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/Jewish Thought
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/Eliezer Berkovits
/What is the Talmud
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/Berlin Jüdischer Buch-Verlag Erwin Löwe, 1938 [de].json
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"language": "en", | |
"title": "What is the Talmud", | |
"versionSource": "https://www.nli.org.il/he/books/NNL_ALEPH001924056/NLI", | |
"versionTitle": "Berlin: Jüdischer Buch-Verlag Erwin Löwe, 1938 [de]", | |
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"heTitle": "תלמוד מהו?", | |
"categories": [ | |
"Jewish Thought", | |
"Modern", | |
"Eliezer Berkovits" | |
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"text": { | |
"Editor's Foreword": [], | |
"Publisher's Foreword": [ | |
"<b>Vorwort Des Herausgebers</b>", | |
"Dieses Büchlein wurde gleich nach Erscheinen im Jahre 1938 verbrannt. — Warum?", | |
"Der Grund ist ein ganz einfacher.", | |
"Der vielverdiente Talmudgelehrte, Eli L. Berkovits hat es verstanden, in schlichter und sachverständiger Weise Tatsachen über den Talmud und dessen Grundsätze klarzustellen. Diese Wahrheit widersprach den Verleumdungen der nazistischen Propaganda. Sie durfte damals der deutschen Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden, da Gefahr bestand, man könnte diese Verleumdungen durchschauen.", | |
"Dieses Buch wurde also verbrannt; nur ganz wenige Exemplare konnten gerettet werden.", | |
"Der Ner-Tamid-Verlag freut sich, daß es ihm gelungen ist, das Verlagsrecht für die Wiederherausgabe dieser nie in die Öffentlichkeit gelangten Publikation zu erhalten. Diese soll zunächst in ihrer ursprünglichen Form wieder erscheinen, begleitet von dem Ausdruck der Hoffnung, daß — durch Wissen und Verstehen — Geschehen einer finsteren Zeitepoche nie wieder wahr werden mögen.", | |
"Dank sei an dieser Stelle Herrn Landesrabbiner Dr. I. E. Lichtigfeld für seine freundliche Beratung und Herrn Peter Henselder für seine eifrige Mitarbeit.", | |
"Shlomo Lewin", | |
"Frankfurt am Main, März 1962" | |
], | |
"Introduction": [ | |
"<b>Einführung </b>", | |
"Was der Talmud ist, darüber haben sich in böswilliger Absicht viele geäußert, denen nichts mehr davon bekannt war, als einige aus dem Zusammenhang gerissene, entstellte und oft falsch übertragene Sätze. Bei diesen handelt es sich noch dazu um Bemerkungen, die nur gelegentlich am Rande gemacht worden sind und nicht mit dem Hauptanliegen des Talmud zu tun hatten.", | |
"Ohne willige Hingabe und ein beinahe unbegrenztes Opfer an Zeit gibt es keinen wirklichen Zugang zum Talmud. Der Gelehrte des Talmud nennt sich daher auch nur „Schüler der Weisen”.", | |
"Wohl als Folge des dem Talmud angetanen schweren Unrechts besteht jetzt ein ziemlich weitverbreiteter Wunsch nach Aufklärung über das Wesen des Talmud.", | |
"Ich begrüße daher den Neudruck des Buches.", | |
"Der Verfasser hat durch seine klaren und sachverständigen Ausführungen allen denjenigen, die sich die erforderliche Mühe machen wollen, eine Möglichkeit gegeben, sich zum mindesten über den Aufbau, den Geist des Talmud und die Themen, die er behandelt, eine gewisse Vorstellung zu machen. Die Lektüre dieses Buches ist nicht einfach. Wer sich ihr aber mit Fleiß und der notwendigen Einfühlung unterziehen wird, wird bestimmt durch den dadurch gewährten Einblick in die umfassende und eigenartige geistige Arbeit, die im Talmud geleistet worden ist, belohnt werden.", | |
"Wer mit der Erkenntnis, die der Verfasser vermittelt, ausgerüstet ist, wird nicht mehr durch Zerrbilder, die über den Talmud verbreitet wurden, irregeführt werden.", | |
"Allen denen, die sich mit der Erziehung der Jugend beschäftigen und auch der reiferen Jugend kann dieses Buch warm empfohlen werden.", | |
"Dr. I. E. Lichtigfeld", | |
"Landesrabbiner" | |
], | |
"I What is the Talmud?": { | |
"1 Bible and Talmud": [ | |
"<b>Was Ist Der Talmud</b>", | |
"<b>1. Bibel und Talmud</b>", | |
"Buchstabe und geschriebenes Wort sind Zeichen, die gedeutet und erklärt werden müssen. Alles Lesen ist bereits Deutung und Erklärung des Geschriebenen. Allerdings sind wir uns dessen nicht immer bewußt, denn Lesen ist für den modernen Menschen etwas Alltägliches geworden — eine Tätigkeit, die für ihn infolge der großen Übung mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden ist.", | |
"Dies ändert sich immer dann, wenn das Geschriebene nicht eindeutig ist, oder wenn es „Zeichen” ist für Gedankengänge, Ausdruck für Zusammenhänge, die dem Leser fremd oder infolge ihrer Kompliziertheit und Tiefe nicht sofort klar zu durchschauen sind. In solchen Fällen werden wir uns der eigentlichen Bedeutung des Lesens bewußt. Allerdings sprechen wir da nicht mehr von Lesen, sondern von Forschung, Studium, Lernen. Lesen ist erklären, Lesen heißt lernen.", | |
"Alles Geschriebene bedarf eines Kommentars. Der erste Leser ist immer auch der erste Kommentator. Die Bibel ist die geschriebene Lehre des Judentums, das Buch katexochen. Deshalb ist sie ohne Kommentar nicht denkbar. Wie jede Lehre muß auch sie erklärt werden, und wie überall beginnt auch bei ihr Erklärung mit Lesen. Bibel lesen ist immer Bibel erklären. Bibel erklären heißt aber Bibel lernen. Den Prozeß des Lernens und sein Ergebnis bezeichnet die Tradition in der Sprache der Bibel mit dem Wort Talmud. (Lamod hebr. lernen; Talmud Abkz. von T.-Tora.)", | |
"Mit dem Bibellesen beginnt der Talmud. Der erste Jude, der Bibel las, war der erste Talmudist. Ja, man könnte sogar sagen: Talmud ist nichts anderes als die besondere Art, in der das jüdische Volk Jahrtausende hindurch seine Bibel las und immer noch liest. Da Talmud Lesen ist, so ist er in seinem Wesen mündliche Lehre.", | |
"Wie man auch die Bibel lesen mag, immer wird man in ihr auf größte Schwierigkeiten stoßen. Man wird „fragen”. Das Fragen ist die dynamische Kraft des Talmuds. Es gehört zum Text. Bibel ist Text, sie ist aber vor allem Lehre; zur Lehre aber gehört Antworten. Wer den Text gab, ließ Fragen offen. Wer die Lehre gab, muß auch die Antworten gegeben haben. Aus Frage und Antwort besteht der Talmud. Aus alledem folgt: Zusammen mit der Bibel empfing das jüdische Volk den Talmud. Schriftliche und mündliche Lehre sind voneinander nicht zu trennen. Beide entstammen der gleichen Quelle. Der Talmud ist so alt wie die Bibel selbst.", | |
"Dies mag an folgenden verdeutlicht werden. Moses war wohl der erste Bibelleser in der Welt. Gelangte er nun etwa an die Stelle in der Tora, die im Falle einer Ehescheidung vorschreibt: „Und er schreibe ihr ein Scheidebuch …”, so muß er gefragt haben: Was ist ein Scheidebuch? Wie wird es geschrieben? Was soll sein Inhalt sein? Die Frage mußte beantwortet werden, denn die Vorschrift der Bibel sollte gültiges Gesetz sein. Moses konnte nicht allein den Text des Gesetzes lehren, er mußte zugleich die Erklärung zum Gesetz, die „Ausführungsbestimmung” geben. Wer aber lehrte Moses die Erklärung, wer gab ihm die Ausführungsbestimmung? Die gleiche Autorität, die ihm das Gesetz vermittelte, Gott selbst. Die „Halacha l’mosche missinai”, die aus der Sinaiquelle Moses überlieferte mündliche Lehre, ist kein Dogma, sondern historische Notwendigkeit, also geschichtliche Wahrheit. Mit der schriftlichen Lehre mußte auch eine mündliche gegeben werden. Moses lehrte das Gesetz, folglich mußte er auch seine Erklärung und Anwendung lehren. Moses war der erste Talmudist." | |
], | |
"2 The Talmud and the life of the nation": [ | |
"<b>2. Der Talmud und das Leben der Nation</b>", | |
"Nie war die Bibel für das jüdische Volk ein historisches Dokument, das der Vergangenheit angehörte. Immer sah das Volk in ihr das ewige, überzeitliche Buch der ewig gültigen „Lehre”. Der jüdische Mensch las das Buch der Lehre (Sefer Tora) unter einem doppelten Gesichtspunkt: als Buch und als Lehre. Und dies bedeutet, daß er auf zwei Fragen Antwort suchte. Erstens auf die Frage: Was meint das Buch, das Wort, der Text? Und dann: Was will die Lehre, was fordert sie vom Menschen? Der jüdische Mensch begnügt sich nicht mit dem Verständnis des <i>Textes</i>, er will vor allem die Konsequenzen erkennen, die aus der <i>Lehre</i> für sein Leben folgen. Darin besteht die besondere Art des jüdischen Bibellesens und damit der Wesenskern des Talmuds. Diese doppelte Fragestellung, mit der der jüdische Mensch an die Bibel herangeht, ist bereits Talmud, so wie die Antwort, die er auf die zwiefache Frage findet, den umfangreichsten Bestandteil des Talmuds bildet. Der Talmud erklärt den Text und zeigt auch die Verwirklichung der Lehre im Leben.", | |
