrücke und Einzelbeobachtungen während des Beurteilungszeitraumes beschränken. Schließlich kann er die aufgezeigten verschiedenen Möglichkeiten, über Eignung und Leistung des Beamten ein aussagekräftiges, auch für Dritte verständliches Urteil abzugeben, in abgestufter Form nebeneinander verwenden bzw. miteinander verbinden (BVerwG, Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 13.14 -, juris Rn. 17; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 45). Das Absehen von weitergehenden Begründungsanforderungen - namentlich bei den Einzelmerkmalen einer dienstlichen Beurteilung - ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich das Werturteil des Dienstherrn über das Leistungsbild eines Beamten im Laufe eines Beurteilungszeitraums aus einer Vielzahl tatsächlicher Vorgänge und Einzelmomente zusammensetzt, die zu einem Gesamteindruck verschmelzen. Wäre der Dienstherr gehalten, solche Vorgänge (jedenfalls beispielhaft) zu benennen, könnten hierdurch Einzelergebnisse, die für das Werturteil ohne selbstständig prägendes Gewicht waren, nachträglich eine Bedeutung gewinnen, die ihnen in Wahrheit nach der wertenden Erkenntnis des Dienstherrn nicht zukommen sollte. Zudem würde dies zu einem dauernden „Leistungsfeststellungsverfahren“ führen, das einen gänzlich unangemessenen und unvertretbaren Verwaltungsaufwand zur Folge hätte und dem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn abträglich wäre (BVerwG, Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 13.14 -, juris Rn. 18; Nds. OVG, Beschluss vom 29.5.2020 - 5 ME 187/19 -, juris Rn. 45).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Aus dem Vorstehenden folgt, dass die für die Bewertung herangezogenen Vorgänge und Einzelmomente nicht bei allen Beurteilten identisch oder gleich sein können, mithin ist ein Beurteiler nicht gehalten, einen zur Begründung eines Werturteils in Bezug auf einen Beamten herangezogenen Umstand - wie hier, ob Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Beamten regelmäßig ohne Erfolg geblieben sind oder ob es zu einem gelegentlichen Liegenlassen von Akten über längere Zeit ohne nachvollziehbaren Grund gekommen ist und damit nachteilige Folgen für den Dienstbetrieb dergestalt verbunden waren, dass Beschwerden verschiedener Art gegen den Beamten erhoben worden sind - ebenso zur Begründung des jeweiligen Werturteils anderer Beamte zu behandeln.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Das Vorgehen des Beurteilers ist auch deshalb nicht gleichheitswidrig, weil sich die angeführten Begründungselemente in dem Gesamturteil der Beurteilung einerseits des Antragstellers und andererseits des Beigeladenen, worin der Antragsteller eine Ungleichbehandlung sieht, auf verschiedene Leistungsmerkmale beziehen. Da die dienstliche Beurteilung den Vergleich mehrerer Bewerber miteinander ermöglichen soll, müssen die Beurteilungsmaßstäbe gleich sein und gleich angewendet werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.12.2016 - BVerwG 2 VR 1.16 -, juris Rn. 24 f.). Mithin verbietet es sich, gleiche Vorgänge oder Einzelmomente ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich zu bewerten, etwa bei einem Beamten einen bestimmten Umstand als positiv oder besonders gewichtig zu beurteilen, zugleich bei einem anderen Beamten einen gleichen Umstand als negativ oder unbedeutend anzusehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Dem Beschwerdevorbringen lässt sich aber nicht entnehmen, dass bei den hier streitgegenständlichen Beurteilungen ungleiche Beurteilungsmaßstäbe angelegt worden wären oder der Beurteiler die Beurteilungsmaßstäbe ungleich angewendet hätte. Vielmehr beziehen sich die angeführten Begründungselemente inhaltlich auf verschiedene Leistungsmerkmale.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>In dem Gesamturteil der Beurteilung des Antragstellers führt der Beurteiler aus:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Wenn es überhaupt Kritikpunkte gibt, dann die, dass es auch im vergangenen Beurteilungszeitraum gelegentlich vorgekommen ist, dass ... [der Antragsteller] ohne nachvollziehbaren Grund Akten längere Zeit unbearbeitet liegen gelassen und damit Dienstaufsichtsbeschwerden oder Ablehnungsanträge auf sich gezogen hat.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 13. August 2021 - 5 ME 88/21 - zur Frage der Rechtmäßigkeit der Beurteilung des Antragstellers seine Ansicht dargelegt (Beschlussabdruck S. 14), dass es sich bei der Formulierung „und damit Dienstaufsichtsbeschwerden oder Ablehnungsanträge auf sich gezogen hat“ nur um eine allgemeine Darstellung der nachteiligen Auswirkungen der verzögerten Bearbeitung von Akten auf den Dienstbetrieb handelt. Bei verständiger Auslegung dieser Formulierung brachte der Beurteiler damit nur zum Ausdruck, dass „das gelegentliche Liegenlassen von Akten über längere Zeit ohne nachvollziehbaren Grund“ allgemein nachteilige Folgen auf den Dienstbetrieb hatte, nämlich dergestalt, dass deshalb Beschwerden verschiedener Art gegen den Antragsteller eingingen, die wiederum bearbeitet werden mussten. Auf die Spezifizierung der jeweiligen Beschwerden kam es dem Beurteiler ersichtlich nicht an. Dabei bezieht sich das o. a. Begründungselement auf das Untermerkmal „Arbeitszuverlässigkeit“ des Leistungsmerkmals „Leistungsverhalten“ (Beschlussabdruck S. 13). Hieran hält der Senat fest. Hieraus wird zudem deutlich, dass der Antragsteller mit seiner sinngemäßen Rüge, zugunsten des Beigeladenen werde die „Berechtigung“ von Rechtsmitteln geprüft und positiv bewertet, hingegen bei ihm lediglich die Tatsache, dass „Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen, Befangenheitsanträge erhoben“ worden seien, als negativer Aspekt gewürdigt (und die „Berechtigung“ dieser Beschwerden hingegen nicht geprüft) worden sei, die in seiner Beurteilung enthaltene Kritik sinnentstellend verkürzt. Die vorstehend zitierte Kritik des Beurteilers ist gerade nicht dahin zu verstehen, dass es beim Antragsteller (vermehrt) zu Dienstaufsichtsbeschwerden, Verzögerungsrügen und Befangenheitsanträge gekommen wäre, sondern dass es gelegentlich dazu kam, dass der Antragsteller Akten über längere Zeit ohne nachvollziehbaren Grund nicht bearbeitet hat, und dieser von der Kritik umfasste Umstand zu zusätzlichen Belastungen für den Geschäftsbetrieb führte, indem (vermeidbare) Beschwerden und Eingaben verschiedener Art zusätzlich bearbeitet werden mussten. Gerade auf Letzteres zielt die Kritik ab.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Demgegenüber bezieht sich das im Gesamturteil der Beurteilung des Beigeladenen enthaltene Begründungselement:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Soweit es - nur wenige - Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers gegeben hat, waren diese erfolglos“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>auf das Leistungsmerkmal der „Fachkompetenz“ (Umfang und Differenziertheit der für das Amt erforderlichen verwaltungs- und arbeitsplatzspezifischen Fach- und Rechtskenntnisse), nämlich Entscheidungen zu treffen, die sowohl in formell-rechtlicher als auch materiell-rechtlicher Hinsicht rechtmäßig sind und deshalb bei den Verfahrensbeteiligten auf Akzeptanz stoßen (und deshalb nicht angefochten werden) oder im Rechtsmittelverfahren Bestand behalten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Nach dem Vorstehenden vermag auch der Einwand, der Beurteiler habe die Bewerber nicht neutral bewertet, weil er an die Leistungen der Bewerber unterschiedliche Maßstäbe angelegt habe, nicht durchzugreifen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>c)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Soweit das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen erweise sich als rechtmäßig, und der Antragsteller verkenne bei seiner Kritik, der Schwerpunkt der Tätigkeit des Beigeladenen hätte während des Beurteilungszeitraums beim Amtsgericht H. -Stadt gelegen, was sich bei der Gewichtung der dort erstellten Beurteilungsbeiträge in der abschließenden Beurteilung so nicht wiederfände, die Befugnis und die Aufgabe des zuständigen Beurteilers, wendet der Antragsteller ein: Die Vergabe der in der Beurteilung des Beigeladenen vergebenen Rangstufen sei in sich nicht schlüssig und erscheine in Anbetracht der eingeholten Beurteilungsbeiträge nicht nachvollziehbar. Nach den „Beurteilungsrichtlinien des Antragsgegners“ (gemeint wohl: des Niedersächsischen Justizministeriums) sollten die Beurteilungsbeiträge dem Beurteiler ein möglichst umfassendes Bild verschaffen. Sie müssten daher angemessen in die Beurteilung einfließen, was hier offensichtlich nicht erfolgt sei. Der Beurteilungsbeitrag von K. umfasse einen Zeitraum von zwei Jahren und eineinhalb Monaten sowie die Beurteilungsbeiträge von Richter am Amtsgericht J. und von Rechtspfleger L. jeweils drei Jahre. Der Beurteiler dürfte aufgrund eigener Erkenntnisse die Leistungen des Beigeladenen ab dem Jahr 2018, mithin für ein Jahr und acht Monate bewerten können. Hiernach liege der zeitliche Schwerpunkt der möglichen Bewertung der Leistungen des Beigeladenen bei den Beurteilern I. und Herrn J.. Während I. die Leistungen des Beigeladenen 4-mal mit der Rangstufe „B“ und 6-mal mit der Rangstufe „C“ und Herr J. 9-mal mit der Rangstufe „C“ und einmal mit der Rangstufe „B“ bewertet hätten, habe der Beigeladene vom Beurteiler als Bewertung seiner Leistungen 8-mal die Rangstufe „B“ und zweimal die Rangstufe „C“ erhalten. Die Vergabe dieser Rangstufen erscheine nicht nachvollziehbar. Die Beurteiler I. und Herr J. hätten die Leistungen über den gesamten Beurteilungszeitraum (Herr J.) bzw. einem Zeitraum von zwei Jahren und eineinhalb Monaten einschätzen können. Anders als das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss darstelle, sei es nicht allein die Länge der Zeiträume, für die die vorbezeichneten Beurteilungsbeiträge erstellt worden seien, die eine daran ausgerichtete Priorität bei der Gesamtbewertung der Leistungen des Beigeladenen geböten. Neben den Zeiträumen seien es die Funktion des I. als Direktor des Amtsgerichts und die Vielfalt der Aufgaben, in denen eine Zusammenarbeit des K. mit dem Beigeladenen erfolgt sei, die eine besondere Berücksichtigung seines Beurteilungsbeitrages geböten. Die Bewertungen des I. und des Herrn J. müssten, anders als das Verwaltungsgericht es meine, das größte Gewicht bei der Bewertung der Vergabe der Rangstufen in der Beurteilung zum 1. September 2019 haben. Der Schwerpunkt der Bewertung der Rangstufen liege in beiden Beurteilungsbeiträgen bei der Rangstufe „C“. Die Beurteilung des Beigeladenen bilde diese Einschätzungen bei der Vergabe der Rangstufen nicht angemessen ab. Der Beurteiler, der die Leistungen des Beigeladenen nicht über den gesamten Beurteilungszeitraum aus eigenen Erkenntnissen habe beurteilen können, habe die Beurteilungsbeiträge von I. und Herrn J. nicht angemessen gewürdigt und den Beigeladenen „zu gut“ bewertet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Mit diesen Einwänden zeigt der Antragsteller Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Beurteilung des Beigeladenen und damit insoweit an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht auf. Die Beurteilung des Beigeladenen ist nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beurteilungsbeiträge des Direktors des Amtsgerichts K. vom 8. November 2019 und des Richters am Amtsgericht J. vom 18. Juni 2019 bei der Bewertung der einzelnen Leistungsmerkmale und beim Gesamturteil nicht mit einbezogen hätte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Der Beurteiler hat sich die erforderliche Kenntnis zur Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlichen Leistungen durch Informationen solcher Beschäftigten des Dienstherrn verschaffen, die die dienstlichen Leistungen unmittelbar beurteilen können, wenn er die dienstlichen Leistungen des Beamten nicht aus eigener Anschauung kennt (stRspr des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 A 3.20 -, juris Rn. 32; Urteil vom 17. September 2020 - BVerwG 2 C 2.20 -, juris Rn. 37; Urteil vom 1.3.2018 - BVerwG 2 A 10.17 -, juris Rn. 22; Urteil vom 27.11.2014 - BVerwG 2 A 10.13 -, juris Rn. 22). Hierfür kommen vorrangig schriftliche oder mündliche Beurteilungsbeiträge von Personen in Betracht, die die Dienstausübung des zu beurteilenden Beamten aus unmittelbarer eigener Anschauung kennen. Sie müssen in Umfang und Tiefe so beschaffen sein, dass sie die Erstellung der dienstlichen Beurteilung in der erforderlichen Differenzierung ermöglichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 C 3.20 -, juris Rn. 32; Urteil vom 17.9.2020 - BVerwG 2 C 2.20 -, juris Rn. 37; Urteil vom 2.3.2017 - BVerwG 2 C 21.16 -, juris Rn. 21).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Der Beurteiler ist einerseits an die Feststellungen und Bewertungen Dritter nicht in der Weise gebunden, dass er sie in seine Beurteilung "fortschreibend" übernehmen muss (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 C 3.20 -, juris Rn. 33; Urteil vom 27.11.2014 - BVerwG 2 A 10.13 -, juris Rn. 24; Urteil vom 2.3.2017 - BVerwG 2 C 21.16 -, juris Rn. 23). Es ist andererseits aber auch nicht in das Ermessen des Beurteilers gestellt, ob und wie er einen Beurteilungsbeitrag berücksichtigt. Erst auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung, die auch die durch den Beurteilungsbeitrag vermittelten Erkenntnisse einzubeziehen hat, trifft der Beurteiler seine Bewertungen in eigener Verantwortung (BVerwG, Urteil vom 5.11.1998 - BVerwG 2 A 3.97 -, juris Rn. 14). Der Beurteiler kann etwa die tatsächliche Entwicklung - insbesondere bestimmte Vorkommnisse - außerhalb des Zeitraums des Beurteilungsbeitrags besonders gewichten oder zu einer abweichenden Bewertung gelangen (BVerwG, Urteil vom 5.11.1998 - BVerwG 2 A 3.97 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 27.8.2015 - 6 B 649/15 -, juris Rn. 9). Er übt seinen Beurteilungsspielraum jedoch nur dann rechtmäßig aus, wenn er die Beurteilungsbeiträge in seine Überlegungen einbezieht und Abweichungen nachvollziehbar begründet (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 C 3.20 -, juris Rn. 33; Urteil vom 1.3.2018 - BVerwG 2 A 10.17 -, juris Rn. 33; Urteil vom 2.3.2017 - BVerwG 2 C 21.16 -, juris Rn. 23).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Diesen Anforderungen hält die Beurteilung des Beigeladenen stand.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Zunächst ist festzustellen, dass entgegen der Annahme des Antragstellers der Beurteilungsbeitrag des Richters am Amtsgericht J. nicht den gesamten Beurteilungszeitraum der Regelbeurteilung des Beigeladenen (1. September 2016 bis 31. August 2019) umfasst, sondern den Zeitraum vom 1. September 2016 bis 14. April 2019. Denn der Antragsteller war in der Zeit vom 1. September 2016 bis 31. Dezember 2017 (mithin für 1 Jahr und vier Monate) sowie in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 14. April 2019 (mithin für 1 Jahr und rund 3 ½ Monate) mit der Hälfte des regelmäßigen Dienstes beim Amtsgericht H. tätig; in der Zeit nach dem 14. April 2019 versah der Beigeladenen dort keinen Dienst mehr. Weiter ist mit einzustellen, dass der Beigeladene in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 31. August 2019 (mithin 1 Jahr und acht Monate) beim Verwaltungsgerichts G. -Stadt tätig war (davon in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 14. April 2019 mit der Hälfte des regelmäßigen Dienstes).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Soweit der Beigeladene beim Amtsgericht H. tätig war und der Beurteiler deshalb von den dort vom Beamten erbrachten dienstlichen Leistungen keine Kenntnis aus eigener Anschauung hatte, zog er die erforderlichen Beurteilungsbeiträge bei. Er bezog - wie der Begründung der Gesamtbeurteilung des Beigeladenen an verschiedenen Stellen unmittelbar entnommen werden kann - beide Beurteilungsbeiträge in seine Gesamtwürdigung der Leistungen des Beigeladenen mit ein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Gegenteiliges kann nicht daraus abgeleitet werden, dass die Ersteller dieser Beurteilungsbeiträge die Einzelleistungen des Beigeladenen ganz überwiegend mit der Rangstufe „C“ bewerteten, während der Beurteiler die Einzelleistungen überwiegend und das Gesamturteil mit der Rangstufe „B“ beurteilte. Soweit der Antragsteller sinngemäß argumentiert, angesichts der Dauer der Tätigkeit des Beigeladenen beim Amtsgericht H., der Funktion des K. als Direktor des Amtsgerichts und der Vielfalt Aufgaben, bei denen der Beigeladene mit I. zusammengearbeitet habe, käme den Beurteilungsbeiträgen von Direktor des Amtsgerichts I. und des Richters am Amtsgericht J. „das größte Gewicht bei der Bewertung der Vergabe der Rangstufen in der Beurteilung“ zu bzw. läge bei ihnen „der Schwerpunkt der Bewertung der Rangstufen“, mithin habe der Beurteiler, der die Leistungen des Beigeladenen überwiegend mit der höheren Rangstufe „B“ bewertet habe, die genannten Beurteilungsbeiträge nicht angemessen gewürdigt und den Beigeladenen „zu gut“ bewertet, kann dem aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p>Zunächst setzt der Antragsteller damit der Sache nach seine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung des insoweit (ausschließlich) zuständigen Beurteilers. Mit einer solchen - inhaltlichen - Kritik lässt sich jedoch vor dem Hintergrund des bestehenden Beurteilungsspielraums des Beurteilers und der hiermit korrespondierend eingeschränkten Überprüfungsbefugnis des Gerichts ein Beurteilungsfehler nicht dartun.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>Zum anderen läuft die Argumentation darauf aus, dass der Beurteiler an die Feststellungen und Bewertungen Dritter - hier der Ersteller der Beurteilungsbeiträge - dergestalt gebunden wäre, dass er sie in seine Beurteilung "fortschreibend" zu übernehmen hätte. Dieser rechtliche Ansatz steht aber im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 9.9.2021 - BVerwG 2 C 3.20 -, juris Rn. 33; Urteil vom 27.11.2014 - BVerwG 2 A 10.13 -, juris Rn. 24; Urteil vom 2.3.2017 - BVerwG 2 C 21.16 -, juris Rn. 23). Danach liegt die Bewertung der Leistungen (ausschließlich) in der eigenen Verantwortung des Beurteilers, so dass es für die Rechtmäßigkeit der Beurteilung ausreichend, aber auch erforderlich ist, wenn der Beurteiler die Beurteilungsbeiträge in seine Überlegungen einbezieht und etwaige Abweichungen nachvollziehbar begründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>Diesen Anforderungen genügt die Beurteilung des Beigeladenen. Der Beurteiler hat eigene Kenntnis von den Leistungen des Beigeladenen hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2018 bis 31. August 2019, mithin über einen Zeitraum von 20 Monaten des 36 Monate andauernden Beurteilungszeitraums. Dieser Zeitraum, der mehr als die Hälfte des Beurteilungszeitraums zu dessen Ende hin abdeckt, ist geeignet, eine positive Leistungsentwicklung im Vergleich zum ersten Teil des Beurteilungszeitraums aufzuzeigen. Der Beurteiler hat in seinem Gesamturteil Gründe für eine positive Leistungsentwicklung dargelegt, die es aus seiner - insoweit maßgeblichen - Sicht rechtfertigen, die Leistungen mit „die Leistungsanforderungen werden deutlich übertroffen“ (Rangstufe „B“) zu bewerten. Er hat ausgeführt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Aufgrund seiner großen Bereitschaft, auch zusätzliche Aufgaben gerne zu übernehmen, und weil ... [der Beigeladene] über Verwaltungserfahrung verfügt, sich darüber hinaus zum ausgewiesenen Fachmann für Grundbuchsachen entwickelt hat und zudem großes Interesse an technischen Innovationen hat, ist ... [dem Beigeladenen] von mir die Leitung des Projekts „M.“ übertragen worden. Diese Entscheidung hat sich als richtig herausgestellt: ... [Der Beigeladene] ist schon nach kürzester Zeit und höchstem persönlichen Einsatz gelungen, das Projekt ideenreich zu organisieren und die notwendigen Abläufe festzulegen. Dabei fällt es ihm aufgrund seiner lebhaften Art, seines Ideenreichtums und seinem großen Verständnis für technische Abläufe überaus leicht, auch die anderen Grundbuchrechtspflegerinnen und Rechtspfleger für das - mit erheblicher Mehrarbeit verbundene - Projekt zu begeistern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">... So hat ... [der Beigeladene] ohne seine eigene (hohe) Belastung in den Vordergrund zu stellen, tatkräftig daran mitgewirkt, das über Jahre hinweg unerkannt völlig außer Kontrolle geratene Dezernat eines langzeiterkrankten Kollegen durch Bearbeitung einer großen Zahl liegen gebliebener, umfangreicher Altverfahren vollständig zu sanieren. ...</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_51">51</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">[Der Beigeladene] hat sich mittlerweile zu einer Stütze des Grundbuchamtes entwickelt und [ist] dort unverzichtbar geworden. Es ist daher gerechtfertigt, das Leistungsbild ... [des Beigeladenen] mit ‘Stufe B: Die Leistungsanforderungen werden deutlich übertroffen‘ zu bewerten.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_52">52</a></dt> <dd><p>Damit hat der Beurteiler in ausreichender Weise eine tatsächliche Leistungsentwicklung - die an bestimmte Vorkommnisse wie die Leitung eines bedeutenden Projekts oder die Beseitigung erheblicher Arbeitsrückstände eines anderen Bediensteten anknüpft - dargelegt, die außerhalb des Zeitraums des Beurteilungsbeitrags liegt, und der er anhand der angeführten Vorkommnisse nachvollziehbar ein besonderes Gewicht beigemessen hat und zu einer abweichenden (besseren) Bewertung gelangt ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_53">53</a></dt> <dd><p>Nach dem Vorstehenden ist es nicht (mehr) von Belang, ob den Erstellern der Beurteilungsbeiträge bei deren Erstellung die Vergleichsmöglichkeit aller Beamter der Vergleichsgruppe und die damit verbundene Kenntnis des Leistungsgefüges der Vergleichsgruppe gefehlt habe, weil sie nicht Teilnehmer der Beurteilerkonferenz gewesen seien. Infolgedessen kann auch der Einwand der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, dass nach der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erfordernis von normativen Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen die Beurteilungsrichtlinien keine tragfähige Grundlage mehr für die erstellten Beurteilungen der Bewerber seien und dass auch Beurteilerkonferenzen, die auf den Beurteilungsrichtlinien fußten, rechtlich keine Relevanz mehr haben könnten. Überdies vermag dieser rechtliche Ansatz - wie bereits dargelegt - in der Sache nicht zu überzeugen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_54">54</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen dem Antragsteller aufzuerlegen, weil der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_55">55</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 1 GKG. Der Streitwert für den zweiten Rechtszug beträgt demnach die Hälfte der Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen. Auszugehen ist insoweit von den im Zeitpunkt der Einleitung des zweiten Rechtszugs (21. Juni 2022) maßgeblichen Bezügen der Besoldungsgruppe A 13 in Höhe von 5.476,94 EUR (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1, Abs. 2 NBesG in Verbindung mit der dortigen Anlage 5). Hinzu tritt die Allgemeine Stellenzulage gemäß § 38 NBesG in Verbindung mit den Anlagen 9 (Nr. 2 Buchst. a) und 10 in Höhe von 98,63 EUR. Dementsprechend ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 5.575,57 EUR x 6 = 33.453,42 EUR. Eine Halbierung dieses Wertes für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes findet nicht statt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16.5.2013 - 5 ME 92/13 -, juris Rn. 28).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_56">56</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006724&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,133
ovgni-2022-08-08-14-me-20322
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
14 ME 203/22
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"2022-08-10T10:03:20"
"2022-10-17T17:55:49"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 16. März 2022 geändert.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 25. Januar 2022 wird angeordnet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine lebensmittelrechtliche Verfügung des Antragsgegners abgelehnt hat. In dieser lebensmittelrechtlichen Verfügung (Bescheid vom 25. Januar 2022) hat der Antragsgegner</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. der Antragstellerin das Inverkehrbringen bestimmter Produkte untersagt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">2. der Antragstellerin das Inverkehrbringen bestimmter Produkte untersagt, bis durch ein akkreditiertes Labor nachgewiesen wurde, dass sich in den Produkten kein 2-Chlorethanol befindet,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">3. einen Rückruf und eine Öffentlichkeitswarnung für die Produkte unter 1. und für die Produkte unter 2. unter bestimmten Maßgaben angeordnet,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">4. die Übermittlung bestimmter Daten angeordnet sowie</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">5. bezogen auf einen Teil der unter 4. angeforderten Daten bei Nichtvorlage ein Zwangsgeld angedroht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 138 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. d und g VO (EU) 2017/625 für die Untersagung des Inverkehrbringens, den Rückruf und die Öffentlichkeitswarnung vorliegen. Der dort vorausgesetzte Verstoß gegen Vorschriften nach Art. 1 Abs. 2 lit. a VO (EU) 2017/625 folge daraus, dass die in der Anordnung des Antragsgegners bezeichneten Produkte wegen der Belastung mit 2-Chlorethanol gesundheitsschädliche Lebensmittel und deshalb nach Art. 14 Abs. 2 lit. a VO (EG) 178/2002 (im Folgenden: BasisVO) als nicht sicher zu bewerten seien. Ebenfalls nicht zu beanstanden seien die Ermittlungsmaßnahmen nach Nr. 4; sie ließen sich auf Art. 138 Abs. 1 lit. a VO (EU) 2017/625 bzw. Art. 138 Abs. 1 lit. b VO (EG) 2017/625 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Satz 2 LFGB stützen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht ablehnen dürfen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Ausgehend von dem für den Senat maßgeblichen Prüfungsmaßstab des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO hat die Antragstellerin die die erstinstanzliche Entscheidung tragende Annahme, dass die in der Anordnung des Antragsgegners bezeichneten Produkte wegen der Belastung mit 2-Chlorethanol gesundheitsschädliche Lebensmittel nach Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO seien, durchgreifend erschüttert. Der angefochtene Bescheid vom 25. Januar 2022 stellt sich in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt als offensichtlich rechtswidrig dar. An seiner sofortigen Vollziehung kraft gesetzlicher Anordnung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB) kann kein öffentliches Interesse bestehen. Nach der im Beschwerdeverfahren allein möglichen vorläufigen Einschätzung kann der Antragsgegner die getroffenen Maßnahmen nicht darauf stützen, dass es sich bei den fraglichen Produkten der Antragstellerin um gesundheitsschädliche Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO handelt (dazu unter 1.). Der Bescheid lässt sich auch nicht unter Heranziehung des Art. 7 BasisVO auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips aufrechterhalten (dazu unter 2.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>1. Der Antragsgegner hat die in dem angefochtenen Bescheid angeordneten Maßnahmen zu 1. bis 4 allein darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a BasisVO vorliegen. Diese Einschätzung teilt der Senat im Rahmen der im vorliegenden Eilverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht. Bei dieser Prüfung und damit bei der rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 14 BasisVO vorliegen, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich. Denn bei der angefochtenen lebensmittelrechtlichen Verfügung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. BayVGH, Beschl. v. 25.4.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 26; OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 7).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 dürfen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden. Nach Absatz 2 lit. a der Vorschrift gelten Lebensmittel nicht als sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind. Der Senat geht unter Berücksichtigung der von dem Antragsgegner im Rahmen der Risikobewertung (vgl. zu diesem Erfordernis im Einzelnen BayVGH, Beschl. v. 25.4.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 28; OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 11 f.) herangezogenen Stellungnahme Nr. 024/2021 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 1. September 2021 sowie auf der Grundlage der Stellungnahme („Statement on the BfR opinion regarding the toxicity of 2-chloroethanol“) der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority - EFSA) vom 25. Februar 2022 davon aus, dass die betroffenen Produkte der Antragstellerin nicht mit der erforderlichen Gewissheit als gesundheitsschädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO eingestuft werden können (so auch OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 7; in diesem Sinne wohl auch BayVGH, Beschl. v. 25.4.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 31; a.A. OVG Hamburg, Beschl. v. 8.6.2022 - 3 Bs 263/21 -, V.n.b., zum Gegenstand des Verfahrens gemacht).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner stützt seine Auffassung, dass es sich bei den betroffenen Produkten der Antragstellerin um gesundheitsschädliche Lebensmittel handelt, in dem angefochtenen Bescheid allein auf die Stellungnahme des BfR vom 1. September 2021. Bei den vorliegenden Proben sei die vom BfR festgesetzte Grenze (Aufnahmemenge geringer Besorgnis) überschritten, weshalb das gesundheitliche Risiko nicht ausgeschlossen werden könne. Dies führe zur Beurteilung der Produkte als gesundheitsschädlich und begründe die Anordnung des Rückrufs und die erforderliche Warnung der Öffentlichkeit. Im gerichtlichen Verfahren macht der Antragsgegner geltend, die Stellungnahme der EFSA bestätigte die Einschätzung des BfR. Die Erwägungen des Antragsgegners stellen jedoch keine nachvollziehbare Risikobewertung dar, die die Schlussfolgerung der Gesundheitsschädlichkeit der Produkte der Antragstellerin tragen könnte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Stellungnahmen des BfR und der EFSA hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschl. v. 25.4.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 30 f.) wie folgt bewertet:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Die Stellungnahme des BfR enthält keine eindeutige Risikoeinschätzung hinsichtlich der Gesundheitsgefahr von 2-Chlorethanol. Auch der Stellungnahme des BfR lässt sich nämlich die Feststellung entnehmen, dass bei der Bestimmung der von mit 2-Chlorethanol kontaminierten Lebensmitteln ausgehenden Gesundheitsgefahr durchaus wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen. Unter der Prämisse eines höchstmöglichen gesundheitlichen Schutzes und um Unterschätzungen vorzubeugen, stuft das BfR 2-Chlorethanol jedoch grundsätzlich in Anlehnung an Ethylenoxid als genotoxisch ein. Nach Einschätzung des Senats verbleiben jedoch auch nach der Risikobewertung durch das BfR Unsicherheiten, die durch die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht vorliegende Stellungnahme der EFSA vom 28. Januar 2022 (https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2022.7147) bestätigt und bekräftigt wurden. Auf der Grundlage der der EFSA vorliegenden Informationen, d.h. der im Rahmen des BfR-Gutachtens bewerteten Studien und zusätzlicher Daten, die von Interessengruppen vorgelegt wurden und vom BfR nicht bewertet wurden, hält die EFSA die Genotoxizität von 2-Chlorethanol für nicht schlüssig (vom Antragsgegner als „uneindeutig“ übersetzt). Auf dieser Grundlage würde die EFSA nicht empfehlen, Referenzwerte für die Risikobewertung oder gesundheitsbezogene Richtwerte festzulegen, bis das genotoxische Potenzial von 2-Chlorethanol geklärt ist. Die EFSA empfiehlt daher, In-vitro-Genmutationstests und In-vitro-Mikronukleustests mit 2-Chlorethanol gemäß den Empfehlungen der jüngsten technischen OECD-Leitlinien durchzuführen, um sein genotoxisches Potenzial zu klären. Falle das Ergebnis eines der Tests positiv aus, sollten die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Ausschusses der EFSA (2011) befolgt werden. Wenn die Genotoxizität von 2-Chlorethanol endgültig geklärt und insgesamt negativ sei, würde die EFSA empfehlen, den Referenzpunkt für die Ableitung gesundheitsbezogener Richtwerte auf der Grundlage vorhandener Toxizitätsstudien zu 2-Chlorethanol festzulegen. Der Stellungnahme der EFSA kommt aufgrund des ihr zugewiesenen Aufgabenbereiches (vgl. Art. 22 f. BasisVO) besonderes Gewicht zu. Auf der Grundlage der Stellungnahmen des BfR vom 1. September 2021 und der EFSA vom 28. Januar 2022 geht der Senat davon aus, dass die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch 2-Chlorethanol-haltige Lebensmittel festgestellt ist, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an (ebenso OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 19).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Ergänzend ist hervorzuheben: Zu den krebserzeugenden Eigenschaften (Kanzerogenität) von 2-Chlorethanol lässt sich auf Basis der derzeit vorliegenden Informationen schon nach den Ausführungen des BfR mangels relevanter Daten keine sichere Aussage treffen. Dies ergibt sich sowohl aus der Stellungnahme des BfR vom 1. September 2021 als auch aus dessen aktualisierten FAQ vom 22. Juni 2022 („Somit kann zu den krebserzeugenden Eigenschaften von 2-Chlorethanol auf Basis der derzeit vorliegenden Informationen keine sichere Aussage getroffen werden.“). Die Stellungnahme der EFSA bestätigt dies.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich der Genotoxität lässt sich diesen Stellungnahmen nach vorläufiger Einschätzung jedenfalls nichts entnehmen, was die Annahme einer Gesundheitsschädlichkeit bereits zu diesem Zeitpunkt hinreichend belegen würde. Belegt ist vielmehr lediglich die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch 2-Chlorethanol-haltige Lebensmittel - und das auch nur auf der Grundlage einer erheblichen wissenschaftlichen Unsicherheit. Verdeutlicht wird diese erhebliche wissenschaftliche Unsicherheit u.a. durch folgende Gesichtspunkte:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">- Der Stellungnahme der EFSA ist zu entnehmen:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- Die EFSA kann auf der Grundlage des bezeichneten Datenmaterials nicht auf die Genotoxität und Kanzerogenität von 2-Chlorethanol schließen. - „Based on the aforementioned data, EFSA could not conclude on the genotoxicity and carcinogenicity of 2-chloroethanol.“ (Summary Seite 3)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- Die Datengrundlage ist bezogen auf die Frage der Genotoxität veraltet und von geringer Verlässlichkeit. (...) Genmutation wurde <em>in vivo</em> nicht ermittelt. - „The assessment of the existing in vitro and in vivo genotoxicity data permitted to conclude that they are outdated and of low reliability. This was also in line with BfR opinion.<em>In vitro</em> tests are indicative of positive results for apical endpoints (gene mutation and clastogenicity), while <em>in vivo</em> some indication of negative results for apical endpoints (clastogenicity) was noted. Gene mutation was however not investigated <em>in vivo</em>.“ (Summary, Seite 3)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- (...) Das genotoxische Potential von 2-Chlorethanol sollte nach aktuellen Standards nach wie vor als nicht schlüssig angesehen werden. - „These new studies reduce some of the uncertainties on the existing data package, however, given the limitations of the old and new genotoxicity studies, the genotoxic potential of 2-chloroethanol, according to current standards, should be still considered inconclusive.“ (Toxicological assessment of 2-chloroethanol, Seite 7)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- Die EFSA betrachtet den Ansatz des BfR (entsprechende Behandlung zu Ethylenoxid bezüglich der Aufnahmemenge geringer Besorgnis) als zulässigen worst-case approach im Rahmen des Risikomanagements; nicht dagegen wird damit die Einordnung des Stoffes an sich oder bei Überschreitung des Schwellenwertes als gesundheitsschädlich bestätigt. - „BfR concluded that the available in vivo data are not suitable to waive the genotoxic effects observed in vitro with sufficient certainty. BfR concluded that the genotoxic and carcinogenic potency of 2-chloroethanol is not expected to exceed that of ethylene oxide after oral intake. EFSA agreed with this statement as a worst-case approach, given the uncertainties on genotoxicity as described by BfR and the differences between the two substances as highlighted by stakeholders.“(Toxicological assessment of 2-chloroethanol, Seite 7)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- Das genotoxische und kanzerogene Potential von 2-Chlorethanol ist nicht geklärt. - „The potential consumer exposure to 2-chloroethanol as a residue should be considered a priori as a concern since its genotoxic and carcinogenic potential have not been clarified and a threshold for a genotoxic substance cannot be assumed.“ (Exposure assessment – margin of exposure approach assessment, Seite 8)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">- Erneuter Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Genotoxität und Kanzerogenität von 2-Chlorethanol, selbst wenn Mutagenität (in Studien) als plausibel bezeichnet wird. „On the other hand, even though a mutagenic activity is considered plausible for 2-chloroethanol, the inconclusive genotoxicity and carcinogenicity assessment is partially related to the low reliability of the data or even lack of data.“ (Exposure assessment – margin of exposure approach assessment, Seite 8)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">- In seinen aktualisierten FAQ vom 22. Juni 2022 weist das BfR bezüglich der Risikobewertung von 2-Chlorethanol auf „große Datenlücken“ hin. Es führt weiter zur Frage des gesundheitlichen Risikos von 2-Chlorethanol aus: „Für 2-Chlorethanol ist die Datenlage widersprüchlich und teilweise unvollständig. Somit kann zu den krebserzeugenden Eigenschaften von 2-Chlorethanol auf Basis der derzeit vorliegenden Informationen keine sichere Aussage getroffen werden. Aufgrund der vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass 2-Chlorethanol potentiell ebenfalls erbgutverändernd wirken kann.“ Zu dem letztgenannten Gesichtspunkt führt das BfR aber in seiner Stellungnahme vom 1. September 2021 lediglich aus, dass es (zahlreiche) Hinweise aus Tierstudien auf eine erbgutverändernde Wirkung von 2-Chlorethanol gebe. Die „In-vivo-Relevanz“ sei aber nicht abschließend geklärt. Im Einzelnen ist der Stellungnahme des BfR zu entnehmen, dass die Datenlage bezüglich der Mutagenität teilweise widersprüchlich ist und die herangezogenen Studien teilweise nicht überprüfbar sind bzw. formale Mängel aufweisen. Unter Berücksichtigung der Ausführungen auf Seite 5 bis 6 der Stellungnahme ergeben sich „in vitro“ - angesichts teilweise abweichender und nicht nachvollziehbarer Ergebnisse - lediglich Anhaltspunkte für eine Mutagenität. (Lediglich) diese konnten bislang „in vivo“ nicht widerlegt werden. Das dürfte auch der Einschätzung der EFSA entsprechen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Diese erhebliche wissenschaftliche Unsicherheit führt dazu, dass die Annahme einer Gesundheitsschädlichkeit der betroffenen Produkte der Antragstellerin im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a Basis-VO nicht hinreichend nachvollziehbar belegt ist. Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a BasisVO greift zwar nicht nur ein, wenn tatsächlich eine Schädigung der Gesundheit eingetreten ist; es reicht die Eignung zur Gesundheitsschädigung aus. Diese Eignung muss allerdings tatsächlich und konkret bestehen, d. h. der Stoff muss bestimmte feststellbare Eigenschaften aufweisen, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL, November 2021, Art. 4 BasisVO Rn. 39). Die insoweit beweisbelastete Behörde muss konkret dartun, dass durch den Verzehr eines Lebensmittels die Gesundheit von Menschen gefährdet sein kann, was im Ergebnis bedeutet, dass eine Maßnahme nach Art. 14 BasisVO nicht lediglich mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden darf, die auf wissenschaftlich noch nicht verifizierte bloße Vermutungen gestützt ist (vgl. OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 10).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Gemäß Art. 14 Abs. 4 BasisVO sind bei der Beurteilung, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich i. S. d. Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO ist, die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels nicht nur auf die Gesundheit des Verbrauchers, sondern auch auf nachfolgende Generationen (a), die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Auswirkungen (b), und die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit einer bestimmten Verbrauchergruppe, falls das Lebensmittel für diese Gruppe von Verbrauchern bestimmt ist (c), zu berücksichtigen. Für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lebensmittel gesundheitsschädliche Auswirkungen hat, reicht einerseits eine nur theoretische Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen nicht aus, andererseits bedarf es auch keiner an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Von der Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen ist vielmehr dann auszugehen, wenn die wissenschaftlichen Auffassungen, die solche Auswirkungen erwarten, überwiegen. Dies kann allerdings nicht zahlenmäßig festgestellt werden; erforderlich ist vielmehr eine Gewichtung der wissenschaftlichen Qualifikation und der wissenschaftlichen Grundlagen sowie insbesondere, wie hoch in den einzelnen wissenschaftlichen Äußerungen die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt wird (vgl. VGH BW, Beschl. v. 17.09.2020 - 9 S 2343/20 -, juris Rn. 14; Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL, November 2021, Art. 4 BasisVO Rn. 47).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Betrachtet man die oben dargestellten wissenschaftlichen Aussagen zu 2-Chlorethanol anhand dieser Maßgaben, ist die Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen aus Sicht des Senats derzeit nicht hinreichend nachvollziehbar (in diesem Sinne auch OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 23 f.). Das bedeutet aber, dass sowohl die Risikobewertung des Antragsgegners in dem angefochtenen Bescheid, die allein auf der Stellungnahme des BfR vom 1. September 2022 beruht, als auch die ergänzenden Erwägungen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren den Anforderungen an eine vertretbare Risikobewertung nicht entsprechen. Zutreffend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem oben zitierten Beschluss festgestellt, dass auf der Grundlage der Stellungnahmen des BfR vom 1. September 2021 und der EFSA vom 28. Januar 2022 nur die „Möglichkeit“ gesundheitsschädlicher Auswirkungen durch 2-Chlorethanol-haltige Lebensmittel festgestellt ist. Er hat weiter hervorgehoben, dass damit gerade ein Fall des Art. 7 Abs. 1 BasisVO vorliegt, wonach vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen (vgl. auch Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL November 2021, Art. 7 BasisVO Rn. 9)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Eine Gesundheitsschädlichkeit der betroffenen Produkte im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO folgt auch nicht allein daraus, dass sie den vom BfR in seiner Stellungnahme vom 1. September 2021 für 2-Chlorethanol definierten Schwellenwert nicht einhalten. Ist bereits die genotoxische und kanzerogene Potenz von 2-Chlorethanol nicht „schlüssig“ wissenschaftlich belegt, kann die Definition dieses Schwellenwertes im Sinne einer „Aufnahmemenge geringer Besorgnis“ bei der Prüfung des Kriteriums der Gesundheitsschädlichkeit keine darüberhinausgehenden Erkenntnisse vermitteln (anders: HambOVG, Beschl. v. 8.6.2022 - 3 Bs 263/21 -, V.n.b.). Der angefochtene Bescheid geht aber auf Seite 4 gerade hiervon aus. („Da bei den vorliegenden Proben diese vom BfR empfohlene Grenze überschritten ist, kann das gesundheitliche Risiko nicht ausgeschlossen werden. Dies führt zur Beurteilung als gesundheitsschädlich und begründet die Anordnung des Rückrufs und die erforderliche Warnung der Öffentlichkeit.“). Nicht gesagt ist damit allerdings, dass dieser Schwellenwert im Rahmen der Beurteilung, ob - und wenn ja welche - vorläufigen Risikomanagementmaßnahmen im Rahmen des Vorsorgeprinzips nach Art. 7 BasisVO zu treffen sind, keine bedeutsame Rolle spielen kann.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>2. Besteht - wie hier - (nur) die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen oder besteht hinsichtlich festgestellter Auswirkungen wissenschaftlich noch Unsicherheit, können nach Art. 7 Abs. 1 BasisVO vorläufige Maßnahmen des Risikomanagements getroffen werden. Die Zulässigkeit solcher Maßnahmen ist jedoch in mehrerlei Hinsicht eingeschränkt: Zugelassen sind nur vorläufige Maßnahmen, sie müssen zur Sicherstellung des Gesundheitsschutzniveaus erforderlich sein, sie müssen gemäß Abs. 2 Satz 1 verhältnismäßig sein, sie sind befristet, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen und sie müssen nach Abs. 2 Satz 2 innerhalb angemessener Frist überprüft werden (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL November 2021, Art. 7 BasisVO Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Der Antragsgegner hat indessen in dem angefochtenen Bescheid keine Maßnahme des Risikomanagements getroffen, die den Vorgaben des Art. 7 BasisVO genügt. Die Verfügung des Antragsgegners ist ausweislich der Begründung seines Bescheids schon nicht auf Grundlage des Vorsorgeprinzips ergangen, sondern zur Abwehr einer bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit (vgl. zum insoweit bestehenden Unterschied Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL, November 2021, Art. 7 BasisVO Rn. 11; BayVGH, Beschl. v. 25.04.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 34). Denn der Antragsgegner geht in seinem Bescheid - wie erörtert - davon aus, dass die Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BasisVO vorliegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Um die angefochtene Verfügung gleichwohl unter Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip zu rechtfertigen, was nicht von vorneherein ausgeschlossen sein mag (vgl. dazu HambOVG , Beschl. v. 8.6.2022 - 3 Bs 263/21 -, V.n.b.), muss die Maßnahme den allgemeinen Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Risikomanagements gemäß Art. 6 Abs. 3 VO (EG) 178/2002 genügen und Ermessen ausgeübt werden (vgl. Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB, BasisVO, HCVO, 2. Aufl. 2012, Art. 7 BasisVO Rn. 27 ff.; Streinz, in: Streinz/Meisterernst, BasisVO, LFGB, 2021, Art. 7 BasisVO Rn. 22; OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 25; BayVGH, Beschl. v. 25.04.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 37). Diesen Anforderungen entsprechen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Gemäß Art. 3 Nr. 12 BasisVO bezeichnet der Ausdruck „Risikomanagement“ den von der Risikobewertung unterschiedenen Prozess der Abwägung strategischer Alternativen in Konsultation mit den Beteiligten unter Berücksichtigung der Risikobewertung und anderer berücksichtigenswerter Faktoren und gegebenenfalls der Wahl geeigneter Präventions- und Kontrollmöglichkeiten. Zwar können im Rahmen des Risikomanagements nach Art. 7 BasisVO auch über die Definition des Art. 3 Nr. 12 BasisVO hinaus weitere Maßnahmen, auch Verkehrsverbote, Produktrückrufe und Öffentlichkeitswarnungen zulässig sein (vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 182. EL, November 2021, Art. 7 BasisVO Rn. 16 f.). Die getroffenen Maßnahmen müssen aber gleichwohl gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BasisVO verhältnismäßig sein und dürfen den Handel nicht stärker beeinträchtigen, als dies zur Erreichung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit und anderer angesichts des betreffenden Sachverhalts für berücksichtigenswert gehaltener Faktoren notwendig ist. Die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes bedeutet indes nicht eine Risikobeherrschung im Sinne eines Nullrisikos. Vor diesem Hintergrund sind zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips einschreitende Behörden gehalten, die mildeste Maßnahme zu wählen. Als Maßnahmen zur Verringerung eines Risikos sind oft Alternativen denkbar, die den Handel weniger einschränken, jedoch ebenfalls das angestrebte Schutzniveau gewährleisten können (vgl. OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 25).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>In dem angefochtenen Bescheid geht der Antragsgegner von einer Gesundheitsschädlichkeit der betroffenen Produkte aus und sieht die getroffenen Maßnahmen als zwingende Folge an, ohne die nach Art. 7 BasisVO abzuwägenden Handlungsalternativen auch nur in den Blick zu nehmen. In dem Bescheid heißt es dementsprechend: „Dies führt zur Beurteilung der Produkte als gesundheitsschädlich und begründet die Anordnung des Rückrufs und die erforderliche Warnung der Öffentlichkeit. (...) Die Produkte dürfen daher nach Art. 14 Abs. 1 der VO (EG) 178/2002 nicht in den Verkehr gebracht werden. Durch das Inverkehrbringen durch Sie liegt mithin ein Verstoß gegen unmittelbar geltende EU-Vorschriften vor.“ Zwar finden sich in dem angefochtenen Bescheid insoweit Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit, als der Antragsgegner das öffentliche Interesse, den Verbraucher vor der Einnahme gesundheitsschädlicher Lebensmittel zu bewahren, den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin gegenübergestellt und mit diesen abgewogen hat. Diese Erwägungen knüpfen aber an einen unzutreffenden Maßstab an, denn sie gehen ebenfalls von einer Gesundheitsschädlichkeit der Produkte aus und verkennen den bestehenden Handlungsspielraum (ähnlich OVG SH, Beschl. v. 16.6.2022 - 3 MB 8/22 -, juris Rn. 27; BayVGH, Beschl. v. 25.04.2022 - 20 CS 22.530 -, juris Rn. 38).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Auch das Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Einschätzung. Der Antragsgegner geht weiterhin davon aus, dass die Produkte der Antragstellerin aufgrund ihres Gehalts an 2-Chlorethanol als gesundheitsschädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a BasisVO gelten. Er behauptet mit Blick auf den vom Senat erteilten Hinweis auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. April 2022 (20 CS 22.530, juris) lediglich, dass die getroffenen Maßnahmen auch nach dem Vorsorgeprinzip des Art. 7 BasisVO gerechtfertigt seien und setzt sich nur mit der Frage auseinander, ob eine zeitliche Befristung solcher Maßnahmen erforderlich ist. Das genügt den zuvor dargestellten Maßgaben ersichtlich nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Da der Antragsgegner sämtliche Maßnahmen der Nrn. 1 bis 4 des angefochtenen Bescheides auf der Grundlage einer nicht tragfähigen Risikobewertung und der daraus folgenden Annahme eines Verstoßes gegen Vorschriften nach Art. 1 Abs. 2 lit. a VO (EU) 2017/625 i.V.m. Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 lit. a BasisVO angeordnet hat - das gilt ausdrücklich auch für die Datenanforderung unter Nr. 4 des Bescheides - und ein Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip des Art. 7 BasisVO mangels einer ordnungsgemäßen Maßnahme des Risikomanagements ausscheidet, ist der Bescheid - einschließlich der Androhung des Zwangsgeldes - voraussichtlich insgesamt offensichtlich rechtswidrig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Der Senat hebt hervor, dass Gegenstand der Überprüfung im vorliegenden Verfahren lediglich der - ggf. durch nachgeschobene Erwägungen konkretisierte - Bescheid ist, der sich aus den zuvor aufgezeigten Gründen als offensichtlich rechtswidrig darstellt (vgl. zur gerichtlichen Kontrolle des Ermessensspielraums auch Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB, BasisVO, HCVO, 2. Aufl. 2012, Art. 7 BasisVO Rn. 28). Ob der Antragsgegner auf der Grundlage der vom BfR vorgenommenen Risikobewertung von 2-Chlorethanol und unter Rückgriff auf den dort bestimmten Schwellenwert im Wege eines ordnungsgemäßen Risikomanagements nach Art. 7 BasisVO vergleichbare Maßnahmen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise anordnen könnte, hatte der Senat dagegen nicht zu entscheiden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkung der Maßnahme (vgl. Nrn. 25.1 und 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2013, NordÖR 2014, 11) lässt sich auch nach Anhörung der Beteiligten nicht ermitteln. Von einer von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für den Regelfall vorgesehenen Halbierung des Streitwerts sieht der Senat angesichts der finanziellen Bedeutung der Angelegenheit, die den Regelstreitwert deutlich übersteigen dürfte, ab.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006714&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,509
lsgnrw-2022-08-05-l-19-as-90522-b-er
{ "id": 799, "name": "Landessozialgericht NRW", "slug": "lsgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
L 19 AS 905/22 B ER, L 19 AS 906/22 B
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-09-10T10:01:26"
"2022-10-17T11:10:00"
Beschluss
ECLI:DE:LSGNRW:2022:0805.L19AS905.22B.ER.L.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 15.06.2022 werden als unzulässig verworfen.</strong></p> <p><strong>Außergerichtliche Kosten des Antragstellers im BeschwerdeverfahrenL 19 AS 905/22 B ER werden nicht erstattet.</strong></p> <p><strong>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren L 19 AS 905/22 B ER wird abgelehnt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerden sind unstatthaft und als unzulässig zu verwerfen (§§ 202 SGG, 572 Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren L 19 AS 905/22 B ER wird abgelehnt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">I. Die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung richtet sich nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Hiernach ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Dies ist hier der Fall. Nach § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 € nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Bei einem Antrag auf Gewährung einer Geldleistung richtet sich der Beschwerdewert i.S.v. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG nach dem Geldbetrag, den das erstinstanzliche Gericht versagt hat und der vom Rechtsmittelführer weiterverfolgt wird. Der Antragsteller begehrt im Beschwerdeverfahren die Gewährung eines Darlehens für die Anschaffung eines Herdes und einer Waschmaschine als Wohnungserstausstattung i.S.v. § 24 Abs. 3  S. 1 Nr. 1 SGB II.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlehensanspruch hat der Antragsteller weder im erstinstanzlichen  Verfahren noch auf Nachfrage des Senats konkret beziffert. Er macht lediglich geltend, dass er sich mit dem Darlehen einen Herd und eine Waschmaschine anschaffen will, die energieeffizienter sind als beide Geräte, die der Antragsgegner im Wege einer Sachleistung bewilligt hat.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Bei einem unbezifferten Antrag hat das Beschwerdegericht den Beschwerdewert zu ermitteln. Dabei ist eine überschlägige Berechnung unter Berücksichtigung des  Vorbringens des Antragstellers ausreichend (vgl. BSG, Beschluss vom 13.06.2013 – B 13 R 437/12 B und Urteil vom 14.08.2008 – B 5 R 39/07 R; siehe auch BSG, Beschluss vom 24.02.2011 – B 14 AS 143/10 B) bzw. anhand des wirtschaftlichen Interesses des Antragstellers am Ausgang des Rechtsstreits zu schätzen (§ 202 SGG i.V.m. § 3 ZPO). Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 3 ZPO ist der Wert vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen, das unter Zuhilfenahme aller Anhaltspunkte und Erkenntnisquellen auszuüben ist. Dabei ist auf die Angaben des Beschwerdeführers zumindest dann abzustellen, solange keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Bezifferung mutmaßlich falsch ist (BSG, Beschluss vom 21.09 2017 – B 8 SO 32/17 B m.w.N. und vom 05.08.2015 – B 4 AS 17/15 B m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig, 13. Aufl. 2020, SGG § 144 Rn. 15b).</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der erforderliche Wert der Beschwer von mehr als 750,00  € ist vorliegend nicht erreicht. Im Hinblick darauf, dass ein Leistungsträger als Sonderbedarf  i.S.v. § 24 Abs. 3 S.1 Nr. 1 SGB II eine angemessene Wohnungsausstattung, die der Befriedigung von einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen genügt und im unteren Segment der Einrichtungsgegenstände liegt, zu leisten hat (BSG, Urteile vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R, 13.04.2011 – B 14 AS 53/10 R und 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 R) und der Wert der beiden vorhandenen neuwertigen Haushaltsgeräte, die nach der Internetrecherche des Senats die Energieeffizienzklasse A+ haben und damit die höchste Energieeffizienzklasse aufweisen, sich ausweislich des Bescheides vom 07.12.2021 auf insgesamt 599,76 € beläuft, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Beschwer des Antragstellers auf über 750,00 € beläuft. Nach den Recherchen des Senates werden Waschmaschinen mit der Energieeffizienzklasse A unter 400,00 € (<span style="text-decoration:underline">https://produkte-im-test.de/die-3-besten-waschmaschinen-unter-400-euro/</span>) und Herde mit Energieeffizienzklasse A unter 350,00 € (vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.otto.de/haushalt/herde/</span>; <span style="text-decoration:underline">https://www.kaufland.de/product/324009383/</span>) im Handel angeboten.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Statthaftigkeit der Beschwerde folgt auch nicht aus der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts, nach welcher der Beschluss mit der Beschwerde angefochten werden könne. Eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung kann ein Rechtsmittel, das gesetzlich ausgeschlossen ist, nicht eröffnen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, vor § 143 Rn. 14 b; BSG Urteil vom 20.05.2003 – B 1 KR 25/01 R).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">2. Die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe richtet sich nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 b) SGG. Hiernach ist die gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Dies ist hier der Fall. Auf die obigen Gründe wird Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zudem ist die Beschwerde unbegründet, da das  Begehren des Antragstellers  - Gewährung eines Darlehens zur Anschaffung eines Herdes und einer Waschmaschine als Wohnungserstausstattung – keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO geboten hat. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Bewilligung des Sonderbedarfs in Form eines Herdes und einer Waschmaschine i.S.v. § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II anstelle der durch Bescheid vom 07.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2022 bewilligten Sachleistung.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Sonderbedarf nach § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II kann als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden (§ 24 Abs. 3 S. 5 SGB II). Damit räumt § 24 Abs. 3 S. 5 SGB II dem Grundsicherungsträger ein Auswahlermessen dahingehend ein, ob er diese Leistung als Sachleistung oder als Geldleistung erbringt und in welcher Höhe er diesen Anspruch erfüllt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 – B 4 AS 79/12 R m.w.N., Urteile des Senats vom 09.05.2019 L 19 AS 211/18 und 18.07.2014 – L 19 AS 1007/14; LSG NRW, Beschlüsse vom 30.08.2017 – L 21 AS 743/17 B und 09.06.2016 – L 19 AS 762/16 NZB). Sein Auswahlermessen hat der Antragsgegner dahingehend ausübt, dass er dem Antragsteller einen Gutschein für die Anschaffung eines Elektrostandardherds Amica SHE 1151 W und einer Waschmaschine Beko WML 16106 N bei der Firma B gewährt hat. Bei der Ausgabe eines Gutscheins zum Bezug von bestimmten Gegenständen bei einem bestimmten Dritten handelt es sich um eine Sachleistung in Form der Sachleistungsverschaffung (siehe Urteile des Senats vom 09.05.2019 - L 19 AS 211/18 und 18.07.2014 – L 19 AS 1007/14; Beschluss des Senats vom 29.04.2019 – L 19 AS 2036/18 NZB; Kemper in Eicher/Luik, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch § 10 Abs. 3 SGB XII). Hinsichtlich der Art der Leistung liegt keine Ermessenreduzierung auf Null zu Gunsten des  Antragstellers dahingehend vor, dass ihm der Sonderbedarf nach § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II als Geldleistung zu gewähren ist. § 24 Abs. 3 S. 5 SGB II sieht als Leistungsarten sowohl Sachleistungen wie auch Geldleistungen vor. Aus der Regelung des § 24 Abs. 3 S. 5 SGB II ergibt sich kein Vorrang der Geldleistung vor einer Sachleistung zur Deckung des Sonderbedarfs (BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 10/09 R; Urteile des Senats vom 09.05.2019 - L 19 AS 211/18 und 18.07.2014 – L 19 AS 1007/14: vgl. zur Zulässigkeit der Sicherung des Existenzminimums durch Sachleistungen: BVerfG,  Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 und Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10).</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Ausgabe eines Gutscheins zum Bezug von bestimmten Gegenständen bei einem Dritten ist eine adäquate Form der Sachleistung, wenn der Grundsicherungsträger auf das Angebot und die Abgabemodalitäten direkten und erheblichen Einfluss hat (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.1994 – 6 S 1591/92). Dies ist vorliegend der Fall, da zwischen dem Antragsgegner und der Firma B vertragliche Vereinbarungen über die Abgabemodalitäten, den Umfang der an einen Leistungsberechtigten auszugebenden Elektrogeräte sowie deren Zustand bestehen. Die vertragliche Vereinbarung betreffend den zu gewährleistenden Zustand der Gegenstände – neuwertige Elektrogeräte von bestimmten Herstellern mit einer 2-jährigen Garantie inklusive Anlieferung und Montage an den Hausanschluss - entspricht den Anforderungen des § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II, wonach ein Leistungsträger eine angemessene Wohnungsausstattung, die der Befriedigung von einfachen und grundlegenden Wohnbedürfnissen genügt und im unteren Segment der Einrichtungsgegenstände liegt, zu leisten hat (BSG, Urteile vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R, 13.04.2011 – B 14 AS 53/10 R und 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 R). Der Elektrostandardherd Amica SHE 1151 W und die Waschmaschine Beko WML 16106 N haben nach den Internet-Recherchen des Senats, gegen deren Ergebnis  die Beteiligten keine Einwände erhoben haben, die Energieeffizienzklasse A+ (höchste Energieeffizienzklasse). Insoweit wird auf die Verfügung des Senats vom 21.07.2022 Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren L 19 AS 905/22 B ER ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 73a Abs. 1 S.1 SGG, 114 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kosten des Beschwerdeverfahrens gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73 Abs. 1 S.1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 SGG).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nicht mit Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.</p>
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vg-stuttgart-2022-08-05-2-k-300522
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2 K 3005/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-09-01T10:01:49"
"2022-10-17T11:09:40"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Die Anträge werden abgelehnt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td><table><tr><td><strong>I.</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragsteller wenden sich gegen die der Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 24.02.2021 für den Neubau von fünf großen Wohngebäuden mit insgesamt 125 Wohnungen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Antragsteller sind Mieter des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks D.-Straße 3 in O. Für dieses Grundstück setzt der Bebauungsplan „P.-O.“ der damals noch selbständigen Gemeinde N. vom 11.03.1964 ein reines Wohngebiet fest.</td></tr></table><table><tr><td><hfj linktext="Abbildung"><img src="http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure220032116/bild1.png"/></hfj></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Beigeladene ist Eigentümerin verschiedener nördlich der D.-Straße befindlicher Grundstücke, auf denen die fünf Wohngebäude sowie die Tiefgarage geplant sind (Vorhabengrundstücke).</td></tr></table><table><tr><td><hfj linktext="Abbildung"><img src="http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure220032116/bild2.png"/></hfj></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Antragsgegnerin beschloss am 11.11.2020 für den Bereich zwischen D.-Straße und B.-Straße den Bebauungsplan „P.-O. 2“, auf dessen Grundlage insbesondere der Neubau von fünf Wohnhäusern mit insgesamt 125 Wohnungen stattfinden sollte. Aufgrund eines von den Antragstellern angestrengten Normenkontrollverfahrens erklärte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg diesen Bebauungsplan mit Urteil vom 07.04.2022 - 8 S 3320/21 - für unwirksam.</td></tr></table><table><tr><td><hfj linktext="Abbildung"><img src="http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure220032116/bild3.png"/></hfj></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Bereits am 24.07.2020 beantragte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau von fünf Wohngebäuden mit einer Tiefgarage auf den Vorhabengrundstücken. Der Eigentümer des von den Antragstellern bewohnten, auf der gegenüberliegenden Seite der D.-Straße befindlichen Grundstücks wurde hiervon nicht als Angrenzer benachrichtigt. Am 24.02.2021 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung erteilt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 26.04.2022 - nachdem der 8 Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg den Bebauungsplan „P.-O. 2“ für unwirksam erklärte - erhoben die Antragsteller Widerspruch gegen die der Beigeladenen am 24.02.2021 erteilte Baugenehmigung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit Schriftsatz vom 30.05.2022 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Stuttgart beantragt, „die Vollziehung der der beizuladenden GmbH […] erteilten Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 24.02.2021 […] auszusetzen“. Zur Begründung führen sie aus, dass die Grundlage für die Erteilung der Baugenehmigung, der Bebauungsplan „P.-O. 2“, für unwirksam erklärt worden sei. Im Normenkontrollverfahren sei die Antragsbefugnis der Antragsteller als Mieter des Grundstücks D.-Straße 3 bejaht worden. Auch die Möglichkeit einer Verbesserung der Rechtsposition der Antragsteller sei in diesem Verfahren angenommen worden, weil der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen sei, dass die Baugenehmigung ihnen gegenüber noch nicht bestandskräftig sei. Im Verfahren gegen die Baugenehmigung könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsteller nicht in eigenen Rechten verletzt sein können, denn dann könne auch die Frage der Bestandskraft als Vorfrage für das Normenkontrollverfahren keine Zulässigkeitsvoraussetzung sein. Die Frage der möglichen subjektiven Beeinträchtigung in eigenen Rechten durch eine Zunahme von Verkehrslärm betreffe die Antragsteller sowohl hinsichtlich des Bebauungsplanes als auch hinsichtlich der auf dieser Grundlage erteilten Baugenehmigung. Ansonsten könnten die Antragsteller den Bebauungsplan zu Fall bringen, wären aber gegen die erteilte Baugenehmigung ohne Handhabe und müssten hilflos mitansehen, wie die Bebauung fortgesetzt werde und ihre über das Normenkontrollverfahren erstrittene Rechtsposition Makulatur würde. Dies sei vor dem Hintergrund des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht hinnehmbar. Das Bauvorhaben sei ihnen gegenüber mit Blick auf die durch das neue Baugebiet zusätzlich verursachte Lärmbelastung rücksichtslos. Für die Annahme der Verletzung in eigenen Rechten komme es auf die tatsächliche Beeinträchtigung an, diese betreffe die Bewohner des Hauses, nicht den Eigentümer des Grundstücks. Der Eigentümer des Grundstücks habe seine Rechte auch durch Erklärung vom 22.06.2022 an die Antragsteller abgetreten, da er mangels Betroffenheit von den Auswirkungen des Bauvorhabens an einer Rechtsverfolgung kein Interesse habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Antragsgegnerin und die Beigeladene, die selbst keinen Antrag gestellt hat, sind den Anträgen entgegengetreten.</td></tr></table><table><tr><td><strong>II.</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Anträge der Antragsteller sind bereits unzulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Sie sind zwar - bei gebotener Auslegung des Begehrens der Antragsteller - als solche auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller statthaft (§ 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Antragsteller sind aber als Mieter des Grundstücks D.-Straße 3 bereits nicht antragsbefugt (hierzu 1.) Daran ändert auch die Abtretung von Rechten durch ihren Vermieter, den Eigentümer des Grundstücks, nichts (hierzu 2.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>1. Die Antragsteller sind nicht antragsbefugt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>a) Nach § 42 Abs. 2 VwGO, der im vorläufigen Rechtsschutz entsprechend anzuwenden ist (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 42 Rn. 80), setzt eine Klage- bzw. Antragsbefugnis voraus, dass der Kläger/Antragsteller eine Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Rechtsschutz wird nach § 42 Abs. 2 VwGO nur in diesem Fall gewährt; dies entspricht, positiv gewendet, der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG (Happ, a.a.O., § 42 Rn. 70). Die Frage des Drittschutzes - und damit einer Antragsbefugnis von Dritten - stellt sich in besonderer Weise beim Nachbarschutz im Baurecht (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2020, § 42 Rn. 96), denn dort gilt - etwa im Vergleich zur Abwehr von Immissionen außerhalb des Städtebaurechts - ein nur begrenzter Nachbarschutz (Happ, a.a.O., § 42 Rn. 100).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Ausweislich der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG geht es im Bauplanungsrecht um die Schlichtung bodenrechtlicher Nutzungskonflikte. Das Bauplanungsrecht hat daher eine grundstücks- und keine personenbezogene Zielrichtung. Aus diesem Grund ist der bauplanungsrechtliche Drittschutz personell auf Grundstückseigentümer und auf in eigentumsähnlicher Weise dinglich Berechtigte, die - wie z.B. Erbbauberechtigte oder Nießbraucher - die Grundstücke mit ihren Nutzungen „repräsentieren“, zu begrenzen (Bay. VGH, Beschl. v. 01.04.2022 - 15 CS 22.642 - juris Rn. 32; Schiller, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Auflage 2022, Rn. 18.740; sog. Repräsentationsprinzip). Aufgabe des Bauplanungsrechts ist es, die einzelnen Grundstücke einer auch im Verhältnis untereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Indem es in dieser Weise auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte zielt, bestimmt es zugleich den Inhalt des Grundeigentums. Demgemäß beruht bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Es widerspräche der grundstücksbezogenen Ausrichtung des Bauplanungsrechts, wenn Personen, die nur eine vom Grundstücksrepräsentanten abgeleitete Rechtsposition innehaben, in den Interessenausgleich der Grundstückseigentümer - womöglich auch gegen deren Willen - mit eigenen verwaltungsrechtlichen Abwehransprüchen und ihrer klageweisen Geltendmachung intervenieren könnten (zu alledem Bay. VGH, Beschl. v. 01.04.2022 - 15 CS 22.642 - juris Rn. 32 mit zahlreichen Nachweisen). Da es nicht um die Ausgestaltung ihres Grundeigentums durch bauplanungsrechtliche Vorschriften geht, sind sie auf ihre schuldrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Eigentümer, also typischerweise dem Vermieter oder Verpächter, beschränkt (Schiller, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Auflage 2022, Rn. 18.740).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Im Grundsatz sind daher nur dinglich Berechtigte als Nachbarn im Sinne des Bauplanungsrechts in Baunachbarstreitigkeiten antragsbefugt (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 11.07.1989 - 4 B 33.89 - juris; Hess. VGH, Beschl. v. 17.11.2014 - 4 B 1270/14 - juris Rn. 30; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.06.2006 - 8 S 997/06 - juris Rn. 2; Kaiser, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht Band 2, 4. Auflage 2020, § 41 Rn. 165).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>b) Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht daraus, dass auch lediglich obligatorisch Berechtigte in Normenkontrollverfahren antragsbefugt sein können. Es ist seit Langem in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren auch obligatorisch Berechtigte umfassen kann, wenn diese abwägungserhebliche Belange, bei denen die Möglichkeit der fehlerhaften Behandlung besteht, geltend machen - etwa eine spürbare Zunahme von Immissionen (BVerwG, Urt. v. 05.11.1999 - 4 CN 3.99 - juris Rn. 15; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.09.2019 - 8 S 2056/17 - juris Rn. 56; Beschl. v. 27.06.2006 - 8 S 997/06 - juris; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 47 Rn. 50). Das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich aller privater Belange, die erheblich sind und dieses kann „Recht“ im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sein (BVerwG, Urt. v. 05.11.1999 - 4 CN 3.99 - juris Rn. 15; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 03.09.2019 - 8 S 2056/17 - juris Rn. 56). Das öffentliche Bauplanungsrecht stellt die Schlichtung bodenrechtlicher Nutzungskonflikte in den Mittelpunkt, während im Normenkontrollverfahren auf abwägungserhebliche private Belange - die nicht zwingend an eine dingliche Berechtigung gebunden sind - abgestellt wird. Die Antragsteller werden dadurch nicht schutz- bzw. „hilflos“ gestellt, vielmehr haben sie sich an den dinglich Berechtigten zu wenden, von dem sie ihre Rechtsposition ableiten und ggf. gegen diesen vorzugehen. Hiergegen spricht auch nicht, dass die Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren davon abhängig gemacht wurde, ob die Antragsteller ihre Rechtsstellung mit dem Vorgehen gegen den Bebauungsplan noch verbessern könnten - was nicht der Fall gewesen wäre, wenn der Bebauungsplan durch unanfechtbar genehmigte Maßnahmen vollständig verwirklicht worden wäre, was der Senat nicht angenommen hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.04.2022 - 8 S 3302/21 - S. 13). Denn aus dem Umstand, dass die den Bebauungsplan umsetzende Baugenehmigung im Normenkontrollverfahren nicht bestandskräftig sein darf, damit die Antragsteller in diesem Verfahren eine Antragsbefugnis begründen können, folgt nicht im Umkehrschluss, dass die Antragsteller auch im Verfahren gegen die Baugenehmigung antragsbefugt sein müssen. Vielmehr genügt, dass das Vorgehen gegen den Bebauungsplan (irgendeinen) Sinn ergibt - vorliegend hätte dieser etwa darin bestehen können, dass die Antragsteller auf den Eigentümer des von ihnen bewohnten Grundstückes derart einwirken, dass dieser ein Verfahren gegen die Baugenehmigung anstrengt. Die Frage der Bestandskraft der Baugenehmigung kann daher im Normenkontrollverfahren auch dann sinnigerweise eine Zulässigkeitsvoraussetzung sein, wenn die Antragsteller nicht selbst befugt sind, gegen diese (mit Aussicht auf Erfolg) vorzugehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>c) Die Antragsteller können eine Antragsbefugnis auch nicht aus Art. 2 Abs. 2 GG ableiten. Es ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass lediglich obligatorisch Berechtigte unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 GG ihre Antragsbefugnis in Baunachbarstreitigkeiten begründen können. Ein solcher (Ausnahme-)Fall liegt aber evident nicht vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Obligatorisch Berechtigte können eine Antragsbefugnis aus Art. 2 Abs. 2 GG allenfalls dann herleiten, wenn es um die Abwehr von Gesundheitsgefahren geht. Hierbei ist allerdings Zurückhaltung geboten, denn auch in diesen Fällen ist die Zielrichtung des öffentlichen Bauplanungsrechts - die Schlichtung bodenrechtlicher Nutzungskonflikte - sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass obligatorisch Berechtigte auch in diesen Fällen Ansprüche gegenüber den Grundstückseigentümern haben, damit diese gegen derartige Beeinträchtigungen vorgehen. Eine Antragsbefugnis lässt sich daher aus Art. 2 Abs. 2 GG nur dann begründen, wenn es um die Abwehr akuter Gesundheitsgefahren geht (vgl. Schiller, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Auflage 2022, Rn. 18.742). Keinesfalls kann über den Umweg des Art. 2 Abs. 2 GG bei jedem gewöhnlichen Bauvorhaben, das etwa zu zusätzlichem Verkehrsaufkommen führt, eine Antragsbefugnis nur obligatorisch Berechtigter begründet werden; der ausdifferenzierte Nachbarschutz im öffentlichen Bauplanungsrecht wäre dann bloße Makulatur und weitgehend überflüssig. Erforderlich ist vielmehr, dass sich obligatorisch Berechtigte auf eine relevante Gesundheitsgefahr berufen können, die über die gewöhnliche Betroffenheit von Mietern durch Bauvorhaben hinausgeht; notwendig sind konkrete Gesundheitsgefahren (Schenke, in: Kopp/Schenke, 26. Auflage 2020, § 42 Rn. 97 bezeichnet die Klagebefugnis obligatorisch Berechtigter daher als „denkbar, allerdings praktisch kaum relevant“). Bloße Störungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens ohne gesundheitsschädliche Relevanz fallen hingegen nicht unter den durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Schutz der Gesundheit (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.02.1995 - 3 S 3407/94 - juris; vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 13.10.1989 - Bs II 44/89 - NVwZ 1990, 379). Das Bundesverwaltungsgericht ist etwa bei der Baugenehmigung für ein Zwischenlager, in dem Transportbehälter für bestrahlte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren (LWR-Brennelemente) aufbewahrt werden sollen, davon ausgegangen, dass es nicht offensichtlich ausgeschlossen sei, dass der lediglich obligatorisch Berechtigte in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt sein kann (BVerwG, Urt. v. 11.05.1989 - 4 C 1.88 - juris Rn. 20).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Nach diesen Grundsätzen können die Antragsteller ihre Antragsbefugnis evident nicht aus Art. 2 Abs. 2 GG herleiten. Eine Gesundheitsgefährdung durch Lärmbelästigung, insbesondere Verkehrslärm, behaupten die Antragsteller bereits nicht. Sie behaupten schon nicht nachvollziehbar, dass sie durch das Bauvorhaben unzumutbaren Lärmimmissionen (was unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr liegen würde) ausgesetzt sind. Ihr Vortrag enthält keinerlei Anhaltspunkte hierzu, was etwa durch Bezugnahme auf oder Kritik an (vorhandenen) Prognosen möglich wäre, die die These der Antragsteller, soweit für die Kammer ersichtlich, im Übrigen gerade nicht stützen. Vielmehr stellen sie darauf ab, dass eine „Konfliktlage“ durch zusätzliche Lärmbelästigung nicht planerisch aufgelöst worden sei - womit wohl auf das erfolgreiche Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan „P.-O. 2“ vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Bezug genommen wird; eine Lärmbeeinträchtigung der Antragsteller hatte für das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aber nur insoweit Bedeutung, als es zur Begründung der Antragsbefugnis herangezogen wurde. Dafür, dass der Bebauungsplan wegen materieller Mängel für unwirksam erklärt wurde, hatte die von den Antragsgegnern gerügte Lärmbelästigung keinerlei Bedeutung. Die ohne jede Substanz behauptete „Möglichkeit der unzumutbaren Beeinträchtigung durch Verkehrslärm“ durch die Baugenehmigung ist nicht geeignet, die Möglichkeit einer konkreten Gesundheitsgefährdung zu begründen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>2. Eine Antragsbefugnis kann auch nicht aus gewillkürter Prozessstandschaft der Antragsteller hergeleitet werden. Ein solche ist im Verwaltungsprozess im Hinblick auf § 42 Abs. 2 VwGO grundsätzlich nicht zulässig, soweit gesetzlich nichts Anderes bestimmt ist, was im Anfechtungsstreit um eine Baugenehmigung nicht der Fall ist (OVG Niedersachsen, Urt. v. 26.07.2012 - 1 LC 130/09 - juris Rn. 58; VG Regensburg, Beschl. v. 10.03.2014 - RO 2 S 14.341 - juris Rn. 24; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 26.10.1995 - 3 C 27.94 - juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.06.2022 - 1 S 1865/20 - juris Rn. 109; Sennekamp, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 42 VwGO Rn. 179). Die am 22.06.2022 unterzeichnete Erklärung des Eigentümers, dass seine Rechte durch die Antragsteller geltend gemacht werden können, ist daher unbeachtlich.</td></tr></table><table><tr><td>III.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, denn diese hat mangels Antragstellung kein Kostenrisiko auf sich genommen (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach dieser Nummer ist bei der Klage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung ein Streitwert zwischen 7.500 EUR und 15.000 EUR festzusetzen, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar ist. Dem folgend gehen die Baurechtssenate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg davon aus, dass bei der Klage eines Nachbarn gegen die Baugenehmigung für ein Ein- oder (kleineres) Mehrfamilienwohnhaus im Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 10.000 EUR festzusetzen ist (Beschl. v. 13.08.2014 - 8 S 979/14 - ZfBR 2014, 704; Beschl. v. 27.08.2014 - 3 S 1400/14 - juris). Der Antrag der Antragsteller richtet sich gegen fünf Wohnhäuser mit zusammen 125 Wohnungen, sodass der obere Wert des im Streitwertkatalog vorgegebenen Rahmens auszuschöpfen ist. Eine Erhöhung hat deswegen auszuscheiden, da sie alle im Objekt desselben Grundeigentümers wohnen. Da sich die Antragsteller gegen die Errichtung, nicht nur die Nutzung des Vorhabens wenden, wird die Hauptsache faktisch vorweggenommen, so dass eine Reduzierung dieses Werts nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs nicht in Betracht kommt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 01.04.2019 - 5 S 2102/18 - juris Rn. 18).</td></tr></table></td></tr></table>
346,290
vg-dusseldorf-2022-08-05-12-l-144422a
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12 L 1444/22.A
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-24T10:01:11"
"2022-10-17T11:09:25"
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0805.12L1444.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit der Einzelrichterin für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt sich aus § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 30. Juni 2022 sinngemäß gestellte Antrag,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 4794/22.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Juni 2022 anzuordnen,</strong></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist zwar zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Antragsteller hat auch die Wochenfrist zur Stellung des Antrags gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingehalten, denn der in der Hauptsache angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ist ihm am 29. Juni 2022 gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt worden.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides vom 23. Juni 2022 nach § 80 Abs. 5 VwGO liegen im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu diesem Maßstab: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. August 2016 – 12 L 2625/16.A -, juris, Rn. 7, und vom 7. Dezember 2015 – 12 L 3592/15.A –, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus, denn die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides begegnet bei Anlegung dieses Maßstabes derzeit keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Es liegt ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung (im Folgenden: Dublin III-Verordnung) wird der Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig. Dies folgt aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-Verordnung. Danach ist für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz der Mitgliedstaat zuständig, dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Der Antragsteller hat aus einem Drittstaat kommend die italienische Grenze illegal überschritten. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der Abfrage der Eurodac-Datenbank, die für den 19. Februar 2022 einen Treffer der Kategorie 2 für Italien ergeben hat (Eurodac-Treffer: IT2TS02CFC). Die Ziffer „2“ steht für den Fall eines Drittstaatsangehörigen, der beim illegalen Überschreiten der EU-Außengrenze aufgegriffen wurde (vgl. Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013, ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 1).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit Italiens ist noch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung erloschen. Danach endet die Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Maßgeblich ist dabei gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-Verordnung die Situation, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Der Antragsteller hat am 6. April 2022 und damit innerhalb von zwölf Monaten nach dem illegalen Grenzübertritt erstmals in Deutschland einen förmlichen Asylantrag gestellt. Italien ist insofern nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a) Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 Dublin III-Verordnung aufzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin hat Italien rechtzeitig um Aufnahme des Antragstellers ersucht. Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 2 i.V.m. Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung bestimmt, dass ein Aufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Eurodac-Treffermeldung zu stellen ist. Diese Frist ist im vorliegenden Fall eingehalten. Das Bundesamt hat Italien am 22. April 2022 und damit innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung am 15. März 2022 um Aufnahme des Antragstellers ersucht.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung steht nicht entgegen, dass Italien auf das Aufnahmegesuch nicht geantwortet hat. Vielmehr ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, wenn innerhalb der hier gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-Verordnung maßgeblichen Frist von zwei Monaten keine Antwort erteilt wird. Dies zieht die Verpflichtung nach sich, den Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Zuständigkeit Italiens ist auch noch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Nach dieser Vorschrift gilt: Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist war zu dem Zeitpunkt, als der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt hat, noch nicht abgelaufen und ist seitdem unterbrochen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die (fiktive) Annahme des Aufnahmegesuchs am 23. Juni 2022 lag bei Antragstellung am 30. Juni 2022 weniger als sechs Monate zurück. Bei einem – wie hier – rechtzeitig gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung wird die Überstellungsfrist kraft Gesetzes unterbrochen (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) und erst mit dem ablehnenden Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erneut in Lauf gesetzt.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15/15 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2238/15.A –, juris, Rn. 24ff.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-Verordnung. Nach diesen Vorschriften gilt: Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">In Bezug auf Italien liegen derzeit keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation des Antragstellers systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-Verordnung die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – Genfer Flüchtlingskonvention – sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81 f., und – C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 84 f.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Asylsystem der Überstellung eines Asylsuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Dublin-III VO unvereinbar.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 84 und 91 f.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Art. 4 EU-Grundrechtecharta steht der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, Rn. 85 und 98.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Dies gilt aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters des Art. 4 EU-Grundrechtecharta in allen Situationen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Asylsuchender bei oder infolge seiner Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfährt. Dementsprechend ist es für die Anwendung des Art. 4 EU-Grundrechtecharta unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss zu einer solchen Behandlung kommt und ob systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen des Asylsystems in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87, 88 und 90, und – C-297/17 u.a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 87,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">oder ob es unabhängig vom Vorliegen solcher Schwachstellen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Ein Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. gegen den diesem entsprechenden Art. 3 EMRK liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und – C-541/17 (Hamed und Omar) -, juris, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 29 ff., m. w. N., wonach ein Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können, ferner Urteile vom 26. Januar 2021- 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30, und – 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, reicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass den Rechten, die die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9, sog. Qualifikationsrichtlinie) sowie die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie) Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, einräumen, die tatsächlichen Wirkungen genommen würden, wenn sie selbst während einer relativ kurzen Zeitspanne nicht mit einer Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse einhergingen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 – C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 – C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend ist die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-Verordnung auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Dem Antragsteller droht für den Fall seiner Überstellung nach Italien nicht die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 EU-Grundrechtecharta oder Art. 3 EMRK.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Das Gericht geht auf der Grundlage der vorliegenden aktuellen Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen davon aus, dass der Antragsteller in Italien weder während des Asylverfahrens noch auf absehbare Zeit nach einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird, in der er seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht wird befriedigen können. Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des OVG NRW an.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Juli 2022 – 11 A 1497/21.A -, S. 11 ff. des Beschlussabdrucks, und vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A -, juris, Rn. 58 ff.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das OVG NRW hat in seinem Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A – (juris, Rn. 62-85) folgendes ausgeführt:</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">„Mit Urteil vom 20. Juli 2021 hat der Senat entschieden, dass ein Kläger, der vor seiner Antragstellung in Deutschland einen Asylantrag in Italien gestellt hat, im Falle einer im Rahmen des Dublin-Verfahrens erfolgenden Rücküberstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Aufnahmeeinrichtung und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 vorliegen. Danach kann der zuständige Präfekt die Aberkennung von Betreuungsmaßnahmen anordnen, wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin im zugeteilten Empfangszentrum nicht erscheint oder dieses ohne vorherige Mitteilung verlässt (Art. 23 Nr. 1a) oder wenn der Asylantragsteller/die Asylantragstellerin nicht zur Anhörung erscheint, obwohl er/sie darüber informiert worden ist (Art. 23 Nr. 1 b).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 60 ff. m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Situation eines Klägers, der - wie hier - in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllt, stellt sich dagegen anders dar. Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh besteht für ihn nicht. Die vorliegenden, im Internet allgemein zugänglichen Erkenntnisse lassen nicht den Schluss zu, ein solcher Kläger werde während der Dauer des Asylverfahrens die elementaren Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einer zumindest noch zumutbaren Weise befriedigen können.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Es ist davon auszugehen, dass ein Kläger, der in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat und die Voraussetzungen des Art. 23 Nr. 1 der Gesetzesverordnung („decreto legislativo“) Nr. 142/2015 vom 18. August 2015 nicht erfüllt, im Zuge der Rücküberstellung bei der Grenzpolizei einen förmlichen Asylantrag stellen kann,</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 29,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">der in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft wird.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Asylverfahren im Einzelnen: SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 25 ff.; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 46 ff.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Nach der Antragstellung wird er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entweder in einer Erstaufnahmeeinrichtung (CAS = centri di accoglienza straordinaria) oder - im Rahmen der zur Verfügung stehenden Plätze - in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI = Sistema di accoglienza e di integratione) untergebracht werden.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 54 ff., gestützt auf: Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 3, und SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., sowie SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Aktuelle Entwicklungen, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 10; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 100, www.asylumineurope.org; s. dazu auch Art. 4 des Gesetzesdekrets vom 18. Oktober 2020, abgedruckt in Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana vom 21. Oktober 2020, www.gazzettaufficiale.it; und hierzu auch EGMR, Urteil vom 23. März 2021 No. 46595/19, Rn. 33, https://hudoc.echr.coe.int.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Italien verfügt grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten. Im Januar 2019 existierten bei rückläufiger Zahl der Asylanträge von 59.950 im Jahr 2018, 43.770 im Jahr 2019 und 26.535 im Jahr 2020,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">vgl. Europäisches Parlament, Zahl der Asylsuchenden und Flüchtlinge in der EU, https://www.europarl.europa.eu/infographic/welcoming-europe/index_de.html#filter=2020-it,</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">insgesamt 173.603 Plätze in staatlichen Erst- und Zweitaufnahmeeinrichtungen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 24.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Dass diese Kapazitäten derzeit aufgrund der in erheblicher Zahl in Italien eintreffenden Flüchtlinge aus der Ukraine,</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 4: bis März 2022 ca. 72.000,</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">nicht ausreichten, wird nicht berichtet. Berichten zufolge kommen die ukrainischen Flüchtlinge überwiegend bei Verwandten und Freunden oder anderweitig privat unter. Darüber hinaus stellte der Katastrophenschutz Erstaufnahmeplätze für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. ZDF heute, Ukraine Flüchtlinge, Hilfsbereitschaft auf Italienisch, vom 20. März 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/fluechtlinge-italien-ukraine-krieg-russland-100.html; RAI Tagessschau, 35.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Italien, vom 14. März 2020, https://www.rainews.it/tgr/tagesschau/articoli/2022/03/tag-fluechtlinge-ukraine-italien-draghi-786ba9a9-2fdd-420a-9900-a57e643b9ebe.html.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung ist regelmäßig für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens gewährleistet,</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 106, www.asylumineurope.org,</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">und stellt jedenfalls eine Minimalversorgung sicher,</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., sowie SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Aktuelle Entwicklungen, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 6 f.; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 138, www.asylumineurope.org; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 107 ff., www.asylumineurope.org.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">die eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. Auch der Zugang zum italienischen Gesundheitssystem ist jedenfalls für Asylsuchende, deren Asylantrag formell registriert ist („verbalizzazione“) und die mit der Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung über einen Wohnsitz verfügen, gewährleistet.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 77 f.“</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Dem schließt sich das Gericht für das vorliegende Verfahren an. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien noch keinen Asylantrag gestellt hat. Dies ergibt sich zum einen aus dem Ergebnis der Abfrage der Eurodac-Datenbank, die für den 19. Februar 2022 lediglich einen Treffer der Kategorie 2 für Italien ergeben hat (Eurodac-Treffer: IT2TS02CFC). Der Antragsteller hat zum anderen bei seinem Aufgriff durch die Bundespolizei in Rosenheim angegeben, er komme aus Italien und sei dort 20 Tage in Quarantäne gewesen. Sein Reiseziel sei Deutschland gewesen, aber er sei von der Polizei in Triest festgenommen worden. Der Antragsteller hat zudem ein Einladungsschreiben der Polizei Triest vom 19. Februar 2022 vorgelegt, mit dem er aufgefordert wird, am 7. März 2022 um 9.30 Uhr bei der Ausländerbehörde des Polizeihauptquartiers zu erscheinen, aus Gründen, die sich auf die Beurteilung seiner Eigenschaft als im Inland ansässiger Ausländer beziehen. Im Falle der Nichtbeachtung dieser Aufforderung werde er den Justizbehörden gemeldet und gelte in rechtlicher Hinsicht als unrechtmäßig im Hoheitsgebiet anwesend.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Es liegen damit weder Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller in Italien einen Asylantrag gestellt hat, noch dafür, dass er bereits in einer Erst- oder Zweitaufnahmeeinrichtung untergebracht war. Hierfür hat der Antragsteller auch nichts Substantiiertes vorgetragen. Der Hinweis darauf, dass er sich 20 Tage lang in Triest aufgehalten habe, ist insoweit unergiebig.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller wird in Italien auch nach einer Zuerkennung internationalen Schutzes nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen auf absehbare Zeit in eine Situation extremer materieller Not geraten, in der er seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht wird befriedigen können.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Die Situation anerkannter Schutzberechtigter im zuständigen Mitgliedstaat ist auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 76 ff.; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2019 – 2 BvR 721/19 -, juris, Rn. 20 ff.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Das OVG NRW hat in seinem Beschluss vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A – (juris, Rn. 86-124) folgendes ausgeführt:</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">„Mit weiterem Urteil vom 20. Juli 2021 hat der Senat entschieden, dass ein Kläger, der vor seiner Weiterreise nach Deutschland in Italien bereits internationalen Schutz erhalten hat, im Falle einer Rücküberstellung auf sich selbst gestellt ist, und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Zugang zu einer Unterkunft - einer Zweitaufnahmeeinrichtung - und der damit verbundenen Versorgung haben wird, wenn er entweder die nach Art. 38 und 39 der im Anhang beigefügten Richtlinien („Allegato A: Linee guida per il funzionamento del sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“, im Folgenden: SIPROIMI-Richtlinien, abgedruckt in Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana vom 4. Dezember 2019, www.gazzettaufficiale.it) maximal vorgesehene Unterbringungsdauer bereits erreicht hatte oder nach Art. 40 dieser Richtlinie die Voraussetzungen für eine Entziehung des Rechts auf Unterkunft in einem SIPROIMI-Projekt erfüllt, insbesondere weil er in der zugewiesenen Unterkunft nicht vorstellig geworden oder sie ohne behördliche Erlaubnis für länger als 72 Stunden verlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 35, 40 ff.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Ferner werde er in Italien innerhalb kurzer Zeit nach seiner Rückkehr, worauf es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach bereits eine kurzfristige Obdachlosigkeit die Schwelle des Art. 4 GRCh überschreitet,</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.,</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">ankommt, auch keine andere menschenwürdige Unterkunft finden,</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 96 ff.;</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">insbesondere werde er sich in Anbetracht der Situation auf dem italienischen Arbeitsmarkt jedenfalls nicht innerhalb kurzer Zeit aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern versorgen können,</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 102 ff.,</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen und keine seine elementaren Bedürfnisse befriedigende Unterstützung von Hilfsorganisationen erhalten.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 137 ff.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Auch an dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Situation eines Klägers, der - wie hier zu unterstellen - erst nach seiner Rücküberstellung in Italien als international schutzberechtigt anerkannt wird, stellt sich dagegen anders dar. Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 GRCh besteht für ihn nicht. Die vorliegenden, im Internet allgemein zugänglichen Erkenntnisse lassen nicht den Schluss zu, ein solcher Kläger werde die elementaren Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) auf absehbare Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einer zumindest noch zumutbaren Weise befriedigen können.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Es ist davon auszugehen, dass er nach Zuerkennung des internationalen Schutzstatus mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit jedenfalls für sechs Monate einen Platz in einer staatlichen Zweitaufnahmeeinrichtung erhält und damit nicht allein auf sich gestellt.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">In Italien anerkannte Schutzberechtigte haben seit dem Inkrafttreten des Gesetzes („legge“) Nr. 173/2020 vom 18. Dezember 2020, das das Gesetzesdekret („decreto legge“) Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020 modifiziert und bestätigt hat (im Folgenden: Gesetz Nr. 173/2020), Zugang zum als „SAI“ bezeichneten Zweitaufnahmesystem. Das gesetzliche Regelwerk (Gesetz Nr. 173/2020, Art. 4) sieht vor, dass der Zugang zu den Zweitunterkünften „im Rahmen der verfügbaren Plätze“ erfolgt. Insofern steht Schutzberechtigten kein unbedingter Anspruch auf Zugang zum SAI-System zu, sondern es handelt sich um eine Möglichkeit der Unterbringung, die von weiteren Bedingungen abhängig ist. Neue Richtlinien zur Regelung des seit dem Gesetz Nr. 173/2020 geltenden SAI-Systems sind bisher nicht herausgegeben worden. Insofern sind weder hinsichtlich des Zugangs von Schutzberechtigten zu den Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI, vormals SIPROIMI, davor SPRAR = Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) noch hinsichtlich der Dauer der Unterbringung noch in Bezug auf den Verlust des Rechts auf Zugang zu diesen Einrichtungen Änderungen eingetreten. Anträge für eine Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (nunmehr des SAI-Systems, vormals SIPROIMI) müssen an den „Servizio Centrale“, einen vom Innenministerium eingesetzten Zentralservice, der von der nationalen Vereinigung der italienischen Gemeinden (ANCI) verwaltet wird, gerichtet werden. Die Anträge mit dem entsprechenden Formular werden hauptsächlich von der Präfektur oder der Questura, manchmal auch von Anwältinnen oder Anwälten, beim „Servizio Centrale“ eingereicht. Dieser beurteilt den Antrag und sucht - falls die Person, für die der Antrag gestellt wurde, ein Anrecht auf Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) hat - einen freien Platz in einem der Projekte. Wenn ein Platz frei ist, wird die Person sofort dort einquartiert. Der „Servizio Centrale“ ist der einzige Akteur, der einen Überblick über die Projekte und die freien Plätzen in den Projekten hat. Die freien Plätze ändern sich beinahe täglich und werden nicht öffentlich kommuniziert. Für „reguläre“ Fälle, über deren Asylgesuch positiv entschieden worden ist (neue Schutzstatusinhaber), stehen normalerweise Plätze zur Verfügung, ein Platz kann jedoch nicht garantiert werden. Es gibt keine Warteliste. Wenn ein Antrag auf Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) bewilligt worden ist und es keinen freien Platz gibt, wird diese Person nicht auf eine Warteliste gesetzt. Die Anwältin oder der Anwalt, die Questura oder Präfektur müssen einen Monat später einen neuen Antrag stellen, und dies so lange wiederholen, bis ein Platz für die jeweilige Person frei wird. In dieser Wartezeit steht der Person keine Unterkunft zur Verfügung.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 39 ff. unter Verweis auf: Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 2 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., 54 f.; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 10, https://www.fluechtlingshilfe.ch; AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 182 f., www.asylumineurope.org; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 8, m. w. N.; vgl. auch SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 3.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Der für die SIPROIMI-Zweiaufnahmeeinrichtungen geltende Erlass („decreto“) des Innenministers vom 18. November 2019 sieht in Art. 38 Nr. 1 der SIPROIMI-Richtlinien vor, dass die Unterbringung in einem SIPROIMI-Projekt - vorbehaltlich der in dem nachfolgenden Artikel vorgesehenen Fälle - auf eine Dauer von sechs Monaten beschränkt ist. Ausweislich des Art. 39 Nr. 1 SIPROIMI-Richtlinien kann die Unterbringung um weitere sechs Monate verlängert werden, etwa wenn die weitere Unterbringung für die Integration unerlässlich ist oder außerordentliche Umstände wie Gesundheitsprobleme oder Vulnerabilitäten vorliegen. In Art. 39 Nr. 2 SIPROIMI-Richtlinien ist noch eine weitere Verlängerung um sechs Monate vorgesehen, falls anhaltende, angemessen dokumentierte Gesundheitsprobleme bestehen oder um ein Schuljahr zu beenden.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 47 ff. unter Verweis auf SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 55; und AIDA, Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 182 f., www.asylumineurope.org.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass nach Italien zurückgeführte Schutzsuchende auch nach einer Zuerkennung des internationalen Schutzstatus im Regelfall für (mindestens) sechs Monate Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung finden. Dass ein solcher Unterbringungsplatz nicht garantiert werden und in Einzelfällen eine Wartezeit entstehen kann, lässt nicht auf systemisch begründete Mängel des italienischen Aufnahmesystems schließen.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Unterbringung für jedenfalls sechs Monate gibt gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen die Möglichkeit, Integrationsleistungen in Anspruch zu nehmen und sich auf dem italienischen Arbeits- und Wohnungsmarkt zurechtzufinden. Diese Übergangszeit unterscheidet die Situation eines „Dublin-Rückkehrers“, der in Italien vor seiner Weiterreise nach Deutschland noch keinen Asylantrag gestellt hatte und in Italien zunächst in einer Erst- sowie nach unterstellter Schutzgewährung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung untergebracht wird, von der Situation zurückgeführter Asylantragsteller oder international Schutzberechtigter, die ihr Recht auf Unterbringung im Erst- oder Zweitaufnahmesystem zwischenzeitlich verloren haben und deshalb bereits unmittelbar nach ihrer Rückführung auf sich allein gestellt sind.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">International Schutzberechtigte erhalten während der Unterbringung in den Zweitaufnahmeeinrichtungen (jetzt des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) über einen Zeitraum von sechs Monaten integrationsfördernde Maßnahmen wie Sprachkurse und Weiterbildungen. Art. 5 des Gesetzes Nr. 173/2020 sieht zusätzliche Integrationsmaßnahmen vor, die am Ende des Aufnahmezeitraums im SAI-Netzwerk umgesetzt werden. Zu diesen Maßnahmen gehören Sprachkurse und eine Orientierung zur Arbeitsvermittlung. Die Angebote werden den zuständigen Verwaltungen im Rahmen ihrer jeweiligen personellen und finanziellen Ressourcen anvertraut.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 104 ff. unter Verweis auf: Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Stand: 06/2020, S. 16 f., www.Raphaelswerk.de; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 10; Auskunft der SFH an OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 2.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Personen mit internationalem Schutz können sich bei lokalen Arbeitsämtern anmelden und werden nach einer Registrierung u. a. über Stellenangebote informiert. Aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen in Italien ist es für international Schutzberechtigte schwer, Arbeit zu finden. Geringe Sprachkenntnisse und fehlende Qualifikationen oder Probleme bei der Anerkennung von Qualifikationen erschweren die Arbeitssuche zusätzlich. Schwarzarbeit ist sehr verbreitet. Viele Flüchtlinge arbeiten in der Landwirtschaft, z. B. in der saisonalen Erntearbeit, meist unter prekären Arbeitsbedingungen, und werden Opfer von Ausbeutung. Zudem hatte sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage in den Jahren 2020 und 2021 weiter verschärft.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 108 ff. unter Verweis auf: Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Stand: 06/2020, S. 16 f., www.Raphaelswerk.de; ACCORD, Auskunft an Hess. VGH vom 18. September 2020, S. 10.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Derzeit ist die Situation weiter angespannt, wobei eine leichte Verbesserung erkennbar ist.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Arbeitslosenquote in Italien betrug im Mai 2021 10,5%, für das Jahr 2021 insgesamt rund 9,5%. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Mai 2021 bei 33,7%; für das Jahr 2021 insgesamt bei 29,7%.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 - 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 116 ff.; Statista, Internationale Länderdaten, Europa, https://de.statista.com; Wirtschaftskammer Österreich, Statistik, http://wko.at/statistik/extranet/bench/jarb.pdf.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Im Mai 2022 betrug die Arbeitslosenquote 8,1%, für das Jahr 2022 insgesamt wird eine Quote von 9,36% prognostiziert. Die Jugendarbeitslosenquote lag im Mai 2022 - gegenüber dem Vorjahr deutlich verringert - bei 20,5%.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Vgl. Statista, Internationale Länderdaten, Europa, https://de.statista.com.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Insgesamt beginnt die italienische Volkswirtschaft, sich von den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu erholen. Das Vorkrisenniveau ist aber noch nicht wieder erreicht. Das nationale Statistikinstitut Istat zählt seit März 2020 535.000 neue Arbeitnehmer, von denen sich 97% in befristeten Arbeitsverhältnissen befinden.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. Handelsblatt, vom 27. Mai 2022, https://www.handelsblatt.com/politik/international/arbeitsmarkt-in-spanien-und-italien-gibt-es-so-viele-jobs-wie-nie-doch-das-ist-nicht-nur-eine-gute-nachricht/28370868.html.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Viele Arbeitsplätze stehen, selbst wenn sie legal vergeben werden, nur saisonal zur Verfügung. Die italienische Landwirtschaft, der Tourismus und die Gastronomie suchen Saisonkräfte. Im Juni 2022 wurden in diesen Branchen insgesamt rund 390.000 saisonale Arbeitskräfte gesucht.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">Vgl. ORF, Italien fehlen 100.000 Saisonarbeiter auf Feldern, vom 3. Juni 2022, https://orf.at/stories/3269437/.</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">Nach Erkenntnisse der Europäischen Kommission besteht in Italien saisonunabhängig derzeit ein Bedarf an rund 43.000 ungelernten Arbeitskräften. Darüber hinaus gebe es freie Stellen vor allem für Ingenieure und Informatiker, im Handels- und Dienstleistungsbereich sowie für Facharbeiter und Anlagenführer. Die größte Nachfrage nach Arbeitskräften bestehe im Nordwesten und Nordosten des Landes.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">Vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen: Italien, <span style="text-decoration:underline">https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-</span>working/labour-market-information/labour-market-information-italy_de, abgerufen am 9. Juli 2022.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">Damit stellt sich die Situation international Schutzberechtigter auf dem italienischen Arbeitsmarkt weiterhin als ausgesprochen schwierig dar.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch: SFH, Auskunft an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 29. April 2022, S. 10.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Sie erweist sich aber, auch unter der Prämisse, dass international Schutzberechtigte nicht auf die Möglichkeit der Schwarzarbeit zu verweisen sind,</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Urteile vom 20. Juli 2021 - 11 A 1689/20.A -, juris, Rn. 137, und 11 A 1674/20.A -, juris, Rn. 136,</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">nicht als derart aussichtslos, dass es Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wird, innerhalb der Übergangszeit von (mindestens) sechs Monaten, die ihnen mit der Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung zur Verfügung steht, unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen könnte, eine Beschäftigung zu finden, mit der sie ihre elementaren Bedürfnisse sichern können. Innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten besteht die realistische Möglichkeit, die im Rahmen des Zweitaufnahmesystems verfügbare Unterstützung bei der Integration in Anspruch zu nehmen, sich auf dem italienischen Arbeitsmarkt zu orientieren und bei landesweiter Suche eine Beschäftigung zu finden, die den Lebensbedarf jedenfalls einer alleinstehenden erwachsenen Person auf elementarem Niveau sichert.“</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Das Gericht schließt sich auch diesen Ausführungen für das vorliegende Verfahren an.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Individuelle, in der Person des Antragstellers liegende besondere Gründe, die im Falle der Rückkehr nach Italien als Asylbewerber oder im Falle der Zuerkennung internationalen Schutzes hinsichtlich der dann zu erwartenden Lebensverhältnisse auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK schließen lassen, liegen nicht vor. Bei dem Antragsteller handelt es sich um einen erwerbsfähigen jungen Mann, der sich den – zugegeben – schwierigen Verhältnissen in Italien wird stellen können, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Beeinträchtigungen seiner Leistungsfähigkeit hat er nicht geltend gemacht.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen auch im Übrigen keine Bedenken, so dass die Abschiebung des Antragstellers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Einer Überstellung des Antragstellers nach Italien stehen nach derzeitigem Kenntnisstand keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes aus § 60 Abs. 5 AufenthG ist nach dem zuvor Gesagten nichts ersichtlich. Es liegt auch kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Ein der Abschiebung nach Italien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre, ist derzeit ebenfalls nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die trotz der Zuständigkeit Italiens eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht aus Art. 17 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch zu machen, liegen nach allem nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,219
vghbw-2022-08-05-2-s-121422
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2 S 1214/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:51"
"2022-10-17T11:09:15"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. April 2022 - 2 K 48/22 - wird abgelehnt.</p><p>Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13.04.2022 hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Mit diesem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin abgewiesen, mit der diese begehrt hat, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 01.07.2021 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 07.12.2021 zu verpflichten, sie rückwirkend ab September 2017 von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine (rückwirkende) Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 1 RBStV. Denn sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum keine der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 und Nr. 10 Alt. 2 RBStV genannten Sozialleistungen bezogen und gehöre auch nicht zu dem von § 4 Abs. 1 Nr. 9 und 10 Alt. 1 RBStV erfassten Personenkreis. Der von ihr durch die vorgelegten Leistungsbescheide geltend gemachte zeitweise Bezug von Wohn- bzw. Arbeitslosengeld sei nicht im Katalog der Befreiungstatbestände nach § 4 Abs. 1 RBStV genannt; § 4 Abs. 1 RBStV könne insoweit auch nicht erweiternd ausgelegt werden, da diese Regelung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20, juris Rn. 21) abschließend sei. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine (rückwirkende) Befreiung unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 RBStV.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der jeweils dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl. 2004, 838). Es kommt dabei darauf an, ob vom Antragsteller ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt worden ist, dass der Erfolg des Rechtsmittels mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - DVBl. 2004, 822 und vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - DVBl. 2000, 1458). Dazu müssen zum einen die angegriffenen Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen - zumindest im Kern - zutreffend herausgearbeitet werden (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.1997 - 8 S 1040/97 - VBlBW 1997, 299). Zum anderen sind schlüssige Bedenken gegen diese Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen aufzuzeigen, wobei sich der Darlegungsaufwand im Einzelfall nach den Umständen des jeweiligen Verfahrens richtet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.02.1998 - 7 S 216/98 - VBlBW 1998, 378 mwN), insbesondere nach Umfang und Begründungstiefe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwändige Ermittlungen ermöglicht (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 30.06.2006 - 5 B 99.05 - juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>b) Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufgezeigt. Sie macht zu Unrecht geltend, in ihrem Fall lägen die Voraussetzungen für eine Befreiung aufgrund eines Härtefalls nach § 4 Abs. 6 RBStV vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV hat die Landesrundfunkanstalt unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten (§ 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass im Fall der Klägerin nicht von einem besonderen Härtefall auszugehen ist, der einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht begründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>aa) Die Klägerin hat keinen Bescheid im Sinne des § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV vorgelegt, mit dem eine Sozialleistung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 RBStV mit der Begründung versagt wurde, die Einkünfte überschritten die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>bb) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung der Klägerin von der Rundfunkbeitragspflicht gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV nicht vorliegen. Ein besonderer Härtefall im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht darin, dass einem Rundfunkteilnehmer aufgrund seines geringen Einkommens und Vermögens zwar zur Befreiung führende Sozialleistungen zustünden, er aber den hierfür erforderlichen Antrag nicht stellen will, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2021 - 2 S 3512/21 - n.v.; Beschluss vom 09.11.2018 - 2 S 1874/18 - juris Rn. 13; zu der Vorgängerregelung des § 6 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags BVerwG, Beschluss vom 12.10.2011 - 6 C 34.10 - juris Rn. 21).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV handelt es sich nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen. Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt (zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20, juris Rn. 23).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Zwar kann auch in anderen Fällen als dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 RBStV der Schutz des Existenzminimums eine Rundfunkbefreiung wegen eines besonderen Härtefalls rechtfertigen. Eine solche Fallgestaltung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschlüsse vom 19.01.2022 - 1 BvR 1089/18 - juris Rn. 27 und - 1 BvR 2513/18 - juris Rn. 23) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20, juris Rn. 26) etwa bei Beitragsschuldnern vor, die ein den Regelleistungen entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen ausgeschlossen sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Verzichtet ein Rundfunkteilnehmer jedoch aus eigenem Entschluss trotz Vorliegens der Voraussetzungen auf die ihm mögliche und zumutbare Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 RBStV, so ist das Festhalten an dem gewählten gesetzlichen Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit, das der Verwaltungsvereinfachung dient, weil es den Rundfunkanstalten grundsätzlich eine mit schwierigen Berechnungen verbundene Bedürftigkeitsprüfung erspart (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 19.01.2022 - 1 BvR 1089/18 - juris Rn. 28 und - 1 BvR 2513/18 - juris Rn. 21; BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20, juris Rn. 21 und 27), nicht unbillig. Denn der Rundfunkteilnehmer hat es in diesem Fall grundsätzlich selbst in der Hand, durch einen entsprechenden Antrag auf Sozialleistungen eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zu bewirken (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2021 - 2 S 3512/21 - n.v.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.05.2022 - 2 A 2434/21 - juris Rn. 12; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21.01.2020 - 4 LA 286/19 - juris Rn. 6). Seine Schlechterstellung gegenüber den nach § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht befreiten Personengruppen beruht in diesem Fall auf einem sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 28.03.2022 - 5 Bf 226/21.Z - juris Rn. 13 ff.; OVG Saarland, Beschluss vom 28.04.2021 - 1 D 39/21 - juris Rn. 9 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.08.2020 - 7 D 10269/20.OVG - juris Rn. 6; vgl. allerdings auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 09.03.2022 - 5 D 57/21 - juris Rn. 5, das die Beantwortung dieser Frage im Prozesskostenhilfeverfahren als „nicht mehr völlig frei von Zweifeln und einfach gelagert“ beurteilt hat).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Dass der Klägerin die Stellung eines Antrags auf Sozialleistungen möglich und zumutbar war und ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt und hierzu ausgeführt, im Fall einer von der Klägerin als ungerecht empfundenen Behandlung durch die Leistungsträger stehe ihr der Rechtsweg zu den Sozialgerichten offen. Bloße Unannehmlichkeiten bei der Beantragung von Sozialleistungen, welche die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zudem nur pauschal behauptet habe, könnten es demgegenüber nicht rechtfertigen, von dem Grundsatz der Bescheidgebundenheit der Befreiung abzuweichen. Diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht entgegengetreten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>cc) Ungeachtet dessen hat sie auch den erforderlichen Nachweis, dass bei ihr die Voraussetzungen für einen Sozialleistungsbezug vorliegen bzw. im streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegen haben, nicht erbracht (vgl. zur Nachweispflicht § 4 Abs. 7 Satz 2 RBStV). Das Jobcenter hatte im Ablehnungsbescheid vom 29.08.2019 im Gegenteil ausdrücklich darauf verwiesen, dass sie durch ihr Einkommen in Höhe von 1.857,- EUR in Form von Krankengeld und den Bezug von Wohngeld „voraussichtlich höhere Leistungen anstelle der Leistungen nach dem SGB II erhalten“ werde. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Klägerin diesbezüglich entgegengehalten, sie sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weil sie die Berechnungsbögen der maßgeblichen Sozialleistungsbescheide trotz Aufforderung nicht vorgelegt habe. Berechtigt hat das Verwaltungsgericht auch auf einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 13.09.2019 verwiesen, wonach der Klägerin für den Zeitraum vom 08.07.2019 bis 06.07.2020 Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III in Höhe von monatlich 569,40 EUR bewilligt worden war. Dieser Bewilligungsbescheid konnte im Ablehnungsbescheid des Jobcenters vom 29.08.2019 noch keine Berücksichtigung finden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die zum Beleg der Bedürftigkeit erforderlichen Unterlagen hat die Klägerin auch im Zulassungsverfahren nicht nachgereicht. Die von ihr im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof als Anlage K1 bis K15 eingereichten Dokumente sind hierfür nicht ausreichend. So hat sie insbesondere keine Belege zu dem in der Antragsschrift behaupteten monatlichen Einkommen der Familie in Höhe von 1.830,- EUR vorgelegt, das nach ihren Angaben im Klageverfahren aus Einkünften ihres Ehemanns resultiere. Angaben zu eventuell vorhandenem Vermögen sind der Antragsschrift nicht zu entnehmen. Auch hat die Klägerin mit Ausnahme eines Kontoauszugs ihres Bausparvertrags keine Kontoauszüge ihrer Bankkonten und der ihres Ehemanns vorgelegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine fallübergreifende, bisher noch nicht grundsätzlich geklärte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung in einem Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung geboten erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.07.1984 - 9 C 46.84 - juris Rn. 12 ff., Beschluss vom 02.10.1961 - VIII B 78.61 - BVerwGE 13, 90, 91 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.2007 - A 16 S 1388/97 - AuAS 1997, 261, Beschluss vom 18.01.2007 - 13 S 1576/06 - juris Rn. 2). Dabei hat der Zulassungsantragsteller die Rechts- oder Tatsachenfrage, die grundsätzlich geklärt werden soll, zu bezeichnen und zu formulieren. In diesem Zusammenhang ist substantiiert zu begründen, warum sie für grundsätzlich, klärungsfähig und klärungsbedürftig gehalten wird und worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.11.2011 - 5 B 29.11 - juris Rn. 2; Stuhlfauth in Bader u.a., VwGO, 8. Aufl., § 124a Rn. 85). Ferner ist darzulegen, weshalb die Rechts- oder Tatsachenfrage entscheidungserheblich und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.01.1999 - 7 S 2408/98 - juris Rn. 4; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 124a Rn. 54).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die von der Klägerin aufgeworfenen Frage,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="19"/>„ob die Nummerierung der Fälle in § 4 Abs. 1 RBStV abschließenden Charakter hat oder nur beispielhaft für die möglichen Ausnahmetatbestände zur Zahlung des Rundfunkbeitrags steht“,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass die in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Befreiungstatbestände abschließend und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 - 6 C 10.18 - BVerwGE 167, 20, juris Rn. 21).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Auch die weitere, in der Antragsschrift formulierte Frage,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>„ob nach dem Wortlaut der Vorschrift [des § 4 Abs. 1 RBStV] die dort genannten Leistungen auch tatsächlich bezogen werden müssen, oder ob die tatsächliche Bedürftigkeit dazu ausreicht ohne einen etwaigen Antrag zu stellen“,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist bereits nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin eine Bedürftigkeit nicht nachgewiesen hat, wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt. Darüber hinaus lässt sich diese Frage anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Auch insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>3. Schließlich ist auch der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargelegt. Er setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommen. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn sich der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfälle deutlich abhebt und sich gerade die diesbezüglichen - nach wie vor offen oder unbeantwortet bzw. unzureichend beantwortet gebliebenen - Fragen im Berufungsverfahren stellen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21.09.2005 - 9 S 437/05 - NVwZ-RR 2006, 255 und vom 22.04.1997 - 14 S 913/97 - NVwZ 1997, 1230; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - NVwZ 2000, 1163).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kommt hier nicht in Betracht, weil die zu entscheidenden Rechtsfragen ohne Schwierigkeiten anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet werden können und die Rechtssache nicht die erforderliche Ergebnisoffenheit aufweist. Der Senat verweist auch hierzu auf die Ausführungen unter 1.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Entscheidung ist unanfechtbar.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,213
vg-dusseldorf-2022-08-05-18-l-62122
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18 L 621/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:46"
"2022-10-17T11:09:14"
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0805.18L621.22.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Der Antrag wird abgelehnt.</strong></p> <p><strong>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der  sinngemäße Antrag,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage 18 K 2708/22 gegen die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung X.       vom 2. März 2022 wiederherzustellen bzw. anzuordnen,</strong></p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, wenn die Behörde - wie hier in Ziffer 2 der mit der Klage angefochtenen Ordnungsverfügung - die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat bzw. wenn der Klage gegen eine Regelung bereits kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt - wie hier der Zwangsgeldandrohung nach § 112 JustG NRW -, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das diesbezügliche private Interesse der Antragstellerseite an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, ist von einem überwiegenden privaten Interesse auszugehen; erweist sich demgegenüber der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, ist in der Regel von einem überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht kein Anlass, der Klage 18 K 2708/22 aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen. Zunächst enthält die Ordnungsverfügung vom 2. März 2022 eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügende Begründung der im zweiten Tenorpunkt verfügten Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Bezirksregierung X.        (im Folgenden: Bezirksregierung) hat – getrennt von der sonstigen Begründung – dargelegt, aus welchen Gründen sie von einem besonderen Vollziehungsinteresse ausgeht. Insbesondere der Einzelfallbezug ist ausreichend hergestellt. Im Übrigen gelten in bestimmten Fällen ausnahmsweise geringere Begründungsanforderungen. Ergibt sich etwa die Dringlichkeit aus Gründen, die aufgrund der Erlassvoraussetzungen des in Rede stehenden Verwaltungsaktes für eine Vielzahl von Fällen gelten – weil unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles nahezu ausnahmslos von der Dringlichkeit der Vollziehung des Verwaltungsakts auszugehen ist –, so genügt zur Erfüllung des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 VwGO die Angabe dieser Gründe. Dies gilt umso mehr, wenn die für die Dringlichkeit sprechenden Gründe offensichtlich sind.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2020 - 6 B 1575/19 -, juris, Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">So liegt es hier. An der Erfüllung der Schulpflicht besteht per se ein dringendes öffentliches Interesse. Hierauf hat die Bezirksregierung in ihrer Begründung mit ihrem Hinweis auf die Erfüllung des staatlichen Bildungsauftrags abgestellt.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der danach anzustellenden Abwägungsentscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 2. März 2022 das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Nach der im vorliegenden Verfahren durchzuführenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht das Gericht davon aus, dass die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung vom 2. März 2022 offensichtlich rechtmäßig ist.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In formeller Hinsicht ist die angefochtene Verfügung nicht zu beanstanden. Insbesondere ist eine ordnungsgemäße Anhörung der Antragstellerin gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erfolgt, indem dieser von Seiten der Bezirksregierung mit Schreiben vom 14. Februar 2022 Gelegenheit zur Stellungnahme zum Erlass der beabsichtigten Ordnungsverfügung gegeben worden ist.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Verfügung erweist sich nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Rechtsgrundlage für die in Ziffer 1 Satz 1 des Bescheides der Bezirksregierung vom 2. März 2022 erlassene Schulbesuchsanordnung ist § 41 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 SchulG NRW. Nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW sind die Eltern dafür verantwortlich, dass ihr schulpflichtiges Kind am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt, und statten es angemessen aus. Zur Erfüllung dieser Pflicht können die Eltern nach § 41 Abs. 5 SchulG NRW von der Schulaufsichtsbehörde durch Zwangsmittel gemäß §§ 55 bis 65 VwVG NRW angehalten werden. Aus diesen Vorschriften ergibt sich nicht nur die Befugnis zur Verhängung von Zwangsmitteln, sondern auch die Ermächtigung zum Erlass von Verfügungen, mit denen Eltern Handlungspflichten zur Durchsetzung der Schulpflicht auferlegt werden.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">VG Düsseldorf, Urteil vom 9. Mai 2022 - 18 K 6216/21 - (n.v.), Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 18 L 2031/21 -, juris, Rn. 11 f. unter Verweis auf VG Münster, Beschluss vom 17. Juni 2016 - 1 L 180/16 -, juris, Rn. 11 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung; VG Köln, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 10 L 2014/20 -, juris; zu einer entsprechenden Regelung in Brandenburg: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2021 - OVG 3 M 4/21 -, juris, Rn. 4 sowie zu einer entsprechenden Regelung in Bayern, VG Ansbach, Beschluss vom 22. April 2022 - AN 2 S 22.00743 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die in diesen Regelungen enthaltenen Befugnisse begegnen entgegen der Ansicht der Antragstellerin zunächst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zu § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW: vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. April 2022 - 19 B 1918/21 -, juris, Rn. 16 ff. m.w.N. und 4. März 2022 - 19 B 1917/21 - juris, vom 23. Dezember 2020 - 19 B 1756/19 -, juris, Rn. 13 ff., vom 7. September 2018 - 19 A 33/18 -, juris, Rn. 4 und vom 24. August 2016 - 19 B 760/16, 19 E 555/16 -, juris, Rn. 6 f. unter Verweis auf das BVerfG und BVerwG sowie VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2022 - 9 L 59/22 -, juris, Rn. 13 f., VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 18 L 2031/21 -, juris, Rn. 13 f.; VG Köln, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 10 L 2014/20 -, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 23. Dezember 2020 – 19 B 1756/19 –, juris, Rn. 15 ff., mit Blick auf die entsprechenden Vorschriften des Grundgesetzes ausgeführt und in seinem Beschluss vom 28. April 2022 - 19 B 1918/21 -, juris, vertieft:</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">„Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur das natürliche Recht der Eltern, sondern auch „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Diese Pflicht kann der Landesgesetzgeber auch als öffentlich-rechtliche, also dem Staat gegenüber bestehende Pflicht ausgestalten, unter dessen „besondere[m] Schutze“ Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen. Außerdem obliegt den Eltern die Pflicht aus Abs. 2 Satz 1 nur „zuvörderst“, aber nicht ausschließlich, und haben sie nach Art. 7 Abs. 1 GG insbesondere die verfassungsrechtlich unbedenkliche allgemeine Schulpflicht hinzunehmen. Solange diese andauert, ist ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, unmittelbar in eigener Person und in pädagogischer Alleinverantwortung auf ihre Kinder einzuwirken, auf den außerschulischen Bereich beschränkt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. August 2015 - 1 BvR 2388/11 -, NVwZ-RR 2016, 281, juris, Rn. 17 f.; BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 12.12 -, NJW 2014, 804, juris, Rn. 21; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 6 B 27.09 -, NVwZ 2010, 525, juris, Rn. 3 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2016, a. a. O., Rn. 6.“</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Diesen Erwägungen schließt sich das Gericht an.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen erweist sich die Anordnung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW als rechtlich unbedenklich. Zunächst hat die gemäß § 41 Abs. 5 SchulG NRW i.V.m. § 88 Abs. 2 SchulG NRW zuständige Bezirksregierung die Anordnung zu Recht an die Antragstellerin als Adressatin gerichtet. Denn entsprechend den obigen Ausführungen ermächtigt § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW dazu, Eltern Handlungspflichten aufzuerlegen, und handelt es sich bei der Antragstellerin um die Mutter des Kindes, dessen Schulpflicht durchgesetzt werden soll. Ferner stellt sich der Inhalt der gegenüber der Antragstellerin in Ziffer 1 getroffenen Anordnung, nämlich dafür Sorge zu tragen, den Schulbesuch ihres minderjährigen und schulpflichtigen Sohnes K.      , der Schüler des H.     -C.       -Gymnasiums in X.        ist, ab sofort sicherzustellen, als hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW dar.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 18 L 2031/21 -, juris, Rn. 19; VG Köln, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 10 L 2014/20 -, juris, Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus bestand Anlass für eine solche Anordnung. Der Sohn der Antragstellerin, für den sie allein sorgeberechtigt ist und der nach den Angaben der Antragstellerin in dem vor dem erkennenden Gericht geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren 7 L 1811/21 im Schuljahr 2021/2022 die 8. Klasse besucht hat, ist gemäß §§ 34 Abs. 1 und 2, 35, 37 Abs. 1 SchulG NRW schulpflichtig. Die Schulpflicht ruht auch nicht gemäß § 40 SchulG NRW. Es liegt auch keine Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde nach § 40 Abs. 2 SchulG NRW vor. Dieser bestehenden Schulpflicht kommt der Sohn der Antragstellerin (unstreitig) seit dem 9. November 2021 überhaupt nicht mehr nach. Zuvor hat er im Schuljahr 2021/2022 nach Angaben des Antragsgegners lediglich an 18 von 48 Schultagen die Schule besucht und zwar maßgeblich aufgrund eines entsprechenden Willens der Antragstellerin. Der Sohn der Antragstellerin war auch nicht berechtigt, dem Präsenzunterricht fernzubleiben. Insoweit hatte er bereits am 18. Juli 2021 beim erkennenden Gericht im Verfahren 7 L 1811/21 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, mit dem er wegen der bestehenden Zahl der Corona-Infektionen im Gebiet der Stadt X. erstrebte, nicht im Präsenz-, sondern im Distanzunterricht beschult zu werden und am 24. November 2021 eine entsprechende Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 18 K 8019/21 beim erkennenden Gericht anhängig ist. Nachdem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss der 7. Kammer des erkennenden Gerichts vom 25. August 2021 abgelehnt worden war, legte der Sohn der Antragstellerin gesetzlich vertreten durch die Antragstellerin beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschwerde ein, das diese mit Beschluss vom 22. September 2021 im Verfahren 19 B 1458/21 zurückwies. Dennoch nahm der Sohn der Antragstellerin in der Folgezeit seit dem 9. November 2021 überhaupt nicht mehr am Präsenzunterricht der Schule teil.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die gegenüber der Antragstellerin erlassene Schulbesuchsanordnung erweist sich auch als verhältnismäßig, insbesondere geeignet.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf die Anforderungen, die an die Geeignetheit einer Anordnung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW zu stellen sind, ist es ausreichend, dass eine derartige Anordnung für die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks förderlich ist. Davon ist bei Erziehungsberechtigten, die mit dem betreffenden Schüler in häuslicher Wohngemeinschaft leben, regelmäßig schon deshalb auszugehen, weil sie über ständige und unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten verfügen. Ob die in Ausschöpfung dieser Möglichkeiten ergriffenen Maßnahmen erfolgreich sind, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit nicht relevant. Darüber hinaus wird von den Adressaten einer Schulbesuchsanordnung nicht verlangt, dass sie sich mit nicht legalen oder rechtlich fragwürdigen Mitteln für eine regelmäßige Teilnahme des schulpflichtigen Kindes am Unterricht und den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen einsetzen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. April 2022 - 19 B 1918/21 -, juris, Rn. 10, Beschluss vom 4. März 2022 - 19 B 1917/21 -, juris, Rn. 16 sowie Beschluss vom 7. September 2018 - 19 A 33/18 -, juris, Rn. 8.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Allerdings können sich Eltern nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei mit ihren Erziehungszielen nicht vereinbar, einen entgegenstehenden Willen ihres Kindes zu beugen. Denn das Grundgesetz selbst setzt die Bevormundung von Kindern notwendigerweise voraus.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2022 - 9 L 59/22 -, juris, Rn. 23 f. unter Bezugnahme auf VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 18 L 2031/21 -, juris, Rn. 27; siehe auch VG Minden, Beschluss vom 3. Dezember 2019 - 8 L 747/19 -, juris, Rn. 15 unter Berufung auf BVerfG, Beschluss vom 5. September 1986 - 1 BvR 794/86 -, NJW 1987, S. 180.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran ist die streitgegenständliche Anordnung als erforderlich und geeignet anzusehen, weil die Antragstellerin über entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten verfügt und nicht ersichtlich ist, dass diese ausgeschöpft sind. Aus ihren bisherigen Ausführungen im gerichtlichen Verfahren geht hervor, dass sie der Ansicht ist, dass ihr Sohn sich auf Grund des Infektionsgeschehens aus berechtigten Gründen weigert, die Schule im Präsenzunterricht zu besuchen und sie nicht gewillt ist, entgegenstehenden Gerichtsentscheidungen nachzukommen und aktiv – selbstverständlich gewaltfrei, wenngleich mit der notwendigen Bestimmtheit – dessen regelmäßigen Schulbesuch durchzusetzen und entsprechend erzieherisch auf ihren zwischenzeitlich 15 Jahre alten Sohn einzuwirken. Dabei spielt es für die Frage der Rechtmäßigkeit der Verfügung keine Rolle, ob in Ausübung der Befugnis als Erziehungsberechtigte ergriffene Maßnahmen bei dem Kind auch Erfolg zeitigen, sodass es darauf, ob der Sohn der Antragstellerin dieser körperlich überlegen ist, nicht ankommt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2022 - 19 B 1917/21 -, juris, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Gründe, aus denen sich ergibt, dass die Antragstellerin nicht dafür Sorge tragen könnte, dass ihr Sohn K.      – wie in Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung  gefordert – ab sofort den Schulbesuch wieder aufnimmt, ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin nicht.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass sie ihren Sohn zu Hause in seinem Recht auf Bildung unterstütze und er dort eine exzellente Bildung erhalte, ergibt sich aus § 34 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 SchulG NRW, dass die Schulpflicht nur durch den Besuch einer öffentlichen Schule, einer Ersatzschule oder einer anerkannten Ergänzungsschule erfüllt wird. Damit ermöglicht das Schulgesetz Nordrhein-Westfalen es nicht, dem Wunsch von Eltern zu entsprechen, ihr Kind ausschließlich zu Hause selbst zu unterrichten, zu erziehen und zu bilden. Ein solcher Privatunterricht ist kein Unterricht, durch den ein Schulpflichtiger seine Schulpflicht erfüllen kann,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 18 L 2031/21 - juris, Rn. 41; VG Köln, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 10 L 2014/20 -, juris, Rn. 18 f. unter Verweis auf OVG NRW, Beschluss vom 19. Januar 2015 - 19 A 2031/13 -, juris, Rn. 7; zur entsprechenden bayerischen Regelung VG Ansbach, Beschluss vom 22. April 2022 - AN 2 SS.00743 -, juris, Rn. 42.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Auch soweit die Antragstellerin für sich und ihren Sohn Infektionsrisiken geltend macht, die es ihr unzumutbar machen, den Schulbesuch ihres Sohnes im Präsenzunterricht sicherzustellen, ist eine abweichende Einschätzung nicht geboten. Diese Gründe haben weder Einfluss auf das Bestehen der Schulpflicht noch sind sie geeignet, die sich aus Ziffer 1 der angefochtenen Ordnungsverfügung ergebende Verpflichtung der Antragstellerin, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Sohn K.      ab sofort den Schulbesuch wieder aufnimmt, als unverhältnismäßig oder sonst rechtswidrig anzusehen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Es ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht ersichtlich, dass die Pflicht ihres Sohnes zur Teilnahme am Präsenzunterricht mit unverhältnismäßigen Gesundheitsgefahren verbunden oder aus anderen Gründen unvertretbar wäre. Aus dem Vorbringen der Antragstellerin ergibt sich nicht, dass ihrem Sohn oder ihr zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bei dessen Schulbesuch ein unzumutbares Risiko der Infektion mit dem COVID-19-Virus droht, dem die Schule nicht mit angemessenen Maßnahmen begegnet.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Wie das OVG NRW im Verfahren 19 B 1458/21 mit Beschluss vom 22. September 2021 im Beschwerdeverfahren des Sohnes der Antragstellerin gegen den ablehnenden Beschluss der 7. Kammer des erkennenden Gerichts vom 25. August 2021 ausgeführt hat, ist die landesverfassungsrechtlich in Art. 8 Abs. 2 Satz 1 LV NRW statuierte und bundesverfassungsrechtlich von Art. 7 GG vorausgesetzte Schulpflicht eine Grundpflicht, die die Grundrechtspositionen von Eltern (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und Schülern (u.a. Art. 2 Abs. 1 GG, auch i.V.m. Art. 4 Abs. 1 LV NRW) gleichermaßen einschränkt. Ziel der Schulpflicht ist die Durchsetzung des legitimen staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags, der sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen richtet, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilhaben können. Soweit die Grundrechtspositionen von Eltern und Kindern einerseits und der Erziehungsauftrag des Staates andererseits kollidieren, sind diese Konflikte im Einzelfall im Wege einer Abwägung nach den Grund-sätzen der praktischen Konkordanz zu lösen.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 1458/21 -, juris, Rn. 19 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Nichts anderes gilt für eine mit der Schulbesuchspflicht einhergehende mögliche Betroffenheit des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Schüler (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, auch i.V. m. Art. 4 Abs. 1 LV NRW). Etwaig auftretende Konflikte zwischen der besonderen Vulnerabilität der Schüler im Verhältnis zur staatlichen Institution Schule sind im Wege einer praktischen Konkordanz zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen einerseits und dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag andererseits aufzulösen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere aus der Pflicht des Staats, sich im Schulverhältnis schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Schüler zu stellen, ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsraum des Normgebers erwächst, um die Lösung dieser grundrechtlich-institutionellen Kollisionslage auszugestalten und zu konkretisieren.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 1458/21 -, juris, Rn. 21 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Insofern sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin die kollidierenden Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen und ist der staatliche Erziehungsauftrag gegenüber dem grundrechtlichen Elternrecht nicht nachrangig. Nichts anderes gilt für ihr Recht sowie das Recht des Sohnes der Antragstellerin auf körperliche Unversehrtheit, auf das sich die Antragstellerin als gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes beruft. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie das gesundheitliche Kindeswohl nicht prinzipiell Vorrang vor dem staatlichen Erziehungsauftrag in seiner derzeit geltenden einfachrechtlichen Ausgestaltung (im Präsenzunterricht). Es ist Aufgabe des hierfür demokratisch legitimierten Gesetzgebers und der seiner Kontrolle unterliegenden Exekutive, den Gesundheitsschutz bezogen auf das Risiko einer Infektion mit COVID-19 und etwaiger Folgeerkrankungen einerseits und körperlich-gesundheitliche und psychologische Beeinträchtigungen sowie soziale Auswirkungen auf Grund des zum Fernbleiben ihres Sohnes von der Schule führenden Verhaltens der Antragstellerin andererseits im Spannungsverhältnis von Individualgrundrechten und Schulpflicht angemessen in Abwägung zu bringen und  einer vertretbaren Bewertung zuzuführen.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 1458/21 -, juris, Rn. 27 ff. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Das Kindeswohl, auf das sich die Antragstellerin beruft, das bei der Abwägung von entscheidender Bedeutung ist, ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin zugleich ein öffentliches Interesse und bedarf nach den obigen Ausführungen einer gestaltenden Verhältnisbestimmung seitens des Normgebers und der Schulverwaltung mit Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse des Schul- und Gesundheitswesens. Ob der Staat seiner Schutzverpflichtung nach den oben näher dargelegten Maßstäben in einer die Individualrechtsgüter der Antragstellerin und ihres Sohnes hinreichend berücksichtigenden Weise nachgekommen ist, ist keine Frage der abstrakten Maßstabsbestimmung, sondern der Anwendung im Einzelfall.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 1458/21 -, juris, Rn. 36.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt, ist zunächst zu konstatieren, dass  entgegen der Vorstellung der Antragstellerin  im Verhältnis zwischen Schüler und Staat kein Anspruch auf einen absoluten Ausschluss einer Infektion mit dem COVID-19-Virus besteht. Einen vollkommenen Schutz vor jeglicher Gesundheitsgefahr gebietet die Verfassung auch allgemein nicht. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gehört derzeit vielmehr ein gewisses Infektionsrisiko für die gesamte Bevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2021 - 7 L 1811/21 -, juris, Rn. 55 f. unter Berufung auf das BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 2 BvR 483/20 -, juris, Rn. 9; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 18 L 2406/20 - (n.v.); VG Brauschweig, Beschluss vom 8. Oktober 2020 - 6 B 187/20 -, Rn. 26.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dieses Risiko lässt sich zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt durch das freiwillige Tragen einer medizinischen Maske bzw. einer FFP2-Maske im schulischen Bereich sowie regelmäßige Durchführung von Antigenselbsttests im häuslichen Bereich vor dem Schulbesuch minimieren. Zudem vermindern Impfungen, die vom Staat für den Bürger kostenlos angeboten werden, die Auswirkungen einer möglichen Corona-Infektion.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Mit Blick auf diese, jedem Einzelnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, das Infektionsrisiko zu senken bzw. den Verlauf einer Infektion abzumildern, ist in Zusammenschau mit den weiteren staatlichen Schutzvorkehrungen ein unzumutbares Risiko im Falles eines Schulbesuchs zu verneinen. Das gilt jedenfalls im Fall der Antragstellerin, die weder für sich noch für ihren Sohn eine individuelle Risikoerhöhung im Falle einer Corona-Infektion geltend macht, sondern sich allein auf die abstrakte Gefahr der Folgen einer möglichen Corona-Infektion in der Schule beruft, die für jeden am Präsenzunterricht teilnehmenden Schüler besteht.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Soweit die staatlichen Schutzvorkehrungen betroffen sind, ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen hat und die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2020 - 1 BvR 1027/20 -, juris, Rn. 6 f.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Bei der Erfüllung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt staatlichen Stellen ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 2 BvR 483/20 -, juris, Rn. 8 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran kann zunächst nicht die Rede davon sein, dass der Antragsgegner im Rahmen der ihm rechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten betreffend den grundsätzlich stattfindenden Präsenzunterricht überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen hat.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Ministerium) geht in seinem für das kommende Schuljahr 2022/2023 erstellten Handlungskonzept in Übereinstimmung mit der Antragstellerin davon aus, dass die aktuelle Pandemiesituation durch hohe Infektionszahlen gekennzeichnet sei. Gleichzeitig legt es seinem Handlungskonzept in nicht zu beanstandender Weise zu Grunde, dass die Zahl schwerer Krankheitsverläufe und insbesondere von Einlieferungen auf Intensivstationen weiterhin stabil und auf einem geringen Niveau ist. Hinzu komme, dass die Immunisierung in der Bevölkerung – und damit auch unter Schülerinnen und Schülern sowie unter Lehrkräften – durch Impfungen und Genesung nach einer Infektion deutlich zugenommen habe. Dies ermögliche derzeit weitgehend ein öffentliches Leben ohne erhebliche Einschränkungen bzw. Schutzmaßnahmen. Der Eigenverantwortung der Menschen und ihren Erfahrungen mit dem Virus komme in dieser Phase der Pandemie eine große Bedeutung zu. Staatlich verordnete Schutzmaßnahmen könnten aktuell vor allem auf den Schutz vulnerabler Personen beschränkt bleiben.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 2.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Als allgemeine Vorsorgemaßnahmen werden regelmäßiges Händewaschen sowie innerhalb von Schulgebäuden das freiwillige Tragen einer medizinischen oder FFP2-Maske, für Kinder und Jugendliche nur einer medizinischen Maske empfohlen. Regelmäßiges Lüften sowie der Grundsatz anlassbezogener Tests auf freiwilliger Basis bereits im häuslichen Umfeld ergänzen diese Maßnahmen. Am ersten Unterrichtstag nach den Sommerferien erhalten alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich in der Schule mit einem Antigenselbsttest zu testen. Danach testen sich die Schülerinnen und Schüler anlassbezogen (bei leichten Erkältungssymptomen oder engem Kontakt mit einer infizierten Person) und grundsätzlich auf freiwilliger Basis zu Hause, wobei ihnen die Antigenselbsttests von der Schule zur Verfügung gestellt werden.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 3 f., 5, 9.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Testungen in der Schule werden ausnahmsweise durchgeführt, wenn bei Schülerinnen und Schülern, die am selben Tag noch nicht getestet wurden, offenkundig typische Symptome einer Atemwegserkrankung vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 5.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die Regelungen zu Testungen in den Schulen hat das Land NRW in § 4a der erlassenen Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO) vom 1. April 2022 in der ab dem 8. August 2022 geltenden Fassung rechtlich verankert.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Masken werden weiterhin grundsätzlich durch den Schulträger zur Verfügung gestellt.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 6.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">In Räumen, die nicht entsprechend zu belüften sind, können bauliche Maßnahmen, aber auch die Einrichtung einer technischen Lüftung oder die Aufstellung von Luftreinigungsgeräten zur Verbesserung der Lüftungssituation beitragen. Die Landesregierung unterstützt die Kommunen bei der Anschaffung und Umsetzung der verschiedenen Förderprogramme.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 7.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Das regelmäßige Lüften der Klassen- und Kursräume bleibe unverzichtbar. CO2-Messgeräte, deren Nutzung vom Corona-Expertinnen- und Expertenrat der Bundesregierung empfohlen werden, könnten auf einen mangelnden Luftaustausch hinweisen und daher die Wahl der richtigen Lüftungsintervalle unterstützen. Einmalig solle daher auch die Anschaffung von CO2-Messgeräten durch das Land finanziert werden, wobei die Anschaffung von (mobilen) Luftreinigungsgeräten sowie von CO2-Messgeräten in den Aufgabenbereich der Schulträger falle.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 7.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Präsenzunterricht sei für die Entwicklung der Kompetenzen und die psychosoziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler von besonderer Bedeutung. Deshalb habe dieser grundsätzlich Vorrang vor Distanzunterricht, der aus Gründen des Infektionsschutzes nur zum Schutz vorerkrankter Schülerinnen und Schüler sowie zum Schutz vorerkrankter Angehöriger erteilt werde bzw. wenn sich das Infektionsgeschehen verschärfe.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept_corona_28.7.2022.pdf</span>, S. 8, S. 13.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Dass diese Maßnahmen an der von dem Sohn der Antragstellerin bisher besuchten Schule nicht umgesetzt werden, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil nimmt die Schule auf das Handlungskonzept des Ministeriums und die in diesem Zusammenhang ergangenen Schreiben auf seiner Website Bezug.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">https://xxx-xxxxxxxxxxx.lms.schulon.org/course/view.php?id=840#section-0</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin bemängelt, in der Schule ihres Sohnes seien Luftreinigungsgeräte nicht angeschafft worden, belegen die bestehenden Infektionszahlen entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht, dass Schulen zwingend auf Luftreinigungsgeräte zurückgreifen müssen, um den Gesundheitsschutz von Schülern im Klassenraum zu gewährleisten.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Es ist auch nicht ersichtlich, dass die im Land NRW bzw. regional in der Stadt X.           bestehende aktuelle Infektionslage weitergehende als die vom Antragsgegner getroffenen Maßnahmen zur Sicherung des Schulbesuchs unabdingbar erforderlich machen.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">In Nordrhein-Westfalen beträgt die 7-Tage-Inzidenz der gemeldeten Infektionen laut dem Robert Koch-Institut mit Stand vom 4. August 2022 435,7.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz liegt am 4. August 2022 bei 6,84, der Anteil der COVID-19-Patienten an betreibbaren Intensivbetten bei 5,91 %.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">https://www.lzg.nrw.de/covid19/covid19.html</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Im Stadtgebiet X.       bestehen zum Stand 4. August 2022 470,4 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen. Es liegen 922 Todesfälle vor, die seit Beginn der Pandemie an oder mit einer COVID-19 Infektion gestorben sind mit einer Letalitätsrate von 0,41 %. 16 Patienten werden aktuell intensivmedizinisch mit einer COVID-19 Infektion behandelt und 8 davon invasiv beatmet. Der Anteil der COVID-19-Patienten an den Intensivbetten beträgt 5 %.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.corona-in-zahlen.de/landkreise/sk%20d%C3%BCxxxxxxxx/</span></p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">In der Altersgruppe von 5 – 14 Jahren hat es in X.               bisher 28.833 erfasste Infektionen mit keinem Todesfall gegeben, in der Altersgruppe von 15 – 34 Jahren 75.972 Personen mit 3 Todesfällen.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.corona-in-zahlen.de/landkreise/sk%20d%C3%BCxxxxxxxx/</span></p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Genügen die dem Einzelnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, sich vor einer Infektion mit dem Corona-Virus zu schützen bzw. den Verlauf einer Infektion abzumildern, in Zusammenschau mit den derzeitigen staatlichen Schutzvorkehrungen danach den rechtlichen Erfordernissen, sind ferner staatliche Versäumnisse mit Blick auf die zukünftige Infektionsentwicklung nicht ersichtlich. Sollte sich die Infektionslage verschlechtern, stehen dem Antragsgegner weitere Instrumentarien zur Verfügung, und zwar nach Maßgabe des § 28a Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2020, zuletzt geändert am 28. Juni 2022 (BGBl. I, S. 938).</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Diesbezüglich sollen nach dem bisherigen Vorschlag für eine Fortentwicklung des Infektionsschutzgesetzes die Länder etwa die Befugnis erhalten, bei einem saisonalen Anstieg der COVID-19-Fälle im Herbst und Winter weitergehende Regelungen zu erlassen, um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und der sonstigen kritischen Infrastruktur zu gewährleisten. Sie sollen für Kinder ab der 5. Klasse eine Maskenpflicht anordnen können, wenn diese erforderlich sei, um den Präsenzunterricht durchführen zu können, sowie eine Testpflicht anordnen dürfen.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/fortentwicklung-infektionsschutzgesetzes-ifsg.html</span> vom 3. August 2022</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Liegen danach die Tatbestandsvoraussetzungen des § 41 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 SchulG NRW vor, ist die angefochtene Ordnungsverfügung auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden. Die diesbezüglichen Ermessenserwägungen der Bezirksregierung sind sachgerecht. Dies gilt insbesondere für die Erwägungen, dass die Antragstellerin Präsenzunterricht für ihren Sohn während der Dauer der Corona-Pandemie offenbar generell ablehnt, dieser die von ihm besuchte Schule seit dem 9. November 2021 nicht besucht, obwohl ein gerichtliches Eilverfahren betreffend die Versagung der Erteilung von Distanzunterricht über zwei Instanzen erfolglos geblieben ist, und auch der Erlass zweier, gegen die Antragstellerin gerichteten Bußgeldbescheide ohne Wirkung geblieben ist. Ferner erweist sich die Maßnahme (auch im Übrigen) als verhältnismäßig. Mit Blick darauf, dass nicht abzusehen ist, wann die Corona-Pandemie beendet ist bzw. der Schulbesuch ohne jegliche Pandemieregelungen gestattet ist, und zu besorgen ist, dass ihrem Sohn durch die Nichtteilnahme am Präsenzunterricht schulische Entwicklungsdefizite drohen, ist sie insbesondere auch erforderlich. Neben der Wissensvermittlung ist die Bildung der Persönlichkeit eines Kindes und die Vermittlung von Werten sowie die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger in einer Klassengemeinschaft ein tragender Grund für die Schulpflicht.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 18 L 2031/21 -, juris, Rn. 48; VG Minden, Urteil vom 14. April 2021 - 8 K 2103/19 -, juris, Rn. 39 f. unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des OVG NRW, z. B. Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 2021 -, juris, Rn. 19 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Schließlich begegnet auch die in Ziffer 2 der mit der Klage angefochtenen Ordnungsverfügung vom 2. März 2022 erlassene Zwangsgeldandrohung keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 41 Abs. 5 SchulG NRW i.V.m. §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW. Im Weiteren hat die Bezirksregierung der Antragstellerin eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung gesetzt (§ 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW), die mit Blick auf das verfolgte Ziel (Durchsetzung der Schulpflicht) auch nicht unangemessen kurz scheint. Ebenso ist die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (vgl. § 60 Abs. 1 VwVG NRW) unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, zumal gegen die Antragstellerin in der Vergangenheit wegen der Nichterfüllung der Schulpflicht ihres Sohnes K.      zwei Bußgeldbescheide ergangen sind, ohne dass dieser den Schulbesuch wieder aufgenommen hätte.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragstellerin, die im Übrigen eine konkrete Norm nicht benennt, eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht beantragt, ist für diesen Antrag schon deshalb kein Raum, weil ein verfassungswidriges Gesetz, für das es auf die Entscheidung ankommt, nicht ersichtlich ist.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2021 - 19 B 1458/21 -, juris, Rn. 37 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt Ziffern 1.5 und 1.7.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.</p>
346,212
lg-bielefeld-2022-08-05-23-t-25122-23-t-256
{ "id": 802, "name": "Landgericht Bielefeld", "slug": "lg-bielefeld", "city": 390, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
23 T 251/22 23 T 256/22 23 T 261/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:45"
"2022-10-17T11:09:14"
Beschluss
ECLI:DE:LGBI:2022:0805.23T251.22.23T256.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die angefochtenen Beschlüsse werden abgeändert:</p> <p>Die dem Beteiligten zu 2) für den Abrechnungszeitraum 11.08.2020-10.05.2021 zustehende Vergütung wird auf 2.220,60 €, für den Zeitraum 11.05.2021-10.08.2021 auf 606,00 € und für den Zeitraum vom 11.08.2021-10.11.2021 auf 423,00 € festgesetzt.</p> <p>Der Anspruch richtet sich gegen die Landeskasse.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Beteiligte zu 2) war für die Betroffene mit Beschluss vom 10.08.2020 zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung zum vorläufigen Berufsbetreuer (zunächst ohne Vermögenssorge) bestellt worden, inzwischen ist er der Berufsbetreuer der Betroffenen.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf seinen Vergütungsantrag für den Abrechnungszeitraum vom 11.08.2020-10.05.2021 hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 09.11.2021, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, die ihm zustehende Vergütung auf 2.460,60 € festgesetzt und bestimmt, dass sich der Anspruch gegen die Staatskasse richtet.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Auf seinen weiteren Vergütungsantrag für den Abrechnungszeitraum vom 11.08.2021-10.11.2021 hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 15.11.2021, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, die ihm zustehende Vergütung auf 537,00 € festgesetzt und bestimmt, dass sich der Anspruch gegen die Staatskasse richtet.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat zuletzt mit Beschluss vom 06.12.2021, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, die dem Betreuer zu zahlende Diffenenzvergütung auf 504,00 € festgesetzt und bestimmt, dass sich der Anspruch gegen die Staatskasse richtet. Dies beruht maßgeblich auf der - nach längerer Korrespondenz mit dem Betreuer erlangten - Einschätzung, dass die Fallpauschale nach der Kategorie "vermögend" zu erfolgen habe, da infolge des Grundbesitzes der Betroffenen, in der ihre Tochter lebe, das liquide Vermögen lediglich derzeit nicht zur Verfügung stehe. Daher wurden auch jeweils die gesonderten Pauschalen gemäß § 5a VBVG in Höhe von 30,00 € gewährt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gegen diese Beschlüsse richten sich die von der Beteiligten zu 3) eingelegten Beschwerden, mit der geltend macht wird, dass bei der Wahl der Fallpauschale die Betroffene gemäß § 5 Abs. 4 VBVG i.V.m. § 1836 d BGB als mittellos einzustufen sei.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerden sind nach §§ 58 Abs. 1, 59 FamFG statthaft und im Übrigen zulässig eingelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Sie sind auch begründet, weil das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss die Mittellosigkeit der Betroffenen gemäß § 1836 d BGB falsch beurteilt hat.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Mittellosigkeit des Mündels/Betreuten bzw. die Frage, ob es entsprechend der vorgenannten Vorschrift als vermögend anzusehen ist, ist im Rahmen der Festsetzung einer Betreuervergütung sowohl im Rahmen der Festsetzung des Stundenansatzes des Betreuers nach § 5 VBVG als auch bei der Frage zu beurteilen, wer Vergütungsschuldner der Betreuervergütung ist.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 1836 d BGB gilt der Betreute als mittellos, wenn er den Aufwendungsersatz oder die Vergütung aus seinem einzusetzenden Einkommen oder Vermögen</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1. nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten oder</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2. nur im Wege gerichtlicher Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">aufbringen kann.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat in den angefochtenen Beschlüssen bei der Wahl der Fallpauschale hinsichtlich des Stundenansatzes zu Unrecht angenommen, dass die Betroffene vermögend sei. Denn die Mittellosigkeit des Betreuten ist für jeden Monat des Abrechnungszeitraumes einheitlich und zwar nach den Verhältnissen zum Ende des Abrechnungsmonats zu beurteilen (BGH FamRZ 2011, 368).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Im vorliegenden Fall verfügt die Betroffene jedoch über kein berücksichtigungsfähiges Einkommen, sondern maßgeblich über lediglich über ein Hausgrundstück in Porta Westfalica, das ausschließlich von ihrer Tochter genutzt wird und in welches sie infolge ihres Zustandes nicht wieder zurückkehren können wird. Die Immobile ist durch eine Grundschuld massiv belastet und insbesondere wegen der darin aufhältlichen Tochter - nach wie vor - sehr schwer veräußerlich. Dass der Betreuer im Vergütungszeitraum "Vermögen verwaltet" hat, ist für die Einstufung irrelevant.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Insgesamt stehen dem Beteiligten zu 2), der ursprünglich selbst von einer Mittellosigkeit der Betroffenen ausgegangen war, demnach Vergütungsansprüche für die im Tenor bezeichneten Abrechnungszeiträume in Höhe von <em>insgesamt</em> 3.249,60 € zu; insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die detaillierte Berechnung der Beteiligten zu 3) vom 19.01.2022 Bezug genommen. Wegen der Mittellosigkeit der Betroffenen war auch die Pauschale gemäß § 5a VBVG nicht zu gewähren. Die bisherigen Leistungen werden bei der weiteren Auszahlung zu berücksichtigen sein.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Vergütungsanspruch des Beteiligten zu 2) richtet sich gegen die Landeskasse. Denn für die Frage, wer als Vergütungsschuldner in Anspruch genommen werden kann, ist hinsichtlich der Mittellosigkeit auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung abzustellen (BGH, XII ZB 582/12, Beschluss vom 6.2.2013, FamRZ 2013, 620).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach fernmündlicher Mitteilung des Beteiligten zu 2) verfügt die Betroffene lediglich über einen Betrag von rund 1.100,00 € auf ihrem Taschengeldkonto, weitere liquiden Mittel stehen nicht zur Verfügung. Da dieser Betrag weit unterhalb des Schonbetrages liegt, ist die Betroffene auch zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer nach § 1836 d Nr. 1 BGB als mittellos einzustufen. Vergütungsschuldner ist deshalb nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG die Landeskasse. Diese hat jedoch die Möglichkeit, im Wege des Rückgriffs gegen die Tochter der Betroffenen vorzugehen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, da die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wird.</p>
346,199
vg-schleswig-holsteinisches-2022-08-05-12-b-3122
{ "id": 1071, "name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht", "slug": "vg-schleswig-holsteinisches", "city": 647, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
12 B 31/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:21"
"2022-10-17T17:56:00"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0805.12B31.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.544,64 € festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde vom 21.04.2022 gegen die Entlassungsverfügung vom 17.03.2022 anzuordnen, hat keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Er ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde gegen die streitgegenständliche Entlassungsverfügung nach § 23 Abs. 6 S. 3 Wehrbeschwerdeordnung (WBO) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Der Antrag ist jedoch unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die gerichtliche Entscheidung ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte Bedeutung erlangen, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfes offensichtlich erscheinen. An der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kann kein besonderes öffentliches Interesse bestehen. Ist der Bescheid hingegen offensichtlich rechtmäßig, ist ein Aussetzungsantrag regelmäßig abzulehnen. Lässt sich bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, muss die Entscheidung in diesem Fall aufgrund einer weiteren (reinen) Interessenabwägung ergehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde unbegründet. Es ist für die Kammer nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung überwiegend wahrscheinlich, dass die Entlassung des Antragstellers aus der Bundeswehr rechtmäßig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist die Vorschrift des § 55 Abs. 2 Soldatengesetz (SG). Danach ist ein Soldat auf Zeit zu entlassen, wenn er dienstunfähig ist. Nach der entsprechend heranzuziehenden Bestimmung des § 44 Abs. 3 SG ist der Soldat dienstunfähig, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann er auch dann angesehen werden, wenn aufgrund der in Satz 1 genannten Umstände die Wiederherstellung seiner Fähigkeit zur Erfüllung seiner Dienstfähigkeit nicht innerhalb eines Jahres zu erwarten ist. Nach Absatz 4 der genannten Vorschrift wird die Dienstunfähigkeit aufgrund des Gutachtens eines Arztes der Bundeswehr von Amts wegen oder auf Antrag festgestellt. Der Soldat ist verpflichtet, sich von Ärzten der Bundeswehr oder von hierzu bestimmten Ärzten untersuchen und, falls sie es für notwendig erklären, beobachten zu lassen. Die über die Versetzung in den Ruhestand entscheidende Stelle kann auch andere Beweise erheben (Absatz 4 Sätze 3 und 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die Entlassung des Antragstellers erweist sich als formell rechtmäßig, insbesondere hat die Antragsgegnerin ihn sowie die Vertrauensperson vor der beabsichtigten Entlassung nach § 55 Abs. 6 Satz 1 iVm § 47 Abs. 2 SG bzw. 24 Abs. 1 Nr. 6 Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetz (SGB) zu der beabsichtigten Maßnahme angehört.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die Entlassung ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 SG liegen vor. Der Antragsteller ist als dienstunfähig anzusehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Begriff der Dienstunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eines Soldaten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.06.2014 – 2 C 22/13 – juris Rdnr. 17). Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist nicht das von dem Soldaten zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten/Verwendung), sondern das Amt im abstrakt funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Soldat amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt die Dienstunfähigkeit auch voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Soldaten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.2009 – 2 C 73/08 – juris Rdnr. 14).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen regelmäßig die gesundheitlichen Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies setzt in der Regel medizinische Sachkunde voraus, über die nur ein Arzt verfügt. Dementsprechend sieht § 44 Abs. 4 Satz 1 SG auch vor, dass die Dienstunfähigkeit aufgrund des Gutachten eines Arztes der Bundeswehr festgestellt wird.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Für die Feststellung einer Dienstunfähigkeit genügt indes keine bloße unsichere Prognose, ob der Soldat dienstfähig oder dienstunfähig ist. Die Prognose muss vielmehr mit der gebotenen Sicherheit sachlich gerechtfertigt werden können. Die materielle Rechtmäßigkeit einer solchen Prognose und damit die Entlassung des Soldaten hängen regelmäßig von Kenntnissen ab, die der zuständigen Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zur Frage der Dienstunfähigkeit zur Verfügung stehen. Das setzt voraus, dass das ärztliche Gutachten zur Frage der Dienstunfähigkeit hinreichend und nachvollziehbar begründet ist. Grundsätzlich muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, das heißt die in Bezug auf den Soldaten erhobenen Befunde als auch aus medizinischer Sicht daraus abzuleitende Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Soldaten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben, enthalten. Wie detailliert eine ärztliche Stellungnahme jeweils sein muss, kann allerdings nicht abstrakt beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.03.2015 – 2 C 37/13 – juris Rdnr. 12; OVG Schleswig, Beschluss vom 26.06.2018 – 2 MB 4/18 – juris Rdnr. 32).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Entlassung eines Soldaten auf Zeit kommt es grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 – 2 C 68/11 – juris Rdnr. 11 m.w.N. zur vergleichbaren Konstellation einer Versetzung in den Ruhestand). Vorliegend ist mithin der Zeitpunkt der Entlassungsentscheidung vom 21.04.2022 maßgebend.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin hat zu jenem Zeitpunkt – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht die Dienstunfähigkeit des Antragstellers festgestellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Dem Antragsteller ist allerdings zunächst zuzugeben, dass das truppenärztliche Gutachten des Oberstabsarztes ... vom 19.10.2021 zur Feststellung der Dienstunfähigkeit widersprüchlich ist. So heißt es unter Buchstabe B (Untersuchungsbefund), dass die Gesundheitsziffer (GZ) unumstößlich sei, der Soldat für keine Verwendung nach A1-831/0-4000 (Zentralvorschrift Wehrmedizinische Begutachtung) mehr tauglich sei. Demgegenüber heißt es weiter unten, dass fachärztlicherseits bei dem Soldaten keine Dienstunfähigkeit vorliege und er – der Truppenarzt (...) – sich der Empfehlung des Facharztes anschließe und eine Weiterverwendung des Antragstellers auf dem (bisherigen) Dienstposten befürworte. Demgegenüber ist unter Punkt C (Gutachten) unter Ziffer 5 wiederum davon die Rede, dass der Antragsteller nicht dienst- und verwendungsfähig sei. Angekreuzt wurde schließlich das Kästchen „verwendungsunfähig“.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Die erste zusammenfassende gutachterliche Stellungnahme des Oberfeldarztes ... vom 03.11.2021 stellt bei dem Antragsteller aktuell keinen Anhalt für eine Dienstunfähigkeit fest. Nach den dortigen Ausführungen ist der Antragsteller gemäß seinen gesundheitlichen Einschränkungen einsetzbar.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Auch wenn das truppenärztliche Gutachten nicht eindeutig ist, vielmehr Widersprüche aufweist, kann ihm nicht abgesprochen werden, dass der Truppenarzt die maßgeblichen Feststellungen getroffen hat, insbesondere hat er, wie sich aus dem Untersuchungsbefund (Ziffer 3 a) ergibt, die maßgeblichen fachärztlichen Gutachten in seine Bewertung beigezogen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Letztlich kommt es nach Auffassung der Kammer aber auf dieses truppenärztliche Gutachten nicht entscheidend an. Maßgeblich ist vielmehr die zweite zusammenfassende gutachterliche Stellungnahme der beratenden Ärztin des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr, der die Entlassung verfügenden Stelle. Diese kommt in ihrem Vermerk vom 17.11.2021 nach Prüfung des vorgelegten Dienstunfähigkeitsgutachtens und der ersten zusammenfassenden gutachterlichen Stellungnahme zu der Einschätzung, dass der Antragsteller aus militärärztlicher Sicht nicht dienst- und verwendungsfähig sei. Zusätzlich sei er zur Erfüllung seiner Dienstpflichten unfähig, da er den Anforderungen, die an ihn in seiner gegenwärtigen Dienststellung und in den wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellt würden, nicht ausreichend gerecht werde. Schließlich sei die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit auf Dauer nicht zu erwarten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Diese Aussagen sind eindeutig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Zwar mag es zutreffen, dass diese ärztliche Stellungnahme (noch) die erforderliche Begründung vermissen lässt. Indes ist diese nach Auffassung der Kammer durch die von der Antragsgegnerin eingereichte Stellungnahme der beratenden Ärztin vom 10.06.2022 zulässigerweise nachgeholt worden (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG). Die Antragsgegnerin hat nicht (fehlende) Gründe nachgeschoben. d.h. sie hat tatsächlich angestellte Erwägungen nicht nachträglich korrigiert oder durch neue oder andere Erwägungen ergänzt oder ausgewechselt. Vielmehr hat sie unter Bezugnahme auf die gleichzeitig eingereichte neunseitige Stellungnahme der beratenden Ärztin vom 10.06.2022, die alle einschlägigen fachärztlichen Stellungnahmen sowie truppenärztlichen Aussagen in ihre Beurteilung einbezogen hat, die Stellungnahme vom 17.11.2021 konkretisiert und vertieft. Es handelt sich damit nicht um eine (unzulässige) vollständige Nachholung oder Auswechslung der maßgeblichen (medizinischen) Gründe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Dass eine (nachträgliche) Konkretisierung bzw. Vertiefung der Begründung möglich sein muss, ergibt sich auch daraus, dass der Antragsteller ansonsten bei (objektiv) bestehender, allerdings nicht genügend begründeter Dienstunfähigkeit, weiterhin als (eingeschränkt) dienstfähig gelten würde. Dies würde weder mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (s. dazu auch unten) noch mit den (gesundheitlichen) Interessen des Antragstellers im Einklang stehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Selbst wenn man die Bedenken des Antragstellers gegen die Ordnungsgemäßheit der ärztlichen Gutachten teilte, kommt die Kammer gleichwohl nicht zu der Einschätzung, dass der Antragsteller noch dienst-bzw. verwendungsfähig ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Fest steht - das wird auch vom Antragsteller nicht in Abrede gestellt –, dass er seinen bisherigen Dienstposten aufgrund seiner gesundheitlichen und damit auch verwendungsrelevanten Einschränkungen nicht mehr bekleiden kann. Ein anderer, amtsangemessener (zumutbarer) Dienstposten steht für ihn auch nicht zur Verfügung. Grundsätzlich besteht zwar die Pflicht des Dienstherrn, nach einer anderweitigen Verwendung zu suchen (Suchpflicht). Dabei ist die Suche nach einer anderweitigen Verwendung regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn (hier: Bundesgebiet) zu erstrecken. Es geht grundsätzlich zu Lasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob er die erforderliche Suche durchgeführt hat (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 19.03.2015 – 2 C 37/13 – juris Rdnr. 17 ff zur vergleichbaren Konstellation der vorzeitigen Zurruhesetzung).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Ob eine solche bundesweite Suche (vor der verfügten Entlassung des Antragstellers) stattgefunden hat, ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht eindeutig (vgl. aber nunmehr die Anlage „Prüfbericht“ zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 03.08.2022). Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass sie eine solche Verwendung des Antragstellers geprüft hat. In einer E-Mail vom 10.11.2021 (Bl. 71 der Beiakte B) heißt es insoweit, dass der Verband angewiesen worden sei, mit dem Antragsteller mögliche Verwendungen und Dienstorte abzuklären. Im Ergebnis sei diese Prüfung erfolglos geblieben. Ob auch heimatferne Dienstorte angesprochen worden sind, ist indes nicht ausdrücklich dokumentiert worden. Gegen eine entsprechende Suche könnte auch sprechen, dass der Antragsteller selbst nur heimatnah verwendet werden wollte (s. Seite 9 oben der Antragsschrift) bzw. er „schwerwiegende Gründe“ gegen eine bundesweite Versetzung/Verwendung vorgebracht hat (vgl. das Schreiben der Antragsgegnerin an die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers vom 22.02.2022, Blatt 71 der Beiakte B). In Übereinstimmung damit befinden sich die Aussagen der nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers, die (nur) eine Verwendung des Antragstellers im Umfeld seines Wohnortes befürwortet haben (vgl. Stellungnahme der nächsthöheren Dienstvorgesetzten vom 17.05.2021, Blatt 35, und vom 16. 12.2021, Blatt 57 der Beiakte B). In Anbetracht dieser Umstände dürfte eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine bundesweite Verwendung des Antragstellers zu prüfen, problematisch sein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob seitens der Antragsgegnerin vor der Entlassung tatsächlich eine Prüfung der bundesweiten Verwendungsmöglichkeiten des Antragstellers durchgeführt worden ist bzw. sie eine entsprechende Pflicht getroffen hat. Denn in Bezug auf die Suchpflicht kann sich im Einzelfall unter Fürsorgeaspekten eine räumliche Begrenzung ergeben. Die Suchpflicht entfällt, wenn ihr Zweck von vornherein nicht erreicht werden kann (BVerwG, Urteil vom 16.11.2017 – 2 A 5/16 – juris Rdnr. 34). Sofern feststeht, dass der Beamte generell nicht mehr oder nur mit erheblichen Fehlzeiten zur Dienstleistung imstande ist, besteht keine Suchpflicht (BVerwG, Beschluss vom 06.11.2014 – 2 B 97/13 – juris Rdnr. 15). Eine solche generelle Dienstunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Erkrankung des Beamten von solcher Art und Schwere ist, dass er für sämtliche Dienstposten im gesamten Bereich des Dienstherrn der betreffenden oder einer anderen Laufbahn, in die der Beamte/Soldat wechseln könnte, ersichtlich gesundheitlich ungeeignet ist (BVerwG, Urteil vom 16.11.2017 a.a.O. Rdnr. 34; Beschluss vom 16.4.2020 – 2 B 5.19 – juris Rdnr. 43) oder wenn bei dem Beamten keinerlei Restleistungsvermögen mehr festzustellen ist (BVerwG, Urteil vom 16.11.2017 a.a.O.). Scheidet eine Weiterverwendung des Beamten/Soldaten wegen dessen körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen aus, besäße eine gleichwohl durchzuführende Suche nach einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit keinen Sinn mehr.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>So liegt es im Ergebnis hier.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Unter Fürsorgeaspekten bedurfte es keiner Prüfung der Antragsgegnerin, ob der Antragsteller auf einem alternativen Dienstposten heimatfern und damit ggf. im gesamten Bundesgebiet verwendet werden könnte; die Suche durfte vielmehr auf heimatnahe Dienstposten begrenzt werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Sämtliche militärärztlichen Gutachten empfehlen durchgehend (unter der Rubrik „Verwendungseinschränkungen“) für den Antragsteller eine „möglichst geringe örtliche Versetzung“. In der ersten Begutachtung der Stabsärztin ... vom 02.02.2021 findet sich solch eine Formulierung zwar nicht. Es heißt dort, dass eine Verwendung nur „maximal eine Stunde einfache Fahrstrecke vom Wohnort“ in Frage komme. Diese Aussage ist im Ergebnis aber genauso zu verstehen, wie die übrigen ärztlichen Einschätzungen. Mit „Wohnort“ kann nur der derzeitige Wohnort des Antragstellers in A-Stadt gemeint sein (und nicht ein solcher nach einer Versetzung). Das bedeutet aber praktisch, dass nur eine heimatnahe, namentlich eine Verwendung des Antragstellers im nördlichen Teil Schleswig–Holsteins ärztlicherseits empfohlen wurde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Die ärztlichen Vorgaben haben insoweit Auswirkungen auf die Fürsorgepflicht der Antragsgegnerin, als dadurch die Suche nach einer anderweitigen Verwendung räumlich begrenzt worden ist. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Vertiefung, dass sich der Dienstherr grob fürsorgepflichtwidrig verhielte, wenn er entgegen den ärztlichen Ratschlägen, die im Sinne der Gesunderhaltung oder Gesundheitsverbesserung eines Soldaten erteilt worden sind, handelt und den Antragsteller (nach vorheriger Suche) zu einer heimatfernen Dienststelle versetzt hätte. Insoweit traf die Antragsgegnerin keine bundesweite Suchpflicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Da eine heimatnahe Verwendung des Antragstellers, insbesondere eine solche, bei der er nicht mehr als eine Stunde reine Fahrzeit auf sich nehmen müsste, von der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden konnte, ist der Antragsteller aufgrund seiner zahlreichen Einschränkungen nicht mehr verwendungsfähig und damit dienstunfähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Insoweit hat die Antragsgegnerin im Ergebnis zu Recht seine Entlassung verfügt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert ist gemäß §§ 63 Abs. 2, 63 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffer 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges festgesetzt worden und beträgt ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nichtruhegehaltfähiger Zulagen (von der Antragsgegnerin mit 34.178,58 € angegeben). Hieraus ergibt sich ein Streitwert in Höhe von 8.544,64 € (34.178,58 €: 2: 2 = 8.544,64 €).</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,150
ovgnrw-2022-08-05-21-b-86322
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
21 B 863/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:49"
"2022-10-17T17:55:52"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0805.21B863.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e </span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Tatsachenbehauptungen sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren glaubhaft zu machen (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 936 i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO), mithin auch im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung über einen einstweiligen Rechtsschutzantrag.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ausgehend davon sind die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass die auf dem Grundstück der Beigeladenen – bereits seit 2007 – betriebene Beachbar einschließlich der im Bereich der Beachbar errichteten Unterstände und Bestuhlung sowie der im Gelände außerhalb der Sandfläche aufgestellten Toiletten- und Versorgungswagen in einem Naturschutzgebiet liegt und deren Nutzung gegen § 23 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG i. V. m. den Verboten des Landschaftsplans verstößt, ohne dass eine naturschutzrechtliche Legalisierung vorliegt, nicht Gegenstand der vorliegenden Prüfung, weil sie von der Beschwerdebegründung nicht angegriffen werden.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hinsichtlich des tatsächlichen Kerns des Beschwerdevorbringens der Beigeladenen, sie sei nur Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich die Beachbar befinde, während es noch einen mit ihr nicht identischen Betreiber gebe, ist diese der zuvor genannten Pflicht zur Glaubhaftmachung nicht nachgekommen. Weder benennt sie diesen Betreiber noch legt sie etwa mit diesem geschlossene vertragliche Vereinbarungen vor, anhand derer möglicherweise nachvollzogen werden könnte, dass dieser die Beachbar nicht lediglich für die Beigeladene, sondern in eigener Verantwortung betreibt.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund kommt es auf sämtliche von der Beschwerdebegründung angesprochene Rechtsfragen, die daran anknüpfen, dass es neben der Beigeladenen als Eigentümerin des Grundstücks einen personenverschiedenen Betreiber der Beachbar gibt, nicht an. Dies sind insbesondere die Frage der Beiladung dieses Betreibers und der Störerauswahl zwischen Betreiber und Grundstückseigentümerin. Auch die Frage der ordnungsgemäßen Würdigung der Interessen eines von der Beigeladenen verschiedenen Betreibers stellt sich dann nicht. Schließlich gilt dies für die Frage, ob das Verwaltungsgericht über den Antrag des Antragstellers hinausgegangen ist. Steht nur ein potenziell in Anspruch zu nehmender Störer ernstlich im Raum (hier die Beigeladene), gibt es keinen Unterschied zwischen der Verpflichtung zur Untersagung der Nutzung gegenüber diesem oder einer abstrakten Verpflichtung zur Untersagung der Nutzung. Daran anschließend ist das Verwaltungsgericht nicht über den Antrag hinausgegangen, weil dieser nur dahingehend verstanden werden konnte, die begehrte Untersagung solle gegenüber der Beigeladenen erfolgen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die danach noch verbleibenden Einwände der Beigeladenen dringen ebenfalls sämtlich nicht durch.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der einstweilige Rechtsschutzantrag des Antragstellers ist nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden behördlichen Vorbefassung hinsichtlich der Toiletten- und Versorgungswagen ganz oder teilweise unzulässig. Dabei handelt es sich offenkundig um Nebenanlagen der Beachbar, die von den Anträgen des Antragstellers im Verwaltungsverfahren umfasst waren. Im Übrigen wäre eine behördliche Vorbefassung insoweit als bloße Förmelei selbst dann unnötig, wenn sie nicht umfasst gewesen wären. Denn ersichtlich hätte der Antragsgegner insoweit keine andere Entscheidung getroffen als hinsichtlich der Beachbar im Übrigen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beigeladene im Rahmen der Begründetheitsprüfung des einstweiligen Rechtsschutzantrags des Antragstellers eine Auseinandersetzung mit ihren eigenen Interessen vermisst, bleibt unklar, auf welche Interessen sie damit abhebt, da sie in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die finanziellen Interessen des Betreibers der Beachbar verweist. Sollte sie damit gleichwohl – trotz der als Kern ihres Beschwerdevorbringens bemühten Identitätsverschiedenheit zwischen ihr und dem Betreiber – zugleich auf eigene finanzielle Schäden abzielen, hat sie diese jedenfalls schon nicht substantiiert dargelegt. Unabhängig davon war sie durch bereits vorangegangene einstweilige Rechtsschutzverfahren hinreichend gewarnt und handelte auf eigenes Risiko. Ausgehend von der nicht angegriffenen Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Beigeladenen sei zweifelsfrei bewusst, dass die bauliche Anlage der Beachbar sowie ihre Nebenanlagen einen oder mehrere Verbotstatbestände des Landschaftsplans erfüllten (Beschlussabdruck, Seite 12, oben), ist die als Träger öffentlicher Verwaltung an Recht und Gesetz gebundene Beigeladene (Art. 20 Abs. 3 GG) ersichtlich nicht schutzwürdig.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beigeladene im Zusammenhang mit der Frage des Auswahlermessens und der Störerauswahl meint, auch die Nutzer der Beachbar wären als Adressaten einer Untersagungsverfügung in Betracht gekommen, ist diese unbestimmte Gruppe möglicher künftiger Nutzer offenkundig ohne Zwischenschaltung des Eigentümers des Grundstücks bzw. eines – hier nicht glaubhaft gemachten – davon unabhängigen Betreibers der Beachbar nicht sinnvoll zu adressieren und fällt vor dem Hintergrund einer effektiven Gefahrenabwehr zwingend als Adressat aus. Dementsprechend stellte und stellt sich auch die Frage einer notwendigen Beiladung der „Nutzer der Beachbar“ nicht.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Auch die Argumente der Beigeladenen gegen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dringen nicht durch. Die Bezugnahme auf die S. 18 und 21 der Vorprüfung Natura 2000-Verträglichkeit zur Änderung des Landschaftsplans I „H.        T.     “ (Stand Mai 2022) liegt ersichtlich neben der Sache. Dass sich ein Lebensraumtyp in der Vergangenheit – trotz Störung – entwickeln konnte, sagt ersichtlich nichts darüber aus, ob er sich ohne Störung nicht besser entwickeln würde und was insoweit nach den Vorgaben des Landschaftsplans an Entwicklung gefordert wird. Angesichts nicht dargelegter schutzwürdiger Interessen der Beigeladenen ist nicht erkennbar, inwiefern irgendeine weitere illegale Beeinträchtigung des Natur- und Landschaftsschutzes zumutbar sein sollte. Da das Verwaltungsgericht eine Verwirkung der Antragsrechte des Antragstellers verneint hat, ohne dass sich die Beigeladene mit der diesbezüglichen Begründung auseinandersetzt, ist nicht ersichtlich, weshalb das vom Antragsteller vertretene öffentliche Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes deshalb zurücktreten sollte, weil es in der Vergangenheit nicht durchgesetzt worden ist. Im Übrigen ist die Sachlage schon insofern eine andere als in den vergangenen 12 Jahren, als nun durch die nicht zustande gekommene naturschutzrechtliche Befreiung und die Erkenntnis, auch mit einer Änderung des Landschaftsplans könne die Beachbar nicht legalisiert werden, auch für Antragsgegner und Beigeladene die Illegalität des weiteren Betriebs der Beachbar offenkundig ist.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde ist mit dem Ergehen dieses Beschlusses nicht mehr zu befinden.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertentscheidung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Auf die Begründung des erstinstanzlichen Streitwertbeschlusses wird Bezug genommen. Dass im Beschwerdeverfahren nur noch die Nutzungsuntersagung und nicht mehr die Entfernung der Beachbar streitgegenständlich ist, ist insofern unerheblich, da das Verwaltungsgericht ohnehin den untersten Bereich des von ihm zutreffend herangezogenen Rahmens aus Nr. 1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit angesetzt hat.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,149
ovgnrw-2022-08-05-1-b-73622
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1 B 736/22
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:49"
"2022-10-17T17:55:52"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0805.1B736.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.</p> <p>Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 6. Mai 2022 gegen die Zuweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. April 2022 wird wiederhergestellt.</p> <p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde, die sich sinngemäß allein gegen die Sach- und Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts und nicht auch gegen dessen Streitwertfestsetzung richtet, hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts – fristgerecht – vorgebrachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat bei der hier veranlassten Überprüfung beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. Satz 1 und 3 VwGO), stellen die tragenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung durchgreifend in Frage. Da sich der erstinstanzliche Beschluss auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, ist das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung zu korrigieren und in der Sache dem mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag des Antragstellers zu entsprechen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 6. Mai 2022 gegen die Zuweisungsverfügung der Antragsgegnerin vom 27. April 2022 wiederherzustellen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Wesentlichen mit der folgenden Begründung abgelehnt: Er sei unbegründet. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die gebotene Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus, weil der Widerspruch gegen die Zuweisungsverfügung vom 27. April 2022 nach summarischer Prüfung ohne Erfolg bleiben dürfe. Diese Verfügung, mit der dem Antragsteller vorübergehend für den Zeitraum vom 16. Mai 2022 bis zum 30. April 2024 eine gemessen an seinem Statusamt nach A 16 BBesO unterwertige, unstreitig mit AT 1-2 bzw. A 15 BBesO zu bewertende Tätigkeit im Unternehmen E.        U.       IT GmbH als Projektmanager V zugewiesen worden ist, sei nämlich offensichtlich rechtmäßig. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in §§ 4 Abs. 4 Satz 2 und 3 i. V. m. § 6 Satz 1 PostPersRG. Zunächst lägen die formellen Erfordernisse für den Erlass der Verfügung vor. Der Antragsteller sei hinreichend angehört worden, und der Betriebsrat des aufnehmenden Unternehmens sei ordnungsgemäß beteiligt worden, §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1, 4 Abs. 4 Satz 2 PostPersRG i. V. m. § 78 Abs. 1 BPersVG, § 99 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht dieses Betriebsrats werde nicht durch § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG ausgeschlossen, weil dessen eindeutiger Wortlaut auf die Beamtenstelle und nicht (nur) auf deren Inhaber abstelle und hier eine Tätigkeit übertragen werde, die geringer als nach A 16 BBesO bewertet sei. Der Sprecherausschuss sei entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zu beteiligen gewesen, da das SprAuG im Bereich des öffentlichen Dienstes keine Anwendung finde. Auch die materiellen Voraussetzungen lägen vor. Insbesondere überschreite die Dauer der ohne Zustimmung des Antragstellers erfolgten Zuweisung nicht die in § 6 Satz 3 PostPersRG vorgesehen Dauer von maximal zwei Jahren. Auch liege keine rechtsmissbräuchliche Umgehung dieser Vorschrift durch eine "Kettenzuweisung" vor. Die unterwertige Tätigkeit des Antragstellers im Unternehmen E.        U.       IT GmbH bis zum 30. April 2022 sei nämlich nicht ohne, sondern mit dessen Zustimmung erfolgt, da insoweit eine Insichbeurlaubung vorgelegen habe, die nach § 4 Abs. 2 PostPersRG immer einen Antrag des Betroffenen verlange. Schließlich sei die Zuweisung dem Antragsteller auch nicht unzumutbar. Namentlich sei der Befürchtung des Antragstellers, die unterwertige Verwendung stehe seinen Chancen auf eine etwaige Beförderung im Wege, entgegenzuhalten, dass eine solche Verwendung gemäß § 6 Satz 2 PostPersRG einer Beförderung im Rahmen einer regelmäßigen Laufbahnentwicklung gerade nicht entgegenstehe.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hiergegen wendet der Antragsteller im Wesentlichen das Folgende ein: Die Zuweisungsverfügung sei schon deshalb rechtswidrig, weil der bei dem Postnachfolgeunternehmen gebildete, namentlich zur Prüfung der Zumutbarkeit einer Zuweisung berufene Betriebsrat nicht beteiligt worden sei. § 28 Abs. 2 Satz 1 PostPersRG fordere hier eine Beteiligung des Betriebsrats des abgebenden Betriebes, also des Betriebsrats E.        U.       AG Civil Servants Services (CSS). Dessen Mitbestimmung sei entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht nach § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG ausgeschlossen, weil es bei seiner Zuweisung nicht um eine Beamtenstelle von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts gehe, sondern um eine nach A 15 zu bewertende Stelle. Die unterbliebene Beteiligung des Betriebsrats D.   könne auch nicht durch die (erfolgte) Beteiligung des bei der E.        U.       IT GmbH gebildeten Betriebsrats ersetzt werden. Der Betriebsrat des aufnehmenden Unternehmens könne nämlich nur Einwendungen erheben, die auf die Interessen der dortigen Beschäftigten, des aufnehmenden Unternehmens und der dort geltenden Regelungen (etwa zu Stellenausschreibungen) bezogen seien, und daher insbesondere nicht geltend machen, dass die Zuweisung dem Betroffenen nicht zumutbar sei. Zudem komme es im Falle eines Dissenses mit dem Arbeitgeber nicht zu einem Verfahren vor der Einigungsstelle, sondern zu einem arbeitsgerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahren. Fehlerhaft sei ferner die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Sprecherausschuss sei nicht zu beteiligen gewesen, da das Sprecherausschussgesetz im öffentlichen Dienst nicht anwendbar sei. Richtig sei, dass auch im Konzern E.        U.       AG ein Sprecherausschuss nach Maßgabe des § 36 PostPersRG zu bilden sei und dass Leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG auch die funktional vergleichbaren Beamten seien. Auch die materiellen Voraussetzungen der Zuweisungsverfügung lägen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass er bereits während seiner (von ihm ausgehend beendeten) Beurlaubung zulässigerweise seinen Anspruch auf amtsangemessene Beschäftigung geltend gemacht und damit zumindest konkludent deutlich gemacht habe, dass er mit einer Fortsetzung des Beurlaubung über den 31. Dezember 2021 hinaus nicht einverstanden gewesen sei. Der rechtswidrige Zustand unterwertiger Beschäftigung dauere daher schon seit dem 1. Januar 2022 an. Der zweijährige Zeitraum des § 6 Satz 3 PostPersRG sei ab diesem Datum zu berechnen und daher mit der Zuweisungsverfügung überschritten. Auch stünden schwerwiegende persönliche Belange der verfügten Zuweisung entgegen, weil er aufgrund des unterwertigen Einsatzes und der Beurteilungspraxis der Antragsgegnerin faktisch von vornherein keine Chance auf eine Beförderung haben werde, weshalb er auch nicht auf § 6 Satz 2PostPersRG verwiesen werden könne.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dieses Beschwerdevorbringen zeigt auf, dass die Zuweisungsverfügung gegenwärtig offensichtlich rechtswidrig ist, weshalb die Interessenabwägung ungeachtet des öffentlichen Interesses daran, dem beschäftigungslosen Antragsteller alsbald die aktuell und – nach den Darlegungen der Antragsgegnerin – allein verfügbare Tätigkeit als Projektmanager V im Unternehmen E.        U.       IT GmbH zuzuweisen, zu Lasten der Antragsgegnerin ausfällt. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verfügung ergibt sich zwar nicht aus der mangelnden Beteiligung des Sprecherausschusses (dazu 1.) und auch nicht mit Blick auf § 6 Satz 2 PostPersRG (dazu 2.), wohl aber daraus, dass der Betriebsrat des abgebenden Betriebes nicht beteiligt worden und der Ausgang einer solchen (noch nachholbaren) Beteiligung offen ist (dazu 3.). Vor diesem Hintergrund kann offen blieben, ob die Zuweisung auch nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen zumutbar ist.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">1. Nicht rechtswidrig ist die Zuweisungsverfügung schon wegen des von dem Antragsteller ins Feld geführten Umstands, dass der Sprecherausschuss nicht beteiligt worden ist, etwa nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 des Gesetzes über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz – SprAuG). Zwar gilt nach der ausdrücklichen Anordnung des § 36 Abs. 1 PostPersRG in den Postnachfolgeunternehmen nach deren Eintragung in das Handelsregister – und damit u. a. auch bei der Deutschen U.       AG – das Sprecherausschussgesetz mit den in § 36 Abs. 2 bis 4 PostPersRG genannten Maßgaben. Auch greift die vom Verwaltungsgericht wohl herangezogene, eine Anwendung des Sprecherausschussgesetzes ausschließende Vorschrift des § 1 Abs. 3 Nr. 1 SprAuG insoweit ersichtlich nicht ein, weil die E.        U.       AG nicht zu den Verwaltungen oder Betrieben des Bundes zählt.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. insoweit auch v. Steinau-Steinrück, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016, SprAuG § 1 Rn. 7, wonach bei privatrechtlich (z. B. als GmbH) organisierten Unternehmen und Betrieben Sprecherausschüsse errichtet werden können und es unerheblich ist, dass die öffentliche Hand möglicherweise alle Gesellschaftsanteile hält.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Das Sprecherausschussgesetz gilt aber nicht für den Antragsteller. Nach § 36 Abs. 2 PostPersRG sind leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG (vgl. § 1 Abs. 1 SprAuG) auch die funktional vergleichbaren Beamten.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022, SprAuG § 1 Rn. 1: "Bei den AG der früheren Dt. Bundespost sind die funktional vergleichbaren Beamten einzubeziehen (§ 36 II PostPersRG".</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Erfasst sind mithin solche Beamte, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind (§ 5 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 BetrVG) und nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb Befugnisse haben oder Aufgaben wahrnehmen, die jeweils die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG erfüllen. Dass der Antragsteller zu diesem Personenkreis zählt, ist, wie die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerdeerwiderung (S. 4) unwidersprochen geltend gemacht hat, schon nicht dargelegt und im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. Die Zuweisungsverfügung verstößt entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht gegen § 4 Abs. 4 Satz 3 PostPersRG i. V. m. § 6 Satz 3 PostPersRG. Nach diesen Regelungen bedarf die vorübergehende Zuweisung einer unterwertigen Tätigkeit der Zustimmung des Beamten, wenn die Verwendung länger als zwei Jahre dauert. Liegt – wie hier – eine solche Zustimmung nicht vor, darf die Verwendung mithin höchstens einen Zeitraum von zwei Jahren umfassen. Diese Maximaldauer wird mit der Zuweisungsverfügung vom 27. April 2022 nicht überschritten. Nach deren insoweit maßgeblichem Tenor wird dem Antragsteller die Tätigkeit eines Projektmanagers V im aufnehmenden Unternehmen nämlich (nur) für 23 ½ Monate (16. Mai 2022 bis 30. April 2024) zugewiesen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Ansicht des Antragstellers, diesem Zeitraum müsse wegen seiner 2021 gegenüber der Antragsgegnerin abgegebenen Erklärungen, jedenfalls beginnend mit dem 1. Januar 2022 nicht mehr mit der Fortsetzung der eine unterwertige Tätigkeit beinhaltenden Insichbeurlaubung einverstanden zu sein, die Zeitspanne vom 1. Januar 2022 bis zum Ablauf des 15. Mai 2022 hinzugesetzt werden, weshalb ein mehr als zweijähriger Zeitraum in Rede stehe, ist abwegig. Zwar mag es abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls rechtswidrig sein, einer maximal zweijährigen Zuweisung einer unterwertigen Tätigkeit eine oder mehrere weitere solche Zuweisung(en) im Sinne einer "Kettenzuweisung" nachfolgen zu lassen, weil darin eine unzulässige Umgehung der genannten Vorschriften liegen könnte. Darum geht es hier aber ersichtlich nicht. Die unterwertige Tätigkeit, die der Antragsteller bis zum 30. April 2022 ausgeübt hat, fand nämlich nicht auf der Grundlage einer Zuweisung statt, sondern im Rahmen einer Insichbeurlaubung i. S. v. § 4 Abs. 2 PostPersRG. Unabhängig davon war der Antragsteller insoweit auch damit einverstanden, unterwertig beschäftigt zu werden. Eine Insichbeurlaubung i. S. v. § 4 Abs. 2 PostPersRG setzt gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 PostPersRG stets einen Antrag des Beamten voraus, ihm zur Wahrnehmung der erstrebten beruflichen Tätigkeit (hier nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PostPersRG) Sonderurlaub unter Wegfall der Besoldung zu gewähren. Mit seinem Antrag hat der Antragsteller mithin zum Ausdruck gebracht, mit der angezielten Beschäftigung und damit auch mit deren Unterwertigkeit einverstanden zu sein. Ein solches Einverständnis entfällt auch nicht schon ohne weiteres deshalb, weil ein Beamter – wie hier der Antragsteller – dieses während der Insichbeurlaubung (konkludent) aufkündigt. Erforderlich ist, wie auch dem Antragsteller klar sein müsste, in einem solchen Fall vielmehr, dass der Beamte sich um eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrages bemüht, was im Erfolgsfall zu dem zeitlich angepassten Widerruf der Beurlaubung nach § 24 Nr. 2 der Verordnung über den Sonderurlaub für Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte sowie für Richterinnen und Richter des Bundes (Sonderurlaubsverordnung – SUrlV) führt. So ist es hier im Übrigen auch geschehen: Der Antragsteller hat mit der Deutschen U.       IT GmbH am 14. Februar 2022 einen Auflösungsvertrag geschlossen, nach dessen § 1 das zwischen den Vertragspartnern bestehende Anstellungsverhältnis mit Ablauf des 30. April 2022 endet (Beiakte Heft 2, Blatt 16 bis 19). Die Antragsgegnerin hat daraufhin mit Verfügung vom 8. März 2022 die Beurlaubung mit Wirkung vom 1. Mai 2022 widerrufen (Beiakte Heft 1, Blatt 3 f.).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">3. Offensichtlich rechtswidrig ist die Zuweisungsverfügung vom 27. April 2022 derzeit aber, weil die Antragsgegnerin es versäumt hat, den Betriebsrat des abgebenden Unternehmens zu beteiligen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis einer solchen Beteiligung, zu welcher sich das Verwaltungsgericht nicht verhalten hat, ergibt sich hier entgegen der Ansicht des Antragstellers zwar nicht aus § 28 Abs. 2 Satz 1 PostPersRG, weil diese Vorschrift eine Beteiligung des Betriebsrats lediglich bei solchen Entscheidungen und Maßnahmen anordnet, von denen bereits zugewiesene Beamte betroffen werden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. November 2012 – 1 B 849/12 –, juris, Rn. 7 f., und vom 19. August 2013 – 1 B 415/13 –, juris, Rn. 8 ff., jeweils m. w. N.; ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 2. Januar 2013– 5 ME 187/12 –, juris, Rn. 11, und Bay. VGH, Beschluss vom 23. März 2017 – 6 B 16.1627 –, juris, Rn. 22.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Es folgt aber aus §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 29 PostPersRG. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 PostPersRG ist der Betriebsrat – unter anderem – in den Angelegenheiten der Beamten nach § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 PostPersRG zu beteiligen, und zwar, wie sich aus § 29 Abs. 1 Satz 1 und 3 PostPersRG ergibt, in der Form der Mitbestimmung. Betriebsrat in diesem Sinne ist insoweit der Betriebsrat des Betriebes, dem der Beamte bis zum Wirksamwerden der beabsichtigten (ersten) Zuweisung angehört, also der Betriebsrat des "abgebenden" Betriebes.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2012– 1 B 849/12 –, juris, Rn. 10; ferner Bay. VGH, Beschlüsse vom 23. März 2017 – 6 B 16.1627 –, juris, Rn. 20, und vom 18. März 2021 – 6 CS 21.198 –, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Für Personalmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller zuständig ist, wie auch nicht im Streit steht (vgl. die Beschwerdebegründung, S. 12, und die Beschwerdeerwiderung, S. 4), der für den selbstständigen Betrieb D1.     T.        T1.        (D.   ) gebildete Betriebsrat (Betriebsrat D.   ). Diesem Betrieb ist nämlich nach § 1 der Anordnung zur Übertragung beamtenrechtlicher Befugnisse und Zuständigkeiten im Bereich der Deutschen U.       AG vom 1. Juli 2019 – DTAGÜbertrAnO –, BGBl. I S. 1112, zuletzt geändert durch Art. 1 AnO vom 21. April 2021, BGBl. I S. 871, die Ausübung der dienstrechtlichen Befugnisse gegenüber den Beamten übertragen, wobei er entweder selbst oder durch seine Abteilung T2.         D1.     T.        T1.        (vgl. § 1 Abs. 1 und 2 der Anordnung zur Übertragung dienstrechtlicher Befugnisse im Bereich der Deutschen U.       AG vom 1. Juli 2019 – DTAGBefugAnO –, BGBl. I S. 886, zuletzt geändert durch Art. 1 AnO vom 16. April 2021, BGBl. I S. 800) handelt.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die danach gebotene Beteiligung des Betriebsrats D.   hat entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht nach §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 29 Abs. 1 Satz 2 und 3 PostPersRG i. V. m. § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG zu unterbleiben. Nach § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG gilt die Regelung des § 78 Abs. 1 BPersVG, aus der sich die einzelnen Mitbestimmungstatbestände des Personalrats ergeben, nicht für Beamtenstellen von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts und entsprechende Arbeitnehmerstellen. Diese Vorschrift, die in den Fällen der Zuweisung nach § 4 Abs. 4 PostPersRG bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen eine Beteiligung eines an sich zuständigen Betriebsrats ausschließt, greift hier nicht ein, weil es bei der beabsichtigten Zuweisung des Antragstellers nicht um eine Beamtenstelle von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts geht.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der von § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG verwendete Begriff der "Beamtenstelle" stammt nicht aus der Gesetzessprache des Besoldungs- oder Haushaltsrechts, sondern ist eine Eigenschöpfung des Personalvertretungsrechts, die für die speziellen systematischen und teleologischen Wertungen dieses Rechtsgebiets offenbleibt. Dass die Vorschrift nicht von Beamten, sondern von Beamtenstellen spricht, beruht auf der Zielsetzung, nicht lediglich auf die Besoldung, sondern vor allem auf den Amtsinhalt und damit auf funktionsbezogene Aspekte abzustellen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2008– 6 P 13.07 –, juris, Rn. 17 (zu der entsprechenden Vorgängerregelung, dem bis zum 14. Juni 2021 geltenden § 77 Abs. 1 Satz 2 BPersVG).</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Vorschrift will sicherstellen, dass für herausgehobene Stellen unabhängige Personalentscheidungen getroffen werden, die der Bedeutung der darauf zu verrichtenden Tätigkeit und der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2008 – 6 P 13.07 –, juris, Rn. 19, und Beschluss vom 24. Mai 2011– 1 WB 60.10 –, juris, Rn. 31 (zu der vergleichbaren, Beförderungen betreffenden Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 2 SBG in der bis zum 1. September 2016 geltenden Fassung); aus der Literatur vgl. etwa Kaiser/Annuß, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 77 Rn. 19, und Rehak, in: Lorenzen/Gerhold/Schlat-mann u. a., BPersVG, Stand: Februar 2022, § 78 Rn. 477.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend geht es immer (schon) dann um Beamtenstellen von der Besoldungsgruppe A 16 an aufwärts und ist eine Mitbestimmung ausgeschlossen, wenn ein Beamter nach der Personalmaßnahme in ein Amt nach A 16 einrücken soll, wenn dieser also nach A 16 befördert oder ihm im Vorgriff auf eine solche Beförderung eine höher zu bewertende Tätigkeit übertragen werden soll.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Näher insoweit etwa Baden, in: Altvater u. a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 77 Rn. 18.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Ferner werden auch solche Personalmaßnahmen erfasst, die Beamte betreffen, die ein statusrechtliches Amt der Besoldungsgruppe A 16 oder ein der Bundesbesoldungsordnung B zugeordnetes Statusamt (bereits) innehaben.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2008– 6 P 13.07 –, juris, Rn. 18; ferner Baden, in: Altvater u. a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 77 Rn. 18, Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 77 Rn. 13b, Fischer/Goeres/Gronimus, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, (= Fürst, GKÖD Band V), Stand: Juli 2022, K § 77 Rn. 13, Rehak, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann u. a., BPersVG, Stand: Februar 2022, § 78 Rn. 483.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Das gilt aber nicht uneingeschränkt. Das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bleibt vielmehr erhalten, obwohl die Personalmaßnahme einen nach A 16 besoldeten Beamten betrifft, wenn diesem – wie hier dem Antragsteller durch die Zuweisung – unter Belassung seiner Bezüge nach A 16 eine geringer bewertete Tätigkeit übertragen wird.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Soweit ersichtlich einhellige Auffassung in der Literatur: Fischer/Goeres/Gronimus, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, (= Fürst, GKÖD Band V), Stand: Juli 2022, K § 77 Rn. 13a, Rehak, in: Lorenzen/Gerhold/Schlatmann u. a., BPersVG, Stand: Februar 2022, § 78 Rn. 488, und Kaiser/Annuß, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 5. Aufl. 2020, BPersVG § 77 Rn. 22a.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Diese Ausnahme findet ihren Grund in der Erwägung, dass die Frage, ob eine Mitbestimmung stattfindet oder nach § 78 Abs. 4 Nr. 2 BPersVG ausgeschlossen ist, maßgeblich anhand des Ziels der Personalmaßnahme – der Beamtenstelle, die übertragen werden soll – zu beantworten ist und nicht etwa anhand des Status des betroffenen Beamten. Diese Beamtenstelle aber bleibt bei dem hier diskutierten Fall hinsichtlich der mit ihr verbundenen Verantwortung hinter einer nach A 16 BBesO zu bewertenden Beamtenstelle zurück.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Äußerung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 7. Juli 2008 (juris, Rn. 18), nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BPersVG a. F. sei die Mitbestimmung in Personalangelegenheiten solcher Beamter ausgeschlossen, "die ein Amt der Besoldungsgruppe A 16 oder höher bekleiden", steht dem nicht entgegen. Sie muss, obwohl sie keine Ausnahme zuzulassen scheint, vielmehr im o. g. Sinne einschränkend verstanden werden, weil nur ein solches Verständnis der Zwecksetzung der Norm entspricht, die das Bundesverwaltungsgericht an anderer Stelle seines Beschlusses (juris, Rn. 19) selbst hervorgehoben hat. Das Fehlen einer ausdrücklichen Einschränkung für Fall der Übertragung einer unterwertigen Beamtenstelle an einen nach A 16 BBesO besoldeten Beamten ist demnach ersichtlich nur darauf zurückzuführen, dass das Gericht einen solchen (seltenen) Fall bei seiner Entscheidung schlicht nicht mitbedacht hat. Das wiederum findet seine Erklärung ohne weiteres in dem Umstand, dass mit der Entscheidung eine gänzlich andere, mit dem Einrücken in eine höhere Position verbundene Rechtsfrage zu klären war (Ausschluss der Mitbestimmung bei der Übertragung eines Referatsleiterdienstpostens an eine Beamtin der Besoldungsgruppe A 15 BBesO auch unter den Bedingungen der "Topfwirtschaft").</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Gegen die Annahme eines Beteiligungserfordernisses im vorliegenden Fall kann ferner nicht mit Erfolg eingewendet werden, auch eine solche Personalentscheidung (wie die vorliegende) sei bedeutsam, weil sie "gleichermaßen die Personalauslese für herausgehobene Funktionen" beeinflusse, "wenn auch möglicherweise nur mittelbar" (Beschwerdeerwiderung, S. 3). Es kommt insoweit nämlich allein auf die dem Beamten gegenüber beabsichtigte Personalmaßnahme und nicht etwa auf deren mittelbare Auswirkungen für andere Beamte an.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Eine abweichende Bewertung ergibt sich schließlich auch nicht aus der Äußerung des Vorsitzenden des Betriebsrats D.   , Herrn P.      O.      , in seiner an den Antragsteller gerichteten E-Mail vom 27. April 2022, der Betriebsrat D.   ("wir") werde "in Beamtenangelegenheiten ab A 16 nicht beteiligt". Dieser bloßen Beschreibung kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin schon nicht entnommen werden, der Betriebsratsvorsitzende habe die Position eingenommen, "grundsätzlich in Beamtenangelegenheiten ab A 16 nicht beteiligt werden zu müssen (oder zu wollen)" (Beschwerdeerwiderung, S. 4). Unabhängig davon wäre das Einnehmen einer solchen Position lediglich Ausdruck einer fehlerhaften Rechtsansicht eines einzelnen Betriebsratsmitgliedes, die das nach dem Vorstehenden gegebene Beteiligungserfordernis nicht entfallen lassen könnte.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Der Ausgang der nach alledem zu Unrecht unterlassenen (noch nachholbaren) Beteiligung ist offen. Ob dies schon aus der Bewertung des Vorsitzenden des Betriebsrats D.   , Herrn P.      O.      , in der bereits erwähnten E-Mail vom 27. April 2022 hergeleitet werden kann, der Antragsteller habe "gute Gründe gegen die beabsichtigte unterwertige Maßnahme", mag auf sich beruhen. Es ist nämlich jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller im Beteiligungsverfahren auch noch weitere (durchgreifende) Gesichtspunkte gegen die Zumutbarkeit der Zuweisung geltend machen kann.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Gründe für die Annahme, der angefochtene Beschluss erweise sich aus anderen als richtig, sind angesichts des Vorstehenden nicht erkennbar.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
346,117
ovgnrw-2022-08-05-10-a-284620a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
10 A 2846/20.A
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-09T10:01:08"
"2022-10-17T17:55:47"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0805.10A2846.20A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine bisher obergerichtlich nicht geklärte tatsächliche Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer entsprechenden Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2018 – 4 A 3232/18.A –, juris, Rn. 2 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2017       – 4 A 685/14.A –, juris, Rn. 5 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Danach legt der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der von ihm formulierten Fragen:</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Besteht für belutschische Asylantragsteller aufgrund ihrer Ethnie und/oder nachgesagter separatistischer Einstellung nach einem Auslandsaufenthalt im Falle einer Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung über einen pakistanischen Flughafen mit dem Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, unmittelbar bei Ankunft auf dem Flughafen im Rahmen der Einreisekontrolle Eingriffen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG – insbesondere Haft, Folter und schwerer körperlicher Misshandlung bis hin zur extralegalen Tötung im Wege des sogenannten „Verschwindenlassens“ – durch staatliche Behörden ausgesetzt zu sein?</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">2. Besteht für belutschische Asylantragsteller, die sich während eines Aufenthalts in der BRD durch regelmäßige Teilnahme an öffentlichen gegen den pakistanischen Staat gerichteten und durch Angehörige von belutschischen Unabhängigkeitsbewegungen (wie Baloch National Movement, Free Balochistan Movement, Baloch Republican Party) organisierten Demonstrationen und Protestaktionen politisch gegen den pakistanischen Staat, gegen das sogenannte „Verschwindenlassen“ von belutschischen Bürgern und für ein freies Belutschistan engagiert haben, unabhängig davon, ob sie sich bereits in ihrem Heimatland nachweislich politisch im Rahmen der belutschischen Unabhängigkeitsbewegung engagiert haben, im Falle einer Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung über einen pakistanischen Flughafen mit dem Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, unmittelbar bei Ankunft auf dem Flughafen im Rahmen der Einreisekontrolle Eingriffen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG – insbesondere Haft und schwerer körperlicher Misshandlung bis hin zur extralegalen Tötung im Wege des sogenannten „Verschwindenlassens“ – durch staatliche Behörden ausgesetzt zu sein?</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt nicht auf, dass die unter 1. aufgeworfene Frage, ob Belutschen allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, klärungsbedürftig sein könnte. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 2002 – 1 B 42.02 –, juris, Rn. 5, Urteile vom 18. Juli 2006 – 1 C 15.05 –, juris, Rn. 20, und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 –, juris, Rn. 17 ff.,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vorliegen könnten. Mit den von dem Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung in Bezug genommenen entsprechenden Ausführungen in den Urteilen der Verwaltungsgerichte Frankfurt (Oder), Augsburg und Potsdam setzt sich der Kläger schon nicht auseinander. Er benennt zwar verschiedene Erkenntnismittel, wie beispielsweise einen Bericht der C., wonach im Zusammenhang mit dem Vorgehen des pakistanischen Staates in Belutschistan in zahlreichen Fällen Menschen entführt und getötet wurden. Über die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte und darüber, ob die Gruppenverfolgung landesweit droht, ist damit jedoch noch nichts ausgesagt. Dies gilt ebenfalls, soweit der Kläger auf einzelne Tötungen politisch nicht aktiver Belutschen, die dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien, hinweist. Auch aus der von dem Kläger angeführten Auskunft von Amnesty International vom 20. Februar 2019 sowie aus dem Public Statement von Amnesty International vom 12. November 2020 (Pakistan: The disappeared von Balochistan) lässt sich nichts dafür entnehmen, dass jeder belutschische Asylantragsteller bei seiner Rückkehr nach Pakistan allein wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit am Flughafen oder zu einem späteren Zeitpunkt landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt sein könnte, unrechtmäßig verhaftet, körperlich misshandelt oder getötet zu werden. Die allgemeinen Ausführungen des Klägers zur Situation in Belutschistan beziehungsweise zur Situation der Belutschen in Pakistan in seinem Schriftsatz vom 3. Oktober 2020 (dort unter VI.) unter pauschalem Verweis auf Informationen, die verschiedenen Internetseiten zu entnehmen seien, genügen von vornherein nicht den sich aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG ergebenden Darlegungsanforderungen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage 2, ob belutschischen Volkszugehörigen, die sich im Ausland in der von ihm beschriebenen Weise politisch betätigen, im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung     – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, nicht auf. Er meint, wie sich aus seinen diesbezüglichen Erläuterungen in seinem Schriftsatz vom 3. Oktober 2020 ergibt, dass alle Anhänger einer in Deutschland agierenden belutschischen politischen Gruppierung und nicht nur   – dies hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt – politische Aktivisten mit bestimmten Profilen den von ihm beschriebenen Gefahren ausgesetzt seien. Die von ihm insoweit angeführten Erkenntnismittel liefern jedoch keine für die Annahme einer Klärungsbedürftigkeit ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die von ihm aufgeworfene Frage in seinem Sinne zu beantworten sein könnte. Umso weniger bieten sie Anzeichen dafür, dass die aufgeworfene Frage in ihrer Allgemeinheit überhaupt einer grundsätzlichen Klärung zugänglich sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Kläger legt nicht dar, dass beziehungsweise inwieweit sich Anhaltspunkte dafür, dass die Frage 2 in seinem Sinne zu beantworten sein könnte, aus dem von ihm in Bezug genommenen Kapitel in dem Report des European Asylum Support Office (EASO Country of Origin Information Report. Pakistan Security Situation, Juli 2016) ergeben könnten. Das besagte Kapitel des Berichts befasst sich allgemein mit der Situation in Belutschistan und kennzeichnet die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien, unspezifisch als „Balochi sympathisers“. Der Kläger behauptet zudem lediglich, es sei umfassend dokumentiert, dass zahlreiche „normale Mitglieder“ des C. National Movement (BNM) verschleppt, gefoltert und getötet worden seien. Der von ihm insoweit angeführte Bericht von Human Rights Watch („We Can Torture, Kill, or Keep You for Years“. Enforced Disappearances by Pakistan Security Forces in Balochistan, Juli 2011) dokumentiert 45 Fälle des sogenannten „Verschwindenlassens“ in Belutschistan hauptsächlich aus den Jahren 2009 bis 2010, die – soweit dies aus den Fallschilderungen überhaupt hervorgeht – wohl überwiegend Mitglieder von militanten politischen Gruppierungen in Belutschistan beziehungsweise Belutschen, die mit solchen Gruppierungen in Verbindung gebracht worden sein sollen, betrafen. Daneben wird aber auch die Stammeszugehörigkeit als ein denkbarer Grund für Verfolgungsmaßnahmen genannt, die mutmaßlich dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien. Zwar sollen zwei dieser dort geschilderten Fälle Mitglieder des BNM betroffen haben (Fall 6 und Fall 27), doch ist in dem einem Fall unklar, ob der Betroffene lediglich ein „normales Mitglied“ war. In dem anderen Fall haben die Familienmitglieder den Betroffenen selbst als „senior member“ des BNM bezeichnet. Hiermit und mit den weiteren Einzelheiten des Berichts von Human Rights Watch setzt sich der Kläger in keiner Weise auseinander. Dies gilt ebenso für das Public Statement von Amnesty International vom 12. November 2020, auf das der Kläger in seinem Schriftsatz vom 28. August 2021 ohne weitere Erläuterungen lediglich hinweist. Die dort aufgezählten (wenigen) Einzelfälle von „Verschwindenlassen“ betrafen etwa den „Chairman“ der (in Pakistan verbotenen) C. Student Organization-Azad (BSOA) und ihren „Information Secretary“ – und damit wohl eher ihrer Funktion nach hervorgehobene Mitglieder der BSOA – oder auch einen „activist in the C. National Movement“, der aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zwangsweise nach Pakistan verbracht und dort unmittelbar inhaftiert worden sein soll, ohne dass über dessen Stellung in der belutschischen Unabhängigkeitsbewegung Näheres ausgeführt wird. Damit ist weder aufgezeigt noch sonst erkennbar, dass sich aus den Fallschilderungen in den von dem Kläger in Bezug genommenen Erkenntnissen ein auch nur ansatzweise konsistentes Bild ergeben könnte, das die mit dem Zulassungsvorbringen unterstellte Annahme rechtfertigen könnte, jeder Belutsche, der sich nur irgendwie für die belutschische Unabhängigkeitsbewegung engagiere oder mit dieser auch nur sympathisiere, könnte in Belutschistan oder gar in ganz Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein. Auf eine solche Annahme vermag der Kläger sich demnach nicht zu stützen, wenn er meint, dass ein wie in Frage 2 beschriebenes politisches Engagement für die belutschische Unabhängigkeitsbewegung im Ausland die beschriebene Verfolgungsgefahr bei einer Einreise nach Pakistan begründen könnte.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dass die Auskunft von Amnesty International vom 20. Januar 2019, auf die sich der Kläger maßgeblich beruft, für eine solche Einschätzung hinreichende Anhaltspunkte liefern könnte, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Dort heißt es zwar, dass Aktivisten, die sich für eine Ausweitung der Selbstbestimmung der belutschischen Bevölkerungsgruppe einsetzten oder Gerechtigkeit für Menschenrechtsverletzungen durch den pakistanischen Staat forderten, häufig Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte würden, wobei eine Gefährdung nicht voraussetze, dass sie offizielle Posten oder Funktionen in politischen Bewegungen bekleideten. Die angeführten Belege sind aber nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, Belutschen, die sich exilpolitisch engagieren beziehungsweise engagiert haben, drohe unterschiedslos, also unabhängig von dem Gewicht des politischen Engagements und der dahinter stehenden Motivation eine landesweite Verfolgung durch den pakistanischen Staat. Die von Amnesty International in Bezug genommenen Fälle, die sich, soweit nachvollziehbar, wohl auf besonders profilierte beziehungsweise exponierte Aktivisten beziehen (die betroffenen Personen sind regelmäßig als Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten, Journalisten oder Blogger bezeichnet) stützen eine solch weitgehende Schlussfolgerung nicht. Dies gilt auch, soweit in der Auskunft von Amnesty International im Übrigen unterstellt wird, der pakistanische Staat versuche potentiell mit allen Mitteln, Informationen zu jeglichen politischen Aktivitäten von Belutschen, auch von solchen, die im Ausland lebten, zu erhalten. Denn aus den angeführten Nachweisen ergibt sich nicht etwa, dass in den genannten Fällen lediglich Belutschen betroffen gewesen sein könnten, die jeweils nur niederschwellig politisch aktiv waren. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf Ereignisse verweist, die sich bei Demonstrationen belutschischer Unabhängigkeitsbewegungen in München im Februar 2018 und in Frankfurt im August 2019 abgespielt haben, lässt sich hieraus ebenfalls nichts dafür entnehmen, dass pakistanische Stellen die exilpolitischen Aktivitäten jedes einzelnen Belutschen erfassen und überdies jeden Belutschen, der aus dem Ausland nach Pakistan zurückkehrt, allein wegen seiner regelmäßigen bloßen Teilnahme an irgendwelchen staatskritischen Demonstrationen und Protestaktionen der in Frage 2 beschriebenen Art oder wegen irgendeines sonst im Ausland gezeigten politischen Engagements unterschiedslos verfolgen. Ein solcher Schluss rechtfertigt sich nicht allein aus hetzerischen Äußerungen Dritter gegen belutschische Aktivisten in Deutschland oder daraus, dass der pakistanische Staat bemüht sein mag, zu verhindern, dass Informationen über die belutschische Unabhängigkeitsbewegung und Menschenrechtsverletzungen an Belutschen, die ihm zuzurechnen sind, an die internationale Öffentlichkeit gelangen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">In der oben behandelten Auskunft von Amnesty International werden im Übrigen lediglich die Fälle von drei belutschischen Asylantragstellern aus Deutschland benannt, die bei ihrer Einreise im Mai 2016 über den Flughafen von L. dort von der Federal Investigation Agency (FIA) festgehalten worden sein sollen. Zwei von ihnen sollen vor ihrer Freilassung im Februar beziehungsweise Juni 2018 gefoltert worden sein. Den Fallschilderungen lässt sich jedoch nichts Aussagekräftiges zu den möglichen Gründen, aus denen die angesprochenen drei Personen festgehalten worden sein könnten, insbesondere nichts Konkretes zu ihren etwaigen exilpolitischen Aktivitäten und dem jeweiligen Gewicht solcher Aktivitäten entnehmen. Es fehlt also schon an belastbaren Angaben, die die Behauptung stützen könnten, bei den besagten Rückkehrern habe es sich um Belutschen gehandelt, die wie in Frage 2 beschrieben beziehungsweise sonst auf niedriger Schwelle exilpolitisch tätig gewesen seien. Ungeachtet dessen liefert      – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – (auch) die Auskunft von Amnesty International keine aussagekräftige Faktenbasis, die die Annahme rechtfertigen könnte, aus der menschenrechtswidrigen Behandlung einzelner nach Pakistan zurückgekehrter Belutschen, die sich politisch möglicherweise nur niedrigschwellig engagiert haben, lasse sich verallgemeinernd darauf schließen, dass jedem Rückkehrer, der während eines längeren Aufenthalts in Deutschland regelmäßig an Demonstrationen für eine belutschische Unabhängigkeit und gegen den pakistanischen Staat teilgenommen habe, eine vergleichbare Behandlung drohe. Angesichts des Umstandes, dass Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern nach Pakistan stattfinden, wäre vielmehr damit zu rechnen, dass über die angesprochenen drei Fälle hinaus weitere Fälle von menschenrechtswidrigen Behandlungen zurückgekehrter Belutschen durch den pakistanischen Staat bekannt geworden wären, wenn solche in relevantem Ausmaß stattfinden würden. Dies gilt umso mehr, als von einem großen Interesse der belutschischen Exilorganisationen auszugehen ist, von solchen Fälle zu erfahren und sie öffentlich zu machen. Auch wenn der pakistanische Staat die belutschische Exilgemeinschaft beobachtet, kann angenommen werden, dass er exilpolitische Tätigkeiten von Belutschen gegebenenfalls als asyltaktisch motiviert einordnet und entsprechend bewertet.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Kläger legt auch nicht dar, dass die Frage 1, ob für belutschische Asylantragsteller aufgrund nachgesagter separatistischer Einstellung im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, klärungsbedürftig sein könnte. Es ist schon unklar, welche Fall- beziehungsweise Personengruppe er damit in den Blick genommen wissen will. Sollte er meinen, dass jedem belutschischen Asylantragsteller, der nach einem längeren Aufenthalt im Ausland nach Pakistan zurückkehrt, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit oder irgendeiner exilpolitischen Tätigkeit eine separatistische Einstellung nachgesagt wird, die eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung durch den pakistanischen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich zieht, benennt er hierfür nach dem Vorstehenden keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nach den obigen Ausführungen fehlt es auch an der Darlegung hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass einem Asylantragsteller im Fall der Rückkehr nach Pakistan, selbst dann, wenn der pakistanische Staat von seinen exilpolitischen Aktivitäten Kenntnis erlangt haben sollte, unterschiedslos, also unabhängig von dem Gewicht seines exilpolitischen Engagements auch unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Motivation hierfür, Verfolgung droht.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Schließlich legt der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der von ihm unter 2. aufgeworfenen Frage nicht dar, soweit er behauptet, die Verwaltungsgerichte, auch innerhalb Nordrhein-Westfalens, beantworteten diese Frage unterschiedlich, weshalb es einer obergerichtlichen Klärung bedürfe. Eine Entscheidung irgendeines Verwaltungsgerichts, das die Frage 2 generell im Sinne des Klägers beantworten würde, benennt er nicht. Eine solche ist dem Senat auch nicht bekannt.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die von dem Kläger geltend gemachte Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO) führt nicht zur Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es, nachdem sein früherer Prozessbevollmächtigter nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor Abfassung des angefochtenen Urteils ein ärztliches Attest übermittelt habe, aus dem hervorgehe, dass er am Tag der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen sei, an dieser teilzunehmen, die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet habe. Das Verwaltungsgericht hätte ihn persönlich anhören müssen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist die (erfolglose) vorherige Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Das gilt selbst dann, wenn Verfahrensvorschriften verletzt worden sind, deren Haupt- oder Nebenzweck darin besteht, den Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör zu wahren. Auch ein solcher Verfahrensfehler stellt nur dann eine Versagung rechtlichen Gehörs dar, wenn es dem betroffenen Prozessbeteiligten oder seinem Prozessbevollmächtigten nicht möglich ist, sich mit den Mitteln des Prozessrechts rechtliches Gehör zu verschaffen. Zu den verfahrensrechtlichen Befugnissen, von denen ein Rechtsanwalt erforderlichenfalls Gebrauch machen muss, um den Anspruch des von ihm vertretenen Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör durchzusetzen, zählt auch die Stellung eines Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1992 – 8 C 58.90 –,   juris, Rn. 9, mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Februar 2019 – 13 A 3992/18.A –, juris, Rn. 23, und vom 12. April 2006 – 18 A 4461/05 –, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Einen Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit seinen Schriftsätzen vom 10. und 11. September 2020 nicht gestellt. Er hat lediglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und eine ärztliche Stellungnahme übersandt, die die Anforderungen an die Darlegung einer Verhandlungsunfähigkeit des Klägers am Verhandlungstag im Übrigen ersichtlich nicht erfüllen, und auch nicht erläutert, warum es dem Kläger nicht möglich gewesen sein soll, seine vermeintliche Verhandlungsunfähigkeit rechtzeitig am Tag der mündlichen Verhandlung geltend zu machen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Aber auch ungeachtet dessen legt der Kläger nicht dar, dass das Verwaltungsgericht Anlass gehabt hätte, die mündliche Verhandlung von Amts wegen wiederzueröffnen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, persönlich vorzutragen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Wird ein Prozessbeteiligter durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist seine Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil seine Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1998 – 7 B 127.98 –, juris, Rn. 2, mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Dies gilt grundsätzlich auch im Asylprozess. Hier ist nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob der Prozessbeteiligte, der verhindert ist, selbst an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, durch deren Versäumung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern. Das bloße Anwesenheitsinteresse eines anwaltlich ausreichend vertretenen Prozessbeteiligten wird dagegen durch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht geschützt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002 – 1 B 313.01, 1 PKH 40.01 –, juris, Rn. 5, mit weiteren Nachweisen; OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2016 ‒ 4 A 2077/16.A –, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zu keinem Zeitpunkt, auch nicht in der mündlichen Verhandlung oder in seinen Schriftsätzen vom 10. und 11. September 2020 auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Kläger persönlich anzuhören. Selbst aus dem Zulassungsantrag ergibt sich im Übrigen nicht, dass das Verwaltungsgericht die persönliche Anhörung des Klägers hätte für erforderlich halten müssen. Der Kläger macht zwar geltend, er hätte zu der mündlichen Verhandlung „sämtliche Dokumente bezüglich seiner exilpolitischen Aktivitäten mit[…]nehmen und sie im Rahmen der Anhörung näher […] erläutern“ wollen. Weshalb es zur Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich gewesen sein sollte, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die angesprochenen Dokumente persönlich vorlegt und erläutert, erschließt sich hieraus jedoch nicht.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zeigt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag auch sonst nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das jeweilige Gericht diesen Anforderungen genügt. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Deshalb müssen, soll ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs festgestellt werden, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf einen wesentlichen Teil des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2017 – 4 A 1904/17.A –, juris, Rn. 2 ff., und vom 21. Januar 2016 – 4 A 715/15.A –, juris, Rn. 3 f., jeweils mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon rügt der Kläger ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht habe sein Vorbringen zu der von ihm geltend gemachten Vorverfolgung in Pakistan nicht ausreichend berücksichtigt. Das Vorbringen des Klägers zu dem von ihm behaupteten Verfolgungsschicksal hat das Verwaltungsgericht, wie sich aus der Zusammenfassung dieses Vorbringens in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt (Seite 3 f. des Urteilsabdrucks), zur Kenntnis genommen. Nicht das Urteil des Verwaltungsgerichts ist an dieser Stelle widersprüchlich, wie der Kläger meint, sondern sein eigener, von dem Verwaltungsgericht lediglich wiedergegebener Vortrag. Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen des Klägers in Erwägung gezogen, ist aber zu dem Ergebnis gelangt, dass er Pakistan unverfolgt verlassen habe. Er habe selbst weder erlittene noch unmittelbar drohende Vorverfolgung geltend gemacht (Seite 9 des Urteilsabdrucks). Weitergehende Ausführungen enthält insoweit der Bescheid des Bundesamtes vom 20. August 2018 (Seite 2 f. des Bescheids), auf den das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung Bezug genommen hat (Seite 5 f. des Urteilsabdrucks). Warum es zur Wahrung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör dennoch zusätzlicher Ausführungen bedurft hätte, zumal dieser mit seiner Klagebegründung zu einer Vorverfolgung in Pakistans nichts mehr vorgetragen, sondern erklärt hat, er stütze seine Klage „nunmehr insbesondere auf Nachfluchtgründe“, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat auch den Vortrag des Klägers zu seinem exilpolitischen Engagement in Deutschland zur Kenntnis genommen, wie sich aus der entsprechenden Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt (Seite 4 des Urteilsabdrucks). Es hat den Vortrag gewürdigt, hat aber entschieden, dass das exilpolitische Engagement des Klägers von so geringem Gewicht sei, dass es nicht geeignet sei, das Interesse der pakistanischen Sicherheitsbehörden an ihm zu wecken (Seite 10 des Urteilsabdrucks). Dass der Kläger diese Einschätzung nicht teilt, begründet keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Eine solche zeigt der Kläger auch nicht auf, soweit er rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der „Corona-Situation“ in Pakistan und der hieraus für ihn resultierenden Gefahr auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG geprüft und verneint. Dazu, dass die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie es ihm unmöglich machen würden, im Fall der Rückkehr nach Pakistan dort seinen Lebensunterhalt zu sichern, hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nichts vorgetragen. Warum sich das Verwaltungsgericht dennoch ausdrücklich hierzu hätte verhalten müssen, um den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht zu verletzten, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen, mit dem lediglich gänzlich pauschal behauptet wird, die Rückkehr des Klägers nach Pakistan sei „aufgrund der durch Corona bedingten Situation, …, mit einer Gefahr für Leib und Leben verbunden“, nicht.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger meint, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass ihm eine inländische Fluchtalternative in Pakistan nicht zur Verfügung stehe, bleibt schon unklar, welchen Zulassungsgrund er hiermit geltend machen will. Dass er auch insoweit die Bewertung des Verwaltungsgerichts für fehlerhaft hält, begründet ebenfalls keinen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
346,116
ovgni-2022-08-05-10-la-12421
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10 LA 124/21
"2022-08-05T00:00:00"
"2022-08-09T10:00:38"
"2022-10-17T17:55:47"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück – Einzelrichter der 5. Kammer – vom 20. Juli 2021 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 161,22 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2013, soweit diese darin Erschwernisausgleich für die Bewirtschaftung von Grünland in geschützten Teilen von Natur und Landschaft für das Jahr 2011 in Höhe von 161,11 EUR zurückgefordert hatte, aufgehoben hat, hat keinen Erfolg. Denn die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer tatsächlicher und/oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines nach Rücknahme der Klage im Übrigen stattgebenden Urteils ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwGO für die (teilweise) Rücknahme des Bewilligungsbescheides für das Jahr 2011 vom 15. Februar 2012 nicht erfüllt seien, da dieser rechtmäßig sei. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 der Verordnung über den Erschwernisausgleich und den Vertragsnaturschutz in geschützten Teilen von Natur und Landschaft (Erschwernisausgleichsverordnung - EA-VO) vom 29. Oktober 2010 seien ausweislich des Schreibens des Landkreises Leer vom 8. September 2000 hinsichtlich der in Rede stehenden Flächen der Klägerin erfüllt. Die Höhe des zu gewährenden Erschwernisausgleichs berechne sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 EA-VO anhand der in der Anlage zur Erschwernisausgleichsverordnung aufgeführten Punktwerttabelle. Unter Beachtung dieser Vorgaben sei die Höhe des Erschwernisausgleichs für das Jahr 2011 unter Berücksichtigung der Erschwernisse „keine Düngung“, bei der es sich um die „erste (oberste) Erschwernis“ handele, und der weiteren Erschwernis „keine Mahd vom 01. Januar bis 30. Juni“, die ebenfalls bei der Klägerin vorliege, im Bewilligungsbescheid vom 15. Februar 2011 berechnet worden. Soweit die Beklagte nunmehr meine, hierin liege eine unzulässige Doppelförderung und ihre nunmehr vorgenommene Berechnung der Höhe des Erschwernisausgleichs sei durch das zuständige Ministerium vorgegeben, finde diese Vorgehensweise keinen Niederschlag in der zugrundeliegenden Verordnung. Es bleibe dem Verordnungsgeber unbenommen, die insoweit eindeutigen Anwendungshinweise der Erschwernisausgleichsverordnung anzupassen, was bisher jedoch unterblieben sei. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides könne auch nicht auf § 49 Abs. 2 VwGO gestützt werden, da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht vorlägen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Die von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Einwände sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an dessen Richtigkeit zu begründen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 -, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 – 8 LA 148/12 –, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14 –, juris Rn. 230, und vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 16; Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; vgl. auch Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.7.2018 – 13 LA 247/17 –, juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 -, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 28.6.2022 – 14 LA 1/22 –, juris Rn. 7, und vom 30.3.2022 – 13 LA 56/22 –, Rn. 3). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann ein Berufungszulassungsantrag nur dann Erfolg haben, wenn für jedes der die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig tragenden Begründungselemente ein Zulassungsgrund dargelegt worden ist und vorliegt (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23.4.2012 - 8 LA 45/11 -, juris Rn. 3).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Beklagte rügt in der Begründung ihres Zulassungsantrags, dass gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 EA-VO vom 29.11.2010 die Höhe des Erschwernisausgleichs nach der Punktwerttabelle berechnet würde, die Anlage der EA-VO sei. Sofern die Auflage g „max. zwei Weidetiere/ha vom 01. Januar bis 30. Juni“ bestehe, würden nach dieser Punktwerttabelle für die ebenfalls erfüllte Auflage i „keine Mahd vom 1. Januar bis 15. Juni“ keine weiteren Punkte gewährt. Für Auflagen zur Mahd und Beweidung würden dementsprechend seit 2010 die Punkte nicht mehr doppelt vergeben. Gefördert werde entweder die Auflage zur Beweidung oder die zur Mahd, wobei der niedrigere Punktwert vergeben werde, wenn die Art der Bewirtschaftung nicht ausdrücklich vorgegeben sei. Da hier der Bewirtschafter zwischen Mahd und Beweidung selbst habe wählen dürfen, sei der niedrigere Punktwert (4 Punkte) für die Beweidung gewährt worden. Die bis 2009 zusätzlich gewährten 5 Punkte für die Mahd-Auflage seien auf Grund der ab 2010 geltenden Rechtslage nicht mehr bewilligt worden. Aus fachlicher Sicht wäre die Durchführung eines ersten Schnittes kurz vor einer erlaubten Beweidung ab dem 1. Mai wegen der dadurch fehlenden Futtergrundlage auf der Fläche nicht sinnvoll. Daher sei es auf Grund der vorliegenden Rechtsgrundlagen nur folgerichtig und auch gängige Verwaltungspraxis, für die zweite der genannten Auflagen keine weiteren Punkte zu vergeben. Darüber hinaus sei bei einer Vor-Ort-Kontrolle festgestellt worden, dass es sich bei der streitgegenständlichen Fläche des Schlags 84 im Umfang von 0,16 ha um eine - nicht förderfähige - Waldfläche handele. Liege die für die Zahlung im Rahmen einer flächenbezogenen Maßnahme angemeldete Fläche über 20% der ermittelten Fläche, so werde für die betreffende flächenbezogene Maßnahme keine Beihilfe gewährt. Dementsprechend liege ein rechtswidriger Verwaltungsakt vor und die Klägerin sei zur Erstattung des Rückforderungsbetrags in Höhe von 161,22 EUR verpflichtet. Dieses Ergebnis werde durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 5. Juni 2013 (- 4 A 70/13 -, nachfolgend Senatsbeschluss vom 14.8.2014 - 10 LA 58/14 -) bestätigt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Dem ist nicht zu folgen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat sich zurecht auf die Hinweise zur Anwendung der Punktwerttabelle in der Anlage zur EA-VO bezogen. Nach Nr. 3 Satz 1 dieser Hinweise wird von den markierten grau unterlegten Erschwernissen f bis o der vorgesehene Punktwert der Spalte A für die erste (oberste) markierte Erschwernis in die Spalte X eingetragen. Dies ist hier die Erschwernis f „keine Düngung“. Nach Nr. 3 Satz 2 der Hinweise ist die dieser ersten Erschwernis entsprechende Erschwernis der Spalten F bis N für die Bewertung aller weiteren Erschwernisse maßgebend. Also ist hier die Spalte F „keine Düngung“ für die Bewertung der weiteren Erschwernisse im Falle des Klägers maßgebend. Demnach sind in der Kombination der hier unstreitig ebenfalls erfüllten Erschwernisse „g - Max. zwei Weidetiere/ha vom 1. Januar bis 30. Juni“ und „i - Keine Mahd vom 1. Januar bis 30. Juni“ (s. Schriftsatz der Beklagten vom 29.4.2020, Bl. 40 f. der Gerichtsakte) mit der ersten Erschwernis „f - Keine Düngung“ in der Spalte F „keine Düngung“ sowohl vier als auch fünf Punkte zu berücksichtigen. Die in den weiteren Spalten (G-N) aufgeführten abweichenden Punktwerte kommen vorliegend nicht zur Anwendung, da nach den eindeutigen Anwendungshinweisen die der Spalte der ersten Erschwernis entsprechende Erschwernis für die Bewertung aller weiteren Erschwernisse maßgebend ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Soweit die Beklagte geltend macht, dass aus fachlicher Sicht die Durchführung eines ersten Schnittes kurz vor einer erlaubten Beweidung durch Tiere wegen der dadurch fehlenden Futtergrundlage ohnehin nicht sinnvoll wäre und daher beim Zusammentreffen der Erschwernisse Beweidung und Mahd das Entfallen eines zusätzlichen Punktwertes für die Erschwernis Mahd folgerichtig sei, ist dies zwar nachvollziehbar, hat jedoch in der Punktwerttabelle jedenfalls für den Fall, dass die erste Erschwernis das Verbot der Düngung ist, keinen Niederschlag gefunden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Beklagte hat sich zwar in der Begründung des Zulassungsantrags auf ihre abweichende Verwaltungspraxis berufen. Doch ist die Beklagte im Unterschied zu bloßen Richtlinien und Verwaltungsvorschriften, die lediglich das Ermessen der Behörde lenken, an die § 42 Abs. 4 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz ausführende Rechtsverordnung der Niedersächsischen Landesregierung gebunden. Dass eine - der hier vertretenen Auffassung der Beklagten entsprechende - Änderung der Anwendungshinweise vom Verordnungsgeber beabsichtigt ist, ist nicht ersichtlich. Auch die Anlage zur Verordnung über den Erschwernisausgleich für Dauergrünland in geschützten Teilen von Natur und Landschaft vom 27. November 2019 (Nds. GVBl. Nr. 20/2019, S. 256 ff.) enthält gleichlautende Hinweise zur Bemessung des Erschwernisausgleichs anhand der Punktwerttabelle wie die hier maßgebliche Verordnung über den Erschwernisausgleich in geschützten Teilen von Natur und Landschaft vom 29. November 2010, wonach die der ersten Erschwernis entsprechende Erschwernis der Spalte F bis P für die Bewertung aller weiteren markierten Erschwernisse maßgebend ist. In Spalte „F“ finden sich wiederum sowohl Punktwerte für die Erschwernis „g - Max. zwei Weidetiere/ha vom 1. Januar bis 30. Juni“ als auch für „i - Keine Mahd vom 1. Januar bis 30. Juni“.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Soweit sich die Beklagte in der Begründung ihres Zulassungsantrags darüber hinaus darauf beruft, dass bei einer Vor-Ort-Kontrolle eine Flächenabweichung von 0,16 ha bzgl. des streitgegenständlichen Schlags festzustellen gewesen sei, und für die betreffende flächenbezogene Maßnahme keine Beihilfe gewährt werde, wenn die angemeldete Fläche über 20% der ermittelten Fläche liege, genügt ihr Vortrag nicht den oben dargestellten Darlegungsanforderungen. So fehlt es bereits nach ihrem Vortag bezüglich des in Rede stehenden Schlags 84 an einer Überschreitung der angemeldeten Fläche (1,31 ha) von der ermittelten Fläche (1,15 ha) von mehr als 20%. Zum anderen beziehen sich die von ihr als Beleg für ihre Auffassung angeführten Entscheidungen des Senats (Beschluss vom 14.8.2014 - 10 LA 58/14 -) sowie des Verwaltungsgerichts (Urteil vom 5.6.2013 - 4 A 70/13 -) auf die Schläge 116 und 120 und nicht auf den hier maßgeblichen Schlag 84. Darüber hinaus steht der diesbezügliche Vortrag im Widerspruch zu ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 16. April 2021 (Bl. 53 der Gerichtsakte), wonach für Schlag 84 eine Beihilfe zu gewähren sei, da die festgestellte Abweichung (lediglich) bei 13,91% liege.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Sache zuzulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Eine Rechtssache weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, wenn ihre Entscheidung voraussichtlich in tatsächlicher bzw. rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird. Die besonderen Schwierigkeiten müssen sich dabei auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind (vgl. Senatsbeschluss vom 09.04.2013 – 10 LA 163/11 –, juris Rn. 21 m. w. N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht daraus, dass für Fördermaßnahmenanteile jeweils unterschiedliche oder zusätzliche Verpflichtungen existieren, die auf den Flächen einzuhalten sind, und das Verwaltungsgericht - nach Einschätzung der Beklagten - die Punktwerttabelle falsch ausgelegt und daher fehlerhafte Folgerungen gezogen hat. Abgesehen davon, dass es für die Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf die Einschätzung der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Sache durch den Senat ankommt, für die weder der erstinstanzliche Begründungsaufwand noch die Einschätzung etwaiger Schwierigkeiten durch die Vorinstanz bindend ist (vgl. zur Nichtübertragung auf den Einzelrichter OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.1.2015 – 12 A 2101/13 –, juris Rn. 9), fehlt es vorliegend an der Darlegung der konkreten Rechtsfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und des Aufzeigens, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen. Überdurchschnittliche Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Das Vorliegen der hier maßgeblichen Erschwernisse, für die ein Ausgleich nach der Erschwernisausgleichsverordnung zu gewähren ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Zur Bemessung dieses Erschwernisausgleichs an Hand der Punktwerttabelle enthält die Anlage zur EA-VO - wie oben ausgeführt - ausdrückliche Anwendungshinweise, die keine andere als die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung zulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich und einer abstrakten Klärung zugänglich ist, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf, nicht schon geklärt ist und nicht bereits anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 - 1 B 25.18 -, juris Rn. 5, zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 -, nicht veröffentlicht, vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 29 ff., und vom 13.1.2014 - 10 LA 48/12 -, juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.6.2018 - 5 LA 149/17 -, juris Rn. 2, vom 23.4.2018 - 7 LA 54/17-, juris Rn. 30, und vom 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 53; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6.6.2018 - 2 BvR 350/18 -, juris Rn. 17). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Antragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren, sowie zu begründen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 -, vom 23.1.2018 - 10 LA 21/18 -, juris Rn. 29, und vom 24.10.2017 - 10 LA 90/16 -, juris Rn. 55; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 1.3.2016 - 5 BN 1.15 -, juris Rn. 2, vom 17.2.2015 - 1 B 3.15 -, juris Rn. 3, und vom 30.1.2014 - 5 B 44.13 -, juris Rn. 2, jeweils zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Darzustellen ist weiter, dass die Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.8.2018 - 2 LA 212/17 -, juris Rn. 9; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.6.2018 - 5 LA 149/17 -, juris Rn. 2, und vom 23.4.2018 - 7 LA 54/17 -, juris Rn. 30; Senatsbeschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 - und vom 3.11.2011 - 10 LA 72/10 -, juris Rn. 24). Dazu ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die konkrete Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts erforderlich (zuletzt u. a. Beschlüsse vom 4.3.2019 - 10 LA 1/18 - und vom 27.8.2018 - 10 LA 7/18 -, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Diesen Anforderungen genügt die Antragsbegründung der Beklagten nicht. Sie hat die Frage aufgeworfen:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">„wie die Punktwerttabelle der Erschwernisausgleichsverordnung-Dauergrünland anzuwenden ist. Konkret, wie die Berechnung des zu zahlenden Erschwernisausgleichs aufgrund der nebeneinander bestehenden Erschwernisse in Bezug zueinander nach der Punktwerttabelle zu erfolgen hat“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>und ausgeführt, dass diese Frage noch nicht gerichtlich geklärt sei. Die im vorliegenden Verfahren maßgebliche Frage zur Anwendungssystematik stelle sich auch für zukünftige Antragsverfahren, da sich die Systematik der Punktwerttabelle nicht geändert habe. Die Klärung dieser Rechtsfrage diene damit der Rechtssicherheit für alle zukünftigen Anwendungsfälle.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Damit hat die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Frage nicht dargelegt. Wie bereits ausgeführt, enthält die Anlage zur EA-VO selbst ausdrückliche Hinweise zur Bemessung des Erschwernisausgleichs anhand der Punktwerttabelle, die eine andere als die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung hinsichtlich der Kombination von verschiedenen Erschwernissen nicht zulassen. Folglich kann die aufgeworfene Frage, soweit sie im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, bereits im Berufungszulassungsverfahren ohne Weiteres nach dem eindeutigen Wortlaut der anzuwendenden Vorschriften beantwortet werden, ohne dass die Durchführung eines Berufungsverfahrens hierfür erforderlich ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006706&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,115
ovgni-2022-08-05-5-la-320
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
5 LA 3/20
"2022-08-05T00:00:00"
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Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer - vom 22. Oktober 2019 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 8.853,92 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die mit einem Bemessungssatz von 50 % beihilfeberechtigte Klägerin begehrt die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für drei bei ihr durchgeführte Liposuktionen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Sie leidet seit Jahren an einem Lipödem an Armen und Beinen. Durch Vorlage eines Arztbriefes der Fachklinik für Operative Lymphologie D. vom 10. Oktober 2017 bat sie den Beklagten (ohne gesondertes Anschreiben) „um Prüfung der Kasuistik und um Bescheid“ in Bezug auf eine Lymphologische Liposculptur zur Verhinderung der Chronizität der Erkrankung. In dem Arztbrief heißt es u. a., die Behandlung werde ambulant durchgeführt und sei Erfolg versprechend. Hierbei komme der Gesamtbetrag von 15.300,00 EUR zuzüglich der Anästhesiekosten zustande. Es werde darauf hingewiesen, dass die D. als konzessionierte Privatklinik nicht auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abrechne und kein Rechtsanspruch auf Erstattung durch Krankenversicherer/Beihilfestellen bestehe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 19. Oktober 2017 entschied der Beklagte, dass eine Kostenübernahme seitens der Beihilfe abzulehnen sei, da es sich bei der Lymphologischen Lipo-sculptur um eine nicht allgemein wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode handele.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Der Beklagte forderte sie mit Schreiben vom 30. November 2017 unter anderem zur Vorlage einer detaillierten Kostenaufstellung auf. Ferner teilte er der Klägerin mit, dass er die Einholung eines amts- oder fachärztlichen Gutachtens zur Klärung der Frage, ob die Behandlung eine medizinisch notwendige Maßnahme darstelle, beabsichtige.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die Klägerin legte in der Folge - erneut ohne gesondertes Anschreiben - weitere Arztbriefe, ein Schreiben ihrer privaten Krankenversicherung, in dem diese eine anteilige Kostenübernahme zusagte, sowie eine Arztrechnung vom 23. November 2017 über 5.100,00 EUR für die erste von insgesamt drei operative Behandlungen, die am 6. November 2017 stattgefunden hatte, vor. Die weiteren Eingriffe fanden am 8. Dezember 2017 und am 5. Januar 2018 statt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Mit am 18. Februar 2018 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Klägerin eine Verpflichtung des Beklagten begehrt hat, ihr Beihilfe zu den Aufwendungen für die bei ihr durchgeführten Liposuktionen mit einem Gesamtrechnungsbetrag von 17.707,83 EUR zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 22. Oktober 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die<br>Liposuktion sei als Behandlungsmethode im Falle eines Lipödems weder wissenschaftlich anerkannt noch ausnahmsweise trotz fehlender Anerkennung beihilfefähig. Auch eine Beihilfegewährung aus Fürsorgegründen scheide aus. Selbständig tragend sei eine Beihilfegewährung im Übrigen auch deshalb ausgeschlossen, weil die geltend gemachten Aufwendungen nicht angemessen seien, da die Behandlungen nicht entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte, sondern im Wege von Pauschalen abgerechnet worden seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) bereits nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt worden sind und im Übrigen nicht durchgreifen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des vorinstanzlichen Urteils sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (Nds. OVG, Beschluss vom 7.4.2011 - 5 LA 28/10 -). Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe dargelegt werden (Nds. OVG, Beschluss vom 24.3.2011 - 5 LA 300/09 -, juris Rn. 6; Beschluss vom 30.8.2011 - 5 LA 214/10 -, juris Rn. 3).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung nicht dargetan. Die von ihr angestrebte Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Das Rechtsmittelgericht hat nicht nur die Zulässigkeit des Rechtsmittels, sondern auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen der vorinstanzlichen Entscheidung von Amts wegen zu prüfen. Fehlende Prozessvoraussetzungen werden durch eine gleichwohl ergangene vorinstanzliche Entscheidung in der Sache nicht geheilt und sind vom Rechtsmittelgericht zu beachten, ohne dass es der Rüge durch einen Beteiligten bedarf (Schenke, in: Kopp/ders., VwGO Kommentar, 27. Aufl. 2021, Vorb § 124 Rn. 32).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Hieran gemessen wäre eine Berufung der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen, weil ihre auf anteilige Erstattung der Aufwendungen für die drei durchgeführten Liposuktionen gerichtete Verpflichtungsklage unzulässig war und ist (vgl. Rudisile, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 42. EL Februar 2022, Vorb § 124 VwGO Rn. 61). Der Klägerin fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil sie es versäumt hat, bei dem Beklagten zuvor einen Antrag auf Bewilligung einer Beihilfe für nachgewiesene und angemessene Aufwendungen für medizinisch notwendige Leistungen (§ 80 Niedersächsisches Beamtengesetz - NBG -) zu stellen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Beihilfe wird gemäß § 80 Abs. 6 NBG i. V. m. § 47 Abs. 1 der Niedersächsischen Beihilfeverordnung - NBhVO - auf Antrag gewährt, der schriftlich bei der Festsetzungsstelle zu stellen ist. Die Belege über die Aufwendungen sind vorzulegen. Der Antrag ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 NBhVO innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Jahr nach Entstehen der Aufwendungen zu stellen. Liegt eine Rechnung vor, so beginnt die Frist mit dem Rechnungsdatum (Satz 2). Zwar ist es für die Fristwahrung nicht erforderlich, dass der Beihilfeantrag unter Verwendung des hierfür vorgesehenen Formblattes gestellt wird. Der Beihilfeantrag muss jedoch eindeutig als solcher erkennbar sein. Auch auf das Erfordernis der Unterschrift bzw. qualifizierten elektronischen Signatur kann nicht verzichtet werden (Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht Niedersachsens, Bd. 7, § 47 NBhVO S. 55). Hiervon zu unterscheiden sind (Vorab-)Anfragen bezüglich der Anerkennung der Beihilfefähigkeit einer beabsichtigten Behandlung. Derartige Anfragen bieten sich - abgesehen von den Fällen, in denen ein sog. Voranerkennungsverfahren ohnehin gesetzlich vorgeschrieben ist (wie z.B. in § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO für ambulante kieferorthopädische Leistungen) - insbesondere dann an, wenn diese - wie hier - kostenintensiv und/oder die Notwendigkeit oder der medizinische Nutzen umstritten ist. Sie führen dazu, dass der oder die Beihilfeberechtigte auf der Basis der von der Beihilfestelle erteilten Auskunft (oder gar Kostenzusage) frühzeitig Klarheit hat und besser abwägen kann, ob die mit der in Aussicht genommenen Behandlung einhergehenden Zahlungsverpflichtungen eingegangen werden sollen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin bei dem Beklagten keinen Beihilfeantrag i.S.d. § 47 NBhVO, sondern lediglich einen Antrag auf (Vorab-)Anerkennung der Beihilfefähigkeit der geplanten Lymphologischen Liposculptur gestellt. Insbesondere kann ein Beihilfeantrag nicht in dem von der Klägerin an den Beklagten weitergeleiteten Arztbrief vom 10. Oktober 2017 erblickt werden. Abgesehen davon, dass ihr zu diesem Zeitpunkt noch gar keine potentiell beihilfefähigen Aufwendungen entstanden waren, da die erste von drei Operationen erst am 6. November 2017 durchgeführt wurde, genügte dieses Schreiben nicht dem Schriftformerfordernis (§ 126 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches), weil es von der Klägerin nicht unterschrieben worden war. Dem Verwaltungsvorgang lässt sich auch sonst kein von der Klägerin unterschriebenes Schriftstück entnehmen, welches als Beihilfeantrag i.S.d. § 47 NBhVO gewertet werden könnte. Zwar legte die Klägerin dem Beklagten auf dessen Anforderung vom 30. November 2017 während des Widerspruchsverfahrens auch die Rechnung für die erste der insgesamt drei Operationen vor (Bl. 17/BA 001). Die Rechnungen für die zweite und dritte Operation (einschließlich der Kosten der Anästhesie) befinden sich hingegen weder im beigezogenen Verwaltungsvorgang, noch in der Gerichtsakte. Sollten die weiteren Rechnungen - wie von der Klägerin vorgetragen „im Laufe des Verfahrens“ (Schriftsatz vom 6. Oktober 2021, S. 2 [Bl. 122/GA]) - dem Beklagten gleichwohl vorgelegt worden sein, so geschah dies offensichtlich erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids. Ihr Prozessbevollmächtigter hat die Frage des Rechtsmittelgerichts, ob die Klägerin nach Durchführung der Operation unter Vorlage der Belege einen Beihilfeantrag gestellt habe, zudem durch die Angabe in seinem Schriftsatz vom 6. Oktober 2021, dass für sie keine Veranlassung dazu bestanden habe, noch einen separaten Beihilfeantrag zu stellen (Bl. 121/GA), ebenfalls verneint.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Der Umstand, dass der Beklagte die Frage der Beihilfefähigkeit dem Grunde nach bereits geprüft und in dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2018 verneint hatte, machte einen gesonderten schriftlichen Beihilfeantrag unter Beifügung der Belege nicht entbehrlich. Jenen Bescheiden lag - wie soeben dargelegt - lediglich ein von einem Beihilfeantrag zu unterscheidender Antrag auf (Vorab-)Prüfung und Anerkennung der Beihilfefähigkeit zugrunde. Auch wenn die Klägerin eine Zusicherung im Zuge dessen nicht ausdrücklich beantragt hatte, kann das von ihr an den Beklagten weitergeleitete Arztschreiben vom 10. Oktober 2017 in Anbetracht der darin enthaltenen Formulierung („Ich bitte freundlich um Prüfung der Kasuistik und um Bescheid.“) aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht anders verstanden werden. Dass sie nicht nur eine einfache Auskunft, sondern eine förmliche Entscheidung der Beihilfestelle erhalten wollte, zeigt neben der bereits zitierten Formulierung auch der Widerspruch der Klägerin vom 13. November 2017. Als förmliche Entscheidung kam, da ihr bis dato noch keine Aufwendungen entstanden waren, zu jenem Zeitpunkt allenfalls eine Kostenzusage, bei der es sich rechtlich um eine Zusicherung i. S. d. § 38 Verwaltungsverfahrensgesetz handelt (OVG NRW, Urteil vom 14.8.1995 - 1 A 3558/92 -, juris Rn. 14; VG Regensburg, Urteil vom 12.2.2019 - RO 12 K 17.2008 -, juris Rn. 16), oder eben deren Ablehnung in Betracht. Dass dieser Rechtsbegriff in dem Bescheid vom 19. Oktober 2017 keine Erwähnung fand, ist dabei unschädlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Der von der Klägerin vertretenen Rechtsauffassung, dass der Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden nicht lediglich eine Kostenzusage abgelehnt, sondern bereits abschließend über die Beihilfefähigkeit entschieden habe und dies einer erneuten Prüfung im Rahmen eines Beihilfeantrags entgegenstehe, ist nicht zu folgen. Zwar hat der Beklagte die Ablehnung einer Kostenzusage in den streitgegenständlichen Bescheiden mit der fehlenden Beihilfefähigkeit der Behandlung und insofern mit dem Nichtvorliegen einer Anspruchsvoraussetzung begründet, die auch nach Stellung eines Beihilfeantrags hätte geprüft werden müssen. Der Beklagte wäre hierdurch aber nicht gehindert gewesen, bei der Prüfung eines späteren Beihilfeantrags zugunsten der Klägerin zu einem anderen Ergebnis zu kommen und die Beihilfefähigkeit im Nachhinein zu bejahen. Denn der Regelungsgehalt der hier streitgegenständlichen Bescheide ist auf die Ablehnung des konkreten Begehrens beschränkt, bereits vor Behandlungsbeginn eine Kostenzusage zu erhalten und insoweit eine Zusicherung auszusprechen (vgl. Schröder, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 2. EL April 2022, § 38 VwVfG Rn. 95).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Der Umstand, dass dem Beklagten bei Erlass des Widerspruchsbescheids die Rechnung für die erste der drei durchgeführten Operationen bereits vorlag, lässt auch nicht den Schluss zu, dass der Beklagte selbst (irrtümlich) davon ausging, bereits über einen Beihilfeantrag i.S.d. § 47 NBhVO zu entscheiden. Mit der Zurückweisung des Widerspruchs wurde allein die ablehnende Entscheidung, für die (inzwischen bereits abgeschlossene) Maßnahme eine Kostenübernahme zu erklären, bestätigt</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte des Weiteren nicht dazu verpflichtet, nach Eingang der Arztrechnung(en) von Amts wegen ein Beihilfeverfahren einzuleiten und trotz fehlenden schriftlichen Antrags über die Gewährung von Beihilfe zu entscheiden. Denn eine solche Entscheidung setzt gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 NBhVO zwingend einen schriftlichen Antrag voraus.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Ohne dass es nach dem vorstehend Gesagten darauf ankäme, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass das Stellen eines Beihilfeantrags wegen des Ablaufs der Jahresfrist des § 48 Abs. 1 Satz 1 NBhVO, bei der es sich um eine materielle Ausschlussfrist handelt (Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht Niedersachsens, Bd. 7, § 48 NBhVO S. 2 ff.), inzwischen nicht mehr erfolgversprechend sein dürfte. Dies gilt jedenfalls, soweit es um die Aufwendungen für den ersten der drei operativen Eingriffe geht. Die Daten der Rechnungen für die beiden weiteren Eingriffe, auf die es für den Beginn der jeweiligen Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 NBhVO maßgeblich ankommt, sind dem Senat nicht bekannt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>2. Die Berufung ist des Weiteren auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Der Gesetzgeber hat mit dem Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (negativ) an die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) angeknüpft. Hiernach weist eine Streitsache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, wenn ihre Entscheidung voraussichtlich in tatsächlicher bzw. rechtlicher Hinsicht größere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird (Nds. OVG, Beschluss vom 17.2.2010 - 5 LA 342/08 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 13.1.2012 - 7 LA 138/11 -, juris Rn. 13). Die besonderen Schwierigkeiten müssen sich allerdings auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind (Nds. OVG, Beschluss vom 13.1.2012 - 7 LA 138/11 -, juris Rn. 13). Die Darlegung des Zulassungsgrundes erfordert, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die geltend gemachten Schwierigkeiten als solche benannt werden und darüber hinaus aufgezeigt wird, dass und aus welchen Gründen sie sich qualitativ von denjenigen eines Verwaltungsrechtsstreits „durchschnittlicher“ Schwierigkeit abheben (Nds. OVG, Beschluss vom 4.2.2010 - 5 LA 37/08 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 17.2.2010, a. a. O., Rn. 10). Der Rechtsmittelkläger muss sich also mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil substantiell auseinandersetzen und deutlich machen, in welchem konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Punkt das Urteil zweifelhaft ist (Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 68).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Sie hat die Entscheidungserheblichkeit der von ihr als besonders schwierig erachteten Frage,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„ob Liposuktionen bei Lipödem als chirurgische Eingriffe beihilfeberechtigten Personen zustehen dürfen oder nicht“ (Zulassungsbegründung vom 23.12.2019, S. 5 [Bl. 94/GA]),</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>nicht dargetan, denn sie hat in der Zulassungsbegründung zu diesem Aspekt nichts vorgetragen. Im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit, weil die Klage - wie bereits unter 1. ausgeführt - unzulässig ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>3. Eine Berufungszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) scheidet ebenfalls aus.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint (Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 17.8.2021 - 5 LA 130/20 -, juris Rn. 10). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, juris Rn. 14; Beschluss vom 17.8.2021 - 5 LA 130/20 -, juris Rn. 10). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren (Nds. OVG, Beschluss vom 29.2.2008 - 5 LA 167/04 - juris Rn. 12) sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (Nds. OVG, Beschluss vom 3.11.2011 - 10 LA 72/10 -, juris Rn. 24; Beschluss vom 17.8.2021 - 5 LA 130/20 -, juris Rn. 10).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt, weil sie auch die Entscheidungserheblichkeit der von ihr für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Frage,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">„ob beihilfeberechtigte Personen auf die Heilbehandlungsmethode, die in jüngster Zeit erhebliche mediale und politische Berücksichtigung fand, Zugang erhalten sollen“ (Zulassungsbegründung vom 23.12.2019, S. 5 [Bl. 94/GA])</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>nicht dargelegt hat. Überdies wäre die Entscheidungserheblichkeit in Anbetracht der Unzulässigkeit der Klage zu verneinen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>4. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) - hier in Form einer Verletzung der sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden gerichtlichen Amtsermittlungspflicht - zuzulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Wird ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend gemacht, muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren des ersten Rechtszuges, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 60). Zwar ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 86 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO). Daneben besteht jedoch auch im Verwaltungsprozess die Prozessförderungspflicht der Beteiligten (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz und Abs. 4 VwGO sowie § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit den §§ 130 Nummern 3 bis 5 und 138 Abs. 1 ZPO; vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 7.1.2010 - 5 LA 51/09 -; Beschluss vom 4.4.2011 - 5 LA 17/10 -; Beschluss vom 11.6.2019 - 5 LA 160/18 -). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist regelmäßig nicht gegeben, wenn das Gericht den entscheidungs-erheblichen Sachverhalt für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 7.1.2010 - 5 LA 51/09 -; Beschluss vom 4.4.2011 - 5 LA 17/10 -; Beschluss vom 11.6.2019 - 5 LA 160/18 -). Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.3.2010 - BVerwG 5 B 7.10 -, juris Rn. 9 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Hiervon ausgehend hat die Klägerin schon nicht aufgezeigt, dass sie im erstinstanzlichen Verfahren auf die Vornahme einer Sachverhaltsaufklärung hinreichend hingewirkt hat, deren Unterbleiben sie nunmehr rügt. Zwar hat die Klägerin auf Seite 7 der Zulassungsbegründung (Bl. 96/GA) behauptet, einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt zu haben. Dies steht jedoch im Widerspruch zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück am 22. Oktober 2019 (Bl. 62 ff. /GA). Danach hat die anwaltlich vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung keinen förmlichen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO gestellt. Schriftliche Beweisangebote oder -anregungen im Vorwege sind einem förmlichen Beweisantrag nicht gleichzusetzen und machen einen solchen nicht entbehrlich. Dem Zulassungsvorbringen der Klägerin lassen sich ferner auch keine Ausführungen dazu entnehmen, dass sich die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben sie nunmehr rügt, dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Schließlich hat die Klägerin es auch versäumt, in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise darzulegen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts auf dem von ihr geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann, wobei von der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts auszugehen ist (Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 51). Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage in seinem Urteil nicht nur mit der fehlenden Beihilfefähigkeit der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen, sondern des Weiteren (auf S. 10 ff. des Urteilsabdrucks) selbständig tragend auch damit begründet, dass die Behandlungskosten nicht entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet worden seien. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel bezieht sich lediglich auf den ersten der beiden Begründungsstränge. Ausführungen dazu, inwiefern auch der zweite Begründungsstrang auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruhen kann, lässt das Zulassungsvorbringen vermissen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung für das Berufungszulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) und folgt derjenigen des Verwaltungsgerichts.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006694&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,628
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{ "id": 126, "name": "Finanzgericht Baden-Württemberg", "slug": "fg-baden-wurttemberg", "city": 110, "state": 3, "jurisdiction": "Finanzgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
1 K 2953/20
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-09-20T10:02:00"