"a) Das Verständnis des Textes ist die Voraussetzung für die Verwirklichung der Lehre; wer den Text nicht versteht, der kann auch die Lehre nicht begreifen. So führt ein Weg von der Vokabel zum Wort, vom Satz zur Satzung, vom Text zur Lehre, vom „Sefer” zur „Tora”. Es ist der Weg der philologischen Exegese oder — in der Sprache der Überlieferung — der Weg des P’schat, das ist die „einfache Erklärung”. Wer diesen Weg zu Ende beschreitet, wer nicht allein die Vokabel versteht, sondern auch das Wort hört, das den Menschen ruft, ihn verpflichtet, wer über die Erklärung des Textes zu einer Lehre gelangt, die Erfüllung fordert im Leben, der wird bald erfahren, daß neben der „einfachen Erklärung” auch eine andere mit dem gleichen Anspruch auf Anerkennung bestehen müsse. Die Lehre, zu der man über den P’schat gelangt, ist lebendig im Volke; als gültiges Staatsgesetz, als verpflichtende Norm des jüdischen sozialen und gesellschaftlichen Lebens, als Quintessenz jüdischer Lebenshaltung geht sie ein in die Wirklichkeit der Volksexistenz. Sie wird so zur lebendigen Geisteskraft, in der die Lehre sich als etwas Einheitliches dokumentiert, die dann selbst zum Bibelwort zurückgreifen kann, um nun ihrerseits aus dem Geist- und Sinngehalt des lebendigen Ganzen heraus die einzelne Textstelle zu „deuten”. ", | |
"Neben der philologischen Exegese, die den Bibelleser vom Text zur Lehre führt, besteht die Deutungsexegese, die den Bibelverwirklicher von der lebendigen Lehre zum geschriebenen Wort zurückgeleitet. Neben dem P’schat steht gleichberechtigt der Drasch die „Deutung”. Auf dem Weg des P’schat wird der Wortsinn erklärt, durch den Drasch wird der lebendige Geistsinn geklärt. Wenn es etwa bei den Schadenersatzbestimmungen in der Bibel von dem Ochsen, der in einem bestimmten Fall einen Menschen getötet hat, heißt: „Gesteinigt soll der Ochse werden, und auch sein Eigentümer soll getötet werden”, so hat die philologische Exegese mit der Erklärung einiger Vokabeln ihre Aufgabe erfüllt. Sie ist nun in der Lage, diesen Satz entsprechend seinem Wortsinn zu übersetzen. Die lebendige Lehre aber, die diese Vorschrift als Norm in die Gesetzgebung einfügen soll, kann sich mit der „wörtlichen” Übersetzung nicht zufrieden geben, denn aus dem Geist der Lehre, der aus unzähligen anderen Stellen der Bibel erschlossen wird, und der so zur Praxis der Gesetzgebung geworden ist, geht hervor, daß „für sein Töten kannst du ihn zum Tode verurteilen, nicht aber für das Töten seines Ochsen” und deshalb wird gedeutet: „Auch der Eigentümer ist des Todes schuldig”, damit ist gemeint: „Geldersatz”. Der Geist der Lehre kann nur einen Schadenersatz verlangen, der in diesem Fall in Geldeswert zu leisten ist. Das, was mit Hilfe der Methode des Drasch aus dem Text der Bibel erschlossen wird, heißt Midrasch.", | |
"Der wesentliche Unterschied zwischen philologischer und midraschischer Exegese kann hier nicht ausführlich dargelegt werden. Wir weisen in diesem Zusammenhang auf zwei wichtige Punkte hin. Erstens: Widersprüche, zweitens: überflüssige Textstellen, Worte, Buchstaben und so weiter. Widersprüche können von der philologisch-wissenschaftlichen Exegese nicht gelöst, sondern nur registriert werden; midraschische Exegese aber muß sie lösen, weil Widersprüche nur in einem Text möglich sind, untragbar aber sind sie für eine Lehre, die im Leben zu verwirklichen ist. Die lebendige Lehre, die der Ausgangspunkt des Midrasch ist, fordert die Auflösung der Widersprüche, die sich aus dem Wortsinn ergeben. Auch hierbei wird nach der allgemeinen midraschischen Regel verfahren: Wortsinn wird gedeutet durch Geistsinn. (Über das logische Prinzip, das bei der Auflösung der Widersprüche zur Geltung kommt, siehe weiter Abschnitt II,2.)", | |
"Ganz ähnlich verhält es sich auch damit, was in der Bibel dem Wortsinn nach als überflüssig erscheint. Dies kann eine ganze Vorschrift sein, wenn sie z. B. bereits aus einer anderen Stelle hervorgeht. Es können Wörter, Buchstaben sein, wenn sie etwa aus grammatikalischen Gründen überflüssig sind usw. Die philologische Exegese kann mit diesen Stellen nichts anfangen, sie kann sie sich merken oder, wenn sie über viel Mut und wenig Gewissenhaftigkeit verfügt, sogar streichen; der Midrasch <i>muß</i> sie deuten. Denn die Lehre muß etwas Einheitlich-Ganzes sein, in dem alles notwendig und begründet ist, zu der man „nichts hinzufügen und an der man nichts mindern darf”. Die Lehre kann nichts Überflüssiges enthalten; was zur Lehre gehört, gehört notwendigerweise zu ihr. Da nach talmudischer Voraussetzung der Text der Lehre ebenso göttlichen Ursprungs ist wie die Lehre selbst, muß er ebenso vollkommen sein wie sie. Der Text muß in allem der Lehre homogen sein und sie decken. Es muß möglich sein, jedes Wort und jeden Buchstaben wieder in Lehre zu verwandeln. Daher die häufige midraschische Frage: „Was will es mich lehren?” Der Text darf genau so wenig Überflüssiges enthalten wie die Lehre selbst. Was nach dem Wortsinn als überflüssig sich erweist, muß aus dem Geistsinn des Gesamtsystems der Lehre gedeutet werden.", | |
"Die Deutung (Midrasch) ist eine Konsequenz der lebendigen Lehre. Sie ist zunächst Deutungszwang, der sich allerdings dadurch in Deutungsrecht verwandelt, daß die im Text gegebene Deutungsmöglichkeit nicht willkürlich gehandhabt wird. Die Deutung wächst immer notwendig aus der lebendigen Wirklichkeit der Lehre hervor. Diese Notwendigkeit ist meistens logisch nachweisbar (siehe weiter Abschnitt II, 1, 2). Aber selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist, wenn der Midrasch, wie es auch oft geschieht, in seiner Methode nicht mit befriedigender logischer Notwendigkeit verfährt, selbst dann ist er als die organische Entfaltung der Lehre zu erkennen. Über diese <i>organische Notwendigkeit</i> verfügt der Midrasch immer, und deshalb ist auch er nichts anderes als eine Wahrheit der lebendigen Lehre.", | |
"P’schat ist Bibelexegese als Antwort auf die Frage nach dem Wort- und Textsinn. Auch Drasch oder geläufiger Midrasch ist Exegese — unter dem Gesichtspunkt der anderen Frage nach dem verpflichtenden Sinn und Willen der Lehre. Da der Talmud beide Fragen aufwirft, stehen in der talmudischen Exegese P’schat und Midrasch nebeneinander.", | |
"b) Die talmudische Exegese ist die Vorbereitung für das eigentliche Thema der mündlichen Lehre, das wir mit den Worten formulieren wollen: Verwirklichung der schriftlichen Lehre im Leben.", | |
"Die Lehre als für den jüdischen Menschen verpflichtende Norm ist Gesetz, und wie jedes Gesetzbuch kann auch die Bibel nur die grundlegenden Gesetze in äußerster Knappheit enthalten. Sobald aber im praktischen Leben der „Fall” auftaucht, an dem das einzelne Gesetz anzuwenden ist, reicht die im Gesetzeskodex festgelegte Formulierung nicht aus, das Gesetz muß durch seine „Ausführungsbestimmungen” erläutert werden. Zur schriftlich fixierten Norm gehört immer auch die Wissenschaft von ihrer praktischen Ausführung. Wie bei jedem anderen Gesetzbuch ist daher auch bei der Gesetzeslehre der Bibel eine Ergänzung durch dieses Wissen um die praktische Anwendung unerläßlich. Und darin liegt die Notwendigkeit zur mündlichen Lehre, denn auch sie ist nichts anderes als die Methodologie der Anwendung und Verwirklichung der schriftlichen Tora. (Über das „Mündliche” s. oben Kap. 1.)", | |
"Ehre Vater und Mutter, hüte den Sabbat, begehre nicht — all diese Gebote sind klar und knapp formuliert, doch können sie ohne ausführliche Erläuterung der ihnen zugrunde liegenden Begriffe in der Praxis des Lebens nicht als Richtschnur menschlichen Handels dienen. Schon bei ihrer Lektüre stößt man auf ungezählte Fragen. Wie-weit reicht die Pflicht der Elternehrung? Wie ist es, wenn Vater und Mutter auf Grund ihres Lebenswandels keine Ehrung verdienen? Wie hütet man den Sabbat? Wo ist die Grenze zwischen Wünschen, Begehren, Neid? Wann ist ein Begehren sündhaft? usw., usw. Selbst so eindeutige und klare Gesetze wie die Zehn Gebote sind ohne „Ausführungsbestimmungen” im Leben nicht anwendbar. Das Ziel der mündlichen Lehre ist die Erforschung der Anwendungs- und Verwirklichungsformen des Gesetzes. Ganze Talmudabschnitte und dickbändige Traktate sind oft nichts anderes als die Ausführungsbestimmungen einiger wenigen und knappen Worte der Lehre. Der Talmud zeigt die Anwendung der Lehre im „gegebenen Fall”.", | |
"Sofern nun diese Fälle vom Gesetzgeber ausdrücklich vorhergesehen worden sind, ist die Anwendung des Gesetzes verhältnismäßig einfach und selbstverständlich. Sie geht dann meistens auf direkte Überlieferung zurück, die zumindest in ihrem Kern so alt ist wie das Gesetz selbst. Denn ebenso alt wie das Inkrafttreten eines Gesetzes müssen auch die Bestimmungen über seine Ausführung sein. Zum Problem wird die Gesetzesanwendung dann, wenn im Leben des Volkes „neue Fälle” auftauchen, die vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich vorhergesehen worden sind. Das Leben wandelt und entwickelt sich, das Gesetz der Lehre aber ist unwandelbar. Die unwandelbare Lehre muß stets das veränderliche Leben gestalten. Das ewig gültige Gesetz muß auch die „neuen Fälle” entscheiden. Wie ist dies aber möglich? Die Frage ist kein spezifisches Problem der mündlichen Lehre, sondern ein Problem der allgemeinen Rechtsphilosophie. Denn jeder Gesetzeskodex überdauert die Lebensverhältnisse, die die Voraussetzung und Veranlassung seines Entstehens bildeten. Die Fülle der „Fälle” in der Praxis kann von keinem Gesetzgeber vorausgesehen werden. Trotzdem ist es möglich, auch die neuen Fälle nach dem älteren Recht zu entscheiden. Gewiß, nicht nach dem subjektiven Willen des Gesetzgebers, der nicht mehr befragt werden kann, sondern nach dem objektiven Geistsinn des Gesetzes, der stets gegenwärtig ist. Genau so verfährt auch der Talmud. Mit Hilfe von exegetischen und streng logischen Regeln wird der Wille der Lehre auch für die Fälle erschlossen, die vom Gesetzgeber selbst nicht vorhergesehen worden sind. Gesetzesanwendung bedeutet dann allerdings nicht mehr nur Gesetzesausführung, sondern schöpferische Entfaltung des der Lehre innewohnenden Geistes. Hierbei offenbart sich vor allem die Fruchtbarkeit der midraschischen Auslegungsmethode, die im Text immer wieder nach dem Geistsinn forscht. Die Gesetzesanwendung in all den unzähligen „neuen Fällen”, die das ewig veränderliche Leben mit sich bringt, ist ohne Gesetzesdeutung, also ohne Midrasch, nicht denkbar.", | |
"In den „Fällen”, die zu entscheiden sind, stellt das Leben seine Fragen. Die Lehre muß antworten. In dieser Zwiesprache zwischen Leben und Tora entfaltet sich die mündliche Lehre, der Talmud. „Du sollst!” befiehlt die Bibel — „Wie?” fragt das Leben — „So!” antwortet der Talmud. Alt wie das „Du sollst” der Lehre, jung wie die Frage des heutigen Tages ist der Talmud; ewig ist er, wie Lehre und Leben ewig sind. Der Talmud ist die Brücke, auf der die Lehre ins Leben schreitet. Bibel ohne Talmud ist wie Seele ohne Bindung an den Körper — ewig aber nicht von dieser Welt. Daß die Lehre „nicht im Himmel ist”, danken wir dem Talmud.", | |
"Da Gesetzanwendung und -ausführung als Kommentar unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung bezeichnet werden können, ist Talmud Bibelkommentar im weitesten Sinne des Wortes; verfaßt vom jüdischen Volk im Laufe der Ewigkeit der jüdischen Geschichte." | |
], | |
"3 The Talmud and science": [ | |
"<b>3. Talmud und Wissenschaft</b>", | |
"Das enge Verhältnis, das zwischen Talmud und dem Leben des Volkes besteht, bestimmt auch die Beziehung von Talmud und Wissenschaft, die wir im folgenden nur kurz streifen können.", | |
"Der Talmud geht immer von dem „Fall” aus. („Zwei halten ein Kleid; der eine sagt …, der andere sagt …” Baba Mezia, Mischna I.)", | |
"Die Frage des Talmuds lautet: Was fordert das Gesetz in dem bestimmten Fall? Sie ist eine praktische und keine wissenschaftlich-theoretische Frage. Der Talmudist steht mitten im Leben seines Volkes, das ihn mit unzähligen Fragen bedrängt, und auf die er, die Konsequenzen aus der Lehre ziehend, die Antwort sucht. Das jüdische Volk verfügt über kein literarisches Dokument, das so lebensnahe wäre wie der Talmud. Talmudistik ist keine theoretisch-sophistische Haarspalterei, sondern der strenge und konsequente Wille der Nation, das Leben in klarer Sachlichkeit unter dem Gesichtspunkt der ewigen Lehre zu gestalten.", | |
"Der Talmud wächst am Leben des Volkes, deshalb ist sein Anfang der „Fall”; die Wissenschaft dagegen beginnt mit dem Begriff. Der Fall, der zur Entscheidung steht, ist die Frage des Lebens. Die Fragen der Wissenschaft jedoch sind Probleme. Das Problem wird durch Hypothesen gelöst, die Frage aber erheischt Antwort. Hypothesen brauchen nur möglich zu sein, Antworten müssen zwingend sein. Die Wissenschaft meint, die Lehre muß wissen. Daher die scharfe Diskussion im Talmud, die erst dann abgeschlossen werden kann, wenn eine Antwort sich als zwingend erwiesen hat, oder, wie es ein großer zeitgenössischer Gelehrter im Laufe einer Diskussion in seiner Jeschiwa sagte: „Man kann so sagen” — ist keine Antwort, „man muß so sagen” — ist die Antwort.", | |
"Talmud ist keine Wissenschaft; Talmud ist wie die Bibel selbst Lebenslehre. An den Gegensatzpaaren: Fall — Begriff, Frage — Problem, Antwort — Hypothese ist der wesenhafte Unterschied zwischen Wissenschaft und Lehre wohl am klarsten zu erkennen.", | |
"Allerdings muß beachtet werden: Wenn auch Lehre keine Wissenschaft ist, so setzt sie doch wissenschaftliche Erkenntnisse voraus. (Die medizinische Sprechstunde ist ohne klinische Forschung nicht denkbar. Der praktischen Gerichtsbarkeit müssen theoretisch-juristische Erkenntnisse vorangehen.) Talmud als die Lehre von den Verwirklichungsformen der Tora ist ohne die wissenschaftliche Verarbeitung der Begriffe, die ihr zugrunde liegen, nicht möglich. Wobei es nicht darauf ankommt, ob der Talmudist sich seiner wissenschaftlichen Leistung bewußt wird, sondern nur darauf, daß er die Begriffe und Probleme, die der Lehre vorangehen, in wissenschaftlicher Klarheit durchdenkt. Auch vor Plato und Aristoteles war logisches Denken in begrifflicher Klarheit möglich. Die Deuteregeln des Midraschs sind die wissenschaftlichen Ergebnisse einer hochentwickelten Logik, die im Talmud nicht erst gelehrt, sondern bereits angewandt wird. Eine große Anzahl von Prinzipien und theoretischen Grundsätzen erscheinen im Talmud als abgeschlossene Erkenntnisse, die selbst nicht mehr diskutiert werden; diskutiert wird immer nur ihre Anwendungsmöglichkeit im „gegebenen Fall”. Daß man aber mit ihnen ohne weiteres operieren kann, beweist, daß sie bereits vorher in ihrem Wesen theoretisch geklärt worden sind. Ein Beispiel: Ähnlich wie es in der Erkenntnistheorie ein Problem der „Beständigkeit der Erscheinungen” gibt, kennt auch der Talmud einen Begriff der „Beständigkeit”, die sog. „Chasakka”. „Beständigkeit” ist im Talmud allerdings kein Problem, sondern ein Grundsatz, der etwa besagt: Ein einmal wahrgenommener Zustand usw. usw. <i>gilt</i> so lange als weiterbestehend, bis wir uns vom Gegenteil überzeugt haben. Dieser Grundsatz und viele andere ähnlicher Art werden im Talmud bereits angewandt; der Anwendung muß jedoch die philosophische Erklärung des Begriffs vorangegangen sein.", | |
"Da Lehre nicht Wissenschaft ist, so ist zu erwarten, daß ihr systematischer Aufbau nicht verwechselt werde mit der Systematik einer wissenschaftlichen Disziplin. Wer mit wissenschaftlichen Vorurteilen an die Lehre herantritt, wird auch die Lehre nicht finden.", | |
"Tora ist Lehre und keine Wissenschaft." | |
] | |
}, | |
"II Methodology of the Talmud": { | |
"": [ | |
"<b>Methodologie Des Talmud</b>", | |
"Eine Besinnung auf die wissenschaftlichen Voraussetzungen der mündlichen Lehre findet sich im Talmud — in der Zusammenfassung der sieben Deuteregeln des Midraschs durch Hillel.", | |
"Diese Zusammenfassung ist das Kernstück einer streng wissenschaftlichen Methodologie der Midrasch-Exegese. Wobei man aber beachten muß: Die Deuteregeln sind nicht erst von Hillel entdeckt worden, Hillel fand sie bereits in der Lehre vor; er las sie an den Fällen, in denen sie in den Jahrhunderten vor ihm angewandt worden sind, ab und faßte sie zusammen. Zu welchem Zweck? Nicht um die Theorie der midraschischen Methode zu lehren; nicht um die logische Richtigkeit der Regeln zu beweisen. Zu beweisen war da nichts. Die Regeln galten bereits Jahrhunderte vor Hillel. Selbst mit dieser Zusammenfassung, die nichts anderes als formale Logik und ohne diese nicht zu begreifen ist, bekundet der Talmud kein wissenschaftliches Interesse. Die Regeln werden zusammengestellt, um mit größerer Sicherheit angewandt werden zu können. Das praktische Interesse entscheidet; die Wissenschaft dient der Lehre." | |
], | |
"1 Logical inferences": [ | |
"<b>1. Die logischen Schlüsse</b>", | |
"Wie wir es bereits zeigten, kam die deutende Exegese vor allem dann zur Geltung, wenn im Leben „neue Fälle” auftauchten, die vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich vorher entschieden werden konnten, die aber trotzdem im Geist der Lehre entschieden werden mußten. Wie konnte man aber den Geist der Lehre so ermitteln, daß er nicht bloß als die subjektive Meinung eines einzelnen über die Lehre, sondern als der objektive, also auch geltende Wille der Lehre angesehen werden mußte? Es gab da nur einen Weg: der Schluß von dem Bekannten auf das X. Da aber die Lehre nie in Begriffen sich manifestiert, sondern in Einzelfällen, in denen sie ein Handeln oder Verhalten bestimmt, so mußte von Einzelfall auf Einzelfall — oder in der Terminologie der Logik ausgedrückt — von Besonderem auf ein Besonderes geschlossen werden. Wie verfuhr hierbei der Talmud? Wir zeigen es an einem Beispiel.", | |
"a) Im Traktat P’sachim (66a) heißt es: Es geschah einmal, daß der Vortag des Peßachfestes auf einen Sabbat fiel, und man wußte nicht, ob am Sabbat das Peßachopfer dargebracht werden dürfe, da die Darbringung mit verschiedenen Arbeiten verknüpft ist, die sonst am Sabbat verboten sind. Weder in der Bibel noch in der mündlichen Lehre fand sich darüber eine Bestimmung, doch mußte man auch diesen Fall auf Grund der Lehre entscheiden. — Nun lehrte Hillel: Wir wissen, daß das tägliche Opfer auch am Sabbat dargebracht werden muß. Beim täglichen Opfer heißt es: „in seiner Zeit” soll es dargebracht werden. Von dem Peßachopfer heißt es aber auch: „in seiner Zeit” soll es bereitet werden. Dies aber berechtigt mich zu dem Schluß: Wie das „in seiner Zeit” beim täglichen Opfer bedeutet: auch wenn diese Zeit ein Sabbat ist, ebenso wird der gleiche Ausdruck beim Peßachopfer besagen: „in seiner Zeit” — selbst an einem Sabbat. Auf eine logische Formel gebracht, verläuft der Gedankengang folgendermaßen:", | |
"Das tägliche Opfer verdrängt das Sabbatgebot", | |