"2022-10-17T11:10:20"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p><em>1. Die Klage wird abgewiesen.</em></p><p><em>2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</em></p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Arrestanordnung vom 22.11.2019 i.H. von 1.427.128,30 Euro zur Einkommensteuer für 2013 bis 2016 (Streitjahre).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>1. Der Kläger, geboren [ ___ ] in Y /China, ist mit einer B A, [ ___ ] geborene C, verheiratet. Die Ehe wurde [ ___ ] in W / Deutschland geschlossen. Sie haben das gemeinsame Kind K 2 A, [ ___ ] in V / Deutschland (Geburtsurkunde, ESt-Akte, Lasche 2004, Bl. 5). Die Ehefrau ist zudem die Mutter von K 1 A, [ ___ ] in V / Deutschland. Vater von K 1 ist ein P C, [ ___ ], wohnhaft in U / Deutschland (ESt-Akte, Lasche 2005, Bl. 2 und EA I, Bl. 206).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Der Kläger absolvierte in Deutschland von [ ___ ] ein technisches Studium an der Universität J / Deutschland und schloss mit dem akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurs ab.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Ehefrau kam im Jahr [ ___ ] ins Inland (Antrag auf Eröffnung eines Girokontos vom 28.10.1991, EA II, Bl. 61).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Kläger und seine Ehefrau sind seit [ ___ ] 2001 deutsche Staatsangehörige (vgl. zuletzt Reisepass, ausgestellt durch die Stadt H am [ ___ ]2013, gültig bis [ ___ ]2023, Anlage 18 zum Schreiben vom 22.7.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 400 und BMO, Bl. 67 ff.). Er besitzt seit 1996 einen deutschen und einen chinesischen Führerschein, der am [ ___ ]2004 ausgestellt wurde (a.a.O., Bl. 430). Von [ ___ ] bis [ ___ ]2013 hatte er ein Touristenvisum für China (a.a.O., Bl. 404). Vom [ ___ ]2013 bis [ ___ ]2014, [ ___ ]2014 bis [ ___ ]2019 und [ ___ ]2019 bis [ ___ ]2023 war bzw. ist er Inhaber einer chinesischen Aufenthaltserlaubnis (Residence Permit for Foreigner in the People’s Republic of China -PRC-, a.a.O., Bl. 419 f. - purpose of residence: „Funktionen“ bzw. „Arbeit“). Am [ ___ ]2013 wurde ihm zunächst bis zum [ ___ ]2016 und am [ ___ ]2016 eine bis zum [ ___ ]2018 gültige Arbeitserlaubnis für China erteilt (Alien Employment Permit, a.a.O., Bl. 421 bis 426 - occupation or status: „P Technik X“).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Steuerlich bescheinigte ihm ein Direktor der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der bezirksfreien Stadt [ ___ ] in der chinesischen Provinz [ ___ ] (rund 360 km von X entfernt), dass er in den Jahren 2013 bis 2018 „Chinese fiscal resident“ gewesen sei (Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 11.4.2022, Gerichtsakte zum 1 K 2898/21, Bl. 68 bis 73). Für das Jahr 2019 liegt eine Bescheinigung der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der regierungsunmittelbaren Stadt X, vor, wonach der Kläger „Chinese fiscal resident“ sei (Rb-Akte, Bl. 14 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 539). Für die Jahre 2012 bis 2019 hat der Bevollmächtigte Bescheinigungen des Staatlichen Hauptfinanzamts der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] vorgelegt, wonach der Kläger in 2012 auf seinen Lohn und Gehalt Steuern von 352.020 Yuan, 2017 von 15.490 Yuan, 2018 von 92.475 Yuan und 2019 von 91.080 Yuan gezahlt habe (Anlage K4 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.6.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 110 und Bl. 113 und Anlage K1 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 573 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>2. Der Kläger war von 1997 bis 2003 in V / Deutschland und sodann bis 2007 in H einwohnerrechtlich gemeldet. Nochmals war er in H von [ ___ ] bis [ ___ ]2013 gemeldet (vgl. Auskunft über das Meldeportal vom 4.5.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 499 ff. und Anlage K20 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 20.10.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 427).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Er wohnte nach seinem Studium bis 2000 in der [ ___] -Straße xx in V / Deutschland und anschließend mit seiner Ehefrau bis 2003 in der [ ___ ]-Allee x in V / Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit Notarvertrag vom [ ___ ]2003 erwarben beide Eheleute je hälftiges Miteigentum am Grundstück [ ___ ]-weg x in H. Die Finanzierungsdarlehen wurde vom Kläger und seiner Ehefrau i.H. von 235.000 Euro bei der Bank I (Bank I) aufgenommen (EA II, Bl. 74 ff.). Das Objekt, ein Reihenhaus, veräußerten sie 2015 an eine Mitarbeiterin, eine [ ___ ] (Auszug aus dem Grundbuch von H Nr. xxxx, Amtsgericht -AG- V / Deutschland, Flst-Nr. xxx mit 181 m², Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 515 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Bereits mit notariellem Kaufvertrag vom [ ___ ]2013 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein bebautes Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G zu jeweils hälftigem Miteigentum (Auszug aus dem Grundbuch von [ ___ ], AG V / Deutschland, Gemeinde G, Flst-Nr. xxx und xxx mit insgesamt 1.703 m², Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 486 ff. und EW-Akte, Bl. 10 ff.). Den notariellen Kaufvertrag unterschrieben der Kläger und seine Ehefrau ebenso wie den mit der Baufirma am [ ___ ]2013 geschlossenen Bauvertrag jeweils eigenhändig (EA I, Bl. 48 und Bl. 82 sowie EW-Akte, Bl. 14).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Der Kaufpreis für das bebaute Objekt betrug 239.000 Euro (ohne Nebenkosten). Von der Stadt G wurde am 24.2.2014 die Baugenehmigung für den Abriss des Bestandsgebäudes und den Neubau eines Einfamilienhauses nebst Garage mit vier Stellplätzen, Fahrrad- und Müllabstellraum sowie zwei Gästestellplätzen im Untergeschoss des Gebäudes erteilt (EA I, Bl. 6 und EW-Akte, Bl. 18; vgl. Baupläne, EA I, Bl. 18 ff. und Lageplan, EW-Akte, letztes Bl.). Baubeginn war im März 2014 (EA I, Bl. 82). Laut den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau im Fragebogen zur Einheitsbewertung vom 24.8.2017 beträgt die Wohnfläche 801 m². Es sind eine Sauna und ein Schwimmbad mit 38 m² vorhanden. Das neu errichtete Wohngebäude wurde im Jahr 2016 fertiggestellt und bezogen (EA I, Bl. 10 ff. und EW-Akte, Bl. 21 f.; vgl. Fotos, EA I, Bl. 15 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Baukosten für das Gebäude in der [ ___ ] Straße Y in G von rund drei Millionen Euro trug der Kläger allein (Schreiben von Rechtsanwalt R vom 31.8.2017, S. 1, BMO, Bl. 224).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Der Kläger und seine Ehefrau unterschrieben die beim Beklagten (Finanzamt -FA-) eingereichte Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts am 10.10.2017 jeweils eigenhändig (EA I, Bl. 55 und EW-Akte, Bl. 25). Gleiches gilt für den Fragebogen zur Einheitsbewertung, welchen beide am 24.8.2017 unterzeichneten. Dabei wurde beim Ort der Unterschrift des Klägers zuerst G vermerkt, dann durchgestrichen und durch X ersetzt (EA I, Bl. 11 und EW-Akte, Bl. 22).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>3. Sein Sohn K 2 besuchte zunächst ab dem Jahr 2007 die Ganztagesbetreuung des Kindergartens (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 14), ab 2010 die Schule mit Ganztages- und Schulhortbetreuung (ESt-Akte, Lasche 2010, Bl. 11) jeweils in H und später das örtliche Gymnasium in H bzw. ab dem Umzug in G. Seit 2019 besuchte er die Deutsche Schule in X (Nachweise in Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 73 bis 76) und schloss diese im [ ___ ] mit dem Abitur ab. Nach Angaben des Klägers will K 2 in Deutschland studieren, da er die chinesische Sprache (ebenso wie K 1) nicht hinreichend gut beherrscht, um in China studieren zu können. K 2 ist seit dem [ ___ ]2015 einwohnerrechtlich mit seiner alleinigen Wohnung in G (vorher in H) gemeldet (Einwohnermeldeamt vom 30.6.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 597).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Der Sohn der Ehefrau, K 1, besuchte zunächst Schulen in Deutschland und in der Zeit von August 2013 bis Juli 2017 die Deutsche Schule in X (Nachweise in Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 66 bis 72). Er legte in X das Abitur im Jahr [ ___ ] ab und studiert seitdem Informatik und Wirtschaftspsychologie in S und wohnt noch „zu Hause“ in G (vgl. Einwohnermeldeamt vom 30.6.2022 und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 587 und 598).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>4. Der Kläger ist Inhaber verschiedener Unternehmen mit ca. 320 Arbeitnehmern in China und 3 bis 4 Arbeitnehmern in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Er hält jeweils 90 Prozent an einer M GmbH und einer Werkzeug GmbH (nachfolgend: Werkzeug GmbH) jeweils mit Geschäftsanschrift in der [ ___ ] - Allee xx/x in V / Deutschland. Weitere Gesellschafterin beider Unternehmen ist seine Ehefrau zu 10 Prozent.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>a) Die M GmbH (HRB xxxxx) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom [ ___ ].1994 gegründet (Firmenname zu Beginn: A GmbH Im- und Export, [ ___] -Straße xx in V / Deutschland). Gegenstand des Unternehmens war zunächst der Einzelhandel mit [ ____ ] (EA II, Bl. 67), später der Im- und Export von Waren aller Art, ausgenommen Lebensmitteln. Nachdem sich der Geschäftssitz zwischenzeitlich bis 2006 in der [ ___ ] -Allee yyy/y befand (EA II, Bl. 67), ist Geschäftsanschrift seitdem die [ ___ ] -Allee xx/x in V / Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Beteiligungshöhe des Klägers und seiner Ehefrau an der M GmbH schwankt seit der Gründung im Jahr 1994 aufgrund von Schenkungen zwischen den Eheleuten (zuletzt im Jahr 2014) und der anfänglichen Beteiligung einer [ ___ ] (vgl. EA I, BI. 148). Der Kläger war bis zum 4.8.2006 Geschäftsführer der M GmbH; seitdem ist seine Ehefrau Geschäftsführerin (von März 2017 bis Januar 2019 war ein GF weiterer Geschäftsführer). Prokuristin ist seit Oktober 2014 eine GFin (Auszug aus dem Handelsregister des AG G / Deutschland, HRB xxxxx, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 507 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>aa) Auf der Homepage der M GmbH heißt es unter „Über uns“ [ ___ ], zuletzt eingesehen am 15.6.2022):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>[ ___ ]</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Es finden sich sodann elektronische Kontaktmöglichkeiten mit M Deutschland, MX und M Taiwan.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Weiter wird ausgeführt (Über uns - Stärke):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>[ ___ ]</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>[ ___ ]</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>bb) In den Jahren 2015 bis 2018 war die M GmbH an einer Werkmaschinen GmbH & Co. KG, Deutschland -einer Einkaufsgesellschaft- als Kommanditistin mit einer Einlage i.H. von 60.000 Euro beteiligt. Die Gesellschaft hatte neben der Komplementärin vier weitere Kommanditisten als Gesellschafter (Handelsregister des AG [ ___ ]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>cc) Laut ihren Jahresabschlüssen erzielte die M GmbH folgende Gewinne und Umsätze (in Euro, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 594):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="6" rowspan="1"><rd nr="28"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gewinn</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Ausgangsumsätze</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">davon Ausfuhr Drittland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Materialaufwand</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Personalaufwand</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">56.967,17</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.590.142,62</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.360.047,24</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.351.430,34</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">117.937,58</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">40.337</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.027.002,99</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.680.489,38</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.712.151,41</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">199.373,53</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-24.429,78</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.084.707,70</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.856.603,79</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.811.869,12</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">214.506,75</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">35.456,70</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.420.784,23</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.347.555,57</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.040.519,08</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">148.921,87</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">65.327,47</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.375.379,95</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.241.025,92</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.899.524,61</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">238.857,93</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 303.772,61</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.145.653,55</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.145.094,55</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.125.849,86</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">269.466,76</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung (Bp) des FA G fungiert die M GmbH als Einkaufsgesellschaft. Der Einkauf findet hauptsächlich in Deutschland und der EU statt. Die Veräußerung erfolgt ins Drittland, hauptsächlich an verbundene Unternehmen in China. Die M GmbH erbringt außerdem sonstige Leistungen an verbundene Unternehmen in Form von Marketing und technischen Support.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Aufgrund dessen wurde der von der M GmbH berechnete Aufschlagssatz von 3 Prozent als zu gering eingeschätzt. Vielmehr ging die Bp von einem Aufschlagssatz von 5 Prozent aus. Nach dem Bp-Bericht vom 28.10.2020 sei deshalb für die Jahre 2014 bis 2016 eine Korrektur des Gewinnaufschlags bei Lieferungen an verbundene Unternehmen nach § 1 des Außensteuergesetzes (AStG) i.H. von 50.000 Euro pro Jahr vorzunehmen (Tz. 24, Kopie der Bp-Akte im Verfahren 1 K 2953/20 und Aktenvermerk vom 20.10.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 601).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>b) Die Werkzeug GmbH (HRB xxxxx) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom [ ___ ].2014 gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung und der Handel von und mit Werkzeugen aller Art. Geschäftsführerin ist von Anfang an die Ehefrau des Klägers (von Oktober 2014 bis März 2015 gemeinsam mit einem GL und von Oktober 2016 bis März 2019 mit GF, Auszug aus dem Handelsregister des AG G, HRB xxxxx, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 511 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Werkzeug GmbH erwirtschaftete nach ihren Jahresabschlüssen folgende Gewinne und Umsätze (in Euro; Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 593):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="6" rowspan="1"><rd nr="33"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gewinn</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Ausgangsumsätze</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">davon Regelsteuersatz</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Materialaufwand</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Personalaufwand</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">- 28.697,44</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-       </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-       </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">31,60 </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">22.096,80</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 26.497,98</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">823.384,90</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">686.400,37</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">646.232,37</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">151.909,77</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">9.865,49</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">965.764,04</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">871.536,51</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">744.425,13</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">157.367,17</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 20.956,45</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.186.549,80</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">955.783,53</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">997.586,38</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">171.778,76</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.179,02</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.864.073,91</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.261.114,92</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.584.918,59</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">220.782,19</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Nach dem Bp-Bericht vom 20.10.2020 ist die Werkzeug GmbH eine Vertriebsgesellschaft. Der Einkauf erfolgt in China (vornehmlich bei der Werkzeug Ltd.). Geliefert wird an Unternehmen im Inland (auch an verbundene Unternehmen wie die M GmbH) und in der EU. Nach dem Bp-Bericht vom 2.2.2021 ist eine Korrektur der Verrechnungspreise für die Jahre 2015 bis 2018 aufgrund der erst begonnenen Tätigkeit der Werkzeug GmbH nicht vorzunehmen. Die anfänglichen Verluste seien vielmehr hinzunehmen (Tz. 13, Kopie der Bp-Akte im Verfahren 1 K 2953/20 und Aktenvermerk vom 20.10.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 602).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="35"/></th> </tr> <tr> <td colspan="2" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">c) In China ist der Kläger zu 100 Prozent insbesondere an folgenden Unternehmen beteiligt, die er ab 2001 gegründet hat:</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">    </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Werkzeug [ ___ ] Ltd., X (nachfolgend: Werkzeug Ltd.),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">[ ___ ] Ltd., X (auch als [ ___ ] Ltd. bezeichnet; nachfolgend: Gew Ltd.),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">X M Co. Ltd. (nachfolgend: M Ltd.) als mittelbare Beteiligung über die Werkzeug Ltd. (80 Prozent) und die Gew Ltd. (20 Prozent),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">[ ___ ] X Co. Ltd. (nachfolgend: T Ltd.) und</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Werkzeug Ltd, X.</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Insgesamt habe der Kläger -so der Bevollmächtigte- in China und Taiwan zehn Firmen. Zu den Umsätzen und Gewinnen dieser Firmen machte er keine detaillierten Angaben. Er teilte lediglich mit, dass die chinesischen Firmen „im streitgegenständlichen Zeitraum bis 2019/2020“ umgerechnet mehr als 15,5 Mio. Euro „an Steuern“ in China bezahlt hätten (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 571). Zu seinen Einkünften gibt der Kläger insoweit an, in den Streitjahren habe er sich „nur wenig Geschäftsführergehalt ausgezahlt“. Vielmehr habe er „überwiegend von ... (den) Gewinnausschüttungen (der chinesischen Firmen) gelebt“ (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2, a.a.O., Bl. 569).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>5. Bis einschließlich 2007 wurden der Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2006 gab der Kläger die Anschrift [ ___ ] in X an. Auf der Einkommensteuererklärung für 2006 findet sich der handschriftliche Hinweis der Sachbearbeiterin des FA: „Telefonat mit StB am 31.3.08, H. A hat inl. Wohnsitz aufgegeben.“ Deshalb begehrte der Kläger die steuerliche Freistellung von chinesischem Arbeitslohn i.H. von 13.750 Euro (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Das FA teilte dem Kläger mit Schreiben vom 29.7.2008 mit, dass er nach den eingereichten Unterlagen und Erläuterungen seinen steuerlichen Wohnsitz im Inland beibehalten habe und damit unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 18). Auch die Sachbearbeiterin für internationales Steuerrecht teilte diese Einschätzung der Veranlagung (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 28).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Mit Schreiben vom 14.1.2009 bestätigte die damalige Steuerberaterin, dass der Kläger weiterhin seinen Wohnsitz in Deutschland habe (EA I, Bl. 268 und Rb-Akte, Bl. 48). Daraufhin wurde die Eigenheimzulage ab 2007 bis 2010 für das Reihenhaus in der [ ___ ]-weg x in H mangels Wohnsitzverlagerung nach China festgesetzt (Aktenvermerk des FA vom 4.2.2009, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 63).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Für das Jahr 2007 erklärte der Kläger einen steuerpflichtigen Arbeitslohn aus China i.H. von 34.067 Euro (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 17). Im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung machte er Werbungskosten für die angemietete Wohnung in China geltend (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 19).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Im September 2007 erwarben der Kläger und seine Ehefrau unter der Adresse Q xxx in X (der Ladungsanschrift) eine Immobilie zu jeweils hälftigem Miteigentum. In China -so der Bevollmächtigte- sei gesetzlich geregelt, dass Eheleute eine Immobilie nur jeweils zu hälftigem Eigentum erwerben könnten. Das Objekt sei seinerzeit (ohne Einrichtung) für rund 900.000 Euro gekauft worden. Davon habe der Kläger ca. 30 Prozent durch Eigenkapital, den Rest durch ein Darlehen finanziert. Die Immobilie sei zum heutigen Zeitpunkt ein Vielfaches wert (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und 571; vgl. Fotos, Anlage 2 zum Schriftsatz vom 1.7.2020, Rb-Akte, Bl. 63 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Auf der Einkommensteuererklärung der Ehefrau für 2008 wurde von der Sachbearbeiterin des FA notiert: „Telefonat mit StB, Ehemann lebt seit 2007 wieder in China à Einzelveranlagung der EF.“ (ESt-Akte, Lasche 2008, Bl. 1)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Mit Schreiben vom 5.7. 2010 teilte das FA in einem Schreiben an die Ehefrau mit, dass der Kläger nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei, da sich sein Wohnsitz im Ausland befinde. Ab 1.1.2008 erhielt die Ehefrau für die daher anstehende Einzelveranlagung eine neue Steuernummer (xxxxx/xxxxx; ESt-Akte, vor Lasche 2008, Bl. 2 und EA I, Bl. 93).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Ehefrau erklärte für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2018 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführerin der M GmbH und der Werkzeug GmbH zwischen 32.500 Euro (2012) und 117.600 Euro (2018).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Mit Bescheiden jeweils vom 28.6.2021, wurden der Kläger und seine Ehefrau für die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2018 unter der Steuernummer xxxxx/yxyxy wieder zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (vgl. ESt-Akte, Bl. 105 ff.). Mit weiteren Bescheiden ebenfalls vom 28.6.2021 wurde die Einzelveranlagungen der Ehefrau für diese Veranlagungszeiträume aufgehoben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>6. Im August 2017 ließ sich der Kläger von einer Rechtsanwaltskanzlei darüber beraten, ob der Umstand, dass er die Aufwendungen für die Herstellung des Gebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G allein getragen habe, Schenkungsteuer auslöse, da seine Ehefrau hälftige Miteigentümerin des Grundstücks sei. Ein Rechtsanwalt R erläuterte, dass der Vorgang nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) schenkungsteuerbefreit sei, da mit diesem Gebäude ein eigengenutztes Familienheim errichtet worden sei. Die Schenkungsteuerbefreiung könne nicht daran scheitern, dass der Kläger dort keinen Wohnsitz begründet habe, denn eine Nutzung durch die Ehefrau reiche nach einer Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Berlin vom 28.1.2003 5 K 5267/01, juris zumindest dann aus, wenn diese mit einem gemeinsamen Kind in der Wohnung lebe. Weiter führte der Rechtsanwalt aus: „In der dortigen Entscheidung [des FG Berlin] war es sogar so, dass die Eheleute im scheidungsrechtlichen Sinne voneinander getrennt gelebt haben, also nicht wie in Ihrem Fall, aufgrund einer beruflichen Trennung. … Im vorliegenden Fall ist es aber so, dass allein Ihre berufliche Ausübung Sie dazu zwingt, teilweise nicht in Deutschland zu leben. Dass Sie in Deutschland aus steuerlichen Gründen nicht gemeldet sind, kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Tatsache und selbstverständlich beweisbar ist, dass für die Zeit, in der sie in Deutschland leben, Sie sich ebenfalls in dem Hausgrundstück aufhalten.“ (Schreiben vom 31.8.2017, S. 2 f., BMO, Bl. 225 f.)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>7. Am 22.11.2019 erließ das FA eine dingliche Arrestanordnung über die Sicherung von Ansprüchen für die Streitjahre i.H. von 1.427.128,30 Euro (ESt-Akte, Bl. 1 ff. und Rb-Akte, Bl. 1 ff.). Am 26.4.2021 ordnete das FA den weiteren dinglichen Arrest zur Sicherung von Ansprüchen für die Jahre 2017 und 2018 i.H. von 1.142.682,30 Euro an, der im Verfahren 1 K 1142/21 streitig ist (ESt-Akte, Bl. 55 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Der Kläger sei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig, da er seinen Wohnsitz in Deutschland (zuerst in H, später in G) habe. Auch sei er nach Art. 4 des Doppelbesteuerungsabkommens mit China (DBA-China) in Deutschland ansässig, da hier der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liege.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Der Kläger habe vor diesem Hintergrund die Besteuerung seiner Einkünfte im Inland bewusst vermieden und seit dem Jahr 2008 keine Steuererklärungen mehr eingereicht. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle des FA E habe ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet. Nach allgemeiner Lebenserfahrung bestehe nach der Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens ein besonderes Interesse des Beschuldigten, die aus der Straftat erlangten Vermögenswerte so zu verschieben, dass sie einer späteren Vollstreckung entzogen würden. Der Kläger habe sich durch die zur Last gelegte Tat rechtswidrig Vermögenvorteile verschafft. Es liege daher nahe, dass er als Verantwortlicher alles versuchen werde, um die Vollstreckung der Steueransprüche durch die Übertragung, Veräußerung oder das Beiseiteschaffen des Vermögens zu verhindern. Im Inland seien keine ausreichend verwertbaren Vermögenswerte bekannt. Das Grundeigentum des Klägers und seiner Ehefrau in der [ ___ ] Straße Y in G sei mit einer erstrangigen Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro belastet und damit nicht werthaltig. Die Grundschuldbestellung mit Bewilligung vom 26.3.2018 diene dem Kläger dazu, seine ungerechtfertigt erlangten Vermögenswerte langfristig zu sichern und dem Vollstreckungszugriff des FA zu entziehen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Die Arrestsumme setzt sich wie folgt zusammen:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="2" rowspan="1"><rd nr="51"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Abgabenart und Jahr</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Betrag</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Einkommensteuer 2013</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">149.255,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Solidaritätszuschlag 2013</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 229,24 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Einkommensteuer 2014</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">502.501,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Solidaritätszuschlag 2014</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">27.596,53 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Einkommensteuer 2015</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">611.528,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Solidaritätszuschlag 2015</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">33.592,96 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Einkommensteuer 2016</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">97.499,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Solidaritätszuschlag 2016</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5.385,05 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.427.128,30 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Die Zustellung und Vollziehung der Arrestanordnung erfolgte durch die Steufa im Rahmen einer amtsrichterlich angeordneten Durchsuchung am 26.11.2019 in dem Wohnhaus [ ___ ] Straße Y in G (Empfangsbekenntnis vom 26.11.2019 und Aktenvermerk vom 28.11.2019, Rb-Akte, Bl. 8 ff. und Bl. 12).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Der Kläger hinterlegte die Arrestsumme am 6.12.2019, so dass die bereits durchgeführten Vollziehungsmaßnahmen aufgehoben wurden (Schreiben des FA vom 18.12.2019, Rb-Akte, Bl. 16 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>8. Gegen die Arrestanordnung legte der Kläger am 4.12.2019 Einspruch ein (Rb-Akte, Bl. 27).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>9. Mit Schreiben vom 1.7.2020 beantragte er zudem die Aufhebung der Arrestanordnung, da er weder einen Wohnsitz noch eine ständige Wohnstätte in Deutschland habe. Er sei in China ansässig (Rb-Akte, Bl. 31 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Der Antrag auf Aufhebung der Arrestanordnung wurde vom FA mit Verfügung vom 6.8.2020 abgelehnt (Rb-Akte, Bl. 79).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Die persönlichen Lebensumstände des Klägers sprächen aufgrund des Wohneigentums in G und der dortigen nachhaltigen Aufenthalte der nicht getrennt lebenden Ehefrau sowie der gemeinsamen Kinder für eine Ansässigkeit des Klägers in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Gegen die Ablehnung der Arrestaufhebung legte der Kläger ebenfalls Einspruch ein (Schreiben vom 11.8.2020, Rb-Akte, Bl. 80).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>10. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 11.11.2020 als unbegründet zurückgewiesen (Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 6 ff. und Rb-Akte, Bl. 82 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Im Rahmen der Überprüfung der Finanzierung des Grundstückserwerbs und des Gebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G seien Unterlagen vorgelegt worden, aus denen sich ergebe, dass der Kläger folgende steuerpflichtige Gewinnausschüttungen von den aufgeführten chinesischen Firmen erhalten habe:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="4" rowspan="1"><rd nr="61"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Werkzeug Ltd.</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Gew Ltd.</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Summe </td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110,75 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110,75 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.229.601,39 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">794.722,07 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.024.323,46 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.483.361,04 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">976.158,11 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.459.519,15 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">400.000,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">400.000,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Hieraus würden sich die zu sichernden steuerlichen Ansprüche mit dem Betrag von 1.427.128,30 Euro errechnen (im Einzelnen, S. 6, Rb-Akte, Bl. 84).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="63"/></th> </tr> <tr> <td colspan="2" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">11. Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4.12.2020 die vorliegende Klage erhoben (Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 3 ff.), mit der er -mit Schriftsatz vom 30.6.2021 (S. 1 Nr. 1; Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 79)- zunächst die Aufhebung folgender Verwaltungsakte beanspruchte:</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"/> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">der Einspruchsentscheidung vom 11.11.2020,</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">der Ablehnung der Aufhebung der Arrestanordnung vom 6.8.2020 und der</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Arrestanordnung vom 22.11.2019.</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Hierzu hat der Kläger im Einzelnen geltend gemacht:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>a) Ein Arrestanspruch liege nicht vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Der Kläger würde seit 2007 unter der Ladungsanschrift in einer Villa in China wohnen (Schriftsätze vom 4.12.2020, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 3 ff., vom 30.6.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 79 ff. und vom 20.10.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 10). Diese Immobilie habe er im Jahr 2007 (gemeinsam mit seiner Ehefrau) erworben. Zuvor --seit 2003-- habe er ein 4-Zimmer-Appartement in X bewohnt. Im Jahr 2008 habe er sich aus Deutschland als „ins Ausland“ verzogen abgemeldet (a.a.O., Bl. 15). Von seiner Ehefrau und seiner Familie lebe er seit 2006 getrennt (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 28). Im Jahr 2016 habe er mit seiner Ehefrau ein Haus in der [ ___ ] Straße Y in G errichtet (Schriftsatz vom 20.10.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 10).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="67"/>aa) Seine Villa in X habe eine Wohnfläche von 939,14 m² und sei von einer Firma Möbel K GmbH, O /Deutschland im Jahr 2008 wohnfertig eingerichtet worden (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3, BMO, Bl. 99 und vom 16.11.2020, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 48 [ ___ ]). Seine Villa in X sei wesentlich größer als das Gebäude in G (801 m² Wohnfläche) nämlich „fast doppelt so groß“ und auch wesentlich schöner eingerichtet. Ebenso verfüge er in X über einen „mindestens so ansprechenden Fuhrpark bzw. eine ebenso gut gefüllte Garage wie in Deutschland“ (vgl. Fotos, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Anlage 5, Bl. 170 bis 172). Das Haus in G sei zwar für deutsche Verhältnisse geräumig, aber in der Sache lediglich ein „Gebäude für die Ehefrau“ sowie „ein Rückzugsort im Falle einer Krise der Politik in China“ (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3 f., BMO, Bl. 99 f. und Rb-Akte, Bl. 33 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Er habe seinen Wohnsitz ausschließlich in China, da er dort lebe, arbeite, seine Familie und Freunde empfange, seine persönlichen Dinge aufbewahre und von dort seit 2007 seine Firmen in X und weltweit leite (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 29 und Aufstellung des Bevollmächtigten über den typischen Tagesablauf des Klägers in X vom 4.8.2022). Er habe, wenn er sich geschäftlich in Deutschland aufgehalten habe, oftmals nicht im Hotel übernachtet, sondern „an seinem ehemaligen Wohnsitz“. Dies allerdings nur um Kosten zu sparen (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 28). Einer seiner beiden Söhne sei seit 2013 stets in X. Sein Bruder mit Familie lebe ebenfalls dort (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 11, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 36). Seine Eltern wohnten mit in seiner Villa (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3, BMO, Bl. 99).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Sein Sohn K 1 habe in den Jahren 2013 bis 2017 die Deutsche Schule in X besucht; sein Sohn K 2 von 2019 bis Juni 2022 (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 48 mit Anlage 2a, Bl. 66 ff. und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, S. 3, a.a.O., Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>bb) Aufgrund der Eintragungen in seinen Reisepässen habe er sich in der folgenden Anzahl von Tagen in China aufgehalten. Den Rest der Aufenthalte bildeten Reisen in Drittländer sowie Aufenthaltstage in Deutschland, die weitaus überwiegend geschäftlicher Natur gewesen seien. Erkennbar sei, dass die Aufenthaltstage in China seit 2014 stark angestiegen seien (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 16, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 41 und Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.6.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, S. 16, Bl. 94), im Einzelnen wie folgt:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="4" rowspan="1"><rd nr="71"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in China</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in Deutschland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in Drittländern</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">188</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">128</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">49</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">219</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">105</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">41</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">246     </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">100</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">19</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">263     </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">106</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">237     </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">78</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">13</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">263     </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">94</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">8</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Hinsichtlich dieser Aufenthaltstage, die sowohl durch den Kläger im Einzelnen bezeichnet als auch von dem Bevollmächtigten geprüft worden seien, könnten jeweils die entsprechenden Beschreibungen der Reisen und Aufenthalte in den allermeisten Fällen zusätzlich geliefert werden. Möglicherweise gebe es hinsichtlich einzelner Tage geringfügige Abweichungen zwischen dem Ergebnis der Prüfung des Bevollmächtigten und derjenigen des Klägers, die lediglich in einer Bandbreite von maximal drei bis vier Tagen oder höchstens zehn Tagen pro Jahr differierten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="73"/>In den Ferienzeiten, wie z.B. Weihnachten, dem chinesischen Neujahrsfest, Silvester und Ostern sei jeweils nicht der Kläger nach Deutschland gekommen, sondern seine Familie nach X. Die Villa in X nutzten er, seine Familie, Freunde und seine Bekannten regelmäßig u.a. im Rahmen von Grillfesten und Partys (vgl. Fotos, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 78 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>Der Kläger habe seit seiner Rückkehr nach X „im Jahr 2005“ nicht nur einen sehr luxuriösen privaten Wohn- und Rückzugsort für sich und seine Familie in X geschaffen. Er habe bereits ab dem Jahr 2003 dort auch mehrere Firmen gegründet, die derzeit über 320 angestellten Arbeitnehmern einen zukunftssicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz böten. Zu nennen seien die 2003 gegründete Werkzeug Ltd., die im Jahr 2006 gegründete Gew Ltd., die in 2007 gegründete T Ltd. und die 2008 gegründete M Ltd. (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 7 f., Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 52 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>cc) Seine Firmen befassten sich mit unterschiedlichen Geschäftsthemen: Zum einen mit der Herstellung von [ ___ ] (Gew Ltd.) und zum anderen mit der Herstellung sowie dem Vertrieb von Werkzeugen. Sie seien erfolgreich auf dem Weltmarkt tätig. Daraus folge, dass die tägliche Anwesenheit des Klägers in X erforderlich sei, damit er diese Firmen und insbesondere seine Mitarbeiter vor Ort anleiten, beaufsichtigen und mit seinen leitenden Mitarbeitern wichtige Entscheidungen treffen könne. So habe er im Jahr 2014 eine M-Tochtergesellschaft in Taiwan gegründet (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 53).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>In Deutschland arbeiteten in seinen gruppenangehörigen Firmen lediglich vier Mitarbeiter (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 4, BMO, Bl. 100).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>Aufgrund dessen habe nur China das Besteuerungsrecht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/>b) Zudem sei kein Arrestgrund gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Ein Arrestgrund bestehe, wenn bei Abwägung aller Umstände zu besorgen sei, dass ohne sofortige Sicherung die Vollstreckung eines Steueranspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Das FA habe den Arrestgrund damit gerechtfertigt, dass der Kläger seit 2008 keine Steuererklärungen mehr eingereicht habe und dass er sich in China aufhalte (Schriftsatz vom 30.6.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, S. 17 f., Bl. 95 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>Diese Sachverhaltsdarstellung berücksichtige nicht den legalen Wegzug des Klägers in sein ursprüngliches Heimatland aus privaten und wirtschaftlichen Gründen. Sie negiere zudem die unstreitige Ansässigkeit der getrenntlebenden Ehefrau sowie jeweils eines Kindes in Deutschland. Zudem habe der Kläger mit dem Grundstückskauf und der Errichtung des Gebäudes in G in den Jahren 2014 bis 2016 eine „erhebliche Millionen-Investition“ in Deutschland getätigt. Außerdem betreibe er Firmen in Deutschland mit mehreren Angestellten. Überdies habe er den geltend gemachten Arrestanspruch hinsichtlich der streitigen Arrestanordnung in voller Höhe hinterlegt. Dies belege seine Rechtstreue und das Fehlen von Gründen, welche die Durchsetzung von Steueransprüchen vereiteln oder erschweren würden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="82"/>Der Kläger habe sein Vermögen gerade nicht ins Ausland verbracht oder sein wertvolles Grundstück („als wertvollsten Vermögensteil in Deutschland“) verkauft, sondern umgekehrt Vermögen von China nach Deutschland transferiert und das Grundstück in G erworben (Schriftsatz vom 30.6.2021, S. 17 f., Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 95 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>12. Zum Arrestanspruch hat das FA ausgeführt, dass der Kläger und seine Ehefrau in 2013 ein Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G mit 1.703 m² erworben und die Herstellungskosten des Gebäudes rund drei Millionen Euro betragen hätten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>Die Überprüfung der Finanzierung habe ergeben, dass die Eheleute für die Erstellung des Wohngebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G kein Fremdkapital eingesetzt hätten. Im Grundbuch sei lediglich im Jahr 2018 (und damit rund zwei Jahren nach der Fertigstellung des Gebäudes) eine Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro zugunsten der Bank II für eine Darlehensschuld der M GmbH eingetragen worden (Tz. 6.6, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85 und Darlehensvertrag zwischen der M GmbH und der Bank II vom 26.4.2018, EA II, Bl. 127 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Der Kläger habe Gewinnausschüttungen von chinesischen Firmen (insbesondere von der Werkzeug Ltd. und der Gew Ltd.) erhalten (Tz. 5, S. 5 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 83). Dementsprechend gebe es als Nachweis der Finanzierung des Wohnobjekts zwei notariell beurkundete Dokumente, nach denen Gelder in Form von Dividenden- und Bonuszahlungen direkt auf ein deutsches Konto überwiesen worden seien (Tz. 6.7, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85; Ausschüttungen der Werkzeug Ltd. i.H. von 3.325.073,18 Euro und der Gew Ltd. i.H. von 2.170.880,18 Euro, BMO, Bl. 1 ff. und Bl. 5 ff. sowie EA I, Bl. 84 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>Bei einer Ortsbesichtigung der [ ___ ] Straße Y in G am 22.3.2019 -im Vorfeld der Durchsuchung vom 26.11.2019- habe die Steuerfahnderin beobachten können, dass die Ehefrau den gemeinsamen Sohn K 2 mit dem Auto zur Schule oder zum Bus gebracht habe und nach ca. 15 Minuten wieder zu Hause gewesen sei (Tz. 6.9, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85 und Aktenvermerk vom 25.3.2019, EA I, Bl. 126).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>Laut Auskunft des Ausländerzentralregisters sei der Kläger deutscher Staatsbürger. Ihm sei von der Gemeinde H im Jahr 2013 (erneut) ein deutscher Personalausweis und ein deutscher Reisepass ausgestellt worden. Dafür habe sich der Kläger kurzfristig für einen Monat bei der Gemeinde H angemeldet (Tz. 6.10, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>Er sei verfügungsberechtigt über die Konten der Werkzeug GmbH und der M GmbH (Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen -BaFin- vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12 ff., 40 und 71 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Der Kläger unterhalte Geschäftsbeziehungen zur Bank I (z.B. Privatgirokonto bei der Bank II als unselbständiger Anstalt der Bank I Nr. xxxxxxxx vgl. Kontoauszüge, BMO, Bl. 13 ff.). Bei der Überprüfung seiner Kreditkartenabrechnungen sei festgestellt worden, dass bei Abschluss des Kreditkartenvertrages zwar eine Adresse in X angegeben worden sei, die Umsatzabrechnungen aber ab dem 14.3.2013 an die Adresse in H und ab dem 1.12.2016 an die Adresse in G gesandt worden seien. Die Auswertung der mit der Kreditkarte getätigten Einkäufe habe zudem ergeben, dass nur in einzelnen Monaten nicht mit der Kreditkarte des Klägers eingekauft worden sei (Tz. 8.2, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89). Es habe sich hierbei um Abbuchungen für Einkäufe im Einzelhandel und in Supermärkten sowie Restaurantbesuche in Deutschland (überwiegend im Großraum G / Deutschland) gehandelt. Die Ehefrau verfüge über ein eigenes Konto (Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021, S. 7, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 461; Konto der Ehefrau bei der Bank I Nr. yyyyyyy, EA II, Bl. 23 und 93).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>Es seien Kopien der Reisepässe des Klägers vorgelegt worden. Der Reisepass, der von der Gemeinde H ausgestellt worden sei (Nr. [ ___ ], BMO, Bl. 67 ff.), sei gültig vom 8.1.2013 bis 7.1.2023. Der weitere Reisepass, der vom Generalkonsulat in X stamme, sei vom 10.6.2015 bis zum 9.5.2025 gültig (Nr.  [ ___ ], BMO, Bl. 104 ff.). Die anhand der Stempel ausgewerteten Ein- und Ausreisdaten zeigten, dass sich der Kläger im Streitzeitraum an jeweils mehr als 90 Tagen im Jahr nicht in China aufgehalten habe (Tz. 8.3, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>Die Gegenüberstellung der Ein- und Ausreisestempel des Klägers in seinen Reisepässen und der Abgleich mit Daten und Unterlagen über seine inländischen Einkäufe mit Kreditkarte, seine Strafmandate wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie seine in Deutschland durchgeführten ärztlichen Behandlungen zeigten deutlich, dass er sich jährlich jeweils längere Zeit in Deutschland bei seiner Familie aufgehalten habe. Insbesondere zeige sich, dass Nachweise über Aufenthalte in Deutschland in den Zeiten vorlägen, für die zwar ein Ausreisestempel aus China vorliege, aber ein Einreisestempel in Deutschland nicht feststellbar sei (Tz. 8.4, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>Die Anzahl der Tage, an denen sich der Kläger in Deutschland oder sonst außerhalb Chinas aufhielt, wurde im Einzelnen wie folgt festgestellt (Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 462):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="3" rowspan="1"><rd nr="93"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Deutschland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">sonst außerhalb Chinas</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">119</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">42</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">89</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">37</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">39</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">109</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">118</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">10</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">99</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Das FA hat im Erörterungstermin bezüglich der Aufenthaltstage in Deutschland erklärt, die Angabe für das Jahr 2015 sei unzutreffend, da nur ein Teil des Jahres erfasst worden sei. Stattdessen habe sich der Kläger in jenem Jahr an 108 Tagen in Deutschland aufgehalten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>Zum Zeitpunkt der Durchsuchungsmaßnahme am 26.11.2019, angeordnet durch das AG E mit Beschluss vom 15.11.2019, sei K 1, der Sohn der Ehefrau, anwesend gewesen. Er habe mitgeteilt, dass sein Bruder K 2 derzeit beim Kläger in China sei (Tz. 9, S. 9 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 91).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Auf telefonische Weisung des Klägers habe K 1 der Durchsuchung widersprochen (vgl. Niederschrift über die Durchsuchung und Beschlagnahmeverzeichnis vom 26.11.2019, EA II, Bl. 161 ff.). Am Durchsuchungstag habe die Steufa zudem mehrfach mit dem Kläger telefoniert. Er habe eingeräumt, sich des Öfteren in Deutschland aufzuhalten. Das gemeinsame Haus in der [ ___ ] Straße Y in G stehe ihm jederzeit zur Verfügung. So habe er u.a. einen eigenen Ankleideraum, der mit jeder Art von persönlicher Kleidung des Klägers bestückt gewesen sei. In seinem Ankleidezimmer habe sich ein Tresor befunden. Nachdem der Kläger den Zugangscode mitgeteilt habe, sei dieser geöffnet und Barmittel i.H. von 130.000 Euro entdeckt worden. Darüber hinaus seien Unterlagen über weitere Gewinnausschüttungen aus China aufgefunden worden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>Die Hausangestellte, eine Frau [ ___ ], habe bei ihrer Vernehmung am 26.11.2019 ausgesagt, dass sie der Kläger -den sie seit über einem Jahr kenne- angestellt habe und er mehrmals im Jahr im Haus anwesend sei. Sie habe ihn einmal im Monat oder jeden zweiten Monat gesehen. Er lebe regelmäßig im Haus. Die Ehefrau sei bis auf sechs Wochen Urlaub im Jahr immer im Haus gewesen. Die Ehefrau des Klägers oder der Sohn seien stets anwesend gewesen, wenn sie gearbeitet habe (vgl. Niederschrift über die Zeugeneinvernahme vom 26.11.2019, EA II, Bl. 219 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>Im Speicher eines beschlagnahmten Laptops seien zudem Bilder von Familientreffen und sonstigen Feiern gefunden worden, die im Haus in G aufgenommen worden seien (vgl. Daten-DVD, die mit Schriftsatz der Steufa vom 23.5.2022 an das FG übermittelt wurde; Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 560). In der dortigen Garage sei ein schwarzer [ ___ ] ([ ___ ]) geparkt gewesen. Laut Aussage der Hausangestellten habe der Kläger diesen genutzt. Auf seinem Konto bei der Bank I hätte sich am Durchsuchungstag ein Guthaben von 3,2 Millionen Euro befunden (laut einem Foto des Finanzstatus hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben von 3,66 Mio. Euro bei der Bank I, Rb-Akte, Bl. 10). Davon sei ein Betrag von 1,4 Millionen Euro gepfändet worden (Schreiben der Steufa an das AG E vom 10.12.2019, EA II, Bl. 167 f.). Das Landgericht (LG) S habe die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des AG E mit Beschluss vom 6.3.2020 verworfen (EA II, Bl. 189 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>Ehegatten -so das FA weiter-, die nicht dauernd getrennt lebten, hätten ihren Wohnsitz grundsätzlich dort, wo die Familie wohne. Dies gelte unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten bestehe. Deshalb sei eine inländische Wohnung, die von einem Ehegatten gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt werde, auch dann ein Wohnsitz, wenn sich der Ehegatte zeitlich überwiegend im Ausland aufhalte. Deshalb sei der Kläger in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Aufgrund seiner Aufenthalte außerhalb Chinas von jeweils mehr als 90 Tagen pro Jahr sei er nicht in China ansässig und dort daher nur beschränkt steuerpflichtig. Dies bedeute, dass in China grundsätzlich nur Einkünfte aus chinesischen Quellen zu versteuern seien.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>Die Gewinnausschüttungen von seinen chinesischen Firmen seien direkt auf das Konto des Klägers bei der Bank I überwiesen worden. Er habe seinen persönlichen steuerlichen Status in China bisher nicht nachgewiesen. Zudem sei er an den auszahlenden Firmen zu mehr als 50 Prozent beteiligt. Aufgrund dieser mehrheitlichen Beteiligungen handele es sich bei den Zahlungen um Gewinnausschüttungen, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland zu erfassen seien. Als Veranlagungsart sei zugunsten der Eheleute die Zusammenveranlagung durchzuführen (Tz. 11, S. 10 f. des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 93 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>13. Deutschland habe daher -so das FA- das Besteuerungsrecht an den Gewinnausschüttungen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="102"/>a) Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er als „domiciled“ oder als „resident“ in China besteuert worden sei. Als „non-resident" sei er in China aber nicht ansässig, sondern unterliege dort keiner umfassenden persönlichen Besteuerung wie es Art. 4 Abs. 1 DBA-China verlange. Mangels Doppelansässigkeit liege deshalb bereits kein Kollisionsfall vor. Art. 4 Abs. 2 DBA-China (sog. tie-breaker-rule) sei infolgedessen nicht einschlägig (Schriftsätze vom 18.2.2020, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 49 ff. und vom 5.8.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 142 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>b) Aber auch nach Art. 4 Abs. 2 DBA-China sei der Kläger als nur in Deutschland ansässig zu behandeln, da er im Inland über eine ständige Wohnstätte verfüge und zudem hier den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>aa) Er könne das Haus in G -genauso wie zuvor das Haus in H- auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig nutzen. Auch sei es zu seinem ständigen Wohnen bestimmt und werde von ihm auch regelmäßig genutzt. Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass sich er sich an jeweils mehr als 90 Tagen pro Jahr (außer in 2017), also annähernd ein Drittel des Jahres, in Deutschland aufhalte und das, obwohl er in China seiner Tätigkeit nachgehe und zudem viele gemeinsame Urlaube mit der Familie auch in China verlebe. Er lebe nicht dauernd getrennt von seiner Ehefrau. Die Eheleute würden gemeinsame Urlaube und Feiertage verbringen. Die Kreditkartenabrechnungen deuteten zudem darauf hin, dass eine gemeinsame Finanzierung der Lebenshaltung vorliege und er Ausgaben für die Ehefrau tätige. Aufgrund der gemeinsamen wirtschaftlichen und familiären Lebensgestaltung mit der Ehefrau und seinen Kindern sei das Haus in G die Familienwohnung. Die Wohnung im Inland sei nach der vorliegenden Sachlage eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern vor allem eine in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>Die Dauer der Nutzung sei nicht maßgeblich. Dem zeitlichen Verhältnis der tatsächlichen Nutzungsdauer der Familienwohnung im Inland und der Wohnung im Ausland komme bei der Würdigung, ob eine ständige Wohnstätte vorliegt, keine Bedeutung zu. Für die Beurteilung der ständigen Wohnstätte spiele es auch keine Rolle, ob das Haus in X -wie der Kläger vortrage- wesentlich größer sei als die Häuser in G bzw. zuvor in H. Insbesondere das Haus in G sei mit familiärem Leben erfüllt, in das er eingebunden sei. Es biete mit 801 m² Wohnfläche mehr als nur ausreichend Platz für die gesamte Familie. Auch wenn die berufliche Tätigkeit des Klägers die meiste Zeit des Jahres seine persönliche Anwesenheit in X notwendig mache und er sich (auch) in der Wohnung in X zu Hause fühle und von dort die Arbeit aufsuche, verfüge er über eine ständige Wohnstätte in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>bb) Zudem habe er den Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>Die Ehefrau, sein Sohn K 2 und teilweise auch der Sohn der Ehefrau (K 1) hätten in den Streitjahren in dem gemeinsamen Haus in G gelebt. Den eingereichten Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Kläger eine sehr enge Bindung zu seiner Familie habe und diese trotz seiner häufigen geschäftlichen Abwesenheiten pflege. Aus den eingereichten Fotos (Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 78 ff.) und seinem Vortrag werde deutlich, dass er großen Wert auf gemeinsam verbrachte Ferienaufenthalte lege und ihm die familiäre Bindung äußerst wichtig sei. Aufgrund dieser Familienbande sei der Wohnort der Familie in Deutschland sein Lebensmittelpunkt. Dass sein Stiefsohn K 1 in Teilen des hier zu beurteilenden Zeitraums die Deutsche Schule in X besucht habe und gemeinsame Urlaube auch in China stattgefunden hätten, stehe dem Lebensmittelpunkt in Deutschland nicht entgegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>Zudem unterhalte der Kläger neben dem Bezug zur Familie auch enge freundschaftliche Beziehungen in Deutschland. Solche pflege er z.B. laut seinem Vortrag zu einem [ ___ ] (Geschäftsführer der Werk-P. GmbH; vgl. Anlage K5a zum Schriftsatz vom 11.4.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 173), der laut dessen Aussagen einer seiner besten Geschäftspartner sei und den er seit Abschluss seines Studiums in G / Deutschland und damit seit etwa 20 Jahren kenne. Die Freundschaft resultiere aus den intensiven Beziehungen des Klägers zu Deutschland. Unabhängig davon, dass sich die Geschäftspartner laut den vorliegenden Aussagen häufiger in China träfen, zeige sich hierin auch der besondere persönliche und wirtschaftliche Bezug zum Standort Deutschland. Der Kläger berufe sich zwar auf seine starken und intensiven Wirtschaftsbeziehungen in China. Da sich die wirtschaftlichen Interessen in Deutschland und China in weiten Teilen ergänzten und voneinander profitierten, seien für ihn aber nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen in China, sondern auch diejenigen in Deutschland bedeutende Gesichtspunkte. Der Ort der Geschäftsinteressen sei somit keinesfalls ein Schwerpunktsmerkmal, das nur auf China zutreffe. Nicht zu vernachlässigen seien überdies die finanziellen Interessen, die er in Deutschland habe. Durch die vielen Ortswechsel könne ihm Deutschland zudem als Rückzugsort dienen, vor allem da hier seine Familie wohne. Dass das Haus in G sein Zufluchtsort bei Krisen sei, zeige außerdem die enorme Bedeutung seines deutschen Wohnsitzes für ihn und seine Familie.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>cc) Im Übrigen lägen die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers in beiden Staaten vor, da die Aufenthalte von einer gewissen Mindestdauer seien und in Wiederholungsabsicht unternommen würden. Habe eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem der Staaten, so gelte sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie sei. Als deutscher Staatsangehöriger gelte er darum als nur in Deutschland ansässig (Schriftsätze vom 18.2.2020, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 49 ff. und vom 5.8.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 142 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>14. Inzwischen -am 28.6.2021- hat das FA (Zusammenveranlagungs-)Bescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre erlassen (vgl. ESt-Akte, Bl. 105 ff.):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="3" rowspan="1"><rd nr="111"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Abgeltungsteuer</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">153.027 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.024.173 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">506.043 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.690.643 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">672.660 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">399.850 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">99.962 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>15. Mit Schriftsatz vom 5.8.2021 hat das FA daraufhin mitgeteilt, dass sich der Rechtsstreit über die Arrestanordnung dadurch erledigt habe (Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 142 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="113"/>16. Dem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.9.2021 zu (S. 1, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 164) zugestimmt. Allerdings hat er auch vorgebracht, dass er ein berechtigtes Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage habe.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>a) Es bestehe Wiederholungsgefahr.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Aufgrund des Verhaltens des FA bestehe die Gefahr, dass trotz der umgehenden Hinterlegung des Betrags von rund 1,4 Mio. Euro durch den Kläger weitere, rechtwidrige Arrestanordnungen ergehen würden. Diese Wiederholungsgefahr manifestiere sich bereits dadurch, dass trotz der kurzfristigen Hinterlegung der Arrestsumme für die Streitjahre am 26.4.2021 ein weiterer dinglicher Arrest über 1,14 Mio. Euro für die Jahre 2017 und 2018 angeordnet worden sei. Zudem sei mit Schreiben des FA vom 14.10.2021 ein Gesamtbetrag von 3,063 Mio. Euro angemahnt worden. Nichts könne die Wiederholungsgefahr besser belegen als der zweite dingliche Arrest sowie diese Mahnung (Schriftsatz vom 18.10.2021, S. 4 f., Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 174 f.)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>b) Zudem beabsichtige der Kläger, Schadensersatzansprüche wegen Amtshaftung gegen das FA geltend zu machen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>Im Hinblick auf den derzeitigen Verfahrensstand könne dieses Vorhaben allerdings noch nicht hinreichend konkretisiert werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>c) Ferner sei ein Rehabilitationsinteresse gegeben, da durch die Arrestanordnung der Vorwurf einer Steuerhinterziehung gegen den Kläger erhoben werde.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Dieser Vorwurf -so der Bevollmächtigte- könne allerdings auch im Hauptsacheverfahren gegen die zwischenzeitlich erlassenen Steuerbescheide ausgeräumt werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>17. Der Kläger beantragt,<br/>die Rechtswidrigkeit des Bescheids über die Anordnung des dinglichen Arrests über die Sicherung von Ansprüchen i.H.v. insgesamt 1.427.128,30 Euro vom 22.11.2019 und die Einspruchsentscheidung hierzu vom 11.11.2020 festzustellen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>18. Das FA beantragt,<br/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>19. Hinsichtlich eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses führt das FA aus:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>Voraussetzung einer Wiederholungsgefahr sei ein konkreter Anlass für die Annahme, dass das FA die vom Kläger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen werde. Dafür müsse davon auszugehen sein, dass die für die Verwaltungsentscheidung maßgeblichen Verhältnisse unverändert zugrunde zu legen seien (Schriftsatz vom 30.11.2021, S. 2, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 189).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>So habe sich für die den Streitjahren nachfolgenden Veranlagungszeiträume die rechtliche Situation für die Besteuerung in China aufgrund einer Steuerrechtsreform ab dem Jahr 2019 grundlegend verändert. Daher könnten die für die Verwaltungsentscheidung maßgeblichen bisherigen Verhältnisse schon aus diesem Grund nicht unverändert für die Zukunft zugrunde gelegt werden. Die Rechtslage sei für die künftigen Veranlagungszeiträume vollständig neu zu prüfen. Sofern das FA aufgrund dieser Prüfung künftig zu dem Ergebnis komme, dass weiterhin eine Ansässigkeit in Deutschland gegeben sei, werde der Kläger zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert und falls er keine Steuererklärung abgebe, würden die Einkünfte geschätzt. Dass es für die Folgejahre weiterer Ermittlungen durch die Steufa mit einem anschließenden Arrestverfahren bedürfe, könne ausgeschlossen werden. Dies gelte umso mehr, wenn sich der Kläger seinen in Deutschland bestehenden steuerlichen Verpflichtungen stelle.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Aus dem Erlass der zweiten Arrestanordnung vom 26.4.2021 wegen Einkommensteuer für die Jahre 2017 und 2018 ergebe sich ebenfalls keine Wiederholungsgefahr, da diese bereits wirksam erlassen worden sei.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>Auch soweit der Kläger vortrage, dass ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Rechtslage bestehe, bedürfe es keiner Fortsetzungsfeststellungsklage. Die Rechtslage könne abschließend im anhängigen Hauptsacheverfahren (1 K 2898/21) gegen die Einkommensteuerbescheide festgestellt werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>Das vorgetragene Rehabilitationsinteresse sei nicht näher begründet worden. Jedenfalls sei eine diskriminierende Wirkung der Arrestanordnung nicht erkennbar.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>Ein besonderes Feststellungsinteresse wegen der Einleitung von Schadenersatzansprüchen wegen Amtshaftung habe sich noch nicht hinreichend konkretisiert. Der bloße Hinweis des Klägers auf einen möglichen Schadenersatzprozess reiche insoweit nicht aus.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Nicht zuletzt trage der Kläger selbst vor, dass eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Arrestanordnung im Hinblick auf ein Rehabilitationsinteresse und einen möglichen Schadenersatzanspruch im Hauptsacheverfahren erfolgen könne.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>20. Des Weiteren sei die Arrestanordnung rechtmäßig gewesen, da sowohl ein Arrestanspruch als auch ein Arrestgrund vorgelegen hätten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>a) Hinsichtlich des Arrestanspruchs verweist das FA auf seine bisherigen Ausführungen insbesondere in der Einspruchsentscheidung vom 11.11.2020.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>b) In Bezug auf den Arrestgrund trägt es vor:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Ein Arrestgrund sei gegeben, wenn bei objektiver Würdigung der gesamten Umstände zu befürchten ist, dass ohne die Arrestanordnung die künftige Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Dabei könne es auf die Möglichkeit eines schnellen und unmittelbaren und damit auch eines sicheren Zugriffs ankommen. Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Arrestgrundes komme es auf das objektive Gesamtbild aller Umstände an.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Im Streitfall ergebe sich aus der Gesamtheit der vorliegenden Tatumstände die begründete Besorgnis, dass ohne die Anordnung eines Arrests die Realisierung der Steueransprüche vereitelt oder erschwert werden würde. Der Kläger sei aufgrund der Angaben der Eheleute steuerlich nicht mehr geführt, so dass er ab 2008 keine Steuererklärungen mehr eingereicht habe. Gegenüber dem FA hätten die Eheleute mitgeteilt, dass der Kläger, bedingt durch eine eigene Wohnung und seinen fortlaufenden Aufenthalt in X, seit 2007 dauerhaft nach China verzogen sei. Die Eheleute hätten angegeben, dass sie getrennt lebten. Dies treffe aber aufgrund der vorliegenden Feststellungen nicht zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>So hätten sie im Jahr 2013 das Grundstück in G gekauft und darauf ein gemeinsames Haus errichtet, in welchem sie seit der Fertigstellung mit ihren Kindern lebten. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass der Kläger versucht habe, sich der deutschen Besteuerung zu entziehen. Als Verantwortlicher werde er alles versuchen, um die Vollstreckung der Geldansprüche des Staates durch Übertragung, Veräußerung oder Beiseiteschaffen des Vermögens zu verhindern (Schriftsatz vom 30.11.2021, S. 4 ff., Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 191 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>21. Am 30.1.2019 wurde gegen den Kläger ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung von Einkommensteuer für 2012 bis 2016 eingeleitet (Aktenvermerk, EA II, Bl. 2 ff.). Am 13.11.2019 wurde das Ermittlungsverfahren auf die Einkommensteuer für 2017 und 2018 erstreckt (Aktenvermerk, EA II, Bl. 6 f.). Mit Verfügung vom 28.6.2022 wurde das Strafverfahren für die Jahre 2012 bis 2016 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) durch die Straf- und Bußgeldsachenstelle des FA E eingestellt (Schreiben vom 5.7. 2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 177 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>22. Am 1.6.2022 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert (vgl. Niederschrift vom 1.6.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 585 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Gegen die weitere dingliche Arrestanordnung vom 26.4.2021 wegen Einkommensteuer für 2017 und 2018 i.H. von 1.142.682,30 Euro ist unter dem Aktenzeichen 1 K 1142/21 (Sprung-)Klage nach § 45 Abs. 4 FGO eingereicht worden. Auch in diesem Verfahren wird nunmehr die Feststellung der Rechtwidrigkeit begehrt. Gegen die Bescheide zur Einkommensteuer für 2013 bis 2018 vom 28.6.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021 ist eine Klage unter dem Aktenzeichen 1 K 2898/21 anhängig. Einstweiliger Rechtsschutz wird unter dem Aktenzeichen 1 V 2435/21 begehrt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>Die Akten der Verfahren 1 V 2435/21, 1 K 1142/21 und 1 K 2898/21 sind beigezogen. Die Einsichtnahme in die Akten in allen Verfahren erfolgte am 13.4.2021, 27.7.2021 und am 9.2.2022.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Unterlagen sowie auf die Behördenakten (ESt-, Rb-, Eigenheimzulagen-, Vollstreckungs- und Steuerfahndungsakten [BMO, EA I und II]) und die Gerichtsakten Bezug genommen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>1. Die Klage ist unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann, wenn sich ein mit der Anfechtungsklage angegriffener Verwaltungsakt im Verlauf des Klageverfahrens erledigt hat, das Gericht beim Vorliegen eines berechtigten Interesses auf Antrag die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen. Da ein Anfechtungsbegehren auch in jeder Verpflichtungsklage enthalten ist und diese zudem verwaltungsaktbezogen ist, ist § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO im Wege der Analogie auch insoweit anzuwenden (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 81 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>a) Die Arrestanordnung hat sich erledigt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Nach § 124 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Ob sich ein Verwaltungsakt auf andere Weise erledigt hat, richtet sich nach dessen Regelungsinhalt. Voraussetzung dafür ist, dass die von dem Verwaltungsakt ausgehende Beeinträchtigung durch die Erschöpfung des Regelungsgehalts entfallen ist. Das Klagebegehren muss objektiv insgesamt gegenstandslos geworden sein (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand Oktober 2019, § 100 Rn. 168).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Durch den Erlass der Bescheide vom 28.6.2021 liegen vollstreckbare Steuerbescheide vor, welche die durch den streitgegenständlichen Arrest gesicherten Steuerforderungen beinhalten. Hierdurch wurde das (vorläufige) Arrestverfahren in das Vollstreckungsverfahren übergeleitet und die Arrestanordnung gegenstandslos (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 23 und BFH-Beschlüsse vom 06.7.2001 III B 58/00, BFH/NV 2001, 1530, Rn. 8 sowie vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Leitsatz 1; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>b) Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Die Tatbestandsvoraussetzung des berechtigten Interesses im Sinne von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist eine besondere Sachentscheidungsvoraussetzung für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die am Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss und von Amts wegen zu prüfen ist.  Dafür genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Rechtsschutzsuchenden zu führen. Der Kläger muss das besondere Feststellungsinteresse substantiiert darlegen (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 88 f. m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>Typische Fallgruppen eines berechtigten Interesses sind eine Wiederholungsgefahr, die präjudizielle Wirkung für Folgeprozesse (Amtshaftung), ein Rehabilitierungsinteresse und die effektive Durchsetzung von Grundrechten (Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 49).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>aa) Eine Wiederholungsgefahr ist nicht gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>Eine Wiederholungsgefahr vermag ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts nur dann zu begründen, sofern diese Gefahr hinreichend konkret ist (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand Oktober 2019, § 100 Rn. 173). Im Hinblick auf Steuerveranlagungen ist ein solches Interesse nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben, wenn nämlich auch in den Folgejahren der gleiche Sachverhalt unverändert der Besteuerung und damit der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sein wird und das FA zu erkennen gibt, dass es in den Folgejahren wieder zu seiner ursprünglichen (dem Steuerpflichtigen ungünstigen) Rechtsauffassung ohne erneute Prüfung zurückkehren will (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1971 IV R 221/67, BStBl II 1972, 182, Rn. 6).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Die Fälle einer Wiederholungsgefahr setzen insbesondere voraus, dass im Vergleich zu dem erledigten Verwaltungsakt keine wesentliche Veränderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist und der wahrscheinlich zu erlassende Verwaltungsakt einen identischen Regelungsgehalt hat. Denn nur in diesem Fall lässt sich die im Rahmen des Fortsetzungsfeststellungsverfahrens getroffene Aussage des Gerichts auf den neuen Verwaltungsakt übertragen (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Soweit sich nämlich die Beurteilung des FA in den Streitjahren auf die fehlende unbeschränkte Steuerpflicht in China stützt, ist festzustellen, dass ab 2019 aufgrund einer Reform des chinesischen Steuerrechts maßgebliche Änderungen ergeben haben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Ab dem 1.1.2019 wird eine natürliche Person, die sich länger als 183 Tage in China aufhält, als dort ansässig betrachtet und unterliegt mit ihren weltweit erzielten Einkünften der Steuerpflicht in China. Die neue 183-Tage-Regelung ersetzt damit die bislang geltende Einjahresregelung. Danach wird bis Ende 2018 ein Ausländer erst bei einem Aufenthalt von einem vollen Steuerjahr oder länger in China unbeschränkt steuerpflichtig. Dabei gilt bis einschließlich 2018 als ein volles Jahr, wenn sich der steuerpflichtige Ausländer nicht mehr als 30 Tage am Stück oder über 90 Tage insgesamt in einem Steuerjahr außerhalb von China aufgehalten hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Soweit es daher um die Veranlagungszeiträume ab 2019 geht, wird das FA eine neuerliche Prüfung der Voraussetzungen eines deutschen Besteuerungsrechts durchzuführen haben. Dies hat das FA auch angekündigt und in seinen Ausführungen dargelegt. Überdies sind auch die Voraussetzungen des hilfsweise vom FA geprüften Art. 4 Abs. 2 DBA-China (ständige Wohnstätte, Mittelpunkt der Lebensinteressen) für jeden Veranlagungszeitraum grundsätzlich erneut zu beurteilen (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 172).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Zudem ist für die Jahre 2017 und 2018 bereits eine (ebenfalls erledigte) weitere Arrestanordnung ergangen. Insofern besteht auch für diese Jahre keine Gefahr der Wiederholung mehr.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Darüber hinaus ist der Senat der Auffassung, dass bei einem in der Vergangenheit liegenden (abgeschlossenen) Sachverhalt -anders als vorliegend- ein berechtigtes Interesse darin liegen kann, dass die Gefahr einer Wiederholung besteht. Bei laufend veranlagten Steuern, wie z.B. vorliegend bei der Einkommensteuer, ist dagegen in der Regel ein Zusammenhang zwischen den Besteuerungsgrundlagen eines Jahres und der späteren Jahre nicht gegeben. Aufgrund der einkommensteuerrechtlichen Abschnittsbesteuerung ist der Sachverhalt vom FA hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen und der Anforderungen, die an deren Nachweis zu stellen seien, für jedes Veranlagungsjahr ohne Bindung an die Behandlung ähnlich liegender Sachverhalte in der Vergangenheit neu zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund hat ein Feststellungsurteil für den Kläger in diesem Bereich keinen erkennbaren Wert und führt gerade nicht zu einer Positionsverbesserung.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Die unterschiedlichen Voraussetzungen von Arrest- und Steuerfestsetzungsverfahren schließen es überdies aus, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung wegen einer möglichen Auswirkung auf das (nachfolgende) Festsetzungsverfahren anzunehmen. Die Entscheidung in dem einen Verfahren ist weder rechtlich noch tatsächlich für die Entscheidung in dem anderen Verfahren bindend.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>bb) Auch besteht kein berechtigtes Interesse im Hinblick auf die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>Ein berechtigtes Feststellungsinteresse kann zwar auch dann bestehen, wenn die beantragte Entscheidung für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Verfahren vor den Zivilgerichten begehrt wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings der substantiierte Vortrag, dass nach Art und Höhe ein Schaden entstanden, die Schadensersatzklage anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, die gerichtliche Entscheidung für das zivilgerichtliche Urteil nicht unerheblich und die Rechtsverfolgung vor dem Zivilgericht nicht offensichtlich aussichtslos ist (BFH-Urteil vom 19.12.1989 VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710, Rn. 26 und BFH-Beschluss vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Rn. 10; Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 52 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>Im Streitfall ist das Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Führung eines Amtshaftungsprozesses schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger weder vorgetragen noch dargelegt hat, dass er eine Schadensersatzklage erhoben hat oder dass dies zumindest kurzfristig bevorsteht. Vielmehr führt der Bevollmächtigte selbst aus, dass sich die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen „im Hinblick auf den derzeitigen Verfahrensstand noch nicht hinreichend konkretisiert …“ hat (Schriftsatz vom 18.10.2021, S. 5, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 175). Noch im Erörterungstermin trug er vage vor, dass man insoweit sehen müsse, wie sich die Dinge entwickelten (Niederschrift vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 272).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>cc) Ebensowenig vermag der Senat ein Rehabilitierungsinteresse zu erkennen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>Zwar kann ein ideelles Interesse, insbesondere ein Rehabilitierungsinteresse eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen. Dies kann der Fall sein, wenn der erledigte Verwaltungsakt, den Vorwurf der Steuerhinterziehung enthalten hat. Dies ist zwar vorliegend der Fall, denn in der Arrestanordnung ist davon die Rede, dass gegen den Kläger der Verdacht einer „vorsätzlichen Steuerverkürzung“ bestehe und er sich fortlaufend rechtswidrige Vermögensvorteile verschafft habe.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>Im Streitfall ist die Fortsetzungsfeststellungsklage aber dennoch unzulässig, weil der Kläger den Vorwurf der Steuerhinterziehung in dem anhängigen Hauptsacheverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide effektiver beseitigen kann (vgl. BFH-Urteil vom 27.7.1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322, Rn. 11 f. und BFH-Beschluss vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Rn. 13).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>Obsiegt der Kläger nämlich mit seiner Klage gegen die Steuerbescheide, sind diese aufzuheben. Damit ist er gleichzeitig von dem Vorwurf, in den streitigen Jahren in steuerlicher Hinsicht unrechtmäßig gehandelt zu haben, rehabilitiert. Das gilt umso mehr, als das Anfechtungsverfahren nicht nur den gleichen, sondern einen effektiveren Rechtsschutz bietet. Denn während im Arrestverfahren die Tatsachen nur mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit" vorliegen müssen, ist der Sachverhalt bei der Überprüfung der Steuerfestsetzung umfassend und abschließend zu ermitteln. Er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>dd) Das berechtigte Feststellungsinteresse kann zwar grundsätzlich auch auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts, z.B. aufgrund einer Durchsuchung, gestützt werden (Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 51).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Allerdings gilt auch hier, dass die begehrte Feststellung geeignet sein muss, zu einer Positionsverbesserung zu führen. Dabei muss es sich nicht um eine Rechtsposition handeln. Es reicht aus, dass ein gewisser, die Verfahrensfortsetzung aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigender Zusammenhang besteht (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89). Dies ist zu verneinen, wenn es eine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit gibt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Soweit der Vortrag des Klägers dahingehend zu verstehen sein sollte, dass er ein berechtigtes Interesse aus der mit der Arrestanordnung in Zusammenhang stehenden Durchsuchung der Wohnräume in G herleitet, führt dies ebenfalls nicht zu Zulässigkeit der Klage.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Insoweit ist kein berechtigtes Interesse des Klägers erkennbar, nachdem die ordentliche Gerichtsbarkeit die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung bereits überprüft hat (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.12.2011  7 K 7007/08, EFG 2012, 1008, Rn. 27; Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89). So hat das LG S die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des AG E verworfen (EA II, Bl. 189 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Dass daneben ein sonstiges geschütztes Interesse an einer finanzgerichtlichen Entscheidung besteht, ist nicht ersichtlich.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>Die vom Kläger beanstandete Anordnung des dinglichen Arrests stellt keine schwere Beschränkung seiner Rechtsstellung dar. Besondere Umstände, welche die streitige Arrestanordnung über die Geltendmachung von steuerlichen Ansprüchen hinaus als tiefgreifenden Grundrechtseingriff erscheinen ließen, sind nicht erkennbar (BFH-Beschluss vom 6.7.2001 III B 58/00, BFH/NV 2001, 1530, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>2. Überdies wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage -selbst wenn ein berechtigtes Interesse vorläge- unbegründet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 AO kann die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen nach den §§ 249 bis 323 AO den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Der Arrest ist das Mittel zur Sicherung einer künftigen Geldvollstreckung. Er soll verhindern, dass der Steuerpflichtige einen bestehenden Zustand verändert, um die zukünftige Zwangsvollstreckung zu gefährden (BFH-Beschluss vom 6.2.2013 XI B 125/12, BStBl II 2013, 983, Rn. 21).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Ordnet die Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen gemäß § 324 Abs. 1 AO den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen an, so müssen der Arrestanspruch (die zu sichernde Geldforderung) und der Arrestgrund zwar nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, aber doch mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit vorliegen (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 30 m.w.N.; a.A. Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 9 - überwiegende Wahrscheinlichkeit).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/>Bei der Anfechtungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage wegen einer Arrestanordnung ist dabei auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen. Die Tatsachen, die den Arrestgrund im Zeitpunkt des Ergehens der Arrestanordnung belegen, können allerdings erweitert oder ersetzt werden. Ob sie der Finanzbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung ganz oder teilweise bekannt waren, ist unerheblich. Es genügen sogar solche Tatsachen, welche erst nach Erlass der Arrestanordnung entstanden sind, aber den zwingenden Schluss rechtfertigen, dass eine konkrete Gefahr der Vollstreckungserschwerung oder -vereitelung bereits im Zeitpunkt des Ergehens der Arrestanordnung gegeben war (BFH-Urteile vom 10.3.1983 V R 143/76, BStBl II 1983, 401, Rn. 12 f. und vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 33 m.w.N.; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 7).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>a) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist ein Arrestanspruch gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Arrestanspruch muss feststehen oder zumindest überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Arrestanspruch besteht. Es muss sich um einen rechtlich einwandfreien Anspruch handeln. Der Anspruch muss individuell bezeichnet werden (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 3 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>180 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="180"/>So liegen die Dinge im Streitfall.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>181 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="181"/>Hinsichtlich der Vorliegens eines Arrestanspruchs verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf sein Urteil vom 4.8.2022 im Verfahren 1 K 2898/21.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>182 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="182"/>Der Arrestanspruch wurde in der Anordnung auch ausreichend bezeichnet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>183 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="183"/>Da bei der Ermittlung der Arrestsumme keine Verzinsung einbezogen wurde, wirkt sich die Neufassung von § 238 Abs. 1a i.V.m. § 233a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO (sog. Zinsanpassungsgesetz) vom 12.7.2022 (BGBl I 2022, 1142) nicht aus.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>184 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="184"/>b) Ein Arrestgrund liegt ebenfalls vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>185 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="185"/>aa) Ein Arrestgrund besteht, wenn bei objektiver Würdigung unter ruhiger und vernünftiger Abwägung aller Umstände die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass ohne sofortige Sicherung durch eine Arrestanordnung die Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Dabei kann es auf die Möglichkeit eines schnellen und unmittelbaren und damit auch eines sicheren Zugriffs ankommen (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 4).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>186 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="186"/>Dabei genügt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlässigkeit für sich allein nicht zur Begründung einer Arrestanordnung. Auch vermögen die allgemein schlechte Vermögenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße Möglichkeit, dass der Arrestschuldner sein Vermögen beiseiteschaffen könnte, für sich genommen nicht, einen Arrest zu rechtfertigen (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 32; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>187 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="187"/>Im Einzelfall muss eine besondere Verschlechterung der Vermögenslage erst bevorstehen oder es muss zu befürchten sein, dass der Steuerpflichtige sich dem Zugriff der Finanzbehörde entzieht. Dazu zählen z.B. die auffallende Belastung oder Veräußerung eines wertvollen Gegenstandes des Vermögens (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 5), denn Bargeld oder Geldforderungen können -z.B. im Vergleich zu Grundstücken-- der Vollstreckung leichter entzogen werden (BFH-Urteile vom 10.3.1983 V R 143/76, BStBl II 1983, 401, Rn. 15 und vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 31). Ebenso wie Vermögensumschichtungen im Inland können auch Vermögensverlagerungen ins Ausland einen Arrestgrund darstellen (BFH-Beschluss vom 25.4.1995 VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037, Rn. 17). Insbesondere eine Belastung des einzigen Vermögensgegenstandes bis zur Wertgrenze stellt einen Arrestgrund dar (Loose in Tipke/Kruse, AO, Stand August 2021, § 324 Rn. 16).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>188 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="188"/>bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe bestand im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung die Besorgnis, dass der Kläger das FA benachteiligen und Vermögensgegenstände seinem Zugriff entziehen will.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>189 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="189"/>So griff der Kläger im Jahr 2018 nachweislich auf seinen wertvollsten Vermögensgegenstand im Inland (das Grundstück) zu, um erhebliche Geldmittel ins Ausland zu transferieren. So nahm die M GmbH mit Vertrag vom 26.4.2018 bei der Bank II ein Darlehen i.H. von 3,5 Mio. Euro auf. Besichert wurde das Darlehen durch eine auf dem Grundstück [ ___ ] Straße Y in G eingetragene Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro, welche die Eheleute am 26.3.2018 gemeinsam bewilligten (Zweckerklärung vom 26.4.2018, sog. Sicherungsabrede, EA II, Bl. 140 f.). Die Darlehensvaluta wurde sodann mit Wertstellung am 16.5.2018 als Überweisungsgutschrift der M GmbH auf dem Privatgirokonto Nr.  xxxxx des Klägers gutgeschrieben (BMO, Bl. 32). Von dort tätigte der Kläger am 16.5.2018 und 12.6.2018 jeweils Überweisungen i.H. von 1.000.151,50 Euro, die als Investment bezeichnet wurden, sowie weitere Überweisungen am 13.6.2018 i.H. von 627.955,53 Euro und am 9.8.2018 i.H. von 500.151,50 Euro an seine chinesische Firmengruppe (z.B. an die Gew Ltd.; vgl. Kontoauszüge des Klägers, BMO, Bl. 32 ff.). Nach den Angaben des Klägers diente das Darlehen zur Finanzierung eines „Großprojekts“ in China (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>190 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="190"/>Durch die Bestellung der erstrangigen Grundschuld war sein wichtigster inländischer Vermögenswert erheblich im Wert gemindert. Es stand deshalb zu befürchten, dass der Kläger -selbst wenn die Grundschuld im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung nicht mehr in voller Höhe valutiert haben sollte- die fehlende Akzessorietät der Grundschuld nutzt, um erneut auf dieser Grundlage Finanzmittel für Überweisungen ins Ausland zu generieren.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>191 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="191"/>Unklar ist im Übrigen, wie werthaltig die Anteile des Klägers an der M GmbH und der Werkzeug GmbH waren. Da diese ihren Wert insbesondere aufgrund der Geschäftsbeziehungen mit der chinesischen Firmengruppe des Klägers haben, hätte jede kurzfristig mögliche Änderung von Liefer- und Leistungsbeziehungen erhebliche Wertveränderungen zur Folge. Die Anteile konnten deshalb den Arrestanspruch nicht absichern. Selbst der Umstand, dass sich im Zeitpunkt der Durchsuchung der Wohnräume 3,2 Mio. Euro auf dem Konto des Klägers bei der Bank I (bzw. auf allen seinen Konten ein Guthaben von 3,66 Mio. Euro) befanden, ändert nichts an dem Umstand, dass diese Geldmittel leicht ins Ausland zu bringen sind.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>192 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="192"/>Auch hat der Kläger seit der Anordnung des (ersten) dinglichen Arrests am 22.11.2019 erhebliche Geldmittel (vermutlich) ins Ausland transferiert. Während sich nämlich am Tag der Durchsuchung noch 3,66 Mio. Euro auf seinen Konten bei der Bank I befanden (Rb-Akte, Bl. 10), teilte die Bank I in ihrer Drittschuldnererklärung vom 27.4.2021 (nach Zustellung der zweiten Arrestanordnung vom 26.4.2021) nur noch ein Guthaben von insgesamt 315.929,39 Euro mit (Vollstr-Akte, Band II, Bl. 39). Zieht man von dem ursprünglichen Guthaben des Klägers die hinsichtlich des ersten Arrestes hinterlegte Geldsumme von 1,4 Mio. Euro ab, hat der Kläger damit rund 1,9 Mio. Euro an einen anderen Ort gebracht und dadurch die Vollstreckung zumindest wesentlich erschwert. Eine aufgrund dessen möglicherweise notwendige Vollstreckung im Ausland stellt eine wesentliche Erschwerung der Durchsetzung der steuerlichen Ansprüche dar (BFH-Beschluss vom 26.2.2001 VII B 265/00, BStBl II 2001, 464, Rn. 30; Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand Februar 2021, § 324 Rn. 33).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>193 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="193"/>Anders als der Bevollmächtigte meint, ist die Hinterlegung der angeordneten Arrestsumme i.H. von rund 1,4 Mio. Euro auch nicht Ausdruck einer besonderen Rechtstreue des Klägers. Dies tat er nämlich nur, damit das FA die bereits bewirkten Pfändungen seiner Konten und Versicherungen aufhebt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>194 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="194"/>Im Übrigen hat sich der Kläger gerade nicht rechtstreu verhalten, sondern nach der Überzeugung des Senats einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 AO schuldig gemacht. Trotz besseren Wissens behauptet der Kläger von seiner Ehefrau getrennt zu sein und fast ausschließlich in China zu leben. Vor dem Hintergrund der von Rechtsanwalt R im August 2017 eingeholten Rechtsauskunft und den weiteren im Urteil vom 4.8.2022 im Verfahren 1 K 2898/21 festgestellten Tatumständen ergibt sich vielmehr, dass die Eheleute familienrechtlich nicht getrennt sind und sich der Kläger nur aus beruflichen Gründen in China aufhält. Auch der Erwerb des gemeinsamen Grundstücks in G, die „Millionen-Investition“ in das dort errichtete Gebäude sowie sein weiterhin bestehendes erhebliches wirtschaftliches und finanzielles Engagement in Deutschland zeigen, dass der Kläger hier -anders als er ausführt- unbeschränkt steuerpflichtig und auch ansässig ist. Den daraus resultierenden Steueranspruch kannte der Kläger dem Grunde und der Höhe nach oder hielt ihn zumindest für möglich und wollte ihn durch die Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Streitjahre verkürzen (Jäger in Klein, AO, 14. Aufl., 2018, § 370 Rn. 171 m.w.N.). Auch diese Tatsachen in Zusammenhang mit den weiteren Tatumständen stellen einen Arrestgrund dar (BFH-Urteil vom 21.2.1952 IV 429/51 U, BStBl III 1952, 90, Rn. 23).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>195 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="195"/>Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger (zumal nur für die Jahre 2012 bis 2016) hindert den Senat nicht an diesen Feststellungen, denn die Einstellungsverfügung entfaltet keine Bindungswirkung für das finanzgerichtliche Verfahren. Vielmehr haben die Finanzgerichte selbständig und aufgrund freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 155 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 1 ZPO). Sie sind selbst an Feststellungen in einem Strafurteil nicht gebunden (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 81 Rn. 11 m.w.N.). Diese fehlende Bindungswirkung gilt umso mehr für Feststellungen in einer Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, denn ihr kommt keinerlei Rechtskraftwirkung zu. Das Ermittlungsverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 28.2.2012 VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659, Rn. 12; Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., 2019, § 170 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>196 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="196"/>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>197 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="197"/>4. Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Revisionsgründe im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich sind.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>1. Die Klage ist unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann, wenn sich ein mit der Anfechtungsklage angegriffener Verwaltungsakt im Verlauf des Klageverfahrens erledigt hat, das Gericht beim Vorliegen eines berechtigten Interesses auf Antrag die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen. Da ein Anfechtungsbegehren auch in jeder Verpflichtungsklage enthalten ist und diese zudem verwaltungsaktbezogen ist, ist § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO im Wege der Analogie auch insoweit anzuwenden (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 81 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>a) Die Arrestanordnung hat sich erledigt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Nach § 124 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Ob sich ein Verwaltungsakt auf andere Weise erledigt hat, richtet sich nach dessen Regelungsinhalt. Voraussetzung dafür ist, dass die von dem Verwaltungsakt ausgehende Beeinträchtigung durch die Erschöpfung des Regelungsgehalts entfallen ist. Das Klagebegehren muss objektiv insgesamt gegenstandslos geworden sein (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand Oktober 2019, § 100 Rn. 168).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Durch den Erlass der Bescheide vom 28.6.2021 liegen vollstreckbare Steuerbescheide vor, welche die durch den streitgegenständlichen Arrest gesicherten Steuerforderungen beinhalten. Hierdurch wurde das (vorläufige) Arrestverfahren in das Vollstreckungsverfahren übergeleitet und die Arrestanordnung gegenstandslos (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 23 und BFH-Beschlüsse vom 06.7.2001 III B 58/00, BFH/NV 2001, 1530, Rn. 8 sowie vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Leitsatz 1; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>b) Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Die Tatbestandsvoraussetzung des berechtigten Interesses im Sinne von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist eine besondere Sachentscheidungsvoraussetzung für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die am Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss und von Amts wegen zu prüfen ist.  Dafür genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Rechtsschutzsuchenden zu führen. Der Kläger muss das besondere Feststellungsinteresse substantiiert darlegen (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 88 f. m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>Typische Fallgruppen eines berechtigten Interesses sind eine Wiederholungsgefahr, die präjudizielle Wirkung für Folgeprozesse (Amtshaftung), ein Rehabilitierungsinteresse und die effektive Durchsetzung von Grundrechten (Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 49).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>aa) Eine Wiederholungsgefahr ist nicht gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>Eine Wiederholungsgefahr vermag ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts nur dann zu begründen, sofern diese Gefahr hinreichend konkret ist (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand Oktober 2019, § 100 Rn. 173). Im Hinblick auf Steuerveranlagungen ist ein solches Interesse nur in seltenen Ausnahmefällen gegeben, wenn nämlich auch in den Folgejahren der gleiche Sachverhalt unverändert der Besteuerung und damit der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sein wird und das FA zu erkennen gibt, dass es in den Folgejahren wieder zu seiner ursprünglichen (dem Steuerpflichtigen ungünstigen) Rechtsauffassung ohne erneute Prüfung zurückkehren will (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1971 IV R 221/67, BStBl II 1972, 182, Rn. 6).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Die Fälle einer Wiederholungsgefahr setzen insbesondere voraus, dass im Vergleich zu dem erledigten Verwaltungsakt keine wesentliche Veränderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist und der wahrscheinlich zu erlassende Verwaltungsakt einen identischen Regelungsgehalt hat. Denn nur in diesem Fall lässt sich die im Rahmen des Fortsetzungsfeststellungsverfahrens getroffene Aussage des Gerichts auf den neuen Verwaltungsakt übertragen (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Soweit sich nämlich die Beurteilung des FA in den Streitjahren auf die fehlende unbeschränkte Steuerpflicht in China stützt, ist festzustellen, dass ab 2019 aufgrund einer Reform des chinesischen Steuerrechts maßgebliche Änderungen ergeben haben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>Ab dem 1.1.2019 wird eine natürliche Person, die sich länger als 183 Tage in China aufhält, als dort ansässig betrachtet und unterliegt mit ihren weltweit erzielten Einkünften der Steuerpflicht in China. Die neue 183-Tage-Regelung ersetzt damit die bislang geltende Einjahresregelung. Danach wird bis Ende 2018 ein Ausländer erst bei einem Aufenthalt von einem vollen Steuerjahr oder länger in China unbeschränkt steuerpflichtig. Dabei gilt bis einschließlich 2018 als ein volles Jahr, wenn sich der steuerpflichtige Ausländer nicht mehr als 30 Tage am Stück oder über 90 Tage insgesamt in einem Steuerjahr außerhalb von China aufgehalten hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Soweit es daher um die Veranlagungszeiträume ab 2019 geht, wird das FA eine neuerliche Prüfung der Voraussetzungen eines deutschen Besteuerungsrechts durchzuführen haben. Dies hat das FA auch angekündigt und in seinen Ausführungen dargelegt. Überdies sind auch die Voraussetzungen des hilfsweise vom FA geprüften Art. 4 Abs. 2 DBA-China (ständige Wohnstätte, Mittelpunkt der Lebensinteressen) für jeden Veranlagungszeitraum grundsätzlich erneut zu beurteilen (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 172).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Zudem ist für die Jahre 2017 und 2018 bereits eine (ebenfalls erledigte) weitere Arrestanordnung ergangen. Insofern besteht auch für diese Jahre keine Gefahr der Wiederholung mehr.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Darüber hinaus ist der Senat der Auffassung, dass bei einem in der Vergangenheit liegenden (abgeschlossenen) Sachverhalt -anders als vorliegend- ein berechtigtes Interesse darin liegen kann, dass die Gefahr einer Wiederholung besteht. Bei laufend veranlagten Steuern, wie z.B. vorliegend bei der Einkommensteuer, ist dagegen in der Regel ein Zusammenhang zwischen den Besteuerungsgrundlagen eines Jahres und der späteren Jahre nicht gegeben. Aufgrund der einkommensteuerrechtlichen Abschnittsbesteuerung ist der Sachverhalt vom FA hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen und der Anforderungen, die an deren Nachweis zu stellen seien, für jedes Veranlagungsjahr ohne Bindung an die Behandlung ähnlich liegender Sachverhalte in der Vergangenheit neu zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund hat ein Feststellungsurteil für den Kläger in diesem Bereich keinen erkennbaren Wert und führt gerade nicht zu einer Positionsverbesserung.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Die unterschiedlichen Voraussetzungen von Arrest- und Steuerfestsetzungsverfahren schließen es überdies aus, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung wegen einer möglichen Auswirkung auf das (nachfolgende) Festsetzungsverfahren anzunehmen. Die Entscheidung in dem einen Verfahren ist weder rechtlich noch tatsächlich für die Entscheidung in dem anderen Verfahren bindend.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>bb) Auch besteht kein berechtigtes Interesse im Hinblick auf die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>Ein berechtigtes Feststellungsinteresse kann zwar auch dann bestehen, wenn die beantragte Entscheidung für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Verfahren vor den Zivilgerichten begehrt wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings der substantiierte Vortrag, dass nach Art und Höhe ein Schaden entstanden, die Schadensersatzklage anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, die gerichtliche Entscheidung für das zivilgerichtliche Urteil nicht unerheblich und die Rechtsverfolgung vor dem Zivilgericht nicht offensichtlich aussichtslos ist (BFH-Urteil vom 19.12.1989 VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710, Rn. 26 und BFH-Beschluss vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Rn. 10; Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 52 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>Im Streitfall ist das Feststellungsinteresse im Hinblick auf die Führung eines Amtshaftungsprozesses schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger weder vorgetragen noch dargelegt hat, dass er eine Schadensersatzklage erhoben hat oder dass dies zumindest kurzfristig bevorsteht. Vielmehr führt der Bevollmächtigte selbst aus, dass sich die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen „im Hinblick auf den derzeitigen Verfahrensstand noch nicht hinreichend konkretisiert …“ hat (Schriftsatz vom 18.10.2021, S. 5, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 175). Noch im Erörterungstermin trug er vage vor, dass man insoweit sehen müsse, wie sich die Dinge entwickelten (Niederschrift vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 272).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>cc) Ebensowenig vermag der Senat ein Rehabilitierungsinteresse zu erkennen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>Zwar kann ein ideelles Interesse, insbesondere ein Rehabilitierungsinteresse eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen. Dies kann der Fall sein, wenn der erledigte Verwaltungsakt, den Vorwurf der Steuerhinterziehung enthalten hat. Dies ist zwar vorliegend der Fall, denn in der Arrestanordnung ist davon die Rede, dass gegen den Kläger der Verdacht einer „vorsätzlichen Steuerverkürzung“ bestehe und er sich fortlaufend rechtswidrige Vermögensvorteile verschafft habe.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>Im Streitfall ist die Fortsetzungsfeststellungsklage aber dennoch unzulässig, weil der Kläger den Vorwurf der Steuerhinterziehung in dem anhängigen Hauptsacheverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide effektiver beseitigen kann (vgl. BFH-Urteil vom 27.7.1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322, Rn. 11 f. und BFH-Beschluss vom 20.9.2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, Rn. 13).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>Obsiegt der Kläger nämlich mit seiner Klage gegen die Steuerbescheide, sind diese aufzuheben. Damit ist er gleichzeitig von dem Vorwurf, in den streitigen Jahren in steuerlicher Hinsicht unrechtmäßig gehandelt zu haben, rehabilitiert. Das gilt umso mehr, als das Anfechtungsverfahren nicht nur den gleichen, sondern einen effektiveren Rechtsschutz bietet. Denn während im Arrestverfahren die Tatsachen nur mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit" vorliegen müssen, ist der Sachverhalt bei der Überprüfung der Steuerfestsetzung umfassend und abschließend zu ermitteln. Er muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>dd) Das berechtigte Feststellungsinteresse kann zwar grundsätzlich auch auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts, z.B. aufgrund einer Durchsuchung, gestützt werden (Brandis in Tipke/Kruse, FGO, Stand Februar 2019, § 100 Rn. 51).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Allerdings gilt auch hier, dass die begehrte Feststellung geeignet sein muss, zu einer Positionsverbesserung zu führen. Dabei muss es sich nicht um eine Rechtsposition handeln. Es reicht aus, dass ein gewisser, die Verfahrensfortsetzung aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigender Zusammenhang besteht (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89). Dies ist zu verneinen, wenn es eine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit gibt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Soweit der Vortrag des Klägers dahingehend zu verstehen sein sollte, dass er ein berechtigtes Interesse aus der mit der Arrestanordnung in Zusammenhang stehenden Durchsuchung der Wohnräume in G herleitet, führt dies ebenfalls nicht zu Zulässigkeit der Klage.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>Insoweit ist kein berechtigtes Interesse des Klägers erkennbar, nachdem die ordentliche Gerichtsbarkeit die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung bereits überprüft hat (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.12.2011  7 K 7007/08, EFG 2012, 1008, Rn. 27; Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 100 Rn. 89). So hat das LG S die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des AG E verworfen (EA II, Bl. 189 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Dass daneben ein sonstiges geschütztes Interesse an einer finanzgerichtlichen Entscheidung besteht, ist nicht ersichtlich.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>Die vom Kläger beanstandete Anordnung des dinglichen Arrests stellt keine schwere Beschränkung seiner Rechtsstellung dar. Besondere Umstände, welche die streitige Arrestanordnung über die Geltendmachung von steuerlichen Ansprüchen hinaus als tiefgreifenden Grundrechtseingriff erscheinen ließen, sind nicht erkennbar (BFH-Beschluss vom 6.7.2001 III B 58/00, BFH/NV 2001, 1530, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>2. Überdies wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage -selbst wenn ein berechtigtes Interesse vorläge- unbegründet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 AO kann die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen nach den §§ 249 bis 323 AO den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Der Arrest ist das Mittel zur Sicherung einer künftigen Geldvollstreckung. Er soll verhindern, dass der Steuerpflichtige einen bestehenden Zustand verändert, um die zukünftige Zwangsvollstreckung zu gefährden (BFH-Beschluss vom 6.2.2013 XI B 125/12, BStBl II 2013, 983, Rn. 21).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>Ordnet die Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen gemäß § 324 Abs. 1 AO den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen an, so müssen der Arrestanspruch (die zu sichernde Geldforderung) und der Arrestgrund zwar nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, aber doch mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit vorliegen (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 30 m.w.N.; a.A. Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 9 - überwiegende Wahrscheinlichkeit).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="177"/>Bei der Anfechtungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage wegen einer Arrestanordnung ist dabei auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen. Die Tatsachen, die den Arrestgrund im Zeitpunkt des Ergehens der Arrestanordnung belegen, können allerdings erweitert oder ersetzt werden. Ob sie der Finanzbehörde im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung ganz oder teilweise bekannt waren, ist unerheblich. Es genügen sogar solche Tatsachen, welche erst nach Erlass der Arrestanordnung entstanden sind, aber den zwingenden Schluss rechtfertigen, dass eine konkrete Gefahr der Vollstreckungserschwerung oder -vereitelung bereits im Zeitpunkt des Ergehens der Arrestanordnung gegeben war (BFH-Urteile vom 10.3.1983 V R 143/76, BStBl II 1983, 401, Rn. 12 f. und vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 33 m.w.N.; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 7).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>a) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist ein Arrestanspruch gegeben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Arrestanspruch muss feststehen oder zumindest überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Arrestanspruch besteht. Es muss sich um einen rechtlich einwandfreien Anspruch handeln. Der Anspruch muss individuell bezeichnet werden (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 3 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>180 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="180"/>So liegen die Dinge im Streitfall.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>181 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="181"/>Hinsichtlich der Vorliegens eines Arrestanspruchs verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf sein Urteil vom 4.8.2022 im Verfahren 1 K 2898/21.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>182 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="182"/>Der Arrestanspruch wurde in der Anordnung auch ausreichend bezeichnet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>183 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="183"/>Da bei der Ermittlung der Arrestsumme keine Verzinsung einbezogen wurde, wirkt sich die Neufassung von § 238 Abs. 1a i.V.m. § 233a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO (sog. Zinsanpassungsgesetz) vom 12.7.2022 (BGBl I 2022, 1142) nicht aus.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>184 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="184"/>b) Ein Arrestgrund liegt ebenfalls vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>185 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="185"/>aa) Ein Arrestgrund besteht, wenn bei objektiver Würdigung unter ruhiger und vernünftiger Abwägung aller Umstände die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass ohne sofortige Sicherung durch eine Arrestanordnung die Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Dabei kann es auf die Möglichkeit eines schnellen und unmittelbaren und damit auch eines sicheren Zugriffs ankommen (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 4).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>186 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="186"/>Dabei genügt der dringende Verdacht einer Steuerhinterziehung oder sonstige steuerliche Unzuverlässigkeit für sich allein nicht zur Begründung einer Arrestanordnung. Auch vermögen die allgemein schlechte Vermögenslage des Arrestschuldners ebenso wie die bloße Möglichkeit, dass der Arrestschuldner sein Vermögen beiseiteschaffen könnte, für sich genommen nicht, einen Arrest zu rechtfertigen (BFH-Urteil vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 32; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>187 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="187"/>Im Einzelfall muss eine besondere Verschlechterung der Vermögenslage erst bevorstehen oder es muss zu befürchten sein, dass der Steuerpflichtige sich dem Zugriff der Finanzbehörde entzieht. Dazu zählen z.B. die auffallende Belastung oder Veräußerung eines wertvollen Gegenstandes des Vermögens (Werth in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 324 Rn. 5), denn Bargeld oder Geldforderungen können -z.B. im Vergleich zu Grundstücken-- der Vollstreckung leichter entzogen werden (BFH-Urteile vom 10.3.1983 V R 143/76, BStBl II 1983, 401, Rn. 15 und vom 17.10.2018 XI R 35/16, BStBl II 2019, 50, Rn. 31). Ebenso wie Vermögensumschichtungen im Inland können auch Vermögensverlagerungen ins Ausland einen Arrestgrund darstellen (BFH-Beschluss vom 25.4.1995 VII B 174/94, BFH/NV 1995, 1037, Rn. 17). Insbesondere eine Belastung des einzigen Vermögensgegenstandes bis zur Wertgrenze stellt einen Arrestgrund dar (Loose in Tipke/Kruse, AO, Stand August 2021, § 324 Rn. 16).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>188 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="188"/>bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe bestand im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung die Besorgnis, dass der Kläger das FA benachteiligen und Vermögensgegenstände seinem Zugriff entziehen will.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>189 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="189"/>So griff der Kläger im Jahr 2018 nachweislich auf seinen wertvollsten Vermögensgegenstand im Inland (das Grundstück) zu, um erhebliche Geldmittel ins Ausland zu transferieren. So nahm die M GmbH mit Vertrag vom 26.4.2018 bei der Bank II ein Darlehen i.H. von 3,5 Mio. Euro auf. Besichert wurde das Darlehen durch eine auf dem Grundstück [ ___ ] Straße Y in G eingetragene Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro, welche die Eheleute am 26.3.2018 gemeinsam bewilligten (Zweckerklärung vom 26.4.2018, sog. Sicherungsabrede, EA II, Bl. 140 f.). Die Darlehensvaluta wurde sodann mit Wertstellung am 16.5.2018 als Überweisungsgutschrift der M GmbH auf dem Privatgirokonto Nr.  xxxxx des Klägers gutgeschrieben (BMO, Bl. 32). Von dort tätigte der Kläger am 16.5.2018 und 12.6.2018 jeweils Überweisungen i.H. von 1.000.151,50 Euro, die als Investment bezeichnet wurden, sowie weitere Überweisungen am 13.6.2018 i.H. von 627.955,53 Euro und am 9.8.2018 i.H. von 500.151,50 Euro an seine chinesische Firmengruppe (z.B. an die Gew Ltd.; vgl. Kontoauszüge des Klägers, BMO, Bl. 32 ff.). Nach den Angaben des Klägers diente das Darlehen zur Finanzierung eines „Großprojekts“ in China (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>190 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="190"/>Durch die Bestellung der erstrangigen Grundschuld war sein wichtigster inländischer Vermögenswert erheblich im Wert gemindert. Es stand deshalb zu befürchten, dass der Kläger -selbst wenn die Grundschuld im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung nicht mehr in voller Höhe valutiert haben sollte- die fehlende Akzessorietät der Grundschuld nutzt, um erneut auf dieser Grundlage Finanzmittel für Überweisungen ins Ausland zu generieren.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>191 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="191"/>Unklar ist im Übrigen, wie werthaltig die Anteile des Klägers an der M GmbH und der Werkzeug GmbH waren. Da diese ihren Wert insbesondere aufgrund der Geschäftsbeziehungen mit der chinesischen Firmengruppe des Klägers haben, hätte jede kurzfristig mögliche Änderung von Liefer- und Leistungsbeziehungen erhebliche Wertveränderungen zur Folge. Die Anteile konnten deshalb den Arrestanspruch nicht absichern. Selbst der Umstand, dass sich im Zeitpunkt der Durchsuchung der Wohnräume 3,2 Mio. Euro auf dem Konto des Klägers bei der Bank I (bzw. auf allen seinen Konten ein Guthaben von 3,66 Mio. Euro) befanden, ändert nichts an dem Umstand, dass diese Geldmittel leicht ins Ausland zu bringen sind.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>192 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="192"/>Auch hat der Kläger seit der Anordnung des (ersten) dinglichen Arrests am 22.11.2019 erhebliche Geldmittel (vermutlich) ins Ausland transferiert. Während sich nämlich am Tag der Durchsuchung noch 3,66 Mio. Euro auf seinen Konten bei der Bank I befanden (Rb-Akte, Bl. 10), teilte die Bank I in ihrer Drittschuldnererklärung vom 27.4.2021 (nach Zustellung der zweiten Arrestanordnung vom 26.4.2021) nur noch ein Guthaben von insgesamt 315.929,39 Euro mit (Vollstr-Akte, Band II, Bl. 39). Zieht man von dem ursprünglichen Guthaben des Klägers die hinsichtlich des ersten Arrestes hinterlegte Geldsumme von 1,4 Mio. Euro ab, hat der Kläger damit rund 1,9 Mio. Euro an einen anderen Ort gebracht und dadurch die Vollstreckung zumindest wesentlich erschwert. Eine aufgrund dessen möglicherweise notwendige Vollstreckung im Ausland stellt eine wesentliche Erschwerung der Durchsetzung der steuerlichen Ansprüche dar (BFH-Beschluss vom 26.2.2001 VII B 265/00, BStBl II 2001, 464, Rn. 30; Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Stand Februar 2021, § 324 Rn. 33).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>193 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="193"/>Anders als der Bevollmächtigte meint, ist die Hinterlegung der angeordneten Arrestsumme i.H. von rund 1,4 Mio. Euro auch nicht Ausdruck einer besonderen Rechtstreue des Klägers. Dies tat er nämlich nur, damit das FA die bereits bewirkten Pfändungen seiner Konten und Versicherungen aufhebt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>194 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="194"/>Im Übrigen hat sich der Kläger gerade nicht rechtstreu verhalten, sondern nach der Überzeugung des Senats einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 AO schuldig gemacht. Trotz besseren Wissens behauptet der Kläger von seiner Ehefrau getrennt zu sein und fast ausschließlich in China zu leben. Vor dem Hintergrund der von Rechtsanwalt R im August 2017 eingeholten Rechtsauskunft und den weiteren im Urteil vom 4.8.2022 im Verfahren 1 K 2898/21 festgestellten Tatumständen ergibt sich vielmehr, dass die Eheleute familienrechtlich nicht getrennt sind und sich der Kläger nur aus beruflichen Gründen in China aufhält. Auch der Erwerb des gemeinsamen Grundstücks in G, die „Millionen-Investition“ in das dort errichtete Gebäude sowie sein weiterhin bestehendes erhebliches wirtschaftliches und finanzielles Engagement in Deutschland zeigen, dass der Kläger hier -anders als er ausführt- unbeschränkt steuerpflichtig und auch ansässig ist. Den daraus resultierenden Steueranspruch kannte der Kläger dem Grunde und der Höhe nach oder hielt ihn zumindest für möglich und wollte ihn durch die Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Streitjahre verkürzen (Jäger in Klein, AO, 14. Aufl., 2018, § 370 Rn. 171 m.w.N.). Auch diese Tatsachen in Zusammenhang mit den weiteren Tatumständen stellen einen Arrestgrund dar (BFH-Urteil vom 21.2.1952 IV 429/51 U, BStBl III 1952, 90, Rn. 23).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>195 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="195"/>Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger (zumal nur für die Jahre 2012 bis 2016) hindert den Senat nicht an diesen Feststellungen, denn die Einstellungsverfügung entfaltet keine Bindungswirkung für das finanzgerichtliche Verfahren. Vielmehr haben die Finanzgerichte selbständig und aufgrund freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 155 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 1 ZPO). Sie sind selbst an Feststellungen in einem Strafurteil nicht gebunden (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 81 Rn. 11 m.w.N.). Diese fehlende Bindungswirkung gilt umso mehr für Feststellungen in einer Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, denn ihr kommt keinerlei Rechtskraftwirkung zu. Das Ermittlungsverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 28.2.2012 VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659, Rn. 12; Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., 2019, § 170 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>196 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="196"/>3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>197 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="197"/>4. Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Revisionsgründe im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich sind.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,627
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{ "id": 126, "name": "Finanzgericht Baden-Württemberg", "slug": "fg-baden-wurttemberg", "city": 110, "state": 3, "jurisdiction": "Finanzgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
1 K 2898/21
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-09-20T10:01:59"
"2022-10-17T11:10:20"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p/><p><em>1. Die Zinsbescheide vom 28.6.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021 werden dahingehend geändert, dass Zinsen wie folgt festgesetzt werden:</em></p><blockquote><p>- <em>für 2013 i.H. von 39.500 Euro (statt bisher 54.862 Euro),</em></p></blockquote><blockquote><p>- <em>für 2014 i.H. von 105.115 Euro (statt bisher 157.673 Euro),</em></p></blockquote><blockquote><p>- <em>für 2015 i.H. von 100.042 Euro (statt bisher 170.072 Euro),</em></p></blockquote><blockquote><p>- <em>für 2016 i.H. von 8.554 Euro (statt bisher 18.534 Euro),</em></p></blockquote><blockquote><p>- <em>für 2017 i.H. von 7.352 Euro (statt bisher 24.509 Euro) und</em></p></blockquote><blockquote><p>- <em>für 2018 i.H. von 18.614 Euro (statt bisher 62.047 Euro).</em></p></blockquote><p><em>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</em></p><p><em>2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 93,2 Prozent und der Beklagte zu 6,8 Prozent.</em></p><p><em>3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 Euro, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 Euro kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.</em></p><blockquote><blockquote><p><em>4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.</em></p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Streitig ist die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen in den Jahren 2013 bis 2018 (Streitjahre).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>1. Der Kläger, geboren am [ ___ ] in Y / China, ist mit einer B A, [ ___ ] geborene C, verheiratet. Die Ehe wurde [ ___ ] in W /Deutschland geschlossen. Sie haben das gemeinsame Kind K 2 A, geboren am [ ___ ] in V /Deutschland (Geburtsurkunde, ESt-Akte, Lasche 2004, Bl. 5). Die Ehefrau ist zudem die Mutter von K 1 A, geboren am [ ___ ] in V /Deutschland. Vater von K 1 ist ein P C, [ ___ ], wohnhaft in U / Deutschland (ESt-Akte, Lasche 2005, Bl. 2 und EA I, Bl. 206).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Der Kläger absolvierte in Deutschland ein technisches Studium an der Universität J / Deutschland und schloss mit dem akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurs ab.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Die Ehefrau kam im Jahr [ ___ ] ins Inland (Antrag auf Eröffnung eines Girokontos vom 28.10.1991, EA II, Bl. 61).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Kläger und seine Ehefrau sind seit [ ___ ] 2001 deutsche Staatsangehörige (vgl. zuletzt Reisepass, ausgestellt durch die Stadt H am [ ___ ].2013, gültig bis [ ___ ].2023, Anlage 18 zum Schreiben vom 22.7.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 400 und BMO, Bl. 67 ff.). Er besitzt seit 1996 einen deutschen und einen chinesischen Führerschein, der am [ ___ ].2004 ausgestellt wurde (a.a.O., Bl. 430). Von [ ___ ] bis [ ___ ]2013 hatte er ein Touristenvisum für China (a.a.O., Bl. 404). Vom [ ___ ].2013 bis [ ___ ]2014, [ ___ ]2014 bis [ ___ ].2019 und [ ___ ]2019 bis [ ___ ]2023 war bzw. ist er Inhaber einer chinesischen Aufenthaltserlaubnis (Residence Permit for Foreigner in the People’s Republic of China -PRC-, a.a.O., Bl. 419 f. - purpose of residence: „Funktionen“ bzw. „Arbeit“). Am [ ___ ]2013 wurde ihm zunächst bis zum [ ___ ]2016 und am [ ___ ]2016 eine bis zum [ ___ ]2018 gültige Arbeitserlaubnis für China erteilt (Alien Employment Permit, a.a.O., Bl. 421 bis 426 - occupation or status: „P Technik X“).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Steuerlich bescheinigte ihm ein Direktor der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der bezirksfreien Stadt [ ___ ] in der chinesischen Provinz [ ___ ] (rund 360 km von X entfernt), dass er in den Jahren 2013 bis 2018 „Chinese fiscal resident“ gewesen sei (Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 11.4.2022, Gerichtsakte zum 1 K 2898/21, Bl. 68 bis 73). Für das Jahr 2019 liegt eine Bescheinigung der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der regierungsunmittelbaren Stadt X, vor, wonach der Klägers „Chinese fiscal resident“ sei (Rb-Akte, Bl. 14 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 539). Für die Jahre 2012 bis 2019 hat der Bevollmächtigte Bescheinigungen des Staatlichen Hauptfinanzamts der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] vorgelegt, wonach der Kläger in 2012 auf seinen Lohn und Gehalt Steuern von 352.020 Yuan, 2017 von 15.490 Yuan, 2018 von 92.475 Yuan und 2019 von 91.080 Yuan gezahlt habe (Anlage K4 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 30.6.2021, Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 110 und Bl. 113 und Anlage K1 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 573 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>2. Der Kläger war von 1997 bis 2003 in V /Deutschland und sodann bis 2007 in H einwohnerrechtlich gemeldet. Nochmals war er in H von [ ___ ] bis [ ___ ]2013 gemeldet (vgl. Auskunft über das Meldeportal vom 4.5.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 499 ff. und Anlage K20 zum Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 20.10.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 427).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Er wohnte nach seinem Studium bis 2000 in der [ ___ ]-Straße xx  in V /Deutschland und anschließend mit seiner Ehefrau bis 2003 in der [ ___ ]-Allee x in V /Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Mit Notarvertrag vom [ ___ ].2003 erwarben beide Eheleute je hälftiges Miteigentum am Grundstück [ ___ ]-weg x in H. Die Finanzierungsdarlehen wurde vom Kläger und seiner Ehefrau i.H. von 235.000 Euro bei der Bank I aufgenommen (EA II, Bl. 74 ff.). Das Objekt, ein Reihenhaus, veräußerten sie 2015 an eine Mitarbeiterin, eine [ ___ ] (Auszug aus dem Grundbuch von H Nr. xxxx, Amtsgericht -AG- V /Deutschland, Flst-Nr. xxx mit 181 m², Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 515 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Bereits mit notariellem Kaufvertrag vom [ ___ ]2013 erwarben der Kläger und seine Ehefrau ein bebautes Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G zu jeweils hälftigem Miteigentum (Auszug aus dem Grundbuch von [ ___ ], AG V /Deutschland, Gemeinde G, Flst-Nr. xxx mit insgesamt 1.703 m², Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 486 ff. und EW-Akte, Bl. 10 ff.). Den notariellen Kaufvertrag unterschrieben der Kläger und seine Ehefrau ebenso wie den mit der Firma Baufirma am [ ___ ]2013 geschlossenen Bauvertrag jeweils eigenhändig (EA I, Bl. 48 und Bl. 82 sowie EW-Akte, Bl. 14).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Der Kaufpreis für das bebaute Objekt betrug 239.000 Euro (ohne Nebenkosten). Von der Stadt G wurde am 24.2.2014 die Baugenehmigung für den Abriss des Bestandsgebäudes und den Neubau eines Einfamilienhauses nebst Garage mit vier Stellplätzen, Fahrrad- und Müllabstellraum sowie zwei Gästestellplätzen im Untergeschoss des Gebäudes erteilt (EA I, Bl. 6 und EW-Akte, Bl. 18; vgl. Baupläne, EA I, Bl. 18 ff. und Lageplan, EW-Akte, letztes Bl.). Baubeginn war im März 2014 (EA I, Bl. 82). Laut den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau im Fragebogen zur Einheitsbewertung vom 24.8.2017 beträgt die Wohnfläche 801 m². Es sind eine Sauna und ein Schwimmbad mit 38 m² vorhanden. Das neu errichtete Wohngebäude wurde im Jahr 2016 fertiggestellt und bezogen (EA I, Bl. 10 ff. und EW-Akte, Bl. 21 f.; vgl. Fotos, EA I, Bl. 15 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Baukosten für das Gebäude in der [ ___ ] Straße Y in G von rund drei Millionen Euro trug der Kläger allein (Schreiben von Rechtsanwalt R vom 31.8.2017, S. 1, BMO, Bl. 224).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Der Kläger und seine Ehefrau unterschrieben die beim Beklagten (Finanzamt -FA-) eingereichte Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts am 10.10.2017 jeweils eigenhändig (EA I, Bl. 55 und EW-Akte, Bl. 25). Gleiches gilt für den Fragebogen zur Einheitsbewertung, welchen beide am 24.8.2017 unterzeichneten. Dabei wurde beim Ort der Unterschrift des Klägers zuerst G vermerkt, dann durchgestrichen und durch X ersetzt (EA I, Bl. 11 und EW-Akte, Bl. 22).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>3. Sein Sohn K 2 besuchte zunächst ab dem Jahr 2007 die Ganztagesbetreuung des Kindergartens (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 14), ab 2010 die Schule mit Ganztages- und Schulhortbetreuung (ESt-Akte, Lasche 2010, Bl. 11) jeweils in H und später das örtliche Gymnasium in H bzw. ab dem Umzug in G. Seit 2019 besuchte er die Deutsche Schule in X (Nachweise in Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 73 bis 76) und schloss [ ___ ] mit dem Abitur ab. Nach Angaben des Klägers will K 2 in Deutschland studieren, da er die chinesische Sprache (ebenso wie K 1) nicht hinreichend gut beherrscht, um in China studieren zu können. K 2 ist seit dem [ ___ ]2015 einwohnerrechtlich mit seiner alleinigen Wohnung in G (vorher in H) gemeldet (Einwohnermeldeamt vom 30.6.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 597).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Der Sohn der Ehefrau, K 1, besuchte zunächst Schulen in Deutschland und in der Zeit von August 2013 bis Juli 2017 die Deutsche Schule in X (Nachweise in Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 66 bis 72). Er legte in X das Abitur im Jahr 2017 ab und studiert seitdem Informatik und Wirtschaftspsychologie in S und wohnt noch „zu Hause“ in G (vgl. Einwohnermeldeamt vom 30.6.2022, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 598 und Niederschrift zum Erörterungstermin, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>4. Der Kläger ist Inhaber verschiedener Unternehmen mit ca. 320 Arbeitnehmern in China und 3 bis 4 Arbeitnehmern in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Er hält jeweils 90 Prozent an einer M GmbH und einer Werkzeug GmbH jeweils in der </td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>[ ___ ] - Allee xx/x in V /Deutschland. Weitere Gesellschafterin beider Unternehmen ist seine Ehefrau zu 10 Prozent.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>a) Die M GmbH (HRB xxx) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom [ ___ ]1994 gegründet (Firmenname zu Beginn: A GmbH Im- und Export, [ ___ ]-Straße xx  in V /Deutschland). Gegenstand des Unternehmens war zunächst der Einzelhandel mit [ ___ ] (EA II, Bl. 67), später der Im- und Export von Waren aller Art, ausgenommen Lebensmitteln. Nachdem sich der Geschäftssitz zwischenzeitlich bis 2006 in der [ ___ ] - Allee yyy/y befand (EA II, Bl. 67), ist Geschäftsanschrift seitdem die [ ___ ] -Allee xx/x in V /Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Beteiligungshöhe des Klägers und seiner Ehefrau an der M GmbH schwankt seit der Gründung im Jahr 1994 aufgrund von Schenkungen zwischen den Eheleuten (zuletzt im Jahr 2014) und der anfänglichen Beteiligung einer [ ___ ] (vgl. EA I, BI. 148). Der Kläger war bis zum 4.8.2006 Geschäftsführer der M GmbH; seitdem ist seine Ehefrau Geschäftsführerin (von März 2017 bis Januar 2019 war zudem ein GF weiterer Geschäftsführer). Prokuristin ist seit Oktober 2014 eine GFin (Auszug aus dem Handelsregister des AG G, HRB xxx, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 507 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>aa) Auf der Homepage der M GmbH heißt es unter „Über uns“ ([ ___ ], zuletzt eingesehen am 15.6.2022):</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>[ ___ ]</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Es finden sich sodann elektronische Kontaktmöglichkeiten mit M Deutschland, MX und M Taiwan.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Weiter wird ausgeführt (Über uns - Stärke):</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>[ ___ ]</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>bb) In den Jahren 2015 bis 2018 war die M GmbH an einer Werkmaschinen GmbH & Co. KG, Deutschland -einer Einkaufsgesellschaft- als Kommanditistin mit einer Einlage i.H. von 60.000 Euro beteiligt. Die Gesellschaft hatte neben der Komplementärin vier weitere Kommanditisten als Gesellschafter (Handelsregister des AG [ ___ ]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>cc) Laut ihren Jahresabschlüssen erzielte die M GmbH folgende Gewinne und Umsätze (in Euro, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 594):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="6" rowspan="1"><rd nr="28"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Gewinn</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Ausgangsumsätze</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">davon Ausfuhr Drittland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Materialaufwand</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Personalaufwand</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">56.967,17</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.590.142,62</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.360.047,24</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.351.430,34</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">117.937,58</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">40.337</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.027.002,99</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.680.489,38</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.712.151,41</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">199.373,53</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-24.429,78</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.084.707,70</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.856.603,79</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.811.869,12</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">214.506,75</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">35.456,70</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.420.784,23</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.347.555,57</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.040.519,08</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">148.921,87</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">65.327,47</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.375.379,95</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.241.025,92</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.899.524,61</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">238.857,93</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-303.772,61</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.145.653,55</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.145.094,55</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.125.849,86</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">269.466,76</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung (Bp) des FA G fungiert die M GmbH als Einkaufsgesellschaft. Der Einkauf findet hauptsächlich in Deutschland und der EU statt. Die Veräußerung erfolgt ins Drittland, hauptsächlich an verbundene Unternehmen in China. Die M GmbH erbringt außerdem sonstige Leistungen an verbundene Unternehmen in Form von Marketing und technischen Support.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Aufgrund dessen wurde der von der M GmbH berechnete Aufschlagssatz von 3 Prozent als zu gering eingeschätzt. Vielmehr ging die Bp von einem Aufschlagssatz von 5 Prozent aus. Nach dem Bp-Bericht vom 28.10.2020 sei deshalb für die Jahre 2014 bis 2016 eine Korrektur des Gewinnaufschlags bei Lieferungen an verbundene Unternehmen nach § 1 des Außensteuergesetzes (AStG) i.H. von 50.000 Euro pro Jahr vorzunehmen (Tz. 24, Kopie der Bp-Akte im Verfahren 1 K 2953/20 und Aktenvermerk vom 20.10.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 601).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>b) Die Werkzeug GmbH (HRB xxx) wurde mit Gesellschaftsvertrag vom [ __ ]2014 gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung und der Handel von und mit Werkzeugen aller Art. Geschäftsführerin ist von Anfang an die Ehefrau des Klägers (von Oktober 2014 bis März 2015 gemeinsam mit einem GL und von Oktober 2016 bis März 2019 mit GF, Auszug aus dem Handelsregister des AG G, HRB xxx, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 511 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Werkzeug GmbH erwirtschaftete nach ihren Jahresabschlüssen folgende Gewinne und Umsätze (in Euro; Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 593):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="6" rowspan="1"><rd nr="33"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Gewinn</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Ausgangsumsätze</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">davon Regel-steuersatz</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Material-aufwand</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Personal-aufwand</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 28.697,44</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-       </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-       </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">31,60 </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">22.096,80</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 26.497,98</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">823.384,90</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">686.400,37</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">646.232,37</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">151.909,77</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">9.865,49</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">965.764,04</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">871.536,51</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">744.425,13</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">157.367,17</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">- 20.956,45</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.186.549,80</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">955.783,53</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">997.586,38</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">171.778,76</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.179,02</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.864.073,91</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.261.114,92</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.584.918,59</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">220.782,19</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Nach dem Bp-Bericht vom 20.10.2020 ist die Werkzeug GmbH eine Vertriebsgesellschaft. Der Einkauf erfolgt in China (vornehmlich bei der Werkzeug Ltd.). Geliefert wird an Unternehmen im Inland (auch an verbundene Unternehmen wie die M GmbH) und in der EU. Nach dem Bp-Bericht vom 2.2.2021 sei eine Korrektur der Verrechnungspreise für die Jahre 2015 bis 2018 aufgrund der erst begonnenen Tätigkeit nicht vorzunehmen. Die anfänglichen Verluste seien hinzunehmen (Tz. 13, Kopie der Bp-Akte im Verfahren 1 K 2953/20 und Aktenvermerk vom 20.10.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 602).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="35"/></th> </tr> <tr> <td colspan="2" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">c) In China ist der Kläger zu 100 Prozent insbesondere an folgenden Unternehmen beteiligt, die er ab 2001 gegründet hat:</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Werkzeug [ ___ ] Ltd., X (nachfolgend: Werkzeug Ltd.),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">[ ___ ] Ltd., X (auch als [ ___ ] Ltd. bezeichnet; nachfolgend: Gew Ltd.),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">→   </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">XM Co. Ltd. (nachfolgend: M Ltd.) als mittelbare Beteiligung über die Werkzeug Ltd. (80 Prozent) und die Gew Ltd. (20 Prozent),</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">[ ___ ] X Co. Ltd. (nachfolgend: T Ltd.) und</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Werkzeug Ltd, X.</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Insgesamt habe der Kläger -so der Bevollmächtigte- in China und Taiwan zehn Firmen. Zu den Umsätzen und Gewinnen dieser Firmen machte er keine detaillierten Angaben. Er teilte lediglich mit, dass die chinesischen Firmen „im streitgegenständlichen Zeitraum bis 2019/2020“ umgerechnet mehr als 15,5 Mio. Euro „an Steuern“ in China bezahlt hätten (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 571). Zu seinen Einkünften gibt der Kläger insoweit an, in den Streitjahren habe er sich „nur wenig Geschäftsführergehalt ausgezahlt“. Vielmehr habe er „überwiegend von ... (den) Gewinnausschüttungen (der chinesischen Firmen) gelebt“ (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2, a.a.O., Bl. 569).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>5. Bis einschließlich 2007 wurden der Kläger und seine Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2006 gab der Kläger die Anschrift [ ___ ] in X an. Auf der Einkommensteuererklärung für 2006 findet sich der handschriftliche Hinweis der Sachbearbeiterin: „Telefonat mit StB am 31.3.08, H. A hat inl. Wohnsitz aufgegeben.“ Deshalb begehrte der Kläger die steuerliche Freistellung von chinesischem Arbeitslohn i.H. von 13.750 Euro (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Das FA teilte dem Kläger mit Schreiben vom 29.7.2008 mit, dass er nach den eingereichten Unterlagen und Erläuterungen seinen steuerlichen Wohnsitz im Inland beibehalten habe und damit unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 18). Auch die Sachbearbeiterin für internationales Steuerrecht teilte diese Einschätzung der Veranlagung (ESt-Akte, Lasche 2006, Bl. 28).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Mit Schreiben vom 14.1.2009 bestätigte seine damalige Steuerberaterin, dass der Kläger seinen Wohnsitz weiterhin in Deutschland habe (EA I, Bl. 268 und Rb-Akte, Bl. 48). Daraufhin wurde die Eigenheimzulage ab 2007 bis 2010 für das Reihenhaus im [ ___ ]-weg x in H mangels Wohnsitzverlagerung nach China festgesetzt (AV des FA vom 4.2.2009, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 63).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Für das Jahr 2007 erklärte der Kläger einen steuerpflichtigen Arbeitslohn aus China i.H. von 34.067 Euro (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 17). Im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung machte er Werbungskosten für die angemietete Wohnung in China geltend (ESt-Akte, Lasche 2007, Bl. 19).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Im September 2007 erwarben der Kläger und seine Ehefrau unter der Adresse [ ___ ] in X (der Ladungsanschrift) eine Immobilie zu jeweils hälftigem Miteigentum. In China -so der Bevollmächtigte- sei gesetzlich geregelt, dass Eheleute eine Immobilie nur jeweils zu hälftigem Eigentum erwerben könnten. Das Objekt sei seinerzeit (ohne Einrichtung) für rund 900.000 Euro gekauft worden. Davon habe der Kläger ca. 30 Prozent durch Eigenkapital, den Rest durch ein Darlehen finanziert. Die Immobilie sei heute ein Vielfaches wert (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und Bl. 571; vgl. Fotos, Anlage 2 zum Schriftsatz vom 1.7.2020, Rb-Akte, Bl. 63 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Auf der Einkommensteuererklärung der Ehefrau für 2008 wurde von der Sachbearbeiterin des FA notiert: „Telefonat mit StB, Ehemann lebt seit 2007 wieder in China à Einzelveranlagung der EF.“ (ESt-Akte, Lasche 2008, Bl. 1)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Mit Schreiben vom 5.7.2010 teilte das FA in einem Schreiben an die Ehefrau mit, dass der Kläger nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei, da sich sein Wohnsitz im Ausland befinde. Ab 1.1.2008 erhielt die Ehefrau für die daher anstehende Einzelveranlagung eine neue Steuernummer (xxxxx/xxxxx; ESt-Akte, vor Lasche 2008, Bl. 2 und EA I, Bl. 93).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Ehefrau erklärte für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2018 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit als Geschäftsführerin der M GmbH und der Werkzeug GmbH zwischen 32.500 Euro (2012) und 117.600 Euro (2018).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Mit den streitgegenständlichen Bescheiden jeweils vom 28.6.2021, wurden der Kläger und seine Ehefrau für die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2018 unter der Steuernummer yyyyy/yyyyy wieder zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (vgl. ESt-Akte, Bl. 105 ff.). Mit weiteren Bescheiden ebenfalls vom 28.6.2021 wurde die Einzelveranlagungen der Ehefrau für diese Veranlagungszeiträume aufgehoben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>6. Im August 2017 ließ sich der Kläger von einer Rechtsanwaltskanzlei darüber beraten, ob der Umstand, dass er die Aufwendungen für die Herstellung des Gebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G allein getragen habe, Schenkungsteuer auslöse, da seine Ehefrau hälftige Miteigentümerin des Grundstücks sei. Ein Rechtsanwalt R erläuterte, dass der Vorgang nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) schenkungsteuerbefreit sei, da mit diesem Gebäude ein eigengenutztes Familienheim errichtet worden sei. Die Schenkungsteuerbefreiung könne nicht daran scheitern, dass der Kläger dort keinen Wohnsitz begründet habe, denn eine Nutzung durch die Ehefrau reiche nach einer Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Berlin vom 28.1.2003 5 K 5267/01, juris zumindest dann aus, wenn diese mit einem gemeinsamen Kind in der Wohnung lebe. Weiter führte der Rechtsanwalt aus: „In der dortigen Entscheidung [des FG Berlin] war es sogar so, dass die Eheleute im scheidungsrechtlichen Sinne voneinander getrennt gelebt haben, also nicht wie in Ihrem Fall, aufgrund einer beruflichen Trennung. … Im vorliegenden Fall ist es aber so, dass allein Ihre berufliche Ausübung Sie dazu zwingt, teilweise nicht in Deutschland zu leben. Dass Sie in Deutschland aus steuerlichen Gründen nicht gemeldet sind, kann in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Tatsache und selbstverständlich beweisbar ist, dass für die Zeit, in der sie in Deutschland leben, Sie sich ebenfalls in dem Hausgrundstück aufhalten.“ (Schreiben vom 31.8.2017, S. 2 f., BMO, Bl. 225 f.)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>7. Die Steuerfahndung (Steufa) des FA E stellte mit Bericht vom 5.5.2021 fest, einer Anfrage zur Einheitsbewertung des Grundbesitzes sei zu entnehmen, dass der Kläger und seine Ehefrau in 2013 ein Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G mit 1.703 m² erworben und die Herstellungskosten des Gebäudes rund drei Millionen Euro betragen hätten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die Überprüfung der Finanzierung habe ergeben, dass die Eheleute für die Erstellung des Wohngebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G kein Fremdkapital eingesetzt hätten. Im Grundbuch sei lediglich im Jahr 2018 -also rund zwei Jahre nach der Fertigstellung des Gebäudes- eine Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro zugunsten der Bank II für eine Darlehensschuld der M GmbH eingetragen worden (Tz. 6.6, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85 und Darlehensvertrag zwischen der M GmbH und der Bank II vom 26.4.2018, EA II, Bl. 127 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Allerdings habe der Kläger Gewinnausschüttungen von chinesischen Firmen (insbesondere von Werkzeug Ltd. und Gew Ltd.) erhalten (Tz. 5, S. 5 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 83). Dementsprechend gebe es als Nachweis der Finanzierung des Wohnobjekts zwei notariell beurkundete Dokumente, nach denen Gelder in Form von Dividenden- und Bonuszahlungen direkt auf ein deutsches Konto überwiesen worden seien (Tz. 6.7, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85; Ausschüttungen der Werkzeug Ltd. i.H. von 3.325.073,18 Euro und der Gew Ltd. i.H. von 2.170.880,18 Euro, BMO, Bl. 1 ff. und Bl. 5 ff. sowie EA I, Bl. 84 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Die Dokumente seien mit einem Google-Übersetzungstool wie folgt übersetzt worden: „Werkzeug [ ___ ] (X) Co. Ltd. / Gew [ ___ ] (X). Ltd. ist ein Unternehmen, das ausschließlich von einer ausländischen natürlichen Person investiert wird. Der gesetzliche Vertreter und Investor des Unternehmens ist Herr A mit der Staatsangehörigkeit Deutschlands, Pass Nr. [ ___ ]. Gemäß den Bestimmungen von Artikel 2.8 von C.S.Zi (1994) Nr. 20 [vgl. den Text der Verwaltungsregelung, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 582] wird der Ausländer von der individuellen Einkommensteuer für die Einkünfte aus Dividende und Bonus eines im Ausland investierten Unternehmens befreit.“ (Tz. 6.8, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85; BMO, Bl. 6 und Bl. 8)</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Bei einer Ortsbesichtigung der [ ___ ] Straße Y in G am 22.3.2019 -im Vorfeld der Durchsuchung vom 26.11.2019- habe die Steuerfahnderin beobachten können, dass die Ehefrau den gemeinsamen Sohn K 2 mit dem Auto zur Schule oder zum Bus gebracht habe und nach ca. 15 Minuten wieder zu Hause gewesen sei (Tz. 6.9, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85 und Aktenvermerk vom 25.3.2019, EA I, Bl. 126).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Laut Auskunft des Ausländerzentralregisters sei der Kläger deutscher Staatsbürger. Ihm sei von der Gemeinde H im Jahr 2013 (erneut) ein deutscher Personalausweis und ein deutscher Reisepass ausgestellt worden. Dafür habe sich der Kläger kurzfristig für einen Monat bei der Gemeinde H angemeldet (Tz. 6.10, S. 6 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 85).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Er sei verfügungsberechtigt über die Konten der Werkzeug GmbH und der M GmbH (Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen -BaFin- vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12 ff., 40 und 71 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Der Kläger unterhalte Geschäftsbeziehungen zur Bank I (z.B. Privatgirokonto bei der Bank II als unselbständiger Anstalt der Bank I Nr. xxxxx; vgl. Kontoauszüge, BMO, Bl. 13 ff.). Bei der Überprüfung seiner Kreditkartenabrechnungen sei festgestellt worden, dass bei Abschluss des Kreditkartenvertrags zwar eine Adresse in X angegeben worden sei, die Umsatzabrechnungen aber ab dem 14.3.2013 an die Adresse in H und ab dem 1.12.2016 an die Adresse in G gesandt worden seien. Die Auswertung der mit der Kreditkarte getätigten Einkäufe habe zudem ergeben, dass nur in einzelnen Monaten nicht mit der Kreditkarte des Klägers eingekauft worden sei (Tz. 8.2, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89). Es habe sich hierbei um Abbuchungen für Einkäufe im Einzelhandel und in Supermärkten sowie Restaurantbesuche in Deutschland (überwiegend im Großraum G) gehandelt. Die Ehefrau verfüge über ein eigenes Konto (Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021, S. 7, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 461; Konto der Ehefrau bei der Bank I Nr. xxxxx, EA II, Bl. 23 und 93).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>Es seien Kopien der Reisepässe des Klägers vorgelegt worden. Der Reisepass, der von der Gemeinde H ausgestellt worden sei (Nr. [ ___ ], BMO, Bl. 67 ff.), sei gültig vom [ __ ]2013 bis [ ___ ]2023. Der weitere Reisepass, der vom Generalkonsulat in X stamme, sei vom [ ___ ]2015 bis zum [ ___ ]2025 gültig (Nr.  [ ___ ], BMO, Bl. 104 ff.). Die anhand der Stempel ausgewerteten Ein- und Ausreisdaten zeigten, dass sich der Kläger im Streitzeitraum an jeweils mehr als 90 Tagen im Jahr nicht in China aufgehalten habe (Tz. 8.3, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>Die Gegenüberstellung der Ein- und Ausreisstempel des Klägers in seinen Reisepässen und der Abgleich mit Daten und Unterlagen über seine inländischen Einkäufe mit Kreditkarte, Strafmandate wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen sowie in Deutschland durchgeführten ärztlichen Behandlungen zeigten deutlich, dass er sich jährlich jeweils längere Zeit in Deutschland bei seiner Familie aufgehalten habe. Insbesondere zeige sich, dass Nachweise über Aufenthalte in Deutschland auch in den Zeiten vorlägen, für die zwar ein Ausreisestempel aus China vorliege, aber ein Einreisestempel in Deutschland nicht feststellbar sei (Tz. 8.4, S. 8 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 89).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Die Anzahl der Tage, an denen sich der Kläger in Deutschland oder sonst außerhalb Chinas aufhielt, wurde im Einzelnen wie folgt festgestellt (Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 462):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="3" rowspan="1"><rd nr="58"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Deutschland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">sonst außerhalb Chinas</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">119</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">42</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">89</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">37</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">39</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">109</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">118</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">10</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">99</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Das FA hat im Erörterungstermin bezüglich der Aufenthaltstage in Deutschland erklärt, die Angabe für das Jahr 2015 sei unzutreffend, da nur ein Teil des Jahres erfasst worden sei. Stattdessen habe sich der Kläger in jenem Jahr an 108 Tagen in Deutschland aufgehalten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Zum Zeitpunkt der Durchsuchungsmaßnahme am 26.11.2019, angeordnet durch das AG E mit Beschluss vom 15.11.2019, sei K 1, der Sohn der Ehefrau, anwesend gewesen. Er habe mitgeteilt, dass sein Bruder K 2 derzeit beim Kläger in China sei (Tz. 9, S. 9 des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 91).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>Auf telefonische Weisung des Klägers habe K 1 der Durchsuchung widersprochen (vgl. Niederschrift über die Durchsuchung und Beschlagnahmeverzeichnis vom 26.11.2019, EA II, Bl. 161 ff.). Am Durchsuchungstag habe die Steufa zudem mehrfach mit dem Kläger telefoniert. Er habe eingeräumt, sich des Öfteren in Deutschland aufzuhalten. Das gemeinsame Haus in der [ ___ ] Straße Y in G stehe ihm jederzeit zur Verfügung. So habe er u.a. einen eigenen Ankleideraum, der mit jeder Art von persönlicher Kleidung des Klägers bestückt gewesen sei. In seinem Ankleidezimmer habe sich ein Tresor befunden. Nachdem der Kläger den Zugangscode mitgeteilt habe, sei dieser geöffnet und Barmittel i.H. von 130.000 Euro entdeckt worden. Darüber hinaus habe man Unterlagen über Geldzuflüsse aus China in den Streitjahren aufgefunden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Die Hausangestellte, eine Frau [ ___ ], habe bei ihrer Vernehmung am 26.11.2019 ausgesagt, dass sie der Kläger -den sie seit über einem Jahr kenne- angestellt habe und er mehrmals im Jahr im Haus in G anwesend gewesen sei. Sie habe ihn einmal im Monat oder jeden zweiten Monat gesehen. Er lebe regelmäßig im Haus. Die Ehefrau sei bis auf sechs Wochen Urlaub im Jahr immer im Haus gewesen. Die Ehefrau des Klägers oder der Sohn seien stets anwesend gewesen, wenn sie gearbeitet habe (vgl. Niederschrift über die Zeugeneinvernahme vom 26.11.2019, EA II, Bl. 219 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Im Speicher eines beschlagnahmten Laptops seien zudem Bilder von Familientreffen und sonstigen Feiern gefunden worden, die im Haus aufgenommen wurden (vgl. Daten-DVD, die mit Schriftsatz der Steufa vom 23.5.2022 an das FG übermittelt wurde; Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 560). In der Garage sei ein schwarzer [ ___ ] geparkt gewesen. Laut Aussage der Hausangestellten habe der Kläger diesen genutzt. Auf seinem Konto bei der Bank I (Nr. xxxxx) hätte sich am Durchsuchungstag ein Guthaben von 3,2 Millionen Euro befunden (laut einem Foto des Finanzstatus hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben von 3,66 Mio. Euro bei der Bank I, Rb-Akte, Bl. 10). Davon sei ein Betrag von 1,4 Millionen Euro gepfändet worden (Schreiben der Steufa an das AG E vom 10.12.2019, EA II, Bl. 167 f.). Das Landgericht (LG) S habe die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des AG E mit Beschluss vom 6.3.2020 verworfen (EA II, Bl. 189 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>64 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="64"/>Ehegatten -so das FA weiter-, die nicht dauernd getrennt lebten, hätten ihren Wohnsitz grundsätzlich dort, wo die Familie wohne. Dies gelte unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten bestehe. Deshalb sei eine inländische Wohnung, die von einem Ehegatten gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt werde, auch dann ein Wohnsitz, wenn sich ein Ehegatte zeitlich überwiegend im Ausland aufhalte. Deshalb sei der Kläger in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Aufgrund seiner Aufenthalte außerhalb Chinas von jeweils mehr als 90 Tagen pro Jahr sei er nicht in China ansässig und dort daher nur beschränkt steuerpflichtig. Dies bedeute, dass in China grundsätzlich nur Einkünfte aus chinesischen Quellen zu versteuern seien.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>65 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="65"/>Die Gewinnausschüttungen von seinen chinesischen Firmen seien direkt auf sein Konto bei der Bank I überwiesen worden. Er habe seinen persönlichen steuerlichen Status in China bisher nicht nachgewiesen. Zudem sei er an den auszahlenden Firmen zu mehr als 50 Prozent beteiligt. Aufgrund dieser mehrheitlichen Beteiligungen handele es sich bei den Zahlungen um Gewinnausschüttungen, die als Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland zu erfassen seien. Als Veranlagungsart sei zugunsten der Eheleute die Zusammenveranlagung durchzuführen (Tz. 11, S. 10 f. des Steufa-Berichts, ESt-Akte, Bl. 93 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>66 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="66"/>Es seien folgende Gewinnausschüttungen bei den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen zu erfassen:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>67 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="5" rowspan="1"><rd nr="67"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Werkzeug Ltd.</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Gew Ltd.</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">T Ltd.</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Summe </td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110,75 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110,75 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.229.601,39 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">794.722,07 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.024.323,46 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.483.361,04 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">976.158,11 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">231.449,59 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.690.968,74 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">400.000,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">400.000,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">250.000,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">500.000,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">750.000,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.128.026,02 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.182.031,47 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.310.057,49 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.703.099,20 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.852.911,65 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">231.449,59 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">9.787.460,44 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>68 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="68"/>Im Jahr 2018 sei noch die private Nutzung für das Kfz der Werkzeug GmbH i.H. von 6.786 Euro als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) zu berücksichtigen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>69 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="69"/>Am 30.1.2019 wurde gegen den Kläger ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung von Einkommensteuer für 2012 bis 2016 eingeleitet (Aktenvermerk, EA II, Bl. 2 ff.). Am 13.11.2019 wurde das Ermittlungsverfahren auf die Einkommensteuer für 2017 und 2018 ausgedehnt (Aktenvermerk, EA II, Bl.6 f.). Mit Verfügung vom 28.6.2022 wurde das Strafverfahren für die Jahre 2012 bis 2016 nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) durch die Straf- und Bußgeldsachenstelle des FA E eingestellt (Schreiben vom 5.7.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 177 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>70 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="70"/>8. Das FA wertete den Bericht der Steufa aus und erließ am 28.6.2021 (Zusammenveranlagungs-)Bescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und ging dabei von Folgendem aus (vgl. ESt-Akte, Bl. 105 ff.):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>71 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="3" rowspan="1"><rd nr="71"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">Abgeltungsteuer</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">612.110 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">153.027 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.024.173 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">506.043 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.690.643 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">672.660 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">399.850 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">99.962 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">750.000 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">187.500 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.316.843 Euro (einschl. vGA von 6.786 Euro)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">829.210 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">9.793.619 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.448.402 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>72 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="72"/>Im Weiteren:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>73 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="3" rowspan="1"><rd nr="73"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Einkommensteuer</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">146.342,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">500.565,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">666.979,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">95.092,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">181.573,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">827.328,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.417.879,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">2.417.879,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Solidaritätszuschlag</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">8.095,12 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">27.502,33 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">36.691,22 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">5.208,65 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">10.039,91 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">45.460,80 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">132.998,03 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">132.998,03 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">54.862,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">157.673,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">170.072,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.534,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24.509,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">62.047,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">487.697,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">487.697,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Verspätungszuschlag für 2018</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">25.000,00 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">25.000,00 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">insgesamt</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">3.063.574,03 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>74 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="74"/>Die Zinsfestsetzungen ergingen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat jeweils vorläufig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>75 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="75"/>9. Der Kläger legte am 22.7.2021 Einspruch ein (Rb-Akte, Bl. 1).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>76 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="76"/>Im Wesentlichen bringt der Kläger vor, er würde seit 2007 unter der Ladungsanschrift in seiner Villa in China wohnen (Schriftsatz vom 20.10.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 10). Diese Immobilie hätten er und seine Ehefrau im Jahr 2007 zu jeweils hälftigem Miteigentum erworben (a.a.O., Bl. 569 und Bl. 571). Zuvor --seit 2003- habe er ein 4-Zimmer-Appartement in X bewohnt. Im Jahr 2008 habe er sich aus Deutschland „ins Ausland“ abgemeldet (a.a.O., Bl. 15). Von seiner Ehefrau und seiner Familie lebe er seit 2006 getrennt (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 28). Im Jahr 2016 habe er mit seiner Ehefrau ein Haus in der [ ___ ] Straße Y in G errichtet (Schriftsatz vom 20.10.2021, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 10).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>77 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="77"/>a) Seine Villa in X habe eine Wohnfläche von 939,14 m² und sei von einer Firma Möbel K GmbH, O / Deutschland im Jahr 2008 wohnfertig eingerichtet worden (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3, BMO, Bl. 99 und vom 16.11.2020, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 48 [ ___ ]). Seine Villa in X sei wesentlich größer als das Gebäude in G</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>78 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="78"/>(801 m² Wohnfläche) nämlich „fast doppelt so groß“ und auch wesentlich schöner eingerichtet. Ebenso verfüge er in X über einen „mindestens so ansprechenden Fuhrpark bzw. eine ebenso gut gefüllte Garage wie in Deutschland“ (vgl. Fotos, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Anlage 5, Bl. 170 bis 172). Das Haus in G sei zwar für deutsche Verhältnisse geräumig, aber in der Sache lediglich ein „Gebäude für die Ehefrau“ sowie „ein Rückzugsort im Falle einer Krise der Politik in China“ (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3 f., BMO, Bl. 99 f. und Rb-Akte, Bl. 33 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>79 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="79"/>Er habe seinen Wohnsitz ausschließlich in China, da er dort lebe, arbeite, seine Familie und Freunde empfange, seine persönlichen Dinge aufbewahre und von dort seit 2007 seine Firmen in X und weltweit leite (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 4, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 29 und Aufstellung des Bevollmächtigten über den typischen Tagesablauf des Klägers in X vom 4.8.2022). Er habe, wenn er sich geschäftlich in Deutschland aufgehalten habe, oftmals nicht im Hotel übernachtet, sondern „an seinem ehemaligen Wohnsitz“. Dies allerdings nur um Kosten zu sparen (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 28). Einer seiner beiden Söhne sei seit 2013 stets in X. Sein Bruder mit Familie lebe ebenfalls dort (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 11, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 36). Seine Eltern wohnten mit in seiner Villa (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 3, BMO, Bl. 99).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>80 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="80"/>Sein Sohn K 1 habe in den Jahren 2013 bis 2017 die Deutsche Schule in X besucht; sein Sohn K 2 von 2019 bis Mitte 2022 (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 48 mit Anlage 2a, Bl. 66 ff. und Bl. 570).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>81 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="81"/>b) Aufgrund der Eintragungen in seinen Reisepässen habe er sich in der folgenden Anzahl von Tagen in China aufgehalten. Den Rest der Aufenthalte bildeten Reisen in Drittländer sowie Aufenthaltstage in Deutschland, die weitaus überwiegend geschäftlicher Natur gewesen seien. Erkennbar sei, dass die Aufenthaltstage in China seit 2014 stark angestiegen seien (Einspruchsschreiben vom 22.7.2021, S. 16, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 41), im Einzelnen wie folgt:</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>82 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="4" rowspan="1"><rd nr="82"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in China</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in Deutschland</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">in Drittländern</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">188</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">128</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">49</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">219</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">105</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">41</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">246</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">100</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">19</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">263</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">106</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">-</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">237</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">78</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">13</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">263</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">94</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">8</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>83 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="83"/>Hinsichtlich dieser Aufenthaltstage, die sowohl durch den Kläger im Einzelnen bezeichnet als auch von dem Bevollmächtigten geprüft worden seien, könnten jeweils die entsprechenden Beschreibungen der Reisen und Aufenthalte in den allermeisten Fällen zusätzlich geliefert werden. Möglicherweise gebe es hinsichtlich einzelner Tage geringfügige Abweichungen zwischen dem Ergebnis der Prüfung des Bevollmächtigten und derjenigen des Klägers, die lediglich in einer Bandbreite von maximal drei bis vier höchstens aber zehn Tagen pro Jahr differierten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>84 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="84"/>In den Ferienzeiten, wie z.B. Weihnachten, dem chinesischen Neujahrsfest, Silvester und Ostern sei jeweils nicht der Kläger nach Deutschland gekommen, sondern seine Familie nach X. Die Villa in X nutzten er, seine Familie, Freunde und seine Bekannten regelmäßig u.a. im Rahmen von Grillfesten und Partys (vgl. Fotos, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 78 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>85 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="85"/>Der Kläger habe seit seiner Rückkehr nach X „im Jahr 2005“ nicht nur einen sehr luxuriösen privaten Wohn- und Rückzugsort für sich und seine Familie in X geschaffen. Er habe bereits ab dem Jahr 2003 dort auch mehrere Firmen gegründet, die derzeit über 320 angestellten Arbeitnehmern einen zukunftssicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz böten. Zu nennen seien die 2003 gegründete Werkzeug Ltd., die seit 2006 bestehende Gew Ltd., die in 2007 gegründete T Ltd. und die seit 2008 existierende M Ltd. (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 7 f., Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 52 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>86 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="86"/>c) Seine Firmen befassten sich mit unterschiedlichen Geschäftsthemen; zum einen mit der Herstellung von [ ___ ] (Gew Ltd.) und zum anderen mit der Herstellung sowie mit dem Vertrieb von Werkzeugen. Sie seien erfolgreich auf dem Weltmarkt tätig. Daraus folge, dass er täglich in X anwesend sein müsse, damit er diese Firmen und insbesondere seine Mitarbeiter vor Ort anleiten bzw. beaufsichtigen und mit leitenden Mitarbeitern wichtige Entscheidungen treffen könne. So habe er im Jahr 2014 eine M-Tochtergesellschaft in Taiwan gegründet (Schreiben an das FA vom 16.11.2020, S. 8, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 53).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>87 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="87"/>In Deutschland arbeiteten in seinen gruppenangehörigen Firmen lediglich vier Mitarbeiter (Schreiben an das FA vom 1.7.2020, S. 4, BMO, Bl. 100).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>88 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="88"/>Er sei Mitglied der [ ___ ] in China und der [ ___ ], X. Mit seinen Firmen habe er zahlreiche Patente angemeldet und erteilt bekommen (Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 336 ff.). In China habe er auch seine Steuern bezahlt (Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 348 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>89 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="89"/>Aufgrund dessen seien die erlassenen Steuerbescheide rechtswidrig. Das Besteuerungsrecht stehe China zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>90 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="90"/>10. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021 als unbegründet zurückgewiesen (Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 7 ff.). </td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>91 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="91"/>a) Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er als „domiciled“ oder als „resident“ in China besteuert worden sei. Als „non-resident" sei er in China aber nicht ansässig, sondern unterliege dort keiner umfassenden persönlichen Besteuerung wie es Art. 4 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens mit China (DBA-China) verlange. Mangels Doppelansässigkeit liege deshalb bereits kein Kollisionsfall vor. Art. 4 Abs. 2 DBA-China (sog. tie-breaker-rule) sei infolgedessen nicht einschlägig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>92 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="92"/>b) Aber auch nach Art. 4 Abs. 2 DBA-China sei der Kläger als nur in Deutschland ansässig zu behandeln, da er im Inland über eine ständige Wohnstätte verfüge und zudem hier den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>93 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="93"/>aa) Er könne das Haus in G auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig nutzen. Auch sei es zu seinem ständigen Wohnen bestimmt und werde von ihm auch regelmäßig genutzt. Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass sich er sich an jeweils mehr als 90 Tagen pro Jahr (außer in 2017), also annähernd ein Drittel des Jahres, in Deutschland aufgehalten habe und das, obwohl er in China seiner Tätigkeit nachgehe und zudem viele gemeinsame Urlaube mit der Familie auch in China verlebe. Er lebe nicht dauernd getrennt von seiner Ehefrau. Die Eheleute würden gemeinsame Urlaube und Feiertage verbringen. Die Kreditkartenabrechnungen deuteten zudem darauf hin, dass eine gemeinsame Finanzierung der Lebenshaltung vorliege und er Ausgaben für die Ehefrau tätige. Aufgrund der gemeinsamen wirtschaftlichen und familiären Lebensgestaltung mit der Ehefrau und seinen Kindern sei das Haus in G die Familienwohnung. Die Wohnung im Inland sei nach der vorliegenden Sachlage eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern vor allem seine in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>94 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="94"/>Die Dauer der Nutzung sei nicht maßgeblich. Dem zeitlichen Verhältnis der tatsächlichen Nutzungsdauer der Familienwohnung im Inland und der Wohnung im Ausland komme bei der Würdigung, ob eine ständige Wohnstätte vorliegt, keine Bedeutung zu. Für die Beurteilung der ständigen Wohnstätte spiele es auch keine Rolle, ob das Haus in X -wie der Kläger vortrage- wesentlich größer sei als die Häuser in G bzw. zuvor in H. Insbesondere das Haus in G sei mit familiärem Leben erfüllt, in das er eingebunden sei. Es biete mit 801 m² Wohnfläche mehr als nur ausreichend Platz für die gesamte Familie. Auch wenn die berufliche Tätigkeit des Klägers die meiste Zeit des Jahres seine persönliche Anwesenheit in X notwendig mache, er sich (auch) in der Wohnung in X zu Hause fühle und von dort die Arbeit aufsuche, verfüge er über eine ständige Wohnstätte in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>95 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="95"/>bb) Zudem habe er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>96 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="96"/>Die Ehefrau, sein Sohn K 2 und teilweise auch der Sohn der Ehefrau (K 1) hätten in den Streitjahren in dem gemeinsamen Haus in G gelebt. Den eingereichten Unterlagen sei zu entnehmen, dass der Kläger eine sehr enge Bindung zu seiner Familie habe und diese trotz seiner häufigen geschäftlichen Abwesenheiten pflege. Aus den eingereichten Fotos (Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 78 ff.) und seinem Vortrag werde deutlich, dass er großen Wert auf gemeinsam verbrachte Ferienaufenthalte lege und ihm die familiäre Bindung äußerst wichtig sei. Aufgrund dieser Familienbande sei der Wohnort der Familie in Deutschland sein Lebensmittelpunkt. Dass sein Stiefsohn K 1 in Teilen des hier zu beurteilenden Zeitraums die Deutsche Schule in X besucht habe und gemeinsame Urlaube auch in China stattgefunden hätten, stehe dem Lebensmittelpunkt in Deutschland nicht entgegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>97 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="97"/>Zudem unterhalte der Kläger neben dem Bezug zur Familie auch enge freundschaftliche Beziehungen in Deutschland. Solche pflege er z.B. laut seinem Vortrag zu einem [ ___ ] (Geschäftsführer der Werk-P. GmbH; vgl. Anlage K5a zum Schriftsatz vom 11.4.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 173), der laut dessen Aussagen einer seiner besten Geschäftspartner sei und den er seit Abschluss seines Studiums in G und damit seit etwa 20 Jahren kenne. Die Freundschaft resultiere aus den intensiven Beziehungen des Klägers zu Deutschland. Unabhängig davon, dass sich die Geschäftspartner laut den vorliegenden Aussagen häufiger in China träfen, zeige sich hierin auch der besondere persönliche und wirtschaftliche Bezug zum Standort Deutschland. Der Kläger berufe sich zwar auf seine starken und intensiven Wirtschaftsbeziehungen in China. Da sich die wirtschaftlichen Interessen in Deutschland und China in weiten Teilen ergänzten und voneinander profitierten, seien für ihn aber nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen in China, sondern auch diejenigen in Deutschland bedeutende Gesichtspunkte. Der Ort der Geschäftsinteressen sei somit keinesfalls ein Schwerpunktsmerkmal, das nur auf China zutreffe. Nicht zu vernachlässigen seien überdies die finanziellen Interessen, die er in Deutschland habe. Durch die vielen Ortswechsel diene ihm Deutschland zudem als Rückzugsort, vor allem deshalb, weil hier seine Familie wohne. Dass das Haus in G -nach den Ausführungen des Klägers- sein Zufluchtsort bei Krisen sei, zeige außerdem die enorme Bedeutung seines deutschen Wohnsitzes für ihn und seine Familie.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>98 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="98"/>c) Im Übrigen lägen die Voraussetzungen eines gewohnheitsmäßigen Aufenthalts des Klägers in beiden Staaten vor, da die jeweiligen Aufenthalte von einer gewissen Mindestdauer seien und in Wiederholungsabsicht unternommen würden. Habe eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Vertragsstaaten oder in keinem der Staaten, so gelte sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie sei. Als deutscher Staatsangehöriger gelte er darum als nur in Deutschland ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>99 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="99"/>11. Hiergegen erhob der Kläger Klage und beantragt,<br/>die Bescheide über die Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2018 nebst der jeweiligen Bescheide über die Zinsen und den Solidaritätszuschlag und für den Veranlagungszeitraum 2018 über den Verspätungszuschlag jeweils vom 28.06.2021 und die Einspruchsentscheidung hierzu vom 10.12.2021 aufzuheben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>100 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="100"/>12. Das FA beantragt,<br/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>101 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="101"/>13. Am 1.6.2022 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert (vgl. Niederschrift vom 1.6.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, S. 1 ff., Bl. 124 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>102 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="102"/>Gegen die dingliche Arrestanordnung vom 22.11.2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.11.2020 wegen Einkommensteuer für 2013 bis 2016 i.H. von 1.427.128,30 Euro ist ein Verfahren unter dem Aktenzeichen 1 K 2953/20 anhängig. Gegen die weitere dingliche Arrestanordnung vom 26.4.2021 wegen Einkommensteuer für 2017 und 2018 i.H. von 1.142.682,30 Euro ist unter dem Aktenzeichen 1 K 1142/21 (Sprung-)Klage nach § 45 Abs. 4 FGO eingereicht worden. In beiden Verfahren wird nunmehr -nach Erlass der Einkommensteuerbescheide und damit der Erledigung der Arrestanordnungen- die Feststellung der Rechtwidrigkeit der Arrestanordnungen begehrt (Fortsetzungsfeststellungsklage). Hinsichtlich der streitgegenständlichen Bescheide hat der Kläger die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung im Verfahren mit dem Aktenzeichen 1 V 2435/21 beantragt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>103 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="103"/>Die Akten der Verfahren 1 K 2953/20, 1 K 1142/21 und 1 V 2435/21 sind beigezogen. Die Einsichtnahme in die Akten in allen Verfahren erfolgte am 13.4.2021, 27.7.2021 und am 9.2.2022.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>104 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="104"/>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Unterlagen sowie auf die Behördenakten (ESt-, Rb-, Eigenheimzulagen-, Vollstreckungs- und Steuerfahndungsakten [BMO, EA I und II]) und die Gerichtsakten Bezug genommen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>Die Klage hat teilweise Erfolg.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>1. Soweit sich der Kläger gegen die Festsetzung von Solidaritätszuschlag für die Streitjahre wendet, ist die Klage unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>Mit einem Rechtsbehelf gegen den Solidaritätszuschlag kann nach § 51a Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 1 Abs. 5 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolZG) weder die Bemessungsgrundlage noch die Höhe des zu versteuernden Einkommens angegriffen werden. Wird nämlich die Bemessungsgrundlage geändert, ändert sich kraft Gesetzes der Solidaritätszuschlag entsprechend (§ 51a Abs. 5 Satz 2 EStG und § 1 Abs. 5 Satz 2 SolZG; vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 40. Aufl., 2021, § 51a Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>Der Kläger wendet sich darüber hinaus nicht gegen die Höhe des Solidaritätszuschlags. Auch erging die Festsetzung insoweit auf der Grundlage von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig, so dass auch insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 10.11.1993 X B 83/93, BStBl II 1994, 119 und vom 22.3.1996 III B 173/95, BStBl II 1996, 506, Rn. 28).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>2. Die Zinsbescheide werden geändert (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Sie sind rechtswidrig, soweit eine Verzinsung i.H. von 0,5 Prozent im Monat ab dem 1.1.2019 erfolgt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>a) Nach § 238 Abs. 1a i.V.m. § 233a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO (EGAO) durch das sog. Zinsanpassungsgesetz vom 12.7.2022 (BGBl I 2022, 1142) betragen die Zinsen in den Fällen des § 233a AO abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend ab dem 1.1.2019 für jeden Monat 0,15 Prozent, d.h. 1,8 Prozent pro Jahr. Das Zinsanpassungsgesetz wurde am 21.7.2022 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat nach dessen Art. 3 am Tag nach der Verkündung --mithin am 22.7.2022-- in Kraft.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>Aufgrund dessen sind die Zinsbescheide wie folgt zu ändern (vgl. Anlage des Schreibens des FA vom 26.7.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 173):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="5" rowspan="1"><rd nr="113"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (bisher)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (bisher)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (neu)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (neu)</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">insgesamt</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">bis 31.12.2018</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">ab 1.1.2019</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">insgesamt</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">54.862 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">32.917 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">6.583 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">39.500 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">157.673 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">82.591 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">22.524 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">105.115 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">170.072 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">70.030 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30.012 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">100.042 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.534 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.277 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.277 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">8.554 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24.509 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">0 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7.352 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7.352 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">62.047 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">0 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.614 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.614 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">487.697 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">189.815 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">89.362 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">279.177 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>b) Anders als das FA meint, steht einem Erfolg der Klage in dieser Höhe auch nicht Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO entgegen (Schreiben des FA vom 26.7.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 161).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Danach sind § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 4 und Abs. 2 sowie § 171 Abs. 8 AO auf nach dem 21.7.2022 erlassene Zinsfestsetzungen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 entsprechend anzuwenden, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO in der am 22.7.2022 geltenden Fassung noch nicht vorliegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>Nach dem dieser Regelung zugrunde liegenden Rechtsgedanken -so das FA- seien weiterhin die Voraussetzungen für die vorläufigen Zinsfestsetzungen gegeben, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des neuen, geringeren Zinssatzes noch nicht vorlägen. Ein Rechtsbehelf sei daher mangels Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>§ 165 AO liege der Gedanke zugrunde, dass das FA aus verschiedenen Gründen an einer endgültigen Festsetzung des Anspruchs gehindert sein kann. Das betreffe u.a. die Anhängigkeit eines Musterverfahrens (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO) und den Zeitraum bis zu einer erforderlichen gesetzlichen Neuregelung (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO). Die Regelung des Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO erweitere diesen Gedanken auf den Zeitraum, den die Finanzverwaltung als Massenverwaltung für die technische Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung benötige. Das sei aus Sicht des rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen natürlich „nicht optimal“. Dem Steuerpflichtigen sei allerdings für einen überschaubaren Zeitraum ein weiteres Zuwarten zumutbar. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Zweijahresfrist nach § 171 Abs. 8 Satz 2 AO, bei der der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen sei, die Finanzverwaltung könne nach einem erfolgreichen Musterverfahren nicht sofort in allen vorläufigen Fällen Änderungsbescheide erlassen. Im Streitfall entstehe dem Kläger auch kein finanzieller Nachteil durch ein weiteres Zuwarten, da die Zinsen noch nicht entrichtet worden seien.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>c) Diese Auffassung teilt der Senat nicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Zunächst wäre es vorliegend unstreitig möglich gewesen, sog. manuelle Bescheide zu erlassen, so dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Abs. 1a AO im Einzelfall vorliegen. Auch verfolgt Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO den Zweck, dass die Finanzverwaltung im steuerlichen Massenverfahren (wie bisher) Zinsfestsetzungen vorläufig erlassen kann, obwohl die Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO nach dem Inkrafttreten des Zinsanpassungsgesetzes nicht mehr vorliegen (vgl. Baum, NWB 2022, 2112, 2121). Darum geht es aber vorliegend nicht, sondern um die Rechtmäßigkeitsprüfung von Verwaltungsakten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Soweit das FA daher beantragt, das Verfahren wegen der Zinsfestsetzungen abzutrennen und auszusetzen, bis die Finanzverwaltung die Voraussetzungen für eine automationsgestützte Anwendung von § 238 Abs. 1a AO geschaffen hat, ist dies abzulehnen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Die Trennung von Verfahren nach § 73 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 und Abs. 1 Satz 2 FGO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Insoweit lässt sich der Senat von prozessökonomischen Gründen leiten (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 73 Rn. 22 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>Solche Zweckmäßigkeitsgründe, die für eine Trennung sprechen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind die verschiedenen Antragsgegenstände entscheidungsreif. Daher kann eine Trennung nicht erfolgen (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 73 Rn. 24).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>Überdies könnte ein abgetrenntes Verfahren nicht ausgesetzt werden, da keine Vorgreiflichkeit eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 74 FGO gegeben ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>3. Die Einkommensteuerbescheide vom 28.6.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>a) Der Kläger ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Er hat seinen Wohnsitz im Inland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>aa) Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu beurteilen. Dabei entfalten die bloße Absicht, einen Wohnsitz zu begründen oder aufzugeben, die An- und Abmeldung bei der Ordnungsbehörde allein keine unmittelbare steuerliche Wirkung (BFH-Urteil vom 14.11.1969 III R 95/68, BStBl II 1970, 153, Rn. 6). Hat der Steuerpflichtige eine Wohnung inne, die nach objektiven Maßstäben dauerhaft genutzt und beibehalten werden soll, kommt einem etwaigen Willen des Steuerpflichtigen, an diesem Platz keinen Wohnsitz begründen oder beibehalten zu wollen, keine Bedeutung zu. Maßgeblich sind alleine die tatsächlichen Lebensverhältnisse (BFH-Urteil vom 23.11.1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze haben. Diese können im Inland und/oder im Ausland gelegen sein. Zur Begründung eines steuerlichen Wohnsitzes im Inland ist nicht Voraussetzung, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet oder dass der Steuerpflichtige von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht (BFH-Urteile vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447, Rn. 10 und vom 18.12.2013 III R 44/12, BStBl II 2015, 143, Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Mit einer Wohnung im Sinne des § 8 AO sind stationäre Räumlichkeiten gemeint, die --mindestens im Sinne einer bescheidenen Bleibe- auf Dauer zum Wohnen geeignet sind. Weil „Bewohnen“ mehr ist als „Aufenthalt“ oder „Übernachtung“, erfüllt eine nur kurzfristige, lediglich vorübergehende oder eine notdürftige Unterbringungsmöglichkeit den Wohnungsbegriff nicht. Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit Küche und separater Waschgelegenheit. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist (vgl. ebenso Anwendungserlass zur AO --AEAO-- zu § 8 Nr. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>Der Steuerpflichtige muss die Wohnung zudem innehaben. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht), als Bleibe zur Verfügung stehen. An der objektiven Eignung fehlt es bei sog. Standby-Wohnungen oder -Zimmern, wenn auf Grund von Vereinbarungen oder Absprachen zwischen den Wohnungsnutzern die Nutzungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen derart beschränkt ist, dass er die Wohnung oder das Zimmer nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt nutzen kann (BFH-Urteil vom 13.11.2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Die Nutzung muss zu Wohnzwecken, aber weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen. Erforderlich ist allerdings eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte oder unregelmäßige kurze Aufenthalte zu Erholungs- oder Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 10.4.2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, Rn. 16). Die ausschließliche Nutzung als Betriebsstätte, Büro, Ladengeschäft, Warenlager oder Ähnliches stellt keine Nutzung zu Wohnzwecken dar (BFH-Urteil vom 8.5.2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135). Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr zu Wohnzwecken in der Wohnung aufhält (BFH-Urteil vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl 1997, 447). Eine Nutzung zu Wohnzwecken kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige eine Wohnung innerhalb eines Kalenderjahrs nicht nutzt (vgl. ebenso AEAO zu § 8 Nr. 4.1).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Bei einem Familienwohnsitz ist die Frage für jede Person gesondert zu prüfen (BFH-Urteil vom 7.4.2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, Rn. 13). Ein Ehegatte, der nicht dauernd getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz grundsätzlich dort, wo seine Familie lebt (BFH-Urteil vom 6.2.1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331, Rn. 10 m.w.N.). Diese Vermutung gilt regelmäßig unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten besteht. Deshalb ist eine inländische Wohnung, die von einem Ehegatten gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt wird, auch dann ein Wohnsitz, wenn er sich zeitlich überwiegend im Ausland aufhält (vgl. ebenso AEAO zu § 8 Nr. 5.2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Wer einen Wohnsitz im Ausland begründet, hat auch im Inland einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO, sofern er die inländische Wohnung weiterhin unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, sie beibehalten und benutzen zu wollen (BFH-Urteil vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat der Kläger im Streitzeitraum stets einen Wohnsitz im Inland; zunächst im [ ___ ]-weg x in H und ab 2016 mit der Fertigstellung des Gebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>Ihm standen jederzeit Räumlichkeiten zur Verfügung, die über eine lediglich kurzfristige, vorübergehende oder eine bloß notdürftige Unterbringungsmöglichkeit weit hinausgehen. Auch war bzw. ist er hälftiger Miteigentümer der jeweiligen Wohnungen, so dass ihm ein Anspruch auf Nutzung zustand bzw. zusteht (vgl. § 743 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Seine Nutzungsmöglichkeiten waren weder durch Vereinbarungen noch durch Absprachen derart beschränkt, dass er die Wohnung nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt hätte nutzen können. Wer -wie der Kläger zuletzt in G-- in einer Bleibe jedenfalls über eine Schlafgelegenheit, ein Ankleidezimmer und einen Stellplatz für einen stets zur Nutzung vorgehaltenen Pkw verfügt, hat einen Wohnsitz im Inland. Dass der Kläger bei Aufenthalten in Deutschland nur zur Ersparnis von Hotelkosten in seinen ihm mitgehörenden Räumlichkeiten übernachtet haben will, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Von seiner jederzeitigen Nutzungsmöglichkeit machte der Kläger auch Gebrauch. In jedem Jahr des Streitzeitraums verbrachte er -bis auf das Jahr 2017- mehr als 90 Tage in Deutschland und davon ganz überwiegend --zunächst in H, ab 2016 in G- in seinen Räumlichkeiten. Selbst wenn er von hier aus einige Geschäftsreisen innerhalb Deutschlands unternommen haben sollte, bleibt ein substantieller Anteil an Aufenthalten in der Immobilie in G.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>Insbesondere die Bebauung des Grundstücks in der [ ___ ] Straße Y in G mit einem Wohngebäude von 2013 bis 2016 erfolgte -genauso wie zuvor in H- unter Beteiligung des Klägers, der den Kaufvertrag im Jahr 2013 über das Grundstück genauso eigenhändig unterschrieb wie den Vertrag mit der Baufirma über die Ausführung des Baus. Der Kläger nahm mehrmals an Besprechungen mit dem zuständigen Projektleiter, einem PL, teil, die auch auf der Baustelle durchgeführt wurden (EA II, Bl. 342 f.). Dadurch beeinflusste er die Gestaltung des Familienheims wesentlich, auch wenn die Planung und Ausführung der Außenanlagen von der Ehefrau beauftragt und beaufsichtigt wurden (EA II, Bl. 351 f.). Seine Einflussnahme zeigte sich auch bei der Inneneinrichtung. Er unterschrieb den Auftrag über die „gesamte Möblierung“ für 390.000 Euro gemeinsam mit seiner Ehefrau (EA II, Bl. 376). Exemplarisch ist auch Folgendes: Auf eine E-Mail der Firma Möbel K GmbH in O / Deutschland, welche eine detaillierte Zusammenstellung der für die Räumlichkeiten gewünschten Einrichtungsgegenstände (EA II, Bl. 372 f.) und einen Vorschlag über das Arrangement des Esstisches in Eiche und der Bestuhlung in der Küche enthielt (EA II, Bl. 374 f.), antwortete der Kläger am 25.8.2015 zustimmend („[ ___ ]; EA II, Bl. 374).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Für den Kläger wurde laut einer Aufstellung der Firma Möbel K GmbH --die auch die Villa in X ausgestattet hat-- für das Gebäude in der [ ___ ] Straße Y in G ein speziell für seine Bedürfnisse gefertigtes Bett mit Beleuchtung an der Bettseite und zwei Nachttischen mit drei Schubladen vorgesehen (EA II, Bl. 390). Die Planung und Gestaltung des Weinkellers für rund 17.000 Euro war dem Kläger ebenfalls besonders wichtig und lief unmittelbar über ihn. In einer E-Mail der Firma Möbel K GmbH an ihn heißt es: „Hallo Herr A, in der Anlage habe ich einen Entwurf für Ihren Weinkeller. … Ich hoffe, dass Ihnen der Vorschlag gefällt (EA II, Bl. 381). Mit einer weiteren E-Mail wurden dem Kläger Bilder von Weinregalen übersandt (EA II, Bl. 388).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>Auch trug der Kläger die laufenden Kosten für das Haus in G (Rundfunkgebühren, Strom, Wasser, Gas und Abwasser). Diese Aufwendungen wurden von seinem Privatgirokonto bei der Bank I Nr. xxxxx abgebucht (Kontoauszüge, BMO, Bl. 26 ff.),</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Der Kläger lebte auch nicht --wie von ihm behauptet-- seit 2006 im familienrechtlichen Sinne von seiner Ehefrau getrennt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Nach § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben Ehegatten nur getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die Legaldefinition setzt sich damit aus zwei Komponenten -einer objektiven (keine häusliche Gemeinschaft) und einer subjektiven (Trennungswillen)- zusammen. Ein Getrenntleben liegt nur vor, wenn beide Komponenten kumulativ vorliegen. Unter häuslicher Gemeinschaft ist das Bestehen eines gemeinsamen räumlichen Mittelpunkts der privaten ehelichen Lebensführung zu verstehen. Die häusliche Gemeinschaft ist dabei nicht mit der Wahl einer bestimmten Wohnsituation verknüpft. Die häusliche Gemeinschaft kann beispielsweise auch bestehen, wenn die Ehegatten in verschiedenen Wohnungen leben. Die Gründe für getrennte Wohnungen können nämlich vielfältig sein. Zu berücksichtigen sind die individuellen Lebensverhältnisse und die sich aus ihnen ergebenden Auswirkungen auf die Lebensführung. Insbesondere berufsbedingt getrennte Wohnungen gehen nicht mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft einher. Entscheidend ist, ob die Ehegatten selbst einen oder mehrere Wohnstätten als gemeinsamen ehelichen Lebensmittelpunkt ansehen (Preisner in Erman, BGB, 16. Aufl., 2020, § 1567 Rn. 6).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>In einer Gesamtschau besteht zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine häusliche Gemeinschaft. Sie feiern alle wichtigen Festtage und persönlichen Anlässe gemeinsam mit den Kindern und betreiben ihre Unternehmen in Deutschland gemeinsam. Sie regeln alle wichtigen Fragen das Haus betreffend (Bebauung und Einrichtung) einvernehmlich. Größere Investitionen trägt der einkommenstärkere Kläger allein. Die Ehefrau ist als Geschäftsführerin der deutschen Firmen verantwortlich und der Kläger für die chinesischen Firmen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der Kläger hat überdies seit 1.10.2004 ohne Unterbrechung Verfügungsbefugnis über das private Konto der Ehefrau (Konto Nr. xxxxx bei der Bank I; Änderungsvertrag vom 1.10.2004, EA II, Bl. 63 und Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 13). Umgekehrt kann die Ehefrau seit 7.9.2004 zeitlich ununterbrochen über das Privatkonto des Klägers (Konto Nr.  xxxxx bei der Bank I) verfügen (Änderungsvertrag vom 7.9.2004, EA II, Bl. 29 und Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12). Bei einem familienrechtlich getrennten Ehepaar entspricht dies nicht der Lebenswirklichkeit.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Auch spricht nichts dafür, dass sich zumindest einer der Ehegatten subjektiv von der Ehe gelöst hat. Dafür wäre der erkennbare Wille Voraussetzung, die häusliche Gemeinschaft nicht mehr herstellen zu wollen, weil die eheliche Lebensgemeinschaft abgelehnt wird. Die sowohl vom Kläger als auch von der Steufa eingereichten Fotos zeugen jedoch vom ganzen Gegenteile. Beide Eheleute kümmern sich auch im Übrigen um die gemeinsamen familiären, finanziellen und unternehmerischen Belange.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Gegen eine Trennung, die mit dem Wegzug nach China im Jahr 2006 erfolgt sein soll, spricht des Weiteren, dass der Kläger und seine Ehefrau zur Vorbereitung einer Rechtsauskunft einem Rechtsanwalt R im Jahr 2017 den tatsächlichen Sachverhalt dahin schilderten, dass sie familienrechtlich nicht getrennt leben. Dieser gibt nämlich den Sachverhalt in Abgrenzung zu einer Entscheidung des FG Berlin vom 28.1.2003  5 K 5267/01, juris so wieder, dass die Eheleute (anders als im dortigen Streitfall) scheidungsrechtlich gerade nicht voneinander getrennt lebten. Es handele sich beim Kläger und seiner Ehefrau lediglich um eine berufliche Trennung. Allein die Berufsausübung in China --so der um Rechtsrat ersuchte Rechtsanwalt weiter-- zwinge den Kläger dazu, teilweise nicht in Deutschland zu leben (Schreiben vom 31.8.2017, S. 2 f., BMO, Bl. 225 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Überdies entspricht es nicht der Lebenswirklichkeit einer familienrechtlichen Trennung, dass die Eheleute noch gemeinsam erhebliche Investitionen tätigen. So wurde die Villa in X noch im September 2007 für rund 900.000 Euro von beiden zu je hälftigem Miteigentum erworben. Auch wenn im chinesischen Güterrecht die sog. Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlicher Güterstand eingreift, wonach bei Anschaffungen während der Ehe ein Sondervermögen entsteht, das sich aus dem Gesamtgut zusammensetzt, an dem beide Ehegatten dinglich beteiligt sind, war der Kläger nicht gezwungen, überhaupt eine Immobilie in China zu erwerben (vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.heckschen-vandeloo.de/aktuelle-fachbeitraege/aktueller-fachbeitrag/internationales-gueterrecht-die-europaeischen-gueterrechtsverordnungen.html</span>, zuletzt eingesehen am 3.6.2022). Er hätte schlicht eine Wohnung mieten können. Dabei lässt es der Senat offen, ob dieser besondere Güterstand nach den Regelungen des Internationalen Privatrechts für die im Jahr 2000 in Deutschland geschlossene Ehe überhaupt maßgeblich ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Jedenfalls bestand -bei einer unterstellten Trennung ab dem Jahr 2006- keine Veranlassung für den Kläger im Jahr 2013 das Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G gemeinsam mit seiner Ehefrau zu erwerben und aufwändig zu bebauen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>Zudem schilderte die Steuerberaterin der Eheleute noch im Schreiben an das FA vom 14.1.2009, dass der Kläger seinen Wohnsitz weiter in Deutschland habe und somit den Eheleuten die Eigenheimzulage weiter zu gewähren sei (Rb-Akte, Bl. 48).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>Nicht zuletzt sind die Eheleute trotz der vermeintlichen Trennung im Jahr 2006 bis heute weder geschieden noch ist ein Ehescheidungsverfahren anhängig. Eine neue Lebenspartnerin hat der Kläger nicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>cc) Dem steht nicht entgegen, dass das FA der Ehefrau mit Schreiben vom 5.7.2010 (ESt-Akte, vor Lasche 2008, Bl. 2) mitteilte, dass der Kläger nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei, da sich sein Wohnsitz im Ausland befinde. Denn damit hat es keine Auskunft mit bindender Wirkung für die Streitjahre erteilt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Grundsätzlich kann eine Finanzbehörde neben der gesetzlich geregelten Auskunft im Anschluss an eine Außenprüfung (§§ 204 bis 207 AO) auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung (Zusage) erteilen. Voraussetzung dafür ist aber, dass das FA durch einen für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger (Sachgebietsleiter oder Vorsteher) vertreten wird (BFH-Urteile vom 13.12.1989 X R 208/87, BStBl II 1990, 274, Rn. 19 und vom 26.11.1997 III R 109/93, BFH/NV 1998, 808 - Leitsatz; FG Hamburg, Urteil vom 30.4.2013 – 2 K 81/12, rkr., juris, Rn. 24 m.w.N.). Schon daran mangelt es vorliegend.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Zudem ist das Schreiben nur als die Mitteilung des Ergebnisses einer vorläufigen Prüfung im Veranlagungsverfahren für die Jahre 2008 und 2009 zu sehen. Eine Bindungswirkung für die zukünftige steuerliche Behandlung des Klägers -unabhängig von der weiteren Entwicklung des Sachverhalts- kann dem Schreiben nicht entnommen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kläger den unzutreffenden Eindruck erweckte, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebt und keinen Wohnsitz mehr im Inland hat. Beides trifft aber nicht zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Auch hat der sachkundig beratene Kläger zu der von ihm beanspruchten Eigenheimzulage die anderenfalls nach § 153 Abs. 1 und Abs. 2 AO gebotene Berichtigung nicht erklärt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>b) Unstreitig bezog der Kläger steuerbare Bezüge aus den Gewinnausschüttungen seiner (ausländischen) Kapitalgesellschaften (Werkzeug Ltd., Gew Ltd. und T Ltd. jeweils X), die den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen sind und die mangels Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG der Abgeltungsteuer unterliegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Genossenschaften sowie an einer optierenden Gesellschaft im Sinne des § 1a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Zu den sonstigen Bezügen gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Die Beteiligungsbezüge von ausländischen Kapitalgesellschaften unterfallen dann § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, wenn die ausländische Gesellschaft und das zum Bezug führende ausländische Beteiligungsrecht ihrer Struktur nach einer unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG fallenden inländischen Kapitalgesellschaft im Wesentlichen entsprechen. Dies ist nach dem sog. Typenvergleich festzustellen (Levedag in Schmidt, EStG, 41. Aufl., 2022, § 20 Rn. 30 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Die chinesische Ltd. ist mit einer GmbH vergleichbar.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Die ganz überwiegende Zahl der ausländisch investierten Unternehmen in China wird in der Form der Limited Liability Company („Co., Ltd.") gegründet. Es handelt sich dabei um eine Kapitalgesellschaft mit einer beschränkten Haftung im Außenverhältnis, die im Wesentlichen im chinesischen Gesellschaftsrecht (PRC Company Law) geregelt ist. Das PRC Company Law schreibt in der seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung ein Mindeststammkapital von 30.000 Yuan und bei Ein-Personen-Gesellschaften von 100.000 Yuan vor. Ein entsprechender Businessplan muss im Rahmen einer Machbarkeitsstudie bei der zuständigen Behörde vorgelegt werden und unterliegt der Genehmigungspflicht (vgl. <span style="text-decoration:underline">https://cms.law/en/media/local/cms-china/files/publications/publications/business-legal-structure-in-china</span>, S. 9, zuletzt besucht am 16.5.2022). Seit 1.3.2014 kann eine chinesische Ltd. auch mit einem Stammkapital von 1 Yuan errichtet werden. Die Gesellschaftsrechte des Inhabers ähneln dem eines GmbH-Gesellschafters.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>Der Sparer-Pauschbetrag nach § 20 Abs. 9 EStG wurde zutreffend nicht abgezogen, da der Kläger keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat und daher nicht ersichtlich ist, inwieweit der Kläger den Sparer-Pauschbetrag bereits im Zusammenhang mit möglichen weiteren Einkünften aus Kapitalvermögen in Anspruch genommen hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>c) Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen steht nach dem einschlägigen DBA Deutschland zu. Eine Anrechnung von chinesischer Quellensteuer nach § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG ist nicht vorzunehmen, da die Kapitalerträge in China nicht besteuert wurden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>aa) Sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des DBA-China sind eröffnet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>Dabei gilt das (alte) DBA-China vom 10.6.1985 (BGBl II 1986, 446) bis zum 5.4.2016 und das (neue) DBA-China vom 28.3.2014 (BGBl II 2015, 1647) gilt ab 6.4.2016 (BGBl II 2016, 1005). Die Regelungen sind -soweit sie den Streitfall betreffen- weitgehend inhaltsgleich. Soweit das neue DBA-China Abweichungen enthält, werden diese im Folgenden kursiv hervorgehoben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>Nach Art. 1 DBA-China gilt das Abkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind und sachlich nach Art. 2 Abs. 1 DBA-China für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, die in einem der Vertragsstaaten erhoben werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>bb) Der Kläger ist nur in Deutschland ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>(a) Im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China (<em>Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-China</em>) umfasst der Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer allgemeinen Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. <em>Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 DBA-China umfasst der Ausdruck jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat oder mit in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.</em></td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Diese Voraussetzungen liegen nur in Deutschland, nicht dagegen in China vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Er schränkt die Abkommensberechtigung auf solche Personen ein, die nach dem Recht zumindest eines der Vertragsstaaten aufgrund von ortsbezogenen Merkmalen in einem Vertragsstaat der Steuerpflicht unterliegen. Art. 4 Abs. 1 DBA-China definiert die Voraussetzungen der Ansässigkeit nicht abkommensautonom, sondern durch ausdrückliche Anknüpfung an das innerstaatliche Recht des jeweiligen Vertragsstaats (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 16).  Die Aufzählung der Kriterien, aus denen sich die Steuerpflicht ergeben kann, verdeutlicht, dass sich die unbeschränkte Steuerpflicht aus ortsbezogenen Merkmalen des nationalen Steuerrechts ableitet. Auf die tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat kommt es dagegen nicht an (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 16; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 29; Frotscher in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., 2016, Art. 4 Rn. 34 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 DBA-China (tie-breaker-rule) scheidet aus, wenn der Steuerpflichtige schon nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China nur in einem Vertragsstaat ansässig ist (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 3). Nur bei einer sog. Doppelansässigkeit, d.h. bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten, wird durch Art. 4 Abs. 2 DBA-China bestimmt, in welchem Staat eine Person abkommensrechtlich als ansässig gilt. Der andere Vertragsstaat kann dann lediglich Quellenstaat sein.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>(b) Da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat und damit der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ist er nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Er ist nicht gleichzeitig in China ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>Nach chinesischem Steuerrecht ist für die dortige unbeschränkte, persönliche Steuerpflicht grundsätzlich maßgeblich, ob eine Person dauerhaft in China wohnhaft ist oder sich dort mindestens fünf Jahre ohne wesentliche Unterbrechung aufhält. Bis zum Ablauf von fünf Jahren wird eine Mischform von beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht angewendet, wonach gewisse Einkünfte aus chinesischen Quellen vollumfänglich, Kapitaleinkünfte jedoch nur beschränkt steuerpflichtig sind (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 1 Rn. 31; Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 250 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Vorliegend ist aufgrund des Streitzeitraums auf den Rechtsstand des chinesischen Steuerrechts bis zum 31.12.2018 abzustellen, so dass die umfassende Reform des Einkommensteuerrechts in China mit Wirkung zum 1.1.2019 unbeachtlich ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Das FG hat das ausländische Recht dabei nach § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 Satz 1 FGO von Amts wegen zu ermitteln, denn es ist im Verfahren nicht Recht im eigentlichen Sinne, sondern Tatsache, die Gegenstand tatrichterlicher Beweiserhebung bzw. Ermittlung ist. In diesem Rahmen sind nicht nur die einschlägigen Rechtsnormen des ausländischen Rechts heranzuziehen, sondern es ist auch die konkrete Ausgestaltung dieses Rechts in der ausländischen Rechtspraxis zu berücksichtigen. Der Umstand, dass das ausländische Recht sehr komplex ist, kann das FG nicht von seiner Ermittlungspflicht entbinden. Auf welche Weise sich das FG die erforderliche Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Ratschow in Gräber, 9. Aufl., 2019, § 118 Rn. 61 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Im Streitfall verschafft sich der Senat die Kenntnisse über das chinesische Steuerrecht durch die allgemein verfügbaren Gesetzestexte, Verwaltungsanweisungen, Kommentierungen und den Vortrag der Beteiligten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>(c) Danach gibt es im chinesischen Steuerrecht in den Streitjahren zwei Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="177"/></th> </tr> <tr> <td colspan="2" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Die unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person in China setzt in den Streitjahren voraus,</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">     </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">dass sie in China entweder, in Anlehnung an das Prinzip des „domicile“ aus dem Common Law nach Art. 1 Abs. 1, 1. Alt. des Individual Income Tax Law of the PRC (--IITL--, abrufbar auf der Homepage des Ministry of Commerce of the People’s Republic of China unter http://english.mofcom.gov.cn/aarticle/policyrelease/internationalpolicy/200703/ 20070304470171.html) i.V.m. Art. 2 der chinesischen Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (chin. EStDV; Rules for the Implementation of the Individual Income Tax Law, abrufbar unter <span style="text-decoration:underline">http://www.asianlii.org/cn/legis/cen/laws/rftiotiitl560/</span>) einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) hat, oder,</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">dass sie sich ein Jahr oder länger in China aufhält (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art.  3 chin. EStDV).</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Der Begriff Domizil ist im Sinne einer dauerhaften Absicht, in dem jeweiligen Land zu verweilen, zu verstehen (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 250). Er ist einem qualifizierten Wohnsitz vergleichbar und kann nur an einem Ort bestehen („It is the place where you plan to live indefinitely. You can have more than one residence, but your domicile is your ´forever` home.“, abrufbar unter vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.investopedia.com/terms/d/domicile.asp,</span> zuletzt eingesehen am 19.5.2022). Nach Art. 2 chin. EStDV hat eine natürliche Person ihr Domizil in China, wenn sie aufgrund ihrer (städtischen) Registrierung, ihrer Familienverhältnisse sowie ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ihren gewöhnlichen Aufenthalt in China hat. Somit haben ausländische Bürger, die sich nur aufgrund ihrer Tätigkeit in China aufhalten, grundsätzlich keinen Wohnsitz in China, weil ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht in China liegt (so Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 22). Hätte der Kläger allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse („economic interests“ nach Art. 2 chin. EStDV, vgl. Text, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 580) ein Domizil in China, wäre er dort unbeschränkt steuerpflichtig. Das vertritt aber selbst der Kläger im Ergebnis nicht, da er dann in China „domiciled“ wäre und nicht lediglich „fiscal resident“. Letzteres soll ihm aber die chinesische Steuerverwaltung bescheinigt haben („Chinese fiscal resident“).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Aufenthalt von einem Jahr oder länger -der neben dem Domizil ebenfalls die unbeschränkte Steuerpflicht auslöst- meint einen Aufenthalt in China von 365 Tagen im Steuerjahr (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 chin. EStDV). Ein Steuerjahr in diesem Sinne entspricht dem Kalenderjahr (Art. 44 chin. EStDV). Lediglich vorübergehende Abwesenheitstage werden nicht berücksichtigt (Art. 3 Abs. 1 chin. EStDV). Vorübergehende Abwesenheitstage bedeutet einen Aufenthalt außerhalb Chinas von nicht mehr als 30 Tagen und bei mehreren Abwesenheiten von nicht mehr als 90 Tagen pro Steuerjahr (Art. 3 Abs. 2 chin. EStDV). Die Aufenthaltsdauer in China wird anhand des Einreise- und Ausreisedatums (via Stempel) im Reisepass festgestellt (Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 24).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>180 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="180"/>Demgegenüber sind natürliche Personen, die kein Domizil oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt in China haben, weil sie sich weniger als 365 Tage in einem Steuerjahr in China aufhalten, nur mit ihren chinesischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig (Art. 1 Abs. 2 IITL; Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 25).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>181 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="181"/>Eine Besonderheit besteht noch für Personen die sich für mehr als ein Jahr, aber weniger als fünf Jahre in China aufhalten (Art. 6 Satz 1 chin. EStDV). In diesem Fall besteht zwar eine persönliche, unbeschränkte Steuerpflicht. Insbesondere die Einkünfte aus Kapitalvermögen werden aber nur eingeschränkt besteuert (sog. beschränkte unbeschränkte Steuerpflicht; Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 11; Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 251). Hält sich eine Person mehr als fünf Jahre (jeweils nur unterbrochen durch vorübergehende Abwesenheiten) in China auf, wird sie ab dem sechsten Jahr einer vollständigen unbeschränkten Steuerpflicht mit ihrem Welteinkommen unterworfen (Art. 6 Satz 2 chin. EStDV).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>182 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="182"/>Aufgrund des Erfordernisses eines nur durch vorübergehende Abwesenheiten unterbrochenen Aufenthaltes in China von mindestens 365 Tagen können Ausländer die unbeschränkte Steuerpflicht durch sog. Unterbrechungsreisen vermeiden, in dem entweder ein Auslandsaufenthalt von mehr als 30 Tagen oder mehrere Auslandsaufenthalte von insgesamt mehr als 90 Tagen je Steuerjahr unternommen werden (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 251 und Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>183 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="183"/>Vor diesem Hintergrund geht der Senat nicht davon aus, dass der Kläger einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht in China unterliegt. Seine Abwesenheitstage in China betragen -selbst nach den Schilderungen des Klägers- in jedem Streitjahr mehr als 90 Tage, so dass er eine persönliche Steuerpflicht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IITL vermeidet. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger auch vor den Streitjahren in vergleichbarem Umfang, d.h. jährlich mehr als 90 Tage außerhalb Chinas aufgehalten hat. Denn weder hat der Kläger insoweit Abweichungen vorgetragen noch ergibt sich eine Änderung seines Reiseverhaltens aus den sonstigen Umständen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>184 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="184"/>Die Bescheinigungen über eine Besteuerung seiner Arbeitseinkünfte stehen dem nicht entgegen, da diese der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (Art. 1 Abs. 2 IITL i.V.m. Art. 5 Abs. 1 chin. EStDV; vgl. Hasbargen/Preising, IStR 2012, 143 f.) und damit nichts über eine unbeschränkte Steuerpflicht aussagen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>185 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="185"/>Soweit der Kläger Bescheinigungen vorlegt, die ihn als „Chinese fiscal resident“ bezeichnen, folgt daraus keine Ansässigkeit des Klägers in China im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Steuerlich bescheinigte ihm nämlich ein Direktor der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der bezirksfreien Stadt [ ___ ] in der chinesischen Provinz [ ___ ], für die Jahre 2013 bis 2018 die Eigenschaft eines „Chinese fiscal resident“ (Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 11.4.2022, Gerichtsakte zum 1 K 2898/21, Bl. 68 bis 73). Aus Sicht des Senats ist es jedoch zweifelhaft, ob die Steuerverwaltung von [ ___ ] überhaupt für die Ausstellung dieser Bescheinigungen zuständig ist. Denn [ ___ ] ist ein Stadtbezirk der Stadt [ ___ ], die rund 360 km von X entfernt ist. X als regierungsunmittelbaren Stadt hat eine eigene Steuerverwaltung. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass der Kläger für das Jahr 2019 eine gleichlautende Bescheinigung der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk von X, vorgelegt hat (Rb-Akte, Bl. 14 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 539). Auch hinsichtlich der Besteuerung seines Lohn und Gehalts hat der Kläger für die Jahre 2012 bis 2019 Bescheinigungen des offensichtlich zuständigen Staatlichen Hauptfinanzamts der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] vorgelegt (Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 110 und Bl. 113 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 573 ff.). Auch die Steuerzahlungsnachweise für die Gew Ltd., Werkzeug Ltd., Werk Ltd., M Ltd. und Th Ltd. für 2013 bis 2020 (M Ltd. nur für 2018 und 2019) bezüglich betrieblicher Einkommensteuer stammen vom Staatlichen Hauptfinanzamt der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] (Anlage K15 zum Schreiben an das FA vom 16.11.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 348 bis 354).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>186 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="186"/>Da offensichtlich die Steuerverwaltung der Stadt X steuerlich sowohl für den Kläger als auch für seine Kapitalgesellschaften zuständig ist, ist es nicht nachzuvollziehen, weshalb die Steuerverwaltung der Stadt [ ___ ] für den Kläger eine Bescheinigung als „Chinese fiscal resident“ für die Streitjahre ausgestellt hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>187 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="187"/>Zudem haben Ansässigkeitsbescheinigungen eines anderen Vertragsstaats keine Bindungswirkung. Ob Umstände vorliegen, die im anderen Vertragsstaat nach dessen Recht eine Ansässigkeit begründen, muss jeder Staat selbständig prüfen (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 87 f. m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>188 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="188"/>Im Übrigen existiert in China ein fast unüberschaubares Geflecht an verschiedenen Einzelsteuern. Zudem werden einzelne Steuern aufgrund der abweichenden lokalen Praxis nicht überall angewendet oder überlagern sich zum Teil (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 19). Bei der Sichtung von Bescheinigungen und Rechtsquellen ist zudem zu beachten, dass die chinesische Steuerverwaltung aus mehreren Ebenen besteht. Dabei gibt es dem Zentralstaat zustehende Steuern, den Provinzen zustehende Steuern sowie Gemeinschaftssteuern. Für die Bearbeitung der Steuererklärungen und die Steuererhebung sind grundsätzlich die örtlichen Steuerbehörden zuständig. Die lokalen Niederlassungen sind dabei berechtigt, unterschiedliche Durchführungsbestimmungen zu erlassen, sofern höherrangiges nationales Recht nicht verletzt wird. Darüber hinaus können sie Provinzsteuern reduzieren oder komplette Steuerbefreiungen aussprechen. Die Umsetzung der chinesischen Steuergesetze funktioniert deshalb in der Praxis nicht einheitlich. Die entsprechenden Finanzbehörden der verschiedenen Provinzen üben ihren großen Ermessensspielraum unterschiedlich aus. Die steuerliche Behandlung von ausländischen Steuerpflichtigen ist oft das Ergebnis von umfangreichen Verhandlungen mit der chinesischen Steuerverwaltung (Pittmann B. Potter in Michael J. Moser und Yu Fu, Doing Business in China, Release 25, 2014, Volume 2, Section III, Chapter § 3.2.01 - Taxation of Individuals; verfügbar unter https://books.google.de/).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>189 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="189"/>Nur ergänzend -ohne dass dies streitentscheidend wäre- weist der Senat darauf hin, dass die Gewinnausschüttungen der chinesischen Kapitalgesellschaften des Klägers, die in China nach Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Nr. 7 IITL im Grundsatz beschränkt steuerpflichtig sind, aufgrund einer Verwaltungsregelung von der Quellenbesteuerung i.H. von 20 Prozent (Art. 3 Nr. 5 IITL) befreit wurden (vgl. Art. 2 Nr. 8 Cai Shui Zi [Finanzsteuerregelungen] vom 13.5.1994, No. 20, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 582).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>190 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="190"/>So heißt es auch in den notariell beglaubigten Erläuterungen zu den Ausschüttungen der Werkzeug Ltd. i.H. von 3.325.073,18 Euro für die Jahre 2013 bis 2015 und der Gew Ltd. i.H. von 2.170.880,18 Euro für die Jahre 2014 bis 2016 an den Kläger, dass diese mit Zustimmung der Steuerverwaltung X/ [ ___ ] steuerfrei auf dessen deutsches Konto gezahlt wurden, da diese von einem aus dem Ausland investierten Unternehmen („foreign invested enterprise“) an den Kläger als Ausländer („foreigner“) ausgeschüttet worden seien (BMO, Bl. 1 ff. und Bl. 5 ff. sowie EA I, Bl. 84 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>191 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="191"/>cc) Selbst wenn der Kläger aber in China aufgrund einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht besteuert werden würde und damit -neben Deutschland- auch in China ansässig wäre, würde er nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China nur als in Deutschland ansässig gelten, denn er hat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>192 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="192"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Ist nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt nach Art. 4 Abs. 2 DBA-China das Folgende:</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">„a) Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">b) kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">c) hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der beiden Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist;</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">d) ist die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keiner der Staaten, so regeln die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Frage in gegenseitigem Einvernehmen.“</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>193 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="193"/>Die Kriterien in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a bis d DBA-China sind der Reihenfolge nach zu prüfen. Die Prüfung des nächsten Buchstabens kommt lediglich in Betracht, wenn der vorhergehende nicht zu einer Entscheidung über die abkommensrechtliche Ansässigkeit geführt hat. Die Kriterien sind abkommensrechtlich auszulegen und nicht nach dem jeweiligen nationalen Steuerrecht, was einen Unterschied im Vergleich zu Art. 4 Abs. 1 DBA-China darstellt (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 23; Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 170). Während die Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China die Abkommensberechtigung begründet, konkretisiert Art. 4 Abs. 2 DBA-China die Rechtsfolgen der Abkommensberechtigung. Er bestimmt, welcher der beiden Vertragsstaaten die nach seinem innerstaatlichen Recht in seinem Gebiet ansässige natürliche Person als Ansässigkeitsstaat und welcher der beiden sie als Quellenstaat besteuern darf (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 168).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>194 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="194"/>Die für Art. 4 DBA-China maßgebenden Kriterien müssen grundsätzlich während desjenigen Zeitabschnitts gegeben sein, um dessen Besteuerung es sich handelt. Dies gilt z.B. für die Frage, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für Zwecke der Bestimmung des Gesamtbilds nicht auch ein längerer Betrachtungszeitraum angezeigt sein kann, d.h. insbesondere die Entwicklung der hierbei zu berücksichtigenden persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen einzubeziehen sein kann. Auch soweit es darauf ankommt, wo sich der Steuerpflichtige gewöhnlich aufhält, kann ebenso die Berücksichtigung eines darüber hinausreichenden Zeitabschnitts geboten sein (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 172). Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass sich die Umstände während des Betrachtungszeitraums nicht wesentlich verändert haben (Art. 4 Nr. 19.1 Musterkommentar der OECD zum DBA-Musterabkommen 2017 -MK-).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>195 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="195"/>(a) Der Kläger verfügt sowohl in Deutschland als auch in China über eine ständige Wohnstätte im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-China.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>196 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="196"/>Der Ausdruck ständige Wohnstätte ist ein abkommensrechtlicher Begriff, der autonom entsprechend seiner gewöhnlichen Bedeutung auszulegen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Funktion des Art. 4 Abs. 2 DBA-China als sog. Tie-Breaker-Rule bei doppelansässigen natürlichen Personen nur durch eine einheitliche Auslegung der maßgeblichen Begrifflichkeiten sichergestellt werden kann. Daher sind die Ausdrücke ständige Wohnstätte und Wohnsitz im Sinne des § 8 AO nicht deckungsgleich. Zwar setzen sowohl die ständige Wohnstätte als auch der Wohnsitz zum Wohnen geeignete Räume voraus, die der potentiell ansässigen natürlichen Person zur Verfügung stehen. Der Ausdruck ständige Wohnstätte bringt jedoch die subjektive Bestimmung der in ihr wohnenden natürlichen Person zum Ausdruck, die Stätte zum ständigen und nicht nur zu einem gelegentlichen Wohnen nutzen zu wollen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 53).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>197 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="197"/>Als Wohnstätte qualifizieren zunächst alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Dabei kommt jede Form einer Wohnstätte in Betracht, also sowohl die eigene als auch die gemietete Wohnung (bzw. das Haus) oder auch nur gemietete möblierte Zimmer. Ein qualitativer Mindeststandard ist insofern nicht erforderlich (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 54 m.w.N.). Über diese muss die natürliche Person verfügen. Sie muss die tatsächliche, nicht notwendigerweise auch die rechtliche Verfügungsmacht über die Wohnstätte innehaben (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 60 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>198 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="198"/>Neben diesen objektiven Voraussetzungen wird der Begriff zudem durch ein subjektives qualitatives Element geprägt. Zum einen muss die Person daher Vorkehrungen dafür getroffen haben, dass ihr die Wohnstätte jederzeit und nicht nur gelegentlich zur Verfügung steht. Die Ständigkeit bezieht sich insofern auf das Zur-Verfügung-Stehen und nicht auf die Dauer der tatsächlichen Nutzung. Zum anderen muss die Art und Intensität der Nutzung dergestalt sein, dass sie die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle der Person erscheinen lässt (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 55 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>199 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="199"/>Dabei darf die Frage, ob eine ständige Wohnstätte vorliegt, nicht mit der Frage vermengt werden, wo die natürliche Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat. Eine ständige Wohnstätte setzt gerade nicht voraus, dass sich dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Person befindet. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen gerade beim Vorliegen von zwei ständigen Wohnstätten gem. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a, 2. Halbs. DBA-China den Ausschlag gibt. Wäre er dagegen bereits Voraussetzung für die Annahme einer ständigen Wohnstätte, könnten insofern nie zwei ständige Wohnstätten gleichzeitig bestehen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 55 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>200 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="200"/>Verfügt eine Person über je einen Wohnsitz in beiden Vertragsstaaten, so werden nur ausnahmsweise beide als ständige Wohnstätte beurteilt werden können. In der Regel liegt das Zentrum des eigenen häuslichen Lebens nur bei einem Wohnsitz. Es wird häufig durch den Ort bestimmt, an dem die Familie lebt. Nur bei ledigen Personen kann der Wohnung, von der aus sie ihrer täglichen Arbeit nachgeht, eine ähnliche Bedeutung zukommen. Sind allerdings beide Wohnsitze zum ständigen dortigen Wohnen bestimmt, so kann zwischen ihnen nicht mehr nach der überwiegenden Nutzung zum Wohnen unterschieden werden. Vielmehr hat die natürliche Person in einem solchen Fall zwei ständige Wohnstätten in den Vertragsstaaten (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 57 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>201 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="201"/>Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger sowohl in Deutschland als auch in China eine ständige Wohnstätte.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>202 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="202"/>In beiden Vertragsstaaten hält der Kläger dauerhaft Räumlichkeiten vor, die er jederzeit nutzen kann. Beide Wohngebäude (in X und G bzw. zuvor in H) sind zu einem großen Teil auf seine Bedürfnisse angepasst und stehen in seiner (Mit-)Verfügungsbefugnis. Dass er sich -rein zeitlich- überwiegend in China aufhält, steht dem nicht entgegen. Eine Wohnung wird nämlich nicht durch die intensivere Nutzung, sondern durch die objektiv zu ihr bestehenden persönliche Bindungen zur ständigen Wohnstätte. Zwar weist eine ständige Nutzung indiziell auf die Existenz einer ständigen Wohnstätte hin. Daraus kann jedoch nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass Räumlichkeiten, die seltener genutzt werden, keine ständige Wohnstätte sein könnten (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 59 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>203 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="203"/>Der Kläger hat Bindungen zu beiden Wohnstätten. Auch nutzt er die Wohnung in Deutschland nicht nur gelegentlich, sondern durchschnittlich mehr als ein Viertel des Jahres. Dass er die Wohnstätte in X häufiger nutzt, führt zu keinem anderen Ergebnis, da die Bindungen nach China überwiegend aus beruflichen Notwendigkeiten resultieren. Die familiären Bindungen nach Deutschland zu der Ehefrau und dem minderjährigen leiblichen Sohn K 2 sind dagegen enger, so dass die Aufenthalte im Inland eine höhere Qualität haben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>204 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="204"/>(b) Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers liegt in Deutschland, da er hier die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>205 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="205"/>Beim Mittelpunkt der Lebensinteressen handelt es sich ebenfalls um einen abkommensrechtlichen Ausdruck. Dies folgt bereits aus der Funktion dieses Begriffs, beim Vorliegen von zwei ständigen Wohnstätten in den Vertragsstaaten einen der beiden zum Ansässigkeitsstaat zu bestimmen. Der Begriff ist somit abkommensautonom auszulegen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 66 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>206 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="206"/>Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen (BFH- Urteil vom 31.10.1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562, Rn. 13). Unbehelflich sind dagegen die subjektiven Befindlichkeiten des Steuerpflichtigen, und zwar weder, was die Einbeziehung eines Umstandes in die gebotene Gesamtbetrachtung noch was die Bewertung eines einzubeziehenden Umstands im Rahmen der Gesamtbewertung angeht (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 67 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>207 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="207"/>(aa) Die persönlichen Beziehungen umfassen die gesamte private Lebensführung einer natürlichen Person. Dazu gehören familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Bindungen. Unter diesen Merkmalen kommt in der Regel der familiären Bindung eine besondere Bedeutung zu (Art. 4 Nr. 15 MK; so auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 23.7.2001 11 K 223/97, juris, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 17.7.2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600). Deshalb besteht jedoch keine feste Rangfolge. Eine solche bestimmende allgemeine Rangfolge würde gerade auch der notwendigen zusammenfassenden Wertung zuwiderlaufen (BFH-Beschluss vom 28.11.2007 I B 79/07, juris, Rn. 10). Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, welches Merkmal für die Person die vorrangige Bindungswirkung hat (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 69 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>208 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="208"/>Die wirtschaftlichen Beziehungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten, Einnahmequellen und Vermögensgegenständen aus (BFH-Urteil vom 31.10.1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562, Rn. 13). Dazu gehören auch die Orte sowohl der regelmäßigen als auch der nur gelegentlichen Berufsausübung. Den genannten Merkmalen kann im Einzelfall unterschiedliche Bedeutung zukommen, ohne dass deshalb zwischen ihnen eine feste Rangfolge bestünde. Es sind auch die finanziellen Interessen zu berücksichtigen. Allerdings können der Ort der Belegenheit von Vermögen und der Ort seiner Verwaltung auseinanderfallen, ohne dass von vornherein gesagt werden kann, welchem die größere Bedeutung beizumessen ist. Dies kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 70 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>209 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="209"/>Persönliche und wirtschaftlich Beziehungen müssen nicht kumulativ vorliegen. Sie bilden nur differenzierte Prüfungskriterien. Bestehen zum Beispiel die engeren persönlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat, die engeren wirtschaftlichen dagegen zum anderen, kommt es darauf an, welcher der beiden Orte für den Steuerpflichtigen der bedeutungsvollere ist (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 195 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>210 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="210"/>(bb) Es ist mithin eine alle Einzelumstände (persönliche und wirtschaftliche) in den Blick nehmende zusammenfassende Gesamtwertung durchzuführen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>211 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="211"/>Danach bestehen die stärkeren persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>212 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="212"/>Hier lebt seine Ehefrau, von welcher der Kläger -entgegen seinem Vortrag-- wie bereits ausgeführt, familienrechtlich nicht getrennt ist. Die eheliche Lebensgemeinschaft besteht trotz der beruflichen bedingten räumlichen Trennung fort. Die Eheleute begehen die wichtigen Feste zusammen und verbringen die Ferienzeit der Kinder entweder in China oder in Deutschland. Sie entscheiden über größere Anschaffungen -wie den Hausbau in H und G- gemeinsam und erwerben jeweils gemeinsames Eigentum.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>213 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="213"/>Der minderjährige Sohn K 2 besuchte in den Streitjahren die Schule in Deutschland. Auch aufgrund des engen Bandes zu seinem einzigen leiblichen Sohn, schafft dies aus Sicht des Senats einen persönlichen Schwerpunkt des Klägers in Deutschland. Dem steht nicht entgegen, dass sich sein Stiefsohn K 1 von 2013 bis 2017 in X aufhielt und dort die Deutsche Schule besuchte. Denn erstens ist K 1 nicht sein leiblicher Sohn und zweitens kehrte dieser nach Abschluss der Schule in X im Jahr 2017 unmittelbar nach Deutschland zurück, um Informatik und Wirtschaftspsychologie in S zu studieren. Auch sein leiblicher Sohn K 2, der von 2019 die Deutsche Schule in X besuchte, möchte nach seinem [ ___ ] bestandenen Abitur in Deutschland studieren.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>214 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="214"/>Der Lebensmittelpunkt des Klägers liegt nicht etwa deshalb in China, weil seine Eltern und der Bruder mit seiner Familie dort leben. Die familiäre Bindung gegenüber den Eltern und Geschwistern ist -nach der Lebenserfahrung- nicht annährend so stark ausgeprägt, wie die zu der Ehefrau und den leiblichen, insbesondere minderjährigen Kindern, die noch einen größeren Fürsorge beider Eltern bedürfen (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 11.3.2009  4 K 251/09, rkr., EFG 2009, 904 und Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 71). Der Kläger trägt im Übrigen alle wesentlichen Aufwendungen, die das Leben der Familie in Deutschland ermöglichen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>215 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="215"/>Überdies unterhält der Kläger freundschaftliche Beziehungen zu Personen in Deutschland, die er seit seiner Studienzeit kennt. Zu nennen ist z.B. ein [ ___ ] (Geschäftsführer der Werk-P. GmbH; vgl. Anlage K5a zum Schriftsatz vom 11.4.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 173), der laut den Ausführungen des Klägers auch heute noch einer seiner besten Geschäftspartner ist und den er seit Abschluss seines Studiums in G seit etwa 20 Jahren gut kennt. Zahlreiche Arztbesuche in Deutschland zeugen des Weiteren davon, dass der Kläger dem deutschen Gesundheitssystem und den ihm bekannten Ärzte vertraut und hier verankert ist (BMO, Bl. 154 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>216 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="216"/>Der Kläger bezeichnet seine Wohnstätte in Deutschland selbst als Rückzugsort im Falle einer Krise der Politik in China. Damit wird deutlich, dass Deutschland auch gesellschaftlich und politisch ganz offenkundig seine Heimat ist. Nicht zuletzt zeigt sich die kulturelle Beziehung des Klägers zu Deutschland daran, dass er K 1 und K 2 zwar jeweils etwa vier bzw. drei Jahre die Schule in China besuchen lässt, aber dort die Deutsche Schule auswählt, damit die Kinder einen deutschen Schulabschluss erhalten. So heißt es auch auf der Homepage der Deutschen Schule X: „… im Fokus: ein guter Anschluss aus und in das deutsche Bildungssystem (abrufbar unter [ ___ ]<span style="text-decoration:underline">,</span> zuletzt eingesehen am 20.5.2022).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>217 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="217"/>Selbst im Ausland greift der Kläger soweit wie möglich auf deutsches Know-how und deutsche Firmen zurück. So ließ er seine Villa in X von der Firma Möbel K GmbH, O / Deutschland einrichten, welche die Einrichtungsgegenstände in einem logistischen Kraftakt eigens von Deutschland nach China verbrachte, worüber sogar die örtliche Presse berichtete ([ ___ ], Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 77). Zwar liegt dieses Ereignis außerhalb des Streitzeitraums, dennoch beruft sich der Kläger in seinen Schriftsätzen im Streitfall selbst darauf, leitet lediglich gegenteilige Schlüsse daraus ab. Sein Fuhrpark besteht ausschließlich aus Fahrzeugen deutscher Produktion (Mercedes, Maybach und BMW).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>218 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="218"/>(cc) Die wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers bestehen in gleichem Maße sowohl zu Deutschland als auch zu China. Ein Überwiegen der wirtschaftlichen Bindungen zu China -wie der Kläger vorträgt- kann der Senat in einer Gesamtschau nicht feststellen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>219 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="219"/>Zwar hat der Kläger seit dem Jahr 2001 ein Firmengeflecht in X und auch in Taiwan aufgebaut, dass nach der Anzahl der Mitarbeiter und wohl auch nach der Gewinn- und Vermögenssituation (obwohl der Kläger zu letzteren keine konkreten Angaben macht) die deutschen Firmen des Klägers übertrifft. Nichtsdestotrotz sind die deutschen Firmen des Klägers von großer strategischer Bedeutung. So ist insbesondere die M GmbH für deutsche Firmen, die den Eintritt in den chinesischen Markt anstreben, die erste Anlaufstelle. Damit wird auch auf der Homepage der M GmbH geworben, wenn es heißt, dass durch den Standort in Deutschland ein Service in Kundennähe angeboten werde und man zu den üblichen Arbeitszeiten immer erreichbar sei. Von Deutschland aus bestehe der Zugriff auf die wichtigsten Industrieregionen Deutschlands. Man baue Unternehmen in Deutschland eine Brücke nach China.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>220 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="220"/>Der Kläger vertritt überdies ausschließlich deutsche Firmen im Ausland. Deshalb ist es auch die Aufgabe der M GmbH, Maschinen-, Ersatzteil- und Werkzeugbeschaffungen für den chinesischen Markt zu organisieren (EA II, Bl. 401). Die Werkzeug GmbH hat die Aufgabe, den Vertrieb der in China produzierten Werkzeuge im Wesentlichen auf dem deutschen Markt sicherzustellen (EA II, Bl. 402 f.). Die Bedeutung sowohl der M GmbH als auch der Werkzeug GmbH für die Firmengruppe belegen nicht zuletzt die hohen Ausgangsumsätze, die diese Firmen tätigen (Werkzeug GmbH jährlich ansteigend mit 1,86 Mio. Euro in 2018 und M GmbH mit durchschnittlich 3,27 Mio. Euro pro Jahr; vgl. Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 593 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>221 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="221"/>Aufgrund dieser zentralen Funktionen liegen deshalb Steuerung und Kontrolle seiner inländischen Unternehmen nicht ohne Grund in der Familie. Fremdgeschäftsführer blieben nur für eine relativ kurze Zeit (max. etwa zwei Jahre). Obwohl die Ehefrau jeweils die Geschäftsführung innehat, hat der Kläger seinen Zugriff auf die deutschen Firmen nicht aufgegeben. Die Geschäftsführung stimmte sich mit ihm ein- bis zweimal die Woche über unternehmerische Entscheidungen ab (EA II, Bl. 402 und Bl. 412). Mit seiner Beteiligung von jeweils 90 Prozent kann er überdies als Mehrheitsgesellschafter über seine Weisungsbefugnis (vgl. § 37 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung -GmbHG-) seine unternehmerischen Vorstellungen hinsichtlich der laufenden Geschäftsführung und auch Satzungsänderungen mangels Sperrminorität der Ehefrau (vgl. § 53 Abs. 2 GmbHG) allein durchsetzen. Auch steht ihm die Verfügungsbefugnis über die Konten der M GmbH und der Werkzeug GmbH zu (Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12 ff., 40 und 71 f.; Nachträgliche Vereinbarung mit der Bank II vom 24.10.2013, EA II, Bl. 70). Wirtschaftliche Berechtigte über das Konto der M GmbH ist die Ehefrau (EA II, Bl. 13) und hinsichtlich des Kontos des Werkzeug GmbH der Kläger (EA II, Bl. 12).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>222 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="222"/>In den Streitjahren hat der Kläger zudem nicht nur seine wirtschaftlichen Aktivitäten in China, sondern auch in Deutschland erweitert. So war die M GmbH von Oktober 2015 bis Juli 2018 an einer Werkmaschinen GmbH & Co. KG, Deutschland -einer europaweiten Einkaufsgesellschaft- mit einer Einlage i.H. von 60.000 Euro beteiligt (Auszug aus dem Handelsregister des AG [ ___ ]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>223 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="223"/>Wenn seine chinesischen Firmen Finanzmittel benötigen, greift der Kläger nachweislich auf sein Vermögen und seine Firmen in Deutschland zurück. So nahm die M GmbH mit Vertrag vom 26.4.2018 bei der Bank II ein Darlehen i.H. von 3,5 Mio. Euro auf. Besichert wurde das Darlehen durch eine auf dem Grundstück [ ___ ] Straße Y in G eingetragene Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro, welche die Eheleute am 26.3.2018 gemeinsam bewilligten (Zweckerklärung vom 26.4.2018, sog. Sicherungsabrede, EA II, Bl. 140 f.). Die Darlehensvaluta wurde sodann mit Wertstellung am 16.5.2018 als Überweisungsgutschrift der M GmbH auf dem Privatgirokonto Nr.  xxxxx des Klägers gutgeschrieben (BMO, Bl. 32). Von dort tätigte der Kläger am 16.5.2018 und 12.6.2018 jeweils Überweisungen i.H. von 1.000.151,50 Euro, die als Investment bezeichnet wurden, sowie am 13.6.2018 i.H. von 627.955,53 Euro und am 9.8.2018 i.H. von 500.151,50 Euro an seine chinesische Firmengruppe (z.B. an die Gew Ltd.; vgl. Kontoauszüge des Klägers, BMO, Bl. 32 ff.). Nach den Angaben des Klägers diente das Darlehen zur Finanzierung eines „Großprojekts“ in China (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>224 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="224"/>Die Gewinnausschüttungen seiner chinesischen Gesellschaften und jeglichen Zahlungsverkehr wickelte der Kläger über sein inländisches Privatgirokonto Nr.  xxxxx bei der Bank I ab. Das Konto wurde vom Kläger am 29.11.1991 [ ___ ] eröffnet (EA II, Bl. 31). Mit Vertrag vom 15.5.2012 wurde dessen Betreuung durch Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Kläger von der Bank II übernommen. Als Anschrift des Klägers war der [ ___ ]-weg x in H angegeben (EA II, Bl. 96 und Bl. 247). Im Rahmen einer Plausibilisierungsaktion 2014 („Status Ausländer“) bei der Bank II wurde die Anschrift vom zuständigen Berater, einem BR, auf die Ladungsanschrift des Klägers in China geändert (vgl. Auskunft vom 7.9.2020, EA II, Bl. 256 und Bl. 258). Am 28.12.2015 verfügte der Kläger gegenüber der Bank II mit der [ ___ ] Straße Y in G für dieses Konto jedoch eine „besondere Postanschrift“ (EA II, Bl. 260), so dass alle Benachrichtigungen, Abrechnungen und Kontoauszüge seitdem nur noch an die inländische Anschrift versandt werden. Außerdem nutzt der Kläger dieses Konto, um erhebliches Geldvermögen zu deponieren. Am Tag der Durchsuchung wies es ein Guthaben von 3,2 Mio. Euro auf. Insgesamt hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben i.H. von 3,66 Mio. Euro bei der Bank I (Rb-Akte, Bl. 10).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>225 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="225"/>Auch die Kreditkartenabrechnungen ließ er sich ab April 2013 an seine inländischen Anschriften (zunächst H und ab November 2016 G) senden ([ ___ ] vom 15.8.2019, welche die Kreditkarten von 2011 bis 2018 betreute und bei welcher der Kläger zuletzt als wohnhaft in der [ ___ ] Straße Y in G geführt wurde; EA II, Bl. 14 und EA II, Bl. 148 und Bl. 253). Der Ausgleich der aus dem Einsatz der Kreditkarten resultierenden negativen Salden erfolgte über das Konto des Klägers bei der Bank I (Nr. xxxxx; vgl. Kreditkartenvertrag vom 25.1.2005, EA II, Bl. 276).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>226 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="226"/>(dd) In einer zusammenfassenden Wertung zeigt sich damit, dass in Deutschland und China zumindest gleichwertige wirtschaftliche (einschließlich der finanziellen) Beziehungen des Klägers bestehen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>227 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="227"/>Da die persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland überwiegen und die wirtschaftlichen Beziehungen in Deutschland und China in gleichem Maße ausgeprägt sind, überwiegen in einer Gesamtschau die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland, so dass hier der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>228 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="228"/>(c) Selbst wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht feststellen ließe --was der Senat nur hilfsweise unterstellt-, hätte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt sowohl in Deutschland als auch in China, so dass er aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit auch in diesem Fall als in Deutschland ansässig gelten würde (Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>229 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="229"/>Für die Auslegung des Terminus des gewöhnlichen Aufenthalts ergibt sich aus seiner Funktion, den -anders nicht zu bestimmenden- Mittelpunkt der Lebensinteressen zu konkretisieren, dass ein Aufenthalt in dem Maße gewöhnlich ist, in dem er der Verwirklichung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dient (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 204). Aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China folgt, dass eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt auch in beiden oder in keinem der beiden Vertragsstaaten haben kann. Insofern darf also nicht eine isolierende Gewichtung nur der Aufenthaltszeiten in den beiden Vertragsstaaten erfolgen. Vielmehr muss auch die qualitative Komponente des gewöhnlichen Aufenthalts geprüft werden (Art. 4 Nr. 19 MK; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 75 m.w.N.; Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 204; Frotscher in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., 2016, Art. 4 Rn. 112 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>230 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="230"/>Selbst wenn daher -entgegen der obigen Darstellungen- kein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland angenommen werden könnte, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers zu Deutschland und China insgesamt als gleichwertig anzusehen wären, wäre bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dennoch zu berücksichtigen, dass der Kläger qualitative Anknüpfungspunkte sowohl zu Deutschland als auch China hat. Zwar hält sich der Kläger berufsbedingt öfters in China auf. Dennoch beträgt seine Aufenthaltszeit in Deutschland im Durchschnitt fast ein Drittel der Aufenthaltszeiten in beiden Ländern. Aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts seiner Ehefrau und seines (in den Streitjahren) minderjährigen, leiblichen Kindes im Inland, wird das zeitmäßige Überwiegen der chinesischen Aufenthalte durch die Qualität der inländischen Kontakte bei seinen Aufenthalten in Deutschland zumindest aufgewogen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>231 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="231"/>Selbst wenn also aufgrund einer alternativen Prüfung ein Lebensmittelpunkt nicht festzustellen wäre, würde der Kläger im Streitfall -aufgrund des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland und China- aufgrund seiner seit 2003 bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China in Deutschland ansässig sein.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>232 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="232"/>Daher ist der Kläger auf jeden Fall (unter mehreren abkommensrechtlichen Gesichtspunkten) im Inland und nicht in China ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>233 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="233"/>d) Das Besteuerungsrecht für die Gewinnausschüttungen der chinesischen Ltd.‘s steht Deutschland zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>234 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="234"/>Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-China können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft (China) an eine im anderen Vertragsstaat (Deutschland) ansässige Person zahlt, im anderen Staat (Deutschland) besteuert werden (sog. Verteilungsnorm).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>235 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="235"/>Der verwendete Ausdruck „Dividenden“ bedeutet Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen oder anderen Rechten -ausgenommen Forderungen- mit Gewinnbeteiligung oder sonstige Einkünfte, die nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Gesellschaftsanteilen steuerlich gleichgestellt sind (Art. 10 Abs. 3 DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>236 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="236"/>Dem Ansässigkeitsstaat der die Dividenden zahlenden Gesellschaft steht grundsätzlich ein der Höhe nach begrenzter Quellensteuerabzug zu (Art. 10 Abs. 2 DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>237 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="237"/>e) Die Gewinnausschüttungen sind nicht in Deutschland von der Besteuerung freigestellt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>238 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="238"/>Nach Art. 24 Abs. 2 DBA-China (<em>Art. 23 Abs. 2 DBA-China</em>) wird eine mögliche Doppelbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt vermieden (sog. Methodenartikel).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>239 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="239"/>Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer werden grundsätzlich die Einkünfte aus China sowie die in China gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in China besteuert werden können (sog. Freistellungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-China</em>).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>240 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="240"/>Für Einkünfte aus Dividenden gilt die vorstehende Bestimmung aber nur dann, wenn Dividenden an eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft von einer in China ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 Prozent (<em>25 Prozent</em>) unmittelbar der deutschen Gesellschaft zuzuordnen ist (sog. Schachtelprivileg; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China]</em>).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>241 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="241"/>In den übrigen Fällen, d.h. bei Zahlung einer Dividende an eine natürliche Person, wird die nach chinesischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlte ausländische Steuer auf die deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts angerechnet (sog. Anrechnungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. b (i) DBA-China</em>]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>242 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="242"/>Da China vorliegend von seinen Quellensteuerrecht aus Gründen der Ansiedlung von ausländisch investierten Gesellschaften keinen Gebrauch gemacht hat, scheidet eine Anrechnung, die nach deutschen Steuerrecht auf der Grundlage von § 32d Abs. 5 EStG durchzuführen wäre, aus.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>243 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="243"/>4. Der mit Bescheid vom 28.6.2021 festgesetzte Verspätungszuschlag für 2018 i.H. von 25.000 Euro ist nicht zu beanstanden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>244 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="244"/>a) Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 AO kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Abweichend davon ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs abgegeben wurde (§ 152 Abs. 2 Nr. 1 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>245 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="245"/>Für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen, beträgt der Verspätungszuschlag für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 Prozent der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung (§ 152 Abs. 5 Satz 2 AO). Auf ein Verschulden kommt es nach der Gesetzesbegründung nicht an. Da § 152 Abs. 2 AO eine gegenüber § 152 Abs. 1 AO selbständige Sonderregelung trifft, ist die Verschuldensregelung des § 152 Abs. 1 Satz 2 AO nicht anwendbar (Bundestags-Drucksache 18/7457, S. 80; Schober in Gosch, AO, Stand 1.6.2021, § 152 Rn. 41).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>246 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="246"/>Bei Nichtabgabe der Steuererklärung ist der Verspätungszuschlag für einen Zeitraum bis zum Ablauf desjenigen Tages zu berechnen, an dem die erstmalige Festsetzung der Steuer wirksam wird (§ 152 Abs. 9 Satz 1 AO). Der Verspätungszuschlag ist auf volle Euro abzurunden und darf höchstens 25.000 Euro betragen (§ 152 Abs. 10 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>247 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="247"/>§ 152 AO in der am 1.1.2017 geltenden Fassung ist erstmals auf Steuererklärungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 einzureichen sind (Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 EGAO). Dies sind Steuererklärungen für Veranlagungszeiträume ab einschließlich 2018, da diese nach § 149 Abs. 2 AO zum 31.7.2019 bzw. --bei beratenen Steuerpflichtigen- nach § 149 Abs. 3 AO zum 2.3.2020 einzureichen sind (Rätke in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 152 Rn. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>248 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="248"/>b) Auf dieser Grundlage hat das FA zutreffend einen Verspätungszuschlag für 2018 i.H. von 25.000 Euro festgesetzt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>249 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="249"/>Der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung für 2018 nicht bis zum 2.3.2020 abgegeben. Hierzu war er nach § 25 Abs. 1 und Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG verpflichtet. Die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung bleibt auch dann bestehen, wenn die Finanzbehörde -so wie vorliegend- die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO geschätzt hat (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>250 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="250"/>Abzüglich der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge wurde mit Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 28.6.2021 eine Steuer i.H. von 827.328 Euro (863.400 Euro ./. Steuerabzug vom Lohn der Ehefrau i.H. von 36.072 Euro) festgesetzt. Daher beträgt der maßgebliche Zeitraum 16 Monate (März 2020 bis Juni 2021). Der sich daraus errechnende Verspätungszuschlag von 33.093,12 Euro (827.328 Euro x 0,25 Prozent x 16 Monate) ist auf den gesetzlichen Höchstbetrag von 25.000 Euro begrenzt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>251 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="251"/>Der Kläger durfte nicht im Sinne von § 152 Abs. 5 Satz 3 AO davon ausgehen, dass er keine Steuererklärung abzugeben hatte. Zwar teilt das FA mit Schreiben vom 5.7.2010 mit, dass er nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei. Darauf durfte er aber nicht vertrauen, denn er behauptete wahrheitswidrig gegenüber dem FA von seiner Ehefrau getrennt zu sein und fast ausschließlich in China zu leben. Vor dem Hintergrund der von Rechtsanwalt R im August 2017 eingeholten Rechtsauskunft und den weiteren oben genannten Tatumständen ergibt sich vielmehr, dass die Eheleute familienrechtlich nicht getrennt sind und sich der Kläger nur aus beruflichen Gründen in China aufhält. Auch der Erwerb des gemeinsamen Grundstücks in G, die „Millionen-Investition“ in das dort errichtete Gebäude sowie sein weiterhin bestehendes erhebliches wirtschaftliches und finanzielles Engagement in Deutschland zeigen, dass der Kläger hier -anders als er ausführt-- unbeschränkt steuerpflichtig und auch ansässig ist. Den daraus resultierenden Steueranspruch kannte der Kläger dem Grunde und der Höhe nach oder hielt ihn zumindest für möglich und wollte ihn durch die Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Streitjahre verkürzen (Jäger in Klein, AO, 14. Aufl., 2018, § 370 Rn. 171 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>252 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="252"/>Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger (zumal nur für die Jahre 2012 bis 2016) hindert den Senat nicht an diesen Feststellungen, denn die Einstellungsverfügung entfaltet keine Bindungswirkung für das finanzgerichtliche Verfahren. Vielmehr haben die Finanzgerichte selbständig und aufgrund freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 155 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 1 ZPO). Sie sind selbst an Feststellungen in einem Strafurteil nicht gebunden (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 81 Rn. 11 m.w.N.). Diese fehlende Bindungswirkung gilt umso mehr für Feststellungen in einer Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, denn ihr kommt keinerlei Rechtskraftwirkung zu. Das Ermittlungsverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 28.2.2012 VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659, Rn. 12; Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., 2019, § 170 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>253 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="253"/>5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. FGO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>254 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="254"/>Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Maß des Unterliegens bzw. Obsiegens ergibt sich aus dem Unterschied zwischen den Anträgen und dem endgültig Erreichten (BFH-Urteil vom 25.10.1994 VIII R 79/91, BStBl II 1995, 121).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>255 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="255"/>Der Kläger begehrte die Aufhebung der Vollziehung von festgesetzten Beträgen i.H. von 3.063.574,03 Euro und obsiegt i.H. von 208.520 Euro, d.h. i.H. von 6,8 Prozent; überwiegend, d.h. i.H. von 93,2 Prozent obsiegt das FA.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>256 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="256"/>Die Voraussetzungen von § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO liegen nicht vor. Danach können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Ein geringfügiges Unterliegen ist aber nur dann anzunehmen, wenn der andere Teil weniger als 5 Prozent der Kosten zu tragen hat (Ratschow in Gräber, 9. Aufl., 2019, § 136 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>257 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="257"/>6. Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Revisionsgründe im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich sind.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>258 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="258"/>7. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 ZPO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>259 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="259"/>8. Aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Streitfalles wird die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig erklärt. Ein entsprechender Antrag wurde gestellt (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 11.4.2022, S. 1, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 46).</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>105 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="105"/>Die Klage hat teilweise Erfolg.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>106 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="106"/>1. Soweit sich der Kläger gegen die Festsetzung von Solidaritätszuschlag für die Streitjahre wendet, ist die Klage unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>107 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="107"/>Mit einem Rechtsbehelf gegen den Solidaritätszuschlag kann nach § 51a Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 1 Abs. 5 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolZG) weder die Bemessungsgrundlage noch die Höhe des zu versteuernden Einkommens angegriffen werden. Wird nämlich die Bemessungsgrundlage geändert, ändert sich kraft Gesetzes der Solidaritätszuschlag entsprechend (§ 51a Abs. 5 Satz 2 EStG und § 1 Abs. 5 Satz 2 SolZG; vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 40. Aufl., 2021, § 51a Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>108 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="108"/>Der Kläger wendet sich darüber hinaus nicht gegen die Höhe des Solidaritätszuschlags. Auch erging die Festsetzung insoweit auf der Grundlage von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig, so dass auch insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 10.11.1993 X B 83/93, BStBl II 1994, 119 und vom 22.3.1996 III B 173/95, BStBl II 1996, 506, Rn. 28).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>109 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="109"/>2. Die Zinsbescheide werden geändert (§ 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>110 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="110"/>Sie sind rechtswidrig, soweit eine Verzinsung i.H. von 0,5 Prozent im Monat ab dem 1.1.2019 erfolgt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>111 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="111"/>a) Nach § 238 Abs. 1a i.V.m. § 233a AO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der AO und des Einführungsgesetzes zur AO (EGAO) durch das sog. Zinsanpassungsgesetz vom 12.7.2022 (BGBl I 2022, 1142) betragen die Zinsen in den Fällen des § 233a AO abweichend von § 238 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend ab dem 1.1.2019 für jeden Monat 0,15 Prozent, d.h. 1,8 Prozent pro Jahr. Das Zinsanpassungsgesetz wurde am 21.7.2022 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat nach dessen Art. 3 am Tag nach der Verkündung --mithin am 22.7.2022-- in Kraft.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>112 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="112"/>Aufgrund dessen sind die Zinsbescheide wie folgt zu ändern (vgl. Anlage des Schreibens des FA vom 26.7.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 173):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>113 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"> <tr> <th colspan="5" rowspan="1"><rd nr="113"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Jahr   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (bisher)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (bisher)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (neu)</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Zinsen (neu)</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">insgesamt</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">bis 31.12.2018</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">ab 1.1.2019</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">insgesamt</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2013   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">54.862 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">32.917 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">6.583 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">39.500 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2014   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">157.673 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">82.591 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">22.524 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">105.115 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2015   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">170.072 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">70.030 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">30.012 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">100.042 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2016   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.534 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.277 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.277 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">8.554 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2017   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24.509 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">0 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7.352 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">7.352 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">2018   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">62.047 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">0 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.614 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">18.614 Euro</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">487.697 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">189.815 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">89.362 Euro</td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:right">279.177 Euro</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>114 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="114"/>b) Anders als das FA meint, steht einem Erfolg der Klage in dieser Höhe auch nicht Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO entgegen (Schreiben des FA vom 26.7.2022, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 161).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>115 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="115"/>Danach sind § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 4 und Abs. 2 sowie § 171 Abs. 8 AO auf nach dem 21.7.2022 erlassene Zinsfestsetzungen nach § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 entsprechend anzuwenden, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des § 238 Abs. 1a AO in der am 22.7.2022 geltenden Fassung noch nicht vorliegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>116 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="116"/>Nach dem dieser Regelung zugrunde liegenden Rechtsgedanken -so das FA- seien weiterhin die Voraussetzungen für die vorläufigen Zinsfestsetzungen gegeben, solange die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung des neuen, geringeren Zinssatzes noch nicht vorlägen. Ein Rechtsbehelf sei daher mangels Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>117 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="117"/>§ 165 AO liege der Gedanke zugrunde, dass das FA aus verschiedenen Gründen an einer endgültigen Festsetzung des Anspruchs gehindert sein kann. Das betreffe u.a. die Anhängigkeit eines Musterverfahrens (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO) und den Zeitraum bis zu einer erforderlichen gesetzlichen Neuregelung (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO). Die Regelung des Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO erweitere diesen Gedanken auf den Zeitraum, den die Finanzverwaltung als Massenverwaltung für die technische Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung benötige. Das sei aus Sicht des rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen natürlich „nicht optimal“. Dem Steuerpflichtigen sei allerdings für einen überschaubaren Zeitraum ein weiteres Zuwarten zumutbar. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Zweijahresfrist nach § 171 Abs. 8 Satz 2 AO, bei der der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen sei, die Finanzverwaltung könne nach einem erfolgreichen Musterverfahren nicht sofort in allen vorläufigen Fällen Änderungsbescheide erlassen. Im Streitfall entstehe dem Kläger auch kein finanzieller Nachteil durch ein weiteres Zuwarten, da die Zinsen noch nicht entrichtet worden seien.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>118 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="118"/>c) Diese Auffassung teilt der Senat nicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>119 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="119"/>Zunächst wäre es vorliegend unstreitig möglich gewesen, sog. manuelle Bescheide zu erlassen, so dass die technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 238 Abs. 1a AO im Einzelfall vorliegen. Auch verfolgt Art. 97 § 15 Abs. 16 EGAO den Zweck, dass die Finanzverwaltung im steuerlichen Massenverfahren (wie bisher) Zinsfestsetzungen vorläufig erlassen kann, obwohl die Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO nach dem Inkrafttreten des Zinsanpassungsgesetzes nicht mehr vorliegen (vgl. Baum, NWB 2022, 2112, 2121). Darum geht es aber vorliegend nicht, sondern um die Rechtmäßigkeitsprüfung von Verwaltungsakten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>120 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="120"/>Soweit das FA daher beantragt, das Verfahren wegen der Zinsfestsetzungen abzutrennen und auszusetzen, bis die Finanzverwaltung die Voraussetzungen für eine automationsgestützte Anwendung von § 238 Abs. 1a AO geschaffen hat, ist dies abzulehnen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>121 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="121"/>Die Trennung von Verfahren nach § 73 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 2 und Abs. 1 Satz 2 FGO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Insoweit lässt sich der Senat von prozessökonomischen Gründen leiten (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 73 Rn. 22 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>122 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="122"/>Solche Zweckmäßigkeitsgründe, die für eine Trennung sprechen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere sind die verschiedenen Antragsgegenstände entscheidungsreif. Daher kann eine Trennung nicht erfolgen (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 73 Rn. 24).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>123 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="123"/>Überdies könnte ein abgetrenntes Verfahren nicht ausgesetzt werden, da keine Vorgreiflichkeit eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 74 FGO gegeben ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>124 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="124"/>3. Die Einkommensteuerbescheide vom 28.6.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.12.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>125 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="125"/>a) Der Kläger ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>126 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="126"/>Er hat seinen Wohnsitz im Inland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>127 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="127"/>aa) Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>128 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="128"/>Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>129 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="129"/>Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums zu beurteilen. Dabei entfalten die bloße Absicht, einen Wohnsitz zu begründen oder aufzugeben, die An- und Abmeldung bei der Ordnungsbehörde allein keine unmittelbare steuerliche Wirkung (BFH-Urteil vom 14.11.1969 III R 95/68, BStBl II 1970, 153, Rn. 6). Hat der Steuerpflichtige eine Wohnung inne, die nach objektiven Maßstäben dauerhaft genutzt und beibehalten werden soll, kommt einem etwaigen Willen des Steuerpflichtigen, an diesem Platz keinen Wohnsitz begründen oder beibehalten zu wollen, keine Bedeutung zu. Maßgeblich sind alleine die tatsächlichen Lebensverhältnisse (BFH-Urteil vom 23.11.1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>130 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="130"/>Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnungen und mehrere Wohnsitze haben. Diese können im Inland und/oder im Ausland gelegen sein. Zur Begründung eines steuerlichen Wohnsitzes im Inland ist nicht Voraussetzung, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet oder dass der Steuerpflichtige von dort aus seiner täglichen Arbeit nachgeht (BFH-Urteile vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447, Rn. 10 und vom 18.12.2013 III R 44/12, BStBl II 2015, 143, Rn. 8).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>131 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="131"/>Mit einer Wohnung im Sinne des § 8 AO sind stationäre Räumlichkeiten gemeint, die --mindestens im Sinne einer bescheidenen Bleibe- auf Dauer zum Wohnen geeignet sind. Weil „Bewohnen“ mehr ist als „Aufenthalt“ oder „Übernachtung“, erfüllt eine nur kurzfristige, lediglich vorübergehende oder eine notdürftige Unterbringungsmöglichkeit den Wohnungsbegriff nicht. Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit Küche und separater Waschgelegenheit. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist (vgl. ebenso Anwendungserlass zur AO --AEAO-- zu § 8 Nr. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>132 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="132"/>Der Steuerpflichtige muss die Wohnung zudem innehaben. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht), als Bleibe zur Verfügung stehen. An der objektiven Eignung fehlt es bei sog. Standby-Wohnungen oder -Zimmern, wenn auf Grund von Vereinbarungen oder Absprachen zwischen den Wohnungsnutzern die Nutzungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen derart beschränkt ist, dass er die Wohnung oder das Zimmer nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt nutzen kann (BFH-Urteil vom 13.11.2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>133 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="133"/>Die Nutzung muss zu Wohnzwecken, aber weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen. Erforderlich ist allerdings eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte oder unregelmäßige kurze Aufenthalte zu Erholungs- oder Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 10.4.2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, Rn. 16). Die ausschließliche Nutzung als Betriebsstätte, Büro, Ladengeschäft, Warenlager oder Ähnliches stellt keine Nutzung zu Wohnzwecken dar (BFH-Urteil vom 8.5.2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135). Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr zu Wohnzwecken in der Wohnung aufhält (BFH-Urteil vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl 1997, 447). Eine Nutzung zu Wohnzwecken kann auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige eine Wohnung innerhalb eines Kalenderjahrs nicht nutzt (vgl. ebenso AEAO zu § 8 Nr. 4.1).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>134 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="134"/>Bei einem Familienwohnsitz ist die Frage für jede Person gesondert zu prüfen (BFH-Urteil vom 7.4.2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, Rn. 13). Ein Ehegatte, der nicht dauernd getrennt lebt, hat seinen Wohnsitz grundsätzlich dort, wo seine Familie lebt (BFH-Urteil vom 6.2.1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331, Rn. 10 m.w.N.). Diese Vermutung gilt regelmäßig unabhängig davon, welche räumliche Entfernung zwischen den Ehegatten besteht. Deshalb ist eine inländische Wohnung, die von einem Ehegatten gelegentlich zu Wohnzwecken genutzt wird, auch dann ein Wohnsitz, wenn er sich zeitlich überwiegend im Ausland aufhält (vgl. ebenso AEAO zu § 8 Nr. 5.2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>135 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="135"/>Wer einen Wohnsitz im Ausland begründet, hat auch im Inland einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO, sofern er die inländische Wohnung weiterhin unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, sie beibehalten und benutzen zu wollen (BFH-Urteil vom 19.3.1997 I R 69/96, BStBl II 1997, 447).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>136 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="136"/>bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat der Kläger im Streitzeitraum stets einen Wohnsitz im Inland; zunächst im [ ___ ]-weg x in H und ab 2016 mit der Fertigstellung des Gebäudes in der [ ___ ] Straße Y in G.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>137 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="137"/>Ihm standen jederzeit Räumlichkeiten zur Verfügung, die über eine lediglich kurzfristige, vorübergehende oder eine bloß notdürftige Unterbringungsmöglichkeit weit hinausgehen. Auch war bzw. ist er hälftiger Miteigentümer der jeweiligen Wohnungen, so dass ihm ein Anspruch auf Nutzung zustand bzw. zusteht (vgl. § 743 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). Seine Nutzungsmöglichkeiten waren weder durch Vereinbarungen noch durch Absprachen derart beschränkt, dass er die Wohnung nicht jederzeit für einen Wohnaufenthalt hätte nutzen können. Wer -wie der Kläger zuletzt in G-- in einer Bleibe jedenfalls über eine Schlafgelegenheit, ein Ankleidezimmer und einen Stellplatz für einen stets zur Nutzung vorgehaltenen Pkw verfügt, hat einen Wohnsitz im Inland. Dass der Kläger bei Aufenthalten in Deutschland nur zur Ersparnis von Hotelkosten in seinen ihm mitgehörenden Räumlichkeiten übernachtet haben will, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Von seiner jederzeitigen Nutzungsmöglichkeit machte der Kläger auch Gebrauch. In jedem Jahr des Streitzeitraums verbrachte er -bis auf das Jahr 2017- mehr als 90 Tage in Deutschland und davon ganz überwiegend --zunächst in H, ab 2016 in G- in seinen Räumlichkeiten. Selbst wenn er von hier aus einige Geschäftsreisen innerhalb Deutschlands unternommen haben sollte, bleibt ein substantieller Anteil an Aufenthalten in der Immobilie in G.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>138 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="138"/>Insbesondere die Bebauung des Grundstücks in der [ ___ ] Straße Y in G mit einem Wohngebäude von 2013 bis 2016 erfolgte -genauso wie zuvor in H- unter Beteiligung des Klägers, der den Kaufvertrag im Jahr 2013 über das Grundstück genauso eigenhändig unterschrieb wie den Vertrag mit der Baufirma über die Ausführung des Baus. Der Kläger nahm mehrmals an Besprechungen mit dem zuständigen Projektleiter, einem PL, teil, die auch auf der Baustelle durchgeführt wurden (EA II, Bl. 342 f.). Dadurch beeinflusste er die Gestaltung des Familienheims wesentlich, auch wenn die Planung und Ausführung der Außenanlagen von der Ehefrau beauftragt und beaufsichtigt wurden (EA II, Bl. 351 f.). Seine Einflussnahme zeigte sich auch bei der Inneneinrichtung. Er unterschrieb den Auftrag über die „gesamte Möblierung“ für 390.000 Euro gemeinsam mit seiner Ehefrau (EA II, Bl. 376). Exemplarisch ist auch Folgendes: Auf eine E-Mail der Firma Möbel K GmbH in O / Deutschland, welche eine detaillierte Zusammenstellung der für die Räumlichkeiten gewünschten Einrichtungsgegenstände (EA II, Bl. 372 f.) und einen Vorschlag über das Arrangement des Esstisches in Eiche und der Bestuhlung in der Küche enthielt (EA II, Bl. 374 f.), antwortete der Kläger am 25.8.2015 zustimmend („[ ___ ]; EA II, Bl. 374).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>139 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="139"/>Für den Kläger wurde laut einer Aufstellung der Firma Möbel K GmbH --die auch die Villa in X ausgestattet hat-- für das Gebäude in der [ ___ ] Straße Y in G ein speziell für seine Bedürfnisse gefertigtes Bett mit Beleuchtung an der Bettseite und zwei Nachttischen mit drei Schubladen vorgesehen (EA II, Bl. 390). Die Planung und Gestaltung des Weinkellers für rund 17.000 Euro war dem Kläger ebenfalls besonders wichtig und lief unmittelbar über ihn. In einer E-Mail der Firma Möbel K GmbH an ihn heißt es: „Hallo Herr A, in der Anlage habe ich einen Entwurf für Ihren Weinkeller. … Ich hoffe, dass Ihnen der Vorschlag gefällt (EA II, Bl. 381). Mit einer weiteren E-Mail wurden dem Kläger Bilder von Weinregalen übersandt (EA II, Bl. 388).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>140 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="140"/>Auch trug der Kläger die laufenden Kosten für das Haus in G (Rundfunkgebühren, Strom, Wasser, Gas und Abwasser). Diese Aufwendungen wurden von seinem Privatgirokonto bei der Bank I Nr. xxxxx abgebucht (Kontoauszüge, BMO, Bl. 26 ff.),</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>141 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="141"/>Der Kläger lebte auch nicht --wie von ihm behauptet-- seit 2006 im familienrechtlichen Sinne von seiner Ehefrau getrennt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>142 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="142"/>Nach § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben Ehegatten nur getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die Legaldefinition setzt sich damit aus zwei Komponenten -einer objektiven (keine häusliche Gemeinschaft) und einer subjektiven (Trennungswillen)- zusammen. Ein Getrenntleben liegt nur vor, wenn beide Komponenten kumulativ vorliegen. Unter häuslicher Gemeinschaft ist das Bestehen eines gemeinsamen räumlichen Mittelpunkts der privaten ehelichen Lebensführung zu verstehen. Die häusliche Gemeinschaft ist dabei nicht mit der Wahl einer bestimmten Wohnsituation verknüpft. Die häusliche Gemeinschaft kann beispielsweise auch bestehen, wenn die Ehegatten in verschiedenen Wohnungen leben. Die Gründe für getrennte Wohnungen können nämlich vielfältig sein. Zu berücksichtigen sind die individuellen Lebensverhältnisse und die sich aus ihnen ergebenden Auswirkungen auf die Lebensführung. Insbesondere berufsbedingt getrennte Wohnungen gehen nicht mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft einher. Entscheidend ist, ob die Ehegatten selbst einen oder mehrere Wohnstätten als gemeinsamen ehelichen Lebensmittelpunkt ansehen (Preisner in Erman, BGB, 16. Aufl., 2020, § 1567 Rn. 6).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>143 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="143"/>In einer Gesamtschau besteht zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine häusliche Gemeinschaft. Sie feiern alle wichtigen Festtage und persönlichen Anlässe gemeinsam mit den Kindern und betreiben ihre Unternehmen in Deutschland gemeinsam. Sie regeln alle wichtigen Fragen das Haus betreffend (Bebauung und Einrichtung) einvernehmlich. Größere Investitionen trägt der einkommenstärkere Kläger allein. Die Ehefrau ist als Geschäftsführerin der deutschen Firmen verantwortlich und der Kläger für die chinesischen Firmen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>144 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="144"/>Der Kläger hat überdies seit 1.10.2004 ohne Unterbrechung Verfügungsbefugnis über das private Konto der Ehefrau (Konto Nr. xxxxx bei der Bank I; Änderungsvertrag vom 1.10.2004, EA II, Bl. 63 und Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 13). Umgekehrt kann die Ehefrau seit 7.9.2004 zeitlich ununterbrochen über das Privatkonto des Klägers (Konto Nr.  xxxxx bei der Bank I) verfügen (Änderungsvertrag vom 7.9.2004, EA II, Bl. 29 und Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12). Bei einem familienrechtlich getrennten Ehepaar entspricht dies nicht der Lebenswirklichkeit.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>145 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="145"/>Auch spricht nichts dafür, dass sich zumindest einer der Ehegatten subjektiv von der Ehe gelöst hat. Dafür wäre der erkennbare Wille Voraussetzung, die häusliche Gemeinschaft nicht mehr herstellen zu wollen, weil die eheliche Lebensgemeinschaft abgelehnt wird. Die sowohl vom Kläger als auch von der Steufa eingereichten Fotos zeugen jedoch vom ganzen Gegenteile. Beide Eheleute kümmern sich auch im Übrigen um die gemeinsamen familiären, finanziellen und unternehmerischen Belange.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>146 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="146"/>Gegen eine Trennung, die mit dem Wegzug nach China im Jahr 2006 erfolgt sein soll, spricht des Weiteren, dass der Kläger und seine Ehefrau zur Vorbereitung einer Rechtsauskunft einem Rechtsanwalt R im Jahr 2017 den tatsächlichen Sachverhalt dahin schilderten, dass sie familienrechtlich nicht getrennt leben. Dieser gibt nämlich den Sachverhalt in Abgrenzung zu einer Entscheidung des FG Berlin vom 28.1.2003  5 K 5267/01, juris so wieder, dass die Eheleute (anders als im dortigen Streitfall) scheidungsrechtlich gerade nicht voneinander getrennt lebten. Es handele sich beim Kläger und seiner Ehefrau lediglich um eine berufliche Trennung. Allein die Berufsausübung in China --so der um Rechtsrat ersuchte Rechtsanwalt weiter-- zwinge den Kläger dazu, teilweise nicht in Deutschland zu leben (Schreiben vom 31.8.2017, S. 2 f., BMO, Bl. 225 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>147 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="147"/>Überdies entspricht es nicht der Lebenswirklichkeit einer familienrechtlichen Trennung, dass die Eheleute noch gemeinsam erhebliche Investitionen tätigen. So wurde die Villa in X noch im September 2007 für rund 900.000 Euro von beiden zu je hälftigem Miteigentum erworben. Auch wenn im chinesischen Güterrecht die sog. Errungenschaftsgemeinschaft als gesetzlicher Güterstand eingreift, wonach bei Anschaffungen während der Ehe ein Sondervermögen entsteht, das sich aus dem Gesamtgut zusammensetzt, an dem beide Ehegatten dinglich beteiligt sind, war der Kläger nicht gezwungen, überhaupt eine Immobilie in China zu erwerben (vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.heckschen-vandeloo.de/aktuelle-fachbeitraege/aktueller-fachbeitrag/internationales-gueterrecht-die-europaeischen-gueterrechtsverordnungen.html</span>, zuletzt eingesehen am 3.6.2022). Er hätte schlicht eine Wohnung mieten können. Dabei lässt es der Senat offen, ob dieser besondere Güterstand nach den Regelungen des Internationalen Privatrechts für die im Jahr 2000 in Deutschland geschlossene Ehe überhaupt maßgeblich ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>148 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="148"/>Jedenfalls bestand -bei einer unterstellten Trennung ab dem Jahr 2006- keine Veranlassung für den Kläger im Jahr 2013 das Grundstück in der [ ___ ] Straße Y in G gemeinsam mit seiner Ehefrau zu erwerben und aufwändig zu bebauen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>149 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="149"/>Zudem schilderte die Steuerberaterin der Eheleute noch im Schreiben an das FA vom 14.1.2009, dass der Kläger seinen Wohnsitz weiter in Deutschland habe und somit den Eheleuten die Eigenheimzulage weiter zu gewähren sei (Rb-Akte, Bl. 48).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>150 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="150"/>Nicht zuletzt sind die Eheleute trotz der vermeintlichen Trennung im Jahr 2006 bis heute weder geschieden noch ist ein Ehescheidungsverfahren anhängig. Eine neue Lebenspartnerin hat der Kläger nicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>151 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="151"/>cc) Dem steht nicht entgegen, dass das FA der Ehefrau mit Schreiben vom 5.7.2010 (ESt-Akte, vor Lasche 2008, Bl. 2) mitteilte, dass der Kläger nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei, da sich sein Wohnsitz im Ausland befinde. Denn damit hat es keine Auskunft mit bindender Wirkung für die Streitjahre erteilt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>152 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="152"/>Grundsätzlich kann eine Finanzbehörde neben der gesetzlich geregelten Auskunft im Anschluss an eine Außenprüfung (§§ 204 bis 207 AO) auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung (Zusage) erteilen. Voraussetzung dafür ist aber, dass das FA durch einen für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger (Sachgebietsleiter oder Vorsteher) vertreten wird (BFH-Urteile vom 13.12.1989 X R 208/87, BStBl II 1990, 274, Rn. 19 und vom 26.11.1997 III R 109/93, BFH/NV 1998, 808 - Leitsatz; FG Hamburg, Urteil vom 30.4.2013 – 2 K 81/12, rkr., juris, Rn. 24 m.w.N.). Schon daran mangelt es vorliegend.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>153 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="153"/>Zudem ist das Schreiben nur als die Mitteilung des Ergebnisses einer vorläufigen Prüfung im Veranlagungsverfahren für die Jahre 2008 und 2009 zu sehen. Eine Bindungswirkung für die zukünftige steuerliche Behandlung des Klägers -unabhängig von der weiteren Entwicklung des Sachverhalts- kann dem Schreiben nicht entnommen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kläger den unzutreffenden Eindruck erweckte, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebt und keinen Wohnsitz mehr im Inland hat. Beides trifft aber nicht zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>154 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="154"/>Auch hat der sachkundig beratene Kläger zu der von ihm beanspruchten Eigenheimzulage die anderenfalls nach § 153 Abs. 1 und Abs. 2 AO gebotene Berichtigung nicht erklärt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>155 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="155"/>b) Unstreitig bezog der Kläger steuerbare Bezüge aus den Gewinnausschüttungen seiner (ausländischen) Kapitalgesellschaften (Werkzeug Ltd., Gew Ltd. und T Ltd. jeweils X), die den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzuordnen sind und die mangels Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG der Abgeltungsteuer unterliegen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>156 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="156"/>Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Genossenschaften sowie an einer optierenden Gesellschaft im Sinne des § 1a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG). Zu den sonstigen Bezügen gehören auch verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>157 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="157"/>Die Beteiligungsbezüge von ausländischen Kapitalgesellschaften unterfallen dann § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, wenn die ausländische Gesellschaft und das zum Bezug führende ausländische Beteiligungsrecht ihrer Struktur nach einer unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG fallenden inländischen Kapitalgesellschaft im Wesentlichen entsprechen. Dies ist nach dem sog. Typenvergleich festzustellen (Levedag in Schmidt, EStG, 41. Aufl., 2022, § 20 Rn. 30 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>158 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="158"/>Die chinesische Ltd. ist mit einer GmbH vergleichbar.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>159 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="159"/>Die ganz überwiegende Zahl der ausländisch investierten Unternehmen in China wird in der Form der Limited Liability Company („Co., Ltd.") gegründet. Es handelt sich dabei um eine Kapitalgesellschaft mit einer beschränkten Haftung im Außenverhältnis, die im Wesentlichen im chinesischen Gesellschaftsrecht (PRC Company Law) geregelt ist. Das PRC Company Law schreibt in der seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung ein Mindeststammkapital von 30.000 Yuan und bei Ein-Personen-Gesellschaften von 100.000 Yuan vor. Ein entsprechender Businessplan muss im Rahmen einer Machbarkeitsstudie bei der zuständigen Behörde vorgelegt werden und unterliegt der Genehmigungspflicht (vgl. <span style="text-decoration:underline">https://cms.law/en/media/local/cms-china/files/publications/publications/business-legal-structure-in-china</span>, S. 9, zuletzt besucht am 16.5.2022). Seit 1.3.2014 kann eine chinesische Ltd. auch mit einem Stammkapital von 1 Yuan errichtet werden. Die Gesellschaftsrechte des Inhabers ähneln dem eines GmbH-Gesellschafters.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>160 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="160"/>Der Sparer-Pauschbetrag nach § 20 Abs. 9 EStG wurde zutreffend nicht abgezogen, da der Kläger keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat und daher nicht ersichtlich ist, inwieweit der Kläger den Sparer-Pauschbetrag bereits im Zusammenhang mit möglichen weiteren Einkünften aus Kapitalvermögen in Anspruch genommen hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>161 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="161"/>c) Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinnausschüttungen steht nach dem einschlägigen DBA Deutschland zu. Eine Anrechnung von chinesischer Quellensteuer nach § 32d Abs. 5 Sätze 1 und 2 EStG ist nicht vorzunehmen, da die Kapitalerträge in China nicht besteuert wurden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>162 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="162"/>aa) Sowohl der persönliche als auch der sachliche Anwendungsbereich des DBA-China sind eröffnet.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>163 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="163"/>Dabei gilt das (alte) DBA-China vom 10.6.1985 (BGBl II 1986, 446) bis zum 5.4.2016 und das (neue) DBA-China vom 28.3.2014 (BGBl II 2015, 1647) gilt ab 6.4.2016 (BGBl II 2016, 1005). Die Regelungen sind -soweit sie den Streitfall betreffen- weitgehend inhaltsgleich. Soweit das neue DBA-China Abweichungen enthält, werden diese im Folgenden kursiv hervorgehoben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>164 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="164"/>Nach Art. 1 DBA-China gilt das Abkommen für Personen, die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind und sachlich nach Art. 2 Abs. 1 DBA-China für Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, die in einem der Vertragsstaaten erhoben werden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>165 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="165"/>bb) Der Kläger ist nur in Deutschland ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>166 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="166"/>(a) Im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China (<em>Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-China</em>) umfasst der Ausdruck „eine in einem Vertragsstaat ansässige Person“ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer allgemeinen Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. <em>Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 DBA-China umfasst der Ausdruck jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat oder mit in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.</em></td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>167 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="167"/>Diese Voraussetzungen liegen nur in Deutschland, nicht dagegen in China vor.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>168 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="168"/>Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Er schränkt die Abkommensberechtigung auf solche Personen ein, die nach dem Recht zumindest eines der Vertragsstaaten aufgrund von ortsbezogenen Merkmalen in einem Vertragsstaat der Steuerpflicht unterliegen. Art. 4 Abs. 1 DBA-China definiert die Voraussetzungen der Ansässigkeit nicht abkommensautonom, sondern durch ausdrückliche Anknüpfung an das innerstaatliche Recht des jeweiligen Vertragsstaats (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 16).  Die Aufzählung der Kriterien, aus denen sich die Steuerpflicht ergeben kann, verdeutlicht, dass sich die unbeschränkte Steuerpflicht aus ortsbezogenen Merkmalen des nationalen Steuerrechts ableitet. Auf die tatsächliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat kommt es dagegen nicht an (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 16; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 29; Frotscher in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., 2016, Art. 4 Rn. 34 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>169 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="169"/>Eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 DBA-China (tie-breaker-rule) scheidet aus, wenn der Steuerpflichtige schon nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China nur in einem Vertragsstaat ansässig ist (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 3). Nur bei einer sog. Doppelansässigkeit, d.h. bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten, wird durch Art. 4 Abs. 2 DBA-China bestimmt, in welchem Staat eine Person abkommensrechtlich als ansässig gilt. Der andere Vertragsstaat kann dann lediglich Quellenstaat sein.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>170 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="170"/>(b) Da der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat und damit der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ist er nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China im Inland ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>171 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="171"/>Er ist nicht gleichzeitig in China ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>172 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="172"/>Nach chinesischem Steuerrecht ist für die dortige unbeschränkte, persönliche Steuerpflicht grundsätzlich maßgeblich, ob eine Person dauerhaft in China wohnhaft ist oder sich dort mindestens fünf Jahre ohne wesentliche Unterbrechung aufhält. Bis zum Ablauf von fünf Jahren wird eine Mischform von beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht angewendet, wonach gewisse Einkünfte aus chinesischen Quellen vollumfänglich, Kapitaleinkünfte jedoch nur beschränkt steuerpflichtig sind (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 1 Rn. 31; Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 250 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>173 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="173"/>Vorliegend ist aufgrund des Streitzeitraums auf den Rechtsstand des chinesischen Steuerrechts bis zum 31.12.2018 abzustellen, so dass die umfassende Reform des Einkommensteuerrechts in China mit Wirkung zum 1.1.2019 unbeachtlich ist.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>174 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="174"/>Das FG hat das ausländische Recht dabei nach § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 Satz 1 FGO von Amts wegen zu ermitteln, denn es ist im Verfahren nicht Recht im eigentlichen Sinne, sondern Tatsache, die Gegenstand tatrichterlicher Beweiserhebung bzw. Ermittlung ist. In diesem Rahmen sind nicht nur die einschlägigen Rechtsnormen des ausländischen Rechts heranzuziehen, sondern es ist auch die konkrete Ausgestaltung dieses Rechts in der ausländischen Rechtspraxis zu berücksichtigen. Der Umstand, dass das ausländische Recht sehr komplex ist, kann das FG nicht von seiner Ermittlungspflicht entbinden. Auf welche Weise sich das FG die erforderliche Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (Ratschow in Gräber, 9. Aufl., 2019, § 118 Rn. 61 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>175 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="175"/>Im Streitfall verschafft sich der Senat die Kenntnisse über das chinesische Steuerrecht durch die allgemein verfügbaren Gesetzestexte, Verwaltungsanweisungen, Kommentierungen und den Vortrag der Beteiligten.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>176 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="176"/>(c) Danach gibt es im chinesischen Steuerrecht in den Streitjahren zwei Anknüpfungspunkte für die unbeschränkte Steuerpflicht.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>177 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="177"/></th> </tr> <tr> <td colspan="2" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Die unbeschränkte Steuerpflicht einer natürlichen Person in China setzt in den Streitjahren voraus,</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">     </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">dass sie in China entweder, in Anlehnung an das Prinzip des „domicile“ aus dem Common Law nach Art. 1 Abs. 1, 1. Alt. des Individual Income Tax Law of the PRC (--IITL--, abrufbar auf der Homepage des Ministry of Commerce of the People’s Republic of China unter http://english.mofcom.gov.cn/aarticle/policyrelease/internationalpolicy/200703/ 20070304470171.html) i.V.m. Art. 2 der chinesischen Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (chin. EStDV; Rules for the Implementation of the Individual Income Tax Law, abrufbar unter <span style="text-decoration:underline">http://www.asianlii.org/cn/legis/cen/laws/rftiotiitl560/</span>) einen (dauerhaften) Wohnsitz (sog. Domizil) hat, oder,</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">→   </td></tr></table> </td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">dass sie sich ein Jahr oder länger in China aufhält (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art.  3 chin. EStDV).</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>178 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="178"/>Der Begriff Domizil ist im Sinne einer dauerhaften Absicht, in dem jeweiligen Land zu verweilen, zu verstehen (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 250). Er ist einem qualifizierten Wohnsitz vergleichbar und kann nur an einem Ort bestehen („It is the place where you plan to live indefinitely. You can have more than one residence, but your domicile is your ´forever` home.“, abrufbar unter vgl. <span style="text-decoration:underline">https://www.investopedia.com/terms/d/domicile.asp,</span> zuletzt eingesehen am 19.5.2022). Nach Art. 2 chin. EStDV hat eine natürliche Person ihr Domizil in China, wenn sie aufgrund ihrer (städtischen) Registrierung, ihrer Familienverhältnisse sowie ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse ihren gewöhnlichen Aufenthalt in China hat. Somit haben ausländische Bürger, die sich nur aufgrund ihrer Tätigkeit in China aufhalten, grundsätzlich keinen Wohnsitz in China, weil ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht in China liegt (so Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 22). Hätte der Kläger allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse („economic interests“ nach Art. 2 chin. EStDV, vgl. Text, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 580) ein Domizil in China, wäre er dort unbeschränkt steuerpflichtig. Das vertritt aber selbst der Kläger im Ergebnis nicht, da er dann in China „domiciled“ wäre und nicht lediglich „fiscal resident“. Letzteres soll ihm aber die chinesische Steuerverwaltung bescheinigt haben („Chinese fiscal resident“).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>179 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="179"/>Der Aufenthalt von einem Jahr oder länger -der neben dem Domizil ebenfalls die unbeschränkte Steuerpflicht auslöst- meint einen Aufenthalt in China von 365 Tagen im Steuerjahr (Art. 1 Abs. 1, 2. Alt. IITL i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 chin. EStDV). Ein Steuerjahr in diesem Sinne entspricht dem Kalenderjahr (Art. 44 chin. EStDV). Lediglich vorübergehende Abwesenheitstage werden nicht berücksichtigt (Art. 3 Abs. 1 chin. EStDV). Vorübergehende Abwesenheitstage bedeutet einen Aufenthalt außerhalb Chinas von nicht mehr als 30 Tagen und bei mehreren Abwesenheiten von nicht mehr als 90 Tagen pro Steuerjahr (Art. 3 Abs. 2 chin. EStDV). Die Aufenthaltsdauer in China wird anhand des Einreise- und Ausreisedatums (via Stempel) im Reisepass festgestellt (Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 24).