"Das tägliche Opfer ist dem Peßachopfer ähnlich", | |
"(durch die Gleichheit des Wortlautes der Zeitbestimmung in der Bibel)", | |
"Also verdrängt das Peßachopfer das Sabbatgebot. Dies ist aber nichts anderes als der Analogieschluß der Logik, der die Formel hat: M ist P; S und M sind einander ähnlich; folglich ist S = P. Da der Analogieschluß im Talmud fast ausschließlich auf die Gleichheit des Ausdrucks im biblischen Text sich gründet, ist sein talmudischer Name „G’serat-Schaweh”, d. h. der „analoge Ausdruck”.", | |
"Allerdings können auf Grund der Ähnlichkeit keine notwendigen, also vollkommen sicheren Schlüsse gewonnen werden. Die Analogie kann immer nur mit Wahrscheinlichkeit die Gleichheit zwischen dem M-ähnlichen S und dem M-gleichen P begründen. Die Analogie berechtigt immer nur zu einer Vermutung. Mit Vermutungen kann man aber Fragen der Lehre nicht entscheiden. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung kann nur eine Methode der Wissenschaft, nicht aber eine ausreichende Methode der Lehre sein. Ob man am Sabbat das Peßachopfer darbringen darf oder nicht, das muß man mit Bestimmtheit wissen. Deshalb bedarf der talmudische Analogieschluß, die „G’serat-Schaweh”, wo es sich um eine Gesetzesentscheidung handelt, noch einer weiteren Sicherung. Die Wahrscheinlichkeit soll gelten. Wie kann sie das? Die Logik antwortet darauf: Die auf Grund der Analogie erschlossene Wahrscheinlichkeit kann durch die Erfahrungen, die sie bestätigen, zur empirischen Geltung gelangen. Was aber für die Wissenschaft die Erfahrung, die Empirie ist, das ist in der Lehre die Tradition. Deshalb besteht der Grundsatz: der talmudische Analogieschluß gilt nur dann, wenn er von einer Überlieferung bestätigt wird. Dies besteht im allgemeinen darin, daß die G’serat-Schaweh von Geschlecht zu Geschlecht, von Lehrern auf Schüler überliefert worden ist.", | |
"Oder, wie Hillel sich ausdrückt: „Niemand darf von sich aus einen Analogieschluß aufstellen”, womit gemeint ist: Niemand darf auf Grund eines Analogieschlusses, der durch keine Tradition gestützt wird, Gesetzesentscheidungen treffen. Dies ist kein Dogma, sondern die wissenschaftliche Konsequenz aus der Analogie. Die Analogie ergibt nur eine Wahrscheinlichkeit; die Wahrscheinlichkeit kann aber keine Antwort sein auf Fragen der Lehre.", | |
"b) Hillel zeigt uns auch einen anderen Weg, um die oben zitierte Frage in bezug auf das Peßachopfer zu entscheiden. Wie können von dem Analogieschluß absehen. Es wird vorausgesetzt: Es ist uns bekannt, daß das tägliche Opfer das Sabbat-Gebot aufhebt. Wir wissen, daß, während auf die Unterlassung des Peßachopfers die Kareth-(Ausrottungs-) Strafe steht, diese Strafe nicht gilt für die Unterlassung des täglichen Opfers. Dem Gesetzgeber muß an der Darbringung eines Opfers, auf dessen Unterlassung er die Kareth-Strafe gesetzt hat, mehr gelegen haben als an der Darbringung eines Opfers, für dessen Unterlassung er diese äußerst harte Strafe nicht bestimmte. Nun lehrt Hillel den Schluß: Wenn schon die Darbringung des täglichen Opfers, auf dessen Unterlassung keine Kareth-Strafe steht, das Sabbat-Gebot aufhebt, um wieviel mehr muß das Peßachopfer, dessen Unterlassung mit Kareth bestraft wird, das Sabbat-Gebot aufheben. Auf eine logische Formel gebracht heißt dies: Auf Grund der Beziehung zwischen der Verschiedenartigkeit der Strafen im Falle einer Unterlassung steht fest:", | |
"Die Darbringung des Peßachopfers übertrifft an Bedeutung die Darbringung des täglichen Opfers", | |
"Die Darbringung des täglichen Opfers ist so bedeutend, daß sie das Sabbat-Gebot aufhebt", | |
"Das Peßachopfer hebt das Sabbat-Gebot ebenfalls auf.", | |
"Im Talmud wird dieser Schluß „Kal-w’Chomer” genannt; ursprünglich im Sinn „vom religionsgesetzlich Leichteren auf das religionsgesetzlich Schwerere (schließend)”, allgemein gefaßt: „Vom Besonderen auf das umfassendere Besondere”, etwa so, daß man sich sagt: Was A enthält, muß das umfangreichere A<sub>1</sub> auch enthalten. Dieser Schluß ist im Gegensatz zum Analogieschluß der G’serat-Schaweh zwingend; deshalb bedarf er keinerlei anderer Bestätigung als die der logischen Notwendigkeit. Der Kal-w’Chomer gilt immer, auch wenn er durch keinerlei Tradition gestützt wird. Oder, wie der Talmud sich ausdrückt: „Jeder hat das Recht, von sich aus einen Kal-w’Chomer aufzustellen”<sup class=\"footnote-marker\">*)</sup><i class=\"footnote\">*) Schwarz, dessen grundlegenden Arbeiten wir bei der Darstellung der Kapitel über die „logischen Schlüsse” und „exegetischen Regeln” gefolgt waren, obwohl wir von ihm betreffs der „Schlüsse” in allen wesentlichen Punkten abweichen (über die exegetischen Regeln können wir auf Grund von Schwarz nur referieren), ist der Meinung, daß der Kal-w’Chomer sich mit dem Syllogismus decke. Dies trifft nicht zu. Unzählige Syllogismen kommen im Talmud vor, aber nie in der Form des Kal-w’Chomers; andererseits gibt es eine Anzahl Kal-w’Chomer, die nur mit größten Schwierigkeiten auf den Syllogismus zurückgeführt werden können. Das Wesen des Kal-w’Chomers trifft, wie mir bekannt, allein die Erklärung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Dr. J. Weinberg, Rektor des Rabbinerseminars in Berlin, der im Kal-w’Chomer den Identitätsschluß wiedergefunden hat. Die besondere Formulierung des Kal-w’Chomers ist darauf zurückzuführen, daß der Schluß gleichzeitig einen möglichen Einwand gegen die zu erschließende Identität widerlegt, und zwar immer in der Weise, daß gezeigt wird: das, worin A und A<sub>1</sub> voneinander differieren, bestärkt nur den Schluß auf Grund der Identität, denn das in A enthaltene m, worauf sich die Identität gründet, muß auf Grund der Eigenschaften, die als differierend angeführt werden, in A<sub>1</sub> noch in höherem Grade gegeben sein.</i>.", | |
"c) Ein anderer Fall soll uns den Einblick in das Wesen einer dritten Deuteregel ermöglichen. In der Bibel finden wir vier Grundarten von Beschädigungen, in denen eine Schadenersatzpflicht besteht. 1. Der Ochse, der mit seinem Horn stößt. 2. Die Grube, die auf öffentlichem Grund gegraben oder von jemandem offen gelassen wurde. 3. Der Ochse, der auf einem fremden Feld weidet. 4. Der Brand, der aus einer Feuerstätte ausgehend sich verbreitet. In der knappen, einprägsamen und anschaulichen Sprache der mündlichen Lehre werden sie mit den Worten bezeichnet: 1. Der Ochse, 2. Die Grube, 3. der Zahn, 4. Das Feuer. Indem man das Wesen dieser Beschädigungsarten definiert, wird festgestellt, daß alle Beschädigungen durch Sachen auf diese vier Grundarten zurückzuführen sind. — Im Traktat Baba Kama (6a) wird nun die Frage erörtert: Jemand hatte „seinen Stein, sein Messer, seine Last” auf ein Dach gelegt; sie fielen bei einem gewöhnlichen Wind (womit also zu rechnen war) hinunter und haben dann etwas beschädigt. Ist der Eigentümer, der sie auf das Dach legte, schadenersatzpflichtig oder nicht? — Eine Entscheidung in einem solchen Fall lag nicht vor, nicht in der Bibel und nicht in der Überlieferung. Man versucht nun festzustellen, zu welcher Gruppe von Beschädigungen der herunterfallende Stein gehört, zu 1, 2, 3 oder 4. Es ergibt sich aber, daß dieser Fall nirgends unterzubringen ist; denn er ist in seinem Wesen weder mit 1 noch mit 2, 3 oder 4 identisch. Es trifft sich aber, daß 1, 2, 3 und 4 sich voneinander ebenfalls unterscheiden und trotzdem gilt in allen vier Fällen, daß der Besitzer bzw. Verursacher schadenersatzpflichtig ist. Wenn aber für 1, 2, 3 und 4 das gleiche gilt, so kann der Grund dafür nicht darin liegen, worin sie sich voneinander unterscheiden (ungleiche Ursachen haben ungleiche Wirkungen), sondern darin, worin sie miteinander übereinstimmen. Die „gemeinsame Seite” (Hazad-Haschaweh) an ihnen ist: Alle vier „pflegen Schaden anzurichten, und sie müssen bewacht werden” — also ist dies die Ursache für die Bestimmung: „Der Eigentümer bzw. Verursacher ist schadenersatzpflichtig”. Daraus wird geschlossen: Alles, das die Eigenschaft „pflegt zu beschädigen und muß bewacht werden” hat, verpflichtet im Falle einer Beschädigung den Eigentümer bzw. den Verantwortlichen zum Schadenersatz. Diese Eigenschaften kommen aber auch in dem gefragten Fall dem „Stein” zu; also ist der Eigentümer usw. schadenersatzpflichtig. Der Schluß auf eine übersichtliche logische Formel gebracht lautet:", | |
"Das „Horn”, die „Grube”, der „Zahn”, das „Feuer” haben die Eigenschaft: „sie pflegen zu beschädigen und müssen bewacht werden”", | |
"Das „Horn”, die „Grube” usw. verpflichten den für sie Verantwortlichen zum Schadenersatz.", | |
"Alles, was die Eigenschaft hat: „es pflegt zu beschädigen und muß bewacht werden”, verpflichtet zum Schadenersatz.", | |
"Der „Stein” hat die Eigenschaft: „pflegt zu beschädigen und muß bewacht werden”", | |
"Der „Stein” verpflichtet zum Schadenersatz.", | |