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>180 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="180"/>Demgegenüber sind natürliche Personen, die kein Domizil oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt in China haben, weil sie sich weniger als 365 Tage in einem Steuerjahr in China aufhalten, nur mit ihren chinesischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig (Art. 1 Abs. 2 IITL; Heijenga in Wassermeyer, DBA-China, Januar 2015, Anh. Rn. 25).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>181 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="181"/>Eine Besonderheit besteht noch für Personen die sich für mehr als ein Jahr, aber weniger als fünf Jahre in China aufhalten (Art. 6 Satz 1 chin. EStDV). In diesem Fall besteht zwar eine persönliche, unbeschränkte Steuerpflicht. Insbesondere die Einkünfte aus Kapitalvermögen werden aber nur eingeschränkt besteuert (sog. beschränkte unbeschränkte Steuerpflicht; Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 11; Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 251). Hält sich eine Person mehr als fünf Jahre (jeweils nur unterbrochen durch vorübergehende Abwesenheiten) in China auf, wird sie ab dem sechsten Jahr einer vollständigen unbeschränkten Steuerpflicht mit ihrem Welteinkommen unterworfen (Art. 6 Satz 2 chin. EStDV).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>182 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="182"/>Aufgrund des Erfordernisses eines nur durch vorübergehende Abwesenheiten unterbrochenen Aufenthaltes in China von mindestens 365 Tagen können Ausländer die unbeschränkte Steuerpflicht durch sog. Unterbrechungsreisen vermeiden, in dem entweder ein Auslandsaufenthalt von mehr als 30 Tagen oder mehrere Auslandsaufenthalte von insgesamt mehr als 90 Tagen je Steuerjahr unternommen werden (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 251 und Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 11).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>183 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="183"/>Vor diesem Hintergrund geht der Senat nicht davon aus, dass der Kläger einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht in China unterliegt. Seine Abwesenheitstage in China betragen -selbst nach den Schilderungen des Klägers- in jedem Streitjahr mehr als 90 Tage, so dass er eine persönliche Steuerpflicht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 IITL vermeidet. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger auch vor den Streitjahren in vergleichbarem Umfang, d.h. jährlich mehr als 90 Tage außerhalb Chinas aufgehalten hat. Denn weder hat der Kläger insoweit Abweichungen vorgetragen noch ergibt sich eine Änderung seines Reiseverhaltens aus den sonstigen Umständen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>184 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="184"/>Die Bescheinigungen über eine Besteuerung seiner Arbeitseinkünfte stehen dem nicht entgegen, da diese der beschränkten Steuerpflicht unterliegen (Art. 1 Abs. 2 IITL i.V.m. Art. 5 Abs. 1 chin. EStDV; vgl. Hasbargen/Preising, IStR 2012, 143 f.) und damit nichts über eine unbeschränkte Steuerpflicht aussagen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>185 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="185"/>Soweit der Kläger Bescheinigungen vorlegt, die ihn als „Chinese fiscal resident“ bezeichnen, folgt daraus keine Ansässigkeit des Klägers in China im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-China. Steuerlich bescheinigte ihm nämlich ein Direktor der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk der bezirksfreien Stadt [ ___ ] in der chinesischen Provinz [ ___ ], für die Jahre 2013 bis 2018 die Eigenschaft eines „Chinese fiscal resident“ (Anlage K 5 zum Schriftsatz vom 11.4.2022, Gerichtsakte zum 1 K 2898/21, Bl. 68 bis 73). Aus Sicht des Senats ist es jedoch zweifelhaft, ob die Steuerverwaltung von [ ___ ] überhaupt für die Ausstellung dieser Bescheinigungen zuständig ist. Denn [ ___ ] ist ein Stadtbezirk der Stadt [ ___ ], die rund 360 km von X entfernt ist. X als regierungsunmittelbaren Stadt hat eine eigene Steuerverwaltung. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass der Kläger für das Jahr 2019 eine gleichlautende Bescheinigung der Steuerverwaltung von [ ___ ], einem Stadtbezirk von X, vorgelegt hat (Rb-Akte, Bl. 14 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 539). Auch hinsichtlich der Besteuerung seines Lohn und Gehalts hat der Kläger für die Jahre 2012 bis 2019 Bescheinigungen des offensichtlich zuständigen Staatlichen Hauptfinanzamts der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] vorgelegt (Gerichtsakte zu 1 K 2953/20, Bl. 110 und Bl. 113 und Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 573 ff.). Auch die Steuerzahlungsnachweise für die Gew Ltd., Werkzeug Ltd., Werk Ltd., M Ltd. und Th Ltd. für 2013 bis 2020 (M Ltd. nur für 2018 und 2019) bezüglich betrieblicher Einkommensteuer stammen vom Staatlichen Hauptfinanzamt der Stadt X, Stadtbezirk [ ___ ] (Anlage K15 zum Schreiben an das FA vom 16.11.2020, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 348 bis 354).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>186 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="186"/>Da offensichtlich die Steuerverwaltung der Stadt X steuerlich sowohl für den Kläger als auch für seine Kapitalgesellschaften zuständig ist, ist es nicht nachzuvollziehen, weshalb die Steuerverwaltung der Stadt [ ___ ] für den Kläger eine Bescheinigung als „Chinese fiscal resident“ für die Streitjahre ausgestellt hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>187 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="187"/>Zudem haben Ansässigkeitsbescheinigungen eines anderen Vertragsstaats keine Bindungswirkung. Ob Umstände vorliegen, die im anderen Vertragsstaat nach dessen Recht eine Ansässigkeit begründen, muss jeder Staat selbständig prüfen (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 87 f. m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>188 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="188"/>Im Übrigen existiert in China ein fast unüberschaubares Geflecht an verschiedenen Einzelsteuern. Zudem werden einzelne Steuern aufgrund der abweichenden lokalen Praxis nicht überall angewendet oder überlagern sich zum Teil (Pfaar, Unternehmensbesteuerung in China nach der Steuerreform, Rechtsstand Juni 2009, S. 19). Bei der Sichtung von Bescheinigungen und Rechtsquellen ist zudem zu beachten, dass die chinesische Steuerverwaltung aus mehreren Ebenen besteht. Dabei gibt es dem Zentralstaat zustehende Steuern, den Provinzen zustehende Steuern sowie Gemeinschaftssteuern. Für die Bearbeitung der Steuererklärungen und die Steuererhebung sind grundsätzlich die örtlichen Steuerbehörden zuständig. Die lokalen Niederlassungen sind dabei berechtigt, unterschiedliche Durchführungsbestimmungen zu erlassen, sofern höherrangiges nationales Recht nicht verletzt wird. Darüber hinaus können sie Provinzsteuern reduzieren oder komplette Steuerbefreiungen aussprechen. Die Umsetzung der chinesischen Steuergesetze funktioniert deshalb in der Praxis nicht einheitlich. Die entsprechenden Finanzbehörden der verschiedenen Provinzen üben ihren großen Ermessensspielraum unterschiedlich aus. Die steuerliche Behandlung von ausländischen Steuerpflichtigen ist oft das Ergebnis von umfangreichen Verhandlungen mit der chinesischen Steuerverwaltung (Pittmann B. Potter in Michael J. Moser und Yu Fu, Doing Business in China, Release 25, 2014, Volume 2, Section III, Chapter § 3.2.01 - Taxation of Individuals; verfügbar unter https://books.google.de/).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>189 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="189"/>Nur ergänzend -ohne dass dies streitentscheidend wäre- weist der Senat darauf hin, dass die Gewinnausschüttungen der chinesischen Kapitalgesellschaften des Klägers, die in China nach Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Nr. 7 IITL im Grundsatz beschränkt steuerpflichtig sind, aufgrund einer Verwaltungsregelung von der Quellenbesteuerung i.H. von 20 Prozent (Art. 3 Nr. 5 IITL) befreit wurden (vgl. Art. 2 Nr. 8 Cai Shui Zi [Finanzsteuerregelungen] vom 13.5.1994, No. 20, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 582).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>190 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="190"/>So heißt es auch in den notariell beglaubigten Erläuterungen zu den Ausschüttungen der Werkzeug Ltd. i.H. von 3.325.073,18 Euro für die Jahre 2013 bis 2015 und der Gew Ltd. i.H. von 2.170.880,18 Euro für die Jahre 2014 bis 2016 an den Kläger, dass diese mit Zustimmung der Steuerverwaltung X/ [ ___ ] steuerfrei auf dessen deutsches Konto gezahlt wurden, da diese von einem aus dem Ausland investierten Unternehmen („foreign invested enterprise“) an den Kläger als Ausländer („foreigner“) ausgeschüttet worden seien (BMO, Bl. 1 ff. und Bl. 5 ff. sowie EA I, Bl. 84 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>191 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="191"/>cc) Selbst wenn der Kläger aber in China aufgrund einer persönlich unbeschränkten Steuerpflicht besteuert werden würde und damit -neben Deutschland- auch in China ansässig wäre, würde er nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China nur als in Deutschland ansässig gelten, denn er hat den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>192 </td></tr></table></td><td><table class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="192"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Ist nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt nach Art. 4 Abs. 2 DBA-China das Folgende:</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">„a) Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">b) kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">c) hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der beiden Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist;</td></tr></table> </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top">        </td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">d) ist die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keiner der Staaten, so regeln die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Frage in gegenseitigem Einvernehmen.“</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>193 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="193"/>Die Kriterien in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a bis d DBA-China sind der Reihenfolge nach zu prüfen. Die Prüfung des nächsten Buchstabens kommt lediglich in Betracht, wenn der vorhergehende nicht zu einer Entscheidung über die abkommensrechtliche Ansässigkeit geführt hat. Die Kriterien sind abkommensrechtlich auszulegen und nicht nach dem jeweiligen nationalen Steuerrecht, was einen Unterschied im Vergleich zu Art. 4 Abs. 1 DBA-China darstellt (Pfaar/Hackemann in Wassermeyer, DBA-China, Stand Oktober 2016, Art. 4 Rn. 23; Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 170). Während die Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 DBA-China die Abkommensberechtigung begründet, konkretisiert Art. 4 Abs. 2 DBA-China die Rechtsfolgen der Abkommensberechtigung. Er bestimmt, welcher der beiden Vertragsstaaten die nach seinem innerstaatlichen Recht in seinem Gebiet ansässige natürliche Person als Ansässigkeitsstaat und welcher der beiden sie als Quellenstaat besteuern darf (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 168).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>194 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="194"/>Die für Art. 4 DBA-China maßgebenden Kriterien müssen grundsätzlich während desjenigen Zeitabschnitts gegeben sein, um dessen Besteuerung es sich handelt. Dies gilt z.B. für die Frage, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für Zwecke der Bestimmung des Gesamtbilds nicht auch ein längerer Betrachtungszeitraum angezeigt sein kann, d.h. insbesondere die Entwicklung der hierbei zu berücksichtigenden persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen einzubeziehen sein kann. Auch soweit es darauf ankommt, wo sich der Steuerpflichtige gewöhnlich aufhält, kann ebenso die Berücksichtigung eines darüber hinausreichenden Zeitabschnitts geboten sein (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 172). Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass sich die Umstände während des Betrachtungszeitraums nicht wesentlich verändert haben (Art. 4 Nr. 19.1 Musterkommentar der OECD zum DBA-Musterabkommen 2017 -MK-).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>195 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="195"/>(a) Der Kläger verfügt sowohl in Deutschland als auch in China über eine ständige Wohnstätte im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-China.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>196 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="196"/>Der Ausdruck ständige Wohnstätte ist ein abkommensrechtlicher Begriff, der autonom entsprechend seiner gewöhnlichen Bedeutung auszulegen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Funktion des Art. 4 Abs. 2 DBA-China als sog. Tie-Breaker-Rule bei doppelansässigen natürlichen Personen nur durch eine einheitliche Auslegung der maßgeblichen Begrifflichkeiten sichergestellt werden kann. Daher sind die Ausdrücke ständige Wohnstätte und Wohnsitz im Sinne des § 8 AO nicht deckungsgleich. Zwar setzen sowohl die ständige Wohnstätte als auch der Wohnsitz zum Wohnen geeignete Räume voraus, die der potentiell ansässigen natürlichen Person zur Verfügung stehen. Der Ausdruck ständige Wohnstätte bringt jedoch die subjektive Bestimmung der in ihr wohnenden natürlichen Person zum Ausdruck, die Stätte zum ständigen und nicht nur zu einem gelegentlichen Wohnen nutzen zu wollen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 53).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>197 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="197"/>Als Wohnstätte qualifizieren zunächst alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Dabei kommt jede Form einer Wohnstätte in Betracht, also sowohl die eigene als auch die gemietete Wohnung (bzw. das Haus) oder auch nur gemietete möblierte Zimmer. Ein qualitativer Mindeststandard ist insofern nicht erforderlich (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 54 m.w.N.). Über diese muss die natürliche Person verfügen. Sie muss die tatsächliche, nicht notwendigerweise auch die rechtliche Verfügungsmacht über die Wohnstätte innehaben (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 60 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>198 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="198"/>Neben diesen objektiven Voraussetzungen wird der Begriff zudem durch ein subjektives qualitatives Element geprägt. Zum einen muss die Person daher Vorkehrungen dafür getroffen haben, dass ihr die Wohnstätte jederzeit und nicht nur gelegentlich zur Verfügung steht. Die Ständigkeit bezieht sich insofern auf das Zur-Verfügung-Stehen und nicht auf die Dauer der tatsächlichen Nutzung. Zum anderen muss die Art und Intensität der Nutzung dergestalt sein, dass sie die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle der Person erscheinen lässt (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 55 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>199 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="199"/>Dabei darf die Frage, ob eine ständige Wohnstätte vorliegt, nicht mit der Frage vermengt werden, wo die natürliche Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat. Eine ständige Wohnstätte setzt gerade nicht voraus, dass sich dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Person befindet. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen gerade beim Vorliegen von zwei ständigen Wohnstätten gem. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a, 2. Halbs. DBA-China den Ausschlag gibt. Wäre er dagegen bereits Voraussetzung für die Annahme einer ständigen Wohnstätte, könnten insofern nie zwei ständige Wohnstätten gleichzeitig bestehen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 55 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>200 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="200"/>Verfügt eine Person über je einen Wohnsitz in beiden Vertragsstaaten, so werden nur ausnahmsweise beide als ständige Wohnstätte beurteilt werden können. In der Regel liegt das Zentrum des eigenen häuslichen Lebens nur bei einem Wohnsitz. Es wird häufig durch den Ort bestimmt, an dem die Familie lebt. Nur bei ledigen Personen kann der Wohnung, von der aus sie ihrer täglichen Arbeit nachgeht, eine ähnliche Bedeutung zukommen. Sind allerdings beide Wohnsitze zum ständigen dortigen Wohnen bestimmt, so kann zwischen ihnen nicht mehr nach der überwiegenden Nutzung zum Wohnen unterschieden werden. Vielmehr hat die natürliche Person in einem solchen Fall zwei ständige Wohnstätten in den Vertragsstaaten (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 57 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>201 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="201"/>Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger sowohl in Deutschland als auch in China eine ständige Wohnstätte.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>202 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="202"/>In beiden Vertragsstaaten hält der Kläger dauerhaft Räumlichkeiten vor, die er jederzeit nutzen kann. Beide Wohngebäude (in X und G bzw. zuvor in H) sind zu einem großen Teil auf seine Bedürfnisse angepasst und stehen in seiner (Mit-)Verfügungsbefugnis. Dass er sich -rein zeitlich- überwiegend in China aufhält, steht dem nicht entgegen. Eine Wohnung wird nämlich nicht durch die intensivere Nutzung, sondern durch die objektiv zu ihr bestehenden persönliche Bindungen zur ständigen Wohnstätte. Zwar weist eine ständige Nutzung indiziell auf die Existenz einer ständigen Wohnstätte hin. Daraus kann jedoch nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass Räumlichkeiten, die seltener genutzt werden, keine ständige Wohnstätte sein könnten (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 59 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>203 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="203"/>Der Kläger hat Bindungen zu beiden Wohnstätten. Auch nutzt er die Wohnung in Deutschland nicht nur gelegentlich, sondern durchschnittlich mehr als ein Viertel des Jahres. Dass er die Wohnstätte in X häufiger nutzt, führt zu keinem anderen Ergebnis, da die Bindungen nach China überwiegend aus beruflichen Notwendigkeiten resultieren. Die familiären Bindungen nach Deutschland zu der Ehefrau und dem minderjährigen leiblichen Sohn K 2 sind dagegen enger, so dass die Aufenthalte im Inland eine höhere Qualität haben.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>204 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="204"/>(b) Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers liegt in Deutschland, da er hier die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>205 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="205"/>Beim Mittelpunkt der Lebensinteressen handelt es sich ebenfalls um einen abkommensrechtlichen Ausdruck. Dies folgt bereits aus der Funktion dieses Begriffs, beim Vorliegen von zwei ständigen Wohnstätten in den Vertragsstaaten einen der beiden zum Ansässigkeitsstaat zu bestimmen. Der Begriff ist somit abkommensautonom auszulegen (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 66 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>206 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="206"/>Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen (BFH- Urteil vom 31.10.1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562, Rn. 13). Unbehelflich sind dagegen die subjektiven Befindlichkeiten des Steuerpflichtigen, und zwar weder, was die Einbeziehung eines Umstandes in die gebotene Gesamtbetrachtung noch was die Bewertung eines einzubeziehenden Umstands im Rahmen der Gesamtbewertung angeht (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 67 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>207 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="207"/>(aa) Die persönlichen Beziehungen umfassen die gesamte private Lebensführung einer natürlichen Person. Dazu gehören familiäre, gesellschaftliche, politische und kulturelle Bindungen. Unter diesen Merkmalen kommt in der Regel der familiären Bindung eine besondere Bedeutung zu (Art. 4 Nr. 15 MK; so auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 23.7.2001 11 K 223/97, juris, bestätigt durch BFH-Beschluss vom 17.7.2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600). Deshalb besteht jedoch keine feste Rangfolge. Eine solche bestimmende allgemeine Rangfolge würde gerade auch der notwendigen zusammenfassenden Wertung zuwiderlaufen (BFH-Beschluss vom 28.11.2007 I B 79/07, juris, Rn. 10). Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, welches Merkmal für die Person die vorrangige Bindungswirkung hat (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 69 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>208 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="208"/>Die wirtschaftlichen Beziehungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten, Einnahmequellen und Vermögensgegenständen aus (BFH-Urteil vom 31.10.1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562, Rn. 13). Dazu gehören auch die Orte sowohl der regelmäßigen als auch der nur gelegentlichen Berufsausübung. Den genannten Merkmalen kann im Einzelfall unterschiedliche Bedeutung zukommen, ohne dass deshalb zwischen ihnen eine feste Rangfolge bestünde. Es sind auch die finanziellen Interessen zu berücksichtigen. Allerdings können der Ort der Belegenheit von Vermögen und der Ort seiner Verwaltung auseinanderfallen, ohne dass von vornherein gesagt werden kann, welchem die größere Bedeutung beizumessen ist. Dies kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 70 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>209 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="209"/>Persönliche und wirtschaftlich Beziehungen müssen nicht kumulativ vorliegen. Sie bilden nur differenzierte Prüfungskriterien. Bestehen zum Beispiel die engeren persönlichen Beziehungen zu einem Vertragsstaat, die engeren wirtschaftlichen dagegen zum anderen, kommt es darauf an, welcher der beiden Orte für den Steuerpflichtigen der bedeutungsvollere ist (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 195 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>210 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="210"/>(bb) Es ist mithin eine alle Einzelumstände (persönliche und wirtschaftliche) in den Blick nehmende zusammenfassende Gesamtwertung durchzuführen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>211 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="211"/>Danach bestehen die stärkeren persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>212 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="212"/>Hier lebt seine Ehefrau, von welcher der Kläger -entgegen seinem Vortrag-- wie bereits ausgeführt, familienrechtlich nicht getrennt ist. Die eheliche Lebensgemeinschaft besteht trotz der beruflichen bedingten räumlichen Trennung fort. Die Eheleute begehen die wichtigen Feste zusammen und verbringen die Ferienzeit der Kinder entweder in China oder in Deutschland. Sie entscheiden über größere Anschaffungen -wie den Hausbau in H und G- gemeinsam und erwerben jeweils gemeinsames Eigentum.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>213 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="213"/>Der minderjährige Sohn K 2 besuchte in den Streitjahren die Schule in Deutschland. Auch aufgrund des engen Bandes zu seinem einzigen leiblichen Sohn, schafft dies aus Sicht des Senats einen persönlichen Schwerpunkt des Klägers in Deutschland. Dem steht nicht entgegen, dass sich sein Stiefsohn K 1 von 2013 bis 2017 in X aufhielt und dort die Deutsche Schule besuchte. Denn erstens ist K 1 nicht sein leiblicher Sohn und zweitens kehrte dieser nach Abschluss der Schule in X im Jahr 2017 unmittelbar nach Deutschland zurück, um Informatik und Wirtschaftspsychologie in S zu studieren. Auch sein leiblicher Sohn K 2, der von 2019 die Deutsche Schule in X besuchte, möchte nach seinem [ ___ ] bestandenen Abitur in Deutschland studieren.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>214 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="214"/>Der Lebensmittelpunkt des Klägers liegt nicht etwa deshalb in China, weil seine Eltern und der Bruder mit seiner Familie dort leben. Die familiäre Bindung gegenüber den Eltern und Geschwistern ist -nach der Lebenserfahrung- nicht annährend so stark ausgeprägt, wie die zu der Ehefrau und den leiblichen, insbesondere minderjährigen Kindern, die noch einen größeren Fürsorge beider Eltern bedürfen (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 11.3.2009  4 K 251/09, rkr., EFG 2009, 904 und Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 71). Der Kläger trägt im Übrigen alle wesentlichen Aufwendungen, die das Leben der Familie in Deutschland ermöglichen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>215 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="215"/>Überdies unterhält der Kläger freundschaftliche Beziehungen zu Personen in Deutschland, die er seit seiner Studienzeit kennt. Zu nennen ist z.B. ein [ ___ ] (Geschäftsführer der Werk-P. GmbH; vgl. Anlage K5a zum Schriftsatz vom 11.4.2021, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 173), der laut den Ausführungen des Klägers auch heute noch einer seiner besten Geschäftspartner ist und den er seit Abschluss seines Studiums in G seit etwa 20 Jahren gut kennt. Zahlreiche Arztbesuche in Deutschland zeugen des Weiteren davon, dass der Kläger dem deutschen Gesundheitssystem und den ihm bekannten Ärzte vertraut und hier verankert ist (BMO, Bl. 154 ff.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>216 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="216"/>Der Kläger bezeichnet seine Wohnstätte in Deutschland selbst als Rückzugsort im Falle einer Krise der Politik in China. Damit wird deutlich, dass Deutschland auch gesellschaftlich und politisch ganz offenkundig seine Heimat ist. Nicht zuletzt zeigt sich die kulturelle Beziehung des Klägers zu Deutschland daran, dass er K 1 und K 2 zwar jeweils etwa vier bzw. drei Jahre die Schule in China besuchen lässt, aber dort die Deutsche Schule auswählt, damit die Kinder einen deutschen Schulabschluss erhalten. So heißt es auch auf der Homepage der Deutschen Schule X: „… im Fokus: ein guter Anschluss aus und in das deutsche Bildungssystem (abrufbar unter [ ___ ]<span style="text-decoration:underline">,</span> zuletzt eingesehen am 20.5.2022).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>217 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="217"/>Selbst im Ausland greift der Kläger soweit wie möglich auf deutsches Know-how und deutsche Firmen zurück. So ließ er seine Villa in X von der Firma Möbel K GmbH, O / Deutschland einrichten, welche die Einrichtungsgegenstände in einem logistischen Kraftakt eigens von Deutschland nach China verbrachte, worüber sogar die örtliche Presse berichtete ([ ___ ], Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 77). Zwar liegt dieses Ereignis außerhalb des Streitzeitraums, dennoch beruft sich der Kläger in seinen Schriftsätzen im Streitfall selbst darauf, leitet lediglich gegenteilige Schlüsse daraus ab. Sein Fuhrpark besteht ausschließlich aus Fahrzeugen deutscher Produktion (Mercedes, Maybach und BMW).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>218 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="218"/>(cc) Die wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers bestehen in gleichem Maße sowohl zu Deutschland als auch zu China. Ein Überwiegen der wirtschaftlichen Bindungen zu China -wie der Kläger vorträgt- kann der Senat in einer Gesamtschau nicht feststellen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>219 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="219"/>Zwar hat der Kläger seit dem Jahr 2001 ein Firmengeflecht in X und auch in Taiwan aufgebaut, dass nach der Anzahl der Mitarbeiter und wohl auch nach der Gewinn- und Vermögenssituation (obwohl der Kläger zu letzteren keine konkreten Angaben macht) die deutschen Firmen des Klägers übertrifft. Nichtsdestotrotz sind die deutschen Firmen des Klägers von großer strategischer Bedeutung. So ist insbesondere die M GmbH für deutsche Firmen, die den Eintritt in den chinesischen Markt anstreben, die erste Anlaufstelle. Damit wird auch auf der Homepage der M GmbH geworben, wenn es heißt, dass durch den Standort in Deutschland ein Service in Kundennähe angeboten werde und man zu den üblichen Arbeitszeiten immer erreichbar sei. Von Deutschland aus bestehe der Zugriff auf die wichtigsten Industrieregionen Deutschlands. Man baue Unternehmen in Deutschland eine Brücke nach China.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>220 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="220"/>Der Kläger vertritt überdies ausschließlich deutsche Firmen im Ausland. Deshalb ist es auch die Aufgabe der M GmbH, Maschinen-, Ersatzteil- und Werkzeugbeschaffungen für den chinesischen Markt zu organisieren (EA II, Bl. 401). Die Werkzeug GmbH hat die Aufgabe, den Vertrieb der in China produzierten Werkzeuge im Wesentlichen auf dem deutschen Markt sicherzustellen (EA II, Bl. 402 f.). Die Bedeutung sowohl der M GmbH als auch der Werkzeug GmbH für die Firmengruppe belegen nicht zuletzt die hohen Ausgangsumsätze, die diese Firmen tätigen (Werkzeug GmbH jährlich ansteigend mit 1,86 Mio. Euro in 2018 und M GmbH mit durchschnittlich 3,27 Mio. Euro pro Jahr; vgl. Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 593 f.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>221 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="221"/>Aufgrund dieser zentralen Funktionen liegen deshalb Steuerung und Kontrolle seiner inländischen Unternehmen nicht ohne Grund in der Familie. Fremdgeschäftsführer blieben nur für eine relativ kurze Zeit (max. etwa zwei Jahre). Obwohl die Ehefrau jeweils die Geschäftsführung innehat, hat der Kläger seinen Zugriff auf die deutschen Firmen nicht aufgegeben. Die Geschäftsführung stimmte sich mit ihm ein- bis zweimal die Woche über unternehmerische Entscheidungen ab (EA II, Bl. 402 und Bl. 412). Mit seiner Beteiligung von jeweils 90 Prozent kann er überdies als Mehrheitsgesellschafter über seine Weisungsbefugnis (vgl. § 37 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung -GmbHG-) seine unternehmerischen Vorstellungen hinsichtlich der laufenden Geschäftsführung und auch Satzungsänderungen mangels Sperrminorität der Ehefrau (vgl. § 53 Abs. 2 GmbHG) allein durchsetzen. Auch steht ihm die Verfügungsbefugnis über die Konten der M GmbH und der Werkzeug GmbH zu (Auskunft der BaFin vom 11.3.2019, EA II, Bl. 12 ff., 40 und 71 f.; Nachträgliche Vereinbarung mit der Bank II vom 24.10.2013, EA II, Bl. 70). Wirtschaftliche Berechtigte über das Konto der M GmbH ist die Ehefrau (EA II, Bl. 13) und hinsichtlich des Kontos des Werkzeug GmbH der Kläger (EA II, Bl. 12).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>222 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="222"/>In den Streitjahren hat der Kläger zudem nicht nur seine wirtschaftlichen Aktivitäten in China, sondern auch in Deutschland erweitert. So war die M GmbH von Oktober 2015 bis Juli 2018 an einer Werkmaschinen GmbH & Co. KG, Deutschland -einer europaweiten Einkaufsgesellschaft- mit einer Einlage i.H. von 60.000 Euro beteiligt (Auszug aus dem Handelsregister des AG [ ___ ]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>223 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="223"/>Wenn seine chinesischen Firmen Finanzmittel benötigen, greift der Kläger nachweislich auf sein Vermögen und seine Firmen in Deutschland zurück. So nahm die M GmbH mit Vertrag vom 26.4.2018 bei der Bank II ein Darlehen i.H. von 3,5 Mio. Euro auf. Besichert wurde das Darlehen durch eine auf dem Grundstück [ ___ ] Straße Y in G eingetragene Grundschuld i.H. von 3,5 Mio. Euro, welche die Eheleute am 26.3.2018 gemeinsam bewilligten (Zweckerklärung vom 26.4.2018, sog. Sicherungsabrede, EA II, Bl. 140 f.). Die Darlehensvaluta wurde sodann mit Wertstellung am 16.5.2018 als Überweisungsgutschrift der M GmbH auf dem Privatgirokonto Nr.  xxxxx des Klägers gutgeschrieben (BMO, Bl. 32). Von dort tätigte der Kläger am 16.5.2018 und 12.6.2018 jeweils Überweisungen i.H. von 1.000.151,50 Euro, die als Investment bezeichnet wurden, sowie am 13.6.2018 i.H. von 627.955,53 Euro und am 9.8.2018 i.H. von 500.151,50 Euro an seine chinesische Firmengruppe (z.B. an die Gew Ltd.; vgl. Kontoauszüge des Klägers, BMO, Bl. 32 ff.). Nach den Angaben des Klägers diente das Darlehen zur Finanzierung eines „Großprojekts“ in China (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 31.5.2022, S. 2 und Niederschrift zum Erörterungstermin vom 1.6.2022, S. 3, Gerichtsakte zu 1 V 2435/21, Bl. 569 und Bl. 587).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>224 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="224"/>Die Gewinnausschüttungen seiner chinesischen Gesellschaften und jeglichen Zahlungsverkehr wickelte der Kläger über sein inländisches Privatgirokonto Nr.  xxxxx bei der Bank I ab. Das Konto wurde vom Kläger am 29.11.1991 [ ___ ] eröffnet (EA II, Bl. 31). Mit Vertrag vom 15.5.2012 wurde dessen Betreuung durch Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Kläger von der Bank II übernommen. Als Anschrift des Klägers war der [ ___ ]-weg x in H angegeben (EA II, Bl. 96 und Bl. 247). Im Rahmen einer Plausibilisierungsaktion 2014 („Status Ausländer“) bei der Bank II wurde die Anschrift vom zuständigen Berater, einem BR, auf die Ladungsanschrift des Klägers in China geändert (vgl. Auskunft vom 7.9.2020, EA II, Bl. 256 und Bl. 258). Am 28.12.2015 verfügte der Kläger gegenüber der Bank II mit der [ ___ ] Straße Y in G für dieses Konto jedoch eine „besondere Postanschrift“ (EA II, Bl. 260), so dass alle Benachrichtigungen, Abrechnungen und Kontoauszüge seitdem nur noch an die inländische Anschrift versandt werden. Außerdem nutzt der Kläger dieses Konto, um erhebliches Geldvermögen zu deponieren. Am Tag der Durchsuchung wies es ein Guthaben von 3,2 Mio. Euro auf. Insgesamt hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt ein Guthaben i.H. von 3,66 Mio. Euro bei der Bank I (Rb-Akte, Bl. 10).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>225 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="225"/>Auch die Kreditkartenabrechnungen ließ er sich ab April 2013 an seine inländischen Anschriften (zunächst H und ab November 2016 G) senden ([ ___ ] vom 15.8.2019, welche die Kreditkarten von 2011 bis 2018 betreute und bei welcher der Kläger zuletzt als wohnhaft in der [ ___ ] Straße Y in G geführt wurde; EA II, Bl. 14 und EA II, Bl. 148 und Bl. 253). Der Ausgleich der aus dem Einsatz der Kreditkarten resultierenden negativen Salden erfolgte über das Konto des Klägers bei der Bank I (Nr. xxxxx; vgl. Kreditkartenvertrag vom 25.1.2005, EA II, Bl. 276).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>226 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="226"/>(dd) In einer zusammenfassenden Wertung zeigt sich damit, dass in Deutschland und China zumindest gleichwertige wirtschaftliche (einschließlich der finanziellen) Beziehungen des Klägers bestehen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>227 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="227"/>Da die persönlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland überwiegen und die wirtschaftlichen Beziehungen in Deutschland und China in gleichem Maße ausgeprägt sind, überwiegen in einer Gesamtschau die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers in Deutschland, so dass hier der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liegt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>228 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="228"/>(c) Selbst wenn sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht feststellen ließe --was der Senat nur hilfsweise unterstellt-, hätte der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt sowohl in Deutschland als auch in China, so dass er aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit auch in diesem Fall als in Deutschland ansässig gelten würde (Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>229 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="229"/>Für die Auslegung des Terminus des gewöhnlichen Aufenthalts ergibt sich aus seiner Funktion, den -anders nicht zu bestimmenden- Mittelpunkt der Lebensinteressen zu konkretisieren, dass ein Aufenthalt in dem Maße gewöhnlich ist, in dem er der Verwirklichung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen dient (Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 204). Aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China folgt, dass eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt auch in beiden oder in keinem der beiden Vertragsstaaten haben kann. Insofern darf also nicht eine isolierende Gewichtung nur der Aufenthaltszeiten in den beiden Vertragsstaaten erfolgen. Vielmehr muss auch die qualitative Komponente des gewöhnlichen Aufenthalts geprüft werden (Art. 4 Nr. 19 MK; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, OECD-MA 2017, Stand Januar 2022, Art. 4 Rn. 75 m.w.N.; Ismer/Blank in Vogel/Lehner, DBA, 7. Aufl., 2021, Art. 4 Rn. 204; Frotscher in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., 2016, Art. 4 Rn. 112 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>230 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="230"/>Selbst wenn daher -entgegen der obigen Darstellungen- kein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland angenommen werden könnte, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers zu Deutschland und China insgesamt als gleichwertig anzusehen wären, wäre bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts dennoch zu berücksichtigen, dass der Kläger qualitative Anknüpfungspunkte sowohl zu Deutschland als auch China hat. Zwar hält sich der Kläger berufsbedingt öfters in China auf. Dennoch beträgt seine Aufenthaltszeit in Deutschland im Durchschnitt fast ein Drittel der Aufenthaltszeiten in beiden Ländern. Aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts seiner Ehefrau und seines (in den Streitjahren) minderjährigen, leiblichen Kindes im Inland, wird das zeitmäßige Überwiegen der chinesischen Aufenthalte durch die Qualität der inländischen Kontakte bei seinen Aufenthalten in Deutschland zumindest aufgewogen.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>231 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="231"/>Selbst wenn also aufgrund einer alternativen Prüfung ein Lebensmittelpunkt nicht festzustellen wäre, würde der Kläger im Streitfall -aufgrund des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland und China- aufgrund seiner seit 2003 bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c DBA-China in Deutschland ansässig sein.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>232 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="232"/>Daher ist der Kläger auf jeden Fall (unter mehreren abkommensrechtlichen Gesichtspunkten) im Inland und nicht in China ansässig.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>233 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="233"/>d) Das Besteuerungsrecht für die Gewinnausschüttungen der chinesischen Ltd.‘s steht Deutschland zu.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>234 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="234"/>Nach Art. 10 Abs. 1 DBA-China können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft (China) an eine im anderen Vertragsstaat (Deutschland) ansässige Person zahlt, im anderen Staat (Deutschland) besteuert werden (sog. Verteilungsnorm).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>235 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="235"/>Der verwendete Ausdruck „Dividenden“ bedeutet Einkünfte aus Gesellschaftsanteilen oder anderen Rechten -ausgenommen Forderungen- mit Gewinnbeteiligung oder sonstige Einkünfte, die nach dem Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, den Einkünften aus Gesellschaftsanteilen steuerlich gleichgestellt sind (Art. 10 Abs. 3 DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>236 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="236"/>Dem Ansässigkeitsstaat der die Dividenden zahlenden Gesellschaft steht grundsätzlich ein der Höhe nach begrenzter Quellensteuerabzug zu (Art. 10 Abs. 2 DBA-China).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>237 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="237"/>e) Die Gewinnausschüttungen sind nicht in Deutschland von der Besteuerung freigestellt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>238 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="238"/>Nach Art. 24 Abs. 2 DBA-China (<em>Art. 23 Abs. 2 DBA-China</em>) wird eine mögliche Doppelbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt vermieden (sog. Methodenartikel).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>239 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="239"/>Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer werden grundsätzlich die Einkünfte aus China sowie die in China gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in China besteuert werden können (sog. Freistellungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-China</em>).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>240 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="240"/>Für Einkünfte aus Dividenden gilt die vorstehende Bestimmung aber nur dann, wenn Dividenden an eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft von einer in China ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 Prozent (<em>25 Prozent</em>) unmittelbar der deutschen Gesellschaft zuzuordnen ist (sog. Schachtelprivileg; Art. 24 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Abs. 2 DBA-China]</em>).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>241 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="241"/>In den übrigen Fällen, d.h. bei Zahlung einer Dividende an eine natürliche Person, wird die nach chinesischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gezahlte ausländische Steuer auf die deutsche Steuer unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts angerechnet (sog. Anrechnungsmethode; Art. 24 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. bb DBA-China [<em>Art. 23 Abs. 2 Buchst. b (i) DBA-China</em>]).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>242 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="242"/>Da China vorliegend von seinen Quellensteuerrecht aus Gründen der Ansiedlung von ausländisch investierten Gesellschaften keinen Gebrauch gemacht hat, scheidet eine Anrechnung, die nach deutschen Steuerrecht auf der Grundlage von § 32d Abs. 5 EStG durchzuführen wäre, aus.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>243 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="243"/>4. Der mit Bescheid vom 28.6.2021 festgesetzte Verspätungszuschlag für 2018 i.H. von 25.000 Euro ist nicht zu beanstanden.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>244 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="244"/>a) Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 AO kann gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Abweichend davon ist ein Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs abgegeben wurde (§ 152 Abs. 2 Nr. 1 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>245 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="245"/>Für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen, beträgt der Verspätungszuschlag für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 Prozent der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25 Euro für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung (§ 152 Abs. 5 Satz 2 AO). Auf ein Verschulden kommt es nach der Gesetzesbegründung nicht an. Da § 152 Abs. 2 AO eine gegenüber § 152 Abs. 1 AO selbständige Sonderregelung trifft, ist die Verschuldensregelung des § 152 Abs. 1 Satz 2 AO nicht anwendbar (Bundestags-Drucksache 18/7457, S. 80; Schober in Gosch, AO, Stand 1.6.2021, § 152 Rn. 41).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>246 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="246"/>Bei Nichtabgabe der Steuererklärung ist der Verspätungszuschlag für einen Zeitraum bis zum Ablauf desjenigen Tages zu berechnen, an dem die erstmalige Festsetzung der Steuer wirksam wird (§ 152 Abs. 9 Satz 1 AO). Der Verspätungszuschlag ist auf volle Euro abzurunden und darf höchstens 25.000 Euro betragen (§ 152 Abs. 10 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>247 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="247"/>§ 152 AO in der am 1.1.2017 geltenden Fassung ist erstmals auf Steuererklärungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 einzureichen sind (Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 EGAO). Dies sind Steuererklärungen für Veranlagungszeiträume ab einschließlich 2018, da diese nach § 149 Abs. 2 AO zum 31.7.2019 bzw. --bei beratenen Steuerpflichtigen- nach § 149 Abs. 3 AO zum 2.3.2020 einzureichen sind (Rätke in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 152 Rn. 2).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>248 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="248"/>b) Auf dieser Grundlage hat das FA zutreffend einen Verspätungszuschlag für 2018 i.H. von 25.000 Euro festgesetzt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>249 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="249"/>Der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung für 2018 nicht bis zum 2.3.2020 abgegeben. Hierzu war er nach § 25 Abs. 1 und Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG verpflichtet. Die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung bleibt auch dann bestehen, wenn die Finanzbehörde -so wie vorliegend- die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO geschätzt hat (§ 149 Abs. 1 Satz 4 AO).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>250 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="250"/>Abzüglich der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge wurde mit Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 28.6.2021 eine Steuer i.H. von 827.328 Euro (863.400 Euro ./. Steuerabzug vom Lohn der Ehefrau i.H. von 36.072 Euro) festgesetzt. Daher beträgt der maßgebliche Zeitraum 16 Monate (März 2020 bis Juni 2021). Der sich daraus errechnende Verspätungszuschlag von 33.093,12 Euro (827.328 Euro x 0,25 Prozent x 16 Monate) ist auf den gesetzlichen Höchstbetrag von 25.000 Euro begrenzt.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>251 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="251"/>Der Kläger durfte nicht im Sinne von § 152 Abs. 5 Satz 3 AO davon ausgehen, dass er keine Steuererklärung abzugeben hatte. Zwar teilt das FA mit Schreiben vom 5.7.2010 mit, dass er nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig sei. Darauf durfte er aber nicht vertrauen, denn er behauptete wahrheitswidrig gegenüber dem FA von seiner Ehefrau getrennt zu sein und fast ausschließlich in China zu leben. Vor dem Hintergrund der von Rechtsanwalt R im August 2017 eingeholten Rechtsauskunft und den weiteren oben genannten Tatumständen ergibt sich vielmehr, dass die Eheleute familienrechtlich nicht getrennt sind und sich der Kläger nur aus beruflichen Gründen in China aufhält. Auch der Erwerb des gemeinsamen Grundstücks in G, die „Millionen-Investition“ in das dort errichtete Gebäude sowie sein weiterhin bestehendes erhebliches wirtschaftliches und finanzielles Engagement in Deutschland zeigen, dass der Kläger hier -anders als er ausführt-- unbeschränkt steuerpflichtig und auch ansässig ist. Den daraus resultierenden Steueranspruch kannte der Kläger dem Grunde und der Höhe nach oder hielt ihn zumindest für möglich und wollte ihn durch die Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Streitjahre verkürzen (Jäger in Klein, AO, 14. Aufl., 2018, § 370 Rn. 171 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>252 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="252"/>Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger (zumal nur für die Jahre 2012 bis 2016) hindert den Senat nicht an diesen Feststellungen, denn die Einstellungsverfügung entfaltet keine Bindungswirkung für das finanzgerichtliche Verfahren. Vielmehr haben die Finanzgerichte selbständig und aufgrund freier Beweiswürdigung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 155 Satz 1 i.V.m. § 286 Abs. 1 ZPO). Sie sind selbst an Feststellungen in einem Strafurteil nicht gebunden (Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl., 2019, § 81 Rn. 11 m.w.N.). Diese fehlende Bindungswirkung gilt umso mehr für Feststellungen in einer Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, denn ihr kommt keinerlei Rechtskraftwirkung zu. Das Ermittlungsverfahren kann jederzeit wieder aufgenommen werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 28.2.2012 VI ZR 79/11, NJW 2012, 1659, Rn. 12; Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., 2019, § 170 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>253 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="253"/>5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. FGO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>254 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="254"/>Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Maß des Unterliegens bzw. Obsiegens ergibt sich aus dem Unterschied zwischen den Anträgen und dem endgültig Erreichten (BFH-Urteil vom 25.10.1994 VIII R 79/91, BStBl II 1995, 121).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>255 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="255"/>Der Kläger begehrte die Aufhebung der Vollziehung von festgesetzten Beträgen i.H. von 3.063.574,03 Euro und obsiegt i.H. von 208.520 Euro, d.h. i.H. von 6,8 Prozent; überwiegend, d.h. i.H. von 93,2 Prozent obsiegt das FA.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>256 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="256"/>Die Voraussetzungen von § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO liegen nicht vor. Danach können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Ein geringfügiges Unterliegen ist aber nur dann anzunehmen, wenn der andere Teil weniger als 5 Prozent der Kosten zu tragen hat (Ratschow in Gräber, 9. Aufl., 2019, § 136 Rn. 6 m.w.N.).</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>257 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="257"/>6. Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Revisionsgründe im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich sind.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>258 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="258"/>7. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 ZPO.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>259 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="259"/>8. Aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Streitfalles wird die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig erklärt. Ein entsprechender Antrag wurde gestellt (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 11.4.2022, S. 1, Gerichtsakte zu 1 K 2898/21, Bl. 46).</td></tr></table> </td></tr></table>
346,553
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22 A 488/20
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-09-14T10:01:34"
"2022-10-17T11:10:07"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0804.22A488.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 120.717,50 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Zur Darlegung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substan‑ ziierter Weise an der Gedankenführung des Verwaltungsgerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 10. Dezember 2018 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage auf dem Grundstück Gemarkung L.         , Flur 2, Flurstück 250 (WEA 3), unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Erteilung der beantragten Genehmigung stehe die Konzentrationszonenplanung der Beigeladenen und das von ihr mit Blick auf die Ausschlusswirkung einer solchen Planung (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB) versagte gemeindliche Einvernehmen nicht entgegen. Sowohl die im Jahr 2002 erfolgte Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen als auch die im Jahr 1998 erfolgte 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans litten jeweils an einem durchgreifenden Bekanntmachungsfehler, weil sie nicht den an die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügten. Das nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Vorhaben sei auch nicht deshalb planungsrechtlich unzulässig, weil die ausreichende Erschließung nicht gesichert sei. Ungeachtet der Frage, ob es sich bei dem hier betroffenen Teilstück des O.-------wegs um eine öffentliche Straße handele, sei die Erschließung jedenfalls durch das der Beigeladenen von der Klägerin unter dem 27. Juni 2017 unterbreitete Erschließungsangebot ausreichend gesichert. Die Beigeladene sei in Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls auch verpflichtet, die Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden Wege durch die Beigeladene zuzulassen. Die Genehmigung sei schließlich nicht aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Diesen im Einzelnen jeweils näher begründeten Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt das Zulassungsvorbringen nichts Erhebliches entgegen, das im vorgenannten Sinne zu ernstlichen Zweifeln an der (Ergebnis-)Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führen könnte.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">a) Entgegen der Annahme der Beigeladenen ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass ihre Flächennutzungsplanung jedenfalls insoweit unwirksam ist, als mit ihr die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeigeführt werden sollen. Sowohl die im Jahr 2002 erfolgte Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen als auch die im Jahr 1998 erfolgte 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans leiden jeweils bereits an einem durchgreifenden Bekanntmachungsfehler. Sie genügen insoweit nicht den an die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">aa) Nach § 6 Abs. 1 BauGB bedarf der Flächennutzungsplan der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ist die Erteilung der Genehmigung ortsüblich bekannt zu machen. Mit dieser Bekanntmachung wird der Flächennutzungsplan nach Satz 2 der Vorschrift wirksam.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB muss geeignet sein, den vom Gesetz geforderten Hinweiszweck (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB) zu erfüllen. Bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, die die Qualität einer Rechtsvorschrift besitzen,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">vgl. nur BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 24, und vom 13. Dezember 2018 ‑ 4 CN 3.18 -, juris Rn. 29, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">ist es aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, dass den Adressaten der Bekanntmachung der räumliche Geltungsbereich dieser Darstellungen hinreichend deutlich gemacht wird. Das ist bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der gesamte Außenbereich der Gemeinde. Dabei reicht es für eine ordnungsgemäße Bekanntmachung der Genehmigung nicht aus, dass sich aus ihr - sei es ausdrücklich oder im Wege der Auslegung - ergibt, der Flächennutzungsplan gelte für das gesamte Gemeindegebiet. Erforderlich ist auch, dass die mit der Ausweisung von Konzentrationszonen einhergehende unmittelbar rechtsverbindliche Ausschlusswirkung für Windenergieanlagen im übrigen Gemeindegebiet und damit das Inkrafttreten neuen Bebauungsrechts bereits in der Bekanntmachung der Genehmigung selbst hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 16 f., und Beschluss vom 17. Februar 2022 ‑ 4 BN 39.21 -, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 10. Mai 2021 ‑ 2 D 100/19.NE -, juris Rn. 55, und vom 21. Januar 2019 - 10 D 23/17.NE -, juris Rn. 57.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Denn ausgehend davon, dass der Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan (§ 1 Abs. 2 BauGB) im Grundsatz keinen förmlichen Normcharakter hat und auch keine für den Einzelnen verbindlichen Regelungen enthält,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 1990 ‑ 4 N 3.88 -, juris Rn. 11 ff., m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">besteht ohne einen zureichenden Hinweis auf die Rechtsqualität für den potenziell betroffenen Normadressaten auch kein Anlass, abweichend vom gesetzlichen Regelfall mit verbindlichen Regelungsinhalten für das gesamte Gemeindegebiet zu rechnen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Geringere Anforderungen an die Bekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ergeben sich - entgegen der Auffassung der Beigeladenen - auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die Offenlagebekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BauGB im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Flächennutzungsplans, der die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für sich in Anspruch nimmt. Danach genüge die Offenlagebekanntmachung den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie hinreichend kenntlich mache, dass die Grenzen des Geltungsbereichs des in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplans mit den Gemeindegrenzen übereinstimmen sollen. Dass und an welcher Stelle Konzentrationszonen dargestellt werden sollen, müsse aus der Bekanntmachung nicht hervorgehen. Wer sich Kenntnis davon verschaffen wolle, ob der Flächennutzungsplan Darstellungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB enthalte, dessen Aufmerksamkeit werde durch den Hinweis auf Ort und Dauer der Auslegung auf die Planunterlagen gelenkt, die insoweit nähere Auskunft gäben. Die Bekanntmachung müsse eine solche Detailinformation nicht vorwegnehmen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 ‑ 4 C 15.01 -, juris Rn. 14 f., und Beschluss vom 17. September 2008 ‑ 4 BN 22.08 -, juris Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen, dass das Bundesverwaltungsgericht an diesen Aussagen für die Anstoßwirkung der öffentlichen Auslegung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht mehr festhält,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 ‑ 4 CN 2.19 -, juris Rn. 21 a. E.,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">kommt eine Übertragung dieser Anforderungen auf die Bekanntmachung der Genehmigung des Flächennutzungsplans wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der Offenlagebekanntmachung nach § 3 Abs. 2 BauGB einerseits und der Schlussbekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB andererseits (erst recht) nicht in Betracht. Während mit ersterer im Sinne einer Anstoßwirkung der interessierte Bürger dazu ermuntert werden soll, sich über die gemeindlichen Planungsabsichten zu informieren und gegebenenfalls mit Anregungen und Bedenken zur Planung beizutragen,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 ‑ 4 C 22.80 -, juris Rn. 19, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">soll letztere in den Fällen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Weise das Inkrafttreten verbindlicher Regelungen erkennbar machen. Hierzu gehört - wie bereits ausgeführt - eine hinreichende Information der Normadressaten über den Geltungsbereich der getroffenen Darstellungen des Flächennutzungsplans und ihren Rechtscharakter. Hierin liegt zugleich der entscheidende Unterschied zwischen der Schlussbekanntmachung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB und der Ersatzverkündung eines Bebauungsplans gemäß § 10 Abs. 3 BauGB, weshalb die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht, wonach die insoweit zu stellenden Anforderungen in der Regel insgesamt geringer seien als die für die Erfüllung der Anstoßfunktion im Sinne des § 3 Abs. 2 BauGB erforderlichen Angaben,</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 ‑ 4 C 22.80 -, juris Rn. 19,</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Konstellation übertragbar ist. Der Bebauungsplan wird als Satzung erlassen (vgl. § 10 Abs. 1 BauGB) und enthält stets für die betroffenen Bürger rechtsverbindliche Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung (vgl. §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Damit kommt ihm ‑ insoweit anders als dem Flächennutzungsplan - ungeachtet seines Regelungsinhalts immer der Charakter einer verbindlichen Rechtsnorm zu, weshalb es eines diesbezüglichen Hinweises in der Schlussbekanntmachung nach § 10 Abs. 3 BauGB nicht bedarf. Eine derartige rechtliche Verbindlichkeit besitzt der Flächennutzungsplan nach der gesetzlichen Grundkonzeption als vorbereitender Bauleitplan aus sich heraus jedoch gerade nicht. Demgemäß müssen die von ihm Betroffenen zwar mit Darstellungen für das ganze Gemeindegebiet rechnen, allerdings regelmäßig nicht auch damit, dass ihnen ausnahmsweise unmittelbare Rechtsnormqualität zukommt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Verwendung des Begriffs der Konzentrationszone ist nicht ausreichend, um auf die angestrebte, den gesamten Außenbereich einer Gemeinde betreffende Wirkung hinzuweisen. Der Begriff mag sich in der Rechts- und Planungspraxis etabliert haben, er ist aber weder Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs, noch verwendet ihn das Gesetz. Mit seiner Verwendung in einer Bekanntmachung wird nicht hinreichend verdeutlicht, dass Anlagen außerhalb dieser Zonen unzulässig sind.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 2.19 -, juris Rn. 13 ff.; OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 133 ff.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">bb) Nach diesen Maßgaben erfüllen weder die Bekanntmachung der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen vom 2. Januar 2003 noch die Bekanntmachung der 28. Änderung ihres früheren Flächennutzungsplans ‑ „Darstellung von Konzentrationszonen für Windenergieanlagen“ - vom 8. Dezember 1998 den mit Blick auf die Rechtswirkungen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vorausgesetzten Hinweiszweck und führen aufgrund dieses Ewigkeitsmangels - vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 und § 215 Abs. 1 BauGB in der zum Zeitpunkt der Bekanntmachungen maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 27. August 1997 (BGBl. I, S. 2141) - insoweit zur Unwirksamkeit der Flächennutzungsplanung.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung der Neuaufstellung vom 2. Januar 2003 enthält keinerlei Hinweis darauf, dass der Flächennutzungsplan Konzentrationszonen für Windenergieanlagen mit Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB umfasst. Namentlich taucht dieser Begriff - entgegen der zumindest erstinstanzlich vertretenen Annahme der Beigeladenen - dort nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Bekanntmachung der 28. Änderung vom 8. Dezember 1998 stellt im als Anlage beigefügten Übersichtsplan nicht den gesamten Außenbereich der Stadt P.    , sondern nur einen Teil - nämlich das Gebiet um Rehringhausen - dar. Unter der Überschrift „Plangebietsbeschreibung“ wird das Plangebiet im Textteil zudem ausdrücklich dahingehend beschrieben, dass dessen Grenzen bzw. „die von der Planung betroffenen Grundstücke in der Nähe der Ortschaften S. und O1.              “ „aus dem der Bekanntmachung als Anlage beigefügten Übersichtsplan ersichtlich“ seien.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2022 - 7 B 304/22.AK -, juris Rn. 29.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">cc) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ferner geklärt, dass die Anforderungen an die Bekanntmachung im Anwendungsbereich von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB nicht deckungsgleich sind. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellt für den Beginn der Antragsfrist maßgeblich auf die Bekanntmachung ab und knüpft diese an den Zeitpunkt, zu dem die unterlandesgesetzliche Norm mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht wird. Die vom Normgeber vorgenommene Handlung muss dabei nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bekanntgabe entsprechen. Ausreichend ist vielmehr, dass den potentiell Antragsbefugten die Möglichkeit eröffnet ist, sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsnorm verlässlich Kenntnis zu verschaffen. Demgegenüber ist nur eine - jedenfalls im Wesentlichen - rechtmäßige Bekanntmachung geeignet, den in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 3 BauGB vorausgesetzten und von § 5 Abs. 5 Satz 1 BauGB angestrebten Hinweiszweck zu erfüllen. Abstriche können lediglich insoweit gemacht werden, als die Wirksamkeit des Flächennutzungsplans nicht schon dann zu verneinen ist, wenn das Verfahren an irgendeinem - noch so kleinen - Bekanntmachungsfehler leidet.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2022 ‑ 4 BN 39.21 -, juris Rn. 4 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund unterschiedlicher Zweckrichtungen bestehen die von der Beigeladenen auf den Seiten 15 f. der Begründung ihres Zulassungsantrags angeführten Widersprüchlichkeiten nicht.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Zusammenhang bereits OVG NRW, Urteil vom 7. März 2019 - 2 D 36/18.NE -, juris Rn. 27 ff.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ob die Flächennutzungsplanung der Beigeladenen an weiteren, ihre Unwirksamkeit begründenden - beachtlichen - Mängeln leidet, bedarf danach keiner Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">b) Ohne Erfolg macht die Beigeladene geltend, die Erschließung der - allein noch in Rede stehenden - Anlage WEA 3 sei entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht gesichert.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht ist - insoweit in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Beteiligten - zunächst davon ausgegangen, dass das Vorhabengrundstück (Gemarkung L.         , Flur 2, Flurstück 250) in tatsächlicher Hinsicht derzeit nicht in ausreichender Weise erschlossen sei, wobei es ausdrücklich offen gelassen hat, ob es sich bei dem zu nutzenden Teilstück des O.-------wegs bereits um eine öffentliche Straße handelt. Es hat das aber unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Urteile vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 -, juris Rn. 40, vom 31. Oktober 1990 - 4 C 45.88 -, juris Rn. 19, und vom 30. August 1985 - 4 C 48.81 -, juris Rn. 20,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">für unschädlich gehalten, weil die Erschließung durch das der Beigeladenen von der Klägerin unter dem 27. Juni 2017 unterbreitete zumutbare Erschließungsangebot im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB ausreichend gesichert und die Beigeladene in Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls auch verpflichtet sei, die Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden Wege zuzulassen. Diese näher begründeten Annahmen hat die Beigeladene mit ihren Darlegungen im Zulassungsverfahren nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">aa) Ausgehend davon, dass der Flächennutzungsplanung mangels einer ordnungsgemäßen Schlussbekanntmachung der Genehmigung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB - wie vorstehend ausgeführt - keine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zukommt, vermag die Beigeladene mit ihrem Verweis, der Vorhabenstandort liege nicht innerhalb einer Konzentrationszone und es sei ihr unzumutbar, entgegen ihren wirksamen Planungsvorstellungen zu handeln, eine fehlende Zumutbarkeit des Erschließungsangebots von vornherein nicht zu begründen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">bb) Ohne Erfolg macht die Beigeladene geltend, ihr sei die Annahme des Erschließungsangebots nicht zumutbar, weil der O    .-------weg nach seiner Zweckbestimmung ausschließlich der Land- und Forstwirtschaft diene; gestützt hierauf sei sie auch berechtigt, dessen Nutzung (ebenso wie die Nutzung des abzweigenden Forstwegs) zur Erschließung der Anlage WEA 3 zu untersagen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beigeladene die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Zweckbestimmung der Wege für die Land- und Forstwirtschaft lasse jedenfalls bei der Errichtung privilegierter Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB die Ersetzungsfunktion nicht entfallen, als nicht tragfähig erachtet, legt sie nicht dar, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. Das Zulassungsvorbringen gibt die diesbezügliche Gedankenführung des Verwaltungsgerichts durch Hervorhebung eines einzelnen Satzes lediglich verkürzt wieder und setzt sich mit dessen rechtlichen Einbettung nicht hinreichend auseinander. Der von der Antragsbegründung in Bezug genommene Satz steht ersichtlich im Kontext mit den sich unmittelbar anschließenden weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Danach sei die Annahme eines Erschließungsangebots regelmäßig zumutbar, wenn ein privilegiertes Vorhaben beantragt sei. Eine Gemeinde habe sich mit der Herstellung einer Erschließung jedenfalls abzufinden, wenn ihr nach dem Ausbau des Weges keine weiteren unwirtschaftlichen Aufwendungen entstünden und ihr die Annahme des Angebots auch nicht aus sonstigen Gründen, z. B. weil der Wegeausbau als solcher gegen öffentliche Belange verstoße, unzumutbar sei. Dass dieser rechtliche, aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">vgl. Urteil vom 30. August 1985 ‑ 4 C 48.81 -, juris Rn. 20,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">abgeleitete Maßstab unzutreffend sein könnte, stellt die Beigeladene nicht mit schlüssigen Argumenten in Frage. Alleine der Hinweis, das Bundesverwaltungsgericht habe in dieser Entscheidung nicht über die hier vorliegende Konstellation entschieden, in der es um die Erschließung eines Vorhabens gehe, das der Zweckbestimmung des Weges von vornherein widerspreche, reicht insoweit nicht aus. Auch die von der Beigeladenen wohl unternommene Binnendifferenzierung zwischen nach § 35 Abs. 1 BauGB gleichermaßen privilegierten Vorhaben überzeugt nicht.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen geht das Zulassungsvorbringen offensichtlich von einer unzutreffenden Zweckbestimmung des hier in Rede stehenden Bereichs des O.-------wegs aus. Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 7. Juli 2020 vorgetragen, dass am Beginn des O.-------wegs , abgehend von der L1.----straße K18, das Zeichen 262 (vgl. Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) mit einer Beschränkung des Gesamtgewichts auf 3,5 t sowie das Zusatzzeichen 1026-38 „Land- und forstwirtsch. Verkehr frei“ (vgl. Teil 7 - Zusatzzeichen nach § 39 Absatz 3 StVO, § 41 Absatz 2 StVO des als Anlage zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung erlassenen Katalogs der Verkehrszeichen) angebracht sei. Diesem Vortrag, der durch die als Anlage K 2 zum Schriftsatz der Klägerin vom 27. März 2019 vorgelegte Fotodokumentation (dort als Punkt 3 bezeichnet) bestätigt wird, ist die Beigeladene nicht entgegengetreten. Durch diese Beschilderung, in der nach den Angaben der Beigeladenen die Zweckbestimmung des O.-------wegs zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Seite 20 der Zulassungsbegründung), wird das Befahren dieses Wegs demnach für alle Kraftfahrzeuge bis zu einem Gesamtgewicht von 3,5 t gestattet, wobei von dieser Gewichtsbeschränkung der land- und forstwirtschaftliche Verkehr durch das Zusatzzeichen 1026-38 ausdrücklich ausgenommen wird (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 3 StVO).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von dieser - nicht lediglich auf den land- und forstwirtschaftlichen Verkehr verengten - Zweckbestimmung des hier in Rede stehenden Teils des O.-------wegs , dem im Übrigen auch die vom Verwaltungsgericht festgestellte tatsächliche Nutzung entspricht, kann der Auffassung der Antragsbegründung, dieser Weg stehe weder rechtlich noch tatsächlich dem allgemeinen Verkehr zur Verfügung, jedenfalls für Kraftfahrzeuge bis zu einem Gesamtgewicht von 3,5 t nicht gefolgt werden. Dass die Beigeladene nach eigenen Angaben diese der Beschilderung entsprechende Nutzung nicht dulden will, erscheint dabei kaum glaubhaft. Nach den vorstehenden Ausführungen soll für die rechtmäßige Inanspruchnahme des O.-------wegs grund‑ sätzlich nicht der damit verfolgte Zweck, sondern allein das Gewicht des Kraftfahrzeugs maßgeblich sein. Fahrzeuge des land- und forstwirtschaftlichen Verkehrs hat die Beigeladene (lediglich) von dem durch das Zeichen 262 zum Ausdruck gebrachten Verbot, den O    .-------weg mit Fahrzeugen mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t zu benutzen, im Wege einer allgemeinen Ausnahme freigestellt, womit sie ersichtlich dem Zweck der Privilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB Rechnung tragen wollte. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beigeladene aus Gründen der Gleichbehandlung bei der Entscheidung über die Zulassung weiterer Ausnahmen gehalten ist, sich ebenfalls an dem Zweck der Privilegierungstatbestände in § 35 Abs. 1 BauGB zu orientieren. Es steht demgemäß nicht in ihrem Belieben, eine Benutzung des O.-------wegs zum Zwecke der Erschließung der Windenergieanlage als einem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich gleichermaßen privilegierten Vorhaben von vornherein auszuschließen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Februar 2008 ‑ 10 A 1060/06 -, juris Rn. 82, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Gründe, die die Inanspruchnahme dieses Wegs entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts als für sie unzumutbar erscheinen lassen könnten bzw. sie berechtigten, der Klägerin den Anliegerverkehr zu ihrem Vorhabengrundstück zu untersagen, hat die Beigeladene (auch) mit ihrer Antragsbegründung nicht geltend gemacht.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Neben dem aus oben genannten Gründen nicht durchgreifenden Verweis auf ihre Flächennutzungsplanung, wendet die Beigeladene ohne Erfolg ein, in den mit den (damaligen) Betreibern der drei bereits vorhandenen Windenergieanlagen abgeschlossenen Verträgen sei die Gestattung der Nutzung des O.-------wegs auf den für die Errichtung der Anlagen erforderlichen Zeitraum begrenzt worden. In diesem Zusammenhang setzt sie sich bereits nicht damit auseinander, dass nach Errichtung der Anlage WEA 3 regelmäßig nur mit einem Anliegerverkehr zu Wartungs- bzw. Reparaturzwecken zu rechnen ist, der üblicherweise mit Kraftfahrzeugen erfolgt, die ein Gesamtgewicht von 3,5 t nicht überschreiten, und eine solche Benutzung des O.-------wegs ‑ wie aufgezeigt - bereits nach dessen derzeitiger Zweckbestimmung ohne Weiteres zulässig ist. Dass ihr eine Benutzung des O.-------wegs während der Betriebsphase - und damit letztlich auch für die WEA 3 hierauf beschränkt - ausnahmsweise auch mit Kraftfahrzeugen, die ein Gesamtgewicht von 3,5 t überschreiten, nicht zumutbar sein soll, ist unter Berücksichtigung des ihr unterbreiteten Erschließungsangebots der Klägerin vor allem mit Blick auf den bereits vom Verwaltungsgericht angesprochenen und von der Beigeladenen im Zulassungsverfahren nicht in Abrede gestellten Zu- und Abgangs(schwerlast)verkehr eines Steinbruchs, der ebenfalls weder dem land- noch dem forstwirtschaftlichen Verkehr zugeordnet werden kann, nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beigeladene weiter geltend macht, für die geplante Windenergieanlage müsste der O.-------weg deutlich ausgebaut und ertüchtigt werden, ist diese nicht näher konkretisierte Behauptung nicht geeignet, die auf der Grundlage einer am 12. Juni 2019 durchgeführten Inaugenscheinnahme der örtlichen Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der O.-------weg sei relativ gut ausgebaut, so dass nur wenige Ertüchtigungs- und Ausbaumaßnahmen erforderlich seien, begründet in Zweifel zu ziehen. Entsprechendes gilt für den auf den O.        ‑ weg bezogenen Vortrag, es seien stark einschneidend wirkende Rodungsmaßnahmen erforderlich. Hinsichtlich des Einwands, der Wirtschaftsweg (gemeint: O.        ‑ weg) werde bei der Errichtung und der Wartung der Anlage WEA 3 wegen der im Vergleich zu den drei Bestandsanlagen größeren Komponenten deutlich stärkeren Belastungen ausgesetzt sein, hat bereits das Verwaltungsgericht diese Argumentation als nicht überzeugend angesehen und auf den Zu- und Abgangs(schwerlast)‑ verkehr eines Steinbruchs hingewiesen. Auf diesen ohne Weiteres nachvollziehbaren Vergleich geht das Zulassungsvorbringen nicht ein. Hinzu tritt, dass gemäß § 2 Abs. 8 des der Beigeladenen vorgelegten Vertragsentwurfs der Nutzer, d. h. die Klägerin, zur unverzüglichen Beseitigung sämtlicher Schäden, die er oder von ihm Beauftragte während der gesamten Vertragslaufzeit an den Wegen verursachen, verpflichtet und der Eigentümer, d. h. die Beigeladene, berechtigt ist, nach fruchtlosem Ablauf einer dem Nutzer gesetzten angemessenen Frist zur Schadensbeseitigung die Schäden auf Kosten des Nutzers zu beseitigen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Mit ihren auf den vom O.-------weg abzweigenden Forstweg bezogenen Rügen weckt die Beigeladene desgleichen keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts, dem Erschließungsangebot der Klägerin komme auch insoweit eine Ersetzungsfunktion zu bzw. die Beigeladene sei auf Dauer rechtlich gehindert, den Anliegerverkehr zu dem Vorhabengrundstück zu untersagen. Zunächst trifft die Behauptung, das Verwaltungsgericht habe den Forstweg überhaupt nicht in seine Betrachtung einbezogen, nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat den Forstweg auf Seite 23 des Urteilsabdrucks ausdrücklich benannt und ihn (ebenso wie den O.        ‑ weg) als relativ gut ausgebaut bewertet, so dass nur wenige Ertüchtigungs- und Ausbaumaßnahmen für die Errichtung der WEA 3 erforderlich seien. Auch bei seiner Subsumtion auf Seite 25 des Urteilsabdrucks hat das Verwaltungsgericht den Forstweg nicht ausgeblendet, sondern durch die Verwendung des Plurals in dem Satz „Die Erschließung der WEA 3 führt weitgehend über die vorhandenen städtischen Wege, die aber ausgebaut und ertüchtigt werden müssen.“ erkennbar in seine Entscheidungsfindung einbezogen. Dass das Verwaltungsgericht in Bezug auf die im Eigentum der Beigeladenen stehenden und damit hier allein maßgeblichen Grundstücke, über die das für die Erschließung der Anlage WEA 3 benötigte Teilstück des Forstwegs verläuft, von unzutreffenden tatsächlichen Annahmen ausgegangen sein bzw. diese nicht richtig gewürdigt haben könnte, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Sofern die Beigeladene einwendet, es müsste auf über 200 m Länge ein bislang unbefestigter Forstweg (abzweigend vom O.-------weg ) durch ein bestehendes Waldgebiet neu angelegt werden, vermag der Senat einen Widerspruch zu der vorgenannten Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu erkennen. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beigeladenen ist in dem in Rede stehenden Bereich eine - wenn auch schmale und unbefestigte - Zuwegung vorhanden, die zudem als Wanderweg genutzt wird. Dies wird sowohl durch die von der Klägerin als Anlage K 2 zum Schriftsatz vom 27. März 2019 eingereichten Lichtbilder (Punkte 11 bis 15) als auch die im Internet verfügbaren Luftbilder (Internetangebot des Landes Nordrhein-Westfalen für amtliche Karten und sonstige amtliche Daten (TIM-online); Google Maps) bestätigt, auf denen ein mindestens drei Meter (Messung des Senats mit TIM‑online) breiter geschotterter Weg zu erkennen ist. Mit Blick hierauf bestehen zwischen dem vom Verwaltungsgericht verwendeten Begriff „Ausbaumaßnahmen“ und den von der Beigeladenen gebrauchten Begriffen „Neubau“/„Neuanlage“ hinsichtlich des vom O.-------weg unmittelbar abzweigenden ersten Teilstücks des Forstwegs lediglich semantische Unterschiede. Sollte sich das vorgenannte Zulassungsvorbringen bzw. die Aussage auf Seite 24 der Antragsbegründung, es müsste ein über 200 m langer Erschließungsweg in einem dichten Waldgebiet neu angelegt werden, auf die unmittelbar zum Vorhabengrundstück hinführende, nach den von der Klägerin eingereichten Antragsunterlagen (Beiakte Heft 2, Register 5 „Karten und Pläne“) neu anzulegende Zuwegung beziehen, betrifft dies das Vorhabengrundstück und kein im Eigentum der Beigeladenen stehendes Grundstück. Das Verwaltungsgericht hat - insoweit von der Beigeladenen unbeanstandet - im Tatbestand des angegriffenen Urteils ausgeführt, dass die Zufahrt zur Anlage WEA 3 über nicht befestigte Forstwege, die anfangs auf städtischen Grundstücken und später auf Grundstücken der Waldgenossenschaft S. angelegt seien, führen solle. Ausgehend von den im Erschließungsangebot der Klägerin vom 27. Juni 2017 aufgeführten Grundstücken, der als Anlage 2 beigefügten Übersichtskarte und der vorgesehenen Zuwegung zum Vorhabenstandort befindet sich allein das erste Teilstück des vom O.-------weg abzweigenden Forstwegs (Gemarkung L.         , Flur 1, Flurstück 99) im Eigentum der Beigeladenen. Nach etwa 160 m (Messung des Senats mit TIM-online) soll der Vorhabenstandort der Anlage WEA 3 über eine von diesem Forstweg nach Osten abzweigende Zuwegung erschlossen werden. Die Grundstücke dieser weiteren Zuwegung (Gemarkung L.         , Flur 1, Flurstücke 105, 278, 250) stehen mit Ausnahme eines etwa sechs Meter (Messung des Senats mit TIM-online) breiten Teilstücks (Gemarkung L.         , Flur 1, Flurstück 190) indes nicht im Eigentum der Beigeladenen und sind daher auch nicht Bestandteil des an sie gerichteten Erschließungsangebots. Dass auf den im Eigentum der Beigeladenen stehenden Teilbereichen des Forstwegs erhebliche, ihr nicht mehr zumutbare Rodungen durchgeführt werden müssten, hat sie angesichts dessen weder substanziiert geltend gemacht, noch ist dies auf der Grundlage der im Internet verfügbaren Luftbilder (TIM-online; Google Maps) sonst ersichtlich. Entsprechendes gilt in Bezug auf die nicht hinreichend konkretisierten Beeinträchtigungen der Forstwirtschaft, der Naherholung und des Artenschutzes. Den einschlägigen Ausführungen auf Seite 21 f. der Antragsbegründung ist schon nicht zu entnehmen, dass die darin geäußerten Befürchtungen in relevantem Maße die Frage der Erschließung - und nicht die insoweit von vornherein unbeachtlichen Baumaßnahmen für die WEA 3 selbst - betreffen. Diesbezüglich spricht zudem der mit dem Ausbau des Forstwegs verbundene zeitlich überschaubare Zeitraum etwaiger Beeinträchtigungen ersichtlich gegen eine Unzumutbarkeit des Erschließungsangebots.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">c) Die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, die Genehmigung sei nicht aus anderen Gründen offensichtlich zu versagen, begegnet auch unter Berücksichtigung des umfangreichen Zulassungsvorbringens der Beigeladenen zum Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid vom 10. Dezember 2018 „erhebliche Zweifel“ am Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung einer Befreiung gemäß § 67 BNatSchG aufgrund der damaligen Sach- und Rechtslage geäußert. Nach Erlass des Bescheides hat die Sach- und Rechtslage in mehrfacher Hinsicht Änderungen erfahren. Da diese Änderungen nach dem insoweit maßgeblichen materiellen Recht im Rahmen einer Bescheidungsklage in einem Berufungsverfahren zu berücksichtigen wären, sind sie auch im Zulassungsverfahren grundsätzlich berücksichtigungsfähig.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 257, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">So wurde zunächst die Anzahl der Windenergieanlagen reduziert (zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses war noch die Errichtung und der Betrieb von drei Windenergieanlagen beabsichtigt). Darüber hinaus ist die Ordnungsbehördliche Verordnung zur Festsetzung des Landschaftsschutzgebiets „Kreis P.    “ vom 8. Dezember 2004, die der Beklagte seiner Einschätzung noch zugrunde gelegt hatte, mit dem zwischenzeitlichen Inkrafttreten des Landschaftsplans Nr. 5 „S1.               zwischen P.    und B.           außer Kraft getreten (vgl. § 79 Satz 1 LNatSchG NRW). Ferner ist mit Wirkung vom 29. Juli 2022 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) durch Art. 1 des Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor vom 20. Juli 2022 (BGBl. I, S. 1237) geändert worden (vgl. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens Art. 20 Abs. 2 Nr. 1 des vorgenannten Gesetzes). Gemäß § 2 Satz 1 EEG liegen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen - hierzu gehören gemäß der Begriffsbestimmung in § 3 Nr. 1 EEG auch Windenergieanlagen - sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sollen, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. In der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 162/22, 176 f.) wird insoweit ausgeführt, dass staatliche Behörden dieses überragende öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern berücksichtigen müssten. Dies betreffe jede einzelne Anlage einschließlich dazugehöriger Nebenanlagen, insbesondere bei Windenergieanlagen an Land, weil hier die Ausbauziele derzeit wegen knapper Flächen nicht erreicht würden. Konkret sollten die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen u. a. gegenüber dem Landschaftsbild, Denkmalschutz oder im Forst‑, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bau- oder Straßenrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden. Besonders im planungsrechtlichen Außenbereich, wenn keine Ausschlussplanung erfolgt sei, müsse dem Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Schutzgüterabwägung Rechnung getragen werden. Öffentliche Interessen könnten in diesem Fall den erneuerbaren Energien als wesentlicher Teil des Klimaschutzgebotes nur dann entgegenstehen, wenn sie mit einem dem Art. 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang gesetzlich verankert bzw. gesetzlich geschützt seien oder einen gleichwertigen Rang besäßen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022 ‑ 1 BvR 1187/17 -, juris Leitsatz 3: Der Ausbau erneuerbarer Energien dient dem Klimaschutzziel des Art. 20a GG und dem Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels, weil mit dem dadurch CO<sub>2</sub>-emissionsfrei erzeugten Strom der Verbrauch fossiler Energieträger zur Stromgewinnung und in anderen Sektoren wie etwa Verkehr, Industrie und Gebäude verringert werden kann. Der Ausbau erneuerbarer Energien dient zugleich dem Gemeinwohlziel der Sicherung der Stromversorgung, weil er zur Deckung des infolge des Klimaschutzziels entstehenden Bedarfs an emissionsfrei erzeugtem Strom beiträgt und überdies die Abhängigkeit von Energieimporten verringert.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Dass insbesondere vor dem Hintergrund dieser für die hier von dem Beklagten zu treffende Abwägungsentscheidung bedeutenden Gesetzesänderung die Voraussetzungen für die Erteilung einer im Landschaftsplan Nr. 5 vorgesehenen Ausnahme oder einer Befreiung nach § 67 BNatSchG - sollte eine solche im hiesigen Genehmigungsverfahren nach Art. 1 Nr. 2, Art. 3 Abs. 2 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I, S. 1362) überhaupt noch zu treffen sein - offensichtlich nicht vorliegen, kann auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Beigeladenen nicht angenommen werden.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">2. Aus den unter 1. genannten Gründen liegen auch die von der Beigeladenen geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nicht vor (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Antragsbegründung zeigt keine Fragen auf, die sich nicht im Zulassungsverfahren beantworten und den Ausgang eines etwaigen Berufungsverfahrens als zumindest offen erscheinen ließen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">3. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substanziiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Die von der Beigeladenen für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Fragen,</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">a) Ist in der Bekanntmachung eines gesamträumlich aufgestellten Flächennutzungsplans, der neben Darstellungen zur Steuerung von Windenergieanlagen mit der Wirkung des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB (Konzentrationszonen) auch zahlreiche weitere Darstellungen von Sonderbauflächen enthält, nicht nur ein Hinweis auf die Geltung des Flächennutzungsplans im gesamten Gemeindegebiet, sondern auch ein Hinweis auf die Lage der Konzentrationszonen im Gemeindegebiet und die Rechtswirkung der Konzentrationszonen erforderlich?</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">b) Ist der räumliche Geltungsbereich eines sachlichen Teilflächennutzungsplans zur Steuerung von Windenergieanlagen durch einen Hinweis in der Bekanntmachung auf die Lage der Konzentrationszonen und die Verwendung des Begriffs „Konzentrationszone" hinreichend verdeutlicht?</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">sind ungeachtet ihrer Entscheidungserheblichkeit jedenfalls nicht (mehr) klärungsbedürftig. Sie lassen sich auf Grundlage bereits vorliegender Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts ohne Weiteres in dem unter 1. a) aufgezeigten Sinne beantworten. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf legt das Zulassungsvorbingen nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die weitere von der Beigeladenen aufgeworfene Frage,</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">c) Hat ein Angebot zur Erschließung eines im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhabens eine Ersetzungsfunktion, wenn die Erschließung über einen nicht-öffentlichen gemeindlichen Weg mit eingeschränkter Zweckbestimmung erfolgen soll und das Vorhaben dieser Zweckbestimmung nicht entspricht?</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">stellte sich so in einem Berufungserfahren schon nicht. Denn sie geht von der Prämisse aus, dass der O.-------weg nach der gemeindlichen Zweckbestimmung ausschließlich der Land- und Forstwirtschaft dient. Dies trifft - wie oben unter 1. b) aufgezeigt - indes nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 1.4 i. V. m. Nr. 19.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und orientiert sich an den geschätzten Herstellungskosten der - im Zulassungsverfahren allein streitgegenständlichen - Anlage WEA 3.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das angefochtene Urteil rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.</p>
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A 16 K 1626/21
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-09-01T10:01:51"
"2022-10-17T11:09:41"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2021 wird in den Nummern 1 und 3-6 aufgehoben.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie weiter hilfsweise die Feststellung, dass für sie ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigerias besteht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die am xx.xx.xxxx in der Bundesrepublik Deutschland geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige vom Volke der Edo und christlicher Religionszugehörigkeit. Ihr Asylantrag wurde am 08.12.2020 durch ihre gesetzlichen Vertreter gestellt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Für das Verfahren der Klägerin wurden deren Eltern nicht erneut angehört, sondern auf die erfolgten Anhörungen im Verfahren der Schwester der Klägerin (Bundesamtsaktenzeichen xxx) verwiesen. Bei seiner Anhörung am 09.11.2017 in Heidelberg gab der Vater der Klägerin auf die Frage, wie er zu weiblicher Beschneidung stehe, an, dies sei Tradition und es sei gut. Danach wurde er über die Strafbarkeit von weiblicher Beschneidung in Deutschland belehrt. Bei der späteren Anhörung der Eltern der Klägerin am 30.07.2019 in Ellwangen (Jagst) zur den Gefahren durch Genitalverstümmelung bei einer Rückkehr nach Nigeria gab der Vater der Klägerin an, in seinem Dorf würden ausnahmslos alle beschnitten, sowohl Jungen als auch Mädchen. Es sei in seiner Familie eine Tradition, die heute noch gepflegt, beachtet und respektiert werde. Die Gefahr, dass seine Tochter bei einer Rückkehr beschnitten werde, sei sehr groß. Er selbst sei zwar gegen die Beschneidung, in seiner Familie komme man an einer Beschneidung aber nicht vorbei. Die Onkel würden dies bestimmen. Wer es nicht mache, werde mit einem Fluch belegt. Wer mit solch einem Fluch belegt werde, der lebe zwischen Leben und Tod, sei entweder krank oder Unheil komme über ihn. Die Person habe Schwierigkeiten und Misserfolg, der Fluch wirke bis zum Tode der Person. Deshalb könne seine Tochter nicht zurück nach Nigeria. Er selbst habe nicht die Mittel, sich in einer Großstadt niederzulassen, aber selbst wenn er die Mittel hätte, würde er über kurz oder lang Familie oder Freunde treffen, die davon erfahren würden, dass seine Tochter nicht beschnitten sei. Sie würden nachsehen, ob es gemacht worden sei und ihm dann eine Frist einräumen, die Beschneidung vorzunehmen, und falls er dies nicht tue, würde das Ritual mit dem Fluch gemacht werden. Es sei nicht möglich, geheim zu halten, dass die Tochter nicht beschnitten sei, denn die Familie und die Priester würden Dinge sehen wie ein Orakel.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Bei der Anhörung der Mutter der Klägerin zum Verfahren der Schwester am 30.07.2019 gab diese an, selbst beschnitten worden zu sein. Die Beschneidung sei in ihrem Dorf und auch woanders Tradition, sie werde sehr gepflegt und respektiert. Wenn ein Kind geboren werde, egal ob Junge oder Mädchen, müsse es beschnitten werden. Würde sie ihr Kind mit nach Nigeria nehmen, und es sei nicht beschnitten, würde das Kind aus dem Dorf ausgestoßen und vertrieben. Zudem werde ein Fluch auf nicht Beschnittene gelegt. Betrete eine solche Person nigerianischen Boden, komme der Fluch auf sie. In ihrer Familie seien alle Frauen beschnitten worden. Ihre Schwester sei an der Beschneidung verstorben. Sie kenne keine Frauen, die nicht beschnitten worden seien. Auf Nachfrage sagte die Mutter der Klägerin, sie würde ihre Tochter nicht beschneiden lassen. Aber ihre Onkel und der Älteste der Familie würden eine Beschneidung durchführen lassen. Bei einer Rückkehr nach Nigeria müsse sie zu ihrer Familie gehen, da sie aus eigener Kraft nicht überleben würde. Sie wäre diesen Leuten ausgeliefert. In eine andere Stadt in Nigeria könne sie nicht zurückkehren, sie würde dort niemanden kennen und das sei zu schwer. Zudem würde das Kind, wenn es nigerianischen Boden betrete, mit dem Fluch belegt und dieser Fluch würde auf sie einwirken. Sie sehe keine andere Möglichkeit, als zu ihrer Familie zurückzukehren und ihre Tochter beschneiden zu lassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Bescheid vom 02.07.2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) sowie den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Weiter drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat an (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Hiergegen hat die Klägerin am 31.03.2021 Klage erhoben und beantragt zuletzt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2021 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihr den subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich Nigerias vorliegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Behördenakten, die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt verwiesen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Das Gericht konnte trotz Ausbleibens aller Beteiligten verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, § 87a Abs. 2 und 3 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 17.03.2021 ist daher in den Nummern 1 und 3-6 rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind die Vorschriften der §§ 3 bis 3e AsylG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953), - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 -, InfAuslR 2010,188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Eine drohende Genitalverstümmelung stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, denn eine solche kann gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylG auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft. Die weibliche Genitalverstümmelung ist als extreme physische Gewalt von § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfasst. Sie droht der Klägerin durch die eigene Familie, insbesondere durch die Onkel, aber mittelbar auch durch die eigenen Eltern, die daran glauben, dass bei fehlender Beschneidung ein Fluch über die Tochter komme und die deshalb die Beschneidung als unausweichliches Übel ansehen. Diese sind als Privatpersonen Verfolgungsakteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, denn der nigerianische Staat ist nicht in der Lage, Schutz vor Verfolgung zu bieten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Zwar ist die weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria unter Strafe gestellt. Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung auf nationaler Ebene. Allerdings haben nur wenige Bundesstaaten tatsächlich Gesetze zum Verbot von „FGM“ (Female Genital Mutilation; weibliche Genialverstümmelung) verabschiedet. Gesetze gegen FGM werden kaum vollzogen. Die bisher verhängten, geringfügigen Geldstrafen sind bei der Bekämpfung von FGM unzureichend. Zwar gibt es Aufklärungskampagnen und eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM, doch liegen kaum Berichte vor, wonach die Regierung gegen FGM vorgeht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 31.05.2022, S. 40; Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021, S. 7).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Klägerin ist von Genitalverstümmelung auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Im Bundestaat Edo, aus dem die Eltern der Klägerin stammen, sind 26-50 % der Frauen von Genitalverstümmelung betroffen (Terre des Femmes, Situation von Frauen in Nigeria, Stand 11/2019, Seite 2; 28 too many, FGM in Nigeria, 01.10.2016, S. 35; nach einer Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021 sind es 35,5 % der Frauen zwischen 15-49 Jahren). Die Tatsache, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten ist, ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die Tradition der Beschneidung in dem Dorf der Mutter der Klägerin existiert und praktiziert wird, so dass die Statistik nicht allein als Wahrscheinlichkeitsmerkmal herangezogen werden kann. Im Gegenteil spricht dies als Vorverfolgung der Mutter gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis dafür, dass sich diese Gefahr auch in der Zukunft – hier für die Klägerin – realisieren wird, solange die Eltern der Klägerin sich nicht glaubhaft von der Tradition distanzieren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Die Aussagen der Eltern der Klägerin waren übereinstimmend und eindeutig dahingehend, dass sie eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter zwar nicht gutheißen, sie aber auch nicht dadurch verhindern werden, dass sie in einen anderen Landesteil Nigerias umziehen. Sie waren beide der Überzeugung, dass ein Überleben nur im Einflussbereich der Großfamilie möglich sei und ziehen daher gar nicht in Erwägung, sich andernorts niederzulassen. Beide Eltern haben ebenso deutlich ausgesagt, dass ihr gesamtes Umfeld, insbesondere die komplette eigene Großfamilie, die Tradition der Beschneidung beachtet, respektiert und vor allem durchsetzt. Auch der Umstand, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten worden ist, hat eine Indizwirkung für die Gefahrenprognose der Klägerin. Beide Elternteile gehen nach eigener Aussage, die vom Bundesamt auch nicht in Zweifel gezogen wurde, davon aus, dass ein Fluch über Kinder kommt, die nicht beschnitten werden, und eine Beschneidung daher zum Wohle des Kindes durchgeführt werden müsse. Andernfalls habe das Kind im ganzen Leben nur Unglück und würde ein Leben zwischen Leben und Tod führen. Der angefochtene Bescheid geht auf diese Indizien nicht ein, sondern führt lediglich aus, dass von dem Fluch keine reale Gefahr für die Klägerin ausgehe. Dies berücksichtigt aber nicht, dass beide Eltern fest an die Wirkung des Fluches glauben und daher die Beschneidung eher in Kauf nehmen würden als den Fluch. Das Bundesamt stellt in dem angefochtenen Bescheid allein auf den Umstand ab, dass es den Eltern, die grundsätzlich gegen eine Beschneidung seien, möglich und zumutbar sei, nicht in die Nähe ihre Familien zurückzukehren. Für die Gefahrenprognose der Klägerin kommt es aber nicht auf die Zumutbarkeit einer Handlung für die Eltern an, sondern auf die tatsächliche Bedrohungslage für die Klägerin. Es ist also zu prüfen, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria die Tochter einer Beschneidung unterziehen beziehungsweise dulden werden. Anders als das Bundesamt meint, genügt es für die Gefahrenprognose nicht, zu prüfen, inwiefern interne Schutzmöglichkeiten vor den Onkeln zur Verfügung stehen. Das Bundesamt hat die Tatsache, dass sich die Klägerin „mit ihren Eltern in Nigeria frei bewegen, aufhalten und niederlassen kann“ als alleiniges Indiz in die Gefahrenprognose eingestellt (siehe Vermerk der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung vom 02.07.2020, S. 51 der Behördenakte) und dabei nicht im Rahmen einer bewertenden Betrachtungsweise geprüft, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Eltern in den Einflussbereich ihrer Familien zurückkehren und die vorhandene Tradition der Beschneidung akzeptieren werden oder dass die Eltern auf sich allein gestellt ein Leben abseits der Großfamilie führen, die Beschneidung ihrer Tochter verhindern und dabei in Kauf nehmen, dass die Tochter – nach ihrem Glauben – mit einem Fluch belegt wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Nach Überzeugung der Berichterstatterin ist es im Rahmen dieser qualifizierenden Betrachtungsweise deutlich wahrscheinlicher, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria auch die Traditionen ihrer Familien wieder akzeptieren werden, um dort gesellschaftlichen Rückhalt zu erfahren und der Tochter sowohl den Fluch zu ersparen, als auch deren gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten. Weiter ist aus Sicht des Gerichts als Indiz zu berücksichtigen, dass der Vater der Klägerin in seiner ersten Anhörung eine Beschneidung von Mädchen ausdrücklich befürwortet hat. Erst nachdem er über die Strafbarkeit von Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland belehrt wurde, gab er an, eine Beschneidung an seiner Tochter nicht durchführen zu wollen. Es ist daher beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria einer Genitalverstümmelung unterzogen werden wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Nachdem die Klage mit dem Hauptantrag begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Hilfsanträge. Die Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids sind nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenstandslos und werden zur Klarstellung aufgehoben. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids sind aufzuheben, weil sie nur ergehen dürfen, wenn keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Das Gericht konnte trotz Ausbleibens aller Beteiligten verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, § 87a Abs. 2 und 3 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 17.03.2021 ist daher in den Nummern 1 und 3-6 rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind die Vorschriften der §§ 3 bis 3e AsylG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953), - EMRK - keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Diese Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen (vgl. Art. 9 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU). Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG (vgl. Art. 6 RL 2011/95/EU) ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG (vgl. Art. 7 RL 2011/95/EU) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67). Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden; es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. zum Ganzen EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 -, InfAuslR 2010,188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377; BVerwG, Urteil vom 19.04.2018 - 1 C 29/17 -, juris m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Eine drohende Genitalverstümmelung stellt eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe dar, denn eine solche kann gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 b AsylG auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft. Die weibliche Genitalverstümmelung ist als extreme physische Gewalt von § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG umfasst. Sie droht der Klägerin durch die eigene Familie, insbesondere durch die Onkel, aber mittelbar auch durch die eigenen Eltern, die daran glauben, dass bei fehlender Beschneidung ein Fluch über die Tochter komme und die deshalb die Beschneidung als unausweichliches Übel ansehen. Diese sind als Privatpersonen Verfolgungsakteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG, denn der nigerianische Staat ist nicht in der Lage, Schutz vor Verfolgung zu bieten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Zwar ist die weibliche Genitalverstümmelung in Nigeria unter Strafe gestellt. Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmelung auf nationaler Ebene. Allerdings haben nur wenige Bundesstaaten tatsächlich Gesetze zum Verbot von „FGM“ (Female Genital Mutilation; weibliche Genialverstümmelung) verabschiedet. Gesetze gegen FGM werden kaum vollzogen. Die bisher verhängten, geringfügigen Geldstrafen sind bei der Bekämpfung von FGM unzureichend. Zwar gibt es Aufklärungskampagnen und eine nationale Strategie zur Bekämpfung von FGM, doch liegen kaum Berichte vor, wonach die Regierung gegen FGM vorgeht (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Nigeria vom 31.05.2022, S. 40; Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021, S. 7).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Klägerin ist von Genitalverstümmelung auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bedroht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Im Bundestaat Edo, aus dem die Eltern der Klägerin stammen, sind 26-50 % der Frauen von Genitalverstümmelung betroffen (Terre des Femmes, Situation von Frauen in Nigeria, Stand 11/2019, Seite 2; 28 too many, FGM in Nigeria, 01.10.2016, S. 35; nach einer Auskunft des Immigration and Refugee Boards of Canada vom 26.10.2021 sind es 35,5 % der Frauen zwischen 15-49 Jahren). Die Tatsache, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten ist, ist aber ein starkes Indiz dafür, dass die Tradition der Beschneidung in dem Dorf der Mutter der Klägerin existiert und praktiziert wird, so dass die Statistik nicht allein als Wahrscheinlichkeitsmerkmal herangezogen werden kann. Im Gegenteil spricht dies als Vorverfolgung der Mutter gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU als ernsthafter Hinweis dafür, dass sich diese Gefahr auch in der Zukunft – hier für die Klägerin – realisieren wird, solange die Eltern der Klägerin sich nicht glaubhaft von der Tradition distanzieren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Die Aussagen der Eltern der Klägerin waren übereinstimmend und eindeutig dahingehend, dass sie eine Genitalverstümmelung ihrer Tochter zwar nicht gutheißen, sie aber auch nicht dadurch verhindern werden, dass sie in einen anderen Landesteil Nigerias umziehen. Sie waren beide der Überzeugung, dass ein Überleben nur im Einflussbereich der Großfamilie möglich sei und ziehen daher gar nicht in Erwägung, sich andernorts niederzulassen. Beide Eltern haben ebenso deutlich ausgesagt, dass ihr gesamtes Umfeld, insbesondere die komplette eigene Großfamilie, die Tradition der Beschneidung beachtet, respektiert und vor allem durchsetzt. Auch der Umstand, dass die Mutter der Klägerin selbst beschnitten worden ist, hat eine Indizwirkung für die Gefahrenprognose der Klägerin. Beide Elternteile gehen nach eigener Aussage, die vom Bundesamt auch nicht in Zweifel gezogen wurde, davon aus, dass ein Fluch über Kinder kommt, die nicht beschnitten werden, und eine Beschneidung daher zum Wohle des Kindes durchgeführt werden müsse. Andernfalls habe das Kind im ganzen Leben nur Unglück und würde ein Leben zwischen Leben und Tod führen. Der angefochtene Bescheid geht auf diese Indizien nicht ein, sondern führt lediglich aus, dass von dem Fluch keine reale Gefahr für die Klägerin ausgehe. Dies berücksichtigt aber nicht, dass beide Eltern fest an die Wirkung des Fluches glauben und daher die Beschneidung eher in Kauf nehmen würden als den Fluch. Das Bundesamt stellt in dem angefochtenen Bescheid allein auf den Umstand ab, dass es den Eltern, die grundsätzlich gegen eine Beschneidung seien, möglich und zumutbar sei, nicht in die Nähe ihre Familien zurückzukehren. Für die Gefahrenprognose der Klägerin kommt es aber nicht auf die Zumutbarkeit einer Handlung für die Eltern an, sondern auf die tatsächliche Bedrohungslage für die Klägerin. Es ist also zu prüfen, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria die Tochter einer Beschneidung unterziehen beziehungsweise dulden werden. Anders als das Bundesamt meint, genügt es für die Gefahrenprognose nicht, zu prüfen, inwiefern interne Schutzmöglichkeiten vor den Onkeln zur Verfügung stehen. Das Bundesamt hat die Tatsache, dass sich die Klägerin „mit ihren Eltern in Nigeria frei bewegen, aufhalten und niederlassen kann“ als alleiniges Indiz in die Gefahrenprognose eingestellt (siehe Vermerk der Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung vom 02.07.2020, S. 51 der Behördenakte) und dabei nicht im Rahmen einer bewertenden Betrachtungsweise geprüft, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Eltern in den Einflussbereich ihrer Familien zurückkehren und die vorhandene Tradition der Beschneidung akzeptieren werden oder dass die Eltern auf sich allein gestellt ein Leben abseits der Großfamilie führen, die Beschneidung ihrer Tochter verhindern und dabei in Kauf nehmen, dass die Tochter – nach ihrem Glauben – mit einem Fluch belegt wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Nach Überzeugung der Berichterstatterin ist es im Rahmen dieser qualifizierenden Betrachtungsweise deutlich wahrscheinlicher, dass die Eltern bei einer Rückkehr nach Nigeria auch die Traditionen ihrer Familien wieder akzeptieren werden, um dort gesellschaftlichen Rückhalt zu erfahren und der Tochter sowohl den Fluch zu ersparen, als auch deren gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten. Weiter ist aus Sicht des Gerichts als Indiz zu berücksichtigen, dass der Vater der Klägerin in seiner ersten Anhörung eine Beschneidung von Mädchen ausdrücklich befürwortet hat. Erst nachdem er über die Strafbarkeit von Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland belehrt wurde, gab er an, eine Beschneidung an seiner Tochter nicht durchführen zu wollen. Es ist daher beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria einer Genitalverstümmelung unterzogen werden wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Nachdem die Klage mit dem Hauptantrag begründet ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Hilfsanträge. Die Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids sind nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenstandslos und werden zur Klarstellung aufgehoben. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids sind aufzuheben, weil sie nur ergehen dürfen, wenn keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).</td></tr></table> </td></tr></table>
346,226
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27 U 2107/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-17T10:01:03"
"2022-10-17T11:09:16"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <div> <p>1. Der Antrag der Klägerin, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren C-100/21 auszusetzen, wird zurückgewiesen.</p> <p>Auf Antrag der xx vom 01.08.2022 wird die Frist zur Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 20.06.2022 verlängert bis 01.09.2022.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p><rd nr="1"/>1. Der Senat hat die Argumentation in dem Schriftsatz der Klägerin vom 01.08.2022 geprüft, hält aber an seiner im Hinweisbeschluss vom 20.06.2022 dargelegten Rechtsauffassung fest. Auch die Stellungnahme des Generalanwaltes beim Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, gibt zu einer Aussetzung des Verfahrens keine Veranlassung. In Anwendung seines richterlichen Ermessens hält der Senat weiterhin (vgl. Hinweisbeschluss vom 20.06.2022, S. 20 f.) eine Aussetzung des Verfahrens nicht für sachgerecht.</p> <p><rd nr="2"/>a) Der Senat hat die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, insbesondere die Urteile des EuGH vom 17.12.2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216 und vom 14.07.2022 (C-128/20, BeckRS 2022, 16622, C-134/20, BeckRS 2022, 16621, C-145/20, BeckRS 2022, 16620) ausgewertet und seine Entscheidung hieran orientiert. Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die Überzeugung gebildet, dass vorliegend die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere die Frage des Drittschutzes des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 und der RL 2007/46/EG angesichts des Wortlauts, der Regelungssystematik und des Regelungszwecks des geltenden Unionsrechts derartig offenkundig zu beantworten ist, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2021 - VII ZR 280/20, BeckRS 2021, 28852 Rn. 1; BGH, NJW 2020, 2798, 2799 f.) und der Senat hierdurch auch nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht. Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde. Der Senat ist nicht bereits deshalb zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 8..1095 BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022 - VIII ZR 409/21, BeckRS 2022, 15514 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.</p> <p><rd nr="3"/>Eine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/21 auszusetzen, ist auch der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 01.07.2022, Nr. 104/2022, zur Sache VIa ZR 335/21 nicht zu entnehmen. Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht (s. o.). Demzufolge hat der Senat auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Bundesgerichtshof mit seiner Presseerklärung vom 01.07.2022 im Verfahren VIa ZR 335/21 hiervon abweichen und eine Wartepflicht der Instanzgerichte statuieren wollte. Der Senat versteht diese Pressemitteilung vielmehr dahin, dass der Bundesgerichtshof gelegentlich der Verhandlung am 21.11.2022 denjenigen Gerichten, die in Ausübung ihres richterlichen Ermessens ein Abwarten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für tunlich erachtet haben, die sich aus einer bis dahin erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die bundesdeutsche Ziviljustiz ergebenden Konsequenzen nahebringen will (vgl. Senat, Beschluss vom 08.07.2022 - 27 U 4021/21). Auch der Hinweis der Klägerin, dass der 7. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Ansehnung der bevorstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bzw. des Votums des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof vom 02.06.2022 einen bevorstehenden Verhandlungstermin in dem Verfahren Az. VII ZR 412/21 aufgehoben habe, gebietet insoweit keine andere Entscheidung.</p> <p><rd nr="4"/>b) Ein Grund zur Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO (analog) liegt nicht vor. Die ausstehende Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-100/21 zu der Frage, ob Bestimmungen der RL 2007/46/EG Drittschutz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB vermitteln, ist für den anhängigen Rechtsstreit nicht vorgreiflich. Daran ändern auch die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 nichts (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 - 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 27), zumal nach Art. 252 Abs. 2 AEUV der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Europäischen Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist, stellt und der Europäische Gerichtshof weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden ist (vgl. EuGH, NJW 2020, 667 Rn. 49).</p> <p><rd nr="5"/>aa) Zwar haben ausweislich der Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19.12.2019, Rn. 75 ff., in der aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Landgerichts Gera inzwischen aus dem Register des Europäischen Gerichtshofs gestrichenen Rechtssache C-663/19 die RL 2007/46/EG und die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“. Der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst aber selbst der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 keine Wirkung zum Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zu (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.07.2022 - 2 U 3838/21, BeckRS 2022, 16603 Rn. 17 unter Hinweis auf Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 41). Selbst wenn man der Auffassung des Generalanwalts folgen sollte, dass die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG dahingehend auszulegen seien, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist (vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 50), ändert dies nichts daran, dass die RL 2007/46/EG selbst mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz ausscheidet (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.07.2022 - 2 U 3838/21, BeckRS 2022, 16603 Rn. 18 ff.; Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Auflage 2022, § 823 Rn. 57 m. w. N.).</p> <p><rd nr="6"/>bb) Unabhängig von der Frage, ob die Vorschriften der RL 2007/46/EG bzw. die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV auch drittschützend sind, ist die Rückabwicklung eines angeblich ungewollten Vertrags nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht vom Schutzzweck des Typgenehmigungsrechts erfasst. Neben weiteren Voraussetzungen kommt es für einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB nämlich darauf an, dass sich im konkreten Schaden die Gefahr verwirklicht hat, vor der die betreffende Norm schützen sollte (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 73; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 - 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29). Das - auch hier - geltend gemachte wirtschaftliche Selbstbestimmungsinteresse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2022 - III ZR 270/20, BeckRS 2022, 10055 Rn. 28; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 75 f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 - 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29). Daran haben auch die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 nichts geändert. Die Schlussanträge haben nur solche Schäden im Blick, die dadurch entstehen, dass ein Fahrzeug nicht zugelassen oder nicht weiterveräußert werden kann (vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 48). Schäden, die aus einer etwaig ungültigen und auch den Käufer schützenden Übereinstimmungsbescheinigung resultieren - z. B. Schäden aus einer verzögerten Fahrzeugzulassung oder einer konkret drohenden Betriebsuntersagung -, machen Kläger aber regelmäßig nicht geltend, wenn sie behaupten, einen vermeintlich ungewollten Vertrag rückgängig machen zu wollen (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 74 ff.; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 - 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 29).</p> <p><rd nr="7"/>cc) So liegt der Fall auch hier. Das Fahrzeug der Klägerin ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Als verletztes Schutzgut macht die Klägerin ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend (vgl. Berufungsbegründung, S. 52). Der Bundesgerichtshof war berechtigt, die Frage, ob ein bestimmtes Interesse dem sachlichen Schutzbereich einer Norm unterfällt, selbst zu entscheiden. Denn die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eines Schutzgesetzes obliegt den nationalen Gerichten (vgl. EuGH, NVwZ 2013, 565 Rn. 45 ff.; BGH, NVwZ 2022, 896 Rn. 11; Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 02.06.2022 - C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2022:420, Rn. 55, 61). Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass bei Verfahren, in denen lediglich eine Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend gemacht wird, sämtliche für den Fall relevanten europarechtlichen Fragestellungen geklärt sind (sog. „acte clair“, vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 74 ff.). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, im Hinblick auf das von der Klägerin im Schriftsatz vom 01.08.2022 in Bezug genommene Votum des Generalanwalts in der Rechtssache C-100/21 im vorliegenden Berufungsverfahren ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der vorgenannten Rechtssache abzuwarten (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 18.07.2022 - 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 Rn. 39 m. w. N.). Der Senat schließt sich den überzeugenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs an (vgl. BGH, Urteil vom 24.03.2022 - III ZR 270/20, BeckRS 2022, 10055 Rn. 29 m. w. N.). Die Berufungsbegründung und die Ausführungen im Schriftsatz der Klägerin vom 01.08.2022 geben keinen Anlass, davon abzuweichen.</p> <p><rd nr="8"/>2. Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass in Anbetracht der bereits großzügig bemessenen Frist zur Stellungnahme mit weiterer Fristverlängerung aufgrund hoher Arbeitsbelastung ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr gerechnet werden kann.</p> </div>
346,222
vghbw-2022-08-04-6-s-38922
{ "id": 161, "name": "Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg", "slug": "vghbw", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
6 S 389/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:52"
"2022-10-17T11:09:16"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p/><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 26. Januar 2022 - 4 K 3672/22 - wird zurückgewiesen.</p><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung fristgemäß (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben dem Senat keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Weiterbetrieb der Spielhalle „...“ bis zum Ablauf von einer Woche nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zu dem Widerspruch der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 22.02.2021 zu dulden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>1. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren allein streitgegenständlichen Spielhalle „...“ keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Denn ein sicherungsfähiger Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer sogenannten Härtefallerlaubnis nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG besteht nicht. § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG setzt zur Befreiung von dem hier einer Erlaubniserteilung jedenfalls entgegenstehenden Verbundverbot nach § 42 Abs. 2 LGlüG das Vorliegen einer „unbilligen Härte“ voraus. Hierbei handelt es sich um eine vollumfänglich der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Tatbestandsvoraussetzung. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin mit der am 12.06.2017 erteilten und bis zum 31.12.2021 befristeten Härtefallerlaubnis das Vorliegen einer unbilligen Härte für den Zeitraum nach dem 01.01.2022 auch nicht (bestandskräftig) festgestellt. Im Gegenteil hatte die Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung vom 12.06.2017 unter Ziffer III. ausdrücklich festgehalten, dass für die weitere Zeit, für die eine spielhallenrechtliche Erlaubnis beantragt worden sei, der Antrag zunächst nicht beschieden aber auch nicht abgelehnt werde. Die Antragsgegnerin hat dementsprechend zu Recht das Vorliegen einer unbilligen Härte nach § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG im Rahmen ihrer Entscheidung vom 22.02.2021 über die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für den Zeitraum ab dem 01.01.2022 geprüft. Sie hat das Vorliegen einer unbilligen Härte auch zu Recht verneint. Denn die Antragstellerin, welche insoweit die Darlegungs- und (materielle) Beweislast trifft, hat Anhaltspunkte für eine unbillige Härte für den Zeitraum ab dem 01.01.2022 weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren dargelegt. Hierfür gibt es auch sonst keine Anhaltspunkte. Zum einen hat die Antragstellerin bereits eine Härtefallerlaubnis für einen Zeitraum von über vier Jahren erhalten, ihr ist mithin bereits eine großzügige Übergangsfrist eingeräumt worden. Zum anderen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der unbilligen Härte nicht bereits dann erfüllt, wenn mit der Schließung von Spielhallen wirtschaftliche Einbußen und sonstige Belastungen verbunden sind. Insbesondere können die Spielhallenbetreiber nicht die verlustfreie Abwicklung ihrer zu schließenden Spielhallen verlangen (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 01.10.2021 - 1 K 2308/21 -, juris Rn. 31 m.w.N.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Soweit die Antragstellerin meint, zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes einer aktiven Duldung bis zur Entscheidung über ihren Erlaubnisanspruch durch die Widerspruchsbehörde zu bedürfen, dringt sie damit bereits aufgrund der nach vorstehenden Ausführungen (offensichtlich) fehlenden Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Senats hat die bei zeitweise fehlender Erlaubnis bzw. Duldung des Betriebs der Spielhalle entstehende Zäsur zwar grundsätzlich den Wegfall des gemäß § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG im Hinblick auf die Abstandsvorgaben des § 42 Abs. 3 LGlüG gewährten Bestandsschutzes zur Folge (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.10.2021 - 6 S 2763/21 -, ZfWG 2022, 70 <juris Rn. 12 und 18>). Dem Betroffenen steht – wie hier – jedoch effektiver Rechtsschutz über die Möglichkeit zur Verfügung, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verpflichtung der zuständigen Behörde zur vorläufigen aktiven Duldung seines Betriebs zu erwirken. Der Senat verkennt dabei nicht, dass bei einer Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz aufgrund der damit gegebenenfalls verbundenen Zäsurwirkung in Bezug auf den Bestandsschutz nach § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG eine weitgehende Verlagerung des Rechtsschutzes in das einstweilige Rechtsschutzverfahren erfolgen kann. Dies ist jedoch Folge der tatbestandlichen Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG und geht mit einer entsprechend gesteigerten Prüfungsintensität des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einher (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2016 - 1 BvL 6/14 -, BVerfGE 143, 216, <juris Rn. 37>; BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1335/13 -, NVwZ 2017, 149 <juris Rn. 20>; BVerfG, Beschluss vom 23.05.2019 - 1 BvR 1724/18 -, NVwZ 2019, 1506 <juris Rn. 22> jeweils m.w.N.). Bei – wie hier – bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach umfassender rechtlicher Prüfung feststellbaren fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist es auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gerechtfertigt, die gerichtliche Überprüfung des geltend gemachten Erlaubnisanspruchs de facto in das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu verlagern. Denn die grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Betreiber an einem Fortbetrieb ihrer Spielhallen im Abstandsbereich zu einer Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen werden bereits durch die Ausgestaltung des § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG als bloße Übergangsregelung relativiert. Zudem verfolgt der Landesgesetzgeber mit dem Erlaubnisvorbehalt und den zusätzlichen Erlaubnisanforderungen nach §§ 41 ff. LGlüG, welche der Vermeidung und Abwehr der vom Glücksspiel in Spielhallen ausgehenden Suchtgefahren und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen dienen, besonders wichtige Gemeinwohlziele (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.02.2022 - 6 S 1922/20 -, ZfWG 2022, 274 <juris Rn. 51>), deren Erreichung durch die (fortwährende) Duldung eines auch im Rahmen eines Auswahlverfahrens nicht erlaubnisfähigen Betriebs während der Dauer des Widerspruchsverfahrens und des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens nachhaltig gefährdet wäre. Das aufgrund des Verlusts des Bestandsschutzes nach § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG eintretende Rechtsschutzdefizit im Hauptsacheverfahren wird in diesem Fall durch eine umfassende rechtliche Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kompensiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2016 - 1 BvL 6/14 -, a.a.O. <juris Rn. 37 m.w.N.>).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 1 Hs. 1, Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table></td></tr></table>
346,203
ovgni-2022-08-04-4-me-9522
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
4 ME 95/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:36"
"2022-10-17T11:09:12"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 8. Juni 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2022, mit welchem ihm die Wiederherstellung des bisherigen Zustandes einer von ihm bearbeiteten Fläche aufgegeben worden ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller ist seit dem Jahr 2018 Pächter des im Naturschutzgebiet „D. E.“ gelegenen Flurstücks …/.. der Flur .. der Gemarkung F., welches größtenteils landwirtschaftlich als Grünlandfläche genutzt wird. Auf dem Grundstück befinden sich drei gesetzlich geschützte Biotope i.S.d. § 30 BNatSchG i.V.m. § 24 Abs. 2 NAGBNatSchG (Feuchtgrünlandtypen Flutrasen und Sumpfdotterblumenwiese). Zudem sind auf dem Grundstück acht der Entwässerung dienende flache Gräben (sog. Grüppen) vorhanden, welche von der Grundstücksmitte zu den das Grundstück einrahmenden größeren Gräben (Vorflutern) führen. Nachdem zuvor über längere Zeit keine Unterhaltung der Grüppen erfolgt war, hat der Antragsteller sie im Herbst 2020 mit einer Grüppenfräse aufgereinigt. Im Frühjahr 2021 hat er zudem an den grabenseitigen Enden der Grüppen Rohre mit einer Länge von fünf Metern zur direkten Verbindung der Grüppen mit den Vorflutern installieren lassen und diese Rohre mit auf dem Grundstück entnommenen Bodenmaterial überdeckt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 23. Februar 2022 gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzuges unter anderem auf, (1.) die ungenehmigt eingebauten Rohre vollständig zu entfernen, die Bereiche mit dem sie aktuell überdeckenden Bodenmaterial bis zur Geländeoberkante zu verfüllen und das Bodenmaterial so zu verdichten, dass keine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende Entwässerung mehr erfolgt, (2.) überschüssiges Bodenmaterial abzufahren und aus dem Naturschutzgebiet zu entfernen, (3.) nach erfolgtem Rückbau der Verrohrungen und Verwallungen die erdoffenen Bereiche der natürlichen Sukzession zu überlassen, keine Einsaat vorzunehmen und eine Düngung erst nach vollständiger Regeneration der Grasnarbe in Abstimmung mit der Naturschutzbehörde durchzuführen, (4.) die Wiederherstellungsmaßnahmen bis spätestens zum 15. März 2022 durchzuführen und (5.) bei einer witterungsbedingten Nichtbefahrbarkeit der Fläche oder einer Unmöglichkeit der Entfernung der Verrohrungen aufgrund eines hohen Wasserstandes innerhalb der vorgenannten Frist die grabenabgewandten Seiten der Rohre zu verschließen, um eine weitergehende Entwässerung zu verhindern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Hiergegen hat der Antragsteller am 7. März 2022 Widerspruch eingelegt, über den die Antragsgegnerin noch nicht entschieden hat. Darüber hinaus hat der Antragsteller am 29. März 2022 vor dem Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin wiederherzustellen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Mit dem vom Antragsteller mittels der Beschwerde angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die angefochtene Verfügung voraussichtlich als rechtmäßig erweise und ein besonderes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug bestehe. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Wiederherstellungsanordnung nach § 3 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. § 2 Abs. 1 und 2 NAGBNatSchG lägen vor. Der Antragsteller habe gegen das Verbot des § 30 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. § 24 NAGBNatSchG verstoßen. Sämtliche verrohrte Grüppen befänden sich in unmittelbarer Nähe zu den auf dem Grundstück vorhandenen gesetzlich geschützten Biotopen oder sogar innerhalb derselben. Die geschützten Biotoptypen seien auf eine feuchte Umgebung angewiesen, so dass jede über das bisherige Maß hinausgehende Entwässerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Zerstörung oder erheblichen Beeinträchtigung der Biotope führen könne. Seit März 2021 sei - auch im Vergleich zu den umliegenden Flurstücken - eine vermehrte Entwässerung des Flurstücks des Antragstellers festzustellen. Hierfür seien mit hinreichender Sicherheit die Handlungen des Antragstellers ursächlich, wobei letztlich offenbleiben könne, ob die Aufreinigung der Grüppen, die Herstellung eines Gefälles vor Einbau der Rohre oder der Einbau der Rohre selbst zu einer vermehrten Entwässerung geführt habe. Entscheidend sei, dass der Antragsteller durch seine Handlungen eine vermehrte Entwässerung im Vergleich zu dem vorherigen Zustand, in welchem ein Abfluss des Oberflächenwassers aus den Grüppen nicht im jetzigen Maß möglich gewesen sei, herbeigeführt habe. Die eingetretenen Beschädigungen seien auch rechtswidrig. Auf eine Privilegierung der ordnungsgemäßen Landwirtschaft nach guter fachlicher Praxis i.S.d. § 5 Abs. 2 BNatSchG könne er sich im Rahmen des gesetzlichen Biotopschutzes nicht berufen. Hinzu komme, dass der Antragsteller auch gegen das in § 3 Abs. 1 der Naturschutzgebietsverordnung (NSG-VO) geregelte Verbot verstoßen habe. Durch den Einbau der Rohre und die damit verbundenen Arbeiten sei das Naturschutzgebiet zumindest beeinträchtigt worden. Der Einbau der Rohre sei mit einem Abtragen des Oberbodens einhergegangen, womit die dort wachsenden Pflanzen zerstört bzw. beschädigt worden seien. Da mit den Arbeiten eine Veränderung der Bodengestalt verbunden gewesen sei, seien sie auch nicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) NSG-VO freigestellt gewesen. Die Antragsgegnerin habe ihr nach §§ 3 Abs. 1 BNatSchG, 2 Abs. 1 NAGBNatSchG zustehendes Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Auch die Ziffern 2 und 3 der streitgegenständlichen Anordnung seien nicht zu beanstanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Beschluss bleibt ohne Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller vermag mit seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren, auf dessen Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage zu stellen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Soweit sich der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen der Sache nach gegen die in Ziffer 1 der im Streit stehenden Verfügung angeordnete Entfernung der an den Grüppenenden eingebauten Rohre wendet, ist das Rechtsschutzbedürfnis für eine Fortführung des Eilrechtsschutzverfahrens entfallen. Denn der Antragsteller ist der Verfügung insoweit nachgekommen und hat die Rohre am 27. Juni 2022 entfernt, so dass sich die diesbezügliche Regelung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides erledigt hat. Selbst bei einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen den angefochtenen Bescheid wäre der Antragsteller nicht ohne gesonderte Ausnahmegenehmigung bzw. Befreiung berechtigt, die Rohre wieder einzubauen, so dass er insofern im einstweiligen Rechtsschutzverfahren seine Rechtsposition nicht mehr verbessern kann.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich der Regelungen in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides verbleiben somit allein die weiterhin ausgesprochenen Verpflichtungen zur Verfüllung des Bereichs der vormaligen Verrohrung bis zur Geländeoberkante und zur Verdichtung des Bodenmaterials, so dass keine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende Entwässerung mehr erfolgt, im Streit. Eine Erledigung ist insofern nicht eingetreten, auch wenn der Antragsteller mit E-Mail vom 27. Juni 2022 gegenüber der Antragsgegnerin angekündigt hat, die Grüppen mit Erdreich auf den Ursprungszustand aufzufüllen. Denn aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. Juni 2022 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ergibt sich, dass diese die bisher umgesetzten Maßnahmen aus naturschutzfachlicher Sicht als unzureichend ansieht und es weiterhin für erforderlich hält, die Bodenoberflächen im Bereich der entfernten Rohre eben herzustellen und plan zu ziehen sowie den Boden in diesem Bereich mit einer schweren Walze zu verdichten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>In Bezug auf seine fortbestehenden Verpflichtungen aus Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, dass - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts, jede über das bisherige Maß hinausgehende Entwässerung stelle eine Gefährdung des Biotops dar - ein konkreter Nachweis hätte geführt werden müssen, dass seine Aufreinigungsmaßnahmen zu einer nachhaltigen Biotopgefährdung führen würden. Der Antragsteller führt insofern an, dass in der Vergangenheit (bis auf die letzten drei Jahre vor der Anpachtung durch ihn) die vorhandenen Grüppen stets in Abständen von zwei bis drei Jahren durch die Vorpächter ordnungsgemäß in der gleichen Tiefe wie jetzt aufgereinigt worden seien, ohne dass es zu einer Zerstörung der seit mehr als 25 Jahren festgelegten Biotope gekommen sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a>11</a></dt> <dd><p>Mit diesem Vortrag verkennt der Antragsteller die Reichweite des gesetzlichen Biotopschutzes gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das dort geregelte Zerstörungs- und Beeinträchtigungsverbot darauf gerichtet, Maßnahmen zu verhindern, die zu einer Zerstörung oder sonstigen erheblichen Beeinträchtigung der kraft Gesetzes unter Schutz gestellten Biotope führen <span style="text-decoration:underline">können</span> (Unterstreichung durch den Senat). Ob eine Handlung eine solche negative Wirkung tatsächlich zur Folge hat, ist nicht von Belang; es genügt bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine Maßnahme die genannten Folgen zeitigt (Beschlussabdruck S. 12). Hieraus ergibt sich, dass es entgegen der Ansicht des Antragstellers für den Erlass einer auf eine Verletzung des § 30 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG gestützten naturschutzrechtlichen Wiederherstellungsanordnung nicht erforderlich ist, dass die Naturschutzbehörde zuvor die tatsächliche Zerstörung oder eine sonstige erhebliche Beeinträchtigung eines gesetzlich geschützten Biotops nachgewiesen hat. Ausreichend ist vielmehr, dass die im Streit stehende Handlung zu diesen Folgen führen kann. Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht überein, dass die auf dem vom Antragsteller gepachteten Flurstück vorhandenen gesetzlich geschützten Feuchtgrünlandbiotope ihrer Natur nach auf eine feuchte Umgebung angewiesen sind und es daher auf der Hand liegt, dass jede über das bisherige Maß hinausgehende Entwässerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Zerstörung oder erheblichen Beeinträchtigung der Biotopstrukturen führen kann.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass in dem Fall, dass im Rahmen einer periodisch wiederkehrenden Unterhaltung vorhandener Entwässerungseinrichtungen wie den auf dem fraglichen Grundstück vorhandenen Grüppen lediglich die im Laufe der Zeit nachlassende Entwässerungswirkung auf ein auf längere Sicht gleichbleibendes Niveau wiederhergestellt wird, in der Regel keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung eines gesetzlich geschützten Feuchtgrünlandbiotops anzunehmen sein dürfte, da dann auf mittlere Sicht keine maßgeblichen Veränderung der Entwässerungsverhältnisse zu befürchten wäre. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Der Antragsteller stellt nicht durchgreifend in Abrede, dass es durch das Zusammenspiel der von ihm im Herbst 2020 und Frühjahr 2021 durchgeführten Maßnahmen zu einer vermehrten Entwässerung des Grundstücks gekommen ist. Aus dem im erstinstanzlichen Verfahren vom Antragsgegner vorgelegten Vermerk der unteren Wasserbehörde vom 30. März 2022 - dessen Richtigkeit der Antragsteller nicht substantiiert in Zweifel gezogen hat - ergibt sich, dass vor der Durchführung der Maßnahmen des Antragstellers eine direkte Verbindung der Grüppen zum Vorfluter nicht bestand und überschüssiges Wasser aus den Grüppen erst bei einem Überstau in die angrenzenden Vorfluter ablaufen konnte. Wie der Antragsteller selbst angibt, ist eine Aufreinigung der Grüppen auf dem fraglichen Grundstück auch bereits in den letzten drei Jahren vor der Anpachtung durch ihn (im Jahr 2018) nicht mehr erfolgt. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt der Durchführung der streitbefangenen Maßnahmen ab Herbst 2020 seit mindestens fünf Jahren keine Unterhaltung der Grüppen mehr erfolgte, weshalb es bereits über einen längeren Zeitraum zu einer verminderten Entwässerung der Fläche gekommen sein dürfte. Ob zuvor eine direkte Verbindung der Grüppen zu den Vorflutern etwa als durchgehende, das Gefälle der Grüppe in den Graben fortsetzenden Mulde bestand, wird aus dem Vorbringen des Antragstellers zudem nicht hinreichend deutlich. Sein Verweis auf eine von ihm im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Vorpächters der Fläche vom 28. April 2022, wonach dieser die Grüppen im Schnitt alle drei Jahre aufgefräst habe mit einem Auslauf in den Graben, führt insofern nicht weiter. Welcher Beschaffenheit der angeführte Auslauf in der Vergangenheit gewesen sein soll, ergibt sich aus der Stellungnahme des Vorpächters nicht. Wird demnach in einer Situation, in welcher bereits seit längerer Zeit eine verminderte Entwässerung einer Fläche gegeben ist, mit der Durchführung von Unterhaltungsmaßnahmen darauf abgezielt, eine früher vorhandene Entwässerungswirkung der Grüppen wiederherzustellen oder diese sogar zu verstärken, wird in sehr viel tiefergreifender Weise in die Geländestrukturen eingegriffen, als dies bei regelmäßig durchgeführten periodischen Unterhaltungsmaßnahmen der Fall wäre. In einem solchen Fall lässt sich die Möglichkeit einer erheblichen Biotopbeeinträchtigung daher nicht mehr ohne Weiteres verneinen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Auch mit seinem Vorbringen, der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts führe zu einem verfassungswidrigen Eingriff in sein nach Art. 14 GG geschütztes Recht als Pächter am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, da nach der erstinstanzlichen Entscheidung jede Wiederherstellung der Entwässerungsverhältnisse im Nahbereich der Biotope untersagt werde, was eine weitere landwirtschaftliche Nutzbarkeit verhindere, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Naturschutzrechtliche Bestimmungen, die - wie § 30 Abs. 2 BNatSchG - die Nutzung von Grundstücken aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes beschränken, sind keine Enteignungen i.S.d. Art. 14 Abs. 3 GG, sondern Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums, die als Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums grundsätzlich hinzunehmen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2001 - 6 CN 2.00 -, juris Rn. 12 ff.; Beschl. v. 18. 7.1997 - 4 BN 5.97 -, juris Rn. 12 ff.; Senatsbeschl. v. 22.12.2015 - 4 ME 270/15 -, juris Rn. 12 u. zuletzt Senatsurt. v. 21.6.2022 - 4 KN 195/19 -, juris Rn. 100). Als unzumutbare Beschränkungen der Eigentümerbefugnisse erweisen sie sich erst dann, wenn nicht genügend Raum für einen privatnützigen Gebrauch des Eigentums oder eine Verfügung über den Eigentumsgegenstand verbleibt oder wenn eine Nutzung, die bisher ausgeübt worden ist oder sich nach der Lage der Dinge objektiv anbietet, ohne jeglichen Ausgleich unterbunden wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.1.2000 - 6 BN 2.99 -, juris Rn. 11, Beschl. v. 18.7.1997, - 4 BN 5.97 -, juris Rn. 16). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Dem Antragsteller ist es nicht gelungen darzulegen, dass er bei einer Wiederherstellung des Übergangsbereichs zwischen den Grüppen und den Vorflutern in der vom Antragsgegner geforderten Weise daran gehindert wäre, in noch zumutbarer Weise das fragliche Grundstück als Grünlandfläche im zulässigen Rahmen landwirtschaftlich zu nutzen. Dies gilt umso mehr, als er die im Streit stehende Aufreinigung der Grüppen und die Herstellung der Verrohrung zu den Vorflutern erst geraume Zeit nach der bereits im Jahr 2018 erfolgten Anpachtung der Fläche vorgenommen hat, ihm also offenbar zuvor auch eine landwirtschaftliche Nutzung der Fläche in hinreichender Weise möglich war. Künftige regelmäßige Unterhaltungsmaßnahmen, die nicht mit einer mittelfristig erhöhten Entwässerung einhergehen, sind dem Antragsteller zudem wie ausgeführt nicht verwehrt. Sollte es gleichwohl zu einer unzumutbaren Belastung des Antragstellers als Nutzungsberechtigten kommen, besteht nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG i.V.m. § 41 NAGBNatSchG die Möglichkeit, eine Befreiung von dem Zerstörungs- und Beeinträchtigungsverbot des § 30 Abs. 2 BNatSchG zu beantragen. Sollte eine Befreiung nicht in Betracht kommen, ist unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 BNatSchG eine Entschädigung in Geld zu leisten. Zudem besteht auch für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach der vorgenannten Vorschrift nicht vorliegen, die Möglichkeit, einen Erschwernisausgleich gemäß § 42 Abs. 4 NAGBNatSchG i.V.m. der hierzu ergangenen Erschwernisausgleichsverordnung-Dauergrünland zu beantragen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich der erstinstanzlichen Ausführungen dazu, dass die in Ziffer 2 und 3 des angefochtenen Bescheides getroffenen Regelungen nicht zu beanstanden seien, enthält das Beschwerdevorbringen keine Ausführungen. Eine diesbezügliche Überprüfung durch den Senat erfolgt daher gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 2013 - (NordÖR 2014,11).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006732&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,174
ovgnrw-2022-08-04-7-b-80322
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 B 803/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:54"
"2022-10-17T17:55:56"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0804.7B803.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 937,50 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 5 K 908/22 gegen die Zwangsgeldfestsetzung in Höhe von 1.000,00 Euro und die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 1.750,00 Euro gemäß dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.3.2022 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Es überwiege vorliegend das Vollziehungsinteresse. Die Ordnungsverfügung vom 17.3.2022 sei nach der allein möglichen summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig. Die der Zwangsgeldfestsetzung zugrunde liegende Ordnungsverfügung vom 19.1.2022 sei unanfechtbar. Die Antragstellerin sei der ihr durch Ziffer 1 dieser Ordnungsverfügung auferlegten Verpflichtung - die Eingangstreppe instand zu setzen, hierzu die Fehlstellen auszubessern und die Stufen der kompletten Treppe mit einem rutschhemmenden Belag nach DIN 51130 auszugestalten - nicht nachgekommen. Für eine Nichtigkeit dieser Grundverfügung sei nichts ersichtlich. Ein Vollstreckungshindernis liege nicht vor. Die Zwangsgeldfestsetzung sei nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere seien keine außergewöhnlichen Umstände erkennbar. Die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes sei ebenfalls nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diese tragenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht erschüttert.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Soweit sie geltend macht, sie sei ihrer Verpflichtung aus der Ordnungsverfügung vom 19.1.2022 nachgekommen und habe die notwendigen Maßnahmen in Auftrag gegeben, die Stufen seien so bearbeitet worden, dass sie rutschfest seien, auch die Antragsgegnerin habe eingeräumt, dass an den Stufen gearbeitet worden sei, sie habe sogar eingestanden, dass durch die vorgenommenen Arbeiten eine Rutschfestigkeit gegeben sei, führt dieses Vorbringen zu keinem anderen Ergebnis.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, bis zum Erlass der angefochtenen Zwangsgeldfestsetzung habe lediglich eine Auftragsbestätigung der Fa. U.       vorgelegen. Aus dem späteren Schreiben der Fa. U.       vom 11.4.2022 ergebe sich, dass mit der "bislang nicht erfolgten Sanierung" der Treppen voraussichtlich am 25.4.2022 und damit erst Wochen nach Erlass der angefochtenen Zwangsgeldfestsetzung begonnen werden solle. Dem ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen nicht entgegen getreten. Insbesondere genügte allein die behauptete Wiederherstellung der Rutschfestigkeit der Treppenstufen nicht, um die Verpflichtung aus der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung zu erfüllen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die gegen die Grundverfügung vom 19.1.2022 gerichteten Einwendungen der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass wegen der Flutkatastrophe im B.        Land innerhalb der gesetzten Frist von 10 Tagen keine Handwerker zu bekommen seien bzw. die Ordnungsverfügung sei ermessensfehlerhaft, verfangen ebenfalls nicht. Die Grundverfügung ist bestandskräftig und - nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts - auch nicht nichtig.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Aus obigen Gründen hat das Verwaltungsgericht auch nicht - wie die Antragstellerin wegen der behaupteten "Rutschfestigkeit" geltend macht - die Interessenabwägung fehlerhaft vorgenommen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,173
ovgnrw-2022-08-04-10-a-215020a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
10 A 2150/20.A
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:52"
"2022-10-17T17:55:56"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0804.10A2150.20A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin I. aus I1. wird abgelehnt.</p> <p>Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.</p> <p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die von den Klägern beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine bisher obergerichtlich nicht geklärte tatsächliche Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer entsprechenden Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2018 – 4 A 3232/18.A –, juris, Rn. 2 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2017       – 4 A 685/14.A –, juris, Rn. 5 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Danach legen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der von ihnen formulierten Fragen:</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">1. Besteht für belutschische Asylantragsteller aufgrund ihrer Ethnie und/oder nachgesagter separatistischer Einstellung nach einem Auslandsaufenthalt im Fall einer Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung über einen pakistanischen Flughafen mit dem Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, unmittelbar bei Ankunft auf dem Flughafen im Rahmen der Einreisekontrolle Eingriffen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG – insbesondere Haft und schwerer körperlicher Misshandlung bis hin zur extralegalen Tötung im Wege des sogenannten „Verschwindenlassens“ – durch staatliche Behörden ausgesetzt zu sein?</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">2. Besteht für belutschische Asylantragsteller, die sich während eines Aufenthalts in der BRD durch regelmäßige Teilnahme an öffentlichen gegen den pakistanischen Staat gerichteten und durch Angehörige von belutschischen Unabhängigkeitsbewegungen (wie Baloch National Movement, Free Balochistan Movement, Baloch Republican Party) organisierten Demonstrationen und Protestaktionen politisch gegen den pakistanischen Staat, gegen das sogenannte „Verschwindenlassen“ von belutschischen Bürgern und für ein freies Belutschistan engagiert haben, unabhängig davon, ob sie sich bereits in ihrem Heimatland nachweislich politisch im Rahmen der belutschischen Unabhängigkeitsbewegung engagiert haben, im Fall einer Rückkehr oder einer zwangsweisen Rückführung über einen pakistanischen Flughafen mit dem Grad beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, unmittelbar bei Ankunft auf dem Flughafen im Rahmen der Einreisekontrolle Eingriffen im Sinne des § 3a Abs. 1 und 2 AsylG – insbesondere Haft und schwerer körperlicher Misshandlung bis hin zur extralegalen Tötung im Wege des sogenannten „Verschwindenlassens“ – durch staatliche Behörden ausgesetzt zu sein?</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Kläger zeigen nicht auf, dass die unter 1. aufgeworfene Frage, ob Belutschen allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, klärungsbedürftig sein könnte. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 2002 – 1 B 42.02 –, juris, Rn. 5, Urteile vom 18. Juli 2006 – 1 C 15.05 –, juris, Rn. 20, und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 –, juris, Rn. 17 ff.,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vorliegen könnten. Der Kläger benennen zwar verschiedene Erkenntnismittel, wie beispielsweise einen Bericht der C., wonach im Zusammenhang mit dem Vorgehen des pakistanischen Staates in Belutschistan in zahlreichen Fällen Menschen entführt und getötet wurden. Über die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte und darüber, ob die Gruppenverfolgung landesweit droht, ist damit jedoch noch nichts ausgesagt. Dies gilt ebenfalls, soweit die Kläger auf einzelne Tötungen politisch nicht aktiver Belutschen, die dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien, hinweisen. Auch aus der von den Klägern angeführten Auskunft von Amnesty International vom 20. Februar 2019 lässt sich nichts dafür entnehmen, dass jeder belutschische Asylantragsteller bei seiner Rückkehr nach Pakistan allein wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit am Flughafen oder zu einem späteren Zeitpunkt landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt sein könnte, unrechtmäßig verhaftet, körperlich misshandelt oder getötet zu werden. Die allgemeinen Ausführungen der Kläger zur Situation in Belutschistan beziehungsweise zur Situation der Belutschen in Pakistan insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 29. Juli 2020 (dort unter V.) unter pauschalem Verweis auf Informationen, die verschiedenen Internetseiten zu entnehmen seien, genügen von vornherein nicht den sich aus § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG ergebenden Darlegungsanforderungen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Kläger zeigen auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage 2, ob belutschischen Volkszugehörigen, die sich im Ausland in der von ihnen beschriebenen Weise politisch betätigen, im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, nicht auf. Sie meinen, wie sich aus ihren diesbezüglichen Erläuterungen in ihrem Schriftsatz vom 29. Juli 2020 ergibt, dass alle Anhänger einer in Deutschland agierenden belutschischen politischen Gruppierung und nicht nur, wovon das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen ist, politische Aktivisten mit bestimmten Profilen den von ihnen beschriebenen Gefahren ausgesetzt seien. Die von ihnen insoweit angeführten Erkenntnismittel liefern jedoch keine für die Annahme einer Klärungsbedürftigkeit ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die von ihnen aufgeworfene Frage in ihrem Sinne zu beantworten sein könnte. Umso weniger bieten sie Anzeichen dafür, dass die aufgeworfene Frage in ihrer Allgemeinheit überhaupt einer grundsätzlichen Klärung zugänglich sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kläger legen nicht dar, dass beziehungsweise inwieweit sich Anhaltspunkte dafür, dass die Frage 2 in ihrem Sinne zu beantworten sein könnte, aus dem von ihnen in Bezug genommenen Kapitel in dem Report des European Asylum Support Office (EASO Country of Origin Information Report. Pakistan Security Situation, Juli 2016) ergeben könnten. Das besagte Kapitel des Berichts befasst sich allgemein mit der Situation in Belutschistan und kennzeichnet die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien, unspezifisch als „Balochi sympathisers“. Die Kläger behaupten zudem lediglich, es sei umfassend dokumentiert, dass zahlreiche „normale Mitglieder“ des C. National Movement (BNM), dem der Kläger zu 1. angehöre, verschleppt, gefoltert und getötet worden seien. Der von ihnen insoweit angeführte Bericht von Human Rights Watch („We Can Torture, Kill, or Keep You for Years“. Enforced Disappearances by Pakistan Security Forces in Balochistan, Juli 2011) dokumentiert 45 Fälle des sogenannten „Verschwindenlassens“ in Belutschistan hauptsächlich aus den Jahren 2009 bis 2010, die – soweit dies aus den Fallschilderungen überhaupt hervorgeht – wohl überwiegend Mitglieder von militanten politischen Gruppierungen in Belutschistan beziehungsweise Belutschen, die mit solchen Gruppierungen in Verbindung gebracht worden sein sollen, betrafen. Daneben wird aber auch die Stammeszugehörigkeit als ein denkbarer Grund für Verfolgungsmaßnahmen genannt, die mutmaßlich dem pakistanischen Staat zuzurechnen seien. Zwar sollen zwei dieser dort geschilderten Fälle Mitglieder des BNM betroffen haben (Fall 6 und Fall 27), doch ist in dem einem Fall unklar, ob der Betroffene lediglich ein „normales Mitglied“ war. In dem anderen Fall haben die Familienmitglieder den Betroffenen selbst als „senior member“ des BNM bezeichnet. Hiermit und mit den weiteren Einzelheiten des Berichts von Human Rights Watch setzen sich die Kläger in keiner Weise auseinander. Sie zeigen damit nicht auf und es ist auch sonst nicht erkennbar, dass sich aus den vorstehenden Fallschilderungen ein auch nur ansatzweise konsistentes Bild ergeben könnte, das die mit dem Zulassungsvorbringen unterstellte Annahme rechtfertigen könnte, jeder Belutsche, der sich nur irgendwie für die belutschische Unabhängigkeitsbewegung engagiere oder mit dieser auch nur sympathisiere, könnte in Belutschistan oder gar in ganz Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein. Auf eine solche Annahme vermögen die Kläger sich demnach nicht zu stützen, wenn sie meinen, dass ein wie in Frage 2 beschriebenes politisches Engagement für die belutschische Unabhängigkeitsbewegung im Ausland die beschriebene Verfolgungsgefahr bei einer Einreise nach Pakistan begründen könnte.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dass die Auskunft von Amnesty International vom 20. Januar 2019, auf die sich die Kläger maßgeblich berufen, für eine solche Einschätzung hinreichende Anhaltspunkte liefern könnte, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Dort heißt es zwar, dass Aktivisten, die sich für eine Ausweitung der Selbstbestimmung der belutschischen Bevölkerungsgruppe einsetzten oder Gerechtigkeit für Menschenrechtsverletzungen durch den pakistanischen Staat forderten, häufig Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte würden, wobei eine Gefährdung nicht voraussetze, dass sie offizielle Posten oder Funktionen in politischen Bewegungen bekleideten. Die angeführten Belege sind aber nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, Belutschen, die sich exilpolitisch engagieren beziehungsweise engagiert haben, drohe unterschiedslos, also unabhängig von dem Gewicht des politischen Engagements und der dahinter stehenden Motivation eine landesweite Verfolgung durch den pakistanischen Staat. Die von Amnesty International in Bezug genommenen Fälle, die sich, soweit nachvollziehbar, wohl auf besonders profilierte beziehungsweise exponierte Aktivisten beziehen (die betroffenen Personen sind regelmäßig als Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten, Journalisten oder Blogger bezeichnet) stützen eine solch weitgehende Schlussfolgerung nicht. Dies gilt auch, soweit in der Auskunft von Amnesty International im Übrigen unterstellt wird, der pakistanische Staat versuche potentiell mit allen Mitteln, Informationen zu jeglichen politischen Aktivitäten von Belutschen, auch von solchen, die im Ausland lebten, zu erhalten. Denn aus den angeführten Nachweisen ergibt sich nicht etwa, dass in den genannten Fällen lediglich Belutschen betroffen gewesen sein könnten, die jeweils nur niederschwellig politisch aktiv waren. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf Ereignisse verweisen, die sich bei einer Demonstration mehrerer belutschischer Unabhängigkeitsbewegungen vor dem pakistanischen Konsulat in G. im August 2019 abgespielt haben, lässt sich hieraus ebenfalls nichts dafür entnehmen, dass pakistanische Stellen die exilpolitischen Aktivitäten jedes einzelnen Belutschen erfassen und überdies jeden Belutschen, der aus dem Ausland nach Pakistan zurückkehrt, allein wegen seiner regelmäßigen bloßen Teilnahme an irgendwelchen staatskritischen Demonstrationen und Protestaktionen der in Frage 2 beschriebenen Art oder wegen irgendeines sonst im Ausland gezeigten politischen Engagements unterschiedslos verfolgen. Ein solcher Schluss rechtfertigt sich nicht allein aus den hetzerischen Äußerungen Dritter gegen belutschische Aktivisten in Deutschland oder daraus, dass der pakistanische Staat bemüht sein mag, zu verhindern, dass Informationen über die belutschische Unabhängigkeitsbewegung und Menschenrechtsverletzungen an Belutschen, die ihm zuzurechnen sind, an die internationale Öffentlichkeit gelangen. Die von den Klägern in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 2. Mai 2021 genannten (Einzel-)Fälle eines in Schweden getöteten belutschischen Journalisten und der in Kanada getöteten „berühmten belutschischen Aktivistin“ und Präsidentin der BSO (C. Students Organization) geben für die Beantwortung der von ihnen aufgeworfenen Frage 2 in ihrem Sinne nichts Durchgreifendes her.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Bereits das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass in der oben behandelten Auskunft von Amnesty International lediglich die Fälle von drei belutschischen Asylantragstellern aus Deutschland benannt seien, die bei ihrer Einreise im Mai 2016 über den Flughafen von L. dort von der Federal Investigation Agency (FIA) festgehalten worden sein sollen. Zwei von ihnen sollen vor ihrer Freilassung im Februar beziehungsweise Juni 2018 gefoltert worden sein. Damit seien keine Referenzfälle benannt, die angesichts ihrer Zahl darauf schließen lassen könnten, dass einem Belutschen wie dem Kläger zu 1., der nicht mehr getan habe, als an verschiedenen Veranstaltungen der belutschischen Exilbewegung in Deutschland teilzunehmen, im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan ähnliches drohen würde. Diesen Ausführungen setzen die Kläger mit ihrem Zulassungsvorbringen nichts entgegen. Aus der Auskunft von Amnesty International ergibt sich im Übrigen nichts Aussagekräftiges zu den möglichen Gründen, aus denen die angesprochenen drei Personen festgehalten worden sein könnten, insbesondere nichts Konkretes zu ihren etwaigen exilpolitischen Aktivitäten und dem jeweiligen Gewicht solcher Aktivitäten.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Es fehlt also schon an belastbaren Angaben, die die Behauptung stützen könnten, bei den besagten Rückkehrern habe es sich um Belutschen gehandelt, die wie in Frage 2 beschrieben beziehungsweise sonst auf niedriger Schwelle exilpolitisch tätig gewesen seien. Ungeachtet dessen liefert – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – auch die Auskunft von Amnesty International keine aussagekräftige Faktenbasis, die die Annahme rechtfertigen könnte, aus der menschenrechtswidrigen Behandlung einzelner nach Pakistan zurückgekehrter Belutschen, die sich politisch möglicherweise nur niedrigschwellig engagiert haben, lasse sich verallgemeinernd darauf schließen, dass jedem Rückkehrer, der während eines längeren Aufenthalts in Deutschland regelmäßig an Demonstrationen für eine belutschische Unabhängigkeit und gegen den pakistanischen Staat teilgenommen habe, eine vergleichbare Behandlung drohe. Angesichts des Umstandes, dass Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern nach Pakistan stattfinden, wäre vielmehr damit zu rechnen, dass über die angesprochenen drei Fälle hinaus weitere Fälle von menschenrechtswidrigen Behandlungen zurückgekehrter Belutschen durch den pakistanischen Staat bekannt geworden wären, wenn solche in relevantem Ausmaß stattfinden würden. Dies gilt umso mehr, als von einem großen Interesse der belutschischen Exilorganisationen auszugehen ist, von solchen Fälle zu erfahren und sie öffentlich zu machen. Auch wenn der pakistanische Staat die belutschische Exilgemeinschaft beobachtet, kann angenommen werden, dass er exilpolitische Tätigkeiten von Belutschen gegebenenfalls als asyltaktisch motiviert einordnet und entsprechend bewertet.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kläger legen auch nicht dar, dass die Frage 1, ob für belutschische Asylantragsteller aufgrund nachgesagter separatistischer Einstellung im Fall der Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung – konkret bereits im Zusammenhang mit der Einreise nach Pakistan – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, klärungsbedürftig sein könnte. Es ist schon unklar, welche Fall- beziehungsweise Personengruppe sie damit in den Blick genommen wissen wollen. Sollten sie meinen, dass jedem belutschischen Asylantragsteller, der nach einem längeren Aufenthalt im Ausland nach Pakistan zurückkehrt, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit oder irgendeiner exilpolitischen Tätigkeit eine separatistische Einstellung nachgesagt wird, die eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung durch den pakistanischen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich zieht, benennen sie hierfür nach dem Vorstehenden keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nach den obigen Ausführungen fehlt es auch an der Darlegung hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass einem Asylantragsteller im Fall der Rückkehr nach Pakistan, selbst dann, wenn der pakistanische Staat von seinen exilpolitischen Aktivitäten Kenntnis erlangt haben sollte, unterschiedslos, also unabhängig von dem Gewicht seines exilpolitischen Engagements auch unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Motivation hierfür, Verfolgung droht.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Schließlich legen die Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der von ihnen unter 2. aufgeworfenen Frage nicht dar, soweit sie behaupten, die Verwaltungsgerichte, auch innerhalb Nordrhein-Westfalens, beantworteten diese Frage unterschiedlich, weshalb es einer obergerichtlichen Klärung bedürfe. Eine Entscheidung irgendeines Verwaltungsgerichts, das die Frage 2 generell im Sinne der Kläger beantworten würde, benennen sie nicht. Eine solche ist dem Senat auch nicht bekannt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die von den Klägern geltend gemachte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO) führt nicht zur Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das jeweilige Gericht diesen Anforderungen genügt. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Deshalb müssen, soll ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs festgestellt werden, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf einen wesentlichen Teil des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. August 2017 – 4 A 1904/17.A –, juris, Rn. 2 ff., und vom 21. Januar 2016 – 4 A 715/15.A –, juris, Rn. 3 f., jeweils mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon rügen die Kläger ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht habe das Vorbringen des Klägers zu 1. zu der von ihm geltend gemachten Vorverfolgung in Pakistan nicht ausreichend berücksichtigt. Dass er, wie die Kläger nunmehr im Zulassungsverfahren behaupten, bereits seit dem Jahr 2011 während seines Studiums Mitglied der BSO-Azad und auch Sympathisant des BNM gewesen sei, haben weder seine Ehefrau, die Klägerin zu 2., noch er selbst gegenüber dem Bundesamt oder im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgetragen. Die Klägerin zu 2. hat gegenüber dem Bundesamt vielmehr erklärt, sie wisse nur, dass ihr Ehemann Verbindungen zur BSO beziehungsweise zu Mitgliedern der BSO gehabt habe. Der Kläger zu 1. hat sich gegenüber dem Bundesamt dahingehend geäußert, dass er auf dem College einen Freund kennengelernt habe, der aus Belutschistan stamme und politisch aktiv gewesen sei. Er, der Kläger zu 1., habe diesen Freund finanziell unterstützt und „denen auch Unterkunft“ gewährt. Er habe seinem Freund nur geholfen, mehr habe er nicht getan. Er selbst sei nicht politisch aktiv, sondern nur ein Mitläufer gewesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 1. bestätigt, dass seine Angaben gegenüber dem Bundesamt richtig gewesen seien. Das Vorbringen der Kläger gegenüber dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht zu dem von ihnen behaupteten Verfolgungsschicksal hat das Verwaltungsgericht, wie sich aus der zusammenfassenden Wiedergabe in dem angefochtenen Urteil ergibt, zur Kenntnis genommen. Es hat dieses Vorbringen in Erwägung gezogen, ist aber zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kläger nicht glaubhaft gemacht hätten, dass sie in das Blickfeld des pakistanischen Geheimdienstes geraten seien und wegen der behaupteten Unterstützung eines politisch aktiven Belutschen in Pakistan gesucht würden. Anders als die Kläger meinen, hat das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers zu 1., er sei nunmehr Mitglied des BNM und beteilige sich an Protestveranstaltungen dieser Organisation, ebenfalls zur Kenntnis genommen, denn es hat auch diesen Vortrag in dem angegriffenen Urteil wiedergegeben. Es hat ihn gewürdigt, hat aber entschieden, dass die lediglich niederschwelligen exilpolitischen Aktivitäten des Klägers zu 1. bei dessen Rückkehr nach Pakistan eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungsgefahr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit begründeten. Warum es den auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretenen Klägern nicht möglich gewesen sein soll, ausführlicher zu der von ihnen geltend gemachten Vorverfolgung und ihren exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland, etwa zu der Reichweite der von dem Kläger zu 1. besuchten Protestveranstaltungen des BNM und der von ihm im Rahmen dieser Veranstaltungen übernommenen Funktionen, vorzutragen, erschließt sich nicht.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör zeigen die Kläger auch nicht auf, soweit sie rügen, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der „Corona-Situation“ in Pakistan und den hieraus für sie resultierenden Gefahren auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat sich im Rahmen der Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG unter Auswertung der ihm vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Möglichkeiten der Kläger, im Fall der Rückkehr nach Pakistan dort ihren Lebensunterhalt zu sichern, befasst. Dass die Kläger die Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts für falsch halten, bedingt keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Soweit die Kläger meinen, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass ihnen eine inländische Fluchtalternative in Pakistan nicht zur Verfügung stehe, bleibt schon unklar, welchen Zulassungsgrund sie hiermit geltend machen wollen. Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht etwa mit der Begründung verneint, die aus L. stammenden Kläger könnten in anderen Teilen Pakistans Schutz finden.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
346,166
vg-gottingen-2022-08-04-1-a-1722
{ "id": 614, "name": "Verwaltungsgericht Göttingen", "slug": "vg-gottingen", "city": 378, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
1 A 17/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:19"
"2022-10-17T17:55:55"
Urteil
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tatbestand</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Asylfolgeantrags als unzulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die 35 Jahre alte Klägerin zu 1) und ihre fünf minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2) bis 6), sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Die Kläger zu 2) bis 5) sind in der Russischen Föderation geboren, die Klägerin zu 6) ist in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin zu 1) hat ein sechstes Kind, das ebenfalls in Deutschland geboren worden ist. Die Kläger zu 1) bis 5) reisten gemeinsam mit dem Familienvater nach eigenen Angaben über Polen im November 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten im März 2017 Asylanträge. Mit Bescheid vom 24.01.2018 wurden die Anträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) abgelehnt. Im Klageverfahren wurde die Beklagte mit Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 21.01.2020 – 4 A 136/18 – verpflichtet, dem Familienvater die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Hinsichtlich der Kläger im vorliegenden Verfahren wurde lediglich das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben. Mit Bescheid vom 02.03.2020 wurde dem Familienvater Flüchtlingsschutz gewährt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Am 22.10.2020 beantragten die Kläger die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) und verwiesen auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Familienvater. Mit Bescheid vom 23.11.2020 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 24.01.2018 bezüglich der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG ab (Ziffer 2) und ordnete ein auf drei Monate ab dem Tag der Ausreise befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 3). Zur Begründung verwies das Bundesamt im Wesentlichen darauf, dass der Antrag nach Ablauf der gesetzlichen Drei-Monats-Frist aus § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG gestellt worden sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die Kläger haben am 08.12.2020 Klage erhoben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der Familienvater verstarb am XX.XX.2022 an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Kläger tragen zur Begründung ihrer Klage nunmehr vor, die Klägerin zu 1) sei alleinerziehende Mutter von sechs Kindern und könne im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation dort keine ausreichende Lebensgrundlage für sich und die Kinder schaffen. Ihre Familie habe keine überschüssigen Mittel, um sie zu unterstützen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die Kläger beantragen,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">1. festzustellen, dass die Ablehnung des Antrags als unzulässig gemäß Ziff. 1 des Bescheids vom 23.11.2020 für den Zeitraum vom 22.10.2020 bis zum XX.XX.2022 (Todestag des Stammhalters) rechtswidrig war,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">2. unter Aufhebung von Ziff. 2 und 3 des Bescheids vom 23.11.2020 die Beklagte zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufentG festzustellen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die Klage abzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Sie verweist darauf, dass die sozioökonomische Lage in der Russischen Föderation zwar schwierig sei, es aber auf niedrigem Niveau Sozialleistungen gebe. Außerdem könnten die Kläger Rückkehrhilfen beanspruchen; insoweit werde auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.04.2022 – 1 C 10.21 – verwiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Kammer hat mit Beschluss vom 01.07.2022 den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Die Klägerin zu 1) ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und der zuständigen Ausländerbehörde verwiesen.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Das Verfahren war im Umfang der sinngemäß erklärten Klagerücknahme einzustellen (hierzu I.3.). Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg. Sie ist mit dem Antrag zu 1) bereits unzulässig (hierzu I.1, 2), mit dem Antrag zu 2) zulässig, aber unbegründet (hierzu II.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Die als (Fortsetzungs-)Feststellungsklage fortgeführte Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 23.11.2020 ist unzulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>1.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids kann nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) fortgeführt werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht direkt anwendbar, weil sich der Unzulässigkeitsausspruch durch den Tod des als Flüchtling anerkannten Familienvaters („Stammhalters“) nicht erledigt hat, sondern vielmehr – in Ermangelung anderer nachträglich eingetretener Umstände, die die Flüchtlingseigenschaft der Kläger begründen könnten – rechtmäßig geworden ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Aber auch eine analoge Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO kommt vorliegend nicht in Betracht. Grundsätzlich ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog anwendbar auf solche Konstellationen, in denen eine nach Erlass des Bescheids eingetretene Änderung der Sach- oder Rechtslage dem Begehren materiell-rechtlich den Boden entzogen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Abs. 109).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der Übergang von einem Verpflichtungs- zu einem Feststellungsbegehren nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO voraus, dass der Streitgegenstand nicht ausgewechselt oder erweitert wird. Das ergibt sich aus dem Zweck, dem die Fortsetzungsfeststellungsklage dient. Sie soll verhindern, dass ein Kläger, der infolge eines erledigenden Ereignisses seinen ursprünglichen, den Streitgegenstand kennzeichnenden Antrag nicht weiterverfolgen kann, um die „Früchte“ der bisherigen Prozessführung gebracht wird. Er darf daher das in der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage subsidiär enthaltene Feststellungsbegehren als Hauptantrag fortführen, wenn er ein entsprechendes Feststellungsinteresse vorweisen kann. Ohne weiteres zulässig ist eine solche Fortsetzungsfeststellungsklage mithin nur, wenn der Streitgegenstand von dem bisherigen Antrag umfasst war (BVerwG, Urt. v. 24.01.1992 - 7 C 24.91 -, BVerwGE 89, 354, 355, juris Rn. 7; Urt. v. 16.05.2007 - 3 C 8.06 -, BVerwGE 129, 27, 30, Rn. 18, juris Rn. 18). Daran fehlt es, wenn das ursprüngliche Verpflichtungsbegehren einen anderen Zeitpunkt betrifft als das spätere Feststellungsbegehren. Bestandteil des Streitgegenstands der Verpflichtungsklage ist nicht die Feststellung, dass der Verwaltungsakt, in dem die Ablehnung nach außen Gestalt gefunden hat, rechtswidrig ist, sondern die Feststellung, dass die Weigerung der Behörde in dem für das Verpflichtungsbegehren entscheidenden Zeitpunkt, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen, die Rechtsordnung verletzt. Eine Weiterführung des Verfahrens mit dem Antrag, der ablehnende Bescheid sei rechtswidrig gewesen, ist daher auf der Grundlage des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur zulässig, wenn der für eine solche Feststellung maßgebliche Zeitpunkt sich mit dem des bisherigen Verpflichtungsbegehrens deckt. Andernfalls geht der Fortsetzungsfeststellungsantrag über den ursprünglichen Streitgegenstand hinaus. Richtet sich nach dem einschlägigen materiellen Recht die Begründetheit der Verpflichtungsklage nach dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, so muss auch der Fortsetzungsfeststellungsantrag diesen Zeitpunkt betreffen (BVerwG, Urt. v. 24.01.1992, a.a.O., S. 356, juris Rn. 8). Weicht der Feststellungsantrag hiervon ab, so ist er nicht schon nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Vielmehr liegt dann eine Klageänderung vor, die nur unter den Voraussetzungen des § 91 VwGO zulässig ist (BVerwG, Urt. v. 28.04.1999 - 4 C 4.98 -, BVerwGE 109, 74, 78, juris Rn. 16 f.; Urt. v. 16.05.2007, a.a.O., Rn. 18).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Diese Rechtsprechung ist auf die hier ursprünglich erhobene Anfechtungsklage übertragbar, weil nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist. Auch in den Konstellationen wie der vorliegenden, in denen der den Schutzanspruch tragende Umstand, nämlich die Flüchtlingsanerkennung des Familienvaters, erst im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens durch dessen Tod weggefallen ist, ist nicht auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.2006 - 1 B 175.06 -, juris Rn. 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Die Kläger haben nach dieser Maßgabe den Streitgegenstand der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage geändert, indem sie den gesamten Zeitraum des Asylfolgeverfahrens ab Antragstellung bis zum Tod des Familienvaters zum Gegenstand der Feststellungsklage gemacht haben, ohne dass es auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz ankommen soll.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>2.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Der geänderte Klageantrag ist auch nicht als Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Der Übergang auf die hier statthafte Feststellungsklage durch Antragstellung in der mündlichen Verhandlung stellt eine Klageänderung dar, die den Anforderungen an § 91 VwGO genügen musste. Nach § 91 Abs. 1 VwGO ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Hier liegt in dem Klageabweisungsantrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung keine rügelose Einlassung i.S.d. § 91 Abs. 2 VwGO, weil sich der Beklagtenvertreter zum Feststellungsantrag inhaltlich nicht geäußert hat, sondern sogleich Klageabweisung beantragt hat (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 91 Rn. 17). Die Klageänderung ist hier allerdings sachdienlich, weil ein weiterer Prozess vermieden wird, dem kein anderer Prozessstoff zugrunde läge wie dem vorliegenden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Der Klage fehlt es aber am Feststellungsinteresse, § 43 Abs. 1 VwGO. Das berechtigte Interesse schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art ein (Kopp/Schenke, a.a.O., § 43 Rn. 23). Hier berufen sich die Kläger darauf, dass ihnen die Feststellung bei möglichen, in der Zukunft liegenden Anträgen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis rechtliche Vorteile bringen könnte. Diese Vorteile sind nicht ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Soweit der Erwerb oder die Ausübung eines Rechts oder eine Vergünstigung von der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet abhängig ist, wird grundsätzlich nach § 55 Abs. 3 AsylG die Zeit eines Aufenthalts, in der der Ausländer über eine Aufenthaltsgestattung verfügte (§ 55 Abs. 1 AsylG: ab Stellung eines Asylantrags für die Dauer des Asylverfahrens), nur dann angerechnet, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt ist oder ihm internationaler Schutz zuerkannt wurde. Der Gesetzgeber knüpft nach dem Wortlaut der Norm ausdrücklich an die Asylanerkennung oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes an (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.03.2007 - 5 C 8.06 -, BVerwGE 128, 254, 256, Rn. 10, juris Rn. 10; Hess. VGH, Beschl. v. 07.02.2012 - 5 D 2410/11 -, juris Rn. 4; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 4: Asylrecht, Stand Juni 2022, § 55 AsylG, Rn. 41). An einer solchen fehlt es hier und wird von den Klägern auch nicht mehr angestrebt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Soweit das Aufenthaltsgesetz Ausnahmen von § 55 Abs. 3 AsylG bei der Anrechnung von Zeiten vorangegangener Asylverfahren kennt (vgl. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 Nr. 1, Abs. 4 Satz 3 AufenthG), kommt es dabei nicht darauf an, ob ein Anspruch auf Asylanerkennung oder Zuerkennung internationalen Schutzes bestanden hätte. Es genügt vielmehr, dass ein Asylverfahren durchgeführt worden ist und die weiteren Voraussetzungen vorliegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>3.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>In der Klageänderung lag sinngemäß die Rücknahme der ursprünglichen Anfechtungsklage, soweit sie sich auf Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids bezog. Insoweit war die Klage einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Norm lässt auch die Berücksichtigung von Gefahren zu, die nicht vom Staat oder staatsähnlichen Organisationen ausgehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>In Betracht kommt aufgrund des Vortrags der Kläger, sie könnten im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation weder aus eigener Kraft noch durch Unterstützungsleistungen der Großfamilie eine (für das Überleben) ausreichende Lebensgrundlage erlangen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK. Danach darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können in besonderen Ausnahmefällen auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen. Es sind allerdings strengere Maßstäbe anzulegen, sofern es an einem verantwortlichen (staatlichen) Akteur fehlt: Schlechte humanitäre Bedingungen, die ganz oder in erster Linie auf Armut oder auf das Fehlen staatlicher Mittel zum Umgang mit auf natürlichen Umständen beruhenden Gegebenheiten zurückzuführen sind, können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nur in ganz außergewöhnlichen Fällen begründen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen. Solche ganz außergewöhnlichen Umstände können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, welche Träger des gleichen Merkmals sind oder sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. EGMR, Urt. v. 13.12.2016, - Nr. 41738/10, R. /Belgien -, NVwZ 2017, 1187 Rn. 183, juris). In einem solchen Fall kann ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausnahmsweise etwa dann vorliegen, wenn die Abschiebung, wenngleich nicht unmittelbar zum Tod des Betroffenen, so doch zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ aufweisen. Diese kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 - 1 C 45.18 -, BVerwGE 166, 113, Rn. 12, juris Rn. 12, m.w.N.; Nds. OVG, Beschl. v. 20.12.2019 - 10 LA 192/19 -, juris Rn. 21). Bei Familien mit Kindern kann sich eine Gefährdung ihrer geschützten Rechte auch daraus ergeben, dass der bzw. die Betroffene(n) nicht zugleich die eigene Existenz und die seiner bzw. ihrer Familie sichern können würden (BVerwG, ebd., Rn. 25 bis 28).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Können extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse, welche die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK begründen, somit durch eigene Arbeit oder die Inanspruchnahme der Hilfe- oder Unterstützungsleistungen Dritter wie etwa Angehörigen oder nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen abgewendet werden, besteht schon nicht mehr die ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not, die unter Umständen eine staatliche Schutzpflicht zu (ergänzenden) staatlichen Leistungen auslösen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.2021 - 1 C 3.21 -, juris Rn. 25 ff.; Urt. v. 21.04.2022 - 1 C 10/21 -, juris Rn. 17).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Hieran gemessen besteht keine tatsächliche Gefahr, dass die Klägerin zu 1) und ihre Kinder im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation ihre elementarsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen könnten. Die humanitären Bedingungen für kinderreiche Familien sind in der Russischen Föderation auch unter den Bedingungen der aktuellen, durch die internationalen Sanktionen gegen das Land verschärfte Wirtschaftskrise schon nicht so schlecht, dass sie extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse darstellen. Den Klägern wird im Fall ihrer Rückkehr der Zugang zu den bestehenden Sozialleistungen offenstehen, nämlich zum Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Es gibt insbesondere ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren, aber auch an Kinder bis zu 18 Jahren, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation, Stand Oktober 2020, vom 02.02.2021 i.d.F. vom 21.05.2021, S. 21). Nicht berücksichtigen kann die Einzelrichterin hingegen mögliche Rückkehrhilfen, weil zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht feststand, ob die Kläger hierfür in Betracht kommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Im Übrigen können die Kläger auch mit nichtstaatlicher Unterstützung rechnen. Es ist zwar fernliegend davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1), die nach eigenen Angaben über keine Berufsausbildung verfügt und nach eigenen Angaben noch nie in berufstätig war, als alleinerziehende Mutter von sechs zum Teil sehr jungen Kindern in absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit aufnehmen könnte. Aufgrund ihrer Angaben in der mündlichen Verhandlung ist aber davon auszugehen, dass sie im Fall ihrer Rückkehr Obdach und Versorgung durch Angehörige erfahren könnte. So antwortete sie in der mündlichen Verhandlung auf die ausdrückliche Frage, ob ihre Wohnung im Haus der Schwiegereltern noch zur Verfügung stehe, lediglich, dass das Haus nach dem Tod ihrer Schwiegereltern auf einen Schwager übergehen werde. Dass die Wohnung belegt sei oder der Schwager sie nicht aufnehmen würde, gab sie nicht an. Ihre eigenen zahlreichen Geschwister und Schwager verfügen jeweils zwar über eigene Familien, haben nach ihren Angaben aber auch Gärten, die der Versorgung dienen. Der enge Familienverband in Tschetschenien dürfte ausschließen, dass sie mit ihren Kindern nicht in die Versorgung jedenfalls mit Lebensmitteln einbezogen werden würde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Das unter Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnet aus den Gründen des Bescheids, die sich die Einzelrichterin zu eigen macht, ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006753&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,151
olgham-2022-08-04-21-u-10621
{ "id": 821, "name": "Oberlandesgericht Hamm", "slug": "olgham", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
21 U 106/21
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:49"
"2022-10-17T17:55:52"
Beschluss
ECLI:DE:OLGHAM:2022:0804.21U106.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5.7.2021, I-1 O 227/20, wird gemäß § 522 II ZPO zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.</p> <p>Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.</p> <p>Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf bis 19.000,00 € festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">(abgekürzt gem. §§ 540 II, 313a I, 544 II Nr. 1 ZPO)</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, und auch die weiteren Voraussetzungen einer Entscheidung gem. § 522 II ZPO sind erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführlichen Hinweise des Senats in dem Beschluss vom 30.6.2022 (Bl. 726-732 d. A.) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die dazu vom Kläger mit Schriftsatz vom 25.7.2022 (Bl. 737 ff.) abgegebene Stellungnahme bietet keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung der Sach- und Rechtslage.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten gem. §§ 826, 31 BGB sind nicht dargetan. Auf die Ausführungen im o.g. Hinweisbeschluss kann insofern umfassend Bezug genommen werden, weil der Kläger diese zwar als unzutreffend rügt, konkrete Einwände indes nicht vorbringt. Ausreichende Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Handeln und einen Schädigungsvorsatz der Beklagten ergeben sich aus seinem Vorbringen weiterhin nicht. Dass die in Bezug auf Fahrzeuge der Typen C3 und C4 vorgetragenen Messergebnisse auf das streitgegenständliche Fahrzeug zu übertragen wären, ist nicht dargetan oder ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Auch das ergänzende Vorbringen zu einer etwaigen Haftung der Beklagten gem. § 823 II BGB und der Bedeutung der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH in diesem Zusammenhang ist unerheblich. Eine Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 ZPO ist nicht angezeigt. Auch insoweit bleibt es bei der mit dem Hinweisbeschluss vom 30.6.2022 erläuterten Rechtsauffassung des Senats.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte haftet dem Kläger weder nach § 823 II BGB in Verbindung mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV noch nach den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, weil das Interesse, nicht zu einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt. Die Schlussanträge des Generalanwalts E vom 23.9.2021 in Bezug auf Vorlagefragen österreichischer Gerichte betreffend das Thermofenster haben bereits in der Vergangenheit keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung gegeben. Der Generalanwalt befürwortet, das dort zur Überprüfung gestellte Thermofenster als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einzuordnen und ein so ausgestattetes Fahrzeug als nicht dem Kaufvertrag gemäß im Sinne der Richtlinie 1999/44/EG anzusehen. Dies besagt aber für die hier allein interessierende Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH Beschluss v. 4.5.2022, VII ZR 733/21, BeckRS 2022, 14779 [Rz. 14]; Beschluss v. 20.4.2022, VII ZR 720/21, BeckRS 2022, 12628 [Rz. 13]; Beschluss v. 26.1.2022, VII ZR 516/21, BeckRS 2022, 3676 [Rz. 4]).</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dasselbe gilt hinsichtlich der von der Klägerseite in Bezug genommenen Ausführungen des Generalanwalts E vom 2.6.2022, wonach die EG-Übereinstimmungsbescheinigung auch dem Interesse eines Fahrzeugkäufers dient, kein Fahrzeug zu erwerben, das über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Sie ändern nichts daran, dass im vorliegenden Fall keine relevanten europarechtlichen Fragestellungen offen sind. Die Schlussanträge haben für den EuGH keinerlei bindende Wirkung, sondern stellen lediglich eine unverbindliche Arbeitshilfe für den Gerichtshof dar. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage steht aus. An der maßgeblichen Rechtslage hat sich durch die Schlussanträge somit nichts geändert.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">aa)</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Davon abgesehen ergeben sich aus ihnen aber auch keinerlei Gründe, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen. Denn aus den Schlussanträgen selbst ergibt sich gerade nicht, dass auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts in Gestalt des Vertragsabschlussschadens und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages von einer etwaigen drittschützenden Wirkung der Richtlinie 2007/46/EG oder der VO (EG) Nr. 715/2007 umfasst sein sollte. Der Generalanwalt hat vielmehr lediglich solche (angeblichen) Schäden im Blick, die durch eine Nichtzulassung des Fahrzeuges oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen. Derartige Umstände betreffen aber nicht das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Kunden. In diesem Fall macht die Klagepartei eine Verletzung ihres wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend. Denn der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines angeblich ungewollten Kaufes. Die Beantwortung der Vorlagefragen in der Rechtssache EuGH C 100/21 ist somit auch nach den Schlussanträgen des Generalanwalts E vom 2.6.2022 für den hier vorliegenden, konkreten Rechtsstreit irrelevant, weil sie nur solche Schäden betrifft, die durch eine Nichtzulassung des Fahrzeuges oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen. Daher fehlt es am Schutzzweckzusammenhang (OLG Schleswig, Beschluss v. 18.7.2022, 7 U 198/21, BeckRS 2022, 18482 [Rz. 33-35]).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">bb)</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zur Herleitung des angeblich drittschützenden Zweckes der RL 2007/46/EG stützt sich die Argumentation des Generalanwalts der Sache nach zudem einzig auf Satz 1 der Ziffer 0 des Anhangs IX der RL 2007/46/EG. Diese „Zielbestimmung“ war indes von dem eigentlich zuständigen Unionsgesetzgeber, nämlich Parlament und Rat, ursprünglich überhaupt nicht vorgesehen (vgl. die Ursprungsfassung der RL 2007/46/ES vom 5. September 2007 in ABl. L 263 vom 9. Oktober 2007, S. 1, 110). Sie wurde erst im Mai 2009 mit der Verordnung (EG) Nr. 385/2009 (ABl. L 118 vom 13. Mai 2009, S. 13) nachträglich und einseitig von der Kommission eingefügt. Zum Erlass dieser Änderungsverordnung war die Kommission jedoch nicht legitimiert. Ziffer 0 entfaltet mithin keine drittschützende Wirkung, entscheidend für die Auslegung ist vielmehr der übrige Inhalt der RL 2007/46/EG (vgl. OLG Schleswig, a.a.O. [Rz. 36-38]).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus fehlt es, dem bereits erteilten Hinweis entsprechend, am gem. § 823 II BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten. Die Argumentation des Senats zu den besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmalen des § 826 BGB, wonach allenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf in Betracht komme, sind nicht so zu verstehen, dass hier Fahrlässigkeit hinsichtlich eines Verstoßes gegen drittschützende Normen festgestellt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">aa)</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 II BGB ist § 276 II BGB. Gemäß dieser Vorschrift handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt, zu dem eine Schadensabwendung in Betracht kam. Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Irrtum des Schuldners schließt Fahrlässigkeit aus, wenn er unvermeidbar war. An die Unvermeidbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen. Ein Rechtsirrtum ist nur ganz ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Dies ist allerdings nicht dahingehend zu verstehen, dass eine dem Schuldner ungünstige Entscheidung der Rechtsfrage undenkbar gewesen sein müsste. Es genügt zum Beispiel, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Schuldners beantwortet hätte. In diesem Fall sind auch die sonst zu fordernden Erkundigungen des Schuldners über Bestand und Umfang seiner Verpflichtung entbehrlich und scheidet eine Haftung nach § 823 II BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetz aus (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1004, 1005).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">bb)</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Maßstäben hat die Beklagte durch den Einbau der hier in Rede stehenden Funktionen in das Fahrzeug des Klägers und durch die Ausstellung einer Übereinstimmungsbescheinigung für dieses Fahrzeug nicht fahrlässig gehandelt. Zwar hat die Beklagte nicht vorgetragen, zur Rechtmäßigkeit der hier fraglichen Funktionen Rechtsrat eingeholt zu haben. Eine ausreichende Erkundigung der Beklagten bei der zuständigen Aufsichtsbehörde hätte aber die Rechtmäßigkeit der eingesetzten Funktionen bestätigt. Die Beklagte hätte sich am zuverlässigsten über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der von ihr verwendeten Funktionen Klarheit verschaffen können, indem sie die Funktionen vor dem Inverkehrbringen des klägerischen Fahrzeuges – jedenfalls vor der Erstzulassung im Jahr 2008 - dem KBA erläutert und um eine Beurteilung gebeten hätte. Denn das KBA ist und war gem. § 2 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der RL 2007/46/EG diejenige Behörde, die in Deutschland für die Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben zu sorgen hat. Hätte die Beklagte das KBA um entsprechende Auskunft gebeten oder gegenüber dem KBA schon vor Erteilung der hier einschlägigen Typgenehmigung alle Funktionen offen gelegt, hätte das KBA die von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendeten Funktionen jedoch nicht als unzulässig beurteilt (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 24.6.2022, 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 [Rz. 65-70]). Dieser Schluss ist im Hinblick auf das Thermofenster schon deshalb gerechtfertigt, weil dem KBA sowohl das Vorhandensein als auch die grundsätzliche Funktionsweise seit Jahren bekannt ist, ohne dass es dies zum Anlass einer Beanstandung nimmt. Auch die nationale Zulassungs- (Typgenehmigungs-) Behörde hat also - im Übrigen ebenso wie weitere europäische nationale Zulassungsbehörden, wie dem Senat aus anderen bei ihm anhängigen Verfahren bekannt ist - die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht anders verstanden als die Beklagte. Dies gilt selbst auch heute noch, obwohl dem KBA die hier fraglichen Funktionen nunmehr unstreitig im Detail bekannt sind, wie sich daraus ergibt, dass das KBA hinsichtlich des streitbefangenen Fahrzeugtypen weder einen Rückruf angeordnet noch sonstige Maßnahmen gegen die Beklagte ergriffen hat. Vielmehr hat das KBA in mehreren amtlichen Auskünften ausdrücklich erklärt, dass beim streitgegenständlichen Fahrzeug- und Motortyp der Beklagten unzulässige Abschalteinrichtungen nicht festgestellt wurden. Da das Verschulden nach objektiv-normativen Kriterien verkehrskreisbezogen festzustellen ist (MüKo/Grundmann, BGB, 9. Aufl., § 276 Rn. 60), ergibt sich eine Bewertung als pflichtwidrig insofern nicht.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10 S. 2, 713, 544 II Nr. 1 ZPO.</p>
346,143
olg-oldenburg-2022-08-04-11-uf-7622
{ "id": 604, "name": "Oberlandesgericht Oldenburg", "slug": "olg-oldenburg", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
11 UF 76/22
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:37"
"2022-10-17T17:55:51"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 7) vom 05.04.2021 wird der am 29.03.2022 verkündete Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht – Bad Iburg (Aktenzeichen: 5 F 338/21 S) in seinem Ausspruch über den Versorgungsausgleich betreffend die Anrechte der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung GG wie folgt ergänzt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Das Anrecht der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung GG (Versicherungsnummer …) in Höhe von 1,0330 Entgeltpunkten in Form des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung bleibt Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung vorbehalten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">II. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; die außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 1.500 € festgesetzt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>In dem am 29.03.2022 verkündeten familiengerichtlichen Beschluss hat das Familiengericht die Ehe der Antragstellerin und des Antragstellers geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Dabei hat es unter anderem auch Anrechte der Antragstellerin und des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung im Wege der internen Teilung zum Ausgleich gebracht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin hat während der gesetzlichen Ehezeit vom TT.MM.2003 bis TT.MM.2021 ausweislich der erstinstanzlich erteilten Auskunft der Beschwerdeführerin vom 14.02.2022 in der allgemeinen Rentenversicherung 10,0015 Entgeltpunkte erwirtschaftet (Bl. 75ff UA-VA). Die Beschwerdeführerin hat einen Ausgleichswert von 5,0008 Entgeltpunkten vorgeschlagen, der einem korrespondierenden Kapitalwert von 38.639,31 € entspricht. Dieses Anrecht hat das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung zum Ausgleich gebracht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Des Weiteren hat die Antragstellerin während der gesetzlichen Ehezeit ausweislich der erstinstanzlich erteilten Auskunft der Beschwerdeführerin vom 14.02.2022 in der allgemeinen Rentenversicherung einen Zuschlag für langjährige Versicherung von 2,0659 Entgeltpunkten erwirtschaftet (Bl. 75ff UA-VA). Die Beschwerdeführerin hat einen Ausgleichswert von 1,0330 Entgeltpunkten vorgeschlagen, der einem korrespondierenden Kapitalwert von 7.981,60 € entspricht. Für dieses Anrecht hat das Familiengericht keine Entscheidung getroffen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Die Beschwerdeführerin wendet sich hiergegen mit ihrer Beschwerde. Sie trägt vor, dass das Familiengericht die seitens der Antragstellerin während der Ehezeit erwirtschafteten Anrechte in Form des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht zum Ausgleich gebracht habe. Es seien nicht nur 5,008 Entgeltpunkte, sondern zudem 1,0330 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auszugleichen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den am 29.03.2022 verkündeten Beschluss Bezug genommen (Bl. 41ff d. A.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die zulässige Beschwerde ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>1. Der Senat hat den Beteiligten seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch Hinweisbeschluss vom 28.06.2022 dargelegt und ihnen die Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet. In diesem Hinweisbeschluss hat der Senat ausgeführt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p><em>„Bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung handelt es sich um ein gem. § 2 Abs. 1 und 2 VersAusglG auszugleichendes Anrecht. Das Anrecht wurde durch Arbeit geschaffen und dient der Absicherung im Alter. Es ist - sofern es im Rahmen der wirtschaftlichen Überprüfung zu keiner Anrechnung von eigenem Einkommen oder das des Ehegatten kommt (§ 97a SGB VI) - auf eine Rente gerichtet.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p><em>Zwar sind solche Entgeltpunkte weder durch Beiträge des Versicherten noch eines Dritten beitragsfinanziert. Die Grundrente ist nämlich steuerfinanziert (vgl. https://www.bmas.de/DE/Soziales/Rente-und-Altersvorsorge/Leistungen-Gesetzliche-Rentenversicherung/Grundrente/Fragen-und-Antworten-Grundrente/fragen-und-antworten-grundrente-art.html; vgl. auch BT DRs. 19/18473 S. 5f; BR Drs. 85/20 S. 4). Ihre Finanzierungskosten sollen vollständig über einen erhöhten Bundeszuschuss getragen werden (§ 213 Abs. 2 Satz 4 SGB VI; Ruland, Die Grundrente – Voraussetzung, Berechnung, Verfahren und Versorgungsausgleich, NZS 2021, 241ff).).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p><em>Ziel der Grundrente ist die Anerkennung der Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Die Anerkennung dieser seitens der Versicherten erbrachten Lebensleistung ist als Rentenzuschlag konzipiert (vgl. hierzu ausführlich Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609ff). Die Grundrente soll einen Beitrag gegen die Altersarmut darstellen (vgl. hierzu https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/2019/2019-05-13-neue-westfaelische-zeitung.htmlBMAS - "). Der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherte unterliegt einer besonderen Einkommensanrechnung (§ 97a SGB VI), die dazu führen kann, dass sich ein geringerer oder kein Zahlbetrag ergibt.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p><em>Damit stellt die Grundrente ihrem Kern nach eine im Versorgungsausgleich systemfremde Fürsorgeleistung des Staates dar (Bachmann/Borth a.a.O.). Gleichwohl dürften die Zuschläge an Entgeltpunkten für langjährige Versicherte dem Versorgungsausgleich unterfallen. Voraussetzung der Erlangung der Grundrentenentgeltpunkte sind mindestens 33 Jahre Grundrentenzeiten (s. hierzu im Einzelnen Bachmann/Borth a.a.O.), damit knüpft die Begründung des Anrechts nicht nur an eine Fürsorgeleistung des Staates, sondern auch an eine beitragsorientierte Leistung des Versicherten an.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p><em>Begründet wird ein Anrecht durch alle Tatsachen, die seine Entstehung oder seinen Wertzuwachs zur Folge haben, während es aufrechterhalten wird, wenn die Voraussetzungen für den (künftigen) Anspruch wenigstens teilweise während der Ehezeit erfüllt werden (BT-Drs 7/650, 155; vgl. Norpoth/Sasse in: Erman BGB, Kommentar, § 2 Auszugleichende Anrechte, Rn. 5).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p><em>Trotz der sozialrechtlichen Komponente der Grundrente unterfallen die Entgeltpunkte für langjährige Versicherung dem Versorgungsausgleich (vgl. hierzu ausführlich Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609ff; Ruland, NZS 2021, 241).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p><em>Diese Entgeltpunkte für langjährig Versicherte sind gesondert auszugleichen. Es handelt sich um eine besondere Entgeltpunkteart, die der Anrechnung von bestimmtem eigenen Einkommen des Versicherten und dessen Ehegatten unterliegt. Gemäß § 120f II Nr. 3 SGB VI dürfen diese Entgeltpunkte daher nicht mit den übrigen Entgeltpunktearten verrechnet werden (vgl. hierzu Bachmann/Borth a.a.O S. 1611.).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p><em>Erzielt allerdings die ausgleichspflichtige Person – wie im vorliegenden Fall – aus dieser Entgeltpunkteart noch keine Rente, so scheidet ein Ausgleich dieser Entgeltpunkte für langjährig Versicherte im Wege des Wertausgleichs bei der Scheidung (§ 10 VersAusglG) regelmäßig aus, da ein solches Anrecht (…) zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchführung des Versorgungsausgleichs noch nicht ausgleichsreif ist (§ 19 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p><em>Dem liegt zugrunde, dass der Grundrentenzuschlag der Antragstellerin noch nicht hinreichend verfestigt ist (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p><em>Nicht hinreichend verfestigt sind Anrechte, wenn der Bestand des Anrechts dem Grund oder der Höhe nach noch nicht feststeht, weil der Erwerbsvorgang entweder noch nicht abgeschlossen ist oder das Anrecht in seinem Bestand noch wegfallen kann (Norpoth/Sasse in: Ermann BGB, 16. Auflage 2020, § 19 Rn.4 m.w.N.).</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p><em>Zwar steht der Bestand des Anrechts dem Grunde nach fest, da die Einkommensanrechnung das Stammrecht nicht verdrängt (Ruland, NZS 2021, 241, 248). Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Grundrente. Auch steht die Höhe der Grundrente aufgrund der Zuweisung von konkreten Entgeltpunkten zu dem jeweils gültigen Rentenwert fest.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p><em>Aufgrund der weitreichenden Anrechnungsvorschriften ist es aber völlig ungewiss, ob sowie ggf. in welcher Höhe die Antragstellerin nach Renteneintritt jemals Leistungen aus dem Grundrentenzuschlag erhalten wird.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p><em>So erfolgt bei der Auskunftserteilung im Versorgungsausgleich keine Prüfung durch die gesetzliche Rentenversicherung, ob bereits zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung in Ansehung der Anrechnungsvorschriften überhaupt jemals Leistungen aus der Grundrente denkbar sind. Da die Anrechnungsvorschriften insbesondere auch Einkommen erfassen, welches mit den Anrechten im Versorgungsausgleich nicht im Zusammenhang steht, ist zudem unsicher, ob in der Ehezeit tatsächlich ein Anrecht auf Grundrentenzuschlag erwirtschaftet wurde, aus welchem im Ergebnis später ein Rentenbezug folgen könnte. Es steht im Ergebnis nämlich nur die Höhe des Grundrentenzuschlags, nicht aber eine hieraus resultierende spätere tatsächliche Rentenleistung fest.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p><em>Das Anrecht ist daher aufgrund der möglichen Anrechnung sonstiger anrechenbarer Versorgungsleistungen und dem sonstigen Einkommen aus anrechenbaren Einkünften (bspw. Mieteinnahmen etc. vgl. § 97a SGB VI) der ausgleichsberechtigten Person und ihres Ehegatten insgesamt noch nicht verfestigt (vgl. hierzu in Bezug auf eine endgehaltsbezogene Versorgung, die eine Limitierungsregelung enthält: BGH, Beschluss vom 17. April 2013 – XII ZB 371/12 –, FamRZ 2013, 1021, Rn. 10 juris, vgl. hierzu auch Borth, Versorgungsausgleich, 9. Auflage, Kap. 3 Rn. 161 und Kap. 2 Rn. 360), was aus der systemfremden Konstruktion des Zuschlags folgt. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei der Grundrente um eine sich ggf. erst in der Leistungsphase auswirkende staatliche Fürsorgeleistung, der tatsächliche Bezug von Leistungen aus diesem Zuschlag ist im Ergebnis sowohl auf Seiten des Ausgleichspflichtigen als auch auf Seiten des Ausgleichsberechtigten ungewiss. Daher ist in einer Gesamtschau von einem in der Anwartschaftsphase noch nicht hinreichend verfestigtem Anrecht auszugehen.</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p><em>Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Ausgleich der Entgeltpunkte für langjährige Versicherung für den Antragsgegner zudem unwirtschaftlich wäre (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG, vgl. hierzu ausführlich OLG Frankfurt v. 25.05.2022, 7 UF 4/22, http://www.hefam.de/urteile/7UF422.html; anders wohl OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.05.2022, 11 UF 283/22, juris und OLG Braunschweig, Beschluss vom 30.05.2022, 2 UF 66722, juris, welche ohne Ausführungen zum Vorrang des § 19 VersAusglG zu § 18 VersAusglG den Ausgleich wegen Geringfügigkeit nicht durchgeführt haben). Dieser würde infolge der Anrechnungsvorschriften nämlich wahrscheinlich keine Leistungen aus der Grundrente beziehen können. So hat der Antragsgegner gem. Auskunft der Deutschen Rentenversicherung FF vom 23.12.2021 (Bl. 71ff UA-VA) bisher insgesamt 40,5154 Entgeltpunkte erwirtschaftet (Bl. 72 UA-VA). Im Wege des Versorgungsausgleichs werden zu seinen Gunsten 5,0008 Entgeltpunkte sowie zu seinen Lasten und zu Gunsten der Antragstellerin 12,2900 Entgeltpunkte übertragen, so dass er unter Ansatz des Rentenwerts zum Ehezeitende von 34,19 € aus 33,2262 Entgeltpunkten (40,5154 abzüglich 12,2900 zuzüglich 5,0008 Entgeltpunkte) brutto bereits eine monatliche Rente von 1.136 € erhält. Zudem wird er voraussichtlich bis zum Renteneintritt jährlich weitere Entgeltpunkte erwirtschaften, da er zuletzt von Januar bis Juli 2021 ein sozialversicherungspflichtiges Bruttoeinkommen von 3.752,72 € erzielt hat (26.269 € : 7 Monate, s. Bl. 73R UA-VA). Ausgehend hiervon wird er wahrscheinlich vom Ehezeitende bis zum Renteneintritt im Jahr 2036 zumindest 15 weitere Entgeltpunkte erwirtschaften (bei einem Bruttoeinkommen von 3.241,75 € erwirtschaftet ein in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherter im Jahr 2022 einen Entgeltpunkt; vgl. file:///C:/Users/J004097/Downloads/ZuT_2022_1.pdf Seite 9), so dass er bereits aus der gesetzlichen Rentenversicherung zumindest einen Betrag von brutto ca. 1.650 € erwirtschaftet. Des Weiteren wird er aus dem betrieblichen Anrecht noch Leistungen von ca. brutto 135 € erzielen. Er hat ein Anrecht auf betriebliche Altersversorgung von insgesamt 2.146 € p.a. erwirtschaftet, welches aufgrund des Versorgungsausgleichs ca. um 531,35 € p.a. gekürzt werden wird (Bl.47f d. A.). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner überhaupt Leistungen aus einem Grundrentenzuschlag beziehen könnte. Monatliches Nettoeinkommen wird derzeit nur bis zu 1.250 € nicht angerechnet, Einkommen über 1.250 bis zu 1.600 € im Monat wird bis zu 60 Prozent auf den Zuschlag angerechnet, höheres Einkommen als 1.600 € im Monat wird vollständig auf den Zuschlag angerechnet.“</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>2. Der Hinweisbeschluss wurde den Beteiligten zugestellt. Binnen gesetzter Frist ist eine Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss nicht zur Akte gelangt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>3. Der Senat hält auch nach nochmaliger Beratung der Angelegenheit an seiner bereits geäußerten Auffassung fest. Ergänzend ist zu bemerken, dass der rechtlichen Bewertung des Senats die Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung betreffend die Anrechnungszeiten bspw. aus einer nachträglich gewährten „Mütterrente“ auf Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt (§ 262 SGB VI) oder die Anrechnung aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die gesetzliche Rente (§ 93 SGB VI) nicht entgegenstehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>So können zwar infolge einer nachträglich erhöhten Bewertung relevanter Zeiten etwa Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nach § 262 SGB VI nachträglich wieder entfallen, wobei dann allerdings anstelle der entfallenden Entgeltpunkte die infolge nachträglicher Erhöhung der betreffenden Zeiten erwirtschafteten Entgeltpunkte treten. Dieser Umstand ist mit der in § 76g Absatz 4 SGB VI zum Ausdruck kommenden Volatilität vergleichbar, nicht aber mit der bei den Zuschlägen für langjährige Versicherung bestehenden völligen Unbestimmtheit zukünftiger Leistungen nach der Anrechnungsvorschrift des § 97a SGB VI.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Auch ist die Sachlage nicht mit der Anrechnung spezifischer Einkunftsarten auf die Rente zu vergleichen, wie sie etwa bei Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung stattfindet, § 93 SGB VI. Hier liegt der maßgebliche Unterschied darin, dass die Anrechnung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (Verletztenrente, § 56ff SGB VII; Hinterbliebenenrente, § 63ff SGB VII) im Ergebnis nur die Quelle des Leistungsbezuges modifiziert, also sich lediglich zu der Aufteilung der Versorgungslast zwischen zwei Sozialversicherungssystem verhält. Eine Anrechnung mit systemfremden Einkünften, die ggf. zum vollständigen Entfall der Leistungen führt, findet gerade nicht statt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Die Sachlage ist bei solchen nachträglichen Änderungen und sonstigen Anrechnungsvorgängen daher nicht mit dem hier gegenständlichen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung vergleichbar.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Selbst zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Entscheidung kann sowohl auf Seiten des Ausgleichspflichtigen als auch auf Seiten des Ausgleichsberechtigten bereits feststehen, dass insoweit niemals Leistungen bezogen werden, etwa, wenn sehr hohe sonstige Anwartschaften erworben wurden oder hohe sonstige Einkünfte bereits sicher feststehen. Die weitgehende Anrechnungsvorschrift führt daher wirtschaftlich betrachtet zu einer etwaigen Verfestigung des Anrechts erst zum Zeitpunkt des Rentenantritts.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Insoweit hat ein Wertausgleich bei der Scheidung hier zu unterbleiben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>III.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 150 Abs. 5 FamFG, § 20 FamGKG. Der Verfahrenswert ergibt sich aus §§ 40, 50 Abs. 1 Satz 1 FamGKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>IV.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die vorliegende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beantwortung der Fragen, ob der Grundrentenzuschlag aufgrund seiner sozialrechtlichen Komponente überhaupt dem Versorgungsausgleich unterfällt und ein solches Anrecht im Anwartschaftsstadium hinreichend verfestigt ist, betrifft eine Vielzahl von Fällen und bedarf einer höchstrichterlichen Klärung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE265402022&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,046
ag-krefeld-2022-08-04-67-f-17608
{ "id": 688, "name": "Amtsgericht Krefeld", "slug": "ag-krefeld", "city": 448, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Amtsgericht" }
67 F 176/08
"2022-08-04T00:00:00"
"2022-08-04T10:00:56"
"2022-10-17T17:55:36"
Beschluss
ECLI:DE:AGKR:2022:0804.67F176.08.00
<h2>Tenor</h2> <ul class="ol"><li> 1. <p>Den Antragsgegnern wird die elterliche Sorge für ihre Kinder F, geb. am 00.00.0000 und F, geb. am 00.00.2000 entzogen und dem Jugendamt der Stadt Krefeld als Vormund übertragen.</p> </li> <li> 2. <p>Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.</p> </li> </ul><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Den Eltern ist die elterliche Sorge für ihre Kinder F und F gem. § 1666 BGB zu entziehen, da bei einem Verbleib der Kinder im elterlichen Haushalt eine schwerwiegende Kindeswohlgefährdung zu befürchten ist.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere der Anhörung der beiden Kinder, ist das Gericht davon überzeugt, dass die Eltern ihren Kindern gegenüber in der Vergangenheit mehrfach in erheblichem Umfang gewalttätig geworden sind.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Nach Beginn der Einschulung der Kinder haben die Eltern einen erheblichen Druck ausgeübt, der darin gipfelte, dass die Kinder bei schulischen Leistungen, die nicht den Vorstellungen der Eltern entsprachen, geschlagen worden, unter anderem mit einer Eisenstange unter die Fußsohle. Auch wurde F mehrfach von ihrem Vater in einer mit Wasser gefüllten Badewanne unter Wasser gedrückt, bis sie kaum noch atmen konnte.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Kinder haben sich den Mitarbeitern des Jugendamtes Krefeld insoweit anvertraut und  dies im Rahmen ihrer Anhörung beim Dezernenten inhaltlich bestätigt. Insoweit kann Bezug genommen werden auf den Vermerk vom 00.00.0000, den der Dezernent bzgl. der Anhörung der Kinder aufgenommen hat, und in dem unter anderem wie folgt ausgeführt ist:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">„Nach vorheriger Absprache mit den Mitarbeitern des Jugendamtes erfolgte am 00.00.0000 die Anhörung der Kinder auf dem Dienstzimmer des Dezernenten. Die Kinder wurden in Abwesenheit anderer Personen einzeln angehört.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die 12-jährige F erklärte:</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Mit Beginn der Einschulung haben meine Eltern einen erheblichen Druck bzgl. schulischer Leistungen ausgeübt. Sobald sie mit meinen gezeigten Leistungen nicht einverstanden waren, bekam ich erheblichen Ärger und wurde von ihnen –insbesondere meinem Vater mit Händen aber auch Gegenständen geschlagen. Meine Eltern wollten immer, dass dich die Beste in der Klasse bin. Dies war aber nur in der 4. Klasse der Fall, wo ich dann auch entsprechend durch meinen Vater belohnt worden bin.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Im Zeugnis der Klasse 5 2. Halbjahr hatte ich eine 4 in Deutsch. Darüber war meine Mutter so verärgert, dass sie meine Beide ausgepeitscht hat.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Mein Vater hat mich in den letzten Jahren mit einer Eisenstange, insbesondere auf die Fußsohlen, geschlagen. Anschließend musste ich meine Füße ins kalte Wasser halten, damit man die Folgen nicht mehr sehen konnte.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Den Ärger, den mein Bruder und ich zu Hause bekamen, setzt bereits dann ein, wenn wir Noten bekamen, die schlechter als „sehr gut“ waren.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Hier in der Wohngruppe geht es uns gut und wir fühlen uns in großem und ganzen wohl. Dies würde ich gerne auch meinen Eltern mitteilen. Unter den gegebenen Umständen möchte ich nicht nach Hause, da ich Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten habe. Eine Rückkehr kann ich mir nur dann vorstellen, wenn meine Eltern, insbesondere mein Vater, sein falsches Verhalten einsieht und verspricht, nicht mehr gewalttätig zu werden.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der 8-jährige F erklärte:</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Auch ich fühle mich in der Wohngruppe wohl, auch wenn es hin und wieder Auseinandersetzungen mit anderen Kindern gibt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ich wurde seit Eintritt in die Schule –von meinem Vater insbesondere- ständig geschlagen, unter anderem auch mit Gegenständen wie eine Eisenstange, wenn ich nicht die besten Noten vorzeigen konnte. Ab einer „zwei“ gab es Ärger mit meinen Eltern. Solange mein Vater gewalttätig ist, möchte ich nicht wieder zurück nach Hause.“</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kinder inhaltlich die Wahrheit gesagt haben, so dass die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht erforderlich ist.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kinder haben auch gegenüber der Mutter im Beisein des Jugendamtes unabhängig voneinander diese inhaltlichen Aussagen getätigt. Eine inhaltliche Beeinflussung F durch seine ältere Schwester ist auszuschließen, da die Mitarbeiter des Jugendamtes gerade ausdrücklich hierauf geachtet haben, dass die Kinder sich über die Vorfälle nicht unterhalten konnten, bevor auch F diesbezüglich gefragt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Es mag zwar zutreffen, dass insbesondere F über eine hohe Phantasie verfügt. Das Gericht hält es jedoch nicht zuletzt unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks für ausgeschlossen, dass F über einen so langen Zeitraum hinweg ihre Eltern zu unrecht belasten würde. Im Rahmen der Anhörung ragen bei ihr wie auch bereits zuvor eher Entlastungstendenzen zu vernehmen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Tätlichkeiten wurden überwiegend durch den Vater ausgeübt. Die Mutter war in einem Fall direkt beteiligt, als sie nach dem 2. Halbjahreszeugnis der Klasse 5 die Beine von F auspeitschte. Im übrigen hatte sie von den Verfehlungen ihres Mannes aber Kenntnis, war zugegen und hat sie nicht verhindert, so dass eine andere rechtliche Beurteilung nicht vorgenommen werden kann.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung der festgestellten Sachverhalte sind die Eltern derzeit als absolut erziehungsunfähig anzusehen. Eine Rückführung der Kinder in den elterlichen Haushalt wäre mit einer erheblichen schwerwiegenden Gefährdung des Kindeswohls verbunden.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 13a FGG.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Gegenstandswert: 3000,00 €</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Richter am Amtsgericht</p>
346,359
lg-dortmund-2022-08-03-10-o-4721
{ "id": 806, "name": "Landgericht Dortmund", "slug": "lg-dortmund", "city": 407, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
10 O 47/21
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-30T10:01:35"
"2022-10-17T11:09:36"
Urteil
ECLI:DE:LGDO:2022:0803.10O47.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Rechtsstreits werden nach einem Streitwert in Höhe von 6.139,65 € (in Worten: sechstausendeinhundertneununddreißig 65/100 Euro) der Klägerin auferlegt.</p> <p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einem beendeten Leasingvertrag geltend.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Sie vertreibt unter anderem Lastkraftwagen des Herstellers M1.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte erbringt gewerbliche Leistungen im Bereich Transport/Logistik. Sie leaste mit Vertrag vom 03.07.2017/25.07.2017 von der T1 GmbH & Co. KG (im Folgenden: Leasinggeberin) einen Lkw der Marke M1 (amtliches Kennzeichen: K00). Lieferantin dieses Lkw war die Klägerin.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Leasingvertrag wurde unter Verwendung eines Formulars der Leasinggeberin geschlossen, welches generell sowohl für den Abschluss eines Teilamortisationsvertrages als auch eines Kilometerabrechnungsvertrages konzipiert war. Hier wurde die Variante des Teilamortisationsvertrages gewählt. Für die Vertragsdauer von 36 Monaten war eine monatliche Bruttorate i.H.v. 1.342,32 € zu entrichten. Der Restwert war mit 46.000,00 € netto (54.740,00 € brutto) vereinbart. Auf der Vorderseite findet sich dazu noch die Passage:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">„Regelung für Teilamortisationsverträge</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der LN garantiert dem LG in jedem Fall die Zahlung des Restwertes und damit die Erfüllung seines Anspruches auf Vollamortisation. Sofern der LG das Fahrzeug zum Ablauf der Grundvertragsdauer nicht anderweitig verwertet, ist der Leasingvertrag erst dann voll erfüllt, wenn entweder ein Anschluss- Leasingvertrag nach Ziffer A. 20. a) zustande gekommen ist oder ein Erwerb des Fahrzeuges nach Ziffer A. 20. b) erfolgt ist.“</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ziff. 19 der AGB der Leasinggeberin lautet:</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">„Rückgabe des LO</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">a) Nach Ablauf der Grundvertragsdauer oder bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages hat der LN das LO mit allen Schlüsseln und Unterlagen an den LG oder dessen Beauftragten zurückzuliefern.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">b) Das LO muss sich bei der Rückgabe in einem verkehrs- und betriebssicheren Zustand befinden, der dem Auslieferungszustand unter Berücksichtigung des durch den vertragsgemäßen Gebrauch entstandenen normalen Verschleißes entspricht. Anderenfalls muss der LN den Schaden ausgleichen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">…“</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Im Anschluss folgt die nächste Ziffer:</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">„20. Regelung für Teilamortisationsverträge</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">a) Nach Ablauf der Grundvertragsdauer ist eine weitere Überlassung des LO in Aussicht genommen. Der LN hat sich rechtzeitig, spätestens drei Monate vor Ablauf der Grundvertragsdauer, mit dem LG in Verbindung setzen, um die Bedingungen des Anschluss-Leasingvertrages auszuhandeln. Der LG wird innerhalb von 3 Monaten über eine Annahme des Antrages entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">b) Kommt kein Anschluss-Leasingvertrag zustande, so kann der LG innerhalb von 3 Monaten nach Ablauf dieses Leasingvertrages verlangen, dass der LN das LO in dem Zustand, in dem es sich befindet, zu dem auf der Vorderseite dieses Vertrages festgestellten Restwert zzgl. MwSt. unter Ausschluss jeglicher Gewährleistung kauft.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">c) Kommt kein Anschluss-Leasingvertrag bzw. Kaufvertrag zustande, hat der LN auf seine Kosten und Gefahr das LO unverzüglich an den vom LG bestimmten Ort innerhalb der Bundesrepublik Deutschland transportversichert   zurückzuliefern. Soweit das LO nicht mehr verwertbar ist, hat der LN die Kosten der Vernichtung zu tragen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">d) Der LN hat keinen Anspruch auf den Erwerb des LO.“</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Leasinggeberin schloss mit der Klägerin unter dem 10.07.2017/28.12.2017 (Anl. K2 zur Klageschrift, Bl. 17 f der Akten) eine Rückkaufvereinbarung über den Lkw, wonach die Klägerin auf Verlangen der Leasinggeberin verpflichtet war, den Lkw nach Beendigung des Leasingvertrages unter Ausschluss jeder Haftung für Sachmängel in dem Zustand, in dem er sich zu dem Zeitpunkt befindet, zu einem Kaufpreis von 46.000,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer zurückzukaufen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin wiederum schloss mit dem Hersteller M1 eine „feste Rückkaufvereinbarung“ vom 17.11.2017 (Anlage K 11 zum Schriftsatz vom 08.09.2021, Bl. 50 ff. der Akten), die auch das streitgegenständliche Fahrzeug einbezog. Ziff. 9.5 der Rückkauf-Vereinbarung lautet:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">„Falls die Lkw nach dem Lieferdatum an M1 geliefert werden, wird der Kaufpreis der verspätet gelieferten Lkw um zwei Prozent (2 %) pro Monat reduziert (berechnet pro rata parte für die tatsächlichen Tage der Verspätung).“</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Nach Ablauf der Grundvertragsdauer kam es nicht zu einem Anschluss-Leasingvertrag. Die Beklagte gab das Fahrzeug am 23.01.2021 bei der Klägerin zurück.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Leasinggeberin stellte der Klägerin das Fahrzeug unter dem 03.11.2020 mit 46.000,00 € zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Die Leasinggeberin trat Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte wegen einer nicht vertragsgemäßen Rückgabe des Leasingobjektes mit Ausnahme von Ansprüchen wegen dessen verspäteter Rückgabe mit Schreiben vom 29.01.2021 (Anl. K1 zur Klageschrift, Bl. 16 der Akten) an die Klägerin ab.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">M1 (X) erwarb das Fahrzeug im Rahmen der Rücknahmevereinbarung mit der Klägerin für 41.694,67 € netto. In der Abrechnung werden die „Minderwerte lt. Gutachten“ mit 2.680,00 € netto angegeben.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Parteien stritten nach der Rückgabe, ob an dem Fahrzeug ausgleichspflichtige Schäden vorlagen. Die Herstellerin M1 holte nach Meldung des „Rückläufers“ durch die Klägerin einen „Bewertungsbericht“ der Dekra (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 24.05.2022, Bl. 146 ff. der Akten) ein, wonach ein Minderwert in Höhe von 4.575,00 € vorgelegen habe.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin stellte der Beklagten insgesamt 6.139,65 € in Rechnung (4.575,00 € gemäß Gutachten Dekra, 564,65 € Reparaturkosten (vgl. Anl. K4 zur Klageschrift) und 1.000,00 € wegen verspäteter Rückgabe). Nachdem die Beklagte auch nach weiteren Mahnungen keine Zahlung leistete, beauftragte die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin behauptet, es lägen Schäden gemäß dem Dekra Bewertungsbericht vor, die über normale Gebrauchsspuren hinausgingen. Durch Übergabe der Rückgabebedingungen des Fahrzeugherstellers M1 hätten die Parteien zumindest stillschweigend im Wesentlichen definiert, was als normale Gebrauchsspuren und normaler Verschleiß anzusehen sei und welcher Zustand als Schaden gewertet werden müsse. Die Reparaturkosten habe sie zutreffend ermittelt, die aufgeführten Preise seien ortsüblich und angemessen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin meint, der Lkw hätte bereits am 30.11.2020 zurückgegeben werden müssen. Da sie gehalten gewesen sei, den Lkw pünktlich beim Hersteller M1 zurückzugeben, sei ihr unter Zugrundelegung von deren Regularien ein Verzugsschaden i.H.v. 1.000,00 € entstanden. Die Klägerin habe sich von M1 danach für die verspätete Rückgabe einen Betrag i.H.v. 1.625,33 € als Abzug vom Kaufpreis anrechnen lassen müssen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.139,65 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.03.2021 sowie 599,80 € vorgerichtliche Kosten zu zahlen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Sie bestreitet Ansprüche wegen Schäden an dem Fahrzeug nach Grund und Höhe. Der Lkw sei mängelfrei zurückgegeben worden. Es handele sich allenfalls um solche Schäden, die bei Lkw, im Speditionsgewerbe genutzt würden, als Gebrauchsspuren zu werten seien.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen seien Ansprüche nicht schlüssig vorgetragen. Sie sei nur gegenüber der Leasinggesellschaft verpflichtet gewesen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin könne überhaupt keinen Schaden geltend machen, da sie den Kaufpreis in Höhe in voller Höhe vom Hersteller M1 erstattet bekomme.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e</span></strong></p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">                                                    <strong>           I.</strong></p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch auf Zahlung von 4.575,00 € aus abgetretenem Recht wegen Schäden am Fahrzeug besteht hier aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Denn der Leasinggeberin stand ein solcher Anspruch gegen die Beklagte, den sie hätte abtreten können, nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch lässt sich nicht aus Ziff. 19 b) der AGB der Klägerin herleiten. Dabei kann dahinstehen, ob die dortige Regelung überhaupt auch für den Fall des Abschlusses eines Teilamortisationsvertrages und nicht nur für den des Kilometerabrechnungsvertrages erfassen soll, was wegen der nachfolgenden Ziff. 20 in Betracht gezogen werden kann, weil dort speziell eine Regelung für die Zeit nach dem Ablauf der Grundvertragsdauer des Teilamortisationsvertrages getroffen wird (vgl. auch die unterschiedlichen Zielrichtungen der Klauseln für Restwertleasingverträge und Leasingverträge mit Kilometerabrechnung in den VDA-Muster-Leasing-AGB: Reinking/Eggert, Autokauf, 14. Aufl., Leasing, Rn. L 651 und L 659).</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Denn der Leasinggeberin ist schon kein ausgleichspflichtiger Schaden im Sinne Ziff. 19 b) der AGB der Klägerin entstanden:</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von der Differenzhypothese ist zu prüfen, ob der Leasinggeberin durch die Rückgabe des Lkw in – hier unterstellt – nicht ordnungsgemäßem, d.h. nicht normalem Verschleiß entsprechendem Zustand, ein Schaden entstanden ist. Dies ist indes nicht der Fall, weil die Leasinggeberin die Verwertung des Fahrzeuges durch Inanspruchnahme der Rückkaufvereinbarung durchführte und von der Klägerin – entsprechend deren Inhalt – den Kaufpreis ohne Ansehung etwaiger Mängel erhielt. Dieser Kaufpreis entsprach der Höhe nach dem kalkuliertem Restwert, sodass die Leasinggeberin die Vollamortisation erreicht hat. Die Leasinggeberin hätte bei der Verwertung durch Inanspruchnahme der Rückkaufvereinbarung auch dann keinen höheren Kaufpreis erzielt, wenn es – ggf. – mangelfrei gewesen wäre.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Beklagte müsse als Leasingnehmerin den Schaden wegen eines übermäßigen Verschleißes im Hinblick auf die Verletzung des Eigentums der Leasinggeberin an dem Leasingobjekt unabhängig von der späteren Verwertung und Abrechnung ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Denn bei einem Leasingvertrag mit Restwertausgleich fließt der Minderwert des Leasinggegenstandes schon in die Berechnung des Ausgleichsanspruches ein (Staudinger, BGB Leasing, Neubearbeitung 2018, Rn. 283, vgl. BGH NJW 1986, 1335; vergleiche auch OLG Hamm NJW-RR 1996, 502 (504), wonach Beschädigungen und sonstige Verschlechterungen der Leasingsache von Bedeutung für die Höhe des Ausgleichsanspruchs sein können). Beschädigungen können sich nachteilig auf die Höhe des erzielten Erlöses auswirken, so dass ein Leasingnehmer in der Folge häufig eine höhere  Differenz zum vereinbarten Restwert wird ausgleichen müssen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Dies steht damit im Einklang, dass beim Teilamortisationsvertrag nicht die Rückerlangung einer – unbeschädigten –  Sache im Vordergrund steht, sondern die Generierung des Erlöses aus dem Verkauf des Gebrauchtwagens, der nur einen Verrechnungsposten in der gesamten Abrechnung darstellt. Dessen Höhe hängt nicht nur vom Zustand des Fahrzeuges, sondern auch von der Marktlage, einem zwischenzeitlichen Modellwechsel und ähnlichen Umständen ab (BGH NJW 1986, 1335; BGH NZV 1996, 406). In der Konsequenz nimmt der BGH dann auch an, dass der dem Leasinggeber zustehende Ausgleichsanspruch zur Erlangung der Vollamortisation keinen Ersatzanspruch im Sinne des §§ 558 BGB sondern einen Erfüllungsanspruch darstellt, auch wenn der Verkaufserlös für einen beschädigt zurückgegebenen Wagen hinter dem Zeitwert zurückbleibt, den das Fahrzeug in unbeschädigtem Zustand besessen hätte (BGH NZV 1996, 406).</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die besondere Bedeutung der Verwertung wird durch weitere Aspekte unterstrichen: So ist der Leasinggeber zur bestmöglichen Fahrzeugverwertung verpflichtet (Reinking/Eggert, a.a.O., Rn. L 673f); ohne eine Verwertung wird ein Ausgleichsanspruch des Leasinggebers nicht einmal fällig (Reinking/Eggert, a.a.O., Rn. L 710; OLG Hamm NJW-RR 1996, 502).</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">c)</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Abweichendes folgt auch nicht aus dem von der Klägerin herangezogenen und mit Auslassungen zitierten Urteil des BGH vom 24.04.2013 (Az. VIII ZR 336/12 = BGH NJW 2013, 2421). Dieses bezieht sich auf Kilometerverträge. Rn. 22 des Urteils lautet:</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">„b) Ein Erfüllungsanspruch auf Minderwertausgleich scheitert auch – anders als dies in den Ausführungen des BerGer. zu einem möglichen Schadensersatzanspruch anklingt – nicht daran, dass die Klägerin den kalkuliertem Restwert des Fahrzeugs bei der anschließenden Veräußerung hat realisieren können. Seine hieraus gezogene Schlussfolgerung, die Klägerin habe die angestrebte Vollamortisation unabhängig von einem Minderwertausgleich erreicht, beruht auf einer unzureichenden Erfassung des Inhalts des Ausgleichsanspruchs <strong>und der Eigenart eines Kraftfahrzeugleasingvertrags mit Kilometerabrechnung.</strong>“</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">(Hervorhebung d.d. Verf.)</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Zu der Eigenart eines Kraftfahrzeugleasingvertrags mit Kilometerabrechnung gehört es, dass der Verwertungserlös beim Kilometervertrag nicht abgerechnet wird, da der Leasinggeber das Verwertungsrisiko trägt. Der Minderwertausgleich erfolgt daher dort auch völlig unabhängig von einem vom Leasinggeber intern kalkulierten Restwert (Reinking/Eggert, a.a.O. L663). Danach kommt dem Vorliegen von wertmindernden Schäden an dem Leasingobjekt dort – anders als bei Verträgen mit Restwertabrechnung – eine eigenständige Bedeutung zu.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus § 280 BGB oder § 823 Abs. 1 BGB. Insofern gelten die obigen Ausführungen hier sinngemäß. Die dortigen Erwägungen zum Fehlen eines Schadens der Leasinggeberin beanspruchen auch für die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen Geltung.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks"><strong>                                                                   II.</strong></p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Reparaturkosten i.H.v. 564,65 € stehen der Klägerin ebenfalls nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch aus abgetretenem Recht kommt nicht in Betracht, weil der Leasinggeberin auch hier ein Schaden nicht entstanden ist. Anderes wäre allenfalls dann denkbar, wenn die Durchführung der Reparatur erforderlich gewesen wäre, um überhaupt eine Verwertung zu ermöglichen. Für eine solche Fallgestaltung ist hier jedoch nichts ersichtlich. Zwar macht die Klägerin geltend, die Reparaturmaßnahme sei zur Wiederherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeuges erforderlich gewesen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum dies im konkreten Fall für die Verwertung durch die Leasinggeberin erforderlich gewesen sein sollte. Denn die Verwertung erfolgte hier durch die Inanspruchnahme der Rückkaufvereinbarung über den Lkw. Nach dieser musste die Klägerin ihn in dem Zustand erwerben, in dem er sich zu dem Zeitpunkt befand. So hat die Klägerin mit nachgelassenem Schriftsatz auch nur allgemein vorgetragen der Leasinggeber könne das Fahrzeug seinerseits nicht verwerten, ohne dass er zuvor die zur Wiederherstellung der Verkehrs- und Betriebssicherheit erforderlichen Reparaturen vorgenommen habe.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch aus eigenem Recht ist ebenfalls nicht gegeben. Eine Verletzung des Eigentums der Klägerin, § 823 Abs. 1 BGB, liegt nicht vor. In dem für eine Eigentumsverletzung in Betracht kommenden Zeitraum war nicht die Klägerin, sondern die Leasinggeberin Eigentümerin des Lkw.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks"><strong>                                                                    III.</strong></p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Letztlich steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Zahlung eines Betrages von 1.000,00 € wegen einer verspäteten Rückgabe des Lkw aus eigenem oder abgetretenem Recht zu.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch aus abgetretenem Recht scheidet bereits deshalb aus, weil Ansprüche wegen einer verspäteten Rückgabe des Lkw ausdrücklich von der Abtretung ausgenommen waren.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch aus eigenem Recht liegt ebenfalls nicht vor. Denn die Klägerin hatte gegenüber der Beklagten schon keinen Anspruch auf Herausgabe des Lkw, der verspätet hätte erfüllt werden können. Die Beklagte war insofern vertraglich der Leasinggeberin, nicht jedoch der Klägerin verpflichtet.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Da die Hauptforderung nicht besteht, unterliegen auch die Nebenforderungen der Klageabweisung.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p>
346,333
vg-dusseldorf-2022-08-03-29-k-438222
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29 K 4382/22
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-27T10:01:32"
"2022-10-17T11:09:32"
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0803.29K4382.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der am 15. Juni 2022 gestellte Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Klageverfahren hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Prozesskostenhilfeantrag war abzulehnen, da die Bewilligungsvoraussetzungen des § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vorliegen. Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält nach diesen Vorschriften auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Ungeachtet der Frage, ob der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zur Aufbringung der Prozesskosten in der Lage ist, bietet die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (dazu unter I.). Im Übrigen erscheint diese im Hinblick auf den angekündigten Klageantrag zu 1. auch mutwillig (dazu unter II.).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong> Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers mit den angekündigten sinngemäßen Anträgen,</p> <span class="absatzRechts">6</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">1. den Antragsgegner zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides der Präsidentin des Landgerichts E.          vom 3. Juni 2022 Einsicht in die richterlichen Geschäftsverteilungspläne zu gewähren, die nach seinem Antrag vom 29. Dezember 2021 erstellt wurden, d.h. sowohl die Präsidiumsbeschlüsse als auch die kammerinternen Geschäftsverteilungspläne,</p> </li> <li><span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">2. festzustellen, dass die in dem Bescheid vom 3. Juni 2022 erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nach § 23 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) falsch ist,</p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">bietet zunächst insgesamt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche Grad der Erfolgsaussicht darf dabei mit Blick auf Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) nicht in einer Weise überspannt werden, dass der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird, Unbemittelten und Bemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen. Prozesskostenhilfe ist daher immer schon dann zu bewilligen, wenn die Risikoabschätzung zur Erfolgsaussicht einer ausreichend bemittelten Person in einer vergleichbaren Situation zugunsten der Rechtsverfolgung ausfallen würde. Dazu reicht es aus, dass ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen. Verweigert werden darf Prozesskostenhilfe jedoch dann, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte oder bloß theoretische ist.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28. August 2014 – 1 BvR 3001/11 –, juris Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 23. Februar 2022 – 15 E 326/20 –, juris Rn. 3 f.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Maßstäben fehlt es der beabsichtigten Klage des Antragstellers mit sämtlichen Klageanträgen an den erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten (dazu unter 1. und 2.).</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>1.</strong> Aller Voraussicht nach ist für den angekündigten Klageantrag zu 1. zwar der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dabei muss das Gericht keine Vorabentscheidung treffen   (dazu unter a.). Der Antrag wäre jedoch hinsichtlich der durch den Antragsteller begehrten Einsichtnahme in die nach seinem Antrag vom 29. Dezember 2021 erstellten Präsidiumsbeschlüsse und kammerinternen Geschäftsverteilungspläne des Landgerichts E.          unbegründet (dazu unter b.).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong>a.</strong> Für den angekündigten Klageantrag zu 1. ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand der Verwaltungsrechtsweg mangels aufdrängender Sonderzuweisung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier aller Voraussicht nach erfüllt. Die vorliegende Streitigkeit ist insbesondere eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, die nicht durch eine abdrängende Sonderzuweisung, namentlich gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Öffentlich-rechtlich im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Streitigkeiten, wenn sie sich als Folge eines Sachverhalts darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Der Charakter des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Natur des Rechtsverhältnisses, nicht dagegen die rechtliche Einordnung des geltend gemachten Anspruchs durch den Kläger selbst.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Juni 2005 – 8 E 283/05 –, juris Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Insbesondere der Streit über den Zugang zu einer amtlichen Information ist danach als öffentlich-rechtliche Streitigkeit anzusehen, wenn der Kläger seine Klage zumindest auch auf § 4 Abs. 1 Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW) stützt. Der Streit um einen Informationszugangsanspruch nach dem IFG NRW ist eine den Verwaltungsgerichten zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Denn § 4 Abs. 1 IFG NRW verpflichtet ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt und ist damit öffentlich-rechtlicher Natur.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2011 – 8 E 879/11 –, juris Rn. 5 und Beschluss vom 8. Juni 2005 – 8 E 283/05 –, juris Rn. 15, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 4062/18 –, juris Rn. 29 f. m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vorliegend beruft sich der Antragsteller zur Begründung seines Auskunftsersuchens in seinem Antrag vom 1. Juni 2022 auf frühere, auf das IFG NRW gestützte Informationszugangsbegehren sowie das bei der Kammer anhängige Verfahren 29 K 242/22 nach dem IFG NRW und zumindest in seiner weiteren Antragsbegründung vom 1. August 2022 auch auf § 4 Abs. 1 IFG NRW.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Soweit für das Informationszugangsbegehren des Antragstellers (auch) § 21g Abs. 7 i.V.m. § 21e Abs. 9 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) als materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage in Betracht kommen könnte, für die im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit aufgrund der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. November 2015 – 1 VB 12/15 –, juris Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2018 – I-15 VA 12/18 –, juris Rn. 52, und Beschluss vom 21. August 2018 – I-15 VA 30/18 –, juris Rn. 8; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Februar 2006 – 3 VAs 13/06 –, juris Rn. 3; Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 21e GVG Rn. 35,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">sind die Grundsätze für sog. gemischte Rechtsverhältnisse anzuwenden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">So auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 4062/18 –, juris Rn. 32 ff.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Bei sog. gemischten Rechtsverhältnissen, bei denen ein prozessualer Anspruch bei identischem Lebenssachverhalt auf mehrere materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird bzw. gestützt werden kann, für die jeweils verschiedene Rechtswege eröffnet sind, ist das zuerst angerufene Gericht zuständig, sofern seine Zuständigkeit nur für zumindest einen Klagegrund gegeben ist. Das angerufene Gericht prüft auf der Grundlage des an es herangetragenen Begehrens sowie des zur Begründung vorgetragenen Sachverhalts, ob für die Streitsache eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, für welche seine Rechtswegzuständigkeit eröffnet ist. Dabei genügt es, wenn die rechtswegbegründende Norm möglicherweise anwendbar ist.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144.91 –, juris; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, GVG § 17 Rn. 32.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Ist hingegen die rechtswegbegründende Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts offensichtlich nicht gegeben, hat das angerufene Gericht den Rechtsstreit zu verweisen. Das angerufene Gericht soll nicht über den Rechtsstreit mit Rechtskraftwirkung befinden, wenn die zur Anspruchsbegründung angeführte Rechtsgrundlage, für die der angegangene Rechtsweg tatsächlich eröffnet wäre, unter keinen Umständen bei Zugrundelegung des vorgetragenen Sachverhaltes einschlägig sein kann.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144.91 –, juris; BSG, Beschluss vom 29. September 1994 – 3 BS 2/93 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2004 – 8 E 379/04 –, juris Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2016 – OVG 12 L 65.16 –, juris Rn. 5; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24. März 2017 – 11 OB 78/17 –, juris Rn. 4; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, GVG § 17 Rn. 33.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Eine Verweisung des Verfahrens an das nach § 25 EGGVG zuständige Oberlandesgericht wäre somit im vorliegenden Fall – unabhängig von der Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des § 17a Abs. 2 GVG über die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges in Verfahren über isolierte Prozesskostenhilfeanträge –,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 20. August 2020 – 4 D 137/20, 4 B 1169/20 –, juris Rn. 3 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen zum Sach- und Streitstand,</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">nur dann geboten und zulässig, wenn § 4 Abs. 1 IFG NRW als Anspruchsgrundlage „offensichtlich“ nicht in Betracht käme.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. in diesem Sinne bereits OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2011 – 8 E 879/11 –, juris Rn. 3 ff. (zum Verhältnis von § 4 Abs. 1 IFG NRW und § 185 Satz 1 Strafvollzugsgesetz); vgl. ferner OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2009 – 8 E 1044/09 –, juris Rn. 9 ff. (zum Verhältnis von § 4 Abs. 1, Abs. 2 IFG NRW und § 30 Abgabenordnung); VG Düsseldorf , Beschluss vom 19. September 2011 – 26 K 1653/11 –, juris Rn. 3 ff.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Eine derartige Feststellung vermag die Kammer indes zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht zu treffen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Dezember 2019 – 29 K 6805/19 –, juris Rn. 3 ff.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Denn die grundsätzliche Frage, ob ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 IFG NRW auf Einsicht in gerichtliche Geschäftsverteilungspläne besteht, ist bislang weder von dieser Kammer in einem Hauptsacheverfahren noch in der zweiten Instanz durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 593/20 –, juris Rn. 4 f. und Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 760/20 –, juris Rn. 4 f.,</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">geklärt.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">In diesem Sinne zunächst auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 4062/18 –, juris Rn. 40 f. und Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 1034/19 –, juris Rn. 35 f.; im Anschluss daran dann aber VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19. Februar 2020 – 15 K 5369/19 –, juris Rn. 6 ff. (keine Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges); eine Sperrwirkung des GVG gegenüber dem IFG NRW für die Einsichtnahme in Geschäftsverteilungspläne des laufenden Geschäftsjahres annehmend BGH, Beschluss vom 25. September 2019 – IV AR (VZ) 2/18 –, juris Rn. 23 f.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das Gericht ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs durch Beschluss herbeizuführen. Nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG hat das Gericht vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Das Rügerecht ist das notwendige Korrelat dafür, dass die Beteiligten später die Hauptsacheentscheidung nicht mehr mit der Begründung anfechten können, der Rechtsweg sei nicht zulässig.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. Ergänzungslieferung Februar 2022, GVG § 17a Rn. 24; Graf, in: BeckOK GVG, 15. Edition, Stand: 15.05.2022, § 17a Rn. 11 jeweils unter Verweis auf die amtliche Begründung.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner hat keine Rüge erhoben. Es dürfte auch an einer Rüge im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 2 GVG durch den Antragsteller fehlen. Rüge ist das ausdrückliche Bestreiten des Rechtswegs.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. September 2006 - 12 BV 06.808 -, juris Rn. 27 m.w.N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, GVG § 17a Rn. 25.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller bestreitet gegenüber dem Gericht aber nicht die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs; er hält ihn im Gegenteil für eröffnet.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Selbst wenn vom Vorliegen einer Rüge nach § 17 Abs. 3 Satz 2 GVG auszugehen sein sollte, steht dem Kläger und Antragsteller jedenfalls kein Rügerecht zu, weil ein solches Verhalten widersprüchlich und damit rechtsmissbräuchlich ist.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Ehlers, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. Ergänzungslieferung Februar 2022, GVG § 17a Rn. 26.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks"><strong>b.</strong> Der angekündigte Klageantrag zu 1., mit dem der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, ihm unter Aufhebung des Bescheides der Präsidentin des Landgerichts E.          vom 3. Juni 2022 Einsicht in die seit seinem Antrag vom 29. Dezember 2021 erstellten Präsidiumsbeschlüsse und kammerinternen Geschäftsverteilungspläne des Landgerichts E.          zu gewähren, hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da er aller Voraussicht nach zwar zulässig, aber unbegründet wäre. Dabei geht das Gericht unter Heranziehung der Antragsformulierung - „richterliche Geschäftsverteilungspläne“ als Oberbegriff - sowie der Antragsbegründung - er bezieht sich auf die Änderungen der Geschäftsverteilung infolge der Ernennung der neuen Präsidentin des Landgerichts E.          – davon aus, dass mit „Präsidiumsbeschlüssen“ die Geschäftsverteilung des Gerichts gemeint ist. Der ablehnende Bescheid der Präsidentin des Landgerichts E.          vom 3. Juni 2022 ist nach Aktenlage rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Ihm steht aller Voraussicht nach kein Anspruch auf den begehrten Informationszugang zu, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Ein Anspruch des Antragstellers auf Einsichtnahme in die seit dem 29. Dezember 2021 erstellten Präsidiumsbeschlüsse und kammerinternen Geschäftsverteilungspläne des Landgerichts E.          ergibt sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand zunächst nicht aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Diesem Anspruch steht aller Voraussicht nach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Einem Antrag auf Informationszugang kann grundsätzlich der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden. Insofern gilt für den Anspruch auf Informationszugang nichts anderes als für jeden anderen Rechtsanspruch. Es handelt sich um einen allgemeinen Rechtsgedanken, der der gesamten Rechtsordnung zugrunde liegt und der in §§ 226, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für einen Teilbereich der Rechtsordnung seinen Ausdruck gefunden hat. Der Anspruch auf Informationszugang kann allerdings nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen als rechtsmissbräuchlich abgelehnt werden. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ist nur dann begründet, wenn es dem Antragsteller nicht um die begehrte Information geht, er vielmehr ausschließlich andere und von der Rechtsordnung missbilligte Zwecke verfolgt. Solange der Anspruchsteller an der begehrten Information interessiert ist, ist sein Antrag nicht allein deshalb rechtsmissbräuchlich, weil er damit zugleich sachfremde Zwecke verfolgt. Dies gilt auch dann, wenn der sachfremde Zweck überwiegen sollte; auf eine Abwägung kommt es nicht an. Zudem hat der Antragsteller sein Informationsinteresse nicht darzulegen; es wird vom Gesetz vermutet. Es ist Sache der informationspflichtigen Behörde, gegen diese Vermutung den Beweis des Gegenteils zu führen. Ihre Darlegung ist hierbei nicht auf Umstände beschränkt, die das konkrete Verfahren betreffen; die Feststellung informationsfremder Zwecke kann sich aus anderen Umständen ergeben. Auch das Gericht muss im Streitfall eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände vornehmen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 10 C 24.19 –, juris Rn. 12 und Urteil vom 24. November 2020 – 10 C 12.19 –, juris Rn. 10 ff. (jeweils zum IFG Bund); VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2014 – 26 K 3308/14 –, juris Rn. 8 ff. (bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2015 – 8 E 1059/14 –, juris).</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung ist etwa dann gegeben, wenn das Informationsbegehren den Zweck verfolgt, die informationspflichtige Behörde lahmzulegen,</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 10 C 24.19 –, juris Rn. 12,</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">oder wenn der Verfolgung des Rechtsanspruchs offensichtlich keinerlei nachvollziehbare Motive zu Grunde liegen, sondern das Handeln des Anspruchsinhabers offenkundig und zweifelsfrei allein von der Absicht geprägt ist, die Behörde oder einen Drittbetroffenen zu schikanieren oder zu belästigen oder einem anderen Schaden zuzufügen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2019 – 15 E 1027/18 –, juris Rn. 34 f.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. August 2014 – 26 K 3308/14 –, juris Rn. 16 f. (bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2015 – 8 E 1059/14 –, juris).</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe geht die Kammer auch unter Berücksichtigung des Rechtsrahmens des Prozesskostenhilfeverfahrens nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände davon aus, dass hier aller Voraussicht nach ein Extremfall vorliegt, der ausnahmsweise die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Antragstellung nach dem IFG NRW rechtfertigt. Denn dem Antragsteller geht es bei Zugrundelegung der von dem Antragsgegner vorgelegten Unterlagen, aber auch seiner eigenen Angaben – jedenfalls mittlerweile –,</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung in einem früheren Verfahren des Antragstellers verneinend OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2019 – 15 E 1027/18 –, juris Rn. 33 ff.; offen gelassen von VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 4062/18 –, juris Rn. 129 (nachfolgend OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2021 – 15 A 593/20 –, n.v.); zuletzt im Zusammenhang mit der Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers für einen (weiteren) isolierten Prozesskostenhilfeantrag ein rechtsmissbräuchliches Verhalten annehmend VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Januar 2022 – 15 K 1353/21 –, juris Rn. 12 ff.,</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">nicht mehr um die begehrten Informationen an sich, das heißt den Inhalt der kammerinternen Geschäftsverteilungspläne für einzelne Jahre. Er verfolgt mit seinen Auskunftsersuchen vielmehr allein sachfremde Zwecke, nämlich eine andauernde Inanspruchnahme von Justizbehörden und Gerichten, die über die Jahre immer weiter ausgeufert ist und mittlerweile nur noch der Schikane der Behörden und einzelner Justizbediensteter sowie ihrer Diffamierung dient. Dem Antragsteller geht es mit seinen unzähligen Auskunftsersuchen ersichtlich nur noch darum, unter dem Vorwand des Informationsfreiheitsrechts eine erhebliche Arbeitsbelastung bei Justizbehörden und Gerichten herbeizuführen. Die weitgehend sinnlose Bindung von Kapazitäten der Justiz lässt keinerlei Nutzen für den Antragsteller erkennen. Darüber hinaus verfolgt der Antragsteller mit seinen Auskunftsersuchen immer wieder einzelne Richterinnen und Richter sowie Justizmitarbeiterinnen und Justizmitarbeiter wegen vermeintlichen Fehlverhaltens und im Hinblick auf ihren beruflichen Werdegang, insbesondere solche in gehobenen Positionen. Diese Inanspruchnahme und Schikane von Justizbehörden und Gerichten durch Auskunftsersuchen auf Grundlage des IFG NRW ist augenscheinlich zum Lebensinhalt des Antragstellers geworden.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Januar 2022 – 15 K 1353/21 –, juris Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat dabei nicht (mehr) das Ziel, sich im Hinblick auf ein konkretes Verfahren oder auch nur ganz allgemein über die Besetzung der einzelnen Gerichte zu unterrichten. Dies wird bereits dadurch offenbar, dass er Einsichtsgesuche in einer Vielzahl von Fällen auch bei Gerichten gestellt hat, an denen er zuvor niemals Verfahrensbeteiligter gewesen ist. Ihm geht es erklärtermaßen darum, eine Vielzahl von Beschlüssen zur Jahresgeschäftsverteilung gezielt auf Verfahrensfehler zu durchforsten, um so (vermeintliches) Fehlverhalten einzelner Richterinnen und Richter aufzudecken und diese angeblichen Gesetzesverletzungen öffentlich bzw. in anderen von ihm geführten Verfahren anzuprangern. Danach benutzt der Antragsteller das Einsichtsrecht, um ihm verdächtig erscheinende Vorgänge in der Justiz „aufzudecken“, die ihn persönlich in keiner Weise betreffen oder belasten.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">So bereits OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2018 – I-15 VA 12/18 –, juris Rn. 58.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Allein die Vielzahl der Auskunftsersuchen des Antragstellers bezüglich gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne spricht dafür, dass er kein Interesse (mehr) an den eigentlichen Informationen hat, sondern allein sinnlos Kapazitäten der Justiz binden möchte. Ausweislich der von dem Antragsgegner vorgelegten Auflistung hat der Antragsteller nur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen vom 3. Quartal 2017 bis August 2021 mindestens 350 Anträge im Zusammenhang mit Geschäftsverteilungsplänen gestellt (Anlage B3). Nach August 2021 sind wiederum allein bei dieser Kammer vier isolierte Prozesskostenhilfeanträge des Antragstellers eingegangen, mit denen er weitere Auskunftsbegehren im Hinblick auf (spruchkörperinterne) Geschäftsverteilungspläne verfolgt. Zudem hat der Antragsteller nach Einleitung dieses Verfahrens – gewissermaßen bei Gelegenheit – Einsicht in alle kammerinternen Geschäftsverteilungspläne des Verwaltungsgerichts Düsseldorf der Jahre 2021 und 2022 genommen, obwohl er lediglich bei der erkennenden Kammer seit Anfang des Jahres 2022 Verfahren betreibt bzw. ein Verfahren im Jahr 2019 betrieben hat.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht H.             , in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz hat und das infolgedessen für eine größere Zahl seiner Verfahren zuständig ist, führt zur Anzahl der Verfahren des Antragstellers in einem Beschluss vom 14. Januar 2022 – 15 K 1353/21 – Folgendes aus:</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">„So hat der Kläger allein beim VG H.             seit Oktober 2014 bis heute 72 Verfahren anhängig gemacht, davon in den letzten drei Jahren 50 Verfahren überwiegend nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Bei den allein in diesem Jahr seit April (in letzter Zeit sogar wöchentlich) eingeleiteten 26 Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz handelt es sich ausnahmslos um isolierte Prozesskostenhilfeanträge. Daneben hat der Kläger bei den anderen sechs nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten bis zum Herbst 2021 weitere 28 vergleichbare Verfahren eingeleitet, wie eine Nachfrage des Einzelrichters im Verfahren 15 K 5463/19 ergeben hat.“</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Januar 2022 – 15 K 1353/21 –, juris Rn. 8.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus weist auch das OVG NRW unter anderem in seinem Beschluss vom 3. März 2021 im Verfahren 15 A 761/20 auf „eine Vielzahl von Prozesskostenhilfe- bzw. Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren“ des Antragstellers hin, „mit denen er in der Hauptsache jeweils Informationszugangsansprüche verfolgt, die sich auf gerichtliche oder spruchkörperinterne Geschäftsverteilungspläne für abgelaufene Geschäftsjahre beziehen“.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Dass der Antragsteller die von ihm geltend gemachten Informationsansprüche nur noch als Vorwand verwendet und sein Vorgehen ausschließlich auf einer sachfremden und damit rechtsmissbräuchlichen Motivation beruht, ergibt sich zudem nicht nur aus der Vielzahl seiner Auskunftsbegehren im Hinblick auf Geschäftsverteilungspläne,</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">vgl. zur Verneinung des Einwands der rechtsmissbräuchlichen Antragstellung bei mehr als 140 Anträgen nach dem IFG Bund und 150 Dienstaufsichtsbeschwerden in mehreren Jahren OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juli 2018 – OVG 12 B 8.17 –, juris Rn. 31, 36 ff. (im Ergebnis bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 10 C 24.19 –, juris Rn. 11 ff.),</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">sondern insbesondere aus seinen Beweggründen für diese Anträge, wie sie aus den von dem Antragsgegner vorgelegten Unterlagen und dem Vortrag des Antragstellers selbst hervorgehen.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">So zeigen die von dem Antragsgegner vorgelegten Bildschirmfotos von der Facebook-Seite des Antragstellers, dass dieser gezielt den Werdegang eines einzelnen Richters anhand von Geschäftsverteilungsplänen verfolgt und diese sodann für jedermann zugänglich im Internet veröffentlicht (Anlagenkonvolut B1). Außerdem fordert der Antragsteller auf seiner Facebook-Seite öffentlich und wiederholt andere dazu auf, ebenfalls gerichtliche Geschäftsverteilungspläne einzusehen. Diese Aufforderungen verdeutlichen, dass es dem Antragsteller nicht um die Informationen an sich geht, sondern allein darum, Justizbehörden sinnlos in Anspruch zu nehmen bzw. nehmen zu lassen.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die sachfremden Gründe des Antragstellers für seine Auskunftsersuchen zu gerichtlichen Geschäftsverteilungsplänen ergeben sich auch aus seinem eigenen Vortrag. Dieser verdeutlicht das irrationale Bestreben des Antragstellers, (vermeintliches) Fehlverhalten einzelner Richterinnen und Richter aufzudecken und anzuprangern. So führt er in seinem Schreiben vom 1. März 2022 im bei der Kammer anhängigen Verfahren gleichen Rubrums 29 K 242/22 zunächst zu verschiedenen namentlich genannten Richtern unterschiedlicher Gerichte aus mehreren Bundesländern aus, dass ihm durch die Einsichtnahme in Geschäftsverteilungspläne bekannt sei, dass diese Richter bei dem Beschluss von spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplänen in der Vergangenheit die Vorschrift des § 21g Abs. 2 GVG missachtet hätten. Sodann heißt es in dem Schreiben des Antragstellers wörtlich weiter: „Ich kann gerne weitermachen diese würde aber einen Schriftsatz sprengen.“ In einem Schreiben vom 16. Mai 2022 im Verfahren 29 K 242/22 spricht der Antragsteller von sich als „einem Bürger der Massenhaft aus verschieden Gerichten der Ordentlichen Gerichtsbarkeit fehlerhaft ‚interne‘ Geschäftsverteilungspläne in Händen hält und ständig kommen neue hinzu“. Diese Ausführungen zeigen zudem, dass es dem Antragsteller an jeglicher Einsicht in Bezug auf die Irrationalität seines Verhaltens fehlt.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">In diese Umstände fügt sich ein, dass der Antragsteller den streitgegenständlichen Informationszugangsantrag bereits während des laufenden Verfahrens 29 K 242/22 und insbesondere ohne die Entscheidung über seinen isolierten Prozesskostenhilfeantrag abzuwarten. Gegenstand des Verfahrens 29 K 242/22 ist der Antrag des Antragstellers vom 29. Dezember 2021, mit dem er von der Präsidentin des Landgerichts E.          Einsicht in die internen Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2021 und 2022 begehrt hat.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund nimmt die Kammer an, dass der Vortrag des Antragstellers, er nehme lediglich im demokratischen Rechtsstaat jedermann zustehende Rechte, insbesondere zur Überprüfung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wahr,</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 25. September 2019 – IV AR (VZ) 2 /18 –, juris Rn. 17,</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">nur vorgeschoben ist. Bereits angesichts der Vielzahl der Auskunftsersuchen des Antragstellers ist insbesondere nicht ansatzweise plausibel, dass es ihm um die Überprüfung des gesetzlichen Richters in bestimmten Verfahren geht. So hat er – wie bereits dargelegt – etwa am Verwaltungsgericht Düsseldorf in alle kammerinternen Geschäftsverteilungspläne der Jahre 2021 und 2022 Einsicht genommen, obwohl er hier lediglich Verfahren bei der erkennenden Kammer führt bzw. geführt hat.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller in diesem Verfahren Einsicht in die nach dem Antrag vom 29. Dezember 2021 erstellte Geschäftsverteilung des Landgerichts E.          sowie dessen kammerinternen Geschäftsverteilungspläne und nicht – wie in einer Vielzahl der weiteren von ihm geführten Verfahren – nur in Geschäftsverteilungspläne zum Teil Jahre zurückliegender Geschäftsjahre begehrt. Auch insoweit geht die Kammer vor dem dargelegten Hintergrund davon aus, dass der Antragsteller mit seinen Auskunftsersuchen im Hinblick auf Geschäftsverteilungspläne mittlerweile nur noch sachfremde Zwecke, nämlich eine Schikane von Justizbehörden und Gericht, verfolgt.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Irrelevant ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass einige Gerichte – auch das Verwaltungsgericht Düsseldof – dem Antragsteller nach seinem Vortrag auf seinen Antrag hin ohne Weiteres Einsicht in Geschäftsverteilungspläne gewährt haben. Hieraus kann der Antragsteller keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Einsichtsgewährung gegen das Landgericht E.          ableiten. Diese Vorgehensweise anderer Gerichte schließt es nicht aus, dass die Präsidentin des Landgerichts E.          dem Auskunftsersuchen des Antragstellers – wie in dem Bescheid vom 3. Juni 2022 geschehen – den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhält.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Dem Antragsteller steht aller Voraussicht nach auch kein Anspruch auf Einsichtnahme in die gerichtlichen und kammerinternen Geschäftsverteilungspläne des Landgerichts E.          seit dem Antrag vom 29. Dezember 2021 aus § 21g Abs. 7 i.V.m. § 21e Abs. 9 GVG zu. Insoweit kann offen bleiben, in welchem Verhältnis ein solcher Anspruch zum Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW steht.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 1034/19 –, juris Rn. 64 ff. m.w.N. (Anspruch aus § 4 Abs. 1 IFG NRW wegen des Vorrangs der spezielleren Regelungen der § 21e Abs. 9, § 21g Abs. 7 GVG gemäß § 4 Abs. 2 IFG NRW ausgeschlossen); offen gelassen von OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 760/20 –, juris Rn. 4 (schwierige und bislang ungeklärte Rechtsfrage).</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Denn auch ein solcher Anspruch ist aller Voraussicht nach jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs kann auch einem Einsichtnahmegesuch im Sinne des § 21g Abs. 7 i.V.m. § 21e Abs. 9 GVG entgegengehalten werden. Als unzulässige Rechtsausübung oder Rechtsmissbrauch sind die Verwendung einer gesetzlichen Vorschrift in einer zweckfremden Weise und mit zweckfremdem Ziel und die Ausnutzung formeller Möglichkeiten der Gesetze entgegen ihrem unzweideutigen Rechtsgedanken anzusehen. Dies kann daher im Einzelfall auch bei der Geltendmachung eines grundsätzlich jedermann zustehenden Auskunftsanspruchs in Betracht kommen. So ist die Ausübung dieses Antragsrechts insbesondere dann unzulässig, wenn sie nur dem Zweck dienen soll, das Gericht zu belästigen, oder völlig antragsfremde Zwecke verfolgt werden.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – IV ZA 14/19 –, juris Rn. 6 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. September 2019 – I-3 VA 6/19 –, juris Rn. 16 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2018 – I-15 VA 12/18 –, juris Rn. 54 ff.; den Einwand des Rechtsmissbrauchs in diesem Zusammenhang grundsätzlich ebenfalls zulassend BGH, Beschluss vom 25. September 2019 – IV AR (VZ) 2/18 –, juris Rn. 18.</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Dies ist hier nach den obigen Darlegungen nach Aktenlage der Fall.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks"><strong>2.</strong> Auch dem angekündigten Klageantrag zu 2., mit dem der Antragsteller die Feststellung begehrt, dass die in dem Bescheid vom 3. Juni 2022 erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nach § 23 EGGVG falsch ist, mangelt es an hinreichenden Erfolgsaussichten.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Der angekündigte Klageantrag zu 2. wäre nach derzeitigem Sach- und Streitstand bereits unzulässig, da es dem Antragsteller aller Voraussicht nach an der – auch im Rahmen einer Feststellungsklage erforderlichen –,</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 – 8 C 10.08 –, juris Rn. 24 und Urteil vom 24. Juni 2004 – 4 C 11.03 –, juris Rn. 20; OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 2010 – 15 A 2399/08 –, juris Rn. 20 ff. und Urteil vom 13. November 1996 – 16 A 4461/95 –, juris Rn. 3; a.A. Sodan/Ziekow, VwGO; 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 72,</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO fehlt. Danach ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind hier aller Voraussicht nach nicht erfüllt. Denn es ist – ungeachtet der Frage, ob eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung vorliegt – nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in eigenen Rechten verletzt sein, das heißt einen subjektiven Anspruch auf die Erteilung einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung bzw. eine entsprechende Feststellung haben könnte.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">So auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 20 K 998/20 –, juris Rn. 33 ff.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Zunächst normiert § 58 Abs. 1 VwGO nicht einmal eine Verpflichtung der Behörde, einen Bescheid mit einer den Maßgaben des § 58 Abs. 1 VwGO entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen, und begründet damit auch keinen entsprechenden Anspruch des Antragstellers. § 58 VwGO regelt lediglich die Folgen für den Fall, dass eine ordnungsgemäße Rechtsbelehrung, gleichgültig aus welchen Gründen, unterblieben ist.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 58 Rn. 2; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 37 Rn. 51.</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Ein subjektiver Anspruch auf Erlass einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung lässt sich aller Voraussicht nach auch nicht § 37 Abs. 6 VwVfG NRW entnehmen. Dieser sieht lediglich die objektive Verpflichtung der Behörde vor, einem schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsakt, der der Anfechtung unterliegt, eine den dortigen Mindestanforderungen entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen, ohne jedoch dem Einzelnen ein entsprechendes subjektives Recht einzuräumen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">So auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 20 K 998/20 –, juris Rn. 33.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong> Ungeachtet dessen und selbstständig tragend ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers im Hinblick auf den angekündigten Klageantrag zu 1. auch mutwillig. Nach der gesetzlichen Definition des § 114 Abs. 2 ZPO ist eine Rechtsverfolgung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks">Das Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht, dass diejenigen, die über keine materiellen Mittel verfügen, um Prozesskosten zu tragen, mit denjenigen, denen solche Mittel zur Verfügung stehen, völlig gleichgestellt werden, sondern verlangt eine weitgehende Angleichung mit denen, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen. Es ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.</p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 1 BvR 1975/18 –, juris Rn. 14 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Insofern dient der Ausschluss einer mutwilligen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung im Prozesskostenhilferecht der Gewährleistung, dass der verfassungsrechtlich gebotene Rahmen der Prozesskostenhilfe im Einzelfall nicht überschritten wird. Es ist nicht Aufgabe der Prozesskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit Rechtsstreitigkeiten zu ermöglichen, die eine Partei, die den Prozess selbst finanzieren müsste, bei besonnener Einschätzung der Prozesschancen und -risiken nicht führen würde. Das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet, ist folglich der Maßstab, der bei der Beurteilung der Mutwilligkeit anzulegen ist.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 7 f. unter Bezugnahme auf BGH, Beschlüsse vom 26. April 2018 – IX ZB 29/17 –, juris Rn. 21 und vom 31. August 2017 – III ZB 37/17 –, juris Rn. 8, dieser jeweils unter Bezugnahme auf BT-Drucksache 17/11472 vom 14. November 2012, S. 29.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in einem anderen gerichtlichen Verfahren anhängig ist. Er kann auf diesem Wege seine weitere Rechtsverfolgung vom Ausgang dieses „Musterverfahrens“ abhängig machen, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 9 f. unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 18. November 2009 – 1 BvR 2455/08 –, juris Rn. 10; Sächsisches OVG, Beschluss vom 14. Dezember 2015 – 5 D 47/15 –, juris Rn. 7; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13. August 2015 – 2 PA 219/15 –, juris Rn. 4; OVG Thüringen, Beschluss vom 27. April 2015 – 3 ZO 720/14 –, juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 23. Oktober 2014 – 5 C 14.1925 –, juris Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen erweist sich die beabsichtigte Rechtsverfolgung im vorliegenden Verfahren als mutwillig. Der Antragsteller betreibt neben diesem Verfahren allein in Nordrhein-Westfalen – der Antragsteller ist nach eigenen Angaben auch „in anderen Bundesländern unterwegs“ (Bl. 93 der Gerichtsakte) – sowohl beim OVG NRW,</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 11,</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">als auch bei anderen nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten,</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Januar 2022 – 15 K 1353/21 –, juris Rn. 8,</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">eine Vielzahl von Prozesskostenhilfe- bzw. Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren, mit denen er in der Hauptsache jeweils Informationszugangsansprüche verfolgt, die sich auf gerichtliche oder spruchkörperinterne Geschäftsverteilungspläne beziehen. In all diesen Verfahren stellen sich im Wesentlichen die gleichen rechtlichen Fragen.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">In dieser Situation ist der Antragsteller unter dem Mutwilligkeitsaspekt des § 114 Abs. 2 ZPO darauf zu verweisen, die gleichlautenden Rechtsfragen zunächst in einem „Musterverfahren“ klären zu lassen.</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend hat das OVG NRW dem Antragsteller nur in den beiden von ihm dort zuerst anhängig gemachten Prozesskostenhilfeverfahren für beabsichtigte Berufungszulassungsanträge (Az. 15 A 593/20 und 15 A 760/20) Prozesskostenhilfe bewilligt. Diese Verfahren betreffen zum einen die Konstellation, bei der die Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan in Bezug auf ein laufendes Geschäftsjahr beantragt wurde (15 A 593/20) und zum anderen die Konstellation der Antragstellung nach Ablauf des Geschäftsjahres (15 A 760/20).</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung wird im vorliegenden Verfahren nicht dadurch in Frage gestellt, dass der ablehnende Bescheid der Präsidentin des Landgerichts E.          vom 3. Juni 2022 bestandskräftig zu werden droht, wenn der Antragsteller außerstande ist, nach der Versagung der begehrten Prozesskostenhilfe rechtzeitig Klage gegen den Bescheid zu erheben. Diese Folge hat der Antragsteller hinzunehmen. Eine selbstzahlende Partei, die den Eintritt der Bestandskraft ablehnender Bescheide hätte vermeiden wollen, hätte bei besonnener Einschätzung der Prozesschancen und -risiken vorausschauend davon abgesehen, eine Vielzahl von Anträgen auf Informationszugang mit jeweils ähnlicher Zielrichtung zu stellen, solange bei – wie hier – noch ungeklärter Rechtslage mit deren Ablehnung zu rechnen war, zumal das OVG NRW unter anderem bereits im März 2021 in diversen Verfahren Prozesskostenhilfeanträge des Antragstellers sowohl in Beschwerdeverfahren nach ablehnenden Prozesskostenhilfeentscheidungen in der ersten Instanz als auch in zweitinstanzlichen Verfahren wegen Mutwilligkeit abgelehnt hat.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 593/20 –, juris Rn. 5 sowie Beschlüsse vom 3. März 2021 – 15 E 154/20, 15 E 155/20, 15 E 156/20, 15 E 168/20, 15 E 222/20 –, jeweils juris.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Das Abwarten der – höchstrichterlichen – Entscheidung in einem Musterverfahren ist dem Antragsteller auch im Übrigen zumutbar; einen nachvollziehbaren sachlichen Grund dafür, warum er sein behauptetes Recht auf Herausgabe verschiedenster gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne in parallelen Klageverfahren zeitgleich gerichtlich durchsetzen müsste, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht gerechtfertigt, dass das Kostenrisiko für jede der zahlreichen, dieselben Rechtsfragen betreffenden Klagen des Antragstellers der Allgemeinheit, das heißt den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern überbürdet wird.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2021 – 15 A 761/20 –, juris Rn. 13.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Prozesskostenhilfe bewilligende Beschlüsse sind für die Beteiligten unanfechtbar. Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sind für die Beteiligten unanfechtbar, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint. Im Übrigen kann gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. Insoweit ist die Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts oder eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt im Beschwerdeverfahren nicht erforderlich. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV -) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeschrift soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,303
vg-koln-2022-08-03-19-l-107622
{ "id": 844, "name": "Verwaltungsgericht Köln", "slug": "vg-koln", "city": 446, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
19 L 1076/22
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-25T10:01:14"
"2022-10-17T11:09:27"
Beschluss
ECLI:DE:VGK:2022:0803.19L1076.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufgegeben, dem Antragsteller ab sofort vorläufig einen Betreuungsplatz mit 35 Stunden in einer wohnortnahen und zumutbaren Kindertageseinrichtung zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</p> <p>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu 4/5, der Antragsteller zu 1/5.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>G r ü n d e</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Antragstellers,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, ihm zum 01.08.2022 vorläufig einen Betreuungsplatz mit 45 Stunden, hilfsweise 35 Stunden, in einer wohnortnahen und zumutbaren Tageseinrichtung zur Verfügung zu stellen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat nur teilweise Erfolg. Der Hauptantrag ist zulässig, aber unbegründet. Der Hilfsantrag ist zulässig und begründet.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Hauptantrag ist unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO sind die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Soweit der Antragsteller mit dem Hauptantrag einen vorläufigen Betreuungsplatz im Umfang von 45 Stunden begehrt, hat er bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Dem am 00.00.0000 geborenen Antragsteller steht gem. § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII grundsätzlich ein Anspruch darauf zu, dass ihm die Antragsgegnerin als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe einen Betreuungsplatz in einer wohnortnahen Kindertagesstätte nachweist. Nach der genannten Bestimmung des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das wie der Antragsteller das dritte Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gewährt keinen Anspruch auf Förderung in einer bestimmten Tageseinrichtung. Die Tageseinrichtung muss lediglich in zumutbarer Entfernung vom Wohnort des Kindes und seiner Eltern gelegen sein.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Da der Antrag des Antragstellers bereits nicht auf Zurverfügungstellung eines bestimmten Betreuungsplatzes gerichtet ist, ist der von der Antragsgegnerin vorgebrachte Umstand, dass in Bergisch Gladbach alle Kindertagesstätten von freien Trägern betrieben würden und diese eigenständig über die Vergabe der Plätze entschieden, vorliegend irrelevant. Die Antragsgegnerin trifft im Übrigen eine unbedingte Bereitstellungs- bzw. Gewährleistungspflicht, der nicht mit dem Einwand der Unmöglichkeit begegnet werden kann.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 –, juris Rn. 5 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII bezieht sich jedoch nach einhelliger Auslegung in Rechtsprechung und Literatur nicht auf eine Ganztagsbetreuung im Umfang von 45 Stunden. Dies folgt aus einem Umkehrschluss aus § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, wonach die Träger der öffentlichen Jugendhilfe darauf hinzuwirken haben, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn sich aus Satz 1 bereits ein Anspruch auf einen Ganztagsplatz ergäbe.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH BW, Beschlüsse vom 17.08.2020 – 12 S 1671/20 –, juris Rn. 13 und vom 21.07.2020 – 12 S 1545/20 –, juris Rn. 16 ff.; OVG Saarland, Beschluss vom 08.10.2020 – 2 B 270/20 –, juris Rn. 11; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.08.2020 – 4 Bs 241/19 –, juris Rn. 21 ff., 44; OVG Nds., Beschlüsse vom 19.12.2018 – 10 ME 395/18 –, juris Rn. 4, vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 –, juris Rn. 3 und vom 24.07.2019 – 10 ME 154/19 –, juris Rn. 4; Hess. VGH, Beschluss vom 24.10.2019 – 10 B 1966/19 –, juris Rn. 13; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17.03.2021 – 10 K 3326/20 –, juris Rn. 59 f.; Rixen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., Stand 26.08.2019, § 24 SGB VIII Rn. 21; Lakies/Beckmann, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 24 Rn. 47; Tillmanns, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 24 SGB VIII Rn. 5; Struck/Schweigler, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 24 Rn. 63; Winkler, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 64. Ed. Stand 01.03.2022, § 24 SGB VIII Rn. 43; offen gelassen von OVG NRW, Beschlüsse vom 29.06.2020 – 12 B 1499/19 –, juris Rn. 7 und vom 26.08.2021 – 12 B 815/21 –, juris Rn. 13 f.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die durch § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII für Tageseinrichtungen formulierten Ziele – insbesondere unter Berücksichtigung veränderter Familienstrukturen und der Möglichkeit einer zumindest halbtägigen Berufstätigkeit der Eltern einschließlich entsprechender Fahrzeiten, vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII – geht die Kammer von einer Mindestbetreuungszeit von sechs Stunden täglich aus.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">So auch OVG Saarland, Beschluss vom 08.10.2020 – 2 B 270/20 –, juris Rn. 11; wohl auch VGH BW, Beschluss vom 17.08.2020 – 12 S 1671/20 –, juris Rn. 12 ff.; Lakies/Beckmann, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 24 Rn. 48 f; Etzold, in: Jox/Wellenhofer, beck-online GK, § 24 SGB VIII Rn. 84; Struck/Schweigler, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII, 6. Aufl. 2022, § 24 Rn. 63; Winkler, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, 64. Ed. Stand 01.03.2022, § 24 SGB VIII Rn. 43; Wabnitz, in: ders./Fieseler/Schleicher, Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII, § 24 Rn. 12; Krug/Riehle, SGB VIII Kommentar, Stand 01.08.2022, § 24 Rn. 42; Wersig, in: Goerdeler/Wapler, SGB VIII OK, § 24 Rn. 8; a.A. VG Stuttgart, Beschluss vom 02.09.2021 – 9 K 3324/21 –, juris Rn. 44 (fünf Stunden).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ein weitergehender Anspruch ergibt sich auch aus dem Landesrecht nicht.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Hilfsantrag ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Für den damit begehrten Betreuungsplatz in einem Umfang von 35 Stunden hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zwar ist der Anspruch aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII – wie ausgeführt – grundsätzlich nur auf einen Betreuungsumfang von 30 Stunden gerichtet. Bei der Antragsgegnerin kann im Bereich der Kindertagesstätten jedoch nur zwischen einer Betreuung im Umfang von 25, 35 oder 45 Stunden gewählt werden. Der Anspruch auf einen Betreuungsumfang von 30 Stunden kann daher nur mit einem 35-Stunden-Platz erfüllt werden.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegnerin hat den Förderungsanspruch des Antragstellers bislang nicht erfüllt, obwohl seine Eltern die erforderliche Bedarfsanzeige rechtzeitig gestellt haben. Die Eltern haben den Betreuungsbedarf für den 01.08.2022 über die Online-Plattform „Little Bird“ gegenüber der Antragsgegnerin jedenfalls spätestens am 26.08.2021 und damit nach § 5 Abs. 1 KiBiz NRW mindestens sechs Monate vor Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes angezeigt.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Es ist insoweit auch unschädlich, dass die Eltern des Antragstellers nach Ablehnung durch zwei von sechs angegebenen Tageseinrichtungen keine weitere, neue Bedarfsanmeldungen mehr eingestellt haben. Der Anspruch auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes in einer öffentlich geförderten Kindertageseinrichtung setzt nach der Bestimmung des § 5 Abs. 1 KiBiz NRW nur voraus, dass Eltern allein dem Jugendamt spätestens sechs Monate vor Inanspruchnahme den Betreuungsbedarf, den gewünschten Betreuungsumfang und die Betreuungsart anzeigen. Eine weitergehende Mitwirkung der Eltern an der Begründung des nach § 24 Abs. 3 SGB VIII bestehenden Anspruchs des Kindes auf Förderung in einer Tageseinrichtung sieht § 5 KiBiz NRW nicht vor. Die Zuweisung eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes in einer öffentlich geförderten Einrichtung liegt nach erfolgter fristgerechter Bedarfsanzeige der Eltern gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Kibiz NRW allein im Verantwortungsbereich des Jugendamtes, hier also der Antragsgegnerin.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Köln, Urteil vom 21.10.2021 – 19 K 2697/19 –, nicht veröffentlicht.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Seitens der Antragsgegnerin wurde auch nicht vorgetragen, dass die Anzeige aus anderen Gründen nicht vollständig gewesen ist.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne die begehrte Anordnung drohen ihm schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile. Ein Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ist ihm nicht zuzumuten; der bis zum Schuleintritt bestehende Anspruch auf Förderung gem. § 24 Abs. 3 SGB VIII ginge allein durch Zeitablauf fortschreitend unter und könnte bei einem Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich weitgehend nicht mehr geltend gemacht werden, weil ein Platz in einer Kindertageseinrichtung rückwirkend nicht mehr zur Verfügung</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">gestellt werden könnte.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.05.2019 – OVG 6 S 25.19 –, juris Rn. 3; Sächs. OVG, Beschluss vom 07.06.2017 – 4 B 112/17 –, juris Rn. 10 ff., 18; a.A. OVG NRW, Beschluss vom 23. 09.2020 – 12 B 1293/20 –, juris Rn. 7 ff.; VGH BW, Beschluss vom 17.08.2020 – 12 S 1671/20 –, juris Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Für den ab 01.08.2022 angemeldeten Bedarf ist es entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin im Rahmen der Eilbedürftigkeit weder erheblich, dass der Antragsteller bis zum 31.07.2022 noch betreut wird, noch, dass die vier noch offenen Betreuungsanfragen möglicherweise noch zu dem Angebot eines Betreuungsplatzes führen können. Die Eltern des Antragstellers konnten bei Antragserhebung bereits mit einer Antwort der Antragsgegnerin zu dem angemeldeten Betreuungsbedarf rechnen, da sie gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 KiBiz in der Regel bis acht Wochen, spätestens aber sechs Wochen vor dem Zeitpunkt, für den der Bedarf angemeldet wurde, eine Benachrichtigung über die Zuweisung des Betreuungsplatzes von der Antragsgegnerin hätten erhalten müssen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung</strong></p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.</p>
346,175
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12a K 4352/21.A
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:55"
"2022-10-17T17:55:56"
Gerichtsbescheid
ECLI:DE:VGGE:2022:0803.12A.K4352.21A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 00. 00 0000 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.</p> <p>Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.</p> <p>Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheides vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die am 00. 00 0000, 00. 00 0000 sowie am 00. 00.0000 jeweils in B.       B1.       (Syrien) geborenen Kläger sind syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Nach Angaben ihrer Mutter verließen die Kläger Syrien gemeinsam mit dieser am 00. 00.0000 und reisten am 00.00.0000 in die Bundesrepublik Deutschland ein.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf den Asylantrag vom 0. März 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Klägern mit Bescheid vom 00.00.0000 bestandskräftig den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den weitergehenden Asylantrag ab.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 00.00.0000 erkannte das Bundesamt dem Vater der Kläger, Herrn I.      U.        , bestandskräftig die Flüchtlingseigenschaft zu. Im Rahmen der Regelüberprüfung entschied das Bundesamt mit Verfügung vom 00.00.0000, in Ermangelung von Widerrufsgründen kein Widerrufsverfahren einzuleiten.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Am 00.00.0000 stellten die Kläger, vertreten durch ihre Eltern, schriftlich einen Asylfolgeantrag, mit dem unter Verweis auf die dem Vater zuerkannte Flüchtlingseigenschaft eine Zuerkennung von sog. Familienflüchtlingsschutz begehrt wurde.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 00.00.0000, zugestellt am 00.00.0000, lehnte das Bundesamt den Folgeantrag als unzulässig ab mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Zwar begründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Vater der Kläger eine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG –, die auch eine günstigere Entscheidung in Gestalt der Zuerkennung von abgeleitetem Flüchtlingsschutz herbeiführen würde. Der Antrag sei aber gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71 Abs. 1 des Asylgesetzes – AsylG – unzulässig, da ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei. Der Grund für das Wiederaufgreifen sei erst nach mehr als vier Jahren und damit nicht innerhalb der in § 51 Abs. 3 VwVfG bestimmten Dreimonatsfrist geltend gemacht worden.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Kläger haben rechtzeitig Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Kläger beantragen sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000 zu verpflichten, das Verfahren wieder aufzugreifen und ihnen – den Klägern – die Flüchtlingseigenschaft gemäߧ 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">und bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid. Ergänzend trägt sie vor, der in § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG geregelte Unzulässigkeitsgrund sei vorrangig zu berücksichtigen, da er auf die nicht vorhandene materielle Schutzberechtigung des Antragstellers abstelle. Daher schließe er auch die Zuerkennung von abgeleitetem Schutz aus.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Einzelrichter entscheidet den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten, die sich mit dieser Verfahrensweise übereinstimmend einverstanden erklärt haben, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –.)</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid des Bundesamtes vom 00.00.0000 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie haben einen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die materiellen Voraussetzungen von § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und § 3 Abs. 1 i.V.m. § 26 Abs. 2 und 5 AsylG sind unstreitig erfüllt. Dem Wiederaufgreifen des Verfahrens steht auch – was zwischen den Beteiligten allein streitig ist – nicht entgegen, dass die in § 51 Abs. 3 VwVG normierte Dreimonatsfrist für die Geltendmachung des Wiederaufgreifensgrundes deutlich versäumt ist.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für asylrechtliche Folgeanträge nicht mehr anzuwenden. Denn Art. 40 der RL 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) sieht solche Fristen nicht vor und ermächtigt auch die Mitgliedstaaten nicht dazu, solche Fristen vorzusehen. Ausschlussfristen für die Stellung eines Asylfolgeantrags sind nach der aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts vorrangig zu berücksichtigenden Richtlinie vielmehr ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/JURE210014857/format/xsl/part/K?oi=XX7xbqh2hg&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-18/20</a> –, jurisRn. 55 ff.; Schl.-Holst. VG, Urteil vom 23. September 2021 – 13 A 196/21 –, juris Rn. 32 ff.; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2022 – 20 K 447/21.A, juris Rn. 19; VG Saarland, Urteil vom 14. April 2022 – 6 K 703/21 –, juris Rn. 41 ff.; anders noch: OVG NRW, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19.A –, juris Rn. 29.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg eine vermeintlich vorrangige Berücksichtigung von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG entgegenhalten. Eine solche Argumentation scheitert bereits am Anwendungsvorrang des Europarechts. Im Übrigen ist die Argumentation, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stelle auf eine fehlende materielle Schutzberechtigung des Asylantragstellers ab, jedenfalls in der hier gegebenen Konstellation nicht nachvollziehbar. Denn die Beklagte hat die Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in dem angefochtenen Bescheid allein auf das Versäumnis der in § 51 Abs. 3 VwVfG normierten Dreimonatsfrist gestützt, die aber nach den vorstehenden Ausführungen aufgrund des Anwendungsvorrangs von Art. 40 der RL 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) keine Anwendung finden darf. Ein anderer Unzulässigkeitsgrund ist weder von der Beklagten geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.Vm. §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 der Zivilprozessordnung – ZPO –.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Gerichtsbescheid können die Beteiligten die Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Belehrung für den Fall, dass die Zulassung der Berufung beantragt wird:</span></p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Über den Antrag, der den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen muss, entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">1.              die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">2.              das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">3.              ein in § 138 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Belehrung für den Fall, dass mündliche Verhandlung beantragt wird:</span></p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu stellen. Wird der Antrag rechtzeitig gestellt, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen; sonst wirkt er als rechtskräftiges Urteil.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">– VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
346,118
ovgnrw-2022-08-03-7-a-155821
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 A 1558/21
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-09T10:01:09"
"2022-10-17T17:55:47"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0803.7A1558.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 95.895 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verpflichtungsklage sei unbegründet. Für den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung für die Spielhalle fehle schon das Sachbescheidungsinteresse, da das Vorhaben in den Räumlichkeiten unter der Anschrift L.---straße 17, L1.    -P.         , wegen des anzuwendenden Abstandsgebots nach § 16 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Ausführung des Glückspielstaatsvertrags NRW (AG GlüStV NRW) unzulässig sei; der gebotene Mindestabstand von 350 m werde hinsichtlich der Kindertagesstätte des T.   -Familienzentrums C.          , N.       -C1.       -Str. 22 mit 300 m Luftlinie und hinsichtlich der Kindertagesstätte C.          des B.   e. V., N1.-----weg 216, mit 330 m Luftlinie unterschritten; ein atypischer Fall, der eine Unterschreitung des Mindestabstands zulasse, sei nicht gegeben. Unabhängig davon habe die Klägerin auch deshalb keinen Anspruch auf die Baugenehmigung, weil die Bauvorlagen unvollständig seien. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei unzulässig. Die angefochtene Gebührenfestsetzung sei nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Verpflichtungsantrag gerichtete Vorbringen der Klägerin führt nicht zur Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Das Vorbringen der Klägerin weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">a) Die Klägerin rügt ohne Erfolg, § 16 Abs. 3 AG GlüStV NRW sei hier nicht anwendbar, das Verwaltungsgericht habe deshalb zu Unrecht ein Sachbescheidungsinteresse verneint.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">aa) Die Klägerin meint, die Bestimmung erfasse mit dem Begriff der (öffentlichen) Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auch freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine Beschränkung des Abstandsgebots auf Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft liege schon deshalb nicht nahe, weil der Jugendschutz das ausdrückliche Ziel der Reformierung der einschlägigen Regelungen sei, Kindertagesstätten in privater Trägerschaft erfüllten zudem eine öffentliche Aufgabe, da sie subjektiv-öffentliche Ansprüche auf Förderung in Tageseinrichtungen erfüllten, zudem bedürften sie der öffentlichen Erlaubnis und unterlägen öffentlicher Überwachung.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Diese Erwägungen des angegriffenen Urteils werden durch das Zulassungsvorbringen nicht erschüttert. Die Regelungen zum Abstandsgebot dienen, wie das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung aufgezeigt hat, dem Jugendschutz. Sie sollen zur Verhinderung der Glücksspielsucht beitragen. Indem Spielhallen in der Nähe der von ihnen besonders häufig aufgesuchten Einrichtungen aus dem alltäglichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen herausgenommen werden, wird erreicht, dass diese in geringerem Maße Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit sind; gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen kann so ein Gewöhnungseffekt durch ein stets verfügbares Angebot vermieden werden. Damit wird ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel verfolgt.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12 u. a., NVwZ 2017, 1111 = juris, zu entsprechenden Abstandsgeboten im Spielhallengesetz Berlin.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, dass hier vom Gesetzgeber des landesrechtlichen Abstandsgebots eine Differenzierung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Anknüpfung an die Trägerschaft der in Rede stehenden Einrichtungen beabsichtigt gewesen und in der Sache gerechtfertigt sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">bb) Es fehlt hier entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht im Hinblick auf das Alter der in den genannten Einrichtungen betreuten Kinder an deren Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Ansiedlung einer Spielhalle. Auch dies hat das Verwaltungsgericht ausführlich begründet und unter Bezugnahme auf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, dass ein Gewöhnungseffekt und eine Senkung der Hemmschwelle zum späteren Einstieg in das Glücksspiel auch bei jüngeren Kindern eintreten kann und unerwünscht ist. Die Ausführungen der Klägerin erschüttern diese Begründung nicht.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">cc) Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf einen atypischen Sachverhalt berufen, der eine Abweichung von dem Abstandsgebot begründen könnte.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zu den von der Klägerin angesprochenen topografischen Besonderheiten hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil in entscheidungstragender Weise aufgezeigt, dass sich die Einzugsgebiete der beiden genannten Kindertagesstätten nicht nur in südlicher Richtung erstreckten, sondern dass nördlich des Vorhabens auch in der Nähe der L2.     -Q.      -Straße ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt und in der J.-----straße Wohnbebauung vorhanden sei und daher Durchgangsverkehr der Kinder zu erwarten sei. Ob darüber hinaus auch die weiteren genannten Nutzungen (K.    I.     L1.    sowie D.       Spezialfahrzeuge T1.        ) dazu führen, dass Kinder das Vorhabengrundstück passieren - das bezweifelt die Klägerin - kann hier dahinstehen, weil es sich dabei nur um ergänzende Erwägungen handelt und die maßgebliche Feststellung des Verwaltungsgerichts schon durch die vorgenannte Begründung getragen wird.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig ergibt sich eine atypische Konstellation aus der Länge der Fußwege von 460 bzw. 550 m. Hierzu hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass solche Distanzen für Kinder, die in den genannten Einrichtungen gefördert würden, noch erreichbar wären. Soweit die Klägerin rügt, diese Begründung könne wegen des "immensen Grundrechtseingriffs in ihre Grundrechte" aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verfangen, verkennt sie die im zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.3.2017 aufgezeigte verfassungsrechtliche Bedeutung der Zielsetzung, die Jugend vor Glücksspielsucht zu schützen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">b) Auf die Ausführungen der Klägerin, die sich gegen die Begründung des Verwaltungsgerichts zu formellen Mängeln des Bauantrags richten, kommt es für die Entscheidung über die Zulassung nicht an, weil es sich dabei um eine selbstständig tragende Erwägung handelt, die mit den selbstständig tragenden Erwägungen des Urteils zu § 16 AG GlüStV NRW nicht zusammenhängt.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Das Vorbringen der Klägerin führt auch nicht zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin wirft folgende Fragen auf, die sie für grundsätzlich im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hält:</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">"Frage 1: Werden durch § 16 AG Abs. 3 Satz 2 HS 1 AG GlüStV NRW öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft geschützt, wobei gewerbliche Einrichtungen hiervon ausgenommen sind?"</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Diese Frage ist aus den vorstehenden Gründen nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, weil sich ihre Beantwortung aus den aufgezeigten Gründen ohne Weiteres im Wege der Auslegung aus dem Gesetz ergibt.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">"Frage 2: Sind öffentliche Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe, die Kinder in der Altersgruppe von 0 zu 10 Jahren betreuen, öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des § 16 AG Abs. 3 Satz 2 HS 1 AG GlüStV NRW?"</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Auch diese Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sich ihre Beantwortung aus den vorstehenden Gründen ohne Weiteres im Wege der Auslegung aus dem Gesetz ergibt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">"Frage 3: Wird der Fall der topografischen Besonderheit, mit der ein Abstand unter 350 m Luftlinie zu einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe gerechtfertigt werden könnte, dadurch aufgehoben, wenn in unmittelbarer Nähe sich Nutzungen befinden, die das Interesse von Kindern auf sich ziehen können?"</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Frage ist aus den vorstehenden Gründen nicht entscheidungserheblich und schon deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">"Frage 4: Gebietet es einen Fall der topografischen Besonderheit, wenn die tatsächliche Erreichbarkeit dadurch erschwert wird, dass der Fußweg zur öffentlichen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe über 350 m beträgt?"</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Auch diese Frage ist nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Sie ist - soweit sie hier hinsichtlich eines Fußwegs von bis zu 550 m entscheidungserheblich ist - nicht in rechtsgrundsätzlicher Weise, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu klären.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">3. Schließlich führt auch die Divergenzrüge (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht zur Berufungszulassung.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">a) Soweit die Klägerin eine Abweichung von dem Urteil des OVG NRW vom 29.6.2016 im Verfahren - 10 A 1574/14 - rügt, ist eine Abweichung im Sinne des Gesetzes schon deshalb nicht dargelegt, weil sich diese Rüge nur auf die erstinstanzliche Begründung zu Mängeln der Bauvorlagen bezieht und die selbständig tragende Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zum Fehlen des Sachbescheidungsinteresses nicht betrifft.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">b) Die Rüge der Klägerin zur Abweichung von dem Beschluss des OVG NRW vom 25.11.2020 -10 A 1230/19 - greift ebenso wenig durch.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Es ist nicht aufgezeigt, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts in entscheidungserheblicher Weise von einem Rechtssatz abweicht, der dem genannten Beschluss zugrunde liegt. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr den von der Klägerin hervor gehobenen Rechtssatz des genannten Beschlusses referiert, dazu den Beschluss des OVG NRW vom 25.11.2020 zitiert und den Rechtssatz des OVG NRW auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt. Die mit der Divergenzrüge der Sache nach geltend gemachte Unrichtigkeit der Anwendung dieses Rechtssatzes - die der Senat im Übrigen auch nicht zu erkennen vermag - rechtfertigt keine Divergenzzulassung.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 7.2.2014 - 13 A 1900/13 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,057
ovgnrw-2022-08-03-4-e-54122
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4 E 541/22
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:12"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0803.4E541.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde der Klägerin gegen die Feststellung der Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs und die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Köln durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21.7.2022 wird verworfen.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen.</p> <p>Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 21.7.2022 ist unzulässig. Die Klägerin ist entgegen § 147 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 67 Abs. 4 und Abs. 2 VwGO nicht durch einen hierfür zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten. Das Vertretungserfordernis gilt bereits für die Einlegung der Beschwerde (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Darauf ist die Klägerin in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses sowie in den von ihr geführten Verfahren 4 A 385/22 und 4 E 480/22 kürzlich bereits mehrfach hingewiesen worden.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Da die Klägerin gegenüber dem Senat zuletzt fernmündlich am 19.7.2022 im Verfahren 4 E 385/22 mitgeteilt hat, sie halte an ihrer Ansicht fest, sich als ehrenamtliche Richterin selbst vor dem Oberverwaltungsgericht vertreten zu können, ist auf einen erneuten Hinweis auf das Vertretungserfordernis verzichtet worden. Von einer Auslegung des Begehrens als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine durch einen Prozessbevollmächtigten noch einzulegende Beschwerde hat der Senat abgesehen, weil nichts dafür spricht, dass die Klägerin die Absicht hat, für das Beschwerdeverfahren einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu mandatieren.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die etwaige mangelnde Prozessfähigkeit der Klägerin hindert nicht daran, die Kostenfolge der vorgenannten Regelung auszusprechen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.4.1998 – 3 B 70.97 –, juris, Rn. 2, und BGH, Beschluss vom 4.3.1993 – V ZB 5/93 –, BGHZ 121, 397 = juris, Rn. 10, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Nichterhebung von Gerichtsgebühren beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG unanfechtbar.</p>
346,056
vg-koln-2022-08-03-20-l-80022a
{ "id": 844, "name": "Verwaltungsgericht Köln", "slug": "vg-koln", "city": 446, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
20 L 800/22.A
"2022-08-03T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:11"
"2022-10-17T17:55:37"
Beschluss
ECLI:DE:VGK:2022:0803.20L800.22A.00
<h2>Tenor</h2> <ul class="ol"><li><p>1. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe bewilligt und zur unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz Rechtanwältin H.     , 00000 P.          , beigeordnet.</p> </li> </ul> <ul class="ol"><li><p>2. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung der Antragsteller aufgrund der Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 22.12.2017 (0000000-000) vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache 20 K 2878/22.A nicht erfolgen darf.</p> </li> </ul> <p>Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.</p> <p>Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 2878/22.A gegen die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 13.04.2022 anzuordnen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist allerdings nicht statthaft, da die Antragsgegnerin in dem Bescheid keine neue Abschiebungsandrohung erlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">In Fällen, in denen – wie hier – das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) abgelehnt und gleichzeitig von einer erneuten Abschiebungsandrohung abgesehen hat, ist zur vorläufigen Verhinderung der Abschiebung der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten mit dem Ziel, dieser aufzugeben, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der früheren Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG abgeschoben werden darf.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Antragstellung und Klageerhebung erfolgten auch innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist. Der streitgegenständliche Bescheid vom 13.04.2022 wurde den Antragstellern am 26.04.2022 in der Erstaufnahmeeinrichtung L.    , T.           Straße, durch die Bezirksregierung Köln übergeben. Der vorliegende Eilantrag und die erhobene Klage gingen am 10.05.2022 und damit innerhalb der Klagefrist bei Gericht ein.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid gilt entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt als zugestellt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Nach § 10 Abs. 4 Satz 4 HS 1 AsylG sind Zustellungen und formlose Mitteilungen mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt; im Übrigen gelten sie gemäß HS 2 der genannten Vorschrift am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts klar, dass im Falle einer Aushändigung des Bescheides alleine das Datum der Aushändigung maßgeblich ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Aushändigung vor oder nach Ablauf von 3 Tagen nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung erfolgt, denn HS 1 der Vorschrift enthält keine entsprechende Konkretisierung bzw. Einschränkung. Nur „im Übrigen“, wenn also eine Aushändigung an den Ausländer nicht erfolgen kann, bleibt Raum für den Eintritt der Zustellungsfiktion nach HS 2. Die anderslautende Auffassung, wonach die Fiktion der Zustellung am dritten Tag nach der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung stets greift, wenn eine Aushändigung – aus welchen Gründen auch immer – nicht innerhalb drei Tagen erfolgt und eine spätere Übergabe an den Asylbewerber keine neue Frist in Gang setzt,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">so: Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 10 Rn. 19-21, in beck-online, s. auch: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 03.01.2022 – 4 LZ 754/21 OVG; Bayr. VGH, Beschluss vom 25.09.2019 – 9 ZB 19.33265,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">findet nach Auffassung des Gerichts weder im Wortlaut der Vorschrift noch in deren Systematik oder Zweck eine Stütze. Die Vorschrift des § 10 Abs. 4 AsylG stellt eine Sonderregelung für Zustellungen an Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen dar, die entsprechend § 5 Abs. 1 VwZG grundsätzlich nur durch Übergabe bewirkt werden kann und erst mit dem Zeitpunkt der Übergabe bzw. Aushändigung, über das ein Empfangsbekenntnis zu unterschreiben ist, wirksam ist. Die Zustellungsfiktion in HS 2 der Vorschrift stellt zur Behebung von Zustellungsschwierigkeiten eine Zustellung lediglich für den Fall sicher, dass sich der Ausländer nicht (mehr) in der Aufnahmeeinrichtung aufhält. Für den Regelfall, dass sich der Ausländer entsprechend seiner gesetzlichen Verpflichtung in der Aufnahmeeinrichtung aufhält, besteht kein Bedürfnis für eine Zustellungsfiktion und liegt es auch nicht in der Hand des Ausländers, eine Entgegennahme eines Schriftstücks bewusst zu verzögern. Es ist nach der Kenntnis des Gerichts aus zahlreichen Asylverfahren vielmehr umgekehrt so, dass es den Aufnahmeeinrichtungen mit Blick auf ihre Auslastung und Personalausstattung häufig nicht möglich ist, eine ordnungsgemäße und zügige Postverteilung zu organisieren mit der Folge, dass die Aushändigung der Schriftstücke in nicht wenigen Fällen zum Teil erheblich nach Ablauf der Drei-Tages-Frist erfolgt. Bei Zugrundelegung der Zustellungsfiktion des HS 2 würde daher das Recht der Betroffenen auf einen wirksamen Rechtsbehelf in vielen Fällen erheblich beeinträchtigt. Der Verweis auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung ist hierfür kein hinreichendes Äquivalent. Der vorliegende Fall illustriert das Vorgesagte insofern gut, als die Aushändigung durch die Anstaltsleitung nach deren Angaben wegen eines erhöhten Arbeitsaufkommens infolge einer Vielzahl ukrainischer Flüchtlinge verspätet erfolgt sein soll; nach Auffassung der Anstaltsleitung stellte dies kein Problem dar, da die Frist ebenfalls erst mit der Aushändigung beginne.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Aber auch bei Zugrundelegung der Gegenansicht ist hier von dem Zustelldatum 26.04.2022 auszugehen, da die Antragsteller jedenfalls nicht entsprechend § 10 Abs. 7 AsylG ordnungsgemäß belehrt wurden. Hier wurde nach Aktenlage den Antragstellern lediglich der Text des § 10 AsylG ausgehändigt ohne nähere Erläuterung. Dies ist nicht ausreichend, um ihnen auch nur ansatzweise die Bedeutung einer Zustellfiktion in der Form, wie sie die Antragsgegnerin verstanden wissen will, nahezubringen, zumal unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Antragstellerin zu 1) nach ihren Angaben Analphabetin ist.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller haben die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Anordnungsanspruch der Antragsteller ergibt sich daraus, dass sich die Ablehnung ihrer erneuten Asylanträge vom 07.02.2022 als unzulässig voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ein Asylantrag ist u.a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrages nach § 71 Asylgesetz (AsylG) ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG ist nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Das Verwaltungsgericht kann grundsätzlich nur die vom Antragsteller selbst geltend gemachten Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugrunde legen. Nicht von Bedeutung ist, ob der neue Vortrag im Hinblick auf das glaubhafte persönliche Schicksal des Antragstellers sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland bzw. sicheren Dritttstaat tatsächlich zutrifft. Diese Prüfung hat im Rahmen eines neuen, mit den Verfahrensgarantien des Asylgesetzes ausgestatteten Asylverfahrens zu erfolgen. Lediglich wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt beziehungsweise die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 04.12.2019 – 2 BvR 1600/19 –, vom 03.03.2000 – 2 BvR 39/98 –, vom 13.03.1993 – 2 BvR 1988/92 – und vom 11.05.1993 – 2 BvR 2245/92 -.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Liegen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 VwVfG vor, hat der Antragsteller einen Anspruch auf eine erneute Sachprüfung, in deren Rahmen der Sachverhalt umfassend aufzuklären ist und die erforderlichen Beweise zu erheben sind.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.10.2019 – A 11 S 1203/19 –; Bay. VGH, Urteil vom 13.02.2019 – 8 B 18.30257 –.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Regelung über den Folgeantrag in § 71 AsylG und hierzu ergangene vorstehend zitierte nationale Rechtsprechung ist im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des EuGH zu den Art. 33 und 40 der Richtlinie 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) unionsrechtskonform auszulegen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Eine Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. § 51 Abs. 1 VwVfG liegt demnach dann vor, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind. Ein Folgeantrag kann dabei sowohl auf Elemente oder Erkenntnisse gestützt werden, die insofern neu sind, als sie nach Erlass einer Entscheidung über den früheren Antrag zutage getreten sind, als auch auf Elemente oder Erkenntnisse, die insofern neu sind, als sie vom Antragsteller zum ersten Mal vorgebracht worden sind. Jede andere Auslegung von Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32 ginge über das hinaus, was erforderlich ist, um die Wahrung des Grundsatzes der Rechtskraft sicherzustellen, und würde die angemessene und vollständige Prüfung der Situation des Antragstellers beeinträchtigen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-18/20 –.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG gilt für asylrechtliche Folgeanträge nicht mehr. Denn Art. 40 der RL 2013/32 sieht solche Fristen nicht vor und ermächtigt auch die Mitgliedstaaten nicht dazu, solche Fristen vorzusehen. Ausschlussfristen für die Stellung eines Folgeantrags sind nach der Richtlinie vielmehr ausgeschlossen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2021 – C-18/20 –.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die vorstehenden Voraussetzungen für die Durchführung von Folgeverfahren liegen hier nach Aktenlage voraussichtlich vor, weil die Antragsteller sich im Rahmen ihrer Folgeanträge auf Umstände berufen haben, die erst nach der rechtskräftigen Entscheidung über ihre Erstanträge durch Urteil des VG Düsseldorfs vom 04.09.2020 – 22 K 252/18.A – aufgetreten sind.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Dies gilt zunächst deshalb, weil sich die Antragstellerin zu 1) von ihrem Ehemann getrennt hat. Dieser wollte nach ihren Angaben mit dem Sohn P1.    nach Syrien zurückkehren, nicht bekannt ist, ob er diesen Plan im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bereits umgesetzt hat. Jedenfalls aber ist bei der Bewertung der Frage, ob den Antragstellern im Falle einer Rückkehr nach Spanien als sicherem Drittstaat eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK droht, von einer gänzlich anderen Familienkonstellation auszugehen. Die Antragstellerin zu 1) wäre nun alleine für die Sorge und den Unterhalt der mit ihr gereisten 3 minderjährigen Kinder verantwortlich, was zu einer Neubewertung der individuellen Schutzbedürftigkeit führen muss. Dabei erhalten die erheblichen Erkrankungen der Kinder, auch soweit sie hinsichtlich der Antragsteller zu 3) und 4) bereits im Erstverfahren bekannt waren, ein anderes Gewicht. Hinzukommt als weiteres neues Element aber der durch die Caritas, Therapiezentrum für Menschen nach Folter und Flucht, unter dem 09.05.2022 attestierte begründete Verdacht für das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer mindestens leichten depressiven Episode bei der Antragstellerin zu 2) infolge der in Spanien nach Rückkehr vorgefundenen sehr prekären Lebensverhältnisse und eines dort stattgefundenen Vergewaltigungsversuchs sowie der Gefahr einer möglichen Zwangsverheiratung in Syrien durch den Vater. Nach Angaben des Therapiezentrums der Caritas, das gerichtsbekannt über eine hohe Kompetenz in diesem Bereich verfügt, besteht hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) die sehr hohe Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung im Falle einer Rückkehr nach Spanien. Diese Einschätzung wird zudem durch die fachärztliche Stellungnahme vom 13.06.2022 des Dr. B.  -T1.      , bei dem sich die Antragstellerin zu 2) aktuell in Behandlung befindet, bestätigt. Ein neues Element stellt schließlich auch die nach den Schilderungen der Antragstellerin zu 1) bei der Rückkehr nach Spanien tatsächlich vorgefundene Aufnahmesituation dar, die durch das Fehlen jeglicher Unterstützungsleistungen und vor allem durch lange Phasen geprägt war, in denen die Familie ohne Obdach war. Diese konkret geschilderte Aufnahmesituation erfordert eine erneute Bewertung der Aufnahmebedingungen in Spanien unter Einbeziehung der aktuellen Auskunftslage und der geänderten persönlichen Verhältnisse der Antragsteller.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Schließlich ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Antragsteller laufen jederzeit Gefahr, nach Spanien abgeschoben zu werden, da die Antragsgegnerin die Auffassung vertritt, die Abschiebung der Antragsteller könne gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung vom 22.12.2017 vollstreckt werden und eine anderweitige Zusicherung der zuständigen Ausländerbehörde nicht vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus <a href="https://www.juris.testa-de.net/r3/document/BJNR000170960BJNE017602310/format/xsl/part/S?oi=e9sMXGqDbq&${__hash__}38;sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">§§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO</a>, 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,725
vg-stuttgart-2022-08-02-2-k-560721
{ "id": 160, "name": "Verwaltungsgericht Stuttgart", "slug": "vg-stuttgart", "city": 90, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
2 K 5607/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-27T10:01:44"
"2022-10-17T11:10:35"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Die Klage wird abgewiesen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung eines Reiseausweises für Ausländer.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Sie ist eine im Jahr 1988 geborene Staatsangehörige Eritreas und reiste im April 2017 mit ihren in den Jahren 2007 und 2010 geborenen Kindern im Rahmen eines Relocation-Programmes von Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.05.2017 wurde ihr und ihren Kindern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt; im Übrigen wurden die Asylanträge abgelehnt. In ihrem Asylverfahren trug die Klägerin zu den Gründen ihrer Flucht insbesondere vor, dass ihr Mann in Eritrea vom Nationaldienst desertiert sei, woraufhin Soldaten zu ihnen nach Hause gekommen seien, um ihn mitzunehmen. Ihr Mann habe aber fliehen können. Stattdessen sei sie selbst, damals schwanger mit ihrem Sohn, verhaftet worden. Sie sei sechs Monate im Gefängnis gewesen. Ihr Mann sei zu seiner Einheit zurückgekehrt, damit sie aus dem Gefängnis entlassen werde, er selbst sei dann über ein Jahr inhaftiert gewesen. Nach seiner Haftentlassung sei ihr Mann in den Sudan geflohen, woraufhin wiederum sie festgenommen und für sechs Monate inhaftiert worden sei. Die zweite Verhaftung habe im Mai 2011 stattgefunden. Aus dem Gefängnis sei sie nur herausgekommen, weil ein Verwandter für 50.000 Nafra (gut 3.000 EUR) gebürgt habe, die sie habe zahlen müssen. Zwischen 2011 und ihrer Ausreise im Jahr 2016 sei nichts weiter passiert, aber sie habe ständigen Druck verspürt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Seit dem 27.06.2018 ist die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Anlässlich einer Verlängerung wurde die Klägerin mit Schreiben vom 13.05.2020 darauf hingewiesen, dass sie sich mit einem gültigen Pass auszuweisen habe. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist bis zum 16.02.2023 gültig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Im September 2020 bekam die Klägerin ein drittes Kind; der Vater der drei Kinder lebt inzwischen in England. Nach einem in der Akte befindlichen Bescheid des Jobcenters Stuttgart wurden der Klägerin und ihren Kindern in den Monaten Februar bis Mai 2021 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich zwischen 2.393 EUR und 2.687 EUR bewilligt. Einem Bescheid über Leistungen nach dem SGB II bzw. den beigefügten Berechnungsbögen für die Monate Juni bis September 2021 kann entnommen werden, dass sich der Bedarf der vierköpfigen Familie auf ca. 2.430 EUR beläuft und voll aus Sozialleistungen gedeckt wird (SGB II, Kindergeld, Elterngeld). Gleiches gilt laut Berechnungsbogen für die Monate Februar und März 2022, wobei das weggefallene Elterngeld durch Leistungen nach dem SGB II substituiert wurde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 12.11.2020 beantragte die Klägerin die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Verfügung vom 09.03.2021 ab. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie einen Pass oder Passersatz nicht in zumutbarer Weise erlangen könne. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde zunächst auf die Ausstellung eines Passes durch das jeweilige Heimatland des Ausländers verweise und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht ziehe, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg blieben. Die Klägerin mache nur geltend, dass sie Angst habe und wegen ihrer Flucht aus Eritrea keinen Passantrag stellen wolle; einen Versuch habe sie bisher aber nicht unternommen. Die Umstände ihrer Flucht seien im Asylverfahren berücksichtigt worden, dennoch sei ihr kein Flüchtlingsschutz zugesprochen worden. Das persönliche Interesse der Klägerin an der Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer habe daher hinter dem öffentlichen Interesse an der Wahrung der Passhoheit anderer Staaten zurückzutreten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Den hiergegen am 01.04.2021 eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart mit Bescheid vom 03.11.2021 zurück. Der Klägerin sei es zumutbar, einen eritreischen Pass zu erlangen. Grundsätzlich sei es jedem Ausländer zumutbar, einen Pass bei dem Staat zu beantragen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Umstände, die eine Unzumutbarkeit begründen, seien vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Unzumutbarkeit sei nur in Ausnahmefällen anzunehmen, wenn der Ausländer sich oder seine Familie durch das Bemühen um Ausstellung eines Nationalpasses unmittelbar in Gefahr bringen könnte. Das OVG Niedersachsen habe mit Urteil vom 18.03.2021 klargestellt, dass es subsidiär Schutzberechtigten grundsätzlich zumutbar sei, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen; ihre Rechtsstellung in Bezug auf die Erlangung eines Reisedokuments sei anders geregelt als die der Flüchtlinge. Das im Falle des Staates Eritrea zusätzlich bestehende Erfordernis der Zahlung einer Aufbausteuer in Höhe von 2 % zur Inanspruchnahme konsularischer Leistungen sei der Klägerin zumutbar. Die Erhebung der Aufbausteuer verstoße nicht gegen völkerrechtliche Regelungen oder deutsches Recht und werde nicht als unzumutbar erachtet. Auch die von der Klägerin abzugebende „Reueerklärung“ führe nicht zur Unzumutbarkeit der Erlangung eines Nationalpasses; diese sei von allen illegal ausgereisten eritreischen Staatsbürgern im dienstfähigen Alter für die Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen zu unterzeichnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Klägerin hat am 24.11.2021 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, sie habe alles Zumutbare unternommen, um einen Reisepass ihres Heimatlandes zu erlangen. Sie sei am 22.09.2021 zusammen mit der für sie zuständigen Sozialarbeiterin nach Frankfurt gefahren und beim eritreischen Konsulat vorstellig geworden; die Sozialarbeiterin habe sie aber nicht zur Vorsprache begleiten dürfen. Ein Konsulatsmitarbeiter habe der Klägerin gesagt, sie müsse rückwirkend vom Tag ihrer Einreise nach Deutschland eine Aufbausteuer in Höhe von 2 % der in Deutschland bezogenen Einkünfte zahlen und dies auch künftig tun. Hierzu müsse sie eine in Eritrea bevollmächtigte Person benennen, welche die Steuer einzahle und für diese hafte. Außerdem müsse sie eine „Reueerklärung“ abgeben; also erklären, dass sie freiwillig aus Eritrea ausgereist und nicht geflüchtet sei. Weiter müsse sie dabei bestätigen, dass sie in Eritrea keine Nachteile gehabt habe. Die Unzumutbarkeit ergebe sich zum einen aus der Tatsache, dass diese Reueerklärung verlangt werde. In dieser müsse man sich bekennen, eine Straftat begangen zu haben und die noch festzusetzende Strafe zu akzeptieren. Dies komme einem Schuldanerkenntnis gleich und gehe über die zumutbare Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV hinaus. Zum anderen könne sie die Aufbausteuer nicht aufbringen. Zwar könne nicht beanstandet werden, dass die Aufbausteuer ab Passbeantragung zu zahlen sei, es sei ihr aber nicht möglich, diese rückwirkend ab dem Tag der Einreise ins Bundesgebiet zu zahlen. Sie müsse als alleinerziehende Mutter von drei Kindern rückwirkend Steuer für etwa fünf Jahre zahlen. Da sie immer von Sozialleistungen gelebt habe und lebe, sei es ihr nicht möglich gewesen, diesen Geldbetrag anzusparen. Auch sei niemand bereit, ihr diesen Betrag zur Verfügung zu stellen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="10"/>den Bescheid der Beklagten vom 09.03.2021 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.11.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr einen Reiseausweis für Ausländer zu erteilen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Zur Erwiderung nimmt sie auf ihren Bescheid Bezug und verweist auf die Entscheidung des OVG Niedersachsen vom 18.03.2021 - 8 LB 97/21 -, wonach sowohl die Zahlung der Aufbausteuer als auch die Abgabe einer Reueerklärung zumutbar sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter zugestimmt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>In der mündlichen Verhandlung am 02.08.2022 hat die Klägerin ausgeführt, ihre Eltern sowie ihre sechs Geschwister lebten noch in Eritrea. Die Zahlung einer Aufbausteuer sei ihr nicht zumutbar. Sie wolle nicht noch einmal zum Konsulat nach Frankfurt gehen, dort habe sie sich unwohl und nicht frei gefühlt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Akten des Regierungspräsidiums und der Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten der Berichterstatter anstelle der Kammer (vgl. § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO) entscheiden kann, ist zulässig. Sie hat aber keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2021 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.11.2021 sind rechtmäßig und verletzen sie Klägerin nicht in ihren Rechten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>I. Gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Nach § 6 AufenthV darf im Inland ein Reiseausweis für Ausländer nach Maßgabe des § 5 AufenthV insbesondere ausgestellt werden, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (Nr. 1 Alt. 1) oder ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, sobald er als Inhaber des Reiseausweises für Ausländer die Passpflicht erfüllt (Nr. 2 Alt. 1). Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung (vgl. OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 24) nicht erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>II. Die eritreische Klägerin ist im Besitz einer bis zum 16.02.2023 gültigen Aufenthaltserlaubnis und sie besitzt - unstreitig - weder einen Pass noch einen Passersatz.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>III. Es ist aber weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin einen eritreischen Pass nicht auf zumutbare Weise erlangen kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>1. Welche konkreten Anforderungen an das gerichtlich vollständig überprüfbare Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist es im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 55; OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 27).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (OVG NRW, Beschl. v. 25.112021 - 18 E 660/21 - juris Rn. 5; OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 29).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>2. Nach diesen Maßstäben ist es der Klägerin zumutbar, die Erteilung eines Passes bei eritreischen Vertretungen zu beantragen. Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde (hierzu a). Eine Unzumutbarkeit resultiert auch nicht daraus, dass die Klägerin gegenüber der eritreischen Vertretung eine Reueerklärung abzugeben hat (hierzu b). Die Klägerin konnte weiter nicht darlegen, dass sie für die Erteilung eines Passes Aufbausteuer in ihr nicht zumutbarer Höhe zu zahlen hat (hierzu c). Weitere Gründe, die zu einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung führen könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich (hierzu d).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>a) Subsidiär Schutzberechtigten ist es grundsätzlich zumutbar, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Ihre Rechtsstellung in Bezug auf die Erlangung von Reisedokumenten ist anders geregelt als die der Flüchtlinge. Anerkannte Flüchtlinge können nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge i. V. m. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie und § 4 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV einen Reiseausweis für Flüchtlinge beanspruchen. Ein entsprechender Anspruch für subsidiär Schutzberechtigte besteht indes nicht. Vielmehr stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets nur dann aus, wenn diese keinen nationalen Pass erhalten können. Angesichts der grundsätzlich unterschiedlichen Schutzrichtung von Flüchtlingsschutz und subsidiärem Schutz ist es ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht angängig, das „Verfolgungsschicksal“ eines subsidiär Schutzberechtigten bei wertender Betrachtung als im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit demjenigen eines Flüchtlings vergleichbar und die Passbeantragung bei dem Konsulat des die Gefahr des ernsthaften Schadens verursachenden Staats als unzumutbar anzusehen. Es fehlt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerade an einem diesen Schutzstatus prägenden Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Es besteht generell die Gefahr, dass der eritreische Staat seinen aus seiner Sicht illegal ausgereisten Staatsangehörigen ernsthaften Schaden zufügt. Das beruht allein auf dem weiten Anwendungsbereich der Dienstpflicht und den generell angewendeten menschenrechtswidrigen Bestrafungsmethoden. Eine Anknüpfung an ein besonderes Merkmal erfolgt gerade nicht. Es handelt sich nicht um den gezielten, verfolgenden Zugriff auf einzelne Personen oder besondere Personengruppen. Das bedeutet umgekehrt, dass die Klägerin in keiner anderen Situation ist als so gut wie alle anderen im Ausland lebenden eritreischen Staatsangehörigen, wenn sie Kontakt zu den eritreischen Vertretungen aufnehmen muss (OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 32 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>b) Eine Unzumutbarkeit für die Klägerin resultiert weiter nicht aus dem Umstand, dass sie erneut beim eritreischen Konsulat vorsprechen muss und in diesem Zuge auch eine Reueerklärung abzugeben hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>aa) Der Umstand, dass die Klägerin ihren ersten Kontakt mit der eritreischen Botschaft in schlechter Erinnerung und als belastend empfunden hat, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorbehalte gegen eine erneute Kontaktaufnahme mit dem Konsulat sind nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthV zu begründen. Allein der Umstand, dass sich die Klägerin bei ihrem ersten Besuch im Konsulat unfreundlich empfangen und nicht wohl bzw. frei gefühlt hat, genügt hierfür nicht (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 28.12.2020 - 10 ZB 20.2157 - juris Rn. 6 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>bb) Auch der Umstand, dass die Klägerin für die Inanspruchnahme konsularischer Leitungen eine Reueerklärung abgeben muss, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>(1) Bei dieser Reueerklärung handelt es sich um einen aus zwei Sätzen bestehenden Passus am Ende eines Formulars. Der Erklärende bestätigt darin zunächst, dass seine Angaben wahr sind und bedauert weiter, seiner nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein und erklärt, eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25). Einem Bericht der Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 64) lässt sich eine Übersetzung dieser Reueerklärung in englischer Sprache entnehmen, die sich mit den Ausführungen des Auswärtigen Amtes deckt:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/><em>"I, whose name is the above-stated citizen, hereby confirm with my signature that all the foregoing information which I have provided is true and that I regret having committed an offence by failing to fulfill my national obligation and that I am willing to accept the appropriate measures when decided."</em></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Aufgrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel steht fest, dass alle illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im dienstfähigen Alter und unabhängig davon, ob sie sich dem Wehrdienst entzogen haben oder gar desertiert sind, konsularische Dienstleistungen wie die Ausstellung eines Reisepasses nur gegen Abgabe einer sogenannten Reueerklärung in Anspruch nehmen können. Die Dienstpflicht gilt dabei zumindest für Frauen bis zum 27.und für Männer bis zum 50. Lebensjahr, nach anderen Angaben für Frauen bis zum 47. und für Männer bis zum 57. Lebensjahr (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Diese Reueerklärung kann allenfalls dann als unzumutbar angesehen werden, wenn der Betroffene im Einzelfall glaubhaft und nachvollziehbar vorträgt, die Erklärung entspreche nicht seinem inneren Willen und er sehe sich an deren Unterzeichnung aufgrund seiner entgegenstehenden inneren Überzeugung gehindert. Für diesen Fall kann darüber nachgedacht werden, ob das Verlangen nach einer derartigen Erklärung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellt. Der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht könnte darin liegen, dass das Verlangen nach Abgabe der Reueerklärung die Selbstbezichtigung einer Straftat beinhaltet (Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 83).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>(2) Derartige (innere) Vorbehalte hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die konkrete Frage, wie sie zur Abgabe einer von ihr eingeforderten Reueerklärung stehe, schon nicht geltend gemacht. Sie hat vielmehr ausgeführt, dass sie bei ihrem ersten Besuch im Konsulat eine schlechte Erfahrung gemacht habe und unfreundlich empfangen worden sei. Sie habe sich nicht wohl gefühlt und wolle dorthin nicht mehr zurück, sie fühle sich dort nicht frei. Sie sei aus Eritrea geflüchtet und nun werde sie gezwungen, noch einmal zu einer Vertretung zu gehen. Eine Unzumutbarkeit der Abgabe der Reueerklärung kann sich aus diesem Vorbringen von vorneherein nicht ergeben, die Klägerin hat vielmehr deutlich gemacht, dass sie den Kontakt mit dem eritreischen Konsulat vermeiden möchte. Dass sie die Reueerklärung in irgendwie geartete Gewissensnöte bringen könnte, hat sie hingegen nicht geltend gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob diese formelhafte und von allen Eritreern im dienstpflichtigen Alter, die konsularische Leistungen in Anspruch nehmen wollen, zu unterzeichnende Reueerklärung grundsätzlich überhaupt geeignet ist, eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung zu begründen (im Ergebnis ebenso Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 88; sehr kritisch hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und Bedeutung der Reueerklärung OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 51 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>c) Die Klägerin konnte weiter nicht darlegen, dass sie für die Erteilung eines Passes eine Aufbausteuer in ihr unzumutbarer Höhe zu zahlen hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>aa) Die Bezahlung dieser Steuer ist grundsätzlich notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme konsularischer Leistungen der zuständigen eritreischen Auslandsvertretungen durch Auslandseritreer (Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 83 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25 f.). Sie wird von allen im Ausland lebenden, volljährigen eritreischen Staatsangehörigen - unabhängig davon, ob sie Eritrea legal oder illegal verlassen haben - auf der Grundlage der Proklamationen 17/1991, 62/1994 und 67/1995 - Eritrea erhoben (vgl. zur englischen Übersetzung dieser Rechtsgrundalge Tilburg University, The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, Anhang H; vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 39). Nach dieser gesetzlichen Grundlage beträgt die Aufbausteuer 2 % des Nettoeinkommens, wobei nur bestimmte Arten von Einkünften - nicht aber Sozialleistungen - in die Bemessungsgrundlage einfließen, vgl. die Kapitel der Proklamation 17/1991, die verschiedene Einkunftsarten erfassen, z.B. Chapter 2: Salary, Chapter 3: Agricultural Activities). Inwiefern abweichend von dieser rechtlichen Grundlage auch die Bezieher von Sozialleistungen zur Aufbausteuer herangezogen werden, lässt sich auch mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht mit auch nur überwiegender Wahrscheinlichkeit klären. Teilweise wird davon ausgegangen, dass - entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen - auf Sozialleistungen keine Aufbausteuer erhoben wird (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Drs. 19/19355, S. 11 - Frage 22), teilweise wird davon ausgegangen, dass Fälle bekannt seien, in denen von Empfängern von Sozialleistungen ein „Minimalbetrag“ erhoben wird (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25). Der Bericht der Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 41, 80) kommt zu keinem klaren Ergebnis; wenige Betroffene gaben an, als Sozialleistungsempfänger von Zahlungen befreit gewesen zu sein, einige gaben an, 2 % Steuer gezahlt zu haben und wieder andere berichten davon, dass ein geringerer Betrag zu zahlen sei oder der zu zahlende Betrag verhandelt werden könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>bb) Auf dieser Grundlage konnte die Klägerin nicht darlegen, dass ihr die Passbeschaffung unzumutbar ist, weil sie Aufbausteuer zu bezahlen hat. Es ist schon nicht klar, ob für sie als Sozialleistungsempfängerin mit drei minderjährigen Kindern überhaupt eine solche Aufbausteuer anfällt. Dies wurde ihr zwar - nach eigenen Angaben - von einem Mitarbeiter des Konsulats so mitgeteilt, allerdings ist nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine auf ihre Situation zugeschnittene Erklärung gehandelt hat. Denn die Klägerin hat in ihrem damaligen Gespräch mit dem eritreischen Konsulat nicht die Reueerklärung (und weitere Formulare) unterzeichnet, die erst Grundlage dafür sind, dass überhaupt konsularische Dienste (ggf. gegen Zahlung der Aufbausteuer) in Anspruch genommen werden können. Selbst wenn die Klägerin zu einer Aufbausteuer herangezogen werden sollte, ist vollkommen unklar, zu welchem Tarif und insbesondere auf welcher Bemessungsgrundlage dies geschieht. Insbesondere der letzte Punkt kann für die Frage der Zumutbarkeit von entscheidender Bedeutung sein. Die Klägerin bezieht für sich und ihre drei Kinder Sozialleistungen in Höhe von knapp 2.500 EUR monatlich. Im März 2022 setzten sich dieses beispielsweise aus dem Bedarf für die Klägerin selbst, dem Mehrbedarf für Alleinerziehende, den Bedarfen für die drei Kinder (unter Anrechnung des Kindergeldes) und dem Unterkunftsbedarf zusammen. Falls die Klägerin zur Zahlung einer Aufbausteuer herangezogen werden sollte, ist nicht absehbar, auf welcher Bemessungsgrundlage dies geschehen wird. Über die Frage, ob die mögliche Heranziehung zu einer Aufbausteuer die Passbeschaffung für die Klägerin unmöglich macht, kann das Gericht auf Grundlage der vorliegenden Informationen nicht entscheiden. Diese Informationen wird nur die Klägerin selbst besorgen können, indem sie mit einem Antrag und der abzugebenden Reueerklärung die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine (mögliche) Festsetzung der Aufbausteuer in ihrem Einzelfall stattfindet. Sollte die Klägerin tatsächlich zur Aufbausteuer herangezogen werden, ist es zudem denkbar und naheliegend, dass dies weitere Fragestellungen aufwirft, die für die Frage der Zumutbarkeit der Passbeschaffung von entscheidender Bedeutung sein können - etwa die Frage, ob die Klägerin einen (sozialrechtlichen) Anspruch auf Berücksichtigung dieser Kosten - ggf. auch im Wege eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II - hat (vgl. zu dieser Problematik in Bezug auf einen türkischen Reisepass BSG, Urt. v. 12.09.2018 - B 4 AS 33/17 R - juris Rn. 21 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>d) Dass ihr die Passbeschaffung aus einem sonstigen Grund unzumutbar ist, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Solche Gründe sind auch nicht ersichtlich. Dass beispielsweise die noch in Eritrea lebenden Verwandten der Klägerin Repressalien aufgrund eines Vorsprechens der Klägerin bei der eritreischen Vertretung zu befürchten hätten, ist aus den Erkenntnismitteln nicht ersichtlich (vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 36). Ohnehin hat die Klägerin - wenn auch ohne befriedigendes Ergebnis - bereits beim Konsulat in Frankfurt am Main vorgesprochen; in der mündlichen Verhandlung hat sie nicht ausgeführt, dass dies für ihre in Eritrea lebende Verwandtschaft zu irgendwie gearteten Konsequenzen geführt hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Gründe, die eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nrn. 3 u. 4 VwGO), sind nicht erkennbar.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten der Berichterstatter anstelle der Kammer (vgl. § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO) entscheiden kann, ist zulässig. Sie hat aber keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), der Bescheid der Beklagten vom 09.03.2021 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 03.11.2021 sind rechtmäßig und verletzen sie Klägerin nicht in ihren Rechten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>I. Gemäß § 5 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Nach § 6 AufenthV darf im Inland ein Reiseausweis für Ausländer nach Maßgabe des § 5 AufenthV insbesondere ausgestellt werden, wenn der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt (Nr. 1 Alt. 1) oder ihm eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, sobald er als Inhaber des Reiseausweises für Ausländer die Passpflicht erfüllt (Nr. 2 Alt. 1). Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung (vgl. OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 24) nicht erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>II. Die eritreische Klägerin ist im Besitz einer bis zum 16.02.2023 gültigen Aufenthaltserlaubnis und sie besitzt - unstreitig - weder einen Pass noch einen Passersatz.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>III. Es ist aber weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin einen eritreischen Pass nicht auf zumutbare Weise erlangen kann.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>1. Welche konkreten Anforderungen an das gerichtlich vollständig überprüfbare Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist es im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 55; OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 27).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die einen Ausnahmefall begründenden Umstände sind vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Dabei ist bei den Anforderungen an den Nachweis zu differenzieren. Je gewichtiger die vom Ausländer plausibel vorgebrachten Umstände sind, desto geringer sind die Anforderungen an das Vorliegen einer daraus resultierenden Unzumutbarkeit (OVG NRW, Beschl. v. 25.112021 - 18 E 660/21 - juris Rn. 5; OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 29).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>2. Nach diesen Maßstäben ist es der Klägerin zumutbar, die Erteilung eines Passes bei eritreischen Vertretungen zu beantragen. Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde (hierzu a). Eine Unzumutbarkeit resultiert auch nicht daraus, dass die Klägerin gegenüber der eritreischen Vertretung eine Reueerklärung abzugeben hat (hierzu b). Die Klägerin konnte weiter nicht darlegen, dass sie für die Erteilung eines Passes Aufbausteuer in ihr nicht zumutbarer Höhe zu zahlen hat (hierzu c). Weitere Gründe, die zu einer Unzumutbarkeit der Passbeschaffung führen könnten, sind weder dargetan noch ersichtlich (hierzu d).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>a) Subsidiär Schutzberechtigten ist es grundsätzlich zumutbar, sich bei den Auslandsvertretungen des Herkunftsstaates um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen. Ihre Rechtsstellung in Bezug auf die Erlangung von Reisedokumenten ist anders geregelt als die der Flüchtlinge. Anerkannte Flüchtlinge können nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge i. V. m. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie und § 4 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV einen Reiseausweis für Flüchtlinge beanspruchen. Ein entsprechender Anspruch für subsidiär Schutzberechtigte besteht indes nicht. Vielmehr stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 25 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets nur dann aus, wenn diese keinen nationalen Pass erhalten können. Angesichts der grundsätzlich unterschiedlichen Schutzrichtung von Flüchtlingsschutz und subsidiärem Schutz ist es ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht angängig, das „Verfolgungsschicksal“ eines subsidiär Schutzberechtigten bei wertender Betrachtung als im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit demjenigen eines Flüchtlings vergleichbar und die Passbeantragung bei dem Konsulat des die Gefahr des ernsthaften Schadens verursachenden Staats als unzumutbar anzusehen. Es fehlt für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerade an einem diesen Schutzstatus prägenden Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG. Es besteht generell die Gefahr, dass der eritreische Staat seinen aus seiner Sicht illegal ausgereisten Staatsangehörigen ernsthaften Schaden zufügt. Das beruht allein auf dem weiten Anwendungsbereich der Dienstpflicht und den generell angewendeten menschenrechtswidrigen Bestrafungsmethoden. Eine Anknüpfung an ein besonderes Merkmal erfolgt gerade nicht. Es handelt sich nicht um den gezielten, verfolgenden Zugriff auf einzelne Personen oder besondere Personengruppen. Das bedeutet umgekehrt, dass die Klägerin in keiner anderen Situation ist als so gut wie alle anderen im Ausland lebenden eritreischen Staatsangehörigen, wenn sie Kontakt zu den eritreischen Vertretungen aufnehmen muss (OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 32 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>b) Eine Unzumutbarkeit für die Klägerin resultiert weiter nicht aus dem Umstand, dass sie erneut beim eritreischen Konsulat vorsprechen muss und in diesem Zuge auch eine Reueerklärung abzugeben hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>aa) Der Umstand, dass die Klägerin ihren ersten Kontakt mit der eritreischen Botschaft in schlechter Erinnerung und als belastend empfunden hat, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorbehalte gegen eine erneute Kontaktaufnahme mit dem Konsulat sind nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthV zu begründen. Allein der Umstand, dass sich die Klägerin bei ihrem ersten Besuch im Konsulat unfreundlich empfangen und nicht wohl bzw. frei gefühlt hat, genügt hierfür nicht (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 28.12.2020 - 10 ZB 20.2157 - juris Rn. 6 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>bb) Auch der Umstand, dass die Klägerin für die Inanspruchnahme konsularischer Leitungen eine Reueerklärung abgeben muss, führt nicht zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>(1) Bei dieser Reueerklärung handelt es sich um einen aus zwei Sätzen bestehenden Passus am Ende eines Formulars. Der Erklärende bestätigt darin zunächst, dass seine Angaben wahr sind und bedauert weiter, seiner nationalen Pflicht nicht nachgekommen zu sein und erklärt, eine eventuell dafür verhängte Strafe zu akzeptieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25). Einem Bericht der Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 64) lässt sich eine Übersetzung dieser Reueerklärung in englischer Sprache entnehmen, die sich mit den Ausführungen des Auswärtigen Amtes deckt:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="29"/><em>"I, whose name is the above-stated citizen, hereby confirm with my signature that all the foregoing information which I have provided is true and that I regret having committed an offence by failing to fulfill my national obligation and that I am willing to accept the appropriate measures when decided."</em></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Aufgrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel steht fest, dass alle illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen im dienstfähigen Alter und unabhängig davon, ob sie sich dem Wehrdienst entzogen haben oder gar desertiert sind, konsularische Dienstleistungen wie die Ausstellung eines Reisepasses nur gegen Abgabe einer sogenannten Reueerklärung in Anspruch nehmen können. Die Dienstpflicht gilt dabei zumindest für Frauen bis zum 27.und für Männer bis zum 50. Lebensjahr, nach anderen Angaben für Frauen bis zum 47. und für Männer bis zum 57. Lebensjahr (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 14).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Diese Reueerklärung kann allenfalls dann als unzumutbar angesehen werden, wenn der Betroffene im Einzelfall glaubhaft und nachvollziehbar vorträgt, die Erklärung entspreche nicht seinem inneren Willen und er sehe sich an deren Unterzeichnung aufgrund seiner entgegenstehenden inneren Überzeugung gehindert. Für diesen Fall kann darüber nachgedacht werden, ob das Verlangen nach einer derartigen Erklärung einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellt. Der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht könnte darin liegen, dass das Verlangen nach Abgabe der Reueerklärung die Selbstbezichtigung einer Straftat beinhaltet (Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 83).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>(2) Derartige (innere) Vorbehalte hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf die konkrete Frage, wie sie zur Abgabe einer von ihr eingeforderten Reueerklärung stehe, schon nicht geltend gemacht. Sie hat vielmehr ausgeführt, dass sie bei ihrem ersten Besuch im Konsulat eine schlechte Erfahrung gemacht habe und unfreundlich empfangen worden sei. Sie habe sich nicht wohl gefühlt und wolle dorthin nicht mehr zurück, sie fühle sich dort nicht frei. Sie sei aus Eritrea geflüchtet und nun werde sie gezwungen, noch einmal zu einer Vertretung zu gehen. Eine Unzumutbarkeit der Abgabe der Reueerklärung kann sich aus diesem Vorbringen von vorneherein nicht ergeben, die Klägerin hat vielmehr deutlich gemacht, dass sie den Kontakt mit dem eritreischen Konsulat vermeiden möchte. Dass sie die Reueerklärung in irgendwie geartete Gewissensnöte bringen könnte, hat sie hingegen nicht geltend gemacht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob diese formelhafte und von allen Eritreern im dienstpflichtigen Alter, die konsularische Leistungen in Anspruch nehmen wollen, zu unterzeichnende Reueerklärung grundsätzlich überhaupt geeignet ist, eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung zu begründen (im Ergebnis ebenso Bay. VGH, Urt. v. 25.11.2021 - 19 B 21.1789 - juris Rn. 88; sehr kritisch hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und Bedeutung der Reueerklärung OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 51 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>c) Die Klägerin konnte weiter nicht darlegen, dass sie für die Erteilung eines Passes eine Aufbausteuer in ihr unzumutbarer Höhe zu zahlen hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>aa) Die Bezahlung dieser Steuer ist grundsätzlich notwendige Voraussetzung für die Inanspruchnahme konsularischer Leistungen der zuständigen eritreischen Auslandsvertretungen durch Auslandseritreer (Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 83 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25 f.). Sie wird von allen im Ausland lebenden, volljährigen eritreischen Staatsangehörigen - unabhängig davon, ob sie Eritrea legal oder illegal verlassen haben - auf der Grundlage der Proklamationen 17/1991, 62/1994 und 67/1995 - Eritrea erhoben (vgl. zur englischen Übersetzung dieser Rechtsgrundalge Tilburg University, The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, Anhang H; vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 39). Nach dieser gesetzlichen Grundlage beträgt die Aufbausteuer 2 % des Nettoeinkommens, wobei nur bestimmte Arten von Einkünften - nicht aber Sozialleistungen - in die Bemessungsgrundlage einfließen, vgl. die Kapitel der Proklamation 17/1991, die verschiedene Einkunftsarten erfassen, z.B. Chapter 2: Salary, Chapter 3: Agricultural Activities). Inwiefern abweichend von dieser rechtlichen Grundlage auch die Bezieher von Sozialleistungen zur Aufbausteuer herangezogen werden, lässt sich auch mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht mit auch nur überwiegender Wahrscheinlichkeit klären. Teilweise wird davon ausgegangen, dass - entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen - auf Sozialleistungen keine Aufbausteuer erhoben wird (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, BT-Drs. 19/19355, S. 11 - Frage 22), teilweise wird davon ausgegangen, dass Fälle bekannt seien, in denen von Empfängern von Sozialleistungen ein „Minimalbetrag“ erhoben wird (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea, Stand: November 2021, S. 25). Der Bericht der Tilburg University (The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017, S. 41, 80) kommt zu keinem klaren Ergebnis; wenige Betroffene gaben an, als Sozialleistungsempfänger von Zahlungen befreit gewesen zu sein, einige gaben an, 2 % Steuer gezahlt zu haben und wieder andere berichten davon, dass ein geringerer Betrag zu zahlen sei oder der zu zahlende Betrag verhandelt werden könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>bb) Auf dieser Grundlage konnte die Klägerin nicht darlegen, dass ihr die Passbeschaffung unzumutbar ist, weil sie Aufbausteuer zu bezahlen hat. Es ist schon nicht klar, ob für sie als Sozialleistungsempfängerin mit drei minderjährigen Kindern überhaupt eine solche Aufbausteuer anfällt. Dies wurde ihr zwar - nach eigenen Angaben - von einem Mitarbeiter des Konsulats so mitgeteilt, allerdings ist nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um eine auf ihre Situation zugeschnittene Erklärung gehandelt hat. Denn die Klägerin hat in ihrem damaligen Gespräch mit dem eritreischen Konsulat nicht die Reueerklärung (und weitere Formulare) unterzeichnet, die erst Grundlage dafür sind, dass überhaupt konsularische Dienste (ggf. gegen Zahlung der Aufbausteuer) in Anspruch genommen werden können. Selbst wenn die Klägerin zu einer Aufbausteuer herangezogen werden sollte, ist vollkommen unklar, zu welchem Tarif und insbesondere auf welcher Bemessungsgrundlage dies geschieht. Insbesondere der letzte Punkt kann für die Frage der Zumutbarkeit von entscheidender Bedeutung sein. Die Klägerin bezieht für sich und ihre drei Kinder Sozialleistungen in Höhe von knapp 2.500 EUR monatlich. Im März 2022 setzten sich dieses beispielsweise aus dem Bedarf für die Klägerin selbst, dem Mehrbedarf für Alleinerziehende, den Bedarfen für die drei Kinder (unter Anrechnung des Kindergeldes) und dem Unterkunftsbedarf zusammen. Falls die Klägerin zur Zahlung einer Aufbausteuer herangezogen werden sollte, ist nicht absehbar, auf welcher Bemessungsgrundlage dies geschehen wird. Über die Frage, ob die mögliche Heranziehung zu einer Aufbausteuer die Passbeschaffung für die Klägerin unmöglich macht, kann das Gericht auf Grundlage der vorliegenden Informationen nicht entscheiden. Diese Informationen wird nur die Klägerin selbst besorgen können, indem sie mit einem Antrag und der abzugebenden Reueerklärung die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine (mögliche) Festsetzung der Aufbausteuer in ihrem Einzelfall stattfindet. Sollte die Klägerin tatsächlich zur Aufbausteuer herangezogen werden, ist es zudem denkbar und naheliegend, dass dies weitere Fragestellungen aufwirft, die für die Frage der Zumutbarkeit der Passbeschaffung von entscheidender Bedeutung sein können - etwa die Frage, ob die Klägerin einen (sozialrechtlichen) Anspruch auf Berücksichtigung dieser Kosten - ggf. auch im Wege eines Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II - hat (vgl. zu dieser Problematik in Bezug auf einen türkischen Reisepass BSG, Urt. v. 12.09.2018 - B 4 AS 33/17 R - juris Rn. 21 ff.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>d) Dass ihr die Passbeschaffung aus einem sonstigen Grund unzumutbar ist, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Solche Gründe sind auch nicht ersichtlich. Dass beispielsweise die noch in Eritrea lebenden Verwandten der Klägerin Repressalien aufgrund eines Vorsprechens der Klägerin bei der eritreischen Vertretung zu befürchten hätten, ist aus den Erkenntnismitteln nicht ersichtlich (vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt. v. 18.03.2021 - 8 LB 97/20 - juris Rn. 36). Ohnehin hat die Klägerin - wenn auch ohne befriedigendes Ergebnis - bereits beim Konsulat in Frankfurt am Main vorgesprochen; in der mündlichen Verhandlung hat sie nicht ausgeführt, dass dies für ihre in Eritrea lebende Verwandtschaft zu irgendwie gearteten Konsequenzen geführt hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Gründe, die eine Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht ermöglichen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nrn. 3 u. 4 VwGO), sind nicht erkennbar.</td></tr></table></td></tr></table>
346,703
lsgbw-2022-08-02-l-11-r-368521
{ "id": 128, "name": "Landessozialgericht Baden-Württemberg", "slug": "lsgbw", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
L 11 R 3685/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-24T10:01:58"
"2022-10-17T11:10:33"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.11.2021 wird zurückgewiesen.</p><p>Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist die Vormerkung von in der landwirtschaftlichen Alterskasse zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung streitig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1957 geborene Klägerin ist Mutter der 1986 und 1987 geborenen Töchter, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann erzogen hat. Im Versicherungskonto der Klägerin bei der Beklagten sind ua Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung bis 30.06.2007 sowie vom 19.10.2007 bis 31.10.2007 von der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Pflichtbeitragszeiten gespeichert. In der Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2018 legte die Klägerin Pflichtbeitragszeiten in der landwirtschaftlichen Alterskasse zurück. Seit 01.06.2018 ist sie als Produktionshelferin versicherungspflichtig beschäftigt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Am 21.01.2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kontenklärung. Mit Bescheid vom 26.02.2019 stellte die Beklagte nach § 149 Abs 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis zum 31.12.2012 verbindlich fest und merkte ua für die beiden Kinder Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Dagegen legte die Klägerin am 18.03.2019 Widerspruch ein und beantragte die Berücksichtigung der Versicherungszeiten bei der landwirtschaftlichen Alterskasse als rentenrechtliche Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie fügte eine Bescheinigung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau vom 08.02.2019 über 137 Monate Beitragszeiten als landwirtschaftliche Unternehmerin in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 bei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Beklagte wies die Klägerin darauf hin, dass der Bescheid vom 26.02.2019 keine Entscheidung über die von der Klägerin geltend gemachten Pflichtbeitragszeiten in der landwirtschaftlichen Alterskasse enthalte, sodass dieses Anliegen nicht im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens geprüft werden könne. Der Widerspruch werde als Antrag auf Vormerkung rentenversicherungsrechtlicher Tatbestände angesehen. Mit Bescheid vom 17.04.2019 lehnte es die Beklagte ab, die Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 als Beitragszeit vorzumerken, weil keine Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden seien.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Dagegen legte die Klägerin am 14.05.2019 Widerspruch ein. Sie habe in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 die geforderten Pflichtbeiträge an die landwirtschaftliche Alterskasse geleistet. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2019 zurück. Es existiere keine gesetzliche Grundlage im SGB VI für die Anerkennung von in ein anderes Versorgungssystem gezahlten Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das SGB VI sehe auch keine Gleichstellung vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Dagegen hat die Klägerin am 22.11.2019 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die Auffassung der Beklagten sei rechtswidrig. Es möge sein, dass das Rentenrecht keine Koordinierungsregel zur Alterssicherung der Landwirte kenne. Landwirte könnten sich in der Rentenversicherung auf Antrag pflichtversichern (§ 4 Abs 2 SGB VI). Eine Beitragspflicht nach der Alterssicherung für Landwirte schließe eine Antragsversicherung nicht aus, habe aber auch keine Rückwirkung. Zeiten, in denen zu einer landwirtschaftlichen Alterskasse Pflichtbeiträge gezahlt worden seien, seien auf die Wartezeiten nach § 51 SGB VI nicht anrechenbar. Etwas Anderes gelte aber für mitarbeitende Familienangehörige. Die Alterssicherung der Landwirte sei im Wesentlichen eine Unternehmerversicherung zu Gunsten der selbstständigen Landwirte (§ 1 Abs 2 Landwirte-Alterssicherungsgesetz <ALG>). Insofern bestehe keine Konkurrenzsituation zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Alterssicherung der Landwirte erfasse auch mitarbeitende Familienangehörige (§ 1 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 8 ALG). Soweit diese über die familiären Bindungen hinaus arbeiteten und in einem Beschäftigungsverhältnis stünden, seien sie zugleich in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, sie könnten sich aber in der Alterssicherung der Landwirte befreien lassen (§ 3 Abs 1 Nr 1 ALG). Das gleiche Recht stehe Landwirten und mitarbeitenden Familienangehörigen zu, wenn sie zB wegen der Ableistung von Wehr- oder Zivildienst, wegen Kindererziehung oder Pflege rentenversicherungspflichtig würden (§ 3 Abs 1 Nr 2, 3, 4 ALG). Befreit werden könne auch, wer eine Rente, eine Pension oder eine Leistung aus der berufsständischen Versorgung von mehr als 4800,00 EUR im Jahr beziehe (§ 3 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 4 ALG). Bei der Umschreibung des Risikos der Erwerbsminderung nehme die Alterssicherung der Landwirte Bezug auf die rentenrechtliche Umschreibung der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung (§ 13 ALG iVm § 43 SGB VI). Auch insoweit gelte die 3/5-Regelung. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe nur, wenn in den letzten 5 Jahren vor dem Versicherungsfall mindestens 3 Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Dieser Zeitraum von 5 Jahren verlängere sich um Zeiten des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente nach dem SGB VI, um Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung, um Berücksichtigungs- und Anrechnungszeiten (§ 13 Abs 2 ALG). Zeiten, in denen zu einer landwirtschaftlichen Alterskasse Pflichtbeiträge gezahlt worden seien, müssten daher als Beitragszeiten gelten, die in der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet werden. Dies könne damit begründet werden, dass Pflichtbeitragszeiten, die in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden seien, nach § 17 Abs 1 ALG in der Alterssicherung für Landwirte bei der Wartezeit zu berücksichtigen seien. Bei der Berechnung der Renten aus der Alterssicherung der Landwirte, die in vielen Details dem Rentenrecht nachgebildet sei, trete an die Stelle des aktuellen Rentenwerts im Rentenrecht der allgemeine Rentenwert (§ 23 Abs 4 Satz 1 ALG). Im Leistungsrecht komme es bei den Hinterbliebenenrenten auch in der Alterssicherung für Landwirte zu einer Anrechnung der eigenen Renten aus den anderen Systemen (§ 26 ALG iVm § 97 SGB VI und §§ 18 a ff Viertes Buch Sozialgesetzbuch <SGB IV>). Ihr - der Klägerin - dürften keine Nachteile durch die Mitgliedschaft in der Alterskasse der Landwirte entstehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.11.2021 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Vormerkung der zur landwirtschaftlichen Alterskasse entrichteten Beiträge als Beitragszeit. Nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI seien Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden seien. Zu den Pflichtbeitragszeiten zählten jedoch nicht alle Beitragszeiten, zu denen Bundesrecht verpflichte. Die Vorschrift des § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI beziehe sich ausschließlich auf Beitragszahlungen nach dem SGB VI (Hinweis auf Bayerisches Landessozialgericht <LSG> 29.08.2014, L 19 R 376/14). Zwar seien Beiträge, die nach dem ALG entrichtet worden seien, ebenfalls Pflichtbeiträge nach Bundesrecht, ebenso wie die Unfall- und Krankenversicherungsbeiträge. Sie seien aber nicht von § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI erfasst und damit nicht als Beitragszeiten von den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI zu berücksichtigen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 05.11.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 01.12.2021 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Die Entscheidung des SG sei rechtsfehlerhaft. Der Wortlaut des § 55 SGB VI stütze die Rechtsauffassung der Beklagten und des SG nicht. Es sei unstreitig, dass die Beitragszeiten, die nach den Vorschriften des ALG entrichtet worden seien, Pflichtbeiträge nach Bundesrecht seien. Daher hätten diese Beitragszeiten berücksichtigt werden müssen. Zur Begründung hat die Klägerin ihre Argumente aus dem sozialgerichtlichen Verfahren wiederholt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.11.2021 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2019 zu verpflichten, den Zeitraum vom 01.07.2007 bis 30.11.2018 als Beitragszeit vorzumerken.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 02.06.2022 darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin vertretene Rechtsposition der allgemeinen Meinung, wonach Beitragszeiten zur Alterssicherung der Landwirte keine Pflichtbeitragszeiten iSd § 55 SGB VI darstellten (zB Bundessozialgericht <BSG> 16.06.2005, B 10 LW 1/03 R, SozR 4-5868 § 13 Nr 1; BSG 19.05.2004, B 13 RJ 4/04 R; BSG 06.02.2003, B 13 RJ 17/02 R, BSGE 90, 285; BSG 27.06.1990, 5 RJ 19/89, SozR 32200 § 1246 Nr 6; BSG 22.02.1990, 4 RA 62/89, SozR 3-2200 § 1246 Nr 3; LSG Baden-Württemberg 03.09.2003, L 2 R 3190/02; Bayerisches LSG 10.02.2018, L 19 829/17; Bayerisches LSG 29.08.2014, L 19 R 376/14), widerspreche.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Die Klägerin hat sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte hat ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 17.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten als Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, 56 SGG) und begehrt die Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der mit einer solchen Klage verfolgte Anspruch ist darauf gerichtet, dass die Behörde einen neuen - ergänzten - Vormerkungsbescheid und damit einen feststellenden Verwaltungsakt erlässt (BSG 16.06.2021, B 5 RE 5/20 R, SozR 4-2400 § 26 Nr 5, SozR 4-2600 § 149 Nr 6, Rn 16).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 17.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2019 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Nach § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI stellt der Versicherungsträger, der das Versicherungskonto geklärt hat oder wenn der Versicherte innerhalb von 6 Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als 6 Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung von Beitragszeiten für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2018 durch einen Feststellungsbescheid. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 55 SGB VI in Betracht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gemäß § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Als Beitragszeiten gelten auch Zeiten, für die Entgeltpunkte gutgeschrieben worden sind, weil gleichzeitig Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für mehrere Kinder vorliegen (§ 55 Abs 1 Satz 3 SGB VI). Soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, zählen nach § 55 Abs 2 SGB VI hierzu auch</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>1. freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten, oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>2. Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 SGB VI genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten, oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>3. Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Bei den in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 in der Alterssicherung der Landwirte zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten handelt es sich um keine Beitragszeiten iSd § 55 SGB VI (allgemeine Meinung; zB BSG 16.06.2005, B 10 LW 1/03 R; SozR 4-5868 § 13 Nr 1; BSG 19.05.2004, B 13 RJ 4/04 R; BSG 06.02.2003, B 13 RJ 17/02 R, BSGE 90, 285; BSG 27.06.1990, 5 RJ 19/89, SozR 32200 § 1246 Nr 6; BSG 22.02.1990, 4 RA 62/89, SozR 3-2200 § 1246 Nr 3; LSG Baden-Württemberg 03.09.2003, L 2 R 3190/02; Bayerisches LSG 10.02.2018, L 19 R 829/17; Bayerisches LSG 29.08.2014, L 19 R 376/14; Dankelmann in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Auflage 2021, § 55 Rn 2; Gürtner in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, § 55 SGB VI Rn 5; Kuszynski in Knickrehm ua, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, § 55 SGB VI Rn 2; Scheer in Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, Vorbemerkung vor § 1 ALG Rn 11).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>So hat das BSG in dem Urteil vom 16.06.2005 (B 10 LW 1/03 R, SozR 4-5868 § 13 Nr 1, Rn 28 - 30) dazu ua Folgendes ausgeführt:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>„Beiträge nach dem ALG bzw GAL sind in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, da es sich bei GRV und AdL um verschiedene soziale Sicherungssysteme handelt, die hinsichtlich ihrer Beiträge und Leistungen grundsätzlich nicht kompatibel sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Die AdL unterliegt als eigenständiges soziales Sicherungssystem einer eigenen Sachgesetzlichkeit (vgl BVerfGE 25, 314, 321 f). Sie ist auf die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere der landwirtschaftlichen Unternehmer, zugeschnitten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 6). Die Beitrags- und Leistungsgestaltung des ALG ist darüber hinaus zu einem nicht unerheblichen Teil durch agrarstrukturelle Ziele geprägt (vgl ausdrücklich: BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R, JURIS). Über den Leistungskatalog bietet es für den einzelnen Landwirt Anreize, sich an der Verwirklichung agrarstruktureller Ziele, einschließlich der Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Union, zu beteiligen. Nicht nur insoweit unterscheidet sie sich von der auf das Sicherungsbedürfnis der Menge der abhängig beschäftigten Erwerbstätigen ausgerichteten GRV. Die Leistungen des ALG werden darüber hinaus größtenteils aus dem Bundeshaushalt finanziert (vgl dazu Gesamtkomplex BT-Drucks 12/5700, S 63).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Wenn Pflichtbeiträge, die zur GRV gezahlt wurden, nach besonderen Regelungen des ALG im Rahmen der AdL Berücksichtigung finden, etwa zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 ALG, dann wird dadurch gerade der Unterschiedlichkeit der Systeme Rechnung getragen. Den in der AdL versicherungspflichtigen Landwirten soll bei einem (Vorsorge-)Systemwechsel, der ggf mit Aufgabe der hauptberuflichen landwirtschaftlichen Tätigkeit vollzogen wird, die Möglichkeit gegeben werden, mit Hilfe von sodann in der GRV zurückgelegten Versicherungszeiten die in der AdL erworbenen Anwartschaften aufrecht zu erhalten. Dieser Personenkreis soll dadurch vor Nachteilen des gegliederten Systems geschützt werden (vgl BT-Drucks 12/5700 S 72). Eine Notwendigkeit, die zur LAK gezahlten Beiträge andersherum auch im Rahmen des SGB VI zu berücksichtigen, kann hieraus hingegen nicht gefolgert werden.“</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des BSG, mit der sich die Klägerin nicht ansatzweise auseinandergesetzt hat, an. Aus den die Landwirte privilegierenden Regelungen, nach denen Pflichtbeitragszeiten nach dem SGB VI auch in der Alterssicherung der Landwirte berücksichtigt werden (zB § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG), kann nicht umgekehrt geschlossen werden, dass auch (systemfremde) Beitragszeiten nach dem ALG ohne gesetzliche Regelung in dem davon zu trennenden System der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden dürfen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 17.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten als Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, 56 SGG) und begehrt die Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der mit einer solchen Klage verfolgte Anspruch ist darauf gerichtet, dass die Behörde einen neuen - ergänzten - Vormerkungsbescheid und damit einen feststellenden Verwaltungsakt erlässt (BSG 16.06.2021, B 5 RE 5/20 R, SozR 4-2400 § 26 Nr 5, SozR 4-2600 § 149 Nr 6, Rn 16).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 17.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2019 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Vormerkung der in der landwirtschaftlichen Alterskasse in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten in der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Nach § 149 Abs 5 Satz 1 SGB VI stellt der Versicherungsträger, der das Versicherungskonto geklärt hat oder wenn der Versicherte innerhalb von 6 Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als 6 Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung von Beitragszeiten für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2018 durch einen Feststellungsbescheid. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 55 SGB VI in Betracht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Gemäß § 55 Abs 1 Satz 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Als Beitragszeiten gelten auch Zeiten, für die Entgeltpunkte gutgeschrieben worden sind, weil gleichzeitig Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für mehrere Kinder vorliegen (§ 55 Abs 1 Satz 3 SGB VI). Soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, zählen nach § 55 Abs 2 SGB VI hierzu auch</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>1. freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten, oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>2. Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 SGB VI genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten, oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>3. Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Bei den in der Zeit vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2018 in der Alterssicherung der Landwirte zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten handelt es sich um keine Beitragszeiten iSd § 55 SGB VI (allgemeine Meinung; zB BSG 16.06.2005, B 10 LW 1/03 R; SozR 4-5868 § 13 Nr 1; BSG 19.05.2004, B 13 RJ 4/04 R; BSG 06.02.2003, B 13 RJ 17/02 R, BSGE 90, 285; BSG 27.06.1990, 5 RJ 19/89, SozR 32200 § 1246 Nr 6; BSG 22.02.1990, 4 RA 62/89, SozR 3-2200 § 1246 Nr 3; LSG Baden-Württemberg 03.09.2003, L 2 R 3190/02; Bayerisches LSG 10.02.2018, L 19 R 829/17; Bayerisches LSG 29.08.2014, L 19 R 376/14; Dankelmann in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Auflage 2021, § 55 Rn 2; Gürtner in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, § 55 SGB VI Rn 5; Kuszynski in Knickrehm ua, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, § 55 SGB VI Rn 2; Scheer in Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, Vorbemerkung vor § 1 ALG Rn 11).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>So hat das BSG in dem Urteil vom 16.06.2005 (B 10 LW 1/03 R, SozR 4-5868 § 13 Nr 1, Rn 28 - 30) dazu ua Folgendes ausgeführt:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>„Beiträge nach dem ALG bzw GAL sind in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, da es sich bei GRV und AdL um verschiedene soziale Sicherungssysteme handelt, die hinsichtlich ihrer Beiträge und Leistungen grundsätzlich nicht kompatibel sind.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Die AdL unterliegt als eigenständiges soziales Sicherungssystem einer eigenen Sachgesetzlichkeit (vgl BVerfGE 25, 314, 321 f). Sie ist auf die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere der landwirtschaftlichen Unternehmer, zugeschnitten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 6). Die Beitrags- und Leistungsgestaltung des ALG ist darüber hinaus zu einem nicht unerheblichen Teil durch agrarstrukturelle Ziele geprägt (vgl ausdrücklich: BSG, Urteil vom 19. Mai 2004 - B 13 RJ 4/04 R, JURIS). Über den Leistungskatalog bietet es für den einzelnen Landwirt Anreize, sich an der Verwirklichung agrarstruktureller Ziele, einschließlich der Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Union, zu beteiligen. Nicht nur insoweit unterscheidet sie sich von der auf das Sicherungsbedürfnis der Menge der abhängig beschäftigten Erwerbstätigen ausgerichteten GRV. Die Leistungen des ALG werden darüber hinaus größtenteils aus dem Bundeshaushalt finanziert (vgl dazu Gesamtkomplex BT-Drucks 12/5700, S 63).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Wenn Pflichtbeiträge, die zur GRV gezahlt wurden, nach besonderen Regelungen des ALG im Rahmen der AdL Berücksichtigung finden, etwa zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 ALG, dann wird dadurch gerade der Unterschiedlichkeit der Systeme Rechnung getragen. Den in der AdL versicherungspflichtigen Landwirten soll bei einem (Vorsorge-)Systemwechsel, der ggf mit Aufgabe der hauptberuflichen landwirtschaftlichen Tätigkeit vollzogen wird, die Möglichkeit gegeben werden, mit Hilfe von sodann in der GRV zurückgelegten Versicherungszeiten die in der AdL erworbenen Anwartschaften aufrecht zu erhalten. Dieser Personenkreis soll dadurch vor Nachteilen des gegliederten Systems geschützt werden (vgl BT-Drucks 12/5700 S 72). Eine Notwendigkeit, die zur LAK gezahlten Beiträge andersherum auch im Rahmen des SGB VI zu berücksichtigen, kann hieraus hingegen nicht gefolgert werden.“</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des BSG, mit der sich die Klägerin nicht ansatzweise auseinandergesetzt hat, an. Aus den die Landwirte privilegierenden Regelungen, nach denen Pflichtbeitragszeiten nach dem SGB VI auch in der Alterssicherung der Landwirte berücksichtigt werden (zB § 17 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ALG), kann nicht umgekehrt geschlossen werden, dass auch (systemfremde) Beitragszeiten nach dem ALG ohne gesetzliche Regelung in dem davon zu trennenden System der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden dürfen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,702
lsgbw-2022-08-02-l-11-kr-339621
{ "id": 128, "name": "Landessozialgericht Baden-Württemberg", "slug": "lsgbw", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
L 11 KR 3396/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-24T10:01:57"
"2022-10-17T11:10:32"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.09.2021 wird zurückgewiesen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten</p></blockquote></blockquote> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger macht die Rückzahlung von ihm unter Vorbehalt gezahlter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.05.2019 geltend.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Kläger war seit Juni 2017 bei der Firma H-H Werkzeugmaschinen GmbH (Arbeitgeberin) versicherungsfrei beschäftigt und bei der Beklagten zu 1) freiwillig krankenversichert und bei der Beklagten zu 2) pflegeversichert. Der Kläger hatte mit seiner Arbeitgeberin vereinbart, dass diese die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an die Beklagten abführt (Firmenzahlerverfahren). Für die Zeit ab dem 01.01.2019 entrichtete die Arbeitgeberin keine Beiträge mehr an die Beklagten. Die Beklagte zu 1) erinnerte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 03.02.2019 und 05.03.2019 an die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen. Mit Beschluss vom 23.04.2019 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Bescheid vom 02.04.2019 forderte die Beklagte zu 1) auch im Namen der Beklagten zu 2) den Kläger auf, ab dem 01.01.2019 seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung selbst an die Beklagten zu zahlen. Der Arbeitgeber habe die Beiträge bis heute nicht gezahlt. Für den Zeitraum von Januar 2019 bis April 2019 wurde die anstehende Zahlung iHv 3.330,52 EUR, fällig am 15.05.2019, und ab 05.2019 mit monatlich 832,63 EUR (fällig am 15.06.2016) angegeben. In der beigefügten Übersicht „Ihre Beiträge seit dem 1. Januar 2019“ wurde die Berechnung des monatlichen Beitrags dargestellt. Die Beklagten berechneten aus der Beitragsbemessungsgrenze iHv 4.537,50 EUR den Beitrag zur Krankenversicherung iHv 662,48 EUR, den Zusatzbeitrag iHv 31,76 EUR und den Beitrag zur Pflegeversicherung iHv 138,39 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Der Kläger erhob am 18.04.2019 Widerspruch. Im Mai und Juni 2019 entrichtete der Kläger an die Beklagten die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Monate Januar und Februar 2019 in Höhe von 1.665,26 EUR ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Eine Insolvenzversicherung hat die Beiträge für März, April und Mai 2019 gezahlt, die der Kläger an die Beklagten weitergeleitet hat. Im Einzelnen erfolgten folgende Zahlungen (Kontoübersicht der Beklagten vom 20.06.2020, Seite 30 der Verwaltungsakte):</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table border="1" class="Rsp"><tr><th colspan="4" rowspan="1"><rd nr="5"/></th></tr><tr><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify"><strong>Art</strong>     </td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify"><strong>Auftraggeber</strong></td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify"><strong>Wertstellung</strong></td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right"><strong>Zahlung</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Überweisung</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Kläger</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">05.06.2019</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">832,63 EUR</td></tr></table></td></tr><tr><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Überweisung</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Kläger</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">27.05.2019</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.665,26 EUR</td></tr></table></td></tr><tr><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Überweisung</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:justify">Kläger</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">24.05.2019</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">1.665,26 EUR</td></tr></table></td></tr><tr><td colspan="3" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:left">Summe der Zahlungsein- und -ausgänge</td></tr></table></td><td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><table width="100%"><tr><td style="text-align:right">4.163,15 EUR</td></tr></table></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Offen blieb eine Forderung der Beklagten iHv 32 EUR für Säumniszuschläge, zu deren Zahlung sie den Kläger mit Schreiben vom 19.06.2019 aufforderten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Mit (weiterem) Bescheid vom 19.06.2019 führte die Beklagte zu 1) auch im Namen der Beklagten zu 2) aus, dass der Kläger eine Beschäftigung aufgenommen habe und er mit seinem Arbeitsentgelt über der Versicherungspflichtgrenze liege. Er sei daher ab dem 01.06.2019 freiwillig krankenversichert. Die Beiträge würden aus der Beitragsbemessungsgrenze von zurzeit monatlich 4.537,50 EUR berechnet. In der Pflegeversicherung sei er pflichtversichert. Der Arbeitgeber übernehme die Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für den Kläger. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass der Kläger grundsätzlich selbst verpflichtet sei, die Beiträge zu zahlen. Er möge prüfen, ob seine Anteile zur Kranken- und Pflegeversicherung tatsächlich vom Arbeitsentgelt einbehalten werden. Beigefügt war eine Berechnung der monatlichen Beiträge.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Die Beklagte zu 1) wies den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 02.04.2019 auch im Namen der Beklagten zu 2) mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2020 zurück. Die Beklagten seien berechtigt gewesen, vom Kläger für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.05.2019 Beiträge in Höhe von 4.163,15 EUR zu fordern.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Hiergegen hat der Kläger am 26.02.2020 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und die Rückerstattung des von ihm gezahlten Betrages iHv 1.665,26 EUR gefordert. Die Beklagten hätten es pflichtwidrig versäumt, ihn auf den Umstand hinzuweisen, dass der Arbeitgeber die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht abgeführt habe. Aufgrund dieser fehlenden Information und des Umstandes, dass er - der Kläger - aufgrund der ihm gezahlten Gehälter davon habe ausgehen müssen, dass die Beiträge abgeführt worden seien, habe er nicht rechtzeitig gegenüber seiner Arbeitgeberin tätig werden und diesbezüglich Korrektur herbeiführen können. Es liege ein Anwendungsfall des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor, da die Beklagten ihn bezüglich der rückständigen Beitragszahlung nicht rechtzeitig informiert, also eine erforderliche Auskunft nicht erteilt hätten. Hierdurch sei es ihm unmöglich gewesen, auf seine Arbeitgeberin dahingehend einzuwirken, dass sie die rückständigen und die laufenden Beiträge entrichte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Beklagten haben vorgetragen, der Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei hier nicht eröffnet. Wenn die Beklagten den Kläger früher auf die mangelnde Abführung der Beiträge hingewiesen hätten, hätte dies nichts an der Rechtsfolge, dass er Beitragsschuldner bleibe und die Beiträge zu entrichten habe, geändert.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Gerichtsbescheid vom 21.09.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei gemäß §§ 252, 250 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) selbst zur Zahlung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verpflichtet, da er freiwillig versichert sei. Denn ein freiwillig Krankenversicherter sei selbst Beitragsschuldner. Nach § 252 Abs 1 Satz 1 SGB V seien die Beiträge, soweit gesetzlich nichts Abweichendes bestimmt ist, von demjenigen zu zahlen, der sie zu tragen habe. Gemäß § 250 Abs 2 SGB V trügen freiwillige Mitglieder den Beitrag zur Krankenversicherung allein. Die abweichenden Regelungen der §§ 253, 255 und 256 SGB V gölten nur für Versicherungspflichtige, nicht für freiwillig Versicherte. Für die Pflegeversicherung ergebe sich gleiches aus den §§ 59 Abs 4 Satz 1, 60 Abs 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die gesetzliche Risikoverteilung bei der freiwilligen Versicherung gehe dahin, dass der Versicherte Beitragsschuldner sei und bleibe, auch wenn er mit seiner Arbeitgeberin vereinbart habe, dass diese die Beiträge für ihn abführe. Die Arbeitgeberin sei nicht gesetzlich zur Abführung verpflichtet. Diese Verpflichtung obliege nach der gesetzlichen Regelung allein dem Versicherten. Die Arbeitgeberin fungiere nur als Zahlstelle für den Kläger. Das Risiko, dass die Arbeitgeberin die Beiträge nicht entrichte, obwohl sie vom Gehalt abgezogen worden seien, trage das freiwillige Mitglied als Beitragsschuldner (Hinweis auf Sozialgericht Oldenburg, 20.05.2011, S 61 KR 321/10, juris Rn 17 f). Zudem sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die von der Beklagten angesetzten Beiträge der Höhe nach nicht richtig seien. Das Gericht habe sich nach eigener Prüfung den Berechnungen der Beklagten im Bescheid vom 02.04.2019 angeschlossen. Daneben könne der Kläger sein Begehren im Ergebnis nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Der Herstellungsanspruch habe zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt habe. Ferner müsse zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Schließlich müsse der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können und die Korrektur müsse mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang stehen. Eine Geldleistung könne jedenfalls dann nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches begehrt werden, wenn diese Geldleistung auch im Wege eines Amtshaftungsanspruches geltend gemacht werden könnte (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg 22.01.2016, L 4 R 1412/15, juris Rn 31). Vorliegend stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagten den Kläger pflichtwidrig nicht über die nicht erfolgte Abführung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung durch seine Arbeitgeberin informiert hätten. Obzwar der Kläger mit keinem Beratungsbegehren an die Beklagten herangetreten sei, habe beklagtenseits aufgrund der Eigenschaft des Klägers als Beitragsschuldner eine Spontanberatungspflicht dahingehend bestanden, dass sie ihn umgehend über die nicht erfolgte Beitragsabführung seitens seiner Arbeitgeberin informiere, damit er sich mit derselben wegen der ausstehenden Beiträge ins Benehmen setzen und über den Betriebsrat nötigenfalls insolvenzrechtliche Schritte einleiten könne. Jedoch scheitere der Herstellungsanspruch auf Rechtsfolgenseite, da er mit der Rückerstattung der von ihm gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einen Schadensersatz in Geld geltend mache, der gerade Gegenstand eines Amtshaftungsanspruches aus Art 34 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sein könnte. Über einen solchen Anspruch habe das das SG nicht zu entscheiden. Denn die Prüfung eines Amtshaftungsanspruches sei den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten, § 17 Abs 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Eine Teilverweisung hinsichtlich des Anspruches aus Amtshaftung an das Landgericht kommt schlechterdings nicht in Betracht (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 30.07.2014, B 14 AS 8/14 B, juris Rn 5). Rechtsnachteile entstünden dem Kläger durch die Unzulässigkeit der Teilverweisung nicht. Denn der Regelung in § 17b Abs 1 Satz 2 GVG sei zu entnehmen, dass auch eine Klageerhebung beim unzuständigen Gericht die Rechtshängigkeit mit den dazugehörigen Wirkungen, zum Beispiel der Verjährungshemmung (vgl § 204 Abs 1 Nr 1 BGB), eintreten lasse, und dass dies ebenso für eine vor dem Sozialgericht erhobene Amtshaftungsklage gelte, wenn die Klage - wie vorliegend - daneben auf weitere materielle Ansprüche gestützt werde (vgl. § 213 BGB; Hinweis auf LSG Sachsen 03.11.2016, L 3 AL 163/14, juris Rn 62).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 06.10.2021 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.11.2021 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass vorliegend ausnahmsweise die Rückerstattung einer Geldleistung auch Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein könne und damit neben dem Amtshaftungsanspruch auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch bestehe. Er führt aus, dass erst zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der fehlenden Beitragszahlungen des Arbeitgebers zur Kranken- und Pflegeversicherung bezüglich der freiwilligen Mitglieder (der Kläger sei kein Einzelfall) der Insolvenzantrag gestellt und nachfolgend das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Letzteres mit der Rechtsfolge, dass die Insolvenzversicherung drei Monate rückwirkend, dh für die Monate März, April und Mai 2019 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung übernommen und an den Kläger ausgezahlt habe, sodass dieser diese an die Beklagten habe weiterleiten können. Wäre der Insolvenzantrag früher gestellt worden, hätte die Insolvenzversicherung die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, unter Berücksichtigung der Dreimonatsfrist, auch für die hier eigentlich streitigen Monate Januar und Februar 2019 nachträglich gezahlt. Hätten die Beklagten somit den Kläger früher darüber informiert, dass sie keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom Arbeitgeber mehr erhält, also zB parallel zu den diesbezüglichen Forderungsschreiben und Kontaktaufnahmen gegenüber dem Arbeitgeber, so hätte der Kläger entweder selbst oder über den Betriebsrat etc tätig werden können, was die entsprechende finanzielle Entlastung des Klägers und insbesondere auch die Befriedigung der Beklagten hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zur Folge gehabt hätte. Stattdessen hätten die Beklagten die streitgegenständlichen Beitragsbescheide erlassen und der Kläger habe, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, zur Vermeidung von weiteren Kosten die Beiträge an die Beklagten entrichten müssen. Zu einem auf die Rückerstattung eines Geldbetrages gerichteten Anspruchs sei der sozialrechtliche Herstellungsanspruch also erst aufgrund der Tätigkeit und der Bescheiderteilung der Beklagten geworden. Ursprünglich habe der Kläger einen „Dispositionsschaden" gehabt, weil er durch den Fehler der Beklagten Primäransprüche verloren habe bzw nicht habe geltend machen können und sich nunmehr auf etwaige, vermutlich wertlose Insolvenzansprüche verweisen lassen müsse. Der durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auszugleichende sozialrechtliche Nachteil umfasse auch „Dispositionsschäden" aufgrund des Verlustes oder der Nicht-Geltendmachung von Ansprüchen (Hinweis auf KassKomm/Spellbrink, Vor §§ 13-15 SGB I, Rn 26). Ursprünglich sei der Anspruch des Klägers gegenüber den Beklagten ein Freistellungsanspruch gewesen. Dies habe sich erst geändert, als die Beklagten den Kläger rechtswidrig zur Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge per Bescheid verpflichtet habe. Dementsprechend werde klägerseits auch eine Herstellung im Rahmen der sozialrechtlich zulässigen Möglichkeiten begehrt, da die Beklagten ihren Beitragsbescheid ganz oder teilweise aufheben und die dann zu Unrecht vereinnahmten Beiträge an den Kläger zurückzahlen könnten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 21.09.2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2020 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die von ihm für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.05.2019 gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.665,26 EUR zurückzuzahlen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="16"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Sie macht sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids zu eigen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Die Beklagten haben mit Schreiben vom 28.12.2021, der Kläger mit Schriftsatz vom 17.01.2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter erklärt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG), ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 02.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte zu 1) auch im Namen der Beklagten zu 2) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom Kläger für die Zeit ab 01.01.2019 gefordert hat. Der Kläger macht die Rückzahlung bzw Erstattung der von ihm für die Monate Januar und Februar 2019 gezahlten Beiträge in Höhe von 1.665,26 EUR (2 x 832,63 EUR) geltend. Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Kläger auch Säumniszuschläge in Höhe von 32 EUR zu zahlen hat. Hierüber wurde in dem angefochtenen Bescheid nicht entschieden. Überdies hat der Kläger mit der Klage nur eine Rückerstattung bereits von ihm gezahlter Beträge verlangt, und die von der Beklagten geforderten Säumniszuschläge hat er gar nicht gezahlt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Berufung ist in der Sache unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagten waren berechtigt, die Zahlung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (auch) für die Monate Januar und Februar 2019 vom Kläger zu verlangen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Bei der Beitragserhebung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung unterscheidet das Gesetz zwischen der Tragung und der Zahlung von Beiträgen. Bei der Tragung der Beiträge geht es darum, wer mit den Beiträgen belastet wird, also wirtschaftlich für sie einzustehen hat (Beitragstragung = Beitragslast). Die Vorschriften über die Zahlung der Beiträge regeln die Frage, wer die Beiträge schuldet (Beitragsschuld), sie also zu zahlen bzw abzuführen hat (Becker/Kingreen/Mecke, 8. Aufl 2022, SGB V § 220 Rn 12). Der Kläger war im Verhältnis zur Beklagten Schuldner der streitigen Beitragsforderungen, nicht aber seine Arbeitgeberin. Er war im streitigen Zeitraum freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten zu 1) und bei der Beklagten zu 2) in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Aus diesem Grunde hatte er nach § 223 Abs 1 SGB V bzw § 54 Abs 2 Satz 2 SGB XI für jeden Tag der Mitgliedschaft Beiträge zu zahlen, die er nach § 250 Abs 2 SGB V bzw § 59 Abs 4 Satz 1 SGB XI selbst zu tragen und nach § 252 Abs 1 Satz 1 SGB V bzw § 60 Abs 1 SGB XI auch zu zahlen hatte. Die Zahlung sowohl der Krankenversicherungs- als auch der Pflegeversicherungsbeiträge hatte an die Beklagte zu erfolgen (vgl § 252 Abs 2 Satz 2 SGB V bzw § 60 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB XI). Trotz der zwischen dem Kläger, seiner Arbeitgeberin und der Beklagten getroffenen Absprache über die Zahlung der Beiträge des Klägers durch dessen Arbeitgeberin ist diese nicht an Stelle des Klägers in die Schuldnerstellung eingetreten. Anhaltspunkte dafür, dass zwischen Kläger und seiner Arbeitgeberin eine Schuldübernahme (§ 414 BGB) vereinbart und durch die Beklagten genehmigt (§ 415 BGB) worden wäre, sind nicht ersichtlich (vgl BSG 23.5.2017, B 12 KR 2/15 R, BeckRS 2017, 118588 Rn 16). Da der Kläger somit zur Zahlung der Beiträge für die Monate Januar bis Mai 2019 - auch in der von den Beklagten festgesetzten Höhe - verpflichtet war, besteht kein Anspruch auf Erstattung bereits gezahlter Beiträge.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Beklagten sind auch nicht auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an der Geltendmachung der Beitragsforderung gegenüber dem Kläger gehindert. Dass die Beklagten den Kläger möglicherweise bereits früher hätten darauf hinweisen müssen, dass die Arbeitgeberin keine Beiträge mehr entrichtet, hindert die Geltendmachung des Anspruchs ihm gegenüber nicht. Der Kläger beruft sich insoweit zu Unrecht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Tatbestandlich setzt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch voraus, dass der Sozialleistungsträger auf Grund eines Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB I>), verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zufügt. Auf seiner Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Herstellungsanspruch kann einen Versicherungsträger somit nur zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist. Voraussetzung ist also - abgesehen vom Erfordernis der Pflichtverletzung iS einer fehlenden oder unvollständigen bzw unrichtigen Beratung -, dass der dem Versicherten entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung, ausgeglichen werden kann. Umgekehrt bedeutet dies: In Fällen, in denen der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, bleibt für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum. Mit Hilfe des Herstellungsanspruchs ist der durch ein Fehlverhalten des Leistungsträgers bewirkte Nachteil nur dann auszugleichen, wenn die Korrektur bzw Ersetzung der fehlenden Anspruchsvoraussetzung mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241-248, SozR 4-2600 § 58 Nr 3, SozR 4-1200 § 13 Nr 1, Rn 24 f mwN). Das vom Kläger erstrebte Handeln muss in seiner wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen sein (BSG 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R, juris Rn 36).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Ob die Beklagten eine ihnen obliegende Pflicht zur Information des Klägers über die ausgebliebene Zahlung der Beiträge durch die Arbeitgeberin verletzt haben, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn man eine entsprechende Beratungspflicht der Beklagten annehmen wollte, kann der beim Kläger eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Ein Verzicht der Beklagten auf die Beitragszahlung des Klägers als Kompensation für seine Forderung gegenüber seiner (ehemaligen) Arbeitgeberin stellt keine zulässige und rechtmäßige Amtshandlung dar. Dies würde den beitragsrechtlichen Vorgaben des SGB V und des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) zuwiderlaufen. Es liegt im Interesse der Versichertengemeinschaft, Beiträge vollständig zu erheben; hierzu sind die Beklagten gemäß § 76 Abs 1 SGB IV auch gesetzlich verpflichtet. Vielmehr liegt die fehlende Beitragszahlung durch seine Arbeitgeberin, mit der er das Firmenzahlerverfahren verabredet hat, in seiner Risikosphäre. Auch wenn die Beklagten den Kläger frühzeitig auf das Ausbleiben der Beiträge hingewiesen hätten, hätte sich nichts daran geändert, dass der Kläger die Beiträge schuldet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass hinsichtlich eines möglichen Schadensersatzanspruchs in der Form des Anspruchs auf Amtspflichtverletzung nach Art 34 GG iVm § 839 BGB der Rechtsweg zur Zivilgerichtsbarkeit eröffnet ist (Art 34 Satz 3 GG). Wegen § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG ist das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit gehindert, hierüber zu entscheiden. Eine Teilverweisung wegen einer Anspruchsgrundlage desselben prozessualen Anspruchs scheidet zwar aus (BSG, 31.10.2012, B 13 R 437/11 B, juris Rn 10; BSG 30.07.2014, B 14 AS 8/14 B, juris Rn 5). Da die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedoch für die Entscheidung, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen hat, zuständig sind und der Senat hierüber auch unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen entscheidet, bleibt für eine teilweise Verweisung kein Raum.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG), ist zulässig.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 02.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte zu 1) auch im Namen der Beklagten zu 2) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vom Kläger für die Zeit ab 01.01.2019 gefordert hat. Der Kläger macht die Rückzahlung bzw Erstattung der von ihm für die Monate Januar und Februar 2019 gezahlten Beiträge in Höhe von 1.665,26 EUR (2 x 832,63 EUR) geltend. Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Kläger auch Säumniszuschläge in Höhe von 32 EUR zu zahlen hat. Hierüber wurde in dem angefochtenen Bescheid nicht entschieden. Überdies hat der Kläger mit der Klage nur eine Rückerstattung bereits von ihm gezahlter Beträge verlangt, und die von der Beklagten geforderten Säumniszuschläge hat er gar nicht gezahlt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Berufung ist in der Sache unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagten waren berechtigt, die Zahlung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (auch) für die Monate Januar und Februar 2019 vom Kläger zu verlangen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Bei der Beitragserhebung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung unterscheidet das Gesetz zwischen der Tragung und der Zahlung von Beiträgen. Bei der Tragung der Beiträge geht es darum, wer mit den Beiträgen belastet wird, also wirtschaftlich für sie einzustehen hat (Beitragstragung = Beitragslast). Die Vorschriften über die Zahlung der Beiträge regeln die Frage, wer die Beiträge schuldet (Beitragsschuld), sie also zu zahlen bzw abzuführen hat (Becker/Kingreen/Mecke, 8. Aufl 2022, SGB V § 220 Rn 12). Der Kläger war im Verhältnis zur Beklagten Schuldner der streitigen Beitragsforderungen, nicht aber seine Arbeitgeberin. Er war im streitigen Zeitraum freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten zu 1) und bei der Beklagten zu 2) in der sozialen Pflegeversicherung versichert. Aus diesem Grunde hatte er nach § 223 Abs 1 SGB V bzw § 54 Abs 2 Satz 2 SGB XI für jeden Tag der Mitgliedschaft Beiträge zu zahlen, die er nach § 250 Abs 2 SGB V bzw § 59 Abs 4 Satz 1 SGB XI selbst zu tragen und nach § 252 Abs 1 Satz 1 SGB V bzw § 60 Abs 1 SGB XI auch zu zahlen hatte. Die Zahlung sowohl der Krankenversicherungs- als auch der Pflegeversicherungsbeiträge hatte an die Beklagte zu erfolgen (vgl § 252 Abs 2 Satz 2 SGB V bzw § 60 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 SGB XI). Trotz der zwischen dem Kläger, seiner Arbeitgeberin und der Beklagten getroffenen Absprache über die Zahlung der Beiträge des Klägers durch dessen Arbeitgeberin ist diese nicht an Stelle des Klägers in die Schuldnerstellung eingetreten. Anhaltspunkte dafür, dass zwischen Kläger und seiner Arbeitgeberin eine Schuldübernahme (§ 414 BGB) vereinbart und durch die Beklagten genehmigt (§ 415 BGB) worden wäre, sind nicht ersichtlich (vgl BSG 23.5.2017, B 12 KR 2/15 R, BeckRS 2017, 118588 Rn 16). Da der Kläger somit zur Zahlung der Beiträge für die Monate Januar bis Mai 2019 - auch in der von den Beklagten festgesetzten Höhe - verpflichtet war, besteht kein Anspruch auf Erstattung bereits gezahlter Beiträge.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Beklagten sind auch nicht auf der Grundlage des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an der Geltendmachung der Beitragsforderung gegenüber dem Kläger gehindert. Dass die Beklagten den Kläger möglicherweise bereits früher hätten darauf hinweisen müssen, dass die Arbeitgeberin keine Beiträge mehr entrichtet, hindert die Geltendmachung des Anspruchs ihm gegenüber nicht. Der Kläger beruft sich insoweit zu Unrecht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Tatbestandlich setzt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch voraus, dass der Sozialleistungsträger auf Grund eines Gesetzes oder eines bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB I>), verletzt und dadurch dem Betroffenen einen rechtlichen Nachteil zufügt. Auf seiner Rechtsfolgenseite ist der Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Herstellungsanspruch kann einen Versicherungsträger somit nur zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist. Voraussetzung ist also - abgesehen vom Erfordernis der Pflichtverletzung iS einer fehlenden oder unvollständigen bzw unrichtigen Beratung -, dass der dem Versicherten entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung, ausgeglichen werden kann. Umgekehrt bedeutet dies: In Fällen, in denen der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, bleibt für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum. Mit Hilfe des Herstellungsanspruchs ist der durch ein Fehlverhalten des Leistungsträgers bewirkte Nachteil nur dann auszugleichen, wenn die Korrektur bzw Ersetzung der fehlenden Anspruchsvoraussetzung mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (BSG 11.03.2004, B 13 RJ 16/03 R, BSGE 92, 241-248, SozR 4-2600 § 58 Nr 3, SozR 4-1200 § 13 Nr 1, Rn 24 f mwN). Das vom Kläger erstrebte Handeln muss in seiner wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen sein (BSG 17.08.2000, B 13 RJ 87/98 R, juris Rn 36).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Ob die Beklagten eine ihnen obliegende Pflicht zur Information des Klägers über die ausgebliebene Zahlung der Beiträge durch die Arbeitgeberin verletzt haben, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn man eine entsprechende Beratungspflicht der Beklagten annehmen wollte, kann der beim Kläger eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden. Ein Verzicht der Beklagten auf die Beitragszahlung des Klägers als Kompensation für seine Forderung gegenüber seiner (ehemaligen) Arbeitgeberin stellt keine zulässige und rechtmäßige Amtshandlung dar. Dies würde den beitragsrechtlichen Vorgaben des SGB V und des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) zuwiderlaufen. Es liegt im Interesse der Versichertengemeinschaft, Beiträge vollständig zu erheben; hierzu sind die Beklagten gemäß § 76 Abs 1 SGB IV auch gesetzlich verpflichtet. Vielmehr liegt die fehlende Beitragszahlung durch seine Arbeitgeberin, mit der er das Firmenzahlerverfahren verabredet hat, in seiner Risikosphäre. Auch wenn die Beklagten den Kläger frühzeitig auf das Ausbleiben der Beiträge hingewiesen hätten, hätte sich nichts daran geändert, dass der Kläger die Beiträge schuldet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass hinsichtlich eines möglichen Schadensersatzanspruchs in der Form des Anspruchs auf Amtspflichtverletzung nach Art 34 GG iVm § 839 BGB der Rechtsweg zur Zivilgerichtsbarkeit eröffnet ist (Art 34 Satz 3 GG). Wegen § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG ist das Gericht der Sozialgerichtsbarkeit gehindert, hierüber zu entscheiden. Eine Teilverweisung wegen einer Anspruchsgrundlage desselben prozessualen Anspruchs scheidet zwar aus (BSG, 31.10.2012, B 13 R 437/11 B, juris Rn 10; BSG 30.07.2014, B 14 AS 8/14 B, juris Rn 5). Da die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedoch für die Entscheidung, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen hat, zuständig sind und der Senat hierüber auch unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen entscheidet, bleibt für eine teilweise Verweisung kein Raum.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
346,701
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L 11 KR 2496/20
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-24T10:01:57"
"2022-10-17T11:10:32"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.06.2020 wird zurückgewiesen.</p><p>Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger macht als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau die Erstattung von Kosten einer neuen Analyse-Methode (sog Liquid Biopsy) geltend.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der Kläger war mit der 1953 geborenen und 2019 verstorbenen, bei der Beklagten krankenversicherten F (im Folgenden: Versicherte) verheiratet. Die Eheleute lebten bis zum Tod der Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte litt unter einem mehrfach metastasierten Ovarialkarzinom (Erstdiagnose 2007) mit Zustand nach Operationen und Durchführung mehrerer Chemotherapien.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Schreiben vom 17.03.2018 beantragte die Versicherte unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der B vom 13.03.2018 eine Liquid Biopsy (molekulargenetische Diagnostik, Sequenzierung eines Tumors aus dem Blut) in Höhe von 2.950,00 EUR. Dem Kostenvoranschlag ist zu entnehmen, dass sich bei lebensbedrohlicher Erkrankung und vollständig ausgeschöpften konventionellen Therapieoptionen die Frage einer zielgerichteten Therapie stelle. Eine weiterführende molekulargenetische Diagnostik sei bislang nicht durchgeführt worden. Die Untersuchung sei notwendig, um aus dem Nachweis genetischer Veränderungen Erkenntnisse über eine relevante und gezielte Therapie zu gewinnen und der Versicherten einen invasiven Eingriff zu ersparen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Bescheid vom 26.03.2018 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme für eine Liquid Biopsy ab. Zur Begründung wurde angeführt, dass es sich bei der beantragten Methode um keine Leistung handele, deren Wirksamkeit nachgewiesen sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Versicherten (Schreiben vom 05.04.2018). Sie begründete diesen damit, dass die chemotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Sie befinde sich in einem guten Allgemeinzustand und wolle gegen den Krebs ankämpfen. Durch die molekulargenetische Diagnostik mittels Liquid Biopsy bestehe eine sehr gute Erfolgsaussicht, eine geeignete Therapie zu finden. Als ehemalige medizinisch-technische Assistentin habe sie Jahrzehnte in der Krebsforschung gearbeitet und sei von der beantragten Untersuchungsmethode vollkommen überzeugt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in einem sozialmedizinischen Gutachten vom 20.04.2018 aus, dass die Methode der Liquid Biopsy bei der hier vorliegenden Indikation nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Die Methode zähle bislang nur für die gezielte Therapie eines lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms mit Osimertinib zur Vertragsleistung. Eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege bei der Versicherten vor. Schul- bzw vertragsmedizinische Leistungen seien von einer Tumorkonferenz zu überprüfen. Ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken liege für die Methode nicht vor. Für therapeutische Entscheidungen bestehe auf Grundlage einer Liquid Biopsy keine ausreichende Evidenz.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Beklagte unterrichtete die Versicherte mit Schreiben vom 03.05.2018 über das Ergebnis der Begutachtung. Die Versicherte hielt an ihrem Widerspruch fest und legte eine Tumorboard-Empfehlung des Universitätsklinikums T vom 06.07.2018/09.07.2018 sowie ein Schreiben der B vom 11.06.2018 vor, mit welchem Einwendungen gegen das Gutachten des MDK erhoben wurden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Liquid Biopsy sei den neuen Untersuchungsmethoden zuzuordnen und werde daher außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erbracht. Die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Untersuchungsmethode sei grundsätzlich ausgeschlossen, solange sich der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode nicht geäußert habe. Eine Empfehlung des GBA liege für die Liquid Biopsy nicht vor. Ein verfassungskonform begründeter Leistungsanspruch bestehe nicht, da ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken für die beantragte Liquid Biopsy nicht geführt sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Versicherte stellte am 23.11.2018 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 9 KR 3036/18 ER) beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und hat am 26.11.2018 Klage erhoben. Sie leide an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Die Methode der Liquid Biopsy biete eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung bzw jedenfalls auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Die besondere Eilbedürftigkeit liege darin, dass die Erkrankung unaufhörlich fortschreite. Sämtliche konventionellen Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Nach den Ausführungen der Tumorkonferenz des Universitätsklinikums T im Bericht vom 09.07.2018 sei die beantragte Untersuchung geeignet, der Versicherten eine letzte Therapiemöglichkeit zu eröffnen. Die Wirksamkeit der Methode werde durch das Schreiben der B vom 11.06.2018 belegt. H von der Universitäts-Frauenklinik T bestätige in seinem Schreiben vom 09.11.2018, dass die prädiktive Relevanz der Liquid Biopsy bereits mehrfach in prospektiv randomisierten Studien nachgewiesen sei. Eine molekulare Diagnostik an archiviertem Gewebe sei nicht sinnvoll, da dieses aus dem Jahr 2012 stamme und nicht mehr repräsentativ für die aktuelle Situation sei. Eine erneute Biopsie solle aufgrund des hohen Risikos einer Metastasierung im Bereich des Zugangsweges/Stichkanals nicht erfolgen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Der MDK hat in einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 21.12.2018 ausgeführt, dass die Liquid Biopsy für die vorliegende Indikation nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Auch unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 2 Abs 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lasse sich keine Leistungspflicht annehmen. Zwar könne eine lebensbedrohliche Erkrankung bei rezidiviertem, metastasiertem Ovarialkarzinom zweifelsfrei bestätigt werden. Allerdings stünden als vertragliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie sowie - falls für die Planung der weiteren Therapie erforderlich - die Gewinnung von Tumorgewebe mittels Biopsie zur Verfügung. Die Liquid Biopsy zur molekulargenetischen somatischen Diagnostik sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt als experimentell einzustufen. Eine strukturierte Nutzen-Risiko-Bewertung könne außerhalb von klinischen Studien nicht erfolgen. In den nationalen und internationalen Leitlinien zum (metastasierten) Ovarialkarzinom sei die Liquid Biopsy in keiner Form erwähnt. Im Übrigen ließen sich unmittelbare Aussichten auf einen Behandlungserfolg durch das beantragte diagnostische Verfahren nicht ableiten. Potentiell therapierelevante Genveränderungen führten nicht per se zu der zwingend notwendigen Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Das Ergebnis einer molekulargenetischen Tumor-Diagnostik habe zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Einfluss auf die vertragsärztlich zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Beschluss vom 03.01.2019 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Die hiergegen am 11.02.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobene Beschwerde (L 4 KR 547/19 ER-B) ist zurückgenommen worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Schreiben vom 26.06.2019 hat die Versicherte Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 iHv 2.950 EUR und vom 20.05.2019 über 2.000 EUR zur Erstattung eingereicht. Nach einer ersten Analyse mit Befundübermittelung am 05.03.2019 (Rechnung vom 12.03.2019) habe die Tumorkonferenz vom 12.04.2019 eine Wiederholungsanalyse empfohlen, deren Ergebnis am 16.05.2019 übermittelt worden sei (Rechnung vom 20.05.2019). Sämtliche mit der Behandlung der Versicherten befassten Ärzte seien sich darin einig, dass die in Streit stehende Untersuchung geeignet sei, Aufschluss über weitere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten zu geben. Nicht relevant könne der Umstand sein, dass es sich hierbei um eine diagnostische Maßnahme handele, zumal eine herkömmliche Biopsie aufgrund des Risikos einer Metastasierung nicht in Betracht komme und auch aus dem Ergebnis zugelassener Diagnostikverfahren nicht zwingend Therapieempfehlungen folgen müssten. Dem Schreiben ist eine weitere Stellungnahme der B vom 23.01.2019 beigefügt worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Am 04.09.2019 ist die Versicherte an den Folgen ihrer Erkrankung verstorben. Mit Beschluss vom 04.11.2019 hat das SG das Verfahren ausgesetzt. Mit Schreiben vom 06.12.2019 hat der Prozessbevollmächtigte das Verfahren unter Anzeige der Vertretung der Rechtsnachfolger der Versicherten wieder aufgenommen. Mit Schreiben vom 24.06.2020 hat der Prozessbevollmächtigte ausgeführt, dass der Rechtsstreit ausschließlich durch den Ehegatten der Versicherten als Kläger fortgeführt werde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit Schreiben vom 21.02.2020 hat B darauf hingewiesen, am 27.02.2019 auf Wunsch der Patientin mit der Diagnostik begonnen zu haben, deren Ergebnis am 05.03.2019 an das molekulare Tumorboard der Universitätsklinik übermittelt worden sei. Das molekulare Tumorboard habe hieraus keine Therapieempfehlung ableiten können, weshalb vorgeschlagen worden sei, eine weitere Probe zu untersuchen. Das Ergebnis dieser erneut untersuchten Blutprobe sei am 16.05.2019 an das molekulare Tumorboard übermittelt worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Beklagte hat ausgeführt, nach den Feststellungen im Gutachten des MDK vom 20.04.2018 gebe es beim metastasierten Ovarialkarzinom keine ausreichende Evidenz für therapeutische Entscheidungen auf der Grundlage einer Liquid Biopsy. Erkenntnisse zur Liquid Biopsy bei zugelassenen Diagnosen ließen sich nicht auf andere Tumorentitäten übertragen. In der Tumorboard-Empfehlung vom 09.07.2018 werde eine molekuläre Diagnostik zur erneuten Evaluation weiterer Möglichkeiten zwar angesprochen, konkrete Konsequenzen in Form der Weiterführung von Therapieschritten würden allerdings nicht genannt. Zur Frage einer therapeutischen Konsequenz als Vertragsleistung nach einer molekulargenetischen Tumor-Diagnostik äußere sich auch der Bericht der B vom 23.01.2019 nicht weiter.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Mit Urteil vom 25.06.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Erstattung bestehe nicht, da bereits kein Primäranspruch bestehe. Ein Anspruch käme nur nach § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Das Ergebnis einer Liquid Biopsy habe keinen Einfluss auf die vertragsärztlich zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten. Vor Durchführung der Analyse sei keineswegs sicher, ob die aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse eingeleiteten Maßnahmen einer abstrakten Nutzen-Risiko-Analyse standhielten und im Ergebnis mehr nutzten als schaden könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund fehle es der Liquid Biopsy an der für eine verfassungskonforme Leistungserbringung erforderlichen nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf einen (kurativ oder palliativ ausgerichteten) Behandlungserfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 09.07.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteil richtet sich die am 10.08.2020 (Montag) eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, entgegen der Ansicht des SG gehe aus den vorgelegten Unterlagen hervor, dass aus der molekulargenetischen Untersuchung Liquid Biopsy eine konkrete Handlungsmöglichkeit gefolgert werden könne. Im Hinblick auf die Ausführungen des SG, es sei nicht klar, weshalb aus einer ersten Blutprobe durch das Tumorboard keine Therapieempfehlung habe abgeleitet werden können, und welche therapeutischen Konsequenzen aus dem Ergebnis der zweiten Blutprobe folgen würden, wäre weitere Aufklärung zu betreiben gewesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="19"/>das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.06.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten aus den Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 und 20.05.2019 in Höhe von insgesamt 4.950,00 EUR zu erstatten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="21"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Senat hat die behandelnden Ärzte der Versicherten schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>H hat ausgeführt, es hätten keine therapeutischen Maßnahmen mehr zur Verfügung gestanden. Es sei daher mit der Liquid Biopsy nach therapeutischen Alternativen gesucht worden. In diesem Zusammen könne Turmormaterial sequenziert werden und nach genetischen Veränderungen gesucht werden, die, sofern eine sog drugable Mutation gefunden werde, eine Rationale für eine zielgerichtete Therapie bilden könne. Beispiele beim Ovarialkarzinom seien Mutationen in den Genen BRCA1 oder BRCA2. Da bei der Versicherten kein aktuelles Tumormaterial (zB aus einer kürzlich erfolgten OP) zur Verfügung gestanden habe bzw nur im Rahmen eines operativen Eingriffs (welcher aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung nicht bzw nur unter Inkaufnahme eines sehr hohen operativen Risikos möglich gewesen sei) hätte gewonnen werden können, sei durch das molekulare Tumorboard eine Liquid Biopsy empfohlen worden. Es sei Tumor-DNA über eine simple Blutprobe gewonnen und sequenziert worden. Anerkannte Methoden hätten nicht zur Verfügung gestanden. Eine Operation zur Gewebegewinnung sei viel zu gefährlich gewesen. Auch ein minimalinvasives Vorgehen sei abzulehnen, einerseits aufgrund des Narkoserisikos und andererseits aufgrund des Risikos von sog Troicart-Metastasen. Die Liquid Biopsy hätte den Vorteil geboten, dass keinerlei Risiken (außer der Blutentnahme) bestanden hätten. Im Falle des Ovarialkarzinoms könnten keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen abgegeben werden. Bei der Klägerin hätten auch keine evidenzbasierten Therapien mehr zur Verfügung gestanden. Da im Rahmen der Liquid Biopsy keine sinnvollen Targets (drugable Mutationen) gefunden worden seien, seien keine therapeutischen Konsequenzen abgeleitet worden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>B hat mit Schreiben vom 16.02.2021 angegeben, es handele sich bei der Liquid Biopsy um eine nicht invasive Methode der Tumordiagnostik, die angewendet werde, wenn eine invasive Biopsie des Tumors nicht möglich sei, da es den Patienten in eine lebensgefährliche Situation bringen könnte zB durch Blutung oder Infektion der Biopsiestelle. In solchen Situationen sei die Liquid Biopsy die einzige verfügbare Methode, um eine umfangreiche molekulare Diagnostik des Tumors zu erreichen. Die umfangreiche molekulare Untersuchung von Tumorgewebe sei eine Leistung mit medizinischer Indikation, da das Ergebnis eine direkte therapeutische Relevanz haben könne. Es sei mittlerweile hinreichend bekannt, dass sich trotz gleicher Diagnose Tumorzellen erheblich auf genetischer Ebene unterschieden. Es gebe zunehmend Hinweise, dass DNA-Reparaturdefekte in ursächlichem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen können. Daraus ergäben sich höchst relevante Therapiemöglichkeiten, durch die der Verlauf und damit die Krankheitsfolgen gelindert werden könnten. Ziel und Relevanz einer umfassenden Tumordiagnostik diene einzig und allein dazu, Therapieansatzpunkte abzuleiten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Auf Hinweis des Senats, dass hinsichtlich der zweiten durchgeführten Liquid Biopsy möglicherweise der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden sei, hat der Kläger ausgeführt, dass es nach seinen Kalendernotizen und Erinnerungen so gewesen sei, dass sich B in Abstimmung mit dem Tumorboard/H am 16.04.2019 telefonisch bei der Versicherten gemeldet und mitgeteilt hätte, die Versicherte müsse am Nachmittag nochmals vorbeikommen, da eine zweite Blutprobe für eine Untersuchung benötigt werde. Die Versicherte habe keine Zeit mehr gehabt, einen Antrag zu stellen. Ihre gesundheitliche Situation sei so schlecht gewesen, dass der Termin nicht aufschiebbar gewesen sei. Es werde außerdem davon ausgegangen, dass ein weiteres Vorverfahren nicht erforderlich sei, es liege ein einheitlicher Vorgang vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Auf ergänzende Nachfrage des Senats, welche Ergebnisse die Liquid Biopsy erbringen sollte, wenn keine evidenzbasierten Therapieoptionen mehr zur Verfügung stünden, also mit welchen nicht evidenzbasierten Empfehlungen denn gerechnet werden könnte, hat H ausgeführt, dass manchmal mit der Liquid Biopsy molekulare, dh insbesondere genetische Veränderungen des Tumors gefunden werden könnten, die gezielt mit Medikamenten (zB Substanzen, die zur Behandlung anderer Krebsarten zugelassen seien) behandelt werden könnten. In der Regel seien diese Behandlungen/Medikamente nicht speziell zur Therapie des Ovarialkarzinoms zugelassen, könnten aber, wenn keinerlei Therapieoptionen mehr bestünden, durchaus sinnvoll sein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 09.08.2021, der Kläger mit Schreiben vom 26.08.2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter erklärt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 124 Abs 2 SGG entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den von der Versicherten geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Liquid Biopsy abgelehnt hat. Aufgrund der zwischenzeitlich durchgeführten Behandlung ist das Begehren nunmehr zulässigerweise auf Kostenerstattung gerichtet. Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Der Kläger hat die bei Zahlungsklagen grundsätzlich erforderliche Bezifferung des Anspruchs vorgenommen. Betrifft ein Zahlungsanspruch einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit, ist er zur Vermeidung eines ansonsten im Raum stehenden zusätzlichen Streits über die Höhe des Anspruchs konkret zu beziffern; es muss also grundsätzlich ein bestimmter (bezifferter) Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (Bundessozialgericht <BSG> 10.04.2008, B 3 KR 20/07 R, SozR 4-2500 § 39 Nr 15; BSG 20.11.2008, B 3 KR 25/07 R, SozR 4-2500 § 133 Nr 3). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Ob die auf Erstattung der zweiten Liquid Biopsy (Rechnung vom 20.05.2019) gerichtete Klage bereits unzulässig ist, da das erforderliche Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden ist, oder ob es sich bei der mit Bescheid vom 26.03.2018 erfolgten Ablehnung der Liquid Biopsy durch die Beklagten um eine generelle Ablehnung dieser Methode und damit um einheitlichen Vorgang handelt, lässt der Senat offen. Denn auch insoweit bleibt die Klage jedenfalls der Sache nach ohne Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Klage, gerichtet auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 und 20.05.2019, ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Der Kläger ist zur Geltendmachung des streitigen Anspruchs aktivlegitimiert. Er ist gem § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) Sonderrechtsnachfolger der Versicherten, seiner Ehefrau. Er lebte zum Zeitpunkt ihres Todes am 04.09.2019 mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht jedoch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen vom 12.03.2019 iHv 2.950,00 EUR und vom 20.05.2019 iHv 2.000 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Versicherte nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V will Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Naturalleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Naturalleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Eine Versorgungslücke besteht nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111,137). „Neu“ ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten ist (BSG 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 16 mwN). Gemessen daran ist die Liquid Biopsy als bislang nicht vom GBA empfohlene Diagnostik im Rahmen der Behandlung des Ovarialkarzinoms neu und damit grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Im EBM als Abrechnungsziffer vorgesehen ist die Analyse lediglich im Falle des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegt nicht vor. Weder ergeben sich angesichts der erheblichen Verbreitung des Krankheitsbildes Anhaltspunkte für einen Seltenheitsfall (BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN) noch für ein Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem GBA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag beim GBA nicht gestellt worden ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Der Kläger kann den Anspruch auch nicht auf die Verfassung unmittelbar oder den in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 25 Nr 12) eingeführten § 2 Abs 1a SGB V stützen. Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V (Gesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983) Rechnung getragen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 folgt aus den Grundrechten nach Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und nach Art 2 Abs 2 GG ein Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das BSG hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Folge näher konkretisiert und dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 - D-Ribose; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08 R, BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3 - Kuba-Therapie; BSG 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 9 - Kuba-Therapie). Dem ist der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des Anspruchs in § 2 Abs 1a SGB V gefolgt (in Kraft getreten zum 01.01.2012). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BSG 19.03.2020, B 1 KR 22/18 R, juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine neue ärztliche Behandlungsmethode sei ausgeschlossen, weil der GBA diese nicht anerkannt habe, verstößt unter Anwendung dieser Grundsätze dann gegen das Grundgesetz bzw § 2 Abs 1a SGB V, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor (1.); bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung (2.) und hinsichtlich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (3.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Dabei ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs 1a SGB V nicht auf therapeutische Maßnahmen begrenzt, sondern erfasst auch diagnostische Maßnahmen. Die Vorschrift verlangt nur, dass durch die Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hierzu können auch noch nicht dem Qualitätsgebot entsprechende Untersuchungsleistungen beitragen. Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte diagnostische Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn die therapeutische Maßnahme ihrerseits nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sich aber auf eine eigenständige, auch dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Untersuchungsleistung stützt (BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11, juris Rn 25).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Für den Senat steht fest, dass die Versicherte an einem lebensbedrohlichen rezidivierten und metastasierten Ovarialkarzinoms erkrankt war. Dies ergibt sich aus sämtlichen vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere auch aus dem Gutachten des MDK vom 21.12.2018.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stehen nicht zur Verfügung, wenn solche, bezogen auf das jeweilige konkrete Behandlungsziel iSv § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, im medizinischen Leistungsspektrum (allgemein) nicht vorhanden sind oder diese für den konkreten Behandlungsfall wegen erheblicher gesundheitlicher Risiken, vor allem schwerwiegender Nebenwirkungen, nicht nutzbar sind; relevant für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Behandlung (Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, 7/18, § 2 SGB V, Rn 76f mwN).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Zur Zeit der Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung bestand bei der Versicherten eine palliative Situation. Dies ergibt sich aus der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2018/09.07.2018. Dort ist ausgeführt, dass seit 02/2016 wiederholt eine palliative Chemotherapie durchgeführt worden ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen standen nicht mehr zu Verfügung. Dies entnimmt der Senat ebenfalls der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2019/09.07.2019. Dort ist angegeben, dass keine zugelassenen Therapieoptionen mehr bestehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Ein Anspruch auf die vorgenommene Diagnostik mittels Liquid Biopsy besteht dennoch nicht, weil nicht erwiesen ist, dass mit dieser Therapie eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die Versicherte verbunden war. Der MDK hat in seinem Gutachten vom 21.12.2018, dem sich der Senat anschließt, eine durchgeführte Literaturrecherche ausführlich dargelegt. Aus der SHIVA Studie für die molekulargenetische Untersuchung an Tumorgewebe nach Biopsie wurde demnach gezeigt, dass es derzeit keinesfalls sicher sei, dass die möglichen Maßnahmen im Anschluss an die Untersuchung in jedem Fall mehr nutzen als schaden. Weder in der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; Stand 09.11.2017), der Leitlinie der europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie noch in der der evidenzbasierten Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network zum Ovarialkarzinom (Stand März 2018) wird die Liquid Biopsy erwähnt. Darüber hinaus wird auch von H und von B trotz entsprechender Nachfrage des Senats nicht mitgeteilt, welche spürbare Einwirkung sich aufgrund der durchgeführten Diagnostik auf den Krankheitsverlauf ergeben kann bzw welche Konsequenzen sich ergeben könnten. B hat lediglich allgemein ausgeführt, dass sich daraus höchst relevante Therapiemöglichkeiten ergeben könnten. H konnte dies immerhin näher beschreiben, indem er darauf hingewiesen hat, dass manchmal mit der Liquid Biopsy molekulare, dh insbesondere genetische, Veränderungen des Tumors gefunden werden könnten, die gezielt mit Medikamenten (zB Substanzen, die zur Behandlung andere Krebsarten zugelassen seien), behandelt werden können. Nachdem die sich aus der Untersuchungsmethode möglicherweise ergebenden therapeutischen Konsequenzen kaum sinnvoll beschrieben werden können, vermag der Senat einen Nutzen nicht zu erkennen. Vielmehr sind diese Angaben derart vage, dass hier von einem rein experimentellen Verfahren ausgegangen werden muss. Hierfür spricht auch auf die vom SG bereits erwähnte Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP), wonach ein allgemein anerkanntes standardisiertes Vorgehen in Bezug auf bestehende Isolations- und Analysetechnologien, die Auswertung der gewonnenen Daten sowie eine transparente, nachvollziehbare sowie reproduzierbare Therapieempfehlung bislang nicht zu erkennen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten nach § 56 SGB I gehört der Kläger zum privilegierten Personenkreis nach § 183 Satz 1 SGG, für den das Verfahren gerichtskostenfrei ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 124 Abs 2 SGG entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den von der Versicherten geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Liquid Biopsy abgelehnt hat. Aufgrund der zwischenzeitlich durchgeführten Behandlung ist das Begehren nunmehr zulässigerweise auf Kostenerstattung gerichtet. Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Der Kläger hat die bei Zahlungsklagen grundsätzlich erforderliche Bezifferung des Anspruchs vorgenommen. Betrifft ein Zahlungsanspruch einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit, ist er zur Vermeidung eines ansonsten im Raum stehenden zusätzlichen Streits über die Höhe des Anspruchs konkret zu beziffern; es muss also grundsätzlich ein bestimmter (bezifferter) Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (Bundessozialgericht <BSG> 10.04.2008, B 3 KR 20/07 R, SozR 4-2500 § 39 Nr 15; BSG 20.11.2008, B 3 KR 25/07 R, SozR 4-2500 § 133 Nr 3). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Ob die auf Erstattung der zweiten Liquid Biopsy (Rechnung vom 20.05.2019) gerichtete Klage bereits unzulässig ist, da das erforderliche Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden ist, oder ob es sich bei der mit Bescheid vom 26.03.2018 erfolgten Ablehnung der Liquid Biopsy durch die Beklagten um eine generelle Ablehnung dieser Methode und damit um einheitlichen Vorgang handelt, lässt der Senat offen. Denn auch insoweit bleibt die Klage jedenfalls der Sache nach ohne Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Klage, gerichtet auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 und 20.05.2019, ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Der Kläger ist zur Geltendmachung des streitigen Anspruchs aktivlegitimiert. Er ist gem § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) Sonderrechtsnachfolger der Versicherten, seiner Ehefrau. Er lebte zum Zeitpunkt ihres Todes am 04.09.2019 mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht jedoch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen vom 12.03.2019 iHv 2.950,00 EUR und vom 20.05.2019 iHv 2.000 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Versicherte nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V will Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Naturalleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Naturalleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Eine Versorgungslücke besteht nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111,137). „Neu“ ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten ist (BSG 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 16 mwN). Gemessen daran ist die Liquid Biopsy als bislang nicht vom GBA empfohlene Diagnostik im Rahmen der Behandlung des Ovarialkarzinoms neu und damit grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Im EBM als Abrechnungsziffer vorgesehen ist die Analyse lediglich im Falle des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegt nicht vor. Weder ergeben sich angesichts der erheblichen Verbreitung des Krankheitsbildes Anhaltspunkte für einen Seltenheitsfall (BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN) noch für ein Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem GBA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag beim GBA nicht gestellt worden ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Der Kläger kann den Anspruch auch nicht auf die Verfassung unmittelbar oder den in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 25 Nr 12) eingeführten § 2 Abs 1a SGB V stützen. Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V (Gesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983) Rechnung getragen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 folgt aus den Grundrechten nach Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und nach Art 2 Abs 2 GG ein Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das BSG hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Folge näher konkretisiert und dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 - D-Ribose; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08 R, BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3 - Kuba-Therapie; BSG 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 9 - Kuba-Therapie). Dem ist der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des Anspruchs in § 2 Abs 1a SGB V gefolgt (in Kraft getreten zum 01.01.2012). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BSG 19.03.2020, B 1 KR 22/18 R, juris).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine neue ärztliche Behandlungsmethode sei ausgeschlossen, weil der GBA diese nicht anerkannt habe, verstößt unter Anwendung dieser Grundsätze dann gegen das Grundgesetz bzw § 2 Abs 1a SGB V, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor (1.); bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung (2.) und hinsichtlich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (3.).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Dabei ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs 1a SGB V nicht auf therapeutische Maßnahmen begrenzt, sondern erfasst auch diagnostische Maßnahmen. Die Vorschrift verlangt nur, dass durch die Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hierzu können auch noch nicht dem Qualitätsgebot entsprechende Untersuchungsleistungen beitragen. Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte diagnostische Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn die therapeutische Maßnahme ihrerseits nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sich aber auf eine eigenständige, auch dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Untersuchungsleistung stützt (BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11, juris Rn 25).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Für den Senat steht fest, dass die Versicherte an einem lebensbedrohlichen rezidivierten und metastasierten Ovarialkarzinoms erkrankt war. Dies ergibt sich aus sämtlichen vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere auch aus dem Gutachten des MDK vom 21.12.2018.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stehen nicht zur Verfügung, wenn solche, bezogen auf das jeweilige konkrete Behandlungsziel iSv § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, im medizinischen Leistungsspektrum (allgemein) nicht vorhanden sind oder diese für den konkreten Behandlungsfall wegen erheblicher gesundheitlicher Risiken, vor allem schwerwiegender Nebenwirkungen, nicht nutzbar sind; relevant für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Behandlung (Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, 7/18, § 2 SGB V, Rn 76f mwN).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Zur Zeit der Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung bestand bei der Versicherten eine palliative Situation. Dies ergibt sich aus der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2018/09.07.2018. Dort ist ausgeführt, dass seit 02/2016 wiederholt eine palliative Chemotherapie durchgeführt worden ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen standen nicht mehr zu Verfügung. Dies entnimmt der Senat ebenfalls der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2019/09.07.2019. Dort ist angegeben, dass keine zugelassenen Therapieoptionen mehr bestehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Ein Anspruch auf die vorgenommene Diagnostik mittels Liquid Biopsy besteht dennoch nicht, weil nicht erwiesen ist, dass mit dieser Therapie eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die Versicherte verbunden war. Der MDK hat in seinem Gutachten vom 21.12.2018, dem sich der Senat anschließt, eine durchgeführte Literaturrecherche ausführlich dargelegt. Aus der SHIVA Studie für die molekulargenetische Untersuchung an Tumorgewebe nach Biopsie wurde demnach gezeigt, dass es derzeit keinesfalls sicher sei, dass die möglichen Maßnahmen im Anschluss an die Untersuchung in jedem Fall mehr nutzen als schaden. Weder in der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; Stand 09.11.2017), der Leitlinie der europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie noch in der der evidenzbasierten Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network zum Ovarialkarzinom (Stand März 2018) wird die Liquid Biopsy erwähnt. Darüber hinaus wird auch von H und von B trotz entsprechender Nachfrage des Senats nicht mitgeteilt, welche spürbare Einwirkung sich aufgrund der durchgeführten Diagnostik auf den Krankheitsverlauf ergeben kann bzw welche Konsequenzen sich ergeben könnten. B hat lediglich allgemein ausgeführt, dass sich daraus höchst relevante Therapiemöglichkeiten ergeben könnten. H konnte dies immerhin näher beschreiben, indem er darauf hingewiesen hat, dass manchmal mit der Liquid Biopsy molekulare, dh insbesondere genetische, Veränderungen des Tumors gefunden werden könnten, die gezielt mit Medikamenten (zB Substanzen, die zur Behandlung andere Krebsarten zugelassen seien), behandelt werden können. Nachdem die sich aus der Untersuchungsmethode möglicherweise ergebenden therapeutischen Konsequenzen kaum sinnvoll beschrieben werden können, vermag der Senat einen Nutzen nicht zu erkennen. Vielmehr sind diese Angaben derart vage, dass hier von einem rein experimentellen Verfahren ausgegangen werden muss. Hierfür spricht auch auf die vom SG bereits erwähnte Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP), wonach ein allgemein anerkanntes standardisiertes Vorgehen in Bezug auf bestehende Isolations- und Analysetechnologien, die Auswertung der gewonnenen Daten sowie eine transparente, nachvollziehbare sowie reproduzierbare Therapieempfehlung bislang nicht zu erkennen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten nach § 56 SGB I gehört der Kläger zum privilegierten Personenkreis nach § 183 Satz 1 SGG, für den das Verfahren gerichtskostenfrei ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,700
lsgbw-2022-08-02-l-11-kr-141922
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L 11 KR 1419/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-24T10:01:56"
"2022-10-17T11:10:32"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>Die Berufung der Kl&#228;gerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.04.2022 wird zur&#252;ckgewiesen.</p><p>Au&#223;ergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.</p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Kl&#228;gerin begehrt die Versorgung mit Cannabidiol (CBD)-&#214;l sowie die Erstattung seit M&#228;rz 2019 angefallener Kosten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die 1965 geborene Kl&#228;gerin ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert. Sie steht seit 01.03.2021 im Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung und ist Mitglied der Krankenversicherung der Rentner.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Firma F vertreibt ua &#252;ber ihren Online-Shop (https:/F.net) das Produkt &#8222;F CBD-&#214;l 10 %&#8220; und beschreibt dieses als gepr&#252;ft durch den T&#220;V S&#252;d, hergestellt aus zertifiziertem Nutzhanf des EU-Sortenkatalogs mit einem Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt von &lt; 0,2 %, Biohanfsamen&#246;l Basis, ohne Zusatzstoffe, ohne Gentechnik, ohne Farbstoffe. Die Firma weist unter der Rubrik &#8222;Shop Info&#8220; auf Folgendes hin:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>&#8222;Warum werden unsere &#214;le als Aroma-&#214;le deklariert? Das liegt an den aktuellen Gesetzm&#228;&#223;igkeiten in Deutschland. Cannabidiol (CBD) erf&#252;llt aktuell weder die Definition eines Nahrungserg&#228;nzungsmittels, noch die eines Arzneimittels. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass die CBD &#214;lhersteller keine Verzehrempfehlung ihren Kunden mit auf den Weg geben d&#252;rfen. Auch Heilungsversprechen oder lindernde Vorteile des Produkts d&#252;rfen nicht hervorgehoben werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Kein Heilversprechen</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Aus rechtlichen Gr&#252;nden m&#252;ssen wir dich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich bei den hier vorgestellten Produkten um keine medizinischen oder pharmazeutischen Pr&#228;parate handelt. Alle getroffenen Aussagen &#252;ber die Eigenschaften und Wirkungen, beruhen auf pers&#246;nlichen Erfahrungen durch die Anwender dieser Produkte. ...&#8220;</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Nach ihren Angaben bezieht die Kl&#228;gerin bei der Firma F CBD-Aroma-&#214;l seit M&#228;rz 2019 und zahlt daf&#252;r monatlich 30,00 EUR (vgl Bl 12, 41, 45, 52 der Verwaltungsakten).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>I diagnostizierte bei der Kl&#228;gerin am 22.10.2019 eine arterielle Hypertonie, am ehesten schmerzassoziiert, ein Fibromyalgie-Syndrom mit chronischem Schmerzsyndrom sowie Ein- und Durchschlafst&#246;rungen. Sie sah keinen Nachweis einer hypertensiven Herzerkrankung. Unter CBD-&#214;l komme die Kl&#228;gerin in einen guten Schlaf und auch von Seiten der Schmerzen zur Ruhe. Nachdem viele Antihypertensiva wegen der Nebenwirkungen h&#228;tten abgesetzt werden m&#252;ssen, unterst&#252;tze sie die Therapie mit dem CBD-&#214;l.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>H stellte der Kl&#228;gerin unter dem 10.01.2021 eine &#8222;Dauerverordnung&#8220; aus: &#8222;Die o.g. Patientin befindet sich wegen Therapie refrakt&#228;rer Art, Hypertonie und Fibromyalgie in meiner ambulanten Behandlung. Wegen multipler Medikamentenunvertr&#228;glichkeiten verordne ich ihr als Dauerverordnung: ... CBD-&#214;l ...&#8220; (Bl 144 der Verwaltungsakten). S attestierte der Kl&#228;gerin unter dem 12.01.2021, dass er auf Grund einer chronischen Erkrankung die additive Anwendung von Aroma-&#214;l, Hanfsalbe und CBD-Aroma-&#214;l f&#252;r &#228;rztlich indiziert halte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Die Kl&#228;gerin wandte sich mehrfach an die Beklagte mit der Bitte um &#220;bernahme der Kosten f&#252;r CBD-&#214;l 10 % 10 ml &#224; 30,00 EUR. Sie habe das CBD-&#214;l im M&#228;rz 2019 in der Reha in S1 verordnet bekommen. Sie habe ein Recht auf Schmerzbehandlung. Das CBD-&#214;l stehe in den Leitlinien Fibromyalgie. Sie vertrage nicht alles und sei eine Ausnahme. Die Beklagte lehnte am 03.03.2021 die Versorgung mit CBD-&#214;l m&#252;ndlich ab.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Im weiteren Verlauf genehmigte die Beklagte der Kl&#228;gerin auf ihren Antrag die Versorgung mit Cannabis iSd &#167; 31 Abs 6 F&#252;nftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) (Schreiben vom 19.04.2021). Mit Schreiben vom 02.06.2021 informierte die Beklagte den behandelnden Arzt S, dass unter die Genehmigung von Cannabis neben der Verordnung von THC auch das CBD-&#214;l 10 % 10 ml falle. Eine kassen&#228;rztliche Verordnung von CBD-&#214;l 10 % 10 ml werde von der Beklagten nicht beanstandet (Bl 159 der Verwaltungsakten). Auf &#228;rztliche Verordnung des S vom 07.06.2021 &#252;ber CBD-&#214;l 10 % 10 ml wurde die Kl&#228;gerin am 10.06.2021 durch eine Apotheke mit einer Rezeptur CBD-&#214;l versorgt (vgl Bl 57 der Verwaltungsakten). Die Kl&#228;gerin brach diese Therapie ab und setzte ihre Selbstmedikation mit CBD-&#214;l der Firma F fort. Sie wandte sich ua am 07.07.2021 an die Beklagte (Bl 56 der Verwaltungsakten). Seit Januar 2021 erhalte sie THC. Dieses l&#246;se in der Nacht Blutdruck aus, sie brauche CBD-&#214;l 10 % 10 ml &#224; 30,00 EUR, f&#252;r das Jahr 2021 360,00 EUR. Seit M&#228;rz 2019 kaufe sie sich dieses alleine &#252;ber die Fibromyalgiegruppe F. Die Ware &#252;ber die Apotheke sei nicht in Ordnung gewesen und zu teuer. Sie bat um eine schriftliche Einzelfallgenehmigung, weil sie Kosten nicht mehr stemmen k&#246;nne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Schreiben vom 12.08.2021 (Bl 40 der Verwaltungsakten) lehnte die Beklagte die Versorgung bzw &#220;bernahme der Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l ab. Produkte, die nur CBD enthielten, seien frei verk&#228;uflich und fielen nicht unter das Cannabis-Gesetz. Die Kl&#228;gerin beziehe das CBD-&#214;l von F ohne &#228;rztliches Rezept im freien Verkauf. Die Anwendung von CBD alleine m&#252;sse - im Gegensatz zu THC - deshalb nicht bei der Krankenkasse beantragt werden. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass die Beklagte die von der Kl&#228;gerin privat hierzu eingesetzten Kosten nicht erstatten d&#252;rfe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Dagegen legte die Kl&#228;gerin Widerspruch ein. Sie habe THC und CBD, verordnet durch S, nicht vertragen. Dies habe die Beklagte 1.000,00 EUR gekostet. Die Beklagte solle das zahlen, was gut sei und helfe. Sie fordere 720,00 EUR pro Jahr f&#252;r CBD-&#214;l 10 % 10 ml (24 * 30,00 EUR). Ihre Rente von 984,00 EUR reiche nicht zum Sterben. Durch CBD brauche sie keine Blutdrucksenker mehr, die einen Schlaganfall im Januar 2017 ausgel&#246;st h&#228;tten. Sie appelliere an eine Einzelfallregelung vor Ort. Die CBD-Rezeptur &#252;ber die Apotheke sei &#8222;Betrug&#8220; gewesen. Es habe sich um Kokos-&#214;l gehandelt. Das CBD-&#214;l F sei das Original, es sei von der Pharmaindustrie &#8222;gewaltsam&#8220; in Aroma-&#214;l umdeklariert worden. Weiter hat die Kl&#228;gerin einen Arztbrief des H vom 24.10.2021 vorgelegt. In diesem werden die Diagnosen arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung, Fibromyalgie, unklare Insomnie und multiple Medikamentenunvertr&#228;glichkeiten genannt. Hinweise auf eine strukturelle Herzerkrankung best&#252;nden nicht. Die Kl&#228;gerin habe angegeben, dass Candesartan (blutdrucksenkender Wirkstoff) ihren Blutdruck erh&#246;hen w&#252;rde. Bei der Kl&#228;gerin bestehe ein sehr komplexes Bild aus Erkrankungen und Medikamentenunvertr&#228;glichkeiten. Schulmedizinische Ma&#223;nahmen am Blutdruck seien nicht erfolgreich gewesen, da es zu teilweisen paradoxen Reaktionen gekommen sei. Selbst Tromcardin (Di&#228;tmanagement bei Herzerkrankungen) habe wohl zu Nebenwirkungen gef&#252;hrt. Die Kl&#228;gerin scheine teilweise auf hom&#246;opathische und naturheilkundliche Substanzen positiv zu reagieren.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2021 (Bl 118 der Verwaltungsakten) den Widerspruch der Kl&#228;gerin gegen den Bescheid vom 12.08.2021 als unbegr&#252;ndet zur&#252;ck. Nach &#167; 31 Abs 1 SGB V h&#228;tten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung h&#228;tten auf Grundlage des &#167; 31 Abs 6 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Bl&#252;ten und Extrakten in standardisierter Qualit&#228;t und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon. Diese Regelung betreffe nach dem Bet&#228;ubungsmittelgesetz (BtMG) verschreibungspflichtige Arzneimittel. Als &#252;ber den gesetzlichen Anspruch hinausgehende Mehrleistung erstatte die Beklagte nach &#167; 14 Abs 4 ihrer Satzung im Rahmen des sog Gesundheitskontos die Kosten f&#252;r nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel der Hom&#246;opathie, Anthroposophie und Phytotherapie, sofern diese von einem Vertragsarzt mit der Zusatzqualifikation Hom&#246;opathie oder Naturheilverfahren auf einem Privatrezept verordnet w&#252;rden und die Einnahme medizinisch notwendig sei, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verh&#252;ten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und das Arzneimittel mit einer in der Bundesrepublik Deutschland g&#252;ltigen Zulassung in einer Apotheke oder im Rahmen des nach dem deutschem Recht zul&#228;ssigen Versandhandels bezogen werde, bis zur H&#246;he von h&#246;chstens 200,00 EUR im Jahr. Voraussetzung f&#252;r eine Kosten&#252;bernahme bzw f&#252;r eine Kostenerstattung sei also, dass es sich bei dem Pr&#228;parat, hier dem F CBD-&#214;l, zumindest um ein apothekenpflichtiges Arzneimittel handele. Diese Voraussetzungen seien nicht erf&#252;llt. Das F CBD-&#214;l werde vom Hersteller freiverk&#228;uflich vertrieben. Es sei ein Nahrungserg&#228;nzungsmittel und kein apothekenpflichtiges Arzneimittel. Es bestehe kein Anspruch auf Erstattung bzw &#220;bernahme der Kosten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Am 30.11.2021 hat die Kl&#228;gerin bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG) den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15.11.2021 versehen mit verschiedenen Bemerkungen eingereicht: &#8222;2019 360 EUR (12 x) 2020 360 EUR (12 x) 36 x 2011: Einzelfall 1000 EUR statt Werbung bitte ... wegen AOK Stress 2021 36 x 30 EUR = 1080 EUR da muss sich die AOK CR daran beteiligen!&#8220;</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Auf Anfrage des SG, ob die Kl&#228;gerin gegen den Widerspruchsbescheid Klage erheben m&#246;chte, hat sie am 08.12.2021 mitgeteilt, es gehe um 1800,00 EUR CBD. &#8222;1800 Euro CBD &#214;l durch Aufregung AOK Stress bei 984 Euro Rente Rest selbsterkl&#228;rend. Ich habe Recht auf Schmerzbehandlung! Wie ein Tier und Ausl&#228;nder auch.&#8220; Das THC habe sie nicht vertragen. Das Frankenhanf CBD-&#214;l sei kein Nahrungserg&#228;nzungsmittel. Ohne CBD-&#214;l 10 % 10 ml riskiere die Beklagte ohne 3 x 2 Stunden Schlaf einen schmerzassoziierten Schlaganfall durch Bluthochdruckentgleisung. Sie brauche das CBD nur nachts wegen des Schlafs. Das THC habe den Blutdruck erh&#246;ht. Jede Kasse m&#252;sse eine Einzelfallentscheidung treffen. Es gehe um Lebensgefahr. Ihr Bedarf an CBD-&#214;l habe sich durch die AOK-Politik von 12 Flaschen &#224; 10 ml auf 36 Flaschen erh&#246;ht. Dies seien 1800,00 EUR, die sie nicht mehr zahlen k&#246;nne. Sie habe ein Recht auf schmerzlosen Schlaf. Die Rezepte THC und CBD 2021 habe sie leider nicht vertragen. Seit M&#228;rz 2019 seien ihr Kosten in H&#246;he von 2160,00 EUR entstanden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Weiter hat die Kl&#228;gerin den Entlassbrief des M vom Schlafmedizinischen Zentrum des Universit&#228;tsklinikums M1 vom 17.01.2020 vorgelegt. Darin werden die Diagnosen Insomnie, Restless-legs-Syndrom und Fibromyalgie genannt. Eine obstruktive Schlafapnoe liege nicht vor. In dem Bericht ist ua vermerkt: &#8222;Eine Weiterf&#252;hrung der Behandlung mit CBD-Aroma-&#214;l halten wir f&#252;r sinnvoll.&#8220;</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Das SG hat - nach Anh&#246;rung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2022 die Klage abgewiesen. Die Kl&#228;gerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung bzw &#220;bernahme der Kosten f&#252;r das CBD-Aroma-&#214;l 10 % von &#8222;F&#8220;. F&#252;r den Erstattungsanspruch sowie f&#252;r den Sachleistungsanspruch fehle es an einem Prim&#228;rleistungsanspruch. Das CBD-&#214;l 10 % von &#8222;F&#8220; sei nicht verschreibungspflichtig und damit von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen (&#167; 34 Abs 1 Satz 1 SGB V). Auch die Satzungsregelung der Beklagten in &#167; 14 Abs 4 f&#252;hre nicht zu dem von der Kl&#228;gerin gew&#252;nschten Ergebnis, da das CBD-&#214;l nicht apothekenpflichtig sei, sondern vom Hersteller freiverk&#228;uflich vertrieben werde. Daran &#228;ndere sich nichts unter Ber&#252;cksichtigung der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nach den &#167;&#167; 34 Abs 1 Satz 2, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V erlassenen Richtlinien, in denen festgelegt worden sei, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard g&#246;lten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begr&#252;ndung vom Vertragssatz ausnahmsweise verordnet werden k&#246;nnten. Das streitgegenst&#228;ndliche &#214;l sei in der Richtlinie nicht gelistet. Die Richtlinien seien mit Verfassungsrecht vereinbar (Hinweis auf Bundessozialgericht &lt;BSG&gt; 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R). Soweit die Kl&#228;gerin vorgetragen habe, das verschreibungspflichtige THC habe sie nicht vertragen, rechtfertige dies keinen Anspruch auf Kostenerstattung. Die Kl&#228;gerin k&#246;nne den geltend gemachten Anspruch nicht auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bei lebensbedrohlichen und regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufenden Erkrankungen sowie die hierzu ergangene gesetzliche Regelung des &#167; 2 Abs 1a SGB V st&#252;tzen. Ein solcher Schweregrad der Erkrankungen sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Gegen den ihr am 26.04.2020 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Kl&#228;gerin mit ihrem am 09.05.2020 beim SG eingelegten &#8222;Widerspruch&#8220;. &#167; 34 SGB V werde vom Gericht v&#246;llig falsch ausgelegt. In 57 Jahren habe sie alle Medikamente probiert mit dem Ergebnis eines Schlaganfalls im Januar 2017 unter 3 WHO-Schulmedizin-Medikamenten. Sie wolle einen Einzelfall vor Ort, weil das CBD-&#214;l 10 % in der Reha 2019 verordnet worden sei. Ein weiterer Schlaganfall w&#228;re f&#252;r alle teurer. Sie leide unter schmerzassoziiertem Bluthochdruck nachts. S habe ein CBD-&#214;l auf Rezept verordnet. Von der Apotheke sei ihr ein Betrugsprodukt geliefert worden. Dies sei wei&#223;es Kokos-&#214;l gewesen. Das Original CBD-&#214;l sei braun und stinke. THC vertrage sie nicht, dagegen aber CBD. Es handele sich um kein Aroma-&#214;l. Das CBD-&#214;l sei ein starkes Medikament f&#252;r sie. Die Apothekenmischung mit Kokos-&#214;l und THC vertrage sie nicht. Dies zahle die Beklagte auf Rezept. Das sei Betrug. Das CBD-&#214;l im Original von F sei wesentlich g&#252;nstiger. Dies zahle die Beklagte nicht. Sie habe ein Recht auf Alternativmedizin. Es handele sich um kein Aroma-&#214;l. Es stinke.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Kl&#228;gerin hat den Arztbrief des B vom 26.04.2020 &#252;ber einen station&#228;ren Aufenthalt in der Inneren Medizin des Klinikums C vom 25.04.2022 bis zum 26.04.2022 vorgelegt. Dort werden die Diagnosen rezidivierende hypertensive Entgleisung bei bekannter arterieller Hypertonie (bisher unbehandelt bei anamnestisch multiplen Unvertr&#228;glichkeiten gegen&#252;ber Antihypertensiva), atypische thorakale Schmerzen (Ausschluss akuter Myokardinfarkt, Echokardiographie gute systolische LV-Funktion, keine Wandbewegungsst&#246;rungen) sowie folgende Empfehlungen genannt: ambulante orthop&#228;dische Vorstellung, bei Beschwerdepersistenz ggf eine Myokardszintigraphie, regelm&#228;&#223;ige Blutdruckkontrollen und ggf Anpassung der antihypertensiven Therapie. Im station&#228;ren Verlauf sei ein Versuch der RA-Senkung mit Nitroglycerin letztlich von der Kl&#228;gerin ohne wesentliche Nebenwirkungen akzeptiert worden. Ihr sei Nepresol (verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Senkung des erh&#246;hten Blutdrucks) zur Blutdrucksenkung empfohlen worden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Kl&#228;gerin beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22&#160;</td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 25.04.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 zu verurteilen, sie mit CBD-&#214;l 10 % der Firma F in Zukunft zu versorgen und ihr f&#252;r die Zeit ab 01.03.2019 2.160,00 EUR zu erstatten.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24&#160;</td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>die Berufung zur&#252;ckzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Beklagte hat auf ihre Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>27&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Berufung der Kl&#228;gerin hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Berufung ist zul&#228;ssig. Sie ist gem&#228;&#223; &#167; 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (&#167;&#167; 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 (&#167; 95 SGG), mit dem die Beklagte die Versorgung der Kl&#228;gerin mit CBD-&#214;l der Firma F und die Erstattung der ihr entstanden Kosten abgelehnt hat. Diese Ablehnung bezieht sich auf die erneuten Antr&#228;ge der Kl&#228;gerin auf Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F bzw &#220;bernahme der entsprechenden Kosten und zwar f&#252;r die Zeit, nachdem aus Sicht der Kl&#228;gerin die nach &#167; 31 Abs 6 SGB V genehmigte Versorgung mit THC/CBD gescheitert war. Dieses Begehren hat die Kl&#228;gerin erstmals am 07.07.2021 an die Beklagte herangetragen. Sie hat weiterhin zum Ausdruck gebracht, dass sie die Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l aus der ihr mittlerweile bewilligten Erwerbsminderungsrente nicht mehr &#8222;stemmen&#8220; k&#246;nne. Damit hat sie in der Sache die Versorgung mit CBD-&#214;l f&#252;r die Zukunft geltend gemacht. So hat die Beklagte das Begehren der Kl&#228;gerin auch verstanden und f&#252;r die Zeit ab der erneuten Antragstellung eine Versorgung mit CBD-&#214;l bzw die Erstattung entsprechender Kosten abgelehnt. Die in der Vergangenheit abgeschlossenen Verwaltungsverfahren betreffend die Versorgung mit CBD-&#214;l hat die Beklagte dabei nicht erneut aufgegriffen und f&#252;r die Vergangenheit keine erneute Sachentscheidung, die zum Gegenstand eines Klageverfahrens gemacht werden k&#246;nnte, getroffen. Gegen die oben genannten Bescheide wendet sich die Kl&#228;gerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (&#167;&#167; 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) und begehrt f&#252;r die Zukunft die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F. Soweit sich die Kl&#228;gerin w&#228;hrend des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens das CBD-&#214;l selbst beschafft und hierf&#252;r Kosten aufgewendet hat (Rechnung vom 22.09.2021 &lt;Bl 262 Verw-Akten&gt; 720,00 EUR; Rechnung vom 05.10.2021 &lt;Bl 34 der SG-Akten&gt; 720,00 EUR; monatliche Zahlungen &#224; 30,00 EUR) sowie nun die Erstattung dieser Aufwendungen begehrt, liegt in der Umstellung des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine &#196;nderung der Klage vor (vgl &#167; 99 Abs 3 Nr 3 SGG; ferner zB BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/18 R, BSGE 127, 240, juris Rn 8). Soweit die Kl&#228;gerin - ausweislich ihres in der m&#252;ndlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.08.2022 gestellten Antrages - die Erstattung der ihr vor dem 07.07.2021 entstandenen Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l der Firma F begehrt, ist ihre Klage unzul&#228;ssig. Denn insoweit enth&#228;lt der von der Kl&#228;gerin angefochtene Bescheid vom 12.08.2021 - wie dargelegt - keine Regelung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Soweit die Klage zul&#228;ssig ist, ist sie unbegr&#252;ndet. Der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 stellt sich als rechtm&#228;&#223;ig dar und verletzt die Kl&#228;gerin nicht in ihren Rechten. Der Kl&#228;gerin steht kein Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F zu, weil dieses nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geh&#246;rt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Nach &#167; 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verh&#252;ten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (&#167; 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach &#167; 34 SGB V oder durch Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind (&#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der GBA hat in den Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen F&#228;llen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach &#167; 3 Nr 1 oder Nr 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der bis einschlie&#223;lich 25.05.2021 geltenden Fassung zur Anwendung am oder im menschlichen K&#246;rper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden; &#167; 34 Abs 1 Satz 5, 7 und 8 und Abs 6 sowie &#167; 35 und die &#167;&#167; 126 und 127 SGB V in der bis zum 10.05.2019 geltenden Fassung gelten entsprechend. F&#252;r verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medizinprodukte nach &#167; 31 Abs 1 Satz 2 SGB V gilt &#167; 34 Abs 1 Satz 6 SGB V entsprechend. Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begr&#252;ndeten Einzelf&#228;llen mit Begr&#252;ndung verordnen (&#167; 31 Abs 1 Satz 4 SGB V). Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gem&#228;&#223; &#167; 34 Abs 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach &#167; 31 SGB V grunds&#228;tzlich ausgeschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Nach diesen Ma&#223;st&#228;ben hat die Kl&#228;gerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F. Unabh&#228;ngig von der Frage, ob es sich dabei um ein Arzneimittel handelt (vgl &#167; 2 Abs 1 Arzneimittelgesetz &lt;AMG&gt;; ferner BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 158), w&#252;rde es an der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung fehlen. Denn dem CBD-&#214;l, das von der Firma F im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (vgl &#167; 4 Abs 1 AMG; ferner BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103), fehlt es an einer arzneimittelrechtlichen deutschen oder europ&#228;ischen Zulassung (&#167; 21 Abs 1 AMG). Nach der st&#228;ndigen Rechtsprechung des BSG sind die Anforderungen des SGB V an Pharmakotherapien mit Medikamenten, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bed&#252;rfen, nur erf&#252;llt, wenn sie eine solche Zulassung besitzen. Ohne die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es - auch in W&#252;rdigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (BVerfG, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) - an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckm&#228;&#223;igkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Arzneimitteltherapie (vgl &#167; 2 Abs 1 Satz 1, &#167; 12 Abs 1 SGB V; st&#228;ndige Rechtsprechung des BSG, vgl zB BSG 11.09.2018, B 1 KR 36/17 R, GesR 2019, 38; BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103). Weiterhin ist die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F auch deshalb ausgeschlossen, weil dieses &#214;l frei verk&#228;uflich und nicht apothekenpflichtig ist. Dieses &#214;l, das insbesondere wegen der Herkunft des Saatgutes sowie der Konzentration an THC &lt; 0,2 % kein Bet&#228;ubungsmittel darstellt (vgl &#167; 1 Abs 1 BtMG iVm Anlage I), wird au&#223;erhalb von Apotheken durch den Hersteller - die Firma F - vertrieben. &#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V gew&#228;hrt aber nur einen Anspruch auf &#8222;apothekenpflichtige&#8220; Arzneimittel, dh solche, die nach dem Arzneimittelrecht ausschlie&#223;lich &#252;ber Apotheken vertrieben werden d&#252;rfen (&#167;&#167; 43&#8201;ff AMG). Ausgeschlossen sind damit Mittel, die ua aus Drogerien, Reformh&#228;usern und Superm&#228;rkten bezogen werden k&#246;nnen (Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 29; Kraftberger in H&#228;nlein/Schuler, SGB V, 6. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 22; Nolte in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, &#167; 31 SGB V Rn 30; Pitz in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020 &lt;Stand 05.07.2022&gt;, &#167; 31 Rn 83 ff).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Sollte es sich bei dem CBD-&#214;l der Firma F um ein Medizinprodukt iSd &#167; 3 Nr 1 oder 2 MPG in der bis zum 25.05.2021 geltenden Fassung handeln, so scheidet auch ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit diesem Produkt aus. Denn in der auf Grundlage der &#167;&#167; 31 Abs 1 Satz 1, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) des GBA (in der Fassung vom 18.12.2008/22.01.2009 &lt;BAnz Nr 49a, in Kraft getreten am 01.04.2009, zuletzt ge&#228;ndert am 19.05.2022 &lt;BAnz AT 05.07.2022 B1&gt;, in Kraft getreten am 06.07.2022) sind die verordnungsf&#228;higen Medizinprodukte abschlie&#223;end aufgef&#252;hrt. Diese regelt in Einklang mit dem Verfassungsrecht bindend f&#252;r alle Systembeteiligten, welche Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden (BSG 03.07.2021, B 1 KR 23/11 R, BSG 111, 155; ferner BVerfG 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229). Das CBD-&#214;l ist dort als verordnungsf&#228;higes Medizinprodukt nicht gelistet (&#167; 27 Abs 8 AM-RL iVm Anlage V).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Regelung des &#167; 31 Abs 1 Satz 4 SGB V, die es dem Vertragsarzt erlaubt, ein auf Grund der AM-RL von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begr&#252;ndeten Einzelf&#228;llen mit gesonderter Begr&#252;ndung (vgl zum Begr&#252;ndungserfordernis zB Bayerisches LSG 02.03.2016, L 12 KA 107/14) zu verordnen, greift nicht ein, weil das streitige CBD-&#214;l von F nicht auf Grund der Regelungen der AM-RL ausgeschlossen ist, sondern schon nach den gesetzlichen Vorgaben des &#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung und Apothekenpflichtigkeit.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Weiterhin ergibt sich ein Anspruch auf Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F nicht aus &#167; 31 Abs 6 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Bl&#252;ten oder Extrakten in standardisierter Qualit&#228;t und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>a) nicht zur Verf&#252;gung steht oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>b) im Einzelfall nach der begr&#252;ndeten Einsch&#228;tzung der behandelnden Vertrags&#228;rztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abw&#228;gung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Ber&#252;cksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Vorliegend unterf&#228;llt das von der Kl&#228;gerin begehrte CBD-&#214;l nicht der &#8222;Versorgung mit Cannabis&#8220;, da es sich bei dem CBD-&#214;l nicht um das Bet&#228;ubungsmittel (Medizinal-)Cannabis in Form von getrockneten Bl&#252;ten oder Extrakten in standardisierter Qualit&#228;t handelt, das auf vertrags&#228;rztliche Verordnung durch Apotheken abgegeben wird (vgl LSG Berlin-Brandenburg 15.01.2021, L 9 KR 462/ 20 B ER; Bischoffs in BeckOK, Stand 01.06.2022, &#167; 31 Rn 86; Kraftberger in H&#228;nlein/Schuler, SGB V, 6. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 134; Wagner in Krauskopf, Stand April 2022, &#167; 31 SGB V Rn 45). Weiterhin w&#252;rde ein Anspruch ua auch an der fehlenden begr&#252;ndeten Einsch&#228;tzung des behandelnden Vertragsarztes scheitern (vgl im Einzelnen zu den Anforderungen an die begr&#252;ndete Einsch&#228;tzung zB LSG Baden-W&#252;rttemberg 22.03.2022, L 11 KR 3804/21, WzS 2022, 179; LSG Baden-W&#252;rttemberg 11.10.2021, L 11 KR 494/21; LSG Baden-W&#252;rttemberg 30.03.2021, L 11 KR 436/20, Die Leistungen Beilage 2021, 289).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Kl&#228;gerin hat auch keinen Anspruch nach &#167; 14 Abs 4 der Satzung der Beklagten. Danach erstattet die Beklagte die Kosten f&#252;r nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel der Hom&#246;opathie, Anthroposophie und Phytotherapie, sofern sie von einem Vertragsarzt/einer Vertrags&#228;rztin mit der Zusatzqualifikation Hom&#246;opathie oder Naturheilverfahren auf einem Privatrezept verordnet werden und die Einnahme medizinisch notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verh&#252;ten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und das Arzneimittel mit einer in der Bundesrepublik Deutschland g&#252;ltigen Zulassung in einer Apotheke oder im Rahmen des nach deutschem Recht zul&#228;ssigen Versandhandels bezogen wurde. Dieser Anspruch scheitert an der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung f&#252;r das CBD-&#214;l von F.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Schlie&#223;lich folgt ein Sachleistungsanspruch nicht aus &#167; 2 Abs 1a SGB V. Danach k&#246;nnen Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbaren Erkrankung, f&#252;r die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verf&#252;gung steht, auch eine von &#167; 2 Abs 1 Satz 3 SGB V (&#8222;Qualit&#228;t und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu ber&#252;cksichtigen.&#8220;) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in F&#228;llen einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlichen Erkrankung, wenn f&#252;r sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verf&#252;gung steht und die vom Versicherten gew&#228;hlte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gest&#252;tzte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25). Gem&#228;&#223; der Rechtsprechung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grunds&#228;tze des Beschlusses vom 06.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsm&#228;&#223;ig mit lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies w&#252;rde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschr&#228;nkt (vgl BVerfGE 140, 229). Der Gesetzgeber hat demgegen&#252;ber im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08, BSGE 106, 81) in &#167; 2 Abs 1a SGB V die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl BT-Drs 17/6906, 53). Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in &#252;berschaubarer Zeit das Leben beenden kann und dies eine notstands&#228;hnliche Situation herbeif&#252;hrt, in der Versicherte nach allen verf&#252;gbaren medizinischen Hilfen greifen m&#252;ssen (BVerfGE 140, 229). Es gen&#252;gt hierf&#252;r nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode f&#252;hrt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regul&#228;r umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Die notstands&#228;hnliche Situation muss sich nach den konkreten Umst&#228;nden des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgef&#228;hrlichen Verlaufs gen&#252;gt hierf&#252;r nicht (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 &#167; 2 Nr 12). Die notstands&#228;hnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie f&#252;r einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umst&#228;nden des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich t&#246;dliche Krankheitsverlauf innerhalb eines k&#252;rzeren, &#252;berschaubaren Zeitraums mit gro&#223;er Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, USK 2007-25; BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170). Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage handeln (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 &#167; 2 Nr 12 mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Das BSG hat das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufenden oder wertungsm&#228;&#223;ig hiermit vergleichbaren Erkrankung ua verneint bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05, SozR 4-2500 &#167; 27 Nr 8), bei einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafst&#246;rungen und daraus resultierenden erheblichen k&#246;rperlichen und seelischen Beeintr&#228;chtigungen sowie Suizidandrohung (BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 6), bei Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig eingeschr&#228;nkter Lebenserwartung (BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 8) und bei Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden, die medikament&#246;s mit Hilfe eines stets mitgef&#252;hrten Notfallsets zu beherrschen waren (vgl BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 170; zustimmend BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Dagegen hat es bei einem zun&#228;chst operativ und dann chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich bereits mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Vorliegend ergeben sich keine Hinweise auf eine regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufende Krankheit oder eine wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbare Erkrankung iS eines nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen K&#246;rperfunktion. Die Kl&#228;gerin leidet an einer arteriellen Hypertonie, am ehesten schmerzassoziiert, einem Fibromyalgie-Syndrom mit chronischen Schmerzsyndrom, einem Restless-legs-Syndrom sowie Ein- und Durchschlafst&#246;rungen. Die entnimmt der Senat den Angaben der behandelnden &#196;rzte I, H, S, M sowie des B. Eine relevante hypertensive Herzerkrankung haben I und B ausgeschlossen. Wegen multipler Unvertr&#228;glichkeiten kommt es immer wieder zu hypertensiven Entgleisungen, die ausweislich des Berichts des B vom 26.04.2020 &#252;ber den station&#228;ren Aufenthalt im April 2022 behandelt werden konnten. Dort ist der Kl&#228;gerin Nepresol (verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Senkung des erh&#246;hten Blutdrucks) zur Blutdrucksenkung empfohlen worden. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass der Kl&#228;gerin nach den konkreten Umst&#228;nden des Falles bereits droht, dass sich ein voraussichtlich t&#246;dlicher Krankheitsverlauf ohne Versorgung mit CBD-&#214;l innerhalb eines k&#252;rzeren, &#252;berschaubaren Zeitraums mit gro&#223;er Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Die von der Kl&#228;gerin geltend gemachten massiven Schlafst&#246;rungen und daraus resultierenden erheblichen k&#246;rperlichen und seelischen Beeintr&#228;chtigungen gen&#252;gen nicht (vgl BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 6).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Kl&#228;gerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der ihr bisher entstandenen Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l iHv 2.160,00 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach &#167; 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Kl&#228;gerin nicht das Kostenerstattungsverfahren gew&#228;hlt hatte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Auch die Voraussetzungen f&#252;r einen Kostenerstattungsanspruch nach &#167; 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erf&#252;llt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten f&#252;r eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch f&#252;r die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach &#167; 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Prim&#228;rleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse, und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen geh&#246;rt, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 &#167; 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 &#167; 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 &#167; 27 Nr 12). Die Voraussetzungen f&#252;r die Sachleistung liegen - wie bereits im Einzelnen dargelegt - nicht vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Schlie&#223;lich hat die Kl&#228;gerin auch keinen Anspruch auf Erstattung nach &#167; 13 Abs 3a Satz 7 SGB V. Unabh&#228;ngig von der Frage, ob die Beklagte die Fristen des &#167; 13 Abs 3a Satz 1 bis 3 SGB V eingehalten hat oder die beantragte Versorgung mit CBD-&#214;l als genehmigt gilt (&#167; 13 Abs 3a Satz 6 SGB V), scheidet eine Erstattung aus. Das durch die Genehmigungsfiktion begr&#252;ndete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse besteht auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrl&#228;ssige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat (dazu und zum Folgenden BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R, BSGE 130, 200 mwN). Grob fahrl&#228;ssig handelt nach der Legaldefinition des &#167; 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Ma&#223;e verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende &#220;berlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Ma&#223; der Fahrl&#228;ssigkeit insbesondere nach der pers&#246;nlichen Urteils- und Kritikf&#228;higkeit, dem Einsichtsverm&#246;gen des Beteiligten sowie den besonderen Umst&#228;nden des Falles zu beurteilen. Eine n&#228;here Kenntnis des Krankenversicherungsrechts darf den Versicherten nicht abverlangt werden. Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrl&#228;ssigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen ausschlie&#223;en. Je offensichtlicher die beantragte Leistung au&#223;erhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrl&#228;ssigen Unkenntnis (B&#246;sgl&#228;ubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auszugehen. Das ist dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdr&#252;ckender Sach- und Rechtslage besserer Erkenntnis verschlie&#223;en. Ein solcher Fall der groben Fahrl&#228;ssigkeit ist hier gegeben. Der Hersteller hat ausdr&#252;cklich darauf hingewiesen, dass das CBD-&#214;l nicht als Arzneimittel oder medizinisches Produkt vertrieben wird. Er hat kein &#8222;Heilversprechen&#8220; abgegeben, sondern das CBD-&#214;l als Aroma&#246;l au&#223;erhalb des Vertriebsweges f&#252;r Arzneimittel und Medizinprodukte und ohne &#228;rztliche Verordnung vermarktet und vertrieben. Der Kl&#228;gerin musste sich im Hinblick auf die ihr nach Genehmigung der Beklagten nach &#167; 31 Abs 6 SGB V vertrags&#228;rztlich verordneten und durch eine Apotheke abgegebenen Cannabisarznei aufgedr&#228;ngt haben, dass die Versorgung mit frei verk&#228;uflichem CBD-Aroma&#246;l durch die Firma F au&#223;erhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Dem hat sie sich bei der Beschaffung des CBD-&#214;ls beharrlich verschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die Kostenentscheidung beruht auf &#167; 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Gr&#252;nde f&#252;r die Zulassung der Revision (&#167; 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>27&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Berufung der Kl&#228;gerin hat keinen Erfolg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Berufung ist zul&#228;ssig. Sie ist gem&#228;&#223; &#167; 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (&#167;&#167; 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 (&#167; 95 SGG), mit dem die Beklagte die Versorgung der Kl&#228;gerin mit CBD-&#214;l der Firma F und die Erstattung der ihr entstanden Kosten abgelehnt hat. Diese Ablehnung bezieht sich auf die erneuten Antr&#228;ge der Kl&#228;gerin auf Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F bzw &#220;bernahme der entsprechenden Kosten und zwar f&#252;r die Zeit, nachdem aus Sicht der Kl&#228;gerin die nach &#167; 31 Abs 6 SGB V genehmigte Versorgung mit THC/CBD gescheitert war. Dieses Begehren hat die Kl&#228;gerin erstmals am 07.07.2021 an die Beklagte herangetragen. Sie hat weiterhin zum Ausdruck gebracht, dass sie die Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l aus der ihr mittlerweile bewilligten Erwerbsminderungsrente nicht mehr &#8222;stemmen&#8220; k&#246;nne. Damit hat sie in der Sache die Versorgung mit CBD-&#214;l f&#252;r die Zukunft geltend gemacht. So hat die Beklagte das Begehren der Kl&#228;gerin auch verstanden und f&#252;r die Zeit ab der erneuten Antragstellung eine Versorgung mit CBD-&#214;l bzw die Erstattung entsprechender Kosten abgelehnt. Die in der Vergangenheit abgeschlossenen Verwaltungsverfahren betreffend die Versorgung mit CBD-&#214;l hat die Beklagte dabei nicht erneut aufgegriffen und f&#252;r die Vergangenheit keine erneute Sachentscheidung, die zum Gegenstand eines Klageverfahrens gemacht werden k&#246;nnte, getroffen. Gegen die oben genannten Bescheide wendet sich die Kl&#228;gerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (&#167;&#167; 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) und begehrt f&#252;r die Zukunft die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F. Soweit sich die Kl&#228;gerin w&#228;hrend des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens das CBD-&#214;l selbst beschafft und hierf&#252;r Kosten aufgewendet hat (Rechnung vom 22.09.2021 &lt;Bl 262 Verw-Akten&gt; 720,00 EUR; Rechnung vom 05.10.2021 &lt;Bl 34 der SG-Akten&gt; 720,00 EUR; monatliche Zahlungen &#224; 30,00 EUR) sowie nun die Erstattung dieser Aufwendungen begehrt, liegt in der Umstellung des Sachleistungsbegehrens auf eine Kostenerstattung keine &#196;nderung der Klage vor (vgl &#167; 99 Abs 3 Nr 3 SGG; ferner zB BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/18 R, BSGE 127, 240, juris Rn 8). Soweit die Kl&#228;gerin - ausweislich ihres in der m&#252;ndlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.08.2022 gestellten Antrages - die Erstattung der ihr vor dem 07.07.2021 entstandenen Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l der Firma F begehrt, ist ihre Klage unzul&#228;ssig. Denn insoweit enth&#228;lt der von der Kl&#228;gerin angefochtene Bescheid vom 12.08.2021 - wie dargelegt - keine Regelung.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Soweit die Klage zul&#228;ssig ist, ist sie unbegr&#252;ndet. Der Bescheid vom 12.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2021 stellt sich als rechtm&#228;&#223;ig dar und verletzt die Kl&#228;gerin nicht in ihren Rechten. Der Kl&#228;gerin steht kein Sachleistungsanspruch auf die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F zu, weil dieses nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung geh&#246;rt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Nach &#167; 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verh&#252;ten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (&#167; 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach &#167; 34 SGB V oder durch Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind (&#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V). Der GBA hat in den Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen F&#228;llen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach &#167; 3 Nr 1 oder Nr 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) in der bis einschlie&#223;lich 25.05.2021 geltenden Fassung zur Anwendung am oder im menschlichen K&#246;rper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden; &#167; 34 Abs 1 Satz 5, 7 und 8 und Abs 6 sowie &#167; 35 und die &#167;&#167; 126 und 127 SGB V in der bis zum 10.05.2019 geltenden Fassung gelten entsprechend. F&#252;r verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medizinprodukte nach &#167; 31 Abs 1 Satz 2 SGB V gilt &#167; 34 Abs 1 Satz 6 SGB V entsprechend. Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach &#167; 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begr&#252;ndeten Einzelf&#228;llen mit Begr&#252;ndung verordnen (&#167; 31 Abs 1 Satz 4 SGB V). Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind gem&#228;&#223; &#167; 34 Abs 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach &#167; 31 SGB V grunds&#228;tzlich ausgeschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Nach diesen Ma&#223;st&#228;ben hat die Kl&#228;gerin keinen Anspruch auf die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F. Unabh&#228;ngig von der Frage, ob es sich dabei um ein Arzneimittel handelt (vgl &#167; 2 Abs 1 Arzneimittelgesetz &lt;AMG&gt;; ferner BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 158), w&#252;rde es an der erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung fehlen. Denn dem CBD-&#214;l, das von der Firma F im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird (vgl &#167; 4 Abs 1 AMG; ferner BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103), fehlt es an einer arzneimittelrechtlichen deutschen oder europ&#228;ischen Zulassung (&#167; 21 Abs 1 AMG). Nach der st&#228;ndigen Rechtsprechung des BSG sind die Anforderungen des SGB V an Pharmakotherapien mit Medikamenten, die nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bed&#252;rfen, nur erf&#252;llt, wenn sie eine solche Zulassung besitzen. Ohne die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es - auch in W&#252;rdigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (BVerfG, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) - an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckm&#228;&#223;igkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Arzneimitteltherapie (vgl &#167; 2 Abs 1 Satz 1, &#167; 12 Abs 1 SGB V; st&#228;ndige Rechtsprechung des BSG, vgl zB BSG 11.09.2018, B 1 KR 36/17 R, GesR 2019, 38; BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218; BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, BSGE 100, 103). Weiterhin ist die Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F auch deshalb ausgeschlossen, weil dieses &#214;l frei verk&#228;uflich und nicht apothekenpflichtig ist. Dieses &#214;l, das insbesondere wegen der Herkunft des Saatgutes sowie der Konzentration an THC &lt; 0,2 % kein Bet&#228;ubungsmittel darstellt (vgl &#167; 1 Abs 1 BtMG iVm Anlage I), wird au&#223;erhalb von Apotheken durch den Hersteller - die Firma F - vertrieben. &#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V gew&#228;hrt aber nur einen Anspruch auf &#8222;apothekenpflichtige&#8220; Arzneimittel, dh solche, die nach dem Arzneimittelrecht ausschlie&#223;lich &#252;ber Apotheken vertrieben werden d&#252;rfen (&#167;&#167; 43&#8201;ff AMG). Ausgeschlossen sind damit Mittel, die ua aus Drogerien, Reformh&#228;usern und Superm&#228;rkten bezogen werden k&#246;nnen (Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 29; Kraftberger in H&#228;nlein/Schuler, SGB V, 6. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 22; Nolte in Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2021, &#167; 31 SGB V Rn 30; Pitz in jurisPK-SGB V, 4. Auflage 2020 &lt;Stand 05.07.2022&gt;, &#167; 31 Rn 83 ff).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Sollte es sich bei dem CBD-&#214;l der Firma F um ein Medizinprodukt iSd &#167; 3 Nr 1 oder 2 MPG in der bis zum 25.05.2021 geltenden Fassung handeln, so scheidet auch ein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit diesem Produkt aus. Denn in der auf Grundlage der &#167;&#167; 31 Abs 1 Satz 1, 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) des GBA (in der Fassung vom 18.12.2008/22.01.2009 &lt;BAnz Nr 49a, in Kraft getreten am 01.04.2009, zuletzt ge&#228;ndert am 19.05.2022 &lt;BAnz AT 05.07.2022 B1&gt;, in Kraft getreten am 06.07.2022) sind die verordnungsf&#228;higen Medizinprodukte abschlie&#223;end aufgef&#252;hrt. Diese regelt in Einklang mit dem Verfassungsrecht bindend f&#252;r alle Systembeteiligten, welche Medizinprodukte ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden (BSG 03.07.2021, B 1 KR 23/11 R, BSG 111, 155; ferner BVerfG 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229). Das CBD-&#214;l ist dort als verordnungsf&#228;higes Medizinprodukt nicht gelistet (&#167; 27 Abs 8 AM-RL iVm Anlage V).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Regelung des &#167; 31 Abs 1 Satz 4 SGB V, die es dem Vertragsarzt erlaubt, ein auf Grund der AM-RL von der Versorgung ausgeschlossenes Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begr&#252;ndeten Einzelf&#228;llen mit gesonderter Begr&#252;ndung (vgl zum Begr&#252;ndungserfordernis zB Bayerisches LSG 02.03.2016, L 12 KA 107/14) zu verordnen, greift nicht ein, weil das streitige CBD-&#214;l von F nicht auf Grund der Regelungen der AM-RL ausgeschlossen ist, sondern schon nach den gesetzlichen Vorgaben des &#167; 31 Abs 1 Satz 1 SGB V mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung und Apothekenpflichtigkeit.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Weiterhin ergibt sich ein Anspruch auf Versorgung mit CBD-&#214;l der Firma F nicht aus &#167; 31 Abs 6 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Bl&#252;ten oder Extrakten in standardisierter Qualit&#228;t und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>a) nicht zur Verf&#252;gung steht oder</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>b) im Einzelfall nach der begr&#252;ndeten Einsch&#228;tzung der behandelnden Vertrags&#228;rztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abw&#228;gung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Ber&#252;cksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Vorliegend unterf&#228;llt das von der Kl&#228;gerin begehrte CBD-&#214;l nicht der &#8222;Versorgung mit Cannabis&#8220;, da es sich bei dem CBD-&#214;l nicht um das Bet&#228;ubungsmittel (Medizinal-)Cannabis in Form von getrockneten Bl&#252;ten oder Extrakten in standardisierter Qualit&#228;t handelt, das auf vertrags&#228;rztliche Verordnung durch Apotheken abgegeben wird (vgl LSG Berlin-Brandenburg 15.01.2021, L 9 KR 462/ 20 B ER; Bischoffs in BeckOK, Stand 01.06.2022, &#167; 31 Rn 86; Kraftberger in H&#228;nlein/Schuler, SGB V, 6. Auflage 2022, &#167; 31 Rn 134; Wagner in Krauskopf, Stand April 2022, &#167; 31 SGB V Rn 45). Weiterhin w&#252;rde ein Anspruch ua auch an der fehlenden begr&#252;ndeten Einsch&#228;tzung des behandelnden Vertragsarztes scheitern (vgl im Einzelnen zu den Anforderungen an die begr&#252;ndete Einsch&#228;tzung zB LSG Baden-W&#252;rttemberg 22.03.2022, L 11 KR 3804/21, WzS 2022, 179; LSG Baden-W&#252;rttemberg 11.10.2021, L 11 KR 494/21; LSG Baden-W&#252;rttemberg 30.03.2021, L 11 KR 436/20, Die Leistungen Beilage 2021, 289).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Kl&#228;gerin hat auch keinen Anspruch nach &#167; 14 Abs 4 der Satzung der Beklagten. Danach erstattet die Beklagte die Kosten f&#252;r nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Arzneimittel der Hom&#246;opathie, Anthroposophie und Phytotherapie, sofern sie von einem Vertragsarzt/einer Vertrags&#228;rztin mit der Zusatzqualifikation Hom&#246;opathie oder Naturheilverfahren auf einem Privatrezept verordnet werden und die Einnahme medizinisch notwendig ist, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verh&#252;ten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und das Arzneimittel mit einer in der Bundesrepublik Deutschland g&#252;ltigen Zulassung in einer Apotheke oder im Rahmen des nach deutschem Recht zul&#228;ssigen Versandhandels bezogen wurde. Dieser Anspruch scheitert an der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung f&#252;r das CBD-&#214;l von F.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Schlie&#223;lich folgt ein Sachleistungsanspruch nicht aus &#167; 2 Abs 1a SGB V. Danach k&#246;nnen Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbaren Erkrankung, f&#252;r die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verf&#252;gung steht, auch eine von &#167; 2 Abs 1 Satz 3 SGB V (&#8222;Qualit&#228;t und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu ber&#252;cksichtigen.&#8220;) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 geben die Grundrechte aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 GG einen Anspruch auf Krankenversorgung in F&#228;llen einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlichen Erkrankung, wenn f&#252;r sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verf&#252;gung steht und die vom Versicherten gew&#228;hlte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gest&#252;tzte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine sp&#252;rbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25). Gem&#228;&#223; der Rechtsprechung des BVerfG ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die Grunds&#228;tze des Beschlusses vom 06.12.2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsm&#228;&#223;ig mit lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Dies w&#252;rde dem Ausnahmecharakter eines solchen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruchs nicht gerecht werden. Vielmehr bleibt der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschr&#228;nkt (vgl BVerfGE 140, 229). Der Gesetzgeber hat demgegen&#252;ber im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08, BSGE 106, 81) in &#167; 2 Abs 1a SGB V die grundrechtsorientierte Auslegung auch auf wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbare Erkrankungen erstreckt (vgl BT-Drs 17/6906, 53). Eine Erkrankung ist lebensbedrohlich, wenn sie in &#252;berschaubarer Zeit das Leben beenden kann und dies eine notstands&#228;hnliche Situation herbeif&#252;hrt, in der Versicherte nach allen verf&#252;gbaren medizinischen Hilfen greifen m&#252;ssen (BVerfGE 140, 229). Es gen&#252;gt hierf&#252;r nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode f&#252;hrt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu (vgl zB BSG 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95). Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regul&#228;r umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Kann einer Lebensgefahr mit diesen Mitteln hinreichend sicher begegnet werden, besteht kein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Die notstands&#228;hnliche Situation muss sich nach den konkreten Umst&#228;nden des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgef&#228;hrlichen Verlaufs gen&#252;gt hierf&#252;r nicht (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 &#167; 2 Nr 12). Die notstands&#228;hnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen, wie sie f&#252;r einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umst&#228;nden des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich t&#246;dliche Krankheitsverlauf innerhalb eines k&#252;rzeren, &#252;berschaubaren Zeitraums mit gro&#223;er Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, USK 2007-25; BSG 28.02.2008, B 1 KR 160/07, BSGE 100, 103; 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, BSGE 115, 95; BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, BSGE 120, 170). Danach muss es sich um eine durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage handeln (BSG 20.03.2018, B 1 KR 4/17 R, SozR 4-2500 &#167; 2 Nr 12 mwN zur Rechtsprechung des BVerfG). Das BSG hat das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufenden oder wertungsm&#228;&#223;ig hiermit vergleichbaren Erkrankung ua verneint bei einem Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweise auf metastatische Absiedlungen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05, SozR 4-2500 &#167; 27 Nr 8), bei einem in schwerwiegender Form bestehenden Restless-Legs-Syndrom mit massiven Schlafst&#246;rungen und daraus resultierenden erheblichen k&#246;rperlichen und seelischen Beeintr&#228;chtigungen sowie Suizidandrohung (BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 6), bei Friedreich'scher Ataxie - Zunahme der Wanddicke des Herzmuskels, allgemeiner Leistungsminderung und langfristig eingeschr&#228;nkter Lebenserwartung (BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 8) und bei Zungenschwellungen mit Erstickungsgefahr im Rahmen von Urtikaria-Episoden, die medikament&#246;s mit Hilfe eines stets mitgef&#252;hrten Notfallsets zu beherrschen waren (vgl BSG 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R, BSGE 122, 170; zustimmend BVerfG 11.04.2017, 1 BvR 452/17, NZS 2017, 582). Dagegen hat es bei einem zun&#228;chst operativ und dann chemotherapeutisch behandelten Dickdarm-Karzinom, das sich bereits mindestens im Stadium III befand, das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, BSGE 96, 170).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Vorliegend ergeben sich keine Hinweise auf eine regelm&#228;&#223;ig t&#246;dlich verlaufende Krankheit oder eine wertungsm&#228;&#223;ig vergleichbare Erkrankung iS eines nicht kompensierbaren Verlustes eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen K&#246;rperfunktion. Die Kl&#228;gerin leidet an einer arteriellen Hypertonie, am ehesten schmerzassoziiert, einem Fibromyalgie-Syndrom mit chronischen Schmerzsyndrom, einem Restless-legs-Syndrom sowie Ein- und Durchschlafst&#246;rungen. Die entnimmt der Senat den Angaben der behandelnden &#196;rzte I, H, S, M sowie des B. Eine relevante hypertensive Herzerkrankung haben I und B ausgeschlossen. Wegen multipler Unvertr&#228;glichkeiten kommt es immer wieder zu hypertensiven Entgleisungen, die ausweislich des Berichts des B vom 26.04.2020 &#252;ber den station&#228;ren Aufenthalt im April 2022 behandelt werden konnten. Dort ist der Kl&#228;gerin Nepresol (verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Senkung des erh&#246;hten Blutdrucks) zur Blutdrucksenkung empfohlen worden. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass der Kl&#228;gerin nach den konkreten Umst&#228;nden des Falles bereits droht, dass sich ein voraussichtlich t&#246;dlicher Krankheitsverlauf ohne Versorgung mit CBD-&#214;l innerhalb eines k&#252;rzeren, &#252;berschaubaren Zeitraums mit gro&#223;er Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Die von der Kl&#228;gerin geltend gemachten massiven Schlafst&#246;rungen und daraus resultierenden erheblichen k&#246;rperlichen und seelischen Beeintr&#228;chtigungen gen&#252;gen nicht (vgl BSG 26.09.2006, B 1 KR 14/06 R, SozR 4-2500 &#167; 31 Nr 6).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die Kl&#228;gerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der ihr bisher entstandenen Kosten f&#252;r das CBD-&#214;l iHv 2.160,00 EUR.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach &#167; 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Kl&#228;gerin nicht das Kostenerstattungsverfahren gew&#228;hlt hatte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Auch die Voraussetzungen f&#252;r einen Kostenerstattungsanspruch nach &#167; 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erf&#252;llt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten f&#252;r eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch f&#252;r die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach &#167; 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Prim&#228;rleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse, und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen geh&#246;rt, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 &#167; 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 &#167; 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 &#167; 27 Nr 12). Die Voraussetzungen f&#252;r die Sachleistung liegen - wie bereits im Einzelnen dargelegt - nicht vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Schlie&#223;lich hat die Kl&#228;gerin auch keinen Anspruch auf Erstattung nach &#167; 13 Abs 3a Satz 7 SGB V. Unabh&#228;ngig von der Frage, ob die Beklagte die Fristen des &#167; 13 Abs 3a Satz 1 bis 3 SGB V eingehalten hat oder die beantragte Versorgung mit CBD-&#214;l als genehmigt gilt (&#167; 13 Abs 3a Satz 6 SGB V), scheidet eine Erstattung aus. Das durch die Genehmigungsfiktion begr&#252;ndete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse besteht auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrl&#228;ssige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat (dazu und zum Folgenden BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R, BSGE 130, 200 mwN). Grob fahrl&#228;ssig handelt nach der Legaldefinition des &#167; 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Ma&#223;e verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende &#220;berlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dabei ist das Ma&#223; der Fahrl&#228;ssigkeit insbesondere nach der pers&#246;nlichen Urteils- und Kritikf&#228;higkeit, dem Einsichtsverm&#246;gen des Beteiligten sowie den besonderen Umst&#228;nden des Falles zu beurteilen. Eine n&#228;here Kenntnis des Krankenversicherungsrechts darf den Versicherten nicht abverlangt werden. Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrl&#228;ssigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen ausschlie&#223;en. Je offensichtlicher die beantragte Leistung au&#223;erhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrl&#228;ssigen Unkenntnis (B&#246;sgl&#228;ubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auszugehen. Das ist dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdr&#252;ckender Sach- und Rechtslage besserer Erkenntnis verschlie&#223;en. Ein solcher Fall der groben Fahrl&#228;ssigkeit ist hier gegeben. Der Hersteller hat ausdr&#252;cklich darauf hingewiesen, dass das CBD-&#214;l nicht als Arzneimittel oder medizinisches Produkt vertrieben wird. Er hat kein &#8222;Heilversprechen&#8220; abgegeben, sondern das CBD-&#214;l als Aroma&#246;l au&#223;erhalb des Vertriebsweges f&#252;r Arzneimittel und Medizinprodukte und ohne &#228;rztliche Verordnung vermarktet und vertrieben. Der Kl&#228;gerin musste sich im Hinblick auf die ihr nach Genehmigung der Beklagten nach &#167; 31 Abs 6 SGB V vertrags&#228;rztlich verordneten und durch eine Apotheke abgegebenen Cannabisarznei aufgedr&#228;ngt haben, dass die Versorgung mit frei verk&#228;uflichem CBD-Aroma&#246;l durch die Firma F au&#223;erhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt. Dem hat sie sich bei der Beschaffung des CBD-&#214;ls beharrlich verschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Die Kostenentscheidung beruht auf &#167; 193 SGG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49&#160;</td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Gr&#252;nde f&#252;r die Zulassung der Revision (&#167; 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,502
ag-essen-2022-08-02-30-m-105422
{ "id": 657, "name": "Amtsgericht Essen", "slug": "ag-essen", "city": 417, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Amtsgericht" }
30 M 1054/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-09T10:01:19"
"2022-10-17T11:09:59"
Beschluss
ECLI:DE:AGE1:2022:0802.30M1054.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Erinnerung der Gläubigerin vom 16.06.2022 wird zurückgewiesen.</p> <p>Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">I.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin wegen Forderungen nach dem JBeitrG.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Unter dem Datum 31.03.2022 stellte sie gem. §§ 6, 7 JBeitrG den Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft und stellte vorsorglich Haftantrag nach § 802g ZPO. In diesem Antrag wurde die Vollstreckbarkeit der Forderung gegenüber der Schuldnerin bescheinigt. Der Antrag weist den Namen der zuständigen Sachbearbeiterin aus, ist nicht unterschrieben und mit einem maschinellen Dienstsiegel versehen. Die Übermittlung an den Gerichtsvollzieher erfolgte sodann (ausschließlich) über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) mit einfacher Signatur.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Obergerichtsvollzieher lehnte die Durchführung des Vollstreckungsauftrages nach vergeblicher Fristsetzung zur Nachbesserung zunächst mit der Begründung ab, dass seiner Ansicht nach eine qualifizierte elektronische Signatur unter dem Vollstreckungsauftrag erforderlich sei.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Hiergegen richtet sich die Erinnerung.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass der Antrag allen Formerfordernissen der §§ 753 Abs.5, 130 a ZPO entspräche.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">In seiner dienstlichen Stellungnahme verweist der Obergerichtsvollzieher darauf, dass das Ersuchen zusätzlich in Papierform einzureichen sei, da es den Vollstreckungstitel ersetze.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">II.</span></strong></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Erinnerung ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Obergerichtsvollzieher hat zu Recht die Abnahme der Vermögensauskunft abgelehnt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Zwar bestand hier grundsätzlich eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach §§ 753 Abs.5, 130 d ZPO. Soweit es um die elektronische Übermittlung des Zwangsvollstreckungsauftrags geht, reicht auch die Übersendung eines von der verantwortenden Person signierten Auftrages über einen sicheren Übermittlungsweg. Das hier verwendete besondere Behördenpostfach ist ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ZPO, was auch der Obergerichtsvollzieher nicht in Abrede stellt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Der Auftrag hat aber insoweit eine Doppelfunktion, als dieser nach § 7 S.2 JBeitrG den Schuldtitel ersetzt (der ansonsten nach den §§ 754, 802a Abs.2 ZPO grundsätzlich vorzulegen ist). Es geht also einerseits um die Durchführung der Zwangsvollstreckung, andererseits ersetzt der Auftrag den vollstreckbaren Schuldtitel, was ausdrücklich aus § 7 S. 2 JBeitrG folgt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Nur unter den Voraussetzungen der §§ 754a, 829 a ZPO hat der Gesetzgeber aber geregelt, dass die elektronische Übermittlung einer Urkundenvorlage gleichsteht. Für alle anderen Fälle ist der Antrag zusätzlich mit Unterschrift (oder Beglaubigungsvermerk versehen) und Dienstsiegel dem Gerichtsvollzieher in Papierform vorzulegen. Diese Pflicht wird auch im Fall einer Übermittlung mit qualifizierter elektronischer Signatur nicht ersetzt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Das Gericht sieht die damit verbundenen praktischen Probleme. Es ist aber Aufgabe des Gesetzgebers, einen Gleichklang der Vorschriften herzustellen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Eine Kostenentscheidung ist im einseitigen Erinnerungsverfahren nicht angezeigt insbesondere können die Kosten nicht der nicht am Verfahren beteiligten Schuldnerin auferlegt werden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsbehelfsbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss ist die sofortige Beschwerde statthaft. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, oder dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts einzulegen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die sofortige Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist zu unterzeichnen und soll begründet werden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die sofortige Beschwerde muss spätestens <strong>innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen</strong> bei dem Amtsgericht Essen oder dem Landgericht Essen eingegangen sein. Dies gilt auch dann, wenn die sofortige Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines anderen Amtsgerichts abgegeben wurde. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Auf die Pflicht zur elektronischen Einreichung durch professionelle Einreicher/innen ab dem 01.01.2022 durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 und das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite <span style="text-decoration:underline">www.justiz.de</span>.</p>
346,486
vg-minden-2022-08-02-12-l-54822a
{ "id": 845, "name": "Verwaltungsgericht Minden", "slug": "vg-minden", "city": 465, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
12 L 548/22.A
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-08T10:01:27"
"2022-10-17T11:09:56"
Beschluss
ECLI:DE:VGMI:2022:0802.12L548.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p> <p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juni 2022 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Polen anzuordnen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">ist jedenfalls unbegründet. Die im Verfahren nach § 34a Abs. 2 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">I. Für diese Interessenabwägung gelten die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anwendbaren allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend ist das Interesse der Antragsteller an einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer unter dem Aktenzeichen 12 K 2029/22.A beim Verwaltungsgericht Minden anhängigen Klage gegen die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes vom 2. Juni 2022 gegen das öffentliche Interesse an deren alsbaldiger Vollziehung abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage maßgeblich zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Dagegen setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage - anders als in Fällen der Unbeachtlichkeit oder der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags (§ 36 Abs. 1 und 4 Satz 1 AsylG) - nicht voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen. Im Gegensatz zu § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG enthält § 34a Abs. 2 AsylG keine entsprechende Einschränkung. Ein Antrag, § 34a Abs. 2 AsylG entsprechend zu fassen, fand im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. VG Trier, Beschluss vom 18. September 2013- 5 L 1234/13.TR -, juris Rn. 5 ff., mit ausführlicher Darstellung des Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens; VG Darmstadt, Beschluss vom 9. Mai 2014 - 4 L 491/14.DA.A -, juris Rn. 2.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II. Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die gebotene Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus. Denn die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung erweist sich derzeit als rechtmäßig, so dass das in § 34a AsylG zum Ausdruck gebrachte öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vorliegend ist die Zuständigkeit Polens für die Bearbeitung des Asylantrags der Antragsteller gegeben; diese Zuständigkeit ist nicht auf einen anderen Staat übergegangen. Auch im Übrigen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der Abschiebung der Antragsteller nach Polen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">1. Die Zuständigkeit Polens für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller ergibt sich aus der hier anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO).</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich (vorrangig) nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 VO 604/2013 und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 VO 604/2013). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedsstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013).</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">In einem Wiederaufnahmeverfahren, wie es nach Art. 23 VO 604/2013 auch im Fall der Antragsteller einschlägig ist, wird die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats jedoch - anders als im Aufnahmeverfahren - nicht anhand der Kriterien in Art. 8 bis 15 VO 604/2013 geprüft. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- vgl. dessen Urteil vom 02.04.2019, C-582/17, Celex-Nr. 62017CJ0582 -</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">ist vielmehr entscheidend, dass der um Wiederaufnahme ersuchte Mitgliedstaat die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 5 VO 604/2013 bzw. des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) VO 604/2013 erfüllt, was hier der Fall ist. Die Zuständigkeit Polens folgt aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) oder c) VO 604/2013. Danach ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, (u.a.) einen Antragsteller, der entweder während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, wieder aufzunehmen. Eine solche Lage ist hier gegeben:</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller haben in Polen unzweifelhaft Anträge auf internationalen Schutz gestellt, was sich jedenfalls daraus ergibt, dass für sie in Bezug auf Polen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vorliegen. Diese Treffer bestehen aus der Länderkennung PL für Polen und einer Zahlenkombination. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung - im vorliegenden Fall eine 1 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 1 für „Asylbewerber“ und damit für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz und eine 2 für „illegale Einreise“ ohne Stellung eines solchen Antrags steht. Diese Anträge haben die Antragsteller, wie sich aus den Recherchen des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank ergibt, am 17. November 2021 gestellt.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Im Anschluss an diese Asylantragstellung in Polen haben die Antragsteller dieses Land verlassen, ohne dass eine Entscheidung ergangen wäre. Die Antragsteller haben nichts über eine ihnen gegenüber in Polen bekanntgegebene Asylentscheidung berichtet. Polen ist dementsprechend gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) VO 604/2013 zur Wiederaufnahme der Antragsteller verpflichtet.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Die Pflicht Polens die Antragsteller gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) VO 604/2013 wiederaufzunehmen ist nicht wegen Verstreichens der maßgeblichen Ersuchens- und Überstellungsfristen erloschen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">a) Die in der VO 604/2013 vorgesehene Frist, innerhalb welcher der als zuständig ermittelte Mitgliedstaat (hier Polen) um Wiederaufnahme des betreffenden Ausländers zu ersuchen ist, ist gewahrt. Nach der vorliegend einschlägigen Bestimmung des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013 ist das Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung zu stellen. Vorliegend erfolgte der Eurodac-Treffer am 2. Mai 2022. Das Bundesamt hat am 24. Mai 2022 die polnischen Behörden um Wiederaufnahme der Antragsteller gebeten, sodass die Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013 in jedem Fall gewahrt ist.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die sich aus Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013 ergebende Frist überschreitet in diesem Fall auch nicht die Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013, wonach das Wiederaufnahmegesuch innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 20 Abs. 2 VO 604/2013 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten ist, wenn sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System stützt. Auch dann, wenn ein Eurodac-Treffer erzielt wurde und somit ein Fall des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013 gegeben ist, ist es nicht möglich, ein Wiederaufnahmegesuch nach Ablauf der Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013, d.h. mehr als drei Monate nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, wirksam zu unterbreiten, auch wenn dies weniger als zwei Monate nach Erhalt einer Eurodac-Treffermeldung geschieht.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-670/16 -, juris Rn. 63 ff.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ein Antrag auf internationalen Schutz ist dabei nicht erst mit der förmlichen Antragstellung beim Bundesamt, sondern bereits dann gestellt, wenn der Behörde, die für die Bestimmung des für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaates zuständig ist, ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-670/17 -, juris Rn. 79 ff.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Zwar ist dieser Zeitpunkt in der beigezogenen Bundesamtsakte nicht dokumentiert. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass ein „Schriftstück, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat“, in Bezug auf die Antragsteller nicht vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet an das Bundesamt gelangt sein kann. Ausgehend von dem danach frühestmöglichen Zeitpunkt der Erstellung und Weiterleitung des besagten Schriftstückes an das Bundesamt, dem 2. Mai 2022, hat das Bundesamt weniger als drei Monate gebraucht, um die polnischen Behörden um Wiederaufnahme der Antragsteller zu bitten. Das betreffende Gesuch ist - wie ausgeführt - bereits am 24. Mai 2022 und somit in jedem Falle fristgerecht bei den polnischen Behörden eingegangen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">b) Ebenso wenig ist die sechsmonatige Frist für die Überstellung der Antragsteller in den zuständigen Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013) mit der Folge überschritten, dass die Zuständigkeit für die Durchführung ihres Asylverfahrens gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 auf die Antragsgegnerin übergegangen wäre.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Gemäß Art. 29 Abs. 1 VO 604/2013 erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Die polnischen Behörden haben dem Gesuch des Bundesamtes am 30. Mai 2022 (mithin binnen der 2-Monatsfrist des Art. 22 Abs. 1 VO 604/2013) zugestimmt. Ausgehend hiervon ist die sechsmonatige Überstellungfrist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unzweifelhaft noch nicht verstrichen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">3. Die Zuständigkeit Polens entfällt auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013. Nach dieser Norm setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 bis 15 VO 604/2013 vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GR-Charta) mit sich bringen (Unterabs. 2); kann eine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien der Art. 8 bis 15 VO 604/2013 bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabs. 3).</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 liegen vor, wenn das erkennende Gericht zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gelangt, dass ein Antragsteller wegen systemischer Schwachstellen, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039 (juris Rn. 9) zur Rechtslage nach der Verordnung 343/2003.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedsstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der GR-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) zukommt,</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">- vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417, sowie vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, NVwZ 2014, 208 -</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">ist nicht widerlegt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Darstellung des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden, die sich das Gericht zu eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Behörde hat sich umfassend mit den Begebenheiten in Polen auseinandergesetzt und dargelegt, dass das dortige Asylsystem unionsrechtlichen Anforderungen genügt und ein effektives Prüfungs- und Anerkennungsverfahren ermöglicht. Auch das Gericht geht davon aus, dass Polen über ein funktionsfähiges, richtlinienkonformes Asyl- und (Wieder-)Aufnahmeverfahren verfügt, das im Normalfall gewährleisten kann, dass Asylbewerber nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen müssen. Diese Einschätzung entspricht auch der herrschenden Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. z.B. VG Dresden, Beschluss vom 27. Juni 2022 - 3 L 397/22.A -, juris Rn. 20 ff.; VG Hannover, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 12 B 2381/22.A -, juris Rn. 15 ff.; VG München, Beschluss vom 27. Mai 2022 - M 30 S 22. 50276 -, juris Rn. 26 ff.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der fortdauernde Krieg in der Ukraine und die sich daraus ergebenden Flüchtlingsbewegungen nach Polen führen zu keiner anderen Bewertung. Das Verwaltungsgericht München hat dazu in seinem Beschluss vom 27. Mai 2022 (Az. M 30 S 22.50276, juris, Rn. 28-32) Folgendes ausgeführt:</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">„Zwar sind wegen des Ukrainekrieges bis zum 24. Mai 2022 ca. 3,5 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Polen geflohen; auch gehen Hochrechnung davon aus, dass bis Dezember 2022 die Zahl der nach Polen einreisenden Schutzsuchenden auf ca. 4,3 Millionen Menschen ansteigen dürfte, wobei davon ausgegangen wird, dass nur ca. 2,6 Millionen im Dezember 2022 im Land tatsächlich verbleiben dürften (vgl. UNHCR, https://data2.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 27.5.2022). Ferner ist festzustellen, dass zwar zwischen dem 27. Februar 2022 und 9. März 2022 täglich zwischen 100.000 und (in der Spitze) 140.000 Menschen in Polen zum Schutze vor dem Krieg eingereist sind; seit Mitte März 2022 die täglichen Einreisezahlen aber deutlich gesunken sind und seit dem 28. März 2022 täglich zwischen 9.000 und 28.000 und zuletzt sogar nur zwischen 16.000 und 20.000 Menschen pro Tag lagen (vgl. UNHCR, https://data2.unhcr.org/en/situations/ukraine/location/10781, Stand: 27.5.2022). Zuletzt ist eine verstärkte Rückkehr der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in ihr Herkunftsland zu verzeichnen; so sollen allein über die polnische Grenze täglich ca. 11.000 und zuletzt sogar bis zu 20.000 Menschen zurückkehren (vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/polen-fluechtlinge-rueckkehrer-ukraine-krieg-russland-100.html – Stand: 27.05.2022; https://www.tagesschau.de/inland/gefluechtete-ukraine-faeser-101.html – Stand: 27.05.2022; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-05/ukraine-gefluechtete-rueckkehr-nancy-faeser?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F – Stand: 27.05.2022; https://www.focus.de/politik/ausland/obwohl-dort-krieg-herrscht-rund-20-000-gefluechtete-kehren-taeglich-zurueck-in-die-ukraine_id_91307789.html – Stand: 27.05.2022).</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass Schutzsuchende aus der Ukraine aufgrund des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes kein üblicherweise vorgesehenes Asylverwaltungsverfahren durchlaufen müssen, sondern vielmehr im einem vereinfachten Verwaltungsverfahren einen europaweit gültigen vorübergehenden Schutz mit entsprechendem Zugang zum Arbeitsmarkt und etwaigen Sozialleistungen erhalten (können). Die Aktivierung der Richtlinie 2001/55/EG vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie) soll eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten fördern (vgl. Art. 1 Massenzustrom-Richtlinie; ferner Erwägungsgründe 16 und 20 des Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 vom 4.3.2022).</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ferner gilt es zu berücksichtigen, dass die Schutzsuchenden aus der Ukraine zu einem beachtlichen Teil auch in privat organisierten Unterkünften untergebracht werden oder weiterreisen, was im März 2022 dazu führte, dass die von lokalen polnischen Behörden eingerichteten Unterkunftszentren mit einer Kapazität für ca. 280.000 Menschen weitgehend unbewohnt geblieben sind (UNHCR, 8.3.2022, Ukraine Situation Flash Update #1, S. 4; abrufbar unter: http://data2.unhcr.org/en/documents/details/91208 – Stand 27.5.2022; VG Lüneburg, B.v. 3.5.2022 – 5 B 31/22 – juris S. 8f.). Auch erhielt Polen von der Europäischen Kommission 560 Millionen Euro an Hilfsgeldern zur Versorgung von Schutzsuchenden aus der Ukraine (vgl. https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-eu-kommission-unterstuetzte-fluechtlingsaufnahme-mit-3-5-milliarden-euro-a-e79d6033-7cd8-42a3-b346-b30e0562b713 - Stand: 27.5.2022).</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Berichte, wonach es derzeit zu einer Überforderung des polnischen Asylsystems kommen soll, etwa durch Engpässe bei der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung, insbesondere auch vulnerabler Gruppen, sind dem Gericht dagegen nicht bekannt (vgl. hierzu auch VG Lüneburg, ebd.; VG Trier, B.v. 4.5.2022 – 7 L 1051/22.TR – juris S. 4). […]</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Daher gilt zur Überzeugung des Gerichts nach wie vor die Vermutungswirkung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens. Wenngleich Polen vor einer großen Herausforderung steht, vermag das Gericht insbesondere wegen der Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie, der Unterstützung Polens mit Hilfsgeldern und dem Ausbau von Unterkünften in Polen sowie der deutlich abgenommenen Flüchtlingsbewegungen an der polnisch-ukrainischen Grenze und mangels dieser Vermutung entgegenstehender Berichte nicht zu erkennen, dass Polen nicht über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt und dem Antragsteller schwerwiegende Verstöße und Rechtsbeeinträchtigungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würden. Dies gilt auch für vulnerable Gruppen [...].“</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht Hannover führt in seinem Beschluss vom 15. Juni 2022 - 12 B 2381/22 -, juris Rn. 22, zur Unterkunftssituation für Asylbewerber in Polen zudem Folgendes aus:</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">„Zu ergänzen ist, dass im Rahmen einer vom UNHCR durchgeführten Befragung von Flüchtlingen aus der Ukraine lediglich 7 % der Befragten erklärt haben, eine der staatlich angebotenen Unterkünfte in Anspruch zu nehmen (vgl. UNHCR, Refugee Arrivals from Ukraine into Poland, 25.05.2022, abrufbar unter https://reliefweb.int/report/poland/refugee-arrivals-ukraine-poland-update-25052022, zuletzt abgerufen am 14.06.2022).“</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Diesen Ausführungen schließt sich auch das erkennende Gericht an.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">4. Auch im Übrigen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der Abschiebung der Antragsteller nach Polen. Die Abschiebung kann durchgeführt werden, nachdem Polen erklärt hat, ab dem 1. August 2022 wieder Überstellungen im Rahmen des Dublin-Systems entgegenzunehmen. Das Gericht hält daher nunmehr an seiner Rechtsprechung, wonach die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen war, weil nicht feststand, dass die Abschiebung bedingt durch die fehlende Aufnahmebereitschaft Polens durchgeführt werden kann, nicht weiter fest.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Der Abschiebung stehen auch keine weiteren tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse entgegen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf zielstaatsbezogene, sondern auch in Bezug auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (§ 60a Abs. 2 AufenthG) einschließlich sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebender Ansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls vom Bundesamt zu prüfen sind.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014- 2 B 215/14 –, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, 310, juris Rn. 3 sowie BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Entsprechende Abschiebungshindernisse und -verbote sind indessen weder substantiiert vorgetragen worden noch sonst feststellbar.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Relevante Abschiebungshindernisse oder -verbote ergeben sich nicht daraus, dass der Antragsteller zu 1. geltend macht, sein Cousin würde in der Bundesrepublik Deutschland leben. Der Aufenthalt der genannten Person begründet kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Denn die hier gegebene Beziehung zwischen volljährigen Personen, wie der des Antragstellers zu 1. zu seinem Verwandten, unterliegt grundsätzlich - so auch hier - nicht den besonderen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. des Art. 8 EMRK. Dafür, dass zwischen dem Antragsteller zu 1. und seinem in Deutschland lebenden Cousin eine durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ausnahmsweise besonders geschützte Beistandsgemeinschaft besteht, etwa weil der Antragsteller zu 1. in besonderem Maße auf die Lebenshilfe und Unterstützung des Verwandten angewiesen wäre und diese ausschließlich in Deutschland erbracht werden könnte, ist weder etwas substantiiert vorgetragen worden noch sonst etwas ersichtlich. Zwar ist für die Annahme einer geschützten Beistandsgemeinschaft nicht unbedingt eine Haus- oder Haushaltsgemeinschaft erforderlich. Gefordert wird aber, dass eine erforderliche wesentliche Hilfe geleistet wird, ohne dass dabei die Schwelle der spezifischen Pflegebedürftigkeit erreicht sein müsste. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte, die nicht Familienangehörige sind. Allerdings ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht, dass die Antragsteller auf den Beistand des in Deutschland lebenden Verwandten angewiesen sind und etwa notwendige Hilfe nur in Deutschland erbracht werden kann.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Besteht damit keine besonders geschützte Beistandsgemeinschaft, so vermag das Gericht auch nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin im Rahmen einer durch Art. 17 Abs. 1 und 2 VO 604/2013 vorgesehenen Ermessenentscheidung zwingend gehalten gewesen wäre, das Verfahren der Antragsteller an sich zu ziehen und im nationalen Verfahren über sein Schutzgesuch zu entscheiden</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">- ebenso in einem ähnlich gelagerten Fall VG Magdeburg, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 9 B 483/17 -, juris Rn. 22 -.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83 b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
346,454
olgkarl-2022-08-02-19-w-8721-wx
{ "id": 146, "name": "Oberlandesgericht Karlsruhe", "slug": "olgkarl", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
19 W 87/21 (Wx)
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-07T10:01:29"
"2022-10-17T11:09:51"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 wird der Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 12. Juli 2021 - 2- Ka 8 UR III 28/21 - abgeändert und wie folgt neu gefasst: Das Standesamt wird angewiesen, das Geburtenregister G …/2017 zu dem Beteiligten zu 1 dahin zu berichtigen, dass der Vorname A. Can lautet.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die Eltern des am (…) 2017 geborenen Beteiligten zu 1.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Nach der Geburt des Beteiligten zu 1 gaben die Beteiligten zu 2 und 3 die nachfolgende Erklärung zum Namen des Kindes ab:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:8pt"><tr><td><rd nr="3"/>„Unser Kind soll c den c die Vornamen A. Çan und den Familiennamen K. erhalten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>Entsprechend dieser Angabe wurden eine Geburtsurkunde und am 3. April 2018 ein Reisepass ausgestellt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Durch anwaltliches Schreiben vom 28. Juni 2021 beantragten die Beteiligten zu 2 und 3, die Schreibweise des zweiten Vornamens in Can in Geburtsurkunde und Reisepass zu ändern, also die Cedille unter dem ersten Buchstaben zu streichen. Zur Begründung führten sie aus, es handele sich um einen durch den Kindsvater verursachten Schreibfehler. Der Buchstabe Ç komme in der deutschen Sprache nicht vor. Das führe dazu, dass der Betroffene Schwierigkeiten mit der Aussprache wie mit der Schreibweise haben werde. Die Wiedergabe eines im Namen enthaltenen Akzents, der nicht nach den DIN-Regeln für das Maschinenschreiben wiedergeben werden könne, stelle eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Das Standesamt und dessen Aufsichtsbehörde sind dem Antrag entgegengetreten. Dass der erste Buchstabe des zweiten Vornamens im deutschen Alphabet nicht enthalten sei, stehe einer entsprechenden Namenswahl nicht entgegen. Die Bestimmung von Vornamen sei gesetzlich nicht geregelt; eine Grenze sei nur bei einer Beeinträchtigung des Kindeswohls erreicht. Die Standesbeamtin habe den Eltern die Geburtsurkunden persönlich ausgehändigt; dabei werde gewöhnlich noch einmal gebeten, die Schreibweise zu überprüfen. Dabei und bei der Ausstellung des Kinderpasses müsste den Eltern die falsche Schreibweise aufgefallen sein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die für eine Berichtigung erforderliche volle Überzeugung davon, dass die beanstandete Eintragung von Anfang an unrichtig gewesen sei, könne nicht gebildet werden. Die Annahme eines Schreibfehlers erscheine fernliegend, weil weder ersichtlich sei noch erläutert werde, wie es zu diesem gekommen sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, die den Verfahrensbevollmächtigten am 19. Juli 2021 zugestellt worden ist, richtet sich die am 28. Juli 2021 eingegangene sofortige Beschwerde, mit der die Auffassung weiterverfolgt wird, die Angabe des Vornamens beruhe auf einem Schreibfehler. Dies ergebe sich aus den der Beschwerdeschrift beigefügten eidesstattlichen Versicherungen der Eltern.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das Standesamt und die Aufsichtsbehörde sind ihr unter Bezugnahme auf den Nichtabhilfebeschluss entgegengetreten.</td></tr></table> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="10"/>Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§§ 48, 51 Absatz 1 Satz 1 PStG, §§ 59 Absatz 1, 63 FamFG).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen einer Anordnung der Berichtigung des abgeschlossenen Registereintrags zum Vornamen des Beteiligten zu 1 (§§ 48 Absatz 1 Satz 1, 47 Absatz 1 Satz 1 PStG) liegen vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>Ein - wie hier - abgeschlossener Registereintrag darf zunächst in den Fällen des § 47 PStG vom Standesamt berichtigt werden. Außer in diesen Fällen darf die Berichtigung nach § 48 Absatz 1 Satz 1 PStG nur auf Anordnung des Gerichts erfolgen; den Antrag auf diese Anordnung können alle Beteiligten stellen, § 48 Absatz 2 Satz 1 PStG; zu diesen gehören auch die hier Antrag stellenden Eltern des Beteiligten zu 1. Voraussetzung für die Anordnung einer Berichtigung durch das Gericht ist dessen Überzeugung davon, dass die vorhandene Eintragung unrichtig, die beantragte Eintragung richtig ist. An den Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.1.2021 – I-3 Wx 165/19, BeckRS 2021, 1329 Rn. 11; KG, Beschluss vom 06.10.2020 – 1 W 1042/20, BeckRS 2020, 29491).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="13"/>Eine der Berichtigung fähige Unrichtigkeit des Geburtenregisters kann auch darin liegen, dass die Eltern bei der Anmeldung der Geburt den Namen des Kindes unrichtig angeben. Maßgeblich ist nicht der bei der Anmeldung angegebene Name, sondern der Name, den die Eltern dem Kind tatsächlich gegeben haben. Das ist für offensichtliche Schreibfehler („Wihlem” statt „Wilhelm”) nicht zweifelhaft (OLG Köln NJOZ 2010, 2355). Entscheidend ist, welchen Namen die Eltern dem Kind gegeben haben. Die Wahl und Erteilung des Vornamens steht grundsätzlich den Eltern gemeinschaftlich zu. Sie gehört zum Kreis der aus dem Personensorgerecht für das Kind folgenden Rechte und Pflichten der Eltern. Die Vornamensgebung wird nicht durch Anzeige gegenüber dem Standesbeamten ausgeübt, sondern durch die formlose Einigung der Eltern auf einen Vornamen. Die Anzeige des Namens an den Standesbeamten stellt keine rechtsgestaltende Willenserklärung dar, ihr kommt vielmehr, ebenso wie der Eintragung im Geburtenregister, lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Daher kann der Geburtseintrag auch dann unrichtig sein, wenn die Anmeldung der Eltern nicht deren wahrem Willen entspricht. In diesem Zusammenhang kommt daher grundsätzlich auch die Berichtigung von Unrichtigkeiten in Betracht, die ihre Ursache in einem Schreibfehler der Eltern in der Geburtsanzeige an das Standesamt (§ 18 PStG) haben (OLG Köln a. a. O.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="14"/>Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt gehen ersichtlich auch Standesamt und Amtsgericht aus, haben sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Anmeldung der Eltern nicht deren wahren Willen entsprach. Dem schließt sich der Senat nicht an.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>1. Zu Recht hat es das Amtsgericht allerdings für unerheblich erachtet, dass der Buchstabe Ç im deutschen Alphabet nicht vorkommt. Wie das Standesamt zu Recht hervorhebt, bestehen keine gesetzlichen Regelungen, die es ausschließen würden, Vornamen mit Buchstaben zu wählen, die im deutschen Alphabet nicht enthalten sind. Eine Beschränkung ist nur dem § 15 Absatz 3 Satz 1 PStV zu entnehmen, der eine Erfassung der Beurkundungsdaten in lateinischer Schrift anordnet. Bereits die Anordnung in dieser Norm, dass diakritische Zeichen unverändert wiederzugeben seien, deutet an, dass eine Beschränkung auf Zeichen der deutschen Sprache nicht besteht. Die Verwendung von Vornamen mit in Deutschland nicht gebräuchlichen Schriftzeichen ist auch nicht ungewöhnlich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>Für die Auffassung der Beteiligten zu 2 und 3, es bestehe eine Beschränkung auf Schriftzeichen, die in der nationalen Norm „Regeln für Maschinenschreiben“ (DIN 5008) enthalten seien, gibt es keine gesetzliche Grundlage.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>2. Unter Berücksichtigung der im Abhilfeverfahren eingereichten eidesstattlichen Versicherungen der Eltern vermag sich der Senat aber zu überzeugen, dass die Geburtsanzeige nicht mit dem wahren Willen der Eltern übereinstimmt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>a) Dabei zieht der Senat in erster Linie in Betracht, dass - soweit mittels Internetrecherche über gängige Suchmaschinen ersichtlich - ein Vorname Çan auch in anderen Sprachen nicht vergeben wird, sondern in dieser Schreibweise lediglich eine Stadt und ein Landkreis in der Türkei existieren. Can ist in dieser Schreibweise dagegen ein Vorname, der in mehreren Sprachräumen - vor allem in der Türkei - gebräuchlich ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="19"/>b) Geht man hiervon aus, so spricht nichts dafür, dass die Eltern einen - soweit ersichtlich - in keiner Sprache gängigen Vornamen wählen wollten; nahe liegt im Gegenteil, dass ein gängiger Vorname gewählt werden sollte. Vor diesem Hintergrund scheint die eidesstattliche Versicherung des Vaters, er habe sich in der Aufregung verschrieben, durchaus plausibel. Für einen Schreibfehler spricht im Übrigen auch, dass in der Geburtsanzeige versäumt worden ist, die Cedille unter dem im Familiennamen enthaltenen Buchstaben c anzubringen. Dass vorliegend - anders als in dem vom OLG Düsseldorf (a.a.O.) zu entscheidenden Fall - keine zusätzlichen Anhaltspunkte für die gewollte Schreibweise (dort Namensführung der Großmutter) vorliegen, erweist sich vor diesem Hintergrund als unschädlich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="20"/>c) Der vom Standesamt hervorgehobene Umstand, dass ein Schreibfehler nicht plausibel erscheine, weil die Eltern die Geburtsurkunde und den später ausgestellten Reisepass über einen mehreren Jahre umfassenden Zeitraum (von der Ausstellung der Geburtsurkunde am 13. September 2017 über die Ausstellung des Reisepasses am 3. April 2018 bis zum 28. Juni 2021) nicht beanstandet hätten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Personenstandsgesetz enthält keine Ausschlussfrist für Anträge auf Berichtigung der Eintragungen; vielmehr gilt nach § 5 Absatz 5 Nr. 2 PStG für eine Fortführung des Geburtenregisters, wozu nach § 5 Absatz 1 PStG auch die Berichtigung gehört, eine Frist von 110 Jahren. Der Zeitraum zwischen Geburt und Berichtigungsantrag rechtfertigt auch nicht ohne weiteres den Schluss, dass die Beurkundung nicht auf einer versehentlich falschen Namensangabe beruht (OLG Köln a. a. O.). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern bei Übergabe der Geburtsurkunde oder des Passes die Schreibweise des zweiten Vornamens hinsichtlich der verhältnismäßig unauffälligen Cedille bemerkt haben, sind nicht vorhanden. Soweit das Standesamt ausführt, bei der Übergabe der Geburtsurkunden würden die Eltern gewöhnlich gebeten, die Urkunden noch einmal genau anzuschauen, ob sie ihren Wünschen entsprechen, lassen sich hieraus belastbare Schlüsse für den Einzelfall und darauf, dass die Bedeutung der Aufforderung verstanden worden ist, nicht ziehen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="21"/>3. Soweit die Beteiligten zu 2 und 3 auch darauf angetragen zu haben, den Reisepass des Beteiligten zu 1 zu ändern, ist dies weder Gegenstand des personenstandsrechtlichen Verfahrens noch unterfällt es der Zuständigkeit des Standesamts. Da mit der Beschwerdeschrift lediglich noch die Berichtigung des Geburtenregisters beantragt worden ist, ist davon auszugehen, dass die Beteiligten zu 2 und 3 das weitergehende Begehren im vorliegenden Verfahren nicht weiterverfolgen.</td></tr></table> <table style="margin-left:14pt"><tr><td>III.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="22"/>1. Gerichtskosten werden für die erfolgreiche Beschwerde nicht erhoben (§ 25 Absatz 1 GNotKG). Die Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten durch das Standesamt ist hier nicht geboten (§ 51 Absatz 1 Satz 1 PStG; § 81 Absatz 1 Satz 1 FamFG). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, insbesondere zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 70 Absatz 2 FamFG). Einer Geschäftswertfestsetzung bedarf es nicht, weil weder Gerichtskosten aus dem Geschäftswert zu berechnen noch hieraus Kosten eines Beteiligten zu erstatten sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt" class="Rsp"> <tr> <th colspan="1" rowspan="1"><rd nr="23"/></th> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"> <table style="margin-left:3pt" width="100%"><tr><td style="text-align:justify">2. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, insbesondere zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 70 Absatz 2 FamFG).</td></tr></table> </td> </tr> </table> <table style="margin-left:3pt"><tr><td/></tr></table> </td></tr></table>
346,453
olgkarl-2022-08-02-19-w-11121-wx
{ "id": 146, "name": "Oberlandesgericht Karlsruhe", "slug": "olgkarl", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
19 W 111/21 (Wx)
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-07T10:01:29"
"2022-10-17T11:09:51"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Beschwerde des Antragstellers wird die Zwischenverfügung des Amtsgerichts Maulbronn vom 10.09.2021, Az. MAU079 GRG 908/2021, aufgehoben. Das Grundbuchamt wird angewiesen, den Eintragungsantrag nicht aus den Gründen der Zwischenverfügung zurückzuweisen.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:14pt"><tr><td>I.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="1"/>Der Gläubiger - ein Insolvenzverwalter - wendet sich gegen eine Zwischenverfügung, mit der die Eintragung einer Sicherungszwangshypothek von der Angabe seines Geburtsdatums oder seines Wohnortes abhängig gemacht wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="2"/>Der Gläubiger ist Insolvenzverwalter. Am 20. August 2021 beantragte er - wobei er im Rubrum die Parteibezeichnung „A. H. als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn H. P., (…)“ verwendete -, eine Sicherungszwangshypothek am Miteigentumsanteil an dem im Rubrum näher bezeichneten Grundstück wegen einer Forderung von EUR 41.867,47 einzutragen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="3"/>Das Grundbuchamt erließ daraufhin eine Zwischenverfügung, in der es die Eintragung davon abhängig machte, dass entweder das Geburtsdatum oder der Wohnort des Antragstellers angegeben wird; das entsprechende Erfordernis ergebe sich aus dem Wortlaut des § 15 Absatz 1 Nr. 1 GBV.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 27. September 2021 nahm der Gläubiger auf die Zwischenverfügung Bezug und vertrat die Auffassung, dass zur Erreichung des Zwecks des § 15 GBV die Angabe des Wohnorts nicht zwingend erforderlich sei. Der Zweck des § 15 GBV, Auskunft über die Berechtigungsverhältnisse zu geben, werde auch dadurch gewährleistet, dass anstatt dem Wohnort der Ort der Kanzlei des Insolvenzverwalters angegeben wird. Dies sei vorliegend sogar sinnvoll, da auch in dem Insolvenzeröffnungsbeschluss, seiner Bestallungsurkunde und dem zugrunde liegenden Titel der Ort der Kanzlei angegeben sei. Den Beteiligten, so auch der Grundstückseigentümerin, sei der Wohnort des Insolvenzverwalters gar nicht bekannt. Eine eindeutige Zuordnung, auch gegenüber Dritten, erfolge über den Kanzleiort. Dies entspreche auch der Handhabung in anderen Rechtsbereichen, etwa im Prozess- und Steuerrecht. Auf Anfrage des Grundbuchamts teilte der Antragsteller telefonisch mit, dass sein Schreiben als Beschwerde ausgelegt werden solle. Seinen Wohnort wolle er auf keinen Fall im Grundbuch eingetragen wissen; zu seinem Geburtsdatum äußere er sich nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="5"/>Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Abweichungen von den Grundsätzen des § 15 GBV sehe das Gesetz nicht vor. Da die Kanzlei nicht Gläubiger der Sicherungshypothek ist, könne auch nicht deren Kanzleiort im Grundbuch eingetragen werden. Im Übrigen sei es dem Antragssteller zumutbar, sein Geburtsdatum anzugeben.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:14pt"><tr><td>II.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="6"/>Die nach § 71 GBO in Verbindung mit § 11 Absatz 1 RPflG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Grundbuchamt kann die begehrte Eintragung nicht davon abhängig machen, dass der Insolvenzverwalter seinen Wohnort oder sein Geburtsdatum angibt.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:14pt"><tr><td>A.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="7"/>Das Grundbuchamt hat das Schreiben des Gläubigers vom 27. September 2021 zutreffend als Beschwerdeschrift ausgelegt. Zwar enthält dieses weder das Wort „Beschwerde“ noch die ausdrückliche Erklärung, dass gegen die Zwischenverfügung ein Rechtsmittel eingelegt werde. Dass die Entscheidung zur Überprüfung gestellt werden sollte, ergibt sich aber mit hinreichender Deutlichkeit aus der Bezugnahme auf diese und der Weiterverfolgung der Ansicht, dass die Angabe von Wohnort oder Geburtsdatum nicht notwendig sei. Das Auslegungsergebnis wird durch die telefonische Mitteilung des Gläubigers vom 14. Oktober 2021 - die als solche mangels Formeinhaltung allerdings nicht als Beschwerde angesehen werden kann - zusätzlich gestützt.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:14pt"><tr><td>B.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="8"/>Bei Beteiligung von Insolvenzverwaltern als Gläubigern steht § 15 Absatz 1 GBV der Eintragung des Kanzleisitzes anstelle des Wohnortes nicht entgegen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="9"/>1. Allerdings steht die Systematik des § 15 Absatz 1 GBV einer Auslegung entgegen, die es generell ermöglichen würde, anstelle des Wohnsitzes den Kanzlei- oder Geschäftssitz einer freiberuflich oder gewerblich handelnden Person anzugeben. Dass die Norm (nur) juristischen Personen, Handels- und Partnerschaftsgesellschaften die Angabe ihres Sitzes vorschreibt (§ 15 Absatz 1 b) GBV), zeigt im Umkehrschluss, dass dies nicht für natürliche Personen gilt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="10"/>2. Mit diesem Befund kann es indes nicht sein Bewenden haben. Der Annahme des Grundbuchamtes, das Gesetz lasse Ausnahmen von der Verpflichtung zur Wohnortangabe bei fehlendem Geburtsdatum nicht zu, steht die Formulierung des Gesetzes entgegen, wonach der Wohnort eingetragen werden „soll“. Als Soll-Vorschrift gilt eine gesetzliche Bestimmung, die ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zwar für den Regelfall, aber nicht zwingend vorschreibt (Weber, Rechtswörterbuch, 6. Edition, Stichwort „Soll-Vorschrift“).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="11"/>Eine vom Regelfall abweichende Handhabung ist hier gerechtfertigt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="12"/>a) Die Bezeichnung des Berechtigten - hier des Gläubigers einer Sicherungszwangshypothek - im Grundbuch soll diesen so genau kennzeichnen, dass nach Möglichkeit jeder Zweifel über seine Person und jede Verwechselung ausgeschlossen ist und hierdurch die Klarheit des Grundbuchs erhalten wird (BayObLGZ 1981, 391, 393; Schöner/Stöber, 16. Auflage, Rn. 229).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="13"/>b) Diesem Zweck kann auch genügt werden, indem der Kanzleisitz des Gläubigers eingetragen wird, etwa ergänzt um die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ oder die klarstellende Angabe „Kanzleisitz“ vor der Ortsangabe. Jedenfalls mit solchen Zusätzen ist die Auffindbarkeit und Unterscheidbarkeit des Gläubigers in jeder Weise gewährleistet. Anders als bei privaten Gläubigern könnte mit solchen Angaben sogar mit Hilfe eines allgemein und ohne Nachweis eines berechtigten Interesses zugänglichen Verzeichnisses (Rechtsanwaltsverzeichnis nach § 31 Absatz 2 BRAO) die genaue Anschrift des Insolvenzverwalters ohne weiteres ermittelt werden. Dass § 15 Absatz 1 GBV die Angabe weiterer Identifikationsmerkmale - wie etwa des Berufs oder des Zusatzes „Kanzleisitz“ - nicht ausdrücklich nennt, steht ihrer Eintragungsfähigkeit nicht entgegen. Das zeigt schon der Umstand, dass es beispielsweise bei einem Berechtigten mit einem häufig vorkommenden Namen in einer Großstadt erforderlich sein kann, zusätzliche Identifikationsmerkmale einzufügen (Schöner/Stöber, 16. Auflage, Rn. 229, Fn. 695).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="14"/>c) Es ist auch nachvollziehbar, dass der Insolvenzverwalter die Angabe seines Geburtsdatums und seines Wohnortes im Grundbuch vermeiden möchte. Die Angaben im Grundbuch sind - wenn auch nur bei Nachweis eines berechtigten Interesses - einem im Voraus nicht bestimmbaren Kreis von Personen zugänglich; insbesondere wird der Insolvenzschuldner in vielen Fällen Einsicht in die Eintragung erlangen können. Da es zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört, Insolvenzschuldnern nachteilige und ihre Lebensführung möglicherweise erheblich belastende Entscheidungen zu treffen, erscheint es ohne weiteres nachvollziehbar, dass er ein Bekanntwerden von Geburtsdatum und/oder Wohnanschrift vermeiden möchte. Derartige Angaben sind nämlich geeignet, Belästigungen des Insolvenzverwalters und Übergriffe in dessen privaten Bereich deutlich zu erleichtern. Das müsste der Insolvenzverwalter als Ausfluss seines Berufes hinnehmen, wenn eine andere Möglichkeit zur unterscheidungskräftigen Bezeichnung nicht bestünde. Das ist aber hier aus den oben näher ausgeführten Gründen nicht der Fall.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="15"/>d) Für die vom Gläubiger begehrte Ausnahme spricht ferner der Umstand, dass ein Insolvenzverwalter in dem seinem Eintragungsantrag zugrunde liegenden Titel mit seiner Kanzleianschrift bezeichnet zu werden pflegt. Dem Interesse an Klarheit und Übersichtlichkeit ist daher sogar besser gedient, wenn im Grundbuch derjenige Ort verlautbart wird, der als Sitz des Gläubigers auch im zugrunde liegenden Titel angegeben ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="16"/>3. Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte München (FGPrax 2012, 154) und Jena (NZI 2020, 1015) stehen nicht entgegen. Deren tragende Gründe befassen sich lediglich mit der Frage, ob ein das verwaltete Vermögen kennzeichnender Zusatz in das Grundbuch einzutragen ist. Es bedarf daher auch keiner Vertiefung, ob die gegen diese Rechtsprechung in einem Teil des Schrifttums geäußerte Kritik (Schneider NZI 2020, 1016; Keller in: Keller/Munzig, KEHE Grundbuchrecht, § 15, Rn. 6; Staudinger/Wolfsteiner [2019], BGB § 1115, Rn. 28) stichhaltig ist.</td></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><table style="margin-left:14pt"><tr><td>III.</td></tr></table></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="17"/>1. Gerichtskosten für die erfolgreiche Beschwerde werden nach § 25 Absatz 1 GNotKG nicht erhoben. Eine Entscheidung, die notwendigen Auslagen des (einzigen) Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen, kommt im Grundbuchbeschwerdeverfahren auch nicht bei Erfolg des Rechtsmittels in Betracht (BeckOK FamFG/Weber, 43. Edition, § 81 Rn. 4, beck-online).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:3pt"><tr><td><rd nr="18"/>2. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Absatz 2 Satz 1 GBO) liegen nicht vor.</td></tr></table></td></tr></table>
346,430
lg-koln-2022-08-02-5-o-37220
{ "id": 812, "name": "Landgericht Köln", "slug": "lg-koln", "city": 446, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
5 O 372/20
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-06T10:01:17"
"2022-10-17T11:09:46"
Urteil
ECLI:DE:LGK:2022:0802.5O372.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch über die von ihnen anerkannte Haftungsquote von 75 % hinaus verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus dem Verkehrsunfall vom 31.03.2017 in Engelskirchen noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen sind oder noch übergehen werden.</p> <p>Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.</p> <p>Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 1.089,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.</p> <p>Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren 237,34 € freizustellen.</p> <p>Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 31 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 69 %.</p> <p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.</p> <p>Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in eben dieser Höhe leisten.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger befuhr am 31.03.2017 gegen 17.50 Uhr mit seinem Rennrad die P-Straße in F, auf der eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gilt. Der Beklagte zu 1. hatte sein bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichertes Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen AB-CD 0000 auf Höhe der Hausnummer 00 auf einem rechts neben der Fahrbahn befindlichen Parkstreifen abgestellt und öffnete die Fahrertür, als sich der Kläger mit einer Geschwindigkeit von über 30 km/h von hinten näherte. Durch die Kollision mit der geöffneten Tür kam der Kläger zu Fall. Dabei wurden sein Rad und der Fahrradhelm beschädigt und der Kläger verletzt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen der anschließenden Untersuchungen im Vinzenz-Pallotti-Hospital wurden eine Fraktur der 1. Rippe rechts in Nähe des Sternums, eine Schultereckgelenksprengung Tossy 1 rechte Schulter, beidseitige Knieprellungen, multiple Schürverletzungen an beiden Schultern, Knien und Ellenbogen, eine Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Der Kläger musste unfallbedingt im Zeitraum vom 31.03.2017 bis zum 02.04.2017 in stationärer Behandlung verbleiben.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Bei einer am 27.04.2017 durchgeführten Kernspintomographie der rechten Schulter wurden folgende Diagnosen gestellt:</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">„AC-Gelenksprengung nach Rockwood 3 mit subtotaler Ruptur der korakoklavikulären Ligamente und totaler akromioklavikularer Ruptur. Begleitende Bursitis subacromialis und Serom/Hämatom.“</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 26.04.2017 wurde die Beklagte zu 2. von den Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Abgabe eines 100%igen Haftungsanerkenntnisses dem Grunde nach aufgefordert. Die Beklagte zu 2. leistete am 28.09.2017 eine Akontozahlung in Höhe von 2.000,00 € sowie gemäß Schreiben vom 05.12.2019 weitere 2.320,38 € (Rechnung Dr. C 20,38 €, Fahrrad Vorschuss 300,00 €, Schmerzensgeld (Vorschuss) 2.000,00 €.) Auf ein weiteres Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers erkannte die Beklagte zu 2. mit Schreiben vom 19.12.2019 die Haftung auf Basis einer Quote von 75 % an.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger behauptet, er sei mit einem Seitenabstand von 90 cm an dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. vorbeigefahren.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Bei dem Unfall habe er auch ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades erlitten, das auch zu einer kurzen Bewusstlosigkeit am Unfallort geführt habe.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach der stationären Behandlung habe sich der Heilungsverlauf unter analgetischer und physiotherapeutischer Behandlung zunächst über ca. acht Wochen erstreckt. Diese seien durch viele Schmerzen, Bewegungs- und Tätigkeitseinschränkungen geprägt gewesen. Der Kläger habe täglich Schmerzmittel in Form von Ibuprofen 800mg und Tilidin 100/8mg einnehmen müssen. Seine Schulter habe er kaum bewegen können. Außerdem habe die Fraktur an der ersten Rippe am Sternum sehr geschmerzt.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Zudem habe der Kläger Tätigkeiten des Alltags wie z.B. seinen Anteil am Haushalt nicht verrichten können. Diese hätten vielmehr von seiner Lebensgefährtin zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob als Zahnärztin über ca. acht Wochen vollständig übernommen werden müssen. Zudem hätten insbesondere in den ersten zehn Tagen auch Kopf- und Genickschmerzen durch das erlittene Schädel-Hirn-Trauma Grad 1 im Vordergrund gestanden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach ca. zehn Wochen habe der Kläger, der einmal Weltmeister der Triathleten der Mediziner gewesen sei, versucht, sich langsam und stetig an sportliche Übungen heranzuwagen, nachdem er gute Fortschritte bei der Physiotherapie gemacht habe. Hier habe er jedoch feststellen müssen, dass er aufgrund immer wieder zunehmender Schmerzen und einer Schwellneigung mit schmerzhaften Knochenkrepitationen (Knochenreiben) an den betroffenen Gelenken und einer verbliebenen Instabilität sein geliebtes Schwimmtraining habe aufgeben müssen. Dies bedeute eine sehr große Einschränkung des Wohlbefindens und der Lebensqualität des zuvor ambitionierten Triathleten.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Außerdem habe dies dem als Mediziner tätigen Kläger auch gezeigt, dass er lange, kraftaufwendige Operationen wie z.B. Hüft- und Knieendoprothetik nicht mehr durchführen konnte und er sich somit auch vom Operieren verabschieden musste. Nun arbeite der Kläger ausschließlich konservativ in seinem Beruf als Orthopäde und Unfallchirurg, was auch kaum zu beziffernde finanzielle Einbußen bedeute, wenn er als Unfallchirurg nicht mehr operieren könne.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Aktuell habe der Kläger erfreulicherweise zwar grundsätzlich den vollen Bewegungsumfang im rechten Schultergelenk erreicht. Er werde jedoch nach wie vor regelmäßig durch Schmerzen und Schwellneigung des Gelenks in seine Schranken verwiesen, sollte er im Alltag anstrengendere Dinge wie Rasenmähen oder Heckeschneiden verrichten wollen. Auch sei durch die Zerreißung der akromioklavikulären Bänder und die nicht verheilte Trümmerfraktur der ersten Rippe am Sternum mit einer verfrühten Arthrose und dadurch weiteren Einschränkungen zu rechnen. Bei passiver Bewegung des Gelenks sei im Übrigen bereits eine deutliche Krepitation spürbar, so dass davon auszugehen sei, dass sich im Gelenk bereits eine Arthrose entwickle.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Durch das Unfallgeschehen sei dem Kläger zudem ein erheblicher Sachschaden an seinem hochwertigen Rennrad entstanden. Ein zwischenzeitlich eingeholter Kostenvoranschlag weise einen Nettobetrag in Höhe von 2.489,58 € in Bezug auf Reparaturkosten aus. Auch der Fahrradhelm im Wert von 289,00 € sei bei dem Sturz irreparabel beschädigt worden. Das zum Unfallzeitpunkt ca. ein Jahr alte Rennrad habe der Kläger zu einem Wert von ca. 4.600,00 € bezogen und selbst die Laufräder Carbon Hochprofilfelgen für ca. 3.200,00 € ausgetauscht ebenso wie die Kurbel Sram Red Carbon für 439,00 € sowie zusätzlich an die Pedale ein Wattmesssystems Garmin Vector 2 im Wert von 799,00 € angebaut.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">1.      festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch über die von ihnen anerkannte Haftungsquote von 75 % hinaus verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus dem Verkehrsunfall vom 31.03.2017 in Engelskirchen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen sind oder noch übergehen werden;</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2.      die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von weiteren 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen;</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">3.      die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 2.478,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen;</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">4.      die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren 383,61 € freizustellen;</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Beklagten beantragen,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Sie sind der Ansicht, dass sich der Kläger ein 25 %-iges Mitverschulden an der Unfallentstehung anrechnen lassen müsse.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Der Kläger habe zum einen vor dem Unfall wahrnehmen können, dass das Beklagtenfahrzeug im Begriff gewesen sei einzuparken, so dass auch damit gerechnet werden konnte, dass die Tür möglicherweise geöffnet würde. Zum anderen hätten unfallunabhängige Zeugen sowie der Kläger selbst bestätigt, dass er durchaus gesehen habe, dass sich die Türe eines in einer Parktasche am Fahrbahnrand geparkten Pkw einen Spalt breit geöffnet habe. Der Seitenabstand könne maximal 45 cm betragen haben. Bei Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes wäre es zu einem Unfallereignis nicht gekommen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ein Schädel-Hirn-Trauma habe zu keinem Zeitpunkt bestanden; neurologische Auffälligkeiten hätten ausgeschlossen werden können. Die bei der am 27.04.2017 durchgeführten Kernspintomographie diagnostizierten Verletzungsbilder seien nicht unfallbedingt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Zum Fahrradschaden sowie zum Helmschaden erklären sich die Beklagten mit Nichtwissen. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass ein Fahrrad, welches bereits häufig genutzt worden sei, allenfalls noch die Hälfte des vorgestellten Betrages als Zeitwert innehabe.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Akten StA Köln 972 Js 3622/17 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 02.11.2021. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen I vom 12.04.2022 verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist insoweit teilweise unzulässig, als der Kläger mit dem Antrag zu 1. die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für bereits entstandene Schäden begehrt. Wie nicht zuletzt die Anträge zu 2. und 3. zeigen, ist ihm eine Bezifferung der Ansprüche aus dem Verkehrsunfall, der im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits mehr als drei Jahre und acht Monate zurücklag, ohne Weiteres möglich.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klage zulässig ist, ist sie im erkannten Umfang begründet.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG, 1 Satz 1 PflVG.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beklagten zu 1. spricht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall verschuldet zu haben, weil die Kollision mit dem Fahrrad des Klägers im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgte. Gemäß § 14 Abs. 1 StVO hatte sich der Beklagte zu 1. dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (OLG Celle, r+s 2019, 286 Rn. 15, beck-online). Dass der Beklagte zu 1. gegen diese Sorgfaltspflicht verstoßen hat, stellen die Beklagten nicht in Abrede, welche die Haftung grundsätzlich anerkannt haben und lediglich meinen, der Kläger müsse sich ein 25 %-iges Mitverschulden anrechnen lassen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Nach ständiger Rechtsprechung führt ein Verstoß gegen die höchsten Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr gemäß § 14 Abs. 1 StVO gegenüber einem nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer – Fahrradfahrer oder Fußgänger – regelmäßig zu einer Alleinhaftung des Pkw-Fahrers, -Halters und -Versicherers, wenn diesem nicht ein Verschulden nachgewiesen wird, weil auf Seiten des nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmers keine Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist (OLG Celle aaO, Rn. 16; vgl. auch die weiteren Nachweise bei: Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Auflage 2020, Rn. 389, beck-online).</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Ein Mitverschulden des Klägers (§§ 9 StVG, 254 BGB) ist demgegenüber aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles nicht anzunehmen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Kläger der Vorwurf eines nicht ausreichenden Seitenabstandes zu machen war.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Wie groß der Abstand im konkreten Fall zu sein hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Dabei kommt es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge an. Auf einer breiteren Straße ist ein größerer Abstand zu erwarten, wobei bei großen Fahrzeugen, wie Lastkraftwagen, die unter Umständen einen Luftsog verursachen, auch ein größerer Abstand erforderlich sein kann. Der Seitenabstand soll in der Regel so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen einer Fahrzeugtür noch möglich ist. 34 Zentimeter reichen hierfür nicht aus. 50 Zentimeter haben schon genügen können (OLG Celle, aaO, Rn. 22 m.w.N.).</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte hatte die Polizei zur Unfallörtlichkeit folgende Feststellungen getroffen, die auch von den Parteien des Rechtsstreits nicht bestritten worden sind:</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">„Bei der Unfallörtlichkeit handelt es sich um die gut ausgebaute L 136 in der Ortslage F. Die gesamte Fahrbahn ist 5,70m breit und hat je einen Fahrstreifen pro Fahrtrichtung. Die Fahrstreifen sind durch unterbrochene Leitlinien getrennt und die Fahrbahn besteht aus Schwarzdecke, welche trocken war. Beidseitig der Straße sich Parkstreifen angeordnet. Diese waren zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme überwiegend belegt und es herrschte hohes Verkehrsaufkommen.“</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dem ebenfalls in der Beiakte befindlichen Luftbild lässt sich außerdem entnehmen, dass die beiden Fahrstreifen bis kurz vor der Unfallstelle durch eine Verkehrsinsel getrennt waren, die eine leichte Verschwenkung der Fahrstreifen mit sich brachte (vgl. das Lichtbild Bl. 9 der Beiakte).</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Des Weiteren ist aufgrund der eigenen Angaben des Klägers davon auszugehen, dass er mit seinem Rad über 30 km/h schnell gefahren ist, die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit jedoch nicht überschritten hat.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Ferner mag davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 1. den Einparkvorgang erst kurz zuvor abgeschlossen hatte, bevor sich der Kläger mit seinem Fahrrad annäherte, und dass er die Fahrertür zunächst einen Spalt weit geöffnet hatte.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe einen Seitenabstand von lediglich 45 cm eingehalten, konnte in der durchgeführten Beweisaufnahme nicht bestätigt werden. Der Sachverständige I hat in seinem sorgfältig erarbeiteten Gutachten mit nachvollziehbarer Begründung dargelegt, warum mit technischen Mitteln nicht aufklärbar war, ob der Radfahrer einen Seitenabstand von 45 cm oder von maximal 65 cm zu dem parkenden PKW einhielt, wobei es sich jeweils um den Abstand des äußersten rechten Endes des Fahrradlenkers zur linken Seitenwand des Fahrzeuges handelte. Laut dem Sachverständigengutachten sei aufgrund der Schadensbilder und wegen fehlender ortsfester Spuren, insbesondere des Fahrradreifens, sowohl ein Seitenabstand von 45 cm als auch ein solcher von 65 cm plausibel. Letzterer ergebe sich aus der maximalen Öffnungsweite der Pkw-Tür, die bei 95 cm liege. Auch in diesem Fall habe der Radfahrer den asphaltierten Bereich der Fahrbahn rechts orientiert befahren.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Selbst unter Berücksichtigung des gefahrerhöhenden Umstandes, dass der Kläger mit seinem Rennrad deutlich schneller gefahren ist als die durchschnittliche Geschwindigkeit von Fahrrädern, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, keinen so großen Seitenabstand zum Fahrzeug des Beklagten zu 1. eingehalten zu haben, dass er selbst bei einer vollständigen Öffnung der Fahrertür nicht mit dieser kollidiert wäre. Jedenfalls mit seiner solch groben Unachtsamkeit durch den Beklagten zu 1. musste der Kläger nicht rechnen, selbst wenn ihm die Umstände Anlass zu der Annahme gaben, die Fahrzeugtür könne geöffnet werden.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Der Höhe nach hält das Gericht ein Schmerzensgeld von insgesamt 7.500,-- € für angemessen, auf das die Beklagten bereits 4.000,-- € gezahlt haben. Dem liegen sowohl die in dem Arztbrief des Vinzenz-Pallotti-Hospitals vom 02.04.2017 (Anlage K 3) niedergelegten unstreitigen Befunde als auch die sich aus dem Bericht der Praxis im Köln Triangle vom 28.04.2017 (Anlage K 4) ergebenden Diagnosen zugrunde. Warum letztere nicht unfallbedingt sein sollen, legen die Beklagten nicht substantiiert dar. Immerhin fand die zugrunde liegende Untersuchung nur vier Wochen nach dem Unfall statt und kommt zu ähnlichen Feststellungen wie der Arztbrief vom 02.04.2017. Die Abweichungen in der Beurteilung lassen sich ohne weiteres durch die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden erklären: Während anlässlich des stationären Aufenthaltes Röntgen- und CT-Bilder gefertigt wurden, wurde am 27.04.2017 eine Kernspintomographie durchgeführt.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Auch die vom Kläger geschilderten Beschwerden während des Heilungsprozesses sind plausibel und können zu seinen Gunsten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zugrunde gelegt werden.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Dagegen findet die Behauptung des Klägers, ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten zu haben und nach dem Unfall kurz bewusstlos gewesen zu sein, in den schriftlichen Befunden keine Stütze und ist daher ihrerseits nicht ausreichend substantiiert.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Da Verdienstausfall oder Ersatz eines Haushaltsführungsschadens nicht geltend gemacht werden, bedurfte es insofern keiner weiteren Aufklärung.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Was den Sachschaden betrifft, hält das Gericht den Vortrag des Klägers grundsätzlich für schlüssig. Dass sowohl das Rad als auch der Fahrradhelm bei dem schweren Unfall erheblich beschädigt wurden, ist vollkommen plausibel und ergibt sich auch aus den Feststellungen der Polizei vor Ort. Das beklagtenseitige – zulässige – Bestreiten mit Nichtwissen ist angesichts dessen nicht erheblich.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Allerdings schätzt das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO die Höhe des Vorteilsausgleichs („neu für alt“), den sich der Kläger anrechnen lassen muss, auf 50 %, so dass sich noch ein Anspruch in Höhe von 1.089,29 € ergibt (2.489,58 € + 289,-- € x 50 % ./. 300,-- €).</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die restlichen vorgerichtlichen Anwaltskosten sind auf Basis eines Geschäftswertes von 8.889,29 € als weitere materielle Schadensposition ersatzfähig, ohne dass Verzug vorliegen müsste.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO. Das Gericht ist bei dem teilweise unzulässigen Antrag zu 1. von einem 50 %-igen Unterliegen des Klägers ausgegangen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Streitwert:</span> 8.478,58 €</p>
346,382
vg-hannover-2022-08-02-2-a-406620
{ "id": 615, "name": "Verwaltungsgericht Hannover", "slug": "vg-hannover", "city": 325, "state": 11, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
2 A 4066/20
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-09-01T10:01:07"
"2022-10-17T11:09:38"
Urteil
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Klage wird abgewiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Tatbestand</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Klägerin begehrt die Zahlung weiterer Beihilfe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Klägerin ist Beamtin im Ruhestand und beihilfeberechtig mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 Prozent. Sie unterzog sich augenärztlicher Behandlungen, die ihr mit Schreiben vom 6. September 2019, 8. Oktober 2019, 23. Oktober 2019, 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 in Rechnung gestellt wurden. Sie stellte bei der Beklagten Beihilfeanträge, die von ihr wie folgt beschieden wurden:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><table border="1" class="Rsp"> <tr><th colspan="4" rowspan="1"></th></tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"><strong>Rechnungsdatum</strong></p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"><strong>Rechnungsbetrag</strong></p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"><strong>Beihilfefähig</strong></p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left"><strong>Differenz</strong></p></td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">23.10.2019</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">309,07 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">279,07 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">30,00 EUR</p></td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">28.10.2019</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">1.681,65 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">1.532,84 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">148,81 EUR</p></td> </tr> <tr> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">22.01.2020</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">1.448,06 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">1.299,25 EUR</p></td> <td colspan="1" rowspan="1" valign="top"><p style="text-align:left">148,81 EUR</p></td> </tr> </table></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>In der Rechnung vom 23. Oktober 2019 kürzte die Beklagte die Position „Feldreduktion gemäß EBM 40841“, da nur Kosten nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und nicht nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) berücksichtigt werden könnten. Die Rechnungen vom 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 kürzte die Beklagte um die Position „Elektrochirurgische Kapsulotomie i. Rahmen d. Cataract-Chirurgie, Analog GOÄ 1355, entspricht § 6 GOÄ“, da die Aufwendungen mit den Leistungen nach Ziff. 1375 GOÄ abgegolten seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die Klägerin legte gegen die Beihilfebescheide vom 22. November 2019 (betrifft die Rechnungen vom 23. Oktober 2019 und 28. Oktober 2019) und 26. Februar 2020 (betrifft die Rechnung vom 22. Januar 2020) mit Schreiben vom 26. November 2019 und vom 1. März 2020 Widerspruch ein. Den Widersprüchen half die Beklagte durch Nachberechnungsbescheide vom 28. Mai 2020 insoweit ab, als sie in Bezug auf die Rechnungsposition „Elektrochirurgische Kapsulotomie i. Rahmen d. Cataract-Chirurgie, Analog GOÄ 1355, entspricht § 6 GOÄ“ in den Rechnungen vom 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 jeweils einen Betrag in Höhe von 67,49 EUR als beihilfefähig anerkannte und jeweils 47,24 EUR auszahlte. Zur Begründung führte sie aus, dass sie die Aufwendungen für die zwar nicht berechnete, aber grundsätzlich im Rahmen der durchgeführten Operation berechnungsfähige Leistung der Ziff. 441 GOÄ für den Laserzuschlag anerkenne. Maximal beihilfefähig sei ein Betrag von 67,49 EUR, der für jede der Rechnungen als beihilfefähig anerkannt werde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Gegen die Nachberechnungsbescheide erhob die Klägerin erneut Widerspruch, den die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2020, zugestellt am 26. Juni 2020, zurückwies.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hat am 27. Juli 2020 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass das von der Augenklinik angewandte „Zepto-Kapsulotomie-System“ einen erheblichen medizinischen Mehrwert für den Patienten darstelle. Es erfülle die Funktion des Lasers bei Operationen am Grauen Star seit Jahren. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sprechen dagegen, Unklarheiten der Gebührenordnungen zulasten des Beihilfeberechtigten auszulegen, in dem dieser vor die Wahl gestellt werde, entweder auf sein Risiko eine rechtliche Auseinandersetzung über eine zweifelhafte Rechtsposition zu führen, oder den auf die Beihilfe entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrags selbst zu tragen. Aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. November 2016 - 1 K 4550/16 - lasse sich ableiten, dass in Bezug auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn die Verpflichtung zur vollständigen Übernahme von Beihilfeleistungen bestehe und die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen präjudiziert werde. Im Übrigen nimmt sie Bezug auf Stellungnahmen ihrer behandelnden Ärzte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die Klägerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">die Bescheide der Beklagten vom 22. November 2019 und vom 26. Februar 2020 sowie die Nachberechnungsbescheide vom 28. Mai 2020, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2020, zugestellt am 26. Juni 2020, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Beihilfeleistungen in vollem Umfang und ungekürzt zu bewilligen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Beklagte beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">die Klage abzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Sie trägt in Bezug auf die Rechnung vom 23. Oktober 2019 vor, dass für die streitige Position die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 GOÄ nicht erfüllt seien. Hiernach hätte die Leistung mit einer gleichwertigen Leistung der Gebührenordnung für Ärzte analog berechnet werden müssen. Auf der Grundlage von § 1 GOÄ könne es keine beruflichen Leistungen eines Arztes geben, die nicht Gegenstand der Gebührenordnung seien. In Bezug auf die Rechnungen vom 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 sei eine Abrechnungsfähigkeit auf Grundlage des § 6 Abs. 2 GOÄ i.V.m. Ziff. 1355 GOÄ nicht gegeben. Nach § 4 Abs. 2a Satz 1 GOÄ könne ein Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis sei, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechne. Die Systematik der Gebührenordnung verbiete es, eine komplexe Organisationsleistung und ihre Einzelschritte auszugliedern und diese im Wege der Analogberechnung separat zu honorieren. Es werde bestritten, dass die betreffende Kapsulotomie nicht als Bestandteil der Zielleistung der Katarakt-Operation nach Ziff. 1375 GOÄ anzusehen sei, da diese für den Patienten einen deutlichen Mehrwert darstelle. Nur weil eine Behandlungsmethode schonender sei, stelle sie keine eigenständige Leistung dar. Zudem dürften Ärzte keine Leistung berechnen, die lediglich eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach der Gebührenordnung für Ärzte darstelle. Dem Einsatz der Methode liege keine eigenständige Indikation zugrunde, sondern sie sei als unselbstständige Teilleistung der Zielleistung „Kataraktoperation“ anzusehen. Die Operation des Grauen Stars durch Entfernung der Linse werde nach Ziff. 1375 GOÄ vergütet. Damit seien alle Maßnahmen abgegolten, die in der Leistungsbeschreibung genannt seien, einschließlich der hier relevanten Kosten für die Kapseleröffnung (Kapsulorhexis). Der Einsatz dieser Methode hätte die Augenklinik nur dazu berechtigt, einen Zuschlag nach Ziff. 441 GOÄ und damit einen Betrag von höchstens 67,49 EUR pro Auge abzurechnen. Das entspreche auch der durch die Bundesärztekammer vertretenen Auffassung, wonach die Kapseleröffnung Bestandteil der eigentlichen Leistung „Extrakapsuläre Operation“ sei und entsprechend nicht gesondert in Rechnung gestellt werden dürfe. Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt könne sich die Klägerin auf einer Verletzung der Fürsorgepflicht berufen. Im Übrigen hätte sie sich vor Durchführung der Operation zur Beihilfefähigkeit der Behandlung erkundigen können.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Entscheidungsgründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Über die Klage konnte durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 87a Abs. 2, Abs. 3, 101 Abs. 2 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 80 NBG i.V.m. der Niedersächsischen Beihilfeverordnung. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (BVerwG, Urt. v. 29.7.2021 - 5 C 18.19 -, juris Rn. 9 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 NBhVO sind beihilfefähig die nachgewiesenen und angemessenen Aufwendungen für medizinisch notwendige, nach wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden erbrachte ärztliche, zahnärztliche, psychotherapeutische und heilpraktische Leistungen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 NBhVO richtet sich die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Ärzte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>1. Die streitige Kostenposition in der Rechnung vom 23. Oktober 2019 wurde nicht nach der Gebührenordnung für Ärzte, sondern nach dem auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 SGB V vereinbarten Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbands abgerechnet. Gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ können zwar selbständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis der Gebührenordnung für Ärzte nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Dies führt allerdings nicht dazu, dass der Einheitliche Bewertungsmaßstab als Abrechnungsgrundlage für Leistungen, die innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, zur Anwendung kommt, wenn die Gebührenordnung für Ärzte, die für die private Krankenversicherung bestimmt ist, eine bestimmte Kostenposition nicht aufführt. Grundvoraussetzung einer Analogberechnung nach § 6 Abs. 2 GOÄ ist, dass es sich um eine selbständige ärztliche Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1, § 6 Abs. 2 GOÄ handelt (BGH, Urt. v. 14.10.2021 - III ZR 350/20 -, juris Rn. 12). Es darf sich mithin nicht um eine Leistung handeln, die als unselbstständiger Teil einer anderen abgerechneten Leistung anzusehen ist und die folglich nach der Gebührenordnung für Ärzte gerade nicht separat in Rechnung gestellt werden kann.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Der Berichterstatter geht davon aus, dass die Rechnungsposition „Feldreduktion gemäß EBM 40841“ aus der Rechnung vom 23. Oktober 2019 Teil der Kostenposition „Bestrahlungsplan zu 5812 und 5813 je Bestrahlungsserie“ ist, die nach Ziff. 5810 der Anlage Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen abgerechnet wurde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Ziff. 5810, die sich auf eine hier vorliegende Orthovolt- oder Hochvoltstrahlenbehandlung bezieht, beinhaltet die „Erstellung eines Bestrahlungsplans für die Strahlenbehandlung nach den Nummern 5812 und 5813“. Weiter heißt es zu der Ziffer: „Der Bestrahlungsplan nach Nummer 5810 umfaßt Angaben zur Indikation und die Beschreibung des zu bestrahlenden Volumens, der vorgesehenen Dosis, der Fraktionierung und der Strahlenschutzmaßnahmen und gegebenenfalls die Fotodokumentation.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>In einer ergänzenden Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis Dr. med. D. u.a. vom 2. Dezember 2019, die auch die streitgegenständliche Rechnung ausgestellt hat, wird zur Position „Feldreduktion gemäß EBM 40841“ mitgeteilt, dass es in der Gebührenordnung für Ärzte noch keine neue/erweiterte Ziffer für eine detaillierte zu berechnende Planung mit Kostenpauschalen für die individuell angepassten Ausblendungen gebe. Daher werde die Pauschale des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs übernommen. Die Rechnungsposition beziehe sich auf die Bestrahlungsplanung bei der mit einer Feldreduktion Dokumentations- und auch Verifikationsaufnahmen angefertigt würden. Wie bereits dargestellt, ist die Bestrahlungsplanung von Ziff. 5810 der Anlage Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen umfasst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Kosten für individuell angepassten Ausblendungen sind nur bei einer hier nicht gegebenen Hochvoltstrahlenbehandlung bösartiger Erkrankungen gesondert abrechenbar. Unter Ziff. IV.3. Satz 4 der Allgemeinen Bestimmungen der Anlage Gebührenverzeichnis für ärztliche Leistungen, die eben solche Hochvoltstrahlenbehandlungen bösartiger Erkrankungen betrifft, heißt es: „Die Kosten für die Anwendung individuell geformter Ausblendungen (mit Ausnahme der Kosten für wiederverwendbares Material) und/oder Kompensatoren oder für die Anwendung individuell gefertigter Lagerungs- und/oder Fixationshilfen sind gesondert berechnungsfähig.“ Im Umkehrschluss können daher bei Orthovolt- oder Hochvoltstrahlenbehandlungen keine derartigen Kosten unter Hinzuziehung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs in Rechnung gestellt werden. Sie sind damit auch nicht beihilfefähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>2. Die Kostenposition „Elektrochirurgische Kapsulotomie i. Rahmen d. Cataract-Chirurgie, Analog GOÄ 1355, entspricht § 6 GOÄ“ in den Rechnungen vom 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 ist ebenfalls nicht beihilfefähig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>In den beiden Rechnungen wurde zunächst die Position „Grauer Star; extrakapsuläre Op. + intraokulare Linse“ nach Ziff. 1375 GOÄ abgerechnet. Zusätzlich erfolgte die Berechnung der Eröffnung der Linsenkapsel (Kapsulotomie) nach Ziff. 1355 GOÄ analog.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Die E. begründet die Berechnung in einem Schreiben vom 3. Dezember 2019, einer dem Schreiben beigefügten Anlage und einem Schreiben vom 24. Februar 2020 damit, dass im Rahmen der bei der Klägerin durchgeführten Operation ein neu entwickeltes Verfahren zur kreisrunden Eröffnung der Linsenkapsel (Kapsulotomie), das sogenannte „Zepto-Kapsulotomie-System“, angewandt worden sei. Zu Beginn einer jeden Star-Operation werde der vordere Teil des Linsensäckchens (Vorderkapsel) eröffnet, um die dahinterliegende eingetrübte menschliche Linse zu erreichen. Dieser Schritt, auch Kapsulotomie genannt, sei Voraussetzung für einen sicheren Abschluss der Operation. Eine reproduzierbare Kapsulotomie sei eine wesentliche Voraussetzung für eine reproduzierbare, stabile und präzise Brillenstärke nach der Operation. Bei der üblichen manuellen Kapsulotomie sei eine reproduzierbare Kapsulotomie nicht garantiert. Mit dem „Zepto-Kapsulotomie-System“ sei es möglich, die Präzision und Sicherheit der Kataraktoperation deutlich zu erhöhen. Die Lindenvorderkapsel werde in 100 Prozent der Fälle kreisrund mit einem Durchmesser von 5,0-5,2 mm eröffnet, was unter anderem die für eine gute Linsenposition nötige Überlappung der Linsenoptik mit dem Rand der Vorderkapsel sicherstelle. Die Methode sei deutlich schonender als eine manuelle Kapseleröffnung. Sie erhöhe erheblich die Reproduzierbarkeit, Präzision und Sicherheit des Eingriffs und stelle daher einen deutlichen Mehrwert für den Patienten dar. Sie sei nicht als Bestandteil der Zielleistung der Katarakt-Operation nach Ziff. 1375 GOÄ anzusehen und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch kein methodisch notwendiger Bestandteil einer Katarakt-Operation. Die Gebührenordnung für Ärzte sei ca. 25 Jahre alt und viele Methoden, die heute Standard seien, habe es seinerzeit nicht gegeben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Der Berichterstatter hält auch diese Kostenposition trotz der Ausführungen der E. nicht für beihilfefähig. Zur Begründung wird auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2021 - III ZR 350/20 -, juris Rn. 9 ff. verwiesen, das sich mit dem Einsatz eines Femtosekundenlasers bei der Katarakt-Operation befasst. Das Urteil ist kostenfrei abrufbar über die Internetseite des Bundesgerichtshofs (www.bundesgerichtshof.de/DE/Entscheidungen/entscheidungen_node.html), sodass auf eine Wiedergabe der vollständigen Entscheidungsgründe verzichtet wird (zur Zulässigkeit einer solchen Bezugnahme vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.4.1990 - 9 CB 5.90 -, juris Rn. 6, v. 22.11.1994 - 5 PKH 64.94 -, juris Rn. 4, u. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 -, juris Rn. 9; Lambiris in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Ed. 2020, § 117 Rn. 19a; Kilian/Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 117 Rn. 85). Zusammenfassen sei an dieser Stelle ausgeführt, dass das Gebührenverzeichnis der Gebührenordnung für Ärzte für den Einsatz eines Femtosekundenlasers bei der Katarakt-Operation nach Ziff. 1375 GOÄ keinen eigenen Vergütungstatbestand enthält. Grundvoraussetzung einer gesonderten Abrechnung des Einsatzes des Femtosekundenlasers im Rahmen einer Katarakt-Operation ist allerdings, dass es sich dabei um eine selbständige ärztliche Leistung im Sinne von §§ 4 Abs. 2 Satz 1, 6 Abs. 2 GOÄ handelt. Die herkömmliche Katarakt-Operation wird jedoch durch den Lasereinsatz nicht ersetzt, sondern lediglich hinsichtlich einzelner Teilschritte bei der Vorbereitung der Entfernung der getrübten Linse modifiziert, womit die Voraussetzungen einer „besonderen Ausführung“ im Sinne des § 4 Abs. 2a Satz 1 Alt. 2 GOÄ erfüllt sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Da die Leistungslegende der Nummer 1375 GOÄ das methodische Vorgehen lediglich als „Linsenkernverflüssigung (Phakoemulsifikation)“ beschreibt, ohne das hierfür verwendete Verfahren näher zu spezifizieren, ist es im Rahmen der Zielleistung „Operation des Grauen Stars mit Implantation einer intraokularen Linse“ unerheblich, ob einzelne vorbereitende Teilschritte händisch mittels herkömmlicher Schnitt- und Ultraschalltechnik oder unter Zuhilfenahme eines Femtosekundenlasers - als „besondere Ausführung“ im Sinne des § 4 Abs. 2a Satz 1 Alt. 2 GOÄ - durchgeführt werden. Der Operateur hat die Wahl: Er kann entweder „manuell-chirurgisch“ oder aber „femtosekundenlaser-assistiert“ vorgehen. Beide Methoden und Ausführungsarten zielen indes auf dieselbe in der Gebührenordnung für Ärzte abgebildete Zielleistung ab: Operation des Grauen Stars mittels Linsenkernverflüssigung (Phakoemulsifikation) und Einsetzen einer Kunstlinse. Der Einsatz des Femtosekundenlasers ist daher zwar nicht notwendiger Bestandteil dieser Operation (die auch ohne Einsatz dieser Technik vorgenommen werden kann), aber eine besondere (unselbständige) Ausführungsart. Eine eigenständige medizinische Indikation für den Einsatz eines Femtosekundenlasers bei einer Katarakt-Operation ergibt sich auch nicht daraus, dass die Lasertechnologie eine präzisere Schnittführung ermöglicht und durch die Reduzierung der benötigten Ultraschallenergie gegenüber der Standard-Katarakt-Operation für die Gewebestrukturen, die sich im Nahbereich der getrübten Linse befinden, schonender sein soll, insbesondere auf Grund einer geringeren Belastung des Hornhautendothels.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Nichts Anderes kann für das bei der Klägerin angewandte „Zepto-Kapsulotomie-System“ gelten, denn auch diese Ausführungsart zielt wie der Femtosekundenlaser auf dieselbe in der Gebührenordnung für Ärzte abgebildete Zielleistung ab und stellt lediglich eine für den Operateur mögliche Behandlungsmethode dar. Ausweislich der Beschreibung der E. handelt es sich um „ein neues Verfahren zur automatisierten Kapsulotomie in der Cataract-Chirurgie“, das die Reproduzierbarkeit, Präzision und Sicherheit des Eingriffs erheblich erhöhe. Es handelt sich folglich auch hier „nur“ um eine besondere (unselbständige) Ausführungsart der Katarakt-Operation ohne eigenständige medizinische Indikation.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Dass ein von der Standardmethode abweichendes ärztliches Vorgehen bei der Klägerin zwingend medizinisch geboten gewesen war, ist nicht ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Aus den dargelegten Gründen folgt der Berichterstatter nicht dem von der Klägerin zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. November 2016 - 1 K 4550/16 -. Daraus, dass bei vergleichbaren Operationen die Behandlungskosten vollständig übernommen worden seien, kann die Klägerin ebenfalls keine Rechte für sich herleiten, denn ein Anspruch besteht nach den beihilferechtlichen Vorschriften nicht; eine Gleichbehandlung im Unrecht kann nicht verlangt werden. Ob die Klägerin eine Verpflichtung hatte, sich im Vorhinein über die Beihilfefähigkeit der Behandlungskosten zu informieren, ist unerheblich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht die Pflicht zur vollständigen Übernahme ärztlicher Behandlungskosten. Die Niedersächsische Beihilfeverordnung ist eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten. Die Fürsorgepflicht ergänzt die ebenfalls in Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Alimentationspflicht des Dienstherrn. Sie fordert, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten bzw. Versorgungsempfänger und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt oder Tod sicherstellt. Ob er diese Pflicht über eine entsprechende Bemessung der Dienstbezüge, über Sachleistungen, Zuschüsse oder in sonst geeigneter Weise erfüllt, bleibt von Verfassungs wegen seiner Entscheidung überlassen. Für die genannten besonderen Belastungssituationen wird die Fürsorgepflicht grundsätzlich abschließend durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Im Bereich der Krankenvorsorge verpflichtet sie den Dienstherrn, den Beamten bzw. Versorgungsempfänger von in Hinblick auf seine Alimentation unzumutbaren und unabwendbaren Belastungen freizuhalten, gebietet aber keine lückenlose Erstattung aller krankheitsbedingten Kosten (vgl. zur Bundesbeihilfeverordnung BVerwG, Urt. v. 2.4.2014 - 5 C 40.12 -, juris Rn. 19 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>Beschluss</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 134,85 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p style="margin-left:90pt"><strong>Gründe</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>In Bezug auf die Rechnung vom 23. Oktober 2019 wurde ein Betrag in Höhe von 30,00 EUR, bei den Rechnungen vom 28. Oktober 2019 und vom 22. Januar 2020 ein Betrag in Höhe von jeweils 81,32 EUR, mithin ein Gesamtbetrag von 192,64 EUR als nicht beihilfefähig beschieden. 70 Prozent dieser Summe (Beihilfebemessungssatz der Klägerin) ergeben 134,85 EUR.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006917&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,334