"Dieser Schluß ist aber nichts anderes als die Kombination zwischen Induktion und Syllogismus. Der erste Teil, die Induktion, ist das bekannte aristotelische Hinaufsteigen vom Einzelnen zum Allgemeinen. Ist aber das Allgemeine gewonnen, so dient es, indem aus dem Allgemeinen ein unbekanntes Einzelne erschlossen wird, als Obersatz zu dem geläufigen Syllogismus: alles M ist P, S ist M, ergo ist S = P. (Der logisch geschulte Leser wird die Bedeutung dieser Kombination für die Aufdeckung der Beziehung zwischen Induktion und Syllogismus selbst einsehen können.) Dieser kombinierte Schluß wird im Talmud „Binjan-Aw” genannt; wobei „Aw-Vater” die Art, die Gattung, das Allgemeine schlechthin bedeutet und „Binjan-Bau” das, was die Art aufbaut, nämlich das Besondere mit dem spezifischen Merkmal, wodurch es unter den Aw eingeordnet wird. Zunächst wird vom Binjan-Besonderen auf das Aw-Allgemeine geschlossen, dann vom Aw zurück auf ein bis dahin unbekanntes Besonderes.", | |
"Der Analogieschluß in der G’serat-Schaweh, der einen möglichen Einwand gleichzeitig widerlegende Identitätsschluß des Kal-w’Chomers und schließlich der aus Induktion und Syllogismus kombinierte Schluß den Binjan-Aws haben die Aufgabe, vom Bekannten auf das Unbekannte schließend, aus dem Geiste der Lehre heraus die neuen Fälle mit logischer Gesetzmäßigkeit zu entscheiden, glänzend gelöst. Unabhängig von Aristoteles, Jahrhunderte vor ihm hat das wissenschaftliche Denken unserer großen Meister eine Höhe erreicht, die sie neben die größten Logiker aller Zeiten stellt." | |
], | |
"2 Exegetical rules": [ | |
"<b>2. Exegetische Regeln</b>", | |
"Während die drei Schlußarten die Ermittlung des Unbekannten im gegebenen Fall, also im Leben, zu ihrem Gegenstand haben, ist das Ziel der restlichen vier Deuteregeln die Erforschung des X im Text. Sie sind exegetische Regeln, die sich allerdings leicht in logische Denkgesetze umwandeln lassen. Die erste behandelt den Widerspruch in der Bibel und heißt „Schneh-Ktuwim — zwei Sätze” (die sich widersprechen). Da die Lehre wahr ist, darf sie keine Widersprüche enthalten; die Wahrheit kann mit sich selbst nicht in Widerspruch stehen. Stimmt der Satz A ist B, dann kann es nicht wahr sein, daß A nicht B ist. Dies ist der Satz des Widerspruchs, welchem die exegetische Regel entspricht: Findet man in der Bibel Widersprüche, so müssen sie aufgelöst werden. Eine Auflösung ist aber nur durch die Distinktion, die Ermittlung eines Unterschieds zwischen zwei sich widersprechenden Stellen möglich. In unzähligen Fällen verfährt der Talmud nach dieser Regel.", | |
"Die größte Bedeutung unter den exegetischen Regeln kommt der letzten zu, die den talmudischen Namen hat „Dawar halammed mëinjano — der Schluß aus dem Textzusammenhang”. Diese Regel führt uns „am tiefsten in das Innere der Tora hinunter, weil sie uns zeigt, daß gar manches, das auf der Oberfläche bloß äußerlich aneinandergereiht zusammenhanglos oder getrennt erscheint, sich unten tief verwachsen eng ineinander verschlungen erweist.” (Schwarz.) Der „Schluß aus dem Textzusammenhang” ist die „syntaktische Beleuchtung” des Bibelwortes; „… weil das Einzelwort einen anderen Sinn hat, wenn es aus seiner Umgebung herausgehoben wird und wieder einen anderen, wenn es im Rahmen seines Satzes bleibt; und weil ebenso der vereinzelte Satz für sich einen anderen Wert hat und wieder einen anderen Wert, wenn er als Glied einer in sich geschlossenen Kette erscheint” (Schwarz). Dies gilt auch von ganzen Kapiteln und Abschnitten; für das volle Verständnis des biblischen Wortes ist die „Umgebung”, das „Milieu”, immer von größter Wichtigkeit.", | |
"Eine der häufigsten Formeln dieser Regeln ist der „Häkesch”, der Vergleich, der aus einem Nebeneinander im Text folgt. Ein Beispiel: „… es wird gelehrt: Rabbi Meir sagte: es heißt: ‚Nach ihrem Ausspruch soll über jeden Streit und über jeden Aussatz entschieden werden‛; welche Gemeinschaft haben Streitigkeiten und Aussatz miteinander? — vielmehr werden <i>Streitigkeiten mit dem Aussatz verglichen:</i> wie der Aussatz nur tags (untersucht wird), wie es heißt: ‚Am Tag, an welchem es erscheint‛, ebenso werden Streitigkeiten nur tags (geschlichtet) … Ferner <i>ist der Aussatz mit den Streitigkeiten zu vergleichen:</i> wie Streitigkeiten nicht durch Verwandte (geschlichtet werden) dürfen, ebenso darf der Aussatz nicht durch Verwandte (untersucht werden).” (Sanhedrin 34b.)", | |
"Dieser Schluß aus dem Textzusammenhang ist mit Leichtigkeit in ein logisches Gesetz umzuwandeln (Schwarz). Das textliche Nebeneinander macht auf eine innere Analogie aufmerksam.", | |
"Durch die logischen Gesetze, die die sieben Deuteregeln enthalten, hat sich die Bibel im Laufe der jüdischen Geschichte als die „lebendige Lehre” bewährt, die in jeder Zeit und in jeder Situation von neuem befragt werden kann und die stets in der Lage ist, zu antworten. Die Deuteregeln haben die Bibel erweitert und vertieft. Sie haben gezeigt, daß jede Generation in ihr die Lösung ihrer Probleme finden kann. Dadurch hat sich aber das Dogma von der Ewigkeit der Lehre in eine historische Wahrheit verwandelt." | |
], | |
"3 \"S'vara\" the principle of \"common sense\"": [ | |
"<b>3. Die „S’wara”</b>", | |
"Einen Triumph der talmudischen Methode, unbekannte Fälle nach dem Gesetz der Tora zu entscheiden, bildet das Prinzip der S’wara (S’wara = Meinung), das den scheinbar selbstverständlichen, aber doch folgenschweren Grundsatz aufstellt: Der „gesunde Menschenverstand” gilt.", | |
"Es kommt vor, daß Fragen auftauchen, auf welche die Deuteregeln keine Antworten geben können; nämlich dann, wenn die Lehre nichts Ähnliches enthält. Es ist z. B. eine klare Halacha: Wird jemandem der Tod angedroht, falls er nicht einen bestimmten Menschen tötet, so darf er sein eigenes Leben nicht durch einen Mord an einem Dritten retten. Der Talmud fragt (P’sachim 25b): Woher weiß ich dies? (Gemeint ist: Ein Mord ist zwar eine Sünde, aber wo Lebensgefahr besteht, ist es doch gestattet, eine Bestimmung des Gesetzes zu übertreten.) Und die Antwort lautet: Es ist eine S’wara (= der gesunde Menschenverstand sagt es einem). Hinzufügend wird als Beleg erzählt: „So kam einst jemand vor Raba und erzählte ihm: ‚Der Befehlshaber meines Wohnortes befahl mir: Geh hin und töte jenen; wenn nicht, werde ich dich töten‛; dieser erwiderte: Mag er dich töten, du aber begehe keinen Mord; wieso glaubst du, daß dein Blut röter ist, vielleicht ist das Blut von jenem röter.”", | |
"Nun wird diese Vorschrift, die sich nirgends in der Bibel findet, so gehandhabt, als ob sie ausdrücklich in der Bibel stehen würde. Sie bildet die Grundlage für eine der sieben Deuteregeln, mit deren Hilfe ein Vers der Tora in der Form geklärt wird, daß von dieser in der Bibel nicht vorgesehenen Bestimmung die Absicht des Gesetzgebers in einem von ihm selbst geschilderten Fall erschlossen wird. Diese auf die S’wara sich gründende Ansicht gilt als die Ansicht der Bibel und ist genau so „bekannt”, als ob sie ausdrücklich irgendwo im Text geäußert worden wäre. Sie ist im Grunde genommen noch bekannter; es findet sich oft im Talmud die Wendung: „Wozu mir der Vers (um etwas zu sagen)? Es ist doch eine S’wara!” Oder auf die häufige Frage: „Woher weiß ich es?” wird geantwortet: „Wenn du willst, ist es ein Vers (der Bibel, aus dem dies folgt), und wenn du willst (d. h. wenn dich der Vers nicht überzeugt), ist es eine S’wara”. — Was aus der S’wara folgt, darf nicht in der Bibel stehen, denn es ist auch ohne die Bibel bekannt, braucht also nicht erst von der Bibel gelehrt zu werden und ist überflüssig, wenn es im Text enthalten ist. Die Bibel darf aber nichts Überflüssiges enthalten. Die S’wara hat die gleiche verpflichtende Kraft, wie die am Sinai geoffenbarte Lehre.", | |
"All dies folgt aber aus dem Wesen der Lehre selbst. Die Lehre gilt nur deshalb, weil sie Wahrheit ist. Die S’wara ist ebenfalls Wahrheit, also muß auch sie gelten. Auch in diesem Gedankengang ist aber nur die Andeutung einer der Deuteregeln des Talmuds zu erblicken — des Identitätsschlusses im Kal-w’Chomer, mit dem Unterschied, daß er sonst immer vom Einzelfall der Lehre auf einen anderen Einzelfall schließt; während hier von der Gesamtheit der Lehre auf die S’wara geschlossen wird in folgender Form:", | |
"Die Lehre ist Wahrheit", | |
"Die S’wara ist Wahrheit", | |
"Die S’wara ist Lehre.", | |
"Daraus ergibt sich: Die S’wara gilt nicht, wenn sie mit der Lehre nicht identisch ist, d. h. wenn sie ihr widerspricht. Nicht etwa deshalb, weil die Wahrheit noch einer weiteren Stütze in der Lehre bedurfte, sondern weil der Widerspruch einer S’wara mit der Lehre den Beweis für den Irrtum in der S’wara ist. Die Lehre ist objektive Wahrheit, die S’wara, der „gesunde Menschenverstand”, ist dagegen subjektiv, folglich dem Irrtum ausgesetzt. Die Lehre ist die negative Kontrolle der S’wara; was der Lehre widerspricht, kann keine Wahrheit sein. (Dieser Gedanke der Identität zwischen Lehre und Wahrheit, aus der die „biblische Geltung” der S’wara folgt, ist übrigens der Leitgedanke der Philosophie des Maimonides. Nicht um die Aussöhnung zwischen Glauben und Wissen geht es Maimonides, sondern um die Erkenntnis: Alles Wissen, das Anspruch auf Wahrheit hat, <i>ist</i> Tora. In diesem Sinn zählt er z. B. die Mathematik auch zur Tora. Die S’wara ist Tora — dieser talmudische Gedanke beherrscht das philosophische System des Maimonides.)", | |