olgd-2022-08-02-2-ws-15222
{ "id": 820, "name": "Oberlandesgericht Düsseldorf", "slug": "olgd", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
2 Ws 152/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-27T10:01:32"
"2022-10-17T11:09:33"
Beschluss
ECLI:DE:OLGD:2022:0802.2WS152.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.</p> <p>Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td></td> <td></td> <td></td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 25. Februar 2022 in Untersuchungshaft. Er wurde vom 25. Februar 2022 bis zum 26. Februar 2022 und nochmals vom 4. März 2022 bis zum 9. März 2022 in dem H.-Klinikum, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in R., stationär behandelt. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt: Panikstörung (F41.0) und rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Vom 10. März 2022 bis zum 12. April 2022 befand sich der Angeschuldigte im Justizvollzugskrankenhaus F., Abteilung für Psychiatrie. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt: posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) und Anpassungsstörung (F43.2).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben des Verteidigers vom 21. April 2022 hat der Angeschuldigte gegenüber der Justizvollzugsanstalt seine (erneute) Verlegung in das Justizvollzugskrankenhaus F., hilfsweise in ein „öffentliches Krankenhaus“ beantragt. Mit Schreiben vom 22. April 2022 hat die Justizvollzugsanstalt diesen Antrag mit dem Bemerken (konkludent) abgelehnt, dass die zuständige Ärztin der psychiatrischen Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses F. keine Veranlassung gesehen habe, den Angeschuldigten weiter dort zu behalten oder in ein externes Krankenhaus auszuführen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Auf den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Angeschuldigten hat das nach Anklageerhebung zuständige Landgericht die Justizvollzugsanstalt unter Aufhebung ihrer Entscheidung vom 22. April 2022 mit Beschluss vom 17. Juni 2022 verpflichtet, den Verlegungsantrag des Angeschuldigten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die Beschwerde der Justizvollzugsanstalt, die mit E-Mail vom 5. Juli 2022 an das Landgericht übermittelt worden ist.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die nach § 119a Abs. 3 StPO statthafte Beschwerde der Justizvollzugsanstalt ist unzulässig, da bei der Einlegung mittels E-Mail kein sicherer Übermittlungsweg nach Maßgabe des § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO gewählt wurde und dieser Mangel durch das Ausdrucken der beigefügten Word-Textdatei bei dem Landgericht nicht geheilt wurde.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die E-Mail ist von dem persönlichen E-Mail-Account einer Bediensteten der Justizvollzugsanstalt an die elektronische Poststelle des Landgerichts versandt worden. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO, wonach im elektronischen Rechtsverkehr bei der Absendung ein nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichtetes Behördenpostfach (sog. besonderes elektronisches Behördenpostfach, § 6 ERVV) zu verwenden ist. Der vorliegend gewählte Übermittlungsweg stellt keinen sicheren Übermittlungsweg dar.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Abgesehen davon ist das beigefügte elektronische Dokument nicht in dem vorgeschriebenen Dateiformat PDF (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV), sondern als Word-Textdatei (docx) an das Landgericht übermittelt worden. Hierauf und das Unterbleiben eines Hinweises nach § 32a Abs. 6 Satz 1 StPO kommt es nach Maßgabe des § 32a StPO indes nicht weiter an, da es bereits an einem sicheren Übermittlungsweg fehlt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Dieser Mangel ist durch das Ausdrucken der Word-Textdatei bei dem Landgericht nicht geheilt worden.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der 2. Strafsenat hat in diesem Zusammenhang bereits in anderer Sache ausgeführt (Beschluss vom 10. März 2020, III-2 RVs 15/20, NJW 2020, 1452, 1453):</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">„Der Senat ist der Auffassung, dass die besonderen gesetzlichen Regelungen, die im Interesse des Integritäts- und Authentizitätsschutzes für den elektronischen Rechtsverkehr gelten, abschließend sind und es bei Nichteinhaltung der dortigen Anforderungen nicht gerechtfertigt ist, nach dem Ausdrucken der elektronischen Dokumente Formerleichterungen zuzulassen (vgl. BFH NJW 2012, 334; OVG Bautzen NVwZ-RR 2016, 404; BSG NJW 2017, 1197; FG Köln MMR 2018, 630; SG Freiburg BeckRS 2018, 25212; VG Gera LKV 2019, 141; Müller NZS 2015, 896, 898 u. AnwBl 2016, 27, 29).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Hat der Absender den Weg der elektronischen Übermittlung gewählt, muss er sich an den hierfür geltenden gesetzlichen Anforderungen festhalten lassen. Es ist grundsätzlich nicht angezeigt, bei deren Fehlen gleichsam freibeweislich in eine Prüfung einzutreten, ob sich aus dem ausgedruckten elektronischen Dokument oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der unbedingte Wille, das Schreiben (hier: Einlegung der Revision) an das Gericht zu übermitteln, hinreichend sicher ergeben. Auch kann es für die Wahrung der Schriftform nicht darauf ankommen, wie sich das Gericht bei Eingang eines elektronischen Dokumentes, das den Anforderungen des § 32a StPO nicht genügt, verhält, ob es also durch Ausdrucken ein verkörpertes Schriftstück erstellt oder aber die Datei nur digital in seinem Postfach belässt (oder gar löscht).“</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Eine „Heilung“ des Formmangels durch Ausdrucken scheidet jedenfalls aus, wenn das elektronische Dokument - wie hier die systemschriftliche Word-Textdatei - keinen eingescannten Schriftsatz enthält, der ein Abbild des unterzeichneten Originals bzw. der mit Unterschrift und ggf. Dienstsiegel beglaubigten Abschrift darstellt.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">3.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Bundesgerichtshof (XII. Zivilsenat) hat entschieden, dass eine Beschwerdeschrift nach dem Ausdrucken in schriftlicher Form eingereicht ist, wenn diese im Original unterzeichnet, eingescannt und im Anhang einer elektronischen Nachricht als PDF-Datei übermittelt wurde (vgl. BGH NJW 2015, 1527; NJW 2019, 2096).</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Eine Vorlegungspflicht nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG besteht für den Strafsenat eines Oberlandesgerichts auch dann, wenn dieser von der Entscheidung eines Zivilsenats des Bundesgerichtshofs abweichen will (vgl. BGHSt 13, 373; Feilcke in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 121 GVG Rdn. 18).</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Eine entscheidungserhebliche Abweichung liegt wegen des anders gelagerten Sachverhaltes hier indes nicht vor. Denn die vorliegende Entscheidung des Senats bezieht sich auf das Ausdrucken einer Word-Textdatei ohne Unterschrift bzw. ohne unterzeichneten Beglaubigungsvermerk, nicht auf das Ausdrucken einer PDF-Datei, die das Abbild eines unterzeichneten Originals bzw. einer mit Unterschrift und ggf. Dienstsiegel beglaubigten Abschrift darstellt.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Anzumerken ist, dass die Beschwerde im Falle zulässiger Einlegung in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">„Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 17. Juni 2022 im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer das ihm im Rahmen von § 46 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW; § 24 Abs. 1 UVollzG NRW zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">§ 46 Abs. 1 StVollzG NRW - welcher nach § 24 Abs. 1 UVollzG NRW auch für Untersuchungshäftlinge gilt - sieht vor, dass erkrankte Gefangene durch die Justizvollzugsanstalt in ein Justizvollzugskrankenhaus überstellt oder in eine für die medizinische Behandlung und Betreuung besser geeignete Anstalt verlegt werden können. Die Norm billigt der Justizvollzugseinrichtung, in der der erkrankte Gefangene inhaftiert ist, damit einen Ermessensspielraum zu.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die gerichtliche Nachprüfung im Rahmen von § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO ist - nach allgemeinen Grundsätzen - regelmäßig auf die Einhaltung von Ermessensgrenzen beschränkt (Schultheis, in: KarlsruherKomm-StPO, 8. Aufl. 2019, § 119a Rn. 9; Decker, in: BeckOK-VwGO, 61. Ed. Stand 1. April 2022, § 114 Rn. 26). Das Gericht ist indes nicht befugt, eine Ermessensentscheidung der Behörde durch eine eigene Entscheidung, die es für sachdienlicher hält, zu ersetzen (vgl. Wolf, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 59). Die behördliche Entscheidung ist demgemäß lediglich auf einen etwaigen Ermessensausfall, eine Ermessensüber- oder -unterschreitung und einen Ermessensfehlgebrauch hin zu überprüfen (vgl. Decker a.a.O., § 114 Rn. 14; Wolf a.a.O., § 114 Rn. 84). Ein Ermessensfehlgebrauch kann insbesondere anzunehmen sein, wenn die Behörde ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (vgl. Decker a.a.O.; Wolf a.a.O., § 114 Rn. 162a, 189 f.).</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Nach dieser Maßgabe hat die Kammer den Bescheid des Beschwerdeführers vom 22. April 2022 im Ergebnis zu Recht aufgehoben und dem Beschwerdeführer aufgegeben, den Angeschuldigten unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu verbescheiden. Der aufgehobene Bescheid leidet an einem Ermessensdefizit, da er wesentliche Sachverhaltsumstände im Rahmen der dort getroffenen Entscheidung unberücksichtigt lässt.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Für die diesbezügliche Beurteilung kommt es - nach wohl überwiegender Auffassung - regelmäßig auf den Zeitpunkt der behördlichen (Ermessens-)Entscheidung an (vgl. Decker a.a.O., § 113 Rn. 21 f.). Insoweit ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass er - anders als die Kammer meint - das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 14. Juni 2022 denknotwendig überhaupt nicht in seine Entscheidung einbeziehen konnte. Ebenso verhält es sich hinsichtlich der ärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 10. Mai 2022 (vgl. Bd. II Bl. 295 f. d. ZA.).</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Gleichwohl greift der angefochtene Bescheid insofern zu kurz, als er seine Einschätzung einzig auf die in entscheidungserheblichem Zusammenhang wenig aussagekräftige und von der Grundannahme her verfehlt erscheinende Stellungnahme des JVK F. über den dortigen stationären Aufenthalt des Angeschuldigten (vgl. Bd. II Bl. 277a ff. d. ZA.) gründet. Dieselbe erschöpft sich im Wesentlichen in der Feststellung, dass im Rahmen des dortigen, geschützten Settings die seitens des Angeschuldigten bekundeten psychopathologischen Auffälligkeiten im Wesentlichen nicht hätten festgestellt werden können. Insofern sei von einer schlichten „Anpassungsstörung“ auszugehen und der Angeschuldigte in die JVA W. zurückzuverlegen (vgl. Bd. II Bl. 285 f. d. ZA.). Einen validen Rückschluss auf das Verhalten respektive den psychischen Zustand des Angeschuldigten in einer Haftanstalt ermöglichen diese Feststellungen indes nicht. Auch setzt sich das Justizvollzugskrankenhaus nicht mit den seitens des H.-Klinikums getroffenen (aktenkundigen) Diagnosen in deren Entlassungsberichten vom 26. Februar 2022 bzw. 9. März 2022 auseinander (vgl. Bd. II Bl. 201 ff., 212 ff. d. ZA.). Gleiches gilt in Bezug auf den angefochtenen Bescheid, welcher überdies etwaige Erkenntnisse der dortigen Anstaltspsychologin B. (vgl. hierzu Bd. II Bl. 330 d. ZA.) außer Acht lässt.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Aufgrund dieser Defizite ist der Bescheid des Beschwerdeführers rechtswidrig (vgl. Wolf a.a.O, § 114 Rn. 162a, 190) und war demzufolge aufzuheben.“</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dem schließt sich der Senat an.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks"><strong>IV.</strong></p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und aus § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO in entsprechender Anwendung.</p>
346,324
olgsh-2022-08-02-12-u-18521
{ "id": 1070, "name": "Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht", "slug": "olgsh", "city": null, "state": 17, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
12 U 185/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-27T10:00:41"
"2022-10-17T11:09:31"
Urteil
ECLI:DE:OLGSH:2022:0802.12U185.21.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Auf die Berufung des Klägers wird das am 20. Januar 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.737,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2021 zu zahlen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Kosten im ersten Rechtszug fallen der Beklagten zu 80 % und dem Kläger zu 20 % zur Last. Die Kosten im zweiten Rechtszug hat der Kläger zu tragen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz nach einem Fahrzeugkauf im Zusammenhang mit dem sog. „Diesel-Skandal“ in Anspruch. Er kaufte am 5. August 2013 von dem Autohaus I. GmbH in H., einer Vertragshändlerin der Beklagten, als Neuwagen das Fahrzeug VW Tiguan Sport & Style 2.0 TDI zum Kaufpreis von 33.750 € (vgl. korrigierter Vortrag im Berufungsrechtszug, Bl. 325 d. A.). Im Fahrzeug ist der von der Beklagten hergestellte Motor EA189 eingebaut, der vom sog. „Diesel-Abgasskandal“ betroffen ist. Am 17. August 2020 veräußerte der Kläger das Fahrzeug an einen Dritten für 8.000 €.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Der Kläger hat behauptet, zum Zeitpunkt des Verkaufs an den Dritten habe die Laufleistung bei 140.832 km gelegen. Die Beklagte habe ihn sittenwidrig durch den Einbau einer illegalen Abschalteinrichtung getäuscht. Durch das zur Behebung durchgeführte Software-Update, durch das ein „Thermofenster“ implementiert worden sei, sei er von der Beklagten erneut sittenwidrig getäuscht worden. Er hat erstinstanzlich zuletzt Schadensersatz in Höhe des von ihm gezahlten Kaufpreises abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 8.000 € und einer ins Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend gemacht. Die Klage wurde im Dezember 2020 eingereicht und am 11. Februar 2021 an die Beklagte zugestellt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Die Klage hat das Landgericht wegen Eintritts der Verjährung abgewiesen. Auch ein Anspruch aus § 852 BGB sei unbegründet, denn der Kläger habe bis zuletzt und trotz ausdrücklichen Hinweises nicht vorgetragen, ob er das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben habe. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die Ansprüche weiter, reduziert aber seine Forderung, da die erstinstanzlich angegebenen Kaufpreishöhe von 35.535 € unrichtig gewesen sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der Senat hatte den Kläger zunächst darauf hingewiesen, dass seine Berufung im Sinne des § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich unbegründet ist, weil nicht vorgetragen wurde, ob es sich vorliegend um ein Neufahrzeug handelt. Hierauf hat der Kläger unter Bezugnahme auf erstinstanzlich eingereichte Anlagen vorgetragen, dass es sich um den Kauf eines Neufahrzeugs handelte. Dies ist seitens der Beklagten nicht bestritten worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Die zulässige Berufung ist begründet. Die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Mit dem Landgericht ist zwar davon auszugehen, dass ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB zwischenzeitlich verjährt ist (1.) und zur Anspruchsbegründung auch nicht an die Aufspielung des sogenannten „Updates“ angeknüpft werden kann (2.). Allerdings haftet die Beklagte gleichwohl aus dem Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 BGB (3.), der der Höhe nach zur selben Rechtsfolge führt wie die ursprüngliche Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB (4.). Da erst im Berufungsrechtszug erfolgter Vortrag dem Kläger zum Klagerfolg verhilft, trifft ihn für die Berufungsinstanz die Kostenpflicht (5.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>1.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Der hier vorliegende Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs mit EA-189-Motor und eingebauter unzulässiger Abschaltsoftware stellt inzwischen die geradezu klassische Situation einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung dar, welche auch durch den späteren Einbau des Updates nicht als solche entfallen ist (grundlegend BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 ff.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Gegen die Haftung spricht lediglich, dass die erst im Dezember 2020 erfolgte Klagerhebung nicht mehr geeignet war, die dreijährige Verjährung (§ 199 BGB) zu hemmen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Es kann dahinstehen, ob der Kläger hinreichende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Dieselabgasproblematik bereits im Herbst 2015 erlangen konnte. Jedenfalls hat die Beklagte, beginnend mit Februar 2016, Fahrzeugeigner über das Kraftfahrtbundesamt angeschrieben, weshalb bis Ende 2016 auch der Kläger hinreichende Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal erlangen konnte, also mit seiner Unkenntnis als grob fahrlässig i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu bezeichnen wäre. Zum Jahresende 2019 war damit Verjährung eingetreten. Da der Kläger sich auch nicht an einer Musterfeststellungsklage beteiligt hat, kann er sich auch nicht insoweit auf eine hierdurch bewirkte Verjährungshemmung berufen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>2.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Aus dem Aufspielen des Softwareupdates kann der Kläger keinen Schadensersatz, dessen Berechnung auf der Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug beruht, herleiten. Denn das Software-Update kann für den Kauf des Fahrzeugs, da es ihm nachfolgte, keine kausale sittenwidrige Schädigung des Klägers darstellen. Für eine erneute sittenwidrige Schädigung müsste der Kläger einen Schaden substantiiert darlegen, der sich (unabhängig vom Fahrzeugerwerb) lediglich auf die durch das Update zurückführbaren negativen Vermögensfolgen bezieht. Dies ist hier nicht erfolgt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>3.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Letztlich kommt es hierauf allerdings nicht entscheidend an, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 6.737,68 € aus § 852 BGB.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Nach § 852 Satz 1 BGB ist der Ersatzpflichtige nach dem Eintritt der Verjährung zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet, wenn er durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>So liegt der Fall hier. Der Beklagte hat durch den Verkauf des Neuwagens über die Verkäuferin den Kaufpreis für das Fahrzeug erlangt (vgl. BGH Urteil vom 21.02.2022, Az. VIa ZR 8/21, NJW-RR 2022, 740 ff.; OLG München, Urteil vom 27.09.2021, Az. 3 U 1705/21, BeckRS 2021, 28126, Rn. 49). Der Zufluss erfolgte abzüglich einer Händlermarge (vgl. BGH, Urteil vom 13.06.2022, Az. VIa ZR 680/21, NZG 2022, 938, Presseinformation; BGH, Hinweisbeschluss vom 09.05.2022, Az. VIa ZR 555/21, BeckRS 2022, 15662, Rn. 23 bei Beck-Online).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Es handelt sich vorliegend um einen Neuwagen. Dies hat der Kläger im zweiten Rechtszug erstmals ausdrücklich vorgetragen. Eine Präklusion dieses Vorbringens nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO kommt nicht in Betracht, denn neues unstreitiges Vorbringen ist stets zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.05.2018, Az. XI ZR 538/17, NJW 2018, 2269, 2271; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 531, Rn. 20). So liegt der Fall hier. Die Beklagte ist dem neuen Vorbringen nicht entgegengetreten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>4.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Es kann vorliegend dahinstehen, wie hoch die abzuziehende Händlermarge im vorliegenden Fall konkret war, denn jedenfalls liegt sie unterhalb des Betrages, den sich der Kläger ohnehin anrechnen lassen muss, weil gezogene Nutzungen und der durch den Fahrzeugverkauf erzielte Erlös abzuziehen sind, da der Anspruch des § 852 BGB dem Anspruch aus § 826 BGB folgt (vgl. BGH, a.a.O, NJW-RR 2022, 740 ff., Rn. 83 bei Beck-Online).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Dies ergibt hier folgende Rechnung:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Vom Kaufpreis in Höhe von 33.750 € sind die gezogenen Nutzungen abzuziehen, die hier (§ 287 ZPO) 19.012,32 € betragen, denn der Kläger hat bei einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 250.000 km zwischen Erwerb und Veräußerung 140.832 km zurückgelegt (für die Einzelheiten zur Berechnungsformel wird auf BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, 2797 verwiesen). Eine höhere Laufleistung hat die insoweit darlegungspflichtige Beklagte nicht nachgewiesen. Abzuziehen ist zudem der erzielte Erlös aus dem Weiterverkauf in Höhe von 8.000 €. Mithin ist hier im Wege der Vorteilsausgleichung vom Kaufpreis bereits ein Anteil in Höhe von rund 80 % abzuziehen. Dass die Händlermarge vorliegend größer als 80 % war, ist weder vorgetragen noch wäre eine solche Händlermarge auch nur ansatzweise plausibel.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Im Übrigen kann die Beklagte dem Anspruch aus § 852 BGB weder ihre eigenen Aufwendungen noch, wegen §§ 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB, eine Minderung der Bereicherung entgegenhalten (vgl. BGH, a.a.O, NJW-RR 2022, 740 ff., Rn. 86 bei Beck-Online).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>5.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 97 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 BGB.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Obwohl der Kläger, der sich bereits mit der Klage Nutzungen anrechnen ließ, in der Sache mit der Klage überwiegend Erfolg hat, trägt er 20 % der Kosten im ersten Rechtszug sowie die Kosten der Berufung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Für den ersten Rechtszug ist dies der Zuvielforderung aufgrund der erhöhten (falschen) Angabe des Kaufpreises geschuldet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Für den zweiten Rechtszug folgt dies aus § 97 Abs. 2 ZPO. Hiernach sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war. So liegt der Fall hier. Der Kläger hätte bereits im ersten Rechtszug vortragen können, dass er das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben hat und wäre dann bereits vor dem Landgericht (überwiegend) siegreich gewesen. Die Durchführung des Berufungsverfahrens ist einzig auf diese unterbliebene Angabe zurückzuführen. Auch auf den im Termin vor dem Landgericht am 1. September 2021 erteilten gerichtlichen Hinweis auf den fehlenden diesbezüglichen Vortrag (vgl. 283 d. A.) erfolgten im nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 7. September 2021 (vgl. Bl. 287 ff. d. A.) keine Ausführungen zu dieser Frage. Der Vortrag des Klägers zur Neuwageneigenschaft seines Fahrzeugs war auch nicht aus dem Gesichtspunkt entbehrlich, dass aus den von ihm eingereichten Anlagen evtl. hätte geschlossen werden können, dass es sich vorliegend um den Erwerb eines Neuwagens handelte. Anlagen können den Vortrag einer Partei erläutern, diesen aber nicht ersetzen (vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2007, Az. II ZR 111/05, NJW 2008, 69, 71). Hier kommt hinzu, dass der Kläger in beiden Rechtszügen teilweise umfangreich dazu ausführt hat, der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei auch bei Gebrauchtfahrzeugen eröffnet. Da infolge der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Neuwageneigenschaft der Anspruch aus § 852 BGB steht und fällt, stellt es einen eklatanten Fall der unsorgfältigen Prozessführung dar, sein Vorbringen über hunderte von Seiten zu erstrecken, aber gerade zu dieser Frage erst in der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats gemäß § 522 Abs. 2 ZPO konkret vorzutragen.</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,152
ovgnrw-2022-08-02-7-b-62422
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 B 624/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:50"
"2022-10-17T17:55:52"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0802.7B624.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 1189/21 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.4.2021 in der Fassung der Modifizierung durch Schreiben vom 2.7.2021 wiederherzustellen,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">bzw. anzuordnen, soweit dem Antragsteller hierdurch ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro angedroht wird,</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">abgelehnt und ausgeführt, die Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus, da die angefochtene Ordnungsverfügung aller Voraussicht nach rechtmäßig sei. Der Antragsteller sei der durch Baulast übernommenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, eine den bauordnungsrechtlichen Vorschriften und Anforderungen entsprechende Herstellung der (gesamten) Zufahrt- und Aufstellfläche für Feuerwehrfahrzeuge anzulegen, nicht nachgekommen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Richtigkeit dieser Beurteilung hat der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Soweit er geltend macht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhe auf einem Irrtum über die tatsächlichen Verhältnisse, das Argument, die Feuerwehrzufahrt sei nicht gewährleistet, sei nicht richtig, jedenfalls im linken Bereich der Einfahrt sei der Unterbau ordnungsgemäß eingebracht und verdichtet worden, es erschließe sich nicht, worin die objektiven Anhaltspunkte für eine fehlende Eignung des Ausbauzustandes lägen, rechtfertigt dieses Vorbringen kein anderes Ergebnis. Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, nach den Feststellungen der Kammer im Ortstermin führe die Zufahrt auch unter Hinzurechnung des mit Rasengittersteinen belegten Bereichs nicht über die nach der Baulast erforderliche Breite und verlaufe nicht in dem nach dem Lageplan vorgesehenen Bereich. Die Richtigkeit dieser Beurteilung hat der Antragsteller nicht erschüttert. Im Gegenteil räumt er ein, dass in "formeller Hinsicht" der Istzustand der Zufahrt in dem vom Haus aus gesehen rechten Bereich vom Sollzustand nach der Baulast abweiche und hat einen entsprechenden Plan mit einer farblichen Markierung der betroffenen Fläche vorgelegt. Schon angesichts dieser Abweichung führt der von ihm geltend gemachte Irrtum des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der erforderlichen Breite der Zufahrt auf Höhe des Zaunes zu keinem anderen Ergebnis.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Einwand, bereits zum jetzigen Zeitpunkt sei ein Äquivalent im Sinne einer Benutzbarkeit des Einfahrtbereiches als Feuerwehrzufahrt gegeben, im Plan müsse lediglich ein Versatz um einen halben bis einen Meter vorgenommen werden, ist irrelevant. Der Antragsteller macht damit der Sache nach ein Austauschmittel i. S. d. § 21 OBG NRW geltend. Das Anbieten eines gleich wirksamen Austauschmittels berührt aber nicht die materielle Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Ordnungsverfügung, sondern allein die Rechtmäßigkeit der anschließenden Vollstreckung.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.7.2022 - 7 E 379/22 -, n. v.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers ist die angefochtene Ordnungsverfügung hinreichend bestimmt. Der Senat verweist insoweit auf die umfassende Begründung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Beschluss, der der Antragsteller mit seinem Vortrag, es könne nicht richtig sein, wenn in der Ordnungsverfügung - obwohl es nur um den vorderen Bereich der Einfahrt gehe - generalisierend auf die gesamte Zufahrt abgestellt werde, nichts Durchgreifendes entgegensetzt.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Soweit der Antragsteller geltend macht, die Forderung nach einer Fachunternehmerbescheinigung sei überzogen, da keine erheblichen Zweifel an einer Standsicherheit der Rasengitter bestünden, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, die Forderung nach der Vorlage einer Fachunternehmerbescheinigung über die Feuerwehrwehrzufahrt sei aufgrund des vor Ort vorgefundenen und sich aus den Lichtbildern im Verwaltungsvorgang ergebenden Zustandes des Zufahrtsbereichs nicht zu beanstanden, es sei auch nicht ersichtlich, dass kein Fachunternehmen über die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung des Untergrunds zum Befahren mit Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen verfüge. Dem hält der Antragsteller entgegen, eine ausreichende Eignung der Rasengitter habe selbst bei der Antragsgegnerin niemand in Zweifel gezogen. Dies steht jedoch im Widerspruch zum Vortrag der Antragsgegnerin mit Schriftsätzen vom 22.12.2021 und 1.3.2022, aufgrund der vorgelegten Unterlagen lasse sich die Tragfähigkeit des Untergrundes der Feuerwehrzufahrt nicht beurteilen und es sei nach wie vor unklar, wie genau der Untergrund des streitgegenständlichen Grundstücks beschaffen sei. Auch mit dem Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller die Beschaffenheit des Untergrundes nicht hinreichend dargelegt. Ob die von der Antragsgegnerin befürchtete fehlende Tragfähigkeit des Untergrundes der Zufahrt (auch) vom baulichen Zustand der Straße durch Überflutungen des Grundstücks des Antragstellers - wie dieser geltend macht - herrühren könnte, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung irrelevant.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg bleibt auch der Vorwurf des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es nicht darauf hingewiesen habe, welche objektiven Anhaltspunkte für eine fehlende Eignung des Ausbauzustandes sprächen bzw. dass kein Antrag auf Verlegung der Zufahrt gestellt worden sei. Diese Fragen waren im Übrigen Gegenstand der genannten Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 22.12.2021 und 1.3.2022.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,131
lsgsh-2022-08-02-l-9-so-7122-b-er
{ "id": 1068, "name": "Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht", "slug": "lsgsh", "city": null, "state": 17, "jurisdiction": "Sozialgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
L 9 SO 71/22 B ER
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-10T10:02:47"
"2022-10-17T17:55:49"
Beschluss
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 21. Juni 2022 wird zurückgewiesen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H, K zu gewähren, wird abgelehnt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Mit Beschluss vom 21. Juni 2022 hat das Sozialgericht Kiel den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum 30. November 2022 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu zahlen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die dagegen am 20. Juli 2022 nur vom Antragsteller mit dem Begehren erhobene Beschwerde, anstelle des Beigeladenen die Antragsgegnerin zur Zahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölfte Buch (SGB XII) zu verpflichten, bleibt erfolglos.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 173 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist statthaft, weil der Wert des Gegenstands der begehrten SGB-XII-Leistungen bei isolierter Betrachtung die Wertgrenze von 750,00 EUR übersteigt (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Es dürfte vor dem Hintergrund, dass durchaus ein berechtigtes Interesse auf die richtige Sozialleistung bestehen kann und ein solches Interesse hier geltend gemacht ist, auch nicht von vornherein am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Nach Ansicht des erkennenden Senats fehlt es aber für die im Beschwerdeverfahren weiterhin begehrte einstweilige Anordnung gerade gegen die Antragsgegnerin am Anordnungsgrund. Die dafür erforderliche Eilbedürftigkeit erkennt der Senat nicht. Der Antragsteller räumt mit Schriftsatz vom 1. August 2022 selbst ein, dass sein existenzsicherungsrechtlicher Bedarf angesichts der seitens des Beigeladenen aufgenommenen Zahlungen nicht unterdeckt ist. Vor diesem Hintergrund kann die komplexere Frage nach der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers i.S. des § 8 Abs. 1 SGB II und seiner Zuordnung zum Leistungssystem entweder der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Hilfe zum Lebensunterhalt der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Soweit der Antragsteller allein geltend macht, dass ihn im SGB II eine Erwerbsob-liegenheit treffe, er sich grundsätzlich auf Arbeitsangebote bewerben und ggf. eine Arbeit aufnehmen, Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben bzw. die in einem ersetzenden Verwaltungsakt einseitig festgelegten Pflichten erfüllen müsse und er insoweit dem Sanktionsregime der §§ 31 ff. SGB II unterworfen sei, begründet dies die für die Änderung der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts, die die aktuelle Notlage des Antragstellers bereits beendet hat, die erforderliche (fortdauernde) Eilbedürftigkeit nicht. Dabei berücksichtigt der Senat nicht nur, dass der Antragsteller die Möglichkeit hätte, gegen Maßnahmen des Beigeladenen im Rahmen der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit – die ohnehin keineswegs mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehen – mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen. Die Annahme der Eilbedürftigkeit käme insoweit der generellen Anerkennung eines vorbeugenden Rechtsschutzes im Eilverfahren nahe. Hinzu kommt vielmehr auch, dass die Sanktionen, die dem Antragsteller bei potentiellen Pflichtverletzungen im Rahmen eines potentiellen Eingliederungsprozesses drohen könnten, nach § 84 Abs. 1 SGB II in der seit 1. Juli 2022 geltenden Fassung des Elften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 19. Juni 2022 (BGBl. I S. 921) bis zum 1. Juli 2023 und damit über den Geltungszeitraum der einstweiligen Anordnung hinaus ausgesetzt sind (sog. Sanktionsmoratorium). Einzig der Gefahr einer Sanktionierung der wiederholten Nichtwahrnehmung von Meldeterminen mit einem Höchstbetrag von 10 Prozent des Regelbedarfs bleibt der Antragsteller ausgesetzt (§ 84 Abs. 2 und 3 SGB II). Dieses Restrisiko rechtfertigt die Inanspruchnahme weiteren einstweiligen Rechtsschutzes nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Beschwerdeverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Beschwerde aus den genannten Gründen von vornherein keine hinreichenden Erfolgsaussichten gehabt hat (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,078
ovgnrw-2022-08-02-10-a-212721
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10 A 2127/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:49"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0802.10A2127.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.375 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch ein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art, die er mit seinem Antrag angreifen will, bezeichnen und mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellen. Daran fehlt es hier.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28. August 2020 und des dazugehörigen Gebührenbescheids vom selben Tag zu verpflichten, die Geltungsdauer des bauplanungsrechtlichen Vorbescheids vom 22. März 2017 für die (Wieder-)Errichtung eines gastronomischen Betriebs – laut Betriebsbeschreibung einer Erotik-Diskothek beziehungsweise eines Swingerclubs – auf dem Grundstück Gemarkung C., Flur 17, Flurstück 377 (F.-straße 149 in T., im Folgenden: Vorhaben beziehungsweise Vorhabengrundstück), antragsgemäß zu verlängern, abgewiesen. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Es solle im Außenbereich verwirklicht werden und beeinträchtige als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange, namentlich die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB genannten. Auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB könne sich die Klägerin nicht berufen. Bei dem Vorhaben handele es sich nicht (mehr) um eine „alsbaldige Neuerrichtung“ im Sinne der Vorschrift. Die Ablehnung der beantragten Verlängerung des Vorbescheids verstoße auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Vorhabengrundstück liege entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und nicht im Außenbereich.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Ortsteil im Sinne der Vorschrift ist jeder Bebauungskomplex in dem Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Wie eng die Aufeinanderfolge von baulichen Anlagen sein muss, um noch eine zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden. Zur Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehören in der Regel nur bauliche Anlagen, die geeignet sind, dem Gebiet ein bestimmtes städtebauliches Gepräge zu verleihen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. April 2007 – 4 B 7.07 –, juris, Rn. 4 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon ist auf der Grundlage der frei zugänglichen Karten und Luftbilder auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens unzweifelhaft, dass das Vorhabengrundstück nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt. Die von der Klägerin angeführten wenigen baulichen Anlagen auf dem Vorhabengrundstück selbst und in seiner näheren Umgebung vermögen ungeachtet ihrer grundsätzlichen Eignung, überhaupt einen Bebauungszusammenhang bilden zu können, schon wegen der zwischen ihnen liegenden, teils ausgedehnten Freiflächen jedenfalls nicht den erforderlichen Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Unabhängig davon fehlt der angesprochenen Bebauung ersichtlich die Qualität eines Ortsteils, da sie insbesondere wegen ihrer Regellosigkeit nicht Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 4 B 40.13 –, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2019 – 2 A 2785/18 –, juris, Rn. 10, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Jene Bebauung erscheint aus den vorstehenden Gründen auch nicht mehr als Teil des weiter südlich beziehungsweise südwestlich liegenden Ortsteils C. Der von der Klägerin angesprochene Standort des Schildes, das verkehrsrechtlich den Ortseingang von C. markiert, ist im vorliegenden bauplanungsrechtlichen Zusammenhang unerheblich.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dem Vorhaben stehen, anders als die Klägerin meint, die Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB ersichtlich entgegen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Verfestigung einer Splittersiedlung ist zu befürchten, wenn in der Ausführung des beantragten Vorhabens ein Vorgang der Zersiedelung gesehen werden muss. Die Verfestigung einer bestehenden Splittersiedlung ist auch dann zu befürchten, wenn von der Verwirklichung eines Vorhabens eine weitreichende Vorbildwirkung ausgehen würde. Hierfür reicht es aus, dass bei einer Zulassung des Vorhabens weitere ähnliche Vorhaben in der Splittersiedlung nicht verhindert werden könnten und dadurch der Außenbereich weiter zersiedelt würde. „Weitreichend“ ist die Vorbildwirkung deshalb immer dann, wenn sich das Vorhaben und die weiteren Vorhaben, die nicht verhindert werden könnten, zusammen der vorhandenen Splittersiedlung nicht unterordnen, sondern deren Gewicht durch die Schließung von Baulücken oder gar die Inanspruchnahme von Randgrundstücken erheblich verstärken würden und es dadurch zu einer fortschreitenden Zersiedlung des Außenbereichs käme.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2012 – 4 C 10.11 –, juris, Rn. 22, und vom 27. August 1998 – 4 C 13.97 –, juris, Rn. 12, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Dies wäre hier der Fall, denn der Zulassung des Vorhabens käme eine Vorbildwirkung für ähnliche Vorhaben auf den unbebauten Grundstücken auf beiden Seiten der F1.‑straße in dem hier zu betrachtenden Abschnitt zu. Diese Vorbildwirkung wäre auch weitreichend im vorstehend beschriebenen Sinne, weil sich das Vorhaben zusammen mit den weiteren denkbaren Vorhaben der vorhandenen Splittersiedlung erkennbar nicht mehr unterordnen würde.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin geht in diesem Zusammenhang im Übrigen zu Unrecht davon aus, dass eine vorhabenbedingte Verfestigung der Splittersiedlung schon deswegen ausscheide, weil sich auf dem Vorhabengrundstück weiterhin bauliche Anlagen befänden und es noch immer durch seine frühere Bebauung geprägt sei. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Bauherr, will er ein im Außenbereich vorhandenes nicht privilegiertes Gebäude ersetzen, sich so behandeln lassen muss, als wollte er an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Gebäude errichten. Der Ersatzbau tritt also nach Beseitigung des Altbaus zu dem gegebenenfalls verbleibenden Bestand weiterer Gebäude rechtlich gesehen hinzu und muss sich diesem deutlich unterordnen. Mit der Beseitigung eines in einer Splittersiedlung gelegenen Gebäudes lebt für das Grundstück, auf dem das Gebäude stand, der Grundsatz, wonach der Außenbereich von allen baulichen Anlagen freigehalten werden soll, die einer geordneten Siedlungsstruktur zuwiderlaufen, wieder auf.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2004 – 4 B 74.04 –, juris, Rn. 5 f., mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin zeigt nicht auf, dass das Vorhaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Maßstäbe, anhand derer zu beurteilen ist, ob eine „alsbaldige Neuerrichtung“ im Sinne der Vorschrift in Rede steht, zutreffend wiedergegeben. Die Klägerin legt auch mit dem Zulassungsantrag keine besonderen, in der konkreten Grundstückssituation begründeten Umstände dar, die bewirken könnten, dass die Zerstörung des früheren Gebäudes durch einen Brand im November 2014 nach der Verkehrsauffassung nur als ein Zustand vorübergehender Natur erscheint und ein Wiederaufbau zu erwarten ist. Hierfür reicht es nicht aus, dass – wie die Klägerin vorträgt – auf dem Vorhabengrundstück noch Teile beziehungsweise Reste des vormals vorhandenen Gebäudes sowie des seinerzeit dazu gehörenden Parkplatzes vorhanden sind. Da es entscheidend darauf ankommt, dass das Grundstück im Zeitpunkt des Wiederaufbaus noch durch das zerstörte Gebäude nachwirkend baulich geprägt ist und deshalb einen Ersatzbau „verträgt“, genügt die bloße Erklärung, einen Wiederaufbau zu beabsichtigen, etwa in Form von wiederholten Anträgen auf Erteilung oder Verlängerung eines baurechtlichen Vorbescheids, nicht für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals der „alsbaldigen Neuerrichtung“.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 1991 – 10 A 285/88 –, juris, Rn. 40 ff., mit Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dass Verwaltungsgericht hat bereits im Einzelnen ausgeführt, dass die Klägerin sich auf eine Verzögerung der Umsetzung ihres angeblichen Wiederaufbauwillens, die darauf beruhe, dass sie den Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens, das sie wegen der Verweigerung von Versicherungsleistungen gegen die Versicherungsgesellschaft angestrengt habe, habe abwarten wollen, nicht berufen könne. Die pauschale Forderung der Klägerin, dieser Umstand müsse nach Treu und Glauben im Rahmen einer Gesamtwürdigung berücksichtigt werden, hilft insoweit nicht weiter. Die von ihr in Bezug genommene Presseberichterstattung, die belegen mag, dass es die Öffentlichkeit interessiert, was mit dem Vorhabengrundstück in Zukunft geschieht, stellt selbst keine besonderen Umstände dar, die eine nachwirkende bauliche Prägung des Grundstücks auch nach dem Ablauf von deutlich mehr als zwei Jahren begründen könnten. Wie die von der Beklagten beabsichtigte Zwangsvollstreckung in diesem Zusammenhang zu bewerten ist, ist nicht entscheidungserheblich.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg rügt die Klägerin, die Ablehnung ihres Antrags auf eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer des Vorbescheids verstoße auch deswegen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil sie auf eine solche erneute Verlängerung habe vertrauen dürfen. Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte mit der erstmaligen Verlängerung des Vorbescheids – sei sie rechtmäßig gewesen oder nicht – keinen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen habe, sie werde auch weiteren Verlängerungsanträgen stattgeben. Das Schreiben der Klägerin vom 24. Juni 2020 ändert hieran nichts. Für die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB kommt es maßgeblich auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Zerstörung des Gebäudes und die Errichtung des Ersatzbaus an. Das Risiko des Wegfalls der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift durch Zeitablauf und der daraus folgenden Ablehnung einer weiteren Verlängerung des Vorbescheids lag bei der Klägerin.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dass der angegriffene Gebührenbescheid entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtswidrig sein könnte, zeigt die Klägerin danach ebenfalls nicht auf.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dass der Ausgang des Rechtsstreits in diesem Sinne offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht feststellen, denn die Klägerin stellt – wie oben ausgeführt – die Richtigkeit des Urteils unter den von ihr in diesem Zusammenhang angesprochenen Aspekten nicht ernsthaft in Frage.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensmangel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem das angegriffene erstinstanzliche Urteil beruhen kann, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klägerin geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte im Rahmen einer Ortsbesichtigung Feststellungen treffen müssen, um beurteilen zu können, ob das Vorhabengrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB liege beziehungsweise ob die Verwirklichung des Vorhabens, wenn das Vorhabengrundstück im Außenbereich liegen sollte, einen siedlungsstrukturell unerwünschten Vorgang der Zersiedlung darstelle, legt sie einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt es den Tatsachengerichten, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist. Die Entscheidung über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme ist hierbei in das Ermessen der Gerichte gestellt. Eine angebliche Verletzung der Aufklärungspflicht ist unter anderem nur dann ausreichend bezeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der Beweise durch förmliche Beweisanträge hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die Notwendigkeit der unterbliebenen Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 5 B 36.15 –, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2018 – 10 A 591/17 –, juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren trotz des ausführlichen Hinweises der Einzelrichterin vom 9. März 2021, in dem diese ausgeführt hat, das Vorhabengrundstück liege im Außenbereich und sei als sonstiges Vorhaben wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB planungsrechtlich unzulässig, weder vorgetragen, das Vorhabengrundstück liege ihrer Auffassung nach im Innenbereich beziehungsweise das Vorhaben sei auch im Außenbereich zulässig, weil es insbesondere nicht zu einer Verfestigung einer Splittersiedlung führe, noch hat sie auf eine aus ihrer Sicht insoweit notwendige Sachaufklärung durch das Gericht hingewirkt. Dass sich dem Verwaltungsgericht eine weitergehende Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Dies ist nach den vorstehenden Ausführungen überdies auch sonst nicht ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
346,076
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34 O 7857/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:31"
"2022-10-17T17:55:40"
Endurteil
<h2>Tenor</h2> <div> <p>1. Der Antrag der Verfügungsklägerinnen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 08.07.2022 wird zurückgewiesen.</p> <p>2. Die Verfügungsklägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</p> <p>3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.</p> <p>Beschluss</p> <p>Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.</p> </div> <h2>Tatbestand</h2> <div> <p><rd nr="1"/>Die Verfügungsklägerinnen begehren von den Verfügungsbeklagten die umgehende Gewährung eines Einsichtsrechts im Wege der einstweiligen Verfügung.</p> <p><rd nr="2"/>Mit Vertrag vom 05.01.2017 erwarben die Verfügungsklägerinnen zu 1) bis 3) von u.a. den beiden Verfügungsbeklagten das Anwesen mit der postalischen Anschrift R. (A. AG 1, im Folgenden: „Mietobjekt“) zum Kaufpreis von … Millionen €.</p> <p><rd nr="3"/>Über das Mietobjekt schlossen die Verfügungsklägerinnen zu 1) bis 3) am 05.12.2017 mit den beiden Verfügungsbeklagten einen Generalmietvertrag (Anlage … 1, im Folgenden: „Generalmietvertrag“).</p> <p><rd nr="4"/>Die Verfügungsbeklagte zu 1) wird in dem Rubrum des Generalmietvertrags als „Generalmieter“ bezeichnet, die Verfügungsbeklagte zu 2) wird ebenda als „Unter-Generalmieter“ bezeichnet. Die mit der Verfügungsbeklagten zu 1) konzernverbundene Verfügungsbeklagte zu 2) schloss als Untermieterin ihrerseits weitere Untermietverträge mit Dritten und betreibt im Mietobjekt einen Konferenz- und Tagungsort.</p> <p><rd nr="5"/>Als Festlaufzeit des Generalmietvertrags wurden 6 Jahre vereinbart (Ziff. 3.2 des Generalmietvertrags), sie begann am 01.05.2017. Gemäß Ziff. 4.1 des Generalmietvertrages wurde für die ersten fünf Mietjahre eine gestaffelte Festmiete vereinbart, wobei die monatliche Nettokaltmiete im fünften Mietjahr 418.753,91 € betrug, während vereinbart war, dass die von der Verfügungsbeklagten zu 1) als Generalmieterin für das Mietobjekt zu zahlende monatliche Nettokaltmiete im sechsten Mietjahr, mithin ab 01.05.2022 „jeweils der Summe der beim Generalmieter von den Untermietern monatlich tatsächlich vereinnahmten Nettokaltmieten aus Untermieten und sonstigen Nutzungsüberlassungen an Dritte" entspricht. Weiter heißt es dort:</p> <p>„(…) Der Generalmieter wird solche aus und in Zusammenhang mit Untermieten bei ihm eingehende Zahlungen unverzüglich vollständig an den Vermieter auf das in Ziffer 4.3 genannte Bankkonto weiterleiten.“</p> <p><rd nr="6"/>Ziffer 4.7 des Generalmietvertrags lautet wie folgt:</p> <p>„Soweit nach und im Zusammenhang mit diesem Vertrag die Höhe der dem Generalmieter geschuldeten oder vom Generalmieter erzielten Untermieten maßgeblich ist, gelten als Untermieten auch solche Untermieten, die der Unter-Generalmieter erzielt; diese werden jedoch auf die Untermiete, die der Unter-Generalmieter an den Generalmieter zu entrichten hat bzw. entrichtet, angerechnet.“</p> <p><rd nr="7"/>Ziffer 5.3 des Generalmietvertrags lautet auszugsweise wie folgt:</p> <p>„Darüber hinaus tritt der Generalmieter die ihm jetzt oder künftig zustehenden Ansprüche auf Zahlung von Miete und Nebenkosten gegen Untermieter des Mietobjekts bereits jetzt bis zur Höhe der Forderung des Vermieters an diesen ab, der diese Abtretung annimmt. (…) Der Unter-Generalmieter tritt die ihm jetzt oder künftig zustehenden Ansprüche auf Zahlung von Miete und Nebenkosten gegen seine Untermieter des Mietobjekts bereits jetzt, jedoch nur, soweit derartige Ansprüche nicht an den Generalmieter abgetreten und von der Weiterabtretung an die Vermieter nach der vorstehenden Bestimmung erfasst sind, an die Vermieter (als Gesamtgläubiger) ab. (…)"</p> <p><rd nr="8"/>Ziffer 9 des Generalmietvertrags lautet auszugsweise wie folgt:</p> <p>„1. Der Generalmieter ist verpflichtet, bei Beendigung der Mietzeit das Mietobjekt geräumt und besenrein an den Vermieter zurückzugeben.</p> <p>2. Die Verpflichtung des Generalmieters nach Ziffer 9.1 zur Rückgabe in geräumtem und besenreinem Zustand besteht jedoch für die Mietflächen nicht, deren Gebrauch zum Zeitpunkt der Beendigung des Generalmietvertrages Dritten vertraglich überlassen worden ist, ohne dass dem Generalmieter aus den nachfolgend aufgeführten Gründen das Recht zur vorzeitigen Beendigung des betreffenden Untermiet- oder sonstigen Nutzungsüberlassungsvertrages mit Wirkung zum Zeitpunkt der Beendigung des Generalmietvertrages zustünde. Im Hinblick auf diese Flächen tritt der Vermieter (im Innenverhältnis zum Generalmieter) bei Beendigung des Generalmietvertrages anstelle des Generalmieters in sämtliche Rechte und Pflichten des jeweiligen Mietverhältnisses mit den Drittnutzem ein und verpflichtet sich, den Generalmieter ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Generalmietverhältnisses von sämtlichen Pflichten aus diesen Nutzungsverhältnissen freizustellen. Gründe, die nach dieser Bestimmung zu einem Entfall der Rückgabepflicht führen, sind abschließend:</p> <p>(a) (…)</p> <p>(b) der Vermieter hat dem Abschluss oder der Verlängerung eines Mietvertrages mit einem Untermieter ausdrücklich schriftlich zugestimmt, der eine Festlaufzeit (…) besitzt, die über den Beendigungszeitpunkt dieses Generalmietvertrages hinausgeht;</p> <p>(c) der Vermieter kündigt das Generalmietverhältnis unter Ausnutzung des ihm eingeräumten außerordentlichen Kündigungsrechts (Ziffer 3.3) und das jeweilige (Unter-)Mietverhältnis besitzt eine Festlaufzeit (…), die nicht über den Beendigungszeitpunkt dieses Generalmietvertrages hinausgeht. (…)"</p> <p><rd nr="9"/>Ziffer 13.1 des Generalmietvertrags lautet wie folgt:</p> <p>„Der Generalmieter wird dem Vermieter jeweils zum Ende eines Kalendervierteljahres die folgenden Informationen im Zusammenhang mit der Untervermietung des Mietobjekts zur Verfügung stellen: Übersichten über bestehende Untermietverhältnisse mit Restlaufzeiten (unter gesondertem Ausweis etwaiger mieterseitiger Verlängerungsrechte) und Übersichten über wesentliche Capex-Maßnahmen. Der Vermieter ist wenigstens viermal je Kalenderjahr berechtigt, in die Originale der bestehenden (Unter-)Mietverträge nebst vertragsrelevanter Korrespondenz Einblick zu nehmen. Dieses Recht besteht nicht, wenn der Generalmieter dem Vermieter vollständige Abschriften der jeweils bestehenden (Unter-)Mietverträge (soweit diese seit der jeweils letzten Einsichtnahme geändert oder neu abgeschlossen worden sein sollten) und der seit der jeweils letzten Einsichtnahme erfolgten vertragsrelevanten Korrespondenz (nach Wahl des Generalmieters in Papier oder in elektronischer Form) verbunden mit der Erklärung, dass die übergebene Dokumentation vollständig ist, übergibt.“</p> <p><rd nr="10"/>Mit Schreiben vom 31.03.2022 erklärten die Verfügungsklägerinnen die ordentliche Kündigung des Generalmietvertrags zum 31.03.2023 (Anlage AG3).</p> <p><rd nr="11"/>Mit Schreiben vom 4. Mai 2022 (Anlage … K 7) forderten die Verfügungsklägerinnen die Verfügungsbeklagte zu 1) unter Fristsetzung bis spätestens 10. Mai 2022 auf, ihnen Abschriften aller Untermietverträge, einschließlich aller (Unter-)Untermietverträge nebst sämtlicher Korrespondenz mit den (Unter-)Untermietern zu übersenden, zusammen mit der Erklärung, dass die übersandte Dokumentation vollständig sei, oder den Verfügungsklägerinnen die persönliche Einsichtnahme in die Originale aller Verträge und der gesamten Korrespondenz vor Ort in der R., zu ermöglichen.</p> <p><rd nr="12"/>Mit Schreiben vom 13.06.2022 erklärten die Verfügungsklägerinnen die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses gegenüber der Verfügungsbeklagten zu 1) und forderten diese erneut zur Gewährung von Einsicht in die Untermietvertragsunterlagen auf (Anlage … K 8).</p> <p><rd nr="13"/>Mit weiterem Schreiben vom 01.07.2022 forderten die Verfügungsklägerinnen die Verfügungsbeklagte zu 1) erneut auf, bis spätestens Dienstag, 05. Juli 2022, Einsicht in sämtliche die Untermietverhältnisse betreffenden Unterlagen zu gewähren (Anlage … K 12).</p> <p><rd nr="14"/>Mit Schreiben vom 04.07.2022 (A. AG 8) forderten die Verfügungsbeklagten die Verfügungsklägerinnen unter Fristsetzung auf zu bestätigen, dass aus den außerordentlichen Kündigungen keinerlei Rechte mehr hergeleitet werden. Die dort gesetzte Frist verstrich fruchtlos.</p> <p><rd nr="15"/>Mit Schreiben vom 04.07.2022 erklärte die Verfügungsbeklagte zu 1) ihrerseits die außerordentliche Kündigung des Generalmietvertrags und kündigte an (Anlage … K 13), sämtliche Dienstleistungs- und Versorgungsverträge sowie von ihr geschlossene Mietverhältnisse zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigen.</p> <p><rd nr="16"/>Die Verfügungsklägerinnen schrieben daraufhin alle ihnen bekannten Unter-Untermieter des Mietobjekts an und wiesen auf eine Abtretung von Mietzahlungsansprüchen hin. Zugleich wurde eine Mietübernahmevereinbarung angeboten (A. AG 7).</p> <p><rd nr="17"/>Die Verfügungsbeklagte zu 1) teilte den Verfügungsklägerinnen mit Schreiben von Freitag, den 08.07.2022 mit, dass eine Einsicht in die verfahrensgegenständlichen Unterlagen am 12.07.2022 für zwei Stunden von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr ermöglicht werde (Anlage … K 15).</p> <p><rd nr="18"/>Im Rahmen des streitgegenständlichen Rechtsstreits übermittelte die Verfügungsbeklagte zu 1) den Verfügungsklägerinnen mit Schriftsatz vom 13.07.2022 als Anlagenkonvolut AG 2 Untermietverträge zwischen der Verfügungsbeklagten zu 1) und der Verfügungsbeklagten zu 2). Die Anlage AG2 umfasst 534 Seiten. Am 13.07.2022 gewährten die Verfügungsbeklagten den Verfügungsklägerinnen den Zugriff auf einen virtuellen Datenraum (A. AG 12).</p> <p><rd nr="19"/>Die Verfügungsklägerinnen tragen vor, bis zum heutigen Tage hätten die Verfügungsbeklagten den Verfügungsklägerinnen keine Einsicht in die (Unter-)Mietvertragsunterlagen gewährt oder Fotokopien übermittelt. Ein zweistündiges Einsichtsnahmerecht am 12.07.2022 sei bereits angesichts der Vielzahl von Unterlagen zeitlich unzureichend. Durch die Vorlage der Anlage AG2 sei das Einsichtsnahmerecht der Verfügungsklägerinnen schon deswegen nicht erfüllt, weil diese Anlage nicht die Verträge enthalte, welche die Verfügungsbeklagte zu 2) mit Dritten geschlossen habe. Die Verfügungsbeklagten, vor allem die Verfügungsbeklagte zu 1), dokumentierten mit diesem Verhalten nachdrücklich, dass sie sich vorsätzlich nicht an die mietvertraglich getroffene Vereinbarung halten wollten. Der angekündigte Zugang zu dem Datenraum sei den Verfügungsklägerinnen zwar tatsächlich am 13. Juli 2022 gewährt worden, wobei der Datenraum von den Verfügungsbeklagten jedoch so ausgestaltet worden sei, dass die Daten weder kopiert noch anderweitig gesichert werden können. Damit liegt schon keine Übergabe von Kopien im Sinne der Ziff. 13.1 des Generalmietvertrags vor. Zudem seien die Daten unvollständig. Offensichtlich werde dies dadurch, dass etwa die Ordner „Mietsicherheiten“, „Schriftverkehr“ und „Dauermietrechnungen“ bei zahlreichen Mietern vollständig leer seien. Ferner fänden sich in dem Datenraum keine Mietverträge oder Vereinbarungen der Verfügungsbeklagten zu 2) über die von ihr genutzten Konferenzflächen.</p> <p><rd nr="20"/>Die Verfügungsklägerinnen meinen, die Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu 4) ergebe sich aus § 566 BGB. Primäre Anspruchsgrundlage für den Verfügungsanspruch sei Ziff. 13.1 des Generalmietvertrages. Nach der Regelung in Ziff. 4.7 des Generalmietvertrags erstrecke sich dieses Einsichtsrecht der Verfügungsklägerinnen auch auf die von der Verfügungsbeklagten zu 2) abgeschlossenen Verträge nebst zugehöriger Unterlagen, sodass die Auskunftspflicht für die Verfügungsbeklagte zu 1) hinsichtlich sämtlicher Untermietverträge, auch die der Verfügungsbeklagten zu 2), bestehe und unabhängig hiervon auch die Verfügungsbeklagte zu 2) Einsicht in die von ihr abgeschlossenen Verträge gewähren müsse. Weitere Anspruchsgrundlage sei hier § 402 1. Hs. BGB aufgrund der in Ziffern 4.7 i.V.m. Ziffer 5.3 des Generalmietvertrags vorgesehen und wirksamen Abtretung. Der Auskunftsanspruch ergebe sich zudem aus dem Gesetz, etwa § 260 BGB und § 242 BGB.</p> <p><rd nr="21"/>Ein Verfügungsgrund liege vor. Angesichts der angekündigten Rückgabe des Mietobjekts zum 31.07.2022 drohe den Verfügungsklägerinnen bei Durchführung des Hauptsacheverfahrens ein unverhältnismäßig großer irreparabler Schaden. Die Einsicht sei zwingend unverzüglich erforderlich, um einen geordneten Übergang des Objekts sicherzustellen. Eine fehlende Kenntnis der Verfügungsklägerinnen über die tatsächlich abgeschlossenen Verträge und die einzelnen Vertragspartner führe insoweit zwangsläufig zu unübersichtlichen Zuständen und möglicherweise erheblichen Schäden bei der Übernahme des Objekts, da die Verfügungsklägerinnen dann ggf. nicht einmal beurteilen könnten, welcher Mieter berechtigt ist, welche Mietflächen in welchem Zeitraum zu nutzen oder sogar ob überhaupt eine entsprechende Berechtigung besteht. Gerade bei einer solch ungeordneten Übergabe bestehe daher für die Verfügungsklägerinnen die evidente Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Schäden, etwa durch den Verlust von Mietern, mit denen aufgrund fehlender Kenntnis nicht rechtzeitig neue Mietverträge geschlossen werden könnten. Zudem benötigten die Verfügungsklägerinnen das Einsichtsrecht, um den Konferenz- und Tagungsbetrieb ungestört fortlaufen zu lassen. Auch im Hinblick auf Ziffer 9.2 des Generalmietvertrags benötigten die Verfügungsklägerinnen dringend das Einsichtsrecht. Zudem könne nur durch Einsicht in die (Unter-)Mietvertragsunterlagen geprüft werden, ob die von der Verfügungsbeklagen zu 1) weiterzuleitenden Mietzahlungen in zutreffender Höhe weitergeleitet worden seien. Nach einer Schätzung der Verfügungsklägerinnen seien im Zusammenhang mit dem Mietobjekt insgesamt etwa 250 (Unter-) Mietverträge abgeschlossen worden.</p> <p><rd nr="22"/>Die Verfügungsklägerinnen beantragen:</p> <p>1. Der Verfügungsbeklagten zu 1) wird aufgegeben, die Verfügungsklägerinnen unverzüglich Einblick in die Originale aller von ihr und der Verfügungsbeklagten zu 2) geschlossenen, bestehenden (Unter-)Mietverträge nebst vertragsrelevanter Korrespondenz betreffend das Mietobjekt in der R. am Ort des Mietobjekts nehmen zu lassen.</p> <p>2. Der Verfügungsbeklagten zu 2) wird aufgegeben, die Verfügungsklägerinnen unverzüglich Einblick in die Originale aller von ihr geschlossenen, bestehenden (Unter-)Mietverträge nebst vertragsrelevanter Korrespondenz betreffend das Mietobjekt in der R. am Ort des Mietobjekts nehmen zu lassen.</p> <p><rd nr="23"/>Die Verfügungsbeklagten beantragen,</p> <p>die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung werden zurückgewiesen.</p> <p><rd nr="24"/>Die Verfügungsbeklagten bestreiten einen Verfügungsanspruch. Soweit ein solcher überhaupt bestehe, sei dieser zudem bereits durch Erfüllung erloschen.</p> <p><rd nr="25"/>Die Verfügungsbeklagten tragen vor, die mit der Anlage AG2 vorgelegten Unterlagen lägen den Verfügungsklägerinnen schon lange vor. Eine entsprechende Datenraum-DVD sei den Verfügungsklägerinnen bereits beim Ankauf übergeben worden.</p> <p><rd nr="26"/>Sie meinen, Ziffer 13 des Generalmietvertrags sehe allein die Verpflichtung der Verfügungsbeklagten zu 1) zur Vorlage der von ihr abgeschlossenen Untermietverträge vor. Der Wortlaut der Bestimmung sei bewusst gewählt und gebe den Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss wieder. Wie man bereits der Vertragsurkunde entnehmen könne, hätten die Parteien bei Vertragsabschluss zwischen den von der Verfügungsbeklagten zu 1) abgeschlossenen Untermietverträgen einerseits und von der Verfügungsbeklagten zu 2) andererseits abgeschlossenen Unter-Untermietverträgen bewusst differenziert. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Ziffer 4.7 des Generalmietvertrags. Das Schweigen der Urkunde sei beredt. Die Verfügungsklägerinnen wollten sich nunmehr im Handstreich den über Jahre von der Verfügungsbeklagten zu 2) aufgebauten Geschäftsbetrieb kostenlos aneignen, obwohl hierauf kein Anspruch bestehe. Die Verfügungsbeklagten erklären, sie werden das Mietobjekt zum 31.07.2022 zurückgeben, wobei sie die sich aus Ziffer 9.1 des Mietvertrags ergebende Verpflichtung, das Mietobjekt geräumt und besenrein zurückzugeben, einhalten werden. Soweit die Verfügungsklägerinnen argwöhnten, die Verfügungsbeklagte zu 1) würde mit ihrer Ankündigung, sämtliche Dienstleistungs- und Versorgungsverträge sowie von ihr geschlossene Mietverhältnisse zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen, sich nicht an ihre mietvertraglichen Pflichten halten, so würden die Verfügungsklägerinnen verkennen, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) gemäß Ziffer 9.1 des Generalmietvertrages geradezu verpflichtet sei, „das Mietobjekt geräumt und besenrein an den Vermieter zurückzugeben“.</p> <p><rd nr="27"/>Es fehle an einem Verfügungsgrund. Die Unteruntermietverträge gingen bei der durch die Kündigung der Verfügungsbeklagten herbeigeführten Beendigung des Generalmietvertrags bei Vertragsende nicht auf die Verfügungsklägerinnen über. Die Verfügungsklägerinnen seien allenfalls auf Namen und Adressen der Unteruntermieter angewiesen, um gemäß § 546 Abs. 2 BGB Herausgabeansprüche geltend machen zu können. Ihre vermeintlichen Auskunfts- und Einsichtsrechte im Zusammenhang mit der den Verfügungsklägerinnen ohnehin bereits bekannten Miethöhe, könnten die Verfügungsklägerinnen im Zweifelsfall und ohne „evidente Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Schäden“ im Wege einer Stufenklage im ordentlichen Verfahren geltend machen.</p> <p><rd nr="28"/>Die Verfügungsbeklagte zu 2) ergänzt: Ziffer 13.1 des Generalmietvertrages stehe aufgrund ihrer systematischen Stellung im Vertrag und nach ihrem Sinn und Zweck in keinem Zusammenhang mit den Regelungen zur Miete in Ziffer 4.1. Die in Ziffer 13.1 geregelten Informationspflichten dienten gerade nicht der Ermittlung der Miethöhe im sechsten Mietjahr, sondern der Absicherung der in Ziffer 2.4 des Generalmietvertrages vorgesehenen Zustimmungsvorbehalte. Nach Ziffer 4.1 (6) des Generalmietvertrages komme es zur Ermittlung der Nettokaltmiete eben nicht auf die vertraglich vereinbarten, sondern allein auf die „monatlich tatsächlich vereinnahmten Nettokaltmieten aus Untermieten und sonstigen Nutzungsüberlassungen an Dritte“ an. Zur Überprüfung der Richtigkeit der weitergeleiteten Mieten sehe der Generalmietvertrag die Einsichtnahme „in die Mieteingangskonten, auf welche diese Zahlungen geleistet werden“ vor, Ziffer 2.3 letzter Absatz des Generalmietvertrages.</p> <p><rd nr="29"/>Beide Verfügungsbeklagten meinen, dass die im Generalmietvertrag in Ziffer 5.3 enthaltene Abtretung der Unteruntermietansprüche, die auf die jeweilige Höhe der Forderungen der Hauptvermieter beschränkt war, mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam sei. Mangels wirksamer Abtretung gehe die Berufung der Verfügungsklägerinnen auf § 402 BGB ins Leere. Entsprechendes gelte für vermeintliche Ansprüche § 260 BGB. Die Verfügungsbeklagten hätten insoweit nichts und vor allen Dingen keinen Inbegriff von Gegenständen herauszugeben.</p> <p><rd nr="30"/>Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2022 auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf den gesamten weiteren Akteninhalt.</p> </div> <h2>Gründe</h2> <div> <p><rd nr="31"/>Der zulässige Antrag ist ohne Erfolg.</p> <p>I.</p> <p><rd nr="32"/>Es kann offen bleiben, ob die Verfügungsklägerinnen einen Verfügungsanspruch haben. Denn es fehlt jedenfalls an einem Verfügungsgrund.</p> <p><rd nr="33"/>1. Für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes gilt hier folgender rechtlicher Maßstab:</p> <p><rd nr="34"/>Bei einer im Wege einstweiliger Verfügung geltend gemachten Auskunft handelt es sich um eine Leistungsverfügung. Ein solcher Verfügungsantrag ist nach dem Sinn und Zweck des Eilverfahrens grundsätzlich nicht zuzulassen, weil in der Auskunftserteilung eine Vorwegnahme der Hauptsache läge. Ausnahmen hiervon können nur dann gemacht werden, wenn der Gläubiger auf die Erfüllung dringend angewiesen ist. An die Dringlichkeit sind jedoch hohe Anforderungen zu stellen. Sie kann grundsätzlich nur angenommen werden, wenn die Realisierung des Hauptanspruchs für den Gläubiger von existenzieller Bedeutung ist und von der umgehenden Erteilung der Auskunft abhängt (OLG Bremen, Beschluss vom 21.9.2018 - 1 W 25/18, NJW-RR 2019, 182; OLG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2018 - 12 W 6/18, BeckRS 2018, 37434 Rn. 17; OLG München, Urteil vom 28.11.2007 - 7 U 4498/07, NZG 2008, 230, 234; OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.1991 - 26 W 15/91, NJW-RR 1992, 640; KG, Urteil vom 28.08.1987 - 5 U 3581/87, GRUR 1988, 403, beck-online; a.A. Drescher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auf. 2020, § 938 Rn. 42). Mit einer existentiellen Bedeutung sind etwa die Gefährdung des Lebensunterhalts, der Bestand der Gesundheit oder der beruflichen Existenz gemeint (OLG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2018 - 12 W 6/18, BeckRS 2018, 37434 Rn. 17).</p> <p><rd nr="35"/>Zur Überzeugung des Gerichts ist diese zur Auskunftserteilung ergangene Rechtsprechung auf das streitgegenständliche Einsichtsrecht übertragbar (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 940 ZPO Rn. 8).</p> <p><rd nr="36"/>Die tatsächlichen Voraussetzungen für den Verfügungsgrund sind nicht zu beweisen, sondern nur glaubhaft zu machen (§§ 920 Abs. 2, 936, 294 ZPO). Die Glaubhaftmachung erfordert einen geringeren Grad der richterlichen Überzeugung gegenüber dem vollen Beweis nach § 286 ZPO. Ausreichend für die Glaubhaftmachung ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, nicht erforderlich ist eine vollständige Überzeugung.</p> <p><rd nr="37"/>2. Gemessen an diesem rechtlichen Maßstab haben die Verfügungsklägerinnen einen Verfügungsgrund weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.</p> <p><rd nr="38"/>Der Geschäftsführer der Verfügungsklägerinnen erklärte hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2022, es bestehe eine Fremdfinanzierung, welche die Antragstellerseite bedienen müsse. Wenn diese nicht bedient werde, dann komme es zu einer Existenzbedrohung. Die Verfügungsbeklagten haben dies mit Nichtwissen bestritten.</p> <p><rd nr="39"/>Dieser klägerische Vortrag ist zur Überzeugung des Einzelrichters ungenügend. Bei den Verfügungsklägerinnen handelt es sich um Kapitalgesellschaften. Soweit die Verfügungsklägerinnen offenbar meinen, das Gericht könne bei solchen aus dem bloßen Umstand, dass ein Ausfall von Mieteinnahmen droht, auf eine Existenzgefährdung rückschließen, geht dies fehl. Ohne einschlägige und glaubhaft gemachte Angaben zu Geschäfts- und Unternehmenszahlen der Verfügungsklägerinnen ist dies nicht möglich. Die Verfügungsklägerinnen tragen hierzu jedoch nichts vor. Insbesondere werden einschlägige Jahresabschlüsse, Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen usw. nicht vorgelegt.</p> <p><rd nr="40"/>Dabei verkennt der Einzelrichter nicht, dass die Verfügungsklägerinnen zu 1) bis 3) ausweislich der als Anlage AG1 vorgelegten Rahmenurkunde vom 05.01.2017 das Mietobjekt zu einem Kaufpreis von … Millionen € erworben haben. Bei einer derartigen Kaufpreishöhe wäre es nicht ungewöhnlich, wenn zumindest teilweise auch eine Fremdfinanzierung erfolgte. Die Verfügungsklägerinnen schweigen jedoch zu den Details der Fremdfinanzierung. Insbesondere zur Höhe und zur Laufzeit der Fremdfinanzierung wurde nichts vorgetragen. Es wurden auch keinerlei Finanzierungsverträge zur Glaubhaftmachung vorgelegt. Der Erwerbszeitpunkt liegt zudem schon über 5 ½ Jahre zurück und der streitgegenständliche Generalmietvertrag sah in Ziffer 4.1 erhebliche monatliche Mietzahlungen vor, die im ersten Mietjahr 416.666,67 € monatlich und im fünften Mietjahr 418.753,91 € monatlich betrugen, so dass sich die von der Verfügungsbeklagten zu 1) allein in den ersten fünf Mietjahren zu zahlende Nettokaltmiete auf über 25 Millionen € summierte. Der Einzelrichter muss daher davon ausgehen, dass eine etwaige Fremdfinanzierung, deren Höhe ja wie gezeigt noch nicht einmal mitgeteilt wurde, bereits teilweise zurückgeführt wurde.</p> <p><rd nr="41"/>Damit ist der Antrag bereits mangels dargelegter und glaubhaft gemachter Existenzgefährdung der Verfügungsklägerinnen für den Fall der Nichtgewährung des Einsichtsrechts zurückzuweisen. Nicht anderes gilt, wenn man es entgegen der hier vertretenen Auffassung ausreichen ließe, dass ohne die alsbaldige Einsichtnahme ein endgültiger Rechtsverlust einträte (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 21.9.2018 - 1 W 25/18, NJW-RR 2019, 182 Rn. 13 m.w.N.).</p> <p><rd nr="42"/>Die Verfügungsklägerinnen haben einen solchen noch nicht einmal dargelegt.</p> <p><rd nr="43"/>Ein allgemeines Interesse an einer geordneten Übergabe hat jeder Vermieter, dessen Mieter Untermietverträge abgeschlossen hat, so dass dieser Aspekt die Vorwegnahme der Hauptsache nicht rechtfertigen kann. Soweit die Verfügungsklägerinnen auf den möglichen und finanziell schmerzhaften Verlust von Unter-Untermietern abstellen bringen sie bereits selbst zum Ausdruck, dass die von ihnen begehrte einstweilige Verfügung gerade nicht der Sicherung von Räumungsansprüchen dienen soll. Zudem kann das Gericht nicht erkennen, dass die Verfügungsklägerinnen einen Anspruch darauf haben, mit den Untermietern der Verfügungsbeklagten zu 2) Folgeverträge abzuschließen. Im Übrigen schweigen die Verfügungsklägerinnen auch hier wieder dazu, ob und inwieweit ihre unstreitigen Bemühungen (A. AG 7), mit den ihnen bekannten Unter-Untermietern Kontakt aufzunehmen und Folgeverträge abzuschließen, Früchte getragen haben.</p> <p><rd nr="44"/>Auch der klägerische Hinweis auf Ziffer 9.2 des Generalmietvertrags verfängt nicht. Es handelt sich hier um eine Regelung im Innenverhältnis zwischen den Parteien des streitgegenständlichen Rechtsstreits, nicht jedoch im Außenverhältnis zu den Unter-Untermietern.</p> <p><rd nr="45"/>Soweit die Verfügungsklägerinnen meinen, sie benötigten das Einsichtsrecht um überprüfen zu können, ob die Verfügungsbeklage zu 1) Mietzahlungen in zutreffender Höhe gemäß Ziffer 4.1 (6) des Generalmietvertrags weitergeleitet habe, ist den Verfügungsklägerinnen die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens, ggf. in Form der Stufenklage, zumutbar.</p> <p><rd nr="46"/>Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.</p> <p>II.</p> <p><rd nr="47"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 S. 1 und 2 ZPO.</p> <p><rd nr="48"/>Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO. Der Streitwert für einen Anspruch auf Auskunftserteilung bemisst sich auf einen Bruchteil des Betrags, den der Kläger nach dem Inhalt der Auskunft zu erstreiten erhofft. Der Bruchteil ist umso höher anzusetzen, je geringer die Kenntnisse des Klägers von den zur Begründung des Leistungsanspruchs maßgeblichen Tatsachen sind (BGH NJW-RR 2018, 1265, beck-online). Die Verfügungsklägerinnen ließen vortragen, dass sie bei der von ihnen befürchteten ungeordneten Übergabe Schäden in Höhe von ca. 500.000,00 € befürchten und sie davon ausgehen, dass die Miet-Weiterleitungen für die Monate Mai und Juni 2022 um ca. 500.000,00 € zu niedrig waren (Bl. 17 d.A.). Es erscheint daher als angemessen, hier einen Streitwert von 100.000,00 € festzusetzen.</p> </div>
346,060
vg-dusseldorf-2022-08-02-24-l-136522a
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24 L 1365/22.A
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:13"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:VGD:2022:0802.24L1365.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die aufschiebende Wirkung der Klage 24 K 4497/22.A gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes vom 24. Mai 2022 – Ziffer 5. – wird angeordnet.</strong></p> <p><strong>Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Gründe</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung erfolgt gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) durch den Einzelrichter. Die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer nach Satz 2 dieser Vorschrift liegen nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Antrag,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks"><strong>die aufschiebende Wirkung der Klage – 24 K 4497/22.A – gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. Mai 2022 anzuordnen,</strong></p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Derartige Zweifel können erst angenommen werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angegriffene Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gemäß §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Abs. 10 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) die Abschiebungsandrohung und setzt eine Ausreisefrist von einer Woche, wenn der Asylantrag eines Ausländers, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird (vgl. §§ 34 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, 36 Abs. 1, 29a Abs. 1 bzw. 30 AsylG) und dem Ausländer weder subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG zu gewähren ist (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 2a AsylG) noch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vorliegend sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Abschiebungsandrohung in den Zielstaat Albanien einer rechtlichen Überprüfung in der Hauptsache voraussichtlich nicht standhalten wird. Das folgt bereits aus der kosovarischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers, die eine vorrangige Rückführung in das Kosovo nahelegen dürfte. Hinzu kommt, dass der Zielstaat Albanien ausweislich der Begründung des Bescheides seitens des Bundesamtes überhaupt nicht geprüft worden ist, sondern die asylrechtlichen Ansprüche allein mit Blick auf den Kosovo geprüft und beschieden wurden. Außerdem ist der Mutter des Antragstellers, Frau B.       T.        , durch Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 2021 die Abschiebung in die Republik Kosovo angedroht worden, so dass auch aus Gründen der familiären Rückkehrperspektive, die zielstaatsbezogen ist und daher bei der Prüfung von der Antragsgegnerin zu Grunde zu legen ist,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 –, juris 2. Leitsatz,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">für den zweijährigen Antragsteller eine alleinige Rückkehr nach Albanien nicht in Betracht kommen dürfte.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Nicht gefolgt werden kann der Antragsgegnerin mit der Erwägung im Schriftsatz vom 14. Juli 2022, bei der Zielstaatsbestimmung „Albanien“ handele es sich um eine offenbare Unrichtigkeit iSd § 42 Satz 1 VwVfG. Danach kann die Behörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt jederzeit berichtigen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Eine offenbare Unrichtigkeit, die gemäß § 42 Satz 2 VwVfG jederzeit berichtigt werden kann, setzt einen Schreibfehler, Rechenfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeiten in einem Verwaltungsakt voraus. Der Begriff der Unrichtigkeit ist nach der Literatur,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Uechtritz in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019 Rn. 5 ff.,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">in Abgrenzung zum fehlerhaften Verwaltungsakt zu bestimmen. Während auf die Berichtigung von fehlerhaften, d. h. rechtswidrigen oder gar nichtigen Verwaltungsakten die Vorschriften des Teil III Abschnitt 2 (§§ 48 ff. VwVfG) Anwendung finden, gilt für die Berichtigung (bloß) offenbar unrichtiger Verwaltungsakte die Vorschrift des § 42 VwVfG. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist, ob die Mangelhaftigkeit des Verwaltungsakts auf eine unrichtige Willensäußerung oder fehlerhafte Willensbildung zurückzuführen ist. Während § 42 VwVfG die Verlautbarung, dh das äußere Erscheinungsbild des Verwaltungsakts, betrifft, ist die Anwendbarkeit der §§ 48 ff. bei materiellen, dh Inhalt und Ausspruch des Verwaltungsakts betreffenden, Fehlern gegeben.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Eine Unrichtigkeit in einem Verwaltungsakt ist gegeben, wenn die Behörde etwas nicht oder etwas anderes als das gesagt hat, was sie zum Ausdruck bringen wollte. Unrichtigkeiten iSd § 42 zeichnen sich folglich durch das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung aus – und damit durch eine Konstellation, die nach der bürgerlich-rechtlichen Irrtumslehre unter bestimmten Voraussetzungen zur Anfechtung einer Willenserklärung gem. §§ 119 ff. BGB ermächtigt. Ein unrichtiger Verwaltungsakt wird mit dem gewollten Erklärungsinhalt wirksam, den die Behörde lediglich unvollkommen zum Ausdruck gebracht hat. Von einer Unrichtigkeit zu unterscheiden – dies spiegelt sich auch in der Systematik des VwVfG wider – ist die zur Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit führende Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsakts. Ihn kennzeichnet, dass er mit dem von der Behörde gewollten Erklärungsinhalt, jedoch nicht nach Maßgabe des formellen oder materiellen Rechts, ergangen ist, weil der Behörde ein Fehler bei der Willensbildung unterlaufen ist. Dies umfasst eine unvollständige oder unzutreffende Sachverhaltsermittlung, eine falsche Tatsachenermittlung oder -würdigung sowie Fehler bei der Rechtsauslegung und -anwendung. Unter diesen Umständen kann die Bindungswirkung des existenten, jedoch rechtswidrigen Verwaltungsakts nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG durchbrochen werden, sofern dieser nicht ausnahmsweise nach § 44 VwVfG nichtig ist. Erfolgt in Verkennung dieser Umstände (nur) eine Berichtigung gem. § 42 VwVfG, geht diese ins Leere.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Danach ist vorliegend von einer Unrichtigkeit auszugehen. Aus den Gründen des Bescheides und dem ergänzenden Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2022 wird hinreichend deutlich, dass die Antragsgegnerin tatsächlich vom Kosovo als Abschiebestaat ausgegangen ist. Hierauf sind die Bescheidgründe ausgerichtet, die zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote werden allein mit Blick auf die Republik Kosovo geprüft. Albanien ist irrtümlich als primärer Abschiebestaat im Tenor bezeichnet worden.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Allerdings muss die Unrichtigkeit nach dem Wortlaut auch „offenbar“ sein. Das ist nach der Kommentarliteratur,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Uechtritz, a. a. O., § 42 Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">der Fall, „wenn der Fehler ins Auge springt“, d. h. „wenn der Widerspruch zwischen dem, was die Behörde gewollt hat, und dem, was sie in dem Verwaltungsakt zum Ausdruck gebracht hat, ohne Weiteres erkennbar ist.“ Offenbar ist eine Unrichtigkeit, wenn sie beim Lesen unverkennbar und augenfällig wird, d. h. sofort erkennbar ist. Vereinzelt wird zur Bestimmung des Begriffs der Offensichtlichkeit auf die Kategorien des Vertretenmüssens zurückgegriffen. Offenbar ist danach eine Unrichtigkeit, wenn „sie so deutlich hervorgetreten ist, dass die Unrichtigkeit nur infolge einer groben, am Maßstab der groben Fahrlässigkeit gemessenen Sorgfaltsverletzung“ zu übersehen ist. Maßgeblicher Empfängerhorizont ist der eines verständigen Dritten in der Lage des Beteiligten.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Für einen verständigen Dritten in der Lage des Betroffenen (auf dessen Sicht es hier ankommt,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">vgl. Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Hk-Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 42 VwVfG Rn. 14),</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">ist die Unrichtigkeit nach diesen Maßgaben allerdings nicht offenbar.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Danach ist abzustellen auf den Adressaten eines Asylbescheides. Das ist ein nicht mit der deutschen Sprache geschweige denn dem deutschen Recht vertrauter Ausländer. Zur Wahrung des Rechtsschutzes der Personengruppe der Asylsuchenden sieht der Gesetzgeber zwingend vor, dass diese Personen, soweit sie – wie hier – im Asylverfahren nicht vertreten werden, gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache erhalten, die sie mutmaßlich verstehen. Dem ist die Antragsgegnerin vorliegend nachgekommen. Im Verwaltungsvorgang ist die Übersetzung der Bescheidtenorierung und der Rechtsbehelfsbelehrung auf Albanisch auf Blatt 110 ff. abgedruckt. Hinsichtlich des Zielstaates wird auf den deutschen Bescheid verwiesen, so dass die Fehlerhaftigkeit des Bescheides durch die Übersetzung nicht kenntlich wird.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Unter Berücksichtigung dieses Empfängerhorizontes geht für den Antragsteller aus der Übersetzung des Tenors – und dem Abgleich mit der deutschen Fassung – lediglich hervor, dass eine Abschiebung in den Zielstaat Albanien droht und eine Klage hiergegen möglich ist.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Erwägungen, die die Antragsgegnerin zur Begründung der offenbaren Unrichtigkeit herangezogen hat, insbesondere die Auslegung des Tenors unter Berücksichtigung der Bescheidgründe, können demnach nicht für die Begründung einer „offenbaren“ Unrichtigkeit iSd § 42 Satz 1 VwVfG im Kontext des Verständnishorizontes eines Ausländers herangezogen werden. Denn dieser erhält, versteht und würdigt allein die Übersetzung von Bescheidtenor und Rechtsbehelfsbelehrung. Da er jedoch keine Übersetzung der Bescheidgründe erhält, bleibt ihm die Möglichkeit, den Fehler als „offenbar“ zu erkennen, verschlossen, da nicht zu erwarten ist, dass er den deutschen Inhalt der Begründung des Bescheides verstehen und würdigen kann.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Hinzu kommt hier, dass Albanien und das Kosovo Nachbarstaaten sind, und der Antragsteller – laut Bescheidbegründung – die albanische Volkszugehörigkeit besitzt. Damit drängt sich die Unrichtigkeit der Abschiebungsandrohung für ihn nicht ohne weiteres auf.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Da es sich nach alledem um keine offenbare Unrichtigkeit iSd § 42 Satz 1 VwVfG handelt, kommt nur ein Abänderung der Abschiebungsandrohung nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes in Betracht, eine Berichtigung nach § 42 Satz 2 VwVfG (<span style="text-decoration:underline">nicht</span>: § 44 Abs. 3 VwVfG) dagegen nicht.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,059
ovgnrw-2022-08-02-4-a-103222
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 A 1032/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:12"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0802.4A1032.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 13.4.2022 wird verworfen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil der Kläger ihn nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise begründet hat.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn einer der in 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt. Dass und warum dies der Fall ist, hat der Rechtsmittelführer innerhalb der zweimonatigen Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen. Diesem Erfordernis ist der Kläger nicht gerecht geworden.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das angegriffene Urteil, das mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen ist, ist dem Kläger am 16.4.2022 zugestellt worden. Die gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 ZPO nicht verlängerbare Begründungsfrist endete, weil der 16.6.2022 auf einen Feiertag fiel, mit Ablauf des 17.6.2022. Bis zu diesem Zeitpunkt ist keine Begründung für den Zulassungsantrag eingegangen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Wiedereinsetzungsgründe im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Begründung ist im Übrigen innerhalb der Monatsfrist nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO nicht nachgeholt worden.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und folgt der erstinstanzlichen Festsetzung.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,058
ovgnrw-2022-08-02-10-a-186721
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
10 A 1867/21
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:12"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0802.10A1867.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der zulässige Antrag ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ein der Beurteilung des Senats unterliegender Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) noch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat die im Wesentlichen gegen die der Beigeladenen von dem Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 28. Mai 2019 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 20. Januar 2021 für einen erweiterten landwirtschaftlichen Betrieb der Beigeladenen auf dem Grundstück Gemarkung T., Flur 3, Flurstück 9 (V. 3 in T1.) (im Folgenden: Vorhaben) gerichtete Klage abgewiesen. Eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme zu Lasten des Klägers wegen unzumutbarer Beeinträchtigungen durch vorhabenbedingte Geruchsimmissionen liege nicht vor. Die diesbezügliche Zumutbarkeitsschwelle sei bei einem Nebeneinander landwirtschaftlicher Betriebe im Außenbereich erst dann überschritten, wenn sich die Immissionen zu Lasten eines dieser Betriebe der Grenze des Erträglichen näherten. Selbst eine durch eine landwirtschaftliche Tierhaltung bedingte relative Geruchswahrnehmungshäufigkeit von mehr als 50 Prozent der Jahresstunden sei für einen benachbarten landwirtschaftlichen Betrieb und die Bewohner des zu diesem Betrieb gehörenden Wohnhauses im Einzelfall nicht ohne weiteres unzumutbar. Hier bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Geruchswahrnehmungshäufigkeit 25 Prozent der Jahresstunden übertreffen oder gar 50 Prozent der Jahresstunden erreichen könnte. In seiner „Stellungnahme zu Geruchsimmissionen“ vom 6. August 2018 habe der Leiter des Sachgebiets Immissionsschutz der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Herr L., ausgeführt, dass nicht zu erwarten sei, dass die Richtwerte beziehungsweise Empfehlungen der Geruchsimmissionsrichtlinie (GRIL), wonach im Außenbereich Geruchswahrnehmungshäufigkeiten von bis zu 25 Prozent der Jahresstunden zulässig seien, erreicht würden. Diese gutachterliche Stellungnahme halte die Kammer für überzeugend. Dem von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag habe die Kammer nicht nachgehen müssen. Der Einholung einer sachverständigen Geruchsimmissionsprognose mit einer (Ausbreitungs-)Berechnung auf der Grundlage der GIRL zur Klärung der Geruchsbelastung „in Maß und Zahl“ bedürfe es nicht. Die gutachterliche Stellungnahme des Herrn L. sei zur Beurteilung der Beweisfragen auch mit Blick auf die besonderen Umstände des Falls ausreichend. Das Vorhaben verletze auch keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts, insbesondere liege kein Verstoß gegen die einschlägigen Regelungen zu den Abstandsflächen vor.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO hinreichend aufgeklärt, (auch) weil es den in der mündlichen Verhandlung von ihm gestellten Beweisantrag fehlerhaft abgelehnt habe, legt er einen die Zulassung der Berufung rechtfertigenden Verfahrensfehler nicht dar (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht kann sich bei seiner Entscheidung grundsätzlich auf ein Gutachten oder eine sonstige gutachterliche Stellungnahme stützen, die eine Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt oder in das gerichtliche Verfahren eingeführt hat. Die Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten oder sonstiger gutachterlicher Stellungnahmen liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit § 412 ZPO im Ermessen der Gerichts. Nur dann, wenn das Gericht von der Einholung zusätzlicher Gutachten absieht, obwohl die vorliegenden Gutachten oder gutachterlichen Stellungnahmen objektiv ungeeignet sind, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln, übt es sein Ermessen fehlerhaft aus und begeht einen Verfahrensfehler. Das ist insbesondere der Fall, wenn das vorliegende Gutachten oder die sonstige gutachterliche Stellungnahme offen erkennbare Mängel enthält, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn sich daraus Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des jeweiligen Gutachters ergeben oder wenn die gutachterlich zu beantwortende Frage ein spezielles Fachwissen erfordert, das der Verfasser des vorliegenden Gutachtens oder der sonstigen gutachterlichen Stellungnahme nicht hat. Eine Verpflichtung des Gerichts, zusätzlich zu einem vorliegenden Gutachten oder einer sonstigen gutachterlichen Stellungnahme weitere Gutachten einzuholen oder sonst zu ermitteln, besteht hingegen nicht allein deshalb, weil ein Beteiligter die bisher vorliegenden Erkenntnisquellen im Ergebnis für unzutreffend hält.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 2020 – 7 BN 3.19 –, juris, Rn. 6, vom 5. März 2019 – 4 BN 18.18 –, juris, Rn. 16, vom 17. Februar 2015 – 4 B 53.14 –,     juris, Rn. 19, vom 26. Februar 2008 – 2 B 122.07 –,  juris, Rn. 29 f., vom 4. Januar 2007 – 10 B 20.06 –,   juris, Rn. 12, vom 13. März 1992 – 4 B 39.92 –, juris Rn. 5, vom 18. Januar 1989 – 2 B 177.88 –, juris, Rn. 3, jeweils mit weiteren Nachweisen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt nicht auf, dass die gutachterliche Stellungnahme des Herrn L. Mängel hat, die sie nach den vorstehenden Maßgaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als ungeeignet erscheinen lassen könnte, auf ihrer Grundlage die Zumutbarkeit der vorhabenbedingten Geruchsimmissionen auf dem Grundstück des Klägers rechtlich zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen begründet, warum es den Gutachter als fachkundig einschätzt und das Gutachten inhaltlich als stichhaltig bewertet, ohne dass der Kläger diesen Gründen Durchgreifendes entgegenhält. Mit den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzt er sich überwiegend nicht auseinander und unterstellt im Übrigen nur, der Gutachter habe die konkreten örtlichen Verhältnisse, insbesondere die vermeintlich vergleichsweise geringen Abstände zwischen den genehmigten Stallgebäuden einschließlich der Mistplatte und den Wohngebäuden auf seinen eigenen Grundstücken außer Acht gelassen, ohne allerdings die pauschal behaupteten Fehler konkret aufzuzeigen. Der Gutachter hat vielmehr die „geringe Entfernung zur Nachbarschaft“ ausdrücklich angesprochen (Seite 3, zweiter Absatz) und in seine Bewertung überdies eingestellt, dass „fast alle Wirtschaftsgebäude der Hofstelle zur Tierhaltung genutzt werden und mit freier Lüftung über Fenster und Türen betrieben werden“ (Seite 4, erster Absatz). Ebenso hat er berücksichtigt, dass „circa zweimal pro Woche Mist aus einer ausgelagerten Tierhaltung angefahren“ und auf der Festmistplatte abgeladen wird (Seite 4, erster Absatz), und sich mit den Auswirkungen von etwaigen nächtlichen Kaltluftabflüssen und der Wahrscheinlichkeit von Schwachwindsituationen befasst. Dass letztere „bei geringen Entfernungen“ zwischen den zu betrachtenden Geruchsquellen und schutzbedürftigen Wohnräumen „kritisch“ seien, hat er selbst angenommen (Seite 5, erster Absatz). Soweit der Kläger sich auf seine eigenen Wahrnehmungen beruft, um die Einschätzung des Gutachters zu erschüttern, ist sein diesbezügliches Vorbringen unsubstantiiert. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 8. Oktober 2018 hat der Gutachter ausgeführt, dass die von dem Kläger bemängelte unterbliebene Berücksichtigung der Geruchsimmissionen, die im Zusammenhang mit der zugelassenen zeitweisen Haltung von Geflügel in den Stallgebäuden entstehen, wegen der geringen Zahl dieser Tiere „keine maßgebliche Rolle bezüglich der Geruchsbelastung“ spielen. Dieser Einschätzung setzt der Kläger ebenfalls nichts Erhebliches entgegen. Soweit er die mit der genehmigten Nutzung der Mistplatte verbundenen Geruchsemissionen anspricht, zeigt er nicht auf, dass der Gutachter diese außer Acht gelassen hätte. Geruchsemissionen, die mit einer etwaigen nicht genehmigten Nutzung verbunden wären, musste der Gutachter nicht berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Zeigt der Kläger danach nicht auf, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft von der in der mündlichen Verhandlung beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, legt er auch eine von ihm insoweit gerügte vorweggenommene Beweiswürdigung, die einen die Zulassung der Berufung begründenden Verfahrensfehler darstellen könnte, nicht dar.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich nach dem Vorstehenden aus dem Zulassungsvorbringen nicht.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger legt nicht dar, dass von dem Vorhaben unzumutbare Geruchimmissionen zu seinen Lasten ausgehen. Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu einer gegenteiligen Überzeugung gelangt. Es hat sich dabei auf die gutachterliche Stellungnahme des Herrn L. gestützt, deren fachliche Aussagen der Kläger – wie aus den oben stehenden Ausführungen folgt – mit seinem Zulassungsantrag nicht durchgreifend erschüttert hat. Für insoweit etwaig geltend gemachte Mängel in der richterlichen Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen danach ebenfalls nichts.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften zu seinen Lasten fälschlich verneint haben könnte. Es hat angenommen, dass zugunsten des Gebäudes 2a die Vorschrift des § 6 Abs. 11 Satz 2 BauO NRW 2018 einschlägig sei. Nachbarliche Belange würden durch das Vorhaben nicht berührt, insbesondere weil davon keine unzumutbaren Geruchsimmissionen zu Lasten des Klägers ausgingen, was dieser nach den vorstehenden Ausführungen mit dem Zulassungsantrag nicht durchgreifend in Frage gestellt hat.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p>
346,055
ovgni-2022-08-02-12-ms-8822
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
12 MS 88/22
"2022-08-02T00:00:00"
"2022-08-05T10:00:37"
"2022-10-17T17:55:37"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 19. Mai 2021 i. d. F. vom 6. Februar 2022 gegen die Genehmigung des Antragsgegners vom 29. März 2021 i. d. F. vom 30. Dezember 2021 wird wiederhergestellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten des Verfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller je zur Hälfte und ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Streitwert wird für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf 7.500 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller wenden sich gegen eine erneut für sofort vollziehbar erklärte immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Antragsgegners zur Errichtung und für den Betrieb einer Windenergieanlage (= WEA, 4) mit einer Gesamthöhe von 199,9 m und einer Nennleistung von bis zu 5,7 MW im Gebiet des Antragsgegners. Die Anlage soll im Bereich eines von der Stadt I. geplanten bzw. bereits dargestellten Sondergebiets „Windenergie“ - J. K. - verwirklicht werden, das im Einvernehmen mit der Stadt L. an ein südlich in deren Gebiet gelegenes entsprechendes Sondergebiet anschließt, in dem bereits drei WEA (1 -3) verwirklicht sind. Nordwestlich der hier umstrittenen WEA 4 ist (zeitlich nachfolgend) eine weitere WEA (5) geplant, die von den Antragstellern im Parallelverfahren mit dem Aktenzeichen 12 MS 89/22 angegriffen wird. Die Antragsteller wohnen in einer Entfernung von 1.533 m zur WEA 4; wegen der Einzelheiten wird auf die folgende Karte verwiesen:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><img xmlns:xs="http://www.w3.org/2001/XMLSchema" width="430px" src="/jportal/docs/anlage/r/bilder/ovgnw/mwre220006679/bild1.png" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Unter dem Aktenzeichen 12 MS 89/21 wandten sich die Antragsteller erstmals gerichtlich gegen den Sofortvollzug der Genehmigung (in der Ausgangsfassung). In der „Nebenbestimmung IV. 37“ zu dieser Ausgangsgenehmigung wurde eine Ausnahmegenehmigung von dem Beseitigungsverbot für Wallhecken zum Zwecke einer „Zuwegung“ erteilt. Unter dem 28. Juli 2021 erging dazu folgender Hinweis des Vorsitzenden:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„In pp ist nach den Ausführungen auf Seite 29 Ihres Bescheides vorliegend – wohl im Hinblick auf insgesamt vier Anlagen in einem gemeinsamen Windpark - eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles durchgeführt worden, und zwar mit dem Ergebnis, dass das Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen habe. An der Richtigkeit bzw. Nachvollziehbarkeit dieses Ergebnisses (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b, Satz 2 UmwRG i. V m. § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG) bestehen aber gegenwärtig Zweifel. Denn Gegenstand der standortbezogenen Vorprüfung ist nach § 7 Abs. 2 UVPG i. V. m. Nr. 2.3.6 der Anlage 3 zum UVPG u. a. die Frage, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Auswirkungen auf nach § 29 BNatSchG geschützte Landschaftsbestandteile haben kann. Hierzu gehören, wovon Sie im Bescheid zutreffend ausgegangen sind, nach § 29 BNatSchG i. V. m. § 22 Abs. 3 NAGBNatSchG in Niedersachsen Wallhecken. Vorliegend sind Sie jedoch selbst (S. 14 unter Nr. 37 des Bescheides) davon ausgegangen, dass es vorhabenbedingt zu einer Zerstörung von Wallhecken im Umfang von 410 qm kommt. Warum darin keine – mögliche – erhebliche nachteilige Umweltbeeinträchtigung insoweit liegen soll, wird nicht deutlich. Sollte eine solche Beeinträchtigung wegen der Kompensation durch die Neuanlage von Wallhecken verneint worden sein, so ist darauf hinzuweisen, dass unter Bezug auf die Gesetzesbegründung anerkannt ist, dass insoweit nach § 7 Abs. 5 Satz 1 Var. 3 UVPG als zu berücksichtigende „Vorkehrungen des Vorhabenträgers“ zwar Vermeidungs- und Verminderungs-, nicht aber Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen anzusehen sind (vgl. nur Tepperwien, in: Schink/Reidt/Mitschang, UVPG, UmwRG, § 7 UPVG, Rn. 10); die hier geplante Anlage einer neuen Hecke (an einem anderen Standort) dürfte aber zu der letztgenannten Gruppe zählen, da § 29 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG in bewusster Übernahme der Begrifflichkeiten der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Dez. 2020, § 29 BNatSchG, Rn. 15) von „Ersatzpflanzung“ spricht. Da Bezugspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit zunächst allein der jeweilige Umweltbelang, nicht aber die Zulassungsfähigkeit des Vorhabens ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 - 4 CN 11/03 -, juris, Rn. 23, Gatz, juris-BVerwG 22/2008 Anm. 2, Mitschang, in: Schink/Reidt/Mitschang, a. a. O., § 3 UVPG, Rn. 4, 5, m. w. N.), dürfte die – zumal nur potenzielle – nachteilige Erheblichkeit der Umweltbeeinträchtigung auch nicht damit verneint werden können, dass im Ergebnis der Schutz von Wallhecken der Genehmigungsfähigkeit der Windkraftanlage doch nicht entgegenstehe, wie sich aus der insoweit von Ihnen erteilten Ausnahme ergebe.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Daraufhin setzte der Antragsgegner am 6. August 2021 die sofortige Vollziehung der Genehmigung aus und wurde das gerichtliche Verfahren für erledigt erklärt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Auf den gesonderten Widerspruch der Beigeladenen als Vorhabenträgerin erließ der Antragsgegner unter dem 30. Dezember 2021 einen von ihm sog. (Teil-)Abhilfebescheid. Darin wurde u. a. die Begründung für die o. a. Nebenbestimmung IV. 37 „ergänzt“. Zuvor war unter dem 29. Dezember 2021 erneut eine standortbezogene Vorprüfung (auf 60 Seiten) erfolgt, die unverändert - auch bezogen auf den Schutz der Wallhecke - eine erhebliche nachteilige Umwelteinwirkung verneinte. In der Annahme, damit sei „der zuvor vom OVG … gerügte Verfahrensfehler nachgebessert“ worden, wurde die sofortige Vollziehung dieses Bescheides erneut angeordnet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>In dem sich anschließenden zweiten von den Antragstellern eingeleiteten Verfahren nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO (- 12 MS 62/22 -) erklärte der Antragsgegner, dass er:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„die in der Änderungsgenehmigung vom 30.12.2021 bezüglich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 29. …3.2021 erneut angeordnete sofortige Vollziehbarkeit gem. § 80 Abs. 4 VwGO aussetzt. Das Bauamt fertigt derzeit eine Stilllegungsverfügung, weil die Klägerin abweichend von der Baugenehmigung den Standort verändert hat und im Zuge dieser Maßnahme die Inanspruchnahme einer weiteren Wallhecke mit einer Fläche von 25 m² beansprucht. Die Stilllegung ist tatsächlich noch nicht erfolgt, steht aber unmittelbar bevor. Da durch die vom Beigeladenen inzwischen angezeigte Inanspruchnahme einer weiteren Wallhecke mit einer Fläche von 25 m² eine erhebliche Abweichung von der ursprünglichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gegeben ist, die auch die Durchführung eines Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahrens (UVP) erforderlich macht und das Gericht in diesem Verfahren ebenfalls gerügt hat, dass schon für die bisherige Genehmigung eine UVP durchzuführen ist, soll die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Genehmigung der Beigeladenen erst erfolgen, wenn über den geänderten Antrag entschieden ist und für die Altgenehmigung das UVP-Verfahren durchgeführt worden ist.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die sofortige Vollziehung wurde dementsprechend am 8. Juni 2022 erneut ausgesetzt, und das Verfahren 12 MS 62/22 wurde ebenfalls in der Hauptsache für erledigt erklärt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Bereits unter dem 1. März 2022 hatte die Beigeladene einen „Antrag nach § 15 BImSchG“ aufgrund einer Änderung der Zuwegungen gestellt. Eine förmliche Entscheidung dazu erging nach Aktenlage nicht. Vielmehr wurde dazu unter dem 27. Juni 2022 von der Sachbearbeiterin des Antragsgegners ein Vermerk verfasst. Danach verändere sich der Umfang des Eingriffs in die Wallhecke, wegen der geringen Abweichung sei weder eine Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG noch eine Anpassung der standortbezogenen Vorprüfung erforderlich; wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Nach der auf Bitte des Antragsgegners erfolgten „Durchsicht und Korrektur“ des Entwurfes durch den Bevollmächtigten der Beigeladenen, aber ohne vorherige Beteiligung und Anhörung der Antragsteller ordnete der Antragsgegner am 5. Juli 2022 dann wieder die sofortige Vollziehung an und gab dieses Schreiben der Beigeladenen, nicht aber den Antragstellern bekannt. Sie wurden vielmehr mit gesonderten Schreiben vom 7. Juli 2022, zugegangen am 11. Juli 2022, nur darüber informiert, dass die Abweichungen in der Bauweise nach Prüfung als unwesentlich eingestuft worden seien und deshalb die sofortige Vollziehung wieder angeordnet worden sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Am 13. Juli 2022 haben die Antragsteller den vorliegenden neuen, dritten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, dem der Antragsgegner und die Beigeladene entgegentreten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller nach §§ 80a Abs. 1 und 3, 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig (1) und begründet (2).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>1. Da der Antragsgegner erneut die sofortige Vollziehung der Genehmigung angeordnet und über den Widerspruch der Antragsteller noch nicht entschieden hat, begehren die Antragsteller zutreffend die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Da trotz gerichtlichen Hinweises unklar geblieben ist, ob der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Genehmigung zuletzt i. d. F. vom 30. Dezember 2021 oder einer nachfolgenden Modifikation angeordnet hat, ist es auch nicht zu beanstanden, dass sich der Antrag gegen die Genehmigung zuletzt i. d. F. vom 30. Dezember 2021 richtet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Die Antragsteller sind auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO entsprechend).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Wird – wie hier – von einem Drittbetroffenen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung angegriffen, so ist er (u. a.) antragsbefugt, wenn er im Einwirkungsbereich der genehmigten Anlage wohnt (vgl. Senatsbeschl. v. 11.3.2019 -12 ME 105/18 -, juris, Rn. 24; Senatsurt. v. 24.10.2019 - 12 KS 127/17 -, juris, Rn. 139 f., jeweils m. w. N.). Dieser Einwirkungsbereich ist in untergesetzlichen Regelwerken teilweise ausdrücklich normiert, so etwa in Nr. 2.2 TA Lärm bzw. in Nr. 4.6.2.5 TA Luft unter der Bezeichnung „Beurteilungsgebiet“, das sich aufgrund seiner Funktion mit dem Einwirkungsgebiet deckt (Thiel, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Dezember 2021, § 3 BImSchG, Rn. 28; Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewiz, BImSchG, 242. Lieferung, Juni 2022, § 6 BImSchG, F 7; jeweils m. w. N). Fehlt eine solche Regelung für eine Immissionsart, so ist entsprechend der allgemeinen Definition des Einwirkungsbereichs (vgl. Thiel, a. a. O., Rn. 26) auf denjenigen räumlichen Bereich abzustellen, in dem die Emissionen der Anlage noch einen relevanten, d. h. individualisierbaren Immissionsbeitrag liefern, ohne dass dieser dauerhaft sein muss. Bezogen auf den – als Immission i. S. d. BImSchG einzuordnenden (vgl. Jarass, BImSchG, 13. Aufl., § 3, Rn. 12, m. w. N.) – von sich drehenden Rotoren der WEA potenziell ausgehenden Schattenwurf liegen also diejenigen Grundstücke im Einwirkungsbereich, in denen ein solcher Schlagschatten wahrnehmbar auftreten kann. Ob dies der Fall ist, kann wiederum nicht stets gerichtlich selbst, sondern ggf. nur aufgrund vorliegender Gutachten beurteilt werden. Steht deren Richtigkeit nicht fest oder beziehen sie sich nicht ausdrücklich auf das Grundstück der Antragsteller, so ist dies im Rahmen der Zulässigkeit angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.9.2018 - 7 C 24/16 -, juris, Rn. 21). Eine gerichtliche Beweisaufnahme hierzu findet grundsätzlich – zumal im Eilverfahren – nicht statt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.7.2014 - 3 B 70/13 -, juris). Im Zweifelsfall ist vielmehr die Antragsbefugnis zu bejahen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Hieran gemessen sind die Antragsteller jedenfalls bezogen auf von der WEA 4 ausgehenden Schattenwurf antragsbefugt. Denn nach dem im Genehmigungsverfahren vorgelegten Gutachten vom 6. November 2020 ist ihr Wohngrundstück bei der angezeigten Betrachtungsweise vom Schlagschatten der WEA 4 betroffen (vgl. nachfolgende Karte aus diesem Gutachten); dass insoweit auch die für die Genehmigung maßgeblichen Richtwerte erreicht oder ohne Schutzvorkehrungen überschritten werden, ist hingegen für die Bejahung der Antragsbefugnis nicht erforderlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><img xmlns:xs="http://www.w3.org/2001/XMLSchema" width="295px" src="/jportal/docs/anlage/r/bilder/ovgnw/mwre220006679/bild2.png" alt="Abbildung" title="Abbildung" style="margin-top: 3px;"></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Dass die Antragsteller nach dem Vorbringen der Beigeladenen gegen einen höheren Betrag ggf. ihren Widerspruch zurücknehmen würden, führt nicht zur Unzulässigkeit des vorliegenden Antrages.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>2. Der Antrag nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO ist auch begründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung schon nicht den formellen Anforderungen des §§ 80a Abs. 1 Nr. 1 (entsprechend), 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO genügt (2.a) und zudem wegen der - von den antragsbefugten Antragstellern rügefähigen - mutmaßlichen Rechtswidrigkeit der (erforderlichen) standortbezogenen Vorprüfung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das gegenläufige Interesse der Beigeladenen auch inhaltlich überwiegt (2.b).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Ausdrücklich gesetzlich sind die formellen und materiellen Voraussetzungen für die – hier in entsprechender Anwendung von § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO erfolgte – Wiederanordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes mit sog. Doppel- oder Drittwirkung nicht geregelt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>a) Die Regelungen aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz sind insoweit nicht unmittelbar anwendbar, weil es sich bei der Anordnung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen eigenständigen verfahrensrechtlichen Annex zu dem Verwaltungsakt handelt (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 80, Rn. 78, m. w. N.)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>aa) Hieran anknüpfend wird grundsätzlich auch eine Pflicht zur vorherigen Anhörung gemäß oder entsprechend § 28 VwVfG verneint.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Von dieser fehlenden Bindung an die einfach-rechtlichen Vorgaben des VwVfG bleiben allerdings die verfassungsunmittelbaren Verfahrensgarantien unberührt, zu denen u. a. das Gebot eines fairen Verfahrens zählt und aus dem sich ein Recht zur Anhörung ergeben kann. Ein solches ist daher jedenfalls zu bejahen, wenn ein Betroffener nicht (mehr oder jetzt) mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung rechnen muss (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser, u. a., VwGO, 8. Aufl., § 80, Rn. 58; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 42. EL Februar 2022, VwGO, § 80, Rn. 259 zum Verbot von „Überraschungsentscheidungen“; weiter gehend Schenke, a. a. O., Rn. 82, Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auf., Rn. 732, m. w. N.). Ob dies bereits bei jeder erneuten Anordnung der Fall ist (vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 80, Rn. 53), kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls nach der o. a. ausdrücklichen Ankündigung,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Genehmigung der Beigeladenen“ werde „erst erfolgen, wenn über den geänderten Antrag entschieden ist und für die Altgenehmigung das UVP-Verfahren durchgeführt worden ist“,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>mussten die Antragsteller nicht damit rechnen, dass eine solche – nunmehr dritte – Anordnung ohne ihre vorherige Anhörung und Durchführung einer solchen Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen würde. Sie hätten also vorher zumindest dazu angehört werden müssen, was zu Unrecht unterblieben ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Ob und wie eine Nachholung dieses Verfahrensschrittes möglich ist, kann offen bleiben. In dem bloßen Austausch von Schriftsätzen in diesem Verfahren bei Fortdauer des angegriffenen Sofortvollzugs liegt sie jedenfalls nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.2022 - 4 A 7/20 -, juris, Rn. 25, m. w. N.), im Übrigen hat der Antragsgegner keine entsprechenden Maßnahmen unternommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>bb) Zudem hätte die Anordnung vom 5. Juli 2022 auch den Antragstellern als drittbetroffenen Widerspruchsführern förmlich bekanntgegeben werden müssen (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO., 5. Aufl., § 80, Rn. 80). Auf dieses Erfordernis ist der Antragsgegner bereits in dem ersten vorangegangenen Verfahren (- 12 MS 89/21 -) mit gerichtlicher Verfügung vom 10. August 2021 ausdrücklich hingewiesen. Auch eine solche Bekanntgabe ist jedoch – offenbar bewusst – unterblieben, indem die Antragsteller mit zeitlichem Verzug am 11. Juli 2022 lediglich über das Ergebnis in Kenntnis gesetzt worden sind. Die Möglichkeit der (erstmaligen) Kenntnisnahme von der am 5. Juli 2022 erfolgten Anordnung im gerichtlichen Verfahren ersetzt die gegenüber den Antragstellern mangels entsprechenden Bekanntgabewillen fehlende Bekanntgabe nicht (vgl. zu § 41 VwVfG: Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 41, Rn.7a).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>cc) Schließlich mangelt es der erneuten Anordnung auch an der erforderlichen Bestimmtheit hinsichtlich der Frage, bezogen auf welche genehmigte Bauweise die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erneut für sofort vollziehbar erklärt worden ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Ausdrücklich ergibt sich dies aus der Anordnung vom 5. Juli 2022 nicht. Auch sinngemäß lässt sich aus der maßgebenden Sicht des Empfängerhorizontes nicht eindeutig bestimmen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Gegen die Annahme, dass der Sofortvollzug lediglich der Genehmigung des Antragsgegners vom 29. März 2021 i. d. F. vom 30. Dezember 2021 wieder angeordnet werden sollte, spricht entschieden, dass die Anordnung vom 5. Juli 2022 so nicht lautet, sondern stattdessen ausdrücklich auf eine von der Genehmigung i. d. F. vom 30. Dezember 2021 abweichende Bauausführung sowie eine ausreichende Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG verweist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Welche Wirkung diese Änderungsanzeige aus Sicht des Antragsgegners haben soll, wird jedoch weder aus der Anordnung vom 5. Juli 2022 noch aus dem sonstigen Akteninhalt deutlich. Im Übrigen kommt ihr auch nicht die ggf. zugedachte Wirkung einer Legalisierung der abweichenden Bauweise zu. Dies gilt schon deshalb, weil die Änderungsanzeige lediglich die spezifisch immissionsschutzrechtliche Unbedenklichkeit des Vorhabens zum Gegenstand hat, sich aber nicht auf die hier entscheidende Änderung von Erschließungsanlagen bezieht. Solche sind – wohl entgegen der Annahme des Antragsgegners – bereits grundsätzlich nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG umfasst (vgl. Agatz, Windenergiehandbuch, Stand: Dezember 2021, S. 11; Hess. VGH, Beschl. v. 27.1.2022 - 3 B 1209/21 -, juris, Rn. 30 f.; Lange, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 13 BImSchG, Rn. 21, m. w. N; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 97. EL Dezember 2021, § 13 BImSchG, Rn. 72 ff.) und erst recht nicht von der Wirkung einer Änderungsanzeige nach § 15 BImSchG; vielmehr bedarf es insoweit (je nach Umfang der Erschließungsanlagen) grundsätzlich einer gesonderten, hier aber fehlenden Baugenehmigung. Ob insoweit zusätzlich bezogen auf die Überbauung/Verrohrung von wasserführenden Gräben eine wasserrechtliche Genehmigung erforderlich ist, kann offen bleiben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Schon aus diesem Grund scheidet schließlich auch die Annahme aus, die abweichende Bauweise sei noch von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 29. März 2021 i. d. F. vom 30. Dezember 2021 gedeckt. Denn schon die – in dem vom Antragsgegner sog. „geänderten Parklayout“ – vorgesehene sog. Verschiebung „der bisher südlich des Anlagenstandortes vorgesehenen temporären Erschließungsflächen“ „auf die nördliche Anlagenseite“, d. h. auf ein anderes Flurstück, erfordert eine erneute Überprüfung der bau- und artenschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen, letzteres gilt auch für die Veränderung des Verlaufs der Zuwegung, und überschreitet damit die zulässige Variationsbreite der erfolgten Genehmigung, zumal sich diese – wie ausgeführt – rechtmäßig ohnehin nicht auf Erschließungsstraßen bezieht. Die etwaige materielle Genehmigungsfähigkeit ersetzt eine gebotene, aber fehlende Genehmigung nicht. Im Übrigen hat nach Aktenlage jedenfalls die für die naturschutzfachliche Bewertung beim Antragsgegner zuständige Abteilung unter dem 25. April 2022 eine solche Vereinbarkeit nur unter einer Mehrzahl vom Nebenbestimmungen bejaht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>b) Zu den materiellen Voraussetzungen an die Anordnung einer sofortigen Vollziehung nach vorheriger behördlicher Aussetzung hat das Bundesverwaltungsgericht (Beschl. v. 17.9.2001 - 4 VR 19/01 -, juris, Rn. 7) ausgeführt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Durch eine Aussetzung der Vollziehung erlegt sich die Behörde keine Bindungen auf, die es ihr für die Zukunft erschweren, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die ihr der Gesetzgeber mit dem Wegfall der aufschiebenden Wirkung zubilligt. Freilich wirkt die Aussetzung nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO, vorbehaltlich einer Befristung, grundsätzlich bis zu dem Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsaktes oder dem in § 80 b VwGO bestimmten Zeitpunkt. Die zuständige Behörde kann indes, soweit keine anderweitigen rechtlichen Bindungen bestehen, die Aussetzungsentscheidung ändern oder aufheben. Allerdings findet sich in § 80 Abs. 4 VwGO keine dem § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO entsprechende Regelung. Das bedeutet aber allenfalls, dass die Aussetzungsentscheidung nicht im Sinne dieser Vorschrift jederzeit geändert oder aufgehoben werden darf. Zu einer Neubeurteilung berechtigen indes allemal veränderte Umstände. Eine neue Sachlage, die die Behörde zum Anlass für eine Änderung oder eine Aufhebung der Aussetzung nehmen darf, ist jedenfalls auch dann gegeben, wenn das tatsächliche oder rechtliche Hindernis wegfällt, das im Zeitpunkt der Entscheidung einer sofortigen Vollziehung im Wege stand.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>aa) Legt man die letztgenannte Voraussetzung zugrunde, so ist schon zweifelhaft, ob der Antragsgegner überhaupt zu einer erneuten Anordnung berechtigt war. Denn nach den eigenen Ausführungen in dem o. a. Schriftsatz aus dem Verfahren 12 MS 62/22 hat der Antragsgegner den richterlichen Hinweisen folgend ein maßgebendes Hindernis in der fehlenden Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung gesehen. Dieses Hindernis besteht aber fort.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>bb) Selbst wenn man jedoch veränderte Umstände nicht für erforderlich erachtet bzw. annimmt, der Antragsgegner habe seine Ansicht zu dem maßgebenden Hindernis ändern und weiter annehmen dürfen, jedenfalls seine geänderte Vorprüfung sei ausreichend, so reicht die materielle Befugnis zur Erneuerung der Anordnung jedenfalls aber nicht weiter als bei einer erstmaligen Anordnung, darf also insbesondere dann nicht erfolgen, wenn der angegriffene Verwaltungsakt voraussichtlich an von dem Widerspruchführer rügefähigen Mängeln leidet, die zur fehlenden Vollzugsfähigkeit des Verwaltungsakts führen (vgl. Schenke, a. a. O., Rn. 101). Dies ist hier jedoch wegen der erforderlichen standortbezogenen Vorprüfung der Fall, deren Ergebnis unverändert i. S. d. § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG nicht „nachvollziehbar“ ist (vgl. Senatsbeschl. v. 21.12.20 - 12 ME 140/20 -, juris, Rn. 35 sowie BVerwG, Urt. v. 27.9.2018 - 7 C 24/16 -, juris, Rn. 37, zu den Folgen einer fehlerhaften Vorprüfung).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Die in Rede stehende WEA 4 bildet mit den südlich bzw. südöstlich gelegenen WEA 1 bis 3 eine Windfarm i. S. d. § 2 Abs. 5 UVPG. Ihre Einwirkungsbereiche (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.4.2020 - 4 B 39/19 -, juris, Rn. 16) überschneiden sich, und zwischen ihnen besteht auch ein funktionaler Zusammenhang, da die drei ersten WEA sich in einer Konzentrationszone der Stadt L. (65. Änderung ihres Flächennutzungsplans aus dem Jahr 2016) befinden und die WEA 4 in einem (entsprechenden) Gebiet der Stadt I. liegt, das unmittelbar angrenzend bewusst im Einvernehmen mit der Stadt L. grenzüberschreitend als Ergänzung dargestellt bzw. zumindest geplant ist. Nach den Antragsunterlagen soll die neue WEA 4 zudem an die für die WEA 1 bis 3 errichtete Kabeltrasse angeschlossen werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Für eine solche Windfarm mit mindestens drei (bis höchstens) sechs WEA ist entweder nach Nr. 1.6.3 der Anlage 1 zum UVPG unmittelbar oder hier i. V. m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UVPG eine standortbezogene Vorprüfung nach § 7 UVPG durchzuführen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 UVPG wird die standortbezogene Vorprüfung als überschlägige Prüfung in zwei Stufen durchgeführt. In der ersten Stufe prüft die zuständige Behörde nach Satz 3 dieser Norm nur, ob bei dem Neuvorhaben besondere örtliche Gegebenheiten gemäß den in Anlage 3 Nummer 2.3 aufgeführten Schutzkriterien vorliegen. Bejahendenfalls prüft die Behörde nach Satz 5 dieser Norm auf der zweiten Stufe unter Berücksichtigung der in Anlage 3 aufgeführten Kriterien, ob das Neuvorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die die besondere Empfindlichkeit oder die Schutzziele des Gebietes betreffen und nach § 25 Abs. 2 bei der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen wären. Auch in diesem sog. zweiten Prüfungsschritt einer standortbezogenen Vorprüfung sind damit gerade nicht alle vorhabenbedingten Umweltauswirkungen zu würdigen, sondern nur solche bezogen auf die in Nr. 2.3. der Anlage 2 zum UVPG a. F. bezeichneten besonders geschützten Gebiete (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.9.2019 - 7 C 5/18 -, juris, Rn. 30 ff.). Das ist nunmehr vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 Satz 5 UVPG (n. F.) klarstellt worden (vgl. BT-Drs. 18/11499, S. 78 f.; Tepperwien in: Schink/Reidt/Mitschang, UVPG, UmwRG, § 7 UVPG, Rn. 2). Nach § 7 Abs. 7 UVPG sind die Durchführung und das Ergebnis (auch) der standortbezogenen Vorprüfung zu dokumentieren.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Hieran gemessen ist das Ergebnis der vom Antragsgegner durchgeführten standortbezogenen Vorprüfung nicht „nachvollziehbar“.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Ausführlich dokumentiert (und bekannt gegeben) worden ist die sog. Wiederholung der standortbezogenen Vorprüfung vom 28. Dezember 2021. Nach dem o. a. Vermerk vom 27. Juni 2022 soll die geänderte Bauweise keine „Anpassung der standortbezogenen Vorprüfung“ erfordern. Gleichwohl finden sich hierzu entsprechende Ausführungen in der Begründung zu der Anordnung vom 5. Juli 2022, deren Ergebnis nicht gesondert bekannt gegeben worden ist. Insoweit setzen sich die zuvor unter 2.a) cc) angeführten Unsicherheiten zu der Frage fort, auf welche konkrete Bauweise sich nun die standortbezogene Vorprüfung beziehen soll.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Geht man mit den entsprechenden Erklärungen des Antragsgegners davon aus, dass die Vorprüfung vom 28. Dezember 2021 ungeachtet der geänderten Bauweise fortgelten soll, und weiter, dass sich diese nicht bereits dadurch als überholt erweist, dass das Vorhaben in einer wesentlich geänderten Weise durchgeführt werden soll (vgl. zu dieser Grenze: BVerwG, Urt. v. 24.5.2018 - 4 C 4/17 -, juris, Rn. 21 f.), so spricht Vieles schon deshalb für die fehlenden Nachvollziehbarkeit dieser Vorprüfung, weil sie aus den folgenden Gründen im weiten Teilen Unerhebliches enthält, hingegen den Maßstab für die (potenzielle) Erheblichkeit einer nachteiligen Umweltauswirkung i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 3 UVPG nicht bezeichnet und sich die Verneinung einer solchen Erheblichkeit jedenfalls zu Unrecht auch auf Kompensationsmaßnahmen stützt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Unerheblich sind nach dem o. a. Maßstab zunächst die Ausführungen von Seite 6 bis 10 zu den sog. Nutzungskriterien. Die gebotene Prüfung der ersten Stufe erfolgt erst ab Seite 10 unten und weist auf Seite 18 f. – bei Anwendung des weiten Vorhabenbegriffs i. S. d. UVPG insoweit zu Recht unter Einbeziehung der Auswirkungen der Erschließungsanlagen – zutreffend eine besondere örtliche Gegebenheit i. S. d. Nr. 2.3.6 der Anlage 3 zum UVPG aus, und zwar nach § 29 BNatSchG i. V. m. § 22 Abs. 3 NAGBNatSchG bezogen auf die teilweise Zerstörung von landesrechtlich geschützten Wallhecken. Die weitere Prüfung zu Nr. 2.3.7 verlässt dann wiederum den gesetzlichen Rahmen, indem auf den Seiten 19 bis 37 nicht ein Eingriff in ein Biotop und seine schutzkonstituierenden Teile, sondern bezogen auf den Anlagenstandort allgemein Beeinträchtigungen von Vögeln und Fledermäusen untersucht werden. Weshalb trotz der Feststellung, dass die nähere Nachbarschaft zur WEA nur dünn besiedelt sei, wegen des Vorhandenseins von Wohnnutzung im schalltechnischen Einwirkungsbereich (?) eine Besonderheit i. S. d. Nr. 2.3.10 bejaht wird, ist unverständlich. Folgerichtig wird dann ein Eintritt in die zweite Prüfungsstufe für erforderlich erachtet, es folgt ab Seite 39 bis 44 aber keine solche nach dem o. a. Maßstab bezogen auf die (vermeintlich) besonders betroffenen beiden Gebiete. Inwieweit die darin enthaltene Bewertung der Lärmimmissionen als unerheblich i. S. d. § 7 UVPG zutrifft, kann somit offen bleiben – solche waren hier gar nicht zu prüfen und zu bewerten. Ab Seite 48 geht es um die Auswirkungen auf die Wallhecken, die zusammenfassend auf Seite 57 dahin bewertet werden, dass</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„aus naturschutzfachlicher Sicht … durch die im LBP dargelegten Vermeidungs-, Minimierungs- und Kompensationsmaßnahmen und durch die in der Genehmigung festgeschriebenen Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen keine erheblichen Umweltauswirkungen“ zu bejahen seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Dabei werden zu Unrecht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 8.7.2021 - 7 KS 87/18 -, juris, Rn. 49, m. w. N.) Kompensationsmaßnahmen sowie nicht (erkennbar) vom Vorhabenträger selbst vorgesehene Maßnahmen (vgl. § 7 Abs. 5 Satz 1 UVPG) einbezogen und bleibt der entscheidende Maßstab für die Erheblichkeit unklar. Dies setzt sich mit den nachgeschobenen Ausführungen auf den Seiten 58 bis 60 fort. Soweit dort auf ein Überwiegen des Interesses am Ausbau der Windenergie gegenüber dem Schutz der Wallhecken und die darauf beruhende Erteilung einer Ausnahme nach § 22 Abs. 3 Satz 6 NAGBNatSchG abgestellt wird, wird damit die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, nicht aber die davon zu unterscheidende, dieser Entscheidung vorgelagerte (potenzielle) Erheblichkeit der mit dem Eingriff in die Wallhecken verbundenen nachteiligen Umwelteinwirkung bewertet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Unabhängig von diesen Mängeln in der tatsächlich erfolgten Prüfung kann bei zutreffendem Verständnis auch nicht verneint werden, dass das Vorhaben der Beigeladenen mit der Beseitigung von Wallhecken eine erhebliche nachteilige Umweltauswirkung i. S. d. § 7 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 5 UVPG haben kann. Bezugspunkt für die Beurteilung der Erheblichkeit ist zunächst allein der jeweilige Umweltbelang, nicht aber die Zulassungsfähigkeit des Vorhabens insgesamt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 - 4 CN 11/03 -, juris, Rn. 23, Gatz, juris-BVerwG 22/2008 Anm. 2, Mitschang, in: Schink/Reidt/Mitschang, UVPG, UmwRG, § 3 UVPG, Rn. 4, 5, m. w. N.) Die – zumal nur potenzielle – Erheblichkeit der nachteiligen Umweltbeeinträchtigung kann damit nicht mit der Begründung verneint werden, dass im Ergebnis der Schutz von Wallhecken der Genehmigungsfähigkeit der Windenergieanlage doch nicht entgegenstehe, wie sich aus der insoweit vom Antragsgegner erteilten Ausnahme ergebe. Die Erheblichkeit ist stattdessen nach dem Maßstab des Fachrechts bzw. materiellen Zulassungsrechts (vgl. das inzwischen rechtskräftige Senatsurt. v. 26.2.2020 - 12 LB 157/28 -, juris, Rn. 55, m. w. N.; Nds. OVG, Beschl. v. 11.10.2021 - 1 ME 110/21 -, juris, Rn. 23 unter Bezug auf BVerwG, Urt. v. 17.12.2013 - 4 A 1/13 -, juris, Rn. 37; BVerwG, Urt. v. 24.5.2018, a. a. O., Rn. 25; Mitschang, a. a. O., Rn. 7), hier also des § 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 NAGBNatSchG, zu bestimmen. Danach dürfen Wallhecken nicht beseitigt werden und sind alle Handlungen, die das Wachstum der Bäume und Sträucher beeinträchtigen, verboten. Gesetzlich in Satz 4 enthaltene Einschränkungen für dieses Verbot greifen vorliegend nicht ein, und zwar auch nicht in entsprechender Anwendung. Selbst wenn man die dort in Satz 4 Nr. 5 enthaltene Privilegierung für die Landwirtschaft auf Erschließungsanlagen für WEA übertrüge, wäre hier die dann entsprechend geltende Grenze „von bis zu zwei Durchfahrten pro Schlag, jeweils bis zu acht Metern Breite“ überschritten. Vorgesehene Ersatzpflanzungen an anderer Stelle bleiben als Kompensationsmaßnahme für die Bewertung i. S. d. § 7 UPVG unberücksichtigt. Kann das Vorhaben der Beigeladenen nach diesen fachrechtlichen Spezialvorgaben also grundsätzlich nicht (ohne Ausnahme) verwirklicht werden, sind erhebliche nachteilige Umwelteinwirkungen zu bejahen. Dass im überwiegenden öffentlichen Interesse am Ausbau der Windenergie eine Ausnahme nach § 22 Abs. 3 Satz 6 NAGBNatSchG erteilt worden ist, ändert an der bewusst gerade an der Bewertung allein des Eingriffs in die Wallhecke orientierten Bewertung als „erheblich“ ebenfalls nichts. Ein atypischer Fall, in dem nicht einmal der Schutz der betroffenen Wallhecken als solcher gerechtfertigt ist, liegt hingegen nicht vor. Würde man sich von dem insoweit klaren Maßstab des § 22 Abs. 3 NAGBNatSchG lösen, bliebe im Übrigen trotz der schwerwiegenden rechtlichen Folgen, insbesondere der Notwendigkeit, bei Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung die Öffentlichkeit im Genehmigungsverfahren zu beteiligen (vgl. allgemein § 18 UVPG), der stattdessen geltende Maßstab unklar (vgl. Agatz, a. a. O., S. 44, wonach es „immer noch völlig unklar sei, welches (genaue) Ausmaß an Umweltauswirkungen als erheblich anzusehen sei“). Dementsprechend gelingt es auch dem Antragsgegner nicht, den von ihm bevorzugten abweichenden Maßstab abstrakt zu umschreiben. Eine „Abwägung mit widerstreitenden Belangen“ findet insoweit gerade nicht statt. Ihm kann auch nicht in der (nachgeschobenen) Annahme gefolgt werden, die fehlende Erheblichkeit ergebe sich hier aus Nr. 2.1 der Anlage 1 zum NUVPG, wonach bei einer Beseitigung oder Beeinträchtigung einer Wallhecke von weniger als 500 m eine standortbezogene Vorprüfung erforderlich ist. Die Vorschrift ist hier nicht einschlägig, weil sich die Vorprüfungspflicht aus dem UVPG des Bundes ergibt (s. o.); zudem regelt sie im Bereich des Landesrechts nicht die Erheblichkeit eines Eingriffs, sondern begründet vielmehr einen gesonderten Tatbestand für ein Vorhaben, das nach Landesrecht einer Vorprüfung bedarf. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, sollte insoweit bewusst über das Bundesrecht hinaus (vgl. LT-Drs. 18, 5402, S. 9 f.) landesrechtlich ein gesonderter Tatbestand zum Schutz von Wallhecken geschaffen werden. Dieses Motiv kann nicht in sein Gegenteil verkehrt werden, indem daraus auf die generelle oder weitgehende Unerheblichkeit von Eingriffen (unter 500 m) in Wallhecken geschlossen werden soll. Vielmehr ist umgekehrt auch Nr. 2.1 der Anlage 1 zum NUVPG unverändert (vgl. zur Vorgängerfassung schon die Gesetzesbegründung in LT- Drs. 15/3440, S. 32 f.):</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„<em>Es ist nicht plausibel, dass die Beseitigung von 499 m Wallhecke keine erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt haben kann (und eine UVP daher nicht erforderlich ist), andererseits aber § 33 NNatG [a. F.] einen nicht an ein Längenmaß geknüpften Wallheckenschutz normiert … Dem Petitum ….. einen „generellen“ unteren Bagatell-Schwellenwert (unterhalb dessen auch keine Einzelfallprüfung erfolgt) einzuführen, wird daher nicht gefolgt“)</em></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>selbst im Lichte des § 22 NAGBNatSchG auszulegen, d. h. auch insoweit ist im Zweifel eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu bejahen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit i. S. d. § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nrn. 7 Buchst. a, 17 Buchst. b) der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. bereits Beschl. v. 13.6.2022 in 12 MS 62/22).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006679&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,488
olgkarl-2022-08-01-19-w-1121-wx
{ "id": 146, "name": "Oberlandesgericht Karlsruhe", "slug": "olgkarl", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
19 W 11/21 (Wx)
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-09-08T10:01:31"
"2022-10-17T11:09:56"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p/><p>1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 16.11.2020 – 4 OH 6/20 – wird zurückgewiesen.</p><p>2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 1.</p><p>3. Der Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 34.316,63 EUR.</p><p>4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td/></tr></table> <table style="margin-left:12pt"><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Beteiligte zu 1 ist eine gemeinnützige GmbH. Ihr Stammkapital unterfällt in fünf Geschäftsanteile zu gleichen Teilen (Nennbetrag jeweils 5.120 EUR), so dass jeder Anteil 20 % der Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft (25.600 EUR) vermittelt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Durch notarielle Urkunde des Beteiligten zu 2 vom 8.12.2019 (UR 1864/2019 Z) wurden zwei Geschäftsanteile an der Beteiligten zu 1 von bisherigen Gesellschaftern an Erwerber übertragen. Nach dem Inhalt der notariellen Urkunde trägt die Beteiligte zu 1 die anfallenden Kosten dieser Urkunde. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Urkunde Bezug genommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Das Eigenkapital der Beteiligten zu 1 betrug 36.642.917,35 EUR.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Für das Beurkundungsverfahren erteilte der Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Notar) der Beteiligten zu 1 am 7.1.2020 eine Kostenberechnung (...) über Notarkosten in Höhe von 34.564,98 EUR. Für die Gebühr nach 21100 für das Beurkundungsverfahren berücksichtigte er unter Angabe von § 54 GNotKG einen Geschäftswert von insgesamt 14.657.166,94 EUR (für jeden der beiden Geschäftsanteile einen Wert von 7.328.583,47 EUR). Ergänzend wird auf die streitgegenständliche Kostenberechnung Bezug genommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Notarkosten wurden von der F. & Co. Kommanditgesellschaft bezahlt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Die Beteiligte zu 1 hat gegen die Kostenberechnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und den in der Kostenberechnung für das Beurkundungsverfahren berücksichtigten Geschäftswert beanstandet. Nach § 54 S. 1 GNotKG sei zwar der Geschäftswert für die Übertragung der Geschäftsanteile nach dem Eigenkapital der Gesellschaft zu bestimmen. Da aber Geschäftsanteile an einer gemeinnützigen GmbH übertragen worden seien, die den Gesellschaftern weder eine Teilhabe am Gewinn noch am Vermögen der Gesellschaft vermittelten, entfalle auf diese Geschäftsanteile kein Anteil des Eigenkapitals i.S.d. § 54 S. 1 GNotKG. Der Wert sei daher „Null“, so dass von einem Mindestgeschäftswert von unter 500 EUR auszugehen sei. Deshalb sei die streitgegenständliche Kostenrechnung auf 248,35 EUR herabzusetzen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Der Notar ist dem Antrag entgegengetreten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Der Beteiligte zu 3 hat dahingehend Stellung genommen, dass die streitgegenständliche Kostenberechnung nicht zu beanstanden sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Das Landgericht hat die streitgegenständliche Kostenrechnung bestätigt. Der Geschäftswert für die Beurkundung der Geschäftsanteilsübertragungen an der GmbH bestimme sich nach § 54 GNotKG. Wenn – wie vorliegend – kein genügender Anhaltspunkt für einen höheren Wert bestehe, bestimme sich der Wert nach dem Eigenkapital i.S.d. § 266 Abs. 3 HGB, das auf den jeweiligen Anteil entfalle. Dabei unterscheide der Gesetzgeber nicht, ob es sich um eine individual- oder gemeinnützige Kapitalgesellschaft handele. Eine zuvor zur KostO vertretene Bewertungsmethode für einen Geschäftswert für die Beurkundung von Geschäftsanteilsübertragungen einer gemeinnützigen GmbH nach dem Nennwert sei nach den klaren Regelungen des GNotKG nicht mehr möglich. Diese ergebe sich auch nicht aus einer telelogischen Reduktion des § 54 GNotKG oder einer verfassungsgemäßen Auslegung. Zwar wäre die Zumutbarkeitsgrenze im Rahmen der Eigentumsgarantie überschritten, wenn die Anwendung des § 54 GNotKG zur Folge hätte, dass die Geschäftsanteile an einer gemeinnützigen GmbH regelmäßig nicht übertragen werden könnten. Dies sei jedoch nicht der Fall, zumal sich – wie vorliegend – die gemeinnützige GmbH, die über ein hohes Eigenkapital verfüge, zur Übernahme der Notarkosten für die Anteilsübertragungen bereit erklärt habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie ihren Antrag weiterverfolgt, die streitgegenständliche Kostenberechnung auf 248,35 EUR herabzusetzen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Sie macht geltend, das Landgericht habe die Vorschrift des § 54 GNotKG nicht richtig angewandt und sei in der Folge zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt. Nachdem das Eigenkapital der Gesellschaft bestimmt sei, sei in einem zweiten Schritt zwingend zu ermitteln, in welchem Umfang das Eigenkapital der Gesellschaft auf die einzelnen Geschäftsanteile entfalle. Wenn jeder Gesellschafter prozentual entsprechend seiner Beteiligung am Stammkapital und auch am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft beteiligt sei, entfalle auf den jeweiligen Geschäftsanteil auch ein entsprechender Anteil am Eigenkapital. In den Konstellationen, in denen ein Geschäftsanteil jedoch nicht einen seinem Anteil am Stammkapital entsprechenden Anteil am Gewinn und Liquidationserlös der Gesellschaft vermittle, entfalle auch mehr oder entsprechend weniger des Eigenkapitals der Gesellschaft auf den jeweiligen Geschäftsanteil. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung sei nicht ersichtlich, dass privatnützige und gemeinnützige Kapitalgesellschaften gebührenrechtlich gleich behandelt werden sollten. Die Gesetzesbegründung verhalte sich dazu nicht. Das Landgericht habe sich ferner nicht damit auseinandergesetzt, dass in der Literatur für Anteile an gemeinnützigen GmbHs der Ansatz des Nominalbetrags als vertretbar angesehen werde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Ausführungen des Landgerichts zu einer verfassungskonformen Auslegung könnten nicht überzeugen. Soweit das Landgericht meine, die gemeinnützige GmbH selbst könne notfalls die Notarkosten für ihre Gesellschafter übernehmen, würde dies den Verlust der Gemeinnützigkeit bedeuten und könne für ihre Gesellschafter den Tatbestand der Untreue erfüllen. Denn die Beteiligte zu 1 dürfe nach der zwingenden gesetzlichen Bestimmung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 AO und nach § 3 Abs. 2 und § 11 Abs. 3 Satz 3 ihrer Satzung den Gesellschaftern weder Gewinnanteile noch sonstige Zuwendungen zukommen lassen. Dies habe das Landgericht übersehen, möglicherweise weil die Beteiligte zu 1 zunächst gegenüber dem Notar eine Kostenübernahme erklärt habe. Nachdem sie auf die Unzulässigkeit der Kostenübernahme hingewiesen worden sei, habe sie die Notarkosten nicht beglichen, sondern die F. & Co. Kommanditgesellschaft. Die Rechtfertigung einer verfassungskonformen Auslegung der Norm damit, dass ein Verstoß gegen die grundsätzlich gewährleistete Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 GG nicht vorliege, nur weil ein Dritter die Notarkosten übernehmen könne, könne keinen Bestand haben. Kein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch werde Geschäftsanteile an einer gemeinnützigen GmbH, die ihm keine Teilhabe am Gewinn und Liquidationserlös vermittle, bei Beurkundungskosten von z.B. 17.000 EUR oder mehr erwerben. Wenn die Auffassung des Landgerichts zutreffe, wäre die Übertragbarkeit von Geschäftsanteilen an gemeinnützigen GmbHs faktisch ausgeschlossen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.</td></tr></table> <table style="margin-left:12pt"><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat keinen Erfolg.</td></tr></table> <table><tr><td>1.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die Beschwerde ist nach § 129 Abs. 1 GNotKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Beteiligte zu 1 als Kostenschuldnerin beschwerdebefugt. Dass die Beteiligte zu 1 Kostenschuldnerin ist, ergibt sich aus der Urkunde. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Notarkosten tatsächlich nicht von der Beteiligten zu 1, sondern von der F. & Co. Kommanditgesellschaft bezahlt wurden.</td></tr></table> <table><tr><td>2.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Die Beschwerde ist unbegründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Das Landgericht hat die streitgegenständliche Notarkostenberechnung zu Recht und mit zutreffender Begründung bestätigt. Darauf wird Bezug genommen. Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.</td></tr></table> <table><tr><td>a)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist bei der Bestimmung des Geschäftswerts für die Beurkundung der Übertragung der beiden Geschäftsanteile an der Beteiligten zu 1 nach § 54 S. 1 GNotKG nicht entscheidend, ob die Beteiligte zu 1 gemeinnützig tätig ist und welche Gewinnanteile den Gesellschaftern ausgezahlt werden oder welche Anteile ein Gesellschafter im Falle der Auflösung der Gesellschaft erhalten würde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Beteiligte zu 1 ist eine GmbH und damit eine Kapitalgesellschaft. Der Wert für die Übertragung von Geschäftsanteilen bzw. Gesellschaftsanteilen an einer Kapitalgesellschaft bestimmt sich nach § 54 GNotKG. Ist die Kapitalgesellschaft nicht überwiegend vermögensverwaltend tätig, greift die Privilegierung nach § 54 Satz 1 und 2 GNotKG. Wenn keine Anhaltspunkte für einen höheren Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften bestehen, bestimmt sich der Wert nach dem Eigenkapital i.S.v. § 266 Abs. 3 HGB, das auf den jeweiligen Anteil entfällt. Es handelt sich also um die Bestimmung eines Mindestwerts.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Dieser Wert ist auch bei der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer gemeinnützigen Kapitalgesellschaft maßgeblich. Auch insoweit wird mit dem Geschäftsanteil der Anteil am Gesellschaftsvermögen übertragen, und zwar auch, wenn - wie hier - die Gesellschafter keinen Anteil am Gewinn erhalten (vgl. § 11 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags der Beteiligten zu 1 (GV)) und das Vermögen der Gesellschaft bei einer Auflösung an eine im Gesellschaftsvertrag näher benannte Stiftung fällt (§ 12 Abs. 3 GV). Denn maßgeblich für die Ermittlung des Geschäftswerts ist der Geschäftsanteil selbst und nicht, welche Rechte dem einzelnen Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag zustehen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Da der Geschäftswert für die Übertragung von zwei Geschäftsanteilen an der Beteiligten zu 1 von jeweils 20 % maßgeblich ist und das Eigenkapital der Beteiligten zu 1 nach § 266 Abs. 3 HGB 36.642.917,35 EUR beträgt, ist für die Übertragung des Geschäftsanteils jeweils ein Wert von 7.328.583,47 EUR maßgebend (20 % von 36.642.917,35 EUR), zusammengerechnet nach § 35 Abs. 1 GNotKG also einen Geschäftswert – wie vom Notar in der Kostenberechnung zutreffend angegeben – von 14.657.166,94 EUR.</td></tr></table> <table><tr><td>b)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Soweit die Beschwerde meint, der Wert des Eigenkapitals nach § 266 Abs. 3 HGB, das auf den jeweiligen Anteil an der Kapitalgesellschaft nach § 54 Satz 1 GNotKG entfalle, entspreche nur im Normalfall dem Anteil an der Kapitalgesellschaft (hier: jeweils ein Geschäftsanteil von 20 % und damit jeweils ein Anteil am Eigenkapital von 20 %), nicht jedoch bei Geschäftsanteilen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, trifft das nicht zu.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Bestimmt sich der Wert nach dem Wortlaut des § 54 Satz 1 GNotKG nach dem Eigenkapital, das auf den jeweiligen Anteil entfällt, entspricht der Anteil (Geschäftsanteil) an der Gesellschaft auch dem Anteil an dem Eigenkapital. Eine andere Auslegung findet weder im Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte eine Stütze.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Auch die von der Beteiligten zu 1 in der Antragsschrift und in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Beispiele geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Hat ein Gesellschafter mit einem Gesellschaftsanteil von 50 % an einer Kapitalgesellschaft ein Gewinnbezugsrecht von 80 %, ist zu prüfen, ob genügend Anhaltspunkte für einen höheren Wert dieses Gesellschaftsanteils i.S.d. § 54 Satz 1 GNotKG bestehen. Dasselbe gilt, wenn eine Kapitalgesellschaft eigene Anteile hält (vgl. dazu OLG Bamberg MittBayNot 2020, 283, zitiert nach juris Rn. 2 ff.). Bestehen genügende Anhaltspunkte für einen höheren Wert, ist dieser nach § 54 Satz 1 GNotKG maßgeblich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Der von der Beteiligten zu 1 daraus gezogene Rückschluss, dass dies auch für einen geringeren Wert gelten müsse, findet im Gesetz keine Stütze. § 54 Satz 1 GNotKG regelt einen Mindestwert. Eine Reduzierung dieses Mindestwerts ist im Gesetz nicht vorgesehen.</td></tr></table> <table><tr><td>c)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung sei nicht ersichtlich, dass privatnützige und gemeinnützige Kapitalgesellschaften gebührenrechtlich gleich behandelt werden müssten, weil die Gesetzesbegründung sich dazu nicht verhalte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Verhält sich die Gesetzesbegründung von § 54 GNotKG nicht zu dieser Frage, umfasst der Wortlaut der Vorschrift aber sowohl privatnützige als auch gemeinnützige Kapitalgesellschaften, ist die Norm in beiden Fällen anzuwenden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Etwas Abweichendes ergibt sich weder aus der Entstehungsgeschichte der Norm, noch aus der Gesetzesbegründung selbst.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Vor der Neuregelung u.a. des Notarkostenrechts durch das GNotKG galt die KostO. Diese kannte keine besondere Wertvorschrift für die Ermittlung des Werts von Beteiligungen und Anteilen von Gesellschaften. Nach der allgemeinen Vorschrift des § 30 KostO war der Wert nach freiem Ermessen festzusetzen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bestimmte sich der Wert eines Geschäftsanteils an einer gemeinnützigen GmbH im Regelfall nach dessen Nominalbetrag (vgl. BayObLG DNotZ 1992, 588, zitiert nach juris Rn. 12 ff.; OLG Jena ZNotP 2010, 446, zitiert nach juris Rn. 34 ff.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Eine derartige Bewertung ist nach der Neuregelung des § 54 GNotKG nicht mehr möglich, weil diese ausdrückliche Bewertungsvorschrift geschaffen wurde, die den Wert (mindestens) mit dem Eigenkapital bestimmt, das auf den Anteil an der Kapitalgesellschaft entfällt. Eine Bewertung, die statt des Anteils am Eigenkapital den Anteil am Nominalwert berücksichtigt, scheidet damit aus (Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, GNotKG, 4. Aufl., § 54 Rn. 20; Heinze in Leipziger Gerichts- und Notarkostenkommentar (GNotKG), 2. Aufl., § 54 Rn. 22; Tiedtke in Korintenberg, GNotKG, 22. Aufl., § 54 Rn. 12; Waldner in Rohs/Wedewer, GNotKG, Stand 132. Erg.lief., § 54 Rn. 6). Soweit Leiß (in Fackelmann/Heinemann, GNotKG, 1. Auf., § 54 Rn. 20; ders. in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamten Kostenrecht, 3. Auf., § 54 Rn. 15) gleichwohl weiterhin die Auffassung vertritt, es erscheine vertretbar, als Geschäftswert einen Anteil am Nominalbetrag anzusetzen, kann dem nicht gefolgt werden. § 54 GNotKG enthält eine Neuregelung, nach deren ausdrücklichen Wortlaut der Geschäftswert sich nach dem Eigenkapital bestimmt, das auf den jeweiligen Gesellschaftsanteil entfällt. Eine Auslegung des § 54 GNotKG, die diesem Wortlaut widerspricht, scheidet aus.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Das ändert sich auch nicht dadurch, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich zu der Anwendung des § 54 GNotKG (auch) auf Anteile an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften Stellung genommen hat. Der Gesetzgeber wollte eine ausdrückliche Wertvorschrift schaffen, um praktische Bewertungsschwierigkeiten zu entscheiden, auch im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGHZ 183, 28), nach der das Schuldenabzugsverbot des § 18 Abs. 3 KostO bei der Bestimmung des Geschäftswerts für die Übertragung von Kommanditanteilen keine Anwendung fand (BT-Drucks. 17/11471 (neu), S. 172). Wollte der Gesetzgeber eine einheitliche Wertvorschrift für bestimmte Gesellschaftsanteile schaffen, ist diese Vorschrift für alle Gesellschaftsanteile anzuwenden, die der Wortlaut umfasst.</td></tr></table> <table><tr><td>d)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Die Vorschrift des § 54 S. 1 GNotKG ist weder im Rahmen einer teleologischen Reduktion noch aufgrund von Vorgaben des Verfassungsrechts dahin auszulegen, dass im Falle der Übertragung von Geschäftsanteilen an einer gemeinnützigen GmbH ein geringerer Geschäftswert berücksichtigt werden müsste.</td></tr></table> <table><tr><td>aa)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Eine teleologische Reduktion scheidet aus.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Voraussetzung für eine teleologische Reduktion wäre eine planwidrige Regelungslücke. Sinn und Zweck des § 54 GNotKG ist es, eine einheitliche Wertvorschrift zu schaffen und praktische Bewertungsschwierigkeiten zu vermeiden (BT-Drs. 17/11471 (neu) S. 172). Dem würde die von der Beschwerde vorgenommene abweichende Wertfestsetzung im Falle einer Übertragung von Geschäftsanteilen an einer gemeinnützigen GmbH widersprechen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Gebührenermäßigung gesehen und in § 91 Abs. 2 Nr. 1 GNotKG eine Gebührenermäßigung für eine Körperschaft, Vereinigung oder Stiftung vorgesehen, die ausschließlich und unmittelbar mildtätige Zwecke i.S.d. AO verfolgt. Die Beteiligte zu 1 verfolgt allerdings nicht nur mildtätige Zwecke, sondern auch gemeinnützige, so dass diese Vorschrift nicht anwendbar ist.</td></tr></table> <table><tr><td>bb)</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Auch das Verfassungsrecht führt nicht zu einer einschränkenden Auslegung des § 54 S. 1 GNotKG. Die Beschwerde meint, eine einschränkende Auslegung sei geboten, weil ein Inhaber von Geschäftsanteilen an einer gemeinnützigen GmbH bei derart hohen Beurkundungskosten keinen Erwerber finden könnte und darin ein Verstoß gegen die in Art 14 GG verbürgte Eigentumsfreiheit liege.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Die Argumentation der Beteiligten zu 1 beruht auf der Annahme, dass die Erwerber von Geschäftsanteilen an einer gemeinnützigen GmbH die Notarkosten stets selbst zahlen müssten, weil sie sich nicht darauf verlassen könnten, dass vermögende Dritte sie freiwillig übernehmen (hier: die F. & Co. Kommanditgesellschaft- an deren Kapital ist die Beteiligte zu 1 beteiligt und erhält auch entsprechende Gewinnanteile, vgl. § 4 der Satzung der Beteiligten zu 1,) und der gemeinnützigen GmbH aufgrund der Gemeinnützigkeit eine Kostenübernahme verboten sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Das trifft nicht zu.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Nach der streitgegenständlichen Urkunde tragen nicht die Erwerber die Kosten der Beurkundung, sondern die Beteiligte zu 1. Auch wenn in der Urkunde nicht Erklärungen der Beteiligten zu 1 beurkundet wurden, haben doch die beiden Prokuristen der Beteiligten zu 1 sämtliche Erklärungen als Bevollmächtigte der an der Übertragung der Geschäftsanteile Beteiligten abgegeben, so dass die Beteiligte zu 1 Kenntnis von dieser Regelung hatte und diese Regelung – wie wohl auch in der Vergangenheit unter Anwendung von § 30 KostO im Rahmen der Notarkostenrechnungen - offensichtlich mit ihrem Einverständnis erfolgt ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Die Übernahme der Kosten durch die Beteiligte zu 1 verstößt auch nicht gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO dürfen die Mittel der Körperschaft nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden; die Mitglieder und Gesellschafter (Mitglieder im Sinne der Vorschrift) dürfen keine Gewinnanteile und in ihrer Eigenschaft als Mitglieder auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten. Das bedeutet aber nicht, dass die gemeinnützige Gesellschaft ihren Gesellschaftern (Mitglieder i.S.d. § 55 AO) keine Aufwendungen erstatten darf. Vielmehr darf sie aus ihren Mitteln in angemessenem Umfang Aufwendungen ersetzen (vgl. BFHE 182, 258, zitiert nach juris Rn. 12). Die Beteiligte zu 1 war nach § 670 BGB auch zum Ersatz der Aufwendungen – hier: die für die Übertragung der Geschäftsanteile anfallenden Notarkosten – verpflichtet, weil der Aufwendungsersatz weder nach der Satzung der Beteiligten zu 1 noch nach sonstigen Bestimmungen ausgeschlossen war (vgl. ebd. Rn. 14). Die Satzung der Beteiligten zu 1 sieht vielmehr in § 8 Abs. 7 und in § 9 Abs. 4 einen Aufwendungsersatz vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Übernahme der Kosten durch die Beteiligte zu 1 verstößt auch nicht gegen § 3 Abs. 2 oder § 11 Abs. 3 Satz 3 ihrer Satzung. Nach § 3 Abs. 2 sind Ausgaben, Zuwendungen und sonstige Leistungen verboten, die dem Zweck der Stiftung fremd sind; § 11 Abs. 3 Satz 3 enthält eine Regelung, die § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO entspricht. Diese Regelungen verbieten keinen Aufwendungsersatz, zumal die Übertragung von Geschäftsanteilen dem Zweck der Stiftung entspricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Damit ist der Argumentation der Beteiligten zu 1 die Grundlage entzogen.</td></tr></table> <table><tr><td>3.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus § 130 Abs. 3 GNotKG i.V.m. § 84 FamFG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Der festgesetzte Gegenstandswert ergibt sich aus den Notarkosten nach der streitgegenständlichen Notarkostenberechnung abzüglich der Notarkosten, die nach Ansicht der Beteiligten zu 1 zu zahlen sind (34.564,98 EUR – 248,35 EUR = 34.316,63 EUR).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,455
vghbw-2022-08-01-2-s-336821
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2 S 3368/21
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-09-07T10:01:30"
"2022-10-17T11:09:51"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Mai 2021 - 14 K 381/20 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.</p><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.</p><p>Die Revision wird nicht zugelassen.</p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zum privaten Rundfunkbeitrag.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Sie ist Inhaberin einer Wohnung in der B...straße ..., ... D..., die sie seit dem Jahr 2001 bewohnt. Ursprünglich wohnte dort auch H. B., der frühere Ehemann der Klägerin, der unter der Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... für die Wohnung die Rundfunkgebühren entrichtete. Die Ehe wurde im Jahr 2014 geschieden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Bereits am 19.01.2009 hatte H. B. die Bankeinzugsermächtigung für das genannte Teilnehmerkonto „mit sofortiger Wirkung gekündigt“. Am 01.02.2010 meldete sich H. B. mit einem weiteren Wohnsitz in Stuttgart bei der Einwohnermeldebehörde an. Diese teilte dem Beklagten im Rahmen der anlassbezogenen Datenübermittlung am 08.03.2010 diesen zusätzlichen Wohnsitz mit. Nachdem zunächst mehrere an H. B. gerichtete Zahlungsaufforderungen des Beklagten - sowohl an die Anschrift in D... als auch den weiteren Wohnsitz in Stuttgart - als Postrückläufer zurückgekommen waren, teilte die Gebühreneinzugszentrale mit Datum vom 05.11.2010 H. B. unter der Adresse B...straße ... in D... einen Gebührenrückstand bis einschließlich November 2010 in Höhe von 377,58 EUR mit. Bei dieser Zahlungsaufforderung erfolgte kein Postrücklauf. Daraufhin erteilte die Klägerin am 24.11.2010 unter Verwendung eines Formulars des Beklagten diesem eine Lastschriftermächtigung zu ihrem Bankkonto. In dieser Änderungsmitteilung ist H. B. unter der Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... mit Wohnsitz in der B...straße ... in D... aufgeführt; die Änderungsmitteilung hinsichtlich der Zahlweise ab dem 01.12.2010 unterschrieben sowohl der damalige Ehemann als auch die Klägerin.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Unter dem 30.01.2014 teilte die Einwohnermeldebehörde dem Beklagten mit, dass H. B. zum 01.01.2014 aus der Wohnung B...straße ... in D... ausgezogen und die aktuelle Adresse seit diesem Datum die Wohnung B... straße ... in ... Stuttgart sei. Im Hinblick auf diese anlassbezogene Meldedatenübermittlung berichtigte der Beklagte das auf H. B. geführte Beitragskonto dahingehend, dass als alleinige gegenwärtige Anschrift B...straße ... in Stuttgart geführt wurde; eine aktive Nachfrage zur aktuellen Anschrift bei H. B. erfolgte nicht. Im Zeitraum von Januar 2014 bis einschließlich September 2018 verbuchte der Beklagte die vom Konto der Klägerin im Lastschriftverkehr eingezogenen Zahlungen auf die Wohnung des H.B. in Stuttgart. Im Verwendungszweck der Zahlungen findet sich unter anderem die Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... sowie der Name des früheren Ehemanns.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Am 14.06.2018 teilte das Einwohnermeldeamt dem Beklagten im Rahmen des stichtagsbezogenen Meldedatenabgleichs (§ 14 Abs. 9a RBStV a.F.) mit, dass die Klägerin seit dem 01.07.2001 unter der Adresse B...straße ... in D... ... gemeldet sei. Daraufhin übersandte der Beklagte ihr einen formularmäßigen Antwortbogen zur Klärung der Beitragspflicht. In ihrer Antwort vom 10.09.2018 gab die Klägerin an, die Wohnung sei bereits auf ihren Namen unter der Teilnehmer-Nummer 114 ... ... zum Rundfunkbeitrag angemeldet. Von ihrem Mann habe sie sich scheiden lassen. Daraufhin meldete der Beklagte zum 01.01.2016 auf den Namen der Klägerin ein Beitragskonto mit der Nummer 349 ... ... an und teilte ihr in diesem Zusammenhang mit, die Beitragskonten würden personenbezogen geführt und bei einem Umzug werde die Beitragsnummer beibehalten. Deshalb sei eine Umbuchung der von der Klägerin für den früheren Ehemann für dessen Wohnung in Stuttgart gezahlten Beiträge auf ihre Wohnung in der B...straße in D... nicht möglich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Nachdem die Klägerin auf das neue Beitragskonto keine Zahlungen geleistet hatte, setzte der Beklagte mit Bescheid vom 01.04.2019 rückständige Rundfunkbeiträge für den Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2018 in Höhe von 577,50 EUR zuzüglich eines Säumniszuschlags von 8,-- EUR und damit einen Gesamtbetrag von 585,50 EUR fest. Den dagegen von der Klägerin am 23.04.2019 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 als unbegründet zurück.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Klägerin hat am 17.01.2020 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vorgetragen: Sie wohne seit 18 Jahren ununterbrochen in der B...straße ... in D.... Ihr früherer Ehemann wohne bereits seit 2010 nicht mehr unter dieser Adresse. Es sei das Versäumnis des Beklagten gewesen, im Jahre 2010 den Namen des Kontoinhabers nicht geändert zu haben. Sie habe über das Lastschriftverfahren stets die Beiträge für die Wohnung in der B...straße ... in D... beglichen. Auch habe sie niemals behauptet, dass unter der Teilnehmer-Nummer 114 ... ... eine andere Adresse als die B...straße zu hinterlegen sei. Es stehe dem Beklagten nicht frei, die Zahlungen anderweitig zu verbuchen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Zahlungen für ihren früheren Ehemann leisten wollen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit den Zahlungen unter der Beitragsnummer 114 ... ... habe die Klägerin seit dem 01.01.2014 nicht die Beitragspflicht für ihre Wohnung in D..., sondern die Beitragspflicht ihres früheren Ehemanns für dessen Wohnung in Stuttgart erfüllt. Entscheidend sei hier der objektive Empfängerhorizont. Beitragskonten würden personenbezogenen geführt. Das Beitragskonto mit der Nummer 114 ... ... sei auf H. B. geführt worden. Dies hätte der Klägerin bekannt sein müssen, da sie Ende 2010 eine Einwilligung für das Lastschriftverfahren zum Beitragskonto von H. B. erteilt habe. Bei seinem Auszug aus der Wohnung in D... am 31.12.2013 habe dieser das Beitragskonto sozusagen „für seine neue Wohnung mitgenommen“. Die Klägerin habe weiterhin die Rundfunkbeiträge für dieses Konto bezahlt. Der Beklagte habe mangels Mitteilung nicht wissen können, dass die Klägerin auf ihre eigene Beitragspflicht Zahlungen leisten wolle. Sie habe weiterhin die Beitragsnummer des früheren Ehemanns angegeben. Dem von der Klägerin vorgelegten Kontoauszug lasse sich entnehmen, dass im Verwendungszweck sogar dessen Namen genannt sei. Auch wenn sie sich über den Zahlungsgrund geirrt habe, habe sie gemäß dem objektiven Empfängerhorizont auf die Beitragspflicht ihres früheren Ehemanns gezahlt. Die Zahlungen hätten daher nicht zu einer Erfüllung ihrer eigenen Beitragspflicht geführt. Sie könne lediglich einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegenüber ihrem früheren Ehemann geltend machen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 27.05.2021 den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 01.04.2019 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Die vom Konto der Klägerin abgebuchten Beträge hätten die eigene Rundfunkbeitragsschuld für die Wohnung in D... getilgt. Der Beklagte habe nach der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht annehmen dürfen, dass die Klägerin mit diesen Leistungen die Beitragspflicht einer von ihrem früheren Ehemann genutzten Wohnung habe erfüllen wollen. Eine eindeutige Tilgungsbestimmung, dass die Zahlungen zur Begleichung einer fremden Beitragsschuld dienen sollten, habe die Klägerin nicht abgegeben. Die daraus folgende Vermutung, dass sie ihre eigene Beitragsverpflichtung für die von ihr genutzte Wohnung habe erfüllen wollen, lasse sich auch bei einer am objektivierten Empfängerhorizont orientierten Auslegung des Verhaltens der Klägerin im betroffenen Zeitraum von Januar 2016 bis September 2018 nicht widerlegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Aus dem Umstand, dass die Klägerin im Jahr 2010 eine Ermächtigung zur Einziehung von Rundfunkgebühren im Lastschriftverfahren für die Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... von ihrem Girokonto erteilt habe, habe nicht geschlossen werden können, dass die Zahlungen in den Jahren 2016 bis 2018 für eine neue Wohnung des inzwischen geschiedenen Ehemanns geleistet würden. Die Mitteilung über die Änderung der Zahlungsweise vom 24.11.2010 durch die Klägerin beziehe sich erkennbar auf die vormals gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann genutzte Wohnung in D.... Die Angabe des Namens des damaligen Ehemanns in der Zeile „Neuer Name“ habe lediglich der Bezeichnung des und Zuordnung zum Rundfunkteilnehmer, auf dessen Namen die Rundfunkgeräte in der B...straße ... in D... zu diesem Zeitpunkt angemeldet gewesen seien, gedient. Ein Wille der Klägerin, in Zukunft Rundfunkbeiträge zugunsten ihres damaligen Ehemannes für eine von ihr nicht selbst genutzte Wohnung zu leisten, könne daraus nicht abgeleitet werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Da die Klägerin am 24.11.2010 weiterhin die Adresse B...straße ... in D... ... angegeben habe, während dem Beklagten bereits am 08.03.2010 vom Einwohnermeldeamt mitgeteilt worden sei, dass der damalige Ehemann am 01.02.2010 in die B...straße ... in Stuttgart gezogen sei, habe eine Trennung der Ehegatten bei objektiver Betrachtung zumindest nahegelegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Für die Annahme eines Fremdtilgungswillens reiche ebenfalls nicht aus, dass die Klägerin in der Folgezeit die Einzugsermächtigung nicht widerrufen habe. Aus diesem Unterlassen habe allein geschlossen werden können, dass sie mangels entsprechender Hinweise oder Nachfragen durch den Beklagten die Abbuchungen von ihrem Bankkonto in den Jahren 2016 bis 2018 für die Begleichung ihrer Beitragsschuld als Inhaberin der Wohnung in der B...straße in D... verwendet wissen wolle. Spätestens mit der Mitteilung der Einwohnermeldebehörde vom 30.01.2014 über die Abmeldung des damaligen Ehemanns von der Adresse in D... habe aus Sicht des Beklagten Veranlassung bestanden, die Beitragspflicht für diese Wohnung durch entsprechende Nachfragen zu ermitteln.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Der Klägerin könne insoweit nicht vorgehalten werden, sie sei ihrer Anzeigepflicht aus § 8 RBStV nicht nachgekommen. Nach dieser Norm sei der Beginn und das Ende des Innehabens einer Wohnung sowie eine Änderung der persönlichen Daten im Sinne von § 8 Abs. 4 RBStV unverzüglich anzuzeigen. Durch den Auszug ihres Manns und die darauffolgende Scheidung seien aus Sicht der Klägerin, die in der Wohnung bereits seit dem Jahr 2001 ununterbrochen gelebt habe, allerdings keine dieser Varianten betroffen gewesen. Eine etwaige unterlassene Abmeldung ihres damaligen Ehemanns könne ihr nicht zugerechnet werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Nichts Gegenteiliges folge daraus, dass im Verwendungszweck der Name des damaligen Ehemanns angegeben gewesen sei. Da es sich hierbei um Einziehungen im Lastschriftverfahren gehandelt habe, sei der Text des Verwendungszwecks nicht von der Klägerin, sondern vom Beitragsservice des Beklagten formuliert worden. Ein Wille der Klägerin, auf die Beitragsschuld ihres damaligen Ehemanns zu leisten, könne daher daraus nicht abgeleitet werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 02.11.2021 zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend: Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne nicht von einer unklaren Tilgungsbestimmung der Klägerin ausgegangen werden. Sie habe am 24.11.2010 ausdrücklich eine Lastschriftermächtigung zu ihrem Bankkonto für das Beitragskonto ihres damaligen Ehemanns erteilt. Dass Rundfunkteilnehmer und Kontoinhaber voneinander abwichen, müsse der Klägerin dabei bewusst gewesen sein, denn ansonsten hätten nicht sowohl H. B. als auch die Klägerin selbst unterschrieben. Die personen- und nicht wohnungsbezogene Führung des Beitragskontos sei der Klägerin daher zumindest zum damaligen Zeitpunkt bekannt gewesen. Aus Sicht des Beklagten habe dieser Vorgang nur so verstanden werden können, dass die Klägerin eine Lastschriftermächtigung zugunsten der von ihrem damaligen Ehemann geschuldeten Rundfunkgebühren/-beiträge habe erteilen wollen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Der Umstand, dass jemand als Fürzahler für einen anderen Rundfunkbeitragspflichtigen in Erscheinung trete, müsse für die Rundfunkanstalt keine Veranlassung geben, dies in Frage zu stellen und den Sachverhalt von sich aus durch Befragung des Fürzahlers aufzuklären. Für ein entsprechendes Handeln könne es durchaus nachvollziehbare Gründe geben: So komme es zum Beispiel häufig vor, dass Eltern für ihre volljährigen, noch in Ausbildung befindlichen Kinder die Rundfunkbeiträge übernähmen und folglich Lastschriftermächtigungen zu deren Beitragskonten erteilten. Nachfragen des Beklagten, ob dies wirklich gewollt sei, erwarte in dieser Fallkonstellation niemand. Solche seien zudem im Massenverfahren des Rundfunkbeitragseinzugs auch nicht bzw. nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Auch vorliegend habe der Beklagte im Zeitpunkt der Erteilung der Einzugsermächtigung am 24.11.2010 weder gewusst, dass es sich bei H. B. um den Ehemann der Klägerin handelte, noch dass dieser aus der gemeinsamen Wohnung in D... ausgezogen sein könnte. Es hätte sich ebenso um einen sonstigen Familienangehörigen handeln können, für den die Klägerin die Zahlungen - aus welchen Gründen auch immer - habe übernehmen wollen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Auch der Umstand, dass zuvor am 08.03.2010 von der Einwohnermeldebehörde mitgeteilt worden sei, H. B. habe einen Wohnsitz in Stuttgart angemeldet, habe den Beklagten nicht zu Nachfragen veranlassen müssen, geschweige denn „habe eine Trennung der Ehegatten bei objektivierter Betrachtung zumindest nahegelegen“. Zum einen habe H.B. zu diesem Zeitpunkt lediglich einen zusätzlichen Nebenwohnsitz in Stuttgart angemeldet und seinen Hauptwohnsitz in D... zunächst weiterhin beibehalten; zum anderen habe der Beklagte gar nicht gewusst, dass H.B. überhaupt der Ehemann der Klägerin gewesen sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Das Verwaltungsgericht meine, dass spätestens mit der Mitteilung der Einwohnermeldebehörde vom 30.01.2014 über die Abmeldung des H. B. von der Adresse in D... Veranlassung bestanden hätte, die Beitragspflicht für diese Wohnung durch entsprechende Nachfragen zu ermitteln. Diese Ansicht sei unzutreffend, denn allein die Mitteilung der Einwohnermeldebehörde über den Umzug eines Beitragsschuldners gebe keine Veranlassung, aktiv zu ergründen, ob eine erteilte Einzugsermächtigung weiterhin Bestand haben solle oder nicht. Eine solche Umzugsmitteilung der Meldebehörde sei ein ganz gewöhnlicher Vorgang, der täglich vielfach beim Beklagten vorkomme und lediglich einen Anschriftenwechsel des Beitragskonteninhabers dokumentiere, der dann für das Beitragskonto vermerkt werde. Ergäben sich durch einen Umzug Änderungen, so habe der Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RBStV ausdrücklich normiert, dass diese von Seiten des Beitragsschuldners im Wege einer Änderungsmitteilung aktiv anzuzeigen seien. Eine Nachforschungspflicht des Beklagten habe der Gesetzgeber mit Blick auf das Massenverfahren gerade ausschließen wollen, wie die Vorschriften der §§ 7 und 8 RBStV klar zeigten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Klägerin habe danach im Wissen, dass sie nicht selbst Inhaberin des Beitragskontos sei, zugunsten des auf den Namen von H. B. laufenden Beitragskontos ausdrücklich eine Einzugsermächtigung von ihrem Bankkonto erteilt. Nachträgliche Änderungen im Laufe der Jahre, die dazu geführt hätten, dass die Klägerin ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Zahlungen mehr zugunsten ihres früheren Ehemanns habe leisten wollen, wären von ihr selbst mitzuteilen gewesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.05.2021 - 14 K 381/20 - zu ändern und die Klage abzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Die Klägerin beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>die Berufung zurückzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend führt sie aus: Im Jahre 2009 habe H.B. die zu seinem Bankkonto erteilte Lastschriftermächtigung widerrufen. Dies sei vor dem Hintergrund geschehen, dass sich die Eheleute getrennt hätten. Der Beklagte sei auch dann entsprechend angeschrieben worden. Die Klägerin habe die Gebühreneinzugszentrale ausdrücklich darum gebeten, ihr eine Lastschriftermächtigung für ihre Wohnung zu übersenden. Es sei lebensfremd, dass sich Eheleute trennten, dann den Beklagten anschrieben und eine Lastschriftermächtigung für den Ehepartner erteilten. Die Klägerin sei nicht mehr im Besitz des damaligen Schriftverkehrs. Die Annahme, dass entsprechender Schriftverkehr über einen solch langen Zeitraum aufbewahrt werde, sei auch lebensfremd. Die personenbezogene Führung des Beitragskontos sei ihr im Übrigen nicht bekannt gewesen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Auf diese Unterlagen und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die zulässige Anfechtungsklage abweisen müssen, denn der angefochtene Rundfunkbeitragsbescheid des Beklagten vom 01.04.2019 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 sind rechtmäßig und verletzen daher die Klägerin nicht in ihren Rechten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Rundfunkbeiträge im streitgegenständlichen Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2018 sind § 10 Abs. 5 Satz 1 und § 2 Abs. 1 RBStV. Danach ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Die Klägerin war im genannten Zeitraum unstreitig als Inhaberin der Wohnung B...straße ..., ... D... ..., rundfunkbeitragspflichtig, da sie dort bereits seit dem Jahr 2001 wohnte. Die Beitragspflicht und die Fälligkeit der Schuld für den jeweiligen Rundfunkbeitragspflichtigen ergeben sich - unabhängig vom Erlass eines Festsetzungsbescheids - bereits aus dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag selbst (§ 7 Abs. 1 und Abs. 3 RBStV). Auch die Höhe des Rundfunkbeitrags für den hier zu beurteilenden Zeitraum ist zwischen den Beteiligten unstreitig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Davon ausgehend ist der Anspruch des Beklagten auf Zahlung der Rundfunkbeiträge für den Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2018 nicht durch Zahlung erloschen. Denn die Klägerin hat für diesen Zeitraum mit den von ihrem Bankkonto per Lastschrifteinzug geleisteten Zahlungen nicht ihre eigene Beitragspflicht für ihre Wohnung in D... erfüllt. Sie hat vielmehr mit diesen Leistungen auf das Beitragskonto mit der Teilnehmer-Nummer 114 ... ... als Fürzahlerin die Rundfunkbeitragspflicht von H. B., ihrem früheren Ehemann, erfüllt (dazu 1.). Daraus folgend kann nicht beanstandet werden, dass der Beklagte ab Januar 2014 - und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - die Zahlungen der Wohnung B...straße ... in Stuttgart zuordnete, da H. B. unstreitig Inhaber dieser Wohnung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV war und er dementsprechend nach § 2 Abs. 1 RBStV für diese Wohnung den Rundfunkbeitrag zu entrichten hatte (dazu 2.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>1. Für die Beurteilung der Frage, ob durch eine Zahlung die eigene Rundfunkbeitragsschuld getilgt oder - als sogenannter Fürzahler - auf die Beitragsschuld eines Dritten geleistet wird, ist die Regelung in § 267 BGB entsprechend anzuwenden (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit im öffentlichen Recht Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 267 Rn. 1; Krüger in MüKo, BGB, 9. Aufl., § 267 Rn. 3; für das Rundfunkgebühren-/Rundfunkbeitragsrecht OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021 - 1 LA 336/20 - juris Rn. 3; VG Saarlouis, Urteil vom 08.09.2019 - 6 K 1219/17 - juris Rn. 25; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20.11.2009 - 4 LA 709/07 - juris Rn. 8).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Nach § 267 Abs. 1 BGB führt die Leistung eines Dritten - hier der Klägerin - nur dann zur Schulderfüllung, wenn der Dritte mit dem Willen leistet, die Verpflichtung des Schuldners - hier des H. B. - zu tilgen, und dies auch zum Ausdruck bringt; maßgeblich kommt es dabei aber nicht auf den tatsächlichen inneren Willen des Dritten an, sondern darauf, wie dessen Verhalten bei objektiver Betrachtung aus der Sicht des Zuwendungsempfängers zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa Urteil vom 31.01.2018 - XIII ZR 39/17 - juris Rn. 26; Urteil vom 27.09.2017 - IV ZR 39/16 - juris Rn. 17; Urteil vom 13.03.2014 - IX ZR 147/11 - juris Rn. 16; Urteil vom 08.04.2003 - VI ZR 423/01 - juris Rn. 14). Nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinlehre kann es auf den Empfängerhorizont allerdings nur insoweit ankommen, als der Leistende zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat (BGH, Urteil vom 13.03.2014, aaO juris Rn. 17; vgl. auch Bittner/Kolbe in Staudinger, BGB, § 267 Rn. 8 mwN). Fehlt subjektiv der Fremdtilgungswille kommt eine Drittleistung also nur in Betracht, wenn der Empfänger die Leistung als Zahlung eines Dritten auf fremde Schuld verstehen musste und der Zahlende diesen Eindruck zurechenbar hervorgerufen hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Danach kommt es für die Auslegung der Tilgungsbestimmung auch im Rundfunkbeitragsrecht nicht auf den inneren Willen des Leistenden, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont des Zuwendungsempfängers und damit der Rundfunkanstalt an, wenn der Leistende zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat. Durch irrtumsbedingte Zahlung der Rundfunkbeiträge für einen anderen Rundfunkbeitragspflichtigen wird der Leistende - wenn er einen zurechenbaren Rechtsschein gesetzt hat - nicht von der eigenen Rundfunkbeitragspflicht frei (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 3; VG Saarlouis, Urteil vom 18.09.2019, aaO juris Rn. 27; VG Magdeburg, Urteil vom 20.08.2018 - 6 A 58/17 - juris Rn. 30).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Klägerin hat bei der insoweit maßgeblichen objektiven Betrachtungsweise aus Sicht des Zuwendungsempfängers - hier des Beklagten - mit ihren Zahlungen die Rundfunkbeitragspflicht für H. B. erfüllt. Dies ergibt sich aus der an den Beklagten gerichteten Änderungsmitteilung vom 24.11.2010. In dieser ist unter der Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ..., mit der der damalige Ehemann der Klägerin - H. B. - seit Jahren als Rundfunkteilnehmer und damit als Rundfunkgebührenpflichtiger geführt worden war, in der Rubrik „Neuer Name“ ausdrücklich H. B. mit seiner damaligen Meldeadresse B...straße ... in D... eingetragen, die Rubrik „Änderung der Zahlungsweise“ enthält unter Namensnennung der Klägerin eine Lastschriftermächtigung zu ihrem Bankkonto ab dem 01.12.2010 und im Feld „Unterschrift/Stempel des Rundfunkteilnehmers und ggf. des Kontoinhabers“ haben sowohl H. B. als auch die Klägerin persönlich unterschrieben. Bei sinnorientierter Auslegung dieser Änderungsmitteilung kann diese nur so verstanden werden, dass die Klägerin für das Rundfunkgebührenkonto ihres damaligen Ehemanns eine Lastschriftermächtigung zu ihrem eigenen Bankkonto erteilt hat. Dass H. B. weiterhin Rundfunkteilnehmer und damit weiterhin als gebührenpflichtige Person geführt werden sollte, wird durch seine Namensnennung in der Rubrik „Neuer Name“ nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Änderungsmitteilung bezog sich ausschließlich auf die Änderung der Zahlungsweise und damit auf die Leistungen der Rundfunkgebühren durch eine dritte Person, nämlich die Klägerin. Dass mit der Leistung der Klägerin nicht ihre eigene (damalige) Rundfunkgebührenpflicht, sondern die des schon bisher gebührenpflichtigen H. B. erfüllt werden sollte, haben H. B. und die Klägerin durch ihre Unterschrift ausdrücklich nochmals bestätigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Hätte die Klägerin das Rundfunkgebührenkonto auf ihren Namen und damit die Rundfunkgebührenpflicht übernehmen wollen, hätte sie dies bei lebensnaher Betrachtung in der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 mitgeteilt. Im Formular des Beklagten ist mit der Rubrik „Neuer Name“ ein Wechsel in der Person des Rundfunkteilnehmers und damit des Gebührenschuldners ausdrücklich und aus Sicht des Rundfunkteilnehmers unmissverständlich vorgesehen. Deshalb kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 nicht von einer unklaren Tilgungsbestimmung der Klägerin ausgegangen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin sinngemäß darauf, dem Beklagten sei die Trennung der Eheleute vor der Erteilung der Lastschriftermächtigung am 24.11.2010 mitgeteilt worden und deshalb habe dieser davon ausgehen müssen, mit der Lastschriftermächtigung werde ihre eigene Gebührenpflicht und nicht die ihres damaligen Ehepartners erfüllt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang behauptet, bereits zum Zeitpunkt, in dem H. B. im Januar 2009 die Lastschriftermächtigung für sein Rundfunkteilnehmerkonto widerrufen habe, sei der Beklagte über ihre Trennung informiert worden, ist dies nicht glaubhaft. Ein entsprechender Schriftverkehr lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen, auch die Klägerin konnte eine solche Mitteilung nicht belegen. Zudem ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass H. B. in seiner E-Mail vom 19.01.2019, mit der er seine Bankeinzugsermächtigung widerrief, die Trennung von seiner Ehefrau mit keinem Wort erwähnte und auch nicht den naheliegenden Vorschlag machte, dass in Zukunft die Klägerin als Rundfunkteilnehmerin die Gebührenpflicht übernehmen werde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Soweit die Klägerin darüber hinaus sinngemäß behauptet, auch vor Übersendung des Formulars für die Änderungsmitteilung im November 2010 sei dem Beklagten die Trennung der Eheleute mitgeteilt und es sei in diesem Zusammenhang insbesondere ausdrücklich darum gebeten worden, ihr eine Lastschriftermächtigung für „ihre Wohnung in D...“ zu übersenden, ist dies ebenfalls als Schutzbehauptung zu werten. Belege für eine solche Information finden sich in den Aktenvorgängen des Beklagten nicht. Zudem ist bei der Würdigung dieses Vortrags maßgeblich einzustellen, dass es der Klägerin und H. B. auf Grundlage des ihnen übersandten Formulars - wie bereits dargelegt - ohne Weiteres möglich gewesen wäre, anstatt eine Lastschriftermächtigung als Fürzahler zu erteilen, eine Änderung des Rundfunkteilnehmers und damit eine Änderung der gebührenpflichtigen Person vorzunehmen. Dies ist aber im Rahmen der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 gerade nicht erfolgt, obwohl sich eine solche Vorgehensweise nach den angeführten Behauptungen der Klägerin zur Trennung vom damaligen Ehemann geradezu aufgedrängt hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Dass die Klägerin auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Zuwendungsempfängers - und ihr zurechenbar - nicht ihre eigene Rundfunkgebührenpflicht, sondern die ihres damaligen Ehemanns erfüllte, konnte die Klägerin auch ihrem eigenen Kontoauszug entnehmen, in dem sowohl die Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... als auch der Name des Rundfunkteilnehmers, d.h. von H. B., aufgeführt sind. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Verwaltungsgerichts, im Rahmen des Lastschriftverfahrens sei der Text des Verwendungszwecks nicht von der Klägerin, sondern vom Beklagten formuliert worden. Der Text entsprach den von der Klägerin gemachten Angaben in ihrer Änderungsmitteilung vom 24.11.2010. Im Hinblick auf die Angaben auf ihrem Kontoauszug hätte für sie jedenfalls aller Anlass bestanden, insoweit beim Beklagten nachzufragen und eine entsprechende Umschreibung des Teilnehmerkontos zu veranlassen, wenn die Leistung der Rundfunkgebühren als Fürzahlerin nicht ihrem (wahren) inneren Willen entsprochen und sie nicht mit Fremdtilgungswillen im Sinne von § 267 Abs. 1 BGB gehandelt hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Der Umstand, dass aufgrund der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 nicht H. B. und damit der Gebührenschuldner selbst, sondern die Klägerin als Fürzahlerin auf dessen Gebührenschuld leistete, verpflichtete den Beklagten auch nicht zu weiteren Nachforschungen oder Nachfragen (vgl. dazu OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 8; VG Magdeburg, Urteil vom 20.08.2018, aaO juris Rn. 30). Für den Beklagten bestand insbesondere keine Veranlassung, durch Befragung des Fürzahlers dessen Motivation aufzuklären, zumal es auch keineswegs unüblich ist, dass jemand für eine andere Person die Gebühren- bzw. Beitragsschuld mit Erfüllungswirkung begleicht. So dürfte es häufig vorkommen, dass Eltern für ihre volljährigen, noch in Ausbildung befindlichen Kinder die Rundfunkgebühren bzw. Rundfunkbeiträge übernehmen. Der Gesetzgeber hat den Landesrundfunkanstalten insoweit auch keine Hinweis- und Nachforschungspflicht auferlegt, zumal im Massenverfahren des Rundfunkgebühren- bzw. Rundfunkbeitragseinzugs entsprechende Hinweise bzw. Nachforschungen nur mit einem hohen Verwaltungsaufwand möglich wären.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Neben der Sache liegt der in diesem Zusammenhang erfolgte Einwand des Verwaltungsgerichts, aus Sicht des Beklagten habe eine Trennung der Ehegatten bei objektiver Betrachtung zumindest nahegelegen, da die Klägerin im Rahmen ihrer Änderungsmitteilung am 24.11.2010 weiterhin die Adresse B...straße ... in D... angegeben habe, das Einwohnermeldeamt hingegen dem Beklagten am 08.03.2010 mitgeteilt habe, dass H. B. - der damalige Ehemann der Klägerin - bereits am 01.02.2010 in die B...straße ... in Stuttgart gezogen sei. Nach der anlassbezogenen Datenübermittlung durch das Einwohnermeldeamt vom 08.03.2010 behielt H. B. seinen Wohnsitz in der B...straße ... in D... bei, er meldete in Stuttgart lediglich einen zusätzlichen Wohnsitz an; auch wenn dem Beklagten bekannt gewesen wäre, dass es sich bei der Klägerin und H. B. um Eheleute handelte, liegt im Hinblick auf eine häufig beruflich veranlasste Anmeldung eines zusätzlichen Wohnsitzes eine Trennung der Ehegatten fern. Im Übrigen konnte der Beklagte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Daten nicht wissen, dass H. B. der Ehemann der Klägerin war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Klägerin hat ihre auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 getroffene Tilgungsbestimmung, wonach ihre Zahlungen die Rundfunkgebühren- bzw. ab dem Jahr 2013 die Rundfunkbeitragsschuld von H. B. tilgen sollten, auch in der Folgezeit nicht geändert. Aus dem von ihr vorgelegten Kontoauszug vom 31.07.2018 war (auch für die Klägerin) ersichtlich, dass mit der von ihr erteilten Lastschriftermächtigung nach wie vor die Beitragspflicht von H. B. unter dessen Rundfunkbeitragskonto 114 ... ... erfüllt wurde. Hätte die Klägerin ab einem bestimmten Zeitpunkt und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2016 bis einschließlich September 2018 eine abweichende Tilgungsbestimmung treffen und nicht mehr die Beitragspflicht für H. B. erfüllen wollen, hätte sie dies dem Beklagten selbst mitteilen müssen; eine solche abweichende Tilgungsbestimmung hat sie ersichtlich nicht vorgenommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>2. Davon ausgehend hat H. B. die Rundfunkgebührenpflicht bzw. ab dem 01.01.2013 die Rundfunkbeitragspflicht für die (auch) von der Klägerin bewohnte Wohnung in D... lediglich bis einschließlich Dezember 2013 erfüllt. Auf Grundlage der anlassbezogenen Meldedatenübermittlung der Einwohnermeldebehörde vom 30.01.2014 ist er zum 01.01.2014 aus dieser Wohnung ausgezogen und war damit nicht mehr beitragspflichtiger Inhaber dieser Wohnung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RBStV. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann auch nicht beanstandet werden, dass der Beklagte aufgrund dieser Meldedatenübermittlung für das Beitragskonto des H. B. die Adresse berichtigt und ab Januar 2014 - und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - die von der Klägerin als Fürzahlerin geleisteten Zahlungen der Wohnung B...straße ... in Stuttgart zugeordnet hat. Da H. B. unstreitig Inhaber dieser Wohnung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RBStV) und damit gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 und Abs. 3 RBStV für diese Wohnung zur Entrichtung der Rundfunkbeiträge verpflichtet war, erfüllten die Zahlungen der Klägerin diese gesetzliche Pflicht, zumal H. B. seine diesbezügliche Beitragspflicht nicht anderweitig erfüllte und er für diese Wohnung auch nicht von der Beitragspflicht befreit war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Unerheblich ist der in diesem Zusammenhang erfolgte Einwand der Klägerin, die personenbezogene Führung des Beitragskontos und damit die Führung des Beitragskontos auf H. B. sei ihr nicht bekannt gewesen. Die personenbezogene Führung der Beitragskonten durch den Beklagten ist gesetzlich zwingend (vgl. dazu etwa auch OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 6; VG Saarlouis, Urteil vom 18.09.2019, aaO juris Rn. 31). Gesetzlicher Anknüpfungspunkt zur typisierten Erfassung der Möglichkeit für den Beitragspflichtigen, den Rundfunk zu empfangen, ist zwar die Wohnung, das daran anknüpfende Beitragsschuldverhältnis besteht aber stets zwischen einem Wohnungsinhaber und der zuständigen Landesrundfunkanstalt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16, u.a. - juris Rn. 107) ist der abzugeltende Vorteil der Möglichkeit der Nutzung des Rundfunkangebots immer personenbezogen zu verstehen, da es auf denjenigen Vorteil aus dem Rundfunkempfang ankommt, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen können. Der Rundfunkbeitrag wird damit für die jeweils individualisierte Möglichkeit des Rundfunkempfangs durch die einzelne Person erhoben (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2018, aaO juris Rn. 60). Folgerichtig kann Beitragsschuldner nur eine konkrete natürliche Person sein und nicht etwa eine Wohnung. Auch aus § 8 RBStV ergibt sich, dass die Beitragsnummer und damit das Beitragskonto personenbezogen und nicht wohnungsbezogen vergeben werden (vgl. § 8 Abs. 5 Nr. 3 RBStV: „die Beitragsnummer des für die neue Wohnung in Anspruch genommenen Beitragsschuldners“).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die personenbezogene Führung der Teilnehmerkonten beim Beklagten war für die Klägerin - wie dargelegt - im Übrigen auf Grundlage ihrer eigenen Angaben in der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 und ihren dementsprechenden Kontoauszügen auch ersichtlich. Der Sache nach rügt die Klägerin im Kern vielmehr, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass mit den von ihr geleisteten Zahlungen ab Januar 2014 nicht mehr der Rundfunkbeitrag für ihre eigene Wohnung in D..., sondern derjenige für die Wohnung ihres früheren Ehegatten in Stuttgart getilgt worden seien. Dabei handelt es sich jedoch um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der keinen Niederschlag in ihrer Tilgungsbestimmung gefunden hat, die - wie dargelegt - nicht nach dem inneren Willen der Klägerin zu beurteilen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Der Umstand, dass H. B. entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV nicht selbst die Aufgabe seiner bisherigen Wohnung in D... und die Begründung eines Wohnsitzes in Stuttgart mitgeteilt hat, rechtfertigt es ebenfalls nicht, ab dem 01.01.2014 die Zahlungen weiterhin der Wohnung in D... zuzuordnen und insoweit die Beitragspflicht der Klägerin als erfüllt anzusehen. Diese Auffassung würde dazu führen, dass bei einem Verstoß gegen die Anzeigepflicht wie hier, die bei einem Umzug eines Beitragspflichtigen nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr häufig vorkommt, die Beitragspflicht für die „neue“ Wohnung, die der Beitragspflichtige nach seinem Umzug im Sinne des § 2 Abs. 2 RBStV innehat, noch nicht erfüllt wäre und er allein wegen dieses Verstoßes doppelt - einmal für die „alte“ Wohnung wegen des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht und zum zweiten für die „neue“ Wohnung nach § 2 Abs. 2 RBStV - herangezogen würde. Gegen diese Ansicht spricht bereits, dass der Beitragsschuldner nach einem Umzug die „alte“ Wohnung nicht mehr im Sinne von § 2 Abs. 2 RBStV innehat. Zudem können auf Grundlage der Systematik der §§ 7 und 8 RBStV allein aus dem Unterlassen einer Änderungsmitteilung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RBStV keine so weitreichenden Folgen zu Lasten des Beitragsschuldners abgeleitet werden. Nur für die Konstellation einer Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 RBStV sieht die Regelung in § 7 Abs. 2 RBStV vor, dass die Beitragspflicht erst mit einer ordnungsgemäßen Abmeldung gegenüber der zuständigen Landesrundfunkanstalt und nicht bereits dann endet, wenn tatsächlich das Innehaben der Wohnung geendet hat. Eine entsprechende Rechtsfolge zu Lasten des Beitragspflichtigen hat der Gesetzgeber im Falle einer fehlenden bzw. nicht ordnungsgemäßen Änderungsmeldung - hier über den Umzug in eine neue Wohnung - nicht normiert.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>3. Zu Unrecht meint das Verwaltungsgericht schließlich, im Hinblick auf die anlassbezogene Meldedatenübermittlung vom 30.01.2014, wonach H. B. zum 01.01.2014 aus der Wohnung B...straße ... in D... ausgezogen und die aktuelle Adresse seit diesem Datum die Wohnung B...straße ... in Stuttgart war, habe für den Beklagten Veranlassung bestanden, den Sachverhalt weiter aufzuklären und insbesondere die Beitragspflicht für die bisherige Wohnung B...straße ... in D... durch entsprechende Nachfragen zu ermitteln. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts können bei sinnorientierter Auslegung nur so verstanden werden, dass das Verwaltungsgericht aus dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben ableitet, der Beklagte habe eigene Pflichten - hier insbesondere Hinweispflichten gegenüber H. B. und der Klägerin - verletzt, aus dieser Pflichtverletzung ergäben sich entsprechende Schadensersatzpflichten und deshalb bestehe nach dem Rechtsgedanken aus § 242 BGB für den Beklagten eine Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr der von der Klägerin vereinnahmten Rundfunkbeiträge. Zwar fehlt auf Grundlage von § 242 BGB ein schutzwürdiges Interesse, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzugewähren wäre (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est, vgl. dazu Grüneberg in Grüneberg, BGB, § 242 Rn. 52). Eine solche Fallgestaltung, in der der Beitragsforderung des Beklagten entgegengehalten werden könnte, es fehle an einem schutzwürdigen Interesse, liegt hier jedoch ersichtlich nicht vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Nach der Gesamtsystematik der Regelungen im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, der am 01.01.2013 und damit vor dem Umzug von H. B. in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber den Rundfunkanstalten für die hier zu beurteilende Konstellation, in der der beitragspflichtige Rundfunkteilnehmer dem Rundfunk einen Anschriftenwechsel bzw. einen Umzug in eine andere Wohnung nicht meldet, keine (weitere) Nachforschungs- und Hinweispflicht auferlegt. Mit Blick auf das Massenverfahren des Rundfunkbeitragseinzugs und zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für die Rundfunkanstalten hat der Gesetzgeber vielmehr ausdrücklich nur Anzeigepflichten für die Beitragspflichtigen normiert, die zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Belastung der Beitragsschuldner und des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit einmal durch anlassbezogene Meldedatenübermittlungen der Meldebehörden (vgl. dazu etwa § 17 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des baden-württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bundesmeldegesetz - Meldeverordnung - vom 28.09.2015) und zum anderen durch den stichtagsbezogenen Meldedatenabgleich (§ 14 Abs. 9 und Abs. 9a RBStV a.F. bzw. § 11 Abs. 5 RBStV n.F.) ergänzt werden. Im Einzelnen:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RBStV ist u.a. das Innehaben einer Wohnung der zuständigen Landesrundfunkanstalt anzuzeigen (Anmeldung). Zudem hat der Beitragsschuldner nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 RBStV jede Änderung der im Einzelnen aufgeführten Daten der Landesrundfunkanstalt mitzuteilen; so hat er insbesondere nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV seine neue Anschrift nach dem Umzug mitzuteilen. Nach § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 RBStV ist u.a. das Ende des Innehabens einer Wohnung unverzüglich schriftlich anzuzeigen (Abmeldung). Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 RBStV endet die Beitragspflicht im Falle einer Abmeldung erst mit der Anzeige bei der zuständigen Landesrundfunkanstalt. So endet etwa die Beitragspflicht im Fall eines Umzugs in eine neue Wohnung, für die bereits der Rundfunkbeitrag bezahlt wird, erst mit einer Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 3 RBStV, in der neben dem Umzug in die neue Wohnung auch die Person mitgeteilt wird, die für diese neue Wohnung bereits den Rundfunkbeitrag bezahlt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Dass H. B. als Beitragsschuldner der dargestellten Anzeigepflicht nachgekommen ist, kann ausgeschlossen werden. Eine solche Anzeige ist den Aktenvorgängen des Beklagten nicht zu entnehmen, und auch die Klägerin hat nicht behauptet, ihr früherer Ehemann sei seiner Anzeigepflicht nachgekommen. So hat H. B. insbesondere keine Änderungsmeldung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV gemacht, in der er dem Beklagten seine neue Anschrift nach dem Umzug mitgeteilt hat. Daneben hat er aber auch keine Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 3 RBStV vorgenommen, in der er etwa den Umzug in eine neue Wohnung und die Person mitgeteilt hätte, die für diese neue Wohnung bereits den Rundfunkbeitrag bezahlt. Danach hat der Beklagte vom Zuzug des beitragspflichtigen H. B. in die Wohnung nach Stuttgart bzw. vom Wegzug aus der Wohnung in D... ... allein durch die anlassbezogenen Meldedatenübermittlungen der Meldebehörde Kenntnis erlangt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Vor diesem tatsächlichen Hintergrund kann es nicht beanstandet werden, dass der Beklagte im Falle einer Verletzung der Anzeigepflicht bei einem Umzug des Beitragspflichtigen auf Grundlage der gelieferten Daten der Meldebehörde die Anschrift berichtigt und keine weiteren Nachfragen bzw. Nachforschungen im Einzelfall zur Beitragspflicht für die bisherige und die neue Wohnung vornimmt und auch keine entsprechenden Hinweise erteilt. Im Massenverfahren des Rundfunkbeitrags wäre es für den Beklagten mit einem unverhältnismäßig großen und damit unzumutbaren Verwaltungsaufwand verbunden, wenn bei (versehentlich) nicht angezeigten Umzügen von Beitragspflichtigen jeweils eine aktive Nachfrage beim Beitragsschuldner mit entsprechenden Hinweisen veranlasst würde. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung wird es - wie dargelegt - sehr häufig vorkommen, dass Beitragspflichtige ihrer Anzeigepflicht bei einem Umzug nicht nachkommen. Gerade deshalb und damit zur Entlastung der Rundfunkanstalten hat der Gesetzgeber mit den Vorschriften zur anlassbezogenen Meldedatenübermittlung einerseits und zum stichtagsbezogenen Meldedatenabgleich andererseits diesen ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung gestellt, damit sie ihren Datenbestand „auf dem Laufenden halten“ können und strukturelle Erhebungs- und Vollzugsdefizite im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Belastengleichheit (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16, u. a. - juris Rn. 72 ff.) vermieden werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Im Übrigen besteht gegenüber einem Beitragspflichtigen, der - wie hier H. B. - in eine neue Wohnung umzieht, keine Rechtsgrundlage zur Erhebung der Daten etwaiger früherer Mitbewohner in der „alten“ Wohnung. Bereits deshalb erübrigen sich insoweit weitere rechtliche Hinweise gegenüber einem Beitragspflichtigen, der bei einem Umzug eine entsprechende Änderungsmitteilung unterlässt. Auch Nachfrage- und Hinweispflichten gegenüber früheren Mitbewohnern, die nach einem Umzug des Beitragspflichtigen in der bisherigen Wohnung verbleiben, bestehen von vornherein nicht. Den Rundfunkanstalten ist aus Datenschutzgründen nicht bekannt, ob in einer Wohnung mehrere volljährige Bewohner leben oder nicht. Dementsprechend war eine Nachfrage bzw. ein rechtlicher Hinweis im Januar 2014 nach dem Auszug von H. B. gegenüber der weiterhin in der Wohnung in D... wohnenden Klägerin bereits faktisch nicht möglich. Dass diese die Wohnung in D... innehatte und nach wie vor innehat, hat der Beklagte erst im Rahmen des stichtagsbezogenen Meldedatenabgleichs im Jahre 2018 in Erfahrung gebracht und auf dieser Grundlage dann im Anschluss die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid „nachveranlagt“.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Schließlich bestanden auch keine Nachforschungs- und Hinweispflichten des Beklagten gegenüber der Klägerin als Fürzahlerin. Die Gründe dafür, dass jemand für eine andere Person die Beitragsschuld mit Erfüllungswirkung begleicht, können vielfältig sein und sind für die Rundfunkanstalten als Zuwendungsempfänger im Regelfall weder erkennbar noch überhaupt von Relevanz. Vor diesem Hintergrund kann eine gesetzliche Nachforschungs- und Hinweispflicht gegenüber einem Fürzahler, wenn der Beitragsschuldner seiner Anzeigepflicht im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RBStV nicht nachkommt, den einschlägigen gesetzlichen Regelungen nicht entnommen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="55"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="56"/><strong>vom 1. August 2022</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 585,50 EUR festgesetzt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die zulässige Anfechtungsklage abweisen müssen, denn der angefochtene Rundfunkbeitragsbescheid des Beklagten vom 01.04.2019 und dessen Widerspruchsbescheid vom 18.12.2019 sind rechtmäßig und verletzen daher die Klägerin nicht in ihren Rechten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Rundfunkbeiträge im streitgegenständlichen Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2018 sind § 10 Abs. 5 Satz 1 und § 2 Abs. 1 RBStV. Danach ist im privaten Bereich für jede Wohnung von deren Inhaber (Beitragsschuldner) ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Die Klägerin war im genannten Zeitraum unstreitig als Inhaberin der Wohnung B...straße ..., ... D... ..., rundfunkbeitragspflichtig, da sie dort bereits seit dem Jahr 2001 wohnte. Die Beitragspflicht und die Fälligkeit der Schuld für den jeweiligen Rundfunkbeitragspflichtigen ergeben sich - unabhängig vom Erlass eines Festsetzungsbescheids - bereits aus dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag selbst (§ 7 Abs. 1 und Abs. 3 RBStV). Auch die Höhe des Rundfunkbeitrags für den hier zu beurteilenden Zeitraum ist zwischen den Beteiligten unstreitig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Davon ausgehend ist der Anspruch des Beklagten auf Zahlung der Rundfunkbeiträge für den Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich September 2018 nicht durch Zahlung erloschen. Denn die Klägerin hat für diesen Zeitraum mit den von ihrem Bankkonto per Lastschrifteinzug geleisteten Zahlungen nicht ihre eigene Beitragspflicht für ihre Wohnung in D... erfüllt. Sie hat vielmehr mit diesen Leistungen auf das Beitragskonto mit der Teilnehmer-Nummer 114 ... ... als Fürzahlerin die Rundfunkbeitragspflicht von H. B., ihrem früheren Ehemann, erfüllt (dazu 1.). Daraus folgend kann nicht beanstandet werden, dass der Beklagte ab Januar 2014 - und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - die Zahlungen der Wohnung B...straße ... in Stuttgart zuordnete, da H. B. unstreitig Inhaber dieser Wohnung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV war und er dementsprechend nach § 2 Abs. 1 RBStV für diese Wohnung den Rundfunkbeitrag zu entrichten hatte (dazu 2.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>1. Für die Beurteilung der Frage, ob durch eine Zahlung die eigene Rundfunkbeitragsschuld getilgt oder - als sogenannter Fürzahler - auf die Beitragsschuld eines Dritten geleistet wird, ist die Regelung in § 267 BGB entsprechend anzuwenden (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit im öffentlichen Recht Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 267 Rn. 1; Krüger in MüKo, BGB, 9. Aufl., § 267 Rn. 3; für das Rundfunkgebühren-/Rundfunkbeitragsrecht OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021 - 1 LA 336/20 - juris Rn. 3; VG Saarlouis, Urteil vom 08.09.2019 - 6 K 1219/17 - juris Rn. 25; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 20.11.2009 - 4 LA 709/07 - juris Rn. 8).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Nach § 267 Abs. 1 BGB führt die Leistung eines Dritten - hier der Klägerin - nur dann zur Schulderfüllung, wenn der Dritte mit dem Willen leistet, die Verpflichtung des Schuldners - hier des H. B. - zu tilgen, und dies auch zum Ausdruck bringt; maßgeblich kommt es dabei aber nicht auf den tatsächlichen inneren Willen des Dritten an, sondern darauf, wie dessen Verhalten bei objektiver Betrachtung aus der Sicht des Zuwendungsempfängers zu beurteilen ist (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. etwa Urteil vom 31.01.2018 - XIII ZR 39/17 - juris Rn. 26; Urteil vom 27.09.2017 - IV ZR 39/16 - juris Rn. 17; Urteil vom 13.03.2014 - IX ZR 147/11 - juris Rn. 16; Urteil vom 08.04.2003 - VI ZR 423/01 - juris Rn. 14). Nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinlehre kann es auf den Empfängerhorizont allerdings nur insoweit ankommen, als der Leistende zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat (BGH, Urteil vom 13.03.2014, aaO juris Rn. 17; vgl. auch Bittner/Kolbe in Staudinger, BGB, § 267 Rn. 8 mwN). Fehlt subjektiv der Fremdtilgungswille kommt eine Drittleistung also nur in Betracht, wenn der Empfänger die Leistung als Zahlung eines Dritten auf fremde Schuld verstehen musste und der Zahlende diesen Eindruck zurechenbar hervorgerufen hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Danach kommt es für die Auslegung der Tilgungsbestimmung auch im Rundfunkbeitragsrecht nicht auf den inneren Willen des Leistenden, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont des Zuwendungsempfängers und damit der Rundfunkanstalt an, wenn der Leistende zurechenbar einen Rechtsschein gesetzt hat. Durch irrtumsbedingte Zahlung der Rundfunkbeiträge für einen anderen Rundfunkbeitragspflichtigen wird der Leistende - wenn er einen zurechenbaren Rechtsschein gesetzt hat - nicht von der eigenen Rundfunkbeitragspflicht frei (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 3; VG Saarlouis, Urteil vom 18.09.2019, aaO juris Rn. 27; VG Magdeburg, Urteil vom 20.08.2018 - 6 A 58/17 - juris Rn. 30).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Die Klägerin hat bei der insoweit maßgeblichen objektiven Betrachtungsweise aus Sicht des Zuwendungsempfängers - hier des Beklagten - mit ihren Zahlungen die Rundfunkbeitragspflicht für H. B. erfüllt. Dies ergibt sich aus der an den Beklagten gerichteten Änderungsmitteilung vom 24.11.2010. In dieser ist unter der Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ..., mit der der damalige Ehemann der Klägerin - H. B. - seit Jahren als Rundfunkteilnehmer und damit als Rundfunkgebührenpflichtiger geführt worden war, in der Rubrik „Neuer Name“ ausdrücklich H. B. mit seiner damaligen Meldeadresse B...straße ... in D... eingetragen, die Rubrik „Änderung der Zahlungsweise“ enthält unter Namensnennung der Klägerin eine Lastschriftermächtigung zu ihrem Bankkonto ab dem 01.12.2010 und im Feld „Unterschrift/Stempel des Rundfunkteilnehmers und ggf. des Kontoinhabers“ haben sowohl H. B. als auch die Klägerin persönlich unterschrieben. Bei sinnorientierter Auslegung dieser Änderungsmitteilung kann diese nur so verstanden werden, dass die Klägerin für das Rundfunkgebührenkonto ihres damaligen Ehemanns eine Lastschriftermächtigung zu ihrem eigenen Bankkonto erteilt hat. Dass H. B. weiterhin Rundfunkteilnehmer und damit weiterhin als gebührenpflichtige Person geführt werden sollte, wird durch seine Namensnennung in der Rubrik „Neuer Name“ nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Änderungsmitteilung bezog sich ausschließlich auf die Änderung der Zahlungsweise und damit auf die Leistungen der Rundfunkgebühren durch eine dritte Person, nämlich die Klägerin. Dass mit der Leistung der Klägerin nicht ihre eigene (damalige) Rundfunkgebührenpflicht, sondern die des schon bisher gebührenpflichtigen H. B. erfüllt werden sollte, haben H. B. und die Klägerin durch ihre Unterschrift ausdrücklich nochmals bestätigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Hätte die Klägerin das Rundfunkgebührenkonto auf ihren Namen und damit die Rundfunkgebührenpflicht übernehmen wollen, hätte sie dies bei lebensnaher Betrachtung in der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 mitgeteilt. Im Formular des Beklagten ist mit der Rubrik „Neuer Name“ ein Wechsel in der Person des Rundfunkteilnehmers und damit des Gebührenschuldners ausdrücklich und aus Sicht des Rundfunkteilnehmers unmissverständlich vorgesehen. Deshalb kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 nicht von einer unklaren Tilgungsbestimmung der Klägerin ausgegangen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin sinngemäß darauf, dem Beklagten sei die Trennung der Eheleute vor der Erteilung der Lastschriftermächtigung am 24.11.2010 mitgeteilt worden und deshalb habe dieser davon ausgehen müssen, mit der Lastschriftermächtigung werde ihre eigene Gebührenpflicht und nicht die ihres damaligen Ehepartners erfüllt. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang behauptet, bereits zum Zeitpunkt, in dem H. B. im Januar 2009 die Lastschriftermächtigung für sein Rundfunkteilnehmerkonto widerrufen habe, sei der Beklagte über ihre Trennung informiert worden, ist dies nicht glaubhaft. Ein entsprechender Schriftverkehr lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen, auch die Klägerin konnte eine solche Mitteilung nicht belegen. Zudem ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass H. B. in seiner E-Mail vom 19.01.2019, mit der er seine Bankeinzugsermächtigung widerrief, die Trennung von seiner Ehefrau mit keinem Wort erwähnte und auch nicht den naheliegenden Vorschlag machte, dass in Zukunft die Klägerin als Rundfunkteilnehmerin die Gebührenpflicht übernehmen werde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Soweit die Klägerin darüber hinaus sinngemäß behauptet, auch vor Übersendung des Formulars für die Änderungsmitteilung im November 2010 sei dem Beklagten die Trennung der Eheleute mitgeteilt und es sei in diesem Zusammenhang insbesondere ausdrücklich darum gebeten worden, ihr eine Lastschriftermächtigung für „ihre Wohnung in D...“ zu übersenden, ist dies ebenfalls als Schutzbehauptung zu werten. Belege für eine solche Information finden sich in den Aktenvorgängen des Beklagten nicht. Zudem ist bei der Würdigung dieses Vortrags maßgeblich einzustellen, dass es der Klägerin und H. B. auf Grundlage des ihnen übersandten Formulars - wie bereits dargelegt - ohne Weiteres möglich gewesen wäre, anstatt eine Lastschriftermächtigung als Fürzahler zu erteilen, eine Änderung des Rundfunkteilnehmers und damit eine Änderung der gebührenpflichtigen Person vorzunehmen. Dies ist aber im Rahmen der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 gerade nicht erfolgt, obwohl sich eine solche Vorgehensweise nach den angeführten Behauptungen der Klägerin zur Trennung vom damaligen Ehemann geradezu aufgedrängt hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Dass die Klägerin auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Zuwendungsempfängers - und ihr zurechenbar - nicht ihre eigene Rundfunkgebührenpflicht, sondern die ihres damaligen Ehemanns erfüllte, konnte die Klägerin auch ihrem eigenen Kontoauszug entnehmen, in dem sowohl die Rundfunkteilnehmer-Nummer 114 ... ... als auch der Name des Rundfunkteilnehmers, d.h. von H. B., aufgeführt sind. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Verwaltungsgerichts, im Rahmen des Lastschriftverfahrens sei der Text des Verwendungszwecks nicht von der Klägerin, sondern vom Beklagten formuliert worden. Der Text entsprach den von der Klägerin gemachten Angaben in ihrer Änderungsmitteilung vom 24.11.2010. Im Hinblick auf die Angaben auf ihrem Kontoauszug hätte für sie jedenfalls aller Anlass bestanden, insoweit beim Beklagten nachzufragen und eine entsprechende Umschreibung des Teilnehmerkontos zu veranlassen, wenn die Leistung der Rundfunkgebühren als Fürzahlerin nicht ihrem (wahren) inneren Willen entsprochen und sie nicht mit Fremdtilgungswillen im Sinne von § 267 Abs. 1 BGB gehandelt hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Der Umstand, dass aufgrund der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 nicht H. B. und damit der Gebührenschuldner selbst, sondern die Klägerin als Fürzahlerin auf dessen Gebührenschuld leistete, verpflichtete den Beklagten auch nicht zu weiteren Nachforschungen oder Nachfragen (vgl. dazu OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 8; VG Magdeburg, Urteil vom 20.08.2018, aaO juris Rn. 30). Für den Beklagten bestand insbesondere keine Veranlassung, durch Befragung des Fürzahlers dessen Motivation aufzuklären, zumal es auch keineswegs unüblich ist, dass jemand für eine andere Person die Gebühren- bzw. Beitragsschuld mit Erfüllungswirkung begleicht. So dürfte es häufig vorkommen, dass Eltern für ihre volljährigen, noch in Ausbildung befindlichen Kinder die Rundfunkgebühren bzw. Rundfunkbeiträge übernehmen. Der Gesetzgeber hat den Landesrundfunkanstalten insoweit auch keine Hinweis- und Nachforschungspflicht auferlegt, zumal im Massenverfahren des Rundfunkgebühren- bzw. Rundfunkbeitragseinzugs entsprechende Hinweise bzw. Nachforschungen nur mit einem hohen Verwaltungsaufwand möglich wären.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Neben der Sache liegt der in diesem Zusammenhang erfolgte Einwand des Verwaltungsgerichts, aus Sicht des Beklagten habe eine Trennung der Ehegatten bei objektiver Betrachtung zumindest nahegelegen, da die Klägerin im Rahmen ihrer Änderungsmitteilung am 24.11.2010 weiterhin die Adresse B...straße ... in D... angegeben habe, das Einwohnermeldeamt hingegen dem Beklagten am 08.03.2010 mitgeteilt habe, dass H. B. - der damalige Ehemann der Klägerin - bereits am 01.02.2010 in die B...straße ... in Stuttgart gezogen sei. Nach der anlassbezogenen Datenübermittlung durch das Einwohnermeldeamt vom 08.03.2010 behielt H. B. seinen Wohnsitz in der B...straße ... in D... bei, er meldete in Stuttgart lediglich einen zusätzlichen Wohnsitz an; auch wenn dem Beklagten bekannt gewesen wäre, dass es sich bei der Klägerin und H. B. um Eheleute handelte, liegt im Hinblick auf eine häufig beruflich veranlasste Anmeldung eines zusätzlichen Wohnsitzes eine Trennung der Ehegatten fern. Im Übrigen konnte der Beklagte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Daten nicht wissen, dass H. B. der Ehemann der Klägerin war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Die Klägerin hat ihre auf Grundlage der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 getroffene Tilgungsbestimmung, wonach ihre Zahlungen die Rundfunkgebühren- bzw. ab dem Jahr 2013 die Rundfunkbeitragsschuld von H. B. tilgen sollten, auch in der Folgezeit nicht geändert. Aus dem von ihr vorgelegten Kontoauszug vom 31.07.2018 war (auch für die Klägerin) ersichtlich, dass mit der von ihr erteilten Lastschriftermächtigung nach wie vor die Beitragspflicht von H. B. unter dessen Rundfunkbeitragskonto 114 ... ... erfüllt wurde. Hätte die Klägerin ab einem bestimmten Zeitpunkt und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2016 bis einschließlich September 2018 eine abweichende Tilgungsbestimmung treffen und nicht mehr die Beitragspflicht für H. B. erfüllen wollen, hätte sie dies dem Beklagten selbst mitteilen müssen; eine solche abweichende Tilgungsbestimmung hat sie ersichtlich nicht vorgenommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>2. Davon ausgehend hat H. B. die Rundfunkgebührenpflicht bzw. ab dem 01.01.2013 die Rundfunkbeitragspflicht für die (auch) von der Klägerin bewohnte Wohnung in D... lediglich bis einschließlich Dezember 2013 erfüllt. Auf Grundlage der anlassbezogenen Meldedatenübermittlung der Einwohnermeldebehörde vom 30.01.2014 ist er zum 01.01.2014 aus dieser Wohnung ausgezogen und war damit nicht mehr beitragspflichtiger Inhaber dieser Wohnung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RBStV. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann auch nicht beanstandet werden, dass der Beklagte aufgrund dieser Meldedatenübermittlung für das Beitragskonto des H. B. die Adresse berichtigt und ab Januar 2014 - und damit auch für den streitgegenständlichen Zeitraum - die von der Klägerin als Fürzahlerin geleisteten Zahlungen der Wohnung B...straße ... in Stuttgart zugeordnet hat. Da H. B. unstreitig Inhaber dieser Wohnung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 RBStV) und damit gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 und Abs. 3 RBStV für diese Wohnung zur Entrichtung der Rundfunkbeiträge verpflichtet war, erfüllten die Zahlungen der Klägerin diese gesetzliche Pflicht, zumal H. B. seine diesbezügliche Beitragspflicht nicht anderweitig erfüllte und er für diese Wohnung auch nicht von der Beitragspflicht befreit war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Unerheblich ist der in diesem Zusammenhang erfolgte Einwand der Klägerin, die personenbezogene Führung des Beitragskontos und damit die Führung des Beitragskontos auf H. B. sei ihr nicht bekannt gewesen. Die personenbezogene Führung der Beitragskonten durch den Beklagten ist gesetzlich zwingend (vgl. dazu etwa auch OVG Bremen, Beschluss vom 10.03.2021, aaO juris Rn. 6; VG Saarlouis, Urteil vom 18.09.2019, aaO juris Rn. 31). Gesetzlicher Anknüpfungspunkt zur typisierten Erfassung der Möglichkeit für den Beitragspflichtigen, den Rundfunk zu empfangen, ist zwar die Wohnung, das daran anknüpfende Beitragsschuldverhältnis besteht aber stets zwischen einem Wohnungsinhaber und der zuständigen Landesrundfunkanstalt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16, u.a. - juris Rn. 107) ist der abzugeltende Vorteil der Möglichkeit der Nutzung des Rundfunkangebots immer personenbezogen zu verstehen, da es auf denjenigen Vorteil aus dem Rundfunkempfang ankommt, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen können. Der Rundfunkbeitrag wird damit für die jeweils individualisierte Möglichkeit des Rundfunkempfangs durch die einzelne Person erhoben (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2018, aaO juris Rn. 60). Folgerichtig kann Beitragsschuldner nur eine konkrete natürliche Person sein und nicht etwa eine Wohnung. Auch aus § 8 RBStV ergibt sich, dass die Beitragsnummer und damit das Beitragskonto personenbezogen und nicht wohnungsbezogen vergeben werden (vgl. § 8 Abs. 5 Nr. 3 RBStV: „die Beitragsnummer des für die neue Wohnung in Anspruch genommenen Beitragsschuldners“).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Die personenbezogene Führung der Teilnehmerkonten beim Beklagten war für die Klägerin - wie dargelegt - im Übrigen auf Grundlage ihrer eigenen Angaben in der Änderungsmitteilung vom 24.11.2010 und ihren dementsprechenden Kontoauszügen auch ersichtlich. Der Sache nach rügt die Klägerin im Kern vielmehr, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass mit den von ihr geleisteten Zahlungen ab Januar 2014 nicht mehr der Rundfunkbeitrag für ihre eigene Wohnung in D..., sondern derjenige für die Wohnung ihres früheren Ehegatten in Stuttgart getilgt worden seien. Dabei handelt es sich jedoch um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der keinen Niederschlag in ihrer Tilgungsbestimmung gefunden hat, die - wie dargelegt - nicht nach dem inneren Willen der Klägerin zu beurteilen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Der Umstand, dass H. B. entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV nicht selbst die Aufgabe seiner bisherigen Wohnung in D... und die Begründung eines Wohnsitzes in Stuttgart mitgeteilt hat, rechtfertigt es ebenfalls nicht, ab dem 01.01.2014 die Zahlungen weiterhin der Wohnung in D... zuzuordnen und insoweit die Beitragspflicht der Klägerin als erfüllt anzusehen. Diese Auffassung würde dazu führen, dass bei einem Verstoß gegen die Anzeigepflicht wie hier, die bei einem Umzug eines Beitragspflichtigen nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr häufig vorkommt, die Beitragspflicht für die „neue“ Wohnung, die der Beitragspflichtige nach seinem Umzug im Sinne des § 2 Abs. 2 RBStV innehat, noch nicht erfüllt wäre und er allein wegen dieses Verstoßes doppelt - einmal für die „alte“ Wohnung wegen des Verstoßes gegen die Anzeigepflicht und zum zweiten für die „neue“ Wohnung nach § 2 Abs. 2 RBStV - herangezogen würde. Gegen diese Ansicht spricht bereits, dass der Beitragsschuldner nach einem Umzug die „alte“ Wohnung nicht mehr im Sinne von § 2 Abs. 2 RBStV innehat. Zudem können auf Grundlage der Systematik der §§ 7 und 8 RBStV allein aus dem Unterlassen einer Änderungsmitteilung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RBStV keine so weitreichenden Folgen zu Lasten des Beitragsschuldners abgeleitet werden. Nur für die Konstellation einer Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 RBStV sieht die Regelung in § 7 Abs. 2 RBStV vor, dass die Beitragspflicht erst mit einer ordnungsgemäßen Abmeldung gegenüber der zuständigen Landesrundfunkanstalt und nicht bereits dann endet, wenn tatsächlich das Innehaben der Wohnung geendet hat. Eine entsprechende Rechtsfolge zu Lasten des Beitragspflichtigen hat der Gesetzgeber im Falle einer fehlenden bzw. nicht ordnungsgemäßen Änderungsmeldung - hier über den Umzug in eine neue Wohnung - nicht normiert.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>3. Zu Unrecht meint das Verwaltungsgericht schließlich, im Hinblick auf die anlassbezogene Meldedatenübermittlung vom 30.01.2014, wonach H. B. zum 01.01.2014 aus der Wohnung B...straße ... in D... ausgezogen und die aktuelle Adresse seit diesem Datum die Wohnung B...straße ... in Stuttgart war, habe für den Beklagten Veranlassung bestanden, den Sachverhalt weiter aufzuklären und insbesondere die Beitragspflicht für die bisherige Wohnung B...straße ... in D... durch entsprechende Nachfragen zu ermitteln. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts können bei sinnorientierter Auslegung nur so verstanden werden, dass das Verwaltungsgericht aus dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben ableitet, der Beklagte habe eigene Pflichten - hier insbesondere Hinweispflichten gegenüber H. B. und der Klägerin - verletzt, aus dieser Pflichtverletzung ergäben sich entsprechende Schadensersatzpflichten und deshalb bestehe nach dem Rechtsgedanken aus § 242 BGB für den Beklagten eine Pflicht zur alsbaldigen Rückgewähr der von der Klägerin vereinnahmten Rundfunkbeiträge. Zwar fehlt auf Grundlage von § 242 BGB ein schutzwürdiges Interesse, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzugewähren wäre (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est, vgl. dazu Grüneberg in Grüneberg, BGB, § 242 Rn. 52). Eine solche Fallgestaltung, in der der Beitragsforderung des Beklagten entgegengehalten werden könnte, es fehle an einem schutzwürdigen Interesse, liegt hier jedoch ersichtlich nicht vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Nach der Gesamtsystematik der Regelungen im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag, der am 01.01.2013 und damit vor dem Umzug von H. B. in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber den Rundfunkanstalten für die hier zu beurteilende Konstellation, in der der beitragspflichtige Rundfunkteilnehmer dem Rundfunk einen Anschriftenwechsel bzw. einen Umzug in eine andere Wohnung nicht meldet, keine (weitere) Nachforschungs- und Hinweispflicht auferlegt. Mit Blick auf das Massenverfahren des Rundfunkbeitragseinzugs und zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands für die Rundfunkanstalten hat der Gesetzgeber vielmehr ausdrücklich nur Anzeigepflichten für die Beitragspflichtigen normiert, die zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Belastung der Beitragsschuldner und des Grundsatzes der Abgabengerechtigkeit einmal durch anlassbezogene Meldedatenübermittlungen der Meldebehörden (vgl. dazu etwa § 17 der Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung des baden-württembergischen Ausführungsgesetzes zum Bundesmeldegesetz - Meldeverordnung - vom 28.09.2015) und zum anderen durch den stichtagsbezogenen Meldedatenabgleich (§ 14 Abs. 9 und Abs. 9a RBStV a.F. bzw. § 11 Abs. 5 RBStV n.F.) ergänzt werden. Im Einzelnen:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RBStV ist u.a. das Innehaben einer Wohnung der zuständigen Landesrundfunkanstalt anzuzeigen (Anmeldung). Zudem hat der Beitragsschuldner nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 RBStV jede Änderung der im Einzelnen aufgeführten Daten der Landesrundfunkanstalt mitzuteilen; so hat er insbesondere nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV seine neue Anschrift nach dem Umzug mitzuteilen. Nach § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 RBStV ist u.a. das Ende des Innehabens einer Wohnung unverzüglich schriftlich anzuzeigen (Abmeldung). Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 RBStV endet die Beitragspflicht im Falle einer Abmeldung erst mit der Anzeige bei der zuständigen Landesrundfunkanstalt. So endet etwa die Beitragspflicht im Fall eines Umzugs in eine neue Wohnung, für die bereits der Rundfunkbeitrag bezahlt wird, erst mit einer Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 3 RBStV, in der neben dem Umzug in die neue Wohnung auch die Person mitgeteilt wird, die für diese neue Wohnung bereits den Rundfunkbeitrag bezahlt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Dass H. B. als Beitragsschuldner der dargestellten Anzeigepflicht nachgekommen ist, kann ausgeschlossen werden. Eine solche Anzeige ist den Aktenvorgängen des Beklagten nicht zu entnehmen, und auch die Klägerin hat nicht behauptet, ihr früherer Ehemann sei seiner Anzeigepflicht nachgekommen. So hat H. B. insbesondere keine Änderungsmeldung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Abs. 4 Nr. 4 RBStV gemacht, in der er dem Beklagten seine neue Anschrift nach dem Umzug mitgeteilt hat. Daneben hat er aber auch keine Abmeldung im Sinne von § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Nr. 3 RBStV vorgenommen, in der er etwa den Umzug in eine neue Wohnung und die Person mitgeteilt hätte, die für diese neue Wohnung bereits den Rundfunkbeitrag bezahlt. Danach hat der Beklagte vom Zuzug des beitragspflichtigen H. B. in die Wohnung nach Stuttgart bzw. vom Wegzug aus der Wohnung in D... ... allein durch die anlassbezogenen Meldedatenübermittlungen der Meldebehörde Kenntnis erlangt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Vor diesem tatsächlichen Hintergrund kann es nicht beanstandet werden, dass der Beklagte im Falle einer Verletzung der Anzeigepflicht bei einem Umzug des Beitragspflichtigen auf Grundlage der gelieferten Daten der Meldebehörde die Anschrift berichtigt und keine weiteren Nachfragen bzw. Nachforschungen im Einzelfall zur Beitragspflicht für die bisherige und die neue Wohnung vornimmt und auch keine entsprechenden Hinweise erteilt. Im Massenverfahren des Rundfunkbeitrags wäre es für den Beklagten mit einem unverhältnismäßig großen und damit unzumutbaren Verwaltungsaufwand verbunden, wenn bei (versehentlich) nicht angezeigten Umzügen von Beitragspflichtigen jeweils eine aktive Nachfrage beim Beitragsschuldner mit entsprechenden Hinweisen veranlasst würde. Denn nach allgemeiner Lebenserfahrung wird es - wie dargelegt - sehr häufig vorkommen, dass Beitragspflichtige ihrer Anzeigepflicht bei einem Umzug nicht nachkommen. Gerade deshalb und damit zur Entlastung der Rundfunkanstalten hat der Gesetzgeber mit den Vorschriften zur anlassbezogenen Meldedatenübermittlung einerseits und zum stichtagsbezogenen Meldedatenabgleich andererseits diesen ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung gestellt, damit sie ihren Datenbestand „auf dem Laufenden halten“ können und strukturelle Erhebungs- und Vollzugsdefizite im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Belastengleichheit (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 18.07.2018 - 1 BvR 1675/16, u. a. - juris Rn. 72 ff.) vermieden werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Im Übrigen besteht gegenüber einem Beitragspflichtigen, der - wie hier H. B. - in eine neue Wohnung umzieht, keine Rechtsgrundlage zur Erhebung der Daten etwaiger früherer Mitbewohner in der „alten“ Wohnung. Bereits deshalb erübrigen sich insoweit weitere rechtliche Hinweise gegenüber einem Beitragspflichtigen, der bei einem Umzug eine entsprechende Änderungsmitteilung unterlässt. Auch Nachfrage- und Hinweispflichten gegenüber früheren Mitbewohnern, die nach einem Umzug des Beitragspflichtigen in der bisherigen Wohnung verbleiben, bestehen von vornherein nicht. Den Rundfunkanstalten ist aus Datenschutzgründen nicht bekannt, ob in einer Wohnung mehrere volljährige Bewohner leben oder nicht. Dementsprechend war eine Nachfrage bzw. ein rechtlicher Hinweis im Januar 2014 nach dem Auszug von H. B. gegenüber der weiterhin in der Wohnung in D... wohnenden Klägerin bereits faktisch nicht möglich. Dass diese die Wohnung in D... innehatte und nach wie vor innehat, hat der Beklagte erst im Rahmen des stichtagsbezogenen Meldedatenabgleichs im Jahre 2018 in Erfahrung gebracht und auf dieser Grundlage dann im Anschluss die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid „nachveranlagt“.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Schließlich bestanden auch keine Nachforschungs- und Hinweispflichten des Beklagten gegenüber der Klägerin als Fürzahlerin. Die Gründe dafür, dass jemand für eine andere Person die Beitragsschuld mit Erfüllungswirkung begleicht, können vielfältig sein und sind für die Rundfunkanstalten als Zuwendungsempfänger im Regelfall weder erkennbar noch überhaupt von Relevanz. Vor diesem Hintergrund kann eine gesetzliche Nachforschungs- und Hinweispflicht gegenüber einem Fürzahler, wenn der Beitragsschuldner seiner Anzeigepflicht im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RBStV nicht nachkommt, den einschlägigen gesetzlichen Regelungen nicht entnommen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="55"/><strong>Beschluss</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="56"/><strong>vom 1. August 2022</strong></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 585,50 EUR festgesetzt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,221
vghbw-2022-08-01-2-s-43722
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2 S 437/22
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-17T10:00:52"
"2022-10-17T11:09:16"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde des Klägers gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung der Einzelrichterin der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11.01.2022 in der Fassung vom 04.02.2022 - 9 K 800/19 - wird verworfen.</p><p>Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Beschwerde des Klägers richtet sich gegen die ihm am 11.01.2022 und in aktualisierter Fassung am 04.02.2022 zugestellte sitzungspolizeiliche Anordnung der Einzelrichterin der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>I. Der Kläger ist Rechtsanwalt, der sich in dem Verfahren 9 K 800/19 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg selbst vertrat. Er wandte sich in diesem Verfahren gegen die Zahlung eines Rundfunkbeitrags und begehrte die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Zweitwohnung rückwirkend ab 01.01.2013.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Berichterstatterin, auf die der Rechtsstreit mit Beschluss vom 25.11.2021 als Einzelrichterin übertragen worden war, bestimmte mit Verfügung vom 21.12.2021 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11.02.2022. Die Ladung erhielt als Anlage eine sitzungspolizeiliche Anordnung der Einzelrichterin. Das Gericht stellte dem Kläger am 11.01.2022 sowie am 04.02.2022 eine aktualisierte Version der sitzungspolizeilichen Anordnung zu.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Diese enthielt u.a. folgende Ausführungen:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="5"/>Für die mündliche Verhandlung der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Freiburg wird auf der Grundlage von § 176 Abs. 1 GVG Folgendes bestimmt:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="6"/>1. 3-G Regel: Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ist für gegen COVID-19 geimpfte oder von COVID-19 genesene Personen gestattet.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>Nicht immunisierten Personen ist die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nur nach Vorlage eines auf sie ausgestellten Antigen- oder PCR-Testnachweises mit negativem Ergebnis gestattet. Die zugrundeliegende Testung darf im Falle eines Antigen-Schnelltests maximal 24 Stunden, im Falle eines PCR-Tests maximal 48 Stunden zurückliegen. Ein Testnachweis ist ein Nachweis über einen Test, der von einem der folgenden Leistungserbringer vorgenommen oder überwacht wurde.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>Zur Vornahme oder Überwachung des Tests sind berechtigt:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="9"/>• die zuständigen Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und die von ihnen betriebenen Testzentren,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="10"/>• die von diesen Stellen als weitere Leistungserbringer beauftragten Dritten und</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="11"/>• Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Apotheken, medizinische Labore, Rettungs- und Hilfsorganisationen, und die von den Kassenärztlichen Vereinigungen betriebenen Testzentren.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="12"/>Der Impf-, Genesenen- oder Testnachweis ist zur Kontrolle bereitzuhalten.</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="13"/>2. Abstandsgebot<br/>…</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="14"/>3. Mund-Nasen-Schutz</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>Die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten sowie Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher und die als Teil der Öffentlichkeit an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Personen haben im Gerichtssaal einen Atemschutz, welcher die Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards erfüllt, zu tragen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Gegen diese Anordnung hat der Kläger am 10.02.2022 Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die 3-G-Regel und die Anordnung der Maskenpflicht verletzten ihn in seiner Berufsfreiheit, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Menschenwürde. Er sei insbesondere in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 GG sowie in seinen Rechten aus Art. 56 AEUV verletzt. Als Rechtsanwalt vertrete er regelmäßig Arbeitnehmer aus den Staaten der Europäischen Union. Sollte das Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung des Unionsrechts haben, werde angeregt, das Verfahren auszusetzen und im Rahmen einer Vorlage klären zu lassen, ob Art. 56 AEUV der Anordnung der Vorlage eines Antigen- oder PCR-Testnachweises sowie der Anordnung des Tragens einer FFP2-Maske zulasten eines Rechtsanwalts in einer mündlichen Verhandlung entgegenstehe, wenn dies ohne jegliche medizinische Begründung erfolge. Zu Unrecht berufe sich das Verwaltungsgericht auf den Beschluss des OLG Celle vom 02.08.2021 - 2 WS 230/21 -, denn das OLG sei noch fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Risiko einer Virusübertragung bei geimpften Personen stark vermindert sei. Diese Annahme sei medizinisch nicht mehr haltbar, auch das RKI halte diese Behauptung nicht länger aufrecht. Wenn aber die Impfung keinen Fremdschutz biete, das Verwaltungsgericht jedoch gleichwohl Geimpfte ohne Testnachweis zur Verhandlung zulasse, ihm jedoch eine Testpflicht auferlegen wolle, könne die 3-G-Regel nicht mit Gründen des Infektionsschutzes begründet werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Mit Beschluss vom 11.02.2022 hat die Einzelrichterin der Beschwerde nicht abgeholfen. Die angegriffene sitzungspolizeiliche Anordnung sei nach § 55 VwGO i.V.m. § 176 GVG unanfechtbar. Anders als der Kläger meine, komme der sitzungspolizeilichen Maßnahme auch keine über die Dauer der Hauptverhandlung hinausgehende Wirkung zu. Auch würden seine Grundrechte nicht dauerhaft tangiert und beeinträchtigt. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Kläger in dem vorliegenden Verfahren nicht die Interessen anderer vertrete, sondern als Rechtsanwalt in eigener Sache tätig werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>II. Die Beschwerde ist unzulässig, da sie unstatthaft ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung ist grundsätzlich nicht vorgesehen (BGH, Beschluss vom 10.03.2016 - StB 3/16 - juris Rn. 5; Beschluss vom 13.10.2015 - StB 10/15 u.a.- juris Rn. 8; Thüringer OLG, Beschluss vom 26.10.2020 - 1 Ws 313/20 u.a.- juris Rn. 28 ff., Rn. 33; so auch für den Verwaltungsprozess Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 55 Rn. 48; von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl., § 55 Rn. 26; Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl., § 55 Rn. 11; für den Zivilprozess Lückemann in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 176 GVG Rn. 9; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 176 Rn. 48; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 620/07 - juris Leitsatz 1a, Rn. 23).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Zur Begründung wird vertreten, die §§ 176 ff. GVG enthielten eine spezielle und abschließende Regelung zur Kompetenzverteilung, die eine Beschwerde ausschließe (Allgayer in BeckOK, § 176 GVG Rn. 23). Zudem wird aus § 181 GVG, der für die im selben Titel des GVG geregelten Ordnungsmittel nach §§ 178 ff. GVG eine Beschwerde vorsieht, der Umkehrschluss gezogen, dass die sitzungspolizeilichen Anordnungen nach § 176 GVG einer Beschwerde nicht unterlägen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.03.1987 - 1 Ws 139/87 - u.a. NstZ 1987, 477; Pabst in Münchener Kommentar, 6. Aufl., § 176 GVG Rn. 22; Allgayer, aaO). Dieses Ergebnis wird auch auf § 169 Abs. 4 GVG gestützt. Seit der Neuregelung des § 169 GVG werden Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen von Gerichtsverhandlungen in größerem Umfang als bisher zugelassen. Beschlüsse, mit denen das Gericht über solche Aufnahmen nach § 169 Abs. 1 bis 3 GVG entscheidet, sind gemäß § 169 Abs. 4 GVG unanfechtbar. Der Gesetzgeber wollte dadurch u.a. vermeiden, dass der Fortgang des Verfahrens durch eine Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der Aufnahmen behindert wird (BT-Drs. 18/10144, 30). Auf sitzungspolizeiliche Verfügungen ist die Vorschrift zwar nicht anwendbar. Ihre ratio, einen vom Streit um die sitzungspolizeiliche Anordnung ungehinderten Verfahrensablauf zu gewährleisten, greift indes gleichermaßen (Allgayer, aaO Rn. 24).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Nach überwiegender Meinung in der verwaltungsprozessualen Literatur werden die Regelungen des GVG bezüglich der Anfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Maßnahmen jedoch von den §§ 146 ff. VwGO verdrängt (Kluckert, aaO Rn. 48a; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 55 Rn. 13; Meissner/Schenk in Schoch/Schneider, VwGO, § 55 Rn. 48; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl., § 55 Rn. 8; Buchheister in Wysk, VwGO, 3. Aufl., § 55 Rn. 3; Krausnick in Gärditz, VwGO, 2. Aufl., § 55 Rn. 17; Kimmel in Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl., § 55 Rn. 17a). Eine Beschwerde gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen nach § 55 VwGO i.V.m. § 176 GVG scheitert bei dieser Auslegung jedoch an § 146 Abs. 2 VwGO, wonach prozessleitende Verfügungen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können (Hoppe, aaO; Buchhei-ster, aaO; Kimmel, aaO; Krausnick, aaO; vgl. auch Kluckert, aaO Rn. 48a; aA Meissner/Schenk, aaO). Es handelt sich dabei vielmehr um Ordnungs- und Hausrechtsmaßnahmen, die in Ausübung dieses Rechts getroffen werden und die deshalb dem Gericht nicht als Entscheidung zuzurechnen sind (Redeker aaO), so dass sie einer direkten Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht nicht zugänglich sind (Hoppe, aaO). Mithin ist eine Beschwerde gegen die angegriffenen sitzungspolizeilichen Maßnahmen auch bei dieser Auslegung ausgeschlossen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Rechtsbehelf gegen eine auf § 176 GVG gestützte sitzungspolizeiliche Anordnung unstatthaft ist, wird in der neueren Rechtsprechung und Literatur insbesondere für den Strafprozess unter der Voraussetzung angenommen, dass der sitzungspolizeilichen Anordnung eine über die Dauer der Hauptverhandlung oder sogar über die Rechtskraft des Urteils hinausgehende Wirkung zukommt und insbesondere Grundrechte oder andere Rechtspositionen des von einer sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen dauerhaft tangiert und beeinträchtigt werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 02.08.2021 - 2 Ws 230/21 u.a. - juris Rn. 7; OLG Karlsruhe; Beschluss vom 11.03.2020 - 2 Ws 49/20 - juris Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 24.11.2011 - 3 Ws 370/11 - juris Rn. 9; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.06.2011 - 4 Ws 136/11 - Rn. 8; LAG Niedersachsen, Beschluss vom 29.09.2008 - 16 Ta 333/08 - juris Rn. 8; OLG München, Beschluss vom 14.07.2006 - 2 Ws 679/06 u.a. - juris Rn. 7; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, GVG § 176 Rn. 16; Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 176 GVG Rn. 7; vgl. auch zum Meinungsstand und in der Sache offengelassen BVerfG, Beschluss vom 17.04.2015 - 1 BvR 3276/08 - juris Rn. 12;).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Auch die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme liegen hier nicht vor. Denn die angefochtenen Anordnungen hätten ihre Wirkung nur während der mündlichen Verhandlung entfaltet, weitergehende Rechtspositionen des Klägers wären aber nicht tangiert gewesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Unabhängig davon kann die Entscheidung der Einzelrichterin auch in der Sache nicht beanstandet werden. Es begegnet keinen Bedenken, dass die Einzelrichterin eine Testung der Verfahrensbeteiligten zumindest mit einem Antigen- oder PCR-Test für geeignet hielt, um das Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-Cov-2 während der mündlichen Verhandlung zu reduzieren (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 02.08.2021 - 2 Ws 230/21 u.a. - juris Rn. 15). Selbst wenn die Annahme, gegen das Corona-Virus geimpfte Personen müssten ein solches Testergebnis nicht vorlegen, weil die Impfung auch Fremdschutz entfalte, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 11.02.2022 nicht mehr aktuell gewesen sein sollte, handelt es sich bei der Vorlage des Ergebnisses eines Antigentests um eine so geringe Belastung, dass diese aufgrund der damaligen Infektionslage (Inzidenz von 1.900 gemäß https://corona-zahlen-heute.de/deutschland/baden-wuerttemberg/freiburg-breisgau/) hinzunehmen war. Die Anordnung, während der mündlichen Verhandlung eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, beruhte ebenfalls auf vernünftigen Gründen des Gemeinwohls, da nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts das Tragen eines solchen Schutzes das Infektionsrisiko verringern kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.09.2020 - 1 BvR 1948/20 - juris Rn. 4 mwN).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für die Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG eine streitwertunabhängige Festgebühr von 66,- EUR erhoben wird.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Der Beschluss ist unanfechtbar.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,176
ag-dortmund-2022-08-01-729-cs-266-js-57522
{ "id": 647, "name": "Amtsgericht Dortmund", "slug": "ag-dortmund", "city": 407, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Amtsgericht" }
729 Cs-266 Js 575/22-42/22
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:57"
"2022-10-17T17:55:56"
Beschluss
ECLI:DE:AGDO:2022:0801.729CS266JS575.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO). Von der Auferlegung der der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu Lasten der Staatskasse wird abgesehen (§ 467 Abs. 4 StPO).</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Gründe:</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das Verfahren konnte mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Angeschuldigten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt werden, weil das Verschulden als gering anzusehen wäre und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht. Die 92 Jahre alte und verkehrsrechtlich nicht vorbelastete Angeklagte hat im Rahmen des ihr zur Last gelegten Unfallgeschehens lediglich einen Sachschaden von etwa 2000 Euro verursacht und hiernach den Unfallort unerlaubt verlassen. Sie hat - bestätigt durch die Stadt Dortmund - auf Anregung des Gerichtes nach Einspruchseinlegung gegen den ergangenen Strafbefehl auf ihre Fahrerlaubnis wirksam verzichtet. Einer weiteren Strafverfolgung bedarf es somit nicht.</p>
346,153
ovgnrw-2022-08-01-1-b-67222
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
1 B 672/22
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:50"
"2022-10-17T17:55:52"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0801.1B672.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der mit ihm erfolgten Aufhebung einzelner Beiladungen und der Streitwertfestsetzung geändert.</p> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.</p> <p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 16.703,36 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die gegen den angefochtenen Beschluss (dazu 1.) fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. Satz 1 und 3 VwGO), erschüttern die tragenden Gründe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (dazu 2.). Da sich der erstinstanzliche Beschluss auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (dazu 3.), ist das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung auf die Beschwerde hin zu ändern und der im Beschwerdeverfahren sinngemäß weiterverfolgte Antrag des Antragstellers,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Beigeladenen zu Ersten Polizeihauptkommissaren (A 13g BBesO) zu ernennen, bis über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">abzulehnen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Das Verwaltungsgericht hat diesem Antrag im Kern mit der folgenden tragenden Begründung entsprochen:</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller habe zunächst einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die getroffene Auswahlentscheidung sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zulasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Auswahlentscheidung ergäben sich zunächst daraus, dass die Antragsgegnerin, nachdem der Vergleich sowohl der Gesamtnoten in den jeweiligen Regelbeurteilungen 2019 (jeweils B1) als auch der Bewertungen der vier obligatorisch zu beurteilenden ("besonders wichtigen") Leistungsmerkmale (jeweils 2 x A2 und 2 x B1) nicht zur Feststellung eines Qualifikationsunterschieds geführt habe, unmittelbar auf die jeweiligen Vorbeurteilungen 2016 abgehoben und den Bewertungen der übrigen 17 Leistungsmerkmale in den aktuellen Beurteilungen keine Bedeutung beigemessen habe. Die Entscheidung für eine solche – hier richtlinienkonforme – Vorgehensweise möge zwar in den Beurteilungsspielraum des Dienstherrn fallen; sie bedürfe aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer besonderen Begründung, an der es hier fehle. Dass den Gesamtnoten der Vorbeurteilungen gegenüber den 17 Einzelnoten in den aktuellen Regelbeurteilungen ein höheres Gewicht zukomme, verstehe sich angesichts des unterschiedlichen Aussagegehalts beider Parameter nicht schon von selbst, zumal die fragliche Vorgehensweise, wie ein Leistungsvergleich zwischen dem Antragsteller und den Beigeladenen zu 2. und 3 (im erstinstanzlichen Verfahren: Beigeladene zu 4. und 5.) anhand der Leistungsentwicklung und der Zahl der "A2"-Bewertungen in den Beurteilungen 2019 zeige, die Gefahr inkonsistenter Ergebnisse in sich berge. Das demnach auch hier geltende Erfordernis einer Begründung solle gewährleisten, dass der Dienstherr sich mit den Auswirkungen der verschiedenen Vorgehensweisen auseinandersetze, sich der Tragfähigkeit seiner Gründe versichere und den betroffenen Beamten sowie den Verwaltungsgerichten deutlich mache, weshalb er sich für den einen oder anderen Weg entschieden habe. Solche Erwägungen habe die Antragsgegnerin nicht angestellt, und zwar auch nicht in dem Erlass des BMI vom 31. März 2017, der die einschlägigen Beförderungsrichtlinien modifiziere und die besagte Vorgehensweise anordne.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Auswahlentscheidung sei aber auch dann rechtsfehlerhaft, wenn der aufgezeigte Begründungsmangel ausgeblendet werden könnte und der Rückgriff auf die Gesamtnoten der Regelbeurteilungen 2016 ohne vorherige vollständige Ausschöpfung der aktuellen Regelbeurteilungen anhand (auch) der 17 sonstigen Leistungsmerkmale rechtens wäre. Die Vorbeurteilung des Antragstellers sei nämlich nicht in dem gebotenen Maße mit den Vorbeurteilungen der Beigeladenen vergleichbar, weil der Antragsteller seinerzeit noch einer anderen Vergleichsgruppe (Beamte bei der GSG 9) angehört habe als die Beigeladenen (Beamte bei dem Bundespolizeipräsidium, bei der Fliegergruppe bzw. bei der "MKÜ"/dem Entschärfungsdienst bei der Bundespolizeidirektion I.        ). Eine einheitliche, (u. a.) den Antragsteller und die Beigeladenen erfassende Vergleichsgruppe habe erst bei der Regelbeurteilung 2019 bestanden, nachdem die vorgenannten Spezialkräfte der Bundespolizei in der 2017 eingerichteten Bundespolizeidirektion 11 gebündelt worden seien. Da die 2016 gegebenen Vergleichsgruppen nicht homogen zusammengesetzt gewesen seien, sondern sich hinsichtlich der Zahl ihrer Mitglieder und deren Leistungsniveau unterschieden hätten, spiegelten nominal identische Noten dieser Regelbeurteilungen gerade auch in Ansehung der Quotenvorgaben des § 50 Abs. 2 Satz 1 und 2 BLV nicht (notwendigerweise) dieselbe Leistungsstärke wieder. Vor diesem Hintergrund wäre die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, den Aussagegehalt der zu vergleichenden Gesamtnoten auf relevante Unterschiede zu prüfen und im Falle solcher Unterschiede eine Vergleichbarkeit durch geeignete Maßnahmen herzustellen. Daran fehle es. Es sei schon nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin überhaupt in Betracht gezogen habe, dass die Gesamtnoten der Regelbeurteilungen 2016 einen unterschiedlichen Aussagegehalt haben könnten. Selbst wenn aber unterstellt werden könnte, dass es tatsächlich keine relevanten Unterschiede der genannten Art gebe, hätte die Antragsgegnerin die eine solche Annahme tragenden Umstände darlegen müssen, woran es fehle.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Beförderung des Antragstellers im Falle einer erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung sei auch nicht ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin werde nämlich darüber zu befinden haben, ob sie an ihrer durch den Erlass vorgegebenen Vorgehensweise festhalte, und werde dies ggf. auch begründen müssen. Mit Blick auf die aufgezeigten Ungereimtheiten (im Verhältnis des Antragstellers zu den Beigeladenen zu 2. und 3) und – vor allem – auf das Gebot, bei der Bestenauslese in erster Linie auf die aktuellsten (Regel-)Beurteilungen abzustellen, dürfe dabei vieles dafür sprechen, vor einem Rückgriff auf die Vorbeurteilungen die Regelbeurteilungen 2019 auch hinsichtlich der übrigen 17 Leistungsmerkmale auszuschöpfen. In einem solchen Fall aber würde der Antragsteller mit dem Beigeladenen zu 4. gleichziehen und die übrigen Beigeladenen hinter sich lassen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Schließlich liege auch ein Anordnungsgrund vor, weil der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers im Falle der unmittelbar und zeitnah beabsichtigten Beförderung der Beigeladenen unterginge.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">2. Das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift durch. Es erschüttert die Annahme, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO), hinsichtlich beider diese Annahme tragenden Erwägungen durchgreifend.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">a) Das gilt zunächst für die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe im Auswahlverfahren nicht hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen sie die inhaltliche Ausschöpfung der aktuellen Regelbeurteilungen auf eine Betrachtung des Notendurchschnitts aus den vier (von insgesamt 21) Leistungsmerkmalen beschränkt hat, die nach Ziffer 4.1.3 Abs. 3 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10. Dezember 2015 (BeurtRL BPOL) aufgrund ihrer Bedeutung für die Bundespolizei als besonders wichtig zu kennzeichnen und obligatorisch zu beurteilen sind (Qualität und Verwertbarkeit der Arbeitsergebnisse, Fachkenntnisse, Zuverlässigkeit sowie Zusammenarbeit und teamorientiertes Handeln).</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">aa) Die Antragsgegnerin macht insoweit geltend: Zwar verlange das Bundesverwaltungsgericht für den Fall, dass mehrere Bewerber nach dem abschließenden Gesamturteil ihrer aktuellen Beurteilungen als im wesentlich gleich qualifiziert einzustufen sind und der Dienstherr daher auf einzelne Gesichtspunkte abstellen will, vom Dienstherrn, die besondere Bedeutung dieser einzelnen Gesichtspunkte zu begründen. Diese Rechtsprechung betreffe aber nicht Fälle, in denen – wie hier – die Behörde nach ihren Beförderungsrichtlinien gehandelt habe. Sie ziele vielmehr auf "Einzelfallbeförderungen", bei denen der Dienstherr nach Auswertung der Beurteilungen z. B. auf die Verwendungsbreite abstellen wolle, weil diese für das zu vergebende Amt eine besondere Rolle spiele. Das Begründungserfordernis solle insoweit sicherstellen, dass die Betroffenen und die Gerichte die entsprechende Entscheidung nachvollziehen könnten. Es könne aber nicht angenommen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht eine generelle Begründungspflicht für (entsprechende Vorgaben in) Beförderungsrichtlinien im Sinne einer prozeduralen Anforderung habe etablieren wollen. Der Grund für das gerügte Vorgehen sei hier für die Betroffenen und für die Gerichte klar erkennbar. Sie habe die insoweit maßgeblichen Kriterien im Auswahlvermerk nämlich angeführt und sei damit der für sie bindenden Vorgabe des insoweit einschlägigen Erlasses des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 31. März 2017 – B1 – 30102/5#1 – und ihrer daran ausgerichteten langjährigen Verwaltungspraxis gefolgt, die in vergleichbaren Fällen bereits vielfach durch die Verwaltungsgerichte gebilligt worden sei. So habe insbesondere der beschließende Senat die in Rede stehende, nicht durch eine gesonderte Begründung begleitete Vorgehensweise in seinen Beschlüssen vom 20. Juni 2017 – 1 B 587/17 –, juris, Rn. 15, und vom 30. August 2018 – 1 B 1046/18 –, juris, Rn. 36, ausdrücklich als zulässig bestätigt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">bb) Dieses Beschwerdevorbringen greift durch. Die erfolgte Ausschärfung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen nur anhand der Einzelnoten der vier besonders wichtigen Leistungsmerkmale ist nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsvergleich der Bewerber um ein Beförderungsamt muss anhand aussagekräftiger, d. h. aktueller, hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorgenommen werden. Erweisen sich die Bewerber bei dem vorrangig gebotenen Vergleich der Gesamturteile dieser Beurteilungen als im Wesentlich gleich qualifiziert, kann der Dienstherr bei der im nächsten Schritt gebotenen umfassenden inhaltlichen Auswertung ("Ausschärfung") der Beurteilungen auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss. Seine Entscheidung, welches Gewicht er den einzelnen Gesichtspunkten für das abschließende Gesamturteil und für die Auswahl zwischen im Wesentlichen gleich geeigneten Bewerbern beimisst, unterliegt dabei nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Sie ist im Grundsatz folglich nur dann zu beanstanden, wenn er den in diesem Zusammenhang anzuwendenden Begriff oder die ihm gezogenen gesetzlichen Grenzen verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Zum Ganzen vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 – 2 VR 1.14 –, juris, Rn. 35 f., insb. Rn. 36, und vom 22. November 2012– 2 VR 5.12 –, juris, Rn. 24 f., sowie Urteile vom 30. Juni 2011 – 2 C 19.10 –, juris, Rn. 15 ff., insb. Rn. 16, und vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 –, juris, Rn. 46; ferner OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 1 A 386/14 –, juris, Rn. 3 bis 6, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gemessen daran ist die Auswahl nur der vier in Rede stehenden Einzelmerkmale für die Ausschärfung nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin ist hiermit der für sie bindenden Vorgabe des insoweit einschlägigen Erlasses des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 31. März 2017 – B1 – 30102/5#1 – gefolgt. Danach sind bei gleichen Gesamtnoten in den aktuellen Beurteilungen der Bewerber – nur – die aufgrund ihrer Bedeutung für die Bundespolizei obligatorisch zu beurteilenden vier Leistungsmerkmale (s. o.) miteinander zu vergleichen und muss bei in der Summe dieser vier Merkmale gleicher Bewertung (sogleich, d. h. ohne Betrachtung der übrigen Leistungsmerkmale) auf die vorletzten dienstlichen Beurteilungen abgestellt werden. Diese Erlassregelung knüpft an Ziffer 4.1.3 Abs. 3 der Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10. Dezember 2015 an, nach der die fraglichen vier Leistungsmerkmale "aufgrund ihrer Bedeutung für die Bundespolizei als besonders wichtig zu kennzeichnen" und obligatorisch zu beurteilen sind. (Spätestens) diese Formulierung verdeutlicht, weshalb gerade diese vier Leistungsmerkmale bei der Ausschärfung herangezogen worden sind. Dass ihre Auswahl als für die Bundespolizei besonders bedeutend nach Maßgabe der o. g. Grundsätze zu beanstanden sein könnte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil: Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass die Antragsgegnerin angesichts der auf kompetente und funktionierende Teams angewiesenen Polizeiarbeit und der angestrebten guten Qualität dieser Arbeit die Wichtigkeit etwa der Leistungsmerkmale "Eigenständigkeit", "mündlicher Ausdruck", "Verantwortungsbereitschaft" und "Delegation" deutlich geringer einstuft als die vier als besonders bedeutsam gewichteten Leistungsmerkmale. Dass den anderen Leistungsmerkmalen bei der Ausschärfung, wie der Antragsteller beklagt, keine Bedeutung mehr zukommt, ist zwangsläufige Folge der Beschränkung auf vier als besonders wichtig eingestufte Merkmale, nach dem Vorstehenden aber nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. schon den Senatsbeschluss vom 20. Juni 2017 – 1 B 587/17 –, juris, Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Eine abweichende Bewertung ergibt sich entgegen der Beschwerdeerwiderung des Antragstellers nicht aus dem Senatsbeschluss vom 13. Januar 2022 – 1 B 1636/21 –, juris. Dort hat der Senat lediglich den – zutreffenden – Obersatz formuliert, dass der Dienstherr nicht nur berechtigt, sondern im Grundsatz zugleich verpflichtet ist, die dienstlichen Beurteilungen der im Gesamturteil gleich bewerteten Bewerber (im Wege einer näheren „Ausschärfung" des übrigen Beurteilungsinhalts) inhaltlich auszuschöpfen (juris, Rn. 12). Dies steht zu der o. a. Einschätzung erkennbar nicht im Widerspruch. Das gilt in gleicher Weise für die weiteren Ausführungen in dem angeführten Beschluss, die auf der Grundlage der dort einschlägigen Richtlinien zur Beförderungsreihung erfolgte Ausschärfung durch Zuordnung zu einem Leistungsband anhand des Mittelwerts der Bewertungen der Einzelmerkmale der Leistungsbeurteilung sei nicht zu beanstanden (juris, Rn. 17). Hiermit ist nämlich ersichtlich nicht gesagt, dass der Dienstherr von Rechts wegen stets verpflichtet wäre (und nicht lediglich berechtigt ist), seiner Ausschärfung die Bewertungen aller Einzelmerkmale zugrunde zu legen bzw. eine Reihung anhand der jeweiligen Mittelwerte der Einzelnoten vorzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin hat hier im Übrigen entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht die Gefahr inkonsistenter Ergebnisse begründet. Zwar hat der Antragsteller in seiner aktuellen dienstlichen Beurteilung bezogen auf die 17 weniger wichtigen Leistungsmerkmale einen leichten Vorsprung gegenüber den Beigeladenen zu 2. und 3., weil er siebenmal die Note "A2" und im Übrigen die Note "B1" erhalten hat, während die beiden Beigeladenen, die ebenfalls ausschließlich die Noten "A2" und "B1" erhalten haben, nur fünfmal (Beigeladene zu 2.) bzw. nur dreimal (Beigeladener zu 3.) die Note „A2“ erreicht haben. Hierbei handelt es sich angesichts der – nach dem oben Gesagten zulässigen – Konzentration der Ausschärfung auf die nach der Bewertung des Dienstherrn besonders wichtigen Merkmale aber nur um einen marginalen, kaum bedeutsamen Unterschied. Der weitere von dem Verwaltungsgericht insoweit ins Feld geführte Aspekt einer "offenkundig positiveren Leistungsentwicklung" des Antragstellers (2016 "B2"; 2019 "B1") im Vergleich zu den Beigeladenen zu 2. und 3 (2016 "B1"; 2019 "B1") ist offensichtlich schon kein Gesichtspunkt, der (allein) die Ausschärfung der aktuellen Regelbeurteilungen betrifft. Unabhängig davon könnte bei einer Betrachtung der Leistungsentwicklung ebenso gut darauf abgehoben werden, dass die beiden Beigeladenen nach der Bewerberübersicht (Beiakte Heft 2, Blatt 39) zwar jeweils etwa zwei Jahre länger gebraucht haben als der Antragsteller, um nach der Verleihung ihres ersten Amtes ein Amt nach A 12 BBesO zu erreichen, ihren Dienst aber bereits seit (mindestens) zwei abgeschlossenen Beurteilungszeiträumen konstant auf einem hohen, mit der Gesamtnote "B1" bedachten Niveau verrichten, während dies bei dem Antragsteller erst seit kürzerer Zeit der Fall ist.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">b) Der Beschwerdevortrag erschüttert auch die zweite tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, nach der die Regelbeurteilungen 2016, deren Gesamtnoten bei dem erfolgten Qualifikationsvergleich den Ausschlag gegeben haben, nicht unmittelbar vergleichbar seien und die Antragsgegnerin eine Vergleichbarkeit auch nicht hergestellt habe.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">aa) Die Antragsgegnerin trägt insoweit vor: Es gebe nach der Rechtsprechung keinen Grundsatz, dass dienstliche Beurteilungen von Bewerbern, die verschiedenen Vergleichsgruppen angehört hätten, schon deswegen nicht miteinander vergleichbar seien. Sei jeweils dieselbe Beurteilungsrichtlinie angewendet worden, indiziere dies die Anlegung derselben Maßstäbe und damit die Vergleichbarkeit der auf dasselbe Statusamt bezogenen Beurteilungen. Die in Rede stehenden Regelbeurteilungen 2016 des Antragstellers und der Beigeladenen seien sämtlich nach den Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10. Dezember 2015 erstellt worden. Diese enthielten in verschiedenen Abschnitten Vorgaben bzw. Instrumente, die die Vergleichbarkeit aller nach diesem Beurteilungssystem für Beamte desselben Statusamts erstellten Beurteilungen in einem hinreichenden Maße gewährleisteten. Zunächst würden unter Punkt IV. der Vorbemerkungen und Grundsätze der Bewertungsmaßstab und unter Ziffer 4.3 die Bedeutung der Notenstufen definiert. Ferner lege Ziffer 4.4.1 für alle Vergleichsgruppen einheitliche Richtwerte fest, die eine Häufung von Spitzennoten gleichmäßig verhinderten. Zudem meldeten alle Bundespolizeibehörden ihre Notenspiegel nach dem Beurteilungsstichtag an das Personalreferat des Bundespolizeipräsidiums, wodurch eklatante Abweichungen im Beurteilungsverhalten festgestellt (und bereinigt) werden könnten. Besonderheiten, die eine abweichende Bewertung verlangten, habe das Verwaltungsgericht nicht benannt und seien auch sonst nicht erkennbar.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">bb) Diese Erwägungen überzeugen. Ihnen ist lediglich noch hinzuzufügen, dass Ziffer 4.4.2 Abs. 3 BeurtRL BPOL auch den (hier nicht erkennbaren) Fall einer besonders kleinen, weniger als 10 zu beurteilende Personen umfassenden Vergleichsgruppe regelt und insoweit bestimmt, dass bei der Bildung der Gesamtnoten eine Differenzierung anzustreben ist, die – (nur) soweit wie möglich – der Festlegung der Richtwerte entspricht</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">a) Die Auswahlentscheidung ist nicht mit Blick auf die ihr zunächst zugrunde gelegten aktuellen dienstlichen Beurteilungen fehlerhaft.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ein entscheidungserheblicher Rechtsfehler ergibt sich zunächst nicht hinsichtlich des Inhalts der Begründung der Gesamturteile in den Beurteilungen der Beigeladenen (dazu nachfolgend aa)) und des Umstands, dass die dem Antragsteller erteilte Beurteilung überhaupt keine Begründung des Gesamturteils enthält (dazu nachfolgend bb)). Ferner kann nicht festgestellt werden, dass die Bewertungen, die die Antragsgegnerin in den Beurteilungen vorgenommen hat, die zwingende Vorgabe ihrer Ausrichtung am Maßstab des jeweils bekleideten Statusamtes verfehlen (dazu nachfolgend cc)).</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">aa) Die den Beigeladenen erteilten Regelbeurteilungen 2019 führen hier nicht wegen des Erfordernisses der Begründung des Gesamturteils zur Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">(1) Zunächst liegt insoweit kein Verstoß gegen die Beurteilungsrichtlinien vor. Diese geben nach Ziffer 4.5 Abs. 2 Satz 1 BeurtRL BPOL lediglich (formal) vor, dass das Feld "Gesamtnote der Beurteilung" in jedem Fall auszufüllen ist. Dem ist hier schon dadurch genügt, dass sämtlichen Beurteilungen jeweils eine textliche Begründung beigefügt ist.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">(2) Aber auch eine Bewertung des Inhalts der textlichen Begründungen in den aktuellen Beurteilungen der Beigeladenen rechtfertigt nicht die Annahme, die Auswahlentscheidung sei rechtswidrig.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">In Fällen, in denen – wie hier – die dienstliche Beurteilung nach dem Beurteilungssystem des Dienstherrn allein durch die Angabe von Notenwerten (hier absteigend: A1, A2, B1, B2, B3, C) erstellt wird, deren inhaltliche Bedeutung in der Beurteilungsrichtlinie oder in der dienstlichen Beurteilung selbst näher (allgemein) definiert wird, verlangt Art. 33 Abs. 2 GG, dass der Dienstherr das Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung in der Regel gesondert begründet, um erkennbar zu machen, wie es aus den Einzelbegründungen hergeleitet wird und welches Gewicht diesen hierbei gegeben worden ist.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. März 2017– 2 C 51.16 –, juris, Rn. 11 f., vom 1. März 2018– 2 A 10.17 –, juris, Rn. 42, vom 9. Mai 2019– 2 C 1.18 –, juris, Rn. 65 f., und vom 13. Januar 2021 – 2 B 21.20 –, juris, Rn. 16 f., jeweils m. w. N.; ferner OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 1 B 488/20 –, juris, Rn. 16 ff.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil sind dabei umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note – vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null – geradezu aufdrängt.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. März 2017– 2 C 21.16 –, juris, Rn. 13, vom 1. März 2018– 2 A 10.17 –, juris, Rn. 43, vom 9. Mai 2019– 2 C 1.18 –, juris, Rn. 65, und vom 13. Januar 2021 – 2 B 21.20 –, juris, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Beschränkt sich der Dienstherr bei der dienstlichen Beurteilung auf eine vergleichsweise geringe Zahl von Einzelmerkmalen und misst er diesen nach der zugrundeliegenden Beurteilungsrichtlinie jeweils eine gleich große Bedeutung (dasselbe Gewicht) zu, so lässt sich das Gesamturteil ohne weiteres aus der Verteilung der Einzelmerkmale ableiten,</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 – 2 C 1.18 –, juris, Rn. 66,</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">weshalb eine gesonderte Begründung des Gesamturteils in einem solchen Fall nicht von Verfassungs wegen gefordert ist. Die Notwendigkeit, das Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung im Einzelnen zu begründen, entfällt ferner, wenn die Einzelmerkmale nach den plausiblen Vorgaben des Dienstherrn gleichgewichtig sind, weil das Gesamturteil in einem solchen Fall bereits rechnerisch ermittelt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2021– 2 B 21.20 –, juris, Rn. 18, m. w N.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach Maßgabe dieser Grundsätze bedurfte es hier keiner gesonderten Begründung des Gesamturteils, weil das den Beigeladenen zuzuerkennende Gesamturteil jeweils schon rechnerisch ermittelt werden konnte. Zwar waren die Einzelmerkmale nach den Vorgaben des Dienstherrn hier nicht sämtlich gleichgewichtig, da es nach der Beurteilungsrichtlinie zwei Gruppen von Einzelmerkmalen gibt, nämlich zum einen die Gruppe der vier besonders wichtigen Leistungsmerkmale 1.1, 2, 4.2 und 4.3 und zum anderen die Gruppe der im Vergleich zu diesen vier Leistungsmerkmalen geringer gewichteten übrigen 17 Leistungsmerkmale. Dieser Umstand hinderte eine rechnerische Ermittlung der Gesamturteile hier aber ausgehend davon nicht, dass der Dienstherr die Einzelmerkmale jeder Gruppe untereinander erkennbar entsprechend seiner Praxis gleich gewichtet hat. Die Bewertungen der vier besonders wichtigen Einzelmerkmale ermöglichten wegen des jeweils gegebenen Gleichstands (zweimal "A2", zweimal "B1") noch keine Entscheidung zwischen den nur in Betracht kommenden Noten "A2" und "B1", und bei den damit zwangsläufig ausschlaggebenden Benotungen der übrigen 17 Einzelmerkmale überwogen in allen Fällen die Benotungen nach "B1" die Benotungen nach "A2" (mehr oder minder deutlich). Der Beigeladene zu 1. hatte elfmal die Note "B1" und sechsmal die Note "A2" erhalten, und bei den Beigeladenen zu 2., zu 3. bzw. zu 4. ergab sich eine entsprechende Verteilung von 12 zu 5, 14 zu 3 bzw. 10 zu 7. Die Benotung der einheitlich gewichteten Befähigungsmerkmale mit den Noten "A" bis "D" hatte nach der Beurteilungspraxis der Antragsgegnerin erkennbar keinen maßgeblichen Einfluss auf die sodann gebildete Gesamtnote. Das zeigt sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (BA S. 6, erster Absatz), daran, dass es auch bei dem Beigeladenen zu 4. bei der Gesamtnote "B1" verblieben ist, obwohl dieser – anders als die übrigen Beigeladenen und der Antragsteller – insoweit (sogar) ein Übergewicht an "A"-Benotungen gegenüber den "B"-Benotungen vorzuweisen hat.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">bb) Die dem Antragsteller erteilte aktuelle Regelbeurteilung ist zwar, soweit es um die Begründung des Gesamturteils geht, rechtswidrig, weil die Beurteiler in dessen Regelbeurteilung 2019 das Feld "Begründung der Gesamtnote" nicht ausgefüllt und damit gegen die o. a. zwingende (formale) Vorgabe der Ziffer 4.5 Abs. 2 Satz 1 BeurtRL BPOL verstoßen haben. Dieser Rechtsfehler wirkt sich hier aber nicht aus, weil keine andere als die vergebene Gesamtnote "B1" in Betracht kommt. Auch das Gesamturteil dieser Beurteilung lässt sich nämlich nach Maßgabe der Grundsätze, die der Senat unter dem unmittelbar vorstehenden Gliederungspunkt dargelegt hat, bereits rechnerisch ermitteln. Bei den vier besonders wichtigen Einzelmerkmalen hat der Antragsteller – wie auch die Beigeladenen – jeweils zweimal die Noten "A2" und "B1" erhalten, und die damit maßgebliche Benotung der übrigen 17 Einzelmerkmale gebietet angesichts der Notenverteilung (zehnmal "B1", siebenmal "A2") das Gesamturteil "B1".</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">cc) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Bewertungen, die die Antragsgegnerin in den in Rede stehenden Beurteilungen vorgenommen hat, die zwingende Vorgabe ihrer Ausrichtung am Maßstab des jeweils bekleideten Statusamtes verfehlen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Maßgeblicher Zweck der dienstlichen Beurteilung und insbesondere des Gesamturteils ist es, Grundlage für einen späteren Leistungsvergleich in einem an Art. 33 Abs. 2 GG zu messenden Auswahlverfahren zu sein. Daraus folgt die Notwendigkeit, schon bei der dienstlichen Beurteilung einheitliche Maßstäbe einzuhalten. Diese müssen dabei auf das jeweilige Statusamt des zu beurteilenden Beamten bezogen sein. Beurteilungen treffen eine Aussage, ob und in welchem Maße der Beamte den Anforderungen gewachsen ist, die mit den Aufgaben seines Amts und dessen Laufbahn verbunden sind. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass die Vergabe eines Statusamts nicht aufgrund der Anforderungen des Dienstpostens erfolgen soll, den der ausgewählte Bewerber nach der Vergabe des Statusamts oder vorher in einer Bewährungszeit wahrnehmen soll. Denn der ausgewählte Bewerber soll der am besten geeignete für jeden Dienstposten sein, der für einen Inhaber des höheren Statusamts amtsangemessen ist. Hieraus folgt zwingend, dass sich auch die Gewichtung der Einzelmerkmale bei der Ermittlung und folglich Begründung des Gesamturteils auf die Anforderungen des Statusamts beziehen muss. Ansonsten könnte das Gesamturteil seine zentrale Funktion, maßgebliches Kriterium im Rahmen eines Auswahlverfahrens zur Vergabe eines Beförderungsamtes zu sein, nicht erfüllen.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 – 2 A 10.17 –, juris, Rn. 44, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die hier einschlägigen Richtlinien für die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vom 10. Dezember 2015 legen bereits in ihrem Abschnitt "Vorbemerkungen und Grundsätze" unter Ziffer IV. fest, dass die dienstlichen Beurteilungen nach einem einheitlichen Beurteilungsmaßstab unter Berücksichtigung der Anforderungen des Statusamtes erfolgen. Dem entspricht die – klare – Vorgabe nach Ziffer 4.1 BeurtRL BPOL, dass maßgeblich für die (Leistungs-)Beurteilung das jeweilige Statusamt zum Beurteilungsstichtag ist. Diesen zutreffenden Ausgangspunkt verlassen die Beurteilungsrichtlinien mit ihren sonstigen Regelungen nicht. Zwar soll Grundlage der Leistungsbeurteilung das Anforderungsprofil sein (Ziffer 4.1.2 Abs. 1 Satz1 BeurtRL BPOL), ist für die in der Tätigkeitsbeschreibung aufgeführten Tätigkeiten zu prüfen, inwieweit die Beamtin/der Beamte den Anforderungen des Arbeitsplatzes gerecht wird (Ziffer 4.1.3 Abs. Satz 2 BeurtRL BPOL), und ist anhand eines jeden Leistungsmerkmals für die in der Beschreibung des Anforderungsprofils aufgeführten Tätigkeiten zu prüfen, inwieweit die Beamtin/der Beamte den Anforderungen des Arbeitsplatzes gerecht wird (Ziffer 4.1.4 Abs. 1 Satz 1 BeurtRL BPOL). Diese Regelungen bringen in Ansehung der klaren Vorgabe der Ziffer 4.1 BeurtRL BPOL aber nur zu Ausdruck, dass die auf das jeweils innegehabte Statusamt zu beziehende Beurteilung der Qualifikation der Beamtin bzw. des Beamten ihren Ausgangspunkt – notwendigerweise – in einer Betrachtung der Leistungen hat, die die Beamtin bzw. der Beamte auf dem konkreten Dienstposten gezeigt hat, der durch eine bestimmte Aufgabenbeschreibung ("Anforderungsprofil") gekennzeichnet ist und der hinsichtlich der Höhe der von ihm gestellten Anforderungen von anderen Dienstposten abweichen kann.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. insoweit auch Lemhöfer, in: Lemhöfer/Leppek, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten, Stand: Dezember 2021, BLV 2009 § 49 Rn. 23, wonach die Einstufung des wahrgenommenen Dienstpostens als Indiz für die Höhe der Anforderungen in Einzelurteile und in das Gesamturteil einfließen wird.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Dies korrespondiert, wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, mit der Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 1 BLV. Danach ist nämlich die fachliche Leistung insbesondere nach den Arbeitsergebnissen, der praktischen Arbeitsweise, dem Arbeitsverhalten und (ggf.) nach dem Führungsverhalten zu beurteilen.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Der damit gegebenen Anordnung der hier maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien, die dienstlichen Beurteilungen auf die Anforderungen des innegehabten Statusamtes auszurichten, entspricht auch die vorliegend gezeigte Praxis der Antragsgegnerin. Diese hat bereits mit ihrer Antragserwiderung vom 5. Januar 2022 unter dem dortigen Gliederungspunkt 2.4 vorgetragen, dass die Beurteilungen der Bundespolizeidirektion 11 anhand des statusrechtlichen Amtes erfolgen, das die Beamten innehaben. Diesem nachvollziehbaren Vorbringen hat der Antragsteller weder im erstinstanzlichen Verfahren (vgl. schon die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, BA S. 7 unten) noch im Beschwerdeverfahren etwas entgegengesetzt.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">b) Gehen die Angriffe des Antragstellers gegen die Heranziehung der aktuellen Regelbeurteilungen ausweislich der obigen Ausführungen unter den Gliederungspunkten 2. a) und 3. a) insgesamt fehl und durfte die Antragsgegnerin ihre Auswahlentscheidung mithin in einem zweiten Schritt auf einen Vergleich der Vorbeurteilungen der Bewerber aus dem Jahre 2016 stützen, ist eine Auswahl des Antragstellers ausgeschlossen. Der Antragsteller, dessen Regelbeurteilung 2016 mit dem Gesamturteil "B2" endet, erfüllt nämlich nicht die insoweit geltende – zwingende – Mindestvoraussetzung, nach der Bewerber um eine Beförderung nach A 13g BBesO, soweit es auf die Regelbeurteilung "2016 im Statusamt PHK A 12" ankommt, mindestens die Gesamtnote "B1" vorweisen müssen. Dieses nicht zu beanstandende Erfordernis ergibt sich aus dem Schreiben der Bundespolizeidirektion 0 an die nachgeordneten Bereiche vom 14. Dezember 2021 ("Information über Beförderung"), das der Kläger bereits mit der Antragsschrift vorgelegt hat.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Dieser Bewertung steht nicht der Vortrag des Antragstellers entgegen, die Gesamtnote dieser Regelbeurteilung erweise sich mit Blick auf die Gesamtnote der Vorbeurteilung 2014 (9 Punkte) und deren 2016 erfolgte pauschale Herabsetzung auf "B2" als unschlüssig und sei ferner deshalb rechtswidrig, weil das Gesamturteil trotz inhomogener Einzelbewertungen nicht begründet worden sei. Der Antragsteller kann sich hierauf nämlich – jedenfalls – aufgrund eingetretener Verwirkung nicht mehr mit Erfolg berufen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die dienstliche Beurteilung eines Beamten ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mangels einer Regelung mit bestimmten unmittelbaren Rechtswirkungen kein Verwaltungsakt. Für sie besteht nicht die Notwendigkeit baldigen Eintritts der Unanfechtbarkeit und deshalb einer Befristung der Anfechtbarkeit. Der Beamte kann daher im Grundsatz seine Einwendungen gegen die dienstliche Beurteilung zu einem späteren Zeitpunkt, etwa in einem Konkurrentenstreitverfahren, geltend machen und damit die dienstliche Beurteilung einer inzidenten Rechtmäßigkeitsprüfung zuführen. Dies gilt indessen nur in den Grenzen der Verwirkung. Eine Verwirkung sowohl des materiellen Rechts auf Überprüfung und gegebenenfalls Änderung der dienstlichen Beurteilung als auch des prozessualen Klagerechts tritt ein, wenn der beurteilte Beamte während eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung der Rechtsstellung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich der Beurteilung nichts mehr unternehmen. Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO bietet hierfür eine zeitliche Orientierung. Dafür, dass in Anlehnung an § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO regelmäßig bereits nach Ablauf eines Jahres nach Eröffnung einer dienstlichen Beurteilung das Recht verwirkt ist, sich gegen diese zu wenden, spricht vor allem, dass sowohl der Dienstherr als auch betroffene Beamte angesichts der zentralen Bedeutung dienstlicher Beurteilungen für Beförderungs- und andere Verwendungsentscheidungen ein erhebliches Interesse daran haben, dass diese Verfahren nicht dadurch mit Unsicherheiten belastet werden, dass die ihnen zu Grunde zu legenden Beurteilungen auch längere Zeit nach deren Bekanntgabe noch angefochten werden können. Auch verblasst mit Zeitablauf die Erinnerung an die im Beurteilungszeitraum gezeigten Leistungen zunehmend, was es erschwert, Beanstandungen des Beamten noch Jahre nach Ende des Beurteilungszeitraums nachzugehen. Zu berücksichtigen ist daneben, dass dienstliche Beurteilungen dem Beamten persönlich eröffnet werden und – wie es hier in Ziff. 5.8 Abs. 4 BeurtRL BPOL ausdrücklich vorgesehen ist – diesem neben der Einlegung förmlicher Rechtsmittel die Möglichkeit einer schriftlichen oder zu protokollierenden mündlichen (Gegen-)Äußerung offen steht. Hiervon kann – etwa durch Erklärung eines Vorbehalts, die Beurteilung im Rahmen etwa anstehender Beförderungsentscheidungen noch anzugreifen – Gebrauch gemacht werden, um Verwirkung auszuschließen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen statt aller: OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2019 – 6 B 714/19 –, juris, Rn. 12 bis 20, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Antragsteller sein Recht auf Überprüfung der dienstlichen Beurteilung vom 20. Dezember 2016 verwirkt mit der Folge, dass er sich im vorliegenden Verfahren auf ihre behauptete Rechtswidrigkeit nicht mehr berufen kann.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Zunächst ist das erforderliche Zeitmoment erfüllt. Die Beurteilung ist dem Antragsteller am 21. März 2017 bekannt gegeben worden. Deren Rechtswidrigkeit hat er erstmals mit seiner das vorliegende Verfahren einleitenden Antragsschrift vom 23. Dezember 2021 geltend gemacht, also erst nach Ablauf von etwa 4 Jahren und neun Monaten. Auch das Umstandsmoment ist gegeben. Der Antragsteller hat am 21. März 2017 eine Kopie der Beurteilung entgegengenommen und zudem eine Erörterung gewünscht, die am selben Tag erfolgt ist. Sodann hat er es bis zum 23. Dezember 2021 unterlassen, zur Rechtswahrung etwas zu unternehmen; namentlich hat er nicht einmal eine Gegenäußerung abgegeben. Dies hätte angesichts seines jetzigen Vortrags, er sei seinerzeit mit der Gesamtnote "B2" (deutlich) zu schlecht beurteilt worden, indes nahegelegen. Gründe, die den Antragsteller an einer entsprechenden, zeitlich angemessenen Reaktion gehindert haben, sind nicht erkennbar. Solche Gründe ergeben sich insbesondere nicht aus seinem jetzigen Vortrag, die Regelbeurteilung 2016 sei zur damaligen Zeit (noch) nicht von großer Relevanz gewesen, da jede Dienststelle eine eigene Beförderungsliste geführt habe. Der Antragsteller musste nämlich schon damals in seine Überlegungen einstellen, dass nicht auszuschließen war, dass der Regelbeurteilung 2016 (unabhängig von der Einführung einer Einheitsliste, die unstreitig erst 2021 erfolgt ist) zumindest zu einem späteren Zeitpunkt als Vorbeurteilung eine Bedeutung im Rahmen einer Beförderungsauswahl zukommen könnte, wie es hier geschehen ist. Dies gilt, wie nur ergänzend ausgeführt werden soll, umso mehr, als die Errichtung der Bundespolizeidirektion 0 mit Wirkung vom 1. August 2017 (vgl. Art. 1 Nr. 1 b) dd), Nr. 2 d), Art. 2 der Vierten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeit der Bundespolizeibehörden vom 12. Juli 2017, BGBl. I, S. 2357) auf einen Auftrag des BMI vom 31. Januar 2017 zurückgeht</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">– zu Letzterem vgl. den Artikel "Die Entstehung einer neuen Bundespolizeidirektion" in: Bundespolizei kompakt, Heft 05/2017, S. 6 ff. (7) –</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">und nicht angenommen werden kann, dass die anstehende Umstrukturierung den von ihr betroffenen Beschäftigten im März 2017 noch verborgen geblieben war.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die etwaigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil diese im Antrags- und Beschwerdeverfahren jeweils keinen Antrag gestellt haben und damit kein Kostenrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG sowie § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3 GKG. Auszugehen ist nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GKG von dem Jahresbetrag der Bezüge, die dem jeweiligen Antragsteller nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung (hier: 27. Mai 2022) bekanntgemachten, für ihn geltenden Besoldungsrechts (hier also des Besoldungsrechts für Beamtinnen und Beamte des Bundes) unter Zugrundelegung der jeweiligen Erfahrungsstufe fiktiv für das angestrebte Amt im Kalenderjahr der Beschwerdeerhebung zu zahlen sind. Nicht zu berücksichtigen sind dabei die nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 GKG ausgenommenen Besoldungsbestandteile. Der nach diesen Maßgaben zu bestimmende Jahresbetrag ist wegen § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und wegen der im Eilverfahren nur begehrten vorläufigen Sicherung auf ein Viertel zu reduzieren. Der nach den vorstehenden Grundsätzen zu ermittelnde Jahresbetrag beläuft sich hier angesichts des angestrebten Amtes der Besoldungsgruppe A 13g BBesO und bei Zugrundelegung der gegebenen Erfahrungsstufe 6 (vgl. die entsprechende, auch jetzt noch zutreffende Mitteilung der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2022) für das maßgebliche Jahr 2022 auf 66.813,45 Euro (Januar bis einschließlich März 2022 jeweils 5.493,62 Euro; für die übrigen Monate jeweils 5.592,51 Euro); ein Viertel hiervon entspricht (abgerundet) dem festgesetzten Streitwert.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Von einer Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung von Amts wegen (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG) sieht der Senat ab. Zwar hat das Verwaltungsgericht bei seiner Festsetzung den dort maßgeblichen Jahresbetrag 2021 fehlerhaft mit 16.480,86 Euro angesetzt, weil es nicht beachtet hat, dass die Besoldung erst ab dem 1. April 2021 erhöht worden ist und daher für die ersten drei Monate des Jahres noch ein niedrigerer Monatsbetrag (5.428,48 Euro) galt. Der zutreffend festzusetzende Streitwert (16.432,00 Euro) fällt aber in dieselbe Streitwertstufe (bis 19.000,00 Euro) wie der fehlerhaft festgesetzte Streitwert.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
346,080
ovgnrw-2022-08-01-13-a-264620
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
13 A 2646/20