"Das Prinzip der S’wara bedeutet eine ungeahnte Bereicherung der Tora, dem in der Entwicklungsgeschichte des Talmuds größte Bedeutung zukommt." | |
] | |
}, | |
"III Subject matter, content, structure": { | |
"1 The six Orders of the Teachings": [ | |
"<b>Thema, Inhalt, Aufbau</b>", | |
"<b>Die sechs Ordnungen der Lehre</b>", | |
"Was ist das Thema des Talmuds? Das gleiche wie das der Bibel — das gesamte menschliche Leben, welches in folgende Bereiche aufgeteilt werden kann: (1) Der Mensch auf seiner Erde (2) und in der Zeit — das ist: die Tage des Menschen —, (3) der Mensch in der Familie (4) und in der Gesellschaft, (5) der Mensch vor Gott, und, da der religiöse Mensch in seinem Leben vor Gott bald an die Grenzen seiner Existenz stößt, an die Schranken des Diesseits, was in Wahrheit ein Ahnen jenseitiger Realitäten und Kräfte bedeutet, die gleichsam in unser Leben geheimnisvoll hineinragen, und da weiterhin dieses Gebiet der Grenzen für ihn einen besonderen Lebensbezirk bedeuten (6) der Mensch vor den Schranken.", | |
"Entsprechend dieser Lebensbereiche ist das gewaltige Thema der mündlichen Lehre in „sechs Ordnungen” (Schischa S’darim) gegliedert worden. Allerdings formuliert die Lehre keine „Themen”, sondern setzt konsequenterweise, da sie keine literarisch-wissenschaftliche Abhandlung ist, an Stelle des Themas den Sammelnamen der Fälle, die in einer Ordnung zusammengefaßt werden. Entsprechend dieser Tendenz heißen die sechs Ordnungen: ", | |
"1. S’raim — Saaten (enthält die Bestimmungen der Lehre über Aussaat, Ernte, Abgaben, Landbebauung, die Bedingungen, unter denen die reife Frucht zum Genuß freigegeben wird, Dankesschuld [gegenüber Gott], Segenssprüche, Dankgebete und Beten usw. usw.); ", | |
"2. Moed — Festzeiten (bestimmt den Rhythmus der Tage des Menschen; behandelt die Vorschriften über Sabbat, Rosch-Haschana, Jom-Kippur, Peßach, Sukkot, M’gilla, Fasten [Taanit] usw. und alles, was damit zusammenhängt); ", | |
"3. Naschim — Frauen (regelt die Beziehungen zwischen Mann und Frau bis in ihre weitesten Konsequenzen. In ihrem Mittelpunkt steht die Familie. Ihr Hauptinhalt ist juristischer und moralischer Natur. Sie enthält die Bestimmungen über Trauung, Ehescheidung, Schwagerehe, Blutsverwandtschaft, die rechtlich-religiösen Konsequenzen des Ehebruchs, das Vermögensrecht unter Ehegatten usw. usw.); ", | |
"4. N’sikin — Beschädigungen (oder besser: Gleichgewichtsstörungen im Rahmen der Gesellschaft. Ihr Thema ist: Staatsrecht, bürgerliches Recht, Strafrecht, Arbeitsgesetzgebung, die Vorschriften über Gerichtsbarkeit, Gerichtsverfahren, Grundsätze einer Gesellschaftsmoral [Traktat Awot] usw., kurz: alles, was in den Bereich der rechtlichen, moralischen und religiösen Regelung der gemeinschaftlichen Beziehungen von Menschen untereinander gehört); ", | |
"5. Kodaschim — Heiligungen (enthält die Vorschriften der kultischen Heiligung unseres Lebens; ist es die Festlegung einer Tempelordnung oder eines Opferdienstes, sind es die Bestimmungen über das religionsgesetzlich Genießbare und das Vom-Genuß-Verbotene oder die Gesetze über Schaufäden und Gebetriemen — immer handelt es sich um eine besondere religiös-kultische Weihe des menschlichen Lebens. Da allerdings Gesetze wie Kascher = Genießbar, Trefa = Ungenießbar, Tahor = Rein, Tamme = Unrein [und deshalb vom Genuß verboten] nach der Darstellung der Bibel auf schöpfungsbedingte göttliche „Unterscheidungen” zurückgehen [s. 2. Buch M. Kap. V und 3. Buch M. Kap 20], sind wir damit bereits an den Grenzen diesseitiger Existenz überhaupt gelangt, die, wie oben ausgeführt, einen besonderen Lebensbereich bedeuten und so bereitet die Ordnung „Heiligungen” vor auf); ", | |
"6. T’harot — Reinigungen (mit den Reinheitsvorschriften für Menschen, Tiere und Sachen und den Gesetzen der rituellen Reinigungen, welche nicht bloß kultisch-religiöser Art sind, sondern ähnlich den „Unterscheidungen” in der 5. Ordnung über rituell Genießbar und Ungenießbar auf göttliche Schöpfungsprinzipien zurückgehen, von denen wir nichts wüßten, wenn sie uns die Lehre nicht in diesen Bestimmungen zumindest ahnen ließe. Das Kultische im Judentum ist diesseitig an jenseitige Wirklichkeiten gebunden)." | |
], | |
"2 Aggadah and Halachah": [ | |
"<b>2. Aggada und Halacha</b>", | |
"In den sechs Ordnungen wird eine großzügige national-religiöse Lebensgestaltung gelehrt, auf allen Lebensgebieten und in allen Lebensbereichen gezeigt, wie die Tora durch das Volk im Verlauf seines geschichtlichen Weges zu verwirklichen sei. Erziehende Volksbelehrung ist die Aufgabe, deren Erfüllung stets beabsichtigt wird.", | |
"Wer nur ein wenig eingehender sich mit dem Talmud, einer seiner Ordnungen oder auch nur einem seiner Traktate oder Abschnitte befaßt, wird bald feststellen müssen: was hier zu dem großen Thema des menschlichen Lebens vom Gesichtspunkt der „Lehre” gesagt wird, ist oft verschiedenen Charakters und von ungleicher Bedeutung. Wenn etwa die Mischna in Baba Batra lehrt: „Wenn Gemeinschaftler im (gemeinsamen) Hofe eine Abteilung (um den Hof aufzuteilen) machen wollen, so bauen sie die Wand in der Mitte (jeder hat die Hälfte des Raumes für die Wand herzugeben), und zwar, wie es im Orte zu bauen üblich ist …,” so ist dies in Form und Gehalt grundlegend verschieden von der Äußerung einer anderen Mischna z. B. in Awot, die uns mitteilt: „Vier Gesinnungen gibt es bei den Menschen: Meines ist mein und Deines ist dein: eine durchschnittliche Gesinnung oder, wie manche sagen: eine sodomitische Gesinnung (die Verweigerung einer Gefälligkeit); Meines ist dein und Deines ist mein: ein Mensch aus dem gemeinen Volke (der das Eigentumsrecht nicht kennt); Meines ist dein und Deines ist dein: ein Frommer; Meines ist mein und Deines ist mein: ein Bosewicht.” Und noch weniger wird es wohl mit einer Stelle im Traktat B’rachot zu vergleichen sein, die uns über die Bedeutung von Moses erzählt: „Und er sprach zu Mosche: Geh, steig hinab! (Ex. 32,7). Was bedeutet: Geh, steig hinab? R. Eleasar erklärte: Der Heilige, gepriesen sei er, sprach zu Mosche: Mosche, steige von deiner Würde herab; habe ich dir doch nur um Israels willen Würde verliehen, jetzt, da Israel gesündigt, wozu brauch ich deiner!?”", | |
"Das erste Zitat gehört in einen Gesetzeskodex, das zweite in ein Lehrbuch über „praktische” Moral und das letzte etwa in eine literarische Abhandlung über die Idee der nationalen Führung. So könnte man endlos weitere Beispiele heranziehen; immer wieder wird man neue Themen aufstellen müssen, um das eine vom anderen klar zu scheiden. Im Talmud selbst steht das alles nebeneinander. Ohne den geringsten Versuch einer systematischen Scheidung lösen die verschiedensten Themen einander ab, greifen ineinander über und schneiden sich. So vergilbt und eintönig auch eine Druckseite des Talmuds dem Auge erscheinen mag, für den, der sie lesen kann, verwandelt sie sich in ein buntes, farbenschweres, altorientalisches Gewebe voller Bewegung und lebendiger Pracht. Phantasie, religiöses Empfinden, dichterische Schau, Moral, Politik, Recht, Erzählungen, Anekdoten, Fabeln, Gesetzesvorschriften, historische, philosophische, juristische usw. Erkenntnisse stehen nebeneinander und „weben” so das „Blatt” im Talmud. Nirgends auch nur eine Spur von Eintönigkeit und Langeweile; ein großartiger geistiger Elan erfüllt jede Seite. Es wäre eine ungeheure Aufgabe, all die verschiedenen Geisteskräfte, die am Entstehen des Talmuds mitgewirkt haben, streng wissenschaftlich voneinander zu scheiden, die allerdings nur von einer ganzen Akademie von Gelehrten gelöst werden könnte.", | |
"Der Talmud nimmt eine Scheidung gänzlich anderer Art vor, wenn er die gesamte Materie der mündlichen Lehre in zwei Hauptgruppen verschiedenen Charakters einteilt: in Halacha und Aggada; wobei Halacha (von haloch = gehen abgeleitet) etwa die feststehende Norm bedeutet, nach welcher der Mensch zu „wandeln” habe, und Aggada (von hagged = mitteilen, erzählen stammend) den gesamten Inhalt des Talmuds bezeichnen soll, der keinen Gesetzescharakter besitzt und infolgedessen für niemanden verpflichtend ist. Daß es sich hierbei nicht etwa um das häufige und deshalb auch für den Laien so bequeme Gegensatzpaar Vernunft und Gefühl handelt, geht schon allein daraus hervor, daß einerseits vieles in der streng fordernden Halacha vom Gefühl bestimmt worden ist, andererseits der weite Umfang des Aggadischen keinesfalls nur auf das Gefühls- und Effektmäßige zurückgeführt werden kann. Das „Gefühl” hat an der Entstehung der Aggada nicht mehr Anteil als die Vernunft oder irgendeine andere Geisteskraft. Unzählige Aggadot, die uns einen tiefen Blick in die Zusammenhänge des Lebens verraten, beweisen dies. Aggada und Halacha sind nicht der Ausdruck für zwei gegensätzliche Strömungen im Judentum. Die schönsten und bedeutendsten Aggadot stammen von den bedeutendsten Lehrern der Halacha. Die größten Halachisten waren die größten Aggadisten, und auch die Aggada der Aggadisten ist uns nur durch die Halachisten überliefert worden.", | |
"So paradox es auch klingen mag, man begreift den Unterschied zwischen Aggada und Halacha nicht, wenn man das Trennende sieht.", | |