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:51"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0801.13A2646.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. August 2020 wird abgelehnt.</p> <p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 2.060.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration: underline;">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nach den insoweit maßgeblichen Darlegungen der Klägerin (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I. Das Zulassungsvorbringen begründet keine ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 1 BvR 561/19 -, juris, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Für die Darlegung ernstlicher Zweifel (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ist erforderlich, dass der die Zulassung begehrende Verfahrensbeteiligte sich substantiiert mit der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt und dabei aufzeigt, warum diese Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis unzutreffend ist. Das bloße Anzweifeln der Richtigkeit der Entscheidung genügt ebenso wenig wie die bloße Wiederholung des Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2021 ‑ 19 A 1452/20 -, juris, Rn. 7; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20. August 2021 - 11 S 41/20 -, juris, Rn. 8, m. w. N.; Bay. VGH, Beschluss vom 30. Juni 2021 ‑ 10 ZB 21.679 -, juris, Rn. 17.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Diesen Vorgaben wird das Zulassungsvorbringen der Klägerin nicht gerecht, soweit mit ihm zunächst pauschal auf den gesamten erstinstanzlichen Vortrag verwiesen wird.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Auch im Übrigen ist es nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts durchgreifend in Frage zu stellen, wonach die Klägerin weder einen Anspruch auf Aushändigung der Genehmigungsurkunde hat (Hauptantrag), noch ein Anspruch auf die Feststellung besteht, dass hinsichtlich ihres Antrags vom 19. Dezember 2015 die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG eingetreten ist (1. Hilfsantrag), und auch ihr Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Genehmigung für die Einrichtung und den Betrieb der Linienverkehre des Liniennetzes „M. /S. L.“ (2. Hilfsantrag) erfolglos bleibt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Fiktionswirkung sei nicht eingetreten, weil die eingereichten Antragsunterlagen nicht vollständig gewesen seien. Sie enthielten entgegen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG weder die erforderlichen Angaben über die Zahl der zu verwendenden Fahrzeuge (Urteilsabdruck Bl. 15 ff.) noch über deren Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) (Urteilsabdruck Bl. 18 ff.). Dem geltend gemachten Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Genehmigung stehe entgegen, dass der Antrag aufgrund der unzureichenden Angaben nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit c) PBefG nicht bescheidungsfähig sei (Urteilsabdruck Bl. 21).</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin tritt dem entgegen und meint, die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG sei eingetreten, weil der von ihr am 19. Dezember 2015 gestellte Antrag vollständig und prüffähig gewesen sei. Aufgrund dessen habe die Bearbeitungsfrist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 PBefG nach Eingang des Antrags am 21. Dezember 2015 mit Ablauf der Frist des § 12 Abs. 6 PBefG am 22. Dezember 2022 zu laufen begonnen. Mit Ablauf der mit Schreiben der Bezirksregierung Köln vom 15. Januar 2016 verlängerten Bearbeitungsfrist sei die Fiktionswirkung am 20. Juni 2016 eingetreten.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Dem ist nicht zu folgen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG gilt die Genehmigung als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der Frist von drei Monaten nach Antragseingang (§ 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG) oder einer durch Zwischenbescheid verlängerten Entscheidungsfrist (§ 15 Abs. 1 Satz 3 PBefG) versagt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG). Die Frist beginnt mit dem Eingang der vollständigen Antragsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 20 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2020 - 13 B 1432/19 -, juris, Rn. 10, und vom 9. November 2017 - 13 B 1187/17 -, juris, Rn. 20; Hess. VGH, Urteil vom 18. November 2020 - 2 A 611/16 -, juris, Rn. 33; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30. Juli 2018 - 9 S 1272/18 -, juris, Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 11 ZB 16.1703 -, juris, Rn. 21; Nds. OVG., Urteil vom 22. Januar 2014 ‑ 7 LB 70/10 -, juris, Rn. 39.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">1. Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass zur Vollständigkeit des Antrags der Klägerin jedenfalls die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Angaben über die Zahl, die Art und das Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) der zu verwendenden Fahrzeuge gehören (Urteilsabdruck Bl. 14).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Welche Unterlagen im Einzelnen erforderlich sind, damit ein im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG vollständiger Antrag vorliegt, ist zwar nicht abschließend geklärt. Nötig sind aber zumindest die Angaben und Unterlagen, die der Antrag gemäß § 12 Abs. 1 und 2 PBefG und den hierzu ergänzend heranzuziehenden Vorschriften der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr (PBZugV) enthalten soll oder muss.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 22 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2020 - 13 B 1432/19 -, juris, Rn. 10 f., und vom 23. Oktober 2015 - 13 B 875/15 -, juris, Rn. 5 ff.; Nds. OVG., Urteil vom 22. Januar 2014 - 7 LB 70/10 -, juris, Rn. 39 f.; VG Würzburg, Urteil vom 22. Juli 2020 - W 6 K 19.840 -, juris, Rn. 32.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Hierzu gehören bei einem Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit c) PBefG insbesondere auch die Angaben über die Zahl, die Art und das Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) der zu verwendenden Fahrzeuge.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 18. November 2020 - 2 A 611/16 -, juris, Rn. 36; entsprechend für den Verkehr mit Taxen OVG NRW, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 13 B 875/15 -, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Einschätzung.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">a) Zwar heißt es in § 12 Abs. 1 Satz 1 PBefG, dass der Antrag auf Erteilung einer Genehmigung unter anderem die unter Nr. 3 benannten Angaben enthalten <em>soll</em>. Insoweit unterscheidet sich die Regelung von der des § 12 Abs. 2 PBefG, wonach dem Antrag Unterlagen beizufügen <em>sind</em>. Daraus folgt jedoch lediglich, dass die Soll-Angaben wie nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PBefG regelmäßig zu fordern, nicht aber, dass sie grundsätzlich entbehrlich sind.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Angaben dazu, wie viele Fahrzeuge mit welcher Kapazität eingesetzt werden sollen, werden benötigt, um zum einen die Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Betriebs sowie zum anderen die Sicherstellung der öffentlichen Verkehrsinteressen prüfen zu können. Ohne diese Angaben kann die Genehmigungsbehörde weder feststellen, ob das Verkehrsunternehmen eine für die beantragten Verkehrsleistungen ausreichende Anzahl an Fahrzeugen einsetzen wird (ob also die beantragten Verkehrsleistungen durch die Antragstellerin mit den einzusetzenden Fahrzeugen überhaupt durchführbar sind), noch ob es über das Kapital verfügt, das für eine ordnungsgemäße Erbringung der beantragten Verkehrsleistungen mindestens erforderlich ist.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">b) Anders als die Klägerin meint, führt die Annahme, dass zur Vollständigkeit des Antrags jedenfalls die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Angaben über die Zahl, die Art und das Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) der zu verwendenden Fahrzeuge gehören (Urteilsabdruck Bl. 14), nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung eines Neubewerbers. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG impliziert nicht, dass der Antragsteller über die Fahrzeuge bereits verfügen muss, denn ihm kann die Anschaffung nicht zugemutet werden, solange die Genehmigung nicht erteilt ist. Die Vorschrift bezieht sich deshalb vielmehr auf Fahrzeuge, die der Neubewerber einzusetzen beabsichtigt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. Heinze/Fiedler, in: Heinze/Fehling/Fiedler, PBefG, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 19.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Ein Neubewerber muss deshalb lediglich, wie jeder Antragsteller vor Stellung seines Antrags, geplant haben, welche und wie viele Fahrzeuge er bei einem Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen einzusetzen beabsichtigt und welches Fassungsvermögen diese aufweisen werden.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 5. April 2011 - 2 A 1593/10 -, juris, Rn. 88.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Von überzogenen Anforderungen an die Genehmigung oder einer unzulässigen Diskriminierung von Neubewerbern kann deshalb keine Rede sein.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Abweichendes hat auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung nicht zu Grunde gelegt. Anders als die Klägerin wohl meint, ist es insbesondere nicht davon ausgegangen, dass sie schon über einen Fuhrpark verfügen muss. Im angefochtenen Urteil ist nur die Rede von den „zu verwendenden“ (vgl. etwa Urteilsabdruck Bl. 15) oder „einzusetzenden“ Fahrzeugen (vgl. etwa Urteilsabdruck Bl. 17) sowie von der Absicht der Klägerin, genügend Busse und weitere Fahrzeuge einzusetzen (vgl. etwa Urteilsabdruck Bl. 18).</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">c) Die Einschätzung, dass zur Vollständigkeit des Antrags jedenfalls auch die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Angaben über die Zahl, die Art und das Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) der zu verwendenden Fahrzeuge gehören, wird überdies bestätigt durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gelegenheitsverkehr mit Kraftfahrzeugen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 23; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 16. April 2020 - 11 CE 20.561 - , juris, Rn. 14.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Diese ist auf Genehmigungsanträge für einen Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen übertragbar. § 12 Abs. 1 PBefG verlangt sowohl für Genehmigungsanträge für den Gelegenheitsverkehr als auch für Genehmigungsanträge für den Linienverkehr Angaben über die Zahl, die Art und das Fassungsvermögen der zu verwendenden Fahrzeuge. Der einzige, im vorliegenden Zusammenhang aber unwesentliche Unterschied besteht darin, dass beim Linienverkehr mit Blick auf das Fassungsvermögen Sitz- und Stehplätze und beim Gelegenheitsverkehr „nur“ Sitzplätze zu benennen sind (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) und Nr. 4 lit. b) PBefG).</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">d) Schließlich sind auch die weiteren Einwände der Klägerin nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts, zur Vollständigkeit ihres Antrags gehörten die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Angaben, in Frage zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">So ist unerheblich, dass die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Angaben der Genehmigungsbehörde eine Zuordnung der Fahrzeuge und deren Steh- und Sitzplätze zu einer einzelnen Linie nicht ermöglichen und diese im Übrigen darauf vertrauen muss, dass der Unternehmer seine Fahrzeuge bedarfsgerecht einsetzt. Dies ändert nichts daran, dass die Fahrzeugliste dazu geeignet ist, ihren unter I. 1. a) näher beschriebenen Zweck zu erfüllen, die Prüfung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Betriebs sowie die Sicherstellung der öffentlichen Verkehrsinteressen zu ermöglichen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dies gilt auch für die Einwände, die Fahrzeugliste sei „kein Element, das zu einer erforderlichen Bestimmtheit eines Antrags“ erforderlich sei, und wesentliche Vorgaben für den Antrag seien in § 13 Abs. 2a Satz 4 PBefG aufgelistet. Unerheblich ist zudem, dass der Einsatz bestimmter Fahrzeuge mit bestimmten Kapazitäten nicht Teil der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung ist. Die Genehmigungsurkunde nach § 17 PBefG enthält gemäß dessen Absatz 1 lediglich Angaben, die erforderlich sind, um Inhalt und Umfang der Genehmigung zu beschreiben. Der Anforderungskatalog des § 12 PBefG und der PBZugV geht über die nach § 17 Abs. 1 PBefG für die Ausstellung der Genehmigungsurkunde notwendigen Angaben hinaus.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 22; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27. Oktober 2016 - 12 S 2257/14 -, juris, Rn. 30.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">2. Anders als die Klägerin meint, ist für die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Vollständigkeit des Antrags und des daran geknüpften Beginns der Fiktionsfrist unerheblich, ob die Genehmigungsbehörde die Angaben im konkreten Fall verlangt oder für entbehrlich gehalten hat.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 17. Juni 2019 - 7 B 10747/19 -, juris, Rn. 12; OVG Meck.-Vorp., Beschluss vom 30. Januar 2017 - 1 M 453/16 -, juris, Rn. 6; VGH Bad-Württ., Beschluss vom 30. Juli 2018 ‑ 9 S 1272/18 -, juris, Rn. 12; Hess. VGH, Urteil vom 18. November 2020 - 2 A 611/16 -, juris, Rn. 41; VG Würzburg, Urteil vom 22. Juli 2020 - W 6 K 19.840 -, juris, Rn. 31; Bidinger, Personenbeförderungsrecht, Kommentar, Stand Januar 2022, § 15 PBefG, Rn. 124; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 42a Rn. 75 f.; Broscheit, GewArch 2015, 209 (210) entsprechend zu § 42a VwVfG.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">a) Zwar ist dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG hierzu nichts zu entnehmen. Dass es für die Beurteilung der Vollständigkeit des Antrags und des daran geknüpften Beginns der Fiktionsfrist nicht auf die Einschätzung der Genehmigungsbehörde ankommt, entspricht aber dem Zweck der Fiktionsregelung. Diese soll die Position des Antragstellers gegenüber einer untätigen Genehmigungsbehörde stärken. Um in schutzwürdiger Weise auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion vertrauen zu können, muss der Antragsteller jedoch seinerseits die Behörde zunächst durch das Einreichen vollständiger Unterlagen in die Lage versetzt haben, über seinen Antrag zu entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 21.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Eine ordnungsgemäße Entscheidung ist der Genehmigungsbehörde jedoch nur möglich, wenn dem Antrag die objektiv erforderlichen Antragsunterlagen beigefügt sind.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Auch die Zielrichtung des Personenbeförderungsgesetzes – der Schutz der zu befördernden Fahrgäste – unterstreicht, dass nur ein Antragsteller, der die für die Entscheidung über die Genehmigung objektiv erforderlichen Unterlagen übersandt hat, in den Genuss der Genehmigungsfiktion kommen soll. Dagegen ist es nicht Zweck des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG, für die Genehmigungsbehörde oder den Antragsteller sonstige Verfahrensvereinfachungen herbeizuführen oder materielle Genehmigungsanforderungen herabzusetzen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 21; OVG Meck.-Vorp., Beschlüsse vom 30. Januar 2017 - 1 M 453/16 -, juris, Rn. 6, und vom 9. Dezember 2003 - 1 L 174/03 - juris, Rn. 13; Nds. OVG., Urteil vom 22. Januar 2014 - 7 LB 70/10 - juris, Rn. 39.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Dem steht auch nicht entgegen, dass die Fiktionswirkung nach der gesetzlichen Regelung auch dann eintreten kann, wenn die materiell-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. November 2018 - 3 C 26.16 -, juris, Rn. 36; OVG NRW, Beschluss vom 23. April 2020 - 13 B 1432/19 -, juris, Rn. 51.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Dies lässt die Frage, welche Angaben im Antrag unerlässlich sind, um das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen überhaupt erst prüfen zu können, unberührt.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">b) Anders als die Klägerin meint, kommt es deshalb für den Eintritt der Genehmigungsfiktion auf eine hiervon abweichende (rechtswidrige) Genehmigungspraxis der Genehmigungsbehörde in vermeintlich oder tatsächlich gleichgelagerten Fällen grundsätzlich nicht an.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">aa) Ob im Einzelfall etwas anderes gelten muss und es der Genehmigungsbehörde nach Treu und Glauben verwehrt sein kann, sich im Hinblick auf den Beginn der Entscheidungsfrist nach § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG auf die Unvollständigkeit eines Antrags zu berufen, wenn sie dem Antragsteller im Verfahren eindeutig zu verstehen gegeben hat, dass keine Unvollständigkeit vorliege und die Entscheidungsfrist in Lauf gesetzt worden sei,</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">so OVG Hamburg, Beschluss vom 18. November 2010 - 3 Bs 206/10 -, juris, Rn. 30; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31. August 2017 - 7 L 2349/17 -, juris, Rn. 34; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Mai 2018 ‑ 3 K 471/18 -, juris, Rn. 41; Fielitz/Grätz, Personenbeförderungsrecht, Kommentar, Stand April 2022, § 15 Rn. 5; offen gelassen: OVG Meck.-Vorp., Beschluss vom 30. Januar 2017 - 1 M 453/16 -, juris, Rn. 7; a. A. zu § 42a VwVfG: Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 42a, Rn. 77; Broscheit, GewArch 2015, 209 (212),</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">bedarf vorliegend keiner Klärung, weil auch diesen Grundsatz berücksichtigend das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass keine Fiktionswirkung nach § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG eingetreten ist. Zwar hat die Bezirksregierung L.    der Klägerin unter dem 2. März 2016 mitgeteilt, dass der Antrag vom 19. Dezember 2015 nach dem am 29. Februar 2016 erfolgten Eingang der angeforderten und für die Durchführung des Anhörungsverfahrens benötigten Mehrexemplare des Antrags komplettiert worden sei, das Anhörungsverfahren nunmehr eingeleitet werde und die durch Zwischenbescheid (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 3 PBefG) um drei Monate verlängerte Entscheidungsfrist ab diesen Tag beginne und somit mit Ablauf des 28. August 2016 ende (VV I 32). Selbst wenn die Klägerin aber darauf vertraut haben sollte, dass diese behördliche Erklärung für den Beginn der Entscheidungsfrist maßgeblich gewesen wäre und die Frist dementsprechend am 29. Februar 2016 in Gang gesetzt hätte und am 28. August 2016 abgelaufen wäre, wäre keine Genehmigungsfiktion eingetreten. Denn die Bezirksregierung L.    hat den Antrag der Klägerin bereits vor Ablauf der Frist mit Bescheid vom 15. August 2016 abgelehnt.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">bb) Für die Frage des Beginns der Entscheidungsfrist und des Eintritts der Fiktionswirkung kann die Klägerin zu ihren Gunsten auch nichts aus der Ausgestaltung des Antragsformulars herleiten.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Im Antragsformular heißt es unter Punkt 13:</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">„Als Anlagen sind im Original beizufügen (die mit dem  gekennzeichneten Anlagen sind stets erforderlich):(…) Angaben über die Zahl, die Art (KOM, Pkw), Sitz- und Stehplätze der zu verwendenden Fahrzeuge(…)“</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Es bestand kein begründeter Anlass zu der Annahme, die Angaben über die Zahl, die Art (KOM, Pkw), Sitz- und Stehplätze der zu verwendenden Fahrzeuge seien im Fall der von der Klägerin beanspruchten Genehmigung entbehrlich gewesen, nur weil sie nicht als „stets erforderlich“ vorgekennzeichnet waren. Das Antragsformular war auch für die Klägerin erkennbar ein Formblatt-Vordruck für Anträge auf Erteilung von verschiedenen Genehmigungen. Dazu gehören auch Genehmigungsanträge für den Verkehr mit Straßenbahnen sowie mit Obussen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG, bei denen die Vorlage entsprechender fahrzeugbezogener Angaben gerade nicht gefordert ist, sondern nur die Vorlage einer Beschreibung der Fahrzeuge auf Verlangen der Genehmigungsbehörde (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit c) PBefG). In einem derartigen Antragsformular, das für verschiedene Verkehrserbringungsarten ausgelegt ist, deren Genehmigungsanträgen zwecks Vollständigkeit der Antragsunterlagen unterschiedliche Unterlagen beizufügen sind, können die Unterlagen, die nicht für alle Verkehrserbringungsarten für die Vollständigkeit der Antragsunterlagen erforderlich sind, nicht übergreifend als „stets erforderlich“ gekennzeichnet werden. Abweichendes ergibt sich auch nicht daraus, dass unter Punkt 13 am Ende klargestellt wird, dass bei Erstantragstellung die vorzulegenden Unterlagen mit der Genehmigungsbehörde im Einzelfall abzustimmen sind. Dies beinhaltet schon nicht, dass von den nach der gesetzlichen Regelung dem Antrag beizufügenden Angaben abgerückt worden wäre.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Darüber hinaus konnte die Klägerin, worauf auf der ersten Seite des Formblatts ausdrücklich hingewiesen wurde („Zutreffendes bitte ankreuzen oder ausfüllen“), selbst Kreuze setzen, also auch um beigefügte Angaben über die Zahl, die Art (KOM, Pkw), Sitz- und Stehplätze der zu verwendenden Fahrzeuge kenntlich zu machen. Von der Klägerin konnte das gewissenhafte Ausfüllen des Antragsformulars sowie die Vorlage der gesetzlich geforderten Antragsunterlagen erwartet werden. Ihr wurde angesichts der gesetzlichen Regelung über die dem Antrag beizufügenden Angaben bzw. die nach dem Formblatt erforderlichen Anlagen nichts Unzumutbares abverlangt.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">cc) Unerheblich ist schließlich, dass die Bezirksregierung L.    eine Auskömmlichkeitsprüfung veranlasst hat. Diese Prüfung berechtigte die Klägerin nicht zur Annahme, der von ihr am 19. Dezember 2015 gestellte Antrag sei vollständig und habe die Entscheidungsfrist mit Antragseingang in Gang gesetzt.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">3. Aus dem Zulassungsvorbringen folgt weiter nicht, dass – anders als vom Verwaltungsgericht angenommen – der Antrag der Klägerin vom 19. Dezember 2015 die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG erforderlichen Fahrzeugangaben enthalten hat oder diese von ihr vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens noch nachgeliefert wurden.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Auf die von der Klägerin im Zulassungsverfahren aufgeworfene Frage, ob sie in ihrem Antrag die Unvollständigkeit des Antrags eingeräumt hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Maßgebend ist allein, dass der Antrag der Klägerin objektiv unvollständig war.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">a) Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dem Antrag habe es an den erforderlichen Angaben über das Fassungsvermögen (Sitz- und Stehplätze) der zu verwendenden Fahrzeuge gefehlt (Urteilsabdruck Bl. 15). Das Zulassungsvorbringen gibt keinen Anlass, diese Einschätzung zu beanstanden. Anders als die Klägerin meint, war ihrem Antrag nicht zu entnehmen, dass sie 113 Solo- und 70 Gelenkbusse, die mit „ab 32 Sitzen plus 1 Fahrersitz“ und mit „ab 45 Sitzplätzen plus ein Fahrersitz“ ausgestattet sind, und 15 PKW verwenden wollte.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">aa) Die Klägerin selbst hatte in dem Anschreiben zu ihrem Antrag (VV I Bl. 2) ausdrücklich erklärt: „Des Weiteren kann für den ab 11.12.2016 notwendigen Fuhrpark (Steh- und Sitzplatzkapazität) noch keine detaillierte Aussage getroffen werden. Wir gehen davon aus, dass max. 200 KOM zum Einsatz kommen.“ Konkrete Rückschlüsse auf das Fassungsvermögen (Steh-/Sitzplätze) ließ diese Erklärung, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (Urteilsabdruck Bl. 15), nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Mit ihrem Zulassungsvorbringen erschüttert die Klägerin auch nicht die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach sie die Angaben nicht nachgeliefert hat. Dass diese in dem der Bezirksregierung L.    mit Schreiben vom 30. April 2016 übersandten und von ihr schon vor Antragstellung in Auftrag gegebenen Gutachten „Wirtschaftliche Prognose über die eigenwirtschaftliche Erbringung des Linienbündels L1.   nach Vergabe Nr. 2015/S 182-328536“ der X.         Unternehmensberatung GmbH vom 14. Dezember 2015 zu entnehmen waren, behauptet sie selbst nicht. Ihr Vorbringen gibt auch keinen Anlass zur Beanstandung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach Herr X1.        von der X.         Unternehmensberatung GmbH für die Klägerin auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass die Klägerin der von der Bezirksregierung L.    mit der Überprüfung des X2.         -Gutachtens betrauten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Q.                      Q2.   nicht mitgeteilt habe, wie hoch die Anzahl der Sitz- und Stehplätze in den einzusetzenden Bussen gewesen sei (Urteilsabdruck Bl. 17).</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">bb) Die Angaben zum Fassungsvermögen ergaben sich auch nicht daraus, dass – wie die Klägerin meint – sich die Vorabbekanntmachung auf die handelsübliche Standard-Größe und -Ausstattung von Solo- und Gelenkbussen bezog. Dazu hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, bei der Empfehlung zum Fassungsvermögen der Fahrzeuge handele es sich nicht um „Vorgaben“ der Vorabbekanntmachung, die sich überdies nicht zur Zahl der Stehplätze verhalte (Urteilsabdruck Bl. 16). Außerdem sei eine solch pauschale Bezugnahme in einem Genehmigungsantrag nicht geeignet, um den vorgenannten gesetzlichen Anforderungen nach Sinn und Zweck zu genügen (Urteilsabdruck Bl. 16).</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Ungeachtet dessen wäre die Bezirksregierung L.    anhand der bloßen Angabe, dass auch sämtliche Vorgaben der Vorabbekanntmachung beantragt wurden (siehe Seite 1 des Antragsschreibens vom 19. Dezember 2015, VV I Bl. 1), auch nicht in der Lage gewesen zu prüfen, ob die Klägerin den tatsächlichen Verkehrsbedarf hätte erfüllen und die Verkehrsleistungen im beantragten Umfang hätte erbringen können.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">b) War der Antrag schon danach unvollständig, kommt es auf die Frage, ob es darüber hinaus auch an Angaben über die Zahl der zu verwendenden Fahrzeuge fehlte, nicht an. Ungeachtet dessen stellt der Zulassungsantrag aus den nachfolgenden Erwägungen aber auch diese Annahme des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Entgegen ihrer Auffassung genügte die Angabe einer Obergrenze von max. 200 KOM als Angabe über die Zahl der zu verwendenden Fahrzeuge nicht. Das Verwaltungsgericht ist in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die Angabe, wie viele Fahrzeuge mit welcher Ausstattung das Verkehrsunternehmen mindestens für die beantragten Verkehrsleistungen zur Verfügung haben wird, für die Prüfung der Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Betriebs sowie der Sicherstellung der öffentlichen Verkehrsinteressen erforderlich ist. Anderenfalls könnte die Genehmigungsbehörde nicht prüfen, ob das Verkehrsunternehmen eine für die beantragten Verkehrsleistungen ausreichende Anzahl an Fahrzeugen einsetzen wird (ob also die beantragten Verkehrsleistungen durch die Antragstellerin mit den einzusetzenden Fahrzeugen überhaupt durchführbar sind).</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Dass die Angabe einer Obergrenze im Zusammenhang mit der übersandten Eigenkapitalbescheinigung möglicherweise hinreichende Rückschlüsse auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin zuließ, genügt deshalb nicht.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">c) Die Klägerin stellt weiter nicht durchgreifend in Frage, dass die erforderlichen Angaben nicht bis zur Genehmigungsentscheidung nachgereicht wurden. Hierzu hat das Verwaltungsgericht ausgeführt (Urteilsabdruck Bl. 19 f.), dass Q1.   , worauf die Klägerin zutreffend hinweise, in dem Gutachten vom 29. Juli 2016 die Zahl von 113 Solo- und 70 Gelenkbussen sowie einem Kleinbus und 15 Personenkraftwagen zu Grunde gelegt (S. 23 des Gutachtens) und diese Werte aus dem von der Klägerin dem beklagten Land am 2. Mai 2016 übersandten, auf den 14. Dezember 2015 datierenden X.         -Gutachten übernommen habe. Hierauf könne jedoch nicht abgestellt werden, weil die Klägerin diese Zahlen, obwohl sie ihr bei Antragstellung bereits vorgelegen hätten, ausdrücklich nicht zum Gegenstand ihres Antrags gemacht habe. Sie habe trotz Kenntnis der im Gutachten errechneten Fahrzeugzahlen vielmehr ausgeführt, zu dem notwendigen Fuhrpark noch keine detaillierte Aussage treffen zu können. Man gehe vom Einsatz von max. 200 Kraftfahromnibussen aus. Damit habe die Klägerin erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie der Berechnung ihrer Gutachter für den Antrag hinsichtlich der Zahl der zu verwendenden Fahrzeuge keine Bindungswirkung beimesse. Jedenfalls habe sie mit diesem Verhalten einen Widerspruch begründet, der für die Genehmigungsbehörde nicht ohne Weiteres aufzulösen gewesen sei. Losgelöst davon genügten auch diese Angaben nicht dem Erfordernis des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG. Zum einen hätten die Gutachter der Klägerin im X.         -Gutachten den Fahrzeugbedarf in der Verkehrsspitze im Rahmen des „Betriebskonzepts und der Leistungsmengen“ (Seite 6 des Gutachtens) mit einem Fahrzeugbedarf in der Verkehrsspitze von 173 Bussen (davon 66 Gelenkbusse und ein Kleinbus, ohne Reservebusse) angegeben ohne dabei erforderliche PKW als ebenfalls für betrieblich notwendige Fahrten zu berücksichtigen, während an anderer Stelle im Rahmen der „Kostenkalkulation und -prognose“ (Seite 11 des Gutachtens) hinsichtlich der kalkulatorischen Abschreibungen vom Einsatz von 113 Solofahrzeugen (inkl. 7 Reservebussen) und 70 Gelenkbussen (inkl. 4 Reservebussen), einem Kleinbus und 15 Ablöse- und sonstigen PKW die Rede sei. Mit Blick hierauf divergierten die von ihr gemachten Angaben dahingehend, ob der „Fahrzeugbedarf“ auch erforderliche PKW umfasse. Auch in dem Gesprächsprotokoll vom 1. Juli 2016 (vgl. VV III a. E.) finde sich unter dem Unterpunkt „Wertgerüst - Erlöse - Webeerlöse“ einzig der Wert von 300 € / Bus * 172 Busse (ohne Kleinbus). Diese Divergenz, die vermutlich verschiedenen Ansätzen in der Kalkulation geschuldet sei, belege das Erfordernis einer separaten Benennung der nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG geforderten Angaben, wie sie im Übrigen auch das Antragsformular vorsehe. Es sei Aufgabe des jeweiligen Antragstellers, durch konkrete Angaben den Genehmigungsantrag vom Umfang her zu bestimmen (und zu beschränken). Die allein dem Antragsteller obliegende Konkretisierung des Genehmigungsumfangs könne etwa auch bei der Beurteilung relevant werden, ob etwaige Änderungen am Genehmigungsantrag ein Aliud oder ein Minus darstellten. Dies gelte gerade mit Blick auf die Antragsfrist nach § 12 Abs. 6 PBefG. Aufgrund der Komplexität der Linienplanung könne auch nicht von der Genehmigungsbehörde verlangt werden, aus den Umlaufplänen die Anzahl der einzusetzenden Fahrzeuge zu ermitteln.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Diesen Ausführungen ist die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegengetreten.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">4. Anders als die Klägerin meint, musste die Bezirksregierung L.    die Unterlagen auch nicht von ihr nachfordern.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">a) Bei den fahrzeugbezogenen Angaben, deren Fehlen das Verwaltungsgericht bemängelt hat, handelt es sich um die Antragsunterlagen bzw. Angaben, die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG, also von Gesetzes wegen vom Antragsteller beizubringen sind, und nicht um „weitere“ Unterlagen, deren Vorlage die Genehmigungsbehörde nach § 12 Abs. 3 PBefG zusätzlich zu den in § 12 Abs. 1, 2 PBefG angeführten Angaben und Unterlagen verlangen kann. Dies ergab sich für die Klägerin erkennbar auch aus dem Antragsformular, in dem es unter Punkt 13 hieß, die Genehmigungsbehörde behalte sich die Vorlage weiterer – also anderer als die zuvor u.a. ausdrücklich benannten Unterlagen über die Zahl, die Art und die Sitz- und Stehplätze der zu verwendenden Fahrzeuge – vor.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">b) Eine Pflicht der Bezirksregierung L.    , Unterlagen nachzufordern, folgt auch nicht aus der Gewerbefreiheit und dem Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit (§ 8 Abs. 4 Satz 1 PBefG). Der Umstand, dass der Antragsteller einen Antrag auf eigenwirtschaftliche Verkehrserbringung gestellt hat, führt zunächst nicht dazu, dass er die in den §§ 12, 13 PBefG vorgegebenen Genehmigungsvoraussetzungen und Anforderungen an die Antragsunterlagen nicht beachten müsste. Vielmehr gelten die in §§ 12 Abs. 1 bis 3, 13 Abs. 1, 2 PBefG normierten Genehmigungsvoraussetzungen und die darin enthaltenen Vorgaben betreffend die vorzulegenden Antragsunterlagen unabhängig davon, ob die Genehmigung eines eigenwirtschaftlichen oder eines gemeinwirtschaftlichen Verkehrs beantragt wird oder nur ein einziger oder mehrere Antragsteller vorhanden sind.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Schließlich gebietet der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit es im Fall einer wie hier geplanten Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags auch nicht, dass die Genehmigungsbehörde einen Antragsteller vor der ablehnenden Entscheidung zur Nachbesserung seines eigenwirtschaftlichen Antrags auffordert. Eine solche Verpflichtung sieht § 12 Abs. 6 PBefG nicht vor. Im Übrigen hat der Gesetzgeber durch die in § 12 Abs. 6 PBefG angeordnete Verfahrensweise selbst zum Ausdruck gebracht, dass dem Grundsatz der eigenwirtschaftlichen Verkehrserbringung nicht stets Vorrang gebührt.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Vgl. ausführlich OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 13 A 2098/19 -, n. v.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">Die Annahme der Klägerin, dass nur bei „Marktversagen“ ein gemeinwirtschaftlicher Verkehr initiiert werden dürfe, trifft nicht zu. Vielmehr kann auch dann die Vergabe eines gemeinwirtschaftlichen Auftrags zum Zuge kommen, wenn ein Antragsteller für eine eigenwirtschaftliche Verkehrsbedienung einen Genehmigungsantrag stellt, infolge dessen die Genehmigung – mangels Vollständigkeit der Antragsunterlagen oder mangels Vorliegen der weiteren Genehmigungsvoraussetzungen – aber abzulehnen ist.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">c) Ungeachtet dessen bestand auch nicht die Notwendigkeit, die Klägerin nochmals zur Vorlage von Unterlagen aufzufordern. Sie hätte auch ohne explizite Aufforderung bereits den ihr von der Bezirksregierung L.    übersandten Stellungnahmen und Einwendungen im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 14 PBefG entnehmen können, dass Zweifel bestanden, ob ihre fahrzeugbezogenen Angaben den Anforderungen genügten (siehe z. B. S. 7, 9 der Stellungnahme des Beigeladenen zu 1. vom 28. April 2016, VV I Bl. 59, 61). Auch in dem Anhörungsschreiben der Bezirksregierung L.    vom 1. August 2016 (VV Bl. 109 ff.) wurde die Klägerin hierauf hingewiesen (VV I Bl. 111). All dies hat die Klägerin aber nicht veranlasst, sich weiter zur Ausgestaltung des Fuhrparks zu äußern. Vielmehr erklärte sie in ihrer Stellungnahme vom 9. August 2016 lediglich, „Der Fuhrpark wird neu angeschafft, so dass der Bestand unerheblich ist.“ (VV I Bl. 118).</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">II. Die Berufung ist ferner nicht wegen der von der Klägerin geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung des Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Ist die aufgeworfene Frage eine Rechtsfrage, so ist ihre Klärungsbedürftigkeit nicht schon allein deshalb zu bejahen, weil sie bislang nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden ist. Nach der Zielsetzung des Zulassungsrechts ist vielmehr Voraussetzung, dass aus Gründen der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung geboten ist. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt deshalb, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2012 - 1 A 394/11 -, juris, Rn. 8.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon ist die von der Klägerin formulierte Frage,</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">„Ist bei einem Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen der Antrag vollständig und beginnt die Frist des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG dann zu laufen, wenn Angaben nach § 12 Abs. 1 Satz. 1 Nr. 3 lit. c) PBefG aus Sicht der Genehmigungsbehörde unvollständig sind bzw. fehlen?“,</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Sie lässt sich mit Hilfe gängiger Auslegungsmethoden und auf der Basis der bereits vorliegenden Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens aus den Erwägungen zu I. 1. dahingehend beantworten, dass der Antrag grundsätzlich objektiv vollständig sein muss, um die Fiktionsfrist in Lauf zu setzen, und dass zur Vollständigkeit des Antrags jedenfalls die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit c) PBefG erforderlichen Angaben gehören.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">Die Frage,</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">„Beginnt die Frist des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG für die Entscheidung über einen Antrag auf Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen neu oder erstmalig nach dem Eintreffen der nachgeforderten Unterlagen zu laufen, wenn während des Genehmigungsverfahrens die Genehmigungsbehörde Nachforderungen nach § 12 Abs. 3 PBefG an den Antragsteller richtet?“,</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">sowie die Frage,</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">„Ist das Ermessen der Genehmigungsbehörde, gemäß § 12 Abs. 3 PBefG weitere Unterlagen zu fordern, in dem Fall, dass nur ein einziger, eigenwirtschaftlicher Antrag vorliegt, auf Null reduziert, wenn die Vorlage weiterer Unterlagen zur voraussichtlichen Genehmigung des eigenwirtschaftlichen Antrags führt und andernfalls eine Haushaltsbelastung eintritt?“,</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">waren aus der Sicht des Verwaltungsgerichts schon nicht entscheidungserheblich, weil es vom Fehlen notwendiger Antragsunterlagen nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) PBefG und nicht vom Fehlen weiterer Unterlagen im Sinne des § 12 Abs. 3 PBefG ausgegangen ist.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Die Frage,</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">„Ergibt sich, sofern die Genehmigungsbehörde zu bestimmten Antragselementen weitere Unterlagen fordert, daraus eine materielle Wirkung dahingehend, dass hinsichtlich anderer Antragselemente, bezüglich derer sie keine Unterlagen nachgefordert hat, die Genehmigungsbehörde sich nicht auf deren Fehlen berufen kann und die Genehmigung nicht aus dem Grund versagen darf, es hätten hinsichtlich der anderen Antragselemente Unterlagen gefehlt?“</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">ist in dieser Form schon nicht grundsätzlich klärungsfähig. Denn abgesehen davon, dass die „zu bestimmten Antragselementen geforderten Unterlagen“ nicht näher konkretisiert werden, mit der Folge, dass ihre Bedeutung für die Genehmigungsfähigkeit des Antrags offen bleibt, hängt die Frage, ob die Genehmigungsbehörde auf das Fehlen anderer nicht angeforderten Unterlagen abstellen darf, von den Umständen des Einzelfalls ab und ist keiner grundsätzlichen Klärung zuführbar.</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Der Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,079
ovgnrw-2022-08-01-1-b-65322
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1 B 653/22
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:50"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0801.1B653.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 39.600,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Es kann offen bleiben, ob es ausnahmsweise unschädlich ist, dass sich weder in der Beschwerdeschrift vom 25. Mai 2022 noch in der Beschwerdebegründung vom 17. Juni 2022 ein nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderlicher bestimmter Beschwerdeantrag findet, weil sich unter Berücksichtigung der Gesamtumstände durch Auslegung des Beschwerdevorbringens ermitteln lässt, welches Begehren die Antragstellerin verfolgt.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu etwa: OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2020 – 1 B 363/20 –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Antragstellerin hat nämlich ungeachtet dessen (jedenfalls) in der Sache keinen Erfolg. Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 i. V. m. Satz 1 und 3 VwGO beschränkt ist, rechtfertigten es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und den erstinstanzlich gestellten Anträgen der Antragstellerin stattzugeben,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, unverzüglich an die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von 18 Monaten x 2.200,00 Euro = 39.600,00 Euro zu zahlen,</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">hilfsweise,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">die Antragsgegnerin zu verpflichten, den von der Antragstellerin aufgrund der notariellen Urkunde des Notars O.       X.      vom 27. März 2017 – UR 153/2017 – gepfändeten Unterhaltsbeitrag und von der Antragsgegnerin beim Amtsgericht Detmold hinterlegten Betrag – Aktenzeichen Amtsgericht Detmold: 22a HL 60/21 – freizugeben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat seine ablehnende Entscheidung darauf gestützt, ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht, und zur Begründung ausgeführt: Die Antragstellerin habe nicht konkret dargelegt, dass ihr ohne die Regelungsanordnung unzumutbare existentielle Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Sie habe sich lediglich pauschal darauf berufen, derzeit von Zuwendungen von Verwandten zu leben und „arm" zu sein. Auch auf zweimalige Aufforderung des Gerichts habe sie aber keine Belege zur Gerichtsakte gereicht, die Rückschlüsse auf ihre finanziell-wirtschaftliche Situation zuließen.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Hiergegen macht die Antragstellerin im Kern geltend: Sie habe sehr wohl glaubhaft gemacht, „arm“ und auf die Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes angewiesen zu sein. Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse habe sie mit ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 26. März 2022 sowie den von ihr vorgelegten Prozesskostenhilfeunterlagen ausführlich dargelegt. Sie habe erklärt, lediglich regelmäßige monatliche Einnahmen i. H. v. 570,00 Euro aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu haben. Die monatlichen Kindergeldzahlungen i. H. v. 219,00 Euro setze sie für den Lebensunterhalt ihres Sohnes I.       ein. Sie habe zudem eidesstattlich versichert, keine weiteren Einkünfte zu haben, und ihre Kontoauszüge vorgelegt. Es erschließe sich nicht, welche weiteren Angaben oder Belege das Verwaltungsgericht von ihr verlange. Der guten Ordnung halber habe sie unter dem 17. Juni 2022 nochmals eine Eidesstattliche Versicherung abgegeben, aus der hervorgehe, dass sie „arm“ und dringend darauf angewiesen sei, wenigstens einen Teil des ihr zustehenden Unterhalts ausgezahlt zu bekommen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Dieses Vorbringen greift zunächst hinsichtlich des Hauptantrags nicht durch. Dieser ist – ungeachtet etwaiger Zweifel an seiner Bestimmtheit – jedenfalls unbegründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin habe den erforderlichen Anordnungsgrund nicht gemäß § 123 Abs. 3 i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">a) Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Ob eine vorläufige Regelung „nötig erscheint" ist auf der Grundlage einer Interessenabwägung zu beantworten. Es ist zu prüfen, ob dem jeweiligen Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen, nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2021– 1 B 461/21 –, juris, Rn. 17 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Je schwerer die sich aus der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ergebenden Belastungen wiegen und je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie im Falle des Obsiegens in der Hauptsache rückgängig gemacht werden können, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtspositionen zurückgestellt werden. Entscheidend ist im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, dass die Prüfung eingehend genug ist, um den Antragsteller vor erheblichen und unzumutbaren, anders weder abwendbaren noch reparablen Nachteilen effektiv zu schützen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. März 2005 – 1 BvR 2298/04 –, juris, Rn. 15.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Danach fehlt ein Anordnungsgrund mangels Eilbedürfnisses regelmäßig dann, wenn der Antrag auf Leistungen gerichtet ist, die für einen vergangenen Zeitraum hätten gewährt werden sollen. Insoweit drohen regelmäßig keine abzuwendenden wesentlichen Nachteile mehr. Solche Ansprüche sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Nur in Ausnahmefällen können in einem zurückliegenden Zeitraum erlittene Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sein, nämlich wenn diese in die Gegenwart hineinwirken, daraus auch eine Dringlichkeit zum Zeitpunkt der Eilentscheidung resultiert und andernfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden könnte.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. November 2002 – 12 CE 02.1597 –, juris, Rn. 17; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. April 2016– OVG 6 S 6.16 –, juris, Rn. 5; Sächs. OVG, Beschluss vom 4. März 2013 – 1 B 306/13 –, juris, Rn. 6; Hamb. OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2012 – 4 Bs 200/12 –, juris, Rn. 29; Kuhla, in: BeckOK, Posser/Wolff, VwGO, Stand: 1. Juli 2021; § 123 Rn. 128a; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 86.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">b) Nach diesem Maßstab hat die Antragstellerin den erforderlichen Anordnungsgrund für ihren Hauptantrag nicht glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">aa) Das Vorbringen der Antragstellerin im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren bezieht sich auf Ansprüche für Zeiträume, die im Zeitpunkt der Antragstellung bei dem Verwaltungsgericht bereits vergangen waren. Gründe, aus denen es ausnahmsweise erforderlich sein könnte, der Antragstellerin für die in der Vergangenheit liegenden Zeiträume Geldmittel im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zuzusprechen, hat die Antragstellerin weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">bb) Ungeachtet dessen ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zutreffend, die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr ohne die begehrte einstweilige Anordnung unzumutbare Nachteile drohten. Die Antragstellerin hat ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse weder erstinstanzlich noch im Beschwerdeverfahren vollständig und widerspruchsfrei glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">(1) Die Angaben der Antragstellerin sind bereits unvollständig. Die Antragstellerin hat nicht – wozu sie der Sache nach bereits vom Verwaltungsgericht am 21. April 2022 aufgefordert worden ist – gegenübergestellt, wie sich ihre Einnahmen- und Ausgabensituation monatlich konkret darstellt und damit aufgezeigt, in welcher Höhe eine Deckungslücke besteht. Gerade ihre regelmäßigen monatlichen Ausgaben hat die Antragstellerin nicht nachvollziehbar dargestellt. Sie hat insoweit lediglich kommentarlos Kontoauszüge überreicht sowie einzelne Rechnungen für auf mehrere Monate entfallende Kostenpositionen vorgelegt (z. B. die Beitragsrechnung der LVM Versicherung vom 19. Februar 2022 für die Sachversicherung betreffend den Berechnungszeitraum vom 16. März 2022 bis zum 16. September 2022 oder die Beitragsrechnung der LVM Versicherung vom 18. Dezember 2021 für die Wohngebäudeversicherung für den Berechnungszeitraum vom 24. Februar 2022 bis zum 24. Mai 2022). Es ist nicht Aufgabe des (Beschwerde-)Gerichts, selbst eine Kostenaufstellung aus den von der Klägerin zu den Akten gereichten Unterlagen zu erstellen und Mutmaßungen über ihre (regelmäßigen) Ausgaben zu anzustellen.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">(2) Die Angaben der Klägerin sind aber auch nicht stimmig.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Das gilt zunächst für die Angaben der Antragstellerin zu ihrem Grundeigentum und ihren Wohnkosten. In der Prozesskostenhilfeerklärung vom 26. März 2022 hat die Antragstellerin in Abschnitt „G Bankkonten/Grundeigentum/Kraftfahrzeuge/Bar-geld/Vermögenswerte“ angegeben, sie sei Eigentümerin des ehelichen Wohnhauses mit der Anschrift „B.   e. B1.    0“ in N.     . In ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 26. März 2022 hat die Antragstellerin hierzu erklärt, das Haus befinde sich jeweils zur Hälfte in ihrem und dem Miteigentum ihres getrennten Ehemanns. (Noch) übereinstimmend hiermit hat sie in Abschnitt „H Wohnkosten“ auch erklärt, sie nutze den Raum nicht als Mieterin oder in einem ähnlichen Nutzungsverhältnis. Diese Angaben passen zum einen nicht mit der notariell beurkundeten Trennungs- und Scheidungsvereinbarung der Antragstellerin und ihres Ehemannes vom 27. März 2017 zusammen, die unter Ziffer 3., 3. Absatz regelt, dass die Antragstellerin ihre Hälfte des Hauses an ihren Ehemann überschreibt und ihr gemäß Ziffer 1., 1. Abs. der Vereinbarung (nur) das Nutzungsrecht an der Ehewohnung während der Trennung zusteht. Zum anderen hat die Antragstellerin in ihrer Prozesskostenhilfeerklärung vom 17. November 2020 (im Hauptsacheverfahren VG Minden 12 K 109/21) abweichend von der Prozesskostenhilfeerklärung vom 26. März 2022  in Abschnitt „G“ ausgeführt, das Haus gehöre ihrem getrennt lebenden Ehemann, und in Abschnitt „H“ mitgeteilt, sie zahle für die von ihr bewohnten Räume einen Gesamtbetrag von 550,00 Euro. Hierzu hat sie eine Bestätigung ihres Ehemannes vom 8. November 2020 vorgelegt, nach der sie ihm im Jahr 2020 eine monatliche Nutzungspauschale i. H. v. 550,00 Euro inklusive Heizung und sonstigen Nebenkosten in bar gezahlt habe.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Angaben der Antragstellerin zu ihrer Wohnsituation sind auch lückenhaft. In ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 26. März 2022 hat die Antragstellerin erklärt, ihr Hauptwohnsitz befinde sich in F.       . Weder den Prozesskostenhilfeunterlagen noch den sonstigen Erklärungen und Nachweisen der Antragstellerin lässt sich aber auch nur ansatzweise Weiteres zu diesem (angeblichen) Hauptwohnsitz entnehmen, etwa dazu, wo sich dieser befindet, welche Kosten – Unterhalts- und/oder Reisekosten – für die Antragstellerin mit ihm verbunden sind und wie sie diese Kosten in ihrer aktuellen Situation aufbringt. Erklärungsbedürftig wäre insoweit auch, warum die Antragstellerin keine Angaben dazu gemacht hat, ob sie – was naheliegend ist – in F.       über ein Bankkonto verfügt.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Schließlich steht auch die Erklärung der Antragstellerin in ihrer Eidesstattlichen Versicherung vom 26. März 2022, sie erhalte von ihrem getrenntlebenden Ehemann keinerlei Unterhalt, Zahlungen oder Geldzuwendungen in Widerspruch zu der Angabe in ihrer Prozesskostenhilfeerklärung vom selben Tag, ihr Ehemann zahle die für das Wohnhaus in N.     anfallenden monatlichen Heiz- und Nebenkosten.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">2. Die Beschwerde bleibt auch hinsichtlich des Hilfsantrags ohne Erfolg. Die Antragstellerin hat auch weiterhin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat. Der Hilfsantrag zielt allein darauf ab, dass die Antragsgegnerin die bereits gepfändeten und beim Amtsgericht E.       hinterlegten Geldbeträge freigibt. Der Antrag bezieht sich danach eindeutig allein auf gepfändete (Unterhalts-)Beträge, die der Antragstellerin ihrer Ansicht nach in der Vergangenheit auszuzahlen gewesen wären. Gründe, aus denen der Antragstellerin ausnahmsweise ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar wäre, sind auch hier nicht vorgetragen oder erkennbar. Unabhängig davon fehlt es auch hier deshalb an einem Anordnungsgrund, weil die Antragstellerin – wie oben dargelegt – ihre Einkommens- und Vermögensverhältnis nicht glaubhaft gemacht hat.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht §§ 40, 45 Abs. 1 Satz 3, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Wegen der von der Antragstellerin begehrten Vorwegnahme der Hauptsache war eine Reduzierung des Streitwerts gemäß Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angezeigt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
346,077
ovgni-2022-08-01-10-la-1422
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10 LA 14/22
"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:39"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - Berichterstatter der 6. Kammer - vom 22. Dezember 2021 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre Klage auf Feststellung, dass von ihr bewirtschaftete Flächen nach deren erneutem Umpflügen im Jahr 2015 bzw. 2016 in der Folge bis zum 15. Mai 2020 bzw. 15. Mai 2021 ohne Genehmigung umgepflügt werden durften, abgewiesen hat, hat keinen Erfolg. Denn die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wurden von ihr nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen nicht vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zuzulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 -, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 – 8 LA 148/12 –, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14 –, juris Rn. 230, und vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 16; Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; vgl. auch Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.7.2018 – 13 LA 247/17 –, juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 -, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 28.6.2022 – 14 LA 1/22 –, juris Rn. 7, und vom 30.3.2022 – 13 LA 56/22 –, Rn. 3). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann ein Berufungszulassungsantrag nur dann Erfolg haben, wenn für jedes der die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig tragenden Begründungselemente ein Zulassungsgrund dargelegt worden ist und vorliegt (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2; vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 23.4.2012 - 8 LA 45/11 -, juris Rn. 3).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es der Klägerin am erforderlichen Feststellungsinteresse mangele. Sie sei durch den bestandskräftigen Bescheid vom 11. Dezember 2020 zur Rückumwandlung der in Streit stehenden Flächen in Dauergrünlandflächen verpflichtet und dürfe daher die Flächen nicht ohne Genehmigung umpflügen. Die Rückumwandlungspflicht umfasse nach der Begründung des Bescheids die Pflicht, die betroffenen Schläge für die nächsten fünf Jahre als Dauergrünland zu nutzen, für die Bindungsdauer seien sie deshalb ohnehin als Dauergrünland zu behandeln und zwar unabhängig davon, ob die Flächen im Jahr 2018 als Dauergrünland zu bewerten gewesen seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich dieser das Urteil des Verwaltungsgerichts tragenden Erwägung hat die Klägerin zwar ernstliche Zweifel an deren Richtigkeit begründet (dazu a)), jedoch ist mangels Begründetheit der Klage eindeutig ausgeschlossen, dass die Berufung zu einer Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts führen würde, so dass sich die Richtigkeitszweifel nicht - wie nach den obigen Ausführungen erforderlich - auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen (dazu b)).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>a) Soweit das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf die mittlerweile bestandkräftige Anordnung der Rückumwandlung mit Bescheid vom 11. Dezember 2020 verneint hat, ist dem nicht zu folgen (Senatsbeschluss vom 21.6.2022 – 10 LC 20/22 –, n.v.). Ein Feststellungsinteresse kann sich, wie von der Klägerin dargelegt, jedenfalls aus einem möglichen Anspruch der Klägerin auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2020 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ergeben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 62; vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, und vom 19.4.2022 – 10 LA 10/22 –, jeweils n.v.). Dem steht hier auch die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht entgegen. Dabei kann offenbleiben, ob hinsichtlich der Beurteilung der Subsidiarität auf den Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 14.11.2007 – 5 B 05.2958 –, juris Rn. 21; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 43 Rn. 40; Helge Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 43 Rn. 117 m.w.N.), nach dem der Rückumwandlungsbescheid erst ergangen ist, oder auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. von Albedyll in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Auflage 2021, § 43 Rn. 36 m.w.N; BVerwG, Beschluss vom 24.1.1995 – 1 WB 54.94 –, juris Rn. 3 m.w.N.) abzustellen ist. Denn der Klägerin ist der Weg über die Feststellungsklage jedenfalls deshalb nicht verwehrt, weil sie hiermit ihr Rechtsschutzziel besser erreichen kann (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.4.2021 – 1 C 13.19 –, juris Rn. 18 m.w.N., Beschluss vom 26.3.2014 – 4 B 55.13 –, juris Rn. 4, sowie Urteile vom 28.1.2010 – 8 C 19.09 –, juris Rn. 40, vom 28.1.2010 – 8 C 38.09 –, juris Rn. 56, und vom 21.2.2008 – 7 C 43.07 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Die Klägerin möchte mit ihrer Feststellungsklage nicht nur die Aufhebung des Rückumwandlungsbescheides vom 11. Dezember 2020 erreichen, sondern darüber hinaus (auch) die rechtsverbindliche Klärung des Flächenstatus der betroffenen Schläge, dem nicht nur für die Frage der Rechtmäßigkeit der Rückumwandlungsverpflichtung, sondern weitergehende Bedeutung zukommt. Ob die betroffenen Flächen im Jahr 2018 nicht als Dauergrünland zu bewerten waren und die Klägerin daher diese Flächen im Jahr 2020 bzw. 2021 pflügen durfte, wäre bei einer Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über eine Rücknahme des Bescheides vom 11. Dezember 2020 lediglich eine Vorfrage (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 2.12.2015 – 10 C 18.14 –, juris Rn. 14, sowie Urteile vom 26.3.2015 – 7 C 17.12 –, juris Rn. 17, und vom 29. August 1986 – 7 C 5.85 –, juris Rn. 18; Möstl in BeckOK, VwGO, Stand: 1.4. 2022, § 43 Rn. 13.1; Pietzcker in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2021, § 43 Rn 41). Die hier zwischen den Beteiligten streitige Frage des Flächenstatus kann vielmehr sachgerecht und dem Rechtsschutzinteresse der Klägerin voll Rechnung tragend nur durch ein Feststellungsurteil geklärt werden (vgl. zur Zulässigkeit der Klage auf Feststellung des Dauergrünlandstatus vgl. Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 39 ff.). Insoweit kann der Klägerin auch nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 11. Dezember 2020 entgegengehalten werden, mit der bzw. deren Folgen das Verwaltungsgericht das fehlende Rechtsschutzinteresse begründet hat. Denn die von der Klägerin begehrte Feststellung könnte zur Rücknahme des Bescheides durch die Beklagte führen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>b) Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 –, juris Rn. 9), so dass nicht, wie jedoch erforderlich (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 2 m.w.N.), mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen würde. Denn die Klage ist, wie ohne weiteres erkennbar, unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Feststellung von Dauergrünland im Zusammenhang mit der sogenannten Pflugregelung (u.a. Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris, sowie Senatsbeschlüsse vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris, und vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris), die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bekannt ist, unbegründet. Ein Berufungsverfahren ist nicht wegen eines Fehlers fortzuführen, der mit Sicherheit für das endgültige Ergebnis bedeutungslos bleiben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 –, juris Rn. 9). Vorliegend macht es keinen Sinn, die Klägerin mit weiteren Verfahrenskosten durch die Durchführung eines Berufungsverfahrens zu belasten. Der Ablehnung des Zulassungsantrags steht dabei nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig statt unbegründet abgewiesen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.9.1999 – 5 B 190.99 –, juris Rn. 3, Beschluss vom 5.2.1998 – 2 B 56.97 –, juris Rn. 3 und Beschluss vom 30.4.1990 – 5 ER 616.90 –, juris Rn. 2 m.w.N., jeweils zu §§ 132 Abs. 2, 144 Abs. 4 VwGO; Roth in BeckOK, VwGO, Stand: 1.4.2022, § 124 Rn. 25; a.A. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124 Rn. 12; kritisch: Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2021, § 124a Rn. 125).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>aa) Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Berufungsverfahrens ist entgegen der Auffassung der Klägerin hier nicht erforderlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin deren Notwendigkeit daraus herleiten möchte, dass sie sich zu der Frage der ausreichenden Belege für den Nachweis des Pflügens aufgrund der Auffassung des Verwaltungsgerichts zur Unzulässigkeit der Klage nicht in einer mündlichen Verhandlung habe äußern können, ist dies bereits nicht zutreffend. Denn in der mündlichen Verhandlung wurde ausweislich des Protokolls die Sach- und Rechtslage erörtert, insbesondere waren auch die Luftbilder, die das Pflügen belegen sollen, Teil der Erörterung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Auch ist eine mündliche Verhandlung nicht zu der Beurteilung erforderlich, ob der Eigenerklärung des Vertreters der Klägerin zusammen mit den von ihr vorgelegten Luftbildern ein ausreichender Beweiswert zukommt. Denn nach § 10a Abs. 1 InVeKoSV kann der Betriebsinhaber den Nachweis, dass eine Fläche, für die im Jahr 2017 die Voraussetzungen für die Bewertung als Dauergrünland im Rahmen der für das Jahr 2017 geltenden Vorschriften über die Direktzahlungen vorlagen, aufgrund des § 2a DirektZahlDurchfV für das Jahr 2018 nicht mehr als Dauergrünland zu bewerten ist, nur schriftlich im Zusammenhang mit dem Sammelantrag für das Jahr 2018 führen, jedoch spätestens bis zum 11. Juni 2018 (Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 101, sowie Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 69). Hierfür muss der Beweis des Umpflügens schriftlich geführt, also erbracht werden. Die zuständige Behörde, die Landwirtschaftskammer, muss aufgrund der vorgelegten Nachweise zur Überzeugung gelangen, dass die Fläche umgepflügt wurde (Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 124, sowie Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 92). Prüfungsmaßstab ist damit, ob die Beklagte aufgrund der bis zu diesem Stichtag vorgebrachten Nachweise zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass der Kläger die Fläche, die nicht mehr als Dauergrünland bewertet werden soll, tatsächlich im Zeitraum von 2013 bis 2018 umgepflügt hat (Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 122). Und auch nur diese Prüfung obliegt dem Senat. Die Entscheidung der Beklagten ist dabei in vollem Umfang überprüfbar (Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 122). Maßgeblich für die Beurteilung des Nachweises des Pflügens sind daher allein die der Beklagten am 11. Juni 2018 vorliegenden Unterlagen. Später abgegebene Erklärungen und vorgelegte Urkunden sind nicht zu berücksichtigen (Senatsbeschlüsse vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 156, und vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 146). Dies gilt auch für Angaben und Beweisantritte im gerichtlichen Verfahren und in einer mündlichen Verhandlung, so dass auch eine Beweisaufnahme über das behauptete Pflügen nicht durchzuführen ist. Diese Einschränkung in der Beweisführung resultiert aus § 10a Abs. 1 InVeKoSV als materiell-rechtliche Ausschlussfrist (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 107 ff., 143, und Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 75 ff., 111). Inwieweit der Selbsterklärung des Vertreters der Klägerin und den von ihm vorgelegten Luftbildern ein Beweiswert, auch hinsichtlich der Datumsangabe, zukommt, ist daher vom Senat allein anhand dieser Unterlagen zu beurteilen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hatte auch Gelegenheit, sich zu den diesbezüglichen, ihr vom Senat mitgeteilten Bedenken zu äußern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Entgegen der Auffassung der Klägerin ist danach auch nicht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu klären, ob die in den Verwaltungsvorgängen vorhandene Luftbildaufnahme des Schlags 80 belegt, dass dieser im Jahr 2015 gepflügt worden ist. Denn diese wurde offensichtlich nicht von der Klägerin bis zum 11. Juni 2018 eingereicht (vgl. Senatsbeschluss vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 147).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Soweit sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Berufungsverfahrens zur Klärung der Frage für erforderlich hält, ob die in § 10a Abs. 2 Sa. 1 Nr. 2 InVeKoSV verlangten Nachweise mit Beweisen gleichzusetzen sind, ist bereits deshalb keine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung erforderlich, weil die Frage in der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechend den obigen Ausführungen bereits geklärt ist: Durch den in § 10a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InVeKoSV genannten „geeigneten Nachweis“ muss der Beweis in dem Sinne erbracht werden, dass die zuständige Behörde bzw. das Gericht aufgrund der schriftlichen Unterlagen zu der Überzeugung gelangt, dass die Fläche umgepflügt worden ist (Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 124, und Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 92).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Damit steht der Ablehnung des Zulassungsantrags vorliegend nicht die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung im Rahmen eines durchzuführenden Berufungsverfahrens entgegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>bb) Der Senat müsste auf Grundlage der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.9.1999 – 5 B 190.99 –, juris Rn. 3, und Beschluss vom 13.6.1977 – IV B 13.77 –, juris Rn. 9) in einem Berufungsverfahren die Klage als unbegründet beurteilen, so dass sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend erweist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Bei den streitgegenständlichen Schlägen der Klägerin (72, 79, 80, 81, 82 und 83) handelte es sich im Jahr 2018 um Dauergrünland im Sinne des § 2a DirektZahlDurchfV. Danach gelten als Dauergrünland nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013, unbeschadet des § 2 des DirektZahlDurchfG, Flächen, die mindestens fünf Jahre lang nicht umgepflügt worden sind, sofern die Flächen durch Einsaat oder auf natürliche Weise (Selbstaussaat) zum Anbau von Gras oder anderen Grünfutterpflanzen genutzt werden und seit mindestens fünf Jahren nicht Bestandteil der Fruchtfolge des landwirtschaftlichen Betriebes sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hat entgegen der ihrer Klage zugrundeliegenden Auffassung den nach § 10a Abs. 1 InVeKoSV erforderlichen schriftlichen Nachweis des Pflügens ihrer Flächen in den Jahren 2015 und 2016 nicht binnen der dort genannten materiell-rechtlichen Ausschlussfrist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 107 ff., sowie Urteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 75 ff.) erbracht. Wie oben bereits ausgeführt, muss der Nachweis des Pflügens bis zum 11. Juni 2018 schriftlich geführt werden, d.h. die Beklagte, und im gerichtlichen Verfahren das Gericht, muss aufgrund der vorgelegten Nachweise zur Überzeugung gelangen, dass die Fläche umgepflügt worden ist (Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 124, sowie Senatsurteil vom 23.9.2021 – 10 LC 43/21 –, juris Rn. 92).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Mit den schriftlichen Beweisen, die die Klägerin bis zum 11. Juni 2018 bei der Beklagten eingereicht hat und die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats allein zulässig waren, hat sie den erforderlichen Nachweis im Sinne des § 10a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InVeKoSV nicht geführt. Die Beklagte hat nach den von der Klägerin bis zum 11. Juni 2018 vorgelegten Unterlagen, der Anlage 8 zum Sammelantrag und den am 11. Juni 2018 eingereichten Luftbildern von Google Earth nicht zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die streitgegenständlichen Flächen, die nicht mehr als Dauergrünland bewertet werden sollen, tatsächlich in den Jahren 2015 bzw. 2016 umgepflügt wurden. Denn die eigene pauschale, im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebene Erklärung des Vertretungsberechtigten der Klägerin in der Anlage 8 zum Sammelantrag 2018 „Umbruch mit Neuansaat 2016“ enthält lediglich die detailarme Behauptung, die betreffenden Schläge zu nicht näher konkretisierten Daten im Jahr 2016 umgebrochen und neu angesät zu haben (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 155, sowie Senatsbeschluss vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 143). Den von der Klägerin zum Beweis des Pflügens in den Jahren 2015 bzw. 2016 fristwahrend für einzelne Schläge eingereichten Luftbildern von Google Earth (Bl. 84 bis 86 VV) kommt jedenfalls bereits deshalb kein diesbezüglicher Beweiswert zu, weil sie, auch nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Tatbestand des angefochtenen Urteils, kein Aufnahmedatum ausweisen, womit unklar ist, zu welchem Zeitpunkt bzw. Zeitpunkten die Luftbilder aufgenommen worden sind (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 19.4.2022 – 10 LC 176/21 –, n.v.). Soweit auf den Luftbildern mit „Umbruch 8.1.15“ bzw. „Umbruch 5/8/2016“ wohl das Datum des vermeintlichen Pflügens durch einen Vertreter der Klägerin vermerkt werden sollte, was vom Verwaltungsgericht ebenfalls im Tatbestand des angefochtenen Urteils im Einzelnen festgestellt worden ist, handelt es sich wiederum lediglich um eine nicht belegte pauschale Behauptung der Vertreter der Klägerin, die sich von der Erklärung in der Anlage 8 lediglich durch das konkretere Datum unterscheidet und der kein ausreichender Beweiswert zukommt, zumal sie darüber hinaus auch zum Teil mit den Angaben in der Anlage 8 zum Sammelantrag in Widerspruch steht, wonach alle Schläge im Jahr 2016 umgepflügt worden sein sollen. Nach dem 11. Juni 2018 eingereichte Unterlagen und abgegebene Erklärungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 156, sowie vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 146). Dies gilt auch für die mit der Klageschrift eingereichten weiteren Luftbilder sowie für die in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen (Bl. 56 bis 64 VV) Luftbilder vom 7. April 2018 mit dem Ausdruckdatum 30. Juli 2019 (vgl. Senatsbeschluss vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 147), die das Verwaltungsgericht - fälschlicherweise - als dem Antrag der Klägerin beigefügt beurteilt hat. Daher ist es im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die bis zum 11. Juni 2018 von der Klägerin vorgelegten schriftlichen Unterlagen nicht als ausreichend für den Nachweis des Pflügens in den Jahren 2015 bzw. 2016 erachtet hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Damit handelt es sich bei den streitgegenständlichen Flächen im Jahr 2018 weiterhin um Dauergrünland, das nach § 16 Abs. 3 Satz 1 DirektZahlDurchfG in den Jahren 2020 und 2021 nur mit einer Genehmigung umgewandelt bzw. gepflügt werden durfte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 158, 162, sowie vom 14.2.2022 – 10 LC 95/21 –, juris Rn. 149, 153). Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf die von ihr mit ihrer Klage begehrte Feststellung. Die Klage würde sich damit offenkundig in einem Berufungsverfahren als unbegründet erweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich bislang noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 14 und vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 18.10.2019 – 9 LA 103/18 –, juris Rn. 42, und vom 31.8.2017 – 13 LA 188/15 –, juris Rn. 53). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 14, und vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21.5.2019 – 5 LA 236/17 –, juris Rn. 47; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 7.7.2015 – 1 B 18.15 –, juris Rn. 3 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Antragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie zu begründen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 14, und vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 1.3.2016 – 5 BN 1.15 –, juris Rn. 2, vom 17.2.2015 – 1 B 3.15 –, juris Rn. 3, und vom 30.1.2014 – 5 B 44.13 –, juris Rn. 2, jeweils zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Darzustellen ist weiter, dass die Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 14, und vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 25; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.2.2020 – 11 LA 479/18 –, juris Rn. 77; Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.1.2020 – 10 ZB 19.2241 –, juris Rn. 13). Dazu ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die konkrete Auseinandersetzung mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts erforderlich (Senatsbeschlüsse vom 19.5.2021 – 10 LA 205/20 –, juris Rn. 71, und vom 21.3.2019 – 10 LA 46/18 –, juris Rn. 10 m.w.N.). Der Antragsteller hat im Einzelnen aufzuzeigen, aus welchen Gründen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.5.2022 – 1 B 44.22 –, juris Rn. 14 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob eine als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage entscheidungserheblich ist, ist anhand der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts zu prüfen, soweit gegen diese keine begründeten Rügen erhoben worden sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschlüsse vom 28.6.2022 – 10 LA 234/20 –, juris Rn. 14, und vom 21.3.2019 – 10 LA 46/18 –, juris Rn. 10 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29.4.2015 – 9 LA 201/13 – m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hält die folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>„Ergibt sich bei einem unrechtmäßigen Umbruch von Dauergrünland die Verpflichtung, die Fläche nach Wiederansaat 5 Jahre lang nicht umzubrechen und als Dauergrünland zu nutzen, unmittelbar aus dem Gesetz - Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 5 VO (EU) Nr. 639/2014 - oder bedarf es hierzu einer ausdrücklichen Regelung in einem Verwaltungsakt zur Rückumwandlung der Fläche?“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Zur weiteren Begründung dieses Zulassungsgrunds führt sie aus, dass wenn das Verwaltungsgericht richtigerweise angenommen hätte, dass sich die Verpflichtung aus dem Gesetz ergebe, es nicht das Feststellungsinteresse der Klägerin verneinen und die Klage nicht als unzulässig abweisen hätte dürfen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Damit hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Frage nicht dargelegt und sie ist auch nicht grundsätzlich bedeutsam im Sinne der obigen Ausführungen. Denn die Frage, aus deren Beantwortung die Klägerin die Zulässigkeit ihrer Klage herleiten möchte, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen, da die Klage - wie oben bereits dargestellt - unabhängig von der Beantwortung dieser Frage zulässig ist. Auch für die Begründetheit der Klage kommt es nicht auf die Beantwortung der Frage an, da unabhängig davon, woraus sich die Verpflichtung zur Nutzung der unrechtmäßig umgebrochenen Fläche als Dauergrünland ergibt, diese jedenfalls - wie oben bereits ausgeführt - nach § 16 Abs. 3 Satz 1 DirektZahlDurchfG nur mit einer Genehmigung umgewandelt werden durfte und die Klage unbegründet ist. Zudem ist die Frage bereits in der Rechtsprechung des Senats geklärt, wonach die Regelungen des Art. 44 VO (EU) 639/2014 den Ausführungen der Beklagten in ihren Bescheiden vorgehen (Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 160 ff.). Bei einer ohne Genehmigung umgewandelten Fläche wäre diese gemäß § 22 Satz 1 DirektZahlDurchfV bis zu dem auf die Umwandlung folgenden nach den Vorschriften über das Integrierte Verwaltungs- und Kontrollsystem maßgeblichen Schlusstermin für den Antrag auf Direktzahlungen rückumzuwandeln. Gemäß § 22 Satz 2 DirektZahlDurchfV wäre Art. 44 Absatz 3 Unterabsatz 5 VO (EU) Nr. 639/2014 jedenfalls entsprechend anzuwenden, wonach die (entgegen § 16 Abs. 3 DirektZahlDurchfG umgewandelte) Fläche ab dem ersten Tag der (Rück-)Umwandlung als Dauergrünland gilt und mindestens für 5 Jahre zum Anbau von Grünfutterpflanzen genutzt werden muss (vgl. Senatsbeschluss vom 11.3.2022 – 10 LC 46/21 –, juris Rn. 165).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>3. Den Zulassungsgrund besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat die Klägerin bereits nicht hinreichend dargelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Nach der Rechtsprechung des Senats liegt dieser Zulassungsgrund vor, wenn die Entscheidung der Streitsache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich überdurchschnittliche, d. h. das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 7.5.2019 – 10 LA 75/17 –, juris Rn. 18, und vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.1.2020 – 7 LA 7/19 –, juris Rn. 15, und vom 15.1.2020 – 9 LA 155/18 –, juris Rn. 41; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 –, juris Rn. 46) im Hinblick auf Fragen, die entscheidungserheblich sind (Senatsbeschluss vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; Sächsisches OVG, Beschluss vom 18.5.2018 – 3 A 113/18 –, juris Rn. 20; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 124 Rn. 28). Die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrunds erfordert dementsprechend eine konkrete Bezeichnung der Rechts- oder Tatsachenfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und Erläuterungen dazu, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen sollen (Senatsbeschluss vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 4.7.2018 – 13 LA 247/17 –, juris Rn. 18, vom 13.7.2017 – 8 LA 40/17 –, juris Rn. 26, und vom 24.6.2009 – 4 LA 406/07 –, juris Rn. 15; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.1.2020 – 7 LA 7/19 –, juris Rn. 15). Derartige Schwierigkeiten liegen insbesondere dann nicht vor, wenn sich die aufgeworfenen Rechtsfragen unschwer aus dem Gesetz (vgl. dazu auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.10.2016 – 5 ZB 16.1873 -, BeckRS 2016, 53484, und vom 14.2.2014 – 5 ZB 13.1559 –, NJW 2014, 1687 [1689 Rn. 19]) oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lassen (Senatsbeschlüsse vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 26 und vom 5.3.2020 – 10 LA 206/19 –, juris Rn. 24; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 124 Rn. 9).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Nach der Auffassung der Klägerin begründet die Auslegung des Bescheides vom 11. Dezember 2020 und die Auswirkungen auf ihr Feststellungsinteresse besondere rechtliche Schwierigkeiten, weil materiell-rechtliche Fragen zur Auslegung eines Verwaltungsakts prozessual zu bewerten seien, was über die in einem üblichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren sich stellenden Rechtsfragen hinausgehe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin besondere, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende rechtliche Schwierigkeiten nicht aufgezeigt. Zudem bedarf es für die Prüfung des Feststellungsinteresses der Klägerin keiner Auslegung des Verwaltungsakts und das Vorliegen des Feststellungsinteresses der Klägerin lässt sich auch, wie oben dargestellt, unschwer anhand der vorhandenen Rechtsprechung beantworten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006686&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
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ovgni-2022-08-01-10-la-2322
{ "id": 601, "name": "Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht", "slug": "ovgni", "city": null, "state": 11, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": null }
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"2022-08-01T00:00:00"
"2022-08-04T10:00:48"
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Beschluss
<div id="dokument" class="documentscroll"> <a name="focuspoint"><!--BeginnDoc--></a><div id="bsentscheidung"><div> <h4 class="doc">Tenor</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 1. Kammer – vom 12. Januar 2022 wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>Der Wert des Streitgegenstands wird für das Zulassungsverfahren auf 19.985,18 EUR festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <h4 class="doc">Gründe</h4> <div><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Klägerin, die einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Gesamtfläche von 299,8735 ha bewirtschaftet, wendet sich mit ihrer Klage dagegen, dass die Basisprämie, die Umverteilungsprämie, die Greeningprämie und die Erstattung von Mitteln aus der Haushaltsdisziplin des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2016 in der Gestalt des bestandskräftigen Bescheids der Beklagten vom 15. Juni 2018 wegen Cross-Compliance-Verstößen gekürzt worden sind und begehrt unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 28. Dezember 2016 die ungekürzte Bewilligung dieser Zuwendungen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Beklagte hat die Cross-Compliance-Verstöße darin gesehen, dass die Klägerin mehrere in einem FFH-Gebiet liegende Grünlandflächen ihres landwirtschaftlichen Betriebes “totgespritzt“ und anschließend gefräst und außerdem wiederholt die im Hinblick auf Veränderungen ihres Rinderbestandes erforderlichen Meldungen nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 7 Tagen an die zentrale Datenbank übermittelt habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat der Klage in geringem Umfang stattgegeben und sie ganz überwiegend abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Der Antrag hat keinen Erfolg. Denn die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter 1.), besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (dazu unter 3.), einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu unter 2.) und möglicherweise eines Verfahrensmangels im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (dazu unter 1.) nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ergeben sich nicht aus dem Vorbringen der Klägerin.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Beschluss vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11.7.2013 – 8 LA 148/12 –, juris Rn. 9). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Stattgebende Kammerbeschlüsse vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 16, und vom 16.10.2017 – 2 BvR 2615/14 –, juris Rn. 19; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, juris Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 7; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, Rn. 3 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 – 7 AV 4.03 –, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (ständige Rechtsprechung des Senats vgl. etwa Beschlüsse vom 5.2.2020 – 10 LA 108/18 –, juris Rn. 15, und vom 21.3.2019 – 10 LA 46/18 –, juris Rn. 2, jeweils m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, juris Rn. 3).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Bezieht sich das Vorbringen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel hinsichtlich einer Tatsachenfeststellung auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- bzw. Beweiswürdigung, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn der erkennende Senat die vom Verwaltungsgericht nach zutreffenden Maßstäben gewürdigte Sachlage nach einer eigenen etwaigen Beweisaufnahme möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht selbst (Senatsbeschluss vom 5.3.2020 – 10 LA 142/18 –, juris Rn. 4). Denn sonst wäre die Berufung gegen Urteile, die auf einer Sachverhalts- oder Beweiswürdigung beruhen, regelmäßig nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, was mit Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung nicht vereinbar wäre (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, juris Rn. 27 m.w.N.; Sächsisches OVG, Beschluss vom 13.10.2015 – 3 A 299/14 –, juris Rn. 19; vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.12.2019 – 20 ZB 19.602 –, juris Rn. 5). Die Freiheit richterlicher Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) findet ihre Grenzen im anzuwendenden Recht und dessen Auslegung sowie in Bestimmungen, die den Vorgang der Überzeugungsbildung leiten (BVerwG, Urteil vom 22.5.2019 – 1 C 11.18 –, juris Rn. 27). Eine Sachverhalts- oder Beweiswürdigung kann deshalb nur mit Erfolg angegriffen werden bei Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 13.2.2020 – 13 LA 491/18 –, juris Rn. 27 m.w.N., und Beschluss vom 18.1.2017 – 8 LA 162/16 –, juris Rn. 27; Sächsisches OVG, Beschluss vom 13.10.2015 – 3 A 299/14 –, juris Rn. 19; vgl. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.1.2020 – 10 ZB 19.1599 –, juris Rn. 7). Allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt sei anders zu bewerten, genügt daher nicht den Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrunds ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.1.2020 – 10 ZB 19.1599 –, juris Rn. 7).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Diesen Darlegungserfordernissen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin meint, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei nur oberflächlich begründet worden, ist dies angesichts dessen, dass das Verwaltungsgericht das angefochtene Urteil nicht nur sehr umfangreich begründet, sondern die entscheidungserheblichen Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auch sehr detailliert und vertieft behandelt hat, nicht ansatzweise nachvollziehbar.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Nicht nachvollziehbar ist auch ihr Einwand, das Verwaltungsgericht habe die gesetzliche Systematik verkannt. Das bundesdeutsche und das europäische Naturschutzrecht habe nicht die Vernichtung der leistungsfähigen Landwirtschaft als Zielsetzung. Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (FFH-Richtlinie) enthalte in der Anlage die Auflistung von Lebensraumtypen, die aber keine rechtliche Geltung und Wirkung im deutschen Inland hätten. Es bedürfe vielmehr der demokratisch legitimierten Entscheidung darüber, wie denn mit diesen Lebensraumtypen umgegangen werden solle. Es bedürfe deshalb der Aufstellung eines sogenannten Landschaftspflege- und Entwicklungsplans, der hier zum Zeitpunkt der ihr angelasteten Verstöße noch nicht vorgelegen habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Abgesehen davon, dass die Klägerin sich mit diesem Vorbringen nicht konkret mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Ineinandergreifen der europäischen und bundesdeutschen Vorschriften befasst hat, wie dies zur Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung erforderlich ist, ist der Einwand der Klägerin auch unzutreffend. Denn das Verwaltungsgericht hat die gesetzliche Systematik zutreffend erkannt und zu Recht ausgeführt, dass die FFH-Richtlinie durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) umgesetzt worden ist. Nach § 32 Abs. 2 BNatSchG sind die in die Liste nach Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 3 der FFH-Richtlinie aufgenommenen Gebiete (Natura 2000-Gebiete) nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 BNatSchG können Teile von Natur und Landschaft nach Maßgabe des § 26 BNatSchG als Landschaftsschutzgebiet geschützt werden. Dem ist hier der Landkreis Lüneburg durch Erlass der u. a. Teilbereiche des FFH-Gebiets Nr. 71 „Ilmenau mit Nebenbächen“ umfassenden Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet des Landkreises Lüneburg vom 23. Mai 2011 nachgekommen. Nach § 26 Abs. 2 BNatSchG sind in einem Landschaftsschutzgebiet unter besonderer Beachtung des § 5 Abs. 1 und nach Maßgabe näherer Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, unzulässig. In § 2 Abs. 1 der genannten Landschaftsschutzgebietsverordnung des Landkreises Lüneburg sind die verbotenen Handlungen aufgeführt, die den Charakter des Landschaftsschutzgebiets verändern oder die dem Schutzzweck nach § 1 zuwiderlaufen. In § 2 Abs. 2 der Verordnung sind außerdem die speziellen Schutzbestimmungen in den FFH-Gebieten aufgeführt, wonach u. a. auf Grünland das Umbrechen zur Erneuerung der Grasnarbe verboten ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 b)), wogegen die Klägerin nach den Feststellungen der Beklagten und des Verwaltungsgerichts in erheblicher Weise verstoßen hat. Damit hat die Klägerin nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zugleich gegen die Grundanforderungen an die Betriebsführung gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 in den Bereichen Umweltschutz (Abs. 1 a)) und Gesundheit (Abs. 1 b)) verstoßen. Eine solche Nichterfüllung der Cross-Compliance-Vorschriften hat gemäß Art. 91 dieser Verordnung Verwaltungssanktionen zur Folge, wie sie hier von der Beklagten in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28. Dezember 2016 in der Gestalt des bestandskräftigen Bescheids vom 15. Juni 2018 festgesetzt worden sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Danach hat das Verwaltungsgericht die Systematik der zu beachtenden europarechtlichen und bundesdeutschen Vorschriften zutreffend erkannt und angewandt. Hierfür bedurfte es keiner weiteren „demokratisch legitimierten Entscheidung darüber, wie denn mit diesen Lebensraumtypen umgegangen werden soll“, durch einen Landschaftspflege- und Entwicklungsplan. Auch kann von einer „Vernichtung der leistungsfähigen Landwirtschaft“ keine Rede sein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hat die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand, das Verwaltungsgericht habe fälschlicherweise angenommen, dass die Schläge 1316, 1324 und 1325 gefräst worden seien, begründet. Sie führt diesbezüglich an, es sei gänzlich unerfindlich, wie das Verwaltungsgericht zu der Erkenntnis gelangt sei, dass sich aus dem Vortrag der Beklagten und den beigezogenen Akten hinreichend präzise ergebe, dass die Schläge 1316 und 1324 bereits im Zeitpunkt der Kontrollen im August 2016 vollständig gefräst worden seien und bis zu den Kontrollen im September 2016 erneut gefräst worden seien. Hieraus könne daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen die Cross-Compliance-Vorschriften nicht hergeleitet werden. Soweit das Verwaltungsgericht ihren eigenen Vortrag gewürdigt habe, wonach sie angeblich ein Fräsen von Grünland grundsätzlich eingeräumt haben soll, habe das Verwaltungsgericht diesen offenbar falsch verstanden und hätte ohne weiteres in der mündlichen Verhandlung nachfragen und eine Aufklärung herbeiführen können. Tatsächlich habe sie das Fräsen aller Flächen immer wieder bestritten. Das Verwaltungsgericht könne nicht einfach behaupten, dass sie das Fräsen vor dem 2. Kontrolltermin eingeräumt habe und tatsächlich gefräst habe. Der von der Beklagten angenommene und für die Höhe der Sanktion maßgebliche Vorsatz, der dann vorgelegen hätte, wenn sie zwischen dem 1. und dem 2. Kontrolltermin gefräst hätte, weil sie dann hätte wissen müssen, dass sie nicht fräsen durfte, habe keine Grundlage, da die Flächen von ihr nicht gefräst worden seien und sie dies auch zu keinem Zeitpunkt vorgetragen oder eingeräumt habe. Ein wiederholtes Fräsen der Flächen ergebe auch keinen Sinn.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin bereits deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts hinreichend dargelegt, weil sie nicht dargetan hat, dass das Verwaltungsgericht mit seiner Tatsachenfeststellung, dass zur Überzeugung der Kammer aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens feststehe, dass die Klägerin die Schläge 1316, 1324 und 1325 im Antragsjahr 2016 gefräst habe, gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder seiner Feststellung einen aktenwidrig angenommenem Sachverhalt zugrunde gelegt hat oder seine Sachverhalts- und Beweiswürdigung offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist. Denn die Klägerin hat sich schon nicht konkret mit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung und den diesbezüglichen Argumenten des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, vielmehr lediglich ihre eigene Sichtweise dargestellt und pauschal behauptet, dass die Annahmen des Verwaltungsgerichts falsch seien, weil sie stets das Fräsen der genannten Schläge bestritten habe und „gänzlich unerfindlich“ sei, wie das Verwaltungsgericht zu der gegenteiligen Annahme gelangt sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Entgegen der Behauptung der Klägerin ist jedoch die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gut nachvollziehbar und überzeugend. Unabhängig von der nicht hinreichenden Darlegung des Zulassungsgrunds bestehen daher insoweit ohnehin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Dieses hat insoweit maßgeblich auf die Feststellungen im Rahmen der zweimal von der Unteren Naturschutzbehörde und zweimal von der Beklagten durchgeführten Kontrollen abgestellt, die nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zusammengefasst die folgenden Ergebnisse hatten: Am 10. August 2016 führte ein Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Lüneburg eine Kontrolle durch und stellte fest, dass auf den Flurstücken D. (= Schlag 1325), E. (= Schlag 1324) und F. (= Schlag 1316) Grünland abgetötet und gefräst worden ist. In dem Zeitraum vom 17. bis 19. August 2016 führte eine Prüferin der Beklagten eine Vor-Ort-Kontrolle des Betriebes der Klägerin durch und stellte nach Vermessung der Schläge fest, dass die Schläge 1316 und 1324 sowie – mit Ausnahme einer Inselfläche von 0,543 ha – auch der Schlag 1325 totgespritzt, organisch gedüngt und gefräst worden seien. Am 7. September 2016 führte die Untere Naturschutzbehörde eine weitere Kontrolle durch mit dem Ergebnis, dass die Arbeiten auf den Schlägen, deren Einstellung sie angeordnet habe, fortgesetzt worden seien. Das totgespritzte Grünland sei nun komplett gefräst worden. Einige Bereiche, die bereits zum Zeitpunkt der 1. Kontrolle im August 2016 gefräst worden seien, seien erneut gefräst worden. Auch die Prüferin der Beklagten nahm am 29. September 2016 eine weitere Vor-Ort-Kontrolle vor mit dem Ergebnis, dass die Schläge 1316 und 1324 zwischenzeitlich gefräst und neu eingedrillt worden seien und die Grünlandsaat bereits ausgelaufen sei. Der Schlag 1325 sei nun komplett gefräst, neu eingedrillt und die Grünlandsaat sei bereits ausgelaufen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Die letztgenannten Feststellungen hat die Prüferin der Beklagten handschriftlich in die Anlage F ihres Prüfprotokolls vom 29. September 2016 aufgenommen. Es ist daher entgegen der Ansicht der Klägerin ohne Belang, dass ein Mitarbeiter der Beklagten in einer von ihm geführten und von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Flächenübersicht gemäß den Angaben der Prüferin eigene Eintragungen vorgenommen und er sich hierbei nach Meinung der Klägerin möglicherweise geirrt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Außerdem berücksichtigte das Verwaltungsgericht noch Lichtbilder, die bei den Kontrollen am 10. August 2016 sowie in den Zeitraum vom 17. bis 19. August 2016 aufgenommen worden sind und die Ergebnisse der durchgeführten Kontrollen bestätigen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht ist auch auf die Einwendungen der Klägerin eingegangen und hat zu diesen ausgeführt, dass die Klägerin, die ein Fräsen des Grünlands grundsätzlich eingeräumt habe, keine Umstände vorgetragen habe, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten, da sie nicht konkret vorgetragen habe, welche Arbeiten, in welchem Umfang, auf welchen Flächen und zu welchen Zeitpunkten sie durchgeführt habe bzw. habe durchführen lassen, und damit die Ergebnisse der Kontrollen nicht in Frage gestellt habe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich der subjektiven Umstände auf Seiten der Klägerin hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Kammer zu der Überzeugung gelangt sei, dass dem Verstoß gegen die FFH-Richtlinie ein Verursachungsbeitrag zugrunde liege, der der Klägerin zuzurechnen sei, und dass sie jedenfalls im Hinblick auf die Bodenarbeiten vorsätzlich gehandelt habe, mit denen die auf dem Schlag 1325 zunächst verbliebene Inselfläche im Zeitraum zwischen August 2016 und September 2016 umgebrochen worden sei, da ihr zum Zeitpunkt des Umbruchs dieser Inselfläche bewusst gewesen sei, dass sich diese Fläche in einem FFH-Gebiet befinde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind ohne weiteres nachvollziehbar und überzeugend und durch das pauschale Vorbringen der Klägerin nicht ernstlich in Frage gestellt worden. Aufgrund der Ergebnisse der insgesamt 4 Kontrollen auf den Flächen der Klägerin bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin das Grünland auf den genannten Schlägen “totgespritzt“ und gefräst und dabei zumindest hinsichtlich des Schlags 1325 einen vorsätzlichen Cross-Compliance-Verstoß begangen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Nach dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt hat dieses entgegen der Ansicht der Klägerin auch keinen Anlass gehabt, ihr einen Hinweis zu erteilen, dass ihr Vorbringen nicht hinreichend substantiiert sei. Denn es lag für die bereits im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Klägerin auf der Hand, dass es hinsichtlich der streitgegenständlichen Sanktionen maßgeblich darauf ankommt, inwieweit sie das Fräsen der streitgegenständlichen Flächen zu verantworten hat. Unabhängig davon war das Verwaltungsgericht aber ohnehin nicht verpflichtet, vorab auf die von ihm beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Senatsbeschluss vom 30.12.2020 – 10 LA 275/20 –, juris Rn. 5 m.w.N.). Es liegt daher insoweit auch weder ein Gehörsverstoß noch ein Verstoß gegen die Pflichten nach § 86 Abs. 3 VwGO vor, die die Klägerin zur Begründung ihrer Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, aber möglicherweise auch zur Geltendmachung eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend gemacht hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Auch soweit die Klägerin sich gegen die Ablehnung ihrer Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung wendet, ist unklar, ob sie damit allein ihre Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils weiter begründen will oder ob sie zusätzlich einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) in der Form der Verletzung rechtlichen Gehörs geltend machen will. Dies kann jedoch dahinstehen, da die Ablehnung der Beweisanträge unter keinem Gesichtspunkt rechtlichen Bedenken begegnet und keinen dieser Zulassungsgründe begründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Es liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung der Beweisanträge vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2004 - 2 BvR 779/04 -, juris Rn. 20). Damit soll gewährleistet werden, dass die Gerichtsentscheidung frei von Fehlern ergeht, die ihren Grund in einer unterlassenen Kenntnisnahme und einer Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Verfahrensbeteiligten haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.2.1980 - 1 BvR 277/78 - juris Rn. 10). Die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, besteht allerdings nicht, soweit das Vorbringen aus Gründen des formellen und materiellen Rechts unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - juris Rn. 22). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt auch nicht vor jeder aus Sicht eines Beteiligten sachlich unrichtigen Ablehnung eines Beweisantrags (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.10.1987 - 9 CB 20.87 -, juris Rn. 7). Holt das Gericht einen beantragten Beweis nicht ein, so liegt hierin grundsätzlich nur dann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bzw. der richterlichen Aufklärungspflicht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach dem Rechtsstandpunkt des entscheidenden Gerichts erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebotes im Prozessrecht keine Stütze findet. Eine tragfähige Stütze im Prozessrecht findet die Ablehnung eines Beweisantrags im Verwaltungsprozess regelmäßig dann, wenn der Beweisantrag entweder unzulässig ist oder die Gründe, auf die sich das Verwaltungsgericht in dem Beschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO gestützt hat, nach einfachem Verfahrensrecht die Zurückweisung des Beweisantrags rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.11.1978 - 1 BvR 158/78 -, juris Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 25.1.2016 - 2 B 34.14 u.a. -, juris Rn. 32 m.w.N.). Bei dieser Beurteilung ist insoweit von der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts auszugehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.7.2013 - 12 LA 174/12 -, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Art. 103 Abs. 1 GG bietet damit keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31.3.2006 – 1 BvR 2444/04 –, juris Rn. 19). So kann das Gericht auch in Verfahren, in denen der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, Beweisanträge unberücksichtigt lassen, wenn es die angebotenen Beweise nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis für nicht sachdienlich oder aus Rechtsgründen für unerheblich hält (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22.9.2009 – 1 BvR 3501/08 –, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 20.9.2018 – 10 LA 284/18 –, juris Rn. 26). Auch kann ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft gerichteter Beweisantrag nach tatrichterlichem Ermessen mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei abgelehnt werden (BVerwG, Beschlüsse vom 14.2.2022 – 1 B 49.21 –, juris Rn. 19 und vom 23.9.2019 – 1 B 40.19 –, juris Rn. 45; vgl. hierzu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.12.2020 – 1 A 3911/18.A –, juris Rn. 32). Ein Beweisantrag ist auch dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen (BVerwG, Beschlüsse vom 14.2.2022 – 1 B 49.21 –, juris Rn. 21 und vom 21.1.2020 – 1 B 65.19 –, juris Rn. 18). Einem Beweisantrag ist auch nur dann nachzugehen, wenn er hinreichend substantiiert ist (BVerwG, Beschluss vom 16.9.2020 – 5 PB 22.19 –, juris Rn. 21 m.w.N.). Dies ist nicht der Fall, wenn er so unbestimmt ist, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann. Solche Beweisanträge müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen (BVerwG, Beschluss vom 21.1.2020 – 1 B 65.19 –, juris Rn. 18). So liegt es etwa, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt, wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" behauptet worden sind (BVerwG, Beschlüsse vom 14.2.2022 – 1 B 49.21 –, juris Rn. 21 und vom 21.1.2020 – 1 B 65.19 –, juris Rn. 18). Die für einen Beweisantrag erforderliche Substantiierung erschöpft sich nicht in der Nennung eines bestimmten Beweismittels und der Behauptung einer bestimmten Tatsache, die das Beweisthema bezeichnet. Das Substantiierungsgebot verlangt vielmehr, dass die Tatsache vom Beteiligten mit einem gewissen Maß an Bestimmtheit als wahr und mit dem angegebenen Beweismittel beweisbar behauptet wird (BVerwG, Beschluss vom 14.9.2017 – 4 B 28.17 –, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 20.9.2018 – 10 LA 284/18 –, juris Rn. 26 m.w.N).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Beweisantrag, dass die Schläge 1316, 1324 und 1325 nicht gefräst worden seien, auch nicht am zweiten „vorgeworfenen Termin“ und dass alle drei Schläge bereits am ersten Tag und nicht am zweiten vorgeworfenen Termin bearbeitet worden seien, „allerdings nicht mit einer Fräse oder ähnlichem“, wegen des nicht hinreichend substantiierten Vortrags der Klägerin abgelehnt. Denn der Vortrag der Klägerin ist insoweit erheblich widersprüchlich und unklar. In ihrem Schriftsatz vom 4. April 2019 hat sie nämlich behauptet, sie habe – aber nur auf kleinen Teilen der streitigen Flächen, die restlichen Flächen seien entgegen den Behauptungen der Beklagten nicht bearbeitet worden – Maßnahmen durchgeführt, die der Erneuerung der vorhandenen, schadhaften Grünlandnarbe dienten. Zur Herstellung eines ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Zustandes seien die durchgeführten Maßnahmen erforderlich gewesen. Tatsächlich habe sie gefräst, aber nicht, wie immer wieder falsch behauptet werde, die gesamten Flächen oder große Teilbereiche, sondern nur einzelne Teilbereiche innerhalb von drei Flurstücken. Der Einsatz einer Fräse sei zwingend erforderlich gewesen, weil sich in den Bereichen, die gefräst worden seien, Wildschäden befunden hätten. Mit der in der mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2022 im Beweisantrag aufgestellten Behauptung, die Schläge nicht gefräst zu haben, die sie mit der Begründung des Zulassungsantrags dahingehend ausdrücklich bekräftigt hat, dass die Schläge „gar nicht“ gefräst worden seien, hat sie sich daher in einen eklatanten Widerspruch zu ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 4. April 2019 gesetzt. Es ist daher völlig unklar, was die Klägerin, im Hinblick auf das ihr vorgeworfene Fräsen der Flächen überhaupt behaupten will. Völlig unklar ist zudem, was die Klägerin mit der Bearbeitung der Flächen in dem genannten Beweisantrag meint bzw. in welcher konkreten Form die Flächen bearbeitet worden sein sollen. Gerade angesichts ihres Vortrags in dem Schriftsatz vom 4. April 2019 wären Ausführungen hierzu – unaufgefordert – erforderlich gewesen. Unklar ist weiterhin, in welchem Umfang bzw. hinsichtlich welcher (Teil-) Flächen und zu welchem bestimmten Zeitpunkt bzw. Zeitpunkten die Arbeiten durchgeführt worden sein sollen. Angesichts dieses erheblich widersprüchlichen und völlig unklaren Vortrags der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag zu Recht als nicht hinreichend substantiiert abgelehnt. Es hat sich hier (zudem) um einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag gehandelt, da der Beweisantrag “ins Blaue hinein“ geht, weil er so unbestimmt ist, dass erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen hätte aufdecken können.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Aus diesen Gründen hat das Verwaltungsgericht auch die weiteren Beweisanträge, dass keine der Flächen gefräst und bei keiner die Grünlandnarbe zerstört worden sei, dass weder sie noch einer ihrer Mitarbeiter einen Umbruch der Grünlandnarbe vorgenommen habe und das alle Bearbeitungen, die ihr bei der 2. Kontrolle vorgeworfen worden seien, nicht stattgefunden hätten, da sie die Flächen nicht gefräst und gar nicht bearbeitet oder nur mittels der Schlitzdrillinge bearbeitet habe, als nicht hinreichend substantiiert angesehen und zu Recht abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Dementsprechend hat die Klägerin auch keine Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, die Annahme eines aktenwidrigen Sachverhalts oder eine offensichtlich sachwidrige und damit willkürliche Sachverhalts- oder Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht dargelegt, sodass auch unter dem Gesichtspunkt ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung eine Zulassung der Berufung im Hinblick auf die Ablehnung der Beweisanträge nicht in Betracht kommt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Auch aus dem folgenden Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts: Das Verwaltungsgericht habe nicht wirklich die Beeinträchtigung des betroffenen Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen durch das ihr vorgeworfene Fräsen festgestellt. Es bedürfe zwingend der Ausfüllung der abstrakten Regelungen der Landschaftsschutzgebietsverordnung durch einen sogenannten Landschaftspflege- und Entwicklungsplan. Das vom Verwaltungsgericht behauptete Vorkommen des Kammmolches sei falsch. Das Verwaltungsgericht habe auch übersehen, dass das Wasserhaushaltsgesetz keinerlei Einschränkungen der Landwirtschaft in Überschwemmungsgebieten vorsehe. Hinsichtlich des Schutzzwecks des Gebiets habe das Verwaltungsgericht keinerlei Sachverhaltsfeststellungen getroffen, sondern lediglich pauschal von einem günstigen Erhaltungszustand des Gebietes gesprochen. Die Bewirtschaftungseinschränkungen seien auch nur dann wirksam, wenn sie für die Erhaltungsziele des Schutzgebietes wesentlich wären und wenn der betroffene Bereich ein für den Schutzzweck maßgeblicher Bestandteil des Gebiets wäre.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Wie bereits oben ausgeführt, bedarf es zur Annahme eines Cross-Compliance-Verstoßes durch den vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellten, wiederholten und erheblichen Verstoß gegen das Verbot des § 2 Abs. 2 Nr. 3 b) der genannten Landschaftsschutzgebietsverordnung des Landkreises Lüneburg nicht des von der Klägerin geforderten Landschaftspflege- und Entwicklungsplans. Denn das Verbot in der Landschaftsschutzgebietsverordnung, in den FFH-Gebieten Grünland zur Erneuerung der Grasnarbe umzubrechen, ist hinreichend bestimmt. Ein Verstoß dagegen hat – wie oben ausgeführt – die Nichterfüllung der Grundanforderungen an die Betriebsführung gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 zumindest in dem Bereich Umweltschutz (Abs. 1 a)) zur Folge, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte, die auf die Unwirksamkeit der Landschaftsschutzgebietsverordnung oder zumindest des hier streitgegenständlichen Umbruchverbots hinweisen könnten. Das Verwaltungsgericht hat zu diesem Verbot zutreffend ausgeführt, dass im Bereich der FFH-Gebiete zusätzlich als Schutzzweck die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Gebiete durch den Schutz und die Entwicklung der entsprechenden Lebensraumtypen und Arten gilt (§ 1 Abs. 4 der Verordnung), zu den geschützten Tierarten der Kammmolch gehöre, dessen Erhaltungszustand unter anderem von dem Vorhandensein geeigneter Landlebensräume mit extensivem Grünland (Anhang 2 der Verordnung) abhänge und das Erhaltungsziel sowie der Schutz der Lebensraumtypen der FFH-Gebiete und beispielsweise des Kammmolches als geschützte Art sich nur erreichen ließen, wenn der Grünlandumbruch verboten sei. Zu ergänzen ist, dass nach dem Anhang 2 der Landschaftsschutzgebietsverordnung zu den allgemeinen Erhaltungszielen des hier betroffenen FFH-Gebiets Nr. 71 „Ilmenau mit Nebenbächen“ die Erhaltung und Entwicklung artenreicher Grünlandbestände vorwiegend feuchter Standorte gehört und es auf der Hand liegt, dass durch ein Umbrechen von Grünland im FFH-Gebiet dieses Erhaltungsziel zumindest gefährdet ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Das pauschale Vorbringen der Klägerin, das vom Verwaltungsgericht behauptete Vorkommen des Kammmolches sei „falsch“ und die Bewirtschaftungseinschränkungen seien nur dann wirksam, wenn sie für die Erhaltungsziele des Schutzgebietes wesentlich wären und wenn der betroffene Bereich ein für den Schutzzweck maßgeblicher Bestandteil des Gebiets wäre, stellt die Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter keinem Gesichtspunkt in Frage, insbesondere ergeben sich daraus keine konkreten Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des genannten Verbots der Landschaftsschutzgebietsverordnung, das in Übereinstimmung mit den genannten Erhaltungszielen des FFH-Gebiets das gesamte Grünland unter Schutz stellt und nicht danach differenziert, ob der jeweils betroffene Bereich ein für den Schutzzweck maßgeblicher Bestandteil des Gebiets ist. Denn die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des gesamten Gebiets ist bereits dadurch indiziert, dass es Bestandteil des FFH-Gebiets ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 2.5.2017 – 4 KN 318/13 –, juris Rn. 43).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Der weitere Einwand der Klägerin, dass das Wasserhaushaltsgesetz keinerlei Einschränkungen der Landwirtschaft in Überschwemmungsgebieten vorsehe, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang, da dies die Wirksamkeit des hier maßgeblichen Verbots des Grünlandumbruchs nicht in Frage stellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Entgegen der Behauptung der Klägerin musste das Verwaltungsgericht auch nicht „wirklich“ die Beeinträchtigung des betroffenen Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen durch das ihm vorgeworfene Fräsen feststellen. Ausreichend ist vielmehr die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass die Klägerin gegen das Umbruchverbot in der wirksamen Landschaftsschutzgebietsverordnung des Landkreises Lüneburg verstoßen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht sich umfänglich und detailliert damit befasst, dass das Umbrechen der hier betroffenen Schläge zu einer erheblichen Beeinträchtigung des FFH-Gebiets Nr. 71 in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen konnte, weil das Fräsen zumindest vorübergehend die Grasnarbe zerstört, die biologische Vielfalt verringert und ferner das Wirkungsgefüge zwischen dem Kammmolch und seinem Habitat auf einer beachtlich großen Fläche von insgesamt 5,377 ha zerstört hat (Seiten 35-38 des Urteilsabdrucks), womit die Klägerin sich nicht konkret auseinandergesetzt und damit den oben dargelegten Darlegungserfordernissen nicht entsprochen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Diesen Darlegungserfordernissen hat die Klägerin auch nicht Genüge getan, soweit das Verwaltungsgericht zudem ausgeführt hat, dass das von der Klägerin durchgeführte Fräsen auch gegen § 34 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG verstoßen habe, weil es sich um ein Projekt im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe, welches vor seiner Durchführung auf seine Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Natura 2000-Gebiets hätte überprüft werden müssen. Letztere Ausführungen des Verwaltungsgerichts tragen seine Entscheidungen selbstständig, da das Verwaltungsgericht neben dem Verstoß gegen die Landschaftsschutzgebietsverordnung auch den Verstoß gegen § 34 Abs. 2 BNatSchG als die insoweit verhängten Sanktionen tragend angesehen hat. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, müssen jedoch hinsichtlich aller dieser Begründungen die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrunds erfüllt sein (Senatsbeschluss vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 18 m.w.N.), was hier nicht der Fall ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Denn im Rahmen der Begründung des Zulassungsgrunds ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin sich nicht mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts befasst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Im Rahmen der Begründung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin insofern lediglich ausgeführt, dass die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Projektbegriff fehlerhaft seien. Es sei schon nicht richtig, dass das Verwaltungsgericht landwirtschaftliche Tätigkeiten grundsätzlich als Projekte im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes eingestuft habe. Denn mit dieser Annahme wäre die Grundaussage getroffen, dass Landwirtschaft nichts mit Natur zu tun habe und grundsätzlich schädlich für die Natur sei. Das Verwaltungsgericht habe sich überhaupt nicht darum geschert, wie sich die fachliche Seite darstelle. Landwirtschaftliche Tätigkeit sei kein Projekt, sondern faktische Arbeitsausführung. Eine Ausweitung des Projektbegriffes im Sinne der Entscheidung des Verwaltungsgerichts würde dazu führen, jedwede Grenzziehung zu verwischen. Ein Landwirt benötige jedoch klare Regeln. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bedeute im Ergebnis, dass Verwaltung und Gericht darüber entschieden, was gute Natur und was schlechte Natur sei. Die Entscheidung habe die Folge, dass innerhalb geregelter Schutzgebiete Maßnahmen überhaupt nicht getroffen werden dürften. Der Landwirt müsste von morgens bis abends bei den vielen unterschiedlichen Arbeiten immer wieder Meldungen abgeben, um dann anschließend einen Monat abzuwarten, bis die Verwaltung eine Entscheidung getroffen habe oder die Genehmigungsfiktion eintrete. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Landwirt oft unter witterungsbedingtem Zeitdruck arbeite. Der Gesetzgeber habe aber den Landwirten das Leben nicht noch schwerer machen wollen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Diese pauschalen und durch bloße Wertungen gekennzeichneten Ausführungen gehen an der angefochtenen Entscheidung vorbei. Denn das Verwaltungsgericht hat die landwirtschaftliche Tätigkeit nicht grundsätzlich als Projekt im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG angesehen mit den von der Klägerin skizzierten Folgen. Es hat vielmehr in Übereinstimmung mit der von ihm zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts sowie der Kommentarliteratur ausgeführt, dass die landwirtschaftliche Bodennutzung nur ausnahmsweise dem Projektbegriff unterfällt, nämlich dann, wenn sie die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht berücksichtigt oder wenn anhand weiterer objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Plan oder Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt. Dies ist bei einer der „guten fachlichen Praxis“ nach § 5 Abs. 2 BNatSchG entsprechenden Bewirtschaftung gerade nicht der Fall.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>Hier hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Annahme eines Projekts im Sinne des § 34 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG im Einzelnen geprüft und festgestellt, dass das von der Klägerin durchgeführte Fräsen einen erheblichen Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne von § 14 BatSchG darstelle. Damit hat die Klägerin sich jedoch nicht konkret auseinandergesetzt und folglich insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts dargelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hat auch insoweit die oben wiedergegebenen Darlegungserfordernisse zur Begründung des Zulassungsgrunds der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht erfüllt, als sie weiter eingewandt hat, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Fräsen nicht mit Pflügen im Sinne des Artikels 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 der VO (EU) Nr. 1307/2013 gleichzusetzen sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Artikels 45 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1307/2013 lautet:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Die Mitgliedstaaten weisen in Gebieten, die unter die Richtlinie 92/43/EWG oder die Richtlinie 2009/147/EG fallen, einschließlich in Torf- und Feuchtgebieten, die in diesen Gebieten liegen, für das strikter Schutz erforderlich ist, umweltsensibles Dauergrünland aus, damit die Ziele der genannten Richtlinien erreicht werden können.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">Die Mitgliedstaaten können zur Gewährleistung des Schutzes von ökologisch wertvollem Dauergrünland beschließen, weitere sensible Gebiete außerhalb der unter die Richtlinien 92/43/EWG oder 2009/147/EG fallenden Gebiete, einschließlich Dauergrünland auf kohlenstoffreichen Böden auszuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">Betriebsinhaber dürfen Dauergrünland in Gebieten, die die Mitgliedstaaten gemäß Unterabsatz 1 und gegebenenfalls Unterabsatz 2 ausgewiesen haben, nicht umwandeln oder pflügen.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von dem Wortlaut des Artikels 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 VO (EU) Nr. 1307/2013, dessen grammatikalischer und systematischer Auslegung, der Funktions- und Wirkungsweise einer Fräse im Vergleich zum Pflug, der „Leitlinie zur Umsetzung von Festlegungen zu Dauergrünland im Rahmen von Zahlungen für den Klima- und Umweltschutz förderliche Landwirtschaftsmethoden (Greening) durch Mitgliedstaaten“ der Europäischen Kommission und des Sinn und Zwecks der Regelung unter Berücksichtigung der Begründungserwägungen der VO (EU) Nr. 1307/2013 ausgeführt, dass Pflügen im Sinne des Artikels 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 der VO (EU) Nr. 1307/2013 jede mechanische Bodenbearbeitung sei, die die Grünlanddecke zerstöre oder verändere, worunter auch das Fräsen falle.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>Mit dieser umfassenden Begründung des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin sich nicht konkret und im Einzelnen auseinandergesetzt und damit auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts begründet. Denn die Klägerin hat lediglich mit ihren Ausführungen zur Arbeits- und Wirkungsweise einer Fräse gemeint, dass das Fräsen in keinem Falle mit einem Pflügen gleichgesetzt werden könne, ohne sich mit den weiteren Begründungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Schon aus diesem Grund genügen die Ausführungen der Klägerin nicht den oben geschilderten Darlegungserfordernissen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p>Außerdem sind die Ausführungen der Klägerin zur Arbeits- und Wirkungsweise einer Fräse auch noch unzutreffend. Die Klägerin behauptet, eine Fräse arbeite nur zwei bis drei Zentimeter tief im Boden, sei lediglich in der Lage, die Oberfläche anzukratzen, und zerstöre entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Grünlandnarbe nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass auch eine Fräse (in der Regel) die Grünlandnarbe zerstört. Denn die Fräse ist ein Bodenbearbeitungsgerät, das ergänzend, aber auch anstelle des Pflugs oder anderer Bodenbearbeitungsgeräte eingesetzt werden kann. Mit der Fräse kann auch organisches Material (Erntereste, Gründüngung) eingearbeitet werden. Die meist etwa 15 cm langen, am äußeren Ende abgewinkelten Messer der Fräse rotieren um eine waagrechte Welle (Fräswelle) in Drehrichtung der Schlepperräder. Die Fräsmesser schneiden auch stark durchwurzelte Erde aus dem Boden heraus und werfen sie gegen ein Prallblech, wodurch der Boden gelockert, gekrümelt und vermengt wird. Mit Fräsen lässt der Boden sich in der Regel bis etwa 15 cm Tiefe bearbeiten, es gibt aber auch Ausführungen mit besonders großem Durchmesser der Fräswalze, die Bearbeitungstiefen bis etwa 30 cm zulassen (Wikipedia).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_51">51</a></dt> <dd><p>Pflügen ist dagegen das Lockern und Wenden der Ackerkrume mit Hilfe eines Pflugs. Durch Pflügen wird das Bodengefüge aufgelockert, indem der Boden in der jeweiligen Bearbeitungstiefe gewendet wird (Wikipedia). Die Pflugtiefe beträgt bei der Grundbodenbearbeitung zwischen 25 und 30 cm (Ratgeber 2011 der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, www.landwirtschaftskammer.de.)</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_52">52</a></dt> <dd><p>Der wesentliche Unterschied zwischen Fräsen und Pflügen ist demnach das Wenden des Bodens, das allein beim Pflügen stattfindet. Eine Grasnarbe wird aber (in der Regel) sowohl beim Fräsen als auch beim Pflügen zerstört.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_53">53</a></dt> <dd><p>Das Verwaltungsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, dass durch den Einsatz der Fräse hier ebenso wie beim Pflügen die Grasnarbe zerstört worden ist und das Fräsen daher im Hinblick auf den Schutz der FFH-Gebiete, dem auch Art. 45 Abs. 1 Unterabsätze 1 und 3 VO (EU) Nr. 1307/2013 und dessen Umsetzung in § 15 Abs. 1 DirektZahlDurchfG dienen, wegen der insoweit gleichen Wirkungsweise dem Pflügen gleichzusetzen ist. Dies könnte (neben den anderen vom Verwaltungsgericht angeführten Argumenten) für eine vom Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 VO (EU) Nr. 1307/2013, wonach nur das Umwandeln oder Pflügen von Dauergrünland in diesen Gebieten verboten ist, abweichende Auslegung dieser Vorschrift sprechen, braucht hier aber letztlich nicht entschieden zu werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_54">54</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin im Rahmen der Begründung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache weiter ausgeführt hat, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Grünlandumbruch keinen Bestand haben könnten, da sie dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz zuwiderliefen, beziehen sich diese Ausführungen wohl (auch) auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Fräsen der verfahrensgegenständlichen Flächen ein „Umbrechen zur Erneuerung der Grasnarbe“ im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 3 b) der Landschaftsschutzgebietsverordnung des Landkreises Lüneburg vom 23. Mai 2011 sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_55">55</a></dt> <dd><p>Auch insoweit hat die Klägerin sich jedoch schon nicht hinreichend mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, das ausgehend vom Wortlaut der genannten Verordnungsregelung, einer systematischen Auslegung und der Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Bestimmung sowie des Schutzzwecks der durch die Verordnung geschützten FFH-Gebiete, zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt ist, dass das nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 b) der Verordnung verbotene Umbrechen zur Erneuerung der Grasnarbe das hier durchgeführte, eine vollständige Zerstörung der alten Grasnarbe bewirkende Fräsen umfasst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_56">56</a></dt> <dd><p>Die Klägerin hat sich mit diesen Argumenten des Verwaltungsgerichts nur insoweit auseinandergesetzt, als sie – wie oben ausgeführt – unzutreffend angenommen hat, dass im Hinblick auf die streitige Zerstörung der Grasnarbe ein Fräsen von seiner Wirkungsweise her nicht mit dem Pflügen vergleichbar sei. Außerdem hat sie ausgeführt, dass nach § 2a Abs. 2 NAGBNatSchG ein Fräsen kein Grünlandumbruch sei. Doch auch letzteres Argument der Klägerin ist unzutreffend.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_57">57</a></dt> <dd><p>Der von der Klägerin angeführte § 2a Abs. 2 NAGBNatSchG lautet:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_58">58</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Ergänzend zu § 5 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist es bei der landwirtschaftlichen Nutzung verboten, an stark erosionsgefährdeten Hängen, auf Flächen in Überschwemmungsgebieten im Sinne des § 76 Abs. 2 und 3 des Wasserhaushaltsgesetzes, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie auf Moorstandorten Grünland im Sinne des Absatzes 1 umzubrechen. Nicht als Grünlandumbruch im Sinne des Satzes 1 gelten flache, bodenlockernde Verfahren zur Bodenbearbeitung bis 10 cm Tiefe zur Wiederherstellung der notwendigen Qualität der Grünlandnarbe.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_59">59</a></dt> <dd><p>Nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG ist bei der landwirtschaftlichen Nutzung auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungsgebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie auf Moorstandorten ein Grünlandumbruch zu unterlassen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_60">60</a></dt> <dd><p>Da – wie oben ausgeführt – das Fräsen (in der Regel) gerade kein flaches, lediglich bodenlockerndes Verfahren zur Bodenbearbeitung bis 10 cm Tiefe ist, kann aus § 2a Abs. 2 Satz 2 NAGBNatSchG von vornherein nichts zur Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 b) der Landschaftsschutzgebietsverordnung des Landkreises Lüneburg hergeleitet werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_61">61</a></dt> <dd><p>Im Übrigen verstößt auch nach der Auffassung des Senats das hier durchgeführte “Totspritzen“ der Flächen mit anschließendem – wiederholten – Fräsen gegen das Umbruchverbot des § 2 Abs. 2 Nr. 3 b) der Landschaftsschutzgebietsverordnung. Denn insoweit macht es keinen Unterschied, ob die Fläche zur „Erneuerung der Grasnarbe“ gefräst oder gepflügt worden ist. Denn in beiden Fällen wird die Grasnarbe umgebrochen, nämlich (in der Regel) zerstört, wobei im vorliegenden Fall die Zerstörung der Grasnarbe durch den vorherigen, nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts unzulässigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ökologisch noch bedenklicher ist. Fräsen läuft daher hier – wie vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt – den Zielen und Schutzzwecken der Landschaftsschutzgebietsverordnung und der mit dieser zu schützenden FFH-Gebiete mindestens ebenso zuwider wie Pflügen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_62">62</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts weiter einwendet, dass der Einsatz eines Totalherbizids im Jahr 2016 noch zulässig gewesen sei, ist schon nicht nachvollziehbar, welche Ausführungen des Verwaltungsgerichts damit in Frage gestellt werden sollen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_63">63</a></dt> <dd><p>Im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht angenommene Zerstörung der Grasnarbe durch das Fräsen hat es zutreffend ausgeführt, es rechtfertige keine andere Beurteilung, dass hier die Flächen zunächst totgespritzt und sodann mit der Fräse bearbeitet worden seien, da insoweit ein zeitlich-funktionaler Zusammenhang bestehe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_64">64</a></dt> <dd><p>Im Hinblick auf den vom Verwaltungsgericht ferner angenommenen Verstoß gegen § 12 Abs. 2 Sätze 1 und 2 PflSchG ist der Einwand der Klägerin ohne Belang, da das Verwaltungsgericht insoweit nicht ausgeführt hat, dass der Einsatz des Pflanzenschutzmittels generell unzulässig gewesen sei, sondern vielmehr festgestellt hat, dass die Klägerin gegen die genannte Vorschrift verstoßen habe, weil sie ein Pflanzenschutzmittel auf Freilandflächen, die weder landwirtschaftlich noch forstwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt worden seien, sowie unmittelbar an oberirdischen Gewässern ausgebracht habe (Seite 44 des Urteilsabdrucks). Mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin sich nicht befasst und damit insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts dargelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_65">65</a></dt> <dd><p>2. Auch der weitere von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist von ihr nicht hinreichend dargelegt worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_66">66</a></dt> <dd><p>Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich bislang noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch nicht geklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (Senatsbeschluss vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 31.8.2017 – 13 LA 188/15 –, juris Rn. 53). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie sich unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt (Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.6.2018 – 5 LA 149/17 –, juris Rn. 2, und vom 23.4.2018 – 7 LA 54/17 –, juris Rn. 30; Senatsbeschlüsse vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 32, und vom 13.1.2014 – 10 LA 48/12 –, juris Rn. 29; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 6.6.2018 – 2 BvR 350/18 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 7.7.2015 – 1 B 18/15 –, juris Rn. 3 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen hat der Antragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren, sowie zu begründen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 29 und vom 24.10.2017 – 10 LA 90/16 –, juris Rn. 55; vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 1.3.2016 – 5 BN 1.15 –, juris Rn. 2, vom 17.02.2015 – 1 B 3.15 –, juris Rn. 3, und vom 30.1.2014 – 5 B 44.13 –, juris Rn. 2, jeweils zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Darzustellen ist weiter, dass die Frage entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.8.2018 – 2 LA 212/17 –, juris Rn. 9; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 21.6.2018 – 5 LA 149/17 –, juris Rn. 2, und vom 23.4.2018 – 7 LA 54/17 –, juris Rn. 30; Senatsbeschluss vom 3.11.2011 – 10 LA 72/10 –, juris Rn. 24). Die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit der bezeichneten Frage im Berufungsverfahren setzt weiter voraus, dass substantiiert dargetan wird, warum sie im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (ständige Rechtsprechung des Senats: u.a. Senatsbeschluss vom 12.1.2022 – 10 LA 175/21 –, juris Rn. 8 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.1.2022 – 9 LA 29/20 –, juris Rn. 5). Die Begründungspflicht verlangt daher, dass sich der Zulassungsantrag mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu folgen ist (Senatsbeschluss vom 12.1.2022 – 10 LA 175/21 –, juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.5.2022 – 1 B 44.22 –, juris Rn. 14 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob eine als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage entscheidungserheblich ist, ist anhand der Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts zu prüfen, soweit gegen diese keine begründeten Rügen erhoben worden sind (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe u. a. Beschluss vom 21.2.2018 - 10 LA 78/17 - m.w.N.; ebenso Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29.4.2015 - 9 LA 201/13 - m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_67">67</a></dt> <dd><p>Diesen Darlegungserfordernissen hat die Klägerin bereits deshalb nicht entsprochen, weil sie eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage nicht formuliert hat, sondern vielmehr lediglich (nochmals) ausgeführt hat, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts fehlerhaft sei, weil es das Fräsen dem Pflügen gleichgestellt habe und ein Projekt im Sinne von § 34 Abs. 2 BNatSchG angenommen habe. Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Berufungsgerichts, aus verschiedenen umfangreichen Erwägungen des Zulassungsantragstellers zur angeblichen Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils die grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen herauszuarbeiten und selbst zu formulieren. Dies obliegt vielmehr dem anwaltlich vertretenen Zulassungsantragsteller, der die von ihm als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehenen Fragen zu formulieren und sodann konkret zu begründen hat, worin ihre allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_68">68</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin beispielsweise rügt, dass das Verwaltungsgericht fehlerhaft das Fräsen dem Pflügen gleichgestellt habe, ist bereits nicht ersichtlich, in welchem rechtlichen Zusammenhang dies erheblich sein und welche konkrete grundsätzlich klärungsbedürftige Frage sich hieraus ergeben soll. Denn diese Frage ist – wie oben ausgeführt – sowohl im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen das Umbruchverbot der Landschaftsschutzgebietsverordnung als auch im Hinblick auf Art. 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 VO (EU) Nr. 1307/2013 erheblich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_69">69</a></dt> <dd><p>Doch selbst wenn dem Vorbringen der Klägerin, dass das Verwaltungsgericht das Fräsen dem Pflügen gleichgesetzt und hierzu einen Leitsatz verfasst habe, die Frage entnommen werden könnte, ob das Fräsen dem Pflügen im Sinne des Art. 45 Abs. 1 Unterabsatz 3 VO (EU) Nr. 1307/2013 gleichgesetzt werden könne, hätte die Klägerin den oben ausgeführten Darlegungserfordernissen nicht entsprochen. Denn diese Frage wäre für den Senat im Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich. Entscheidungserheblich könnte nämlich allenfalls die Frage sein, ob das hier tatsächlich durchgeführte Totspritzen der Flächen mit dem dazu in einem zeitlich-funktionalen Zusammenhang stehende Fräsen eine Bodenbearbeitung ist, die dem Pflügen nach dem Sinn und Zweck des Art. 45 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1307/2013 gleichgesetzt werden könnte. Diese Frage lässt sich jedoch dem Vorbringen der Klägerin auch bei einer wohlwollenden Auslegung nicht entnehmen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_70">70</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin im Rahmen der Begründung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ferner rügt, dass die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Projektbegriff fehlerhaft seien, ist sie – wie oben ausgeführt – von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, da das Verwaltungsgericht nicht – wie von ihr angenommen – landwirtschaftliche Tätigkeiten grundsätzlich als Projekte im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes eingestuft hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_71">71</a></dt> <dd><p>Außerdem ist der Projektbegriff des § 34 Abs. 2 BNatSchG in Bezug auf landwirtschaftliche Tätigkeit, soweit er überhaupt einer über den Einzelfall hinausgehenden Klärung zugänglich ist, in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 3.3.2015 – 4 LC 39/13 –, juris Rn. 75 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Dieses hat hierzu in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 6. November 2012 (– 9 A 17. 11 –, juris Rn. 89) ausgeführt:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_72">72</a></dt> <dd><p style="margin-left:18pt">„Die landwirtschaftliche Bodennutzung ist im Regelfall nicht als Projekt im Sinne des § 48d Abs. 4 LG NRW, § 34 Abs. 2 BNatSchG, Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anzusehen (in diesem Sinne die Bundesregierung, BRDrucks 278/09 S. 203 f.; ebenso Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2011, § 34 Rn. 24; nicht eindeutig Gellermann, NuR 2007, 783). Der Europäische Gerichtshof hat mit Bezug auf die UVP-Richtlinie die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen als Projekte angesehen (Urteil vom 7. September 2004 - Rs. C-127/02 - Slg. 2004, I-7405 Rn. 24). Als Eingriff in Natur und Landschaft ist nach § 14 Abs. 2 BNatSchG die landwirtschaftliche Bodennutzung nicht anzusehen, wenn die Ziele des Naturschutzes berücksichtigt werden. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 BNatSchG erfüllt sind. Dieser Regelfall kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn Besonderheiten der landwirtschaftlichen Nutzung im konkreten Fall mit den naturschutzfachlichen Gegebenheiten nicht zu vereinbaren sind (vgl. Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 34 Rn. 4). Ist ein Natura 2000-Gebiet betroffen, hat die zuständige Behörde sicherzustellen, dass es nicht zu Veränderungen und Störungen kommt, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können (§ 33 Abs. 1 BNatSchG). Die Frage, ob von einer konkreten landwirtschaftlichen Nutzung eine solche Beeinträchtigung droht, ist zuvörderst eine naturschutzfachliche Frage, die der für die Unterschutzstellung zuständige Normgeber durch die Schutzgebietsausweisung und die Schutzgebietspflege zu regeln hat.“</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_73">73</a></dt> <dd><p>Soweit die Klägerin am Ende ihrer Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache noch darauf eingeht, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Pflügen sowie zum Grünlandumbruch keinen Bestand haben könnten, weil sie dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz zuwiderliefen, ist ebenfalls nicht ersichtlich, welche grundsätzlich klärungsbedürftige Frage die Klägerin damit aufwerfen will. Zudem ist der von der Klägerin insoweit angeführte § 2a Abs. 2 Satz 2 NAGBNatSchG hier ohnehin unter keinem Gesichtspunkt entscheidungserheblich, weil es hier nicht – wie oben ausgeführt – um ein lediglich bodenlockerndes Verfahren zur Bodenbearbeitung geht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_74">74</a></dt> <dd><p>3. Dem Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stattzugeben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_75">75</a></dt> <dd><p>Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn die Entscheidung der Streitsache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich überdurchschnittliche, d. h. das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen wird (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 6.10.2020 – 10 LA 275/19 –, juris Rn. 55, vom 7.5.2019 – 10 LA 75/17 –, juris Rn. 18, und vom 11.09.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.1.2020 – 7 LA 7/19 –, juris Rn. 15, und vom 15.1.2020 – 9 LA 155/18 –, juris Rn. 41; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 –, juris Rn. 46) im Hinblick auf Fragen, die entscheidungserheblich sind (Senatsbeschluss vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; Sächsisches OVG, Beschluss vom 18.5.2018 – 3 A 113/18 –, juris Rn. 20). Die ordnungsgemäße Darlegung dieses Zulassungsgrunds erfordert dementsprechend eine konkrete Bezeichnung der Rechts- oder Tatsachenfragen, in Bezug auf die sich solche Schwierigkeiten stellen, und Erläuterungen dazu, worin diese besonderen Schwierigkeiten bestehen sollen (Senatsbeschlüsse vom 6.10.2020 – 10 LA 275/19 –, juris Rn. 55, und vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 4.7.2018 – 13 LA 247/17 –, juris Rn. 18, vom 13.7.2017 – 8 LA 40/17 –, juris Rn. 26, und vom 24.06.2009 – 4 LA 406/07 –, juris Rn. 15; vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.1.2020 – 7 LA 7/19 –, juris Rn. 15). Derartige Schwierigkeiten liegen insbesondere dann nicht vor, wenn sich die aufgeworfenen Rechtsfragen unschwer aus dem Gesetz oder auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lassen (Senatsbeschlüsse vom 6.10.2020 – 10 LA 275/19 –, juris Rn. 55, vom 11.9.2018 – 10 LA 9/18 –, juris Rn. 28, und vom 23.1.2018 – 10 LA 21/18 –, juris Rn. 26; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 124 Rn. 9).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_76">76</a></dt> <dd><p>Daran gemessen hat die Klägerin besondere Schwierigkeiten der Rechtssache nicht dargelegt und solche bestehen auch nicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_77">77</a></dt> <dd><p>Entgegen der Auffassung der Klägerin belegt nicht allein der Umfang des Urteils des Verwaltungsgerichts besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache. Denn dieser ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin mehrere Cross-Compliance-Verstöße begangen hat, die das Verwaltungsgericht unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt hat, ohne dass die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und/oder die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_78">78</a></dt> <dd><p>Es handelt sich bei den hier anzuwendenden rechtlichen Grundlagen auch keineswegs um Vorschriften aus einer überdurchschnittliche Schwierigkeiten verursachenden “Spezialmaterie“, wie die Klägerin meint. Vielmehr handelt es sich um einen “normalen“ Fall aus dem Landwirtschaftsrecht, das nahezu immer den von der Klägerin herausgestellten europarechtlichen Bezug hat und die Kenntnis landwirtschaftlicher Fachbegriffe erfordert. Der vorliegende Fall ist deshalb nicht überdurchschnittlich schwierig, sondern bedarf lediglich eines besonderen Zeitaufwands wegen des Umfangs der von der Klägerin begangenen Cross-Compliance-Verstöße und der daraus folgenden Kürzungen ihrer verschiedenen landwirtschaftsrechtlichen Prämien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_79">79</a></dt> <dd><p>Besondere Schwierigkeiten der Rechtssache ergeben sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht weder den von der Klägerin als maßgeblich angesehenen Landschaftspflege- und Entwicklungsplan noch § 2a NAGBNatSchG bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat, weil beides hier nach dem oben Gesagten nicht entscheidungserheblich ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_80">80</a></dt> <dd><p>Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_81">81</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_82">82</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_83">83</a></dt> <dd><p>Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p></dd> </dl> </div></div> </div></div> <a name="DocInhaltEnde"><!--emptyTag--></a><div class="docLayoutText"> <p style="margin-top:24px"> </p> <hr style="width:50%;text-align:center;height:1px;"> <p><img alt="Abkürzung Fundstelle" src="/jportal/cms/technik/media/res/shared/icons/icon_doku-info.gif" title="Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen." onmouseover="Tip('<span class="contentOL">Wenn Sie den Link markieren (linke Maustaste gedrückt halten) können Sie den Link mit der rechten Maustaste kopieren und in den Browser oder in Ihre Favoriten als Lesezeichen einfügen.</span>', WIDTH, -300, CENTERMOUSE, true, ABOVE, true );" onmouseout="UnTip()"> Diesen Link können Sie kopieren und verwenden, wenn Sie <span style="font-weight:bold;">genau dieses Dokument</span> verlinken möchten:<br>https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/?quelle=jlink&docid=MWRE220006675&psml=bsndprod.psml&max=true</p> </div> </div>
346,554
ovgnrw-2022-07-29-15-b-117721
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
15 B 1177/21
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-09-14T10:01:38"
"2022-10-17T11:10:07"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0729.15B1177.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Hinsichtlich der Fragen zu 5. bis 8. wird das übereinstimmend für erledigt erklärte Eilverfahren eingestellt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist insoweit wirkungslos.</p> <p>Der Beschluss des Verwaltungsgerichts wird teilweise geändert.</p> <p>Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Auskunft zu den in der Email vom 28. März 2021 aufgeführten Fragen zu 1. bis 4. zu erteilen, allerdings mit Ausnahme der mit der Frage zu 3. begehrten „Nennung der Lieferanten“.</p> <p>Die Beschwerde der Antragstellerin und die Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin werden im Übrigen zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Antragstellerin zu 1/3 und die Antragsgegnerin zu 2/3.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I. Mit ihren Schriftsätzen vom 28. und 30. März 2022 haben die Beteiligten das Eilverfahren hinsichtlich der Fragen zu 5. bis 8. übereinstimmend für erledigt erklärt. Insoweit ist das Verfahren zur Klarstellung in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Dass die Erledigungserklärung der Antragstellerseite für die Frage zu 7. im Nachhinein durch Schriftsatz vom 4. April 2022 eingeschränkt worden ist, weil - wie es dort heißt - lediglich „Teil 1“ der Frage beantwortet worden sei, stellt die durch die zuvor abgegebenen Erklärungen eingetretene Erledigung nicht in Frage. Denn eine Erledigungserklärung kann nur solange widerrufen werden, wie die entsprechende Erklärung der Gegenseite dem Gericht noch nicht zugegangen ist.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2010 - 6 A 5.08 -, juris Rn. 14, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 19. Mai 2016 - 4 A 302/09 -, juris Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Für den Verfahrensbeteiligten, der sich einer Erledigungserklärung der Gegenseite wirksam angeschlossen hat, kommt ein Widerruf daher von vornherein nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (dazu 1.) und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (dazu 2.).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde der Antragstellerin bestehen keine Bedenken. Die vormalige Antragstellerin, die S.    N.   -I.       GmbH, ist infolge eines Parteiwechsels aus dem Verfahren ausgeschieden; an ihre Stelle ist die N1.    -Q.    GmbH getreten. Die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin haben mit ihren Schriftsätzen vom 12. und 15. Juli 2022 dargelegt, dass die S.    - und T.         aufgrund eines sog. Asset-Kaufvertrags durch die Mediengruppe N1.    -Q.    übernommen worden sei und von dieser weiterhin als Zeitung herausgegeben werde. Die S.    - und T.         verfolge das Verfahren als Imprint der N1.    -Q.    GmbH weiter.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Damit ist eine Antragsänderung in Form eines gewillkürten Parteiwechsels auf Antragstellerseite vorgenommen worden. Da die S.    -T.         auch nach ihrer Übernahme weiterhin keine eigene Rechtspersönlichkeit hat, ist nicht sie Antragstellerin im vorliegenden Verfahren, sondern die (nunmehr) hinter ihr stehende Gesellschaft.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Antragsänderung ist entsprechend § 91 Abs. 1 VwGO zulässig. Der gewillkürte Parteiwechsel auf der Kläger- bzw. Antragstellerseite ist als Unterfall der Klage- bzw. Antragsänderung entsprechend der Regelung des § 91 Abs. 1 VwGO grundsätzlich auch ohne Einwilligung des Beklagten bzw. Antragsgegners möglich, wenn das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 12.84 -, juris Rn. 5, und Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 7 B 68.00 -, juris Rn. 6.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der hier vorgenommene Parteiwechsel ist sachdienlich, so dass es nicht darauf ankommt, dass die Antragsgegnerin der Antragsänderung widersprochen hat.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Eine Antragsänderung im Beschwerdeverfahren ist analog § 91 Abs. 1 VwGO als sachdienlich anzusehen, wenn sie das Beschwerdegericht nicht mit einem vollständig neuen Streitstoff konfrontiert und darüber hinaus geeignet ist, den sachlichen Streit zwischen den Beteiligten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes endgültig auszuräumen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2018 - 9 B 1540/17 -, juris Rn. 13 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Streitstoff hat sich durch den Parteiwechsel nicht geändert. Die Antragsänderung trägt auch dazu bei, den sachlichen Streit im Eilverfahren zu klären und einen neuen Antrag nach § 123 VwGO damit entbehrlich zu machen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">2. Die Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache überwiegend Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen des zugrunde liegenden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Geht es wie hier nicht um eine nur vorläufige Maßnahme, sondern um eine endgültige Entscheidung, die die Hauptsache vorwegnimmt, ist dies im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist und das Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller schwere, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. März 2017 - 15 B 1112/15 -, juris Rn. 9, vom 6. Februar 2017 - 15 B 832/15 -, juris Rn. 4, und vom 19. September 2014 - 5 B 226/14 -, juris Rn. 5 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Grundsätzen ist die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung hinsichtlich der mit den Fragen zu 1. bis 4. geforderten Auskünfte überwiegend gerechtfertigt, weil die Antragstellerin insoweit einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat [dazu a)] und ihr auch der notwendige Anordnungsgrund zusteht [dazu b)].</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">a) Für die mit den Fragen zu 1. bis 3. begehrten Auskünfte hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch, jedoch mit Ausnahme der in der Frage zu 3. angesprochenen „Nennung der Lieferanten [dazu aa)]. Ein auf Auskunftserteilung, nicht nur Neubescheidung gerichteter Anordnungsanspruch besteht auch für die Frage zu 4. [dazu bb)].</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">aa) Der Anspruch auf Auskunftserteilung folgt hier unmittelbar aus dem Grundrecht der Pressefreiheit.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verleiht in seiner objektiv-institutionellen Dimension und in Ermangelung einer einfachgesetzlichen Regelung den Presseangehörigen einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden, soweit auf diese die Landespressegesetze mit den in ihnen enthaltenen Auskunftsanspruchsnormen wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes keine Anwendung finden. Nur der auf diese Weise gewährleistete, prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die für die Demokratie essentielle freie Presse in den Stand, die ihr zukommende Informations- und Kontrollfunktion auch gegenüber Bundesbehörden wirksam wahrzunehmen. Auf Grund dieses verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Presseangehörige auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch fordert eine Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall. Dabei kommt eine Bewertung des Informationsinteresses der Presse grundsätzlich nicht in Betracht. Zudem darf der Anspruch in seinem materiellen Gehalt nicht hinter demjenigen der im Wesentlichen inhaltsgleichen, auf eine Abwägung zielenden Auskunftsansprüche nach den Landespressegesetzen zurückbleiben. Entscheidend ist, ob dem Informationsinteresse der Presse schutzwürdige Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, die den Anspruch auf Auskunft ausschließen. Dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse können Belange entgegenstehen, die nach Maßgabe einer Abwägung mit dem Informationsinteresse der Presse ein schutzwürdiges öffentliches oder privates Interesse an der Geheimhaltung von Informationen begründen. Sie begrenzen diesen Auskunftsanspruch, sind von der auf Auskunft in Anspruch genommenen Behörde darzulegen und durch das Gericht grundsätzlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollumfänglich zu überprüfen. Schutzwürdige private Interessen, denen bei der durchzuführenden Abwägung Vorrang vor dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informationsinteresse der Presse zuzubilligen ist, können sich insbesondere aus den Grundrechten Dritter ergeben. Die praktische Konkordanz zwischen den konfligierenden Grundrechtspositionen der Presse und der privaten Dritten, die im Anwendungsbereich der Landespressegesetze auf einfachgesetzlicher Grundlage hergestellt werden kann, muss bei Auskunftsbegehren der Presse gegenüber Bundesbehörden mangels einer Regelung des Bundesgesetzgebers im einfachen Recht im Rahmen der Auslegung und Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergestellt werden. Setzt sich der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch im Rahmen der durchzuführenden Abwägung durch, ist verfassungsrechtlich determiniert, dass die Belange der Presse überwiegen. In diesem Fall erweist sich Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zugleich als hinreichende Ermächtigung für die mit der Auskunftserteilung verbundenen Eingriffe in die Grundrechte Dritter.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 8. Juli 2021 - 6 A 10/20 -, juris Rn. 18 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">(1) Die Antragstellerin ist als Verlegerin von Zeitungen, darunter die S.    - und T.         , berechtigt, einen presserechtlichen Auskunftsanspruch gegenüber der Antragsgegnerin geltend zu machen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Auf die vormalige Antragstellerin bezogen hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, es fehle an dem notwendigen Funktionsbezug zwischen Auskunftsfrage und Pressefunktion, weil die Fragen nicht vorrangig einem Presseanliegen dienten, sondern vielmehr gestellt worden seien, um die zivilrechtlichen Interessen des Geschäftsführers der S.    N2.      GmbH, Herrn Dr. Q1.       , in seiner anderen Funktion als Rechtsvertreter zahlreicher Lieferanten von Corona-Schutzmasken zu fördern. Dieser Einwand hat jedenfalls seit der Veräußerung der S.    - und T.         an die jetzige Antragstellerin keine Grundlage mehr. Dass die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin auch Lieferanten von Masken in zivilrechtlichen Verfahren gegen den Bund vertreten, zieht nicht in Zweifel, dass der streitgegenständliche Auskunftsanspruch von der Antragstellerin in ihrer Funktion als Presseorgan weiterverfolgt wird.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">(2) Der geltend gemachte Auskunftsanspruch zielt auch auf eine Mitteilung von Tatsachen.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Der presserechtliche Auskunftsanspruch bezieht sich nur auf Tatsachen und nicht auf Wertungen, so dass eine Behörde nicht verpflichtet ist, rechtliche Stellungnahmen zu bestimmten Fragen abzugeben.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu § 4 Abs. 1 PresseG NRW: OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1995 - 5 A 2875/92 -, juris Rn. 12 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verlangt die Beantwortung der Frage zu 1.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">„Wer wies wann die für das Open-House-Verfahren zuständigen Mitarbeiter der Antragsgegnerin an, trotz der zitierten Regelungen in § 5.1 und § 5.2 bei Anlieferung bis zum 30.04. bis zum 08.05.2020 die gelieferten Masken unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu bezahlen, diesen Passus nicht zu beachten und keine Zahlungen auszuführen, auch wenn bis dahin keine Qualitätsmängel bekannt waren?“</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">keine rechtliche Bewertung der Vertragskonformität der angesprochenen Anweisung. Sie knüpft vielmehr an eine - von dem Fragesteller angenommene - Anweisung an, für die bis zum 30. April 2020 angelieferten Masken den Passus in § 5.1 und § 5.2 nicht zu beachten und diese Masken nicht bis zum 8. Mai 2020 unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu bezahlen, auch wenn bis dahin keine Qualitätsmängel bekannt geworden sind. Die Existenz einer solchen Anweisung ist eine tatsächliche Frage. Der Zusatz „trotz der zitierten Regelungen in § 5.1 und § 5.2“ deutet lediglich darauf hin, dass der Fragesteller eine solche (unterstellte) Anweisung für vertragswidrig hält, nötigt die Antragsgegnerin indes nicht, sich diese Bewertung zu eigen zu machen, und hindert sie auch nicht, die Frage unter Ausklammerung einer solchen Bewertung faktenbasiert zu beantworten. Entsprechendes gilt für die Fragen zu 2. und 3. Auch wenn in der Frage zu 2.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">„Wer empfahl der/den unter 1. zu nennenden Person/Personen wann, die unter 1. beschriebene vertragswidrige Nichtzahlung mit dem Schutz der Bürger vor Qualitätsmängeln zu begründen?“</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">von einer „vertragswidrigen“ Nichtzahlung die Rede ist, zielt sie im Kern auf Tatsachen. Sie kann, sollte es eine zugrunde liegende Empfehlung gegeben haben, von der Antragsgegnerin ohne Verwendung des Attributs „vertragswidrig“ beantwortet werden, gegebenenfalls auch mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass mit der Antwort kein Zugeständnis einer „Vertragswidrigkeit“ verbunden ist. In ähnlicher Weise steht es der Antragsgegnerin frei, bei der Beantwortung der Frage zu 3.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">„In wie vielen Fällen (bitte Anzahl und Nennung der Lieferanten) waren trotz fristgerechter Lieferung zum Zeitpunkt 08.05.2020 keine Qualitätsmängel bekannt und es wurde gleichwohl nicht gezahlt?“</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">nur auf die angesprochenen Tatsachen abzustellen und das in der Fragestellung enthaltene „gleichwohl“ - in dem das Verwaltungsgericht eine „Selbstbewertung als vertragswidriges Verhalten“ gesehen hat - außer Acht zu lassen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">(3) Ein Hinderungsgrund für die Auskunftserteilung liegt lediglich insoweit vor, als die Antragstellerin mit der Frage zu 3. eine „Nennung der Lieferanten“ begehrt.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">(a) Die Offenbarung der beteiligten Lieferanten berührt deren schutzwürdige private Interessen an einer Geheimhaltung der Information.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfassen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse betreffen dabei im Wesentlichen technisches, Geschäftsgeheimnisse vornehmlich kaufmännisches Wissen. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse ist anzuerkennen, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, den Konkurrenten exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachhaltig zu beeinflussen (Wettbewerbsrelevanz). Der erforderliche Wettbewerbsbezug kann fehlen, wenn die Informationen abgeschlossene Vorgänge ohne Bezug zum heutigen Geschäftsbetrieb betreffen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 - 10 C 22.19 -, juris Rn. 13, und Beschluss vom 12. Februar 2021 - 20 F 1.20 -, juris Rn. 18, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Hier sind schutzwürdige Geschäftsgeheimnisse der Lieferanten betroffen. Ob diese geschäftliche Beziehungen zu der Antragsgegnerin hatten, die zu Zahlungsstreitigkeiten führten, ist ein nicht offenkundiger Umstand, an dessen Nichtverbreitung die Unternehmen ein berechtigtes kaufmännisches Interesse haben. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Internet eine Liste von Unternehmen veröffentlicht ist, die Maskengeschäfte mit der Bundesregierung getätigt haben sollen, welche von Bundestagsabgeordneten vermittelt wurden.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">https://fragdenstaat.de/blog/2021/04/27/erfolg-fur-aktion-ehrensache-gesundheitsministerium-gibt-maskenliste-frei/</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Denn zum einen ist nicht ersichtlich, dass das (einschränkende) Merkmal einer Vermittlung durch Bundestagsabgeordnete auf sämtliche Lieferanten zutrifft, die Liste also vollständig ist. Zum anderen würde durch die Beantwortung der Frage die zusätzliche Information gegeben, dass die benannten Unternehmen in Vertragsstreitigkeiten mit der Bundesregierung verwickelt sind.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Die Offenlegung der Information ist auch geeignet, die Wettbewerbsposition der betroffenen Unternehmen nachhaltig zu beeinflussen. Das Bekanntwerden der Geschäftsbeziehung und der Zahlungsstreitigkeiten erhöht das Risiko, dass in der Folge weitere geschäftliche Details im Zusammenhang mit der Lieferung in die Öffentlichkeit gelangen und Schlüsse auf die finanzielle Lage der Unternehmen ermöglicht werden, die diesen im Wettbewerb schaden könnten. Es geht hier auch nicht um abgeschlossene Vorgänge, die für den laufenden Geschäftsbetrieb keine Relevanz mehr haben.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">(b) Das Informationsinteresse der Antragstellerin muss bei der gebotenen Abwägung hinter dem Interesse der betroffenen Unternehmen an einer Geheimhaltung zurückstehen. Die Antragstellerin hat gewichtige pressemäßige Belange, die für eine Nennung der Lieferanten streiten und Vorrang gegenüber dem widerstreitenden Geheimhaltungsinteresse beanspruchen, nicht dargelegt. Ihrem Anliegen, zu „weiteren möglichen Unregelmäßigkeiten bei der Anbahnung der Open-House-Verträge und anderer Verträge über die Beschaffung von Schutzausrüstung sowie über die jeweilige Abwicklung der Verträge durch das BMG“ zu recherchieren (vgl. Antragsschrift vom 29. März 2021, S. 3), kann die Antragstellerin auch unter Geheimhaltung der Namen der Lieferanten nachgehen und sich insofern etwa weiterhin an das betroffene Bundesministerium wenden.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">(c) Eines Drittbeteiligungsverfahrens bedarf es nicht, um die widerstreitenden Interessen abwägen zu können.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">In seiner jüngeren Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht zum verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse entschieden, dass dieser es der auskunftspflichtigen Stelle grundsätzlich nicht gebietet, vor Erteilung oder Ablehnung der Auskunft die Betroffenen, deren private Interessen in die Abwägung mit dem Auskunftsinteresse der Presse einzustellen sind, anzuhören oder um deren Einwilligung in die Auskunftserteilung nachzusuchen. Danach ist die Anhörung der Betroffenen eines der der auskunftspflichtigen Stelle zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel für die Ermittlung und Gewichtung der privaten Interessen. Sie eröffnet zugleich den Betroffenen die Möglichkeit, noch vor der beabsichtigten Auskunftserteilung vorbeugenden gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Verbindet die auskunftspflichtige Stelle darüber hinaus die Anhörung mit der Aufforderung, sich zu einer Einwilligung in die Auskunftserteilung zu äußern, trägt dies dem Interesse des Anspruchsinhabers an einer weitestmöglichen Auskunftserteilung Rechnung. Denn die Einwilligung der Betroffenen könnte das Gewicht der schützenswerten Interessen in einem Maße verringern, dass sie der Auskunftserteilung nicht mehr entgegenstehen. Allerdings ist bei der Prüfung der Notwendigkeit derartiger prozeduraler Pflichten zu berücksichtigen, dass der materielle Gehalt des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse ein besonderes Gewicht hat und diese Grundrechtsposition der Presse nicht über das Verfahrensrecht ausgehöhlt oder entwertet werden darf. Die verfassungsrechtliche Aufgabe der Presse, die ihr zukommende Informations- und Kontrollfunktion, deren Wahrnehmung der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch dient, verbietet eine verfahrensrechtliche Ausgestaltung dieses Anspruchs, die dessen Zweck vereiteln oder maßgeblich gefährden würde. Eine anhörungsbedingte Verzögerung der Auskunftserteilung birgt die Gefahr in sich, dass die Presse ihren Informations- und Kontrollauftrag mangels Aktualität im Zeitpunkt der Informationserteilung nicht mehr erfüllen kann. Eine Pflicht der auskunftspflichtigen Stellen, die Betroffenen vor der Auskunftserteilung anzuhören und um ihre Einwilligung nachzusuchen, wirkt sich hiernach nicht nur zu Gunsten, sondern auch zu Lasten der Effektivität der Aufgabenerfüllung der Presse aus. Dementsprechend ist eine Anhörung verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr trägt das dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch immanente Abwägungsmodell der Effektivität der Aufgabenwahrnehmung hinreichend Rechnung, indem es der auskunftspflichtigen Stelle die Aufgabe zuweist, die entgegenstehenden schützenswerten Interessen zu ermitteln und zu gewichten. Die Betroffenen sind insoweit auf den der Auskunftserteilung nachgelagerten Rechtsschutz verwiesen und können wegen der Bedeutung des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs keine Beteiligung verlangen, wie sie in § 8 IFG für den nicht grundrechtlich fundierten Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz in den Fällen der Betroffenheit schutzwürdiger Belange Dritter vorgesehen ist.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Juli 2021 - 6 A 10.20 -, juris Rn. 23 ff., und vom 28. Oktober 2021 - 10 C 5.20 -, juris Rn. 58.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Maßgaben bedarf es einer Anhörung der Betroffenen nicht. Auch ohne eine solche Drittbeteiligung besteht eine hinreichende Grundlage für die gebotene Abwägung.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">(4) Über die als Hilfsanträge gestellten Auskunftsbegehren zu den Fragen zu 9. bis 11. ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin mit den entsprechenden Hauptanträgen ganz überwiegend Erfolg hat. Auch soweit die Antragstellerin mit ihrem Begehren zu Frage 3. teilweise unterliegt, ist eine Entscheidung über den zugehörigen Hilfsantrag (Frage 11.) entbehrlich, weil dieser hinsichtlich der begehrten „Nennung der Lieferanten“ inhaltsgleich ist.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">bb) Die Beantwortung der Frage zu 4.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">„Auf wessen Veranlassung im Gesundheitsministerium wurde akzeptiert, dass die Firma P.      D.       GmbH lange nach dem 30. April 2020 anliefern konnte und diese gleichwohl bezahlt wurde?“</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">kann die Antragstellerin auf der Grundlage des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs der Presse ebenfalls verlangen</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">(1) Die Antragstellerin wendet zutreffend ein, dass ihre Frage mit dem Antwortschreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 14. März 2022 nicht vollständig beantwortet worden ist. Der darin enthaltene Verweis auf „Entscheidungen, die im Zusammenwirken beider Vertragspartner und den Dienstleistern des Bundes getroffen wurden“, lässt offen, auf wen die erfragte Veranlassung innerhalb des Ministeriums zurückgeht.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">(2) Hinderungsgründe, die einer Auskunftserteilung entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Insbesondere berührt die Beantwortung der Frage kein Geschäftsgeheimnis des genannten Unternehmens. Dass zwischen diesem und der Antragsgegnerin eine Geschäftsbeziehung im Zusammenhang mit dem Open-House-Verfahren zur Maskenbeschaffung bestanden hat, ist jedenfalls durch die schon benannte Internetveröffentlichung bereits bekannt. Allein die darüber hinausgehende Offenbarung, dass dem Unternehmen eine Anlieferung nach Ablauf der gesetzten Frist ermöglicht wurde, ist nicht dazu angetan, seine Stellung im Wettbewerb nachhaltig zu beeinflussen. Konkrete Umstände, die für eine andere Würdigung sprechen könnten, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">b) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Geht es - wie hier - nicht um eine nur vorläufige Maßnahme, sondern um eine endgültige Entscheidung, die die Hauptsache vorwegnimmt, ist ein Anordnungsgrund nur anzunehmen, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">In Fällen presserechtlicher Auskunftsansprüche darf an die Annahme eines schweren, die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Nachteils mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie das von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mitumfasste Selbstbestimmungsrecht der Presse hinsichtlich der Themenauswahl und der Entscheidung, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll, kein zu enger Maßstab angelegt werden. Demgemäß ist zwar einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend, dass für die begehrte Auskunft ein gesteigertes öffentliches Interesse vorliegt sowie ein starker Gegenwartsbezug besteht.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Januar 2019 - 15 B 624/18 -, juris Rn. 81, und vom 17. März 2017 - 15 B 1112/15 -, juris Rn. 58, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Demnach darf ein Verweis auf das Hauptsacheverfahren nicht dazu führen, dass eine begehrte Auskunft mit starkem Aktualitätsbezug ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. März 2018 - 6 VR 3.17 -, juris Rn. 11, und vom 26. Oktober 2017 - 6 VR 1.17 -, juris Rn. 13, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend liegt der erforderliche Gegenwartsbezug weiterhin vor. Die Thematik der Maskenbeschaffung durch das Bundesministerium für Gesundheit im sog. Open-House-Verfahren hat hochaktuelle Bedeutung. Die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden. Die zur ihrer Bewältigung ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung und Bundesministerialverwaltung - einschließlich der Beschaffung von Schutzmasken - sind nach wie vor Gegenstand des politischen und gesellschaftlichen Diskurses.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa Deutscher Bundestag, Drucksache 20/2176 vom 1. Juni 2022, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kathrin Vogler, Susanne Ferschl, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 20/1643 -, Maskenbeschaffung durch das Bundesministerium für Gesundheit.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">III. Die zulässige Anschlussbeschwerde der Antragsgegnerin bleibt in der Sache überwiegend erfolglos. Das ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zu II. 2.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der Kostenverteilung hat der Senat zum einen berücksichtigt, dass die Antragstellerin hinsichtlich ihres Auskunftsbegehrens zu den Fragen zu 1. bis 4. ganz überwiegend obsiegt hat. Zum anderen war mit Blick auf den erledigten, im Wesentlichen gleichgewichtigen Teil des Verfahrens (Fragen zu 5. bis 8.) zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der Erledigung insoweit als offen anzusehen waren; das gilt namentlich mit Blick darauf, zu welchen Ergebnissen ein Verzicht auf ein förmliches Drittbeteiligungsverfahren geführt hätte und wie der Umstand presserechtlich zu würdigen war, dass der Prozessbevollmächtigte der vormaligen Antragstellerin, Rechtsanwalt Dr. Q1.       , zugleich die seinerzeit hinter der S.    - und T.         stehenden Gesellschaft als Geschäftsführer repräsentierte.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).</p>
346,487
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5 K 1696/18
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-09-08T10:01:28"
"2022-10-17T11:09:56"
Urteil
ECLI:DE:VGAC:2022:0729.5K1696.18.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Kläger begehrt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens die Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Berufsqualifikation als Arzt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der am 00.00.0000 in ………………… geborene Kläger ist Staatsangehöriger Saudi-Arabiens. Er schloss das 2003 an der King Abdulaziz Universität in Jeddah begonnene Studium der Humanmedizin im Jahr 2009 mit dem Bachelor in Medizin und Chirurgie (MBBS) ab und absolvierte vom 1. August 2009 bis 31. Juli 2010  ein Praktikumsjahr. Nach der von der saudischen Kommission für Fachgebiete im Gesundheitswesen ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigung vom 27. Dezember 2010 ist der Kläger seit dem 17. Oktober 2010 bei der Kommission registriert und berechtigt im Königreich Saudi-Arabien als Allgemeinmediziner zu praktizieren.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Am 25. Februar 2011 reiste der Kläger mit einem Visum zum Zwecke der Absolvierung eines Sprachkurses mit anschließender Weiterbildung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Unter dem 7. November 2011, eingegangen am 18. November 2011 beantragte er über die saudische Botschaft bei der Bezirksregierung Köln die Erteilung der Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs für eine sechsjährige medizinische Facharztausbildung auf dem Gebiet der "Plastischen und Ästhetischen Chirurgie" an der Universitätsklinik………, Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie (im Folgenden: Klinik für Plastische Chirurgie) bei Prof. Dr. Dr……….. Die saudische Botschaft bescheinigte am 10. November 2011, dass der Kläger bis zum Abschluss seiner medizinischen Weiterbildung zum Facharzt der Plastischen Chirurgie ein monatliches Stipendium in Höhe von ca. 1.804,47 € sowie einmal jährlich ein Rückflugticket erhalte; darüber hinaus erklärte sie die Kostenübernahme für eventuelle medizinische/zahnmedizinische Behandlungen in Deutschland. Dem Antrag waren u.a. beigefügt:</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">- eine Bescheinigung des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie vom 4. November 2010, in der die Bereitschaft erklärt wird, den Kläger für eine Weiterbildung auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie aufzunehmen; die Ausbildung umfasse nach der Weiterbildungsordnung sechs Jahre und sei zunächst für die Dauer eines Jahres vereinbart, vorausgesetzt sei die Gewährung eines Stipendiums und gute deutsche Sprachkenntnisse; im Übrigen würden für die Facharztausbildung einschließlich der akademischen Fortbildungsveranstaltungen 30.000,-- € als jährliche Vorauszahlung in Rechnung gestellt;</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">- eine Bescheinigung des saudischen Ministeriums für Gesundheit vom 23. November 2010, wonach Saudi-Arabien Bedarf an qualifizierten praktischen Ärzten auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie habe und der Kläger gegenüber der Regierung des Landes schriftlich versichert habe, dass er nach Beendigung der Ausbildung in Deutschland nach Saudi-Arabien zurückkehren werde und beabsichtige, Medizin im gesuchten Fachgebiet zu praktizieren.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Zu seiner Ausbildung im Heimatland legte der Kläger folgende Urkunden mit deutscher Übersetzung vor:</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">- Studienabschlusszeugnis vom 10. August 2010,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">- Praktikumszeugnis vom 1. August 2010,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">- Notenübersicht/Transcript des Dekanats für Zulassung und Einschreibung der King Abdulaziz Universität, ausgedruckt am 10. August 2010.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 2. Februar 2012 erteilte die - vormals zuständige - Bezirksregierung Köln die beantragte Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 der Bundesärzteordnung, beschränkt auf eine nicht selbstständige und nicht leitende Tätigkeit unter Aufsicht, Anleitung und Verantwortung einer approbierten Ärztin oder eines approbierten Arztes zum Zwecke der Weiterbildung im Universitätsklinikum…….., Klinik für Plastische Chirurgie für die Zeit vom 2. Februar 2012 bis zum 1. Februar 2014. Mit Bescheid vom 27. Januar 2014 verlängerte die Bezirksregierung Köln die erteilte Berufserlaubnis bis zum 1. Februar 2016.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Unter dem 27. November 2014 beantragte der Kläger bei der Bezirksregierung Köln die Erteilung der ärztlichen Approbation. Als beabsichtigten Tätigkeitsort nannte der Kläger die Klinik für Plastische Chirurgie der……..; er versicherte bei keiner anderen Behörde in der Bundesrepublik einen Approbationsantrag gestellt zu haben. Neben den bereits zum Antrag auf vorläufige Berufserlaubnis eingereichten Unterlagen legte der Kläger u.a. vor</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">- ein Zwischenzeugnis des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie vom 10. November 2014</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">sowie folgende undatierte arabische Urkunden:</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">- eine Bescheinigung der King Abdulazis Universität, wonach der Kläger seinen Abschluss an der Medizinischen Fakultät erworben habe, nachdem er 14 Semester studiert und danach das einjährige Praktikum absolviert habe; daher sei der "Studiengang ausführlich mit den Kontaktstunden für jedes besuchte Fach" im anliegenden Curriculum aufgeführt,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">- Curriculum, das die absolvierten Kursnummern, den Kursnamen, teilweise mit Untergliederungen und die Stundenzahl (Theorie/Praxis/Gesamt) für die Studienjahre eins bis sechs ausweist,</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">- eine Bescheinigung der King Abdulazis Universität zum praktischen Jahr, das die klinischen Teilgebiete mit den absolvierten Monaten bzw. Stunden benennt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Da verschiedene Unterlagen nicht in der vorgeschriebenen Form eingereicht worden waren, erteilte die Bezirksregierung mit Mail vom 19. Dezember 2014 Hinweise zur erforderlichen amtlichen Beglaubigung sowie zur Einreichung fremdsprachiger Dokumente.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der von der Bezirksregierung Köln nach Vorlage der Unterlagen in korrekter Form mit der Prüfung der Gleichwertigkeit der Ausbildung des Klägers beauftragte Gutachter Prof. Dr………., TU Berlin kommt in seinem Gutachten vom 12. Februar 2015 zum Ergebnis, dass das Studium des Klägers einem deutschen Medizinstudium zwar im grundsätzlichen Aufbau entspreche; es sei diesem auch in der theoretischen, nicht aber in der klinischen Ausbildung äquivalent. Aus dem klinischen Studienabschnitt lägen keine oder nur ungenügende Nachweise vor für die Scheine:</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">- Allgemeinmedizin</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">- <em>Anästhesiologie</em></p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">- Dermatologie, Venerologie</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">- Klinische Chemie, Laboratoriumsdiagnostik</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">- Neurologie</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">- Psychiatrie und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">- psychosomatische Medizin und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Querschnittsbereiche</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">- Infektiologie, Immunologie</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">- Klinische Umweltmedizin</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">- Medizin des Alterns und des alten Menschen</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">- <em>Notfallmedizin</em></p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">- Klinische Pharmakologie/Parmakotherapie</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">- Prävention, Gesundheitsförderung</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">- Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">- Palliativmedizin</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">- <em>Klinisch pathologische  Konferenz.</em></p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Die Scheine klinisch pathologische  Konferenz, Anästhesiologie und Notfallmedizin seien durch die - in Deutschland ausgeübte - ärztliche Tätigkeit ausgeglichen worden; die restlichen fehlenden Scheine stellten klinisch relevante Defizite dar, so dass die Ausbildung des Klägers nicht gleichwertig sei und die Approbation erst nach erfolgreicher Absolvierung einer Kenntnisprüfung erteilt werden könne.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Auf die mit Schreiben der Bezirksregierung vom 25. Februar 2015 erfolgte Anhörung des Klägers zu den vom Gutachter festgestellten Defiziten erhob der Direktor der Klinik für plastische Chirurgie Prof. Dr. …………unter dem 9. März 2015 "Einspruch gegen das Gutachten". Er verwies u.a. darauf, dass sich in seinem Team aktuell vier weitere Stipendiaten befänden, die alle Absolventen der King Abdulazis Universität in Jeddah seien und deren Ausbildung von der Bezirksregierung Köln als gleichwertig anerkannt worden sei. Die vom Kläger begonnene Weiterbildung umfasse eine Mindestzeit von sechs Jahren, so dass der Kläger noch bis Anfang 2018 an seiner Klinik weiterbeschäftigt werde. Mit Schreiben vom 18. März 2015, gerichtet an den Klinikdirektor verwies die Bezirksregierung darauf, dass es sich bei der Überprüfung der Gleichwertigkeit um Einzelfallentscheidungen handle. Soweit der Kläger deutliche und nachvollziehbare Nachweise seiner Universität übersende, aus denen hervorgehe, dass die als defizitär festgestellten Fächer in ausreichender Stundenzahl gelehrt worden seien, könnten diese Unterlagen dem Gutachter mit der Bitte um Erstellung eines Nachtragsgutachtens übersandt werden.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Nachdem der Kläger mit Mail vom 14. August 2015 um die Anmeldung zur Fachsprachprüfung sowie um einen Termin für die Kenntnisprüfung gebeten hatte, erließ die Bezirksregierung den mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 17. August 2015, per Postzustellungsurkunde am 19. August 2015 zugestellt mit folgendem Tenor:</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">"1. Sie weisen eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung nach, die dem Qualifikationsniveau nach Artikel 11 Buchstabe e) der Richtlinie 2005/36/EG zuzuordnen ist und grundsätzlich dem in der Bundesrepublik Deutschland geforderten Niveau entspricht.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">2. Die von Ihnen abgeschlossene ärztliche Ausbildung weist im Vergleich zur deutschen ärztlichen Ausbildung wesentliche Unterschiede auf, die nicht durch Berufserfahrung ausgeglichen sind.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">3. Die Approbation als Arzt kann Ihnen erst nach erfolgreicher Teilnahme an einer Kenntnisprüfung erteilt werden, die sich auf die Inhalte der staatlichen Abschlussprüfung bezieht."</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">In der Begründung wird ausgeführt, dass unter Zugrundelegung der Anforderungen des § 27 der Approbationsordnung für Ärzte keine oder nur ungenügende Nachweise aus dem Studium bzw. anrechenbare Leistungen für folgende Fächer und Querschnittsbereiche erbracht worden seien:</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">- Allgemeinmedizin</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">- Dermatologie, Venerologie</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">- Klinische Chemie, Laboratoriumsdiagnostik</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">- Neurologie</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">- Psychiatrie und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">- Psychosomatische Medizin und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">- Infektiologie, Immunologie</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">- Klinische Umweltmedizin</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">- Medizin des Alterns und des alten Menschen</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">- Klinische Pharmakologie/Pharmakotherapie</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">- Prävention, Gesundheitsförderung</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">- Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">- Palliativmedizin.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Diese festgestellten Defizite beträfen klinisch relevante Fächer, die für die allgemeinärztliche Versorgung unerlässlich und daher als wesentlich einzustufen seien. Ein Ausgleich dieser Defizite durch nachgewiesene Berufserfahrung lasse sich nicht herleiten.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Die erforderliche Kenntnisprüfung beziehe sich auf die Fächer Innere Medizin und Chirurgie. Die Fragestellungen sollten ergänzend die Aspekte Notfallmedizin, Klinische Pharmakologie/Pharmakotherapie, bildgebende Verfahren, Strahlenschutz und Rechtsfragen der ärztlichen Berufsausübung berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Für die Anmeldung zur Kenntnisprüfung seien der in der Anlage beigefügte Antrag auf Teilnahme sowie ein aktueller unterschriebener Lebenslauf vorzulegen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 24. August 2015 übersandte der Kläger nochmals das Curriculum der King Abdulaziz University sowie die Bescheinigung zum praktischen Jahr und bat "um eine erneute, den Umständen und Anforderungen gerechte Prüfung". Er habe zumindest erwartet, dass der Gutachter beim Stundenvergleich des Curriculums etwaige Defizite detailliert darlege und nach Stunden beziffere. Unter dem 27. August 2015 erklärte die Bezirksregierung, dass sie an dem Bescheid festhalte und verwies auf ihr Antwortschreiben vom 18. März 2015 an den Klinikdirektor. Weiter wies sie darauf hin, dass bislang kein unterschriebener Antrag auf Teilnahme an der Kenntnisprüfung vorliege. Unter dem 3. September 2015 stellte der Kläger den Antrag auf Teilnahme an der Kenntnisprüfung. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 teilte die Ärztekammer Nordrhein mit, dass der Kläger am 12. Oktober 2015 die Fachsprachprüfung bestanden habe. Nach Vorlage einer Bescheinigung des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie vom 11. Januar 2016, wonach der Kläger planmäßig im Februar 2018 seine deutsche Facharztprüfung absolvieren sollte, verlängerte die Bezirksregierung mit Bescheid vom 28. Januar 2016 die Berufserlaubnis bis zum 1. Februar 2017.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die vom Kläger am 17. Februar 2016 beim Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie bei der Bezirksregierung Düsseldorf absolvierte Kenntnisprüfung wurde mit Bescheid vom 25. Februar 2016 als nicht bestanden bewertet. Die Prüfungskommission nannte als tragende Gründe: "mündlich-praktische Prüfung: Defizite im Fach Chirurgie. Zusätzliche Defizite in sämtlichen Querschnittsbereichen". Bereits zuvor unter dem 22. Februar 2016 hatte der Kläger in einem an das Landesprüfungsamt gerichteten Schreiben bezüglich des Ablaufs des Prüfungstermins Einwendungen erhoben und um eine schriftliche Begründung der Prüfungskommission zum Prüfungsergebnis "nicht bestanden" gebeten. Die Bezirksregierung Köln wertete das Schreiben vom 22. Februar 2016 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Februar 2016 und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2016, zugestellt am 15. April 2016 zurück.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Unter dem 27. Juli 2016 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Teilnahme an der Kenntnisprüfung, die er am 11. Januar 2017 beim Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie bei der Bezirksregierung Düsseldorf ablegte und die mit Bescheid vom 27. Januar 2017 (bei der Jahreszahl 2016 handelt es sich um eine offensichtliche Verschreibung) erneut als nicht bestanden bewertet wurde. Die Prüfungskommission nannte als tragende Gründe: "mündlich-praktische Prüfung: fehlende Kenntnisse in Strahlenschutz, fehlende radiologische und chirurgische Basiskenntnisse, Diagnose und Differentialdiagnose".</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Mit Mail vom 25. April 2017 teilte der Kläger der Bezirksregierung Köln mit, dass er die Kenntnisprüfung in Baden-Württemberg ablegen wolle. Diese erwiderte mit Mail vom 28. April, dass der Kläger dann beim Regierungspräsidium Stuttgart einen Approbationsantrag unter Hinweis auf das Approbationsverfahren in Köln stellen müsse und den Antrag bei der Bezirksregierung Köln schriftlich zurücknehmen solle. Sobald die Aktenanforderung der Approbationsbehörde in Baden-Württemberg vorliege, werde die Akte übersandt.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Durch eine Mail des Klägers vom 7. Dezember 2017 erfuhr die Bezirksregierung Köln, dass der Kläger bereits unter dem 3. März 2017, eingegangen am 22. Mai 2017 beim Regierungspräsidium Stuttgart - unter Vermittlung der Freiburg International Academy gGmbH - einen Antrag auf Erteilung der Approbation bzw. auf Erteilung der Berufserlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gestellt hatte. Diesen Antrag nahm der Kläger mit Mail vom 7. Dezember 2017 zurück.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Mit Mail vom 15. Februar 2018 bat die saudische Botschaft die Bezirksregierung Köln für ihren Stipendiaten um Prüfung, ob die Berufserlaubnis verlängert werden könne oder eine Approbation beantragt werden müsse. Der Kläger könne seine am Uniklinikum ………begonnene Fortbildung dort nicht beenden und wolle an ein anderes Krankenhaus im Regierungsbezirk Köln wechseln. Die Bezirksregierung verwies darauf, dass die Berufserlaubnis zur Durchführung der Weiterbildung bereits seit dem 1. Februar 2017 abgelaufen sei und deshalb eine Verlängerung nicht möglich sei. Weiter informierte sie die Botschaft über den Stand des Approbationsverfahrens.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 1. März 2018 stellte der Kläger einen Antrag nach § 51 LVwVfG auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und legte weitere Unterlagen vor. Er führte aus: Die von ihm beigefügten Unterlagen der King Abdulaziz University habe er erst im Februar 2018 erhalten. Er sei darüber informiert worden, dass es ein langer Prozess gewesen sei, diese Dokumente aus den Universitätsabteilungen herauszugeben und vom Dekanat und der Universitätsverwaltung und Registrierung zu unterzeichnen. Er bitte zudem die Unterlagen zur fünfjährigen Facharztweiterbildung in der plastischen Chirurgie, davon sechs Monate in der Intensivmedizin zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Zum Wiederaufgreifensantrag legte der Kläger vor:</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">- Weiterbildungszeugnis des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie vom 31. Juli 2017,</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">- Zeugnis des Direktors der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care vom 11. Juli 2016,</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">- Logbuch, Dokumentation der Weiterbildung gemäß Weiterbildungsordnung über die Facharztweiterbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie, abgestempelt vom Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie unter dem 31. Juli 2017,</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">- Bescheinigungen der King Abdulaziz Universität, sämtlich datierend vom Januar bzw. Februar 2018 betreffend die Kurse und Fächer</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">-- Bevölkerungsgesundheit MCOM 401 und Allgemeine Medizin MCOM 502 (im Folgenden 1. Bescheinigung),</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">-- Pharmakologie PHAM 401 und MEDM 505 (im Folgenden 2. Bescheinigung),</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">-- Dermatologie und Venerologie MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">klinische Chemie, Labordiagnostik MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Neurologie MEDM 401, MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Psychiatrie MEDM 502,</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">Palliativmedizin MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">(im Folgenden 3. Bescheinigung)</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">- Medizinische Mikrobiologie und Immunologie (Infektiologie und Immunität, im Folgenden 4. Bescheinigung).</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Ebenfalls unter dem 1. März 2018 stellte der Kläger - unter Vorlage einer Beschäftigungszusage des ………..   ………. zur Weiterbildung zum Plastischen und Ästhetischen Chirurgen vom 28. Februar 2018 - einen Antrag auf Erteilung/Verlängerung der Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs gemäß § 10 Bundesärzteordnung.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">Mit Mail vom 12. März 2018 teilte die Bezirksregierung Köln dem Kläger unter dem Betreff "AW: Antrag nach § 51 LVwVfG auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Berufserlaubnis" mit, dass die Erteilung einer weiteren Berufserlaubnis leider nicht möglich sei, da nach den aktuell maßgeblichen Vorschriften nur noch eine Erlaubnis für maximal zwei Jahre erteilt werden könne. Die weitere Prüfung der Angelegenheit werde ca. vier Wochen dauern.</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 28. März 2018, zugestellt am 31. März 2018 lehnte die Bezirksregierung Köln den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und erneute Überprüfung der Gleichwertigkeit des Ausbildungsstandes ab. Sie führte aus:</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Da der Bescheid vom 17. August 2015 bestandskräftig sei, komme die Abänderung grundsätzlich nur im Rahmen eines Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in Betracht. Der Wiederaufgreifensantrag sei bereits unzulässig, weil die nun vorgelegten Bescheinigungen der King Abdulaziz Universität bereits früher hätten vorgelegt werden können. Der Antrag sei auch unbegründet. Die neu vorgelegten Arbeitszeugnisse und Tätigkeitsnachweise seien zwar als Berufspraxis und im Rahmen des lebenslangen Lernens zu berücksichtigen; sie bezögen sich aber ausschließlich auf den Bereich der plastischen und ästhetischen Chirurgie und nicht auf die als defizitär festgestellten Bereiche. Die Bescheinigungen der King Abdulaziz Universität begegneten erheblichen inhaltlichen Bedenken, da sie "passgenau" die Defizite abdeckten. Eine inhaltliche Überprüfung scheitere schon daran, dass kein vollständiges Curriculum mit detailliert aufgeschlüsselten Ausbildungsinhalten vorliege. Schließlich sei die erhebliche Indizwirkung der zweimal nicht bestandenen Kenntnisprüfungen zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 23. April 2018 Klage erhoben. Er trägt vor:</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Er habe einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens, denn er habe die Unterlagen der King Abdulaziz Universität erst mit dem Wiederaufgreifensantrag vom 1. März 2018 vorlegen können. Diese Urkunden hätten im Jahr 2015 nicht vorgelegen und deshalb auch nicht im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Verfügung vom 17. August 2015 geltend gemacht werden können. Entsprechende Dokumente hätten bei der King Abdulaziz Universität zwar vorgelegen, allerdings nicht in einer vorlegbaren Form, nämlich amtlich übersetzt. Es sei ihm nicht möglich gewesen, die in Rede stehenden Urkunden sowie die notwendigen Übersetzungen zu beschaffen. Den Beklagten habe insoweit eine Hinweispflicht nach § 25 LVwVfG getroffen. Mit den vorgelegten Unterlagen sei die Ausbildung in den maßgeblichen Fächern und Querschnittsbereichen sowie darüber hinaus praktische Erfahrung hinreichend nachgewiesen. Der Beweiswert der Unterlagen sei zweifellos gegeben. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für formale oder inhaltliche Zweifel an den vom Kläger vorgelegten Unterlagen. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 18. März 2015 ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, Unterlagen nachzureichen, die dann dem Gutachter zur Erstellung eines Nachtragsgutachtens zugeleitet würden. Dies sei nicht geschehen. Auch habe es während seiner fünfjährigen ärztlichen Tätigkeit in Deutschland keinerlei Beanstandungen gegeben. Den zweimal erfolglos absolvierten Kenntnisprüfungen komme keine Indizwirkung zu; die Prüfungen seien keiner gerichtlichen Überprüfung unterzogen worden; die Bewertung sei nicht bestandskräftig. Der Beklagte habe in vier vergleichbaren Fälle, in denen jeweils ein saudischer Hochschulabschluss in Humanmedizin vorgelegen habe, die Gleichwertigkeit der Ausbildung anerkannt. Es sei kein Grund erkennbar, von dieser Verwaltungspraxis abzuweichen. Schließlich sei die begehrte Erlaubnis bei tatsächlich vorliegenden Ausbildungsdefiziten jedenfalls unter Beifügung von entsprechenden Nebenbestimmungen nach § 36 VwVfG zu erteilen. Es werde bestritten, dass sich das vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegte sogenannte Mustergutachten der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen auf den identischen, von ihm absolvierten Studiengang beziehe.</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. März 2018 zu verpflichten, die Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation des Klägers festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sei bereits unzulässig, weil die Gründe für das Wiederaufgreifen im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens hätten geltend gemacht werden können. Der Kläger habe selbst eingeräumt, dass die nun vorgelegten Urkunden bei der King Abdulaziz Universität vorgelegen hätten, allerdings nicht in einer vorlegbaren Form. Es wäre dem Kläger aber zumutbar gewesen, die Unterlagen anzufordern und sie in eine vorlegbare Form zu bringen. Es entstehe der Eindruck, dass der Kläger sich erst nach zweimaliger erfolgloser Teilnahme an der Kenntnisprüfung um die Beschaffung der Unterlagen gekümmert habe. Es bestünden weiter Bedenken hinsichtlich des Beweiswertes der nun nachgereichten Unterlagen. Insbesondere lasse sich der Inhalt nicht mit den bisher vorgelegten Dokumenten in Einklang bringen, da kein ausführliches Curriculum vorliege. Hinsichtlich beider erfolglos absolvierter Kenntnisprüfungen lägen bestandskräftige Feststellungen des Prüfungsergebnisses vor. Der gegen die Prüfung vom 17. Februar 2016 erhobene Widerspruch sei als unbegründet zurückgewiesen worden. Die Niederschriften beider Kenntnisprüfungen belegten deutlich die beim Kläger bestehenden Ausbildungsdefizite. Schließlich sei auch die bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) eingerichtete Gutachtenstelle für den Gesundheitsberuf in einem Vergleichsfall nach inhaltlicher Auswertung des vollständigen Curriculums der King Abdulaziz Universität zu dem Ergebnis gelangt, dass wesentliche Unterschiede bestünden. Die in Deutschland ausgeübte ärztliche Tätigkeit habe sich ausschließlich auf den Bereich der plastischen Chirurgie beschränkt und sei deshalb nicht geeignet, fachfremde Defizite, z.B. in Neurologie oder Psychiatrie auszugleichen.</p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf die beigezogene Ausländerakte Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">93</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">94</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist zulässig. Es fehlt insbesondere nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (§ 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) für die erhobene Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO), mit der der Erlass eines Bescheides nach § 3 Abs. 3a Bundesärzteordnung (BÄO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. April 1987 (BGBl. I S. 1218), die zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1307) geändert worden ist, begehrt wird. Gemäß § 3 Abs. 3a BÄO gilt in Fällen, in denen die Voraussetzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BÄO auf eine Ausbildung gestützt wird, die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeschlossen worden ist, dass die Voraussetzungen der Gleichwertigkeit der Berufsqualifikation nach den Absätzen 2 oder 3 vor den Voraussetzungen nach Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 5 geprüft werden sollen (Satz 1). Auf Antrag ist dem Antragsteller ein gesonderter Bescheid über die Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Berufsqualifikation zu erteilen (Satz 2). § 3 Abs. 3a BÄO ist durch Art. 4 Nr. 1 Buchst. c des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung“) für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe vom 18. April 2016 (BGBl. I 886) in die Bundesärzteordnung eingeführt worden und am 23. April 2016 in Kraft getreten. Er setzt den durch die RL 2013/55/EU neu eingefügten Art. 53 Abs. 3 Unterabs. 2 der RL 2005/36/EG um. Die Regelung berücksichtigt, dass ein Antragsteller auch an der isolierten Anerkennung der Berufsqualifikation ein eigenständiges Rechtsschutzinteresse haben kann, selbst wenn der Antrag auf Erteilung der Approbation wegen des Fehlens der anderen Voraussetzungen (vorliegend fehlen Unterlagen, die geeignet sind darzulegen, dass der im Februar 2019 in sein Heimatland zurückgekehrte Antragsteller im Inland den ärztlichen Beruf ausüben will, § 3 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2a BÄO, weiter fehlen ein aktuelles sogenanntes Certificate of good standing, also eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von den Behörden des Herkunftsstaates, § 3 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BÄO sowie ein aktueller Nachweis der gesundheitlichen Eignung zur Ausübung des ärztlichen Berufs, § 3 Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 BÄO, gemäß  Abs. 6 Satz 2 dürfen die Nachweise nach Nr. 3 und 4 bei ihrer Vorlage nicht älter als drei Monate sein) von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat.</p> <span class="absatzRechts">95</span><p class="absatzLinks">Vgl. Schelling, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, BÄO § 3 VII.</p> <span class="absatzRechts">96</span><p class="absatzLinks">Dass der Kläger den nach § 3 Abs. 3a Satz 2 BÄO erforderlichen Antrag im Verwaltungsverfahren nicht gestellt hat, weil er von der Gleichwertigkeit seiner Ausbildung ausgegangen ist und deshalb unmittelbar einen Antrag auf Erteilung einer Approbation gestellt hat, ist unschädlich, denn die Bezirksregierung Köln hat die begehrte Erteilung der Approbation mit Bescheid vom 17. August 2015 maßgeblich wegen der aus ihrer Sicht nicht gegebenen Gleichwertigkeit des klägerischen Ausbildungsstands abgelehnt. Unter diesen Umständen ist kein vorheriger Verwaltungsantrag zu verlangen.</p> <span class="absatzRechts">97</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2020 - 13 A 1115/17 -, juris Rn 39; vgl. zur Auslegung des Rechtsschutzbegehrens auch: OVG Bremen, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 B 442/20 -, juris Rn 17.</p> <span class="absatzRechts">98</span><p class="absatzLinks">Es kann insoweit offen bleiben, ob die auf den gerichtlichen Hinweis in der mündlichen Verhandlung erfolgte Umformulierung des Klageantrags als Klageänderung i.S.d. § 91 VwGO zu werten ist, denn der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung rügelos eingelassen (§ 91 Abs. 2 VwGO) und überdies wäre mit Blick auf den dargelegten Inhalt der ablehnenden Entscheidung der Bezirksregierung Köln vom 17. August 2015 die Klageänderung jedenfalls sachdienlich (§ 91 Abs. 1 2. Alt VwGO).</p> <span class="absatzRechts">99</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu: OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2020 - 13 A 1115/17 -, juris Rn 34-37</p> <span class="absatzRechts">100</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 28. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Bescheids, mit welchem der Beklagte die Gleichwertigkeit seiner Ausbildung feststellt, weil die Gleichwertigkeitsfeststellung bereits mit Bescheid vom 17. August 2015 bestandskräftig abgelehnt wurde (I.) und weder ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen - LVwVfG (Anspruch auf Wiederaufgreifen im engeren Sinne, II.) noch nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG (Wiederaufgreifen nach Ermessen, III.) besteht.</p> <span class="absatzRechts">101</span><p class="absatzLinks">I. Mit Bescheid vom 17. August 2015, dem Kläger per Postzustellungsurkunde am 19. August 2015 zugestellt, hat der Beklagte im Tenor folgende Feststellungen getroffen:</p> <span class="absatzRechts">102</span><p class="absatzLinks">"1. Sie weisen eine abgeschlossene ärztliche Ausbildung nach, die dem Qualifikationsniveau nach Artikel 11 Buchstabe e) der Richtlinie 2005/36/EG zuzuordnen ist und grundsätzlich dem in der Bundesrepublik Deutschland geforderten Niveau entspricht.</p> <span class="absatzRechts">103</span><p class="absatzLinks">2. Die von Ihnen abgeschlossene ärztliche Ausbildung weist im Vergleich zur deutschen ärztlichen Ausbildung wesentliche Unterschiede auf, die nicht durch Berufserfahrung ausgeglichen sind.</p> <span class="absatzRechts">104</span><p class="absatzLinks">3. Die Approbation als Arzt kann Ihnen erst nach erfolgreicher Teilnahme an einer Kenntnisprüfung erteilt werden, die sich auf die Inhalte der staatlichen Abschlussprüfung bezieht."</p> <span class="absatzRechts">105</span><p class="absatzLinks">Damit ist in den Ziffern 2. und 3. die vom Kläger begehrte Anerkennung der Gleichwertigkeit seines Ausbildungsstandes gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 BÄO - bestandskräftig - abgelehnt worden.</p> <span class="absatzRechts">106</span><p class="absatzLinks">Die Bezirksregierung Köln hat zwar mit Schreiben vom 18. März 2015 - nach formloser Mitteilung des Ergebnisses des vom Gutachter Prof. Dr. ………erstellten Gleichwertigkeitsgutachtens mit Anhörungsschreiben vom 25. Februar 2015 - darauf hingewiesen, dass der Kläger Unterlagen nachreichen könne und diese gegebenenfalls dem Gutachter mit der Bitte um Erstellung eines Nachtragsgutachtens übersandt würden. Der Hinweis ist aber vor Erlass des Bescheides vom 17. August 2015 erfolgt und stellt die abschließende, negative Entscheidung nicht in Frage.</p> <span class="absatzRechts">107</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 24. August 2015 - also nach Zustellung des Bescheids vom 17. August 2015 - übersandte der Kläger nochmals das Curriculum der King Abdulaziz University sowie die Bescheinigung zum praktischen Jahr, bat "um eine erneute, den Umständen und Anforderungen gerechte Prüfung" und führte aus, er habe zumindest erwartet, dass der Gutachter beim Stundenvergleich des Curriculums etwaige Defizite detailliert darlege und nach Stunden beziffere. Von der in der damaligen Rechtsmittelbelehrung zutreffend aufgeführten Klagemöglichkeit hat der Kläger aber keinen Gebrauch gemacht, so dass der Ablehnungsbescheid unanfechtbar geworden ist. Eine erneute Überprüfung seines Ausbildungsstandes kann der Kläger daher nur im Wege des - von ihm ausdrücklich beantragten - Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 LVwVfG erreichen.</p> <span class="absatzRechts">108</span><p class="absatzLinks">Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 9 S 1099/08 -, juris Rn. 3; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1989 - 7 C 78/88 -, juris; zur Abgrenzung zwischen Wiederaufgreifensantrag und Neuantrag: Schoch, § 51 VwVfG, Rn 18ff, Stand Juli 2020.</p> <span class="absatzRechts">109</span><p class="absatzLinks">Dabei ist der vom Kläger gestellte Antrag auf Wiederaufgreifen umfassend zu verstehen, also sowohl unter dem Gesichtspunkt des Wiederaufgreifens im engeren Sinne als auch unter dem Aspekt des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne zu prüfen.</p> <span class="absatzRechts">110</span><p class="absatzLinks">II. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 LVwVfG sind nicht erfüllt (sog. Wiederaufgreifen im engeren Sinne). Nach dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn einer der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG abschließend aufgeführten Wiederaufgreifensgründe gegeben ist.</p> <span class="absatzRechts">111</span><p class="absatzLinks">Auf der ersten Stufe des Wiederaufnahmeverfahrens ist nur über die Frage zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 LVwVfG, nämlich die Zulässigkeit und Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags, und damit für die Wiedereröffnung des Verfahrens zur Sache erfüllt sind. Ist danach ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zulässig und begründet, steht der Behörde kein Ermessen zu, sie muss vielmehr auf der zweiten Stufe auf der Grundlage des materiellen Rechts erneut in der Sache selbst entscheiden.</p> <span class="absatzRechts">112</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. November 2019 - 11 A 836/17 -, juris Rn. 43f m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">113</span><p class="absatzLinks">Für den Fall mehrerer selbständig tragender Ablehnungsgründe reicht es für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag nach § 51 Abs. 1 LVwVfG nicht aus, wenn nur hinsichtlich eines Ablehnungsgrunds ein durchgreifender Wiederaufnahmegrund geltend gemacht wird. Vielmehr muss dies für jeden selbständig tragenden Ablehnungsgrund geschehen.</p> <span class="absatzRechts">114</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn 19.</p> <span class="absatzRechts">115</span><p class="absatzLinks">Die mit dem Antrag (und im weiteren Verlauf des Verfahrens) geltend gemachten Wiederaufnahmegründe bestimmen und begrenzen dabei den Gegenstand der behördlichen und gerichtlichen Prüfung.</p> <span class="absatzRechts">116</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 -, juris, Rn 12, und Beschluss vom 11. Dezember 1989   - 9 B 320.89 -, juris, Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">117</span><p class="absatzLinks">Das Gericht ist nicht befugt, der Prüfung des Antrags andere als vom Kläger geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugrunde zu legen. Wie sich wiederum die Tatsache, dass ein Wiederaufnahmegrund erst im Verlaufe eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht wird, auf den Fortgang des Rechtsstreits auswirkt, beurteilt sich nicht nach § 51 LVwVfG, sondern nach dem einschlägigen Prozessrecht. Nach § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG ist dem Beklagten hinsichtlich des erstmals im Rechtsstreit geltend gemachten Wiederaufnahmegrunds rechtliches Gehör zu gewähren. Das Gericht kann mithin auch dann, wenn sich sowohl aus dem erstmals im Prozess vorgetragenen Wiederaufnahmegrund ein Anspruch auf Wiederaufgreifen „schlüssig" ergibt als auch der genannte Grund objektiv vorliegt, der Klage nur stattgeben, wenn der Beklagte Gelegenheit gehabt hat, sich zu diesem Wiederaufnahmegrund zu äußern.</p> <span class="absatzRechts">118</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1989 - 9 B 320.89 -, juris, Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">119</span><p class="absatzLinks">a) Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist der Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (im engeren Sinne) bereits unzulässig; im Übrigen ist er auch unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">120</span><p class="absatzLinks">aa) Der Kläger macht geltend, dass seine im Rahmen der in Deutschland absolvierten Facharztweiterbildung in der plastischen Chirurgie erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen zu berücksichtigen seien und legt insoweit folgende Unterlagen vor:</p> <span class="absatzRechts">121</span><p class="absatzLinks">- Zeugnis des Direktors der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care vom 11. Juli 2016,</p> <span class="absatzRechts">122</span><p class="absatzLinks">- Weiterbildungszeugnis des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie vom 31. Juli 2017,</p> <span class="absatzRechts">123</span><p class="absatzLinks">- Logbuch, Dokumentation der Weiterbildung gemäß Weiterbildungsordnung über die Facharztweiterbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie, abgestempelt vom Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie unter dem 31. Juli 2017.</p> <span class="absatzRechts">124</span><p class="absatzLinks">Insoweit beruft er sich auf den Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde über einen Wiederaufgreifensantrag in der Sache zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach-oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Eine - hier allein in Betracht kommende - Änderung der Sachlage liegt vor, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen tatsächlichen Grundlagen in der Weise geändert haben, dass eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung zumindest möglich wäre.</p> <span class="absatzRechts">125</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23/17 -, juris Rn 13 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">126</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat die geltend gemachte berufliche Weiterbildung während und zu einem großen Teil erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens im August 2015 im Rahmen seiner Beschäftigung bis zum 1. Februar 2017 bzw. bis zum 31. Juli 2017 (hinsichtlich des Beschäftigungszeitraumes ist das vorgelegte Weiterbildungszeugnis vom 31. Juli 2017 widersprüchlich, die dem Kläger erteilte Berufserlaubnis war letztmals bis 31. Januar 2017 befristet) in der Klinik für Plastische Chirurgie der ……….  ……… absolviert und die Zeugnisse sowie das Logbuch erst im Juli 2016 bzw. Juli 2017 erhalten. Er macht insoweit neue Tatsachen geltend. Der Umstand, dass er hierfür auch neue Beweismittel in Form von Zeugnissen und einer schriftlichen Dokumentation der Weiterbildung (Logbuch) vorlegt, eröffnet nicht den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG, denn diese Ziffer findet auf neue Beweismittel für neue Tatsachen keine Anwendung.</p> <span class="absatzRechts">127</span><p class="absatzLinks">Vgl. Schoch in Schoch, VwVfG, § 51 Rn 67, Stand Juli 2020.</p> <span class="absatzRechts">128</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 LVwVfG muss der Wiederaufgreifensantrag binnen drei Monaten gestellt werden. Nach Satz 2 beginnt die Frist - für jeden Wiederaufgreifensgrund - mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Der Fristbeginn setzt die positive Kenntnis der maßgeblichen Umstände voraus; deren rechtliche Einordnung als Wiederaufgreifensgrund ist für den Fristbeginn nicht erforderlich.</p> <span class="absatzRechts">129</span><p class="absatzLinks">Vgl. Schoch in Schoch, VwVfG, § 51 Rn 43, Stand Juli 2020.</p> <span class="absatzRechts">130</span><p class="absatzLinks">Das vorgelegte Zeugnis des Direktors der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care datiert vom 11. Juli 2016, das Weiterbildungszeugnis des Direktors der Klinik für Plastische Chirurgie datiert vom 31. Juli 2017; unter dem gleichen Datum ist das sogenannte Logbuch, die Dokumentation der Weiterbildung gemäß der Weiterbildungsordnung über die Facharztweiterbildung Plastische und Ästhetische Chirurgie abgestempelt. Erstmals eingereicht hat der Kläger diese Unterlagen mit seinem Wiederaufgreifensantrag vom 1. März 2018. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist entsprechend der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Kläger die Zeugnisse und das Logbuch jeweils zeitnah zur Ausstellung erhalten hat, zumal sein Beschäftigungsverhältnis an der RWTH spätestens am 31. Juli 2017 endete. Die Dreimonatsfrist war bei Vorlage und Geltendmachung des durch die Weiterbildung erzielten Erkenntiszuwachses somit längst abgelaufen.</p> <span class="absatzRechts">131</span><p class="absatzLinks">Der - insoweit - unzulässige Antrag ist auch unbegründet, denn die vorgebrachten Änderungen der Sachlage würden im Falle der Berücksichtigung keine dem Kläger günstigere Entscheidung ermöglichen. Die Sachlage stellt sich zwar im Vergleich zur Lage beim Erlass des ablehnenden Bescheides vom 17. August 2015 objektiv günstiger dar, weil der Kläger zweifellos durch die absolvierte Weiterbildung seine beruflichen Kenntnisse vertieft und erweitert hat; allerdings ist der Bescheid der Bezirksregierung Köln auf Defizite in folgenden - von der Bezirksregierung als wesentlich eingestuften - Fächern und Querschnittsbereichen gestützt:</p> <span class="absatzRechts">132</span><p class="absatzLinks">- Allgemeinmedizin</p> <span class="absatzRechts">133</span><p class="absatzLinks">- Dermatologie, Venerologie</p> <span class="absatzRechts">134</span><p class="absatzLinks">- Klinische Chemie, Laboratoriumsdiagnostik</p> <span class="absatzRechts">135</span><p class="absatzLinks">- Neurologie</p> <span class="absatzRechts">136</span><p class="absatzLinks">- Psychiatrie und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">137</span><p class="absatzLinks">- Psychosomatische Medizin und Psychotherapie</p> <span class="absatzRechts">138</span><p class="absatzLinks">- Infektiologie, Immunologie</p> <span class="absatzRechts">139</span><p class="absatzLinks">- Klinische Umweltmedizin</p> <span class="absatzRechts">140</span><p class="absatzLinks">- Medizin des Alterns und des alten Menschen</p> <span class="absatzRechts">141</span><p class="absatzLinks">- Klinische Pharmakologie/Pharmakotherapie</p> <span class="absatzRechts">142</span><p class="absatzLinks">- Prävention, Gesundheitsförderung</p> <span class="absatzRechts">143</span><p class="absatzLinks">- Rehabilitation, Physikalische Medizin, Naturheilverfahren</p> <span class="absatzRechts">144</span><p class="absatzLinks">- Palliativmedizin.</p> <span class="absatzRechts">145</span><p class="absatzLinks">Da der Bescheid vom 17. August 2015 bestandskräftig ist, sind auch die im Bescheid genannten Defizite rechtlich verbindlich festgestellt. Dem steht nicht entgegen, dass die Defizitfeststellungen nicht im Tenor des Bescheids, sondern in den Gründen getroffen wurden. Eine behördliche Erklärung, deren feststellende Regelungsqualität nicht durch Aufnahme in den Tenor des Bescheids dokumentiert worden ist, ist im Wege der Auslegung (nur) dann als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren, wenn der Regelungswille der Behörde in anderer Weise klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommt.</p> <span class="absatzRechts">146</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 -, juris, Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">147</span><p class="absatzLinks">Dies ist hier der Fall. Eine Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB ergibt, dass der Kläger den Bescheid bei objektiver Würdigung der relevanten Umstände nur so verstehen konnte, dass die Bezirksregierung trotz des Fehlens einer entsprechenden Tenorierung eine feststellende Regelung hinsichtlich der die Notwendigkeit einer Kenntnisprüfung begründenden wesentlichen Unterschiede treffen wollte. Dafür spricht maßgeblich, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 17. August 2015 eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung für die Bezirksregierung bestand, einen sogenannten Defizitbescheid zu erlassen. Denn nach § 3 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 8 BÄO in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I 2515) war ein rechtsmittelfähiger Bescheid über die wesentlichen Unterschiede zu erlassen. § 3 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 8 BÄO in der seit dem 23. April 2016 geltenden Fassung sieht nunmehr ausdrücklich die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids über die Feststellung der wesentlichen Unterschiede vor, die zur Auferlegung einer Kenntnisprüfung führen, wenn ohne eine solche Prüfung keine Approbation erteilt werden kann. Vor diesem Hintergrund musste der Kläger bei objektiver Würdigung davon ausgehen, dass die Bezirksregierung sich nicht auf die Auferlegung einer Kenntnisprüfung beschränken wollte, ohne in diesem Zusammenhang zugleich gemäß der gesetzlichen Vorgabe die dem zugrunde liegenden Defizite verbindlich festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">148</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum materiell-rechtlichen Gehalt eines vergleichbaren Bescheids: OVG NRW, Urteil vom 5. Februar 2020 - 13 A 1115/17 -, juris Rn 53ff.</p> <span class="absatzRechts">149</span><p class="absatzLinks">Das Weiterbildungszeugnis und das Logbuch beziehen sich ausschließlich auf vom Kläger erworbene Fähigkeiten im Bereich der Plastischen Chirurgie und Handchirurgie; im Bereich Chirurgie wurden aber keine Ausbildungsdefizite festgestellt. Auch im Falle der Berücksichtigung würde sich deshalb keine für den Kläger günstigere Bewertung ergeben. Gleiches gilt im Ergebnis für das Zeugnis der Klinik für Operative Intensivmedizin vom 11. Juli 2016. Dieses bezieht sich auf die Tätigkeit des Klägers als Assistenzarzt vom 3. August 2014 bis 30. Januar 2015; der Kläger beherrsche die "pathophysiologischen Grundlagen und Techniken in der Intensivmedizin", er habe an den Weiterbildungsmaßnahmen der Klinik und an externen Veranstaltungen regelmäßig und mit großem Erfolg teilgenommen. Auch die Berücksichtigung dieser - wenig substantiierten - Ausführungen würde nicht zu einer für den Kläger günstigeren Neubewertung der oben genannten, bestandskräftig festgestellten Defizite führen.</p> <span class="absatzRechts">150</span><p class="absatzLinks">bb) Der Kläger macht weiter geltend, dass als Wiederaufgreifensgrund vier Bescheinigungen der King Abdulaziz Universität, sämtlich datierend aus Januar bzw.  Februar 2018, betreffend unterschiedliche Kurse des von 2003 bis 2010 absolvierten Studiums zu berücksichtigen seien und zwar</p> <span class="absatzRechts">151</span><p class="absatzLinks">-- 1. Bescheinigung vom 4. Februar 2018: Bevölkerungsgesundheit MCOM 401 und Allgemeine Medizin MCOM 502</p> <span class="absatzRechts">152</span><p class="absatzLinks">-- 2. Bescheinigung vom 4. Februar 2018: Pharmakologie PHAM 401 und MEDM 505</p> <span class="absatzRechts">153</span><p class="absatzLinks">-- 3. Bescheinigung vom 1. Februar 2018: Dermatologie und Venerologie MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">154</span><p class="absatzLinks">klinische Chemie, Labordiagnostik MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">155</span><p class="absatzLinks">Neurologie MEDM 401, MEDM 502, MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">156</span><p class="absatzLinks">Psychiatrie MEDM 502,</p> <span class="absatzRechts">157</span><p class="absatzLinks">Palliativmedizin MEDM 603,</p> <span class="absatzRechts">158</span><p class="absatzLinks">- 4. Bescheinigung vom 31. Januar 2018 betreffend das Fach Medizinische Mikrobiologie und Immunologie (Infektiologie und Immunität).</p> <span class="absatzRechts">159</span><p class="absatzLinks">Insoweit kommt nur der Wiederaufgreifensgrund des § 51 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG in Betracht. Danach sind von der Behörde neue Beweismittel, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, zu berücksichtigen.</p> <span class="absatzRechts">160</span><p class="absatzLinks">"Neu" sind Beweismittel, wenn sie als solche im Zeitpunkt der Erstentscheidung nicht existent waren, aber auch dann, wenn sie bereits vor Erlass des Verwaltungsakts bestanden, aber nicht mehr in das Verfahren eingeführt werden konnten oder von der Behörde tatsächlich nicht verwertet worden sind.</p> <span class="absatzRechts">161</span><p class="absatzLinks">Vgl. Sachs in Stelkens, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 51 Rn 119.</p> <span class="absatzRechts">162</span><p class="absatzLinks">Da die Bescheinigungen der King Abdulaziz Universität sämtlich aus Januar und  Februar 2018 datieren, handelt es sich um neue Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG.</p> <span class="absatzRechts">163</span><p class="absatzLinks">Der Wiederaufgreifensantrag ist insoweit gemäß § 51 Abs. 2 LVwVfG unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist der Antrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Erfasst ist jede Schuldform, neben Vorsatz also auch grobe Fahrlässigkeit. Leichte Fahrlässigkeit erfüllt die Anforderungen an „grobes Verschulden“ nicht. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Betroffene die ihm gebotene, im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerwiegender Weise außer Acht gelassen hat. Anzulegen ist ein konkret-individueller Maßstab. Danach ist grobes Verschulden i.S.d. § 51 Abs. 2 LVwVfG anzunehmen, wenn dem Betroffenen die Umstände für das Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes (z. B. Fakten zur Sachlage, Vorhandensein eines Beweismittels) bekannt waren oder sich ihm aufdrängen mussten und er sich dennoch unter Verletzung der einem Verfahrensbeteiligten zumutbaren Sorgfaltspflicht (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 LVwVfG) nicht weiter darum kümmerte. Dabei ist die Pflicht, alle Unterlagen insbesondere betreffend die Ausbildung im Heimatstaat vorzulegen, für Antragsteller aus Drittstaaten ausdrücklich in § 3 Abs. 6 Nr. 6  BÄO normiert. Auf die Pflicht zur Vorlage der Unterlagen und zur notwendigen Form der Unterlagen ist der Kläger bereits im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der vorläufigen Berufserlaubnis nach § 10 BÄO hingewiesen worden ebenso wie nachfolgend mehrfach im Approbationsverfahren. Vor der Beauftragung des Gutachters Prof. Dr. …….. wurde der Kläger mit Mails der Bezirksregierung vom 19. Dezember 2014 und vom 8. Januar 2015 erneut zur Vorlage aller Unterlagen betreffend den Ausbildungsstand hingewiesen; er wurde darüber hinaus gebeten, gegebenenfalls mitzuteilen, dass keine weiteren Unterlagen mehr vorgelegt werden sollen. Im Rahmen der Anhörung nach der Übersendung des - negativen - Gutachtens bzw. vor Erlass des Bescheids vom 17. August 2015 wurde dem mit der Weiterbildung des Klägers an der …….. ……… betrauten Prof. Dr. ……. mit Schreiben vom 18. März 2015 mitgeteilt, soweit der Antragsteller deutliche und nachvollziebare Nachweise seiner Universität übersende, aus denen hervorgehe, dass die als defizitär festgestellten Fächer in ausreichender Stundenzahl gelehrt worden seien, könnten diese Unterlagen dem Gutachter mit der Bitte um Erstellung eines Nachtragsgutachtens übersandt werden. Abgesehen davon, dass der Kläger dieses Schreiben über seinen Professor erhalten haben dürfte, ist es ihm auch nach Erlass des Bescheides vom 17. August 2015 mit Schreiben vom 27. August 2015 übermittelt worden. Der Kläger hatte also genaue Kenntnis davon, welche Unterlagen in welcher vorzulegenden Form zu einer positiven Gleichwertigkeitsprüfung beitragen könnten.</p> <span class="absatzRechts">164</span><p class="absatzLinks">Zur erstmaligen Vorlage der arabischen Urkunden im Februar 2018 erklärte der Kläger im Verwaltungsverfahren: Er habe die Unterlagen im Februar 2018 erhalten. Er sei darüber informiert worden, dass es ein langer Prozess gewesen sei, diese Dokumente aus den Universitätsabteilungen herauszugeben und vom Dekanat und der Universitätsverwaltung und Registrierung zu unterzeichnen. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat er folgendes vorgetragen: Er habe die Unterlagen der King Abdulaziz Universität erst mit dem Wiederaufgreifensantrag vom 1. März 2018 vorlegen können. Diese Urkunden hätten im Jahr 2015 nicht vorgelegen und deshalb auch nicht im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Verfügung vom 17. August 2015 geltend gemacht werden können. Entsprechende Dokumente hätten bei der King Abdulaziz Universität zwar vorgelegen, allerdings nicht in einer vorlegbaren Form, nämlich amtlich übersetzt. Es sei ihm nicht möglich gewesen, die in Rede stehenden Urkunden sowie die notwendigen Übersetzungen zu beschaffen. Den Beklagten habe insoweit eine Hinweispflicht nach § 25 LVwVfG getroffen. Abgesehen davon, dass diese Erklärungen des Klägers schon inhaltlich unklar sind - so wird einerseits erklärt, die Urkunden hätten im Jahr 2015 nicht vorgelegen, andererseits sie hätten zwar vorgelegen, aber nicht in einer vorlegbaren Form, nämlich amtlich übersetzt -,  sind die Einlassungen des Klägers  unsubstantiiert und legen in keiner Weise dar, ab wann, in welcher Form und bei welchen Stellen sich der Kläger überhaupt um die Bescheinigungen bemüht hat. Naheliegend wäre insoweit gewesen, entsprechende Mails, schriftliche Anfragen an die Universität, Reaktionen der Universität sei es per Mail oder per Post, Vermerke etc. hierzu vorzulegen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs ist der Kläger zudem im Rahmen des Antrags auf Erteilung der Berufserlaubnis bei der Vorlage von Unterlagen von seiner Botschaft unterstützt worden. Auch an diese hat er sich offensichtlich nicht gewandt. Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger sich erst dann um die Unterlagen bemüht, als nach den nicht bestandenen Kenntnisprüfungen im Februar 2016 sowie Januar 2017, der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der RWTH Aachen zum 1. Februar oder zum 31. Juli 2017 und dem bevorstehenden Ablauf der zuletzt befristet bis 2. März 2018 erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 17 a Abs. 1 AufenthG - nur gültig zur Vorbereitung auf die Approbation/Prüfung/Qualifizierung im Medizinischen Bereich bei der Freiburg International Academy - die Beendigung des Aufenthalts drohte. Gründe dafür, dass der Kläger die Bescheinigungen bei entsprechendem Bemühen nicht früher erhalten hätte, sind weder dargetan noch ersichtlich. Nach der Lebenserfahrung ist sogar davon auszugehen, dass es einfacher und zügiger möglich gewesen wäre, die Bescheinigungen zeitnah zum Abschluss des Studiums statt - wie vorliegend - neun Jahre nach Abschluss der universitären Ausbildung zu erlangen. Es ist damit von einem groben Verschulden i.S.d. § 51 Abs. 2 LVwVfG auszugehen.</p> <span class="absatzRechts">165</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon ist der Wiederaufgreifensantrag auch unbegründet. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG müssen die neuen Beweismittel so beschaffen sein, dass sie "eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden".  Es muss feststehen, dass das neue Beweismittel, wäre es seinerzeit bereits verfügbar gewesen, tatsächlich eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte; es genügt nicht, dass es dazu lediglich geeignet erscheint. Darüber haben sich die Verwaltungsbehörde und im Streitfall das Gericht durch Beweisaufnahme Überzeugung zu verschaffen.</p> <span class="absatzRechts">166</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2015 - 3 B 3/14 -, juris Rn 8;</p> <span class="absatzRechts">167</span><p class="absatzLinks">Die vorgelegten Unterlagen der saudischen Universität sind im Wege des Urkundenbeweises (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 415 ff. ZPO) auszuwerten. Die Kammer hat keinen Anlass an der Echtheit der legalisierten Urkunden (vgl. § 438 Abs. 2 ZPO) zu zweifeln. Allerdings ist insoweit zwischen der (formellen) Echtheit einer öffentlichen Urkunde und deren (materieller) Beweiskraft zu unterscheiden. Denn die Reichweite der Beweiskraft öffentlicher Urkunden - auch ausländischer öffentlicher Urkunden i.S.v. § 438 ZPO -, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 ZPO bezeichneten Inhalt haben, bestimmt sich nach der gesetzlichen Beweisregel des § 418 Abs. 3 ZPO. Danach erbringt die in der öffentlichen Urkunde bezeugte Tatsache nur dann den vollen Beweis, wenn diese von der Behörde oder Urkundsperson selbst wahrgenommen wurde oder wenn eigene Handlungen der Behörde oder Urkundsperson bezeugt werden. Dies trifft auf die Beschreibung des Inhalts eines Studiums durch Universitätsangehörige nahezu ein Jahrzehnt nach Beendigung des Studiums nicht zu.</p> <span class="absatzRechts">168</span><p class="absatzLinks">Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung der Gleichwertigkeit einer Ausbildung in einem Drittstaat, ist es Sache des Antragstellers Nachweise vorzulegen aus denen hinreichend konkret, in sich schlüssig und widerspruchsfrei hervorgeht, welche Ausbildungsinhalte sich hinter einer Fächer-(Gesamt-)Bezeichnung verbergen.</p> <span class="absatzRechts">169</span><p class="absatzLinks">Vgl. BayVGH, Beschluss vom 10. Mai 2021 - 21 ZB 16.1016 -, juris Rn 18, 19.</p> <span class="absatzRechts">170</span><p class="absatzLinks">Vorliegend ergeben sich mit Blick auf die Notenübersicht (Transcript) vom 10. August 2010, die im - nicht datierten - Curriculum, das der Kläger Ende 2014 im Verwaltungsverfahren vorgelegt hat, verzeichneten Kurse und die in den neuen Urkunden dargestellten Lerninhalte einzelner Kurse unauflösbare Widersprüche; die "neuen" Unterlagen sind deshalb bereits grundsätzlich nicht geeignet, zu einer günstigeren Entscheidung zu führen. Sie hätten im Falle der Vorlage im - bestandskräftig abgeschlossenen - Verfahren allenfalls zu einer weiteren Sachaufklärung gedrängt; diese war aber dem Erstverfahren vorbehalten. Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 2 LVwVfG hat nicht die Funktion, das Erstverfahren in vollem Umfang wiederzueröffnen. Insbesondere ist das Gericht bei der Prüfung des Wiederaufgreifensantrags darauf beschränkt, die Eignung der vom Kläger neu vorgelegten Beweismittel zur Änderung des Ausgangsbescheids zu prüfen. Das Gericht ist dagegen nicht befugt, weitere Tatsachen zu ermitteln, die den Anspruch erst begründen würden.</p> <span class="absatzRechts">171</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2015 - 3 B 3/14 -, juris Rn 9.</p> <span class="absatzRechts">172</span><p class="absatzLinks">Im Einzelnen:</p> <span class="absatzRechts">173</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat mit seinem Antrag auf Erteilung einer Berufserlaubnis vom 10. November 2011 ein sogenanntes Transcript (Notenübersicht) vorgelegt; dieses wurde am 10. August 2010, also sehr zeitnah zum Abschluss der Ausbildung im Heimatland im Juli 2010 ausgedruckt. Es listet für jedes einzelne Semester (Herbst 2003/2004 bis Herbst 2009/2010) die absolvierten Kurse mit Kursnummer (Spalte 1),  Kurstitel (Spalte 2) und u.a. den erzielten Noten (Spalte 4) auf. Mit seinem Approbationsantrag vom 27. November 2014 legte der Kläger eine - nicht datierte - Bescheinigung der Medizinischen Fakultät der Heimatuniversität vor; die Heimatbehörde bescheinigt, dass der Kläger vierzehn Semester studiert und das einjährige Praktikum absolviert habe. Weiter wird ausgeführt: "Daher haben wir den Studiengang ausführlich mit den Kontaktstunden für jedes besuchte Fach aufgeführt". In der Anlage befindet sich das - ebenfalls nicht datierte - Curriculum. Diese Urkunden waren Grundlage der gutachterlichen Bewertung der Ausbildung im bestandskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahren.</p> <span class="absatzRechts">174</span><p class="absatzLinks">Die neu vorgelegte erste Bescheinigung der King Abdulaziz Universität vom 4. Februar 2018 bezieht sich auf folgende Kurse:</p> <span class="absatzRechts">175</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Kurs MCOM 401 Bevölkerungsgesundheit</p> </td> <td><p>Erfolgreich abgeschlossen im Frühjahr 2006/2007</p> </td> </tr> <tr><td><p>Kurs MCOM 502 Kurs Allgemeine Medizin</p> </td> <td><p>Erfolgreich abgeschlossen im Frühjahr 2007/2008</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">176</span><p class="absatzLinks">Beide Kursnummern finden sich nicht im Curriculum. Die Kursnummern finden sich zwar im Transcript, was aber nichts daran ändert, dass eine Einordnung in das vom Kläger eingereichte Curriculum, das den von ihm absolvierten Studiengang insgesamt vollständig abbilden soll, nicht möglich ist. Der Kurs MCOM 401 könnte allenfalls dem Kurs MED 401 des Curriculums zugeordnet werden; insoweit widersprechen sich aber die angegebenen Stunden. Während der Kurs MED 401 im Curriculum mit 364 Gesamtstunden verzeichnet ist, wird der Kurs MCOM 401 in der neu vorgelegten Bescheinigung mit 263 Stunden angegeben. Der Kurs MCOM 502 könnte dem Kurs MED 502 des Curriculums zugeordnet werden; insoweit widersprechen sich aber ebenfalls die angegebenen Stunden. Während der Kurs MED 502 im Curriculum mit 179 Gesamtstunden, unter Einbeziehung von Psychiatrie (72 Stunden), Ophthalmologie (62 Stunden) und Forensischer Medizin und Toxikologie (34 Stunden) mit 347 Stunden verzeichnet ist, wird der Kurs MCOM 502 in der neuen Bescheinigung mit "Allgemeine Medizin 150 Stunden" angegeben. Auch bezogen auf den Teil "Innere Medizin" des Kurses MED 502 des Curriculums ergibt sich keine Übereinstimmung, denn dieser Teil wird mit 157 (27 + 130) Stunden angegeben.</p> <span class="absatzRechts">177</span><p class="absatzLinks">Die weitere neue vorgelegte zweite Bescheinigung vom 4. Februar 2018  bezieht sich auf die Kurse Pharmakologie PHAM 401 und MEDM 505.</p> <span class="absatzRechts">178</span><p class="absatzLinks">Der Kurs PHAM 401 findet sich in der Notenübersicht im Herbst und Frühjahr 2006-2007. Er dürfte dem Kurs PHAR 401 im Curriculum entsprechen und ist übereinstimmend im Curriculum und der Anlage zur Bescheinigung vom 4. Februar 2018 mit insgesamt 124 Stunden ausgewiesen, allerdings differenziert die Bescheinigung - im Gegensatz zum Curriculum - nicht zwischen Vorlesungsstunden und klinischen Stunden. Der Kurs MEDM 505 findet sich weder im Curriculum noch im Transcript, so dass nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger den Kurs absolviert hat.</p> <span class="absatzRechts">179</span><p class="absatzLinks">In der neu vorgelegten Bescheinigung vom 1. Februar 2018 wird ausgeführt, dass der Kläger "seit dem Studienjahr 2006-2007, 2007-2008 die klinische Rotation durchgeführt hat, bis er dann im Studienjahr 2008-2009 seinen Abschluss erhielt". In der Anlage zur Bescheinigung finden sich Angaben zu den Kontaktstunden und dem Lehrplan betreffend die Kurse</p> <span class="absatzRechts">180</span><p class="absatzLinks">MEDM 401,</p> <span class="absatzRechts">181</span><p class="absatzLinks">MEDM 502 und</p> <span class="absatzRechts">182</span><p class="absatzLinks">MEDM 603.</p> <span class="absatzRechts">183</span><p class="absatzLinks">Diese Kurse finden sich im Transcript mit identischen Bezeichnungen und - vermutlich - mit als Kurse MED 401, MED 502 und MED 603 im Curriculum. Während das Curriculum allerdings durchgängig unterscheidet zwischen ausgewiesenen Stunden für Theorie und Praxis bzw. Vorlesung und Klinische Praxis (vergleichbar der Unterscheidung in der deutschen Ausbildung zwischen Klinik und Vorklinik), lässt sich den nun allgemein als Kontaktstunden bezeichneten Stundenzahlen in der Anlage zur neu vorgelegten Bescheinigung diese Unterscheidung nicht mehr entnehmen. Mit Ausnahme der 72 Stunden für das Fach Psychologie als Teil des Kurses MEDM 502 bzw. MED 502 im Curriculum, dort unter der Bezeichnung Psychiatrie mit 20 Stunden Vorlesung + 52 Stunden Klinische Praxis ausgewiesen, ist es im Übrigen nicht ansatzweise möglich zu erkennen, in welchem Kurs die nun ausgewiesenen Stunden gelehrt worden sein sollen. Beispielhaft sei dies zum Kurs MED 603 erläutert. Dieser soll laut Curriculum folgende Fächer und Stunden umfasst haben:</p> <span class="absatzRechts">184</span><table class="absatzLinks" cellpadding="0" cellspacing="0"><tbody><tr><td><p>Kursname</p> </td> <td><p>Vorlesung/Stunden</p> </td> <td><p>Klinische Praxis/Stunden</p> </td> </tr> <tr><td><p>Innere Medizin II: Innere Medizin</p> </td> <td><p>27</p> </td> <td><p>242</p> </td> </tr> <tr><td><p>Dermatologie</p> </td> <td><p>10</p> </td> <td><p>-</p> </td> </tr> <tr><td><p>Radiologie</p> </td> <td><p>15</p> </td> <td><p>33</p> </td> </tr> </tbody> </table> <span class="absatzRechts">185</span><p class="absatzLinks">Nunmehr werden aus diesem Kurs 10 Stunden der Dermatologie und Venerologie, 20 Stunden der Klinischen Chemie, Labordiagnostik, 30 Stunden der Neurologie und 15 Stunden der Palliativmedizin zugeordnet, ohne dass erkennbar wäre, ob es sich um Vorlesungs- oder Praxisstunden handelt und in welchen Fächern die Stunden gelehrt worden sein sollen.</p> <span class="absatzRechts">186</span><p class="absatzLinks">Die neu vorgelegte vierte Bescheinigung vom 31. Januar 2018 bezieht sich auf das Fach "Medizinische Mikrobiologie und Immunologie (Infektologie und Immunität)" und verweist auf den in der Anlage befindlichen Lehrplan mit Angabe der Kontaktstunden. Dieser Lehrplan bezieht sich auf die Kurse</p> <span class="absatzRechts">187</span><p class="absatzLinks">1. Allgemeine Mikrobiologie</p> <span class="absatzRechts">188</span><p class="absatzLinks">2. Grundlagen Immunologie und</p> <span class="absatzRechts">189</span><p class="absatzLinks">3. Systematische Mikrobiologie.</p> <span class="absatzRechts">190</span><p class="absatzLinks">Diese Kursbezeichnungen finden sich weder im Transcript noch im Curriculum. Es könnte sich allenfalls um Unterkurse des Kurses MICM 301 Mikrobiologie handeln. Nach dem Curriculum untergliedert dieser sich allerdings in die Kurse -Bakteriologie, - Virologie, - Mykologie und  - Klinische Mikrobiologie und Antibiotika. Es ist auch hier nicht ansatzweise möglich die in der neuen Bescheinigung angegebenen Stundenzahlen dem Curriculum zuzuordnen. So werden für die o.g. Kurse 1. bis 3. 12, 16 und 24 Stunden angegeben und unter "Lehrmethoden" nochmals 62 Stunden für Vorlesungen, 15 Stunden für Seminare/Übungen, 8 Stunden für audiovisuelle Programme und Leseaufgaben und 48 Stunden für klinische und molekulare Mikrobiologie Laborpraktika, also insgesamt 185 Stunden, während für den Kurs MICM 301 im Curriculum 208 Stunden (110 Vorklinik, 98 Klinik) verzeichnet sind.</p> <span class="absatzRechts">191</span><p class="absatzLinks">Die vier Bescheinigungen hätten somit auch dann, wenn sie bereits der Entscheidung der Bezirksregierung vom 17. August 2015 zugrunde gelegt worden wären, zu keiner für den Kläger günstigeren Entscheidung geführt, weil der Inhalt der Urkunden mit Blick auf die weiteren vorgelegten Unterlagen hinsichtlich des absolvierten Studiums widersprüchlich ist.</p> <span class="absatzRechts">192</span><p class="absatzLinks">cc) Schließlich macht der Kläger mit dem - bereits im Approbationsverfahren wiederholt erfolgten -  Vortrag, der Beklagte habe in vier vergleichbaren Fällen eines saudischen Hochschulabschlusses in Humanmedizin die Gleichwertigkeit der Ausbildung anerkannt und er habe aufgrund dieser Verwaltungspraxis des Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der Gleichwertigkeit seiner Ausbildung, bereits keinen Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 LVwVfG geltend. Klarstellend weist das Gericht darauf hin, dass eine tatsächliche Verwaltungspraxis aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und aufgrund des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 3 GG) zwar zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt mit der Folge, dass eine von der Verwaltungspraxis abweichende Entscheidung rechtswidrig ist. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei der vorliegend begehrten Gleichwertigkeitsfeststellung (ebenso wie bei der Approbation) um eine gebundene Entscheidung handelt. Eine Selbstbindung aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis kann nur im Rahmen eines der Verwaltung - hier nicht - eingeräumten Beurteilungsspielraums oder Ermessens eintreten. Im Widerspruch zu zwingenden gesetzlichen Vorgaben kann keine Selbstbindung der Verwaltung entstehen; einen aus Art 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" gibt es nicht.</p> <span class="absatzRechts">193</span><p class="absatzLinks">Vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 2021 - L 7 R 936/18-, juris Rn 55 m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">194</span><p class="absatzLinks">Ob und aus welchen Gründen der Beklagte in anderen Fällen die immer mit Blick auf den Einzelfall zu prüfende Gleichwertigkeit festgestellt hat, ist deshalb unerheblich.</p> <span class="absatzRechts">195</span><p class="absatzLinks">Weitere Wiederaufgreifensgründe hat der Kläger nicht geltend gemacht. Insbesondere ist nichts zur aktuellen Tätigkeit - und dem damit möglicherweise verbundenen Erkenntniszuwachs - des im Februar 2019 ausgereisten und nach Angaben des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung im Heimatland als Arzt beschäftigten Klägers vorgetragen.</p> <span class="absatzRechts">196</span><p class="absatzLinks">III. Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48 Abs. 1 Satz 1 oder 49 Abs. 1 LVwVfG.</p> <span class="absatzRechts">197</span><p class="absatzLinks">Die Behörde kann - auch wenn (wie hier) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG nicht vorliegen - ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren über § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG wiederaufgreifen. Allerdings hat der Betroffene insoweit nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Ist die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht „schlechthin unerträglich“ und das Wiederaufgreifensermessen damit auf Null reduziert, ist es in aller Regel ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt, ohne dass es ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen bedarf.</p> <span class="absatzRechts">198</span><p class="absatzLinks">Hier hat die Bezirksregierung allerdings nicht nur keine Ermessenserwägungen angestellt, sie hat vielmehr ausweislich der Gründe des Bescheides überhaupt keine Entscheidung nach § 51 Abs. 5 LVwVfG getroffen. Dies ist im vorliegenden Einzelfall allerdings unschädlich, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 Abs. 1 LVwVfG nicht erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift ist ein Widerruf ausgeschlossen, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste.</p> <span class="absatzRechts">199</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu dieser Tatbestandsvoraussetzung: OVG NRW, Urteil vom 2. April 1998 - 20 A 3010/96 -, juris Rn 34; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Februar 2000 - A 6 S 675/99 -, juris Rn 27 (hier allerdings vermengt mit der Ermessensreduzierung auf Null).</p> <span class="absatzRechts">200</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich ist insoweit die Regelung des Verwaltungsakts, sein verfügender Teil. Wie bereits oben ausgeführt sind weder die vom Kläger geltend gemachte Änderung der Sachlage in Form der vorgelegten Unterlagen betreffend seine Weiterbildung an der ……. noch die neuen Beweismittel in Form der Bescheinigungen der saudischen Universität geeignet, einen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Gleichwertigkeit zu begründen. Die Gleichwertigkeitsfeststellung müsste also erneut abgelehnt werden.</p> <span class="absatzRechts">201</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p>
346,154
ovgnrw-2022-07-29-15-b-89722
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
15 B 897/22
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-08-11T10:00:50"
"2022-10-17T17:55:53"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0729.15B897.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen nicht zu einer Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Dies gilt zunächst für den Hauptantrag zu 1.,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 21. Juli 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Juli 2022 (Az.: ZA 11-57.02.01- 229/22) festzustellen, soweit die Nutzung der Bundesautobahn X untersagt wurde.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, das als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen 6 K 1691/22 erhobenen Klage zu verstehende Begehren des Antragstellers analog § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, ist nicht zu beanstanden. Der Argumentation, dass die Untersagung der Nutzung der Bundesautobahn X nicht aus dem streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners, sondern unmittelbar aus § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW folge - so dass der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels keine Bedeutung zukommt -, setzt der Antragsteller nichts Durchgreifendes entgegen. Sein Einwand, das Gericht setze sich nicht hinreichend mit der Systematik des Versammlungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen und des deutschen Versammlungsrechts im Allgemeinen auseinander, denen selbstvollziehende Versammlungsverbote grundsätzlich fremd seien, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Unabhängig davon, ob § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW grundrechtskonform ist - hierzu noch unten - und ihm ein selbstvollziehender Gehalt zukommt, ist der Antragsgegner jedenfalls von beidem ausgegangen und hat mit dem erlassenen Bescheid keine Nutzungsuntersagung ausgesprochen, gegen die ein Rechtsbehelf gemäß § 80 Abs. 1 VwGO eine aufschiebende Wirkung entfalten könnte. Gegen die diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, wonach in dem Bescheid des Antragsgegners bezüglich des Verbots der Nutzung der Bundesautobahn ausdrücklich nur ein „Hinweis“ auf die gesetzliche Regelung erteilt werde und auch ein Tenor fehle, der unter Angabe der Ermächtigungsgrundlage eine beschränkende Verfügung erlässt, erhebt die Beschwerde keine Einwände.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Auch bezüglich des hilfsweise gestellten Antrags zu 2.,</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">gemäß § 123 Abs. 1 VwGO festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, die Durchführung der vom Antragsteller für den 30. Juli 2022 angemeldeten Versammlung einschließlich der Wegstrecke auf der Bundesautobahn X zu ermöglichen,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">zeigt die Beschwerde keine durchgreifenden Gründe auf, die zu einer Änderung der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts führen könnten.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Mit seinen Feststellungsbegehren erstrebt der Antragsteller der Sache nach keine vorläufige Maßnahme, sondern eine endgültige Entscheidung zur Ermöglichung der Nutzung der Bundesautobahn X im Rahmen der von ihm geplanten Versammlung, was sein Begehren in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dies im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist und das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende gewichtige Gründe entgegenstehen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2015 - 15 B 45/15 -, juris Rn. 2, m. w. N. zur Rspr. des BVerfG und des beschließenden Senats.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßgaben kann der Hilfsantrag bereits deswegen keinen Erfolg haben, weil die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorliegen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">So ist ein Erfolg in der Hauptsache derzeit nicht überwiegend wahrscheinlich, vielmehr stellt sich die Rechtslage im Rahmen der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung als offen dar. Dass die Verbotsnorm des § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG unwirksam ist, ist nämlich aktuell nicht feststellbar.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dies gilt bereits mit Blick auf den Schutzbereich dieses Grundrechts. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten, dass der Schutzbereich des Versammlungsrechts auch Versammlungen auf Bundesautobahnen erfasst.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Sächs. OVG, Beschluss vom 8. Oktober 2021 - 6 B 376/21 -, juris Rn. 7; Hamb. OVG, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 4 Bs 229/20 -, BeckRS 2020, 48778, Rn. 17; Hess. VGH, Beschluss vom 30. Oktober 2020 - 2 B 2655/20 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Beschluss vom 4. Juni 2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Es finden sich aber auch ablehnende Stimmen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Schönenbroicher, VersG NRW, 2022, § 13 Rn. 9 f.; Blanke, in: Stern/Becker, Grundrechte, 3. Aufl. 2019, Art. 8 GG Rn. 43; Gusy, NdsVBl 2017, 257, 263; Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl. 2019, Teil I Rn. 146.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW ausgegangen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat, soweit ersichtlich, ebenso wie der beschließende Senat,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">vgl. Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15 A 296/16 -, juris Rn. 17 ff.,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">zu der vorgenannten Frage bisher nicht Stellung genommen. Ausgehend von dem etwa in der Fraport-Entscheidung formulierten Schutzbereich, wonach die Versammlungsfreiheit dem Bürger keinen Zutritt zu Orten gewähre, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 65,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">ist die Frage, was insofern für Bundesautobahnen gilt, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht eindeutig zu beantworten.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Zwar ist die auch vom Verwaltungsgericht in seiner Beschlussbegründung herangezogene Fraport-Entscheidung in einem anderen Zusammenhang ergangen, aber die allgemeine Definition der versammlungsfreien Orte wurde in der Entscheidung generalisierend vorgenommen und ist etwa in einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen worden, in der es um eine Versammlung auf einem kommunalen Friedhof ging.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">In der letztgenannten Entscheidung wurde insbesondere auch darauf abgestellt, dass es sich bei einem Friedhof jedenfalls in der Regel um einen Ort handele, der sowohl nach seiner Widmung als auch den äußeren Umständen nach nur für begrenzte Zwecke zugänglich ist und nicht als Stätte des allgemeinen öffentlichen Verkehrs und Ort allgemeiner Kommunikation anzusehen ist. Ein Unterfallen unter die Versammlungsfreiheit wurde darin nur deswegen angenommen, weil in der konkreten Situation tatsächlich eine allgemeine Kommunikation mit Blick auf eine dort bereits unabhängig von der strittigen Versammlung stattfindende Gedenkveranstaltung eröffnet war.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris Rn. 19.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Soweit schließlich für eine Erstreckung des Schutzbereiches der Versammlungsfreiheit auf Bundesautobahnen angeführt wird, dass § 1 Abs. 3 FStrG zwar den Widmungszweck der Bundesautobahnen gesetzlich bestimme, dieser jedoch abweichende - und danach atypische Nutzungen - nicht ausnahmslos ausschließe, weil § 8 Abs. 1 FStrG Sondernutzungen ermögliche, so dass Versammlungen jedenfalls im Rahmen einer Sondernutzung zulässig seien,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Dübbers, SVR 2022, 245, 246 m. w. N. aus der Rspr.,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">bedarf dies ebenfalls einer vertiefenden Prüfung im Hauptsacheverfahren.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vor dem vorgenannten Hintergrund, dass § 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in den Schutzbereich von Art. 8 GG eingreift, kommt es auf die weitere Rüge des Antragstellers, dass eine Grundrechtseinschränkung nicht nur abstrakt-generell, sondern auch im Einzelfall verhältnismäßig sein müsse, nicht an. Denn dieser Einwand bezieht sich auf die nachgelagerte Frage der Eingriffsrechtfertigung.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen drohen dem Antragteller auch keine schweren und unzumutbaren, nachträglich nicht mehr zu beseitigenden Nachteile, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht. Für die Durchführung der Versammlung mit dem Motto „Klimakämpfe verbinden ….“ ist der Antragsteller trotz des thematischen Bezugs zum Autobahnverkehr nicht zwingend auf die Nutzung der Autobahn selbst als Versammlungsort angewiesen, um sein kommunikatives Anliegen zu transportieren.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 3. September 2021 - 15 B 1445/21 -, juris Rn. 13 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">So hat bereits der Antragsgegner in seiner Erwiderung vom 25. Juli 2022 darauf hingewiesen, dass der Antragsteller nicht vollständig gehindert sei, die geplante Versammlung durchzuführen, sondern nur einen kurzen Abschnitt auf der Autobahn nicht nutzen könne. Selbst ohne die Nutzung der Autobahn bleibe der Bezug zum Motto der Versammlung gewahrt, da die Versammlung bei der übrig bleibenden Route mindestens zweimal Autobahnen quere. Diese, vom Antragsteller nachfolgend nicht bestrittenen Feststellungen zugrunde gelegt, ist vorliegend nicht erkennbar, dass dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit droht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache gebieten würde.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Ob der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass die für den 30. Juli 2022 angemeldete Versammlung tatsächlich stattfinden soll, kann nach den vorstehenden Ausführungen dahinstehen. Seine eidesstattliche Versicherung vom 29. Juli 2022 verhält sich allerdings nicht zu tatsächlichen Umständen der Vorbereitung der Versammlung.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlagen in §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und entspricht der ständigen Praxis des Senats.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.</p>
346,082
ovgnrw-2022-07-29-15-a-3020
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15 A 30/20
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:52"
"2022-10-17T17:55:41"
Urteil
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0729.15A30.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Das angefochtene Urteil wird geändert.</p> <p>Das beklagte Studierendenwerk wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 25. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 verpflichtet, der Klägerin für das Studium Bachelor Grundschule mit der Fächerkombination Mathematische Grundbildung, Sprachliche Grundbildung, Englisch und Bildungswissenschaften Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe für das Wintersemester 2017/2018 und das Sommersemester 2018 zu bewilligen.</p> <p>Das beklagte Studierendenwerk trägt in beiden Instanzen die Kosten des Rechtsstreits, für den Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Studierendenwerk darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.</p> <p>Die Revision wird zugelassen.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Anspruchs auf Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung, nachdem die Klägerin zum zweiten Mal ihre Fachrichtung gewechselt hat.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin studierte seit dem Wintersemester 2015/2016 im Studiengang Zwei-Fach-Bachelor mit der Fächerkombination Erziehungswissenschaften und Deutsch für das gymnasiale Lehramt an der X.             X1.        -Universität in N.       und erhielt seit Beginn ihres Studiums Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Mit dem Wintersemester 2016/2017 änderte sie ihre Fächerkombination zu Soziologie und Deutsch. Zu Beginn des Wintersemesters 2017/2018 wechselte sie in den Studiengang Bachelor Grundschule mit der Fächerkombination Mathematische Grundbildung, Sprachliche Grundbildung, Englisch und Bildungswissenschaften. Nach dem Wechsel wurde sie für alle vier Fächer in das erste Fachsemester eingeschrieben. Hinsichtlich der Fächer Sprachliche Grundbildung und Bildungswissenschaften geschah dies nur aus Kapazitätsgründen; beide Fachbereiche bescheinigten ihr, dass sie „bereits im 5. Fachsemester angelangt“ sei bzw. „bereits auf dem Niveau des fünften Fachsemesters“ studiere. Aus dem bisher betriebenen Studium wurden ihr 39 Leistungspunkte (LP) für das Fach Sprachliche Grundbildung und 31 LP - davon 13 LP für außercurricular erbrachte Leistungen - für das Fach Bildungswissenschaften angerechnet.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Am 15. September 2017 beantragte die Klägerin bei dem beklagten Studierendenwerk die Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung für das Studienjahr 2017/2018. In einem Begleitschreiben zu ihrem Antrag legte sie dar, dass es schon früh während ihrer Schulzeit ihr Ziel gewesen sei, Lehrerin zu werden. Während des Studiums habe sie zunächst bemerkt, dass das Fach Erziehungswissenschaften für gymnasiales Lehramt ihr zu theoretisch sei und sie zudem zu sehr in ihrer Berufswahl einschränke, da es nur an vereinzelten Gymnasien in Nordrhein-Westfalen im Oberstufenbereich unterrichtet werde. Nach Inanspruchnahme der Studienberatung und Hilfen durch das Zentrum für Lehrerbildung der Universität N.       sowie Recherchen im Vorlesungsverzeichnis und der Studienordnung habe sie daraufhin den Wechsel von Erziehungswissenschaften zu Soziologie vollzogen. Dennoch habe sich bei ihr eine erneute Unzufriedenheit eingestellt. Nach einer Berufsberatung beim Arbeitsamt, eigenen Recherchen und erneuter Studienberatung habe sie erkannt, dass sie für dieses Studium nicht geeignet sei. Nach einem Praktikum an einer Grundschule in der Zeit vom 13. März 2017 bis zum 7. April 2017 habe sie stattdessen festgestellt, dass ihr die Arbeit dort mehr liege, da an Grundschulen ein größerer Fokus auf die pädagogische Tätigkeit gelegt werde. Daraufhin habe sie probehalber Vorlesungen und Seminare besucht und sich erneut Hilfe von der Studienberatung geholt. Nach dem erneuten Fachrichtungswechsel sei ihr erlaubt worden, die Module aus Mathematischer Grundbildung und Englisch in vier anstelle von sechs Semestern zu belegen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 25. Oktober 2017 lehnte das beklagte Studierendenwerk den Antrag der Klägerin ab, ihr Ausbildungsförderung für diese andere Ausbildung zu gewähren. Ein nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG erforderlicher unabweisbarer Grund für den zweiten Fachrichtungswechsel bestehe nicht. Dieser müsse aber vorliegen, weil sie in Sprachlicher Grundbildung und Bildungswissenschaften in das fünfte Fachsemester eingestuft worden sei und damit nicht mehr bis zum Beginn des vierten Fachsemesters die Fachrichtung gewechselt habe. Die in ihrem Schreiben vorgetragenen Gründe ließen einen Eignungsmangel sowie einen Neigungswandel und damit nur wichtige Gründe im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG erkennen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Nach Zurückweisung des Widerspruchs durch Bescheid vom 15. Januar 2018 hat die Klägerin am 16. Februar 2018 Klage erhoben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Sie hat vorgetragen: Da bei einem Mehrfächerstudiengang jeder Wechsel eines Faches einen Fachrichtungswechsel darstelle und die Zählung der Fachsemester an die jeweilige Fachrichtung anknüpfe, habe die Zählung nach jedem Wechsel neu zu beginnen. Auf eine Anrechnung nach § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG komme es daher nicht an. Der zweite Fachrichtungswechsel sei auch unverzüglich erfolgt. Ihr sei nicht von Anfang an bewusst gewesen, dass das Fach Soziologie nicht ihren Neigungen entspreche. Zudem sei ihr nicht bereits seit Beginn des Wintersemesters 2016/2017 bewusst gewesen, dass sie das Berufsziel Gymnasiallehrerin nicht mehr anstrebe. Daher habe sie im Folgenden auch nicht nur die Wartezeit vor einem erneuten Fachrichtungswechsel überbrückt. Darüber hinaus habe sie vor dem erneuten Fachrichtungswechsel sich zunächst intensiv mit der Studienordnung auseinandergesetzt, Gespräche mit Beratungsstellen geführt, ein Praktikum an einer Grundschule absolviert und Vorlesungen sowie Seminare besucht. Für den zweiten Fachrichtungswechsel könne daher nicht maßgeblich sein, dass sie vier Semester gebraucht habe, um zu erkennen, dass sie Grundschullehrerin werden wolle. Entscheidend sei, dass sie den Neigungswandel und Eignungsmangel erst nach ihrem ersten Fachrichtungswechsel erkannt habe. Damit sei der zweite Wechsel unverzüglich erfolgt.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">das beklagte Studierendenwerk unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Oktober 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 zu verpflichten, ihr für das Studium Bachelor Grundschule mit der Fächerkombination Mathematische Grundbildung, Sprachliche Grundbildung, Englisch und Bildungswissenschaften Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe für den Bewilligungszeitraum Wintersemester 2017/2018 bis zum Sommersemester 2018 zu bewilligen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Studierendenwerk hat beantragt,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Es hat vorgetragen: Durch die Einführung des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG habe der Gesetzgeber beabsichtigt, Ungleichbehandlungen in bestimmten Fällen zu beseitigen. Demgegenüber sollten aber keine begünstigenden Ungleichbehandlungen für Studenten geschaffen werden, denen bei Mehrfächerstudiengängen für einen Teil der belegten Fächer die bisher absolvierten Studienleistungen angerechnet würden und die in einem anderen Teil erneut im ersten Fachsemester beginnen müssten. Die Anrechnung der bisher studierten Fachsemester müsse vielmehr auf alle Studienleistungen erfolgen. Entscheidend sei der Gesamtzeitverlust, der durch den Fachrichtungswechsel entstehe. Da die Klägerin in den Fächern Mathematische Grundbildung und Englisch in das erste Fachsemester eingestuft worden sei, sei es zu einem Zeitverlust von vier Semestern gekommen. Die Anrechnungsregelung des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG könne keine Anwendung finden, sodass sie nicht davon profitieren könne, dass sie sich nach dem bereits zuvor erfolgten Fachrichtungswechsel erneut im zweiten Fachsemester und damit innerhalb der Zeit des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG befinde. So sei auch nach den Verwaltungsvorschriften der Anrechnungsnachweis bei Mehrfächerstudiengängen für jedes Fach gesondert vorzulegen. Zudem habe sie die Fachrichtung nicht unverzüglich gewechselt. Ihr sei von Anfang an bewusst gewesen, dass das Fach Soziologie nicht ihrer Neigung bzw. Eignung entspreche. Zu Beginn des Wintersemesters 2016/2017 habe sie weiterhin gewusst, dass sie nicht länger das Berufsziel Gymnasiallehramt anstrebe. Sie habe nur deshalb in ihrem bisherigen Studiengang weiterstudiert, um die Wartezeit bis zum Beginn des nächsten Wintersemesters, dem nächstmöglichen Wechselzeitpunkt, zu überbrücken. Bei einem zweiten Fachrichtungswechsel seien strengere Maßstäbe an die Glaubwürdigkeit zu stellen, da die Regelvermutung des § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG bereits durch den ersten Fachrichtungswechsel aufgebraucht sei.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Mit Urteil vom 26. November 2019 hat das Verwaltungsgericht die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 7 Abs. 3 BAföG habe die Klägerin keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für eine andere als die bislang verfolgte Ausbildung. Es genüge hier nicht, dass die Klägerin für ihren erneuten Fachrichtungswechsel einen wichtigen Grund geltend mache. Vielmehr sei das Vorliegen eines unabweisbaren Grundes zu fordern, weil die Klägerin bei ihrem erneuten Fachrichtungswechsel zum Wintersemester 2017/2018 von der Universität N.       in den Fächern Sprachliche Grundbildung und Bildungswissenschaften in das fünfte Fachsemester eingestuft worden sei. Bei Mehrfächerstudiengängen genüge die teilweise Einstufung in ein höheres Fachsemester, um das Vorliegen eines unabweisbaren Grundes für einen förderungsunschädlichen Fachrichtungswechsel zu verlangen. § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG führe hier zu keinem anderen Ergebnis, weil eine Anrechnung nach dieser Vorschrift bei einem Studium mit zwei Hauptfächern nur erfolgen könne, wenn sie beide Fächer betreffe.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin zuletzt im Wesentlichen vor:</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Sie sei nicht aufgrund der Anrechnung von Studienleistungen in ein höheres Fachsemester eingestuft worden, sondern teilweise nur in das erste Fachsemester eingeschrieben worden. Ihr seien Studienleistungen im Umfang von 70 Leistungspunkten angerechnet worden, was Studienleistungen im Umfang von mehr als zwei Semestern entspreche, da bei dem auf 180 Credits angelegten Bachelorstudium je Semester 30 Credits zu erbringen seien. Eine solche Anrechnung von Studienleistungen genüge zwar nicht den Anforderungen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2020 - 5 C 10.18 -. Wenn sie, die Klägerin, hiernach so behandelt würde, als wären ihr keinerlei Studienleistungen angerechnet worden, sei das allerdings nicht mit Art. 3 GG vereinbar. Diese Sichtweise führe in Zwei-Fach-Studiengängen, wie sie etwa für die Lehramtsausbildung kennzeichnend seien, regelmäßig zum Ausschluss der Ausbildungsförderung, wenn auch nur in einem der beiden Fächer ein Wechsel nach Beginn des vierten Fachsemesters stattgefunden habe. Der Umstand, dass ein solcher Wechsel nur in einem Fach deutlich geringere Auswirkungen auf die Studiendauer habe, weil ein Fach beibehalten werde, bleibe bei dieser Sichtweise unberücksichtigt. Richtigerweise könne es nur darauf ankommen, ob eine Anrechnung der Studienleistungen durch die zuständige Stelle erfolgt sei.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe sie den streitgegenständlichen Fachrichtungswechsel nach zwei Semestern vorgenommen, da sie ihr bis dahin betriebenes Studium im Zwei-Fach-Bachelor Soziologie/Deutsch erst zum Wintersemester 2016/2017 aufgenommen habe. Auch wenn eine auf den gesamten Studiengang bezogene Anrechnungsentscheidung nicht vorliege, seien im Fach Deutsch jedenfalls Studienleistungen im Umfang von vier Semestern angerechnet worden. Nehme man als Bezugspunkt für die Zählung der Fachsemester hingegen nicht die bisherige Fachrichtung als solche, sondern jedes im Studium verfolgte Fach, dann müsse dies auch bei der Anrechnung von Studienleistungen nach § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG konsequent fortgeführt werden. Mit der Anrechnung von 39 Credits aus dem Fach Deutsch sei ihr faktisch das gesamte bisherige Studium angerechnet worden. In Anbetracht dessen einen unabweisbaren Grund für den Wechsel des Faches zu fordern, sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Das Studium im Zwei-Fach-Bachelor Deutsch/Soziologie habe sie bis zum Ende des Sommersemesters 2017 mit dem Ziel des entsprechenden Abschlusses fortgeführt. Erst zum Ende dieses Semesters sei ihr klar geworden, dass sie zum Grundschullehramt habe wechseln wollen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Das beklagte Studierendenwerk beantragt schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">die Berufung zurückzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Es trägt im Wesentlichen vor: Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2020 - 5 C 10.18 - setze § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG eine Anrechnungsentscheidung auf den gesamten studierten Studiengang voraus, an der es hier fehle. Bei einem Zweifächerstudium könne die Hochschule nach einem Fachrichtungswechsel eine Gesamtentscheidung zu den auf den neuen Studiengang anzurechnenden Studienleistungen treffen und eine entsprechende Semestereinstufung vornehmen. Daran fehle es hier. Die vorgelegte Bescheinigung der Hochschule vom 23. August 2021 differenziere bei der Anrechnung von Leistungen aus dem vorherigen Studiengang der Klägerin eindeutig nach den jeweils studierten Fächern. In den Fächern Mathematische Grundbildung und Englisch seien der Klägerin keine Fachsemester aus ihrer bisherigen Ausbildung angerechnet worden.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Studierendenwerks Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§ 87a Abs. 2 und 3, § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Förderung für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum, der das Wintersemester 2017/2018 und das Sommersemester 2018 umfasst. Der Bescheid des beklagten Studierendenwerks vom 25. Oktober 2017 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Der Anspruch der Klägerin beruht auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum eine förderungsfähige Hochschulausbildung fortgeführt. Der Umstand, dass sie zum Wintersemester 2017/2018 einen (weiteren) Fachrichtungswechsel vorgenommen hat, indem sie anstelle des bis dahin betriebenen Studiums (Zwei-Fach-Bachelor für das gymnasiale Lehramt, zuletzt mit der Fächerkombination Soziologie und Deutsch) nunmehr die Ausbildung im Studiengang Bachelor Grundschulen mit der Fächerkombination Mathematische Grundbildung, Sprachliche Grundbildung, Englisch und Bildungswissenschaften aufnahm, steht einem Förderungsanspruch nicht entgegen. Für diesen Fachrichtungswechsel bedarf es nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG nicht der Darlegung eines unabweisbaren Grundes (Nr. 2). Es genügt ein wichtiger Grund (Nr. 1), der hier vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung geleistet, wenn der Auszubildende aus wichtigem Grund (Nr. 1) oder aus unabweisbarem Grund (Nr. 2) die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat; bei Auszubildenden an Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen gilt Nummer 1 nur bis zum Beginn des vierten Fachsemesters.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat den Fachrichtungswechsel zum Wintersemester 2017/2018 vor Beginn des vierten Fachsemesters vorgenommen (dazu I.). Daher bedarf es nur eines wichtigen Grundes für den Wechsel, der in ihrem Fall gegeben ist (dazu II.).</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">I. Die Klägerin befand sich im Sommersemester 2017 in dem Fach Deutsch bereits im vierten Fachsemester und in dem weiteren Fach Soziologie erst im zweiten Fachsemester. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass es für die Frage der Rechtzeitigkeit des Fachrichtungswechsels bei einem Zweifächerstudium mit unterschiedlicher Fachsemesterzählung grundsätzlich auf das Fach mit der höheren Einstufung ankommt (dazu 1.). Der Klägerin kommt allerdings die Vorschrift des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG zugute, wonach bei der Bestimmung des nach den Sätzen 1 und 4 maßgeblichen Fachsemesters die Zahl der Semester abgezogen wird, die nach Entscheidung der Ausbildungsstätte aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung auf den neuen Studiengang angerechnet werden. Die Anrechnung führt in ihrem Fall dazu, dass sie Fachrichtungswechsel vor Beginn des vierten Fachsemesters vorgenommen hat (dazu 2.).</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">1. Die „Fachrichtung“ ist ein durch Lehrpläne und Ausbildungs- bzw. Prüfungsordnungen geregelter Ausbildungsgang, der auf einen bestimmten, berufsqualifizierenden Abschluss oder ein bestimmtes Ausbildungsziel ausgerichtet ist und für den in der Regel die Mindestdauer sowie Zahl und Art der Unterrichts- bzw. Lehrveranstaltungen festgelegt sind.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Zu dieser Definition vgl. Tz. 7.3.2. BAföG VwV; Buter, in: Rothe/Blanke, BAföG, Stand: Juli 2019, § 7 Rn. 47.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Im Fall eines Mehrfächerstudiums wird diese Fachrichtung durch die zum Gegenstand der Immatrikulation gemachte Auswahl und Kombination zweier (oder mehrerer) Studienfächer beschrieben. Die Fachsemesterzählung kann in einem solchen Fall, auch wenn sie in Bezug auf die einzelnen Studienfächer unterschiedlich ausfallen mag, bei der Anwendung des § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG nur zu einem einheitlichen Ergebnis führen. Dabei besteht jedenfalls dann keine Veranlassung, das Fach mit der höheren Fachsemestereinstufung außer Acht zu lassen, wenn es sich hierbei um das Hauptfach handelt oder beide Fächer gleiches Gewicht haben. Letzteres ist hier der Fall. Die aktuellen Informationen der N.       zum Zwei-Fach-Bachelor mit dem Ziel Lehramt an Gymnasien und Grundschulen weisen Fach 1 und Fach 2 als gleichgewichtig (jeweils 75 LP) aus.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">https://www.uni-n</span>.de/Lehrerbildung/lehramtsstudium/bachelor/gyge.html</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Für das von der Klägerin bis zum Sommersemester 2017 betriebene Studium ist nichts anderes anzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Eine nach Studienfächern getrennte Zählung der Fachsemester bei einem Mehrfächerstudium knüpft an den auf das einzelne Fach bezogenen Begriff des „Fachsemesters“ an und ist sachgerecht, weil sie in dem Fall, dass der Studierende ein Fach wechselt und ein anderes fortführt, auf den typischerweise differierenden Ausbildungsfortschritt Rücksicht nimmt. Eine einheitliche, auf die (neue) Fächerkombination bezogene Semesterzählung kann dies nicht leisten. Ließe man in dem beschriebenen Fall eine solche Zählung mit dem Wechsel des einen Fachs neu beginnen, bliebe der erreichte Studienfortschritt in dem fortgeführten Fach unberücksichtigt.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Bei einem Mehrfächerstudium bestimmt die fachbezogene, d. h. getrennte Zählung der Fachsemester auch den Zeitpunkt für die notwendige Vorlage der (ebenso fachbezogenen) Leistungsbescheinigungen nach § 48 Abs. 1 BAföG und führt nach einem Wechsel nur eines der Fächer insofern zu unterschiedlichen Vorlagezeitpunkten.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1984 - 5 C 130.81 -, juris Rn. 19.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Das spiegelt sich in der Verwaltungspraxis zu § 48 Abs. 1 BAföG wider. Denn nach Tz. 48.1.7 BAföG-VwV ist bei einem Lehramtsstudium mit zwei Pflichtfächern oder bei einem sonstigen Studium mit mehreren Fächern, wenn nur ein Fach gewechselt, das andere aber beibehalten wird, die Eignungsbescheinigung in dem nicht gewechselten Fach zum Ende des vierten Fachsemesters vorzulegen. In dem gewechselten Fach ist die Eignungsbescheinigung ebenfalls zum Ende des vierten in diesem Fach verbrachten Semesters vorzulegen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Tritt bei einem Mehrfächerstudium ein Fachrichtungswechsel dadurch ein, dass nur eines der beiden Fächer gewechselt worden ist, so führt die getrennte (fachbezogene) Zählung der Fachsemester dazu, dass die Zählung in dem anderen, fortgeführten Fach unverändert weiterläuft. Die Frage, ob bei einer Anrechnung von Semestern nach einem Fachrichtungswechsel Veranlassung besteht, von dem Regelfall des Neubeginns der Zählung der Fachsemester abzuweichen,</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. November 1998 - 5 C 39.97 -, juris Rn.10,</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">kann sich unter diesen Umständen lediglich für das neu aufgenommene Fach stellen, wenn in dem aufgegebenen Fach erbrachte Studienleistungen insoweit anrechenbar sind.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">2. Verbleibt es somit - als Zwischenergebnis - zunächst dabei, dass die Klägerin den zweiten Fachrichtungswechsel zum Wintersemester 2017/2018 nach Beginn des vierten Fachsemesters in dem Fach Deutsch vornahm, so kommt allerdings insoweit die Vorschrift des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG zum Tragen. Danach wird bei der Bestimmung des nach den Sätzen 1 und 4 maßgeblichen Fachsemesters die Zahl der Semester abgezogen, die nach Entscheidung der Ausbildungsstätte aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung auf den neuen Studiengang angerechnet werden.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">a) Mit der Entscheidung der Ausbildungsstätte im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG ist die hochschulrechtliche Anerkennungs- bzw. Anrechnungsentscheidung gemeint, die Voraussetzung für eine Einschreibung bzw. Einstufung in ein höheres Fachsemester der neuen anderen Ausbildung ist. Getroffen wird sie durch die hierzu berufenen Einrichtungen der Ausbildungsstätten, d. h. die nach dem jeweiligen Landeshochschulrecht für die Entscheidung über die Anerkennung bisheriger Studienzeiten, Studien- und Prüfungsleistungen als gleichwertig zuständigen Stellen der in § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 und Satz 4 Halbs. 2 BAföG genannten Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen. Insofern wird der Begriff der Ausbildungsstätte in § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG in einem anderen Sinne verwendet als der gleichlautende Begriff in § 2 BAföG. Eine fehlende Anerkennungsentscheidung kann weder durch das Amt für Ausbildungsförderung noch - im Rechtsstreit über Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - durch das Verwaltungsgericht ersetzt werden.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2020 - 5 C 10.18 -, juris Rn. 11 ff.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die Anerkennung von Studienzeiten aus der ursprünglich verfolgten Fachrichtung auf den neuen Studiengang ist nach § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG anspruchsbegründend und gemäß § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG bei der Bestimmung der Förderungshöchstdauer für das Amt für Ausbildungsförderung ausnahmslos bindend. Durch diese Bindung wird das Amt für Ausbildungsförderung von aufwändigen Sachverhaltsermittlungen und von unter Umständen schwierigen rechtlichen Bewertungen unter Heranziehung der Studienordnungen befreit, die Angelegenheit der Hochschule sind. Soweit die Anerkennung von Studienzeiten aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung nicht von Amts wegen vorgenommen wird, können Studierende in zumutbarer Weise hierauf Einfluss nehmen. Denn sie können im Regelfall mit Aussicht auf Erfolg bei der zuständigen Stelle der Hochschule einen entsprechenden Anerkennungsantrag stellen und so den Förderungsausschluss durch eigenes Verhalten abwenden. Das notwendige verfahrensrechtliche Interesse für einen solchen Antrag und dessen sachliche Bescheidung folgt aus § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 2020 - 5 C 10.18 -, juris Rn. 24 f.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">b) Eine <span style="text-decoration:underline">einheitliche</span> Anrechnung von Semestern „aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung auf den neuen Studiengang“ - also von dem Zwei-Fach-Bachelor Soziologie/Deutsch auf den Bachelor Grundschule mit der Fächerkombination Mathematische Grundbildung, Sprachliche Grundbildung, Englisch und Bildungswissenschaften - hat im Fall der Klägerin zwar nicht stattgefunden. In der hier vorliegenden Konstellation eines Mehrfächerstudiums kommt es indes darauf an, dass der Klägerin aus dem (über vier Semester betriebenen) Studium in dem Fach Deutsch in dem erforderlichen Umfang Leistungen für das Studium in den Fächern Sprachliche Grundbildung und Bildungswissenschaften angerechnet worden sind.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Ist bei einem Mehrfächerstudium, wie dargelegt, eine fachbezogene Semesterzählung maßgebend, so ist es systemgerecht, die Anwendung des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG ebenfalls daran auszurichten, welche „Zahl von Semestern“ aus den bis zum Wechsel studierten Fächern jeweils auf den neuen Studiengang angerechnet worden sind. Der Wortlaut der Vorschrift lässt eine solche Auslegung zu. Eine Anrechnung von Semestern „aus der ursprünglich betriebenen Fachrichtung“ muss im Fall einer Fächerkombination nicht notwendigerweise einheitlich erfolgen, sondern kann auch einer nach Fächern getrennte Anrechnung bedeuten. Auch die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5172, S. 18) steht diesem Verständnis nicht entgegen. Mit der fachbezogenen Anrechnung lassen sich ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen vermeiden, die bei einer einheitlichen Anrechnungsentscheidung für die in einem Mehrfächerstudium erbrachten Leistungen entstehen können. Denn die anrechenbaren Leistungen können, wie der vorliegende Fall verdeutlicht, bei den studierten Fächern erheblich variieren. Eine nivellierte „Gesamtanrechnung“ führt dann notwendigerweise dazu, dass die anzurechnenden Leistungen in den einzelnen Fächern entweder unter- oder überbewertet werden. Das wirkt sich entsprechend auf die Fachsemesterzählung aus, wenn diese nach einem Fachrichtungswechsel fachbezogen fortgeführt wird.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">c) Dass die Klägerin nach dem Fachrichtungswechsel zum Wintersemester 2017/2018 in den Fächern Sprachliche Grundbildung und Bildungswissenschaften faktisch in das fünfte Fachsemester eingestuft worden ist, lässt allerdings für sich betrachtet noch nicht auf eine Anrechnungsentscheidung der Hochschule schließen, die auf eine bestimmte Zahl von Semestern aus dem Fach Deutsch zielt. Denn das Ausbildungsförderungsamt, dem der Gesetzgeber keine eigene Prüfung der Anrechnung von Studienleistungen überantworten wollte, kann allein aus der Bescheinigung einer solchen Einstufung nicht erkennen, in welchem Umfang diese Einstufung gerade auf den im Fach <span style="text-decoration:underline">Deutsch</span> erbrachten Leistungen beruht. Das zeigt sich im vorliegenden Fall schon daran, dass von den 31 LP, die der Klägerin für das Fach Bildungswissenschaften anerkannt worden sind, 4 LP auf eine besuchte Veranstaltung im Fach Soziologie entfielen (vgl. hierzu die im Berufungsverfahren eingeholte Stellungnahme der WWU N.       vom 5. April 2022). Nicht auszuschließen ist auch, dass hierbei Leistungen mitberücksichtigt worden sind, welche die Klägerin im Fach Erziehungswissenschaften erbracht hatte.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">d) Eine Anrechnungsentscheidung im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG ist allerdings darin zu sehen, dass der Klägerin 39 LP für das Fach Sprachliche Grundbildung angerechnet worden sind (vgl. dazu die Bescheinigungen bzw. Stellungsnahmen der WWU N.       vom 23. August 2021, 16. Dezember 2021 und 7. April 2022). Aus der Stellungnahme vom 7. April 2022 geht eindeutig hervor, dass sämtliche angerechneten Leistungspunkte auf Leistungen entfielen, welche die Klägerin im Fach Deutsch erbracht hatte.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Anrechnung von Leistungspunkten bietet eine ausreichende Grundlage für die Anwendung des § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG. Aus der Zahl der angerechneten Leistungspunkte (hier: 39) ist ohne Weiteres abzuleiten, dass der Klägerin Studienleistungen im Umfang mindestens eines Semesters aus dem Fach Deutsch angerechnet worden sind.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Ist ein Bachelorstudium mit einer Regelstudienzeit von sechs Semestern auf die Erbringung von 180 LP angelegt, wie es bei dem von der Klägerin betriebenen Studium im Zwei-Fach-Bachelor der Fall war,</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">https://www.uni-n.de/imperia/md/content/lehrerbildung/studiumlehramt/allgemein_zfl-erstsemesterinfo-bkgyge.pdf,</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">so können die Studienleistungen eines Semesters mit 30 LP bewertet werden. Das gilt auch für die von § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG vorausgesetzte Anrechnung einer bestimmten „Zahl von Semestern“ aufgrund von Studienleistungen, die der Auszubildende vor einem Fachrichtungswechsel erbracht hat. Der auf dieser Basis mögliche Transfer von Leistungspunkten zu einer Semesterzahl erfolgt rein rechnerisch und greift nicht in die der Anrechnung zugrunde liegende Bewertungskompetenz der Hochschule ein.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Anrechnung von 39 LP aus dem Fach Deutsch entspricht Studienleistungen im Umfang mindestens eines Semesters. Abgesehen davon, dass schon die Anzahl dieser Leistungspunkte über die für ein Semester zu erbringenden Leistungen hinausgeht, kommt hier hinzu, dass die Klägerin ein Zweifächerstudium betrieb, in dem die für ein Semester je Fach zu erwartenden Leistungen entsprechend geringer zu veranschlagen sind.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Einer weitergehenden Bestimmung oder Bestimmbarkeit der „Zahl der Semester“, auf die § 7 Abs. 3 Satz 5 BAföG abstellt, bedarf es im vorliegenden Fall nicht, weil schon die Anrechnung eines Semesters aus dem Fach Deutsch dazu führt, dass die Klägerin den zweiten Fachrichtungswechsel zum Wintersemester 2017/2018 in diesem Fach vor Beginn des vierten Fachsemesters vorgenommen hat und es insofern nur noch eines - hier vorliegenden - wichtigen Grundes für den Fachrichtungswechsel bedarf.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">II. Für den Fachrichtungswechsel der Klägerin lag ein wichtiger Grund vor (dazu 1.) Sie hat den Fachrichtungswechsel auch rechtzeitig vorgenommen (dazu 2.).</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">1. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG ist anzunehmen, wenn dem Auszubildenden unter Berücksichtigung aller im Rahmen der Ausbildungsförderung erheblichen Umstände, die sowohl durch die an Ziel und Zweck der Ausbildungsförderung orientierten öffentlichen Interessen als auch durch die Interessen des Auszubildenden bestimmt werden, die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nicht mehr zumutbar ist. Orientiert an dem Grundsatz des § 1 BAföG, dem Auszubildenden eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung zu gewährleisten, sind hierbei im Bereich der Interessen des Auszubildenden Umstände zu berücksichtigen, die an seine Neigung, Eignung und Leistung anknüpfen. In Betracht kommt etwa ein ernstzunehmender Neigungswandel, für den kennzeichnend ist, dass der Auszubildende sich während der bisherigen Ausbildung klar darüber wird, nicht die bisherige, sondern eine andere Ausbildung entspreche seiner Neigung.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 1995 - 11 C 18.94 -, juris Rn. 14, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Berücksichtigung eines Neigungswandels setzt allerdings voraus, dass der Auszubildende vor der Aufnahme der Ausbildung davon ausgegangen ist, das zunächst gewählte Fach entspreche seiner Neigung.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1990 - 5 C 45.87 -, juris Rn. 11, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von diesen Grundsätzen kann sich die Klägerin auf einen wichtigen Grund berufen. Sie hat mit ihrem an das beklagte Studierendenwerk adressierten Schreiben vom 15. September 2017 einen ernstzunehmenden Neigungswandel plausibel dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Es spricht auch nichts Konkretes dagegen, dass die Klägerin zunächst davon ausgegangen ist, das Studium im Lehramt für das Gymnasium (zuletzt in der Fächerkombination Deutsch und Soziologie) entspreche ihrer Neigung. In ihrem Schreiben vom 15. September 2017 hat sie - ebenfalls schlüssig - ausgeführt, aus welchen Gründen sie sich ursprünglich für dieses Studium im Gymnasiallehramt entschieden hatte und weshalb sie sodann von Erziehungswissenschaften zu Soziologie wechselte. Dass nach Aufnahme eines Lehramtsstudiums, insbesondere aufgrund erster Praxiserfahrungen, ein Neigungswandel zu einer anderen Schulform bzw. zu einer neuen Fächerkombination zutage tritt, erscheint nicht ungewöhnlich. Die erstinstanzliche Behauptung des beklagten Studierendenwerks, der Klägerin sei von Anfang an bewusst gewesen, dass das Studium der Soziologie weder ihren Neigungen noch ihrer Eignung entspreche, findet im dem vorgenannten Schreiben vom 15. September 2017 keine Grundlage. Die Ausführungen der Klägerin dazu, dass „trotz Aufnahme des sozialwissenschaftlichen Schwerpunktes […] eine neue Unzufriedenheit“ entstanden sei, geben nichts dafür her, wie die Klägerin vor jenem Fächerwechsel zu dem neuen Fach eingestellt war.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird dem Auszubildenden entsprechend seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zugemutet, den Gründen, die einer Fortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen. Sobald der Auszubildende sich Gewissheit über die fehlende Neigung für das bisher gewählte Fach verschafft hat, muss er deshalb, damit ein wichtiger Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG bejaht werden kann, unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), die erforderlichen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung abbrechen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus den Anforderungen selbst, die an das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG zu stellen sind; dazu gehört auch die Pflicht des Auszubildenden, seine Ausbildung umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen. Ob der Auszubildende seiner Verpflichtung zu unverzüglichem Handeln entsprochen hat, beurteilt sich dabei nicht allein nach objektiven Umständen. Es ist vielmehr auch in subjektiver Hinsicht zu prüfen, ob ein etwaiges Unterlassen notwendiger Maßnahmen dem Auszubildenden vorwerfbar ist und ihn damit ein Verschulden trifft oder ob ein solches Unterlassen durch ausbildungsbezogene Umstände gerechtfertigt ist.</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1990 - 5 C 45.87 -, juris Rn. 13, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Daran gemessen hat die Klägerin ihrer Verpflichtung zu unverzüglichem Handeln entsprochen. Aus den Verwaltungsvorgängen und dem Vorbringen der Beteiligten im Gerichtsverfahren ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Klägerin den mit dem Neigungswandel einhergehenden Entschluss, in das Studium zum Lehramt an Grundschulen zu wechseln, schon vor Beginn des Wintersemesters 2016/2017 gefasst hat. Viel spricht dafür, dass sie diesen Entschluss im Dezember 2016 fasste, nachdem mit der Studienberatung an der WWU N.       offenbar geklärt worden war, mit welchen Maßgaben sie das Studium im Bachelor Grundschule aufnehmen konnte. Eine Umsetzung des Fachrichtungswechsels schon zum Sommersemester 2017 war ihr nicht möglich, da das Lehramtsstudium in dem neuen Studiengang erst zum nachfolgenden Wintersemester aufgenommen werden konnte.</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Ein unverzügliches Handeln setzte nicht voraus, dass die Klägerin neben der frühestmöglichen Einschreibung in den Bachelor Grundschule auch das bis dahin betriebene Studium im Zwei-Fach-Bachelor umgehend nach dem Entschluss zum Fachrichtungswechsel aufgab. Auf letzteres kam es für die Rechtzeitigkeit des Fachrichtungswechsels nicht an. Zwar heißt es in vorstehend zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Auszubildende, „damit ein wichtiger Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 BAföG bejaht werden kann, unverzüglich […] die erforderlichen Konsequenzen ziehen und die bisherige Ausbildung abbrechen (muss)“. Diese Anforderung hängt indes im Fall eines Fachrichtungswechsels mit der Aufnahme des neuen Studiengangs zusammen, ist also dahingehend zu verstehen, dass der Abbruch der bisherigen Ausbildung zeitgerecht erfolgen muss, um die neue Ausbildung frühestmöglich aufzunehmen. Diesem Erfordernis hat die Klägerin entsprochen.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Ob das Fortführen des Studiums im Zwei-Fach-Bachelor bis zum Ende des Sommersemesters 2017 Auswirkungen auf Anspruch auf Förderung <span style="text-decoration:underline">dieser</span> Ausbildung hatte (mit Blick auf den vom beklagten Studierendenwerk thematisierten fehlenden „Abschlusswillen“), ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht erheblich.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Frage, wie die Fachsemesterzählung im Rahmen des § 7 Abs. 3 BAföG bei einem Mehrfächerstudium - auch mit Blick auf Satz 5 der Vorschrift - vorzunehmen ist, vermittelt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.</p>
346,081
ovgnrw-2022-07-29-7-a-358120
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 A 3581/20
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:51"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0729.7A3581.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Zulassungsanträge werden abgelehnt.</p> <p>Die Beklagte und der Beigeladene tragen jeweils die Hälfte der Kosten des Zulassungsverfahrens; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Zulassungsanträge haben keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 13.12.2018 in der Fassung des Nachtrags vom 31.8.2020 und der Korrektur vom 9.9.2020 verletze zulasten des Klägers im Hinblick auf die Gestaltung der grenznahen Tiefgaragenausfahrt das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Vorbringen des Beigeladenen führt nicht zur Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die von ihm geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht im Sinne des Gesetzes (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene verweist zwar zu Recht darauf, dass die 2. Nachtragsgenehmigung vom 26./27.1.2021 zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage führt, die im Rahmen der Prüfung ernstlicher Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich berücksichtigt werden kann.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu allgemein BVerwG, Beschluss vom 11.11.2002 - 7 AV 3/02 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Beigeladene zeigt jedoch nicht hinreichend auf, dass aufgrund dieser Änderung der Sach- und Rechtslage ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils des Verwaltungsgerichts in Frage gestellt würde. Ausgangspunkt seines Zulassungsvorbringens ist die Annahme, Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens sei die Baugenehmigung vom 13.12.2018 in der Fassung der 2. Nachtragsbaugenehmigung vom 27.1.2021. Gegenstand des Zulassungsverfahrens kann indes grundsätzlich nur der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Urteils sein.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Vgl. Seibert, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage, § 124a, Rn. 225 m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Streitgegenstand des Urteils vom 8.12.2020 ist allein die Nachbarrechtswidrigkeit der Baugenehmigung vom 13.12.2018 in der Fassung des Nachtrags vom 31.8.2020 und der Korrektur vom 9.9.2020. Dazu sind innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO keine Zulassungsgründe im Sinne des Gesetzes dargelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit die Klage aufgrund des Verzichts des Beigeladenen auf die streitgegenständliche Baugenehmigung in der Fassung des 1. Nachtrags inzwischen unzulässig (vgl. dazu den Hinweis des Senats vom 14.6.2022) und das Urteil des Verwaltungsgerichts deshalb unrichtig geworden ist, führt dies mangels entsprechender Darlegungen des Beigeladenen innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht zur Zulassung der Berufung.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Aus den vorstehenden Gründen sind mit dem Vorbringen des Beigeladenen auch keine besonderen Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargetan.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig führt das Zulassungsvorbringen der Beklagten zur Berufungszulassung. Dies ergibt sich aus den vorstehenden Gründen, die auch für die Rügen der Beklagten gelten, die im Wesentlichen an die Erwägungen des Beigeladenen anschließen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,061
ovgnrw-2022-07-29-13-a-301819a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
13 A 3018/19.A
"2022-07-29T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:13"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0729.13A3018.19A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">1. Der Kläger hat die von ihm gerügte Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Darlegung einer Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG setzt voraus, dass der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Divergenzgerichte aufgestellten entscheidungstragenden Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz widersprochen hat.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 - 13 A 250/19.A -, juris, Rn. 22 f., m. w. N., und vom 26. November 2019 - 13 A 4475/18.A -, juris, Rn. 26 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">a) Der Kläger gibt bereits keinen abstrakten Rechtssatz aus dem von ihm angeführten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - wieder, sondern stellt einen eigenen Rechtssatz auf, wenn er geltend macht, „ein Asylantragsteller ist von Verfassung wegen in den Fällen einer fehlerhaften, fremdsprachigen Rechtsmittelbelehrung bzw. fehlerhaften Übersetzung einer zugleich miterteilten, deutschen Rechtsbehelfsbelehrung, die dazu führt, dass die fremdsprachige Belehrung einen anderen von der deutschen Belehrung abweichenden und zudem nicht zutreffenden Inhalt hat, so zu stellen, als sei er gar nicht über die Rechtsbehelfsmöglichkeit unterrichtet worden, mit der Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 VwGO“. Das Bundesverfassungsgericht hat sich – wie der Kläger selbst einräumt – in dem vorgenannten Beschluss zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Rechtsbehelfsbelehrungen und daraus folgenden fachrechtlichen Rechtsfolgen nicht verhalten. Mit seiner Divergenzrüge macht der Kläger letztlich geltend, das Verwaltungsgericht habe Vorgaben, die er aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - ableitet, (lediglich) falsch angewendet, indem es „hinsichtlich des Laufs der Rechtsbehelfsfrist die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags fordere“. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein anderes divergenzfähiges Gericht aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge jedoch nicht.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">StRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2020 - 2 B 15.19 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 87 = juris, Rn. 5, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen beruht die vom Kläger beanstandete Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts auf – vom Verwaltungsgericht zitierter – einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteilsabdruck, Seite 8, zweiter und dritter Absatz), ohne dass der Kläger insoweit eine Abweichung aufzeigen würde. Auch diesbezüglich rügt er lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">b) Der Kläger macht ferner ohne Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht weiche vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1958 - 2 BvL 4/56 - ab. Er benennt schon keinen einzelnen abstrakten Rechtssatz, den das Bundesverfassungsgericht darin aufgestellt hat, dem das Verwaltungsgericht widersprochen haben soll. Stattdessen gibt er längere Passagen aus dem Beschluss zur Bestimmtheit und Auslegung von Ermächtigungsgrundlagen und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wörtlich wieder. Er ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe letztgenanntem Grundsatz widersprochen, wenn es das Fehlerrisiko einer inhaltlich falschen, von der Beklagten stammenden sprachlichen Mitteilung auf den regelmäßig sprach- und rechtsunkundigen Antragsteller verlagere. Damit legt der Kläger aber nicht dar, inwiefern zwischen dem Verwaltungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen soll. Vielmehr setzt er auch insoweit der auf dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - beruhenden Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts lediglich seine eigene Rechtsauffassung entgegen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">c) Ebenso wenig legt der Kläger dar, dass das Verwaltungsgericht dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 2018 - 1 A 2/18.A - widersprochen hätte. Das Oberverwaltungsgericht habe darin festgestellt, dass die in einer Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Formulierung, die Klage müsse „in deutscher Sprache abgefasst“ sein, unrichtig und irreführend sei. Für das Verwaltungsgericht kam es darauf hingegen gar nicht an, weil die für seine Entscheidung maßgebliche deutsche Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung eine solche Formulierung nicht enthielt (Urteilsabdruck, Seite 6, zweiter Absatz).</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen ist die vom Kläger angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2018 ‑ 1 C 6.18 - überholt. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist höchstrichterlich geklärt, dass der Hinweis in der Rechtbehelfsbelehrung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse, diese nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO oder irreführend mache.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">2. Die Rechtssache hat auch nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">a) Ungeachtet dessen, dass der Kläger schon keine Frage formuliert hat, die er für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 - 13 A 250/19.A -, juris, Rn. 4 f., vom 8. Februar 2019 - 13 A 1776/18.A -, juris, Rn. 3 f., und vom 20. Februar 2018 - 13 A 124/18.A -, juris, Rn. 3 f., jeweils m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">sind jedenfalls die von ihm im Rahmen seiner Divergenzrüge sinngemäß aufgeworfenen Fragen zur Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung bzw. deren Übersetzung und daraus gegebenenfalls erwachsender Rechtsfolgen durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - hinreichend geklärt.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Soweit der vorliegende Fall anders als derjenige, der der vorgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde lag, lediglich in der Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung und nicht auch in der deutschen Fassung den Zusatz enthielt, die Klage müsse in deutscher Sprache abgefasst sein, und der Zulassungsantrag aus dieser und weiterer Abweichungen zwischen der deutschen und der übersetzten Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung Vorteile zu seinen Gunsten herleiten will, folgt daraus nichts anderes. Das Bundesverwaltungsgericht hat geklärt, dass zum einen die deutsche Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung für die Beurteilung ihrer Richtigkeit im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich ist (juris, Rn. 15). Zum anderen hat es ausgeführt, dass es für den Fristlauf des § 58 Abs. 2 VwGO unerheblich ist, ob der Kläger überhaupt eine Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung erhalten hat oder vernünftigerweise nicht vorausgesetzt werden konnte, dass dieser die in „Dari“ verfasste Rechtsbehelfsbelehrung verstehen konnte (juris, Rn. 20). In seinem nachfolgenden Urteil vom 26. Februar 2019 - 1 C 39.18 - hat das Bundesverwaltungsgericht zudem klargestellt, dass etwaige Abweichungen in der beigefügten Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung, die – wie hier – bei Rückübersetzung in die deutsche Sprache offenbar werden, nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der (maßgeblichen deutschen) Rechtsbehelfsbelehrung führen (juris, Rn. 16).</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">b) Letztlich begehrt der Kläger eine Änderung der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch Vorlage des vorliegenden Verfahrens an den Gerichtshof der Europäischen Union oder das Bundesverfassungsgericht. Dies kann seinem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar hat eine Rechtssache auch dann grundsätzliche Bedeutung, wenn im weiteren Rechtsmittelverfahren voraussichtlich gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 2017 - 1 BvR 1994/13 -, juris, Rn. 13, m. w. N.,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">oder das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen sein wird, um die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes zu klären.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 ‑ 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104 = juris, Rn. 97, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat aber bereits weder dargelegt, zu welcher konkreten Frage er unionsrechtlichen Klärungsbedarf sieht, noch eine Vorschrift benannt, die er für verfassungswidrig hält. Unabhängig davon ist aber auch nicht ersichtlich, inwieweit noch unions- und/oder verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf im vorliegenden Fall bestehen sollte, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung bereits mit ausführlicher Begründung und unter Berücksichtigung von Art. 12 der Richtlinie 2013/32/EU erkannt hat, dass sogar dann eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGO von Verfassungs wegen oder kraft Unionsrechts nicht geboten ist, wenn eine Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung fehlt oder sie unrichtig ist (juris, Rn. 30 ff.).</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">3. Der vom Kläger schließlich sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) in Form der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers nicht dadurch verletzt, dass es die Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen hat, ohne dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG und des Art. 103 Abs. 1 GG dürfen bei der Auslegung und Anwendung der für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier nach § 60 VwGO) maßgeblichen Vorschriften die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um eine Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 -, juris, Rn. 5, m. w. N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2022 - 13 A 1753/21.A -, juris, Rn. 3, und vom 25. Juli 2019 - 4 A 349/18.A -, NJW 2019, 3738 = juris, Rn. 2 f.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen (Urteilsabdruck, Seite 8, zweiter Absatz, bis Seite 10, dritter Absatz). Dabei ist es in Einklang mit der von ihm zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass eine unverschuldete Versäumung der Klagefrist vorliegt, wenn ein Kläger aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht zu erkennen vermochte, bis wann er Klage zu erheben hat, und er sich diese Kenntnis auch nicht verschaffen konnte. Die Umstände des vorliegenden Falls ließen aber nicht erkennen, dass der Kläger aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht zu erkennen vermochte, bis wann er Klage zu erheben hatte. Ihm sei bereits bei Erhalt des Bescheids bewusst gewesen, dass er dagegen Klage innerhalb einer Frist einzureichen habe. Es hätte ihm deshalb oblegen, alle ihm im Einzelfall zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um die Frist zu wahren oder ein Hindernis zu vermeiden bzw. zu beseitigen. Daneben würde die Gewährung der Wiedereinsetzung an den Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 VwGO scheitern, weil innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist nach Wegfall des Hindernisses keine die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen erkennbar gemacht worden seien.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Das Zulassungsvorbringen legt nicht dar, dass das Verwaltungsgericht damit die Voraussetzungen an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf der Grundlage von § 60 VwGO überspannt hätte. Der Kläger setzt sich bereits nicht damit auseinander, dass das Verwaltungsgericht entscheidungstragend auf ein eigenes Verschulden des Klägers und nicht eines ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten abgestellt hat. Deshalb kam es aus der maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichts folgerichtig nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - erst durch die Hinweisverfügung des Verwaltungsgerichts vom 8. Januar 2019 Kenntnis erlangt habe.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO hat der Kläger hingegen nicht konkret vorgetragen und in der Folgezeit auch nicht glaubhaft gemacht, dass er gerade wegen der als fehlerhaft und divergierend gerügten Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung unverschuldet an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen wäre. Vielmehr hat er sich mit Klageerhebung darauf berufen, schon keine Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache erhalten zu haben, die er versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden dürfe, dass er sie verstehe, noch deren Kenntnis von ihm vernünftigerweise vorausgesetzt werden könne. Etwaige Übersetzungsfehler oder Missverständnisse auf Grundlage der fremdsprachigen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung können ihm – seinen Vortrag zugrunde gelegt – mithin schon gar nicht bewusst und deshalb auch nicht ursächlich für die Versäumung der Klagefrist gewesen sein. Dem Zulassungsvorbringen ist Gegenteiliges nicht zu entnehmen. Es legt bereits nicht konkret die tatsächlichen Gründe dar, die im Fall des Klägers zur Versäumung der Klagefrist geführt haben sollen, sondern zieht sich auf unterstellte allgemeine Annahmen sowie auf unzureichende Sprachkenntnisse zurück. Unzureichende Sprachkenntnisse entheben den Ausländer allerdings nicht der Sorgfaltspflicht in der Wahrnehmung seiner Rechte. Wird daher einem Ausländer ein Bescheid zugestellt, dessen Rechtsmittelbelehrung ihm unverständlich ist, kann er aber seine Bedeutung jedenfalls soweit erfassen, dass es sich um ein amtliches Schriftstück handeln könnte, das eine ihn belastende Verfügung enthält, so können im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht zumutbare Anstrengungen verlangt werden, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 1992 - 2 BvR 1401/91 -, BVerfGE 86, 280 = juris, Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Es obliegt dabei dem Ausländer, sich unverzüglich und mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung über den Inhalt eines ihm nicht verständlichen Schreibens zu bemühen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 1992 - 2 BvR 1401/91 -, BVerfGE 86, 280 = juris, Rn. 23.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Letzteres hat der Kläger, der ausweislich seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung offensichtlich erkannt hatte, dass es sich bei dem Brief des Bundesamts um ein amtliches Schriftstück handelt, und dem zudem bewusst gewesen ist, dass eine Frist zur Klageerhebung zu beachten ist (Protokollabdruck, Seite 2), weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren hinreichend dargetan.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Angesichts dessen kommt auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO nicht in Betracht, weil jedenfalls weder die Kausalität der vom Kläger gerügten Mängel der Rechtsbehelfsbelehrung bzw. deren Übersetzung für die Versäumung der Klagefrist noch die fehlende Möglichkeit, diese rechtzeitig auszuräumen, offenkundig ist.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).</p>
346,724
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18 K 2024/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-09-27T10:01:43"
"2022-10-17T11:10:35"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Der Antrag wird abgelehnt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert wird auf 28.066 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Antragstellerin betreibt die Spielhalle „B.“ in der M.-Straße in W. und ist dazu kraft einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis bis in das Jahr 2036 berechtigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Daneben betrieb die Antragstellerin bis in das Jahr 2021 die streitgegenständliche Spielhalle „P.“ in der W. Straße in W.. Sie war dazu durch eine ihr von dem Antragsgegner erteilte gewerberechtliche bzw. glücksspielrechtliche Erlaubnis berechtigt, welche ihr erstmals im September 2008 und zuletzt mit Bescheid vom 21.08.2017 befristet bis zum 30.06.2021 erteilt wurde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>In einem Radius von 500 Metern Luftlinie um die Spielhalle der Antragstellerin „P.“ befinden sich weitere Spielhallen sowie mehrere Einrichtungen zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 11.06.2021 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für den Betrieb der Spielhalle „P.“ für den Zeitraum ab dem 01.07.2021. Nachdem der Antragsgegner die Erlaubnisanträge in seinem Bezirk nicht rechtzeitig bescheiden konnte, erklärte er, den Betrieb der streitgegenständlichen Spielhalle bis zum 30.09.2021 zu dulden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Mit Bescheid vom 29.09.2021 lehnte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin die Erteilung einer Erlaubnis nach § 41 LGlüG für den Betrieb der Spielhalle „P.“ ab. Ein dagegen erhobener Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie ein am 28.10.2021 gestellter Antrag der Antragstellerin auf gerichtlichen einstweiligen Rechtschutz nach § 123 VwGO. Letzteren lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit inzwischen unanfechtbarem Beschluss vom 30.11.2021 ab (18 K 5192/21). Zur Begründung führte die Kammer gestützt auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 07.10.2021 - 6 S 2763/210 -, juris) aus, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe, weil ihr kein sicherungsfähiger Anspruch zustehe. Die Spielhalle sei voraussichtlich nicht erlaubnisfähig. Sie halte – zwischen den Beteiligten unstreitig – den nach § 42 Abs. 3 LGlüG erforderlichen Mindestabstand zu einer bestehenden Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen nicht ein. Auch die Privilegierung für Bestandsspielhallen nach § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG stehe einer Anwendung des § 42 Abs. 3 LGlüG auf die Spielhalle der Antragstellerin nicht entgegen. Zwar seien die zeitlichen Anforderungen der Norm erfüllt, tatbestandlich erfasst seien aber nur durchgehend erlaubt betriebene oder von den Behörden aktiv geduldete Spielhallen. Der von § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG vermittelte Bestands- und Vertrauensschutz entfalle jedoch mit dem „Eintritt“ erlaubnisfreier Zeiten. Solche hätten vorliegend seit dem Ablauf der bis zum 30.06.2021 gültigen Erlaubnis und dem Ablauf des Zeitraums, für welchen der Antragsgegner den Betrieb der Spielhalle geduldet habe, bestanden. Jedenfalls im Zeitraum zwischen dem 01.10.2021 und der Stellung des gerichtlichen Eilantrages am 28.10.2021 habe keine Erlaubnis oder aktive Duldung mehr bestanden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>In einem zwischen anderen Beteiligten geführten Verfahren verpflichtete der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15.03.2022 (1 VB 156/21) eine Gemeinde, im Wege der einstweiligen Anordnung den Betrieb einer Spielhalle durch die dortige Beschwerdeführerin bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über deren Verfassungsbeschwerdeverfahren zu dulden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der rechtlichen Fragestellung nahm der Verfassungsgerichtshof nicht vor. Stattdessen führte er zur Begründung aus, die Erfolgsaussichten der jenem Verfahren zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 07.10.2021 - 6 S 2763/210 -, juris) seien offen. Die Verfassungsbeschwerde sei weder von vornherein unzulässig, noch offensichtlich unbegründet. Dementsprechend komme es „entscheidend“ auf eine Folgenabwägung an. Diese falle zugunsten der (dortigen) Antragstellerin aus, weil sie anderenfalls in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30.11.2021 (18 K 5192/21) dahingehend abzuändern, dass dem Antragsgegner aufgegeben werde, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis den Weiterbetrieb der Spielhalle der Antragstellerin zu dulden. Zur Begründung führt die Antragstellerin aus, dass sich die Rechtslage durch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs zu ihren Gunsten geändert habe. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zur Zäsurwirkung erlaubnisfreier und nicht aktiv geduldeter Zeiten könne keine Anwendung mehr finden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Im Hinblick auf eine mögliche Existenzgefährdung teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin auf entsprechende Anfrage des Gerichts mit, dass diese mit der streitgegenständlichen Spielhalle in den Jahren 2019 bis 2021 Gewinne zwischen 49.000 EUR und 62.000 EUR p.a. erzielt habe. Für das Jahr 2022 werde von einem Verlust durch den Nichtbetrieb der Spielhalle „P.“ in Höhe von 3.000 EUR ausgegangen. Die Spielhalle „B.“ habe in den Jahren 2019 und 2020 einen Verlust von ca. 104.000 EUR (2019) und ca. 64.000 EUR (2020) erwirtschaftet, im Jahr 2021 einen Gewinn von ca. 253.000 EUR. Für das Jahr 2022 werde ein Gewinn von etwa 6.400 EUR erwartet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie trägt zur Begründung vor, der Verfassungsgerichtshof habe die Erfolgsaussichten lediglich als offen bewertet. Überdies käme auch eine Folgenabwägung im hiesigen Verfahren zu anderen Ergebnissen als im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, weil die Antragstellerin noch eine weitere Spielhalle mit entsprechender Erlaubnis betreibe und daher über weitere Einnahmen verfüge. Die auf den dortigen Einzelfall bezogene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes begründe keine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage i.S.v. § 80 Abs. 7 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Dem Gericht liegen die Behördenakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten, die Gerichtsakten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.</td></tr></table> <table><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Der Antrag hat keinen Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>1. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO analog ist zulässig, insbesondere statthaft.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann außerdem jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Der hier zur Abänderung beantragte Beschluss ist zwar nicht in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern in einem solchen § 123 VwGO ergangen, gleichwohl ist für die Abänderung das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO statthaft. Positivrechtlich ist das Verfahren nach § 123 VwGO jenem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §§ 920 ff. ZPO nachgebildet, vgl. § 123 Abs. 3 VwGO. Für die nachträgliche Abänderung einer Entscheidung nach § 123 VwGO „wegen veränderter Umstände“ ist indes gesetzlich kein Verfahren vorgesehen, sodass insoweit eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch eine Analogie zu § 80 Abs. 7 VwGO zu füllen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Die planwidrige Regelungslücke ergibt sich zum einen daraus, dass für das gegenüber dem Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO speziellere Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eine entsprechende Abänderungsmöglichkeit gegeben ist, vgl. § 80 Abs. 7 VwGO. Auch im zivilgerichtlichen Verfahren besteht nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung eine solche Möglichkeit, § 927 ZPO. Der Erstreckung des § 927 ZPO auf Beschlüsse über Anträge nach § 123 VwGO steht entgegen, dass § 927 ZPO in der Verweisung des § 123 Abs. 3 VwGO ausdrücklich nicht erwähnt ist (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24.04.2013 - 4 MC 56/13 -, BeckRS 2013, 50120) und der Gesetzgeber das Verwaltungsprozessrecht bereits mehrfach reformiert hat, ohne insoweit tätig zu werden (Kuhla, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl., § 123 Rn. 181).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Daraus lässt sich schlussfolgern, dass eine Erstreckung des Verfahrens nach § 927 ZPO auf Beschlüsse über Anträge nach § 123 VwGO vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Dementsprechend ist die planwidrige Regelungslücke für die nachträgliche Abänderung von Beschlüssen nach § 123 Abs. 1 VwGO über eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 7 VwGO zu schließen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.1995 - 2 BvR 492/95 -, juris Orientierungssatz 1 und Rn. 67; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.12.2001 - 13 S 1824/01 -, juris Leitsatz 1). Sie ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen zuvor eine einstweilige Anordnung erlassen wurde, sondern umfasst auch ablehnende Entscheidungen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.12.2001 - 13 S 1824/01 -, juris Leitsatz 1).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>2. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog ist unbegründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog ist begründet, wenn veränderte Umstände tatsächlich vorliegen oder im ursprünglichen Eilverfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände gegeben sind, die im Ergebnis zu einer vom früheren Aussetzungsverfahren abweichenden Beurteilung der Sach- oder Rechtslage führen. Damit ein Abänderungsantrag Erfolg hat, müssen beide Voraussetzungen – kumulativ – gegeben sein: Das Gericht muss also bejahen, dass ein Abänderungsgrund vorliegt und es muss zusätzlich zu einer von dem ursprünglichen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO abweichenden Eilentscheidung kommen (Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL, § 80 Rn. 584, Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl., § 80 Rn. 134).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Ein „veränderter Umstand“ i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist die Änderung der Sach- oder Rechtslage. Eine hier allein in Rede stehende Änderung der Rechtslage kommt etwa dann in Betracht, wenn entscheidungserhebliche neue Rechtsnormen erlassen oder bestehende Rechtsnormen zwischenzeitlich geändert wurden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.1994 - 4 VR 1/94 -, NVwZ 1995, 383; OVG Sachsen, Beschluss vom 31.05.2017 - 5 B 19/17.A -, BeckRS 2017, 114068 Rn. 4; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.10.1997 - 6 B 11585/97 -, NVwZ 1998, 208).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Ein Abänderungsgrund wegen einer Änderung der Rechtslage kann auch durch eine Änderung der Rechtsprechung gegeben sein. Anerkannt sind insoweit Fälle, in denen ein Obergericht für das erkennende Gericht bindend nach Erlass der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO in einem anderen Verfahren über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage entschieden hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.01.1992 - 11 S 1995/91 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 09.12.2013 - 16 B 994/13 -, juris und vom 31.03.2016 - 8 B 1341/15 -, juris jeweils im Nachgang zu Entscheidungen des EuGH, die für die nationalen Gerichte rechtlich bindend sind, vgl. EuGH Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn. 14).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Weiter wird eine Änderung der Rechtslage durch eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung auch dann angenommen, wenn nach der Eilentscheidung eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich in einem anderen Verfahren anders beantwortet oder erstmalig geklärt wurde (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.02.2007 - 13 S 2969/06 -, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 07.10.2004 - 11 ME 289/04 -, juris Leitsatz 1 jeweils im Nachgang zu einer Entscheidung des BVerwG; vgl. auch Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL, § 80 Rn. 585, Reimer, VBlBW 1986, 291, 294).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Andererseits kommt einer unanfechtbaren Entscheidung auch im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes für die Beteiligten Bindungswirkung zu (vgl. statt aller: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2021 - 13 S 3272/20 -, juris Rn. 5). Dementsprechend genügt nicht jeder Wandel der Rechtsanschauung für einen Abänderungsgrund nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Nicht ausreichend ist beispielsweise die bloße Änderung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts (Schmid DVBl 1976, 932 (933); Reimer VBlBW 1986, 291 (293); OVG Hamburg, Beschluss vom 03.02.1995 - Bs VII 2/95 -, NVwZ 1995, 1004 Leitsatz 1). Auch von der Rechtsauffassung des Gerichts abweichende rechtliche Schlussfolgerungen der Antragsteller stellen keinen Abänderungsgrund gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO dar (Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.07.2008 - 9 CS 08.1347 -, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 12.06.1996 - 10 Q 1293/95 -, juris). Sie wären stattdessen im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO geltend zu machen. Schließlich liegt selbst in einer (reinen) Zulassung der Revision gegen eine Entscheidung in der Hauptsache noch keine Änderung der Sachlage (BVerwG, Beschluss vom 24.03.1994 - 1 B 134.93 -, juris Rn. 3).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Aus alledem folgt, dass ein „veränderter Umstand“ i.S.v. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO durch ein obergerichtliches Judikat jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn sich diesem keine Aussage zum Fortbestand der rechtlichen Prämissen entnehmen lässt, welche das erkennende Gericht seiner Ausgangsentscheidung zugrunde gelegt hat, aus dem obergerichtlichen Judikat also nicht hinreichend sicher darauf geschlossen werden kann, dass die rechtlichen Prämissen der Ausgangsentscheidung einer Überprüfung im Instanzenzug heute nicht mehr standhalten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.03.1994 - 1 B 134.93 -, juris Rn. 3).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>So liegt der Fall hier. Aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kann nicht geschlossen werden, dass die dort angegriffene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, auf welche sich auch die Kammer in der hier zur Abänderung gestellten Entscheidung nach § 123 VwGO gestützt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Vielmehr hat der Verfassungsgerichtshof die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausdrücklich als offen angesehen und lediglich ausgeführt, dass die Verfassungsbeschwerde weder von vornherein unzulässig, noch offensichtlich unbegründet sei. Er hat sich für seine Entscheidung stattdessen „entscheidend“ auf eine Abwägung der sonstigen Interessen der dortigen Verfahrensbeteiligten gestützt (VerfGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.03.2022 - 1 VB 156/21 -, juris Rn. 21).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>3. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes und der hiesige Antrag geben auch keinen Anlass, die angegriffene Entscheidung gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog von Amts wegen abzuändern.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Der Gesetzgeber hat die Abänderung einer Eilentscheidung von Amts wegen bewusst in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt (Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO § 80 Rn. 569), sodass jeder willkürfreie Grund für die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO zum Anlass genommen werden kann (BVerfG, Beschluss vom 24.07.2019 - 2 BvR 686/19 -, juris Rn. 38, 40; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/v. Albedyll, VwGO, 7. Aufl., § 80 Rn. 152). Für eine solche Abänderung von Amts wegen müssen sich die äußeren Umstände nicht geändert haben. Es genügt, dass das Gericht nachlaufend zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder - bei einem vorherigen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO - die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig einstuft (Gersdorf, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl., § 80 VwGO Rn. 199).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Gemessen daran ist keine andere Beurteilung der Rechtslage gegenüber jener in der ursprünglichen Entscheidung der Kammer (18 K 5192/21) veranlasst, weil die Antragstellerin noch immer weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, § 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>a. Die Antragstellerin hat schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Kammer hat mit Beschluss vom 30.11.2021 (18 K 5192/21) das Vorliegen eines Anordnungsanspruches verneint. Der insoweit hier allein in Rede stehende Beschluss des Verfassungsgerichtshofes führt nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage dergestalt, dass nunmehr ein Anordnungsanspruch anzunehmen wäre (s.o.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>b. Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>aa. Ein solcher ergibt sich auch mit Blick auf ihre grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, nicht bereits aus den rechtlichen Interessen der Antragstellerin. Zwar hat sie nach aktueller Sachlage den Betrieb der streitgegenständlichen Spielhalle zu unterlassen. Allerdings betreibt sie neben dieser Spielhalle noch die Spielhalle „B.“ und wird dazu auch gemäß einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis auf absehbare Zeit berechtigt bleiben. Dementsprechend führt der unterbrochene Betrieb der streitgegenständlichen Spielhalle nicht dazu, dass die Antragstellerin ihren Beruf gar nicht mehr ausüben kann, sondern lediglich dazu, dass sie dabei vorerst auf eine Spielhalle beschränkt ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>bb. Auch ein Anordnungsgrund wegen der wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Zwar entfällt für die Antragstellerin durch den Nichtbetrieb der streitgegenständlichen Spielhalle eine Einnahmequelle in erheblichem Umfang. Allerdings bleibt ihr durch den Betrieb der Spielhalle „B.“ eine andere Einnahmequelle. Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin auf entsprechende Anfrage des Gerichts unter Berufung auf eine überschlägige Berechnung ihres Steuerberaters vorgetragen hat, dass mit der Spielhalle „B.“ ab 2022 kaum mehr Gewinne erwirtschaftet würden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Dieser Vortrag und die „Gewinnermittlung“ des Steuerberaters der Antragstellerin vermögen nicht, den Anordnungsgrund glaubhaft zu machen und insoweit eine hinreichende Überzeugung des Gerichts zu begründen. Sie zeigen einen erwarteten Umsatz der Spielhalle von 600.000 EUR und einen erwarteten Getränkeumsatz von 14.000 EUR. Letzterer liegt auf dem Niveau vor der Coronapandemie (2019). Die in den Jahren 2020 und 2021 noch sechsstelligen „sonstigen betrieblichen Erträge“ (109.889,89 EUR und 141.524,38 EUR) werden dagegen für 2022 mit 14.000 EUR geschätzt, ohne dass vorgetragen oder sonst ersichtlich wäre, worauf dieser Einbruch beruhen soll. Selbiges gilt für mehrere Angaben auf der Kostenseite. Während „Fremdleistungen 33%“ in den Vorjahren mit maximal 3.366 EUR (2019) und im Jahr 2021 nur mit 1.712,70 EUR zu Buche schlugen, werden dafür für 2022 10.000 EUR angesetzt. Während die „Abschreibungen für Sachanlagen und Gebäude“ in den Vorjahren maximal 5.622,87 EUR (2019) und im Jahr 2021 nur 3.911,16 EUR betrugen, sollen dafür im Jahr 2022 13.595 EUR anfallen. Während die „sonstigen betrieblichen Aufwendungen 33%“ in den Vorjahren bei maximal 179.888,43 EUR (2019) und im Jahr 2021 bei 147.106,74 EUR lagen, sollen sie für 2022 einen Umfang von 260.000 EUR annehmen. Während schließlich die „sonstigen Steuern 33%“ in den Vorjahren mit maximal 148.239,63 EUR (2019) und im Jahr 2021 nur mit 21.923,55 EUR zu Buche schlugen, sollen dafür im Jahr 2022 179.000 EUR aufgewendet werden. Diese allesamt zulasten des Gewinnes der Spielhalle getroffenen Angaben lassen sich auch insbesondere nicht mit Umsatzverschiebungen in entsprechendem Ausmaß erklären (Summe Erträge 2019: 461.592,02 EUR; 2020: 418.143,44 EUR, 2021: 568.349,99 EUR; 2022 (geschätzt): 628.000 EUR).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Mithin ist davon auszugehen, dass aus dem Betrieb der Spielhalle B. zumindest die Liquidität und das tägliche Auskommen der Antragstellerin gesichert sind. Auch die sonstigen Kosten durch den Nichtbetrieb der streitgegenständlichen Spielhalle in Höhe von 3.000 EUR sind für die Antragstellerin nicht derart einschneidend, dass allein deshalb von einem Anordnungsgrund auszugehen wäre.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>5. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 54.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Diese Maßstäbe für das Verfahren auf einstweiligen Rechtschutz finden auch in Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO Anwendung (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2022 - 3 S 470/22 -, juris Rn. 65).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Danach entspricht der Streitwert dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens 15.000 EUR. Die hier zusätzlich in Rede stehenden Verluste der Antragstellerin i.H.v. etwa 3.000 EUR (geschätzt) für das Jahr 2022 sind demnach nicht zu berücksichtigen. Der Streitwertkatalog stellt allein auf den entgangenen Gewinn ab. Die streitgegenständliche Spielhalle wird im Jahr 2022 nicht betrieben, sodass sich kein Gewinn für dieses Geschäftsjahr ermitteln lässt. Gleichwohl ist hier nicht der Mindestwert von 15.000 EUR anzusetzen, weil für den Streitwert auf die „Bedeutung der Sache“ für die Antragstellerin abzustellen ist, § 52 Abs. 1 GKG. Diese lässt sich in Ermangelung entgegenstehender Umstände hinreichend genau aus dem Durchschnittswert der Vorjahresgewinne durch den Betrieb der streitgegenständlichen Spielhalle berechnen. Er belief sich für die Geschäftsjahre seit 2019 nach „überschlägiger Ermittlung“ der Antragstellerin auf 49.433 EUR (2019), 62.063 EUR (2020) und 56.900 EUR (2021). Als zu erwartender Jahresgewinn für das Geschäftsjahr 2022 ergibt sich aus dem Durchschnitt dieser Angaben ein Wert von 56.132 EUR.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Weil es sich vorliegend um ein Verfahren im einstweiligen Rechtschutz ohne Vorwegnahme der Hauptsache handelt, war der danach maßgebliche Ausgangswert i.H.v. 56.132 EUR zu halbieren, vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,688
vg-karlsruhe-2022-07-28-nc-7-k-387021
{ "id": 158, "name": "Verwaltungsgericht Karlsruhe", "slug": "vg-karlsruhe", "city": 42, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
NC 7 K 3870/21
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-09-23T10:01:24"
"2022-10-17T11:10:30"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>der Antragstellerin am Studienort Heidelberg vorläufig einen Studienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Psychologie Bachelor (100 %) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 zuzuweisen;</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>der Zuweisungsbescheid wird unwirksam, wenn die Antragstellerin nicht innerhalb einer von der Antragsgegnerin zu setzenden Frist von einer Woche die Immatrikulation beantragt und deren Voraussetzungen nachweist;</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>der Zuweisungsbescheid wird ferner unwirksam, wenn die Antragstellerin nicht am Tag der Immatrikulation schriftlich an Eides statt versichert, im Studiengang Psychologie Bachelor (100 %) bisher weder eine endgültige noch eine vorläufige Zulassung durch eine Hochschule in der Bundesrepublik Deutschland erhalten zu haben.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>1. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antrag, der sich sachdienlich (§ 122 Abs. 1, § 88, § 86 Abs. 3 VwGO) darauf richtet,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="2"/>die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig einen Studienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Psychologie Bachelor (100 %) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 zuzuweisen,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>ist zulässig und begründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung setzt somit voraus, dass der Antragsteller die Gründe, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund), und den Anspruch glaubhaft macht, dessen vorläufiger Regelung die einstweilige Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch; vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920, § 294 ZPO).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Die Antragstellerin, die am 15.07.2021 und damit innerhalb der in den § 37 Abs. 1 Nr. 2 und § 20 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Hochschulzulassung und das Anmeldeverfahren an den staatlichen Hochschulen in Baden-Württemberg (Hochschulzulassungsverordnung - HZVO) vom 02.12.2019 bestimmten Fristen ihre Zulassung zum Bachelorstudiengang Psychologie (100 %) zum Wintersemester 2021/2022 außerhalb und innerhalb der festgesetzten Kapazität beantragte, hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Der Anordnungsgrund ergibt sich in kapazitätsrechtlichen Streitigkeiten aus der Erwägung, dass den Studienbewerbern ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, die in aller Regel erst geraume Zeit nach Abschluss des Bewerbungssemesters ergehen kann, nicht zuzumuten ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.08.2003 - NC 9 S 28/03 -; Beschluss der Kammer vom 19.04.2022 - NC 7 K 3106/21 -, jeweils juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin beruht auf ihrem Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.10.1991 - 1 BvR 393/85 u.a. -, juris) gewährleistet Art. 12 Abs. 1 GG das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Inanspruchnahme dieses Rechts hängt von tatsächlichen Voraussetzungen ab, deren Fehlen das Recht wertlos machen kann. Schafft der Staat mit öffentlichen Mitteln Ausbildungseinrichtungen, so muss er auch den freien und gleichen Zugang zu ihnen gewährleisten. Deshalb ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgrundsatz für jeden Bürger, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl (BVerfG, Urteil vom 18.07.1972 - 1 BvL 32/70 u.a. -, juris). Zulassungsbeschränkungen sind nur unter strengen formellen und materiellen Voraussetzungen statthaft. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und sind nur dann verfassungsgemäß, wenn sie zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts – Funktionsfähigkeit der Hochschulen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium – und nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden (BVerfG, Beschluss vom 03.06.1980 - 1 BvR 967/78 u.a. -, juris). Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren prüfen die Verwaltungsgerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Kapazitätsgrenze tatsächlich und rechtlich eingehend. Denn eine tatsächliche Chance auf Zuweisung eines noch vorhandenen Studienplatzes besteht nur dann, wenn die kapazitätsbestimmenden Faktoren durch die Gerichte auch schon im Eilverfahren geprüft werden. Anderenfalls könnte sich jede Hochschule der Verpflichtung entziehen, Studenten bis zur vollen Ausschöpfung aller vorhandenen Kapazitäten aufzunehmen, indem sie Zahlen benennt, die nicht völlig außerhalb der Plausibilität liegen und im Rahmen einer nur summarischen Prüfung daher unbeanstandet bleiben (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die erforderliche Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren im Hinblick auf die kapazitätsbestimmenden Faktoren vgl. im Einzelnen: BVerfG, Beschluss vom 31.03.2004 - 1 BvR 356/04 -, juris m.w.N.). Den umfassenden, rechtlich gebotenen Prüfungsauftrag kann das Verwaltungsgericht jedoch nur dann erfüllen, wenn die Hochschule den ihr obliegenden Mitwirkungspflichten im Kapazitätsrechtsstreit nachkommt. Unklarheiten, die auf unzureichender Aufarbeitung oder Dokumentation der zulassungsbeschränkenden Kapazitätsermittlung beruhen, gehen deshalb zu Lasten der Hochschule (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 24.10.2019 -12 L 739/18.NC -; VG Bremen, Beschluss vom 26.11.2010 - 6 V 1105/10 -, jeweils juris; Beschluss der Kammer vom 16.07.2018 - NC 7 K 11919/17 -, n.v.).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Ausgehend von diesen Grundsätzen sieht sich die Kammer vorliegend nicht in der Lage, die im Kapazitätsrechtsstreit schon im Eilverfahren rechtlich gebotene Überprüfung der kapazitätsbestimmenden Faktoren in dem erforderlichen Umfang vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 31.03.2004 - 1 BvR 356/04 -, juris). Denn die Antragsgegnerin hat trotz konkreter Aufforderungen mit Verfügungen vom 24.11.2021 sowie vom 30.05.2022 auch nach Fristverlängerung zum 19.07.2022 weder die vorgelegte Kapazitätsberechnung unter Vorlage zusätzlich angeforderter Unterlagen substantiiert und nachvollziehbar erläutert noch die angeforderten Belegungslisten für den Bachelorstudiengang Psychologie (25 %) und den Masterstudiengang Psychologie – Schwerpunkt Developmental and Clinical Psychology – vorgelegt. Da sie ihrer Darlegungslast nicht gerecht geworden ist und auch eine rechtlich tragfähige Begründung für das festzustellende Darlegungsdefizit fehlt, vermag die Kammer nicht davon auszugehen, dass die Zulassungszahl von 90 Studienanfängern, die in der für das hier maßgebliche Wintersemester 2021/2022 für den Studiengang Psychologie Bachelor (100 %) bei der Antragsgegnerin in der Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die Studiengänge im Vergabeverfahren der Universitäten im Wintersemester 2021/2022 und im Sommersemester 2022 (Zulassungszahlenverordnung Universitäten 2021/2022 - ZZVO Universitäten 2021/2022) vom 17.06.2021 festgesetzt ist (vgl. Anlage 1 i.V.m. § 2 ZZVO Universitäten 2021/2022), ausgeschöpft ist. Gleiche gilt bezüglich der tatsächlich vorhandenen Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin im Studiengang Psychologie Bachelor (100 %), die ausweislich der als Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 19.07.2022 vorgelegten Belegungsliste mit 94 Studenten im 1. Fachsemester dieses Studienganges betragen soll.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Eine Grenze der Ausbildungskapazität im 1. Fachsemester dieses Studiengangs lässt sich – mit Verbindlichkeit für die Entscheidung im Eilverfahren – nur dadurch gewinnen, dass die Kammer das verfassungsrechtlich geschützte Interesse der Antragstellerin an einem soweit wie möglich ungehinderten Zugang zur gewünschten Berufsausbildung mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Studienbetriebs abwägt (vgl. hierzu: VG Hannover, Beschluss vom 06.01.2009 - 8 C 3704/08 -, juris; Beschluss der Kammer vom 16.07.2018 - NC 7 K 11919/17 -, n.v.; sonst zu geschätzten „Sicherheitsaufschlägen“ im Kapazitätsrecht: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 10.07.2006 - 2 NB 12/06 -, juris). Diese Abwägung fällt hier zugunsten der Antragstellerin aus. Denn es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass mit der vorläufigen Aufnahme einer weiteren Studienbewerberin die Grenze der Funktionsfähigkeit der Antragsgegnerin (vgl. zu dieser Grenze: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.05.2009 - NC 9 S 240/09 -; OVG Bremen, Beschluss vom 30.06.1988 - 1 B 41/88 -; OVG Hamburg, Beschluss vom 11.10.1996 - Bs III 324/94 -, jeweils juris) erreicht wäre und der geordnete Studienbetrieb im Bachelorstudiengang Psychologie (100 %) gefährdet sein könnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass nach der vorgelegten Kapazitätsberechnung die Antragsgegnerin von einer Kapazität von 64, 39 und 64, mithin insgesamt von 167 Studienplätzen im 1. Fachsemester in den der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen Psychologie Bachelor (100 %), Bachelor (25 %) und Master – Schwerpunkte Developmental and Clinical Psychology (DCP) und Organisational Behaviour and Adaptive Cognition (OBAC) – ausgeht, gleichwohl 90, 60 und 64 (DCP) bzw. 26 (OBAC), mithin insgesamt 240 Studienplätze in der Zulassungszahlenverordnung Universitäten 2021/2022 für diese Studiengänge festgesetzt werden. Diese erhebliche Abweichung von 73 Studienplätzen aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Land Baden-Württemberg und den Hochschulen und Berufsakademien des Landes aus dem Jahr 2007 lässt den Schluss zu, dass die Antragsgegnerin, deren Funktionsfähigkeit mit 73 bzw. 26 die rechnerische Kapazität übersteigenden Studienplätzen in den 1. Fachsemestern der Lehreinheit bzw. im streitgegenständlichen Studiengang nicht in Frage gestellt wird, auch mit einem weiteren Studienplatz noch einen geordneten Studienbetrieb gewährleisten kann, zumal die Antragsgegnerin ausweislich ihrer im Berechnungszeitraum 2020/2021 vorgelegten Belegungsliste im 2. Fachsemester des Sommersemesters 2021 sogar 98 Bachelorstudienplätze im Studiengang Psychologie (100 %) bereitgestellt hat, ohne Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit überhaupt auch nur geltend gemacht zu haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Auch im Übrigen ist ohne die nachdrücklich und mannigfach erbetenen Unterlagen eine erschöpfende Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazität nicht festzustellen. Rechtsgrundlage für die Ermittlung der Ausbildungskapazität einer Lehreinheit ist die Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen (Kapazitätsverordnung - KapVO VII -) vom 14.06.2002 (GBl. S. 271), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.06.2021 (GBl. S. 517). Danach ergibt sich die jährliche Aufnahmekapazität eines Studiengangs aus einer Teilung des verfügbaren Lehrangebots (in Deputatsstunden) durch den Anteil am Curricularnormwert (CNW, vgl. § 6, § 13 Abs. 1 KapVO VII), der auf die Lehreinheit entfällt, welcher der Studiengang zugeordnet ist (sog. Eigencurricularanteil, CAp; vgl. § 13 Abs. 4 KapVO VII und die Gleichung (5) unter Abschnitt II der Anlage 1 zur KapVO VII). Gegebenenfalls ist dieses Ergebnis im Hinblick auf bestimmte, in § 14 KapVO VII aufgeführte Überprüfungstatbestände zu korrigieren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Antragsgegnerin hat in ihrer Kapazitätsberechnung ausgehend von einer Stellenzahl von 28 – davon 10 Professoren mit Regellehrverpflichtung, 2 Juniorprofessoren, 2,5 unbefristete Akademische Mitarbeiter, 12,5 befristete Akademische Mitarbeiter mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation sowie einen befristeten Akademischen Mitarbeiter mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation aus MA 2016 –, einer Deputatsermäßigung von einer SWS für den Dekan Prof. Dr. H. (10x9+2x4+2,5x9+12,5x4+1x4-1 = 173,5), Lehraufträgen im Umfang von einer  SWS und einem Dienstleistungsexport für den der Lehreinheit nicht zugeordneten Studiengang „Lehramt-Wahlmöglichkeiten im Rahmen Bachelor“ von 1,9890 SWS ein bereinigtes <span style="text-decoration:underline">Lehrangebot</span> von 172,51 SWS angegeben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Die Kapazitätsberechnung zum unbereinigten Lehrangebot vermochte die Antragsgegnerin allerdings weder substantiiert noch nachvollziehbar zu erläutern.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Bereits die auf gerichtliche Verfügung am 19.07.2022 vorgelegte Stellenbesetzungsliste, aus der sich die Besetzung der der im abstrakten Stellenplan aufgeführten Stellen ergeben sollte, lässt sich nicht mit dem ebenfalls am 19.07.2022 vorgelegten abstrakten Stellenplan in Einklang bringen. Zunächst weist der abstrakte Stellenplan lediglich eine Stelle für einen befristeten Akademischen Mitarbeiter mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation aus MA 2016 aus (vgl. auch Seite 2 der Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität gemäß KapVO), während nach der Stellenbesetzungsliste 1,5 Stellen für befristete Akademische Mitarbeiter mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation aus MA 2016 vorhanden und mit Frau P, Dr. S. und Dr. L. besetzt sind. Ungeachtet der unklaren Zuordnung einer 100 % Stelle für einen „Akad Dir“ zu den befristeten Akademischen Mitarbeitern mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation, sind ferner nach der Stellenbesetzungsliste lediglich insgesamt maximal 13 Stellen für befristete Akademische Mitarbeiter mit der Möglichkeit zur Weiterqualifikation vorhanden, während der abstrakte Stellenplan (einschließlich der angeblich einen Stelle aus MA 2016) 13,5 Stellen für diese ausweist. Nicht zuletzt auch angesichts der erheblichen Differenzen zwischen der dem Verzeichnis auf der Homepage der Universität Heidelberg zu entnehmenden Zahl der nicht der Verwaltung zuzuordnenden Mitarbeiter und der in die Kapazitätsberechnung eingestellten Planstellenzahl kann nach alledem nicht davon ausgegangen werden, dass das zugrunde gelegte Lehrangebot den tatsächlichen Kapazitäten der Antragsgegnerin entspricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Dies gilt umso mehr, als dass die Antragsgegnerin trotz wiederholter Aufforderung keine Dienstaufgabenbeschreibungen vorgelegt hat. Denn nach § 9 Abs. 1 KapVO VII bestimmt sich das Deputat der Stelle nach der Lehrverpflichtung gemäß der Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Lehrverpflichtungen an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und der Dualen Hochschule (Lehrverpflichtungsverordnung - LVVO -) vom 03.09.2016 (GBl. S. 552), zuletzt geändert am 30.03.2021 (GBl. S. 378) (vgl. auch: Beschluss der Kammer vom 19.04.2022 - NC 7 K 3106/21 -; VG Freiburg, Urteil vom 14.02.2012 - NC 6 K 2025/09 -, jeweils juris) und nicht nach Anlage 2 des Kapazitätserlasses, wie die Antragsgegnerin meint. Bei Akademischen Mitarbeitern richtet sich demnach die Lehrverpflichtung nach den Anteilen der von ihnen im Bereich der Forschung bzw. der Lehre jeweils zu erbringenden Dienstaufgaben (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 LVVO). Für im Beamtenverhältnis auf Zeit beschäftigte Akademische Mitarbeiter beträgt die Lehrverpflichtung bis zu 4 SWS, sofern ihnen nach § 52 Abs. 2 und 4 LHG die Möglichkeit der Weiterqualifikation eingeräumt wurde; die Lehrverpflichtung erhöht sich auf 6 SWS, sobald das Ziel der Weiterqualifikation erreicht wurde (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 LVVO). Bei befristet oder unbefristet privatrechtlich Beschäftigten richtet sich die Lehrverpflichtung nach der Ausgestaltung des Dienstverhältnisses. Nehmen privatrechtlich Beschäftigte aufgrund vertraglicher Vereinbarung die gleichen Dienstaufgaben wahr wie die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 LVVO genannten Beamten, ist ihre Lehrverpflichtung jeweils entsprechend festzusetzen. Bei Akademischen Mitarbeitern in befristeten Arbeitsverhältnissen ist, soweit ihnen nach § 52 Abs. 2 LHG die Möglichkeit der Weiterqualifikation eingeräumt ist, die Lehrverpflichtung auf 4 SWS festzusetzen; die Lehrverpflichtung erhöht sich auf 6 SWS, sobald das Ziel der Weiterqualifikation erreicht wurde (§ 2 Abs. 6 LVVO). Der konkrete Umfang der Lehrverpflichtung wird durch die Dienstaufgabenbeschreibung festgelegt (§ 52 Abs. 1 Satz 7 LHG). Hat die Hochschule für den akademischen Mitarbeiter keine Dienstaufgabenbeschreibung erstellt, aus der sich der konkrete Umfang der Lehrverpflichtung ergibt, beträgt die Lehrverpflichtung nach § 2 Abs. 4 LVVO 25 SWS. Da die Antragsgegnerin die Dienstaufgabenbeschreibungen trotz mehrmaliger Aufforderungen nicht vorgelegt hat, kann das von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Lehrangebot nach diesen Maßstäben nicht überprüft werden. Hieran vermag auch der wiederholte Verweis der Antragsgegnerin auf das abstrakte Stellenprinzip nichts zu ändern, wonach es für die Berechnung der personellen Aufnahmekapazität auf die Anzahl der für die Lehreinheit vorgesehenen „Stellen“ und nicht auf die tatsächlich dort tätigen Lehrpersonen ankommt. Denn vorliegend geht es um die Deputate der Stellen und nicht um die Stellen selbst.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Ferner kann die geltend gemachte Deputatsermäßigung im Berechnungszeitraum 2021/2022 mangels Darlegung nicht überprüft werden und muss damit unberücksichtigt bleiben. Denn auf die gerichtlichen Verfügungen vom 24.11.2021, 30.05.2022 und 05.07.2022 hin, die Unterlagen für die geltend gemachte Deputatsminderung vorzulegen, ging bei der Kammer am 23.11.2021 nur ein Antrag auf Reduzierung des Lehrdeputats für das Wintersemester 2020/2021 und am 19.07.2022 nur ein Antrag auf Reduzierung des Lehrdeputats für das Sommersemester 2020 ein.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Schließlich vermag die Kammer auch die Zahl der nach § 10 KapVO VII in die Berechnung einzubeziehenden Lehrveranstaltungsstunden nicht festzustellen, da die Antragsgegnerin eine nachvollziehbare Erläuterung der in der Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität zugrunde gelegten Lehraufträge in Höhe von einer SWS schuldig geblieben ist. Gemäß dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 19.07.2022 standen in den beiden vorausgegangenen Semestern insgesamt 72 SWS an Lehrauftragsstunden zur Verfügung, wovon 18 SWS aus studentischen Qualitätssicherungsmitteln sowie weitere 26 SWS aus Haushaltsmitteln für unbesetzte Stellen vergütet worden seien; bei den weiteren 30 SWS habe es sich um unvergütete Lehraufträge gehandelt. Demnach würde die Antragsgegnerin insgesamt Lehrauftragsstunden in Höhe von 44 SWS vergüten, während – angesichts von unvergüteten Lehrauftragsstunden in Höhe von 30 SWS – lediglich 42 SWS zu vergüten wären.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Da der Kammer bereits aus den dargelegten Gründen die gebotene rechtliche Überprüfung der kapazitätsbestimmenden Faktoren nicht ermöglicht wird, bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob die Zuordnung von Stellen aus ehemaligen Ausbaumitteln – nachdem diese Mittel in die Grundfinanzierung übertragen wurden – zu anderen Lehreinheiten, der behauptete Dienstleistungsexport in den Studiengang „Lehramt-Wahlmöglichkeiten im Rahmen Bachelor“ sowie die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Lehrnachfrage, die Anteilsquoten und die Schwundberechnung rechtlich zu beanstanden sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Unabhängig von den bereits dargelegten Gründen vermag die Kammer zuletzt auch deshalb nicht davon auszugehen, dass die ausweislich der von der Antragsgegnerin vorgelegten Belegungsliste vorhandene Belegung mit 94 Studenten im 1. Fachsemester des Bachelorstudiengangs Psychologie (100 %) die tatsächlich vorhandene Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin in diesem Studiengang im Wintersemester 2021/2022 ausschöpft, da die Antragsgegnerin die wiederholt angeforderten Belegungslisten für das 1. Fachsemester im Bachelorstudiengang Psychologie (25 %) und im Masterstudiengang Psychologie – Schwerpunkt DCP – für das Wintersemester 2021/2022 nicht vorgelegt hat. Angesichts einer von der Antragsgegnerin demnach lediglich dargelegten weiteren Belegung mit 26 Studenten im 1. Fachsemester des Masterstudiengangs Psychologie – Schwerpunkt OBAC – kann nicht festgestellt werden, dass keiner der von der Antragsgegnerin selbst errechneten 167 Studienplätze für die Lehreinheit Psychologie im Wege der sog. horizontalen Substituierung dem Bachelorstudiengang Psychologie (100 %) zur Verfügung zu stellen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Nach alledem kann nicht von einer kapazitätserschöpfenden Belegung ausgegangen werden. Der Antragstellerin war daher am Studienort Heidelberg vorläufig einen Studienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Psychologie Bachelor (100 %) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2021/2022 zuzuweisen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG; für eine Herabsetzung des Auffangstreitwerts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes besteht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg kein Anlass (vgl. nur den Beschluss vom 17.09.2008 - NC 9 S 1792/08 -, juris).</td></tr></table> </td></tr></table>
346,431
vg-gelsenkirchen-2022-07-28-4-l-74722
{ "id": 843, "name": "Verwaltungsgericht Gelsenkirchen", "slug": "vg-gelsenkirchen", "city": 423, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 L 747/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-09-06T10:01:17"
"2022-10-17T11:09:46"
Beschluss
ECLI:DE:VGGE:2022:0728.4L747.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>1. Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache vorläufig zum Schuljahr 2022/2023 in die 1. Jahrgangsstufe an der katholischen Grundschule B.              in F.     aufzunehmen,</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Verwaltungsgericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Der Antragsteller hat nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, zum Schuljahr 2022/23 einen Anspruch auf Aufnahme in die katholische Grundschule B.              zu haben.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Nach § 46 Abs. 3 Satz 1 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) hat jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität, soweit der Schulträger keinen Schuleinzugsbereich gebildet hat. Über die Aufnahme der Schülerin oder des Schülers in die Schule entscheidet die Schulleiterin oder der Schulleiter gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SchulG innerhalb des vom Schulträger hierfür festgelegten Rahmens, insbesondere der Zahl der Parallelklassen pro Jahrgang. Die Aufnahme in eine Schule kann gemäß § 46 Abs. 2 SchulG unter anderem abgelehnt werden, wenn ihre Aufnahmekapazität erschöpft ist. Besondere Aufnahmevoraussetzungen und Aufnahmeverfahren für einzelne Schulstufen oder Schulformen sowie Aufnahmekriterien bei einem Anmeldeüberhang können in der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnung geregelt werden. Solche besonderen Aufnahmevoraussetzungen, -verfahren und -kriterien regelt für die Grundschule insbesondere § 1 der Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule (AO-GS).</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Das unter Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben durchgeführte Auswahlverfahren der Schulleiterin der B.              ist nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Aufnahmekapazität der B.              ist erschöpft. Zwar hat die Schulleiterin die Aufnahmekapazität der zweizügigen ersten Jahrgangsstufe auf insgesamt 58 Schülerinnen und Schüler festgesetzt. Dies ist in Anbetracht der einschlägigen Bestimmungen nicht zutreffend. Denn die Klassenbildung und Klassengröße bestimmt sich gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SchulG nach der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz vom 18. März 2005 (VO). Bezüglich der Grundschulen setzt § 6a Abs. 1 Nr. 2 VO für die für die erste Jahrgangsstufe der B.              maßgebliche Zweizügigkeit eine Zahl von 30 bis 56 Schülerinnen und Schülern fest. Die Schulleiterin konnte danach lediglich 56 Schülerinnen und Schülern einen Platz in der ersten Klasse der B.              anbieten. Der Antragsteller kann indes aus diesem Umstand nichts für sich herleiten, da sich durch die zu hoch berechnete Kapazität auch seine Aufnahmechance erhöht hat.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Die Schulleiterin hat die danach vorhandenen 56 Schulplätze in nicht zu beanstandender Weise vergeben.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Schulleiterin war zunächst nicht gehalten, den in C.      wohnhaften Antragsteller wegen seiner Zugehörigkeit zum katholischen Glauben vorrangig aufzunehmen. Zwar werden nach Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW und § 26 Abs. 3 Satz 1 SchulG in Bekenntnisschulen Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Prägende Merkmale des landesverfassungsrechtlichen Begriffs der Bekenntnisschule in Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW sind sowohl der bekenntnisgebundene Charakter der Schulerziehung (materielle Homogenität) als auch die weitgehend einheitliche formelle Zugehörigkeit der Lehrer- und Schülerschaft zur jeweiligen Religionsgemeinschaft (formelle Homogenität). Zur formellen Homogenität gehört, dass formell der Religionsgemeinschaft angehörende Kinder ihre Schulaufnahme vorrangig vor bekenntnisfremden Kindern beanspruchen können. Jenen gewährt Art. 12 Abs. 3 Satz 2 LV NRW einen im Grundsatz vorbehaltlosen Zugang zu Schulen ihres Bekenntnisses, während Art. 13 LV NRW bekenntnisfremden Kindern einen Anspruch auf Zugang zu einer Bekenntnisschule nur ausnahmsweise dann einräumt, wenn sie in zumutbarer Entfernung weder eine Schule des eigenen Bekenntnisses noch eine Gemeinschaftsschule erreichen können.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2016 – 19 B 996/15 – juris m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 27. April 2020 – 4 L 425/20 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Von dem genannten Grundsatz, wonach bekenntniszugehörige Kinder vorrangig vor bekenntnisfremden Kindern Zugang zu Bekenntnisschulen beanspruchen können, ist jedoch im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG (gleichlautend § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS) in derjenigen Konstellation, in der gemeindefremde bekenntniszugehörige Kinder mit gemeindeangehörigen bekenntnisfremden Kindern um einen Schulplatz konkurrieren, eine Ausnahme zu machen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ausdrücklich offengelassen in OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2016 – 19 B 996/15 –, juris Rn. 10.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nach § 46 Abs. 3 Satz 1 SchulG, § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS hat jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart <span style="text-decoration:underline">in seiner Gemeinde</span> im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität (Abs. 3 Satz 1, gleichlautend § 1 Abs. 2 Satz 1 AO-GS). Diese Vorschrift konkretisiert einfachgesetzlich den verfassungsrechtlichen Zugangsanspruch zum öffentlichen Bildungswesen unter zumutbaren Bedingungen als einen solchen auf Aufnahme in „die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde“.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">OVG NRW, Urteil vom 21. Februar 2013 – 19 A 160/12 -, juris Rn. 12.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Für andere Kinder als die in § 1 Abs. 2 AO-GS aufgeführten, also auch für Kinder mit Wohnung außerhalb der Schulträgergemeinde, bestimmt § 1 Abs. 3 AO-GS, dass die Grundschule sie „im Rahmen freier Kapazitäten“ aufnimmt (Satz 1), bei einem Anmeldeüberhang ein Aufnahmeverfahren unter diesen Kindern durchführt (Satz 2) und dabei Kinder <span style="text-decoration:underline">mit Wohnsitz in der Gemeinde</span> vorrangig berücksichtigt (Satz 3).</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes kann auch nicht aus der Bestimmung des Ziffer 1.2.3 a. E. der Verwaltungsvorschriften zur Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule (VVzAO-GS) folgen, wonach bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisgrundschule Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber anderen Kindern haben. Es handelt sich bei der genannten Bestimmung um eine Verwaltungsvorschrift zu § 1 der Ausbildungsordnung Grundschule - AO-GS, der in § 1 Abs. 2 Satz 1 eindeutig festlegt, dass jedes Kind einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart <span style="text-decoration:underline">in seiner Gemeinde</span> hat. Damit ist Ziffer 1.2.3 VVzAO-GS die Beschränkung auf die jeweilige Gemeinde, in der das Kind wohnt, immanent.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die Schulleiterin hat hier von den insgesamt 69 Schülerinnen und Schülern, die sich um eine Aufnahme in die B.              beworben haben, zu Recht zunächst 47 Bewerberinnen und Bewerber aufgenommen, die formell dem katholischen Bekenntnis angehören und ihren Wohnsitz in F.     haben. Das ist nach den obigen Ausführungen nicht zu beanstanden.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Sodann hat die Schulleiterin die Kinder berücksichtigt, für die die B.              die nächstgelegene Schule der gewünschten Schulart ihrer Gemeinde ist und auf diese, wegen des dann noch bestehenden Anmeldeüberhangs, die Kriterien des § 1 Abs. 3 Satz 4 AO-GS, und zwar zunächst dasjenige der „Geschwisterkinder“ angewandt. Unter den drei Geschwisterkindern hat sie eine Rangfolge nach dem weiteren Kriterium Schulweglänge gebildet (Plätze 48 bis 50). Sodann sind die Plätze 51 bis 56 allein an Kinder mit Wohnsitz in F.     nach dem Kriterium der Schulweglänge vergeben worden. Gleiches gilt für die (nicht relevanten) Plätze mit den Nummern 57 und 58.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Freie Kapazitäten für nicht gemeindeangehörige Kinder sind danach nicht mehr zu verzeichnen. Ein Aufnahmeanspruch des nicht gemeindeangehörigen Antragstellers besteht hier folglich nicht.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die von dem Antragsteller weiter vorgetragenen Gründe für die Aufnahme an die Grundschule B.              (Bruder bereits Schüler der Schule, gute Erfahrungen) sind nachvollziehbar, können aber auf Grund der Vorgaben des § 1 Abs. 3 Satz 3 AO-GS wegen des nicht innerhalb des Gemeindegebietes der Stadt F.     befindlichen Wohnortes des Antragstellers ebenfalls keine Berücksichtigung finden.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes, wobei der hälftige Ansatz des Auffangstreitwertes dem summarischen Charakter der Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Rechnung trägt.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Rechtsmittelbelehrung:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p>
346,373
olgkarl-2022-07-28-19-w-7521wx
{ "id": 146, "name": "Oberlandesgericht Karlsruhe", "slug": "olgkarl", "city": null, "state": 3, "jurisdiction": null, "level_of_appeal": "Oberlandesgericht" }
19 W 75/21(Wx)
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-31T10:01:27"
"2022-10-17T11:09:37"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><blockquote><p>1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim - Grundbuchamt - vom 23. April 2019 - MAN001 GRG 282/2017 - wird zurückgewiesen.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>2. Die Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>3. Der Beschwerdewert wird auf EUR 5.000 EUR festgesetzt</p></blockquote></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><p>4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.</p></blockquote></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die Beteiligte zu 1 begehrt die Eintragung eines Amtswiderspruchs gegen die auf altrechtlicher Grundlage erfolgte Eintragung von gemeinsamem quotenlosen Miteigentum für eine Hoffläche.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>In den Grundbüchern X1 (Flurstücke Y1 und Y2, Eigentümer Beteiligte zu 1 und 2), X2 (Flurstück Y3, Eigentümer Beteiligter zu 5), X3 (Flurstück Y4, Eigentümer Beteiligter zu 6), X4 (Flurstück Y5, Eigentümer Beteiligte zu 3 und 4) von H. ist jeweils verzeichnet, dass der Eigentümer des darin verzeichneten Grundstücks einen unbestimmten Miteigentumsanteil nach badischem Landrecht an einer Gebäude- und Freifläche in der Rathausstraße - Flurstück Y6 - mit 95 m<sup>2</sup> halte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Mit Schreiben vom 27. August 2017 legte die Beteiligte zu 1 „Amtswiderspruch“ gegen die Eintragungen ein. Nach ihren Recherchen in den Lagerbüchern von R. und beim Vermessungsamt liege kein Vertrag vor, aus dem ein Gemeinschaftseigentum an der Hoffläche Flurstück Y6 hervorginge. Nach den tatsächlichen Verhältnissen könne ein eventuelles gemeinsames Hofrecht allenfalls mit dem Eigentümer des Flurstücks Y4 bestehen, nicht aber mit dem Magazingebäude zwischen Lgb-Nr. Z1 und Lgb-Nr. Z2, da dieses erst nach 1900 dazu erworben worden sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Das Grundbuchamt hat es mit Beschluss vom 23. April 2019 abgelehnt, einen Amtswiderspruch einzutragen. Die unbestimmten Miteigentumsanteile an der gemeinsamen Hofeinfahrt seien seit dem 29. August 1986 nach § 3 Absatz 4 GBO den jeweils „herrschenden“ Grundstücken zugebucht. Zuvor sei für die Einfahrt ein eigenes Grundbuchblatt angelegt gewesen, in dem als Eigentümer die Eigentümer der heutigen Grundstücke Y1-Y5 gebucht gewesen seien. Ausweislich der Grundbucheintragung in Band … R Heft 2 sei das Eigentum aufgrund amtsgerichtlicher Feststellung aus dem alten Grundbuch übernommen worden. Dem wiederum habe die Eigentümerfeststellung durch den Gemeinderat in R. am 21. Juli 1899 zugrunde gelegen. Mit der Anlegung des Grundbuchs spreche zugunsten der eingetragenen Personen die Vermutung des § 891 BGB. Der Zuschnitt der Hofeinfahrt impliziere durchaus das Miteigentum der Eigentümer der Grundstücke Y3 und Y5; hier erscheine die Einfahrt als Zuwegung gerade augenfällig. Darüber hinaus setze eine Grundbuchberichtigung voraus, dass es zu keinem nachfolgenden gutgläubigen Erwerb gekommen sei. Die Teilung des Grundstücks Y3 ändere nichts an der gemeinschaftlichen Beteiligung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Gegen die Entscheidung des Grundbuchamts richtet sich die am 15. Juli 2020 mittels E-Mail-Schreiben eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1. Grundlage der Prüfung eines Mitbenutzungsrechts nach badischem Landrecht seien die Güterzettel und Güterbücher der Gemeinde R. Die Benutzung des dienenden Grundstücks müsse für das herrschende Grundstück vorteilhaft sein. Da das Flurstück Y3 kein gefangenes Grundstück, sondern von zwei öffentlichen Straßen erschlossen sei, habe es von Anfang an an einer Vorteilsbezogenheit gefehlt. Daran ändere die falsche Eintragung im Grundbuch nichts.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Maßgeblich sei die Entscheidung des Großherzoglichen Amtsgerichts H. zur ursprünglichen Einbuchung des gemeinschaftlichen Grundstücks. Die Richtigkeit der hierauf beruhenden Eintragungen werde durch die nun ergänzend vorgelegten Katasterunterlagen nicht erschüttert. Zwar weise die - ohne Datumsangabe - vorgelegte Kopie des Güterverzeichnisses Herrn Heinrich K. nicht als Eigentümer aus, jedoch werde er auf dem von B., M. und Ka. unterschriftlich bestätigten Güterzettel ausdrücklich als Eigentümer aufgeführt. Das Argument fehlender Vorteilsbezogenheit vermöge nicht zu überzeugen.</td></tr></table> <table><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.</td></tr></table> <table><tr><td>A.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>1. Gegen die Ablehnung der Anregung, einen Amtswiderspruch einzutragen, kann mit der unbeschränkten Beschwerde vorgegangen werden; beschwerdeberechtigt ist derjenige, dem der geltend gemachte Anspruch nach § 894 BGB zusteht (BeckOK GBO/Holzer, 46. Ed. 1.6.2022, GBO § 53 Rn. 55 m. w. N.). Die Beteiligte zu 1 macht sinngemäß geltend, dass die Zahl der Miteigentümer nach badischem Landrecht jedenfalls geringer sei als im Grundbuch verlautbart.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>2. Dass die Beschwerde erst rund 15 Monate nach der angefochtenen Entscheidung eingelegt worden ist, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen; dieses ist nicht fristgebunden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>3. Die Einreichung der Beschwerdeschrift per E-Mail macht diese nicht formunwirksam.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>a) Die Beteiligte zu 1 hat allerdings nicht den Weg der Einreichung nach § 73 Absatz 2 Satz 2 GBO in Verbindung mit § 14 Absatz 2 Satz 2 FamFG und § 130a ZPO gewählt, also die Beschwerde qualifiziert elektronisch signiert oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>b) Die Schriftform des § 73 Absatz 2 GBO wird allerdings auch gewahrt, wenn und sobald die Beschwerde vom Grundbuchamt ausgedruckt worden ist (vgl. zu einer ebenfalls nach dem FamFG zu behandelnden familienrechtlichen Beschwerde BGH NJW 2019, 2096, Rn. 13; BeckOK GBO/Kramer, 46. Ed. 1.6.2022, GBO § 73 Rn. 17). Ein Ausdruck ist durch das Grundbuchamt vorgenommen worden, wie sich aus dem Eingangsstempel des Grundbuchamts ergibt. Dass die eingereichte Beschwerdeschrift keine eingescannte Unterschrift der Beschwerdeführerin trägt, ist unschädlich, weil sich die Identität der Absenderin und die Ernsthaftigkeit aus den Gesamtumständen genügend ergaben (vgl. hierzu BeckOK GBO/Kramer, a. a. O., Rn. 16). Dies folgt insbesondere daraus, dass die Beschwerdeschrift auch eine Postanschrift der Beschwerdeführerin angibt, die mit derjenigen auf papierhaft eingereichten Unterlagen übereinstimmt. Die Ernsthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin am 29. Juli 2020 nochmals einen unterzeichneten Schriftsatz mit ergänzenden Ausführungen papierhaft eingereicht hat.</td></tr></table> <table><tr><td>B.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Das Grundbuchamt hat zu Recht von der Eintragung eines Amtswiderspruchs (§ 53 Absatz 1 Satz 1 GBO) abgesehen, weil sich nicht erwiesen hat, dass die Eintragungen über den unbestimmten Miteigentumsanteil zugunsten der Eigentümer mehrerer benachbarter Grundstücke unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen worden sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Das Grundbuchamt ist von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Ein Amtswiderspruch kann (nur) eingetragen werden, wenn das Grundbuchamt - unabhängig von einem Verschulden - nach der zum Zeitpunkt der Eintragung unterbreiteten oder ihm offenkundigen Sach- und Rechtslage objektiv gesetzliche Vorschriften verletzt hat (BeckOK GBO/Holzer, 46. Ed. 1.6.2022, GBO § 53 Rn. 15 ff.). Eine Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung bei der ursprünglichen Eintragung des Miteigentums würde wegen des zu Gunsten der eingetragenen Eigentümer streitenden, auch für das Grundbuchamt geltenden § 891 BGB (vgl. insoweit Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Auflage, Rn. 407) den vollen Nachweis voraussetzen, dass das Grundbuchamt die Eintragung unter Verletzung (damaliger) Vorschriften vorgenommen hat, die zum Zeitpunkt der Eintragung galten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Eine solche Gesetzesverletzung steht nicht fest.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>1. Die Eintragung ist nicht ihrer Art nach unrichtig, obwohl sie keine bestimmten Miteigentumsanteile verlautbart. Nach dem in Baden vor dem 1. Januar 1810 - dem Inkrafttreten des badischen Landrechts - geltenden Recht bestand die Möglichkeit, Miteigentumsrechte ohne Bruchteile und ohne Teilungsmöglichkeit einzutragen. Diese Möglichkeit ist in der Rechtspraxis der nachfolgenden Zeit - auch unter Geltung des badischen Landrechts, das hierüber keine ausdrückliche Bestimmung traf - anerkannt geblieben (vgl. zum bruchteilslosen Miteigentum Behaghel, Das Badische bürgerliche Recht und der Code Napoléon mit besonderer Berücksichtigung auf die Bedürfnisse der Praxis, 2. Auflage, Band I, § 91, B. 4 [S. 338]; von Lingental/Crome, Handbuch des Französischen Civilrechts, 1. Band, § 144 [S. 536]; Hezel BWNotZ 2000, 114, 120; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. Oktober 1932 - I ZBR 41/32, Badische Rechtspraxis 1933, 2; Billigung auch durch Erlass des badischen Justizministeriums vom 16. Januar 1904 [Nr. 42718], Badische Rechtspraxis 1904, 81). Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung lag daher keine „unständige verborgene Dienstbarkeit“ im Sinne der Landrechtssätze 688 und 689 vor, auch wenn die Formulierung der Eintragung - die das Miteigentum an das jeweilige Eigentum an einem anderen Grundstück knüpft - an die Eintragung der Dienstbarkeit erinnert.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>2. Auch mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen lässt sich nicht beweisen, dass die Eintragung deshalb unrichtig war, weil ihr keine geeignete Eintragungsunterlage zugrunde lag oder diese zwar vorlag, aber die Miteigentümer die Hofreite nicht gemeinsam benutzen konnten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>a) Von der Beschwerde nicht konkret angegriffen und der Sache nach richtig führt das Grundbuchamt aus, dass die Eintragungen zu den Miteigentumsverhältnissen im elektronischen Grundbuch diejenigen Eintragungen fortsetzen, die ursprünglich im Grundbuch … R 2 enthalten waren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Die Beschwerde könnte daher nur dann Erfolg haben, wenn positiv feststünde, dass die der damaligen amtsgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Ermittlungen zu den Eigentumsverhältnissen unrichtig waren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>b) Mit zutreffenden Erwägungen weist das Grundbuchamt im Nichtabhilfebeschluss darauf hin, dass die fehlende Eintragung des früheren Miteigentümers K. im (undatierten) Güterverzeichnis nicht geeignet ist, die Unrichtigkeit der Grundbucheintragung zu belegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>c) Dass im Grundbuchzentralarchiv (vgl. dessen Schreiben an die Beteiligte zu 1 vom 28. April 2021, Anlage 5 zu deren Schriftsatz vom 22. September 2021) keine in den Grundakten aufbewahrte Regelung über die Nutzung des Hofraums aufgefunden wurde, ist kein aussagekräftiges Indiz dafür, dass keine geeignete Grundlage für die Eintragung zum Zeitpunkt der ursprünglichen Eintragung existierte. Es liegt vielmehr nicht fern, dass die entsprechende Bewilligungsunterlage während der seitdem verstrichenen Zeit - etwa im Zuge von Umlagerung, Kriegseinwirkung o. ä. - verloren gegangen ist. Soweit die Beschwerdeführerin sich auch darauf beruft, dass beim Vermessungsamt keine vertragliche Grundlage für die Eintragung bekannt sei, ist dies bereits deshalb unerheblich, weil diese Behörde für die Aufbewahrung von grundbuchrechtlich relevanten Eintragungsunterlagen nicht zuständig ist. Für solche Verträge, die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches geschlossen worden sind, steht im Übrigen nicht fest, dass sie einer bestimmten Form bedurften.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>d) Der Eintragung lässt sich - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - auch nicht entgegenhalten, dass die Hofreite in späteren Unterlagen über die Versteigerung oder den Verkauf der Hauptgrundstücke nicht erwähnt sei. Die Eintragung im Grundbuchblatt Band … R 2 war in der Weise erfolgt, dass Miteigentümer der Hofreite die „jeweiligen Eigentümer“ bestimmter anderer Grundstücke sein sollten; eines besonderen Übertragungsaktes bedurfte es daher nicht. Die fehlende Erwähnung in den von der Beschwerdeführerin zitierten Verträgen würde es im Übrigen nicht ausschließen, dass eine Übertragung durch andere Rechtsgeschäfte erfolgt ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>e) Die Beschwerdeführerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass das gemeinsame Eigentum an der Hofreite zur Benutzung der Grundstücke der übrigen Miteigentümer nicht erforderlich sei.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>(1) Es finden sich zunächst in rechtlicher Hinsicht keine Anhaltspunkte dafür, dass nach dem vor dem badischen Landrecht geltenden Recht der Nachweis einer Dienlichkeit der Hofreite für die Grundstücke erforderlich war, für die es eingetragen wurde, und das Fehlen dieses Nachweises die Unwirksamkeit einer gleichwohl bewirkten Eintragung zur Folge hatte. Es ist insbesondere keine Regelung ersichtlich, die für das Miteigentum eine Regelung trifft, die derjenigen des für Dienstbarkeiten geltenden § 1019 BGB vergleichbar wäre. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin in deren Schriftsatz vom 15. Oktober 2017 gehen daher auch fehl, soweit sie sich mit der Frage der Notwendigkeit eines (Not-) Wegerechts, insbesondere mit der etwaigen anderweitigen Erschließung der übrigen Grundstücke, befassen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>(2) Selbst, wenn man dies anders beurteilen wollte, lässt sich allein mit historischen Unterlagen ein von vernünftigen Zweifeln freier Nachweis für die Unrichtigkeit nicht führen. Wie die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der erstmaligen Eintragung in die dem Grundbuch vorhergehenden Verzeichnisse waren - sich also die Zuwegungen in tatsächlicher Hinsicht ursprünglich darstellten -, lässt sich mit der für das Grundbuchverfahren erforderlichen Sicherheit und den hier heranzuziehenden Unterlagen nicht hinreichend zuverlässig belegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>c) Die von der Beschwerdeführerin begehrte Berichtigung könnte im Übrigen nur erfolgen, wenn feststünde, dass kein gutgläubiger Erwerb stattgefunden hat. Aus den Grundbüchern ist aber ersichtlich, dass (mindestens) die Hauptgrundstücke gemäß Grundbuch X4 aufgrund Auflassung im Jahre 2015, gemäß Grundbuch X2 aufgrund Auflassung im Jahre 2009 und gemäß Grundbuch X3 aufgrund Auflassung im Jahre 2015 übertragen worden sind. Anhaltspunkte dafür, dass den jeweiligen Erwerbern die Unrichtigkeit - insbesondere die Nutzungsverhältnisse der Grundstücke im 19. Jahrhundert - bekannt waren, liegen nicht vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>3. Das Grundbuchamt hat keine gesetzlichen Vorschriften verletzt, in dem es die ursprünglichen Grundbucheintragungen übertragen hat, ohne für das dienende Grundstück ein eigenes Grundbuchblatt anzulegen. Das Grundbuchamt weist zu Recht darauf hin, dass dieses Vorgehen von § 3 Absatz 4 GBO ausdrücklich gestattet wird. Dass es bei der Übertragung aus dem früheren Grundbuch inhaltliche Fehler gegeben habe, wird weder geltend gemacht noch ist es sonst ersichtlich.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>4. Mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, hat das Grundbuchamt darauf hingewiesen, dass Teilungen der Hauptgrundstücke und Veränderungen der Nutzungen auf das Eigentum an der Hofreite keinen Einfluss haben. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>5. Soweit die Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 29. Juli 2020 an das Grundbuchamt Ausführungen zu Äußerungen von Mitarbeitern der Baurechtsbehörde, zu einer Grenzmauer und zu einem von bestimmten Nachbarn gezahlten Kaufpreis macht, sind diese für die Frage der Rechtmäßigkeit der ursprünglich im 19. Jahrhundert vorgenommenen Grundbucheintragung ohne Bedeutung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>6. Auf die Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 29. Juli 2020 zur Gastronomienutzung von Grundstücken, zu den von anderen Eigentümern gezahlten Kaufpreisen und zur Nutzung des Grundstücks kommt es im Verfahren über den Amtswiderspruch nicht an; entsprechende Streitigkeiten wären zwischen den Miteigentümern im Zivilrechtswege zu klären.</td></tr></table> <table><tr><td>III.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 84 FamFG. Die für das erstinstanzliche Verfahren über die Amtslöschung geltende Gerichtsgebührenfreiheit (Vorbemerkung 1.4. Absatz 2 Nr. 1 GNotKG-KV) setzt sich im Beschwerdeverfahren nicht fort; der Gebührentatbestand für die Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Endentscheidungen wegen des Hauptgegenstandes (Ziffer 14510 GNotKG) enthält keine Ausnahme für Fälle, in denen das Verfahren erster Instanz gerichtsgebührenfrei geführt wird.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>2. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 61, 36 Abs. 1 GNotKG. Mangels genügender anderweitiger Anhaltspunkte für den Wert legt der Senat gemäß § 36 Absatz 3 GNotKG einen Geschäftswert von EUR 5.000 zugrunde.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Absatz 2 GBO) liegen nicht vor. Die Voraussetzungen für die Eintragung eines Amtswiderspruchs sind in Rechtsprechung und Schrifttum geklärt. Die Anwendung auf den Einzelfall wirft keine grundsätzlichen oder der Rechtsfortbildung bedürftigen Fragen auf.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,338
vg-freiburg-2022-07-28-4-k-170522
{ "id": 157, "name": "Verwaltungsgericht Freiburg", "slug": "vg-freiburg", "city": 109, "state": 3, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 K 1705/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-27T10:01:40"
"2022-10-17T11:09:33"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <p>Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden abgelehnt.</p><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p><p>Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.</p> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> <table><tr><td>I.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Antragsteller wendet sich gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h sowie die Markierung mit Radpiktogrammketten mit Pfeilen („Sharrows“) in der Engesserstraße in 79108 Freiburg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die Engesserstraße liegt im Industrie- und Gewerbegebiet Nord der Antragsgegnerin. Es handelt sich um eine ca. 900 m lange, vielbefahrene Hauptverkehrsstraße (ca. 10.000 Kraftfahrzeuge/24 Std.) mit einem Schwerlastverkehrsanteil von ca. 10 %. Sie ist ca. 7,50 m breit, verfügt über eine Fahrbahn in jede Richtung, an die sich jeweils ein zumeist ca. 2 m breiten Gehweg anschließt. Mangels Radweg, Radfahrstreifen oder Schutzstreifen für Radfahrende haben Radfahrende im Mischverkehr auf der Fahrbahn zu fahren. Bis zur verfahrensgegenständlichen Anordnung betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h. Dem Portal FreiGIS lässt sich folgendes Luftbild entnehmen (abgerufen am 26.07.2022):</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> <table><tr><td><img src="http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure220032017/bild1.png"/></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Die Vollzugspolizei übermittelte für die Engesserstraße folgendes Unfallgeschehen:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="4"/>2014 zwei Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="5"/>2015 zwei Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden, davon ein Unfall bei dem ein Radfahrender auf dem Gehweg von einem Kraftfahrzeug angefahren wurde, das aus einer Grundstückszufahrt fuhr</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="6"/>2016 ein Unfall mit Beteiligung von Radfahrenden</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="7"/>2017 kein Unfall mit Beteiligung von Radfahrenden</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="8"/>2018 drei Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden, davon ein Unfall bei dem ein Radfahrender auf dem Gehweg von einem Kraftfahrzeug angefahren wurde, das aus einer Grundstückszufahrt fuhr, und ein Unfall bei dem ein Radfahrender auf dem Gehweg mit einer Fußgängerin zusammenstieß</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="9"/>2019 zwei Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden, bei denen ein Radfahrender auf dem Gehweg von einem Kraftfahrzeug angefahren wurde, das aus einer Grundstückszufahrt fuhr bzw. in eine solche einfuhr</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="10"/>2020 zwei Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden, davon ein Unfall bei dem ein Radfahrender auf dem Gehweg von einem Kraftfahrzeug angefahren wurde, das aus einer Grundstückszufahrt fuhr</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Am 04.10.2021 ordnete das Garten- und Tiefbauamt der Antragsgegnerin für die Engesserstraße unter anderem eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h sowie die Markierung der Fahrbahn mit Radpiktogrammketten mit Pfeilen („Sharrows“) an. Auf den Anordnungsplan wird verwiesen. Der Vollzug der Anordnung erfolgte am 18.05.2022. Zur Veranschaulichung der Ausführung der Markierung in der Engesserstraße dient folgendes Lichtbild, das einer Pressemitteilung der Beklagten entnommen werden kann (https://www.freiburg.de/pb/1899509.html, abgerufen am 26.07.2022):</td></tr></table> <table><tr><td><img src="http://lrbw.juris.de/grafiken/juris/jure220032017/bild2.png"/></td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Die Antragsgegnerin begründete die Anordnung damit, die Engesserstraße weise als wichtige Erschließungsstraße im Industriegebiet Nord eine bedeutende Lücke im städtischen Radverkehrsnetz auf, denn Radfahrende müssten angesichts der geringen Straßenbreite im Mischverkehr auf der Fahrbahn fahren. Die Unfallberichte der Polizei belegten, dass es auf dem Gehweg häufig zu Unfällen mit Radfahrenden komme, weil die aus den Grundstückszufahrten ausfahrenden Kraftfahrzeuge nicht mit Radfahrenden auf dem Gehweg rechneten. Im Mischverkehr fühlten sich Radfahrende hingegen nicht sicher, was verschiedene Beschwerden belegten. Auch zu Fuß Gehende beschwerten sich, dass ein Queren der Fahrbahn auf Grund der hohen Geschwindigkeiten und des hohen Verkehrsaufkommens nicht gefahrlos möglich sei. Für die Einrichtung von Fußgängerüberwegen lägen jedoch die Voraussetzungen nicht vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Zur Verbesserung der Verkehrssituation für Radfahrende solle der Mischverkehr auf der Fahrbahn durch Sharrows verdeutlicht werden. Diese Markierung fuße auf einer Studie der bergischen Universität Wuppertal und der technischen Universität Dresden, die im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur durchgeführt worden sei. Laut den Studienergebnissen sei die objektive und subjektive Verkehrssicherheit im Mischverkehr deutlich erhöht worden. Gleichzeitig habe die regelwidrige Nutzung der Gehwege durch Radfahrende abgenommen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Die Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h werde aus Gründen der Verkehrssicherheit nach § 45 Abs. 9 StVO angeordnet. Sie trage maßgeblich dazu bei, dass Radfahrende auf der Fahrbahn im Mischverkehr mit ca. 10 % Schwerlastverkehrsanteil sicherer fahren könnten und nicht auf den Gehweg auswichen. Für zu Fuß Gehende werde das sichere Queren der Straße durch Tempo 30 maßgeblich erleichtert. Tempo 50 verleite außerdem dazu, Radfahrende zu überholen, was entsprechenden Beschwerden zufolge nicht immer mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand von 1,50 m geschehe, insbesondere bei Gegenverkehr.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Hiergegen hat der Antragsteller zunächst am 27.06.2022 Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt. Am 01.07.2022 hat er bei der Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Er trägt vor, er befahre die Engesserstraße regelmäßig und habe die Geschwindigkeitsbegrenzung und die Fahrbahnmarkierungen erstmals am 05.06.2022 bemerkt. An diesem Tag habe er beobachtet, wie die Sharrows die Verkehrssicherheit verringerten. Denn zwei Radfahrende hätten sie augenscheinlich als Aufforderung zum Fahren nahe der Straßenmitte interpretiert. Die mögliche Interpretation durch Verkehrsteilnehmer der Zeichen als Fahrradstraße in Verbindung mit Unkenntnis des regelkonformen Verhaltens in einer Fahrradstraße erscheine plausibel. Durch die auf 30 km/h reduzierte Höchstgeschwindigkeit dauere der Überholvorgang außerdem deutlich länger als sachlich und aus Gründen der Verkehrssicherheit notwendig. Die in der Straßenverkehrsordnung vorgesehenen Voraussetzungen für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Engesserstraße lägen nicht vor. Es sei für die Engesserstraße keine erhöhte Unfallzahl unter Beteiligung von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern öffentlich dokumentiert. Insbesondere handele es sich nicht um eine Unfallhäufungsstelle. Für die Fahrbahnmarkierung mit den Sharrows lasse sich der Straßenverkehrsordnung keine Grundlage entnehmen. Es handele sich um erfundene Verkehrszeichen mit der Gefahr einer Fehlinterpretation als Anordnung einer Fahrradstraße. Zum Erreichen des Ziels, Radfahrende daran zu erinnern, dass eine Pflicht zur Nutzung der Straße bestehe, wären andere Maßnahmen denkbar, zum Beispiel das Anbringen von Schildern auf dem Gehweg mit Text wie „Radfahren auf dem Gehweg verboten – Fahrbahn benutzen“. Insgesamt habe die Antragsgegnerin gegen das Übermaßverbot verstoßen, da es weniger einschneidende Maßnahmen gäbe, etwa ein Verbot des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40 km/h.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Der Antragsteller beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="18"/>die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die in der Engesserstraße in 79108 Freiburg angebrachten Zeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h sowie die auf der Fahrbahn angebrachten Markierungen von Fahrradsymbolen mit Doppelpfeil zu beseitigen oder durch geeignete Maßnahmen als zurzeit nicht geltend zu kennzeichnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Die Antragsgegnerin beantragt,</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="20"/>die Anträge abzulehnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>Auf der Engesserstraße bestehe insbesondere für Radfahrende im Mischverkehr eine enge Verkehrssituation bei einem gerade zu den beruflichen Stoßzeiten hohen Verkehrsaufkommen mit einem nicht unerheblichen Anteil an Schwerlastverkehr, auch im Begegnungsverkehr. Radfahrende seien daher in den letzten Jahren immer wieder verbotswidrig auf den Gehweg ausgewichen, wo es sodann zu Unfällen mit ein- oder ausfahrenden Fahrzeugen oder Fußgängern gekommen sei. Diese Beobachtungen würden durch zahlreiche Beschwerden aus der Bürgerschaft gestützt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Den Sharrows komme kein Regelungsgehalt zu, sodass es dem Antragsteller jedenfalls an der Antragsbefugnis fehle. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb es ihr verwehrt sein solle, die allgemein geltende verkehrsrechtliche Situation durch das Anbringen des StVO-konformen Sinnbilds „Radverkehr“ in Verbindung mit zwei Pfeilen auf der Straße zu verdeutlichen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Die besonderen örtlichen Verhältnisse erforderten eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h. Die Engesserstraße als wichtige Erschließungsstraße im Industriegebiet Nord weise erhebliche Mängel hinsichtlich einer sicheren Radführung auf. Es handele sich bei ihr jedoch um die wichtigste Verbindungsstraße zwischen Tulla- und Hermann-Mitsch-Straße, an der neben vielen Betrieben auch die besucherintensive Messe und der Flugplatz lägen. Die nächste Verbindungsstraße in nördlicher Richtung sei die Lembergallee in ca. 1,3 km Entfernung und in südlicher Richtung die Verbindung Siemensstraße/Liebigstraße. Diese sei zwar nur 150 m (Seite Tullastraße) bzw. 250 m (Seite Hermann-Mitsch-Straße) weit entfernt, biete für Radfahrende aufgrund der dort angrenzenden müllverarbeitenden Betriebe und des Wertstoffhofs St. Gabriel mit dem verbundenen Schwerlastverkehr sowie ebenfalls ohne Radwege, Radfahrstreifen und Schutzstreifen aber keine verkehrssichere Alternative.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Innerhalb ihres damit gegebenen Ermessens bezüglich der Gefahrbekämpfung sei keine weniger einschneidenden Maßnahmen als die Einrichtung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h ersichtlich. Insbesondere benötige der Bus- und Schwerlastverkehr nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) eine Fahrbahnbreite von 6,50 m, um sich sicher begegnen zu können, sodass für Radverkehrsanlagen, die nach den Ziffern 18 und 19 der Verwaltungsvorschrift zu § 2 StVO mindestens 1,50 m auf jeder Seite benötigten, kein ausreichender Platz zur Verfügung stehe. Auch eine Verlagerung des Radverkehrs auf den Gehweg sei nicht möglich, da die Mindestbreite für einen gemeinsamen Geh- und Radweg innerorts 2,50 m betrage, an der Engesserstraße hingegen zumeist nur 2 m zur Verfügung stünden. Auch würde eine Verlagerung des Radverkehrs auf den Gehweg, wie die bisherigen Unfälle zeigten, aufgrund der sehr uneinsichtigen Situation mit vielen Ein- und Ausfahrten voraussichtlich nicht zu einer verringerten Gefahrenlage führen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h sei vor diesem Hintergrund eine erforderliche, geeignete und angemessene Lösung, um der Gefahrensituation für Radfahrende zu begegnen. Der Radverkehr fahre aufgrund der gemäßigteren Geschwindigkeiten sicherer auf der Straße, wodurch ein regelwidriges Ausweichen auf den Gehweg verhindert werde. Hierdurch stehe auch der Gehweg uneingeschränkt den zu Fuß Gehenden zur Verfügung. Tempo 50 verleite außerdem dazu, Radfahrende auch dann zu überholen, wenn - wie regelmäßig auf der Engesserstraße mit häufigem Gegenverkehr, Schwerlastverkehr und einem hohen Verkehrsaufkommen zu Stoßzeiten - der erforderliche Sicherheitsabstand von 1,50 m nicht eingehalten werden könne. Solche Überholmanöver würden durch die tendenziell angeglichenen Geschwindigkeiten von Kraftfahrzeugen und Radfahrenden mit einer Anordnung von Tempo 30 reduziert. Zusätzlich ergebe sich eine sicherere Querungsmöglichkeit für zu Fuß Gehende und der Verkehrsfluss werde auch nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (1 Band) verwiesen.</td></tr></table> <table><tr><td>II.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h (hierzu unter 1.) sowie die auf der Fahrbahn angebrachten Markierungen von Radpiktogrammketten mit Doppelpfeil („Sharrows“, hierzu unter 2.) haben keinen Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>1. Der von dem Antragsteller formulierte Antrag, die angebrachten Zeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu beseitigen oder durch geeignete Maßnahmen als zurzeit nicht geltend zu kennzeichnen, bedarf zunächst der Auslegung. Dabei ist das Gericht nicht an seine formale Fassung gebunden (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) und insbesondere bei juristischen Laien gehalten, diese sachdienlich und nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel auszulegen. Dem Antragsteller dürfte es im Hinblick auf die angegriffene Geschwindigkeitsbegrenzung um die Aufhebung ihrer Vollziehung gehen. Da es sich bei Verkehrszeichen um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen handelt, die in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, juris Rn. 19 m.w.N.), müsste dazu zunächst die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung angeordnet werden. Insoweit ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 entsprechend VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die angegriffenen Verkehrszeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung die statthafte Rechtsschutzform. Für den Fall, dass ein Verwaltungsakt schon vollzogen ist, kann der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit einem Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO verbunden werden (vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Verkehrszeichen Hessischer VGH, Beschluss vom 12.11.1992 - 2 TG 1527/92 -, juris Rn. 4, 5).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller als Adressat der Verkehrszeichen, der nach nicht zweifelhaften eigenen Angaben von diesen bereits betroffen war und weiterhin regelmäßig ist, auch antragsbefugt entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. zur Klagebefugnis bei Verkehrszeichen BVerwG, Urteil vom 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, juris). Der Antrag ist jedoch unbegründet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung in Fällen der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 VwGO ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen. Maßgeblich ist, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Im Rahmen der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Ein überwiegendes Aussetzungsinteresse des Antragstellers ist in der Regel anzunehmen, soweit die im Eilverfahren gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ergibt, dass ein angefochtener Verwaltungsakt voraussichtlich rechtswidrig ist. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung oder Wiederherstellung seiner aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt. Dabei ist in den Fällen eines - wie hier - gesetzlich vorgesehen Sofortvollzugs zu beachten, dass - anders als bei der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, die gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gesondert zu begründen ist - der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Bei Verkehrszeichen kommt hinzu, dass sich Verkehrsteilnehmer üblicherweise inzwischen auf die neue Regelung eingerichtet haben (vgl. hierzu und zu Folgendem VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.1980 - 5 S 1486/80 -, juris). Mit den Belangen der Verkehrssicherheit ist es in einem solchen Fall schwer zu vereinbaren, wenn innerhalb eines kürzeren Zeitraums in Bezug auf dieselbe Straße durch Aufstellen, Entfernen und möglicherweise erneute gleiche Beschilderung immer wieder neue Verkehrsregelungen getroffen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>Dies zugrunde gelegt, ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h unbegründet. Es spricht sogar viel dafür, dass die Antragsgegnerin die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnen durfte. Die Frage erscheint aber jedenfalls offen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Rechtsgrundlage für die angefochtene Allgemeinverfügung ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Verkehrszeichen sind gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Diese Vorschrift konkretisiert und verdrängt als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteile vom 21.08.2003 - 3 C 15.03 -, juris Rn. 19 und vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, juris Rn. 25, jeweils m.w.N.). Sie setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage voraus. Diese muss - erstens - auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen sein und - zweitens - das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigen. Diese für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs erforderliche Gefahrenlage kann aus einer Gemengelage verschiedener Faktoren entstehen. Besondere örtliche Verhältnisse können unter anderem begründet sein durch die Breite und den Ausbauzustand der für den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr zur Verfügung stehenden Fläche, Ausweichmöglichkeiten, die Übersichtlichkeit der Streckenführung und die Verkehrsbelastung wie der durchschnittliche Tagesverkehr oder ein überproportional hoher Anteil des Schwerlastverkehrs (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 03.01.2018 - 3 B 58.16 -, juris Rn. 21 und vom 23.04.2013 - 3 B 59.12 -, juris Rn. 9 sowie Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, juris Rn. 26).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Solche besonderen örtlichen Verhältnisse sind in der Engesserstraße voraussichtlich gegeben. Entscheidend ist dabei insbesondere die erhebliche Verkehrsbelastung der Straße in beide Fahrtrichtungen durch Kraftfahrzeuge, dabei mit einem hohen Schwerlastverkehrsanteil von ca. 10 %, die Lage der Straße als zentrale Verbindungsstraße innerhalb des Industriegebiets Nord sowie Zufahrtstraße aus den nördlichen Stadtteilen Freiburg zu Messe, Stadion, Flugplatz und Technischer Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Campus Flugplatz), der Ausbauzustand ohne Radweg, Radfahrstreifen oder Radschutzstreifen sowie die für Mischverkehr von Kraftfahrzeugen, einschließlich Linienbussen sowie zahlreichen Lkw und Fahrrädern verhältnismäßig geringe Fahrbahnbreite von 7,50 m. Maßgeblich hinzu kommt die große Zahl von Grundstücksein- und -ausfahrten auf gewerblich genutzte Grundstücke, von denen die Straße beidseitig gesäumt ist. Diese werden sowohl von Privat-Pkw und Dienstwagen von Mitarbeitenden oder Geschäftskundinnen und -kunden als auch von Schwerlastverkehr zum Verladen auf den zahlreichen Höfen, an den Hallen und Rampen der an der Engesserstraße ansässigen Gewerbebetriebe genutzt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Ob auf diesen besonderen örtlichen Verhältnissen auch eine Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO fußt, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutsbeeinträchtigung erheblich übersteigt, erscheint jedenfalls offen. Eine entsprechende Gefahrenlage setzt nicht voraus, dass alsbald mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit vermehrten Schadensfällen zu rechnen ist (vgl. hierzu und zu Folgendem BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, juris Rn. 27). Dies wird sich in der konkreten Situation kaum je dartun lassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es bei Verkehrsbeschränkungen und -verboten im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO regelmäßig um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und bedeutende Sachwerte geht. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts ist jedoch, wenn derart hochrangige Rechtsgüter betroffen sind, ein behördliches Einschreiten bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten. Die Vorschrift des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt damit nur eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht. Die Beantwortung der Frage, ob eine solche qualifizierte Gefahrenlage besteht, erfolgt durch eine Prognose. Für diese bedarf es zwar einer sorgfältigen Prüfung der Verkehrssituation, jedoch nicht zwingend der Berechnung eines Unfallhäufigkeits-Prozentsatzes, der Heranziehung von Unfalltypensteckkarten zur Bestimmung von Unfallhäufungsstellen oder vertieften Ermittlungen zu der Frage, wie hoch der Anteil an feststellbaren bzw. zu erwartenden Unfällen konkret ist, die ausschließlich oder überwiegend auf die Ursache zurückzuführen ist, der durch die ergriffene Beschränkung entgegengewirkt werden soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 23.09.2010 - 3 C 37.09 -, juris Rn. 31 und vom 05.04.2001 - 3 C 23.00 -, juris Rn. 28).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Dies zugrunde gelegt spricht nach der im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung viel dafür, dass die auch von der Antragsgegnerin herangezogenen polizeilichen Unfalldaten aus den Jahren 2016 bis 2020 zur Engesserstraße (VAS 1-68) ausreichen, um vor dem Hintergrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine qualifizierte besondere Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO anzunehmen. Jedenfalls erscheint die Frage nach einer - prognostisch - das allgemeine Risiko deutlich übersteigenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zumindest offen. Denn die Auswertung der vorliegenden Daten ergibt auf der lediglich 900 m langen Engesserstraße im Zeitraum von 2014 bis 2020 elf polizeilich aufgenommene Unfälle mit Beteiligung von Radfahrenden, davon fünf Zusammenstöße mit in eine Grundstückseinfahrt einfahrenden oder aus einer solchen ausfahrenden Kraftfahrzeugen sowie ein Zusammenstoß mit einem oder einer zu Fuß Gehenden auf dem Gehweg. Diesen Daten, die im Übrigen Beinaheunfälle sowie Unfälle ohne Schadensfolgen, bei denen von der Einschaltung der Polizei abgesehen wird, nicht wiedergeben, lässt sich eine Häufung von Zusammenstößen auf den Gehwegen unter Beteiligung von Radfahrenden entnehmen, wie sie nach den Angaben der Antragsgegnerin in anderen Straßen nicht festzustellen ist. Ergänzend dürften die zahlreichen, den Akten der Antragsgegnerin zu entnehmenden Beschwerden betreffend die hohe Geschwindigkeit der Kraftfahrzeuge und engen Überholmanöver heranzuziehen sein, aus denen unter anderem hervorgeht, dass Personen soweit möglich auf die Nutzung des Kraftfahrzeugs ausweichen, weil sie das Radfahren auf der Engesserstraße als zu gefährlich empfinden (vgl. exemplarisch die Beschwerde eines Bürgers mit dortiger Arbeitsstelle vom 13.07.2020, VAS 72, 73).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Mit seinem Einwand einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit auf der angrenzenden Herrmann-Mitsch-Straße dringt der Antragsteller schon deshalb nicht durch, weil für die Prüfung einer qualifizierten konkreten Gefahrenlage allein entscheidend ist, ob gerade bezogen auf den Streckenabschnitt, für den die angegriffenen Verkehrsbeschränkungen gelten, eine entsprechende konkrete Gefahr besteht (vgl. hierzu und zu Folgendem BVerwG, Beschluss vom 04.070.2007 - 3 B 79.06 -, juris Rn. 7). Darauf, ob auf vergleichbaren Strecken ähnliche oder höhere Unfallzahlen auszumachen sind, kommt es nicht an.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Ermessensfehler der Antragsgegnerin sind nicht ersichtlich. Auch Maßnahmen im Regelungsbereich des § 45 Abs. 9 StVO stehen im Ermessen der zuständigen Behörden (vgl. hierzu und zu Folgendem BVerwG, Urteil vom 23.09.2010 - 3 C 32.09 -, juris Rn. 35 m.w.N.). Soweit es um die Auswahl der Mittel geht, mit denen die konkrete Gefahr bekämpft oder gemildert werden soll, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Dabei ist es der Straßenverkehrsbehörde aufgrund ihres Sachverstandes und ihres Erfahrungswissens vorbehalten festzulegen, welche von mehreren in Betracht zu ziehenden Maßnahmen den bestmöglichen Erfolg verspricht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung damit begründet, dass Radfahrende bei Tempo 30 auf der Fahrbahn im Mischverkehr sicherer fahren könnten und in der Folge nicht auf den Gehweg auswichen. Die in der Vergangenheit auf den Gehwegen aufgetretenen Unfälle könnten dadurch weitestgehend ausgeschlossen werden. Auch das sichere Queren der Straße werde durch die Geschwindigkeitsbegrenzung maßgeblich erleichtert. Außerdem seien Kraftfahrzeuge bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h nicht mehr wie bei Tempo 50 dazu verleitet, Radfahrende zu überholen, was entsprechenden Beschwerden zufolge insbesondere bei Gegenverkehr nicht immer mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand von 1,50 m geschehe. Diese Begründung ist nachvollziehbar rechtlich nicht zu beanstanden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Mit seinen Einwänden, die Antragsgegnerin habe das Übermaßverbot missachtet, dringt der Antragsteller nicht durch. Das von ihm mit dem Zeichen 277.1 in Bezug genommene Verbot des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge ist im Vergleich zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h kein gleich geeignetes, milderes Mittel. Es ist auch weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass das von dem Antragsteller bevorzugte Anbringen von Verkehrsspiegeln, farbigen Warnmarkierungen auf den Gehwegen vor den Einfahrten, das Anbringen von Warnschildern vor den Grundstücksausfahrten, verstärkte Verkehrskontrollen und Bußgelder an Radfahrende auf dem Gehweg oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40 km/h zur Erleichterung des Mischverkehrs gleich geeignet, aber weniger einschränkend wäre. Wenn der Antragsteller meint, es hätte eine zeitliche Einschränkung der Geschwindigkeitsbegrenzung etwa auf die Zeiten von 6 bis 9 Uhr und von 15 bis 18 Uhr von Montag bis Freitag erwogen werden müssen, bleibt er eine Erklärung dafür schuldig, warum sich die Gefahrenlage im Hinblick insbesondere auf den Schwerlastverkehr zwischen 9 und 15 Uhr anders darstellen sollte. Möglichen Schichtbetrieb, Wochenendarbeit und Wochenend- und Abendverkehr zu und von Messe, Flugplatz und Stadion lässt der Antragsteller dabei unberücksichtigt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Ist nach alledem der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers abzulehnen, ist auch der gleichzeitig gestellte Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO abzulehnen, mit dem der Antragsteller die Beseitigung der Zeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h oder ihre Unkenntlichmachung begehrt.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>2. Keinen Erfolg hat auch der gegen die Fahrbahnmarkierungen mit Radpiktogrammketten mit Pfeilen („Sharrows“) gerichtete Antrag des Antragstellers.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Anders als bei dem Verkehrszeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h ist insoweit ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und Satz 3 VwGO nicht statthaft. Denn bei den Sharrows handelt es sich nicht um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen nach § 35 Satz 2 VwVfG, da ihnen als reine Hinweise auf die geltende Rechtslage - nämlich die Pflicht der Radfahrenden, nicht den Gehweg, sondern im Mischverkehr die Fahrbahn zu nutzen - kein Regelungsgehalt zukommt. Sharrows sind insbesondere keine Verkehrszeichen im Sinne der StVO nach den §§ 36 bis 43 StVO i.V.m. Anlagen 1 bis 4 und dem Verkehrszeichenkatalog, der nach § 39 Abs. 9 Satz 2 StVO vom Bundesverkehrsministerium im Verkehrsblatt veröffentlicht wird. Die Annahme des Antragstellers, jegliche weiße Fahrbahnmarkierung stelle gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 StVO ein Verkehrszeichen dar, geht fehl. Vielmehr sind die Regelungen der Straßenverkehrsordnung über die zulässigen Verkehrszeichen einschließlich der im amtlichen Verkehrszeichenkatalog dargestellten Varianten grundsätzlich abschließend (vgl. ausführlich OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.11.2019 - OVG 1 B 16.17 -, juris Rn. 22-26).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Die Sharrows stellen aller Voraussicht nach auch keinen formellen oder Schein-Verwaltungsakt dar, bei dem eine Behörde den Rechtsschein eines entsprechenden Verwaltungsakts setzt, der ungeachtet der fehlenden materiellen Verwaltungsaktsqualität statthafterweise im vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beanstandet werden könnte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.07.2017 - 9 S 1253/17 -, juris Rn. 12). Um zu bestimmen, ob ein solcher Rechtsschein gesetzt wird, könnte die Verbotsnorm des § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO herangezogen werden. Nach dieser dürfen Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen gleichen oder mit ihnen verwechselt werden können, dort nicht angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können. Ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild des Verkehrszeichens, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt, wobei sich die Verwechslungsgefahr auf ein konkretes Verkehrszeichen beziehen muss (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 06.03.2019 - 8 CS 18.1890 -, juris Rn. 18 m.w.N.). Zwar entspricht das bei den Sharrows verwendete Radpiktogramm dem Sinnbild für Radverkehr nach § 39 Abs. 7 StVO. Eine Fahrbahnmarkierung mit dem Radverkehrs-Sinnbild und Pfeilen in dieselbe Richtung lässt sich hingegen weder den §§ 36 bis 43 StVO i.V.m. Anlagen 1 bis 4 noch dem Verkehrszeichenkatalog entnehmen. Allein aus der Verwendung des Sinnbilds lässt sich jedoch eine Verwechslungsgefahr nicht herleiten, denn Verkehrszeichen mit dem Radverkehrs-Sinnbild kommen je nach ihrer weiteren Ausgestaltung zahlreiche unterschiedliche Bedeutungen zu. So steht ein Radverkehrs-Sinnbild beispielsweise in einem blau ausgefüllten Kreis für einen Radweg (Zeichen 237, Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO), in einem blau ausgefüllten Kreis auf weißem eckigem Hintergrund mit entsprechender eindeutiger Beschriftung für eine Fahrradstraße (Zeichen 244.1, Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) bzw. Fahrradzone (Zeichen 244.3, Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) oder in einem roten Kreis (Zeichen 254, Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) ganz im Gegenteil für ein Verbot von Radverkehr.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>Im Einklang hiermit hat auch der Antragsteller selbst nicht angegeben, die Sharrows mit einem konkreten Verkehrszeichen verwechselt zu haben, sondern vielmehr gerügt, die Antragstellerin habe hiermit ein neues Verkehrszeichen erfunden. Seine Annahme, zwei Radfahrer seien am 05.06.2022 vor ihm in der Straßenmitte gefahren, weil sie die Fahrbahnmarkierung fälschlicherweise als Zeichen für eine Fahrradstraße interpretiert hätten, zumal auch auf Fahrradstraßen gemäß § 3 Abs. 2 StVO das Rechtsfahrgebot gilt, erscheint der Kammer als nicht verallgemeinerungsfähig.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Statthafte Rechtsschutzform ist damit ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Im subjektivrechtlich ausgestalteten Rechtsschutzsystem der VwGO ist auch ein solcher Eilantrag allerdings nur zulässig, wenn der Antragsteller antragsbefugt ist (vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2022, § 123 VwGO Rn. 107). Um einen Popularrechtsbehelf auszuschließen, muss es daher nach dem Vorbringen des Antragstellers zumindest möglich erscheinen, dass dieser in eigenen Rechten verletzt ist oder ihm eine solche Verletzung droht (vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 69 m.w.N.). In welchem subjektiven Recht die auf die Straße aufgebrachten Sharrows den Antragsteller verletzten könnten, bleibt offen. Insbesondere ist § 45 StVO, der sich auf die Regelung und Lenkung des Verkehrs durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen bezieht, grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Interessen Einzelner gerichtet (vgl. hierzu und zu Folgendem BVerwG, Urteil vom 04.06.1986 - 7 C 76.84 -, juris Rn. 10 m.w.N.). Anderes kann nur gelten, wenn Betroffene vor Einwirkungen des Straßenverkehrs zu schützen sind, die nach allgemeiner Anschauung das zumutbare Maß übersteigen. Dies ist für den Antragsteller nicht ersichtlich. Er hat nicht dargelegt, dass die Fahrbahnmarkierung ohne Regelungsgehalt ihn gefährden oder für sich genommen überhaupt sein eigenes Fahrverhalten beeinflussen könnte. Allein aus der Mutmaßung des Antragstellers, dass andere Verkehrsteilnehmer die Sharrows missverstehen könnten, kann die Möglichkeit der Verletzung des Antragstellers in eigenen Rechten nicht gefolgert werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 39 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abrufbar unter www.bverwg.de/rechtsprechung/streitwertkatalog). Nach Ziffer 46.15 ist bei verkehrsregelnden Anordnungen der Auffangwert anzusetzen. Im Hinblick auf die zwei angegriffenen Maßnahmen der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h und die Fahrbahnmarkierung mit Sharrows, für die die Ziffer 46.15 entsprechend angewendet wird, wurde der - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbierte (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) - Auffangwert zweifach angesetzt.</td></tr></table> </td></tr></table>
346,296
vg-karlsruhe-2022-07-28-19-k-140621
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19 K 1406/21
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-24T10:01:19"
"2022-10-17T11:09:26"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>Der Bescheid der ... - ... -Schule vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 14.04.2021 wird aufgehoben, soweit mit ihm der Schulausschluss des Klägers verfügt worden ist.</p><p>Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Der Kläger wendet sich gegen seinen Schulausschluss.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Der 1992 geborene Kläger besuchte vom 01.02.2021 bis zum 17.03.2021 die ... - ... -Schule in ... – Fachschule für Meister, Fachrichtung Metallbauer. Es war eine einjährige Belegung der Meisterschule vorgesehen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Am 01.02.2021 erschien der Kläger zur Einführungsveranstaltung. Er trug dabei keinen Mund-Nasen-Schutz und legte sowohl dem Klassenlehrer als auch dem Technischen Lehrer und Leiter der Werkstatt ein auf den 27.08.2020 datiertes Attest von Dr. ... ..., aus ... ..., Österreich, vor. In diesem heißt es:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="4"/>„Hiermit bestätige ich, dass das Tragen von einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung für die oben genannte Person aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert, wissenschaftlich belegbar gesundheitsschädlich und im Sinne der Psychohygiene traumatisierend und damit unzumutbar ist.“</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Bis zum 10.03.2021 wurde die Klasse sodann in Form des Distanzunterrichts beschult. Am 10.03.2021 zu Beginn des in Präsenz abgehaltenen Werkstattunterrichts wies der Schulleiter den Kläger auf die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung während des Unterrichts hin. Der Kläger legte erneut das oben bezeichnete Attest von 27.08.2020 vor und wurde darauf hingewiesen, dass dieses als nicht ausreichend zur Befreiung von der Maskenpflicht angesehen werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 17.03.2021 erschien der Kläger erneut ohne Mund-Nasen-Bedeckung zum Unterricht, woraufhin der Technische Lehrer des Werkstattunterrichts den Schulleiter zu sich bat. Zunächst erschien der stellvertretende Schulleiter, der den Kläger vor die Tür des Unterrichtsraums bat und ihn aufforderte, eine Maske zu tragen oder das Schulgebäude zu verlassen. Dieser legte erneut das oben bezeichnete Attest vor und überließ es dem stellvertretenden Schulleiter. Der Kläger bat um eine schriftliche Bestätigung, dass er bei Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung die Schule verlassen müsse. Der stellvertretende Schulleiter bat ihn, vor dem Klassenraum zu warten, er werde in der Zwischenzeit die gewünschte Bescheinigung ausstellen. Als sodann der Schulleiter, der stellvertretende Schulleiter und der Technische Lehrer gemeinsam zu dem wartenden Kläger zurückgekehrt waren, bat zunächst der stellvertretende Schulleiter erneut um das Attest, das ihm der Kläger aushändigte. Der stellvertretende Schulleiter übergab dieses dann dem Schulleiter, der es nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – an den Kläger zurückgeben wollte. In der Folge ging der Kläger auf den Schulleiter zu. Ihm gelang es, den auf den Rücken abgewendeten Arm des Schulleiters so festzuhalten, dass er das Attest mit der rechten Hand aus dem Griff des Schulleiters herausnehmen konnte. Sodann verließ der Kläger das Schulgelände.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Gegenüber der anschließend eintreffenden Polizei stellte der Schulleiter Strafantrag. Der Schulleiter suchte eine ärztliche Praxis auf, die unter dem 18.03.2021 ein Attest erstellte, wonach der Schulleiter „heute, 17.03.2021“ Kratzspuren und Prellungen am linken Handgelenk sowie Schmerzen und eine Schwellung an der linken Schulter erlitten habe.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>Der stellvertretende Schulleiter legte seine Eindrücke von dem Ereignis am 17.03.2021 am 23.03.2021 schriftlich nieder. Danach sei er von dem Werkstattlehrer hinzugebeten worden, weil der Kläger keine Maske getragen habe. Als er den Schüler auf das Attest angesprochen und verwundert gefragt habe, weshalb es sich um ein österreichisches Attest handele, habe dieser das Attest wieder an sich genommen und habe angegeben, dass es rechtswirksam sei, was er durch einen Anwalt habe prüfen lassen. Er habe den Kläger dann, als dieser die Entscheidung, dass er die Schule verlassen müsse, wenn er keine Mund-Nasenbedeckung trage, schriftlich haben wollte, gebeten vor dem Klassenraum zu warten. Er habe dann die gewünschte Bescheinigung verfasst. Als er zurückgekehrt sei, sei auch der Schulleiter wieder vor Ort gewesen. Der Kläger habe auf Nachfrage noch einmal sein Attest gezeigt und es ihm gegeben. Er habe es an den Schulleiter weitergereicht. Dieser habe das Attest zur Prüfung einbehalten. Der Kläger sei unvermittelt auf den Schulleiter losgegangen und habe versucht, ihm das Dokument zu entreißen. Der Schulleiter habe sich mehrfach abgewandt und zu verstehen gegeben, dass er das Dokument erst nach einer Prüfung zurückgeben werde. Der Kläger habe das Dokument dem Schulleiter schließlich entrissen, der eine blutende Wunde am Handrücken davongetragen habe. Der Werkstattlehrer habe die Polizei gerufen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Am Nachmittag des 17.03.2021 stimmte die Klassenkonferenz unter der Leitung des Schulleiters dem endgültigen Schulausschluss zu, der vom Schulleiter beantragt worden war.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Schreiben vom 18.03.2021 verfügte der Schulleiter, dass der Kläger „unverzüglich aus der ... - ... - ... “ ausgeschlossen werde. Ihm wurde auch ein Hausverbot erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Grund für den Schulausschluss der „schwerwiegende Vorfall am 17.03.21“ sei, bei dem sich der Kläger wiederholt den Anweisungen der Schulleitung widersetzt habe und in der Folge mit körperlicher Gewalt gegen den Schulleiter angegangen sei, wobei der Schulleiter verletzt worden sei. Als er dem Schulleiter ein „vermeintliches Attest“ übergeben habe, dass dieser sodann zur Prüfung habe einbehalten wollen, sei er unvermittelt auf diesen losgegangen, um ihm das Dokument zu entreißen. Er habe den Schulleiter massiv tätlich angegriffen, habe Gewalt angewendet und ihm das Dokument entrissen, wobei der Schulleiter Verletzungen an der Schulter, am Arm und an der Hand erlitten habe. Es handele sich um ein schwerwiegendes Fehlverhalten, bei dem eine Gefährdung von Personen entstanden sei. Es bestehe eine Gefahr für die Sicherheit und die Gesundheit in der Schule. Die Klassenkonferenz sei angehört worden und habe sich der Entscheidung der Schulleitung angeschlossen. Ein Gespräch mit dem Kläger sei nicht möglich gewesen, da er die Schule unmittelbar verlassen habe. Er habe die Möglichkeit, sich zu der Entscheidung zu äußern. Die Angelegenheit könne auf seinen Antrag hin der Schulkonferenz vorgetragen werden. Dazu sei jeweils eine schriftliche Äußerung erforderlich. Sollte bis zum 02.04.2021 keine Meldung an die Schulleitung eingegangen sein, werde die Maßnahme abschließend vollzogen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Mit Schreiben vom 19.03.2021 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass er diesen vertrete und den Ausschluss vom Präsenzunterricht sowie die Sperrung seines Onlinezugangs für rechtswidrig halte, da der Kläger von der Maskenpflicht befreit sei. Er forderte die Schulleitung auf, bis zum 26.03.2021 zur Vermeidung der Einleitung weiterer Maßnahmen schriftlich zu bestätigen, dass der Kläger auch zukünftig das Schulgelände der ... - ... - ... zu den Zeiten, zu denen er dort am Schulunterricht teilnehmen müsse, ohne Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes aufsuchen könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Mit Schreiben vom 22.03.2021 wies die Schule den Bevollmächtigten ergänzend darauf hin, dass der Ausschluss aufgrund des tätlichen Angriffs und nicht des Verstoßes gegen die Maskenpflicht erfolgt sei, sandte ihm den Bescheid zu und bat um Mitteilung bis zum 30.03.2021, ob das Schreiben als Widerspruch zu verstehen sei. In diesem Fall werde er aufgefordert, den Widerspruch innerhalb der gesetzlichen Frist zu begründen und mitzuteilen, ob eine Anhörung der Schulkonferenz gewünscht werde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Unter dem 24.03.2021 erklärte der Bevollmächtigte, dass das Schreiben vom 19.03.2021 als Widerspruch zu werten sei. Eine weitere Begründung folgte nicht.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit Schreiben vom 08.04.2021 legte der Schulleiter den Vorgang dem Regierungspräsidium Karlsruhe vor. Eine Begründung des Widerspruchs sei bisher nicht eingegangen und weder das Angebot eines Gesprächstermins angenommen noch der Wunsch, die Schulkonferenz zu beteiligen geäußert worden. Er lehne den Widerspruch ab. Unter anderem heißt es in dem Vorlagebericht:</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="15"/>„… Nach diesem Übergriff sitzt der Schock bei mir, aber auch den Kollegen sowie den Schülern tief. In der Schule hat sich dieser Vorfall schnell verbreitet, v.a. die betroffene Klasse ist entsetzt. Dieser Vorfall hat die Schulgemeinschaft und auch mich erschüttert. …“</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Mit Bescheid vom 14.04.2021 – dem Kläger zugestellt am 15.04.2021 – wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück. Der Ausschluss sei formell und materiell rechtmäßig. Indem die Schule zur Begründung des Widerspruches aufgefordert habe, sei die Anhörung nachgeholt worden. Der Kläger habe auch nicht den Wunsch geäußert, die Schulkonferenz anzuhören. Die Voraussetzungen des schweren oder wiederholten Fehlverhaltens – § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g), Abs. 6 Sätze 2 bis 5 SchulG – lägen vor. Der Kläger habe das Attest dem Schulleiter unter Anwendung von Gewalt entwendet und diesen verletzt. Er habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er ein erhebliches Aggressionspotential in sich trage, das er nicht kontrollieren könne. Zudem sei durch das Verhalten deutlich geworden, dass er die Position des Schulleiters nicht respektiere und sich nicht an geltende Vorschriften halten könne. Da der Schulleiter über die Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu entscheiden habe, sei er in Fällen begründeter Zweifel auch berechtigt, das Attest zu den Akten zu nehmen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Da der Schulleiter ordnungsgemäß gehandelt habe, habe der Kläger ein schwerwiegendes Fehlverhalten begangen, als er sich dem gewaltsam widersetzt habe. Der Ausschluss sei auch verhältnismäßig. Denn der Einsatz der Gewalt sei so schwerwiegend gewesen, dass der Technische Lehrer noch während des Vorfalls die Polizei gerufen habe. Nur durch den Ausschluss könne die Schulsicherheit gewährleistet und verdeutlicht werden, dass die Schule keine Gewalt dulde. Eine mildere, gleich effektive Maßnahme sei nicht ersichtlich, da der Kläger volljährig sei. Er habe die Schule auch erst wenige Wochen besucht. Innerhalb dieser kurzen Zeit habe er bereits die Autorität der Schulleitung in Frage gestellt. Bereits das einmalige gewalttätige Fehlverhalten sei schwerwiegend und erfülle den Tatbestand der Körperverletzung. Die Folgen des Ausschlusses würden dadurch abgemildert, dass er andere Schulen besuchen könne.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Mit Strafbefehl des AG Karlsruhe vom 17.06.2021 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen verurteilt, der hinsichtlich der Tagessatzhöhe mit Beschluss vom 15.10.2021 abgeändert und rechtskräftig wurde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Der Kläger erhob mit Schriftsatz vom 15.04.2021 Klage. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er das nunmehr umstrittene Attest bereits am 01.02.2021 vorgelegt habe. An jenem Tag und zunächst in der Folgezeit seien dagegen keine Einwände erhoben worden. Erst am 10.03.2021 habe er das Attest vorzeigen müssen, woraufhin der Schulleiter erklärt habe, dass es sich um eine Fälschung handele. Der Schulleiter sei nicht befähigt, eine solche Feststellung zu treffen. Der Vorwurf sei auch falsch. Das Attest sei von Herrn Dr. ... ausgestellt worden. Am 17.03.2021 habe der Schulleiter das Attest rechtswidrig ohne Rechtsgrundlage einbehalten, obwohl er auf das Mitsichführen des Attests auch an anderen Stellen angewiesen gewesen sei. Er habe den Schulleiter mindestens zweimal aufgefordert, ihm das Attest zurückzugeben, und vorgeschlagen eine Kopie zu erstellen. Dem sei der Schulleiter nicht nachgekommen. Der habe sich von ihm weggedreht, bis er schließlich den Unterarm des Schulleiters festgehalten und das Attest aus der Hand genommen habe. Er habe den Schulleiter weder gekratzt noch massiv tätlich angegangen, sondern lediglich den Unterarm des Schulleiters mit seiner linken Hand fixiert. Zwar könnten Tätlichkeiten eines Schülers gegen einen Lehrer grundsätzlich geeignet sein, einen Schulausschluss zu rechtfertigen. Hier sei allerdings zu berücksichtigen, dass etwaige Tätlichkeiten die Schulgemeinschaft nicht hätten erschüttern können, weil sich der Vorfall außerhalb des Klassenzimmers abgespielt habe und außer dem Kläger, dem Technischen Lehrer, dem Schulleiter und dem stellvertretenden Schulleiter keine weiteren Personen anwesend gewesen seien. Es sei nicht zu erkennen, wie ein Schock bei den Schülern tief sitzen solle. Diese hätten den Vorfall nicht mitbekommen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>Eine Rechtsgrundlage zum Einbehalten des Attests durch die Schulleitung ergebe sich aus der Corona-VO des Landes nicht. Es sei auch nicht zu erkennen, weshalb das Attest im Original einbehalten werden müsste. Der Schulleiter habe jedenfalls nicht erklärt, dass er eine Kopie habe erstellen wollen. Vielmehr habe er das Attest als Fälschung bezeichnet und habe es einbehalten wollen. Der Kläger habe hingegen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er einverstanden sei, wenn von dem Attest eine Kopie gefertigt würde. Dies hätte im Rahmen der Ermessenserwägungen berücksichtigt werden müssen. Die Frage, ob der Kläger zu Recht eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht getragen habe, sei bei den Ermessenserwägungen vollständig unberücksichtigt geblieben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>Der Kläger beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>den Bescheid der ... - ... - ... ... vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 14.04.2021 aufzuheben, soweit mit ihm der Schulausschluss des Klägers verfügt worden ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Beklagte beantragt,</td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="24"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass der Kläger am ersten Tag des Präsenzunterrichts am 10.03.2021 sowohl durch seine Lehrkraft als auch durch den Schulleiter darauf hingewiesen worden sei, dass das vorgelegte Attest nicht den Anforderungen entspreche, nicht akzeptiert werde und somit nicht zu einer Befreiung von der Maskenpflicht führen könne. Der Kläger habe auch – anders als von ihm behauptet – nicht zunächst freundlich um Herausgabe des Attests und ggf. Anfertigung einer Kopie gebeten. Er sei unvermittelt auf den Schulleiter losgegangen, habe ihn an die Wand gedrückt und ihm gewaltsam das Attest entrissen. Unerheblich sei, dass der Kläger das Attest angeblich auch für die Benutzung der Tiefgarage benötigt habe. Dies könne das gewalttätige Verhalten nicht rechtfertigen. Durch das aggressive Auftreten habe der Kläger den Schulleiter am linken Handgelenk und an der Schulter verletzt. Dem Schulleiter sei es auch gestattet gewesen, die durch den Kläger vorgelegte Bescheinigung an sich zu nehmen, eine Mehrfertigung zu erstellen bzw. sich Notizen zu machen um anschließend die Glaubhaftigkeit der Darlegungen prüfen zu können. Die Behauptung des Klägers, er habe dem Schulleiter die Erstellung einer Mehrfertigung gestattet, sei unzutreffend.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Der Vorfall selbst habe sich in unmittelbarer Nähe des Werkstattraums ereignet, so dass die übrigen Schüler den Vorfall unmittelbar hören und mitbekommen konnten. Der Schulausschluss selbst diene hier in erster Linie der Sicherheit des Schulleiters und der Lehrkräfte, aber auch der Wiederherstellung des Schulfriedens. Es könne an einer Schule nicht geduldet werden, dass Schülerinnen und Schüler sich mit Gewalt gegenüber dem Schulleiter „Recht“ verschafften.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Kläger ergänzend informatorisch zu den Geschehnissen am 17.03.2021 angehört worden. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Dem Gericht lagen die Verfahrensakten der Beklagten sowie die Strafverfahrensakten 14 Cs 280 Js 14335/21 des Amtsgerichts Karlsruhe vor. Auf diese wird ebenso wie auf die Gerichtsverfahrensakten wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die zulässige (I.) Klage ist begründet (II.). Der angegriffene Bescheid vom 18.03.2021, der in die Rechte des Klägers einzugreifen bestimmt ist, erweist sich, soweit er angegriffen ist, als nichtig und ist daher im beantragten Umfang aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>I. Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, denn auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann mit dem Ziel der Aufhebung durch das Gericht angefochten werden (BVerwG, Urteil vom 20.03.1964 – VII C 10.61 – BVerwGE 18, 154 (155) u. Beschluss vom 07.01.2013 – 8 B 57.12 – juris Rn. 5; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 15; von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 42 Rn. 12; aA. Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Januar 2020, § 42 Rn. 18). Das – auch im Falle der Nichtigkeit – für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren (Schmitt-Kötters, in: BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2019, § 42 Rn. 21) ist vom Kläger durchlaufen, die – ebenfalls – anwendbare Klagefrist aus § 74 Abs. 1 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.05.1998 – 12 A 12501/97 – NVwZ 1999, 198) eingehalten worden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>II. Die Klage ist begründet. Denn der angegriffene, gegen den Kläger verfügte, Schulausschluss ist nach § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig und unterliegt daher der Aufhebung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>1. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.04.2021 ist ein endgültiger Schulausschluss im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG verfügt worden, zu dem diese Norm in Verbindung mit § 90 Abs. 6 SchG ermächtigt. Die Formulierung, dass die Maßnahme abschließend vollzogen werde, wenn bis zum 02.04.2021 keine Meldung an die Schulleitung eingegangen sein sollte, könnte zwar isoliert betrachtet darauf hindeuten, dass hier eine vorläufige Maßnahme nach § 90 Abs. 9 Satz 1 SchG verfügt werden sollte. Da aber keine zeitliche Befristung ausgesprochen wurde und auch die Klassenkonferenz – entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG – zum endgültigen Schulausschluss und nicht – entsprechend § 90 Abs. 9 Satz 2 SchG – der Klassenlehrer zum vorläufigen Ausschluss gehört worden ist, kann bei der gebotenen Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers die verfügte Maßnahme allein als endgültiger Schulausschluss verstanden werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>2. Nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>a) Die Vorschrift ist anwendbar, weil weder ein zwingender Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 LVwVfG erfüllt ist noch ein in dem Negativkatalog des § 44 Abs. 3 LVwVfG aufgeführter Grund einschlägig ist (dazu auch II. 2. b) bb) (3)), bei dem bestimmt wäre, dass sein Vorliegen nicht als solches zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt. Das LVwVfG selbst ist anwendbar, weil für die Tätigkeit der Schulen in Baden-Württemberg nur bei Versetzungs- und anderen Entscheidungen, die auf einer Leistungsbeurteilung beruhen, Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Gesetzes vorgesehen sind, § 2 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>b) Der angegriffene Schulausschluss leidet an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, denn das Verwaltungsverfahren hat der Schulleiter selbst geführt, obwohl ein Grund vorlag, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG. Aufgrund einer bei ihm festzustellenden Befangenheit hätte er sich einer Mitwirkung am Schulausschlussverfahren selbst oder auf Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe enthalten müssen. Aufgrund der besonderen Umstände des Falls wiegt der Fehler hier besonders schwer.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>aa) In der Person des Schulleiters lag ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, denn er war hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens zum Schulausschluss des Klägers befangen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG hat, wer in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig werden soll, den Leiter der Behörde zu unterrichten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Leiter der Behörde, so trifft diese Anordnung die Aufsichtsbehörde, sofern sich der Behördenleiter nicht selbst einer Mitwirkung enthält, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG. Ein relevanter Grund liegt vor, wenn auf Grund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>(1) Ein solcher Grund bestand hier, weil der Schulleiter hier Opfer einer vom Kläger begangenen Straftat geworden ist, die bei ihm – sehr verständlicherweise – einen tief sitzenden Schock und eine Erschütterung ausgelöst hatte, was er selbst im Nachgang im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung schriftlich niederlegte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die Erschütterung und der Schock ist aufgrund des Übergriffs des Klägers gegen den Schulleiter vollständig nachvollziehbar. Insbesondere ist die Kammer nach der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass die strafrechtlichen Ausführungen des AG Karlsruhe im Strafbefehl vom 17.06.2021 den tatsächlichen Sachverhalt nicht hinreichend erfassen und in der Folge auch nicht vollständig würdigen. Der Kläger, der bei einem persönlichen Gegenübertreten bereits aufgrund seiner erheblichen Körpergröße und seines Körperbaus eine massive Präsenz ausstrahlt, hat nach eigenen Angaben auf die Erläuterung des Schulleiters, das Attest einbehalten zu wollen, deutlich gemacht, dass er es wiederhaben wolle, ohne dass zuvor über die Möglichkeit, eine Kopie zu fertigen, gesprochen worden war. Ebenso hat der Kläger selbst angegeben, sehr erregt gewesen zu sein und gehandelt zu haben. So hat er einen ansteigenden Blutdruck wahrgenommen, der ihn daran gehindert habe, wegen des Streits um das Attest selbst die Polizei zu rufen. Stattdessen habe er es sich genommen, indem der den Unterarm des Schulleiters „keine zehn Sekunden“ fixiert habe. Auch die Schilderung, erst an einer Ampel außerhalb des Schulgebäudes in der Folge seines gewalttätigen Übergriffs Hautschuppen unter den Fingernägeln verspürt zu haben, lässt erkennen, in welch hohem Erregungszustand und mit welcher Heftigkeit der Kläger den Schulleiter durch die Anwendung von physischer Gewalt dazu gebracht hat, das Attest loszulassen. Ohne dass es darauf ankäme ist es schwer vorstellbar, dass der Kläger den Schulleiter nicht mit Gewalt zur Duldung des Entzugs des unmittelbaren Besitzes an dem Attest oder zur Übergabe des Attests genötigt haben soll, wobei die Gewaltanwendung hier erkennbar als verwerflich anzusehen ist. Dies dürfte zu einer Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 1 StGB führen, weil der Kläger Gesundheitsschädigungen des Schulleiters bewusst in Kauf genommen haben dürfte. Da der Kläger nach eigenen Angaben das Attest freiwillig dem stellvertretenden Schulleiter übergeben und somit keinen unmittelbaren Besitz an dem Attest mehr hatte, kommt auch eine Rechtfertigung nach § 859 BGB nicht in Betracht, da ihm das Attest nicht mittels verbotener Eigenmacht weggenommen worden war. Die Rechte zur Besitzwehr und -kehr bestehen jeweils nur zur Verteidigung unmittelbaren Besitzes gegen verbotene Eigenmacht (Fritzsche, in: BeckOK BGB, Stand: 01.05.2022, § 859 BGB Rn. 4).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Angesichts dessen, dass der Schulleiter hier Opfer einer unter Anwendung physischer Gewalt verübten Straftat geworden ist, die ihn – wie dargestellt – persönlich erheblich betroffen gemacht hat, sind hier Tatsachen festzustellen, die eine nicht unvoreingenommene Entscheidung nicht nur nicht ausschließen lassen, sondern letztlich über die Besorgnis der Befangenheit hinaus eine tatsächliche Befangenheit selbst indizieren. Dass der Schulleiter sein Amt im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht – wie geboten – unparteiisch, sondern von Voreingenommenheit geprägt, ausgeübt hat und nicht anders ausüben konnte, wird im konkreten Fall dadurch belegt, dass ihm im Rahmen der Entscheidung ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids offenkundig bewusst gewesen ist, dass der Kläger anzuhören (§ 28 Abs. 1 LVwVfG) und ihm die Gelegenheit zu geben war, den Wunsch zu äußern, die Schulkonferenz anzuhören (§ 90 Abs. 4 Satz 1 SchG), er diese grundlegenden Verfahrensrechte dem Kläger aber zunächst vorenthalten hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>(2) Anstatt selbst zu entscheiden, hätte sich der Schulleiter – als Behördenleiter - entweder der Entscheidung enthalten müssen oder die Aufsichtsbehörde – das Regierungspräsidium Karlsruhe (§§ 33 f. SchulG) – informieren müssen, damit diese dann eine Entscheidung über die Nichtmitwirkung hätte treffen können, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Unerheblich für den Rechtsverstoß ist, dass keine Entscheidung der Aufsichtsbehörde über die weitere Mitwirkung des Schulleiters ergangen ist. Denn weder dem Behördenleiter noch der Aufsichtsbehörde kommt bei der Entscheidung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu, so dass sich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes allein danach bemisst, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit oder gar – wie hier – eine festzustellende Befangenheit bestand (Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 55; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 1).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>(3) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten geäußerten Rechtsansicht des Beklagten folgt aus der Zuweisung der exklusiven Zuständigkeit für den Schulausschluss an den Schulleiter in § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchG nicht, dass keine andere Person – beispielsweise der zu seiner Vertretung berufene stellvertretende Schulleiter – über den Schulausschluss befinden dürfte und schon daher ein Ausschluss eines Schulleiters im Verwaltungsverfahren nach den §§ 20 f. LVwVfG nicht in Betracht käme. Die Vorschrift des § 90 Abs. 3 SchG bestimmt die Zuständigkeiten für die Verhängung von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, von denen nicht ohne gesetzliche Grundlage abgewichen werden darf. Indes enthalten sie keine besonderen Verfahrensvorschriften auf, nach denen etwa eine Anwendung der §§ 20 f. LVwVfG ausgeschlossen wäre (grundsätzlich für anwendbar hält die Norm auch VG Stuttgart, Beschluss vom 01.12.2015 – 12 K 5587/15 – juris Rn. 5 f.), wie es im mündlichen Vortrag des Beklagten angeklungen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>bb) Bei diesem Fehler handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>(1) Ein Fehler fällt besonders schwer ins Gewicht, wenn sich der Verwaltungsakt als unvereinbar mit tragenden Verfassungsprinzipien oder grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung erweist. Die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen müssen so drastisch verfehlt werden, dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen. Diese Anforderungen zeigen, dass im Falle von Rechtsfehlern eines Verwaltungsakts dessen Rechtswidrigkeit die Regel, die Nichtigkeit und der damit verbundene Verlust des Geltungsanspruchs dagegen die seltene Ausnahme ist (BVerwG, Urteil vom 22.01.2021 – 6 C 26.19 – BVerwGE 171, 156 Rn. 50). Der Katalog der in § 44 Abs. 2 LVwVfG aufgezählten Nichtigkeitsgründe ist als Auslegungshilfe für die Generalklausel des Absatzes 1 heranzuziehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Auch Absatz 3 der Vorschrift ist in den Blick zu nehmen, weil aus ihm die Wertung herauszulesen ist, welche Mängel nicht hinreichend schwer sind, um auf die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zu schließen (vgl. Schemmer, in: BeckOK VwVfG, Stand: 01.04.2022, § 44 Rn. 19). Der Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG bezieht sich also auf den Verwaltungsakt, nicht aber auf das Verhalten der Behörde. Dies wird bestätigt namentlich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG, der selbst durch (arglistige Täuschung, Drohung oder) Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für nicht nichtig, sondern nur rücknehmbar erklärt (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Hinsichtlich der Mitwirkung eines Beteiligten am Verwaltungsverfahren (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) wird vertreten, dass dies „fast immer“ zur Nichtigkeit führe (Kuntze/Beichel-Benedetti, in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 20 Rn. 139 mit Fn. 135; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 20 Rn. 66), Selbstbegünstigung und Entscheidung in unmittelbar eigener Sache stellen in aller Regel einen schweren und offenkundigen Fehler dar (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 20 Rn. 69).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(2) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich beim Führen des Verwaltungsverfahrens durch den Schulleiter um einen besonders schwerwiegenden Fehler.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Die Stellung des Schulleiters in der konkreten Verfahrenssituation zum Zeitpunkt des Erlasses des Schulausschlusses, der für die Beurteilung der Nichtigkeit in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen maßgeblich ist (BVerwG, Beschluss vom 05.04.2011 – 6 B 41.10 – juris Rn. 4), ist sehr der einer Person angenähert, die durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil erlangen kann. Denn die in dem Bescheid zum Anlass für das Tätigwerden angesprochene Gefährdung von Personen hatte sich – was auch aus dem Bescheid hervorgeht – in der Person des Schulleiters selbst realisiert. Er war in seiner körperlichen Integrität verletzt worden und wehrt mit dem Schulausschluss nicht allein Gefahren von dem Lehrerkollegium ab, sondern zuvörderst schützt er sich mit der Maßnahme selbst.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Unabhängig davon, ob man der Ordnungsmaßnahme „Schulausschluss“ neben dem vorrangig (auch general-) präventiven Zweck auch einen repressiven Charakter zuschreiben will (etwa OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.08.2013 – 2 A 10251/13 – NVwZ-RR 2013, 963 (964); Rux, in: Ehlers/Fehling/Punder, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2021, § 86 Schulrecht Rn. 162) oder ausdrücklich jede repressive Komponente verneint (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.04.2015 – 19 E 514/14 – juris Rn. 2; VG Berlin, Beschluss vom 12.11.2020 – 3 L 649/20 – NVwZ-RR 2021, 581), kommt die Entscheidung des Schulleiters als Opfer einer – nicht vollständig unerheblichen – unter Anwendung von physischer Gewalt verübten Straftat eines Erwachsenen, der aufgrund der besonderen Umstände des Falls und der Person des Täters ein erhebliches Potential zur Einschüchterung zukam, dennoch einer Entscheidung eines „Richters in eigener Sache“ sehr nahe. Die Nähe und Ähnlichkeit eines endgültigen Schulausschlusses zu repressiven Maßnahmen und seine Tragweite, der sich auf die Möglichkeit zu einem anderweitigen Schulbesuch auswirken kann (§ 90 Abs. 4 Satz 2 SchG), führen dazu, dass eine Entscheidung durch den von dem das Verfahren auslösenden strafbaren vorsätzlichen Fehlverhalten erkennbar und individualisierbar erheblich Betroffenen als rechtsstaatlich nicht hinnehmbar erscheinen muss.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung, der in seinem Anwendungsbereich nicht auf das gerichtliche Verfahren beschränkt ist (BVerwG, Urteile vom 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (230) und vom 09.06.2010 – 9 A 20.08 – NVwZ 2011, 177 Rn. 151; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13.11.1979 –1 BvR 1022/78 – BVerfGE 52, 380 (390)), folgen insbesondere das Gebot der Sachlichkeit und Neutralität; das Gebot verlangt, das Verfahren vorurteilslos, tolerant und emotionslos zu betreiben (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 9 Rn. 62). Die §§ 20 f. LVwVfG sind besondere Ausprägungen dieses allgemeinen Grundsatzes. Mit ihrer Verletzung sind hier, weil die Betroffenheit des Schulleiters eine Besondere war und deshalb nicht zur Besorgnis der Befangenheit, sondern zur Befangenheit selbst geführt hat und dieser sodann ähnlich wie jemand, der in eigener Sache entscheidet, agierte, die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen in drastischer Weise verfehlt worden, so dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(3) Der Fehler wird auch nicht vom Anwendungsbereich des § 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG (in analoger Anwendung) erfasst, was zur Folge hätte, das gesetzlich geregelt wäre, dass der Verstoß gegen § 21 LVwVfG für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Entscheidung führen könnte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Allein aus dem Umstand, dass die Mitwirkung von ausgeschlossenen Personen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 LVwVfG nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führt (§ 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG), kann nichts für die Bedeutung der Mitwirkung einer befangenen Person im Sinne von § 21 LVwVfG geschlossen werden (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 45; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auf. 2018, § 44 Rn. 179, Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 21 Rn. 42; aA. Goldhammer, in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 44 Rn. 96; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2019, § 44 Rn. 53). Denn wenn schon die gesetzgeberische Entscheidung zu der Bedeutung von Verstößen gegen § 20 LVwVfG bewusst selektiv ist und die Entscheidung in eigener Sache (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) nicht zwingend von der Nichtigkeit ausschließt, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Frage der Mitwirkung von Personen, die wegen (der Besorgnis der) Befangenheit auszuschließen sind, bei der Regelung der (ausgeschlossenen) Nichtigkeit übersehen worden sein könnte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>c) Der besonders schwerwiegende Fehler ist auch offenkundig im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, wobei die Offenkundigkeit inhaltsidentisch mit der Offensichtlichkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 44 Rn. 122; vgl. auch BT-Drs. 13/8884, S. 5 zur Änderung des Wortlauts des § 44 Abs. 1 VwVfG von „offenkundig“ zu „offensichtlich“).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Offensichtlich ist die schwere Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung dann, wenn sie für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist (BVerwG, Beschluss vom 13.10.1986 – 6 P 14.84 – BVerwGE 75, 62 (65)). Der schwere Mangel muss zweifelsfrei erkennbar sein, weder darf es intensiver Nachforschungen noch einerbesonderen Vertrautheit mit der tatsächlichen oder rechtlichen Lage bedürfen (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 27).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Da sich aus der Begründung des Schulausschlusses selbst die Beteiligung des Schulleiters an dem Ereignis, das Anlass zum Schulausschluss geboten hat, ergibt, ist der schwerwiegende Fehler hier ohne Nachprüfung zweifelsfrei zu erkennen, auch weil der Verfasser des Bescheids mit seinem Namenszug und seiner Funktion „Schulleiter“ ausgewiesen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>3. Die nichtige Schulausschlussverfügung vom 18.03.2021 unterliegt der Aufhebung, weil von ihr der Rechtsschein eines wirksamen Schulausschlusses ausgeht und dies den Kläger in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>4. Offen bleiben kann hier, wie es sich rechtlich auswirkte, wenn die Befangenheit des Schulleiters allein zur ursprünglichen Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schulausschlusses geführt hätte. Während der Verstoß gegen § 21 LVwVfG wohl nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht mehr kausal für den zur Prüfung gestellten Verwaltungsakt sein dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.05.2015 – 1 C 24.14 – BVerwGE 152, 164 Rn. 15; Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 59), stellte sich wohl die Frage, ob die fehlerhafte Befassung der Klassenkonferenz (§ 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG) – diese wurde noch am 17.03.2021 von dem befangenen Schulleiter geleitet, der dort einen „Antrag auf Schulausschluss des Klägers“ stellte – zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung führen müsste, was angesichts des erheblichen faktischen Gewichts der Klassenkonferenz (LT-Drs. 13/1424, S. 7) nicht fern liegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO gegeben ist, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind die hier aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Nichtigkeit des Schulausschlusses aufgrund des Handelns eines befangenen Behördenleiters einzelfallgeprägt und führen auf keine verallgemeinerungsfähigen Rechtsfragen, die im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung bedürften.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="58"/><strong>Beschluss vom 28.07.2022</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Der Streitwert wird in Anwendung von § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Die zulässige (I.) Klage ist begründet (II.). Der angegriffene Bescheid vom 18.03.2021, der in die Rechte des Klägers einzugreifen bestimmt ist, erweist sich, soweit er angegriffen ist, als nichtig und ist daher im beantragten Umfang aufzuheben.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>I. Die erhobene Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, denn auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann mit dem Ziel der Aufhebung durch das Gericht angefochten werden (BVerwG, Urteil vom 20.03.1964 – VII C 10.61 – BVerwGE 18, 154 (155) u. Beschluss vom 07.01.2013 – 8 B 57.12 – juris Rn. 5; Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 15; von Albedyll, in: Bader u.a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 42 Rn. 12; aA. Pietzcker/Marsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Januar 2020, § 42 Rn. 18). Das – auch im Falle der Nichtigkeit – für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren (Schmitt-Kötters, in: BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2019, § 42 Rn. 21) ist vom Kläger durchlaufen, die – ebenfalls – anwendbare Klagefrist aus § 74 Abs. 1 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.05.1998 – 12 A 12501/97 – NVwZ 1999, 198) eingehalten worden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>II. Die Klage ist begründet. Denn der angegriffene, gegen den Kläger verfügte, Schulausschluss ist nach § 44 Abs. 1 LVwVfG nichtig und unterliegt daher der Aufhebung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>1. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 18.03.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.04.2021 ist ein endgültiger Schulausschluss im Sinne des § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG verfügt worden, zu dem diese Norm in Verbindung mit § 90 Abs. 6 SchG ermächtigt. Die Formulierung, dass die Maßnahme abschließend vollzogen werde, wenn bis zum 02.04.2021 keine Meldung an die Schulleitung eingegangen sein sollte, könnte zwar isoliert betrachtet darauf hindeuten, dass hier eine vorläufige Maßnahme nach § 90 Abs. 9 Satz 1 SchG verfügt werden sollte. Da aber keine zeitliche Befristung ausgesprochen wurde und auch die Klassenkonferenz – entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 1 SchG – zum endgültigen Schulausschluss und nicht – entsprechend § 90 Abs. 9 Satz 2 SchG – der Klassenlehrer zum vorläufigen Ausschluss gehört worden ist, kann bei der gebotenen Auslegung aus Sicht eines objektiven Empfängers die verfügte Maßnahme allein als endgültiger Schulausschluss verstanden werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>2. Nach § 44 Abs. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>a) Die Vorschrift ist anwendbar, weil weder ein zwingender Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 LVwVfG erfüllt ist noch ein in dem Negativkatalog des § 44 Abs. 3 LVwVfG aufgeführter Grund einschlägig ist (dazu auch II. 2. b) bb) (3)), bei dem bestimmt wäre, dass sein Vorliegen nicht als solches zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt. Das LVwVfG selbst ist anwendbar, weil für die Tätigkeit der Schulen in Baden-Württemberg nur bei Versetzungs- und anderen Entscheidungen, die auf einer Leistungsbeurteilung beruhen, Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Gesetzes vorgesehen sind, § 2 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>b) Der angegriffene Schulausschluss leidet an einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, denn das Verwaltungsverfahren hat der Schulleiter selbst geführt, obwohl ein Grund vorlag, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG. Aufgrund einer bei ihm festzustellenden Befangenheit hätte er sich einer Mitwirkung am Schulausschlussverfahren selbst oder auf Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe enthalten müssen. Aufgrund der besonderen Umstände des Falls wiegt der Fehler hier besonders schwer.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>aa) In der Person des Schulleiters lag ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, denn er war hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens zum Schulausschluss des Klägers befangen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG hat, wer in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde tätig werden soll, den Leiter der Behörde zu unterrichten, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten. Betrifft die Besorgnis der Befangenheit den Leiter der Behörde, so trifft diese Anordnung die Aufsichtsbehörde, sofern sich der Behördenleiter nicht selbst einer Mitwirkung enthält, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG. Ein relevanter Grund liegt vor, wenn auf Grund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 Rn. 33).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>(1) Ein solcher Grund bestand hier, weil der Schulleiter hier Opfer einer vom Kläger begangenen Straftat geworden ist, die bei ihm – sehr verständlicherweise – einen tief sitzenden Schock und eine Erschütterung ausgelöst hatte, was er selbst im Nachgang im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung schriftlich niederlegte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die Erschütterung und der Schock ist aufgrund des Übergriffs des Klägers gegen den Schulleiter vollständig nachvollziehbar. Insbesondere ist die Kammer nach der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass die strafrechtlichen Ausführungen des AG Karlsruhe im Strafbefehl vom 17.06.2021 den tatsächlichen Sachverhalt nicht hinreichend erfassen und in der Folge auch nicht vollständig würdigen. Der Kläger, der bei einem persönlichen Gegenübertreten bereits aufgrund seiner erheblichen Körpergröße und seines Körperbaus eine massive Präsenz ausstrahlt, hat nach eigenen Angaben auf die Erläuterung des Schulleiters, das Attest einbehalten zu wollen, deutlich gemacht, dass er es wiederhaben wolle, ohne dass zuvor über die Möglichkeit, eine Kopie zu fertigen, gesprochen worden war. Ebenso hat der Kläger selbst angegeben, sehr erregt gewesen zu sein und gehandelt zu haben. So hat er einen ansteigenden Blutdruck wahrgenommen, der ihn daran gehindert habe, wegen des Streits um das Attest selbst die Polizei zu rufen. Stattdessen habe er es sich genommen, indem der den Unterarm des Schulleiters „keine zehn Sekunden“ fixiert habe. Auch die Schilderung, erst an einer Ampel außerhalb des Schulgebäudes in der Folge seines gewalttätigen Übergriffs Hautschuppen unter den Fingernägeln verspürt zu haben, lässt erkennen, in welch hohem Erregungszustand und mit welcher Heftigkeit der Kläger den Schulleiter durch die Anwendung von physischer Gewalt dazu gebracht hat, das Attest loszulassen. Ohne dass es darauf ankäme ist es schwer vorstellbar, dass der Kläger den Schulleiter nicht mit Gewalt zur Duldung des Entzugs des unmittelbaren Besitzes an dem Attest oder zur Übergabe des Attests genötigt haben soll, wobei die Gewaltanwendung hier erkennbar als verwerflich anzusehen ist. Dies dürfte zu einer Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 1 StGB führen, weil der Kläger Gesundheitsschädigungen des Schulleiters bewusst in Kauf genommen haben dürfte. Da der Kläger nach eigenen Angaben das Attest freiwillig dem stellvertretenden Schulleiter übergeben und somit keinen unmittelbaren Besitz an dem Attest mehr hatte, kommt auch eine Rechtfertigung nach § 859 BGB nicht in Betracht, da ihm das Attest nicht mittels verbotener Eigenmacht weggenommen worden war. Die Rechte zur Besitzwehr und -kehr bestehen jeweils nur zur Verteidigung unmittelbaren Besitzes gegen verbotene Eigenmacht (Fritzsche, in: BeckOK BGB, Stand: 01.05.2022, § 859 BGB Rn. 4).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Angesichts dessen, dass der Schulleiter hier Opfer einer unter Anwendung physischer Gewalt verübten Straftat geworden ist, die ihn – wie dargestellt – persönlich erheblich betroffen gemacht hat, sind hier Tatsachen festzustellen, die eine nicht unvoreingenommene Entscheidung nicht nur nicht ausschließen lassen, sondern letztlich über die Besorgnis der Befangenheit hinaus eine tatsächliche Befangenheit selbst indizieren. Dass der Schulleiter sein Amt im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht – wie geboten – unparteiisch, sondern von Voreingenommenheit geprägt, ausgeübt hat und nicht anders ausüben konnte, wird im konkreten Fall dadurch belegt, dass ihm im Rahmen der Entscheidung ausweislich der Begründung des angegriffenen Bescheids offenkundig bewusst gewesen ist, dass der Kläger anzuhören (§ 28 Abs. 1 LVwVfG) und ihm die Gelegenheit zu geben war, den Wunsch zu äußern, die Schulkonferenz anzuhören (§ 90 Abs. 4 Satz 1 SchG), er diese grundlegenden Verfahrensrechte dem Kläger aber zunächst vorenthalten hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>(2) Anstatt selbst zu entscheiden, hätte sich der Schulleiter – als Behördenleiter - entweder der Entscheidung enthalten müssen oder die Aufsichtsbehörde – das Regierungspräsidium Karlsruhe (§§ 33 f. SchulG) – informieren müssen, damit diese dann eine Entscheidung über die Nichtmitwirkung hätte treffen können, § 21 Abs. 1 Satz 2 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Unerheblich für den Rechtsverstoß ist, dass keine Entscheidung der Aufsichtsbehörde über die weitere Mitwirkung des Schulleiters ergangen ist. Denn weder dem Behördenleiter noch der Aufsichtsbehörde kommt bei der Entscheidung ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu, so dass sich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes allein danach bemisst, ob tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit oder gar – wie hier – eine festzustellende Befangenheit bestand (Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 55; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 21 Rn. 1).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>(3) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung von dem Beklagten geäußerten Rechtsansicht des Beklagten folgt aus der Zuweisung der exklusiven Zuständigkeit für den Schulausschluss an den Schulleiter in § 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchG nicht, dass keine andere Person – beispielsweise der zu seiner Vertretung berufene stellvertretende Schulleiter – über den Schulausschluss befinden dürfte und schon daher ein Ausschluss eines Schulleiters im Verwaltungsverfahren nach den §§ 20 f. LVwVfG nicht in Betracht käme. Die Vorschrift des § 90 Abs. 3 SchG bestimmt die Zuständigkeiten für die Verhängung von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, von denen nicht ohne gesetzliche Grundlage abgewichen werden darf. Indes enthalten sie keine besonderen Verfahrensvorschriften auf, nach denen etwa eine Anwendung der §§ 20 f. LVwVfG ausgeschlossen wäre (grundsätzlich für anwendbar hält die Norm auch VG Stuttgart, Beschluss vom 01.12.2015 – 12 K 5587/15 – juris Rn. 5 f.), wie es im mündlichen Vortrag des Beklagten angeklungen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>bb) Bei diesem Fehler handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>(1) Ein Fehler fällt besonders schwer ins Gewicht, wenn sich der Verwaltungsakt als unvereinbar mit tragenden Verfassungsprinzipien oder grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung erweist. Die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen müssen so drastisch verfehlt werden, dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen. Diese Anforderungen zeigen, dass im Falle von Rechtsfehlern eines Verwaltungsakts dessen Rechtswidrigkeit die Regel, die Nichtigkeit und der damit verbundene Verlust des Geltungsanspruchs dagegen die seltene Ausnahme ist (BVerwG, Urteil vom 22.01.2021 – 6 C 26.19 – BVerwGE 171, 156 Rn. 50). Der Katalog der in § 44 Abs. 2 LVwVfG aufgezählten Nichtigkeitsgründe ist als Auslegungshilfe für die Generalklausel des Absatzes 1 heranzuziehen (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Auch Absatz 3 der Vorschrift ist in den Blick zu nehmen, weil aus ihm die Wertung herauszulesen ist, welche Mängel nicht hinreichend schwer sind, um auf die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zu schließen (vgl. Schemmer, in: BeckOK VwVfG, Stand: 01.04.2022, § 44 Rn. 19). Der Fehler im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG bezieht sich also auf den Verwaltungsakt, nicht aber auf das Verhalten der Behörde. Dies wird bestätigt namentlich durch § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG, der selbst durch (arglistige Täuschung, Drohung oder) Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für nicht nichtig, sondern nur rücknehmbar erklärt (BVerwG, Urteil vom 22.02.1985 – 8 C 107.83 – NJW 1985, 2658 (2659)). Hinsichtlich der Mitwirkung eines Beteiligten am Verwaltungsverfahren (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) wird vertreten, dass dies „fast immer“ zur Nichtigkeit führe (Kuntze/Beichel-Benedetti, in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 20 Rn. 139 mit Fn. 135; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 20 Rn. 66), Selbstbegünstigung und Entscheidung in unmittelbar eigener Sache stellen in aller Regel einen schweren und offenkundigen Fehler dar (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 20 Rn. 69).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>(2) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich beim Führen des Verwaltungsverfahrens durch den Schulleiter um einen besonders schwerwiegenden Fehler.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Die Stellung des Schulleiters in der konkreten Verfahrenssituation zum Zeitpunkt des Erlasses des Schulausschlusses, der für die Beurteilung der Nichtigkeit in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen maßgeblich ist (BVerwG, Beschluss vom 05.04.2011 – 6 B 41.10 – juris Rn. 4), ist sehr der einer Person angenähert, die durch die Entscheidung einen unmittelbaren Vorteil erlangen kann. Denn die in dem Bescheid zum Anlass für das Tätigwerden angesprochene Gefährdung von Personen hatte sich – was auch aus dem Bescheid hervorgeht – in der Person des Schulleiters selbst realisiert. Er war in seiner körperlichen Integrität verletzt worden und wehrt mit dem Schulausschluss nicht allein Gefahren von dem Lehrerkollegium ab, sondern zuvörderst schützt er sich mit der Maßnahme selbst.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>Unabhängig davon, ob man der Ordnungsmaßnahme „Schulausschluss“ neben dem vorrangig (auch general-) präventiven Zweck auch einen repressiven Charakter zuschreiben will (etwa OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.08.2013 – 2 A 10251/13 – NVwZ-RR 2013, 963 (964); Rux, in: Ehlers/Fehling/Punder, Besonderes Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2021, § 86 Schulrecht Rn. 162) oder ausdrücklich jede repressive Komponente verneint (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.04.2015 – 19 E 514/14 – juris Rn. 2; VG Berlin, Beschluss vom 12.11.2020 – 3 L 649/20 – NVwZ-RR 2021, 581), kommt die Entscheidung des Schulleiters als Opfer einer – nicht vollständig unerheblichen – unter Anwendung von physischer Gewalt verübten Straftat eines Erwachsenen, der aufgrund der besonderen Umstände des Falls und der Person des Täters ein erhebliches Potential zur Einschüchterung zukam, dennoch einer Entscheidung eines „Richters in eigener Sache“ sehr nahe. Die Nähe und Ähnlichkeit eines endgültigen Schulausschlusses zu repressiven Maßnahmen und seine Tragweite, der sich auf die Möglichkeit zu einem anderweitigen Schulbesuch auswirken kann (§ 90 Abs. 4 Satz 2 SchG), führen dazu, dass eine Entscheidung durch den von dem das Verfahren auslösenden strafbaren vorsätzlichen Fehlverhalten erkennbar und individualisierbar erheblich Betroffenen als rechtsstaatlich nicht hinnehmbar erscheinen muss.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung, der in seinem Anwendungsbereich nicht auf das gerichtliche Verfahren beschränkt ist (BVerwG, Urteile vom 05.12.1986 – 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 (230) und vom 09.06.2010 – 9 A 20.08 – NVwZ 2011, 177 Rn. 151; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13.11.1979 –1 BvR 1022/78 – BVerfGE 52, 380 (390)), folgen insbesondere das Gebot der Sachlichkeit und Neutralität; das Gebot verlangt, das Verfahren vorurteilslos, tolerant und emotionslos zu betreiben (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 9 Rn. 62). Die §§ 20 f. LVwVfG sind besondere Ausprägungen dieses allgemeinen Grundsatzes. Mit ihrer Verletzung sind hier, weil die Betroffenheit des Schulleiters eine Besondere war und deshalb nicht zur Besorgnis der Befangenheit, sondern zur Befangenheit selbst geführt hat und dieser sodann ähnlich wie jemand, der in eigener Sache entscheidet, agierte, die an ein rechtsstaatliches Vorgehen zu stellenden Anforderungen in drastischer Weise verfehlt worden, so dass es unerträglich wäre, dem Verwaltungsakt Wirksamkeit und damit Rechtsverbindlichkeit zuzuerkennen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>(3) Der Fehler wird auch nicht vom Anwendungsbereich des § 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG (in analoger Anwendung) erfasst, was zur Folge hätte, das gesetzlich geregelt wäre, dass der Verstoß gegen § 21 LVwVfG für sich genommen nicht zur Nichtigkeit der angegriffenen Entscheidung führen könnte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Allein aus dem Umstand, dass die Mitwirkung von ausgeschlossenen Personen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 LVwVfG nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führt (§ 44 Abs. 3 Nr. 2 LVwVfG), kann nichts für die Bedeutung der Mitwirkung einer befangenen Person im Sinne von § 21 LVwVfG geschlossen werden (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 45; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auf. 2018, § 44 Rn. 179, Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 21 Rn. 42; aA. Goldhammer, in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: April 2022, § 44 Rn. 96; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2019, § 44 Rn. 53). Denn wenn schon die gesetzgeberische Entscheidung zu der Bedeutung von Verstößen gegen § 20 LVwVfG bewusst selektiv ist und die Entscheidung in eigener Sache (§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG) nicht zwingend von der Nichtigkeit ausschließt, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Frage der Mitwirkung von Personen, die wegen (der Besorgnis der) Befangenheit auszuschließen sind, bei der Regelung der (ausgeschlossenen) Nichtigkeit übersehen worden sein könnte.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>c) Der besonders schwerwiegende Fehler ist auch offenkundig im Sinne des § 44 Abs. 1 LVwVfG, wobei die Offenkundigkeit inhaltsidentisch mit der Offensichtlichkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 VwVfG ist (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 44 Rn. 122; vgl. auch BT-Drs. 13/8884, S. 5 zur Änderung des Wortlauts des § 44 Abs. 1 VwVfG von „offenkundig“ zu „offensichtlich“).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>Offensichtlich ist die schwere Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung dann, wenn sie für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist (BVerwG, Beschluss vom 13.10.1986 – 6 P 14.84 – BVerwGE 75, 62 (65)). Der schwere Mangel muss zweifelsfrei erkennbar sein, weder darf es intensiver Nachforschungen noch einerbesonderen Vertrautheit mit der tatsächlichen oder rechtlichen Lage bedürfen (Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 27).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Da sich aus der Begründung des Schulausschlusses selbst die Beteiligung des Schulleiters an dem Ereignis, das Anlass zum Schulausschluss geboten hat, ergibt, ist der schwerwiegende Fehler hier ohne Nachprüfung zweifelsfrei zu erkennen, auch weil der Verfasser des Bescheids mit seinem Namenszug und seiner Funktion „Schulleiter“ ausgewiesen ist.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>3. Die nichtige Schulausschlussverfügung vom 18.03.2021 unterliegt der Aufhebung, weil von ihr der Rechtsschein eines wirksamen Schulausschlusses ausgeht und dies den Kläger in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>4. Offen bleiben kann hier, wie es sich rechtlich auswirkte, wenn die Befangenheit des Schulleiters allein zur ursprünglichen Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schulausschlusses geführt hätte. Während der Verstoß gegen § 21 LVwVfG wohl nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht mehr kausal für den zur Prüfung gestellten Verwaltungsakt sein dürfte (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.05.2015 – 1 C 24.14 – BVerwGE 152, 164 Rn. 15; Steinkühler, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 21 Rn. 59), stellte sich wohl die Frage, ob die fehlerhafte Befassung der Klassenkonferenz (§ 90 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. g) SchG) – diese wurde noch am 17.03.2021 von dem befangenen Schulleiter geleitet, der dort einen „Antrag auf Schulausschluss des Klägers“ stellte – zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung führen müsste, was angesichts des erheblichen faktischen Gewichts der Klassenkonferenz (LT-Drs. 13/1424, S. 7) nicht fern liegt.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO gegeben ist, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Insbesondere sind die hier aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Nichtigkeit des Schulausschlusses aufgrund des Handelns eines befangenen Behördenleiters einzelfallgeprägt und führen auf keine verallgemeinerungsfähigen Rechtsfragen, die im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung bedürften.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote><blockquote/></blockquote></blockquote></blockquote></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:12pt"><tr><td><rd nr="58"/><strong>Beschluss vom 28.07.2022</strong></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Der Streitwert wird in Anwendung von § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr></table>
346,258
lg-arnsberg-2022-07-28-8-o-8921
{ "id": 801, "name": "Landgericht Arnsberg", "slug": "lg-arnsberg", "city": 384, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
8 O 89/21
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-20T10:01:18"
"2022-10-17T11:09:21"
Urteil
ECLI:DE:LGAR:2022:0728.8O89.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.</p> <p>Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Tatbestand:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin macht mit der Klage Schadensersatzansprüche geltend.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Zwischen der Klägerin und der Stadt C - wobei als Auftraggeber in den vorformulierten Verträgen, die von der Beklagten gestellt worden sind, der „Forstbetrieb der Stadt C“ genannt worden ist - kam es am 14.09.2020 zum Abschluss von zwei so bezeichneten Unternehmerverträgen mit den Vertragsnummern UV 2020-25 und UV 2020-37 (im Folgenden: UV 25 bzw. UV 37). Die Vertragsformulare mit Klauseln, wie sie in diesen Unternehmerverträgen enthalten sind, werden von der Beklagten auch in anderem Zusammenhang benutzt. Die Verträge hatten eine Laufzeit vom 01.09. 2020 bis zum 31.05.2021 und verhielten sich über von der Klägerin im Revier T der Beklagten gemäß dem Arbeitsauftrag der zuständigen Revierleitung zu rückende Holzsortimente. Der UV 25 umfasste eine Vertragsmasse von „ca. 30.000 fm“, der UV 37 eine solche von 50.000 fm. In beiden Vertragsformularen heißt es unter Ziffer 3.2, die Vertragspartner vereinbarten eine Mehr- oder Mindermenge von max. 10 % der vereinbarten Vertragsmenge.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ziffer 7.1 hat auszugsweise folgenden Inhalt:</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">„7.1 Kontrolle des Holzaufmaßes . . . Der Auftragnehmer ist verpflichtet, dem Revierleiter seine wöchentliche Aufarbeitungsleistung bis Freitag jeder Woche unaufgefordert zu melden. Die entsprechenden Harvesterprotokolle sind wöchentlich dem Forstamt an jedem Freitag der Woche durch den Auftragnehmer unaufgefordert zu übermitteln.“</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Ziffer 9 hat folgenden Inhalt:</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">„Die Lieferung von 50.000 Fm Käferholz werden seitens des Verkäufers garantiert. Die Vertragsmasse von 30.000 Fm vermindert sich automatisch, wenn gegenüber der ursprünglichen Einschätzung der Kalamitätsmassen weniger Holz anfällt. Diese Entscheidung trifft der Forstbetrieb. In diesem Fall entfällt der Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers.“</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Bereits vor Abschluss dieser Verträge hatten die Parteien einen Vertrag über die Werbung von 3.000 fm Holz durch die Beklagte abgeschlossen, wobei die Klägerin in Umsetzung dieses Vertrages eine Menge von 3.004,57 fm Holz aufgearbeitet hatte.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Nach Vertragsschluss führte das von der Klägerin beauftragte Subunternehmen D die vertraglich vereinbarten Arbeiten durch, wobei der zuständige Revierlei-</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">ter der Beklagten diesem jeweils im Voraus zeigte, auf welchen Flächen die Holzrückarbeiten erledigt werden konnten.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Nach unbestritten gebliebenem klägerischen Vortrag stellte die Beklagte seit Anfang April keine Flächen mehr zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung. Der weitere Vortrag der Klägerin, die Beklagte habe sich bereits zuvor - nämlich in der Zeit seit Februar 2021 - um eine Reduzierung der Vertragsmenge bemüht, ist von der Beklagten ebenso wenig bestritten worden wie die Ausführungen der Klägerin, ihr sei bekannt, dass die Beklagte mit anderen Marktteilnehmern Unternehmerverträge abgeschlossen habe, bei denen sie Im Vergleich mit dem Inhalt des zwischen den Parteien des Rechtsstreits abgeschlossenen Vertrag stärker vom starken Holzpreisanstieg profitiert habe.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Mit E-Mail-Schreiben vom 27.04.2021, wegen dessen gesamten Inhalts auf die als Ausdruck zur Akte gereichte Anlage B 3 zum Beklagtenschriftsatz vom 07.03.2022 (Bl. 125 ff. der Akte) Bezug genommen wird, bot die Klägerin die Durchführung der vertraglich vereinbarten Arbeiten zur Aufarbeitung der sich nach ihren Berechnungen ergebenden Restmenge von 14.500 fm ab Montag, 03.05.2021, an und bat um Rückantwort bis spätestens Freitag, 10:00 Uhr, wo der Harvester eingesetzt werden könne. Gleichzeitig behielt die Klägerin sich für den Fall, dass sie „nichts weiter höre“, weitergehende Rechte vor und teilte mit, sie stehe für ein Telefonat zur Verfügung. Am 29.04.2021 fand ein Telefonat statt, in dem nach - anschließend nicht mehr von der Beklagten bestrittenem - Klägervortrag keine Einigung zu den bereitzustellenden Festmetern und Qualitäten zur Erfüllung der geschlossenen Unternehmerverträge erzielt werden konnte. Eine Ausweisung von durch die Klägerin oder durch den von ihr beauftragten Subunternehmer zu bearbeitenden Flächen erfolgte anschließend seitens der Beklagten nicht.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat ohne Berücksichtigung des sich über eine Menge von 3.000 fm Holz verhaltenden Vertrages aufgrund des UV 25 insgesamt 35.704,46 fm Sägeholz und 463,95 fm Industrieholz und anschließend weitere 6.462,01 fm Industrieholz aufgearbeitet, sodass sich unter Hinzurechnung der im Hinblick auf den über eine Menge von 3.000 fm abgeschlossenen Vertrag ergebenden „Zuvielmenge“ von 4,57 fm eine insgesamt geworbene Menge von 42.634,99 fm ergibt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die zwischen ihren - anschließend von den jetzigen Parteien des Rechtsstreits beauftragten - jetzigen Prozessbevollmächtigten geführten Verhandlungen führten zu keiner Einigung. Zwar bot die Beklagte zunächst ausweislich des vorprozessualen Schreibens vom 21.07.2021 (Anlage K 3 zur Klageschrift) die Zahlung eines Betrages von 243.183,60 € zur Abgeltung des Rechtsstreits und zur Abgeltung sämtlicher der der Klägerin gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche an, jedoch teilten ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten mit E-Mail-Schreiben vom 03.08.2021 (Ausdruck Anlage K 6 zur Klageschrift) mit, dieses Angebot stehe unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Gemeinderats, der am 02.09.2021 beraten werde.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Nachdem die Klägerin im Anschluss an diesen Termin keine Nachricht erreichte, macht sie nunmehr gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend, wobei sie mit ihrer Klageschrift zunächst - ausgehend von einer Gesamtvertragsmasse von 80.000 fm - unter Zugrundelegung der Berechnung gemäß Seite 6 der Klageschrift vom 27.10.2021 eine Schadensersatzforderung von 1.663.144,45 € brutto errechnet hat. Ausweislich des Inhalts der Klageerweiterungsschrift vom 13.06.2022 (Bl. 178 ff. d. A.) errechnet sie nunmehr aufgrund einer Berücksichtigung einer weiteren, bis dahin in ihre Berechnungen nicht einbezogenen Fehlmenge (Industrieholz) eine Schadensersatzforderung in Höhe von 2.296.039,65 € brutto.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dementsprechend beantragt die Klägerin,</p> <span class="absatzRechts">17</span><ul class="absatzLinks"><li><span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">1. </p> </li> </ul> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von EUR 2.296.039,65 brutto zzgl. Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.11.2021 aus EUR 1.663.944,45 sowie aus EUR 632.095,20 seit dem 12.07.2022 zu zahlen,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 9.768,70 netto zzgl. Verzugszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.11.2021 zu zahlen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Sie beruft sich zunächst auf Erfüllung. Sie meint, diese sei bereits bei einer geworbenen Menge von 45.000 fm eingetreten. Dies ergebe sich daraus, dass sie ausweislich der Ziffern 9 der Verträge zur Einschätzung berechtigt sei, es falle weniger Holz an, mit der Folge, dass sich die Vertragsmasse um 30.000 fm vermindere. Aus Ziffer 3.2 der Verträge ergebe sich, dass eine Mindermenge von maximal 10 % der vereinbarten Vertragsmenge vereinbart worden sei; werde diese von der verbleibenden Vertragsmasse von 50.000 fm abgezogen, verbleibe eine Vertragsmenge von 45.000 fm, die unter Einbeziehung des Vertrages über eine Menge von 3.000 fm von der Klägerin abgearbeitet worden sei. Dazu trägt die Beklagte vor, nachdem die Klägerin aufgrund des Erstvertrages 3.004,57 fm aufgearbeitet habe, habe sie aufgrund des UV 25 eine Menge von 35.704,46 fm Sägeholz und 463,95 fm Industrieholz aufgearbeitet, anschließend weitere 6.462,01 fm Industrieholz. Außerdem sei eine einverständliche Kürzung der Vertragsmenge auf eine Menge von 50.000 fm erfolgt. Die Beklagte meint, ein solches Einverständnis ergebe sich aus dem E-Mail-Schreiben der Klägerin vom 27.04.2021.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Im Zusammenhang mit dem von ihr erhobenen Erfüllungseinwand trägt die Beklagte ergänzend vor, der von der Klägerin beauftragte Subunternehmer D habe am 15. / 16.04. 2021 das Revier verlassen und dabei geäußert, der Vertrag „sei voll“, wobei die Beklagte in diesem Zusammenhang weiter vorträgt, zu diesem Zeitpunkt seien sämtliche Beteiligte davon ausgegangen, dass nur eine Vertragsmasse von 50.000 fm fest vereinbart gewesen sei. Anschließend seien die Flächen, die Herrn D ausgewiesen worden seien, nicht mehr bearbeitet worden, bis die Klägerin sie mit Schreiben vom 27.04.2021 aufgefordert habe, ihr weiteres Holz zur Verfügung zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen habe sie lediglich die Pflicht getroffen, der Beklagten Flächen zur Verfügung zu stellen. Dieser Pflicht sei sie nachgekommen, indem sie unmittelbar zu Beginn der Vertragsbeziehung Flächen zur Holzaufarbeitung für die Klägerin ausgewiesen habe, die ausgereicht hätten, um während der Vertragslaufzeit 80.000 fm Holz zu werben. Weitergehende Pflichten hätten sie nicht getroffen, wie sie meint.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Schließlich vertritt sie die Ansicht, selbst wenn eine Pflichtverletzung vorliege, habe sie diese nicht zu vertreten. Denn es sei Sache der Klägerin gewesen, den Stand der Aufarbeitung und damit den der geworbenen Menge zu kontrollieren. Am Verschulden fehle es auch deshalb - wie sie weiter ausführt -, weil sie aufgrund der ihrer Ansicht nach der Klägerin zuzurechnenden Äußerungen des Herrn D davon habe ausgehen dürfen, die Klägerin wolle keine weiteren Bezugsrechte mehr nutzen, sodass sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verpflichtet gewesen sei, für die Klägerin zusätzlich aufzuarbeitende Flächen bereitzuhalten. Zudem habe diese das ihr laut Vertrag zustehende Recht zur Holzwerbung nicht vollständig ausgenutzt.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Jedenfalls treffe die Klägerin - wie die Beklagte weiter meint - ein erhebliches Mitverschulden an einem eingetretenen Schaden in Form entgangenen Gewinns, insbesondere deshalb, weil die Klägerin durch das Unterlassen weiterer Aufarbeitung von Holz während der Vertragslaufzeit selbst dazu beigetragen habe, dass sie nicht die gesamte von ihr beanspruchte Vertragsmasse erhalten habe.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Abschließend wendet sich die Beklagte gegen die Schadensberechnung der Klägerin.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Zur Ergänzung des Sach- und Streitstand Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Entscheidungsgründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, sodass die Kammer Grundurteil gemäß § 304 Abs. 1 ZPO erlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">I. Klageantrag zu 1.</span></p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Der Klägerin steht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB zu.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Beklagte Partei ist ungeachtet der in der Klageschrift erfolgten Parteibezeichnung „Forstbetrieb der Stadt C“ allein die Stadt C.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Parteibezeichnung als Teil einer Prozesshandlung grundsätzlich der Auslegung zugänglich. Dabei ist entscheidend, wie die Bezeichnung bei objektiver Deutung aus der Sicht der Empfänger (Gericht und Gegenpartei) zu verstehen ist. Es kommt darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Bezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist (BGHZ 4, 328, 334; BGH, NJW 1987, 1946 m. w. N.). Bei objektiv unrichtiger oder auch mehrdeutiger Bezeichnung ist grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusprechen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden soll (BGH, a. a. O. und NJW-RR 1995, 764 m. w .N.). Bei der Auslegung der Parteibezeichnung sind nicht nur die im Rubrum der Klageschrift enthaltenen Angaben, sondern auch der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaiger beigefügter Anlagen zu berücksichtigen (BGH, MDR 2008, 524 f.) Dabei gilt der Grundsatz, dass die Klageerhebung gegen die in Wahrheit gemeinte Partei nicht an deren fehlerhafter Bezeichnung scheitern darf, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen, solange nur aus dem Inhalt der Klageschrift und etwaigen Anlagen unzweifelhaft deutlich wird, welche Partei tatsächlich gemeint ist (BAG, a. a. O.; so auch schon OLG Hamm, NJW-RR 1991, 188).</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung, der die Kammer sich anschließt, für den Fall, dass auf Kläger- oder Beklagtenseite nach dem Wortlaut der in einer Klageschrift gewählten Parteibezeichnungen ein gemeindlicher Eigenbetrieb klagen bzw. verklagt werden soll, anerkannt, dass regelmäßig die rechts- und damit parteifähige Gemeinde Partei werden soll (BGH, WM 1981, 529; LG Köln, Urt. v. 30.08.2011 - 5 O 299/10 -, zitiert nach „juris“).</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">So liegt der Fall auch hier: Die Klägerin hat schon auf Seite 2 der Klageschrift - dort unter Gliederungspunkt I. 2. - dargelegt, dass die Stadt C Beklagte sein soll. Schon im Wege der angezeigten (siehe die obigen Ausführungen) Auslegung zur sich hier stellenden Frage, welche Partei verklagt werden soll, folgt daraus, dass die Stadt C und nicht deren Eigenbetrieb Beklagte sein soll.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat jedenfalls ab dem 27.04.2021 ihre aus den unter der Bezeichnung UV 37 in Verbindung mit dem UV 25 geschlossenen Verträgen folgenden vertraglichen Pflichten verletzt, der Klägerin bis zum Zeitpunkt des Vertragsablaufes am 31.05. 2021 diejenigen Flächen, auf denen diese die vertraglich vereinbarte Tätigkeit der Selbstwerbung durchführen sollte, auszuweisen.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Eine solche vertragliche Pflicht bestand zu Lasten der Beklagten. Das folgt schon aus ihren eigenen Ausführungen auf Seite 3 der Klageerwiderung vom 22.12.2021 (Bl. 69 der Akte). Hier führt die Beklagte selbst aus, dass der zuständige Revierleiter dem von der Klägerin beauftragten Herrn D jeweils im Vorfeld der von diesem im Auftrag der Klägerin durchzuführenden Holzarbeiten die zu bearbeitenden Flächen auswies. Daraus folgt, dass eine vertragliche Pflicht der Beklagten bestand, ihrer Vertragspartnerin, der Klägerin vor Durchführung der Arbeiten entsprechende Flächen auszuweisen.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Diese vertragliche Pflicht hat die Beklagte jedenfalls spätestens ab dem 27.04.2021 verletzt.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">aa)</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Unstreitig - die Beklagte führt dies selbst auf Seite 5 der Klageerwiderung vom 22.12. 2021 (Bl. 171 der Akte) aus, das ergibt sich im Übrigen auch aus dem Inhalt des E-Mail-Schreibens der Klägerin vom 27.04.2021 - hat die Klägerin die Beklagte an diesem Tag aufgefordert, ihr weitere Flächen anzuweisen, auf denen weiteres Holz geworben werden konnte. Ebenfalls unstreitig - die Beklagte hat den entsprechenden Vortrag der Klägerin auf Seite 2 deren Schriftsatzes vom 21.02.2022 nicht bestritten mit der sich aus § 138 Abs. 3 Hs. 1 ZPO ergebenden Rechtsfolge, dass dieser Vortrag als zugestanden gilt - hat die Beklagte der Klägerin anschließend keine weiteren Flächen zugewiesen; vielmehr wurde am 29.04.2021 ein Telefonat geführt, bei dem keine Einigung zu den bereitzustellenden Festmetern und Qualitäten zur Erfüllung der geschlossenen Unternehmerverträge erzielt worden ist. Die Klägerin ihre vertraglich vereinbarte Pflicht zur Ausweisung von durch die Klägerin zu bearbeitenden Flächen verletzt.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Eine Pflichtverletzung ist entgegen der nunmehr von der Beklagten im Rechtsstreit vertretenen Ansicht nicht deshalb zu verneinen, weil an diesem Tage die vertraglich vereinbarten Mengen von der Klägerin bereits geworben worden wären mit der sich daraus ergebenden Rechtsfolge, dass die Beklagte gemäß § 362 Abs. 1 BGB ihre vertraglichen Pflichten erfüllt hätte und nicht mehr verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin weitere Flächen zur Selbstwerbung zur Verfügung zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Denn die Beklagte führt auf Seite 7 der Klageerwiderungsschrift (Bl. 73 der Akte) selbst aus, durch die Klägerin seien vor dem Hintergrund der Verträge UV 25 i. V. m.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">UV 37 insgesamt 42.630,42 Festmeter (42.634,99 Festmeter minus 4,57 Festmeter aus einem anderen Vertrag) geworben worden. Daraus folgt, dass die vertraglich vereinbarte Menge von 30.000 Festmetern und 50.000 Festmetern = 80.000 Festmetern bei weitem noch nicht erreicht war.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">(1)</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beklagte die Ansicht vertritt, aus den zu Nrn. 9 der beiden Verträge vereinbarten Klauseln ergebe sich, dass sie berechtigt sei, die Vertragsmenge um 30.000 Festmeter zu mindern, kann die Kammer dieser Argumentation im vorliegenden Fall aus mehreren Gründen nicht folgen:</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">(a)</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte war zum einen zur Verminderung der Vertragsmasse um bis zu 30.000 Festmeter nur im Hinblick auf die Vertragsmasse aus der Vereinbarung UV 25 berechtigt. Aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten, wie es auf Seite 7 der Klageerwiderungsschrift (Bl. 73 der Akte) zur Akte gereicht worden ist, ergibt sich aber, dass dieser Vertrag zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Zurverfügungstellung weiterer Flächen gemäß E-Mail-Schreiben der Klägerin vom 27.04.2021 bereits „abgearbeitet“ war, nachdem die Beklagte hier selbst darlegt, aufgrund dieses Vertrages seien von der Klägerin 35.704,46 Festmeter Sägeholz und 463,95 Festmeter Industrieholz aufgearbeitet worden. Damit hatte die Beklagte die aus diesem Vertrag folgenden Pflichten, 30.000 Festmeter Holz zur Verfügung stellen zu müssen, zu diesem Zeitpunkt erfüllt mit der weiteren Folge, dass sie nicht mehr berechtigt war, diese Vertragsmasse zu vermindern.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">(b)</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Zum anderen war die Beklagte nur berechtigt, die Vertragsmasse zu vermindern, wenn weniger Holz anfiel. Wie sich aus ihrem eigenen, soeben dargestellten Vorbringen ergibt, war diese tatsächliche Voraussetzung aber nicht gegeben, wie schon daraus folgt, dass die Klägerin mehr Holz geworben hatte als vertraglich vorgesehen. Zudem weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass die Beklagte in der Klageerwiderung ausführt, es seien genügend Flächen vorhanden gewesen, um 80.000 Festmeter Holz aufzuarbeiten.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">(c)</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Letztlich liegen die Voraussetzungen aber auch deshalb nicht vor, weil die Beklagte nur berechtigt war, während der Vertragslaufzeit eine Entscheidung dahingehend zu treffen, dass sich die Vertragsmasse vermindere. Eine solche Erklärung der Beklagten ist während der Vertragslaufzeit aber nicht erfolgt. Die Beklagte trägt vielmehr selbst vor, dass am 29.04.2021 ein Verhandlungsgespräch stattgefunden habe.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">(2)</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Auch die Klausel in Nr. 3.2 der Verträge, laut der die Vertragspartner eine Mehr- oder Mindermenge von maximal 10 % der Vertragsmenge vereinbarten, ändert nichts daran, dass die Beklagte während der Vertragslaufzeit verpflichtet war, der Klägerin</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">so lange Flächen anzuweisen, bis die vertraglich genannte Menge von 80.000 Festmeter zur Selbstwerbung erreicht war.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">(a)</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Zum einen fiel keine Mindermenge im Sinne dieser Klausel an, wie sich schon aus den Ausführungen unter I. 1. b) bb) (1) (a) dieses Urteils ergibt.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">(b)</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">Zum anderen hatte die Beklagte - nachdem, wie soeben dargelegt worden ist, die zu ihren Lasten aus dem Vertrag UV 25 folgenden Pflichten gemäß § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen waren - die Pflichten aus dem Vertrag UV 37 zu erfüllen. Aus der Regelung in Nr. 9 dieses Vertrages ergibt sich aber, dass die Beklagte die Lieferung von 50.000 Festmetern Käferholz garantierte. Aufgrund der Garantieerklärung war sie nicht mehr berechtigt, von der Regelung in Nr. 3.2 Gebrauch zu machen, sodass diese Regelung nur Bedeutung für den Vertrag UV 25 hat. Das folgt aus der Bestimmung des § 305c Abs. 2 BGB, laut der Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders - hier somit zu Lasten der Beklagten - gehen. Bei den Klauselwerken handelt es sich - wie schon die Verwendung zweier im Wesentlichen gleichlautender Formulare folgt - um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB, wobei diese Regelung - wie aus § 310 Abs. 1 S. 1 BGB folgt - auch im Rechtsverhältnis von Unternehmern zueinander Anwendung findet. Denn die Klausel, laut der 50.000 Festmeter Holz garantiert werden, steht mit derjenigen - die von der Kammer für sich genommen grundsätzlich als wirksam angesehen wird -, dass die Beklagte berechtigt sein solle, sich trotz einer Mindermenge von 10 % auf Erfüllung berufen zu können, in unlösbarem Widerspruch. Es handelt sich demnach um eine mehrdeutige Klausel, die einerseits dahingehend ausgelegt werden kann, 50.000 Festmeter seien garantiert - woraus folgt, dass diese Menge dann nicht unterschritten werden darf -, andererseits dahin, die Beklagte sei berechtigt, bereits bei Erreichen von 45.000 Festmeter die Zuweisung weiterer Flächen zu verweigern. Anerkanntermaßen gilt in einem solchen Fall der Grundsatz, dass die Klausel in der Auslegung Wirksamkeit entfaltet, die für den Kunden die günstigste ist, da angesichts des Umstandes, dass der Klauselverwender sich klar ausdrücken kann, eine kundenfreundliche Auslegung vorzunehmen ist (vergleiche zum Ganzen Palandt / Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 305c Rdnr. 18 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">bb)</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Durch dieses Verhalten, das sich als Nichterfüllung der vertraglich vereinbarten Leistungspflichten darstellt (vgl. dazu Palandt / Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 280 Rdnr. 13 und § 281 Rdnr. 17, jeweils mit weiteren Nachweisen), hat die Beklagte gleichzeitig ihre nebenvertraglich bestehende Pflicht, den Vertragszweck nicht zu beeinträchtigen, und damit die Leistungstreuepflicht (vgl. dazu Grüneberg, a. a. O., § 280 Rdnr. 25) verletzt. Denn es war Vertragszweck, der Klägerin die Möglichkeit einzuräumen, eine Menge von insgesamt 80.000 Festmetern Holz zu werben. Indem die Beklagte die Ansicht vertrat, sie habe ihre Pflichten bereits dadurch erfüllt, dass es der Klägerin bis Ende April 2021 ermöglicht worden war, eine Menge von ca. 45.000 Festmetern Holz zu werben, verweigerte sie konkludent die Anweisung von Flächen, die es der Klägerin ermöglichten, weitere Holzmengen zu werben, obwohl diese darauf einen vertraglichen Anspruch hatte, und beeinträchtigte damit erheblicher Art und Weise die Erreichung des Vertragszweckes (Werbung von 80.000 Festmetern Holz).</p> <span class="absatzRechts">70</span><p class="absatzLinks">cc)</p> <span class="absatzRechts">71</span><p class="absatzLinks">Diese Pflichtverletzungen der Beklagten entfallen auch nicht aufgrund eines Verzichts der Klägerin auf die Werbung weiterer Holzmengen. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten kann nämlich weder das Vorliegen einer „einverständlichen“, also zwischen den Parteien abgesprochenen Kürzung der Vertragsmenge noch der Ausspruch eines solchen Verzichts durch die Klägerin festgestellt werden. Die Beklagte bezieht sich zum Beleg für die Richtigkeit dieses Vortrags auf den Inhalt des E-Mail-Schreibens des Geschäftsführers der Klägerin vom 27.04.2021 (Bl. 134 der Akte), aus dem sich das genaue Gegenteil ergibt.</p> <span class="absatzRechts">72</span><p class="absatzLinks">3.</p> <span class="absatzRechts">73</span><p class="absatzLinks">Diese Pflichtverletzung erfolgte auch schuldhaft. Das ergibt sich schon aus der Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Vermutungswiderlegender Vortrag der Beklagten ist nicht zur Akte gelangt. Soweit die Beklagte ausführt, der von der Klägerin beauftragte Herr D habe geäußert, der Vertrag sei voll, ergibt sich daraus nichts anderes, weil diese Äußerung am 15. / 16.04.2021 erfolgt sein soll, während die Aufforderung der Klägerin gegenüber der Beklagten, ihr weitere Flächen Verfügung zu stellen, vom 27.04.2021 stammte und somit innerhalb der bis zum 31.05.2021 andauernden Vertragslaufzeit erfolgte. Rein ergänzend sei ausgeführt, dass Herr D als Erfüllungsgehilfe der Klägerin, nicht jedoch als deren rechtsgeschäftlich bevollmächtigter Vertreter tätig wurde, so dass rechtlich bedeutsame Willenserklärungen des Herrn D - als solche will die Beklagte diese Erklärung werten - der Klägerin mangels Erteilung einer Vollmacht nicht gemäß § 164 Abs. 1 BGB zugerechnet werden können.</p> <span class="absatzRechts">74</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beklagte auf den Seiten 10 und 11 der Klageerwiderungsschrift (Bl. 76 / 77 der Akte) umfassend ausführt, im Mai 2021 hätten keine eindeutigen Erkenntnisse über die bereits abgeholzten und die noch bereitzustellenden Holzmengen bestanden, wäre es ihre Aufgabe gewesen, entsprechende Feststellungen zu machen, bevor sie ihre vertraglichen Pflichten zur Bereitstellung weiterer Flächen verletzte; in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Erfüllung trifft.</p> <span class="absatzRechts">75</span><p class="absatzLinks">4.</p> <span class="absatzRechts">76</span><p class="absatzLinks">Die gemäß §§ 280 Abs. 2, 281 Abs. 1 S. 1 BGB erforderliche Fristsetzung zur Leistung liegt im E-Mail-Schreiben der Klägerin vom 27.04.2021. Die Erfüllung der vertraglichen Pflicht, der Klägerin (weitere) Flächen zur vereinbarten Selbstwerbung zuzuweisen, war unproblematisch innerhalb der von der Klägerin gesetzten Frist von zwei Tagen möglich.</p> <span class="absatzRechts">77</span><p class="absatzLinks">Vor diesem Hintergrund sei rein ergänzend darauf hingewiesen, dass eine weitere Fristsetzung gemäß § 281 Abs. 2 Alt. 1 BGB entbehrlich war, nachdem die Beklagte im Telefongespräch vom 29.04.2021 mit der Behauptung, sie habe ihre Leistungspflichten erfüllt, die Zuweisung weiterer, von der Klägerin zu bearbeitender Forstflächen ernsthaft und endgültig verweigert hat.</p> <span class="absatzRechts">78</span><p class="absatzLinks">5.</p> <span class="absatzRechts">79</span><p class="absatzLinks">Rechtsfolge ist, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den dieser entstandenen Schaden, der ausweislich der Regelung gemäß § 252 BGB auch den entgangenen Gewinn umfasst, zu ersetzen.</p> <span class="absatzRechts">80</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">81</span><p class="absatzLinks">Die Höhe des der Klägerin entstandenen Schadens bedarf allerdings der Aufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieser Umstand allein hindert aber den Erlass eines Grundurteils gemäß § 304 Abs. 1 ZPO nicht. Denn ein Grundurteil kann dann erlassen werden, wenn ein nach Grund und Betrag streitiger Anspruch dem Grunde nach feststeht und wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Anspruch (irgendeiner) Höhe nach besteht (vergleiche dazu Hunke, in: Baumbach / Lauterbach / Hartmann / Anders / Gehle ZPO, 79. Aufl., § 304 Rdnr. 5). Aus obigen Ausführungen folgt, dass die Klage dem Grunde nach berechtigt ist. Es besteht auch die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Anspruchs in (irgendeiner) Höhe. Das ergibt sich schon aus dem Vortrag der Beklagten selbst (Seite 7 der Klageerwiderung, Bl. 73 der Akte), laut dem die Beklagte insgesamt (erst) 43.630,42 Festmeter Holz geworben hat, sodass an der vertraglich geschuldeten Menge von 80.000 Festmetern noch 37.369,58 Festmeter fehlen. Daraus folgt die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in Gestalt entgangenen Gewinns. Das ergibt sich zum einen aus dem schlüssigen Vortrag der Klägerin. Zum anderen folgt das aber auch aus dem vorprozessualen Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 21.07.2021, wie es von der Klägerin als Anlage K 3 zur Klageschrift zur Akte gereicht worden ist. Denn hier berechnet die Beklagte selbst einen auf Seiten der Klägerin eingetretenen Schaden in sechsstelliger Höhe.</p> <span class="absatzRechts">82</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">83</span><p class="absatzLinks">Auch der Umstand, dass die Beklagte der Ansicht ist, die Klägerin treffe ein Mitverschulden am Schadenseintritt, ändert nichts am Vorliegen der Voraussetzung des § 304 Abs. 1 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">84</span><p class="absatzLinks">Ein Mitverschulden der Klägerin am Eintritt des Schadens liegt nämlich nicht vor. Ein Mitverschulden folgt insbesondere nicht aus einem Verstoß der Klägerin gegen die Regelung in Nr. 7.1 der Verträge. Dabei kann dahinstehen, ob der Klägerin ihren aus dieser vertraglichen Regelung folgenden Obliegenheiten genügt hat. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, hätte die Beklagte die Klägerin auffordern müssen, die Unterlagen vorzulegen, bevor sie die Zurverfügungstellung weiterer Flächen verweigerte. Zudem fehlt es an der Kausalität eines Verstoßes der Klägerin für die fehlende Zurverfügungstellung weiterer Flächen. Das folgt daraus, dass die Beklagte selbst nicht behauptet, die fehlende Zurverfügungstellung weiterer Flächen</p> <span class="absatzRechts">85</span><p class="absatzLinks">trotz des E-Mail-Schreibens der Klägerin vom 27.04.2021 sei auf die fehlende Vorlage von Unterlagen im Sinne der Regelung gemäß Nr. 7.1 des Vertrages gestützt worden.</p> <span class="absatzRechts">86</span><p class="absatzLinks">Deshalb ist es nicht erforderlich, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Klärung des Vorliegens eines Mitverschuldens dem Betragsverfahren vorzubehalten (vgl. zu dieser Möglichkeit Hunke, a. a. O., Rdnr. 10).</p> <span class="absatzRechts">87</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">II. Klageantrag zu 2.</span></p> <span class="absatzRechts">88</span><p class="absatzLinks">Auch mit diesem Antrag ist die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt, wie sich aus § 280 Abs. 1 BGB ergibt.</p> <span class="absatzRechts">89</span><p class="absatzLinks">Denn anerkanntermaßen erstreckt sich die aus einer Verletzung vertraglicher Pflichten im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB folgende Schadensersatzpflicht auch auf die durch die Geltendmachung und Durchsetzung des Schadensersatzanspruches verursachten Kosten (Grüneberg, a. a. O., § 249 Rdnr. 56), wozu insbesondere die durch die vorprozessuale Einschaltung von Rechtsanwälten entstehenden Kosten gehören (Grüneberg, a. a. O., § 249 Rdnr. 57, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).</p> <span class="absatzRechts">90</span><p class="absatzLinks">Auch insoweit ist die Klage zur Höhe nicht entscheidungsreif, da die Frage, in welcher Höhe die jetzigen Prozessbevollmächtigten zur Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen gegenüber der Klägerin berechtigt sind, davon abhängt, in welchem Umfang die Klage zum Antrag zu 1. Erfolg haben wird, und da diese Frage - wie soeben dargelegt worden ist - noch weiterer Aufklärung erfordert. Dementsprechend hat die Kammer auch insoweit gemäß § 304 Abs. 1 ZPO ein der Klage stattgebendes Grundurteil erlassen.</p> <span class="absatzRechts">91</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">III. Nebenentscheidungen</span></p> <span class="absatzRechts">92</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten, eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst.</p>
346,135
vg-aachen-2022-07-28-1-k-216721
{ "id": 840, "name": "Verwaltungsgericht Aachen", "slug": "vg-aachen", "city": 380, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
1 K 2167/21
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-10T10:03:30"
"2022-10-17T17:55:50"
Urteil
ECLI:DE:VGAC:2022:0728.1K2167.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der BG Verkehr vom 7. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2021 verpflichtet, den Unfall des Klägers vom 12. Mai 2020 als Dienstunfall anzuerkennen.</p> <p>Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.</p> <p>Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.</p> <p>Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">T a t b e s t a n d :</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der 1970 geborene Kläger steht als Postbeamter im Dienst der Deutschen Post AG und begehrt die Anerkennung eines Dienstunfalls.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Der Kläger erlitt am 12. Mai 2020 beim Beladen seines Zustellfahrzeugs eine Sehnenruptur am rechten Arm, als er ein Paket hoch hob. Am selben Tag suchte er ärztliche Hilfe bei einem Arzt auf, der einen Abriss der distalen Bizepssehne am rechten Ellenbogen diagnostizierte. Am 25. Mai 2020 bestätigte ein MRT den Befund. Der Kläger war vom 4. bis zum 8. Juni 2020 im Kreiskrankenhaus in stationärer Behandlung und wurde dort operiert.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Deutsche Post AG zeigte den Unfall unter dem 30. Juli 2020 der BG Verkehr an. Mit anwaltlichem Schreiben vom 10. November 2020 erkundigte sich der Kläger nach dem Sachstand.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 7. Dezember 2020 lehnte die BG Verkehr die Anerkennung des Vorfalls vom 12. Mai 2020 als Dienstunfall ab und führte aus, das Anheben eines Paketes sei nicht geeignet, den Riss der Bizepssehne zu verursachen. Diese sei auf schwere Belastungen ausgelegt und könne ohne Vorschädigung nicht reißen. Der Kläger legte fristgemäß Widerspruch ein und gab an, er habe ein schweres Paket in das Zustellfahrzeug geladen, als die Sehne gerissen sei. Vorschädigungen habe er nicht gehabt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">In einem Vermerk vom 14. April 2021 ist durch die BG Verkehr festgehalten, dass das Verfahren noch nicht entscheidungsreif sei; das ausgedehnte Hämatom spreche für einen Dienstunfall. Man hole ein Gutachten ein.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das BG Klinikum erstattete unter dem 9. Juli 2021 ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten zur Feststellung der Unfallzusammenhangsfrage und kam zu dem Ergebnis, dass erheblich mehr Faktoren vorlägen, die für eine Anerkennung eines Risses der Bizepssehne rechts als Unfallfolgen sprächen. So sei der zeitliche Abstand zwischen Unfallereignis und erstem ärztlichen Kontakt regelhaft für eine frische traumatische Verletzung. Auch aufgrund des MRTs sei der Riss eindeutig als frisch einzustufen, die MRT-Untersuchung habe keine wesentlichen Hinweise auf eine maßgebliche degenerative Veränderung der rechten Bizepssehne gezeigt. Die im Operationsbericht beschriebene Ausfransung der Sehne sei für einen unfallbedingten Riss typisch. Der Unfallhergang, Anheben eines 30 kg schweren Pakets mit einem Arm, übersteige eine tägliche Belastung deutlich. Es werde empfohlen, den Riss der körperfernen Bizepssehne als Unfallfolge anzuerkennen. Eine unfallbedingte Dienstunfähigkeit sei bis zum Abschluss der medizinischen Heilverfahren anzunehmen, die MdE werde auf 10 v. H. eingestuft.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der fachärztliche Berater der BG Verkehr       führte in Kenntnis des Gutachtens unter dem 24. September 2021 aus, es bestünden aufgrund der Hergangsschilderung nicht gänzlich unerhebliche Zweifel an einem wesentlich ursächlichem Zusammenhang, wobei allerdings der von den Gerichten geforderte Nachweis einer inneren Ursache nicht erbracht werden könne. Die MdE sei nachvollziehbar.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2021 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wird angegeben, die Ruptur liege unfallunabhängig vor. Ein plötzlicher Schmerz beim Anheben eines Gegenstandes sei ein ungeeigneter Hergang für die Entstehung einer Bizeps-Sehnenruptur rechts. Dem Ergebnis des Gutachtens sei nicht zu folgen.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 13. Oktober 2021 Klage erhoben und ausgeführt, aus nicht nachvollziehbaren Gründen weiche die Beklagte von dem Ergebnis des eingeholten Gutachtens ab. Sowohl durch den Gutachter als auch durch die behandelnden Ärzte sei eindeutig festgestellt worden, dass die Ruptur durch das Unfallereignis vom 12. Mai 2020 verursacht worden sei. Eine andere Ursache komme nicht in Betracht.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">              die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der BG Verkehr vom 7. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2021 zu verpflichten, den Unfall vom 12. Mai 2020 als Dienstunfall anzuerkennen,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">              sowie die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">              die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Dem im Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten sei nicht zu folgen, denn es berücksichtige nicht die Prüfgrundsätze zum Kausalzusammenhang. Insoweit werde auf die Begründung der angefochtenen Bescheide verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage ist begründet.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Der Bescheid der BG Verkehr vom 7. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Unfall vom 12. Mai 2020 als Dienstunfall anerkannt wird, vgl. § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das hier maßgebliche Merkmal „ein (…) einen Körperschaden verursachendes Ereignis“ setzt einen mehrfachen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden voraus. Für die Frage der kausalen Verknüpfung zwischen Unfallereignis und (weiterem) Körperschaden ist dabei die sog. Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache maßgeblich.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2021 - 1 A 323/18 -, juris, Rn. 41.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Auffassung dient in erster Linie der Differenzierung zwischen mehreren Ursachen, die adäquat kausal zu einem Unfall geführt haben. Dies zielt auf eine sachgerechte Risikoverteilung. Dem Dienstherrn sollen nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder nach der Lebenserfahrung auf sie zurückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken aufgebürdet werden. Diejenigen Risiken, die sich aus persönlichen, von der Norm abweichenden Anlagen oder aus anderen als dienstlich gesetzten Gründen ergeben, sollen hingegen bei dem Beamten belassen werden. Der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden besteht dann nicht mehr, wenn für den Erfolg eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hat. (Mit-)ursächlich für einen eingetretenen Körperschaden sind daher nur solche Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 2019 - 2 A 6.18 -, juris, Rn. 17 ff., vom 25. Februar 2010 - 2 C 81.08 -, juris, Rn. 9, und vom 18. April 2002 - 2 C 22.01 -, juris, Rn. 11, sowie Beschluss vom 8. März 2004 - 2 B 54.03 -, juris, Rn. 7 f.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Maßgebend ist, ob der Schaden, wie er konkret im dienstlichen Zusammenhang eingetreten ist, hypothetisch ohne Weiteres und in absehbarer Zeit auch im privaten Bereich hätte eintreten können. Diese Beurteilung beruht im Wesentlichen auf der Feststellung, in welchem Zustand sich das geschädigte Körperteil vor dem Unfall befand und welche spezifischen Anforderungen aus der dienstlichen Betätigung herrühren, die die Zuordnung des Schadensereignisses zur privaten Sphäre ausschließen.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2004 -2 B 54.03 -, juris, Rn. 9.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann danach auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (nur) beschleunigt. Diesem Ereignis darf allerdings im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung gehört – keine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommen, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtung allein als maßgeblich anzusehen sind.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2018 – 1 A 2072/15 –, juris, Rn. 19, und Urteil vom 23. November 2015 – 1 A 857/12 –, juris, Rn. 70, m.w.N.; VG Aachen, Urteil vom 8. April 2022 - 1 K 450/21 -, n.v.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Keine Ursache im Rechtssinne ist demnach eine sog. Gelegenheitsursache. Eine solche Gelegenheitsursache ist gegeben, wenn die Beziehung zum Dienst ein rein zufällige ist und das schädigende Ereignis nach menschlichem Ermessen bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft ebenfalls eingetreten wäre. Der Zusammenhang zum Dienst ist daher nicht anzunehmen, wenn ein anlagebedingtes Leiden durch ein dienstliches Vorkommnis nur rein zufällig ausgelöst worden ist. Dies ist in Fällen anzunehmen, in denen die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden des Beamten so leicht aktualisierbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 - 2 A 6.18 -, juris, Rn. 19, m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2018 - 1 A 2072/15 -, juris, Rn. 19f., und Urteil vom 23. November 2015 - 1 A 857/12 -, juris, Rn. 70f., jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Im Dienstunfallrecht trägt grundsätzlich der Beamte die materielle Beweislast für den Nachweis, dass ein eingetretener Körperschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einem Dienstunfall beruht.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 2 C 134.07 -, juris, Rn. 26; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 1 A 469/15 -, juris, Rn. 58, m.w.N.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Wird ein Bescheid, mit dem Folgen eines Dienstunfalls anerkannt wurden, zurückgenommen, trägt jedoch der Dienstherr die materielle Beweislast für dessen Rechtswidrigkeit.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2021 - 2 C 10.20 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Gemessen hieran liegt der dienstunfallrechtliche Kausalzusammenhang zwischen dem Vorfall vom 12. Mai 2020 und der bei dem Kläger diagnostizierten Sehnenruptur vor.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Unbestritten beruht nach allen vorliegenden Unterlagen der Körperschaden kausal auf dem Vorfall vom 12. Mai 2020, dem Beladen des Fahrzeugs mit Paketen. Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich auch nicht um eine Gelegenheitsursache, bei der ein anlagebedingtes Leiden durch ein dienstliches Vorkommnis nur rein zufällig ausgelöst wird und dementsprechend kein Dienstunfall vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Vielmehr ist das Einladen des Paketes die wesentliche Ursache für den Sehnenriss mit der Folge, dass der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung eines Dienstunfalls besitzt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem auf der Grundlage der vorliegenden fachärztlichen Berichte und eigener Untersuchungen erstellten Gutachten des BG Klinikums          vom 9. Juli 2021. Nachvollziehbar und überzeugend wird in dem Gutachten dargelegt, dass der zeitliche Abstand zwischen Unfallereignis und erstem ärztlichen Kontakt regelhaft für eine frische traumatische Verletzung sei, die MRT-Untersuchung einen frischen Riss ohne wesentlichen Hinweise auf eine maßgebliche degenerative Veränderung der rechten Bizepssehne zeige, und auch die im Operationsbericht beschriebene Ausfransung der Sehne für einen unfallbedingten Riss typisch sei. Schließlich sei der Unfallhergang, das Anheben eines 30 kg schweren Pakets mit einem Arm, nicht mehr als eine tägliche Belastung einzustufen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Beklagten, die dem von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten im Ergebnis nicht folgen möchte, sind nicht mehr nachvollziehbar. Eine andere Ursache als das Unfallereignis vom 12. Mai 2020 kommt als Auslöser der Ruptur nicht in Betracht, Anzeichen einer Vorschädigung wurden ärztlicherseits nicht gefunden. Welche Prüfgrundsätze zum Kausalzusammenhang vor diesem Hintergrund nicht berücksichtigt worden seien, erschließt sich nicht.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 80 Abs. 2 VwVfG und § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Vgl.              BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 1 WB 61/09 -, juris; VG Köln, Urteil vom 4. Februar 2014 - 19 K 360/13 -, juris.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Aus dem Begriff der "Notwendigkeit" der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Nach diesen Maßstäben kann der Kläger unter Berücksichtigung der durch die Komplexität des Dienstunfallrechts geprägten Rechtslage die Erstattung der Vergütung des von ihm hinzugezogenen Rechtsanwalts auch für das Widerspruchsverfahren verlangen.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.</p>
346,114
vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-28-11-b-6422
{ "id": 1071, "name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht", "slug": "vg-schleswig-holsteinisches", "city": 647, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
11 B 64/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-09T10:00:27"
"2022-10-17T17:55:46"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0728.11B64.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,00 € festgesetzt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong> I.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller ist jamaikanischer Staatsbürger und reiste am 23. September 2019 mit einem Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 16. Mai 2019 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, da er mit seiner damaligen Ehefrau, die ebenfalls jamaikanische Staatsbürgerin ist, zusammenlebte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Am 13. März 2020 gab die damalige Ehefrau des Antragstellers die Trennung bekannt. Der Antragsteller wohnte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit seiner damaligen Ehefrau zusammen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Am 25. März 2020 wurde der gemeinsame Sohn Matthew geboren.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller beantragte am 8. Juni 2020 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, woraufhin er eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG erhielt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 3. November 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung beziehungsweise Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, da keine eheliche Gemeinschaft mehr geführt werde. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG komme nicht in Betracht, da der Antragsteller nicht seit mindestens drei Jahren eine Ehe im Bundesgebiet geführt habe. Ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG scheitere daran, dass keine außergewöhnliche Härte vorliege. Auch ein Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, da weder rechtliche, noch tatsächliche Gründe für eine Unmöglichkeit der Ausreise vorlägen. Darüber hinaus könne er auch seinen Lebensunterhalt nicht sichern. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller auf, das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides zu verlassen. Darüber hinaus drohte sie dem Antragsteller für den Fall der Nichtbefolgung der Ausreiseaufforderung die Abschiebung nach Jamaika an.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 6. Dezember 2021 Widerspruch. Er führte an, dass er regelmäßigen, wöchentlichen Umgang mit seinem Sohn pflege. Er sehe seinen Sohn etwa eine bis eineinhalb Stunden pro Woche. Er zahle zudem regelmäßig Unterhalt für seinen Sohn.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller hat am 6. Dezember 2021 außerdem erstmals vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom gleichen Tage anzuordnen. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch des Antragstellers während dieses gerichtlichen Verfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 4. März 2022 zurück. Das Gericht erhielt hierüber keine Mitteilung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Die Kammer hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 31. März 2022 (Az. 11 B 10016/21) abgelehnt. Eine Beschwerde hat der Antragsteller gegenüber diesem Beschluss nicht eingelegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller erhob am 7. April 2022 Klage (Az. 11 A 120/22). Gleichzeitig hat er erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung verweist der Antragsteller auf sein Vorbringen im Verfahren 11 B 10016/21. Ergänzend trägt er vor, dass der neuerliche Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zulässig sei, da das Widerspruchsverfahren mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides abgeschlossen sei und durch die Erhebung der Klage in der Hauptsache ein „neues, weiteres Verfahren“ vorliege. Hieraus folge, dass auch ein neuer Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen sei. Entgegen dem Beschluss der Kammer bestehe zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn keine bloße „Begegnungsgemeinschaft“. Dies ergebe sich aus den in dem damaligen Verfahren eingereichten Unterlagen. Ergänzend werde auf einen beigefügten weiteren Chat-Verlauf mit der Mutter des Kindes verwiesen. Der Antragsteller habe – wie bereits im Vorverfahren vorgetragen worden sei – unter Vermittlung der Kirchengemeinde mit der Mutter des gemeinsamen Kindes eine Umgangsvereinbarung getroffen. Die Vereinbarung entspreche jedoch nicht den Bedürfnissen des Kindes sowie des Antragstellers. Es sei zwischenzeitlich ein Verfahren auf Regelung und Intensivierung des Umgangs beim Familiengericht anhängig gemacht worden. In dem Beschluss vom 31. März 2022 habe das Gericht die Rechte des Kindes auf Umgang mit seinem Vater nicht berücksichtigt. Die Kammer habe auch verkannt, dass es faktisch unmöglich sei, aus Jamaika eine regelmäßige „Vater-Sohn-Beziehung“ zu führen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Es hätten sich schließlich gegenüber dem ersten gerichtlichen Verfahren Änderungen des Sachverhalts ergeben. Die „Umgangskontakte“ des Antragstellers mit seinem Kind hätten sich intensiviert. Der Antragsteller verweist auch insoweit auf die vorgenannte Umgangsvereinbarung und seinen Antrag beim Familiengericht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Der Antragsteller beantragt sinngemäß,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">die aufschiebende Wirkung der Klage zum Aktenzeichen 11 A 120/22 gegenüber dem Bescheid vom 3. November 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2022 anzuordnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Sie meint, dass der Antrag angesichts der bereits zuvor erfolgten Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens und der unterbliebenen Einlegung einer Beschwerde bereits unzulässig sein könne. Jedenfalls sei der angegriffene Bescheid rechtmäßig. Änderungen des Sachverhalts würden nicht vorliegen, weswegen zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem Verfahren zum Aktenzeichen 11 B 10016/21 sowie die Gründe des insoweit ergangenen Beschlusses verwiesen werde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (Az. 11 B 10016/21 und 11 B 64/22) sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p><strong>II.</strong></p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Der neuerliche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 7. April 2022 anzuordnen, ist bereits unzulässig, denn ihm steht die Rechtskraft der Entscheidung der Kammer vom 31. März 2022 (Az. 11 B 10016/21) entgegen (vgl. etwa OVG Bautzen, Beschl. v. 17.09.2020 – 6 B 290/20 –, juris Rn. 1; VG München, Beschl. v. 29.11.2001 – M 1 S 01.70162 –, juris Rn. 15; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 126).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Der Umstand, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 6. Dezember 2021 zurückgewiesen worden ist und der Antragsteller nunmehr Klage erhoben hat (Az. 11 A 120/22), führt vor dem Hintergrund des rechtskräftigen Beschlusses der Kammer vom 31. März 2022 nicht dazu, dass nunmehr für die gerichtliche Prüfung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage erneut ein Antragsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO eröffnet wäre. Gegenstand des ersten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO war die Frage der Vollziehbarkeit des Bescheides vom 3. November 2021 bis zu seiner Unanfechtbarkeit – beziehungsweise bei Abweisung der Klage im ersten Rechtszug bis zum Ablauf von drei Monaten nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. näher zum Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO: OVG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2016 – 1 Bs 100/16 –, juris Rn. 17). Mit der rechtskräftigen Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist über diesen Streitgegenstand abschließend entschieden worden. Damit steht zwischen den Beteiligten bindend fest, dass es bei der Vollziehbarkeit des vorgenannten Bescheides bleibt und den dagegen eingelegten Rechtsmitteln des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung zukommt. Der Erlass des Widerspruchsbescheides – zumal dieser vor der Entscheidung im Verfahren zum Az. 11 B 10016/21 ergangen ist – und die Erhebung einer Klage ändern daran nichts. Da der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keinen Erfolg hatte, bleibt es während des gesamten „Schwebezustands“ bei der Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes, so dass eine Korrektur nur nach Maßgabe des § 80 Abs. 7 VwGO möglich ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.03.2012 – OVG 10 S 17.11 –, juris Rn. 5 m.V.a. OVG Magdeburg, Beschl. v. 12.07.1995 – 2 M 18/95 –, juris Rn. 31; Beschl. v. 02.05.2011 – 2 M 34/11 –, juris Rn. 7; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.09.2016 – 1 Bs 100/16 –, juris Rn. 19).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Selbst wenn man den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – trotz der rechtsanwaltlichen Vertretung des Antragstellers und dessen ausdrücklicher Argumentation zur Zulässigkeit eines erneuten Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. Bl. 44 d. Gerichtsakte) – in einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO wegen veränderter oder ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände umdeuten würde (vgl. hierzu OVG Magdeburg, Beschl. v. 02.05.2011 – 2 M 34/11 –, juris Rn. 5 m.w.N.; Die Möglichkeit der Umdeutung im Falle der anwaltlichen Vertretung verneinend: OVG Bautzen, Beschl. v. 17.09.2020 – 6 B 290/20 –, juris Rn. 4), bleibt dieser Abänderungsantrag mangels Begründetheit ohne Erfolg. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung – hier also der Beschluss der Kammer vom 31. März 2022 – formell und materiell richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2008 – 2 VR 1.08 –, juris Rn. 5). Es dient allein der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung über einen zulässigen Abänderungsantrag ist, ob nach der jetzigen Sach- oder Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.2011 – 8 VR 2.11 –, juris Rn. 8). Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann nur damit begründet werden, dass sich entscheidungserhebliche Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte, nachträglich geändert haben oder im ursprünglichen Verfahren unverschuldet nicht geltend gemacht werden konnten. Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der dem Gericht der Hauptsache eröffneten Abänderungsbefugnis ist somit eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf welche die frühere Entscheidung gestützt war. Liegt eine derartige Änderung nicht vor, ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache grundsätzlich verwehrt, weil sie auf eine unzulässige Rechtsmittelentscheidung hinausliefe (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 24.07.2019 – 2 BvR 686/19 –, juris Rn. 36).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Bei Zugrundelegung dieser Maßgaben hat der Antragsteller keine beachtliche nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage im Verhältnis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eil-entscheidung vom 31. März 2022 dargelegt, die eine Abänderung derselben rechtfertigen würde. Er hat auch nicht dargetan, ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein, bereits im ursprünglichen Verfahren bestehende Umstände rechtzeitig geltend zu machen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Soweit sich der Antragsteller zur Begründung des vorliegenden Antrages pauschal auf sein bisheriges Vorbringen in dem Verfahren zum Aktenzeichen 11 B 10016/21 beruft, lässt sich hieraus offenkundig keine berücksichtigungsfähige Veränderung der Sach- und Rechtslage herleiten. Der diesbezügliche Vortrag erfolgte gerade vor der Beschlussfassung der Kammer am 31. März 2022. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Verweis darauf, dass entgegen den Ausführungen im Beschluss der Kammer zwischen dem Antragsteller und seinem Sohn keine bloße „Begegnungsgemeinschaft“ bestehe und die Kammer die Rechte des Sohnes auf Umgang mit dem Antragsteller nicht hinreichend berücksichtigt hätte, vermag dem Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO nicht zum Erfolg zu verhelfen. Gleiches gilt, soweit der Antragsteller bemängelt, dass die Kammer Besuchsmöglichkeiten aus dem Herkunftsstaat des Antragstellers heraus zugrunde gelegt habe, die tatsächlich nicht existieren würden. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Einwänden gegenüber der materiellen Richtigkeit des Beschlusses vom 31. März 2022, die allein im insoweit vorgesehenen Beschwerdeverfahren (vgl. § 146 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO) berücksichtigungsfähig gewesen wären.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage folgt auch nicht aus den vorgelegten „Chat-Protokollen“ (vgl. „Anlagenkonvolut K 2“) sowie aus der vorgelegten „vorläufigen Umgangsvereinbarung“ (vgl. „Anlage K 3“). Der textliche Austausch des Antragstellers mit seiner vormaligen Ehefrau entstammt ausweislich der im Chatverlauf enthaltenen Datumsangaben dem Zeitraum vom 9. Oktober 2021 bis zum 12. November 2021 und somit einem Zeitraum, der vor der gerichtlichen Eilentscheidung am 31. März 2022 lag. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass er unverschuldet gehindert gewesen wäre, diese Angaben schon im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens geltend zu machen. Es handelt sich nach allen erkennbaren Umständen vielmehr um exakt denselben Chatverlauf, den der Antragsteller mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 bereits im Ausgangsverfahren vorgelegt (vgl. Bl. 49 ff. der Gerichtsakte zum Az. 11 B 10016/21) und der entsprechend Berücksichtigung in der vorangegangenen Kammerentscheidung gefunden hat. Die vorgelegte „Umgangsvereinbarung“ datiert ebenfalls bereits auf den 3. Dezember 2021 und somit auf einen Zeitpunkt noch vor der Einleitung des Ausgangsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO. Der Antragsteller hat auch insoweit nicht ansatzweise dargelegt, aus welchem Grund er unverschuldet an einer Geltendmachung dieses Umstandes im Ausgangsverfahren gehindert gewesen wäre.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Allein der nunmehr vorgelegte Antrag an das Amtsgericht A-Stadt – Familiengericht – vom 7. April 2022 (vgl. „Anlage K 4“) und der Verweis auf zwischenzeitlich „intensivierte“ Umgangskontakte mit seinem Sohn (vgl. Bl. 45 d. Gerichtsakte) betreffen den Zeitraum nach der gerichtlichen Eilentscheidung vom 31. März 2022. Im Ergebnis rechtfertigen jedoch auch diese Umstände keine Abänderung des Beschlusses vom 31. März 2022, da sich hieraus keine veränderte Beurteilung der Rechtmäßigkeit des mit dem Widerspruch und der Klage angegriffenen Verwaltungsakts herleiten lässt. Der Antragsteller erfüllt insbesondere auch weiterhin nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Wie die Kammer in der Ausgangsentscheidung dargelegt hat, gewährt Art. 6 Abs. 1 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet Art. 6 Abs. 1 GG die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsrechtliche Maßnahmen die familiären Bindungen des Ausländers pflichtgemäß in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 26). Wie gewichtig der aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK folgende Schutz der Familie jeweils ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, unter Umständen auch vom Alter der Kinder oder auch der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder. Bei der Bewertung der familiären Beziehungen ist eine schematische Einordnung als einerseits aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder aber andererseits als eine sog. bloße „Begegnungsgemeinschaft“ ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen unzulässig. Insbesondere ist in Konstellationen, in denen der Umgang mit einem Kind betroffen ist, auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, Beschl. v. 05.06.2013 – 2 BvR 586/13 –, juris Rn. 14). Dabei ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu den Eltern in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung dient und dass das Kind beide Eltern braucht. Der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters wird nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich (OVG Schleswig, Beschl. v. 22.08.2019 – 4 MB 48/19 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Für die Bejahung einer von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Lebensgemeinschaft kann ein regelmäßiger Kontakt eines getrenntlebenden Elternteils zum Kind, der die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringt, sowie eine emotionale Verbundenheit, gefordert werden (BVerfG, Beschl. v. 01.12.2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 33). Gerade – aber nicht nur – in Fällen, in denen eine nicht nur kurzzeitige oder gar dauerhafte Trennung möglich ist und zudem ein sehr kleines Kind betroffen ist, sind die Ausländerbehörden gehalten, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Dabei ist der Ausländer zur umfassenden Mitwirkung heranzuziehen, § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Bei Zugrundelegung dieser Maßgaben hat der Antragsteller auch im Abänderungsverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass eine schützenswerte persönliche Verbundenheit zwischen ihm und seinem Sohn besteht und damit eine nach Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung vorliegt. Soweit der Antragsteller nunmehr auf „intensivierte“ Umgangskontakte mit seinem Sohn verweist, ist nicht nachvollziehbar, auf welche tatsächliche Grundlage der Antragsteller diese Behauptung stützt. Weitergehende und präzisierende Angaben enthält das Antragsvorbringen hierzu nicht. Es ist insbesondere weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller zwischenzeitlich die Besuchszeiten im Sinne der Umgangsvereinbarung vom 3. Dezember 2021 vollumfänglich ausschöpfen würde.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Auch aus dem Antrag an das Familiengericht vom 7. April 2022 ist keine derzeit bestehende schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung herzuleiten. Zwar kann es im Rahmen des Aufbaus einer Eltern-Kind-Beziehung ausreichend sein, wenn der ausländische Elternteil sich zur Wahrnehmung seiner elterlichen Verantwortung für sein Kind ernsthaft um Umgang mit diesem bemüht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2021 – OVG 11 S 81/21 –, juris Rn. 12 und v. 20.10.2016 – OVG 12 S 25.16 –, juris Rn. 9). Die Glaubhaftmachung eines derartigen ernsthaften und nachhaltigen Bemühens um einen Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn zwecks Wahrnehmung seiner elterlichen Sorge, vermag die Kammer jedoch auch nicht vor dem Hintergrund des nunmehr – in Kenntnis des ablehnenden Kammerbeschlusses vom 31. März 2022 und der nunmehr drohenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen – angestrengten familiengerichtlichen Verfahrens zu erkennen. Das ernsthafte Bemühen müsste hierfür im Sinne der vorstehenden Maßgaben erkennbar von dem Willen zur tatsächlichen Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung im Rahmen der beabsichtigten Umgangszeiten getragen sein.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Derartiges ist aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich. Der Antragsteller hat die ihm zur Verfügung stehenden Umgangszeiten ausweislich der Angaben der Kindesmutter in der Vergangenheit nicht kontinuierlich genutzt (vgl. 109 ff. des Verwaltungsvorgangs zum „wochenlangen“ Nichterscheinen zu vereinbarten Treffen). Nach allen erkennbaren Umständen hat der Antragsteller die ihm zur Verfügung stehenden Umgangszeiten auch bis zuletzt zwar regelmäßig, aber nicht vollumfänglich in Anspruch genommen. Wie die Kammer bereits ausgeführt hat, beschränkt sich der Umgang nach Angaben der Kindesmutter nunmehr auf eine Stunde pro Woche, bei dem eine Begleitung durch die Kindesmutter erfolgt. Dies obwohl der Antragsteller und die Kindesmutter ausweislich der schriftlichen Umgangsvereinbarung vom 3. Dezember 2021 einen Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn über zumindest vier Wochenstunden vereinbart haben (vgl. „Anlage K3“: jeweils am Samstag von 15:00 bis 17:00 Uhr und am Sonntag von 10:00 bis 12:00 Uhr). Es ist auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Wahrnehmung der schriftlich fixierten Umgangszeiten einseitig durch die Kindesmutter kontinuierlich dergestalt verhindert würde, dass der Antragsteller seinen Sohn nur für eine Stunde in der Woche sehen könnte. Nach den Angaben der Kindesmutter übernimmt der Antragsteller neben der vorgenannten Umgangszeit keine Erziehungs- oder Betreuungsaufgaben und verbringt auch keine Feiertage, Geburtstage oder Urlaube mit seinem Sohn. Er begleitet seinen Sohn hiernach auch nicht zu Arztbesuchen. Der Antragsteller ist diesen Angaben nicht berücksichtigungsfähig entgegengetreten. Angesichts dieser Sachlage, vermag der Antrag an das Familiengericht, gerichtet auf Erweiterung von Umgangszeiten, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Der ernsthafte und nachhaltige Wille und ein entsprechendes Bemühen zum Umgang mit dem Kind des Antragstellers zwecks Ausübung der elterlichen Sorge, welches dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallen würde, ist hierdurch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Aus diesen Gründen hat der Antragsteller – auch vor dem Hintergrund des Vortrages zu dem beim Familiengericht gestellten Antrag – keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise aus familiären Gründen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind mangels hinreichender Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz nicht gegeben (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Die Kammer nimmt insoweit auf die vorstehenden Ausführungen Bezug.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,086
ovgnrw-2022-07-28-6-a-79822a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
6 A 798/22.A
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:54"
"2022-10-17T17:55:42"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0728.6A798.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag wird abgelehnt.</p> <p>Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, jeweils zur Hälfte.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der von den Klägern allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG liegt nicht vor.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Die Darlegung der Grundsatzbedeutung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstgerichtlich noch nicht hinreichend geklärte und (auch) für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; zudem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.1.2021 ‑ 6 A 3413/20.A -, juris Rn. 4.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Soweit Tatsachenfragen trotz diesbezüglicher bereits vorliegender Rechtsprechung als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet werden, muss ferner durch die Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Gerichts, sondern die abweichenden Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu diesem Erfordernis etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 14.7.2017 ‑ 13 A 1277/17.A ‑, juris Rn. 7 f., und vom 20.6.2016 ‑ 13 A 2789/15.A ‑, juris Rn. 3 f., jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Diesen Anforderungen entspricht der Zulassungsantrag nicht. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass den Fragen,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">„1. Liegt ein Anwaltsverschulden bei der Fristenkontrolle vor, wenn die fehlerhafte Übermittlung eines Schriftsatzes aus dem beA nicht auf einem Bedienungsfehler beruht und ein beA-Nachrichtenprotokoll in der Aktengeschichte erscheint, welches sich nicht nur auf die Gültigkeit der Zertifikate bezieht sondern auch Angaben zum Versand und Empfang enthält und beim Anwender den Eindruck einer ordnungsgemäßen Sendung erweckt?</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">2. Verletzt es die Sorgfaltspflicht des beA-Anwenders, wenn er sich auf ein Protokoll verlässt, das ihm automatisch zugeht, das in die Kanzleisoftware integriert ist und das den Eindruck erweckt, es treffe auch Aussagen zum Eingang einer Sendung beim Empfänger?</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">3. Ist es dem beA-Anwender zuzurechnen, dass er im Rahmen des gesetzlich aufgezwungenen Kommunikationswegs durch den äußeren Gesamteindruck des nach der Sendung erscheinenden Protokolls über dessen rechtliche Qualität getäuscht wird?“</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">grundsätzlich klärungsbedürftig sind. Denn sie lassen sich auf der Grundlage der existierenden Rechtsprechung ohne weiteres beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs ist es unerlässlich, den Versendevorgang selbst zu überprüfen. Dies hat bei Nutzung von beA/EGVP durch Prüfung des Erhalts und des Inhalts der vom EGVP an das beA versandten Eingangsbestätigung zu erfolgen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung eines Schriftsatzes im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs erfordert mithin die Kontrolle, ob der Eingang des elektronischen Dokuments bei Gericht entsprechend § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO (wortgleich § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO) bestätigt worden ist. Bei der Bestätigung eines erfolgreichen Eingangs des elektronischen Dokuments nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO wird im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ bei dem Unterpunkt „Meldungstext“ die Nachricht „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ der Text „erfolgreich“ angezeigt. Erst wenn der Rechtsanwalt eine solche Eingangsbestätigung erhalten hat, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Ihr Ausbleiben - wie hier - muss den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls zur erneuten Übermittlung veranlassen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Zu anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14.10.2021 - 8 B 11187/21 -, juris Rn. 5 ff.; VG Aachen, Urteil vom 7.3.2022 - 10 K 2469/21.A -, juris Rn. 30; BGH, Beschluss vom 11.5.2021 - VIII ZB 9/20 -, NJW 2021, 2201 = juris Rn. 33; BAG, Beschluss vom 7.8.2019 - 5 AZB 16/19 -, BAGE 167, 221 = juris Rn. 13 f.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">In dem vom Prozessbevollmächtigten der Kläger vorgelegten Prüfprotokoll sind die Felder „zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ nicht ausgefüllt. Dies hätte dem Prozessbevollmächtigten Anlass zu weiteren Nachforschung geben müssen, sodass das Unterlassen einer entsprechenden Kontrolle zu einem Anwaltsverschulden führt. Eine solche Kontrolle ist auch nicht, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger geltend macht, mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden. Angesichts der dem Prozessbevollmächtigten zur Verfügung stehenden Informationen über den notwendigen Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa Newsletter der Bundesrechtsanwaltskammer, 31/2019, "Wo findet man Eingangsbestätigung, Prüf- und Übermittlungsprotokoll?", abrufbar über das beA-Newsletter Archiv unter https://www.brak.de/bea-newsletter/,</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">musste ihm bekannt sein, welche Aussagekraft dem Übermittlungs- und Prüfprotokoll zukommt und auf welche Angaben hin dieses zu kontrollieren ist. Die in dem vorgelegten Prüfprotokoll grün hinterlegte Angabe „sämtliche durchgeführten Prüfungen lieferten ein positives Ergebnis“, stellt auch keine Täuschung dar, die ein Anwaltsverschulden ausschließen würde. Denn auch, wenn dies für einen Unkundigen missverständlich sein könnte, muss dem seiner Sorgfaltspflicht gerecht werdenden Rechtsanwalt bekannt sein, dass sich dies maßgeblich auf die erfolgreich durchgeführte Signatur bezieht und sich die Angaben zur erfolgreichen Übermittlung nur der Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO entnehmen lassen. Wird eine solche - wie hier - nicht übersandt, kann und darf der Rechtsanwalt nicht annehmen, sein Schriftsatz sei bei Gericht eingegangen.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>
346,085
ovgnrw-2022-07-28-6-e-28822
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
6 E 288/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:53"
"2022-10-17T17:55:42"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0728.6E288.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der angefochtene Beschluss wird geändert.</p> <p>Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 4.2.2022 (Eingang der Teilerledigungserklärungen) auf die Wertstufe bis 13.000 Euro, für die Zeit danach auf die Wertstufe bis 7.000 Euro festgesetzt.</p> <p>Die Beschwerde des Antragsgegners zu 1. und die weitergehende Streitwertbeschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers werden zurückgewiesen.</p> <p>Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners zu 1. (im Weiteren: Antragsgegner), der eine (weitere) Herabsetzung des Streitwerts anstrebt, ist unbegründet. Die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zulässigerweise im eigenen Namen (§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG) erhobene Beschwerde, die auf eine Heraufsetzung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts abzielt, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert mit Beschluss vom 30.3.2022, mit dem es den Beschwerden jeweils teilweise abgeholfen hat, für das gesamte erstinstanzliche Verfahren auf 6.567,04 Euro festgesetzt. Dabei hat es zum einen in Bezug auf das Begehren, den Antragsteller vorläufig zu einer Wiederholung von Klausuren in drei Prüfungsmodulen zuzulassen, einen Streitwert in Höhe des Auffangwerts angenommen und zum anderen § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG im Hinblick auf das weitere Begehren herangezogen, dem Antragsteller unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder aufgrund eines ähnlichen Dienstverhältnisses vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen, bis über die Rechtmäßigkeit der Prüfungsbescheide der I.          für Q.       und P.           W.          Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) vom 4.11.2021 endgültig entschieden worden ist. Beide Anträge sind nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, weshalb es den Streitwert jeweils halbiert hat.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Dem hält der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit seiner Beschwerde entgegen, für die vorläufige Zulassung zu den drei Modulprüfungen seien 37.500 Euro und für die vorläufige Ermöglichung der Fortsetzung der Laufbahnausbildung seien 8.811,92 Euro (summiert also 46.311,92 Euro) anzusetzen. Eine Halbierung dieser Beträge sei nicht angezeigt. Der Antragsgegner wiederum strebt mit seiner Beschwerde eine Herabsetzung des gesamten Streitwerts auf 5.000 Euro an.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Ausgehend von den konkreten Anträgen betreffend die Zulassung zu drei Modulprüfungen setzt der Senat den Streitwert bis zur teilweisen Erledigung des Antrags zu 1. auf 15.000 Euro und für den anschließenden Zeitraum - bezogen nur noch auf die Prüfung im Modul 6.5 - auf 5.000 Euro fest. Diese Beträge sind im Hinblick darauf, dass keine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt worden ist, zu halbieren (I). Das gilt auch für den die Fortsetzung der Ausbildung betreffenden weiteren Antrag, bei dem der Senat - ebenso wie das Verwaltungsgericht - die Festsetzung auf § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG stützt (II). Die sich ergebenden Beträge sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren, so dass sich die im Tenor genannten Streitwerte errechnen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">I. Der Streitwert für das Begehren, den Antragsteller vorläufig zu einer Wiederholung von Klausuren in drei Prüfungsmodulen zuzulassen, ist für jede Prüfung auf 5.000 Euro festzusetzen (1). Dieser Wert ist im Hinblick auf die begehrte nur vorläufige Regelung jeweils zu halbieren (2).</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. Der Senat führt seine ständige Rechtsprechung fort, in auf eine Neubewertung oder Zulassung zur Wiederholung von Laufbahnprüfungen gerichteten Verfahren den sog. Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG zugrunde zu legen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Vgl. nur Beschlüsse vom 25.1.2022 - 6 B 1352/21 -, juris Rn. 59, vom 22.12.2021 - 6 E 370/21 -, juris Rn. 4, vom 18.8.2016 - 6 E 687/16 -, juris Rn. 3 ff., vom 15.8.2014 - 6 E 847/14 -, juris Rn. 3, vom 10.6.2014 - 6 E 498/14 -, juris Rn. 3 ff., vom 10.3.2014 - 6 B 1420/13 -, juris Rn. 18, und vom 5.1.2012 - 6 A 2827/10 -, DÖV 2012, 363 = juris Rn. 18; vgl. ferner Sächs. OVG, Beschlüsse vom 8.3.2021 - 6 B 260/20 -, juris Rn. 28, und vom 4.10.2016 - 2 E 110/15 -, juris Rn. 3; Hess. VGH, Beschluss vom 24.8.2015 - 1 E 1406/15 -, juris Rn. 7.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Anregungen für die im Ermessen der Gerichte liegende Festsetzung des Streitwerts bieten die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahr 2013 (in der Fassung der am 31.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen - Streitwertkatalog). Für Prüfungsleistungen, die im Rahmen der Ausbildung für die vom Antragsteller angestrebte Laufbahn der Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 - vormals gehobener Dienst - des allgemeinen Verwaltungsdienstes zu erbringen sind, ist nach Auffassung des Senats Ziffer 36.4 des Streitwertkatalogs einschlägig, der unter dem Ordnungspunkt 36 - Prüfungsrecht - für sonstige Prüfungen den Auffangwert vorsieht.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der Einwände des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers und durchaus unterschiedlicher Einschätzungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, Prüfungen im Rahmen der Ausbildung für eine Laufbahn der Laufbahngruppe 2, Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes, bzw. für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes nicht den Ziffern 36.1 bis 36.3 oder der Ziffer 18.4 des Streitwertkatalogs zuzuordnen. Danach werden für den Streit um eine den Berufszugang noch nicht eröffnende (Staats-) Prüfung, deren Nichtbestehen zur Beendigung des Studiums führt, 7.500 Euro (Ziffer 36.1),</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">in diesem Sinne: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 13.5.2014 - 2 A 10054/14 -, DÖD 2014, 255 = juris Rn. 49; wohl auch: Thür. OVG, Beschluss vom 14.12.2016 - 2 EO 830/16 -, ThürVBl 2019, 37 = juris Rn. 19,</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">für den Streit um berufseröffnende Prüfungen der Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Verdienstes, mindestens 15.000 Euro (Ziffer 36.2 und 36.3),</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">in diesem Sinne: Sächs. OVG, Beschluss vom 1.9.2017 - 2 B 62/17 -, juris Rn. 15,</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">und unter dem Ordnungspunkt 18 - Hochschulrecht, Recht der Führung akademischer Grade - für den "Bachelor" 10.000 Euro (Ziffer 18.4),</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">in diesem Sinne: OVG BerlinBbg, Beschluss vom 21.7.2014 - OVG 10 S 5.14 -, NVwZ-RR 2014, 889 = juris Rn. 21,</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">vorgeschlagen. Gegen eine Orientierung an diesen Streitwerten spricht, dass sich die Empfehlungen der Streitwertkatalogs unter Ziffer 36, ebenso wie die Vorschläge unter Ziffer 18, auf den Regelfall eines Bachelorstudiums an einer Hochschule im Sinne des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HG) beziehen. Von diesem Regelfall unterscheiden sich Prüfungen bzw. Abschlüsse, die im Rahmen einer Ausbildung an einer Hochschule im Sinne des Gesetzes über die Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen (FHGöD) - wie der Antragsgegnerin gemäß § 1 Satz 1 Nr. 3 FHGöD - abgelegt oder erworben werden. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass bei einer Ausbildung für eine Laufbahn der Laufbahngruppe 2, Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes, bzw. für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes die Vorbereitung auf einen Zugang zu einem öffentlichen Amt gegenüber dem Zugang zu einem bestimmten Beruf im Vordergrund steht.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Verhältnis von Art. 33 Abs. 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG bei einer Begrenzung der Beamtenstellen im Vorbereitungsdienst des mittleren Polizeivollzugsdienstes, BVerwG, Urteil vom 24.9.2009 ‑ 2 C 31.08 -, NVwZ 2010, 251 = juris Rn. 19; und bei subjektiven Zugangsbeschränkungen BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, IÖD 2014, 2 = juris Rn. 16 f. sowie OVG NRW, Urteil vom 28.6.2018 - 6 A 2014/17 -, DÖD 2018, 258 = juris Rn. 127 f.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dass der Vorbereitungsdienst im Rahmen eines Bachelorstudiengangs an der HSPV NRW erfolgt, ergibt sich für den vorliegend in Rede stehenden Zugang zum Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2 des allgemeinen Verwaltungsdienstes aus §§ 7, 14 Abs. 2 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 des allgemeinen Verwaltungsdienstes (Bachelor) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5.8.2008, GV. NRW. S. 572, zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.8.2021, GV. NRW. S. 1046 (VAP2.1). Das erfolgreiche Bestehen der Hochschulprüfung gilt zugleich als Laufbahnprüfung. Dadurch wird die Bedeutung der Laufbahnausbildung als Vorbereitungsdienst für den Zugang zu einem öffentlichen Amt nicht in dem Sinne geschmälert, dass nunmehr der Schwerpunkt auf einem Bachelorstudium läge, das unabhängig von der angestrebten Laufbahn zu bewerten wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers weist zwar zu Recht darauf hin, dass auf der Homepage der HSPV NRW der Erwerb eines europaweit anerkannten Abschlusses als Vorteil des dualen Studiums dargestellt wird. Kern der fünf Studiengänge, die neben dem Polizeivollzugsdienst angeboten werden, ist aber die Vorbereitung auf eine Tätigkeit sei es bei staatlichen Mittelbehörden oder Ministerien (staatlicher Verwaltungsdienst - allgemeine Verwaltung - SVD), sei es bei kommunalen Behörden (Kommunaler Verwaltungsdienst - allgemeine Verwaltung - KVB - oder BVWL) oder bei der Deutschen Rentenversicherung (RV). Auch der Studiengang Verwaltungsinformatik (VINF) dient der Vorbereitung auf eine Tätigkeit bei Kommunalbehörden, Landesministerien oder Bezirksregierungen.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. https://www.hspv.nrw.de/studium/bachelor-studiengaenge.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Das duale Studium stellt damit unabhängig von seiner Qualifikation als Bachelorstudiengang mit einem entsprechenden Abschluss in erster Linie einen Vorbereitungsdienst für eine Tätigkeit in der Ämtergruppe des ersten Einstiegsamts der Laufbahngruppe 2 im allgemeinen Verwaltungsdienst dar.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Für eine Berücksichtigung sowohl der einzelnen (Modul)Prüfungen, deren Wiederholung begehrt wird, als auch des Nichtbestehens der Laufbahnprüfung als weiteren eigenständigen Streitgegenstand besteht ebenfalls keine Veranlassung. Anders als der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers meint, handelt es sich bei der Laufbahnprüfung nicht um einen von der Hochschulprüfung i. S. v. § 14 Abs. 1 VAP2.1 zu trennenden Streitgegenstand. Aus § 14 Abs. 2 VAP2.1 ergibt sich vielmehr, dass die erfolgreich absolvierte Hochschulprüfung zugleich als Laufbahnprüfung gilt, letztere also durch die Hochschulprüfung ersetzt worden ist. Ein vom Bestehen der Hochschulprüfung zu trennendes Interesse an der Laufbahnprüfung ist bei einem Studiengang, der im Sinne eines Vorbereitungsdienstes auf eine Tätigkeit in einer bestimmten Laufbahn ausgerichtet ist, nicht zu erkennen. Dafür spricht wiederum die Identität von Studium an der HSPV NRW und Vorbereitungsdienst. Gemäß § 7 VAP2.1 besteht dieser Vorbereitungsdienst ausschließlich aus dem auf drei Studienjahre ausgerichteten Bachelor-Studiengang an der HSPV NRW.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Der Senat geht ferner davon aus, dass es sich bei dem Begehren, zu drei Prüfungen aus drei verschiedenen Modulen zugelassen zu werden, um drei separate Streitgegenstände handelt. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat in dem Beschluss vom 6.8.2015 im Verfahren 6 E 748/15,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">NVwZ-RR 2015, 960 = juris Rn. 5 und 8,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">festgestellt hat, unterschiedliche Modulprüfungen seien als Bestandteile einer einheitlichen Laufbahnprüfung als nur ein Streitgegenstand anzusehen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich der Antrag in dem seinerzeit entschiedenen Verfahren nicht auf mehrere Modulprüfungen, sondern auf mehrere Prüfungen innerhalb desselben Moduls bezog. Für diese Fallgestaltung der Teilstudienleistungen hält der Senat daran fest, dass es sich um nur einen Streitgegenstand handelt.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu mehreren Klausuren im Rahmen der Laufbahnprüfung gehobener Dienst der Steuerverwaltung: Hess. VGH, Beschluss vom 24.8.2015 - 1 E 1405/15 -, a.a.O., zur Geltendmachung der Zulassung zu zwei Prüfungen innerhalb desselben Moduls, allerdings mit Haupt- und Hilfsantrag: OVG NRW, Beschluss vom 25.1.2010 - 14 B 1791/09 -, juris Rn. 32.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Im Streitfall hingegen hängt der Erfolg der Laufbahnausbildung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1, § 10 Abs. 2 VAP2.1 vom Bestehen jeder dieser Modulprüfungen ab. Es handelt sich bei den ursprünglich in Streit stehenden drei Prüfungen nicht um Teilstudienleistungen, sondern jeweils um eine ein Modul abschließende Prüfung im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 1 VAP2.1, bei der das Nichtbestehen im Wiederholungsfall gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 VAP2.1 jeweils eigenständig zum endgültigen Nichtbestehen der Bachelorprüfung und zur Beendigung der Ausbildung führt. Für eine solche Fallgestaltung hält der Senat eine isolierte Betrachtung von Prüfungen aus unterschiedlichen Modulen als jeweils eigenständigen Streitgegenstand für angezeigt.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">2. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bleibt auch insofern erfolglos, als er eine Halbierung des Streitwerts mit Rücksicht auf die Vorläufigkeit der begehrten einstweiligen Anordnungen beanstandet. Der Senat macht im Hinblick darauf, dass mit dem Begehren, vorläufig zu Modulprüfungen zugelassen zu werden, jedenfalls keine vollständige bzw. endgültige Vorwegnahme der Hauptsache angestrebt wird, von der unter Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs aufgezeigten Möglichkeit, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, den Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben, in Übereinstimmung mit den weiteren mit Prüfungsrecht befassten Senaten des Oberverwaltungsgerichts keinen Gebrauch.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Ebenso: OVG NRW, Beschlüsse vom 9.11.2018 ‑ 19 E 764/18 -, juris Rn. 2. m.w.N., vom 29.9.2016 ‑ 14 B 1056/16 -, NWVBl 2017, 168 = juris Rn. 16, vom 10.3.2014 - 6 B 1420/13 -, a.a.O., und vom 31.1.2014 - 14 B 35/14 -, juris Rn. 11; ferner Hamb. OVG, Beschluss vom 23.9.2021 - 5 Bs 201/21 -, DÖV 2022, 343 = juris Rn. 19; Nds. OVG, Beschluss vom 21.7.2021 - 2 ME 121/21 -, juris Rn. 14; Sächs. OVG, Beschlüsse vom 8.3.2021 - 6 B 260/20 -, a.a.O., und vom 1.9.2017 - 2 B 62/17 -, a.a.O.; OVG BerlinBbg, Beschluss vom 21.7.2014 - OVG 10 S 5.14 -, a.a.O.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Senat auch, dass in Fallkonstellationen wie der vorliegenden ohnehin regelmäßig mit einem Antrag auf Fortsetzung der Ausbildung ein weiterer Streitgegenstand mit eigenständig anzusetzendem Streitwert hinzukommt. Zur Frage der Vorwegnahme der Hauptsache nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen unter A. I. in dem Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 B 456/22 Bezug.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Die schließlich vom Antragsgegner mit seiner Beschwerde begehrte Herabsetzung des Streitwerts auf insgesamt 5.000 Euro kommt mit Rücksicht auf die Bedeutung mehrerer Modulprüfungen als separat zu veranschlagende Streitgegenstände aus den oben ausgeführten Gründen nicht in Betracht. Die Streitwerte sind vielmehr nach § 39 Abs. 1 GKG zu addieren.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">II. Ohne Erfolg wendet sich der Antragsgegner ferner dagegen, dass das Verwaltungsgericht den zweiten, ausdrücklich gestellten Antrag, der auf die vorläufige Fortsetzung der Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf oder in einem anderen Beschäftigungsverhältnis gerichtet ist, als eigenständigen Streitgegenstand bewertet hat, der nicht in einer im selben Verfahren begehrten prüfungsrechtlichen Anordnung aufgeht.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Ebenso: Hamb. OVG, Beschluss vom 23.9.2021 ‑ 5 Bs 201/21 -, a.a.O.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Mit Rücksicht auf die besondere verfassungsrechtliche Bedeutung einer vorläufigen Fortsetzung der Laufbahnausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 -,</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">NVwZ 2020, 1187 = juris Rn. 25 ff.,</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">fällt ein hierauf gerichteter Antrag als bei der Streitwertfestsetzung eigenständig zu würdigender Gegenstand ins Gewicht. Der Streitwert richtet sich, wie bereits vom Verwaltungsgericht angenommen, grundsätzlich nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2,   Sätze 2 und 3 GKG, soweit eine erneute Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf begehrt wird.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Vgl. Senatsbeschlüsse vom 18.8.2017 - 6 B 918/17 ‑, juris Rn. 1, 11, vom 7.9.2009 - 6 B 1150/09 -, juris Rn. 19, und vom 4.8.2009 - 6 B 948/09 -, juris Rn. 20; OVG NRW, 1. Senat, Beschlüsse vom 12.3.2010 - 1 B 1684/09 -, juris Rn. 20 ff., und vom 28.1.2010 - 1 B 1843/09 -, juris Rn. 32 ff.; ferner Hamb. OVG, Beschluss vom 23.9.2021 ‑ 5 Bs 201/21 -, a.a.O.; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 6.5.2021 - 2 MB 32/20 -, juris Rn. 55; Sächs. OVG, Beschlüsse vom 8.3.2021 - 6 B 260/20 -, a.a.O. (bezogen auf den nicht streitwerterhöhenden Hilfsantrag), und vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 26; OVG S.-A., Beschluss vom 19.4.2012 - 1 M 32/12 -, NVwZ-RR 2012, 553 = juris Rn. 35; a.A. OVG BerlinBbg, Beschluss vom 9.10.2012 - OVG 10 S 54.12 -, NVwZ-RR 2014, 144 = juris Rn. 25 (Auffangwert).</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Danach ist in Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, Streitwert die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen. Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers bei seiner Berechnung des Halbjahresbetrages den Faktor 6,5 für maßgeblich hält, ist dem nicht zu folgen. Anders als nach § 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GKG in der bis zum 31.7.2013 geltenden Fassung ist nicht mehr von der Hälfte des 13fachen Anwärtergrundbetrags auszugehen. Abzustellen ist vielmehr auf den für ein Kalenderjahr zu zahlenden Betrag. Bei dessen Berechnung ist ebenfalls keine jährliche Sonderzahlung - zusätzlich - zu berücksichtigen. Da das Sonderzahlungsgesetz NRW zum 1.1.2017 entfallen ist und die jährliche Sonderzahlung in die monatlichen Bezüge integriert wurde, entspricht der nach § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG maßgebliche Halbjahresbetrag dem sechsfachen Monatsgehalt.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Beschränkt sich der Antrag darauf, die Ausbildung vorläufig in einem zu diesem Zweck ausreichenden, gegebenenfalls auch vertraglich begründeten Beschäftigungsverhältnis fortsetzen zu können, orientiert sich der Streitwert entsprechend an der Hälfte der für ein Kalenderjahr anfallenden Vergütung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg wendet sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Halbierung des Sechsmonatsbetrages. Für eine Erhöhung dieses halbierten Streitwerts aus den in Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs vorgesehenen Gründen einer vollständigen oder teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache sieht der Senat - ebenso wie bei dem Antrag zu 1. - keine Veranlassung.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Vgl. Senatsbeschlüsse vom Beschluss vom 4.3.2013 - 6 B 157/13 -, vom 4.8.2009 - 6 B 948/09 -, und vom 7.9.2009 - 6 B 1150/09 -, jeweils a.a.O.; OVG NRW, 1. Senat, Beschlüsse vom 12.3.2010 - 1 B 1684/09 ‑, und vom 28.1.2010 - 1 B 1843/09 -, jeweils a.a.O.; Hamb. OVG, Beschluss vom 23.9.2021 - 5 Bs 201/21 -, a.a.O.; a.A.: Sächs. OVG, Beschluss vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 26; OVG BerlinBbg, Beschluss vom 9.10.2012 - OVG 10 S 54.12 -, a.a.O.; OVG S.-A., Beschluss vom 19.4.2012 - 1 M 32/12 -, a.a.O.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Dabei hat der Senat ebenso wie bei der Festsetzung des Streitwerts für einen auf die Zulassung zu einer Wiederholungsprüfung gerichteten Antrag im Blick, dass dieses Begehren regelmäßig zu dem weiteren Streitgegenstand - Fortsetzung der Ausbildung - hinzukommt. Zu den Gründen, warum der zweite Antrag jedenfalls nicht auf eine vollständige bzw. endgültige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 B 456/22 unter A. I.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Soweit der Senat in der Vergangenheit in Verfahren, die wie im Streitfall auf die Zulassung zu als nicht bestanden bewerteten Prüfungen sowie auf die Möglichkeit der Fortsetzung der Ausbildung unter Berufung in das Beamtenverhältnis gerichtet waren, den Streitwert abweichend vom Vorstehenden festgesetzt hat, hält er daran nicht fest.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Vgl. zu einzelnen Gesichtspunkten abweichend: OVG NRW, Beschlüsse vom 19.11.2020 - 6 B 1524/20 -, und 6 B 1545/20 -, jeweils juris Rn. 23, vom 21.2.2018 - 6 B 53/18 -, juris Rn. 13, vom 18.8.2017 - 6 B 918/17 -, juris Rn. 11.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Der Kostenausspruch folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,084
ovgnrw-2022-07-28-6-b-45822
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6 B 458/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:53"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0728.6B458.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf die Wertstufe bis 10.000 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses. Die Antragstellerin verfolgt mit der Beschwerde lediglich das Begehren weiter,</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr bis zum Abschluss des beim Verwaltungsgericht Arnsberg unter dem Aktenzeichen 2 K 634/22 geführten Hauptsacheverfahrens (unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf) die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten,</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">wobei sie auf gerichtliche Nachfrage erklärt hat, dass der Antrag mit der Fortsetzung der Laufbahnausbildung auch darauf gerichtet sein soll, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig die Möglichkeit zu geben, die Klausur im Modul GS 2 (Eingriffsrecht/Staatsrecht) sowie die Klausur im Modul GS 6 (Verkehrssicherheitsarbeit) zu wiederholen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die tatsächlichen Voraussetzungen eines dieses Begehren stützenden Anordnungsanspruchs hat die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">1. Dabei steht in der auch im Streitfall gegebenen Situation einer Kommissaranwärterin oder eines Kommissaranwärters,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">der nach Bekanntgabe des endgültiges Nichtbestehens einer Prüfung deren Wiederholung bzw. Neubewertung und daneben die Fortsetzung der Laufbahnausbildung begehrt, nicht bereits die Regelung des § 22 Abs. 4 BeamtStG i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 1 LVO Pol bzw. § 12 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über die Ausbildung und die II. Fachprüfung für den Laufbahnabschnitt II der Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">- vom 29.9.2008, GV.NRW S. 554, zuletzt geändert durch Verordnung vom 26.2.2021, GV NRW. S. 206, im Folgenden: VAPPol II Bachelor; ebenso § 8 Abs. 3 Satz 1 VAPPol II Bachelor vom 30.5.2022, GV. NRW. S. 736, im Folgenden: VAPPol II Bachelor 2022 -</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gemäß § 123 VwGO entgegen. In der Vergangenheit hat der Senat angenommen, die begehrte (vorläufige) Fortsetzung der Laufbahnausbildung sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beamte mit dem endgültigen Nichtbestehen der für die Laufbahn vorgeschriebenen Prüfung gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen sei und eine Fortsetzung der Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses nicht in Betracht komme, bzw. die Studierenden gemäß § 22 Abs. 1 und 2 FHGöD, § 4 Abs. 3 VAPPol II Bachelor durch die Ausbildungsbehörde zugewiesen würden und eine solche Zuweisung mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis nicht mehr vorliege. Auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung und deren Bestandskraft komme es dabei nicht an.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21.2.2018 ‑ 6 B 53/18 -, juris Rn. 5 ff. m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Dieser Rechtsstandpunkt kann im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 - nicht aufrechterhalten werden. Danach wird die pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf vorläufige Fortsetzung einer polizeilichen Ausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses gestützt auf den Eintritt der Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Es bestünden - so das Bundesverfassungsgericht - besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar, abgesehen davon, dass bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene darüber hinaus gehalten seien, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet sei. Mit Rücksicht darauf könne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht pauschal gestützt auf die Sperrwirkung des § 22 Abs. 4       BeamtStG ausgeschlossen werden. Wenn dem Entlassenen vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung - etwa in Gestalt der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung durch Neubegründung eines Beamtenverhältnisses oder außerhalb eines solchen, der vorläufigen Zulassung zur Wiederholungsprüfung oder der vorläufigen Neubewertung - gewährt werde, bleibe die Beendigungswirkung § 22 Abs. 4 BeamtStG mit Blick auf das bisherige Beamtenverhältnis an sich unangetastet. Zwar komme es für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung aufgrund der gestuft prüfungs- und beamtenrechtlichen Hauptsache (zunächst Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung gegebenenfalls in Kombination mit einer Neubewertung oder Wiederholung der Prüfung und sodann Neubegründung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs) auf die prüfungsrechtlichen Einwendungen an. Bei Gewährung des skizzierten einstweiligen Rechtsschutzes werde die Beendigungswirkung jedoch gerade respektiert. Der einstweilige Rechtsschutz setze zeitlich später an als die Beendigungswirkung und operiere mit dieser, ohne sie aus regelungssystematischer Sicht zu suspendieren.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 -, NVwZ 2020, 1187 = juris Rn. 25 ff..</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt ist in einer Konstellation, wie sie im Streitfall vorliegt, im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufiger Rechtsschutz in geeigneter Form zu gewähren, sofern die prüfungsrechtlichen Einwendungen hierzu Anlass geben.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Ebenso im Anschluss an das BVerfG Sächs. OVG, Beschluss vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 5; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6.5.2021 ‑ 2 MB 29/20 -, NVwZ-RR 2021, 987 = juris Rn. 14 ff; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.2.2022 - 26 L 2647/21 -, juris Rn. 37.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Zumindest im Regelfall und jedenfalls bei Kommissaranwärtern dürfte dies die erneute Berufung in das Beamtenverhältnis umfassen, da die Studierenden gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor bzw. § 5 VAPPol II Bachelor 2022 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zu Kommissaranwärtern ernannt werden.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei für den Streitfall irrelevant, weil es dem Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgerichts auf die (vorläufige) erneute Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf angekommen sei, wohingegen die Antragstellerin im Streitfall die (vorläufige) Fortsetzung ihres Studiums begehre, überzeugt den Senat nicht. Abgesehen davon, dass davon auszugehen gewesen sein dürfte bzw. jedenfalls nachzufragen gewesen wäre, ob der gestellte Antrag die Berufung ins Beamtenverhältnis umfassen sollte, haben sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht im vorausgegangenen Verfahren das Begehren auf Fortsetzung des Studiums sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Beamtenverhältnisses auf Widerruf in den Blick genommen. Dabei handelt es sich bei ersterer Möglichkeit um die weitergehende, so dass die Erwägungen - wäre das Begehren der Antragstellerin tatsächlich nur auf Fortsetzung des Studiums außerhalb eines Beamtenverhältnisses gerichtet - erst recht Geltung beanspruchen dürften.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">2. Dem Erfolg des Antrags steht jedoch entgegen, dass nach derzeitiger Erkenntnislage keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung vom 26.1.2022 bestehen, mit der der Antragsgegner den Rücktritt der Antragstellerin von der Prüfung am 14.12.2021 (im Modul GS 2) sowie am 21.12.2021 (im Modul GS 6) jeweils nicht genehmigt, die Prüfung jeweils mit der Note "nicht ausreichend" bewertet, das Modul GS 2 und GS 6 jeweils als endgültig nicht bestanden erklärt und die Fortsetzung des Studiums ausgeschlossen hat. Die Antragstellerin hat den Rücktritt von den Prüfungen jeweils nicht unverzüglich erklärt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Nach § 12 Abs. 2 VAPPol II Bachelor (ebenso: 8 Abs. 2 Satz 1 VAPPol II Bachelor 2022) sowie § 13 Abs. 2 Satz 3 Teil A der Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der HSPV NRW (StudO BA) ist eine Studienleistung und damit die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden, wenn Studierende auch in einer Wiederholung nicht eine Bewertung von mindestens "ausreichend" (4,0) oder "bestanden" erreichen. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Teil A StudO BA wird eine Studienleistung mit "nicht ausreichend" (5,0) bewertet, wenn die Kandidatin oder der Kandidat ohne triftige Gründe von der Prüfung zurücktritt. Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A StudO BA müssen die für einen Prüfungsrücktritt geltend gemachten Gründe dem Prüfungsamt unverzüglich schriftlich angezeigt und glaubhaft gemacht werden.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der das gesamte Prüfungsrecht beherrschende, verfassungsrechtlich gewährleistete Grundsatz der Chancengleichheit gebietet es, an die Unverzüglichkeit der Geltendmachung einen strengen Maßstab anzulegen. Diese Mitwirkungsobliegenheit, die ihren Rechtsgrund in dem auch im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben hat, findet ihre Begrenzung im Rahmen des Zumutbaren. Eine Rücktrittserklärung ist hiernach nicht mehr unverzüglich, wenn sie nicht zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie vom Prüfling in zumutbarer Weise hätte erwartet werden können. Spätestens dann, wenn sich der Prüfling der (krankheitsbedingten) Verminderung seiner Leistungsfähigkeit bewusst geworden ist, muss er den Rücktritt erklären. Die genaue krankheitsbedingte Ursache muss ihm nicht bekannt sein. Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalls.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">BVerwG, etwa Urteil vom 24.2.2003 - 6 C 22.02 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 403 = juris Rn. 22, und Beschluss vom 3.1.1994 - 6 B 5.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 327 = juris Rn. 4; OVG NRW, Beschlüsse vom 8.1.2020 - 14 B 1680/19 -, juris Rn. 5 f. und vom 18.8.2017 - 6 B 918/17 -, juris Rn. 8, jeweils m. w. N.; Fischer/       Jeremias/Dietrich, Prüfungsrecht, 8. Auflage 2022, Rn. 282 ff.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Gemessen an diesen Anforderungen hat die Antragstellerin ihren Rücktritt von der Prüfung jeweils nicht unverzüglich erklärt. Dabei kann wiederum auf sich beruhen, ob sie den Rücktritt von der Prüfung am 14.12.2021 bereits am 13.12.2021 schriftlich hätte erklären müssen, nachdem sie schon an jenem Tag dem Prüfungsamt gegenüber telefonisch ihre Prüfungsunfähigkeit geltend gemacht hat. Jedenfalls hätte sie jeweils spätestens am Prüfungstag, als sie sich aufgrund der entsprechenden ärztlichen Diagnose der krankheitsbedingten Verminderung ihrer Leistungsfähigkeit zweifellos bewusst war, dem Antragsgegner eine Rücktrittserklärung schriftlich übermitteln und die Gründe für den Rücktritt glaubhaft machen müssen. Eine solche schriftliche Erklärung hat sie nicht unverzüglich abgegeben, und zwar weder in Schriftform noch - worauf noch einzugehen ist - in elektronischer Form.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis einer unverzüglichen schriftlichen Rücktrittserklärung hätte der Antragstellerin jedenfalls bekannt sein müssen, da es - wie erwähnt - in der Studienordnung normiert ist. Sie ist überdies - ohne dass es darauf entscheidend ankommt - zu Beginn des Studiums ausdrücklich darauf hingewiesen und im Übrigen in dem am 13.12.2021 mit Herrn N.     geführten Telefonat hierauf nochmals eigens aufmerksam gemacht worden.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin eine schriftliche Erklärung spätestens am jeweiligen Prüfungstag nicht zumutbar gewesen wäre. Die Antragstellerin hat bereits am 13.12.2021 aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit dem Prüfungsamt zum Prüfungsrücktritt telefoniert und war darüber hinaus in der Lage, an eine Mitarbeiterin beim Studienort E.        eine E-Mail zu schicken. Ferner hat sie jeweils am Vormittag des Prüfungstags ihren Hausarzt aufgesucht. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, dass sie zu einer schriftlichen Erklärung und deren Übermittlung am 13.12.2021 bzw. jedenfalls am Prüfungstag außerstande gewesen wäre. Dem Vortrag, ein Besuch beim Hausarzt sei in erkranktem Zustand so anstrengend, dass es (stets) unzumutbar sei, unmittelbar nach Wiederkehr eine Mitteilung an das Prüfungsamt zu verfassen, kann in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden; abgesehen davon lässt er hinsichtlich der Prüfung am 14.12.2021 die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Rücktrittserklärung schon am 13.12.2021    außer Betracht. Näheres zu ihrem Zustand an den betroffenen Tagen hat die Antragstellerin - erst recht mit der Beschwerde - nicht angegeben, geschweige denn glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Glaubhaftigkeit der Behauptung, sie sei am 13.12.2021 sowie jeweils am Prüfungstag krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, eine schriftliche Erklärung abzugeben, wäre im Übrigen durchgreifenden Zweifel ausgesetzt, weil sie mit der Stellungnahme der Antragstellerin selbst vom 5.1.2021 nicht in Einklang stünde. In dieser Stellungnahme hat die Antragstellerin sich bezeichnenderweise nicht auf die Unzumutbarkeit der Abgabe der schriftlichen Rücktrittserklärung am 13.12.2021 bzw. jeweils am Prüfungstag infolge ihrer Erkrankung, sondern in erster Linie darauf berufen, da sie sich im Telefonat am 13.12.2021 bereits geäußert bzw. sich "abgemeldet" habe, sei sie im Glauben gewesen, dass diese Vorgehensweise ausreichend gewesen sei und sie sich "nicht explizit nochmal schriftlich" habe "abmelden" müssen. Im Weiteren hat sie zwar zunächst angegeben, sie habe sich nicht gut genug gefühlt, das Haus zu verlassen, dann aber wiederum angefügt, wenn ihr bewusst gewesen wäre, welche "Auswirkungen/Konsequenzen dies" habe, dann wäre ihr "eine solche Fahrlässigkeit sicher nicht passiert und schon gar nicht zweimal hintereinander", was auch gleichzeitig noch mal ihre Unwissenheit bestätige. Hieraus kann nur entnommen werden, dass die Antragstellerin zur Abgabe der Erklärung imstande gewesen wäre, sich aber über das Erfordernis einer unverzüglichen schriftlichen Erklärung nicht im Klaren gewesen sein will.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die Antragstellerin macht auch vergeblich geltend, an die Unverzüglichkeit der Rücktrittserklärung seien niedrigere Anforderungen zu stellen, weil es sich jeweils um ihren dritten und damit letzten Prüfungsversuch gehandelt habe, bzw., die Versagung der Genehmigung des Rücktritts sei vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig. Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass eine Absenkung der Anforderungen an die Unverzüglichkeit in Abhängigkeit vom jeweiligen Prüfungsversuch bzw. der Bedeutung der Entscheidung für den Prüfling zu Friktionen im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie zu unzuträglichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ohne dass es für den Streitfall darauf ankommt, sei darüber hinaus angemerkt, dass die Antragstellerin auch mit ihren E-Mails vom 15. bzw. vom 22.12.2021 die in § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A StudO BA angeordnete Schriftform nicht gewahrt haben dürfte. Nach der gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW anwendbaren Bestimmung des § 3a Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW kann eine - wie danach hier - durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. Eine abweichende Bestimmung zur Schriftform enthält jedenfalls die Studienordnung nicht. Der elektronischen Form genügt nach § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG NRW ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Eine qualifizierte elektronische Signatur weist soweit ersichtlich keine der beiden E-Mails auf. Es liegt auch kein Fall des § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG NRW vor. Insbesondere handelt es sich bei der Abgabe der Rücktrittserklärung unter Nutzung des (lediglich) herunterzuladenden "Formulars für den Nachweis der Prüfungsfähigkeit" nicht um die unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen, von der Behörde zur Verfügung gestellten Formular im Sinne des § 3a Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 VwVfG NRW,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">vgl. zu diesem Erfordernis Schulz in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019, § 3a Rn. 127,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">zumal das herunterzuladende Formular lediglich eine Erklärung des Arztes vorsieht.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur fehlenden Schriftform des Prüfungsrücktritts per E-Mail auch VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 14.8.2007 - 1 K 1091/07 -, juris Rn. 10 m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Der Antragsgegner hält gleichwohl die elektronische Übermittlung einer Rücktrittserklärung ohne Beachtung der Erfordernisse des § 3a Abs. 2 VwVfG NRW offenbar generell für zulässig, wie sein Vortrag im Streitfall belegt, die Antragstellerin hätte "ihre Rücktrittserklärungen mit einem Satz per E-Mail über ihr Smartphone an das Prüfungsamt versenden" können. Insoweit kann der Senat offen lassen, ob der Antragsgegner sich jedenfalls aufgrund der auf seiner Homepage veröffentlichen "Hinweise zum Rücktritt von Prüfungsleistungen" unter 2. an der darin als zulässig dargestellten Möglichkeit der elektronischen Übermittlung einer Rücktrittserklärung - offenbar ohne Wahrung der Anforderungen des § 3a Abs. 2 VwVfG NRW - festhalten lassen müsste. Dort heißt es: "Die für den Rücktritt geltend gemachten Gründe müssen dem Prüfungsamt unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntnis der Erkrankung oder des Hinderungsgrundes, entweder postalisch an HSPV NRW Zentralverwaltung, (…), oder elektronisch an (pruefungsunfaehigkeit@HSPV NRW.de) angezeigt und glaubhaft gemacht werden. Hierzu ist das entsprechende und auf der Homepage der HSPV NRW unter (…) bereitgestellte Formular 'Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung' zu nutzen." Dieses Formular kann, wie erwähnt, dort lediglich heruntergeladen, nicht aber elektronisch ausgefüllt werden. Die demnach offenbar beim Antragsgegner gängige Handhabung des § 19 Abs. 2 Teil A</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">StudO-BA mag zwar praktischen Bedürfnissen entsprechen und im Sinne der zurücktretenden Studierenden liegen, erscheint jedoch nach dem vorstehend Ausgeführten und vor dem Hintergrund der Wahrung der Chancengleichheit, der das Erfordernis der unverzüglichen Rücktrittserklärung auch dient,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 3.1.1994 - 6 B 5.93 -, a. a. O. Rn. 4,</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">rechtlich problematisch.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung bzw. die Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruhen auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3, 63 Abs. 3 GKG. Die Antragstellerin hat auf Nachfrage bestätigt, das ihr Antrag auch darauf gerichtet sein soll(te), den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig die Möglichkeit zu geben, die Klausur im Modul GS 2 (Eingriffsrecht/Staatsrecht) sowie die Klausur im Modul GS 6 (Verkehrssicherheitsarbeit) zu wiederholen. Der Senat bemisst den Streitwert insoweit gestützt auf § 52 Abs. 2 GKG auf 2.500 Euro je Prüfung. Er nimmt eine Halbierung des in Anlehnung an Nr. 36.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusetzenden Auffangwerts von 5.000 Euro vor, weil jedenfalls eine vollständige bzw. endgültige Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorliegt, da die Prüfung nur unter dem Vorbehalt des Erfolgs in der Hauptsache abgelegt wird. Der Streitwert wird für jede der hier betroffenen Prüfungen gesondert angesetzt, weil es sich nicht um Teilstudienleistungen, sondern jeweils um eine ein Modul abschließende Prüfung im Sinne des § 10 Abs. 2 Satz 1 VAPPol II Bachelor bzw. § 6 Abs. 2 VAPPol II Bachelor 2022 handelt, bei der das Nichtbestehen im - wie hier - Wiederholungsfall gemäß § 12 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 VAPPol II Bachelor bzw. § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 VAPPol II Bachelor 2022 jeweils eigenständig zum endgültigen Nichtbestehen der Bachelorprüfung und zur Beendigung der Ausbildung führt. Der Streitwert für den daneben gestellten und selbstständig zu bewertenden Antrag, der Antragstellerin unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu gestatten, wird gemäß § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG auf 6 x 1.355,68 = 8.134,08 : 2 Euro festgesetzt. Dabei war auch schon für das erstinstanzliche Verfahren davon auszugehen, dass der Antrag auf Fortsetzung der Ausbildung die erneute Berufung ins Beamtenverhältnis auf Widerruf umfasste, weil diese gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor bzw. § 5 VAPPol II Bachelor 2022 stets im Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgt. Der Senat hat insoweit ferner im Blick, dass dieses Begehren regelmäßig zu dem weiteren Streitgegenstand - Fortsetzung der Ausbildung - hinzutritt. Auch insoweit bleibt der Senat mangels vollständiger Vorwegnahme der Hauptsache bei der Halbierung des Betrags. Die sich ergebenden Streitwerte sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren (2 x 2.500 + 4.067,04). Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 E 288/22 verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,083
ovgnrw-2022-07-28-6-b-45622
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6 B 456/22
"2022-07-28T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:52"
"2022-10-17T17:55:41"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0728.6B456.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Beschwerden wird Abs. 3 der Beschlussformel des Verwaltungsgerichts wie folgt geändert:</p> <p>Die Antragsgegnerin zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 26 K 8376/21 vorläufig zu ermöglichen, die Laufbahnausbildung für den allgemeinen Verwaltungsdienst (1. Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2) fortzusetzen, und ihn für diesen Zeitraum erneut der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen zur Ausbildung zuzuweisen.</p> <p>Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.</p> <p>Der Antragsgegner zu 1. und die Antragsgegnerin zu 2. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.</p> <p>Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 7.000              Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die zulässigen Beschwerden haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die in den Beschwerdebegründungen dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses dahingehend, dass die Antragsgegner verpflichtet werden, dem Antragsteller die angestrebte Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zu 2., den Antragsteller erneut in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen, war nicht auszusprechen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung zum einen den Antragsgegner zu 1. (im Weiteren: Antragsgegner) verpflichtet, den Antragsteller vorläufig zu einer Wiederholung der Klausur in dem Modul 6.5 zum nächstmöglichen Prüfungstermin im letzten Prüfungsversuch zuzulassen, und zum anderen die Antragsgegnerin zu 2. (im Weiteren: Antragsgegnerin) verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung für den allgemeinen Verwaltungsdienst zu ermöglichen und ihn vorläufig dem Antragsgegner erneut zur Ausbildung zuzuweisen, bis über die Rechtmäßigkeit des Prüfungsbescheids im Hauptsacheverfahren rechtskräftig entschieden worden ist. Zu Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe jeweils sowohl einen entsprechenden Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung erweise sich der im Hauptsacheverfahren angegriffene Prüfungsbescheid der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) vom 4.11.2021, mit dem die Bewertung der Prüfungsleistung im Modul 6.5 als "nicht ausreichend" bekannt gegeben und das endgültige Nichtbestehen dieser Modulprüfung festgestellt worden sei, als rechtswidrig. Der vorliegende Anhörungsmangel könne zwar in den Grenzen des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW noch geheilt werden. Die Prüfungsentscheidung sei aber materiell rechtswidrig, weil anzunehmen sei, dass der Antragsteller von dieser Prüfung aus triftigem Grund zurückgetreten sei. Dieser habe ausreichend glaubhaft gemacht, dass seinem Rücktritt eine zur Prüfungsunfähigkeit führende Erkrankung zugrunde gelegen habe. Er habe seiner E-Mail vom 18.10.2021, dem Prüfungstag, einen Bericht des Krankenhauses, in dessen Notaufnahme er am Vorabend vorstellig geworden sei, beigefügt und darüber hinaus noch am Prüfungstag die Amtsärztin aufgesucht, die ihm Prüfungsunfähigkeit bescheinigt habe. Die Einschätzung der Amtsärztin habe der Antragsgegner nicht ernsthaft erschüttert. Angesichts des zusätzlich übersandten Attests des Hausarztes, den der Antragsteller am 18.10.2021 ebenfalls noch aufgesucht habe,    spreche vielmehr Überwiegendes dafür, dass dieser am Prüfungstag (jedenfalls auch) an einer zeitweiligen körperlichen Erkrankung gelitten habe, die ihn prüfungsunfähig gemacht habe. Davon ausgehend sei ebenfalls überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller bei entsprechender Geltendmachung im Hauptsacheverfahren wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs nach Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung ein Anspruch auf die begehrte Fortsetzung der Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf zugesprochen würde. Wesentliche Nachteile i. S. v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO habe der Antragsteller mit dem Hinweis auf eine erhebliche Ausbildungsverzögerung und die damit einhergehende Notwendigkeit, sein Prüfungswissen und seine Prüfungsfähigkeiten auf unbestimmte Zeit aufrecht zu erhalten, glaubhaft gemacht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf Verzögerungen der Ausbildung durch die tatsächlich auffällig gehäuften zahlreichen Prüfungsrücktritte in der Vergangenheit, da - wie vom Antragsgegner in der Vergangenheit stets bescheinigt - anzunehmen sei, dass diese jeweils aus triftigem Grund erfolgt seien. Dem Anordnungsgrund stehe ferner nicht entgegen, dass das Beamtenverhältnis auf Widerruf, in dem die Laufbahnausbildung erfolge, gemäß § 22 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 Ausbildungsverordnung erstes Einstiegsamt Laufbahngruppe 2 allgemeiner Verwaltungsdienst Land unabhängig von der Rechtmäßigkeit und vom Bestand der Prüfungsentscheidung kraft Gesetzes am Tag der Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens der Bachelorprüfung ende. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9.6.2020 im Verfahren 2 BvR 469/20 festgestellt habe, würde eine pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes hinsichtlich der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung und Wiederholung einer Prüfung dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">A. Die dagegen mit den Beschwerden der Antragsgegner jeweils erhobenen Einwände führen in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zu einer abweichenden Entscheidung.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">I. Es kann dahinstehen, ob - was der Antragsgegner in Frage stellt - an die begehrte Regelungsanordnung die besonderen Anforderungen anzulegen sind, die im Fall der Vorwegnahme der Hauptsache maßgeblich sind. Jedenfalls eine endgültige Vorwegnahme - die nur gegeben ist, wenn Anordnungs- und Klageantrag übereinstimmen und die erlassene Regelung nicht unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens steht, die begehrte vorläufige Entscheidung also einer endgültigen gleichkäme - liegt nicht vor. Die begehrte gerichtliche Eilentscheidung nimmt die Hauptsache nicht vollständig irreversibel vorweg, weil dem Antragsteller lediglich eine vorläufige Rechtsposition eingeräumt wird, die ihm abhängig vom Ergebnis des Hauptsacheverfahrens wieder entzogen werden kann. Denn hätte die negative Prüfungsentscheidung endgültig Bestand, weil sie sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erwiese, käme dem - infolge ihrer Vorläufigkeit unter den Vorbehalt der Hauptsacheentscheidung gestellten - Ergebnis der Wiederholungsprüfung in Bezug auf die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Laufbahnprüfung keine Rechtswirkung mehr zu. Eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht in der vorläufigen Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu sehen. Diese ist zeitlich beschränkt auf den Zeitraum des Hauptsacheverfahrens und erfolgt unbeschadet einer zwischenzeitlichen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses aus anderen Gründen, die - beispielsweise mangels gesundheitlicher Eignung des Antragstellers - weiterhin möglich ist. Sollte die Klage abgewiesen werden, kann das Ausbildungsverhältnis sowohl im Falle der Ableistung nach § 6 Abs. 2 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 des allgemeinen Verwaltungsdienstes (Bachelor) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5.8.2008, GV. NRW. S. 572, zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.8.2021, GV. NRW. S. 1046, (VAP2.1) als auch bei einer Ausgestaltung nach § 6 Abs. 1 VAP2.1 durch Kündigung des Vertragsverhältnisses oder Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf beendet werden. Entscheidet sich die Antragsgegnerin für eine Fortführung nach § 6 Abs. 1 VAP2.1, bedarf es zur Umsetzung der Eilentscheidung wegen der gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1 eingetretenen Entlassung kraft Gesetzes zuvor der erneuten Ernennung des Antragstellers zum Beamten auf Widerruf. Gleichwohl kann ihm die durch die Beschwerdeentscheidung gewährte Rechtsposition wieder entzogen werden.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat der Antragsteller - wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt - jedoch auch unter Zugrundelegung der Anforderungen, die im Fall einer Vorwegnahme der Hauptsache gelten, die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">II. In Bezug auf beide Anträge ist - im Hinblick auf den Antrag zu 2. im der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang - ein Anordnungsanspruch gegeben.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">1. Dies gilt zunächst für den auf vorläufige Zulassung zu einer Wiederholung der Klausur in dem Modul 6.5 gerichteten Antrag.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Insoweit ist der Vorwurf des Antragsgegners abwegig, dass erstinstanzlich eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des im Klageverfahren 26 K 8376/21 angefochtenen Prüfungsbescheids nicht erfolgt wäre. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf den Seiten 3 bis 8 des angefochtenen Beschlusses ausführlich erläutert, warum sich der Prüfungsbescheid vom 4.11.2021 nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist. Dass der Antragsgegner dem nicht zustimmt, wie sich aus seinem weiteren Beschwerdevorbringen ergibt, belegt nicht das beanstandete Fehlen einer solchen Prüfung.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Einwände des Antragsgegners gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts greifen nicht durch. Das gilt zunächst für dessen Annahme, grundsätzlich trage zwar der Prüfling die Darlegungs- und Beweislast für die seine Prüfungsunfähigkeit bewirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen; die Prüfungsbehörde sei indessen dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass eine bestehende, amtsärztlich bescheinigte Prüfungsunfähigkeit nicht anzuerkennen sei, weil sie Folge einer Dauererkrankung oder psychischen Beeinträchtigung sei. Ausgehend von der Erwartung, der Amtsarzt, zu dessen Tätigkeit das Ausstellen solcher Atteste gehöre, werde darin auch die erforderlichen inhaltlichen Angaben aufnehmen, dürfe sich ein Prüfling prinzipiell darauf verlassen, dass die amtsärztlichen Angaben zutreffend und inhaltlich ausreichend seien. Vor diesem Hintergrund sei die Prüfungsbehörde in Fallgestaltungen, in denen sie die Angaben in einem amtsärztlichen Gutachten als unzureichend oder unzutreffend ansehe, ihrerseits gehalten, unverzüglich eine weitere Sachaufklärung einzuleiten, etwa indem sie eine ergänzende Beurteilung des Amtsarztes herbeiführe, eine weitere ärztliche Begutachtung veranlasse oder auch die Vorlage weiterer ärztlicher Atteste fordere, von denen sie sich Erkenntnisse für die ihr obliegende Beurteilung verspreche. Das Verwaltungsgericht hat sich dazu auf höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung gestützt, wonach die Prüfungsbehörde ihrer Entscheidung darüber, ob ein wichtiger Grund für den Rücktritt von einer Prüfung vorgelegen hat, in aller Regel ein amtsärztliches Attest zugrunde legen muss, wenn sie keine anderslautenden Erkenntnisse hat oder durch eingehende ärztliche Begutachtung gewinnen kann. Nimmt die Prüfungsbehörde an, dass der Prüfling nicht nur akut für die konkrete Prüfung, sondern dauernd prüfungsunfähig ist, muss sie dies alsbald geltend machen und nach Möglichkeit durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens aufklären.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.6.1993 - 6 B 9.93 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Urteil vom 29.1.2020 - 19 A 3028/15 -, juris Rn. 73 ff., sowie Beschluss vom 18.4.2002 - 14 A 308/02 -, juris Rn. 4; Saarl. OVG, Urteil vom 26.1.2012 - 2 A 329/11 -, juris Rn. 59 ff.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer als Rücktrittsgrund geltend gemachten Prüfungsunfähigkeit lässt die Beschwerde bereits vermissen. Ohne Erfolg beruft sie sich stattdessen darauf, bei einer amtsärztlichen Bestätigung einer zur Prüfungsunfähigkeit führenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beeinflusse die Mitwirkungspflicht des Antragstellers aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht die Darlegungs- und Beweispflicht der Prüfungsbehörde dahingehend, dass sie darauf beschränkt sei, den Prüfling zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zu veranlassen. Das hilft schon deshalb nicht weiter, weil der Antragsteller der Aufforderung des Antragsgegners zur Stellungnahme nachgekommen ist; hierzu kann auf die entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (S. 7 des Beschlussabdrucks) verwiesen werden. Dass er sich etwa einer Schweigepflichtentbindung seines Hausarztes oder der Amtsärztin entgegengestellt hätte, ist weder vorgetragen noch sonst zu erkennen. Der Antragsgegner stellt sich vielmehr auf den Standpunkt, der Antragsteller habe seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt, weil das von ihm vorgelegte amtsärztliche Attest widersprüchliche Angaben enthalten habe, die dessen Beweiswert allgemein erkennbar habe zweifelhaft werden lassen. Darüber hinaus habe das Attest zu den noch nachgereichten ärztlichen Bescheinigungen in Widerspruch gestanden.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit dieser von der Würdigung des amtsärztlichen Attests durch das Verwaltungsgericht abweichenden Einschätzung dringt der Antragsgegner jedoch auch im Beschwerdeverfahren nicht durch. Seine Einwendungen gegen die tatsächlichen Feststellungen und Befunderhebungen der Amtsärztin und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zum (erheblich eingeschränkten) Leistungsvermögen des Antragstellers reichen nicht aus, den Beweiswert der amtsärztlichen Bestätigung der Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers zu entkräften. Eine Widersprüchlichkeit des amtsärztlichen Attests vom 18.10.2021 ist mit dem Einwand, die dort niedergelegten Beschwerden wie Durchfall, Erbrechen und Schwindel mit Schwächegefühl stellten lediglich eine Wiedergabe eines möglichen subjektiven Empfindens dar, während die körperliche Untersuchung bis auf einen geröteten Rachen und eine Druckempfindlichkeit in der Magengegend unauffällig gewesen sei, bereits nicht dargelegt. Die vom Patienten geschilderten Beschwerden werden typischerweise bei der ärztlichen Anamnese aufgenommen. Warum dieser körperliche Befund den vom Antragsteller beklagten Beschwerden widersprechen soll, ist nicht zu erkennen und wird vom Antragsgegner auch nicht erläutert.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Der behauptete unzureichende Beweiswert des amtsärztlichen Attests ergibt sich auch nicht aus der weiter gerügten Tatsache, diesem sei keine Diagnose zu entnehmen. Warum der Beweiswert des Attests dadurch nicht beeinträchtigt wurde, hat das Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Beschlussausdrucks überzeugend ausgeführt. Dem ist die Beschwerde nicht entgegengetreten. Insbesondere nimmt der Antragsgegner nicht dazu Stellung, warum er eine vom Verwaltungsgericht aufgezeigte weitere Aufklärung durch Einholung etwa einer Stellungnahme der Amtsärztin u. a. zu deren Diagnose unterlassen hat.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Anders als der Antragsgegner geltend macht, entkräften auch die vom Antragsteller vorgelegten weiteren ärztlichen Bescheinigungen seines Hausarztes vom 18.10.2021 nicht den Beweiswert des amtsärztlichen Attests. Der Hausarzt hat sich nicht, wie der Antragsgegner vorträgt, durch die von ihm ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Widerspruch zu einer am 8.10.2021 gestellten Diagnose verbunden mit einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.10.2021 gesetzt. Hintergrund waren zwar insoweit ausweislich des Formulars für den Nachweis der Prüfungsunfähigkeit tatsächlich Klagen des Antragstellers u. a. über Husten, Schnupfen, Kopf-, Glieder- und Rückenschmerzen sowie über Übelkeit, während der Hausarzt am 18.10.2021 eine Gastroenteritis, vermutlich ausgelöst durch eine Lebensmittelvergiftung, diagnostiziert hat. Dass er dennoch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.10.2021 als Folgebescheinigung bezeichnet und eine Arbeitsunfähigkeit vom 8.10. bis zum 20.10.2021 bescheinigt hat, entkräftet aber nicht durchgreifend den Beweiswert des amtsärztlichen Attests. Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.10.2021 im Hinblick auf die Angaben des Antragstellers, ab dem 16.10.2021 unter massivem Erbrechen und wohl nicht mehr unter den zuvor vor allem beklagten Erkältungssymptomen gelitten zu haben, als Erstbescheinigung hätte bezeichnet werden müssen, stellte dies nicht die Feststellungen in dem amtsärztlichen Attest in Frage. Denn der dort niedergelegte Befund stimmt in den hier maßgeblichen Teilen mit der Diagnose des Hausarztes überein, die wiederum im Einklang mit den Feststellungen der Notfallambulanz des Q.      -Krankenhauses in X.         am 17.10.2021 steht, wohin sich der Antragsteller wegen starken Erbrechens begeben hatte.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Der Vortrag des Antragsgegners, hinreichende Möglichkeiten zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden bzw. wären im Hinblick auf eine beim Antragsteller vermutete Prüfungsangst voraussichtlich erfolglos geblieben, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Es wäre immerhin denkbar gewesen, ergänzende Stellungnahmen der Amtsärztin oder auch des Hausarztes, aber auch der den Antragsteller am 17.10.2021 behandelnden Ärztin in der Notaufnahme des Q.      -Krankenhauses einzuholen. Soweit der Antragsgegner beim Antragsteller eine symptomatische Prüfungsangst vermutet und geltend macht, diese sei einem Beweis kaum zugänglich, entbindet dies nicht von den oben genannten Maßgaben der Rechtsprechung. Dabei trifft es nicht nur zu, dass Prüfungsstress und Examensangst der Risikosphäre des Prüflings zugerechnet werden und keinen Fall der Prüfungsunfähigkeit darstellen,</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">vgl. dazu OVG Berlin-Bbg, Beschluss vom 21.7.2014 - OVG 10 S 5.14 -, NVwZ-RR 2014, 889 = juris Rn. 18 m. w. N., OVG NRW, Urteil vom 3.11.2005 ‑ 14 A 3101/03 -, MedR 2007, 51 = juris Rn. 31 ff., sowie Beschluss vom 16.2.2004 - 14 A 3057/03 -, NVwZ-RR 2004, 497 = juris Rn. 14 ff.,</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">sondern auch, dass bei dem Antragsteller angesichts sowohl der außergewöhnlich hohen Zahl der Prüfungsrücktritte und deren Begründung als auch der vornehmlich im Zusammenhang mit Prüfungen auftretenden Erkrankungen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Dauerleidens in Gestalt der Prüfungsangst bestehen. So ist der Antragsteller bereits zwischen dem 6. und dem 15.2.2021 neunmal von Prüfungen zurückgetreten, weil er wegen Übelkeit und/oder Erbrechens bzw. Kopfschmerzen prüfungsfähig gewesen ist. Weitere Ermittlungen der HSPV NRW im Hinblick auf eine Migräneerkrankung sind ohne Ergebnis geblieben. Bei vier weiteren Prüfungsrücktritten zwischen dem 6.5.2021 und dem 10.9.2021 hat der Antragsteller seine Prüfungsunfähigkeit jeweils auf den Verdacht einer Infektion mit dem Coronavirus gestützt, ohne dass sich dieser in auch nur einem Fall bestätigt hätte. In diesem Zusammenhang hätte der Antragsgegner auch berücksichtigen können, dass dem Antragsteller erst durch Verfügung vom 5.10.2021, zugestellt am 7.10.2021, - erneut - eine amtsärztliche Begutachtung bei weiteren krankheitsbedingten Prüfungsrücktritten auferlegt worden ist. Er sollte zwar bereits ab dem 10.8.2020 für den Fall des krankheitsbedingten Rücktritts von jeder weiteren Klausur des ersten Studienjahrs im Erstversuch und in den Wiederholungen zwingend ein amtsärztliches Attest vorlegen. Diese Auflage wurde jedoch anschließend wegen der Überlastung des Amtsarztes durch die aktuelle Situation nicht konsequent umgesetzt. Tatsächlich ist der Antragsteller vor den Untersuchungen am 8. und 18.10.2021 lediglich am 5. und am 15.2.2021 amtsärztlich im Hinblick auf eine Prüfungsunfähigkeit untersucht worden. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass weitere Ermittlungen gerade auch unter Einbeziehung des Amtsarztes von vorneherein nicht erfolgversprechend gewesen wären.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Ohne Erfolg hält der Antragsgegner schließlich mit der Beschwerde an seiner Auffassung fest, der ihm obliegenden weiteren Aufklärung des Sachverhalts mit der E-Mail vom 20.10.2021 an den Antragsteller genügt zu haben. Das ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht der Fall. Der Antragsgegner hat sich in dem betreffenden Schreiben im Wesentlichen auf folgende Aussage bzw. Aufforderung beschränkt:</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">"Die Nichtteilnahme an einer Prüfungsleistung stellt einen Prüfungsrücktritt dar. Sie haben ein Attest vom Amtsarzt eingereicht. Dieses zeigt jedoch keinerlei Auffälligkeiten, weshalb ich Sie bitte, nochmals selbst Stellung zu dem Prüfungsrücktritt zu nehmen.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, bis zum 27.10.2021 schriftlich zu dem oben angeführten Sachverhalt Stellung zu nehmen. Bitte teilen Sie mit, weshalb Sie nicht an der Prüfungsleistung teilgenommen haben. Die Stellungnahme kann gerne per E-Mail erfolgen."</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Dem Schreiben ist bereits nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, im Hinblick auf welchen "Sachverhalt" die Stellungnahme erfolgen soll. Vielmehr ist die Formulierung, das amtsärztliche Attest zeige "keinerlei Auffälligkeiten", missverständlich. Gemeint ist wohl, dass die körperliche Untersuchung dem Attest zufolge bis auf einen geröteten Rachen und eine Druckempfindlichkeit in der Magengegend zu keinem auffälligen Befund geführt hat. Dass ein Attest keine Auffälligkeiten aufweist, kann allerdings ohne Weiteres auch dahin verstanden werden, dass die Bescheinigung selbst nach Einschätzung der Prüfungsbehörde unauffällig ist.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Unabhängig davon lässt die Anfrage offen, in welcher Richtung die Prüfungsbehörde den Sachverhalt mit Hilfe der Stellungnahme des Antragstellers weiter aufklären möchte. Das gilt - wie ausgeführt - insbesondere hinsichtlich einer vermuteten Prüfungsangst und der Einschätzung, dass eine Prüfungsunfähigkeit, die ihre Ursache in einem Dauerleiden bzw. einer psychischen Beeinträchtigung, das heißt einer krankheitsbedingten generellen und damit zur Person des Prüflings gehörenden Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit hat, den Rücktritt von einer Prüfung nicht rechtfertigen könne.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Warum dieser Verdacht in der E-Mail - anders als beispielsweise anlässlich einer weiteren Aufklärung im Hinblick auf das Dauerleiden "Migräne" mit E-Mail vom 25.5.2020 und vom 30.10.2020 - nicht erwähnt ist, erläutert die Beschwerde nicht. Nicht nachzuvollziehen ist ferner, warum die Prüfungsbehörde den von ihr angenommenen Widersprüchen innerhalb des amtsärztlichen Attests selbst und im Verhältnis zu den weiteren ärztlichen Bescheinigungen nicht durch eine Rückfrage bei der Amtsärztin bzw. durch eine Aufforderung an den Antragsteller nachgegangen ist, zu bestimmten Fragen eine ergänzende Stellungnahme des Hausarztes beizubringen, wie etwa bereits mit E-Mail vom 23.9.2021 geschehen. Dazu nimmt der Antragsgegner mit seiner Beschwerde nicht Stellung, obwohl das Verwaltungsgericht weitere Aufklärungsmöglichkeiten aufgezeigt hat.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Auf die fehlende Schriftform des Rücktritts, die § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (StudO BA) anordnet,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">vgl. hierzu Senatsbeschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 B 458/22,</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">hat sich der Antragsgegner nicht, insbesondere auch mit der Beschwerde nicht berufen, so dass dem Senat eine entsprechende Prüfung schon gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO versperrt ist.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">2. Der Antragsteller hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang auch hinsichtlich des Antrags zu 2. die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Jener Antrag ist darauf gerichtet, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen und ihn dem Antragsgegner erneut zur Ausbildung zuzuweisen, bis über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Prüfungsbescheides endgültig entschieden worden ist.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist die begehrte Fortsetzung der Laufbahnausbildung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG (i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1) kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen ist mit der Folge, dass er gemäß § 24 FHGöD auch nicht mehr Mitglied der HSPV NRW ist und keine Berechtigung zur Fortsetzung des Studiums hat. Auch der Senat geht davon aus, dass in Fällen, in denen nach Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung deren Wiederholung bzw. Neubewertung und daneben die Fortsetzung der Laufbahnausbildung begehrt wird, nicht bereits die Regelung des § 22 Abs. 4 BeamtStG (i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1) der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gemäß § 123 VwGO entgegensteht.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">In der Vergangenheit hat der Senat angenommen, die begehrte (vorläufige) Fortsetzung der Laufbahnausbildung sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beamte mit dem endgültigen Nichtbestehen der für die Laufbahn vorgeschriebenen Prüfung gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen sei und eine Fortsetzung der Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses nicht in Betracht komme, bzw. mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis die erforderliche Zuweisung durch die Ausbildungsbehörde gemäß § 22 Abs. 1 und 2 FHGöD nicht mehr vorliege. Auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung und deren Bestandskraft komme es in diesem Zusammenhang nicht an.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21.2.2018 ‑ 6 B 53/18 -, juris Rn. 5 ff. m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Dieser Rechtsstandpunkt kann im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 - nicht aufrechterhalten werden. Danach wird die pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf vorläufige Fortsetzung einer Laufbahnausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses gestützt auf den Eintritt der Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Es bestünden - so das Bundesverfassungsgericht - besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar, abgesehen davon, dass bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene darüber hinaus gehalten seien, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet sei. Mit Rücksicht darauf könne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht pauschal gestützt auf die Sperrwirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG ausgeschlossen werden. Wenn dem Entlassenen vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung - etwa in Gestalt der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung durch Neubegründung eines Beamtenverhältnisses oder außerhalb eines solchen, der vorläufigen Zulassung zur Wiederholungsprüfung oder der vorläufigen Neubewertung - gewährt werde, bleibe die Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG mit Blick auf das bisherige Beamtenverhältnis an sich unangetastet. Zwar komme es für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung aufgrund der gestuft prüfungs- und beamtenrechtlichen Hauptsache (zunächst Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung gegebenenfalls in Kombination mit einer Neubewertung oder Wiederholung der Prüfung und sodann Neubegründung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs) auf die prüfungsrechtlichen Einwendungen an. Bei Gewährung des skizzierten einstweiligen Rechtsschutzes werde die Beendigungswirkung jedoch gerade respektiert. Der einstweilige Rechtsschutz setze zeitlich später an als die Beendigungswirkung und operiere mit dieser, ohne sie aus regelungssystematischer Sicht zu suspendieren.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. zum Ganzen BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 -, NVwZ 2020, 1187 = juris Rn. 25 ff.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Dies zugrunde gelegt ist in einer Konstellation, wie sie im Streitfall vorliegt, im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufiger Rechtsschutz in geeigneter Form zu gewähren, sofern die prüfungsrechtlichen Einwendungen hierzu Anlass geben.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Ebenso im Anschluss an das BVerfG Sächs. OVG, Beschluss vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 5; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 6.5.2021 ‑ 2 MB 29/20 -, NVwZ-RR 2021, 987 = juris Rn. 14 ff; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.2.2022 - 26 L 2647/21 -, juris Rn. 37.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Diese Grundsätze gelten im Hinblick auf den insoweit ebenfalls maßgeblichen § 22 Abs. 4 BeamtStG und die vergleichbaren Regelungen in § 8 Abs. 1 und 2 Nr. 2 VAP2.1 auch für die im vorliegenden Fall einschlägige Ausbildung bezogen auf eine Laufbahn in der allgemeinen Verwaltung im Sinne dieser Verordnung.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Hiervon ausgehend steht dem Antragsteller ein Anspruch darauf zu, seine Ausbildung fortsetzen zu können. Wie bereits ausgeführt, ist die Bewertung der Prüfung im Modul 6.5 mit "nicht ausreichend" und die darauf beruhende Feststellung eines endgültigen Nichtbestehens der Bachelorprüfung aller Voraussicht nach rechtswidrig. Der Antragsteller ist nicht i. S. v. § 19 Abs. 1 Teil A StudO BA ohne triftigen Grund nicht zur Prüfung am 18.10.2021 erschienen, er hat vielmehr einen solchen Grund zumindest nach der aktuellen Verwaltungspraxis des Antragsgegners den Anforderungen des § 19 Abs. 2 Teil A StudO BA entsprechend unverzüglich angezeigt und glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II.1. verwiesen. Der Anspruch auf vorläufige Fortsetzung der Ausbildung umfasst auch die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller erneut i. S. v. § 22 Abs. 1 Satz 1 FHGöD der HSPV NRW zuzuweisen, damit er als Mitglied der Fachhochschule an dem von ihm begonnenen Studiengang teilnehmen und die anstehenden Prüfungen absolvieren kann, wobei allerdings die Anerkennung sämtlicher weiterer Studienleistungen unter dem Vorbehalt eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren stehen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Dem treten die Antragsgegner mit ihren Beschwerden im Grundsatz nicht entgegen. Sie wenden sich allerdings gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die begehrte vorläufige Fortsetzung der Ausbildung könne nur im Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgen. Sie machen insoweit geltend, die VAP2.1 sehe gemäß § 6 Abs. 2 als Alternative vor, dass zugelassene Personen, die für eine Tätigkeit auf der Funktionsebene der Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 befähigt werden sollen, für die Dauer der Ausbildung und Prüfung mit der Einstellungsbehörde einen Vertrag für das Studium im Beschäftigungsverhältnis abschließen, was ausreiche und die öffentlichen Interessen wahre. Damit setzen sie den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das ausgehend von den Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 9.6.2020 - 2 BVR 469/20 - einen Folgenbeseitigungsanspruch angenommen hat, nichts entgegen, sondern berufen sich der Sache nach auf das Fehlen eines diesbezüglichen Anordnungsgrundes (dazu nachfolgend). Der Senat kann vor diesem Hintergrund unerörtert lassen, ob in Bezug auf die begehrte vorläufige Fortsetzung der Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf ein (Anordnungs-) Anspruch besteht.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">III. Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch zutreffend angenommen, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund in Bezug auf die begehrten vorläufigen Regelungen glaubhaft gemacht hat. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegner greifen nur insoweit durch, als das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet hat, den Antragsteller erneut ins Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">1. Im Hinblick auf die Verpflichtung der Antragsgegner in dem der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang besteht ein Anordnungsgrund.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Zunächst ist wiederum der Vorwurf einer unzureichenden Prüfung des Anordnungsgrundes durch das Verwaltungsgericht unberechtigt. Der angefochtene Beschluss setzt sich auf Seite 8 und 9 mit den Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes und den insoweit erstinstanzlich geäußerten Einwänden des Antragsgegners auseinander. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts reicht für die Darlegung eines Anordnungsgrundes auch im vorliegenden Fall der Verweis darauf aus, dass einerseits durch die regelmäßige Dauer eines prüfungsrechtlichen Klageverfahrens eine erhebliche Ausbildungsverzögerung droht und andererseits für den Antragsteller die Notwendigkeit besteht, sein Prüfungswissen und seine Prüfungsfähigkeiten auf unbestimmte Zeit präsent zu halten. Dies ist nicht zu beanstanden. Auf diese beiden Gesichtspunkte hat sich der Antragsteller bereits in seiner Antragsschrift berufen und insoweit auf die einschlägige Rechtsprechung nicht zuletzt des Bundesverfassungsgerichts in seinem Kammerbeschluss vom 9.6.2020 -</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">2 BvR 469/20 -, a.a.O. Rn. 25 und 29 -</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Bezug genommen. Die Rüge des Antragsgegners, das Verwaltungsgerichts habe diese auch in der Beschwerdebegründung zitierten Passagen nicht hinreichend berücksichtigt, bleibt ohne Erfolg. Eine unzureichende Betrachtung des vorliegenden Einzelfalls ist nicht festzustellen. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass die oben genannten gravierenden und irreparablen Nachteile auch im vorliegenden Fall eintreten werden, wenn mehrere Jahre bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Prüfungsbescheides vergehen; der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nur entnommen werden, dass die Nachteile regelmäßig - und so auch hier - von hinreichendem Gewicht sind, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Einer Grundlage entbehrt der Vortrag, dass es bei dem Antragsteller gar kein relevantes Prüfungswissen gebe, das er während des Hauptsacheverfahrens präsent und aktuell zu halten hätte. Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass dem Antragsteller die Verzögerung der Ausbildung durch Prüfungsrücktritte, die von der HSPV NRW in der Vergangenheit als aus triftigem Grund erfolgt anerkannt wurden, nicht als selbstverschuldet entgegen gehalten werden kann.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Anders als der Antragsgegner behauptet, können die festgestellten drohenden Nachteile auch durch eine vorläufige Fortsetzung der Ausbildung vermieden werden. Es trifft nicht zu, dass der Antragsteller, wenn er tatsächlich zwischenzeitlich sämtliche Studienleistungen einschließlich der Bachelorarbeit mit Erfolg absolvieren sollte, nicht zum Kolloquium zugelassen werden könnte, weil er im Fall des Bestehens die angestrebte Laufbahnbefähigung erhalten und in ein Beamtenverhältnis auf Probe übernommen würde, obwohl er die Ausbildung nur vorläufig fortgesetzt hätte. Der vom Antragsgegner auf Seite 9 der Beschwerdeschrift skizzierte Automatismus ist so nicht vorgesehen und ergibt sich weder aus dem zitierten § 17 Abs. 1 Satz 2 Teil A StudO BA noch aus § 22 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG bedarf die Umwandlung des Beamtenverhältnisses in ein solches anderer Art vielmehr einer Ernennung. Der Antragsteller könnte allerdings, sollte das Hauptsacheverfahren bis zum Ende der vorläufig absolvierten Ausbildung noch nicht abgeschlossen sein, nicht in den allgemeinen Verwaltungsdienst als Beamter auf Probe aufgenommen werden, weil seine Studienleistungen nur vorläufig sind und ihm gerade nicht endgültig die Laufbahnbefähigung vermitteln.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Vergeblich wendet der Antragsgegner schließlich ein, bereits nach dem derzeitigen Ausbildungsstand des Antragstellers sei aufgrund der durch die Vielzahl anerkannter Prüfungsrücktritte eingetretenen Verzögerung ein erfolgreicher Abschluss innerhalb der nach § 10a Abs. 1 Satz 3 VAP2.1 vorgesehenen Studiendauer nicht zu erwarten. Dass dies der Fall ist, hat der Antragsgegner nicht hinreichend konkret dargelegt; der Antragsteller befindet sich seit dem 1.9.2019 und damit erst rund zwei Jahre in der Ausbildung. Angemerkt sei allerdings, dass die mit diesem Beschluss ergehende einstweilige Anordnung bei einem Überschreiten der maximalen Zeitvorgabe des Studiums nach § 10a Abs. 1 VAP2.1 einer Entlassung bzw. einem Ausscheiden aus der Ausbildung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 VAP2.1 nicht entgegenstünde.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">2. Kein Anordnungsgrund ist hingegen im Streitfall anzunehmen, soweit das Verwaltungsgericht die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen und ihn zu diesem Zweck der HSPV NRW zuzuweisen, mit der weiteren Verpflichtung verbunden hat, ihn erneut ins Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Antragsgegner weisen mit Erfolg darauf hin, dass es der vom Verwaltungsgericht angeordneten erneuten Ernennung des Antragstellers zum Beamten auf Widerruf nicht bedürfe, um dem Begehren, wie es in den erstinstanzlichen Anträgen zum Ausdruck kommt, in Gänze zu entsprechen. Gemäß § 6 Abs. 1 und 2 VAP2.1 kann die Ausbildung sowohl im Beamtenverhältnis auf Widerruf als auch in einem vertraglichen Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt werden; insoweit liegt es anders als etwa im Fall von Kommissaranwärtern, die gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor (stets) in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen werden.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu Senatsbeschluss vom heutigen Tag - 6 B 458/22 -.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die erneute Zuweisung an die HSPV NRW, die gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 FHGöD für die vorläufige Fortsetzung der Laufbahnausbildung erforderlich ist. Für den Fall, dass der Antragsteller die Ausbildung vorläufig auf der Grundlage eines Vertrages für das Studium im Beschäftigungsverhältnis i. S. v. § 6 Abs. 2 VAP2.1 fortsetzen sollte, ergibt sich aus § 3 Abs. 4 Nr. 3 Satz 3 FHGöD, dass zu den an der HSPV NRW angebotenen Studiengängen auch nichtbeamtete Studierende zugelassen und entsprechend ebenfalls durch die Einstellungsbehörde der Fachhochschule zugewiesen werden.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Zwingende Gründe, die eine Fortsetzung der Ausbildung für den Antragsteller nur im Beamtenverhältnis auf Widerruf geböten, sind nicht ersichtlich. Denn aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich nach dem einschlägigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 lediglich ein Anspruch des Prüflings darauf ableiten, im Wege einer einstweiligen Anordnung irreversible Nachteile durch eine Verzögerung der für den Zugang zu einem Amt erforderlichen Laufbahnausbildung abzuwenden. Dieser wird mit der tenorierten Anordnung erfüllt. Stehen der Einstellungsbehörde wie im vorliegenden Fall mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, den Prüfling zwecks vorläufiger Fortsetzung der Laufbahnausbildung erneut zu beschäftigen, fehlt für eine Verpflichtung zur Umsetzung nur einer dieser Möglichkeiten der Anordnungsgrund. Soweit der Antragsteller nunmehr noch vorgetragen hat, er müsse im Sinne einer Folgenbeseitigung zum Beamten auf Widerruf ernannt werden, weil er als solcher zu Beginn seines Ausbildungsverhältnisses eingestellt worden sei, zielt dies allein auf den Anordnungsanspruch ab, belegt aber nicht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Ein teilweises Unterliegen des Antragstellers liegt nicht vor, weil dessen Antrag darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG. Der Senat bemisst den Streitwert für die begehrte Zulassung zur Wiederholungsprüfung im Modul 6.5 gestützt auf § 52 Abs. 2 GKG auf 2.500 Euro. Er nimmt insoweit eine Halbierung des in Anlehnung an Nr. 36.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusetzenden Auffangwerts von 5.000 Euro vor, weil eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache - wie dargelegt - nicht vorliegt, da die Prüfung nur unter dem Vorbehalt des Erfolgs in der Hauptsache abgelegt wird. Für den daneben gestellten und selbstständig zu bewertenden Antrag, dem Antragsteller unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu ermöglichen, wird gemäß § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG ein Streitwert i. H. v. 4.067,04 Euro - (6 x 1.355,68 Euro) : 2 - angesetzt. Auch insoweit bleibt der Senat mangels vollständiger Vorwegnahme der Hauptsache bei der Halbierung des Betrags. Die sich ergebenden Streitwerte sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren. Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 E 288/22 verwiesen. Eine Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung erfolgt durch jenen Beschluss und ist infolgedessen hier entbehrlich.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,531