"Aggada und Halacha können keine Scheidung des talmudischen Stoffes bedeuten. So aufgefaßt wäre nur Halacha als Gesetz, Norm, eindeutig und für das Gemeinte auch umfassend, nicht aber Aggada — Bericht oder Erzählung, denn nur ein kleiner Teil des Nicht-Halachischen im Talmud kann als Bericht oder Erzählung bezeichnet werden. Keinesfalls kann man den nicht-halachischen Teil der mündlichen Lehre mit den Worten: Erzählung, Fabel, Märchen, Dichtung, Phantasie usw. ausreichend kennzeichnen. Gewiß, die Aggada enthält all diese Momente, aber nicht im geringsten ist sie durch derartige Bezeichnungen in ihrem Wesen und auch nicht einmal annähernd in ihrem Umfang bestimmt. Wie man etwa das literarische Schaffen des 19. Jahrhunderts nicht einteilen kann in Gesetzesbücher und Romane, wobei diese die Bedeutung haben müßten: das Nicht-Juristische, ebenso unmöglich ist es, den Talmud systematisch in seine verschiedenen Bestandteile auflösend in Halacha und Aggada zu scheiden.", | |
"Nur wenn man das Einigende sieht, erkennt man die Bedeutung und auch Korrektheit der Einteilung in Halacha und Aggada. Wie sehr Halacha und Aggada zusammengehören, erkennt man am besten dort, wo sie zum erstenmal in Erscheinung treten, nämlich in der Bibel. In der Bibel selbst finden wir Halachisches als verpflichtende Norm und gültiges Gesetz und Aggadisches in Form von Erzählungen und Berichten. Was die Halacha und Aggada der Bibel eint, ist die Tora — die „Lehre”. Der Bericht ist nicht Selbstzweck — die Bibel ist kein Roman; und auch das Gesetz ist nicht das Ziel — die Bibel ist kein Gesetzeskodex. Die Bibel ist Tora, und Aggada wie Halacha der Bibel weisen über sich hinaus — auf die Lehre; sie führen zur Lehre. Halacha ist nicht das Endziel, sondern ein Erziehungsmittel zur Lehre, und auch die Aggada ist nichts anderes, sie unterscheiden sich nur in der Methode.", | |
"Man begreift dies am besten, wenn man die beiden Worte nicht bloß grammatikalisch aus ihren Wurzeln erklärt, sondern auf die Sinnzusammenhänge zurückgreift, aus denen sie stammen. Rein „grammatikalisch” sind beide Begriffe überhaupt nicht zu erklären. Halacha = Gesetz von haloch = gehen abzuleiten, weil der Mensch „nach dem Gesetz zu wandeln habe”, ist selbst schon ein Stück Aggada, ist Homiletik. So konstruiert das Leben, die Wirklichkeit keine Begriffe. Halacha stammt nicht aus „haloch”, sondern aus einem Vers der Bibel, der sich in verschiedenen Variationen oft wiederholt und in welchem immer wieder die Rede ist von dem „Weg des Ewigen” oder dem „Weg, den der Ewige, Euer Gott, Euch befohlen hat” und den jeder Mensch „gehen soll”. In Hinsicht auf diesen konkreten „Weg” und auf dieses von der Lehre tatsächlich geforderte „Gehen” wird das Gesetz Halacha genannt. Und auch Aggada oder Haggada ist nicht „grammatikalisch” aus hagged = erzählen abzuleiten, sondern geistesgeschichtlich aus biblischen Wendungen wie „w’higaddta l’wincha bajom hahu — und du sollst es mitteilen deinem Kinde an jenem Tage” (2. Buch M. Kap. 13,8), oder wie: „sch’al awicha w’jagedcha — frage deinen Vater und er wird es dir mitteilen”. In beiden Fällen bedeutet „Haggada = Mitteilung, Erzählung”, nicht Dichtung, Legende, Phantasie usw. Durch das „Teile-es-mit-deinem-Kinde” ist dem Vater nicht etwa die Pflicht auferlegt worden, am Peßachabend seinem Kind „Geschichten” zu erzählen, sondern Geschichte. Das Kind soll über die geschichtlichen Zusammenhänge belehrt werden, die zum Peßach-gebot, zur Peßach-Halacha führten. Die Peßach-Haggada lehrt die Bedeutung der Peßach-Halacha. Und welche Aggada meint das andere Zitat? Man nehme die Bibel und lese (5. Buch M. Kap. 32,6): „Ist er dein Vater nicht, dem du zu eigen, der dich geschaffen und bereitet hat? Gedenk der Urzeittage, merk auf die Jahre Reih um Reih! Frage deinen Vater, daß er dir es künde; die Alten dein, daß sie dir es sagen!” Man sieht, es ist die geschichtlich erfahrene Bestätigung zu der Halacha „Er ist dein Vater …” gemeint, oder mit anderen Worten: die geschichtlich erfahrene Wahrheit zu dem fordernden und verpflichtenden Gebilde — Judentum, die von den Geschlechtern der jüdischen Geschichte erlebte Bestätigung für die gesamte Halacha, für „den Weg, den Gott euch befohlen hat, um ihn zu gehen”.", | |
"Von hier aus können wir erst das Wesen der Haggada und ihre Beziehung zur Halacha bestimmen. — Die Aggada ist die zur Lebensweisheit gewordene Lebenserfahrung der Geschlechter, sie ist die Weisheit der Zeiten, die „Mitteilung vom Vater an das Kind”, die dem Menschen in seinem Leben <i>gewordene</i> Lehre; die Halacha dagegen ist die dem Menschen <i>gegebene</i> Lehre, die „Mitteilung von Gott an den Menschen”. Die Aggada ist wie „Lehre von unten”, sie wird in der Zeit; die Halacha die „Lehre von oben”, sie ist in Ewigkeit. Beide aber meinen das gleiche — die Tora; die Halacha zwingt zu ihr, die Aggada führt zu ihr. Die Halacha befiehlt, die Aggada lehrt. Die Halacha normiert das äußere Verhalten, die Aggada schafft innere Bereitschaft. Was bedeutet Halacha ohne Aggada? — Normiertes äußeres Verhalten ohne innere Bereitschaft, also — Drill. Was ist Aggada ohne Halacha? — Innere Bereitschaft ohne Entscheidung nach außen, also ein unmögliches Ding, oder wenn es doch für möglich ausgegeben wird — Phrase, Lüge. ", | |
"Aggada führt zur Halacha und Halacha setzt Aggada voraus.", | |
"Dies und damit die innere Beziehung zwischen Aggada und Halacha mögen im folgenden dargelegt werden. — Die Aggada als die „Weisheit der Zeiten”, die von Menschen stammt, ist subjektiv; die Halacha, von Gott gegeben, ist objektiv, sie gilt. Weil die Aggada subjektiv ist, kann sie nicht gültige Norm sein. Sie ist nicht verpflichtend, und trotzdem „gilt” sie in einem bestimmten Sinn. Als die Weisheit der Zeiten gilt sie in der Zeit als subjektive Wahrheitserkenntnis für das Subjekt. Sie gilt im „Jetzt” immer in irgendeinem Sinn. Die Aggada ist immer subjektive Halacha.", | |
"Jede subjektive Welterfahrung strebt aber nach Wahrheit, d. h. nach Objektivität, nach allgemeiner Geltung. Die Weisheit der Zeiten strebt zur Ewigkeit, Aggada zu Halacha. Indem Aggada sich entwickelnd und vollendend der Wahrheit sich nähert, streift sie immer mehr von ihrer anfänglichen Subjektivität ab, sie objektiviert sich und wird so allmählich zur Halacha, so daß wir sagen können: Halacha ist objektivierte Aggada. Sobald Aggada ihren Höhepunkt erreicht, muß es möglich sein, sie in Halacha zu verwandeln. Die Halacha bildet die höchste Stufe, die allerletzte Konsequenz der Aggada.", | |
"Diese enge Beziehung zwischen Aggada und Halacha soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden:", | |
"a) In Genesis Kap. 18 liest man die Geschichte der Bewirtung der „drei Männer” durch Abraham. Dies ist eine Aggada, eine Mitteilung aus dem Leben der Väter, eine Episode, in der eine gewisse Lebenshaltung der Väter sich widerspiegelt, die zwar niemanden verpflichtet, für niemanden „gilt”, die aber trotzdem jeden bildet und „lehrt”. Für Abraham selbst war die Bewirtung keine Aggada, für ihn war sie Verpflichtung, Gebot, inneres Gesetz. Wir sehen vor uns das typische Beispiel einer Aggada, die subjektive Halacha ist. Sie galt für Abraham, sie brauchte aber für seinen Sohn Isaac nicht verpflichtend zu sein. Diese Aggada der „Gastfreundschaft” entwickelte sich nun weiter, und einen wichtigen Teil ihrer Fortsetzung findet man im Talmudtraktat Kiduschin (32b). Wir lesen da:", | |
"„… Einst waren Rabbi Elieser und Rabbi J’hoschua und Rabbi Zadok beim Hochzeitsmahl des Sohnes Rabbi Gamliels und R. Gamliel stand vor ihnen und schenkte ein. Er reichte R. Elieser einen Becher und dieser nahm ihn nicht, er reichte ihn R. J’hoschua und dieser nahm ihn wohl. Da sprach R. Elieser zu ihm: Was soll das, J’hoschua, wir sitzen und lassen Gamliel Beribbi vor uns stehen und einschenken!? Dieser erwiderte: Wir finden einen, der größer war als er und andere bediente. Abraham war größer als er und er bediente andere. Abraham war der größte des Zeitalters, und von ihm heißt es: ‚er stand vor ihnen‛ … Weshalb soll nun R. Gamliel nicht vor uns stehen und uns einschenken.”", | |
"Die Aggada von der Gastfreundschaft nähert sich ihrer Vollendung; sie „gilt” bereits auch für andere. Sie wird Jahrtausende nach Abraham zum Gebot für einen Rabban Gamliel. Die Erkenntnis dringt allmählich durch: So <i>soll</i> man seine Gäste bewirten. Sie wird von Rabbi J’hochua anerkannt, der im gegebenen Fall genau so handeln würde. — Man lese aber weiter:", | |
"„Hierauf sprach R. Zadok zu ihnen: Wie lange noch wollt ihr die Ehre Gottes lassen und euch mit der Ehre von Menschen befassen. Der Heilige, gebenedeiet sei er, läßt Winde wehen, Wolken aufsteigen, Regen fallen, die Erde sprossen und richtet jedem eine Tafel her; weshalb soll nun Gamliel Beribbi nicht vor uns stehen und einschenken. —”", | |
"Man sieht: die Aggada wird vom Subjekt, von Abraham losgelöst, man stößt zum Kern der Sache vor, zur Wahrheit. Die Aggada objektiviert sich und es ist durchaus denkbar, daß sie eines Tages zu der Halacha wird: Wer Gäste bewirtet, hat stets die Pflicht, sie selbst zu bedienen. Dies wäre dann die Halacha, die nichts anderes ist als die objektivierte Aggada.", | |