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S 10 SO 2576/21
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-09-13T10:01:54"
"2022-10-17T11:10:04"
Urteil
<h2>Tenor</h2> <p>1. Die Klage wird abgewiesen.</p><p>2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.</p><p/> <h2>Tatbestand</h2> <table><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf heilpädagogische Leistungen nach § 79 SGB IX als Einzelleistung bereits ab dem 01.04.2020 hat.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Die am 04.12.2016 geborene Klägerin beantragte am 20.04.2020 vertreten durch ihre Mutter bei der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt ... unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der kinder- und jugendärztlichen Gemeinschaftspraxis Dres. ... und ... eine heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung. Aus der ärztlichen Verordnung vom 06.03.2020 lässt sich die Diagnose: Verhaltensauffälligkeit entnehmen sowie der Zusatz, dass eine heilpädagogische Betreuung erforderlich sei. Bezugnehmend auf das elterliche Wunsch- und Wahlrecht solle die heilpädagogische Frühförderung durch das Heilpädagogische Zentrum ... – ... – durchgeführt werden. Es liege bereits eine Zusage des Leistungserbringers vor, mit der Förderung könnte sofort begonnen werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Per E-Mail vom 23.04.2020 teilte die Stadt ... der Klägerin mit, dass die eingereichten Unterlagen für eine Entscheidung über den Antrag nicht ausreichend seien. Notwendig sei eine Behandlungsempfehlung einer interdisziplinären Frühförderstelle oder eines Sozialpädiatrischen Zentrums. Aus einer solchen Behandlungsempfehlung gehe der qualitative und quantitative Behandlungsumfang hervor und bilde die Basis für die Entscheidung über die Kostenübernahme.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Mit Schreiben vom 29.04.2020 schaltete sich Dr. ..., der Leiter von ..., in das Verfahren ein und bat um unverzügliche Bewilligung der beantragten Leistung. Zur Begründung führte er aus, die zusätzliche verlangte Diagnostik sei seines Erachtens nicht notwendig und sogar rechtswidrig. Seinem Schreiben fügte er eine rechtliche Stellungnahme des Professors für Sozialrecht an der Hochschule ... vom 29.04.2020 bei. Aus dieser rechtlichen Stellungnahme lässt sich Folgendes entnehme:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/><em>„Sofern Eltern für leistungsberechtigte Kinder heilpädagogische Leistungen nur als Einzelleistung und nicht – im Zusammenhang mit Leistungen der Frühförderung – als Komplexleistung beantragt haben, ist die Forderung des zuständigen Rehabilitationsträgers nach einer zusätzlichen Diagnostik in einer interdisziplinären Frühförderstelle nicht nur nicht notwendig, sondern auch rechtswidrig. Ziel des SGB IX ist es, Teilhabeleistungen so frühzeitig zu erbringen, dass der Eintritt einer Behinderung möglichst vermieden wird (vgl. nur § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Durch die hier zusätzlich geforderte Diagnostik in einer Frühförderstelle kommt es aber zu nicht erforderlichen Verzögerungen. Es erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht, warum bei als Einzelleistung beantragten heilpädagogischen Leistungen eine zusätzliche Diagnostik in einer interdisziplinären Frühförderstelle erforderlich sein soll. Dies wäre dann sinnvoll, wenn zusätzlich zu den heilpädagogischen Leistungen der Frühförderung Leistungen der medizinischen Rehabilitation als Komplexleistung beantragt worden wären. […] Jede andere Sichtweise würde dazu führen, dass der Reha-Träger über den im Antrag der Eltern bezeichneten Leistungsumfang hinausgehen würde, was jedoch unzulässig ist. Sofern also der Reha-Träger keine geeignete Rechtsgrundlage für die zusätzliche Diagnostik benennen kann, sollte die zügige Leistungsbewilligung durch die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes sichergestellt werden.“</em></td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>Am 28.05.2020 erwiderte die Direktorin der Sozial- und Jugendbehörde ... dass die Stadt ... die Rechtsauffassung des Städte- und Landkreistages Baden-Württemberg teilen würde, wonach solitäre Frühförderleistungen in Form einer Einzelleistung auch außerhalb der Landesrahmenvereinbarung möglich seien. Die Landesrahmenvereinbarung regele ausschließlich die Erbringung von sogenannten Komplexleistungen. Seien allerdings heilpädagogische Leistungen im Sinne der Frühförderdiagnostik erforderlich, so würden die Eingliederungshilfeträger zunächst eine Diagnostik durch die in der Landesrahmenvereinbarung genannten Frühfördereinrichtungen erwarten. Den nachfragenden Eltern bzw. Kindern würden in ... zwei Einrichtungen zur Verfügung stehen. Deshalb sollte es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommen. Es könnte deshalb eine Empfehlung innerhalb kürzester Zeit erfolgen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Nachdem sich Dr. ... am 17.06.2020 mit einem weiteren Schreiben an den Bürgermeister der Stadt ... gewandt hatte und sich die Direktorin ... in Beantwortung dieses Schreibens wiederholt auf die Landesrahmenvereinbarung berufen hat, legte Dr. ... am 28.07.2020 eine erneute rechtliche Stellungnahme von Prof. Dr. ... vom 08.07.2020 vor.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>In seiner erneuten rechtlichen Stellungnahme führte Prof. Dr. ... ergänzend aus, dass als Voraussetzung von § 79 Abs. 1 S. 1 SGB IX nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten sein müsse, dass durch die heilpädagogischen Leistungen eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt werden könne oder die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können. Als „fachliche Erkenntnis“ zähle das Urteil der an der Aufgabe der Erbringung heilpädagogischer Leistungen beteiligten Disziplinen. Die „fachliche Erkenntnis“ werde in der Regel durch ein Gutachten nachzuweisen sein, das durch eine fachlich befähigte Stelle oder einen <span style="text-decoration:underline">Arzt</span> mit einer entsprechenden prognostischen Aussage zur Erreichbarkeit der alternativ geltenden Ziele erstellt werde. […] Insoweit dürfte auch die Verordnung durch einen Kinder- und Jugendarzt ausreichend sein, sofern sie eine geeignete Begründung enthält und damit als „Fachgutachten“ anzusehen sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>Im Folgenden teilte die Frühförderstelle der Reha SW auf Nachfrage der Stadt ... am 30.07.2020 mit, dass die Mutter der Klägerin Anfang Juli 2020 einen Termin für den 10.08.2020 ausgemacht habe, dieser aber auf Anweisung von Dr. ... wieder abgesagt worden sei.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>Mit Schreiben vom 05.08.2020 wurde der Klägerin erneut die Sach- und Rechtslage erläutert. Ein gleichlautendes Schreiben ging an Dr. ....</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>Am 04.03.2021 stellte die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, welcher mit Beschluss vom 05.03.2021 (S 5 SO 646/21) abgelehnt wurde.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Schließlich fand am 21.05.2021 und am 31.05.2021 eine Befunderhebung in der interdisziplinären Frühförderstelle ... der Reha-Südwest gGmbH statt. In ihrem Kurzbericht vom 02.07.2021 gelangte die Heilpädagogin ... zu folgendem Ergebnis:</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Bei der Klägerin würden umfassende Auffälligkeiten in verschiedenen Entwicklungsbereichen bestehen. Die standardisierte Überprüfung der Kognition werde durch erhebliche Schwierigkeiten in der Konzentrations- und Aufmerksamkeitslenkung beeinflusst. Aufgrund der Schwierigkeiten in der Wahrnehmungsverarbeitung und Motorik sei die Aufnahme von Ergotherapie indiziert. Aufgrund von Auffälligkeiten im Bereich Phonetik – Phonologie erscheine logopädische Therapie sinnvoll. Medizinische Therapien sollten in Intervallen erfolgen. Um die Teilhabe nicht weiter zu gefährden, sowie zum Erlernen sozialer Kompetenzen und zur Förderung des Kontaktverhaltens werde die Aufnahme einer heilpädagogischen Entwicklungsförderung empfohlen. Dies könne im Rahmen einer Komplexleistung erfolgen. Sofern die heilpädagogische Entwicklungsförderung in einer niedergelassenen Praxis durchgeführt werde, müsse dieses auf Heilmittelverordnung erfolgen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Mit Bescheid vom 30.07.2021 wurde eine Leistungsbewilligung ausgesprochen für die Zeit ab 01.05.2021.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Hiergegen legte die Klägerin am 12.08.2021 Widerspruch ein, mit welchem sie sich gegen den zeitlichen Beginn der Leistung gewandt hat. Ihrer Ansicht nach müsste die Leistung bereits ab April 2020 erfolgen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2021 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 99 SGB IX seien Leistungen der Eingliederungshilfe den Personen zu gewähren, die auch nach der bis 31.12.2019 geltenden Textfassung von § 53 Abs. 1 SGB XII anspruchsberechtigt gewesen seien. Die Bestimmungen der §§ 1- 3 Eingliederungshilfe-Verordnung (EingIHV) würden weiterhin entsprechend gelten. Aufgrund der mittlerweile vorliegenden Befunde sei vom Bestehen einer seelischen und/oder geistigen wesentlichen Behinderung auszugehen (§§ 2, 3 Nr. 2 EingIHV). Damit sei die Klägerin dem Grunde nach anspruchsberechtigt im Rahmen der Eingliederungshilfe. Zum Leistungskatalog der Eingliederungshilfe würden auch Leistungen zur sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) zählen und diese wiederum würden u. a. heilpädagogische Frühförderung (§§ 113 Abs. 2 Nr. 3, 79, 46 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IX) umfassen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>Soweit der zeitliche Bewilligungsbeginn (01.05.2021) angesprochen worden sei, sei auf das gesetzlich verankerte Antragserfordernis hinzuweisen. Danach würden Leistungen der Eingliederungshilfe nur auf Antrag erbracht (§ 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Der Antrag wirke höchstens zum ersten Tag des Antragsmonates zurück, wenn - aber nur dann, wenn - zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen hätten (§ 108 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Insofern sei die rechtliche Einordnung der Heilpädagogik von Bedeutung. Die Entscheidung über die Frage „Einzelleistung oder Komplexleistung" habe zu erfolgen im Anschluss an eine interdisziplinäre Diagnostik. Erst im Laufe des Monates 05/2021 (also über ein Jahr nach Ihrem Leistungsantrag) sei die interdisziplinäre Diagnostik durchgeführt worden, welche i.Ü. das Erfordernis einer Komplexleistung (also den Regelfall) bestätigt habe. Die für eine solche Komplexleistung zu beachtende Leistungsvoraussetzung der interdisziplinären Diagnostik sei also erst im Monat 05/2021 erfüllt worden - daher kann auch die Leistungsbewilligung erst zum 01.05.2021 einsetzen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Deswegen hat die Klägerin am 17.09.2021 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt sie vor, Eltern könnten entweder heilpädagogische Frühförderung nach § 79 SGB IX oder interdisziplinäre Frühförderung nach § 46 SGB IX beantragen. Nichts Anderes hätten sie getan, indem sie im Frühjahr 2020 aufgrund der kinderärztlichen Verordnung heilpädagogische Förderung als Einzelleistung beantragt hätten. Die im Widerspruchsbescheid aufgebaute Argumentation sei sachlich wie rechtlich haltlos, da die Beklagte über einen Antrag auf heilpädagogische Frühförderleistungen als Solitärleistungen nach §113 Abs.2 Nr.3 SGB IX iVm § 79 Abs.1 und 2 SGB IX zu entscheiden gehabt habe und fälschlicherweise für ihre Entscheidung das Verfahren nach § 46 SGB IX angewandt habe. Es seien solitäre Leistungen beantragt worden und dies bereits im Frühjahr 2020. Das Verfahren der Frühförderverordnung Baden-Württemberg für die Komplexleistung nach §46 SGB IX dürfe seitens der Beklagten deshalb nicht auf von Kinder- und Jugendärzten verordnete und von Eltern danach beantragte solitäre heilpädagogische Frühförderleistungen nach § 79 Abs. 1 SGB IX iVm § 113 SGB IX angewandt werden. Für die Beantragung und Bewilligung der heilpädagogischen Frühförderung (= Solitärleistung) reiche die fachliche Erkenntnis (siehe auch vorliegendes Gutachten von Professor ...) eines Kinder- und Jugendarztes aus - und werde von diesem ärztlich bescheinigt. Deshalb müsse der Klage stattgegeben werden und die heilpädagogische Frühförderung als Solitärleistung ab dem Frühjahr 2020 bewilligt werden.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/><strong>Die Klägerin beantragt sinngemäß,</strong></td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="20"/>die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 30.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2021 zu verurteilen, die Leistungen nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX iVm § 79 SGB IX bereits ab dem 01.04.2020 zu bewilligen.</td></tr></table><table><tr><td/></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/><strong>Die Beklagte beantragt,</strong></td></tr></table><blockquote><blockquote/></blockquote></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table style="margin-left:6pt"><tr><td><rd nr="22"/>die Klage abzuweisen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Sie hält die angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend und verweist insoweit auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2021. Ergänzend trägt sie vor, es treffe zu, dass die Klägerin im Monat 04/2021 Leistungen für heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung beantragt hatte. Deshalb sei die Beklagte aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet gewesen, den Sachverhalt umfassend (§ 20 Abs. 2 SGB X) und unabhängig vom Vorbringen der Klägerin bzw. deren Eltern (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB X) aufzuklären. Hinsichtlich der zur Ermittlung des Sachverhaltes erforderlichen Beweismittel entscheide die Behörde im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Zu den gesetzlich vorgesehenen Beweismitteln zähle auch die Einholung einer Stellungnahme von Sachverständigen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Die Beklagte habe dieses Ermessen dahingehend ausgeübt, auf einer interdisziplinären Diagnostik - durchgeführt bei einer Frühförderstelle oder einem Sozialpädiatrischen Zentrum - zu bestehen. Dies begründe sich mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis, welches den §§ 46, 79 SGB IX zugrunde liege. Im Übrigen komme für die Klägerin durchaus auch eine Komplexleistung in Frage - immerhin habe die Interdisziplinäre Frühförderstelle multiple Förderungen empfohlen, die dort in der Interdisziplinären Frühförderstelle - freilich als Komplexleistung - erfolgen könnten (siehe Kurzbericht vom 02.07.2021).</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.</td></tr></table></td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Zum 14.02.2022 gab es einen Wechsel in der Kammerzuständigkeit. Das Verfahren wurde von der ehemals zuständigen 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe auf die nunmehr zuständige 10. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe übertragen.</td></tr></table></td></tr></table> <h2>Entscheidungsgründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>I. Die beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karlsruhe form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung bereits ab dem 01.04.2020. Der Bescheid vom 30.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2021 ist insoweit nicht zu beanstanden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>1. Gern. § 99 SGB IX erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 erfüllt werden kann. Die Bestimmungen der §§ 1- 3 Eingliederungshilfe-Verordnung (EingIHV) gelten weiterhin entsprechend (§ 99 Abs. 4 S. 2 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Aufgrund der vorliegenden Befunde ist unstreitig vom Bestehen einer seelischen und/oder geistigen wesentlichen Behinderung auszugehen (§§ 2, 3 Nr. 2 EingIHV). Damit gehört die Klägerin dem im Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis im Rahmen der Eingliederungshilfe an. Zum Leistungskatalog der Eingliederungshilfe zählen auch Leistungen zur sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) und diese wiederum umfassen unter anderem auch die heilpädagogische Frühförderung (§§ 113 Abs. 2 Nr. 3, 79, 46 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>2. Heilpädagogische Leistungen können sowohl als Einzelleistung als auch als Komplexleistung gewährt werden. Die Differenzierung folgt nach Maßgaben des § 79 SGB IX.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gemäß § 79 Abs. 1 SGB IX werden heilpädagogische (Einzel-) Leistungen an noch nicht eingeschulte Kinder erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>(1.) eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt wird oder</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>(2.) die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Heilpädagogische Leistungen werden immer an schwerstbehinderte und schwerstmehrfachbehinderte Kinder, die noch nicht eingeschult sind, erbracht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Heilpädagogische Leistungen umfassen nach § 79 Abs. 2 SGB IX alle Maßnahmen, die zur Entwicklung des Kindes und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit beitragen, einschließlich der jeweils erforderlichen nichtärztlichen therapeutischen, psychologischen, sonderpädagogischen, psychosozialen Leistungen und der Beratung der Erziehungsberechtigten, soweit die Leistungen nicht von § 46 Absatz 1 erfasst sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Gemäß § 79 Abs. 3 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen in Verbindung mit Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung nach § 46 Absatz 3 als Komplexleistung erbracht. Die Vorschriften der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder finden Anwendung. In Verbindung mit schulvorbereitenden Maßnahmen der Schulträger werden die Leistungen ebenfalls als Komplexleistung erbracht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Aus dieser gesetzlichen Differenzierung folgt, dass die Maßnahmen individuell zu erfolgen haben. Die Komplexleistung ist dabei der Regelfall, die Einzelleistung ist die Ausnahme. Dies folgt aus der systematischen Einordnung von § 79 SGB IX in der Zusammenschau mit § 46 SGB IX, auf welchen § 79 Abs. 2 ausdrücklich Bezug nimmt und insoweit den Leistungen des § 46 SGB IX den Vorrang einräumt. Bei behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern liegen Schulbildung, allgemeine Fördererziehung und medizinische Versorgung gemessen an deren Bedarf regelmäßig eng beieinander. Die vorliegenden Beeinträchtigungen sind nicht selten multifunktional im Zusammenhang körperlicher, seelisch-geistiger und sozialer Faktoren anzusiedeln. Die Vielschichtigkeit der Bedarfslage erfordert in der Regel eine vermehrte Kooperation der beteiligten Instanzen (Schule und Kindergarten, Krankenkasse, Sozialamt, Jugendamt) und Professionen (Medizin und Pädagogik, insbesondere Sonder- und Heilpädagogik). Folgerichtig werden die Leistungen deshalb - und das ist der Regelfall - als Komplexleistungen erbracht (Luthe in: Schlegel/Noelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 79 SGB IX, Rn. 15 – nach juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Gemäß § 1 der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (Frühförderungsverordnung – FrühV) erfolgt die Abgrenzung der durch interdisziplinäre Frühförderstellen und sozialpädiatrische Zentren ausgeführten Leistungen nach § 46 Abs. 1 und 2 SGB IX zur Früherkennung und Frühförderung noch nicht eingeschulter behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder, die Übernahme und die Teilung der Kosten zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern sowie die Vereinbarung der Entgelte nach den Vorschriften der FrühV. Nach § 6 FrühV umfassen Heilpädagogische Leistungen nach § 79 SGB IX alle Maßnahmen, die die Entwicklung des Kindes und die Entfaltung seiner Persönlichkeit mit pädagogischen Mitteln anregen, einschließlich der jeweils erforderlichen sozial- und sonderpädagogischen, psychologischen und psychosozialen Hilfen sowie die Beratung der Erziehungsberechtigten; § 5 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. Danach sind auch die Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach §§ 5 Abs. 2, 6 FrühV notwendiger Teil der Komplexleistung Frühförderung (Luik in LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 46 Rn. 24 unter Hinweis auf BT-Drs. 18/9522 S. 362).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Aus dem dargestellten Regel-Ausnahmeverhältnis der Komplex- zu der Einzelleistung, die sich auch in der FrühV widerspiegelt folgt zugleich die Verpflichtung des Rehabilitationsträgers zur Prüfung, welche der Leistungsformen bedarfsgerecht zu gewähren ist. In § 46 Abs. 4 SGB IX hat der Gesetzgeber den beteiligten Rehabilitationsträgern und den Verbänden der Leistungserbringer den Auftrag, aber auch die Verpflichtung erteilt, durch entsprechende Landesrahmenvereinbarung die Ausgestaltung der Komplexleistungen zu regeln.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die nähere Ausgestaltung im Sinne von § 46 Abs. 4 SGB IX erfolgt durch die Landesrahmenvereinbarung zur Umsetzung in Baden-Württemberg vom 01.06.2014, welche auch nach der Einführung des Bundesteilhabegesetzes weiter Anwendung findet. Diese Landesrahmenvereinbarung gilt auch für die Beklagte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>In § 8 der Landesrahmenvereinbarung ist das Verfahren zur Erbringung von Komplexleistungen in interdisziplinären Frühförderstellen geregelt. Nach einem Erstberatungsgespräch (§ 8 Abs. 1) folgt die interdisziplinäre Diagnostik (§ 8 Abs. 2).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Ist nach dem Ergebnis der interdisziplinären Diagnostik zu diesem Zeitpunkt keine Komplexleistung erforderlich, wird dies im Formblatt Förder- und Behandlungsplan vermerkt und der Arzt, der die interdisziplinäre Diagnostik veranlasst hat, entsprechend informiert. Im Falle erforderlicher heilpädagogischer Einzelleistungen werden die Eltern/vertretungsberechtigten Bezugspersonen mit entsprechender Empfehlung an den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger verwiesen (§ 8 Abs. 2 S. 3 Landesrahmenvereinbarung).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Daraus folgt, dass die interdisziplinäre Diagnostik zwingende Voraussetzung für die Leistungserbringung ist, und zwar unabhängig von der Frage, ob nur heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX oder als Komplexleistung im Sinne von § 79 Abs. 3 iVm § 46 SGB IX beantragt worden war. Der Prüfungsumfang ist in beiden Fällen der gleiche und ist von allen Beteiligten zu beachten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die rechtsgutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. .... In seinem Gutachten führt er selbst aus, dass eine Abgrenzung zwischen Komplexleistungen nach § 46 SGB IX einerseits und Einzelleistungen gemäß § 79 Abs. 1 SGB IX vorzunehmen ist. Wie diese Abgrenzung vorzunehmen ist, wurde bereits oben dargestellt. Soweit er dann zu dem Ergebnis gelangt, dass soweit Einzelleistungen beantragt wurden keine zusätzliche Diagnostik erforderlich sein sollte, widerspricht dies dem systematischen Zusammenhang zwischen den Vorschriften § 46 und § 79 SGB IX und dem Vorrangverhältnis von § 46 SGB IX gegenüber der Einzelleistung nach § 79 Abs. 1 SGB IX. Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch Prof. Dr. ... in seinem Gutachten zu der Ansicht gelangt, eine ärztliche Verordnung reiche zur Erlangung der „fachlichen Erkenntnis“ im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX nicht aus. Soweit also die Klägerin darauf abstellt, bereits im April 20 die Voraussetzungen für die Bewilligung der heilpädagogischen Frühförderung erfüllt zu haben, ist das Gutachten von Prof. Dr. ... nicht geeignet, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu bestätigen. Im April 2020 lag nämlich nur die ärztliche Verordnung der Gemeinschaftspraxis Dres. ... und ... vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>3. Soweit nun der Beginn der Leistungserbringung letztendlich Streitgegenstand ist, ist aus oben genannten Gründen eine Leistungserbringung erst mit Vorliegen aller Voraussetzung für die beantragte Leistung rechtlich möglich. Dies folgt aus dem gesetzlichen Antragserfordernis, wie es auch in § 108 Abs. 1 SGB IX festgehalten ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden auf Antrag erbracht. Die Leistungen werden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen (§ 108 Abs. 1 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Die zwingende Voraussetzung der interdisziplinären Diagnostik wurde erst im Mai 2021 durch die Klägerin erfüllt. Mithin kann eine Leistungsbewilligung nach oben gesagtem erst ab 01.05.2021 beginnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr></table> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>I. Die beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karlsruhe form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung bereits ab dem 01.04.2020. Der Bescheid vom 30.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2021 ist insoweit nicht zu beanstanden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>1. Gern. § 99 SGB IX erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 erfüllt werden kann. Die Bestimmungen der §§ 1- 3 Eingliederungshilfe-Verordnung (EingIHV) gelten weiterhin entsprechend (§ 99 Abs. 4 S. 2 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>Aufgrund der vorliegenden Befunde ist unstreitig vom Bestehen einer seelischen und/oder geistigen wesentlichen Behinderung auszugehen (§§ 2, 3 Nr. 2 EingIHV). Damit gehört die Klägerin dem im Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis im Rahmen der Eingliederungshilfe an. Zum Leistungskatalog der Eingliederungshilfe zählen auch Leistungen zur sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) und diese wiederum umfassen unter anderem auch die heilpädagogische Frühförderung (§§ 113 Abs. 2 Nr. 3, 79, 46 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>2. Heilpädagogische Leistungen können sowohl als Einzelleistung als auch als Komplexleistung gewährt werden. Die Differenzierung folgt nach Maßgaben des § 79 SGB IX.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>Gemäß § 79 Abs. 1 SGB IX werden heilpädagogische (Einzel-) Leistungen an noch nicht eingeschulte Kinder erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>(1.) eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt wird oder</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>(2.) die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Heilpädagogische Leistungen werden immer an schwerstbehinderte und schwerstmehrfachbehinderte Kinder, die noch nicht eingeschult sind, erbracht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>Heilpädagogische Leistungen umfassen nach § 79 Abs. 2 SGB IX alle Maßnahmen, die zur Entwicklung des Kindes und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit beitragen, einschließlich der jeweils erforderlichen nichtärztlichen therapeutischen, psychologischen, sonderpädagogischen, psychosozialen Leistungen und der Beratung der Erziehungsberechtigten, soweit die Leistungen nicht von § 46 Absatz 1 erfasst sind.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>Gemäß § 79 Abs. 3 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen in Verbindung mit Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung nach § 46 Absatz 3 als Komplexleistung erbracht. Die Vorschriften der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder finden Anwendung. In Verbindung mit schulvorbereitenden Maßnahmen der Schulträger werden die Leistungen ebenfalls als Komplexleistung erbracht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Aus dieser gesetzlichen Differenzierung folgt, dass die Maßnahmen individuell zu erfolgen haben. Die Komplexleistung ist dabei der Regelfall, die Einzelleistung ist die Ausnahme. Dies folgt aus der systematischen Einordnung von § 79 SGB IX in der Zusammenschau mit § 46 SGB IX, auf welchen § 79 Abs. 2 ausdrücklich Bezug nimmt und insoweit den Leistungen des § 46 SGB IX den Vorrang einräumt. Bei behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern liegen Schulbildung, allgemeine Fördererziehung und medizinische Versorgung gemessen an deren Bedarf regelmäßig eng beieinander. Die vorliegenden Beeinträchtigungen sind nicht selten multifunktional im Zusammenhang körperlicher, seelisch-geistiger und sozialer Faktoren anzusiedeln. Die Vielschichtigkeit der Bedarfslage erfordert in der Regel eine vermehrte Kooperation der beteiligten Instanzen (Schule und Kindergarten, Krankenkasse, Sozialamt, Jugendamt) und Professionen (Medizin und Pädagogik, insbesondere Sonder- und Heilpädagogik). Folgerichtig werden die Leistungen deshalb - und das ist der Regelfall - als Komplexleistungen erbracht (Luthe in: Schlegel/Noelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 79 SGB IX, Rn. 15 – nach juris).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Gemäß § 1 der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (Frühförderungsverordnung – FrühV) erfolgt die Abgrenzung der durch interdisziplinäre Frühförderstellen und sozialpädiatrische Zentren ausgeführten Leistungen nach § 46 Abs. 1 und 2 SGB IX zur Früherkennung und Frühförderung noch nicht eingeschulter behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder, die Übernahme und die Teilung der Kosten zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern sowie die Vereinbarung der Entgelte nach den Vorschriften der FrühV. Nach § 6 FrühV umfassen Heilpädagogische Leistungen nach § 79 SGB IX alle Maßnahmen, die die Entwicklung des Kindes und die Entfaltung seiner Persönlichkeit mit pädagogischen Mitteln anregen, einschließlich der jeweils erforderlichen sozial- und sonderpädagogischen, psychologischen und psychosozialen Hilfen sowie die Beratung der Erziehungsberechtigten; § 5 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. Danach sind auch die Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach §§ 5 Abs. 2, 6 FrühV notwendiger Teil der Komplexleistung Frühförderung (Luik in LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 46 Rn. 24 unter Hinweis auf BT-Drs. 18/9522 S. 362).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>Aus dem dargestellten Regel-Ausnahmeverhältnis der Komplex- zu der Einzelleistung, die sich auch in der FrühV widerspiegelt folgt zugleich die Verpflichtung des Rehabilitationsträgers zur Prüfung, welche der Leistungsformen bedarfsgerecht zu gewähren ist. In § 46 Abs. 4 SGB IX hat der Gesetzgeber den beteiligten Rehabilitationsträgern und den Verbänden der Leistungserbringer den Auftrag, aber auch die Verpflichtung erteilt, durch entsprechende Landesrahmenvereinbarung die Ausgestaltung der Komplexleistungen zu regeln.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>Die nähere Ausgestaltung im Sinne von § 46 Abs. 4 SGB IX erfolgt durch die Landesrahmenvereinbarung zur Umsetzung in Baden-Württemberg vom 01.06.2014, welche auch nach der Einführung des Bundesteilhabegesetzes weiter Anwendung findet. Diese Landesrahmenvereinbarung gilt auch für die Beklagte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>In § 8 der Landesrahmenvereinbarung ist das Verfahren zur Erbringung von Komplexleistungen in interdisziplinären Frühförderstellen geregelt. Nach einem Erstberatungsgespräch (§ 8 Abs. 1) folgt die interdisziplinäre Diagnostik (§ 8 Abs. 2).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>Ist nach dem Ergebnis der interdisziplinären Diagnostik zu diesem Zeitpunkt keine Komplexleistung erforderlich, wird dies im Formblatt Förder- und Behandlungsplan vermerkt und der Arzt, der die interdisziplinäre Diagnostik veranlasst hat, entsprechend informiert. Im Falle erforderlicher heilpädagogischer Einzelleistungen werden die Eltern/vertretungsberechtigten Bezugspersonen mit entsprechender Empfehlung an den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger verwiesen (§ 8 Abs. 2 S. 3 Landesrahmenvereinbarung).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>Daraus folgt, dass die interdisziplinäre Diagnostik zwingende Voraussetzung für die Leistungserbringung ist, und zwar unabhängig von der Frage, ob nur heilpädagogische Frühförderung als Einzelleistung im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX oder als Komplexleistung im Sinne von § 79 Abs. 3 iVm § 46 SGB IX beantragt worden war. Der Prüfungsumfang ist in beiden Fällen der gleiche und ist von allen Beteiligten zu beachten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die rechtsgutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. .... In seinem Gutachten führt er selbst aus, dass eine Abgrenzung zwischen Komplexleistungen nach § 46 SGB IX einerseits und Einzelleistungen gemäß § 79 Abs. 1 SGB IX vorzunehmen ist. Wie diese Abgrenzung vorzunehmen ist, wurde bereits oben dargestellt. Soweit er dann zu dem Ergebnis gelangt, dass soweit Einzelleistungen beantragt wurden keine zusätzliche Diagnostik erforderlich sein sollte, widerspricht dies dem systematischen Zusammenhang zwischen den Vorschriften § 46 und § 79 SGB IX und dem Vorrangverhältnis von § 46 SGB IX gegenüber der Einzelleistung nach § 79 Abs. 1 SGB IX. Darüber hinaus ist anzumerken, dass auch Prof. Dr. ... in seinem Gutachten zu der Ansicht gelangt, eine ärztliche Verordnung reiche zur Erlangung der „fachlichen Erkenntnis“ im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX nicht aus. Soweit also die Klägerin darauf abstellt, bereits im April 20 die Voraussetzungen für die Bewilligung der heilpädagogischen Frühförderung erfüllt zu haben, ist das Gutachten von Prof. Dr. ... nicht geeignet, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen zu bestätigen. Im April 2020 lag nämlich nur die ärztliche Verordnung der Gemeinschaftspraxis Dres. ... und ... vor.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>3. Soweit nun der Beginn der Leistungserbringung letztendlich Streitgegenstand ist, ist aus oben genannten Gründen eine Leistungserbringung erst mit Vorliegen aller Voraussetzung für die beantragte Leistung rechtlich möglich. Dies folgt aus dem gesetzlichen Antragserfordernis, wie es auch in § 108 Abs. 1 SGB IX festgehalten ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden auf Antrag erbracht. Die Leistungen werden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen (§ 108 Abs. 1 SGB IX).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>Die zwingende Voraussetzung der interdisziplinären Diagnostik wurde erst im Mai 2021 durch die Klägerin erfüllt. Mithin kann eine Leistungsbewilligung nach oben gesagtem erst ab 01.05.2021 beginnen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.</td></tr></table> <table><tr><td/></tr></table> </td></tr></table>
346,335
vg-minden-2022-07-27-6-k-270220
{ "id": 845, "name": "Verwaltungsgericht Minden", "slug": "vg-minden", "city": 465, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
6 K 2702/20
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-27T10:01:34"
"2022-10-17T11:09:33"
Urteil
ECLI:DE:VGMI:2022:0727.6K2702.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Klage wird abgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.</p> <p>Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Tatbestand:</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beteiligten streiten um die Genehmigung von neun zusätzlichen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten nach dem COVID-19-Kranken-hausentlastungsgesetz i. V. m. § 21 Abs. 5 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin, ein in den Krankenhausplan des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommenes Krankenhaus, verfügt laut Feststellungsbescheid der Bezirksregierung E.       vom 9. Mai 2018 an den Betriebsstellen C1.      , L.         0 in C2.         und K.             , T.           Str. 0 in C2.         über ein Intensivbettensoll von insgesamt 106 Intensivpflegebetten. Tatsächlich betrieb die Klägerin nach ihren eigenen Angaben zum 15. März 2020 insgesamt 141 intensiv-medizinische Behandlungsbetten, davon 54 Betten als sog. ICU Low-Care-Betten mit nicht invasiver Beatmungsmöglichkeit und 87 Betten als sog. ICU High-Care-Betten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit E-Mail vom 9. April 2020 beantragte die Klägerin beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Beklagten (nachfolgend: MAGS) zunächst keine Genehmigung weiterer intensiv-medizinischer Behandlungskapazitäten, sondern stellte dar, dass ab dem 16. März 2020 weiterhin insgesamt 141 intensiv-medizinische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, davon dann 36 Betten als ICU Low-Care-Betten und 105 Betten als ICU High-Care-Betten. Ihren Antrag korrigierte sie mit E-Mail vom gleichen Tage dahingehend, dass bei einem Bestand von 141 intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten am 15. März 2020 ab dem 16. März 2020 18 weitere ICU High-Care-Betten bereit stünden.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Antrag lehnte das MAGS mit Bescheid vom 15. Juni 2020 ab. Zur Begründung führte es aus, dass der dargelegte Aufwuchs an zusätzlicher intensiv-medizinischer Behandlungskapazität einem Planungsstand entspreche und demzufolge nicht in IG.NRW als zur Verfügung stehende Intensivbetten gemeldet sei. Genehmigt und anschließend gefördert werden könnten nur zur Verfügung stehende intensiv-medizinische Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit. Soweit Bettenkapazitäten tatsächlich geschaffen oder vorgehalten würden, stehe es der Klägerin frei einen erneuten Antrag auf Genehmigung zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Am 30. Juni 2020 stellte die Klägerin erneut unter Nutzung des von dem Ministerium vorgesehenen Formblattes einen Antrag auf Genehmigung weiterer intensiv-medizinischer Behandlungskapazitäten. Hierin gab sie die Anzahl der intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten mit 87 ICU High-Care Betten und keine Low-Care-Betten an und meldete als Anzahl der zusätzlichen ab dem 16. März 2020 geschaffenen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten 16 ICU High-Care-Betten.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Auf diesen Antrag genehmigte das MAGS mit Teilgenehmigungsbescheid vom 21. September 2020 sieben zusätzliche intensivmedizinische Behandlungs-kapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit ab dem 16. März 2020 und lehnte den Antrag (für weitere neun Betten) im Übrigen ab.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 20. Oktober 2020 Klage erhoben. Zu deren Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen des § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG lägen vor. Sie habe auf der Station M 10 einer sog. Intermediate-Care-Station die dort vorhandenen zehn Betten um sechs Betten aufgestockt und alle 16 Betten mit einer Beatmungsmöglichkeit ausgestattet, sowie Personal und Infusionstechnik aufgestockt. Die Station habe in maschineller Ausstattung und personeller Besetzung einer vollwertigen Intensivstation entsprochen. Jedes Bett sei neben dem maschinellen Beatmungsgerät auch mit Dialysegerät, Überwachungsmonitoren sowie einem PDMS ausgestattet gewesen; auch einen Aufwachraum habe man angeschlossen. Zudem habe man die Personalplanung den Bedürfnissen einer Intensivstation angepasst. Diese Kapazität sei ab dem 8. April 2020 in IG.NRW gemeldet gewesen. Bei der IMC-Station handele es sich um eine Behandlungsstufe zwischen Normal- und Intensivstation. Dort würden Patienten betreut, die zwar intensiv-pflegerisch, aber nicht - wie auf einer Intensivstation - intensiv-medizinisch behandelt würden. Insoweit liege vorliegend eine „Einbeziehung von Betten aus anderen Stationen“ im Sinne des § 21 Abs. 5 KHG vor. Die 16 Betten seien bis zum 18. Mai 2020 aufgestellt und betriebsbereit gewesen. Maßgeblicher Stichtag sei, anders als der Beklagte meine, nicht der 30. Juni 2020, sondern der im Zeitpunkt der ersten Antragstellung maßgebliche Stichtag des 21. April 2020. Im IG.NRW seien am 21. April 2020 insgesamt 105 Betten gemeldet gewesen, also ein Zuwachs, wie sie - die Klägerin - ihn im Rahmen ihres ersten Antrages vom 9. April 2020 auch gemeldet habe. Damit sei die erste (hier nicht streitgegenständliche) Ablehnung rechtswidrig gewesen, da der Beklagte in dem Bescheid darauf verweise, dass der von ihr dargelegte Aufwuchs an intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten nicht den im Register gemeldeten Intensiv-Betten entspreche. Es könne sich für die Klägerin nicht nachteilig auswirken, wenn von dem Angebot eines erneuten Antrags Gebrauch gemacht werde, anstatt gegen einen rechtswidrig erfolgten Ablehnungsbescheid unmittelbar Klage zu erheben. Denn der Klägerin hätte es an einem Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen den Ablehnungsbescheid gefehlt, da ihr gegenüber der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine einfachere, näherliegende und schnellere Möglichkeit zur Verfügung gestanden habe, die zudem von Seiten des Beklagten ausdrücklich angeboten worden sei. Das Bundesgesetz verlange, dass zusätzliche intensiv-medizinische Behandlungskapazitäten bis spätestens 30. September 2020 aufgestellt bzw. vorgehalten würden. Dies habe sie getan und am 16. März 2020 auch in IG.NRW nachgewiesen. Die vom Beklagten gewählte Aufteilung in zeitlich fixierte Prüfungsrunden mit unterschiedlichen Stichtagsabfragen gegenüber dem Intensivregister stelle nur eine interne Gestaltung der Verfahrensabwicklung dar. Darin sei keine Rechtsgrundlage für eine materielle Präklusion durch eine vom Beklagten per Meldepflicht zu einem von ihm frei gewählten Stichtag geschaffen. Zu einer solchen Präklusion komme es aber, wenn Betten, die vor dem verwaltungsinternen Stichtag bestanden hätten und zum Stichtag nicht mehr bestünden aus einer Förderung herausfielen. Dies sei mit dem Wortlaut der Regelung nicht zu vereinbaren. Auch das Land sei nicht befugt, solche Ausschlusstatbestände im Verfahren zu schaffen. Es dürfe rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen, im Rahmen einer Bekanntmachung gegenüber dem einzelnen Krankenhaus auf den irreversiblen Verlust von Förderansprüchen hinzuweisen, der auf eine Meldung zu einem bestimmten Stichtag fuße. Eine solche Bekanntmachung habe es jedoch nicht gegeben. Zudem wäre es auch bei der Stichtagsregelung möglich, ein Bett allein für den Stichtag zu melden und die Förderung zu erhalten. Eine derartige gesetzliche Unausgegorenheit könne nicht zu ihren Lasten gehen, da es nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 5 KHG auf jedes ab dem 16. März 2020 zusätzlich geschaffene oder vorgehaltene Bett ankomme.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt,</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21. September 2020 zu verpflichten, ihr die am 30. Juni 2020 beantragte Genehmigung auch für die weiteren neun zusätzlichen intensiv-medizinischen Behandlungs-kapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit ab dem 16. März 2020 zu erteilen.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Der Beklagte beantragt,</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">die Klage abzuweisen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Er trägt im Wesentlichen vor, § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG sehe eine Förderung nur für die Schaffung zusätzlicher intensiv-medizinischer Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmung vor. Die Klägerin habe jedoch über die bewilligten sieben Betten hinaus keine zusätzliche intensiv-medizinische Behandlungskapazität geschaffen. Schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG sei nur die Schaffung zusätzlicher intensiv-medizinscher Behandlungskapazitäten förderfähig. Die Klägerin habe vorgetragen, die Kapazitäten seien intensiv-pflegerisch, jedoch nicht intensiv-medizinisch ausgerichtet gewesen. Außerdem seien die Betten zum maßgeblichen Stichtag 30. Juni 2020 nicht (mehr) vorhanden gewesen. Ausweislich der Handreichung im „Ergänzenden Merkblatt über die Pauschale für die Schaffung zusätzlich intensiv-medizinischer Behandlungskapazitäten nach § 21 Abs. 5 KHG i. V. m. Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ sei maßgebend für die Bestimmung der förderfähigen intensiv-medizinischen Kapazitäten der tatsächlich vorhandene Bettenbestand zum 16. März 2020. Gefördert würden die zusätzlichen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit (durch Aufstellung von Betten oder Einbeziehung aus anderen Stationen), welche zum tatsächlich aufgestellten Bettenbestand zum 16. März 2020 hinzukämen. Zur Überprüfung des Bettenbestandes würden entsprechend der internen Unterlage die beantragten zusätzlichen Intensivbetten mit den in dem landeseigenen Meldesystem IG.NRW hinterlegten Intensivbetten abgeglichen. Erst durch die Eintragung in IG.NRW werde durch die Antragsteller der Nachweis für die Schaffung der zusätzlichen Bettenkapazität erbracht. Für den ersten Prüfungsdurchgang sei als Stichtag der 21. April 2020 festgelegt worden. Bei Anträgen, die vor dem 22. April 2020 eingereicht worden seien, seien die beantragten zusätzlichen Intensivbetten mit den am 21. April 2020 bei IG.NRW gemeldeten Betten abgeglichen worden. Für die zweite Prüfungsrunde, also für Anträge, die nach dem 21. April 2020 eingereicht worden seien, sei der 1./2. Juli 2020 bzw. 30. Juni 2020 ausgewählt worden. Im Nachgang zu diesen Prüfungsdurchläufen seien weitere mit geringerem Antragsaufkommen durchgeführt worden. Nur durch dieses Verfahren sei das Ministerium in der Lage gewesen, die große Zahl an Anträgen anhand derselben Maßstäbe zu prüfen. Aufgrund der Möglichkeit mehrere Anträge zu stellen seien im Rahmen der an den ersten Durchgang anschließenden Prüfungsrunden sowohl Erstanträge als auch durch Krankenhäuser erneut gestellte Anträge beschieden worden. Auf die Möglichkeit der erneuten Antragstellung sei sowohl im Rahmen des Ablehnungsbescheids der ersten Prüfungsrunde als auch in der zugehörigen Begleit-E-Mail hingewiesen worden. Ebenso sei das Verfahren erläutert worden. Hierbei sei ausdrücklich auf die Stichtagsregelung und die maßgebliche Meldung im IG.NRW hingewiesen worden. Die Ablehnung des ersten Antrags sei von der Klägerin nicht angegriffen worden und damit bestandskräftig geworden. Darüber hinaus sei auch der neue Antrag über 16 Betten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit im Umfang von neun Betten in rechtmäßiger Weise abgelehnt worden, da die Klägerin die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Zusätzliche Behandlungskapazitäten könnten durch das Aufstellen von Betten oder durch Einbeziehung von Betten auf anderen Stationen geschaffen werden und müssten in der täglichen Abfrage des IG.NRW spätestens zum Stichtag der jeweiligen Prüfungsrunde gemeldet sein. Zum 30. Juni 2020 seien im Auszug aus IG.NRW für die Klägerin 94 Betten (36 ICU Low-Care und 58 ICU High-Care) gemeldet gewesen. Dementsprechend seien zusätzlich zu den laut Antragsformular am 15. März 2020 vorhandenen 87 Betten nur sieben zusätzliche Betten am 30. Juni 2020 gemeldet gewesen. Zur vollständigen Genehmigung der von der Klägerin begehrten zusätzlichen 16 Betten hätten jedoch 103 Betten vorhanden und in IG.NRW gemeldet seien müssen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den weitergehenden Ausführungen der Klägerin, wonach 16 Betten auf der sog. IMC-Station durch die teilweise Neuaufstellung und die teilweise Aufrüstung von Betten geschaffen worden seien. Unabhängig von dem Umstand, dass nach § 21 Abs. 5 KHG ausdrücklich nur die Neuaufstellung von Betten und die Einbeziehung von Betten aus anderen Stationen, nicht aber die Aufrüstung von Betten genehmigungsfähig sei, trage die Klägerin selbst vor und belege dies auch, dass die zusätzlichen Betten nur bis zum 18. Mai 2020, nicht aber zum maßgeblichen Stichtag 30. Juni 2020 vorhanden gewesen seien. Hierdurch sei auch keine materielle Präklusion gegeben; vielmehr hätte es der Klägerin freigestanden, einen erneuten Antrag auf Genehmigung zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="h2 absatzLinks">E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, sie ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Vorhaltung von neun zusätzlichen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmung genehmigt. Der streitgegenständliche Bescheid vom 21. September 2020 ist, soweit dieser angefochten wurde, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Der angefochtene Bescheid war aufgrund eines erheblichen Begründungsdefizits ursprünglich formell rechtswidrig. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Hierbei hat die Behörde auf den konkreten Einzelfall abzustellen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage 2021, § 39 Rn. 18.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Dies hat die Behörde jedoch nicht zutreffend getan. Ablehnungsgrund war, dass zum maßgeblichen Stichtag keine weitere zusätzliche intensivmedizinische Behandlungskapazität mit maschineller Beatmung im Umfang von neun Betten geschaffen worden war. Begründet wurde der Bescheid indes damit, dass die intensivmedizinische Behandlungskapazität mit maschineller Beatmung laut IG.NRW nicht zur Verfügung stehe.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dieser Begründungsmangel ist jedoch nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG NRW im Klageverfahren geheilt worden.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Der angegriffene Bescheid ist materiell rechtmäßig. Die Klägerin erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen für die Genehmigung zusätzlicher Kapazitäten im Umfang von weiteren neun Intensivbetten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit nicht.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG erhalten zugelassene Krankenhäuser, die mit Genehmigung der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde zusätzliche intensiv-medizinische Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit durch Aufstellung von Betten schaffen oder durch Einbeziehung von Betten vorhalten, für jedes bis zum 30. September 2020 aufgestellte oder vorgehaltene Bett einmalig einen Betrag von 50.000,- Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin im streitgegenständlichen Umfang von neun Betten nicht, da sich dieser Aufwuchs am maßgeblichen Stichtag nicht aus der Datenbank IG.NRW ergab.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Die von dem Beklagten geübte Verwaltungspraxis des Abstellens auf Meldungen in IG.NRW zur Bestimmung der geschaffenen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit begegnet keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere führt sie entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer dem Wortlaut der bundesrechtlichen Norm des § 21 Abs. 5 KHG widersprechenden materiellen Präklusion.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Der Bundesgesetzgeber hat die materielle Prüfung der Fördervoraussetzungen den für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörden übertragen (§ 21 Abs. 5 Satz 1 KHG) und die Durchführung der Genehmigungsverfahren damit der jeweiligen Landesverwaltungspraxis unterworfen, die zur Abwicklung der Verfahren Förderrichtlinien erstellen können. Die Bundesländer haben damit unabhängig voneinander die Möglichkeit, jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis der geschaffenen zusätzlichen Behandlungskapazität aufzustellen. Die vom MAGS aufgestellten Grundsätze des Förderverfahrens finden sich in dem den antragstellenden Krankenhäusern zugänglich gemachten „Ergänzenden Merkblatt für die Pauschale für die Schaffung zusätzlich intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten nach § 21 Abs. 5 KHG i. V. m. Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ und in einer internen Handreichung des MAGS mit dem Titel: Auswahlverfahren „Soforthilfe zum Aufbau von Beatmungsplatzkapazitäten“ (Beatmungsgeräte) und „Förderung zusätzlicher Intensivkapazitäten mit maschineller Beatmung“ (Intensivbetten).</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Derartige Fördergrundsätze sind rechtlich als förderrichtlinien-ähnliche Vorgaben zu qualifizieren, die das Verwaltungshandeln der Genehmigungsbehörde zu steuern geeignet sind. Sie bewirken eine interne rechtliche Bindung des Verwaltungshandelns. Eine über die der Verwaltungsvorschrift innewohnende interne Bindung der Verwaltung hinausgehende anspruchsbegründende Außenwirkung wird nur durch den Gleichheitssatz und das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes vermittelt, jedoch nur in der Ausprägung, welche die Verwaltungsvorschriften durch die ständige Verwaltungspraxis gefunden haben.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">So auch OVG Nds., Beschluss vom 7. Oktober 2011 - 8 LA 93/11 -, juris Rn. 6 und VG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2021 - 21 K 6278/20 - juris Rn. 35, jeweils m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Maßgeblich ist daher, wie die zur Anwendung berufene Behörde die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gemäß der von ihrem Urheber gebilligten oder zumindest geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden sind.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995                    - 2 C 19/94 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2002 - 15 A 2777/00 -, juris Rn. 36,      m .w. N.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Bewilligungsbehörde, die den Förderrichtlinien gemäß handelt, ist durch den Gleichheitssatz verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht die Behörde generell von den Förderrichtlinien ab, so verlieren diese ihre ermessensbindende Wirkung, sodass sich die Vereinbarkeit des Verwaltungshandelns mit dem Gleichheitssatz dann nur noch nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis beurteilt.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 - 8 C 18/11 -, juris Rn. 32; VG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2021 - 21 K 6278/29 -, juris Rn. 39 und 41.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass er sich in der Bearbeitung der Anträge an die niedergelegten Förderrichtlinien gehalten hat, so dass kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Form einer abweichenden Verwaltungspraxis besteht.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung für die Förderung ist die Erteilung einer Genehmigung, welche per Formblatt zu beantragen war. Dieses stand auf der Internetseite des MAGS ab dem 6. April 2020 und in aktualisierter Form ab dem 8. April 2020 zur Verfügung. Ausweislich des „Ergänzenden Merkblatt für die Pauschale für die Schaffung zusätzlich intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten nach § 21 Abs. 5 KHG i. V. m. Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz“ sind maßgebend für die Bestimmung der förderfähigen intensiv-medizinischen Kapazitäten der tatsächlich vorhandene Bettenbestand zum 16. März 2020. Gefördert werden hiernach die zusätzlichen intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit (durch Aufstellung von Betten oder Einbeziehung aus anderen Stationen), welche zum tatsächlich aufgestellten Bettenbestand zum 16. März 2020 hingekommen. In dem Merkblatt wird weiter ausgeführt, dass keine rechtliche Verpflichtung des Landes Nordrhein-Westfalen besteht, zusätzlich zu den pauschalen Mitteln für die Schaffen von intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten weitere Förderungen vorzunehmen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Nach der internen Unterlage des MAGS sind im Krankenhausplan zugelassene Krankenhäuser antragsberechtigt. Berücksichtigt werden nur Krankenhäuser, welche bereits (ausweislich des Feststellungsbescheides) Intensivbetten vorhalten. Weiter soll die Genehmigung versagt werden, wenn die beantragten Intensivbetten nur geplant, nicht aber tatsächlich aufgestellt sind, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass ein Krankenhausträger die Möglichkeit hat, erneut einen Antrag zu stellen, sobald die maßgeblichen Betten tatsächlich aufgestellt wurden.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Entsprechend der internen Unterlage wurden zur Überprüfung des Bettenbestandes die beantragten zusätzlichen Intensivbetten mit den in dem landeseigenen Meldesystem IG.NRW hinterlegten Intensivbetten abgeglichen. Erst durch die Eintragung in IG.NRW wurde durch die Antragsteller der Nachweis für die Schaffung der zusätzlichen Bettenkapazität erbracht. Zur Strukturierung des Verfahrens wurden mehrere Prüfungsdurchgänge vollzogen. Im ersten Prüfungsdurchgang von Anträgen, die vor dem 22. April 2020 eingereicht wurden, sind die beantragten Intensivbetten mit dem am 21. April 2020 bei IG.NRW gemeldeten Betten abgeglichen worden. In einem zweiten Prüfungsdurchgang wurde für später gestellte Anträge der Stichtag 1./2. Juli 2020 bzw. 30. Juni 2020 zugrunde gelegt. Danach folgten weitere Prüfungsdurchgänge. Über den Abgleich zwischen beantragten zusätzlichen Betten und den in IG.NRW hinterlegten Intensivbetten wurden die Antragsteller auch mit einer Begleit-E-Mail hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Der streitgegenständliche Antrag auf Genehmigung von Behandlungskapazitäten vom 30. Juni 2020 fiel damit in den zweiten Prüfungsdurchgang, für den auch dessen Prüfungsstichtag maßgeblich war, mit der Folge, dass die Klägerin die Fördervoraussetzungen für die verlangten weiteren neun Betten nicht mit Erfolg dargelegt hat, da bereits seit dem 18. Mai 2020 und damit sogar vor Stellung des zweiten Genehmigungsantrages diese Kapazitäten nicht mehr vorhanden und auch nach dem Vortrag der Klägerin nicht mehr bei IG.NRW gemeldet waren.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Diese für das Förderverfahren niedergelegten Abläufe und Vorgaben sind geeignet, erforderlich und angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig. Das landeseigene Meldesystem IG.NRW wird von den Krankenhäusern ohnehin in anderen Angelegenheiten genutzt und die antragstellenden Krankenhäuser konnten das Meldeportal daher ohne großen zeitlichen oder personellen Aufwand nutzen, um das Erfüllen der Voraussetzungen für eine Förderung einfach durch Nutzung des elektronischen Formulars nachzuweisen. Gleichzeitig ermöglichte es eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen durch den Beklagten in verwaltungseffizienter Art und Weise und schuf gleichzeitig die organisatorische Basis für eine etwaige spätere Nachkontrolle, ob die beantragten Betten tatsächlich auch aufgestellt und vorgehalten worden sind.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Mit der von dem Beklagten geübten Verwaltungspraxis eines Abgleichs der Bettenmeldung in IG.NRW zu verschiedenen Stichtagen wird auch keine faktische materielle Präklusion verfolgt, die dem Wortlaut der bundesrechtlichen Norm des § 21 Abs. 5 KHG widerspricht. Der Abgleich von beantragten und gemeldeten Intensivbetten in IG.NRW in mehreren Prüfungsrunden, die zu einem jeweiligen Stichtag enden, hält sich im Rahmen des dem Beklagten eröffneten Spielraums zur Gestaltung des Verwaltungsverfahrens zur Umsetzung des § 21 Abs. 5 KHG, da es die zweckmäßige Strukturierung des Verfahrens mit vielen Anträgen ermöglicht.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Eröffnung des Verwaltungsermessens zur Gestaltung des Verfahrens Rixen, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: 2. EL April 2022, § 10 Rn. 12; Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 10 Rn. 16 ff.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Durch den Datenabgleich zu fixen Stichtagen und den Hinweis auf die Möglichkeit einer erneuten Antragstellung kann für vorgehaltene Intensivbetten mit maschineller Beatmungsmöglichkeit, die lediglich fehlerhaft nicht im Meldesystem erfasst waren, durch eine neue (ggfs. wiederholte) Antragstellung eine Genehmigung erreicht werden, so dass eine materielle Präklusion nicht eintritt.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2021 - 21 K 6278/20 -, juris Rn. 56 ff.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Voraussetzung hierfür ist jedoch jedenfalls, dass die geschaffenen Betten im Zeitpunkt einer erneuten Antragstellung zum maßgeblichen Stichtag weiterhin bestehen und als Intensivbetten nutzbar sind. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Förderregelung.</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">§ 21 Abs. 5 KHG regelt zwar nicht ausdrücklich, wie lange die neuaufgestellten oder einbezogenen Betten als Intensivbetten insgesamt von den Krankenhäusern vorzuhalten sind. Indes ist bei der Auslegung von § 21 Abs. 5 KHG vor dem Hintergrund der Intention des Gesetzgebers bei der Schaffung der Norm zwingend davon auszugehen, dass eine nur kurzfristige Aufstellung von Betten, die - wie von der Klägerin vorgetragen - im Zeitpunkt der erneuten Förderantragstellung bereits nicht mehr vorgehalten wurden und von denen die Klägerin auch nicht behauptet, dass sie jederzeit wieder hätten aktiviert werden können, für den Erhalt einer Förderung nicht ausreichend.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">§ 21 Abs. 5 Satz 1 KHG wurde im Rahmen des COVID-19- Krankenhausentlastungsgesetzes eingefügt. Zweck des Gesetzes war unter anderem die Erhöhung von Bettenkapazitäten für die Behandlung von COVID-19- Erkrankten (…) durch Schaffung zusätzlicher intensiv-medizinischer Behandlungskapazitäten,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">BT-Drs. 19/18112 S. 1.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn ein Intensivbett beispielsweise lediglich für einen Tag aufgestellt würde. Die Höhe des vorgesehenen finanziellen Anreizes für die Schaffung von Intensivbetten mit der Möglichkeit zur maschinellen Beatmung in Höhe von 50.000 Euro je Bett spricht deutlich dafür, dass der Gesetzgeber den Pauschalbetrag nicht für nur sehr kurzfristig aufgestellte oder vorgehaltene Betten vorsehen wollte, sondern mit Blick auf die nicht absehbare Dauer und Intensität der Pandemie eine längerfristige Vorhaltung der Betten beabsichtigte und bei Erhalt einer Förderung auch voraussetzte.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung der Regelung davon aus, dass es aufgrund der COVID-19-Pandemie einen erwartbar steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten geben werde. Daher sollten die Krankenhäuser für zusätzlich provisorisch geschaffene oder vorgehaltene Intensivbetten einen Bonus erhalten.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">BT-Drs. 19/18112, S. 21.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Der Gesetzgeber wollte also die Bettenkapazitäten auf den Intensivstationen zur Bewältigung der durch die Pandemie bedingten Belastungen des Gesundheitssystems verlässlich und damit jedenfalls mittelfristig ausweiten.</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Die Intention des Gesetzgebers wird weiterhin deutlich, wenn er unter dem Abschnitt der Gesetzesfolgen im Abschnitt über Nachhaltigkeitsaspekte ausführt, dass mit den Regelungen dafür gesorgt werde, dass die bestehenden Strukturen des Gesundheitssystems (…) in der durch die durch das neuartige Coronaviurs SARS-CoV-2 ausgelösten Pandemie ausgelösten Krise aufrechterhalten werden und die medizinische (…) Versorgung sichergestellt werden können.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">BT-Drs. 19/18112, S. 23.</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Das Ziel die medizinische Versorgungslage in einer Zeit erwartbaren Mehrbedarfs an Betten zu stabilisieren bzw. zu verbessern lässt sich jedenfalls nicht mit einer bloß kurzfristigen Aufstellung und einem Rückbau noch innerhalb des Förderzeitraums bis Ende September 2020 erreichen.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">Es bedarf zur Entscheidung dieses Rechtsstreits keiner abschließenden Einschätzung, wie lange die neugeschaffenen oder einbezogenen Intensivbetten in toto aufzustellen sind. Das Gericht ist aber jedenfalls der Auffassung, dass das bloße Vorhalten für 40 Tage bei einem Rückbau der geschaffenen Betten bereits vor einer erneuten Antragstellung im noch laufenden Genehmigungszeitfenster jedenfalls nicht ausreichend ist, um eine Förderung nach Sinn und Zweck des Gesetzes zu erlangen.</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin ist bei der Ablehnung ihres ersten Antrags auch nicht rechtlos gestellt gewesen, da es ihr grundsätzlich offen stand, gegen eine Versagung der Genehmigung ihres zunächst gestellten Antrages rechtlich vorzugehen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt mehr Betten vorhielt und in IG.NRW gemeldet hatte. Diese Möglichkeit hat sie nicht genutzt, so dass der Ablehnungsbescheid vom 15. Juni 2020 bestandskräftig geworden ist. Hinzutritt, dass, selbst wenn sie unter Nutzung rechtlicher Möglichkeiten zunächst eine Genehmigung für die eingerichteten Betten erhalten hätte, damit eine nachträgliche Überprüfung einer bewilligten Förderung bezüglich der tatsächlichen Vorhaltung genehmigter Kapazitäten und bewilligter Auszahlungen durch die zuständigen Behörden nicht ausgeschlossen wäre.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits kann letztendlich ebenfalls offen bleiben, ob die von der Klägerin auf einer vormaligen Intermediate-Care-Station aufgerüsteten Betten in der Zeit vom 8. April 2020 bis zu ihrem Rückbau am 18. Mai 2020 tatsächlich als eine (neue) vollwertige Intensivstation betrieben wurden und damit diese Betten als von „anderen Stationen einbezogen“ anzusehen gewesen wären, da wie dargelegt bei einer Auslegung von § 21 Abs. 5 Satz 1 KHG unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm eine Förderung mangels einer ausreichenden Vorhaltedauer der Intensivkapazitäten zum maßgeblichen Stichtag vorliegend ausscheidet und die Genehmigung der streitgegenständlichen Betten der Klägerin vorliegend rechtmäßig versagt wurde.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Das Gericht schließt sich darüber hinaus - ohne dass es im vorliegenden Verfahren darauf ankommt - der Auffassung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf an, dass die bloße Aufrüstung von bereits bestehenden Intensivbetten um eine Möglichkeit der invasiven Beatmung nicht den Fördertatbestand des § 21 Abs. 5 KHG erfüllt.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">VG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2021 - 21 K 6278/20 -, juris Rn. 64 bis 73.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.</p>
346,313
olgk-2022-07-27-16-u-11720
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16 U 117/20
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-26T10:01:21"
"2022-10-17T11:09:29"
Urteil
ECLI:DE:OLGK:2022:0727.16U117.20.00
<h2>Tenor</h2> <p>Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den im Senatstermin vom 09. März 2022 abgeschlossenen Vergleich beendet ist.</p> <p>Die weiteren Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 1. auferlegt.</p> <p>Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten zu 1. wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem gerichtlichen Vergleich vom 09.03.2022 zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des nach dem gerichtlichen Vergleich vom 09.03.2022 vollstreckbaren Betrages leistet.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>G r ü n d e :</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">I.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Auf der Grundlage eines Angebotes der Beklagten zu 1. vom 21.04.2011 (Anlage K 2 – Bl. 7/8 AH) wurde diese von der Klägerin im Frühjahr 2011 mit der Durchführung von Dachdecker- und Dämmungsarbeiten der – etwa 450 qm großen, auf die Wohnungen Nr. 21, 22 und 25 verteilten - Dachterrassenfläche des oberen Staffelgeschosses an dem Objekt A-straße 2-8 in B beauftragt. Das Angebot sah unter anderem die Aufbringung einer Styropor-Gefälledämmung mit einer Stärke von 200 mm im Mittel unter einer zweilagigen Bitumenabdichtung vor.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Mit einer als „Honorarvertrag für Projektübernahme MFGH A-straße 2-8, B“ überschriebenen Vereinbarung vom 15.09.2011 (Anlage K 14 – Bl. 13/14 AH) beauftragte die Klägerin die Beklagte zu 2. mit der Baubetreuung des Objekts. Die von der Beklagten zu 2. zu erbringende Leistung ist dahin beschrieben, dass unter anderem eine Einarbeitung in Planunterlagen eine Fortschreibung des Bauzeitenplans und eine Kontrolle des Leistungsstands – soweit bei solchen Terminen ersichtlich auch auf Fachgerechtigkeit - auf der Baustelle zu erfolgen habe.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">In der Rubrik „Haftung“ ist vermerkt: „Haftungsausschluss für Baumängel“.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1. nahm ihre Arbeiten an der Dachterrasse im Herbst 2011 auf und führte diese im Januar 2012 fort. Abweichend von den der Auftragserteilung zugrundeliegenden Festlegungen im Angebot wurde die Dachterrassenfläche mittels einer keilförmigen Holzunterkonstruktion mit darauf aufgebrachten OSB-Platten (Grobspanplatten) und PU-Dämmplatten – in einer Stärke von durchgängig 14 cm - ausgeführt. Wegen der Einzelheiten des Aufbaus dieser Konstruktion wird auf die Feststellungen des Sachverständigen C in seinem Gutachten vom 06.10.2017 (GA 115 ff.) verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Unter dem 08.12.2011 wandte sich die Beklagte zu 2. mit Email-Schreiben (Bl. 123, 126 AH) an die Geschäftsführerin der Klägerin und teilte dieser Einzelheiten zu der nachgefragten Höhe der Balkongeländer auf der Dachterrasse und einen Lösungsvorschlag für die Dachentwässerung mit (Bl. 127-128 AH); zugleich wies die Beklagte zu 2. „ausdrücklich darauf hin, dass bei der Balkonbelag-Aufbauermittlung auf Grund der baulichen Gegebenheiten das Einhalten der DIN oder von Dachdeckerrichtlinien etc. nicht möglich ist“ und sie – die Beklagte zu 2.- „eine Übernahme der Gewährleistung für die Planung daher ausschließen müsse“ und sie darum bitte, das Einverständnis schriftlich zu bestätigen durch Rückgabe einer unterzeichneten Fassung mit entsprechendem Hinweis. Die Beklagte zu 2. erhielt daraufhin eine – von der Beklagten zu 1. vorgelegte - Rückmail mit dem Vermerk „Nach Rücksprache mit Herrn D am 09.12.2011 soll dieser Punkt so gelöst werden. Unter der Rinne sollten dann noch min. 5 cm Dämmung sein. Gruß E“. Frau E ist eine Mitarbeiterin der Klägerin.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 14.02.2012 die Kündigung des mit der Beklagten zu 2. geschlossenen Vertrages zum 28.02.2012.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 05.03.2012 (Anlage K 18 – Bl. 73/74 AH) beanstandete die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1. die vorgenommene Ausführung des Balkonabdichtungs-Unterbaus und forderte diese zur Mängelbeseitigung durch Erbringung der Werkleistungen in der ursprünglich festgelegten Ausführungsart bis zum 18.03.2012 und zur vollständigen Fertigstellung der Arbeiten bis zum 25.03.2012 auf. Die Beklagte zu 1. nahm jedoch keine weiteren Arbeiten mehr vor.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Im Juli 2012 beauftragte die Klägerin den Sachverständigen (im Dachdeckerhandwerk) F mit der Begutachtung der Dachabdichtungsarbeiten, insbesondere auch im Hinblick auf die gewählte Ausführungsart. Dieser nahm am 05.07. und 23.07.2012 eine Ortsbesichtigung vor und erstellte unter dem 07.09.2012 ein schriftliches Gutachten (Anlage K 5 – Bl. 16-30 AH), auf dessen Einzelheiten verwiesen wird.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 144.816,56 € nebst Zinsen sowie auf Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung zum Ersatz weitergehenden, über die Anspruchspositionen 01., 05., 07., 08., 09., 10., 11. und 12. hinausgehenden Schadens in Anspruch genommen.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Wegen der Zusammensetzung der Klageforderung, des Sachvorbringens der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Das Landgericht hat durch Urteil vom 18.06.2020 die Klage gegen beide Beklagten teilweise zugesprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Zuerkannt wurden der Zahlungsantrag in Höhe von 46.937,00 € und von weiteren 33.007,97 € nebst Zinsen sowie die Feststellungsanträge bezüglich der die Einzelpositionen 01., 07., 08., 09., 10. und 12. übersteigenden Kosten, allerdings abzüglich jeweils eines der Klägerin zugerechneten Mitverschuldensanteils von 75 %.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beklagten haben mit ihren Rechtsmitteln die Abweisung des gegen sie jeweils zuerkannten Teils der Klage begehrt.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1. hat ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft und im Wesentlichen geltend gemacht, das Landgericht habe zu Unrecht einen Mangel ihrer Werkleistung angenommen. Die Wertung des Sachverständigen C, die von ihr ausgeführte Konstruktion entspreche nicht dem allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.), sei unzutreffend. Der Gutachter stelle zwar fest, dass die Konstruktion den Anforderungen der DIN 4108 Teil 3 entspreche; seine Auffassung, dass dies nicht ausreiche, um den Anforderungen der a.a.R.d.T. zu genügen, sei aber unzutreffend. Das Landgericht habe sich unzureichend mit den Ausführungen des von ihr beauftragten Privatgutachters Vierling befasst, habe vielmehr ohne ausreichende Begründung die Wertungen des Sachverständigen C übernommen und insoweit verfahrenswidrig die Einholung eines Obergutachtens unterlassen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Der Sachverständige habe im Übrigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 02.05.2018 festgehalten, dass die im Jahre 2014 festgestellte Feuchtigkeit mit teilweise 1,8 cm Wasser oberhalb der Dampfsperre nur durch eine Undichtigkeit der Abdichtung verursacht worden sein könne; von einer mangelhaften bauphysikalischen Funktion des aufgebrachten Abdichtungsaufbaus sei insoweit keine Rede. Die Abdichtung selbst habe aus einer ersten Abdichtungslage bestanden, die eine provisorische Abdichtung dargestellt habe, aber gleichwohl dicht gewesen sei. Undichtigkeiten seien erst mehr als zwei Jahre später (Herbst 2014) festgestellt worden. Als Ursache für das Eindringen von Feuchtigkeit kämen nur das Aufbringen der zweiten Abdichtungslage durch ein von der Klägerin beauftragtes Drittunternehmen, das Aufbringen eines Teichbeckens in einer Größe von 2 x 3 m x 1,5 m Tiefe und dabei oder bei anderer Gelegenheit verursachte mechanische Beschädigungen der Abdichtung in Betracht. Der Sachverständige C habe letztlich eingeräumt (Ergänzungsgutachten vom 02.05.2018 Seite 8), dass die tatsächliche Ursache für den Wassereinbruch unbekannt sei. Bezüglich der mit der Behebung der Wasserschäden verbundenen Kosten treffe die Klägerin die alleinige Verantwortung. Das Bestreiten der Schadenshöhen sei vom Landgericht übergangen worden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 2. hat geltend gemacht, die Klägerin habe keine Ausführungsplanung vorgelegt; dies begründe einen Mitverschuldensanteil in Höhe von 50 %. Die ihr übertragene Überwachung habe nur in geringem zeitlichen Umfang erfolgen sollen. Es sei nicht erwiesen, dass die von ihr ausgeübte Überwachungstätigkeit für den von der Klägerin geltend gemachten Wasserschaden ursächlich gewesen wäre; vor den Wohnungen 21 und 22 seien keine Schäden aufgetreten. Die Bezahlung der zu dem Schaden vorgelegten Rechnungen sei nicht nachgewiesen. Zum Zeitpunkt der Aufforderung der Klägerin vom 05.03.2012 an die Beklagte zu 1. zur Mängelbeseitigung sei das Vertragsverhältnis zur Beklagten zu 2. bereits beendet gewesen. Obwohl die Arbeiten der Beklagten zu 1. noch nicht fertiggestellt gewesen seien, habe die Klägerin in Kenntnis des von ihr eingeholten Gutachtens F vom 07.09.2012 auf die mangelhafte Leistung der Beklagten zu 1. aufbauen lassen, womit sie bewusst sämtliche Folgen aus der mangelhaften Leistung in Kauf genommen habe.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat mit ihrer Berufung erstrebt die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung weiteren Vorschusses in Höhe von 30.569,50 € und die Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der über 25 % hinausgehenden Kosten</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">(a)            von 8.630,00 € für den Rückbau, das Lagern und das Wiederaufbringen der Splittbettung und des Betonsteinbelags auf der Dachterrassenfläche zur Wohnung Nr. 25,</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">(b)            von 13.455,00 € den Abtransport, die Einlagerung und den Rücktransport der Terrassenmöbel und 90 Topfpflanzen auf der zur Wohnung Nr. 25 gehörenden Dachterrassenfläche,</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">(c)            von 5.500,00 € für den Abtransport, die Einlagerung, den Rücktransport und die Remontage der zur Wohnung Nr. 25 gehörenden Teichanlage,</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">(d)            von 3.880,00 € für den Einsatz eines Turmdrehkrans im Rahmen der Arbeiten an der Dachterrassenfläche der Wohnung Nr. 25,</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">(e)            von 13.165,00 € für den Einsatz eines Schrägaufzugs bei der Erneuerung der Abdichtung, Dämmung und Gefällegebung der Dachterrassenfläche vor den Wohnungen Nr. 21 und Nr. 22 und für den Rückbau, das Lagern und das anschließende Wiederaufbringen der Splittbettung und des Betonsteinbelags auf der zu den Wohnungen Nr. 21 und Nr. 22 gehörenden Dachterrassenfläche.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hat gemeint, ihr sei zu Unrecht ein Mitverschuldensanteil von 75 % bezüglich der Wasser-Folgeschäden angelastet worden, was zu einer unberechtigten Kürzung der zugesprochenen Positionen in Höhe von insgesamt 30.569,50 € und zur Abweisung der zuerkannten Feststellungsanträge in Höhe von 75 % der möglichen Mehrkosten geführt habe.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 09.03.2022 haben die Parteien einen Widerrufsvergleich geschlossen, in welchem sich die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet haben, zum Ausgleich aller wechselseitigen Ansprüche aus dem Bauvorhaben A-straße 2-8 in B an die Klägerin einen Betrag von 40.000,00 € als Schadensersatz zu zahlen. Der Vergleich enthält des Weiteren eine Ausgleichsabrede im Innenverhältnis der Beklagten zueinander, ferner eine Kostenregelung, die vorsieht, dass – bei Aufhebung der Vergleichskosten - die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin zu ¾ und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu ¼ auferlegt werden. Er enthält schließlich den Vorbehalt zugunsten beider Beklagten, den Vergleich durch Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht bis zum 30.03.2022 zu widerrufen.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat mit einem am 30.03.2022 per Telefax eingereichten Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom selben Tage den Widerruf des Vergleichs erklärt.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin und die Beklagte zu 2. halten die Widerrufserklärung der Erstbeklagten für unwirksam und begehren eine entsprechende Entscheidung des Gerichts.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 2. beantragt,</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">festzustellen, dass der Vergleich vom 09.03.2022 bestandskräftig geworden ist bzw. dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist, hilfsweise: nach den Anträgen aus der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2022 zu erkennen.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin schließt sich für sich den Anträgen der Zweitbeklagten an.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1. beantragt,</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">die Anträge zurückzuweisen sowie nach den Anträgen aus der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2022 zu erkennen.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte zu 1. hat nach einem Hinweis des Senats auf die formunwirksame Einreichung des Schriftsatzes geltend gemacht, eine Übermittlung des Schriftsatzes vom 30.03.2022 auf elektronischem Wege sei ihrem Prozessbevollmächtigten aus technischen Gründen nicht möglich gewesen.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Hierzu hat sie zunächst vorgetragen (Schriftsatz vom 06.04.2022 - GA 705), am 30.03.2022 habe eine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung bestanden, weil an diesem Tage ein Update des Gerätes habe vorgenommen werden müssen; nach Durchführung des Updates durch den Prozessbevollmächtigten im Beisein der Sekretärin (Frau G) habe das beA-System nicht mehr aufgerufen werden können, das Endgerät habe trotz wiederholter Versuche nicht reagiert; eine Anmeldung am 30. und 31.03.2022 sei nicht möglich gewesen; erst am 01.04.2022 habe sich das Gerät wieder starten lassen.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Auf Nachfrage durch den Senat vom 11.04.2022 (GA 709) hin hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese unter dem 20.04.2022 (GA 717 f.) mitgeteilt,</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">- ein Hinweis auf die vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung auf elektronischem Wege sei ihm nicht erforderlich erschienen; die Schriftsätze vom 07.02. und 02.03.2022 seien ebenfalls in Original und per Fax eingereicht worden, weil zu dieser Zeit ebenfalls Schwierigkeiten mit der Übersendung auf elektronischem Wege bestanden hätten;</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">- die Formulierung „musste ein Update des Geräts vorgenommen werden…“ sei unkorrekt bzw. irreführend; das Gerät habe am 02.03.2022 nicht funktioniert, woraufhin er versucht habe, Kontakt mit dem Hersteller aufzunehmen; die Firma H habe ihm Anweisungen zur Fehlerbehebung übersandt, mit deren Hilfe der Kartenleser wieder habe in Betrieb genommen werden können; in der Folgezeit sei der Fehler aber immer wieder aufgetreten und eine erneute Behebung der Ursache erforderlich geworden, so auch am 30.03.2022; erst seit dem 01.04.2022 laufe das Kartenlesegerät störungsfrei.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">II.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Der Rechtsstreit ist durch den Widerrufsvergleich vom 09.03.2022 beendet worden. Dessen Wirksamkeit ist auf die Anträge der Zweitbeklagten und der Klägerin hin festzustellen.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">1.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">Die Anträge der Beklagten zu 2. sowie der Klägerin auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits durch den Prozessvergleich vom 09.03.2022 sind gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Das rechtliche Interesse an der erstrebten Feststellung ist gegeben. Für die Rechtsbeziehungen der Parteien ist der am 09.03.2022 abgeschlossene Vergleich von rechtlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Da die Beklagte zu 1. dessen Verbindlichkeit in Abrede stellt, muss die Möglichkeit bestehen, diese mit Bindungswirkung für die Parteien festzustellen. Besteht Streit über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, der die rechtlichen Beziehungen der daran beteiligten Parteien verbindlich regelt, kann jede Partei auf Klärung der Frage antragen, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich vollständig erledigt worden ist (vgl. OLG Hamm, Urt. vom 15.06.2000 – 4 UF 253/98, juris Rn. 24 m.w.N.; Zöller/Geimer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 794 Rn. 15 a; Sprau, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 779 Rn. 31).</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">2.</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">In der Sache sind die Feststellungsanträge begründet.</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">Der Vergleich vom 09.03.2022 ist für die Parteien verbindlich und hat den Rechtsstreit beendet.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Der von der Beklagten zu 1. unter dem 30.03.2022 – am letzten Tag der Widerrufsfrist – bei Gericht per Telefax erklärte Widerruf des Vergleichs ist rechtlich nicht wirksam.</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">a)</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Nach der ab dem 01.01.2022 geltenden Vorschrift des § 130 d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. § 130 d ZPO gilt für alle schriftlich einzureichenden Anträge und Erklärungen.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks">Zu solchen durch einen Rechtsanwalt „schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen“ gehört auch eine Vergleichswiderrufserklärung. Die hier unter dem 30.03.2022 abgegebene Widerrufserklärung ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgt und damit nichtig (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. vom 24.05.2022 – 6 U 9/22, juris Rn. 9 unter Hinweis auf BT-Drucks.17/12634, Seite 27; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 130 d Rn. 4; BeckOK ZPO/von Selle, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO § 130 d Rn. 6).</p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">b)</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">Eine Übermittlung anwaltlicher Erklärungen nach den allgemeinen Vorschriften ist nur dann – ausnahmsweise - zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist (§ 130 d Satz 2 ZPO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 11); auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 130 d Satz 3 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">Eine „vorübergehende technische Störung“ der Schriftsatzübermittlung per beA ist von der Beklagten zu 1. nicht ausreichend dargetan und auch nicht bei Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">aa)</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">Das Unterbleiben einer solchen Mitteilung einer technischen Unmöglichkeit einer elektronischen Schriftsatzübermittlung vor dem 06.04.2022 begründet bereits Zweifel am behaupteten Ausfall des beA-Gerätes.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Die Klägerin hatte zunächst unter dem 06.04.2022 vorgetragen und mit eidesstattlicher Versicherung der Angestellten Frau G unterlegt, dass am 30.03.2022 – dem letzten Tag der Widerrufsfrist - ein Update des beA-Gerätes habe vorgenommen werden müssen und das beA-System nach Durchführung des Updates durch den Prozessbevollmächtigten im Beisein der Sekretärin (Frau G) nicht mehr habe aufgerufen werden können; das Endgerät habe sich erst am 01.04.2022 wieder starten lassen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Mit späterem Schriftsatz vom 20.04.2022 hat die Klägerin ihren Vortrag korrigiert und ausgeführt, das beA-Gerät habe bereits am 02.03.2022 nicht funktioniert. Auf Nachfrage hin habe er von der Supportfirma Anweisungen erhalten, mit deren Hilfe das Gerät dann wieder habe genutzt werden können. In der Zeit danach bis zum 30.03.2022 sei der Fehler wiederholt aufgetreten, zuletzt am 30.03.2022. Dessen Behebung habe bis zum 31.03.2022 gedauert; erst am 01.04.2022 habe das beA-Gerät wieder funktioniert. Nach diesem neuen Vortrag sind das bisherige Vorbringen und die dazu vorgelegte eidesstattliche Versicherung als unzutreffend anzusehen. Wiederholte Ausfälle des beA-Geräts über einen längeren Störungszeitraum – wie jetzt behauptet wird - sind der eidesstattlichen Versicherung der Frau G nicht zu entnehmen. Der – neue – Vortrag zu den Fehlfunktionen des Kartenlesegerätes seit dem 02.03.2022 ist angesichts der Widersprüche zu dem bisherigen Ausfallgrund unzureichend und zudem nicht glaubhaft gemacht.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen reicht auch das neue Vorbringen zur Annahme einer bloß vorübergehenden technischen Störung des Kartenlesegerätes mit der Folge der Unmöglichkeit der Einreichung am 30.03.2022 nicht aus. Der für den 02.03.2022 dokumentierten Korrespondenz mit dem Support ist zu entnehmen, dass dieser binnen 8 Minuten geantwortet hat. Ob am 30.03.2022 eine Kommunikation mit dem Support stattfand und welchen Inhalt diese gehabt hat, ist nicht mitgeteilt. Die Übermittlung des Widerrufsschriftsatzes am 30.03.2022 um 13.18 Uhr per Fax lässt darauf schließen, dass noch Zeit bestanden hätte, den Support zu kontaktieren. Das weitere Vorbringen, das Gerät habe an einzelnen Tagen nicht funktioniert, ist ebenfalls wenig konkret. Auch insoweit wird nicht mitgeteilt, wann genau was mit welchem Erfolg veranlasst worden ist.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">bb)</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Auch fehlt eine unverzügliche Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit der behaupteten technischen Nutzung des beA-Geräts im Sinne von § 130 d Satz 3 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">Die auf herkömmlichen Wege - per Telefax ersatzweise - eingereichte Widerrufserklärung vom 30.03.2022 enthält keinen Hinweis auf den angeblichen technischen Ausfall des beA-Geräts. Das gilt gleichermaßen für die im Vorfeld der mündlichen Verhandlung auf gleiche Weise - per Telefax - eingereichten Schriftsätze der Klägerin vom 07.02.2022 (GA 656) und 02.03.2022 (GA 680-682).</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Auch nach der Ersatzeinreichung des Widerrufsschriftsatzes am 30.03.2022 ist eine Mitteilung mit Glaubhaftmachung der technischen Störung des beA-Gerätes nicht unverzüglich erfolgt. Eine solche Mitteilung ist erstmals – nach Zugang der richterlichen Verfügung vom 01.04.2022 mit Hinweis auf die Unwirksamkeit der Einreichung der Widerrufserklärung - mit Schriftsatz vom 06.04.2022 unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung vom selben Tage erfolgt. Wenn die technische Störung am 30.03.2022 vorgelegen haben soll, ist nicht ersichtlich, warum nicht zugleich mit der Ersatzeinreichung an diesem Tage ein Hinweis auf eine solche Störung hätte erfolgen können. Dies wäre geboten gewesen, um in dieser wichtigen Angelegenheit einen formgerechten Eingang sicherzustellen. Dass es nicht erfolgte, spricht dafür, dass das Formerfordernis   - wie auch schon bei den Schriftsätzen vom 07.02.2022 und 02.03.2022 – übersehen worden ist.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Dafür, dass die anwaltliche Versicherung der Übermittlungsprobleme am 06.04.2022, und damit eine Woche nach Einreichung des Widerrufsschriftsatzes am 30. März 2022, noch ohne schuldhaftes Zögern erfolgte, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Soweit im Schriftsatz vom 20.04.2022 der Beklagten zu 1. vorgebracht wird, eine Anzeige der Unmöglichkeit der Einreichung auf elektronischem Wege mit der Ersatzeinreichung sei unterblieben, weil Gerichte – auch der Senat – vorhergehende unzureichende Einreichungen nicht beanstandet hätten, ändert dies an der Bewertung nichts. Die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs ab dem 01.01.2022 war seit Jahren bekannt; das betreffende Gesetz war bereits am 10.10.2013 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I, 3786) verkündet worden und ist zum 01.01.2022 in Kraft getreten. Die damit verbundenen Probleme wurden in der Anwaltschaft bereits diskutiert. Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1. auch ohne den gerichtlichen Hinweis bekannt sein (vgl. LAG Kiel, Urt. vom 13.10.2021 – 6 Sa 337/20, juris Rn. 134; zur gleichen Thematik im Verwaltungsprozess: OVG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 25.01.2022 – 4 MB 78/21, juris Rn. 8).</p> <span class="absatzRechts">65</span><p class="absatzLinks">Unter diesen Umständen wäre auch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Raum.</p> <span class="absatzRechts">66</span><p class="absatzLinks">Soweit die Beklagte zu 1. in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 25.07.2022 die Anträge zur Wirksamkeit des Vergleichs anerkannt hat, konnte diesen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Vorbringen keine Berücksichtigung mehr finden (AG Bremen Urteil v. 12.12.2003, 7 C 129/2003; Rn. 35; Juris; Zöller, Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 307, Rn 3 ;  BeckOk, Vorweh I Woy, 45. Edition, § 307, Rn. 20)</p> <span class="absatzRechts">67</span><p class="absatzLinks">III.</p> <span class="absatzRechts">68</span><p class="absatzLinks">Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">69</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung im Senatsbeschluss vom 09.03.2022 gilt fort (vgl. BGH, Beschl. vom 16.4.2014 – XI ZR 38/13, juris Rn. 4).</p>
346,177
lg-arnsberg-2022-07-27-5-t-23821
{ "id": 801, "name": "Landgericht Arnsberg", "slug": "lg-arnsberg", "city": 384, "state": 12, "jurisdiction": "Ordentliche Gerichtsbarkeit", "level_of_appeal": "Landgericht" }
5 T 238/21
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-13T10:01:58"
"2022-10-17T17:55:56"
Beschluss
ECLI:DE:LGAR:2022:0727.5T238.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) vom 10.09.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Schmallenberg vom 13.07.2021 (2 XVII 19/02) dahingehend abgeändert, dass die aus der Landeskasse an die die Betreuerin L zu zahlende Vergütung für den Zeitraum 01.04.2021 bis 30.06.2021 auf 513,00 EUR festgesetzt wird.</p> <p>Die Gerichtskosten des Verfahrens werden der Staatskasse auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.</p> <p>Beschwerdewert: 207,00 EUR</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks"><strong>I.</strong></p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin ist langjährige gesetzliche Betreuerin des Herrn T, der wegen einer paranoiden Schizophrenie in der Einrichtung „B“ lebt. Bei dieser Einrichtung handelt es sich um eine besondere Wohnform der Eingliederungshilfe im Sinne des § 42a Abs. 2 A. 1 Nr. 2 SGB XII in Trägerschaft des U Der insoweit mit dem U abgeschlossene Vertrag wurde zur Umsetzung der gesetzlichen Änderungen durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 01.01.2020 mit Vertrag vom 16.12.2019 neu gefasst. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe (Bl. 449-470 des Vergütungshefts) Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Da der Betreute mittellos ist, wird die Vergütung des Beschwerdeführers von der Staatskasse gezahlt.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrem Vergütungsantrag vom 30.06.2021 für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 eine Vergütung von insgesamt 513,00 EUR durch die Staatskasse und gab dabei an, der Betreute lebe in einer „stationären Einrichtung/gleichgest. amb. betreute Wohnform/Heim AWG“.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Mit Schreiben vom 12.07.2021 beantragte die Beschwerdeführerin mit Verweis auf den derzeit gültigen „Vertrag über Leistungen in einer besonderen Wohnform in der Eingliederungshilfe“ die förmliche Festsetzung der Betreuervergütung.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat mit angefochtenen Beschluss vom 13.07.2021 für den Abrechnungszeitraum eine Betreuervergütung i.H.v. 306,00 EUR festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Betroffene in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG lebe.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit der Erinnerung vom 19.07.2021. Zur Begründung führt sie aus, dass der Betroffene nicht in einer stationären Einrichtung und auch nicht in einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform i.S.v. § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 S. 3 VBVG, sondern in einer „anderen Wohnform“ lebe. Im Rahmen der vereinbarten Leistungsgewährungen der Eingliederungshilfe nach dem zweiten Teil des SGB IX lebe er mit zwei Mitbewohnern in einer Außenwohngruppe. Es handele sich um eine abgeschlossene Wohnung im Hause C x in D. Ihm würden entgeltlich ein Zimmer sowie die Nutzung der Gemeinschaftsräume überlassen. Der Betroffene nehme Fachleistungen der Eingliederungshilfe nach Teil II des Neunten Sozialgesetzbuches in Anspruch. Er versorge sich selbst. Im Rahmen der Fachleistungsstunden nehme er u.a. pädagogische Unterstützungsleistungen bei Körperpflege, Hauswirtschaft, der Geldeinteilung sowie allgemein im Umgang mit Eigentum in Anspruch. Von U würden einfache ärztlich verordnete behandlungspflegerische Maßnahmen erbracht. Hinsichtlich erforderlicher therapeutischer Maßnahmen sei U bei der Vermittlung von externen Dienstleistern behilflich. U halte keine „Rund- um- die Uhr-Versorgung“ in der Außenwohngruppe vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte seien nicht ständig, sondern nur bei Bedarf in der Wohngruppe anwesend. Darüber hinaus bestehe nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft. Der BGH habe in seiner Entscheidung vom 05.05.2021 festgestellt, dass diese Umstände einer Rund-um-die-Uhr –Versorgung i.S.d. § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG nicht gleich kommen würden.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Die angehörte Vertreterin der Landeskasse bezieht sich auf den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 24.06.2021 (Az. I-5 T 83/21) und vertritt die Auffassung, dass die Eingliederungshilfe der Legaldefinition des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG entspreche.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat der Erinnerung mit Beschluss vom 09.08.2021 nicht abgeholfen und dem Abteilungsrichter zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 27.08.2021 hat das Amtsgericht die Erinnerung zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10.09.2021 Beschwerde eingelegt.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.10.2021 nicht abgeholfen und sie dem Landgericht – Beschwerdekammer – zur Entscheidung vorgelegt.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Den Verfahrensbeteiligten ist im Beschwerdeverfahren noch einmal Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme gegeben worden, wovon die Beschwerdeführerin Gebrauch gemacht hat.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks"><strong>II.</strong></p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und begründet.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist statthaft, da die diese in dem angefochtenen Beschluss gem. § 61 Abs. 3 FamFG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen wurde.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Die Vergütung der Beteiligten zu 2) ist für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 auf 513,00 EUR festzusetzen.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Der Vergütungsanspruch ergibt sich nach Grund und Höhe aus den §§ 1908i, 1836 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 5a des Vormünder und- Betreuervergütungsgesetzes (VBVG).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Die einem Betreuer zu bewilligende Vergütung ist gem. § 4 Abs. 1 VBVG nach monatlichen Fallpauschalen zu bestimmen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt werden. Die Vergütung der Beteiligten zu 2) richtet sich – wie vom Amtsgericht bereits bei der Festsetzung der Vergütung zugrunde gelegt wurde – nach der Vergütungstabelle C. Aufgrund ihres Abschlusses zur Diplom-Sozialpädagogin erfüllt die Beteiligte zu 2) die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG für eine Vergütung nach der Vergütungstabelle C.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Höhe der Fallpauschalen richtet sich gem. § 5 Abs. 1 nach der Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort und dem Vermögensstatuts des Betreuten.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Bei der Höhe der der Beteiligten zu 2) zu vergütenden Fallpauschale ist zu berücksichtigen, dass die Betreuung bereits am 01.01.1992 angeordnet worden ist, sodass die Dauer der Betreuung 25 Monate überschreitet, § 5 Abs. 2 S. 1 VBVG.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Weiter ist bei der Bemessung der Fallpauschale der gewöhnliche Aufenthalt des Betreuten maßgeblich, § 5 Abs. 1 Nr. 2 VBVG. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betreuten ist wiederum zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach § 5 Abs. 3 S. 3 VBVG gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits zu unterscheiden.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Stationäre Einrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 VBVG sind Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung oder Pflege zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 VBVG sind ambulant betreute Wohnformen entgeltliche Angebote, die dem Zweck dienen, Volljährigen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt oder einer Wohnung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme extern angebotener entgeltlicher Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege zu ermöglichen. Sie sind stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund- um- die- Uhr- Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht frei wählbar ist.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich bei der Außenwohngruppe, in welcher der Betreute lebt, nicht um eine stationäre Einrichtung oder einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform entsprechend der vorgenannten Legaldefinition. Vielmehr war bei der Bemessung der Fallpauschale zugrunde zu legen, dass die Außenwohngruppe als sonstige Wohnform einzuordnen ist.</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt, ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021. 22331). Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht angenommen werden, dass es sich bei dem von dem Betroffenen angemieteten Zimmer in der Außenwohngruppe um eine stationäre Einrichtung bzw. dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform handelt, weil von dem Träger der Einrichtung tatsächliche Betreuung oder Pflege nicht in dem Maß zur Verfügung gestellt oder vorgehalten wird, sodass dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abgenommen wird. Die Leistungen, die der Betreute aufgrund des mit dem U geschlossenen Vertrags zusteht, beschränken sich auf die Überlassung eines Zimmers in einer Außenwohngruppe verbunden mit Assistenzleistungen, welche – je nach Bedarf – von der Motivation bis zur stellvertretenden Ausführung reichen. Seitens der Einrichtung werden körperbezogene Pflegeleistungen sowie behandlungspflegerische Maßnahmen übernommen, soweit diese keine besonderen medizinischen Fachkenntnisse erfordern. Bei Bedarf ist das U bei der Vermittlung erforderlicher therapeutischer Hilfen behilflich. Das U erbringt Fachleistungen im Rahmen der Hauswirtschaft – je nach Bedarf- als Assistenzleistungen oder übernimmt diese vollständig. Zudem umfassen die Pflegeleistungen die Zubereitung und Bereitstellung von Mahlzeiten, Wäscheversorgung, Reinigung von Privatwäsche sowie die Grundreinigung des persönlichen Wohnraums und der Gemeinschaftsräumlichkeiten.</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">Zwar verkennt die Kammer nicht, dass in einem erheblichen Umfang Leistungen angeboten werden, die dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten erleichtern. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für die Einordnung als stationären Einrichtung oder einer solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform aber entscheidend, dass der Träger der Einrichtung eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Außenwohngruppe vorhält. Dafür genügt es nicht, dass die für die Unterstützung der Bewohner zuständigen Fachkräfte während der üblichen Büroöffnungszeiten in der Einrichtung anwesend sind und darüber hinaus nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschaft besteht, da die Betreuten gerade nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen können, wie es in einer stationären oder gleichgestellten Einrichtung möglich wäre (BGH, Beschluss v. 05.05.2021 – XII ZB 580/20 = BeckRS 2021, 14454; BGH, Beschluss v. 02.06.2021 – XII ZB 582/20 = BeckRS 2021, 22331). So ist es hier. Der U hält gerade keine Rund-um- die- Uhr- Versorgung in der Außenwohngruppe „B“ vor. Die für die Unterstützung zuständigen Fachkräfte sind nicht ständig, sondern nur bei Bedarf in der Außenwohngruppe anwesend, da das Konzept der Wohngruppe nach den Angaben des U auf die Verselbständigung der Klienten ausgerichtet ist und darauf abzielt, auf das Leben außerhalb des Sozialwerks vorzubereiten. Darüber hinaus besteht nur ein Notfalldienst in Form einer Rufbereitschafts, sodass der Betreute vorliegend gerade nicht zu jeder Zeit auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen kann.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der Betreute war schließlich nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts im Vergütungszeitraum mittelos, § 5 Abs. 4 VBVG.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 VBVG i.V.m. Nr. C 5.2.1 der Vergütungstabelle C beträgt die einem Betreuer zu bewilligende monatliche Fallpauschale, wenn der Betreute – wie hier – seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einer stationären Einrichtung oder einen solchen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform hat, ab dem 25. Monat der Betreuung für einen vermögenslosen Betreuten 171,00 EUR. Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 01.04.2021 bis 30.06.2021 ergibt sich somit eine festzusetzende Vergütung von 513,00 EUR.</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks"><strong>III.</strong></p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen einer Zulassung nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die für die Abgrenzung zwischen stationären Einrichtungen und diesen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen sowie anderen Wohnformen wesentlichen Punkte sind inzwischen durch die obergerichtliche Rechtsprechung entschieden.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsbehelfsbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben. Die Entscheidung ist rechtskräftig.</p>
346,136
vg-dusseldorf-2022-07-27-22-k-334322a
{ "id": 842, "name": "Verwaltungsgericht Düsseldorf", "slug": "vg-dusseldorf", "city": 413, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
22 K 3343/22.A
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-10T10:03:31"
"2022-10-17T17:55:50"
Gerichtsbescheid
ECLI:DE:VGD:2022:0727.22K3343.22A.00
<h2>Tenor</h2> <p><strong>Die Klage wird abgewiesen.</strong></p> <p><strong>Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.</strong></p> <p><strong>Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Gerichtsbescheides vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.</strong></p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><strong>Tatbestand:</strong></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der 1998 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 16. Februar 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. Februar 2022 einen förmlichen Asylantrag.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Mit Bescheid vom 29. März 2022 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien (Ziffer 3) sowie ein auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes an (Ziffer 4). Der angefochtene Bescheid ging am 8. April 2022 in der Erstaufnahmeeinrichtung N.               ein. Diese händigte den Bescheid - nach eigenen Angaben des Klägers am 22. April 2022 - an den Kläger aus.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Der Kläger hat am 29. April 2022 Klage erhoben und Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Er trägt vor, eine Abschiebung nach Spanien gefährde seine Gesundheit und sein Leben.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks"><strong>den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. März 2022 aufzuheben.</strong></p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks"><strong>die Klage abzuweisen.</strong></p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Sie macht geltend, die Klage sei nicht fristgerecht eingegangen und bezieht sich im Übrigen auf den streitgegenständlichen Bescheid. Ferner erklärt sie ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">In der Klage- und Antragsschrift hat der Kläger seine Anschrift mit „EAE N.               , D.      S.    00, 00000 N.               “ angegeben. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 5. Mai 2022 ist dem Kläger die gerichtliche Eingangsbestätigung zwar nicht unter dieser Anschrift, aber unter der seitens des Zustellers berichtigten Anschrift der EAE N.               , „H.         S.    00“ in 00000 N.               , zugestellt worden. Eine nachfolgende gerichtliche Erinnerungsverfügung vom 25. Mai 2022 an die in der Klage- und Antragsschrift angegebene Anschrift ist in den Postrücklauf geraten mit dem postalischen Hinweis vom 31. Mai 2022, der Empfänger sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Das Gleiche gilt für eine Fristsetzungsverfügung des Gerichts vom 15. Juni 2022, die an den Kläger unter der Anschrift „H.         S.    00 in 00000 N.               “ abgesandt worden ist (Postzustellungsurkunde vom 20. Juni 2022).</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat am 7. Juli 2022 einen Auszug aus dem Ausländerzentralregister eingeholt. Danach ist der Kläger seit dem 24. Juni 2022 unter der Anschrift der ZUE X.     gemeldet.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Unter dem 7. Juli 2022 ist der Kläger gemäß § 84 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden und gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO aufgefordert worden, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens seine ladungsfähige Anschrift anzugeben. Dies wurde verbunden mit dem Hinweis, dass Ergänzungen nach Fristablauf nicht mehr berücksichtigt werden können. Das Schreiben ist am 8. Juli 2022 per Postzustellungsurkunde an die im Rubrum genannte Anschrift des Klägers in der ZUE X.     verschickt worden. Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 13. Juli 2022 blieb der Zustellversuch erfolglos, da der Empfänger unbekannt verzogen war. Die Aufforderung ist ohne Reaktion des Klägers geblieben.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Die Beklagte hat am 19. Juli 2022 unter Bezugnahme auf schriftliche Mitteilungen der Zentralen Ausländerbehörde F.    vom 13. und 14. Juli 2022 sowie der ZUE X.     vom 13. Juli 2022 mitgeteilt, dass der Kläger am 22. Juni 2022 in die ZUE X.     verlegt worden sei, dort aber seit dem 6. Juli 2022 nicht mehr anwesend sei.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Mit Beschluss vom heutigen Tag ist der Eilantrag als unzulässig abgelehnt worden (22 L 1017/22.A).</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks"><strong>Entscheidungsgründe:</strong></p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">1. Das Gericht entscheidet nach Anhörung durch Gerichtsbescheid gemäß § 84 Abs. 1 VwGO, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Das Schreiben vom 7. Juli 2022, mit dem der Kläger gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden ist, gilt nach § 10 Abs. 2 AsylG als zugestellt, obwohl die Sendung als unzustellbar zurückkam.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Nach dieser Vorschrift muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die dem angerufenen Gerichte auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann (Satz 1). Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (Satz 2). Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (Satz 4).</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßgaben galt die Zustellung des Anhörungsschreibens vom 7. Juli 2022 mit der Aufgabe zur Post am 8. Juli 2022 als bewirkt. Der Kläger hat für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt. Die Anschrift der ZUE X.     , in der ihm das Schreiben nicht zugestellt werden konnte, ist seine letzte bekannte Anschrift, die dem Gericht im Sinne der § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist und unter der er wohnt bzw. zu wohnen verpflichtet war.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Dem Gericht ist die Anschrift durch eine andere öffentliche Stelle – nämlich durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Registerbehörde des Ausländerzentralregisters – mitgeteilt worden. Denn das Gericht hat unter ordnungsgemäßer Verwendung der vorhandenen Zugriffsrechte aktiv um Mitteilung der im Ausländerzentralregister ordnungsgemäß gespeicherten Daten betreffend den Kläger – insbesondere seine Anschrift – ersucht und daraufhin die erbetene Information erhalten.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Vgl. zur Funktion des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als Registerbehörde und der Übermittlung von Daten aus dem Register an andere öffentliche Stellen im Wege eines ausdrücklichen und nach dem AZRG zulässigen Übermittlungsersuchens: BVerwG, Urteil vom 20. August 2020 – 1 C 28/19 –, BVerwGE 169, 192-207, Rn. 16.</p> <span class="absatzRechts">23</span><p class="absatzLinks">Anders als im Fall der durch den Asylbewerber selbst angegebenen Adresse muss die von einer anderen öffentlichen Stelle mitgeteilte Anschrift objektiv zutreffend sein. Der Asylbewerber muss an der mitgeteilten Anschrift gewohnt haben oder jedenfalls zu wohnen verpflichtet gewesen sein. Er soll nicht das Risiko der Unrichtigkeit einer nicht von ihm stammenden Mitteilung über seine Wohnung tragen.</p> <span class="absatzRechts">24</span><p class="absatzLinks">Vgl. BT-Drs. 12/4450, S. 16; BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 33. Edition, Stand: 1. April 2022, AsylG § 10, Rn. 29.</p> <span class="absatzRechts">25</span><p class="absatzLinks">Dies war vorliegend der Fall. Die durch die Abfrage des Gerichts aus dem Ausländerzentralregister erhaltene Anschriftenmitteilung war zum Zeitpunkt der Mitteilung (und auch zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs) zutreffend in diesem Sinne, da der Kläger dort wohnte bzw. jedenfalls zu wohnen verpflichtet war. Die Angaben im Ausländerzentralregister werden insoweit bestätigt durch die Angaben der ZUE X.     in der E-Mail vom 13. Juli 2022 an die Zentrale Ausländerbehörde F.     (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 19. Juli 2022).</p> <span class="absatzRechts">26</span><p class="absatzLinks">Ferner hat der Kläger auch gegen seine Obliegenheiten nach § 10 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG verstoßen, jeden Wechsel seiner Anschrift "unverzüglich", also innerhalb von zwei Wochen nach dem tatsächlichen Umzug anzuzeigen,</p> <span class="absatzRechts">27</span><p class="absatzLinks">vgl. zu dieser Voraussetzung: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2021 – 1 C 40/20 –, Rn. 12 und 19 ff, juris.</p> <span class="absatzRechts">28</span><p class="absatzLinks">Der tatsächliche Umzugstag des Klägers nach X.     war 22. Juni 2022. An diesem Tag ist der Kläger ausweislich der E-Mail der ZUE X.     vom 13. Juli 2022 in die Unterkunft nach X.     verlegt worden. Bis zur Abfrage seiner Anschrift beim Ausländerzentralregister durch das Gericht am 7. Juli 2022 und der Absendung des Anhörungsschreibens am 8. Juli 2022 waren bereits mehr als zwei Wochen verstrichen und der Kläger hatte seine damals aktuelle Anschrift, unter der er zumindest zu wohnen verpflichtet war, dem Gericht nicht mitgeteilt.</p> <span class="absatzRechts">29</span><p class="absatzLinks">Schließlich wurde der Kläger zuvor auch i.S.d. § 10 Abs. 7 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung vom 11. März 2022 auf die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylG hingewiesen (Bl. 31 ff., Bl. 87 der Asylakte).</p> <span class="absatzRechts">30</span><p class="absatzLinks">2. Die Klage ist unzulässig.</p> <span class="absatzRechts">31</span><p class="absatzLinks">a) Sie entspricht nicht den Anforderungen an den Inhalt der Klageschrift gemäß § 82 VwGO, weil die ladungsfähige Anschrift des Klägers nicht (mehr) bekannt ist.</p> <span class="absatzRechts">32</span><p class="absatzLinks">Gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Entspricht die Klage nicht diesen Anforderungen, hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern.</p> <span class="absatzRechts">33</span><p class="absatzLinks">Das Erfordernis der Bezeichnung des Klägers erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. seiner Wohnanschrift, unter der er tatsächlich erreichbar ist. Im Falle einer insofern erfolgenden Änderung hat der Kläger diese mitzuteilen. Eine ladungsfähige Anschrift ist dann nicht erforderlich, wenn sich diese aus den von der Behörde gemäß § 99 VwGO vorzulegenden Akten ergibt, sonst wie bekannt ist oder sich auf andere Weise ohne Schwierigkeiten ermitteln lässt.</p> <span class="absatzRechts">34</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 ‑ 1 C 24/97 ‑, NJW 1999, 2608 ff. und juris Rn. 28 ff sowie Beschluss vom 14. Februar 2012 ‑ 9 B 79/11 ‑, Rn. 7, juris.</p> <span class="absatzRechts">35</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Grundsätzen fehlt es an einer ladungsfähigen Anschrift.</p> <span class="absatzRechts">36</span><p class="absatzLinks">Zwar war in der Klageschrift eine Wohnanschrift angegeben. Es spricht jedoch alles dafür, dass sich der Kläger unter dieser Anschrift nicht mehr aufhält und dem Gericht liegen auch keine sonstigen Erkenntnisse vor, aufgrund derer die aktuelle Wohnanschrift des Klägers ermittelt werden könnte.</p> <span class="absatzRechts">37</span><p class="absatzLinks">Es spricht alles dafür, dass sich der Kläger unter der von ihm zuletzt angegebenen Anschrift nicht mehr aufhält. Schreiben des Gerichts, die an den Kläger unter der Postanschrift der EAE N.               abgesandt worden sind, gelangten am 13. sowie 23. Juni 2022 in den Postrücklauf mit dem Hinweis, der Kläger sei unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln.</p> <span class="absatzRechts">38</span><p class="absatzLinks">Dem Gericht liegen auch keine sonstigen Erkenntnisse vor, aufgrund derer die aktuelle Wohnanschrift des Klägers ermittelt werden könnte. Insbesondere hält sich der Kläger nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch unter der Anschrift der ZUE X.     , unter der er zu wohnen verpflichtet ist, tatsächlich seit dem 6. Juli 2022 nicht mehr auf.</p> <span class="absatzRechts">39</span><p class="absatzLinks">Schließlich fehlt es auch an Anhaltspunkten dafür, dass dem Kläger die Angabe seiner Anschrift ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar wäre.</p> <span class="absatzRechts">40</span><p class="absatzLinks">Das Gericht hat den Kläger – in demselben Schreiben vom 7. Juli 2022, mit dem der Kläger zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden ist – auf das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift und die Unzulässigkeit der Klage als Folge dieses Umstandes hingewiesen, ihn gemäß § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO unter Fristsetzung zur Angabe seiner ladungsfähigen Anschrift aufgefordert und auf die Folge dieser Vorschrift hingewiesen. Die Zustellung des Schreibens gilt nach den oben gemachten Ausführungen gemäß § 10 Abs. 2 AsylG mit der Aufgabe zur Post am 8. Juli 2022 als bewirkt, obwohl die Sendung als unzustellbar zurückkam.</p> <span class="absatzRechts">41</span><p class="absatzLinks">Auf die Fristsetzungsverfügung erfolgte keine Reaktion des Klägers.</p> <span class="absatzRechts">42</span><p class="absatzLinks">b) Überdies ist die Klage auch nicht fristgerecht erhoben worden.</p> <span class="absatzRechts">43</span><p class="absatzLinks">Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. AsylG ist die Klage innerhalb einer Woche zu erheben, wenn – wie hier – der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen. Nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung (nach § 34a Abs. 1 AsylG) innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten zuzustellen, § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG. In einer Aufnahmeeinrichtung hat diese Zustellungen und formlose Mitteilungen an die Ausländer, die nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 AsylG Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der Anschrift der Aufnahmeeinrichtung gegen sich gelten lassen müssen, vorzunehmen, § 10 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Zustellungen und formlose Mitteilungen sind mit der Aushändigung an den Ausländer bewirkt; im Übrigen gelten sie am dritten Tag nach Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung als bewirkt (§ 10 Abs. 4 Satz 4 AsylG).</p> <span class="absatzRechts">44</span><p class="absatzLinks">Nach diesen Maßgaben gilt der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 29. März 2022 als zugestellt am 11. April 2022 und die Frist zur Klageerhebung endete mit Ablauf des 19. April 2022 (Dienstag nach Ostermontag).</p> <span class="absatzRechts">45</span><p class="absatzLinks">Die Klagefrist betrug eine Woche, da der Eilantrag des Klägers sich gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides richtete. Die Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides erfolgte durch Zustellung. Bei der Erstaufnahmeeinrichtung N.               handelte es sich im Zeitpunkt der Bescheidzustellung um die letzte bekannte Anschrift des Klägers, die dem Bundesamt auf Grund seines Asylantrags bekannt war (vgl. Bl. 66 der Asylakte). Da er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat, musste er Zustellungen unter dieser Anschrift gegen sich gelten lassen. Der Bescheid wurde der Erstaufnahmeeinrichtung N.               am 8. April 2022 übergeben (Bl. 207 der Asylakte) und gilt damit gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 2. Hs. AsylG am dritten Tag nach der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung, also am 11. April 2022, als zugestellt. Die spätere Übergabe an den Asylbewerber – hier die erfolgte Aushändigung an den Kläger – ändert hieran nichts,</p> <span class="absatzRechts">46</span><p class="absatzLinks">vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, 13. Auflage 2020, AsylG § 10 Rn. 21; Preisner in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 33. Edition, Stand 1. April 2022, AsylG § 10 Rn. 36 m.w.N.; Oubensalh in Huber/Mantel AufenthG, 3. Auflage 2021, AsylG § 10 Rn. 14; VG München, Beschluss vom 2. Mai 2022 – M 10 S 22.50230 –, juris.</p> <span class="absatzRechts">47</span><p class="absatzLinks">Dem Bescheid war eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Zudem wurde der Kläger zuvor auf diese Zustellungsvorschriften hingewiesen (Bl. 31 ff., Bl. 87 der Asylakte). Nach alledem lief die Frist zur Klageerhebung mit Ablauf des 19. April 2022 (Dienstag nach Ostermontag) ab (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB).</p> <span class="absatzRechts">48</span><p class="absatzLinks">Gründe, die eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO rechtfertigen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.</p> <span class="absatzRechts">49</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.</p> <span class="absatzRechts">50</span><p class="absatzLinks"><strong>Rechtsmittelbelehrung:</strong></p> <span class="absatzRechts">51</span><p class="absatzLinks">Gegen diesen Gerichtsbescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung die Zulassung der Berufung (1) oder mündliche Verhandlung (2) beantragt werden. Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.</p> <span class="absatzRechts">52</span><p class="absatzLinks">(1)              Über den Antrag auf Zulassung der Berufung entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn</p> <span class="absatzRechts">53</span><p class="absatzLinks">1.              die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder</p> <span class="absatzRechts">54</span><p class="absatzLinks">2.              der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder</p> <span class="absatzRechts">55</span><p class="absatzLinks">3.              ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.</p> <span class="absatzRechts">56</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich zu stellen. Er muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen.</p> <span class="absatzRechts">57</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">58</span><p class="absatzLinks">In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.</p> <span class="absatzRechts">59</span><p class="absatzLinks">Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.</p> <span class="absatzRechts">60</span><p class="absatzLinks">Die Antragsschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p> <span class="absatzRechts">61</span><p class="absatzLinks">(2)              Anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.</p> <span class="absatzRechts">62</span><p class="absatzLinks">Der Antrag ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen.</p> <span class="absatzRechts">63</span><p class="absatzLinks">Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.</p> <span class="absatzRechts">64</span><p class="absatzLinks">Der Antrag soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.</p>
346,124
vghbw-2022-07-27-4-s-71322
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4 S 713/22
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-09T10:01:18"
"2022-10-17T17:55:48"
Beschluss
<h2>Tenor</h2> <blockquote><blockquote><p>Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 1. März 2022 - 11 K 5029/20 - wird zurückgewiesen.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.</p></blockquote></blockquote><blockquote><blockquote><p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 44.841,30 EUR festgesetzt.</p></blockquote></blockquote> <h2>Gründe</h2> <table><tr><td> </td><td> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>1 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="1"/>Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) sowie inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>2 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="2"/>Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die W-3-Professur „Romanistik und ihre Didaktik“ an der Pädagogischen Hochschule X mit der Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über seine Bewerbung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>3 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="3"/>Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Ein abgelehnter Bewerber‚ dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist‚ kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen‚ wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind‚ seine Auswahl also möglich erscheint. Dieser Prüfungsmaßstab ist wie im Hauptsacheverfahren auch bei einem Konkurrenteneilverfahren anzulegen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>4 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="4"/>Um sich im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, muss ein Beschwerdeführer von der Begründungsstruktur dieser Entscheidung ausgehen und das Entscheidungsergebnis in Frage stellen. Je intensiver diese Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Beschwerdeführer die sie tragende Argumentation entkräften. Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht; umso weniger genügt ein reiner Verweis auf seinen Vortrag im Erstverfahren bzw. dessen alleinige Wiederholung im Rahmen der Beschwerdebegründung. Vielmehr muss der Beschwerdeführer in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und - soweit möglich - deren Vorzugswürdigkeit darlegen (Nds. OVG, Beschluss vom 24.09.2021 - 12 ME 45/21 -, Juris Rn. 76.; Bay. VGH, Beschluss vom 01.06.2022 - 10 CE 21.2270 -, Juris Rn. 3; OVG MV, Beschluss vom 02.09.2005 - 18 B 209/05 -, Juris Rn. 4).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>5 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="5"/>Der Senat gelangt bei Anlegung dieses Maßstabs nach Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht zu der Überzeugung, dass das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers zu Unrecht abgelehnt hat. Dessen Beschwerdebegründung genügt in Teilen bereits nicht den an die Darlegung der Beschwerdegründe zu stellenden Anforderungen. Im Übrigen vermögen die Beschwerdegründe in der Sache nicht zu überzeugen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>6 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="6"/>I. Keinen Erfolg hat der Antragsteller zunächst mit den von ihm gerügten Form- und Verfahrensfehlern. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch in erster Linie darauf zielt, dass die Auswahlentscheidung nach den durch Art. 33 Abs. 2 GG verfassungskräftig verbürgten Grundsätzen der Bestenauslese - materiell-rechtlich richtig - vorgenommen, mithin nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung getroffen wird. Eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs kann dabei auch auf der Nichtbeachtung von Form- oder Verfahrensvorschriften beruhen. Einen dahingehenden Automatismus gibt es allerdings nicht; vielmehr schlägt ein (Verfahrens-)Fehler nur dann auf den Bewerbungsverfahrensanspruch eines Bewerbers durch, wenn er seiner Art nach die Annahme stützt, der von dem Dienstherrn getroffenen Auswahlentscheidung könne eine hinreichende Orientierung an den materiellen Kriterien der Bestenauslese fehlen, und der Bewerber darüber hinaus durch diesen Fehler nachteilig in seiner subjektiven Rechtsstellung betroffen wird. Einen Rechtsanspruch, nach dem ein Bewerber verlangen könnte, das Berufungsverfahren müsse insgesamt objektiv-rechtlich ordnungsgemäß durchgeführt werden, auch soweit seine Rechte nicht betroffen sind, gibt es dagegen nicht (ebenso: Bay. VGH, Beschluss vom 03.07.2018 - 7 CE 17.2430 -, Juris Rn. 41; OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2019 - 1 B 347/19 -, Juris Rn. 16).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>7 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="7"/>Dies zugrunde gelegt, liegen die vom Antragsteller angenommenen Form- und Verfahrensfehler - sofern sein Vortrag den Begründungsanforderungen genügt - zum Teil im Ergebnis nicht vor, im Übrigen wirken sie sich jedenfalls nicht auf seinen Bewerbungsverfahrensanspruch betreffend die streitgegenständliche Auswahlentscheidung aus. Im Einzelnen:</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>8 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="8"/>1. Der Antragsteller erhebt mehrere Rügen im Zusammenhang mit § 48 LHG.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>9 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="9"/>a. Keinen Erfolg hat er zunächst mit seinem Vortrag, die Antragsgegnerin habe unter Verstoß gegen § 48 Abs. 3 Satz 6 LHG einen Berufungsvorschlag nicht mit drei, sondern mit lediglich zwei Namen erstellt. Mit diesem Einwand kann er bereits deshalb nicht gehört werden, weil er einer der beiden von der Berufungskommission als listenfähig angesehenen Bewerber ist; der Umstand, dass die Kommission keinen dritten Bewerber gelistet hat, kann ihn daher nicht beschweren bzw. in seinen Rechten verletzen. Anderes ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Beigeladene sich infolge der Zweierliste „nur noch gegen einen Bewerber und nicht gegen zwei andere Bewerber durchsetzen“ musste. Denn selbst wenn die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin unter Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG erfolgt sein sollte, weil es einer „Dreierliste“ bedurft hätte und weil in diesem Fall eine nach Bestenauslesegesichtspunkten erfolgte Auswahlentscheidung mutmaßlich auf den drittgelisteten Bewerber gefallen wäre, könnte dieser Umstand unter keinem Blickwinkel eine subjektive Rechtsposition des Antragstellers berühren. Der Bewerbungsverfahrensanspruch sichert allein das Recht eines Bewerbers, dass seine Bewerbung nur aus Gründen zurückgewiesen wird, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind; sie verleiht ihm darüber hinaus jedoch keinen Anspruch darauf, die Auswahl eines vermeintlich nicht bestgeeigneten Bewerbers zu verhindern.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>10 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="10"/>b. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit die Ausschreibung gemäß § 48 Abs. 1 LHG international hätte erfolgen müssen. Denn auch insoweit ist nicht im Ansatz erkennbar, inwieweit der Antragsteller, der von der Ausschreibung Kenntnis erlangt hat, sich tatsächlich um die ausgeschriebene Stelle beworben hat und in die Bewerberauswahl einbezogen worden ist, durch die - unterstellt - fehlerhafte Unterlassung einer internationalen Ausschreibung und die damit verbundene Öffnung des Bewerberfeldes in seinen Rechten verletzt sein könnte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>11 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="11"/>c. Die Einwendung des Antragstellers, in der Berufung der Beigeladenen liege eine von § 48 Abs. 2 Sätze 4-6 LHG untersagte Hausberufung, weil sie im Wintersemester 2019/20 vom 01.10.2019 bis zum 31.03.2020 eine Vertretungsprofessur bei der Antragsgegnerin wahrgenommen hat, ist aus Rechtsgründen unzutreffend.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>12 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="12"/>Richtig ist, dass nach § 48 Abs. 2 Sätze 4-6 LHG Mitglieder der eigenen Hoch-schule - aufgrund des zu ihren Gunsten bestehenden „Standortvorteils“, der das Prinzip der Bestenauslese gefährden kann (von Coelln/Haug, BeckOK, Hochschulrecht Bad.-Württ., Stand 01.03.2022, § 48 LHG Rn. 16) - bei der Berufung auf eine Professur nur in begründeten Ausnahmefällen berücksichtigt werden können.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>13 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="13"/>Keiner Entscheidung bedarf hier die Frage, ob tatbestandlich von einer Hausberufung ausgegangen werden könnte, wenn der letztlich ausgewählte Bewerber weder zum Zeitpunkt des Bewerbungstermins (hier der 20.05.2019) noch zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung der Berufungskommission (08.06.2020), aber während des Auswahlverfahrens an der betreffenden Hochschule tätig war.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>14 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="14"/>Denn selbst wenn man dies unter dem Gesichtspunkt des „Standortvorteils“ grundsätzlich annehmen wollte, ist hier zu berücksichtigen, dass die eingeschränkte Zulässigkeit von Hausberufungen gemäß § 48 Abs. 2 Satz 6 LHG nur (aktuelle) „Mitglieder“ der Hochschule erfasst. Professurvertreter/innen, deren Tätigkeit auf höchstens sechs Monate angelegt ist, sind, wie sich aus dem Umkehrschluss in § 9 Abs. 1 Satz 4 LHG ergibt, keine Mitglieder der Universität, sondern allein deren Angehörige (vgl. ausdrücklich von Coelln/Haug, BeckOK Hochschulrecht Bad.-Württ, Stand 01.03.2022, § 9 Rn. 25). In der Konsequenz regelt § 48 Abs. 5 LHG, dass (u.a.) Absatz 2 der Regelung nicht anzuwenden ist auf Personen, denen übergangsweise die Wahrnehmung der Aufgaben einer Professorin oder eines Professors übertragen wird. Soweit der Antragsteller vorträgt, es sei von Anfang an geplant gewesen, die Beigeladene nicht nur vorübergehend zu beschäftigen, wodurch sie, so wird man den Antragsteller ergänzen können, zu einem nur nach den Maßstäben der Hausberufung berufungsfähigen Mitglied der Universität geworden sei, handelt es sich um Mutmaßungen, die im tatsächlichen Ablauf der Ereignisse - die Vertretungsprofessur der Beigeladenen endete nach sechs Monaten - nach Aktenlage keinen hinreichend aussagekräftigen Beleg finden. Noch viel weniger kann - entgegen der Auffassung des Antragstellers - der Umstand, dass die Beigeladene zwischenzeitlich eine Vertretungsprofessur an der PH Y übernommen hat, welche mit der PH X kooperiert, dazu führen, dass die Beigeladene „faktisch“ als Mitglied der Antragsgegnerin zu betrachten wäre.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>15 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="15"/>Zwar mögen im Rahmen eines Auswahlverfahrens auch die im Rahmen von Vertretungsprofessuren an einer Hochschule Beschäftigten im Einzelfall einen gewissen Vorteil gegenüber „rein externen“ Bewerbern haben; dieser Gesichtspunkt ist indes nicht bereits im Rahmen des § 48 LHG von Relevanz, ihm ist vielmehr gegebenenfalls im Rahmen der materiellen Prüfung Augenmerk zu schenken.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>16 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="16"/>d. Der Antragsteller kann ferner nicht mit seinem Einwand gegen die Zusammensetzung der Berufungskommission gehört werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>17 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="17"/>aa. Dies gilt zunächst, soweit er der Auffassung ist, die beiden Mitglieder der Berufungskommission, Frau S. und Frau Prof. Dr. V., seien keine fachkundigen Frauen im Sinne von § 48 Abs. 3 LHG, weil sie keine romanistischen Fachdidaktikerinnen seien.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>18 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="18"/>Mit der Bewertung der beiden Kommissionsmitglieder als nicht hinreichend qualifiziert setzt der Antragsteller seine eigene Beurteilung der erforderlichen „Fachkunde“ der Kommissionsmitglieder an die Stelle der Auffassung des Rektorats, dem - im Benehmen mit der Fakultät - die Aufgabe der Bildung einer Berufungskommission obliegt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 LHG). Dies genügt nicht, um die ordnungsgemäße Besetzung der Berufungskommission substantiiert in Zweifel zu ziehen. Für den Senat ist jedenfalls nicht zu erkennen, dass das Rektorat bei der Beurteilung von Frau S. und Frau Prof. Dr. V. als fachkundig seinen ihm obliegenden Bewertungsspielraum überschritten hätte. Die Berufungskommission ist im Idealfall das mit dem höchstmöglichen Sachverstand ausgestattete Gremium für die Einschätzung der Qualifikation der Bewerber für die ausgeschriebene Professur. Dies bedeutet aber nicht, dass seine Mitglieder zwangsläufig alle demselben Fach oder derselben Fachrichtung angehören müssten; eine solche Zusammensetzung der Berufungskommission wäre angesichts des breit gefächerten Zuschnitts vieler Fachbereiche und der interdisziplinären Ausrichtung zahlreicher ausgeschriebener Stellen nicht ohne weiteres realisierbar. Auch kann die fachliche Qualifikation der Bewerber unter Zuhilfenahme des Sachverstandes einzelner Kommissionsmitglieder und/oder mittels Einholung auswärtiger Gutachten festgestellt werden (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.02.2009 - 6 B 1744/08 -, Juris Rn. 9).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>19 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="19"/>Weshalb eine Dozentin und Lektorin für die französische Sprache und eine Professorin für die Didaktik der englischen Sprache, Literatur und Kultur - zumal unter Zuhilfenahme des Sachverstandes der weiteren Kommissionsmitglieder - nicht über eine hinreichende Sachkunde für eine kompetente Bewertung der Eignung und Befähigung der Bewerberinnen und Bewerber für die ausgeschriebene Professur für „Romanistik und ihre Didaktik“ verfügen sollten, erschließt sich nicht und ist auch dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen, der sich darauf beschränkt, darzulegen, dass es sich - unstreitig - nicht um romanistische Fachdidaktikerinnen handele. Auch inwieweit Prof. Dr. P., Professor für Romanische Philologie, nicht hinreichend sachkundig gewesen sein soll, führt der Antragsteller mit seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend aus.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>20 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="20"/>bb. Mit dem Verwaltungsgericht kann auch der Senat ferner nicht erkennen, inwieweit der Wechsel von Prof. Dr. S. zur Pädagogischen Hochschule Z einen Besetzungsfehler sollte begründen können. Mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts setzt sich der Antragsteller insoweit jedenfalls nicht substantiiert auseinander.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>21 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="21"/>e. Ebenfalls im Ergebnis ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, hinsichtlich einiger Berufungskommissionsmitglieder bestehe die Besorgnis der Befangenheit.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>22 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="22"/>aa. Dahinstehen kann zunächst, ob, wovon der Antragsteller ausgeht, Frau S. und Frau Prof. Dr. V. aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit der Beigeladenen wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 21 Abs. 1 LVwVfG von der Mitwirkung in der Berufungskommission ausgeschlossen gewesen wären. Denn der Senat teilt auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach der Antragsteller diese Befangenheitsrüge früher hätte erheben müssen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>23 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="23"/>Der Antragsteller war gehalten, einen ihm bekannten Ablehnungsgrund unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu rügen; dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt hier unabhängig davon, ob die Regelung des § 71 Abs. 3 LVwVfG für hochschulrechtliche Berufungsverfahren direkt anwendbar ist (so für das jeweilige Landesrecht ausdrücklich Bay. VGH, Beschluss vom 01.02.2022 - 3 CE 22.19 -, Juris Rn. 5; OVG RP, Beschluss vom 28.09.2007 - 2 B 10825/07 u.a. -, Juris Rn. 11) oder insoweit allein auf §§ 20, 21 LVwVfG zu rekurrieren ist (offen gelassen von OVG MV, Beschluss vom 21.04.2010 - 2 M 14/10 -, Juris Rn. 21, 31f.). Dementsprechend hätte er seine Besorgnis über die Voreingenommenheit der Berufungskommissionsmitglieder jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Berufungsveranstaltung im Oktober 2019 geltend machen müssen und nicht erst über ein Jahr später im gerichtlichen Verfahren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>24 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="24"/>Denn der Antragsteller hatte, wie sich aus seinem Schreiben vom 13.11.2019 entnehmen lässt, spätestens zum Zeitpunkt der Berufungsveranstaltung am 28.10.2019 Kenntnis davon, dass die Beigeladene ebenfalls in die nähere Bewerberauswahl einbezogen worden ist und dass sie zum damaligen Zeitpunkt die Vertretung der ausgeschriebenen Professur innegehabt hat. Spätestens an diesem Tag hatte er auch Kenntnis davon, dass Frau S. und Frau Prof. Dr. V. Mitglieder in der Berufungskommission waren.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>25 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="25"/>Soweit er geltend macht, dass einem Bewerber die anderen Bewerber im Bewerbungsverfahren nicht von Anfang an bekannt sein müssten, ist dies zutreffend; daraus kann der Antragsteller aber nichts für sich herleiten, nachdem er nach Aktenlage über die Beigeladene bereits im ersten - abgebrochenen - Berufungsverfahren bestens informiert war und spätestens am 28.10.2019 positive Kenntnis von ihrer Lehrstuhlvertretung bei der Antragsgegnerin sowie von ihrer erneuten Bewerbung hatte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>26 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="26"/>Zwar mögen ihm „Lehrstuhl-Zugehörigkeiten und Verflechtungen“ erst durch die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgte Akteneinsicht im Detail bekannt geworden sein. Dass er aus diesem Grunde daran gehindert gewesen sein sollte, zeitnah mögliche Befangenheitsgründe geltend zu machen, sieht der Senat jedoch nicht. Denn im gerichtlichen Verfahren machte er - zunächst ebenfalls noch ohne vorherige Akteneinsicht - mit Blick auf die besondere kollegiale Nähe und freundschaftliche Kontakte die Besorgnis der Befangenheit geltend. Inwieweit ihm dies nicht in gleicher Weise bereits zeitnah im laufenden Bewerbungsverfahren hätte möglich sein sollen, vermag der Senat nicht zu erkennen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>27 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="27"/>Auch mit seinem Einwand, ein Bewerber könne durch eine entsprechende Rüge einen Nachteil im Verfahren erleiden, was ihm nicht zugemutet werden könne, hat er keinen Erfolg. Inwieweit es ihm hätte unzumutbar sein sollen, seine Rügen mit Blick auf die Zusammensetzung der Berufungskommission zeitnah zu erheben, erschließt sich umso weniger, als er sich an anderer Stelle im laufenden Verfahren offenbar ohne Scheu an das Ministerium wandte, so etwa, wenn er mit Schreiben vom 13.11.2019 darauf hinwies, es gebe Anlass zur Sorge, dass versucht werde, „die auch inhaltlich nicht zu rechtfertigende Berufung der Mitbewerberin, die in mehrerer Hinsicht weniger qualifiziert ist als ich, nunmehr ohne Formfehler zu realisieren“.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>28 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="28"/>bb. Soweit der Antragsteller bereits pauschal eine Besorgnis der Befangenheit aller der Antragsgegnerin angehörigen Kolleginnen und Kollegen der Beigeladenen bzw. der Studierenden annimmt, gilt erst recht, dass er insoweit seiner Obliegenheit zu unverzüglicher Rüge nicht nachgekommen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>29 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="29"/>Im Übrigen hat der Antragsteller keine Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts wecken können, wonach kollegiale Nähe allein keine Besorgnis der Befangenheit begründet. Insbesondere kann der Senat der zitierten Entscheidung des OVG Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 21.04.2010 - 2 M 14/10 -, Juris Rn. 26) nicht den ihr vom Antragsteller zugeschriebenen Inhalt entnehmen, für Besorgnis der Befangenheit genüge bereits der Umstand, dass es sich bei den Mitgliedern der Berufungskommission um Kolleginnen und Kollegen der Beigeladenen handele. Vielmehr stellt das OVG klar, dass berufliche bzw. fachliche Zusammenarbeit alleine nicht ausreichend ist, um Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen, und zwar auch dann nicht, wenn sich daraus gelegentliche private Kontakt ergeben. Anderes gilt, so das OVG, nur, wenn neben der beruflichen Zusammenarbeit ein „besonderes Näheverhältnis“ bzw. eine Freundschaft besteht. Dass dies zwischen einzelnen Mitgliedern der Berufungskommission und der Beigeladenen der Fall sein könnte, aber behauptet auch der Antragsteller nicht, geschweige denn, dass er dies belegte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>30 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="30"/>cc. Inwieweit dem Antragsteller bereits vor Akteneinsicht bekannt war, dass eine Mitbewerberin sich beim - nicht stimmberechtigten, aber beratend tätigen - Kommissionsmitglied Prof. Dr. P. habilitierte, ob es also auch insoweit an der Unverzüglichkeit der Rüge fehlt, kann dahinstehen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass eine beratende Mitarbeit von Prof. Dr. P. in der Berufungskommission den Antragsteller bereits deshalb nicht in eigenen Rechten verletzt haben könne, weil die Mitbewerberin, aufgrund derer die Berufungskommission von einer Besorgnis der Befangenheit ausgegangen sei, bereits in der Sitzung vom 19.06.2019 der Kategorie C zugeordnet worden und damit aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschieden sei, womit der Grund für die Besorgnis der Befangenheit von Prof. Dr. P. entfallen sei. Mit diesem - überzeugenden - Argument setzt sich der Antragsteller nicht auseinander, sondern beschränkt sich auf die Behauptung, das Ausscheiden der Mitbewerberin sei „irrelevant“. Damit erfüllt er die Begründungsanforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>31 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="31"/>dd. Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit ergeben sich auch nicht daraus, dass die Gleichstellungsbeauftragte in der Sitzung am 08.06.2020 äußerte, der Antragsteller habe anders als die Beigeladene keine Kinder, was unter anderem ein Grund für die unterschiedliche Quantität der Forschungsleistungen sein könne.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>32 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="32"/>Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Gleichstellungsbeauftragte bewusst eine falsche Tatsache geäußert habe, um das wissenschaftliche Werk der Beigeladenen in einem besseren Licht darzustellen, zumal sich dem 150 Seiten starken Bewerbungsdossier nicht ohne weiteres entnehmen lasse, dass der Antragsteller ein Kind habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>33 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="33"/>Mit dieser Auffassung hat sich der Antragsteller nicht substantiiert auseinandergesetzt, sondern allein vorgetragen, bei Unsicherheiten müsse der Frage nach Kindern nachgegangen werden. Dies mag zutreffend sein; nicht hinreichend sorgfältiges Arbeiten aber vermag für sich genommen Zweifel an der Unvoreingenommenheit nicht zu begründen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>34 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="34"/>f. Schließlich vermag der Senat ebenso wenig wie das Verwaltungsgericht in dem Umstand, dass den Bewerbern am 28.10.2019 eine Videosequenz zur Analyse vorgelegt wurde, die offenbar einen Unterrichtsmitschnitt eines Lehrversuchs einer Studentin oder Praktikantin der Antragsgegnerin zeigte, einen formellen Mangel des Bewerbungsverfahrens zu sehen. Wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass der Umstand, dass die Beigeladene zum Zeitpunkt der Berufungsveranstaltung seit etwa vier Wochen Vertretungsprofessorin der Antragsgegnerin war und seit vermutlich etwa zweieinhalb Wochen erste Erfahrungen im dortigen Vorlesungs- und Praktikumsbetrieb sammeln konnte, ihr keinen maßgeblichen Vorteil bei der Analyse dieser konkreten Videosequenz, mag sie auch dem Praktikumsbetrieb der Antragsgegnerin entstammen, verschafft hat. Im Übrigen ergibt sich aus § 48 Abs. 2 Satz 6 LHG, dass auch der Gesetzgeber erst eine gewisse und hier bei weitem nicht erreichte Intensität der Einbindung eines Bewerbers in den Arbeitsbetrieb einer Universität - nämlich als Mitarbeiter - für im Lichte des Art. 33 Abs. 2 GG generell problematisch erachtet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>35 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="35"/>II. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte für materiell-rechtliche Fehler der Auswahlentscheidung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>36 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="36"/>Das Gebot der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG gilt auch für die Besetzung von Professorenstellen. Allerdings steht der Hochschule eine besondere, verfassungsrechtlich (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) geschützte Beurteilungskompetenz bezüglich der Qualifikation eines Bewerbers für eine Hochschullehrerstelle zu (vgl. BVerwG, Urteile vom 20.10.2016 - 2 C 30.15 -, Juris Rn. 20 m.w.N., und vom 09.05.1985 - 2 C 16.83 -, Juris Rn. 29; Senatsbeschluss vom 08.12.2020 - 4 S 2583/20 -, Juris Rn. 7). Es bleibt der Entscheidung der Hochschule überlassen, welchen der zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zu rechnenden Umstände sie das größere Gewicht beimisst (Senatsbeschluss vom 08.12.2020 - 4 S 2583/20 -, Juris Rn. 7; OVG S.-A., Beschluss vom 26.04.2021 - 1 M 16/21 -, Juris Rn. 7). Insbesondere die Frage, ob und inwieweit ein Bewerber die fachwissenschaftlichen und pädagogischen Auswahlkriterien erfüllt, stellt in hohem Maße eine fachliche Wertung dar, die die Berufungskommission in Ausübung der ihr zustehenden Wissenschaftsfreiheit zu treffen hat. Dementsprechend kann die Auswahlentscheidung gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und ob der Beurteilungsspielraum überschritten worden ist, etwa, weil die Entscheidung auf der Verkennung von Tatsachen oder auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerwG, Urteil vom 20.10.2016 - 2 C 30.15 - Rn. 20; Senatsbeschluss vom 08.12.2020 - 4 S 2583/20 -, Juris Rn. 7).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>37 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="37"/>Ausgehend hiervon trägt das Zulassungsvorbringen nicht die Annahme einer rechtswidrigen Auswahlentscheidung.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>38 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="38"/>1. Nicht gehört werden kann der Antragsteller zunächst mit diversen Rügen, wonach das Verwaltungsgericht bestimmte Umstände nicht ausreichend gewürdigt habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>39 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="39"/>a. Dies gilt zunächst für die ausführlich vorgetragenen „Begleitumstände“ des ersten - abgebrochenen - Berufungsverfahrens. Sie spielen, wovon das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, im vorliegenden, allein gegen das zweite Auswahlverfahren gerichteten Verfahren keine Rolle.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>40 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="40"/>Zwar verletzt ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch der Bewerber aus Art. 33 Abs. 2 GG. Ein Bewerber kann daher den Verfahrensabbruch, auch wenn dieser nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle im einstweiligen Rechtsschutz zuführen (BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 - 2 A 3.13 -, Juris Rn. 21 ff.). Dies muss allerdings in einem zeitnah anhängig gemachten, gegen die Abbruchmitteilung gerichteten Verfahren erfolgen. Stellt der Bewerber nicht binnen Monatsfrist nach Zugang der Abbruchmitteilung einen solchen Antrag, darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen einer neuen Ausschreibung weiterverfolgt (BVerwG, Urteil vom 03.12.2014 - 2 A 3.13 -. Juris Rn. 24). Der Abbruch steht dann einer rechtlichen Überprüfung nicht mehr offen, weder in einem später angestrengten Hauptsacheverfahren noch - und erst recht nicht - inzident im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, das gegen die im neuen Auswahlverfahren erfolgte Auswahlentscheidung gerichtet ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>41 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="41"/>b. Auch mit dem Vortrag, dass das Erstgericht den „überaus bedeutsamen Umstand“ nicht berücksichtigt habe, dass die Beigeladene die Ehefrau des bisherigen Lehrstuhlinhabers sei, kann der Antragsteller nicht gehört werden. Der Antragteller vermag nicht substantiiert aufzuzeigen, inwieweit allein der Umstand ehelicher Beziehungen zwischen der erstplatzierten Beigeladenen und dem bisherigen Lehrstuhlinhaber dazu sollte führen können, dass dem Bewerbungsverfahren - über ein mögliches „Geschmäckle“ hinaus - ein juristisch relevanter Fehler anhaftet.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>42 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="42"/>2. Auch mit seinen Einwänden, wonach die Beigeladene bestimmte Voraussetzungen für ihre Berufung nicht erfülle, hat der Antragsteller keinen Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>43 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="43"/>a. Dies gilt zunächst mit Blick auf § 47 Abs. 3 Satz 1 LHG, wonach auf eine Stelle, deren Funktionsbeschreibung die Wahrnehmung erziehungswissenschaftlicher oder fachdidaktischer Aufgaben in der Lehrerbildung vorsieht, in der Regel nur berufen werden soll, wer eine dreijährige Schulpraxis nachweist. Richtig ist, dass die Beigeladene kein zweites Staatsexamen abgelegt hat. § 47 Abs. 3 Satz 1 LHG normiert jedoch - anders als etwa § 58 Abs. 3 Satz 1 LHG M-V - nicht (auch) die formale Voraussetzung zweier Staatsexamina, sondern dient allein der Sicherstellung materieller Eignungsvoraussetzungen, nämlich didaktischer Kompetenzen und pädagogischer Eignung. Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Tätigkeiten der Beigeladenen, die nach Überprüfung ihrer Eignung durch das Bildungsministerium in Brandenburg über knapp sechs Jahre hinweg Lehrertätigkeit an der G.-Schule in P. als Fachlehrerin für Französisch in der Sekundarstufe I und II wahrgenommen hat, als hinreichende „Schulpraxis“ im Sinne des § 47 Abs. 3 LHG anzusehen ist.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>44 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="44"/>b. Keinen Erfolg hat der Antragsteller ferner, soweit er geltend macht, die Beigeladene habe keine durch Studium oder wissenschaftliche Tätigkeit nachgewiesenen Kenntnisse der spanischen Sprache, weil sie lediglich Sprachkurse absolviert, aber weder ein Studium noch eine wissenschaftliche Tätigkeit nachgewiesen habe.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>45 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="45"/>Insoweit sieht auch der Senat nicht, dass die Antragsgegnerin ihren mit Blick auf das für den Nachweis von Sprachkenntnissen erforderliche Niveau wie auch die Intensität nachgewiesener wissenschaftlicher Tätigkeit bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten haben könnte, indem sie die mehrfachen, jeweils zweiwöchigen Gastdozenturen mit einem Lehrumfang von je 16 Stunden und die vereinzelten Lehrveranstaltungen, die die Beigeladene im Rahmen von Vertretungsprofessuren an den Universitäten Bonn und Regensburg in spanischer Sprache gehalten hat, als hinreichenden Nachweis spanischer Sprachkenntnisse gewertet hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>46 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="46"/>3. Weiter trägt der Antragsteller vor, dass es eine Diskriminierung darstelle, wenn die Beigeladene als französische Muttersprachlerin besser bewertet sei als der Beschwerdeführer, zumal die Eigenschaft als Muttersprachler nicht in den Ausschreibungstext aufgenommen worden sei. Dass die Antragsgegnerin maßgeblich hierauf abstelle, stelle eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums dar. Damit hat er keinen Erfolg.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>47 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="47"/>a. Zum einen setzt er sich in seiner Beschwerdebegründung nicht substantiiert mit der Auffassung des Verwaltungsgerichts auseinander. Dieses hat entschieden, dass keine Diskriminierung vorliege, weil Herkunft im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG die soziale und nicht die örtliche Herkunft meine. Die Bewertung der Sprachkompetenz der Bewerber - um eine solche handele es sich bei der Bezeichnung der Beigeladenen als „Muttersprachlerin“ - sei ein zulässiges Auswahlkriterium für die ausgeschriebene Professur.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>48 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="48"/>b. Aber auch mit seinem - der Sache nach zutreffenden - Verweis darauf, dass im Ausschreibungstext nicht von muttersprachlichen Kenntnissen die Rede sei, kann der Antragsteller nicht gehört werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>49 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="49"/>Zwar legt der Dienstherr mit dem in der Stellenausschreibung aufgestellten Anforderungsprofil die Kriterien für die Bewerberauswahl fest und bindet sich auf diese Weise für das laufende Auswahlverfahren. Das Anforderungsprofil beschreibt die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen, die eine Bewerberin oder ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt. Um eine optimale Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zu gewährleisten, hat der Dienstherr das Anforderungsprofil seiner leistungsbezogenen Auswahlentscheidung zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 16.08.2001 - 2 A 3.00 -, Juris Rn. 32, und Beschluss vom 25.04.2007 - 1 WB 31.06 -, Juris Rn. 55; Senatsurteil vom 07.02.2012 - 4 S 82/12 -, Juris Rn. 36).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>50 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="50"/>Allein der Umstand, dass der Antragsteller kein französischer Muttersprachler ist, führte demgemäß auch nicht dazu, dass seine Bewerbung im Auswahlverfahren keine Berücksichtigung gefunden hätte.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>51 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="51"/>Der Antragsteller missversteht allerdings die Reichweite dieser Bindung des Dienstherrn an das Anforderungsprofil, wenn er daraus schließt, dass mögliche weitere, im Anforderungsprofil nicht ausdrücklich genannte Eignungsmerkmale der Mitbewerber - wie muttersprachliche Sprachkompetenz - als Kriterien der Befähigung für die endgültige Auswahlentscheidung hätten unberücksichtigt bleiben müssen. Denn die endgültige Auswahlentscheidung des Dienstherrn darf nicht nur anhand der im Anforderungsprofil ausdrücklich genannten Eignungsmerkmale erfolgen. Werden mehrere Bewerber allen Anforderungskriterien gerecht, bedarf es im Gegenteil naturgemäß weiterer Differenzierungskriterien, um zwischen ihnen eine Auswahlentscheidung treffen zu können. Die Erfüllung der (Mindest-)Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle besagt zwar, dass die Bewerber für diese Stelle grundsätzlich geeignet, mitnichten aber, dass alle Bewerber hierfür auch gleich geeignet wären. Daher erlangen in diesem Fall Abstufungen in der Qualifikation anhand leistungsbezogener Kriterien Bedeutung (BVerwG, Urteil vom 16.08.2001 - 2 A 3.00 -, Juris Rn. 32; Senatsbeschlüsse vom 04.05.2020 - 4 S 672/20 -, Juris Rn. 10, und vom 21.06.2011 - 4 S 1075/11 -, Juris Rn. 3; Groeger, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 3. Aufl. 2020, Rn. 23.127).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>52 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="52"/>Vor diesem Hintergrund begegnet es auch nach Auffassung des Senats keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Antragsgegnerin die Güte der Sprachkenntnisse, die sich in der Eigenschaft als Muttersprachler ausdrücken kann, als ein im Rahmen der Auswahlentscheidung relevantes Kriterium für die Besetzung eines Lehrstuhls für Romanistik und ihre Didaktik angesehen hat.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>53 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="53"/>4. Auch soweit der Antragsteller wiederholt darauf verweist, dass es aufgrund der „Hausberufung“ zu seinen Lasten zu einer Chancenungleichheit gekommen sei, hat er im Ergebnis keinen Erfolg. Soweit wenn der Antragsteller suggeriert, Gesichtspunkte der „Loyalität“ mit der bereits persönlich bekannten Antragstellerin, die zudem Ehefrau des vorherigen Lehrstuhlinhabers sei, und der damit verbundene von vornherein bestehende feste Wille, sie zu berufen, seien für die Auswahl der Beigeladenen ausschlaggebend gewesen, belässt er es zur Begründung seiner Auffassung bei vielfältigen Mutmaßungen und Unterstellungen sowie einseitigen Wertungen von Sachverhalten. Zwar erscheint eine gewisse Skepsis gegenüber der Ordnungsgemäßheit der Auswahlentscheidung zunächst verständlich. Dagegen, dass es sich vorliegend um eine sympathie- und loyalitätsbasierte Auswahlentscheidung handelt, die bereits deshalb den Maßgaben des Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügt, sprechen für den Senat jedoch entscheidend die externen - und damit hinsichtlich persönlicher Beweggründe unverdächtigen - Gutachten.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>54 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="54"/>Die externe Gutachterin Prof. Dr. S. schlug vor, die Beigeladene auf Platz 1 zu setzen mit dem Argument, dass zwar der Antragsteller das stärkere Forschungsprofil aufweise, dessen Ausrichtung jedoch mit dem stark fachwissenschaftlichen und alleinigen Gymnasialbezug weniger passend sei. Der Gutachter Prof. Dr. R. sah zwar den Antragsteller auf Platz 1, endete aber sein Gutachten mit der Anmerkung, dass die Beigeladene die qualifizierteste Expertin für den frühen Französischunterricht sei, die in Deutschland verblieben sei. Vor diesem Hintergrund aufgrund von Mutmaßungen und Interpretationen anzunehmen, die Beigeladene sei dem Antragsteller bei einem auf Art. 33 Abs. 2 GG basierenden Leistungsvergleich unterlegen und offenbar aufgrund von nicht-leistungsbezogenen Kriterien ausgewählt worden, überzeugt den Senat letztlich nicht.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>55 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="55"/>5. Weiter bemängelt der Antragsteller die Änderung des Kriterienkatalogs zwischen dem ersten - abgebrochenen - und dem vorliegenden Auswahlverfahren. Insoweit setzt er sich allerdings nicht substantiiert mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach der von ihm angegriffene Punkt „Anforderungsprofil der Professur in Bezug auf die Ausgestaltung der Stelle (Studiengänge der PH H in Kooperation mit Y (inkl. Europalehramt) und Universität X)" lediglich eine weitere Konkretisierung des ursprünglich in der Sitzung am 31.10.2019 formulierten Kriteriums „Kooperative Fähigkeiten in der besonderen Situation der Stelle“ darstellt, mithin keine sachlich-inhaltliche Änderung des Kriterienkatalogs.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>56 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="56"/>6. Keinen Erfolg hat der Antragsteller mit seinem Vorhalt, das Verwaltungsgericht habe im Zusammenhang mit den Begrifflichkeiten („Fachwissenschaftler“, „Fachdidaktiker“) den Hintergrund seiner Ausführungen verkannt. Insoweit wäre es an ihm gewesen, sich mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts inhaltlich auseinanderzusetzen und darzulegen, inwieweit dessen Rechtsauffassung unzutreffend ist. Dies aber ist unterblieben.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>57 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="57"/>7. Weiter überzeugt der Vorhalt, die spanischen Sprachkenntnisse des Beigeladenen seien in der Auswahlentscheidung „schlichtweg weggelassen“ worden, den Senat nicht, nachdem diese Sprachkenntnisse für die Erfüllung des Anforderungsprofils zwingend waren, ohne deren Berücksichtigung der Antragsteller mithin aus dem Auswahlverfahren hätte ausgeschieden werden müssen.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>58 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="58"/>8. Soweit der Antragsteller schließlich meint, aus seinem klaren Vorsprung im Bereich „Wissenschaftlichkeit und Theoriebezug“ ergebe sich die Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung, setzt er unzulässig seine eigene Auffassung zur Wertung der Auswahlkriterien an diejenige der Berufungskommission. Gleiches gilt, soweit er meint, es sei fragwürdig, der Beigeladenen intensive und exzellente Forschung zu attestieren, oder die Behauptung, die Beigeladene sei „nicht berufbar“.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>59 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="59"/>Auch soweit der Antragsteller vorträgt, dass der Abschlussbericht seinen klaren Vorsprung in der Wissenschaftlichkeit erkannt, daraus aber „falsche Schlüsse“ im Sinne der Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen getroffen habe, setzt er seine Einschätzung dessen, was „richtig“ und „falsch“ ist, an die Stelle der Berufungskommission.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>60 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="60"/>Die Beurteilung, ob und inwieweit bei den einzelnen Bewerbern die jeweiligen Auswahlkriterien überhaupt - und wenn ja, in welchem Umfang und wie im Vergleich zu den Mitbewerbern - erfüllt wurden und wie sie zu gewichten sind, obliegt weder dem Gericht noch dem Antragsteller, sondern durfte und musste von der Berufungskommission getroffen werden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>61 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="61"/>III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigelade hat keinen Antrag gestellt und keine Kosten zu tragen (§ 154 Abs. 3 VwGO); sie kann jedoch auch keine Kostenerstattung beanspruchen (§ 162 Abs. 3 VwGO).</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>62 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="62"/>Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 GKG und entspricht der des Verwaltungsgerichts, gegen die Einwände nicht erhoben wurden.</td></tr></table> </td></tr><tr><td valign="top"><table><tr><td>63 </td></tr></table></td><td><table><tr><td><rd nr="63"/>Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).</td></tr></table> </td></tr></table>
346,112
vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-27-9-c-222
{ "id": 1071, "name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht", "slug": "vg-schleswig-holsteinisches", "city": 647, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
9 C 2/22
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-09T10:00:26"
"2022-10-17T17:55:46"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0727.9C2.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Der Antragsteller tr&#228;gt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:54pt">Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 &#8364; festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gr&#252;nde<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Der Antrag des Antragstellers, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung vorl&#228;ufig einen Studienplatz im Sommersemester 2022 f&#252;r das 5. Fachsemester Humanmedizin &#9135; 1. klinisches Fachsemester &#9135; zuzuteilen bzw. hilfsweise ihn zum 4., 3., 2. oder 1. Fachsemester zuzulassen oder an einem gerichtlich angeordneten Auswahl-(Los-)Verfahren f&#252;r die Vergabe zus&#228;tzlicher Studienpl&#228;tze zu beteiligen, ist nach &#167; 123 Abs. 1 VwGO zul&#228;ssig, aber unbegr&#252;ndet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Ein Anordnungsgrund besteht in kapazit&#228;tsrechtlichen Streitigkeiten deshalb, weil den Studienbewerber&#183;innen ein Zuwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, die in aller Regel erst geraume Zeit nach Abschluss des Bewerbungssemesters ergehen kann, nicht zumutbar ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Es fehlt aber an einem Anordnungsanspruch.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass &#252;ber die faktisch durch Belegung genutzte Kapazit&#228;t hinaus weitere Studienpl&#228;tze zur Verf&#252;gung stehen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Zum Sommersemester 2022 stehen f&#252;r das 1. klinische Fachsemester Humanmedizin bei der Antragsgegnerin keine weiteren Studienpl&#228;tze zur Verf&#252;gung und eine Vergabe au&#223;erkapazit&#228;rer Pl&#228;tze findet damit ohnehin nicht statt. Es bedarf deshalb auch keiner weiteren &#220;berpr&#252;fung, ob die formalen Anspruchsvoraussetzungen des &#167; 58 der Landesverordnung &#252;ber die Kapazit&#228;tsermittlung, die Curricularwerte, die Festsetzung von Zulassungszahlen, die Auswahl von Studierenden und die Vergabe von Studienpl&#228;tzen (Hochschulzulassungsverordnung &#9135; HZVO) vom 04.12.2019 (Ministerium f&#252;r Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Nachrichtenblatt Hochschule &#9135; NBl. HS MBWK Schl.-H. 2019, S. 56) in der Fassung der Landesverordnung zur &#196;nderung der HZVO vom 13.05.2022 (NBl. HS MBWK Schl.-H. 2022, S. 29) gegeben sind, n&#228;mlich ein fristgerechter Antrag auf Zulassung au&#223;erhalb der Kapazit&#228;t und eine form- und fristgerechte Bewerbung f&#252;r den Studienort.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Der Anordnungsanspruch bemisst sich nach Art. 12 Abs. 1 GG i.&#8239;V.&#8239;m. Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip. Gew&#228;hrleistet ist damit f&#252;r jeden, der die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erf&#252;llt, ein Anspruch auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl. Soweit in dieses Teilhaberecht durch absolute Zulassungsbeschr&#228;nkungen eingegriffen wird, ist dies nur auf einer gesetzlichen Grundlage statthaft und nur dann verfassungsgem&#228;&#223;, wenn dies zum Schutz eines &#252;berragend wichtigen Gemeinschaftsgutes &#9135; Funktionsf&#228;higkeit der Universit&#228;ten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium &#9135; und nur in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter ersch&#246;pfender Nutzung der vorhandenen, mit &#246;ffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazit&#228;ten angeordnet wird (BVerfG, Beschluss vom 22.10.1991 &#9135; 1 BvR 393/85 &#9135;, juris Rn. 65).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Mit diesem verfassungsrechtlich begr&#252;ndeten Kapazit&#228;tsersch&#246;pfungsgebot ist die f&#252;r das Sommersemester 2022 durch &#167; 1 Nr. 1b) der Zulassungszahlenverordnung (ZZVO Sommersemester 2022) vom 13.12.2021 (NBl. HS MBWK Schl.-H. 2021, S. 85) auf <strong>12</strong> festgesetzte Studienpl&#228;tze f&#252;r das 1. klinische Fachsemester Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universit&#228;t zu Kiel zu vereinbaren.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Diese Festsetzung beruht auf der langj&#228;hrigen und von der Kammer und vom Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht jeweils gebilligten Praxis der Besetzung klinischer Studienpl&#228;tze in Schleswig-Holstein, die den Umstand ber&#252;cksichtigt, dass die Kapazit&#228;t im klinischen Studienabschnitt regelm&#228;&#223;ig h&#246;her ist als die im vorklinischen, und die ihren Niederschlag in &#167; 2 Nr. 3 ZZVO gefunden hat. Danach sind f&#252;r das 1. klinische Fachsemester im Wintersemester alle an der jeweiligen Hochschule f&#252;r den Studiengang Humanmedizin eingeschriebenen Studierenden zuzulassen, die den Ersten Abschnitt der &#196;rztlichen Pr&#252;fung im vorausgegangenen Sommersemester bestanden hatten. Im folgenden Sommersemester werden diejenigen an der jeweiligen Hochschule eingeschriebenen Studierenden zugelassen, die im vorangegangenen Wintersemester die Pr&#252;fung bestanden haben. Anschlie&#223;end noch freie Studienpl&#228;tze bestimmen sich nach der f&#252;r das 1. klinische Fachsemester gem. Abschnitt 2 und 3 der Hochschulzulassungsverordnung ermittelten j&#228;hrlichen Aufnahmekapazit&#228;t. Dementsprechend wird f&#252;r das Wintersemester keine Zulassungszahl festgesetzt, da alle eigenen Studierenden zugelassen werden, die das Physikum im Sommer bestanden haben. Die Zulassungszahl f&#252;r das Sommersemester stellt die Differenz zwischen der Jahreskapazit&#228;t und der Zahl der bereits im Wintersemester zugelassenen Studierenden dar.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin hat f&#252;r das Studienjahr Wintersemester 2021/2022 und Sommersemester 2022 eine Jahreskapazit&#228;t f&#252;r das 1. klinische Fachsemester von 185,46, kapazit&#228;tsfreundlich aufgerundet auf <strong>190</strong> (Vorjahr: 213), Studienpl&#228;tzen ermittelt (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 21.04.2022). Davon sind zum Wintersemester 2021/2022 ausweislich der mit Schriftsatz vom 27.07.2022 vorgelegten Belegungsliste 178 Pl&#228;tze an Kieler Studierende vergeben worden, die den Ersten Abschnitt der &#196;rztlichen Pr&#252;fung bestanden hatten. F&#252;r das Sommersemester 2022 sind 12 Pl&#228;tze festgesetzt worden. Diese Pl&#228;tze sind bereits mit 27 Studierenden belegt und damit um 15 Pl&#228;tze &#252;berbelegt. Dar&#252;ber hinaus sind nach der im Eilverfahren nur m&#246;glichen summarischen Pr&#252;fung keine Studienpl&#228;tze vorhanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die der Festsetzung zugrundeliegende Jahreskapazit&#228;t von aufgerundet 190 Studienpl&#228;tzen f&#252;r das Studienjahr Wintersemester 2021/2022 und Sommersemester 2022 ist nicht zu beanstanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin hat dabei zu Recht lediglich die patient&#183;innenbezogene Kapazit&#228;t ber&#252;cksichtigt. Zwar sieht die Hochschulzulassungsverordnung grunds&#228;tzlich in einem ersten Schritt auch f&#252;r die Berechnung der Kapazit&#228;t des klinischen Teils des Studienganges Medizin zun&#228;chst die Berechnung einer personalbezogenen Kapazit&#228;t (Erster Teil, Abschnitt II HZVO) vor. Nach &#167; 18 Abs. 2 HZVO ist jedoch in dem Falle, dass die nach &#167; 18 Abs. 1 HZVO vorzunehmende Berechnung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t niedriger ist als die personalbezogene Kapazit&#228;t, die patient&#183;innenbezogene Kapazit&#228;t der Festsetzung der Zulassungszahl zu Grunde zu legen. Aus diesem Grunde kann eine Kapazit&#228;tsfestsetzung, die lediglich auf einer patient&#183;innenbezogenen Berechnung gem&#228;&#223; &#167; 18 Abs. 1 HZVO basiert, nie zu einer zu geringen Festsetzung der Kapazit&#228;t f&#252;hren (vgl. z.&#8239;B. OVG Schleswig, Beschluss&#8239;vom 11.04.2008 &#9135; 3 NB 108/07 &#9135;, n.&#8239;v.&#8239;S. 4; OVG Schleswig, Beschluss vom 28.10.2016 &#9135; 3 NB 5/16 &#9135;, juris Rn. 3 zur gleichlautenden Vorschrift in der HZVO a.&#8239;F.). Selbst wenn die personalbezogene Kapazit&#228;t deutlich h&#246;her sein sollte, wird die Kapazit&#228;t allein durch den Engpass der zur Ausbildung zur Verf&#252;gung stehenden Patient&#183;innen bestimmt (Bahro/Berlin, Hochschulzulassungsrecht, 4. Aufl. 2003, &#167; 18 KapVO Anm. 11<em>).</em> Die Vorlage einer personalbezogenen Kapazit&#228;tsberechnung ist damit nicht erforderlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>F&#252;r die Berechnung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t sind nach &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO als patient&#183;innenbezogene j&#228;hrliche Aufnahmekapazit&#228;t zun&#228;chst 15,5 % der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten anzusetzen. Ist die nach &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO errechnete Zahl niedriger als das personalbezogene Berechnungsergebnis, erh&#246;ht sich die Summe je 1.000 poliklinische Neuzug&#228;nge im Jahr um die Zahl 1. Die Zahl nach Nr. 1 wird jedoch h&#246;chstens um 50 % erh&#246;ht (&#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HZVO). Soweit in au&#223;eruniversit&#228;ren Krankenanstalten Lehrveranstaltungen f&#252;r diesen Studienabschnitt (zwischen 1. Abschnitt der &#196;rztlichen Pr&#252;fung und Praktischem Jahr) vereinbarungsgem&#228;&#223; und auf Dauer durchgef&#252;hrt werden, erh&#246;ht sich die patient&#183;innenbezogene j&#228;hrliche Aufnahmekapazit&#228;t entsprechend (&#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZVO).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Gesamtzahl tagesbelegter Betten des Klinikums ist aufgrund einer sog. &#8222;Mitternachtsz&#228;hlung&#8220; zu ermitteln (vgl. zuletzt OVG Schleswig, Beschluss vom 24.06.2020 &#9135; 3 NB 8/19 &#9135;, juris Rn. 6). Die Berechnung der patient&#183;innenbezogenen Ausbildungskapazit&#228;t in &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO geht von klassischen station&#228;ren Patient&#183;innen aus, die sich &#252;ber einen Zeitraum von mehreren Tagen ununterbrochen im Krankenhaus aufhalten. Auf dieser Annahme basiert der Parameter von 15,5 %. Demzufolge ist die Ankn&#252;pfung an &#8222;&#220;bernachtungspatient&#183;innen&#8220;, die von der Mitternachtsz&#228;hlung erfasst werden, sachgerecht. Tageskliniken, die der Versorgung ambulanter, nicht station&#228;r aufgenommener Patient&#183;innen dienen, sind dagegen nicht zu ber&#252;cksichtigen. Deren Patient&#183;innen werden nach dem System des &#167; 18 Abs. 1 HZVO ausschlie&#223;lich bei dem Aufschlag f&#252;r poliklinische Neuzug&#228;nge erfasst.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich in den letzten Jahren die Verweildauer im Krankenhaus verk&#252;rzt und sich die Anzahl der ambulant vorgenommenen Behandlungen zu Lasten der Bettenkapazit&#228;t erh&#246;ht hat. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dieser Aufschlag die gegenw&#228;rtige reale Situation nicht mehr abdeckt, zumal belastbare Erhebungen und Kriterien dazu fehlen, dass und ggf. in welchem Umfang die ambulant versorgten Patient&#183;innen zu Ausbildungszwecken &#252;berhaupt geeignet sind und hierf&#252;r zur Verf&#252;gung stehen (st. Rspr. der Kammer, zuletzt Beschluss vom 25.05.2021 &#9135; 9 C 3/21 &#9135;, Rn. 12; Beschluss vom 03.07.2020 &#9135; 9 C 22/20 &#9135;, juris Rn. 10; Beschluss vom 16.05.2019 &#9135; 9 C 17/19 &#9135;, Rn. 11 juris; sowie des OVG Schleswig, zuletzt Beschluss vom 24.06.2020 &#9135; 3 NB 8/19 &#9135;, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Insbesondere ist es dem Gericht verwehrt, einzelne Parameter des &#167; 18 Abs. 1 HZVO f&#252;r sich zu betrachten und im Sinne antragsbezogener Ausf&#252;hrungen zu ver&#228;ndern, weil es sich bei den Parametern der Hochschulzulassungsverordnung um ein System von aufeinander abgestimmten, hochaggregierten Rechengr&#246;&#223;en handelt, die ihrerseits eine Vielzahl von Einzeltatbest&#228;nden ber&#252;cksichtigen. Zwar ist der Normgeber verpflichtet, von Annahmen auszugehen, die dem aktuellen Erkenntnis- und Erfahrungsstand entsprechen. Dabei ist indes zu gew&#228;rtigen, dass die Eingabegr&#246;&#223;en, die den patient&#183;innenbezogenen Engpass bestimmen, in ihrer H&#246;he nicht im naturwissenschaftlichen Sinne beweisbar sind. Das System der Kapazit&#228;tsermittlung soll die realen Gegebenheiten soweit wie m&#246;glich zutreffend abbilden. Damit kann indes keine Einzelfallgerechtigkeit einhergehen. Daf&#252;r w&#228;re n&#228;mlich ein Verfahren erforderlich, das sich aufgrund einer nahezu unbeschr&#228;nkten Anzahl von Eingabegr&#246;&#223;en als intransparent und kaum noch handhabbar erweisen w&#252;rde. Daher ist es dem Normgeber im Rahmen seines Ermessens vorbehalten, die der Norm zugrundeliegenden Annahmen und die tats&#228;chliche Entwicklung zu beobachten und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen (OVG Schleswig, Beschluss vom 24.06.2020 &#9135; 3 NB 8/19 &#9135;, juris Rn. 7 mit Verweis u.&#8239;a. auf OVG L&#252;neburg, Beschluss vom 20.12.2016 &#9135; 2 NB 120/16 &#9135;, juris Rn. 14; VGH M&#252;nchen, Beschluss vom 26.07.2016 &#9135; 7 CE 16.10143 u.&#8239;a. &#9135;, juris Rn. 10). Dass der Verordnungsgeber diesen Ma&#223;gaben nicht nachgekommen ist, ist auch anhand des antragsbezogenen Vorbringens nicht ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin hat zu Recht die Privatpatient&#183;innen &#9135; genauer: Wahlleistungspatient&#183;innen &#9135; in ihrer Berechnung der tagesbelegten Betten nicht mit ber&#252;cksichtigt. Die Kammer h&#228;lt auch unter Ber&#252;cksichtigung der neueren Entwicklung der Rechtsprechung an ihrer im Anschluss an das OVG Schleswig schon bislang vertretenen Auffassung fest, dass jedenfalls am Universit&#228;tsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) die von Wahlleistungspatient&#183;innen belegten Betten nicht zu den &#8222;tagesbelegten Betten des Klinikums&#8220; i.&#8239;S.&#8239;d. &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO geh&#246;ren. Das OVG Schleswig hat dazu zuletzt &#9135; auch unter Ber&#252;cksichtigung der Rechtsprechung anderer Obergerichte &#9135; ausgef&#252;hrt, dass Wahlleistungspatient&#183;innen nicht &#228;rztliche Patient&#183;innen des Universit&#228;tsklinikums Schleswig-Holstein seien, da ein &#228;rztlicher Behandlungsvertrag jeweils nur zwischen Wahlleistungspatient&#183;innen und Wahl&#228;rzt&#183;innen geschlossen werde. Eine vertragliche Beziehung zwischen dem Universit&#228;tsklinikum und den Wahlleistungspatient&#183;innen hinsichtlich der Erbringung &#228;rztlicher Leistungen entstehe nicht. Diese Praxis am UKSH ziele nicht darauf ab, die Ausbildungskapazit&#228;t in dem bei der Antragsgegnerin angebotenen Studiengang Humanmedizin zu verknappen, sondern sei Ausdruck der dem Universit&#228;tsklinikum zustehenden Organisationshoheit. Dass die Wahlleistungspatient&#183;innen infolge der Nichtber&#252;cksichtigung in &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO (&#8222;tagesbelegte Betten des Klinikums&#8220;) aus der Ausbildungskapazit&#228;t herausfielen, stelle sich daher nicht als zielgerichteter Eingriff in das Grundrecht der Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar, sondern als (rechtliche) Folge der aufgezeigten Vertragskonstruktion am UKSH. Der eingetretenen Kapazit&#228;tsverminderung stehe das Kapazit&#228;tsersch&#246;pfungsgebot nicht entgegen. Dieses beinhalte weder einen Kapazit&#228;tserhaltungs- noch einen Kapazit&#228;tsbeschaffungsanspruch im Sinne einer Kapazit&#228;tserweiterung, sondern nur einen Anspruch auf Ersch&#246;pfung und Teilhabe des Bewerbers an der im Rahmen des Auftrags und des Selbstentscheidungsrechts der Hochschule zul&#228;ssigerweise tats&#228;chlich vorhandenen Ausbildungskapazit&#228;t nach den Regelungen der Hochschulzulassungsverordnung. Auch nach der Rechtsprechung anderer Obergerichte seien Patient&#183;innen bei der Ermittlung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t nicht einzubeziehen, wenn diese &#9135; wie auch die Wahlleistungspatient&#183;innen am UKSH &#9135; f&#252;r die Ausbildung der Studierenden (Unterricht am Krankenbett) nicht zur Verf&#252;gung st&#252;nden (siehe zu diesem Abschnitt OVG Schleswig, Beschluss vom 24.06.2020 &#9135; 3 NB 8/19 &#9135;, juris Rn. 20 ff.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Vor diesem Hintergrund bleibt auch die Kammer bei ihrer Rechtsauffassung. Die vertraglichen Grundlagen haben sich gegen&#252;ber dem Vorjahr nicht ver&#228;ndert.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Nicht zu beanstanden ist auch der Abzug gesunder Neugeborener bei den Behandlungstagen der tagesbelegten Betten. Gesunde Neugeborene werden mit den Pfleges&#228;tzen der Mutter abgegolten, so dass Leistungen f&#252;r gesunde Neugeborene nicht zu ber&#252;cksichtigen sind, da das Kapazit&#228;tsrecht an die Z&#228;hlweise des fr&#252;heren Krankenhausabrechnungssystems ankn&#252;pft und danach ausschlie&#223;lich die Aufenthaltstage der Mutter nach der Mitternachtsz&#228;hlung zu ber&#252;cksichtigen sind (OVG Hamburg, Beschluss vom 21.04.2015 &#9135; 3 Nc 121/14 &#9135;, juris Rn.13).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Lehrveranstaltungen au&#223;eruniversit&#228;rer Lehrkrankenh&#228;user, die gem&#228;&#223; &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 HZVO zu ber&#252;cksichtigen w&#228;ren, werden nach den Ausf&#252;hrungen der Antragsgegnerin nicht in Anspruch genommen. Diese hat dazu bereits in den Vorjahren erkl&#228;rt, dass Lehrkrankenhausvertr&#228;ge mit anderen Kliniken nur f&#252;r das Praktische Jahr abgeschlossen werden und diese keine Ausbildung im 1. klinisch-praktischen Abschnitt des Studiums durchf&#252;hren. Es besteht auch keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, zur Erh&#246;hung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t Vertr&#228;ge mit au&#223;eruniversit&#228;ren Krankenanstalten abzuschlie&#223;en. Dies w&#252;rde der Sache nach eine Verpflichtung der Universit&#228;t nicht nur zur Aussch&#246;pfung der vorhandenen Kapazit&#228;ten, sondern zur Schaffung neuer Ausbildungskapazit&#228;ten bedeuten; ein solcher Kapazit&#228;tsverschaffungsanspruch besteht grunds&#228;tzlich jedoch nicht (vgl. OVG L&#252;neburg, Beschluss vom 21.12.2006 &#9135; 2 NB 347/06 &#9135;, juris Rn. 46 und Zimmerling/Brehm, Kapazit&#228;tsrecht, Band 2, 2013, Rn. 762 m.&#8239;w.&#8239;N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der auf dieser Basis ermittelten Fallzahlen zu zweifeln.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin hat in Anlage 1 zu ihrem Schriftsatz vom 21.04.2022 die Pflegetage f&#252;r das dem Stichtag 01.02.2021 vorangehende ma&#223;gebliche Jahr 2020 in den einzelnen Kliniken des UKSH/Campus A-Stadt aufgelistet. Die dort genannten Zahlen ergeben sich aus der Anlage 3 zu diesem Schriftsatz, wobei von der Gesamtzahl je Klinik (Spalte 1 &#8222;tagesbelegte Betten&#8220;) jeweils die Pflegetage abgezogen sind, die auf tagesklinische Belegung, Wahlleistungspatient&#183;innen (&#8222;Wahlarzt&#8220;) und &#8222;gesunde Neugeborene&#8220; (Spalte 2 &#9135; 4) entfallen. Die in der Anlage 3 mit aufgef&#252;hrten Zahlen f&#252;r die Klinik f&#252;r Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG-Chirurgie) sind in der Anlage 1 zu Recht au&#223;er Ansatz geblieben, da diese der Lehreinheit Zahnmedizin zuzurechnen sind. In der Anlage 4 sind die Zahlen f&#252;r das Zentrum f&#252;r Integrative Psychiatrie &#9135; ZIP &#9135; aufgelistet; auch hier sind die Betten mit tagesklinischer Belegung und f&#252;r Wahlleistungspatient&#183;innen abgezogen. Insgesamt hat die Antragsgegnerin f&#252;r 2020 zu Recht 291.186 (Vorjahr: 331.924) Pflegetage angesetzt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Die Kammer geht davon aus, dass die Zahl der zum Stichtag am 01.02.2021 ermittelten Pflegetage f&#252;r das Jahr 2020 keiner Korrektur bed&#252;rfen. Zwar ist die Zahl der tagesbelegten Betten im Vergleich zum Vorjahr deutlich zur&#252;ckgegangen. Soweit ersichtlich ist dies zu gro&#223;en Teilen auf die COVID-19-Pandemie zur&#252;ckzuf&#252;hren. Dennoch der stichtagsgem&#228;&#223;en Erfassung der tagesaktuellen Betten gem&#228;&#223; &#167; 6 Abs. 1 HZVO zu folgen, erscheint der Kammer geboten und auch angemessen. Es handelt sich bei dem R&#252;ckgang der Zahlen der ber&#252;cksichtigungsf&#228;higen station&#228;ren Aufenthalte gerade nicht um eine lediglich punktuelle Erscheinung, die ausschlie&#223;lich im Jahr 2020 Eingang in die Zahlen fand. Denn der Wert aus dem Jahr 2020 spiegelt einen schon l&#228;nger andauernden Abw&#228;rtstrend wider (2018: 344.669; 2019: 331.924). F&#252;r eine Mittelwertl&#246;sung, wie sie in anderen Bundesl&#228;ndern zum Teil angewendet wird, besteht kein Raum. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zahl der station&#228;ren Aufenthalte sich in den Folgejahren so deutlich erh&#246;hen wird, dass nur der Mittelwert eine realistische Prognose darstellen w&#252;rde. Die Kammer sieht auch keine so drastische Abweichung von der tats&#228;chlichen Entwicklung, dass die Entscheidung des Verordnungsgebers f&#252;r eine Stichtagsregelung sich als verfassungswidrig darstellen w&#252;rde. Abweichungen im Vergleich zum Vorjahr bei der Studienplatzzahl sind nat&#252;rliche Konsequenzen einer Stichtagsregelung. Starke Unsch&#228;rfen, die sich aus der Stichtagsregelung und Ver&#228;nderungen im Einzelnen ergeben k&#246;nnten, hat der Verordnungsgeber jedoch mit den Abweichungsregelungen in &#167; 6 Abs. 2 und 3 HZVO ber&#252;cksichtigt. Derzeit sind wesentliche &#196;nderungen der Daten jedoch weder erkennbar noch eingetreten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Die Kammer geht im Rahmen einer Kapazit&#228;tsberechnung davon aus, dass mit der Anzahl von vier Stellen hinter dem Komma gerechnet wird, wobei die weiteren Stellen hinter dem Komma wegfallen, d.&#8239;h. keine Aufrundungen vorgenommen werden. Lediglich am Ende des gesamten Rechenvorganges erfolgt eine Aufrundung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Nach diesen Ma&#223;gaben ergibt sich folgender Rechengang f&#252;r die Berechnung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t nach &#167; 18 Abs. 1 HZVO:</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">1. Die Zahl der tagesbelegten Betten i.&#8239;S.&#8239;d. &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HZVO (Zahl der Pflegetage dividiert durch 365) hat die Antragsgegnerin f&#252;r das Jahr 2020 mit 797,69 angegeben. Nach der oben dargestellten Rechenweise der Kammer sind hier (291.186 : 365 =) 797,7698 tbB anzunehmen (das geringf&#252;gig abweichende Ergebnis d&#252;rfte darauf beruhen, dass die Antragsgegnerin die Zahl der Behandlungstage bei jeder einzelnen Klinik durch 365 dividiert und diese auf 2 Stellen hinter dem Komma gerundeten Zahlen dann addiert). 15,5 % davon ergeben 123,6543.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">2. Die Zahl poliklinischer Neuzug&#228;nge hat die Antragsgegnerin mit 145.318 angegeben (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 21.04.2022). Dividiert durch 1.000 ergibt dies 145,318. Da nach &#167; 18 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 HZVO jedoch h&#246;chstens 50 % des nach Ziffer 1 errechneten Wertes aufgeschlagen werden, erfolgt eine Erh&#246;hung um 61,8271 Pl&#228;tze (123,6543:2).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>Die patient&#183;innenbezogene Gesamtkapazit&#228;t errechnet sich aus der Summe der vorstehend errechneten beiden Teilwerte. 123,6543 (siehe oben Ziffer 1.) zuz&#252;glich 61,8271 (siehe oben Ziffer 2.) ergibt 185,4814, aufgerundet 186. Die Antragsgegnerin hat 185,46 Pl&#228;tze errechnet und kapazit&#228;tsfreundlich weitergehend auf <strong>190 </strong>Pl&#228;tze aufgerundet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Eines Schwundaufschlages bedurfte es nicht, da die Antragsgegnerin im klinischen Abschnitt des Medizinstudiums gem&#228;&#223; &#167; 1 Nr. 1 b) ZZVO freiwerdende Studienpl&#228;tze h&#246;herer Semester auff&#252;llen muss und so s&#228;mtliche freigewordene Studienpl&#228;tze wiederbesetzt. Dar&#252;ber hinaus ist ein Schwundaufschlag bei der von der Antragsgegnerin f&#252;r die klinischen Semester ausschlie&#223;lich durchgef&#252;hrten Berechnung der patient&#183;innenbezogenen Kapazit&#228;t schon deshalb nicht zu ber&#252;cksichtigen, da es dabei um Parameter geht, die nicht von der Lehrnachfrage abh&#228;ngen. Die Einbeziehung eines Schwundausgleichsfaktors in eine ausstattungsbezogene Berechnung w&#228;re systemwidrig. Die Annahme einer Schwundkorrektur beruht darauf, dass die wegen Studienabbruchs, Fach- oder Hochschulwechsels eingesparten Lehrkapazit&#228;ten in h&#246;heren Fachsemestern zur M&#246;glichkeit der Zulassung einer erh&#246;hten Zahl von Studienanf&#228;ngern f&#252;hren. Grundlage der Schwundkorrektur ist damit die durch tats&#228;chliche Abg&#228;nge in h&#246;heren Fachsemestern eingetretene Entlastung des Lehrpersonals, die mit der Erh&#246;hung der Zulassungszahlen im 1. Fachsemester &#8222;abgesch&#246;pft&#8220; werden soll. Eine entsprechende Verrechen- oder Austauschbarkeit liegt f&#252;r die nach dem &#8222;Flaschenhalsprinzip&#8220; bestehenden ausstattungsbezogenen Engp&#228;sse aber nicht vor, so dass eine Schwundkorrektur hier schon aus strukturellen Gr&#252;nden ausscheiden muss (OVG Schleswig, Beschluss vom 25.06.2020 &#9135; 3 NB 8/19 &#9135;, juris Rn. 13; OVG Schleswig, Beschluss vom 24.07.2017 &#9135; 3 NB 20/17 &#9135;, juris Rn. 16; VGH Mannheim, Beschluss vom 30.09.2008 &#9135; NC 9 S 2234/08 &#9135;, juris Rn. 7). Es ist daher unerheblich, dass &#167; 18 HZVO eine derartige Einschr&#228;nkung nicht enth&#228;lt (a.&#8239;A.: OVG Hamburg, Beschluss vom 30.07.2014 &#9135; 3 Nc 10/14 &#9135;, juris Rn. 35; Zimmerling/Brehm, Kapazit&#228;tsrecht, Band 2, 2013, Rn. 672).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Damit ist die auf der Grundlage einer Jahreskapazit&#228;t von 190 Studienpl&#228;tzen im gesamten Studienjahr unter Abzug der 178 bereits zum Wintersemester eingeschriebenen Studierenden erfolgte Festsetzung von 12 Studienpl&#228;tzen f&#252;r das Sommersemester 2022 nicht zu beanstanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Diese Studienpl&#228;tze sind auch belegt. Die Antragsgegnerin hat nach den von ihr vorgelegten Belegungslisten zum Wintersemester 2021/2022 178 Studierende zum 1. klinischen Fachsemester zugelassen, zum Sommersemester 2022 dann noch weitere 27 Studierende. Insgesamt sind damit im Studienjahr Wintersemester 2021/2022 und Sommersemester 2022 im 1. klinischen Fachsemester 205 Studierende zugelassen worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>Damit sind alle vorhandenen Pl&#228;tze besetzt und die auf Zulassung au&#223;erhalb der Kapazit&#228;t gerichteten Antr&#228;ge abzulehnen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Das gleiche gilt f&#252;r einen ggf. hilfsweise gestellten Antrag auf Zulassung innerhalb der Kapazit&#228;t bzw. auf Verlosung offener Studienpl&#228;tze Alle festgesetzten Pl&#228;tze sind besetzt. Konkrete Fehler im Vergabeverfahren sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>Auch soweit Antr&#228;ge hilfsweise auf vorl&#228;ufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin in einem niedrigeren als dem 5. Fachsemester au&#223;erhalb der festgesetzten Kapazit&#228;t zum Sommersemester 2022 gerichtet waren, fehlt es an einem Anordnungsanspruch.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Die Verpflichtung zur vorl&#228;ufigen Zulassung au&#223;erhalb der festgesetzten Kapazit&#228;t in einem niedrigeren Fachsemester kommt nicht in Betracht. Diejenigen, die den vorklinischen Studienabschnitt des Studiums der Humanmedizin erfolgreich mit Ablegen des Ersten Abschnitts der &#196;rztlichen Pr&#252;fung abgeschlossen haben, haben im au&#223;erkapazit&#228;ren Verfahren keinen Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG auf formale Zulassung in einem niedrigeren Fachsemester, die lediglich dem Ziel dient, in der Folgezeit ins 5. Fachsemester aufzur&#252;cken und damit das f&#252;r externe Bewerber zum 5. Fachsemester vorgesehene Bewerbungsverfahren zu umgehen (VG Freiburg, Urteil vom 29.11.2013 &#9135; NC 6 K 2390/13 &#9135;, juris Rn. 46).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf &#167; 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus &#167;&#167; 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 i.&#8239;V.&#8239;m. 52 Abs. 2 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,110
vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-27-11-b-6922
{ "id": 1071, "name": "Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht", "slug": "vg-schleswig-holsteinisches", "city": 647, "state": 17, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
11 B 69/22
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-09T10:00:25"
"2022-10-17T17:55:46"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0727.11B69.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Widerruf ihrer Duldung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die 1977 in Armenien geborene Antragstellerin ist armenischer Staatsangehörigkeit. Sie leidet unter einer chronischen Niereninsuffizienz und ist aus diesem Grund auf Medikamente angewiesen. Im Jahr 2016 reiste sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im März 2017 einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 25.10.2017 vollumfänglich abgelehnt wurde. Eine hiergegen erhobene Klage wurde durch Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 07.04.2021 (Az. 8 A 14/18) abgewiesen. Das Urteil ist seit dem 11.05.2021 rechtskräftig.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 25.06.2021 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass sie infolge des rechtskräftigen Urteils seit dem 11.06.2021 vollziehbar ausreisepflichtig sei und ordnete eine Vorsprache zur Durchführung eines Gesprächs über die Ausreisebereitschaft und die Modalitäten der Abschiebung an. Im Zuge der daraufhin stattfindenden Gespräche erklärte die Antragstellerin, keine Reisedokumente zu haben. Sie machte darüber hinaus geltend, nicht reisefähig zu sein. Mit Schreiben vom 20.07.2021 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Abgabe einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung über die Erkrankungen, die eine Abschiebung beeinträchtigen können, auf.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Noch am selben Tag, dem 20.07.2021, erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin aufgrund der fehlenden Reisedokumente eine Duldung. In der Folgezeit wurde die Duldung zweimal mit derselben Begründung verlängert, zuletzt am 22.02.2022 bis zum 12.05.2022.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Im Rahmen einer Vorsprache am 22.02.2022 legte die Antragstellerin einen Arztbericht des xxx in A-Stadt vor. Die Antragsgegnerin wies die Antragstellerin darauf hin, dass dieser Arztbericht keinen Aufschluss über ihre Reisefähigkeit gebe und erläuterte ihr, dass es ihr obliege, unverzüglich eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2d AufenthG vorzulegen. Andernfalls sei ihr Vorbringen zur Reisefähigkeit nicht zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin wies die Antragstellerin darüber hinaus darauf hin, dass ein Amtshilfeersuchen unter anderem zur Passersatzpapierbeschaffung laufe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Eine weitere ärztliche Bescheinigung legte die Antragstellerin in der Folgezeit zunächst nicht vor. Am 09.03.2022 teilte Herr Dr. xy, der behandelnde Arzt der Antragstellerin, der Antragsgegnerin im Rahmen eines Telefonats mit, dass die Antragstellerin reisefähig sei, jedoch die medizinische Versorgung im Heimatland sichergestellt werden müsse. Er teilte weiter mit, dass er ein Rezept für die erforderliche medikamentöse Versorgung während der ersten Monate im Heimatland ausstellen wolle (Bl. 207 des Verwaltungsvorgangs).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Nachdem für die Antragstellerin Passersatzpapiere beschafft worden waren, erklärte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 04.04.2022 den Widerruf der Duldung. Sie führte zur Begründung aus, dass die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe, die fehlenden Reisedokumente, entfallen seien. Die Aussetzung der Abschiebung sei daher zu widerrufen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Mit Schreiben vom 25.04.2022 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.04.2022. Unter Verweis auf eine ärztliche Bescheinigung des Herrn Dr. xy vom 23.02.2022 machte sie geltend, dass eine Reiseunfähigkeit anzunehmen sei. Darüber hinaus machte sie zielstaatbezogene Abschiebungshindernisse geltend.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Am 25.04.2022 hat die Antragstellerin das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht zudem um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Zur Begründung verweist sie auf die Widerspruchsbegründung. In einer späteren Ergänzung verweist sie auf eine weitere Bescheinigung des Herrn Dr. xy vom 29.04.2022. Diese Bescheinigung ist mit der Bescheinigung vom 23.02.2022 nahezu wortgleich. Sie macht darüber hinaus geltend, dass die Antragsgegnerin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der Frage, ob Abschiebungshindernisse vorliegen, hätte beteiligen müssen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">der Antragsgegnerin zu untersagen, Abschiebemaßnahmen durchzuführen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p>Sie meint, der Antrag sei bereits nicht statthaft. Für den Fall einer Umdeutung in einen statthaften Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei der Antrag jedenfalls unbegründet. Der Widerruf der Duldung sei rechtmäßig erfolgt, da die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe weggefallen seien. Die Reisedokumente lägen vor. Soweit die Antragstellerin nunmehr andere Duldungsgründe geltend mache, würden diese nicht zu einer weiteren Duldung führen. Die Antragstellerin habe eine Reiseunfähigkeit nicht mittels eines qualifizierten ärztlichen Attests glaubhaft gemacht. Das ärztliche Attest vom 23.02.2022 gehe nicht von einer Reiseunfähigkeit aus. Zudem sei die Reisefähigkeit durch den behandelnden Arzt telefonisch bestätigt worden. Sofern die Antragstellerin darüber hinaus zielstaatbezogene Abschiebungshindernisse vortrage, sei die Antragsgegnerin an die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.10.2017 gebunden. Danach lägen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor. Es sei auch keine Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu veranlassen gewesen, da die Tatsache der chronischen Niereninsuffizienz der Antragstellerin bereits bei der Entscheidung durch das Bundesamt berücksichtigt worden sei.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Am 25.05.2022 hat die Antragstellerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Wiederaufnahmeantrag zum Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG (Folgeschutzantrag) gestellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Antragstellerin macht geltend, einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu haben und sieht die Verwirklichung dieses Rechts durch eine Abschiebung vereitelt oder wesentlich erschwert.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Statthaftigkeit eines Antrags ist grundsätzlich der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Vorb § 40 Rn. 11 m.w.N.). Bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung entspricht dem Schluss der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Hinausgabe der Entscheidung an die Beteiligten (vgl. ebd., § 104 Rn. 14 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Unter Zugrundelegung dieses Zeitpunktes ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auch nicht gemäß § 123 Abs. 5 VwGO gegenüber einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nachrangig. Sofern eine Duldung zunächst erteilt und später widerrufen worden ist, ist in Bezug auf das Rechtsschutzziel, von Abschiebemaßnahmen verschont zu bleiben, hinsichtlich des statthaften Rechtsbehelfs danach zu differenzieren, ob sich das Rechtsschutzinteresse auf den Zeitraum vor oder nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der erteilten Duldung bezieht. Für die Zeit bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, gerichtet auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Widerruf der Duldung, statthaft. Bei Erfolg dieses Antrags wäre der Widerruf nicht vollziehbar und die bereits erteilte Duldung behielte – bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer – ihre Wirkung. Richtet sich das Rechtsschutzinteresse hingegen allein auf einen Zeitraum nach Ablauf der Geltungsdauer einer bereits erteilten Duldung, so kann die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen den Widerruf der Duldung zur Erreichung des Rechtsschutzziels nichts beitragen. In diesem Fall ist die Duldung bereits erloschen, so dass eine etwaige aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs die Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessern könnte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Ein solcher Fall, in dem sich das Rechtsschutzinteresse auf einen Zeitraum nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Duldung bezieht, liegt hier vor. Eine verständige Würdigung des Begehrens der Antragstellerin muss zu dem Ergebnis gelangen, dass diese zwar im Zeitpunkt der Antragstellung (zumindest auch) die Fortgeltung der erteilten Duldung und damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs begehrte, weil die Gültigkeitsdauer der Duldung in diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Mit Ablauf der Gültigkeitsdauer kann sich das Begehren jedoch nur noch auf die Erteilung einer neuen Duldung und damit auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet haben. Diese Auslegung entspricht dem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin, der es stets entscheidend nur darauf ankam, in der Zukunft von Abschiebemaßnahmen verschont zu bleiben.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>2. Der auch im Übrigen zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nicht begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können. Ein Anspruch auf eine gerichtliche Untersagung gegenüber der Antragsgegnerin, Abschiebemaßnahmen durchzuführen, besteht vorliegend dann, wenn der Antragstellerin ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zusteht. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass ihr ein entsprechender Anspruch zusteht. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Abschiebung ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>Eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung wurde nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere sind nunmehr die zunächst fehlenden Reisedokumente vorhanden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>Die Abschiebung ist auch nicht rechtlich unmöglich. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf, etwa weil sie aufgrund vorrangigen Rechts, insbesondere aufgrund der Grundrechte, unzulässig ist, oder weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG besteht. Dies ist hier nicht der Fall. Die geltend gemachte Reiseunfähigkeit begründet kein Abschiebungsverbot aufgrund höherrangigen Rechts (hierzu unter a)). Auch kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG nicht angenommen werden (hierzu unter b)). Die Unzulässigkeit der Abschiebung folgt auch nicht aus § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, weder in direkter (hierzu unter c)) noch in analoger (hierzu unter d)) Anwendung. Schließlich folgt die Unzulässigkeit einer Abschiebung auch nicht unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG (hierzu unter e)).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>a) Aus der von der Antragstellerin geltend gemachten Reiseunfähigkeit folgt keine Unzulässigkeit der Abschiebung. Wegen Reiseunfähigkeit folgt dann aus Art. 2 Abs. 2 GG ein Abschiebungsverbot, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Eine Abschiebung muss aber auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird die Reisefähigkeit vermutet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin die gesetzliche Vermutung ihrer Reisefähigkeit nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegen können. Die vorgelegten Atteste lassen keine ausreichenden Rückschlüsse auf ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>In seinen ärztlichen Bescheinigungen vom 29.04.2022 sowie vom 23.02.2022 legt Herr Dr. xy dar, dass die Antragstellerin aufgrund einer Autoimmunerkrankung unter einer chronischen Niereninsuffizienz leide. Unbehandelt führe die Erkrankung zur Dialysepflichtigkeit. Bei fehlender Dialysemöglichkeit führe dies zum Tode. Aus diesem Grund müsse die Versorgung der Antragstellerin mit der aktuellen Medikation auch im Heimatort sichergestellt werden – eine fachärztliche nephrologische Versorgung im Heimatland unmittelbar nach Ankunft sei dringend zu empfehlen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich unmissverständlich die Erforderlichkeit einer fortlaufenden medikamentösen Behandlung der Antragstellerin auch im Heimatland. Sie haben Relevanz für die Frage, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG vorliegt. Die Ausführungen lassen jedoch keine Rückschlüsse auf eine fehlende Reisefähigkeit zu. Vielmehr stützen sie die Annahme einer vorhandenen Reisefähigkeit, wenn Herr Dr. xy von einem Szenario nach der Ankunft in Armenien ausgeht, ohne gesundheitlich Gefahren zu benennen, die gerade infolge des Reisevorgangs an sich entstanden sein könnten. Eine Reiseunfähigkeit könnte bei diesem Krankheitsbild allein dann angenommen werden, wenn die medikamentöse Behandlung unmittelbar nach der Ankunft in Armenien nicht sichergestellt werden könnte. Das aber ist nicht der Fall. Es lässt sich sicherstellen, dass der Antragstellerin die erforderlichen Medikamente auch in den Tagen und Wochen nach ihrer Ankunft zur Verfügung stehen. So hat etwa Herr Dr. xy zugesagt, ein Rezept für die Versorgung in den ersten Monaten auszustellen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Auch das ärztliche Attest der Frau Dr. xy vom 11.07.2022 führt zu keinem anderen Ergebnis. Ebenso wie Herr Dr. xy erläutert sie lediglich, dass es einer fortlaufenden Behandlung der Antragstellerin bedürfe, weil es andernfalls zu einem Nierenversagen kommen könne, das unbehandelt zum Tod führe. Das Attest enthält jedoch ebenfalls keine Ausführungen zu etwaigen reisebedingten oder hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Gesundheitsgefährdungen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>b) Die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung kann auch nicht aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG angenommen werden. Im vorliegenden Verfahren gegen die Ausländerbehörde ist vielmehr davon auszugehen, dass zielstaatbezogene Abschiebungshindernisse nicht vorliegen. Nach § 42 Satz 1 AsylG ist die Ausländerbehörde an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gebunden. Mit Bescheid vom 25.10.2017 stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Eine hiergegen erhobene Klage wurde durch Urteil vom 07.04.2021 abgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. Es sind daneben auch keine Gründe dargelegt oder sonst ersichtlich, die das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach den übrigen Absätzen des § 60 AufenthG begründen könnten.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist zu den geltend gemachten Abschiebungsverboten auch keine Beteiligung des Bundesamtes gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG erforderlich. Denn auch bei späteren Änderungen der Sach- oder Rechtslage, die hier im Übrigen wegen der schon zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesamtes bekannten Nierenerkrankung der Antragstellerin nicht erkennbar ist, besteht die Bindungswirkung gemäß § 42 Satz 1 AsylG grundsätzlich fort; eine Änderung kann damit nur über das Bundesamt erreicht werden (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, § 4 AsylG Rn. 7).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>c) Auch aus § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG folgt nicht die Unzulässigkeit einer Abschiebung. Für den Fall, dass beim Bundesamt ein Folgeantrag gestellt worden ist, ordnet § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG an, dass eine Abschiebung erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden darf. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegt ein Folgeantrag vor, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt. Ein sog. Folgeschutzantrag, der sich auf die Feststellung zielstaatbezogener Abschiebungshindernisse beschränkt, ist kein Asylantrag (vgl. § 13 AsylG) und damit auch kein Folgeantrag i.S.d. § 71 Abs. 1 AsylG, so dass auch Absatz 5 dieser Vorschrift nicht anwendbar ist (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 14.12.2006 – 8 Q 2642/06.A –, juris Rn. 9 m.w.N.). Die Antragstellerin hat am 25.05.2022 beim Bundesamt einen Wiederaufnahmeantrag zum Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG und damit einen Folgeschutzantrag – nicht einen Folgeantrag – gestellt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>d) Die Unzulässigkeit einer Abschiebung ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 71 Abs. 5 AsylG. Für die Annahme einer Analogie besteht insoweit kein Raum (so auch OVG Niedersachsen, Beschl. v. 26.02.2018 – 13 ME 438/17 –, juris Rn. 19 ff., OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.09.2017 – 18 B 1033/17 –, juris Rn. 4 ff., Hessischer VGH, Beschl. v. 14.12.2006 – 8 Q 2642/06.A –, juris Rn. 9, Bayerischer VGH, Beschl. v. 29.05.2005 – 24 CE 05.3107 –, juris Rn. 11). Zwar ließen sich durchaus beachtliche Gründe für eine vergleichbare Interessenlage anführen (vgl. hierzu insbes. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.05.2017 – 11 S 2493/16 –, juris Rn. 10 ff.). Es mangelt jedoch jedenfalls an der weiteren Voraussetzung für die Annahme einer Analogie, der planwidrigen Regelungslücke. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Asylgesetzes sehr bewusst abgesteckt und ebenso bewusst die isolierten Anträge auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, also auch sog. Folgeschutzanträge, von diesem Anwendungsbereich ausgenommen hat. Mit dem Asylgesetz hat er gegenüber dem Ausländerrecht ein Sonderrecht für solche Ausländer geschaffen, die einen Asylantrag gestellt haben (vgl. § 1 Abs. 1, § 13 AsylG). In § 13 AsylG benennt er genau, welche Anträge er als Asylanträge aufgefasst haben will. In Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift stellt er insbesondere ausdrücklich klar, dass ein Antrag, der lediglich auf die Anerkennung internationalen Schutzes beschränkt ist, auch als Asylantrag aufzufassen ist. Obwohl also offenbar eine Auseinandersetzung mit Teilanträgen erfolgte, hat der Gesetzgeber eine dem § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG entsprechende Vorschrift nicht für die in Frage stehenden (Folge-)Schutzanträge geschaffen. Es lässt sich daher annehmen, dass dies eine ganz bewusste Entscheidung war und nicht lediglich ein Versehen. Gestützt wird diese These einer bewussten Entscheidung dadurch, dass er, wie sich aus § 24 Abs. 2 AsylG ergibt, Entscheidungen über Asylanträge von solchen über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG ausdrücklich unterscheidet. Aus § 24 Abs. 2 AsylG folgt zudem, dass der Gesetzgeber die Zuständigkeit für Entscheidungen über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG grundsätzlich bei der Ausländerbehörde sieht (vgl. näher zur Zuständigkeit VG Augsburg, Gerichtsbesch. v. 06.06.2018 – Au 2 K 17.34883 –, BeckRS 2018, 13192 Rn. 36 ff.). Die grundsätzliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde ist aber nur außerhalb des Anwendungsbereichs des Asylgesetzes und damit auch außerhalb des Anwendungsbereichs asylrechtlicher Verfahrensvorschriften wie § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG begründet. Nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers sollen demnach alle isolierten Anträge auf Feststellung von Abschiebungshindernissen, unabhängig davon, ob sie erstmals oder wiederholt gestellt werden, in den Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes fallen. Vor diesem Hintergrund kann nur schwer behauptet werden, isolierte Anträge auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hätten keine bewusste gesetzliche Regelung erfahren. Im Übrigen nimmt das Gericht zur weiteren Begründung der fehlenden Analogiefähigkeit Bezug auf die zutreffenden Gründe des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2017 (18 B 1033/17 – juris Rn. 4 ff.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>e) Schließlich folgt die Unzulässigkeit einer Abschiebung auch nicht unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG. Art. 19 Abs. 4 GG enthält eine Rechtsweggarantie des Inhalts, dass wirksamer gerichtlicher Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt zur Verfügung stehen muss. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht, sondern auch innerhalb des jeweils eingeleiteten Verfahrens. Soweit es um beantragten vorläufigen Rechtsschutz geht, verlangt die Rechtsschutzgarantie, dass irreparable Folgen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich ausgeschlossen werden (BVerfG, Beschl. v. 30.07.2003 – 2 BvR 796/03 –, BeckRS 2003, 23848 m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze bedeutet dies für die vorliegende Konstellation, in der ein isolierter Folgeschutzantrag gestellt worden ist, dass die Unzulässigkeit der Abschiebung dann aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt, wenn dies zur Sicherung der Effektivität des Folgeschutzantrages erforderlich ist, weil Rechtsschutz anderweitig nicht erlangt werden kann (vgl. hierzu Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, § 71 AsylG Rn. 42 m.w.N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>Das aber ist hier nicht der Fall. Effektiver Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebung steht dem Schutzsuchenden durch vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 VwGO gegenüber dem für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständigen Bundesamt (vgl. zur Zuständigkeit des Bundesamtes bei isolierten Folgeschutzanträgen VG Augsburg, Gerichtsbesch. v. 06.06.2018 – Au 2 K 17.34883 –, BeckRS 2018, 13192 Rn. 38) offen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.09.2017 – 18 B 1033/17 –, juris Rn. 7 f. m.w.N.). Der Antrag ist im Ergebnis darauf gerichtet, sicherzustellen, dass die zuständige Ausländerbehörde vorläufig von einer Abschiebung absieht (ebd.). Zwar gibt es Ausnahmekonstellationen in den Fällen, in denen der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der Bundesrepublik bzw. jedenfalls die dann zu deren Umsetzung noch erforderliche Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass nicht vollzogen werden darf, zu spät käme. In solchen Fällen gebietet die Gewährung effektiven Rechtsschutzes eine solche Rechtsschutzmöglichkeit (Art. 19 Abs. 4 GG). Allerdings kann angesichts der zur Verfügung stehenden modernen Telekommunikationsmittel ein solcher Ausnahmefall allenfalls dann in Erwägung gezogen werden, wenn etwa gegenüber dem jeweiligen Antragsteller oder der jeweiligen Antragstellerin eine konkrete Abschiebungsmaßnahme bereits begonnen worden ist und zu diesem Zeitpunkt nicht mehr damit gerechnet werden kann, dass beim Bundesamt ein zuständiger und vor allem im Außenverhältnis auch entsprechend handlungsbefugter Bediensteter anwesend sein wird, der eine entsprechende gerichtliche Entscheidung umsetzen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.11.2018 – 12 S 2504/18 –, juris Rn. 19). Ein solcher Eilfall liegt hier aber nicht vor, da die Abschiebung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht begonnen hat.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p></p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,108
vg-schleswig-holsteinisches-2022-07-27-11-b-8022
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11 B 80/22
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-09T10:00:23"
"2022-10-17T17:55:46"
Beschluss
ECLI:DE:VGSH:2022:0727.11B80.22.00
<div class="docLayoutText"> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Tenor<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Antrag wird abgelehnt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p style="margin-left:72pt">Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.</p></dd> </dl> </div></div> <div class="docLayoutMarginTopMore"><h4 class="doc"> <!--hlIgnoreOn-->Gründe<!--hlIgnoreOff--> </h4></div> <div class="docLayoutText"><div> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>I.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_1">1</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung einer von ihr beantragten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_2">2</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige. Sie reiste zum 15. August 2021 mit einem Touristenvisum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 21. Oktober 2021 stellte sie einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zwecks Familiennachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_3">3</a></dt> <dd><p>Zur Begründung des Antrags führte sie aus, dass ein Fall außergewöhnlicher Härte vorliege. Sie halte sich zurzeit bei ihrem Sohn und seiner Familie in A-Stadt auf und sei auf Hilfe angewiesen. Ihre Schwester und ihr Schwager, die sich in der Türkei um sie gekümmert haben, seien Ende 2020 an Corona verstorben. Im Juni 2021 sei ihr Ehemann verstorben, so dass sie nunmehr niemanden habe, der sie pflegen könne. Ohne Pflege könne sie aber nicht überleben. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter verfügten über ein festes Einkommen und hätten Eigentum an einem Einfamilienhaus. Sie würden notariell versichern, dass sie für die Antragstellerin aufkommen. Ihr Sohn könne sich aufgrund des eigenen Sohnes, der wegen einer Behinderung durchgehende Pflege und Betreuung benötige, auch nicht in der Türkei um sie kümmern. Hierzu legte die Antragstellerin ein auf den 6. September 2021 datiertes Dokument vor, in dem von dem Gemeindevorsteher in ihrem Herkunftsort festgestellt wird, dass die Antragstellerin in dieser und den umliegenden Gemeinden keine nahen Verwandten mehr habe und pflegebedürftig sei. Eine Pflege könne nach dem Vortrag der Antragstellerin aber nicht innerhalb der Türkei erfolgen, da es in der Türkei seit Jahrhunderten üblich gewesen sei, dass die Familie sich um pflegebedürftige Menschen kümmere und es für 2 Millionen alte Menschen nur 14.500 Pflegeplätze in der Türkei gebe.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_4">4</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 30. März 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG (Ziffer 1) und der hilfsweisen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab (Ziffer 2). Gleichzeitig wurde die Antragstellerin aufgefordert, das Bundesgebiet umgehend, spätestens jedoch innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides zu verlassen und die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen aufnahmewilligen Staat angedroht (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Falle einer Abschiebung wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_5">5</a></dt> <dd><p>Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich sei, dass die Pflege der Antragstellerin nur in Deutschland erfolgen könne und nicht in Pflegeeinrichtungen in der Türkei. Tatsächliche Nachweise über nicht vorhandene Pflegeplätze oder um Bemühungen zur Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung in der Türkei seien nicht erbracht worden. Eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG sei daher nicht ersichtlich. Eine Atypik sei nicht erkennbar. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2, § 5 AufenthG lägen nicht vor, so dass eine Ermessensausübung auf Rechtsfolgenseite nicht in Betracht komme. Zudem erfülle die Antragstellerin auch nicht die Voraussetzung nach § 5 Abs. 2 AufenthG, da die Einreise mit einem Touristenvisum erfolgt sei und nicht mit dem für eine Familienzusammenführung erforderlichen Visum. Es liege kein Ausnahmetatbestand des § 39 AufenthV vor. Eine Ausnahme nach § 5 Abs. 3 AufenthG komme auch nicht in Betracht, da es sich bei § 36 Abs. 2 AufenthG nicht um einen humanitären Aufenthaltstitel handle. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheitere schon daran, dass die Antragstellerin nicht vorgetragen habe, an der Ausreise unverschuldet gehindert zu sein. Rechtliche oder tatsächliche inlandsbezogene Ausreisehindernisse seien nicht ersichtlich. Die Ausreise scheitere lediglich am Willen der Antragstellerin.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_6">6</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 4. April 2022 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. Diesen begründete sie damit, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG erfüllt seien. Sie sei nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist, da erst durch den Aufenthalt in A-Stadt deutlich geworden sei, dass sie nicht mehr in der Türkei leben könne. Dies liege in den innerfamiliären Verlusten sowie einer schweren Depression, eines Venenleidens, erheblicher Kreislaufbeschwerden und einer Blasenschwäche begründet. Durch physiotherapeutische und osteopathische Behandlung sowie ihre Enkelkinder sei sie nunmehr wieder am Lachen, könne laufen, Treppen steigen und nachts durchschlafen. Es liege eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG vor. Die Antragstellerin sei kranken- und pflegeversichert, besitze Vermögen, auch Immobilienvermögen in der Türkei und erhalte eine eigene Rente. In ihrem Heimatort gebe es ein Pflegeheim für schwer behinderte und gebrechliche Alte. Sie benötige jedoch keine Pflege, sondern jemanden, der für ihre ärztliche Betreuung und psychische Stabilität Sorge trage.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_7">7</a></dt> <dd><p>Mit Bescheid vom 17. Mai 2022 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Nicht jeder Betreuungsbedarf begründe, dass die Antragstellerin auf familiäre Hilfe wegen Pflegebedarf angewiesen sei. Eine solche Einstufung komme nur in Betracht, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder die im Herkunftsland angebotene professionelle pflegerische Unterstützung den Bedürfnissen der Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden könnte. Die Pflege könne, unabhängig davon ob erstgradige Verwandte noch dort lebten, durch Pflegeeinrichtungen, nicht zwingend im Heimatort, erfolgen. Es sei nicht dargelegt worden, dass sich um Pflegeeinrichtungen bemüht worden sei. Qualifizierte ärztliche Atteste oder andere Nachweise über die Pflegebedürftigkeit seien nicht eingereicht worden. Ein humanitärer Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheitere außerdem daran, dass keine Nachweise über die tatsächliche Unmöglichkeit einer Reiseunfähigkeit eingereicht worden seien.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_8">8</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin hat am 7. Juni 2022 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung bezieht sie sich auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren und führt darüber hinaus aus, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr alleine leben könne und eine geeignete Unterbringung in der Türkei nicht möglich sei. Sie könne für sich nicht die Gesundheitssorge in der Türkei übernehmen, da sie dort wieder an schweren Depressionen erkranken würde, die auch jede körperliche Betätigung verhindern würden. In der Türkei würde sich daher der Gesundheitszustand dergestalt verschlechtern, dass sie wieder Pflege in Deutschland brauche. Sie könne künftig im Haus ihres Sohnes leben, der eine notarielle Versicherung abgeben werde, dass er und seine Ehefrau gemeinsam für alle Kosten der Antragstellerin aufkämen. Zudem sei eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen worden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_9">9</a></dt> <dd><p>Auf die Erklärung der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 13. Juni 2022, bis zur Entscheidung über den Antrag von Zwangsmaßnahmen abzusehen, erklärte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2022 das Verfahren für erledigt. Nach Widerspruch der Antragsgegnerin gegen die Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 23. Juni 2022, dass sich das Absehen von Zwangsmaßnahmen nur auf das Eilverfahren beziehe, erklärte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14. Juli 2022, dass keine Erledigung eingetreten sei und sie an der Erledigungserklärung nicht festhalte.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_10">10</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_11">11</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4. April 2022 und der Klage vom 6. Juli 2022 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. März 2022 anzuordnen;</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_12">12</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, die der Antragstellerin bis zum 8. November 2022 erteilte Duldung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu verlängern.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_13">13</a></dt> <dd><p>Die Antragsgegnerin beantragt,</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_14">14</a></dt> <dd><p style="margin-left:36pt">den Antrag abzuweisen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_15">15</a></dt> <dd><p>Zur Begründung führt sie aus, dass der Antrag hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis nicht statthaft sei, da mit der Ablehnung keine Erlaubnisfiktion entfallen sei. Die Antragstellerin sei mit einem die Erlaubnisfiktion nicht auslösenden Schengen-Visum in Deutschland eingereist. Zudem sei der Antrag, unter Verweis auf die Begründung im Verwaltungsverfahren, unbegründet, da keine außergewöhnliche Härte vorliege. Die Antragstellerin habe vielmehr eingeräumt, keine Pflege im eigentlichen Sinne zu benötigen. Es sei unklar, welche Beschwerden überhaupt bestünden. Zudem sei die Familie nach eigenen Angaben finanziell unabhängig, die Antragstellerin erhielte Rente, besitze in der Türkei Vermögen sowie Immobilien und sei kranken- und pflegeversichert. Zudem seien Besuche und anderer familiärer Kontakt weiterhin möglich.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt></dt> <dd><p>II.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_16">16</a></dt> <dd><p>1. Das Gericht legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zunächst dahingehend aus, dass diese die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erstrebt, für die Dauer des Hauptsacheverfahrens von einer Abschiebung abzusehen. Daneben begehrt sie hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheides vom 30. März 2022) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_17">17</a></dt> <dd><p>Nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Das Gericht hat grundsätzlich das im Antrag und im gesamten Antragsvorbringen zum Ausdruck kommende Rechtsschutzziel zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Bei der Ermittlung des Willens des Rechtsuchenden ist nach anerkannter Auslegungsregel zu dessen Gunsten davon auszugehen, dass er denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der nach Lage der Sache seinen Belangen entspricht und eingelegt werden muss, um den erkennbar angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. April 1990 – 8 C 70.88 –, juris Rn. 23). Neben dem Antrag und der Begründung ist auch die Interessenlage zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen erkennbaren Umständen ergibt (BVerwG, Beschl. v. 13. Januar 2012 – 9 B 56.11 –, juris Rn. 7). Ist der Rechtsschutzsuchende bei der Fassung des Antrages anwaltlich vertreten worden, kommt zwar der Antragsformulierung gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Ziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. Januar 2012 – 9 B 56.11 –, juris Rn. 8).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_18">18</a></dt> <dd><p>Das Rechtsschutzziel der Antragstellerin liegt hier erkennbar darin, während der Dauer ihres Klageverfahrens zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG, bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG von Vollzugsmaßnahmen der Antragsgegnerin, namentlich einer Abschiebung, verschont zu bleiben. In ihren Schriftsätzen vom 22. Juni 2022 und 14. Juli 2022 benennt die Antragstellerin als Rechtsschutzziel das Absehen von Zwangsmaßnahmen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens. Dies kommt auch durch den hilfsweise gestellten Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die bestehende Duldung zu verlängern, zum Ausdruck. Es geht ihr also insoweit darum, die Abschiebung vorübergehend und für die Dauer des Verfahrens auszusetzen. Ein weitergehender Rechtsschutz wird nicht begehrt, insbesondere da ein dauerhafter Aufenthaltstitel oder eine Fiktionsbescheinigung im Wege vorläufigen Rechtsschutzes nicht erlangt werden kann (OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 10. Juni 2020 – 4 MB 16/20 –, juris Rn. 5). Die anwaltliche Vertretung steht einer solchen Auslegung aufgrund der Eindeutigkeit des Rechtsschutzbegehrens nicht entgegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_19">19</a></dt> <dd><p>Eine Auslegung ist auch unter Einbeziehung des hilfsweise gestellten Antrags notwendig, da mit diesem das Rechtsschutzziel offensichtlich nicht erreicht werden kann. Eine Verlängerung dieser Duldung schützt gerade nicht vor Vollzugsmaßnahmen, insbesondere einer Abschiebung. Die bis zum 18. November 2022 ausgestellte Duldung, deren Verlängerung begehrt wird, ist mit der Nebenbestimmung versehen, dass diese erlischt, sobald das Abschiebungsdatum mitgeteilt wird.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_20">20</a></dt> <dd><p>Hinsichtlich der Ziffer 3 des Ausgangsbescheides ist der Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_21">21</a></dt> <dd><p>Ein Vorgehen gegen Ziffer 4 des Ausgangsbescheides vom 30. März 2022 ist nach Auslegung des Rechtsschutzbegehrens nicht beantragt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots wäre nicht dazu geeignet, das eindeutig erkennbare Rechtsschutzziel des Absehens von Zwangsmaßnahmen zu erreichen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_22">22</a></dt> <dd><p>Die in diesem Sinne nach Auslegung ermittelten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO (hierzu unter 2.) und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO (hierzu unter 3.) haben keinen Erfolg.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_23">23</a></dt> <dd><p>2. Der Antrag auf Aussetzung der Abschiebung ist zulässig (sogleich unter a)), aber unbegründet (hierzu unter b)).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_24">24</a></dt> <dd><p>a) Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Unterlassung von Zwangsmaßnahmen statthaft. Der Sicherungszweck des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann u. a. dann statthafterweise geltend gemacht werden, wenn – wie hier – das Hauptsacheverfahren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betrifft und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll, die Abschiebung vorübergehend und für die Dauer des Verfahrens auszusetzen (OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1. Oktober 2021 – 4 MB 42/21 –, juris Rn. 34). Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis einstweiliger Rechtsschutz nicht vorrangig nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1, § 123 Abs. 5 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 AufenthG zu gewähren, sondern nach § 123 Abs. 1 VwGO. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG und hilfsweise § 25 Abs. 5 AufenthG hat keine belastende Rechtsfolge ausgelöst, die durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO suspendiert werden könnte. Der als einzig belastende Rechtsfolge in Betracht kommende Wegfall einer Aufenthaltserlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3, 4 AufenthG ist hier nicht gegeben. Nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG entsteht in Fällen, in denen der Aufenthalt aufgrund eines Schengen-Visums im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfolgt, keine Fortbestandsfiktion. Die Fiktion kann folglich, da sie nie bestand, aufgrund gerichtlicher Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage weder wiederaufleben noch sonst die Ausreisepflicht entfallen lassen (OVG Niedersachsen, Beschl. v. 12. November 2013 – 13 ME 190/13 –, juris Rn. 6).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_25">25</a></dt> <dd><p>Da die Antragstellerin mit einem Schengen-Visum im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einreiste, ist mit Stellung des Antrags keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eingetreten, vgl. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Eine Fiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG kommt ebenso nicht in Betracht, da die Antragstellerin sich mit einem Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Deutschland aufhielt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. November 2019 – 1 C 22.18 –, juris Rn. 17). Für eine analoge Anwendung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist kein Raum. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorläge. Vielmehr wollte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs 17/13536, S. 15) eine Fiktionswirkung für Einreisende mit einem Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gerade verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 19. November 2019 – 1 C 22.18 –, juris Rn. 15, nachdem die Absätze 3 und 4 gerade in einem sich ausschließenden Verhältnis zueinanderstehen).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_26">26</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin hat ein Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht die bis zum 18. November 2022 erteilte Duldung nicht entgegen, da diese mit der Bekanntgabe des Abschiebetermins erlischt und somit weiterhin jederzeit die Abschiebung droht (vgl. hierzu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 20. August 2021 – 2 M 89/21 –, juris Rn. 15 ff. für eine Duldung, die jederzeit vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens erlöschen kann).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_27">27</a></dt> <dd><p>b) Der auch im Übrigen zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_28">28</a></dt> <dd><p>Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus, die glaubhaft zu machen sind, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO. Maßgeblich sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_29">29</a></dt> <dd><p>Der Antragstellerin steht schon kein Anordnungsanspruch zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_30">30</a></dt> <dd><p>aa) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen ist grundsätzlich nicht sicherungsfähig im Rahmen einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO. Dem steht bereits entgegen, dass der erstrebte vorläufige Rechtszustand auf eine Duldung, d. h. eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung im Sinne von § 60a AufenthG hinausliefe. Damit erhielte die Duldung die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts. Das entspräche jedoch nicht der Systematik des Aufenthaltsgesetzes. Voraussetzungen und Reichweite des verfahrensabhängigen Bleiberechts hat der Gesetzgeber im Einzelnen und im Grundsatz abschließend in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG geregelt. Die dort geregelte Fiktionswirkung kommt der Antragstellerin – wie dargestellt wurde – nicht zu Gute. Tritt jedoch keine Fiktionswirkung ein, so besteht grundsätzlich kein verfahrensabhängiges Bleiberecht, d. h. die Betroffene hat das Verfahren auf Erteilung des Aufenthaltstitels von ihrem Heimatland aus zu betreiben (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 11. September 2018 – 4 MB 94/18 –, juris Rn. 2 und Beschl. v. 2. März 2020 – 4 MB 5/20 –, juris Rn. 10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 15. April 2005 – 18 B 492/05 –, juris Rn. 3 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28. Februar 2006 – OVG 7 S 65.05 –, juris Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22. Juni 2009 – 2 M 86/09 –, juris Rn. 13; OVG Bremen, Beschl. v. 27. Oktober 2009 – 1 B 224/09 –, juris Rn. 16).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_31">31</a></dt> <dd><p>bb) Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sich aus nationalen Gesetzen, einschließlich Verfassungsrecht, Unionsrecht oder Völkergewohnheitsrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (Haedicke in HTK-AuslR / § 60a AufenthG / zu Abs. 2 Satz 1 – rechtl. Unmöglichkeit, Stand: 8. Oktober 2020, Rn. 1; VG Schleswig, Beschl. v. – 11 B 10006/21 –, juris Rn. 22). Solche Ausnahmefälle liegen insbesondere dann vor, wenn sich rechtliche Hindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben können, die ihre Grundlage beispielsweise in Art. 8 EMRK (Schutz des Familien- und Privatlebens) oder in Grundrechten, etwa Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) haben, oder wenn ein Abschiebungsverbot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise aus Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit einfachgesetzlichen Rechten folgt, soweit diese Rechte der Antragstellerin eine Rechtsposition einräumen, die durch eine Abschiebung verloren gehen würde (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 17. Januar 2018 – 11 B 84/17 –, juris Rn. 102 f.; OVG NRW, Beschl. v. 5. Dezember 2011 – 18 B 910/11 –, juris Rn. 4; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 1. Oktober 2021 – 4 MB 42/21 –, juris Rn. 34 m. w. N. und Beschl. v. 2. März 2020 – 4 MB 5/20 –, juris Rn. 10 f. m. w. N.).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_32">32</a></dt> <dd><p>Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht der Antragstellerin hieraus kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_33">33</a></dt> <dd><p>(1) Dieser ergibt sich nicht aus einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG unter Absehung vom Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 AufenthG. Zwar stellt der Anspruch auf einen Verzicht auf ein Visumsverfahren grundsätzlich einen im einstweiligen Rechtsschutz sicherungsfähigen Anspruch dar. Ein solcher Anspruch steht der Antragstellerin jedoch nicht zu.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_34">34</a></dt> <dd><p>(i) Das Visumsverfahren ist schon nicht aufgrund § 39 AufenthV entbehrlich. Der erforderliche Anspruch auf einen Aufenthaltstitel liegt nicht vor. Nach § 39 Nr. 3 AufenthV kann eine Ausländerin einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn sie Staatsangehörige eines in Anhang II der Verordnung (EU) 1806/2018 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Für eine Ausnahme nach § 39 Nr. 3 AufenthV ist ein strikter Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 10. Dezember 2014 – 1 C 15.14 –, juris Rn. 15). Der nach § 36 Abs. 2 AufenthG in Betracht kommende Aufenthaltstitel zum Familiennachzug vermittelt lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Auf eine Ermessensreduzierung auf Null kommt es nicht an, da auch dann kein strikter Rechtsanspruch vorläge. Weitere Aufenthaltstitelansprüche, die im Rahmen des § 39 Nr. 3 AufenthV in Betracht kämen, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_35">35</a></dt> <dd><p>(ii) Ein Anspruch auf Verzicht des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist mangels striktem Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel ebenso nicht gegeben. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG kann vom Visumsverfahren abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind. Hierbei muss es sich um einen strikten Rechtsanspruch handeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 16. November 2010 – 1 C 17.09 –, juris Rn. 27). Ein Anspruch nach § 36 Abs. 2 AufenthG vermag als Ermessensanspruch daher auch hier keinen Verzicht auf das Visumsverfahren zu ermöglichen.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_36">36</a></dt> <dd><p>(iii) Eine Unzumutbarkeit des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG ist nicht erkennbar und insbesondere nicht in einer den Erfordernissen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG kann von dem Visumsverfahren abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Auf das Visumsverfahren als zentrales Element zur Steuerung der legalen Zuwanderung und Migration kann nur bei Vorliegen atypischer Umstände verzichtet werden.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_37">37</a></dt> <dd><p>Es liegen keine atypischen Umstände vor. Durch familiäre Bindungen ist das Visumsverfahren nicht entbehrlich. Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich vereinbar, dass die Antragstellerin das erforderliche Visum einholen muss (vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 20. Januar 2021 – 8 ME 136/20 –, juris Rn. 14).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_38">38</a></dt> <dd><p>Der grundrechtliche Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst zwar auch familiäre Bindungen des volljährigen Kindes zu seinen Eltern und umgekehrt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 31. März 2021 – 1 BvR 413/20 –, juris Rn. 19). Ihnen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern, da die Beistandsgemeinschaft zwischen Eltern und minderjährigen Kindern in der Regel mit Volljährigkeit zu einer Hausgemeinschaft, in der die Regeln des Zusammenwohnens gewahrt wird, und im Übrigen zu einer Begegnungsgemeinschaft werden (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschl. v. 31. März 2021 – 1 BvR 413/20 –, juris Rn. 19). Regelmäßig ist es demnach nicht geboten, einwanderungspolitische oder sonstige öffentliche Belange, die gegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sprechen, zurückzustellen, sofern dies aus grund- und menschenrechtlichen Gründen nicht erforderlich ist. Solche weitergehenden Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie aus Art. 8 EMRK kommen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn etwa ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist (OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. Oktober 2016 – 4 LB 4/15 –, juris Rn. 35 f. m. w. N.; VG Schleswig, Beschl. v. 22. Juni 2022 – 11 B 54/22 –, juris Rn. 33). Ein solches „Angewiesensein“ wurde nicht glaubhaft gemacht. Der bloße Verweis auf schwere Depressionen, die durch Kontakt mit den Enkelkindern geheilt wurden, sowie auf mittlerweile auskurierte Erkrankungen, wie etwa Venenleiden, reichen hierfür nicht aus.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_39">39</a></dt> <dd><p>Mögliche, ein „Angewiesensein“ begründende Erkrankungen der Antragstellerin, insbesondere die schwere Depression – ggf. in rezidivierender Form –, sind nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin hat weder vorgetragen, wegen der Depression in Behandlung gewesen zu sein, noch, dass diese ihr jemals diagnostiziert worden sei oder dass sie weiterhin unter schweren, ggf. rezidivierenden Depressionen leide. Es wurde kein ärztliches Attest, keine Diagnose oder ein sonstiges gesundheitliches Zeugnis beigefügt. Einzig eine Bescheinigung des Gemeindevorstehers des Bezirks in dem Herkunftsort der Antragstellerin wurde vorgelegt, nach der die Antragstellerin pflegebedürftig sei. Aus dieser auf den 6. September 2021 datierten Bescheinigung geht jedoch nicht hervor, wieso sie pflegebedürftig sei. Inwiefern der Gemeindevorsteher die Pflegebedürftigkeit sowohl fachlich als auch tatsächlich beurteilen kann und wann und auf welcher Grundlage er diese Beurteilung vorgenommen hat, geht aus diesem Dokument ebenfalls nicht hervor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_40">40</a></dt> <dd><p>Zudem hat die Antragstellerin, die ausweislich des eigenen Vortrags über Immobilien- und sonstiges Vermögen verfügt, vorbehaltlich einer freiwilligen Ausreise die Möglichkeit für visumsfreie Aufenthalte für jeweils 90 Tage im Zeitraum von 180 Tagen nach Deutschland einzureisen, so dass regelmäßiger Kontakt sowohl physisch als auch in der übrigen Zeit mittels Videotelefonie o. ä. möglich sind.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_41">41</a></dt> <dd><p>(2) Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen eines zu sichernden Anspruchs auf einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Der Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist zwar sicherungsfähig, da seine Erteilung einen Aufenthalt im Bundesgebiet bedingt (OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2. März 2020 – 4 MB 5/20 –, juris Rn. 11). Allerdings ist weder hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Antragstellerin die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich wäre. Eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergibt sich vorliegend wie oben dargelegt auch nicht aus Art 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art 8 EMRK.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_42">42</a></dt> <dd><p>cc) Es liegt kein sonstiges inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_43">43</a></dt> <dd><p>Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann gegeben sein, wenn und solange die Ausländerin wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich der Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Eine Abschiebung muss zudem unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass sich der Gesundheitszustand der Ausländerin wesentlich oder gar lebensbedrohlich unmittelbar durch die Abschiebung als solche verschlechtert (VG Schleswig, Beschl. v. 22. Juni 2022 – 11 B 13/22 –, juris Rn. 48).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_44">44</a></dt> <dd><p>Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_45">45</a></dt> <dd><p>Nach diesen Maßstäben und den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein zu berücksichtigenden präsenten Beweismitteln und glaubhaft gemachten Tatsachen (vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 19. März 2013 – 8 ME 44/13 –, juris Rn. 5) hat die Antragstellerin die gesetzliche Vermutung nicht widerlegt.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_46">46</a></dt> <dd><p>So wurden schon keine ernsthaften gesundheitlichen Umstände geltend gemacht, die nicht, wie das Venenleiden, schon therapiert sein sollen. Darüber hinaus wurden auch, wie oben dargelegt, keine qualifizierten ärztlichen Atteste eingereicht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_47">47</a></dt> <dd><p>3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig (hierzu unter a)) aber unbegründet (hierzu unter b)).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_48">48</a></dt> <dd><p>a) Der Antrag gegen Ziffer 3 des Bescheides ist insbesondere nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 248 Abs. 1 Satz 1 LVwG Schleswig-Holstein der Widerspruch gegen Maßnahmen, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden keine aufschiebende Wirkung hat und der Erlass einer Abschiebungsandrohung Teil der Verwaltungsvollstreckung ist.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_49">49</a></dt> <dd><p>b) Der Antrag ist jedoch unbegründet.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_50">50</a></dt> <dd><p>Die Abschiebungsandrohung ist offensichtlich rechtmäßig. Die im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Interessenabwägung fällt daher zulasten der Antragstellerin aus. Eine weitergehende Folgenabwägung ist nicht erforderlich, da diese nur vorzunehmen ist, wenn sich die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung nicht eindeutig beurteilen lässt. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides führt in den Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs – wie hier – indes regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 29. Oktober 2021 – 4 MB 53/21 –, juris Rn. 9 und Beschl. v. 3. Juli 2019 – 4 MB 14/19 –, juris Rn. 5 m. w. N.; VG Schleswig, Beschl. v. 6. November 2018 – 1 B 119/18 –, juris Rn. 4).</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_51">51</a></dt> <dd><p>Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt grundsätzlich eine Ausreisepflicht voraus.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_52">52</a></dt> <dd><p>Die Antragstellerin ist kraft Gesetzes ausreisepflichtig, § 50 Abs. 1 AufenthG. Die Antragstellerin besitzt nicht oder nicht mehr einen erforderlichen Aufenthaltstitel und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei besteht nicht oder nicht mehr. Die Abschiebungsandrohung wurde auch nach Maßgabe des § 59 AufenthG erlassen, nachdem die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen 7 und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen ist. Die Antragsgegnerin hat die Frist hier mit 30 Tagen bestimmt. Besondere, den Zeitraum verlängernde Umstände sind nicht ersichtlich. Die Abschiebungsandrohung setzt auch nicht die Vollziehbarkeit voraus, so dass die erteilte Duldung bis zur Abschiebung, längstens bis zum 18. November 2022, der Rechtmäßigkeit nicht im Wege steht.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_53">53</a></dt> <dd><p>4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.</p></dd> </dl> <dl class="RspDL"> <dt><a name="rd_54">54</a></dt> <dd><p>5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 GKG. Da es sich bei den beiden von der Antragstellerin gestellten Anträgen gemäß der erfolgten Auslegung um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt, war keine Erhöhung des Streitwertes angezeigt, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Und auch die zugleich angegriffene Abschiebungsandrohung (Ziff. 3 des Bescheides) führt ebenfalls nicht zur Erhöhung des Streitwerts (vgl. Ziff. 8.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).</p></dd> </dl> </div></div> <br> </div>
346,087
ovgnrw-2022-07-27-19-b-96121
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
19 B 961/21
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-06T10:00:54"
"2022-10-17T17:55:42"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0727.19B961.21.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.</p> <p>Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Der Senat prüft nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO nur die fristgerecht dargelegten Gründe. Diese rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem Aussetzungsantrag der Antragsteller nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage 19 K 1668/21 VG Köln gegen die Entscheidung Nr. 6322 der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien (Prüfstelle) bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (bis 30. April 2021 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)) vom 7. Dezember 2020 zur Indizierung des Internetangebots https://heimat-defender.de stattzugeben. Sowohl die Rügen der Antragsteller gegen die formelle Rechtmäßigkeit dieser Indizierungsentscheidung (1.) als auch ihre Einwände gegen deren materielle Rechtmäßigkeit (2.) bleiben erfolglos. Die von ihnen geltend gemachten angeblichen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts sind von vornherein ungeeignet, ihrem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen (3.).</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. Mit ihren beiden fristgerecht zur Beschwerdebegründung eingereichten Schriftsätzen unterstellen die Antragsteller dem Verwaltungsgericht zunächst zu Unrecht, es habe einen Verstoß der Prüfstelle gegen die Anhörungspflicht gegenüber dem Urheber und dem Anbieter aus § 21 Abs. 7 JuSchG verneint, obwohl das an den Antragsteller zu 1. gerichtete „Anhörungsschreiben nicht zustellbar (und sogar rückläufig)“ gewesen und der Prüfstelle deshalb zuzumuten gewesen sei, „ein Mindestmaß an weiteren Ermittlungen anzustellen.“ Mit diesem Einwand legen die Antragsteller ihren weiteren Ausführungen eine fehlgeschlagene Zustellung, also eine im Rechtssinn unterbliebene Anhörung zugrunde und verfehlen damit die Feststellungen im angefochtenen Beschluss schon im Ansatz. Denn das Verwaltungsgericht hat eine nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VwZG, § 180 ZPO, § 5 Abs. 2 Satz 2 DVO-JuSchG wirksame Zustellung der Terminbenachrichtigung der Prüfstelle dadurch festgestellt, dass der Postbedienstete diese in den Briefkasten der Wohnung eingelegt hat, die damals im Impressum der indizierten Internetseite als Anschrift des Antragstellers zu 1. als Diensteanbieter im Sinn des § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG aufgeführt war (S. 4 des Beschlusses). Das Verwaltungsgericht hat sinngemäß ergänzt, an der Wirksamkeit dieser Zustellung ändere auch die spätere Rücksendung dieses Schreibens durch die Deutsche Post AG nichts, weil Überwiegendes dafür spreche, dass ein Vertreter des anzuhörenden Vereins (Antragsteller zu 1.) den Briefumschlag selbst geöffnet, sowohl auf dem Schreiben als auch auf dem Briefumschlag handschriftlich den Vermerk „Verein nicht mehr zuständig“ angebracht und beides sodann auf im Einzelnen unbekannt gebliebenem Weg an die Deutsche Post AG zurückgegeben habe.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller setzen dieser vorläufigen Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts keine abweichende Sachdarstellung entgegen, insbesondere geben sie bezeichnenderweise keine Äußerung zur Autorenschaft der beiden handschriftlichen Vermerke „Verein nicht mehr zuständig“ ab. Ihre Äußerungen hierzu erschöpfen sich vielmehr in dem danach unglaubhaften pauschalen Bestreiten: „Mithin gelangte das Anhörungsschreiben nicht in Kenntnis der Antragsteller, was der Antragsgegnerin auch bösgläubig klar gewesen sein muss.“ Auf welcher Seite unter diesen Umständen „Bösgläubigkeit“ vorlag, kann der Senat offen lassen. Jedenfalls liegt im zitierten Bestreiten einer Kenntnisnahme vom Inhalt der Terminbenachrichtigung ein weiterer objektiver Anhaltspunkt dafür, dass sich der Antragsteller zu 1. seiner medienrechtlichen Verantwortlichkeit für das von ihm im Internet veröffentlichte Videospiel zu entziehen versucht (§ 7 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Nr. 2 TMG). Erst recht abwegig ist sein Ansinnen, die Prüfstelle habe ihn zusätzlich per E-Mail anhören müssen.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Ebenso wenig greift die Rüge einer unterbliebenen Anhörung der in Österreich ansässigen Antragstellerin zu 2. durch, für die das Verwaltungsgericht festgestellt hat, sie habe ihre ladungsfähige Anschrift erstmals im gerichtlichen Eilverfahren mit Schriftsatz vom 21. April 2021 mitgeteilt. Ob die hiergegen erhobenen Einwände in der Beschwerdebegründung durchgreifen, kann der Senat offen lassen. Denn ein etwaiger Anhörungsmangel ist jedenfalls zwischenzeitlich verfahrensrechtlich nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt. Die Antragsgegnerin hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsteller im erstinstanzlichen Eilverfahren entschieden, an der Indizierung festzuhalten.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. dazu VG Köln, Urteil vom 2. September 2016 ‑ 19 K 3287/15 ‑, MMR 2016, 851, juris, Rn. 43.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Begründung des angefochtenen Beschlusses auch nicht insofern widersprüchlich und mit Art. 3 GG unvereinbar, als das Verwaltungsgericht einerseits Anhaltspunkte für einen Neutralitätsverstoß der Mitglieder des Zwölfer-Gremiums verneint, andererseits aber selbst ausgeführt habe, die Antragsteller hätten solche hinreichenden Anhaltpunkte dargelegt. Dem angefochtenen Beschluss ist kein solcher Widerspruch zu entnehmen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht widerspruchsfrei sinngemäß entschieden, aus den angeführten Parteimitgliedschaften, Freundschaften zu Politikern, Nutzungen von Twitterhashtags und Aussagen einzelner Mitglieder des Zwölfer-Gremiums ergäben sich keine Belege für eine Befangenheit (§ 6 DVO-JuSchG).</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">2. Gegen die materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Indizierungsentscheidung der Prüfstelle machen die Antragsteller lediglich geltend, es sei „Aufgabe des VG gewesen, eine umfassende eigene Abwägung an die Stelle der BPjM zu setzen“, seine Auffassung sei unzureichend, „eine Abwägung mit den Grundrechten, insbesondere mit der Kunstfreiheit und der Meinungsfreiheit, sei bloße Sache des Hauptsacheverfahrens und im Eilverfahren unbeachtlich“. Auch insoweit unterstellen die Antragsteller dem Verwaltungsgericht zu Unrecht, es habe die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern Jugendschutz und Kunstfreiheit vollständig dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Zu dieser Abwägung BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2019 ‑ 6 C 18.18 ‑, BVerwGE 167, 33, juris, Rn. 37 ff., 67 ff. (Sonny Black).</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Nicht diese Abwägung, sondern lediglich hierfür gegebenenfalls erforderliche weitere Ermittlungen hat das Verwaltungsgericht dem Hauptsacheverfahren vorbehalten und damit dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO Rechnung getragen (S. 11 des Beschlusses). In Bezug auf die genannte Abwägung durfte es sich darauf beschränken, sich in der gebotenen Kürze mit dem einzigen diesen Punkt betreffenden pauschalen Einwand der Antragsteller auseinander zu setzen, mangels Anhörung habe die Prüfstelle den Kunstgehalt nur unzureichend ermittelt. Es ist diesem Einwand sinngemäß mit dem zutreffenden Hinweis begegnet, dass die Anhörung als solche für die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen unerheblich ist. Damit hat sich das Verwaltungsgericht materiell-rechtlich der Sache nach zugleich das überzeugende Abwägungsergebnis des Zwölfer-Gremiums auf S. 33 und 34 der angefochtenen Indizierungsentscheidung zu Eigen gemacht, insgesamt überwögen die Belange des Jugendschutzes gegenüber dem Schutz der künstlerisch in bissig-satirischer Art inszenierten Meinungsäußerungen im indizierten Videospiel aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG, weil die zuvor im Einzelnen aufgeführten Spielszenen Ausgrenzung und Widerstand gegen Gruppen anderer sexueller Orientierung geradezu zu einer Notwehrhandlung und Pflicht stilisierten und deshalb eine intensive Beeinträchtigung des Jugendschutzes vorliege.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Auch die Beschwerdebegründung der Antragsteller gibt dem Senat insoweit keine Veranlassung zu weiteren Erwägungen. Insbesondere enthält sie keine Konkretisierung, weshalb der Kunst- und Meinungsfreiheit der Antragsteller in Bezug auf das hier indizierte Videospiel Vorrang gegenüber dem Jugendschutz zukommen, das Abwägungsergebnis also im Gegensatz zu demjenigen des Verwaltungsgerichts zu ihren Gunsten ausfallen soll. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Weimar in seinem Beschluss 4 E 705/22 vom 28. April 2022 zur Strafbarkeit der Verwendung der Regenbogenfahne während einer Versammlung nach den §§ 130, 185 StGB sind hierfür weder einschlägig noch, wie die Antragsteller meinen, „äquivalent“ gültig.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">3. Die Rügen der Antragsteller betreffend angebliche Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts sind von vornherein ungeeignet, dem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen. Dazu gehören insbesondere ihre pauschalen, ohne Bezug auf konkrete Feststellungen im angefochtenen Beschluss erhobenen Einwände, das Verwaltungsgericht habe den „Kunstwert falsch ermittelt“, es sei „zu erwarten gewesen, dass das VG im Rahmen seiner Amtsermittlung … das verfahrensgegenständliche Spiel jedenfalls rudimentär anspielt oder ähnliche Beweiserhebungen anstellt“, mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör sei unvereinbar, „die pauschale Behauptung [aufzustellen], der Sachverhalt sei richtig erfasst ‑ vor allem wenn es um Meinung und Interpretation geht.“ Auch die Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts zur diskriminierenden Warnung des Spielprotagonisten Martin Lichtmesz „Vor Dir liegt der LGBTQIAPK-Distrikt. Halt Dich nicht zu lange hier auf, sonst steckst Du Dich noch mit was an.“ ist entgegen der Auffassung der Antragsteller weder „höchst suspekt“ noch „nicht nachvollziehbar“ noch ein „Falschzitat“. Der eine Ansteckungsgefahr andeutende Zusatz „sonst steckst Du Dich noch mit was an“ entstammt vielmehr einem der Screenshots, welche die Antragsteller selbst als Anlage zum Eilantrag als „positive Besprechung“ des Magazins „konflikt“ vom 19. September 2020 vorgelegt haben. Ihre Behauptung, der Zusatz sei ausschließlich in Entwicklerversionen des Spiels vorhanden gewesen (pre-release), dann jedoch gelöscht und nie Bestandteil der öffentlichen Version des Spiels geworden, ist nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unbeachtlich, weil die Antragsteller sie erstmals nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist aufgestellt haben. Abgesehen davon ist die Behauptung auch nicht glaubhaft gemacht und steht in offenkundigem Widerspruch zur zitierten Presseveröffentlichung.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unbeachtlich sind schließlich auch die erstmals nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erhobenen Einwände der Antragsteller gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur jugendgefährdenden Wirkung des indizierten Videospiels (Nrn. 3 und 4 des Schriftsatzes vom 30. Juni 2021).</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Die Bedeutung der Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 18 Abs. 1 JuSchG für die Antragsteller, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat mit dem Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG, der im Eilrechtsstreit zu halbieren ist.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Zur Streitwertfestsetzung bei Indizierungsentscheidungen BVerwG, Streitwertbeschluss zum Urteil vom 30. Oktober 2019, a. a. O. (insoweit unveröffentlicht); OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2017 ‑ 19 A 544/16 ‑, juris, Rn. 16, vom 31. Oktober 2016 ‑ 19 B 1188/15 ‑, juris, Rn. 12, vom 24. Oktober 2016 ‑ 19 A 1467/15 ‑, juris, Rn. 18, und vom 1. April 2015 ‑ 19 A 3039/11 ‑, juris, Rn. 20.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).</p>
346,062
ovgnrw-2022-07-27-7-b-50822
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
7 B 508/22
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-05T10:01:13"
"2022-10-17T17:55:38"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0727.7B508.22.00
<h2>Tenor</h2> <p>Die Beschwerde wird zurückgewiesen.</p> <p>Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.</p> <p>Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000.- Euro festgesetzt.</p><br style="clear:both"> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks"><span style="text-decoration:underline">G r ü n d e :</span></p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Die Beschwerde hat keinen Erfolg.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">Gründe für eine Änderung der angefochtenen Entscheidung, mit der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 981/22 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 6.10.2021 anzuordnen, haben die Antragsteller nicht dargetan. Der Senat ist dabei nach § 146 Abs. 4 VwGO grundsätzlich auf die Prüfung des innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist erfolgten Vorbringens beschränkt.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag keinen Erfolg habe, da die angefochtene Baugenehmigung vom 6.10.2021 nach der allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - trotz ihrer wegen einer fehlenden Zuordnung der Stellplätze zum Vorhaben objektiven Rechtswidrigkeit - nicht nachbarrechtsverletzend sei.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller steht diesen kein Gebietsprägungserhaltungsanspruch zu. Dazu machen sie geltend, das Vorhaben passe nicht in die Baugebietsstruktur und konterkariere den prägenden Charakter des Baugebiets als Einfamilienhaussiedlung mit großzügigen Gärten und großen Grundstücken. Es kann dahinstehen, ob es einen solchen, in seinem Schutzgehalt über den allgemeinen Gebietsgewährleistungsanspruch hinausgehenden Anspruch gibt.</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.4.2020 - 7 B 286/20 -, BRS 88 Nr. 107 = BauR 2020, 1276, m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">Die Antragsteller haben hier schon die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs, der in Literatur und Rechtsprechung vereinzelt angenommen wird, wenn ein Vorhaben, das nach Maßgabe der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung an sich allgemein zulässig ist, im Einzelfall wegen Gebietsunverträglichkeit unzulässig ist, nicht aufgezeigt. So fehlt es schon an der Darlegung, warum das Vorhaben mit insgesamt (nur) drei Wohneinheiten dem Gebietscharakter der (nicht näher eingegrenzten) Umgebungsbebauung in relevanter Weise widersprechen könnte. Allein der mit Großstädten nicht vergleichbare „Wohndruck“ oder die "Massivität" des konkreten Vorhabens rechtfertigen dies jedenfalls nicht.</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">Der Einwand der Antragsteller, die vom Verwaltungsgericht angenommene objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führe hier zu einer Nachbarrechtsverletzung, aufgrund der fehlenden Zuordnung der Stellplätze sei überhaupt nicht klar, welche konkreten Beeinträchtigungen von den Zu- und Abfahrten zu den Stellplätzen ausgingen, insbesondere sei eine konkrete Prüfung im Einzelfall nicht möglich, bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist auch bei Annahme eines "worst-case-Szenarios", d. h. bei Zurechnung sämtlicher genehmigter Stellplätze zu der angefochtenen Baugenehmigung zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die vier im hinteren Grundstücksbereich genehmigten Stellplätze als gegenüber den Antragstellern zumutbar erwiesen.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Der Vortrag der Antragsteller, von der geplanten Zufahrt zu den Stellplätzen im hinteren Bereich des Vorhabengrundstücks gingen für ihr Grundstück unzumutbare Immissionen aus, es entstehe ein sog. "Tunneleffekt", der als Schallverstärker zu betrachten sei, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Zufahrt wird in Richtung des auf der gegenüberliegenden Grundstücksseite angrenzenden Grundstücks der Antragsteller durch das Vorhabengebäude abgeschirmt. Eine vorhabenbedingte unzumutbare Immissionsbelastung - insbesondere ein "Tunneleffekt" - scheidet mithin aus.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Auch von den genehmigten Stellplätzen selbst gehen keine für die Antragsteller unzumutbaren Beeinträchtigungen aus. Das Verwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsprechung unter Würdigung des konkreten Falles dazu ausgeführt, es verkenne nicht, dass die zu betrachtenden vier Stellplätze nicht straßennah, sondern im rückwärtigen Bereich angeordnet seien, es handele sich aber um eine überschaubare Anzahl, nach der vorliegenden schalltechnischen Prognose des Ingenieurbüros Stöcker vom 6.8.2021 gingen von den Stellplätzen keine erheblichen Schallimmissionen aus, letztlich seien im Geviert aus C.-straße , T.-straße , G.-straße und G1.-straße insbesondere von der C.-straße aus Grundstücke rückwärtig bebaut und erschlossen, so dass eine gewisse Vorprägung im erweiterten Umfeld bestünde. Dem sind die Antragsteller nicht substantiiert entgegen getreten. Ihre "Vermutung", die Stellplätze könnten zukünftig im Rahmen eines Gewerbetriebs und damit deutlich intensiver genutzt werden, ist irrelevant, da die streitige Baugenehmigung eine gewerbliche Nutzung nicht umfasst.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragsteller darüber hinausgehend einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme geltend machen und ausführen, die Rücksichtslosigkeit resultiere auch daraus, dass aufgrund eines "Canyon-Effekts" von der Seite des Vorhabengrundstücks eine erdrückende und beeinträchtigende Wirkung ausgehe, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Der Senat verweist zur Begründung auf die zutreffenden umfangreichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Beschluss. Dort hat es ausgeführt, die negativen Auswirkungen des Bauvorhabens gingen nicht über das Maß des den Antragstellern Zumutbaren hinaus. Die hier eingehaltenen Abstandsflächen rechtfertigten regelmäßig die Annahme, dass das Vorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Ein Ausnahmefall, in dem das Vorhaben sich trotz des Einhaltens der Abstandsflächen als rücksichtslos erweise, liege hier nicht vor. Insbesondere gehe von dem Vorhaben nach dem Eindruck der Berichterstatterin beim Ortstermin angesichts seiner Lage und Größe keine erdrückende Wirkung zu Lasten des Grundstücks der Antragsteller aus. Auch liege der ins Feld geführte "Canyon-Effekt" nicht vor, weil das Grundstück der Antragsteller höher liege als das Nachbargrundstück G.---straße 6. Eine nunmehr geltend gemachte "einseitige" erdrückende Wirkung vermag auch der Senat anhand der in den Akten befindlichen Pläne und Bilder nicht festzustellen. Das freistehende Wohnhaus der Antragsteller befindet sich auf einem großzügigen Grundstück. In südöstlicher Richtung schließt sich an das Gebäude der Garten mit Baumbewuchs an. Westlich befindet sich weitere Wohnbebauung. Im Norden grenzt das Grundstück an die G.-straße. Das Vorhabengebäude liegt oberhalb einer begrünten Böschung mit einem Abstand von mehr als 17 m zum Wohnhaus der Antragsteller. Der Abstand des Wohnhauses der Antragsteller zur Grundstücksgrenze der Beigeladenen beträgt ca. 12 m.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Eine Rücksichtslosigkeit des genehmigten Vorhabens resultiert auch im Übrigen nicht aus der Topografie. Die Antragsteller machen insoweit geltend, das Verwaltungsgericht habe die Grundstückssituation außer Acht gelassen, vom Standort der Geländeoberfläche ihres Grundstückes aus stelle sich das Vorhaben der Beigeladenen als unerträglich massiv dar, schon das vorhandene Bestandsgebäude sei für ihre Grundstückssituation kaum erträglich gewesen, dabei gehe es nicht nur um den massiven Höhenunterschied zwischen den jeweiligen Geländeoberflächen der Grundstücke, sondern zusätzlich noch um die Höhe des Bestandsgebäudes, aufgrund der dadurch bedingten Vorbelastung sei eine weitere Erhöhung des Bestandsgebäudes unzulässig, insbesondere gebe die Vorbelastung den Beigeladenen keinen "Freibrief" für eine weitere Erhöhung des Gebäudes. Entgegen diesem Vorbringen hat das Verwaltungsgericht sowohl die besondere Topographie der Grundstücke als auch die Erhöhung des Bestandsgebäudes in seiner rechtlichen Beurteilung berücksichtigt und erwogen. Es hat u. a. ausgeführt, das Grundstück der Antragsteller erweise sich in Bezug auf den Höhenunterschied als vorbelastet. Es nehme das Gefälle der Straße nicht auf, sondern sei eben angelegt. Damit liege es deutlich tiefer als das Vorhabengrundstück. Dies trage dazu bei, dass der Höhenunterschied zwischen dem Grundstück der Antragsteller und dem Vorhabengrundstück nicht unerheblich sei. Die vorhandene Topographie führe indes nicht dazu, dass die Beigeladene ihr Grundstück nicht im Rahmen des baurechtlich Zulässigen bebauen dürfe. Die Beigeladene habe keine Geländeerhöhung vorgenommen, sondern das Vorhaben auf dem vorgefundenen Geländeniveau realisiert. Das genehmigte Vorhaben sei nur um 35 cm höher als der vorherige Bestandsbau.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere folgt aus dem - von den Beigeladenen nicht veränderten - Geländezuschnitt nichts anderes. Die vorhandene Topographie des Geländes haben die Antragsteller hinzunehmen. Die geringfügige Erhöhung des Vorhabengebäudes führt - unter Berücksichtigung der Abstände der Gebäude zueinander und der Grundstückszuschnitte - ebenfalls zu keiner Rücksichtslosigkeit des Vorhabens. Auch die von den Antragstellern wegen der bodentiefen Fenster des Vorhabengebäudes gerügte Einsichtnahme führt zu keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen. Derartige Einsichtsmöglichkeiten auf ein Nachbargrundstück sind im innerstädtischen Bereich regelmäßig hinzunehmen. Zudem können die Antragsteller schon wegen der Größe ihres Grundstücks und der Abstände der Gebäude zueinander die Einsichtnahme durch entsprechende Bepflanzung ihres Grundstücks wesentlich beschränken.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Soweit die Antragsteller die Gefahr eines möglichen Abrutschens des Hanges geltend machen, fehlt es an der Darlegung, weshalb sich die Gefahrenlage durch den Umbau des Bestandsgebäudes derart erhöht haben könnte, dass nunmehr mit einem Schadenseintritt konkret zu rechnen sein könnte.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist unanfechtbar.</p>
346,033
ovgnrw-2022-07-27-4-a-114819a
{ "id": 823, "name": "Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen", "slug": "ovgnrw", "city": null, "state": 12, "jurisdiction": "Verwaltungsgerichtsbarkeit", "level_of_appeal": null }
4 A 1148/19.A
"2022-07-27T00:00:00"
"2022-08-03T10:01:06"
"2022-10-17T17:55:34"
Beschluss
ECLI:DE:OVGNRW:2022:0727.4A1148.19A.00
<h2>Tenor</h2> <p>Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt L.      aus E.        wird abgelehnt.</p> <p>Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 4.2.2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wird abgelehnt.</p> <p>Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.</p> <h1> </h1><br style="clear:both"> <h1><span style="text-decoration:underline">Gründe:</span></h1> <span class="absatzRechts">1</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung des Klägers aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).</p> <span class="absatzRechts">2</span><p class="absatzLinks">Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.</p> <span class="absatzRechts">3</span><p class="absatzLinks">1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.</p> <span class="absatzRechts">4</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.10.2021 – 4 A 1374/21.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">5</span><p class="absatzLinks">Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Der Kläger zeigt bereits nicht auf, inwieweit sich die von ihm aufgeworfenen Fragen,</p> <span class="absatzRechts">6</span><p class="absatzLinks">1. ob vom Sunitismus zum Schiitismus konvertierte Personen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sind;</p> <span class="absatzRechts">7</span><p class="absatzLinks">2. ob wegen Blasphemie verfolgte Personen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sind,</p> <span class="absatzRechts">8</span><p class="absatzLinks">in einem Berufungsverfahren entscheidungserheblich stellen würden.</p> <span class="absatzRechts">9</span><p class="absatzLinks">Im Hinblick auf die erste Frage hat das Verwaltungsgericht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen möglicher Übergriffe durch nichtstaatliche Akteure, die dem Kläger als Schiit drohen, jeweils eigenständig tragend deshalb verneint, weil es nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen hat, der Kläger sei ‒ wie behauptet ‒ konvertiert (Urteilsabdruck, Seite 6 bis Seite 7, erster Absatz), und weil dem Kläger im Übrigen auch bei Wahrunterstellung seines Vortrags mit Blick auf mögliche Übergriffe, die ihm als Schiit drohten, innerhalb Pakistans jedenfalls eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe (Urteilsabdruck, Seite 9, zweiter Absatz). Gleiches gelte für die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten (Urteilsabdruck, Seite 11, letzter Absatz). Dieser Wertung ist der Kläger nicht mit durchgreifenden Zulassungsgründen entgegengetreten.</p> <span class="absatzRechts">10</span><p class="absatzLinks">Wird die Entscheidung in dieser Weise selbstständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist.</p> <span class="absatzRechts">11</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.6.2020 ‒ 4 A 4007/19.A –, juris, Rn. 10 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">12</span><p class="absatzLinks">Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die zweite Frage. Insoweit ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass nicht ersichtlich sei, der Kläger könnte in Pakistan Verfolgungsmaßnahmen durch staatliche Stellen ausgesetzt sein. Der Kläger habe die Beschimpfung sunnitischer Kalifen im Rahmen seines widersprüchlichen Vorbringens lediglich pauschal behauptet (Urteilsabdruck, Seite 6). Weiter habe er weder geltend gemacht, Opfer staatlicher Verfolgungsmaßnahmen geworden zu sein, noch lasse sich seinem Vorbringen entnehmen, dass ihm im Zeitpunkt seiner Ausreise derartige Verfolgungsmaßnahmen unmittelbar drohten oder nunmehr drohen könnten (Urteilsabdruck Seite 7, vorletzter Absatz). Auch gegen diese Wertung hat der Kläger keine durchgreifenden Zulassungsgründe vorgebracht.</p> <span class="absatzRechts">13</span><p class="absatzLinks">2. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) nicht verletzt.</p> <span class="absatzRechts">14</span><p class="absatzLinks">Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das jeweilige Gericht im Rahmen seiner Rechtsprechung diesen Anforderungen genügt. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu behandeln. Deshalb müssen, soll ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs festgestellt werden, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet zudem grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine entsprechende gerichtliche Hinweispflicht besteht zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.</p> <span class="absatzRechts">15</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.10.2020 ‒ 4 A 710/20.A ‒, juris, Rn. 7 ff., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">16</span><p class="absatzLinks">Ausgehend hiervon liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht vor. Der Vorhalt, weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus der Prozessführung des Gerichts erschließe sich die Wertung des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger insgesamt nicht geglaubt werde, greift nicht durch. In der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls die Möglichkeit, sein bisheriges Vorbringen zu ergänzen und auf Vorhalt Widersprüche zu seinem bisherigen Vorbringen aufzulösen (Protokollabdruck, Seite 2 f.). Hingegen hat der Richter weder ausdrücklich noch sinngemäß zu erkennen gegeben, dass er den klägerischen Vortrag für glaubhaft erachte. Vielmehr musste ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter – ungeachtet dessen, dass das Bundesamt auf die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags nicht eingegangen ist (vgl. Bescheidabdruck, Seite 2 f.) – angesichts des Ablaufs der mündlichen Verhandlung erkennen, dass die Frage der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags zu dem behaupteten Verfolgungsschicksal entscheidungserhebliche Bedeutung hatte und der klägerische Vortrag nach Abschluss der mündlichen Verhandlung ergebnisoffen beurteilt werden könnte: Im Rahmen der Verhandlung ist dem Kläger Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens gegeben, sind ihm seine abweichenden Angaben beim Bundesamt vorgehalten worden und auch der Prozessbevollmächtigte hat die Möglichkeit erhalten, ihm weitere Fragen zu stellen, um mögliche Widersprüche im Vorbringen zu entkräften.</p> <span class="absatzRechts">17</span><p class="absatzLinks">Ein Gehörsverstoß ergibt sich auch nicht aus einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO. Abgesehen davon, dass es auf die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob seine blasphemischen Beleidigungen zu einer Verurteilung gemäß Paragraph 295-C des pakistanischen Strafgesetzbuches führen, die mit Tode bestraft werden, aus Sicht des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich ankam, weil es den diesbezüglichen Vortrag des Klägers bereits für unglaubhaft erachtet und der Kläger eine staatliche Verfolgung nicht geltend gemacht hatte (Urteilsabdruck, Seiten 6 und 7, vorletzter Absatz), begründete selbst ein hier nicht ansatzweise erkennbarer Aufklärungsmangel grundsätzlich – so auch hier – weder einen Gehörsverstoß noch gehört er zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne der § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO. Dies gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungspflicht, was hier nicht der Fall ist, verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.</p> <span class="absatzRechts">18</span><p class="absatzLinks">Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2019 – 4 A 1995/19.A –, juris, Rn. 9 f., m. w. N.</p> <span class="absatzRechts">19</span><p class="absatzLinks">Letztlich erschöpfen sich die diesbezüglichen Einwände des Klägers – auch soweit er geltend macht, er habe durch Einreichung von Fotos und weiteren Dokumenten unwiderlegbar seine Konversion belegt – der Sache nach in Kritik an der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Solche ist dem sachlichen Recht zuzurechnen und rechtfertigt, sofern sie – wie hier – nicht von Willkür geprägt ist, von vornherein nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.</p> <span class="absatzRechts">20</span><p class="absatzLinks">Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 – 10 B 21.09 u. a. –, juris, Rn. 13, und vom 2.11.1995 – 9 B 710.94 –, juris, Rn. 5.</p> <span class="absatzRechts">21</span><p class="absatzLinks">Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.</p> <span class="absatzRechts">22</span><p class="absatzLinks">Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.</p>