"b) Ein anderes Beispiel:", | |
"Gott spricht zu Kain: „Die Blute deines Bruders schreien zu mir” (wörtlich). Dazu bemerken die Weisen: „Es heißt nicht: das Blut deines Bruders, sondern ‚die Blute‛ — sein Blut und das Blut seiner Nachkommen … Dies lehrt dich, daß jedem, der ein Menschenleben vernichtet, seine Tat so angerechnet wird, als hätte er eine ganze Welt vernichtet.” Auch dies ist eine Aggada, allerdings eine der reifsten Aggadot, ein aggadischer Höhepunkt. Und nun lese man die Quelle selbst nach. Sie befindet sich in Sanhedrin (37a): Auf welche Weise werden die Zeugen in Todesstrafsachen eingeschüchtert? Man führt sie hinein und schüchtert sie (durch folgende Worte) ein: Vielleicht sagt ihr dies aus Vermutung oder vom Hörensagen oder (wißt ihr es) aus dem Mund anderer Zeugen … oder vielleicht wißt ihr nicht, daß wir euch später einer Untersuchung und Ausforschung unterwerfen werden. So wisset, daß bei Todesstrafsachen es sich nicht so verhält, wie bei Geldsachen; bei Geldsachen kann man einen Ersatz leisten und Sühne erlangen, bei Todesstrafsachen aber bleibt an ihm das Blut (des Hingerichteten) und das Blut seiner (möglichen) Nachkommen haften bis an das Weltende; denn so finden wir es auch bei Kain, der seinen Bruder erschlug, wie es heißt: ‚Die Blute deines Bruders schreien …‛, es heißt nicht: das Blut deines Bruders, sondern: die Blute deines Bruders, sein Blut und das Blut seiner (möglichen) Nachkommen.” ", | |
"Die Aggada hier gilt also, sie muß für jeden, folglich auch für die Zeugen gelten, sie hat sich objektiviert und ihre Konsequenz ist Halacha. All die halachischen Unterschiede zwischen „dineh m’manot” (Gesetze in Geldsachen) und „dineh n’faschot” (Gesetze in Todesstrafsachen) sind das Resultat dieser Aggada über die Bedeutung eines einzigen Menschenlebens.", | |
"Allerdings unterscheidet sich die biblisch-talmudische Halacha insofern von jeder anderen „Halacha”, als sie nicht geistesgeschichtlich geworden ist. Durch die Offenbarung am Sinai kam Gott vielmehr der Aggada entgegen. Indem Gott uns die Tora „gab”, nahm er die endgültigen Konsequenzen der Aggada vorweg. Während wir durch die „gegebene Halacha” die Lehre tun und erfüllen, bemühen wir uns in der „werdenden Aggada”, sie voll zu begreifen und so das „Gegebene” zu empfangen. Solange es nicht empfangen wird, ist es das „Gesetz” von außen; haben wir es empfangen, so wird es zur inneren Gesetzmäßigkeit unseres Lebens. Halacha ohne Aggada ist die Marschroute, erst durch die Aggada wird Halacha zum Lebensweg." | |
], | |
"3 The psychological structure of the Oral Teachings": [ | |
"<b>3. Der psychologische Aufbau der mündlichen Lehre</b>", | |
"Den Grundriß einer Systematik des umfangreichen Stoffes der mündlichen Lehre haben wir bereits besprochen (s. Abschnitt III, 1). Er wird gebildet von den „sechs Ordnungen”, Schischah S’darim, oder abgekürzt: Schass. Jede Ordnung wird eingeteilt in einzelne Traktate — Massechot, die wie die Ordnungen selbst nach den „Fällen”, welche sie vorwiegend behandeln, benannt werden, z. B. „B’rachot — Segenssprüche”, „Sabbat”, „Gittin — Scheidebriefe” usw., jedes Traktat in Abschnitte — P’rakim, die ähnlich den Wochenabschnitten der Bibel an Stelle einer Überschrift immer mit den Anfangsworten bezeichnet werden. Die Abschnitte werden dann noch in Kapitel aufgelockert, an deren Anfang stets Einzelsätze der Lehre (Mischna) stehen.", | |
"Dieser Aufbau stand wohl nie als besondere Aufgabe vor den Verfassern des Talmuds; er kann auch kaum als eine besondere systematisierende Leistung angesehen werden, sondern ergab sich von selbst aus der Verschiedenheit des Materials und wurde oft sogar durch dessen Umfang bestimmt. So wurde z. B. ein Traktat nur deshalb in drei selbständige Traktate aufgeteilt, weil es außerordentlich umfangreich war. Er ist das äußere Schema, das sich zu der eigentlichen Systematik des Talmuds etwa so verhält wie das Gebäude einer Fabrik zu der inneren Organisation des Betriebes. Es ist der Rahmen, nicht aber das Herzstück der systematisierenden Leistung. Neben dem äußeren Aufbau muß vor allem der innere beachtet werden.", | |
"Der Talmud wird in der Traditionsliteratur oft als „Jam-Hatalmud”, das Talmud-Meer, bezeichnet, und man muß schon etwas von Schwimmen verstehen, will man sich in ihm zurechtfinden. Dem Laien muß der innere Aufbau des Stoffes „unsystematisch” erscheinen. Es gehört in der Tat sehr viel Fleiß und Kraftaufwand dazu, ehe man sich in diesem Dickicht von ineinandergreifenden Problemen, Gedanken, Fragen, Berichten usw. auch nur den schmalsten Pfad schlagen kann. Die Einteilung in Ordnungen, Traktate und Abschnitte ist in Wirklichkeit gar nicht konsequent durchgeführt. In jeder Ordnung wiederholen sich oft die verschiedensten Themen der anderen Ordnungen. Kein Traktat behandelt ausschließlich die Fragen, die zu seinem Hauptthema gehören. Eine Darlegung über das Strafrecht kann z. B. von einer Bestimmung über die Opferordnung oder einer Vorschrift über soziale Abgaben unterbrochen werden. Eine juristische Frage kann oft durch die Heranziehung von Entscheidungen in rein religiösen Dingen beantwortet werden und ebenso umgekehrt. In einem und demselben Abschnitt wechseln die verschiedensten Themen einander ab oder werden sogar gemeinsam behandelt. Nirgends also eine klar Scheidung; jedes Traktat und jeder Abschnitt spiegelt die Vielfältigkeit des Ganzen wider. In den Talmudschulen wird bezeichnenderweise ein bestimmtes Traktat infolge der Vielfältigkeit seines Inhalts der „Klein-Schass” — also die „sechs Ordnungen im Kleinen” — genannt.", | |
"Wer allerdings einmal die Entwicklung des Gedankenganges bei der Klärung einer talmudischen Einzelfrage beobachten konnte, wer auch nur ein einziges Mal erlebt hatte, mit welch unbeirrbarem Scharfsinn eine Diskussion im Talmud geführt wird, mit welch strenger, fast unerbittlicher Systematik ein Einzelthema aufgebaut wird, der wird über diesen „Wirrwarr”, den man schon auf nur zwei Talmudseiten oft finden kann, staunen und vielleicht ahnen, daß dieses „Durcheinander” nicht durch einen zufälligen Mangel an Systemgestaltung erklärt werden kann. Rein „zufällig” wäre ein solcher Mangel an Ordnung und Klarheit des Aufbaus bei den Verfassern des Talmuds nicht möglich gewesen. Dieses scheinbare Durcheinander ist in Wirklichkeit nur die Enttäuschung der Menschen, die eine ganz bestimmte Systematik erwarten, welche im Talmud tatsächlich nicht zu finden ist. Was dem Anfänger und Laien als „Wirrwarr” erscheint, ist der notwendige innere Aufbau des talmudischen Stoffes, eine geniale systematisierende Arbeit eigenster Art, die einmalig ist wie der Talmud selbst. Jede andere Ordnung hätte nicht allein ihren Zweck verfehlt, sondern den Talmud sogar in seinem Wesen gewandelt.", | |
"Der Talmud ist Lehre; zum Wesen einer Lehre gehört die Einheitlichkeit. Der gleiche Wille, die gleiche Absicht muß sie in allen ihren Teilen erfüllen. Es ist die gleiche Erkenntnis, die nämliche Wahrheit, die auf den verschiedensten Lebensgebieten zu ihrem angemessenen und konsequenten Ausdruck gelangt. Die Themen können wechseln, der innere Wesensgehalt muß der gleiche bleiben. Was in einem Punkt gilt, muß in allen Punkten gelten. Mit anderen Worten: was für kultische Gesetzgebung Wahrheit ist, muß auch für das Strafrecht, die Ehegesetze oder die Sabbatvorschriften Wahrheit sein. Zumindest dürfen keine Widersprüche in der Gesamtheit der Lehre vorhanden sein. Dies bedeutet, daß das Wesen der „Lehre” sich gegen eine Systematisierung sträubt, die von der Verschiedenartigkeit der „Themen” ausgeht. ", | |
"Man stelle sich vor, die Wissenschaften hätten ihre Vollendung erreicht und alle wären zur absoluten Wahrheit durchgedrungen — die Einteilung in „Fakultäten” wäre nur noch äußerlich möglich. Was in der Philosophie gilt, müßte auch in der Medizin gelten; und der naturwissenschaftlichen Wahrheit dürfte die juristische nicht widersprechen. Es wäre durchaus denkbar, daß ein mathematisches Problem durch eine Erkenntnis der Poetik beleuchtet würde. Es gäbe keine „Fachgelehrten”, denn jeder, der das Wesen dieser „absoluten Wahrheit” erkennen wollte, müßte sich mit all ihren Ausdrucksformen befassen. (Bekanntlich beginnen bereits in unseren Tagen mit der fortschreitenden Entwicklung moderner wissenschaftlicher Forschung die Grenzen zwischen den Fakultäten allmählich sich zu verwischen.) Die „Fakultäten” wären das Schema für die literarische Darstellung der wissenschaftlichen Ergebnisse; die klärende wissenschaftliche Arbeit selbst könnte sich natürlich an dieses Schema nicht halten.", | |
"Der Talmud als Lehre, zu deren Wesenskern die „Einheit” gehört, kennt keine Fakultäten. Der Talmudist spezialisiert sich nicht auf ein „Fach”, er könnte es auch nicht tun, denn jedes Fach enthält alle Fächer. Die Einteilung in die sechs Ordnungen ist nur literarisch möglich und nur dort, wo die Ergebnisse der Lehre zusammengefaßt werden, nämlich in der Mischna (s. Abschnitt IV), nicht aber dort, wo sie geklärt werden — in der G’mara. In der „Diskussion” gilt die Einteilung in die sechs Ordnungen nicht. Nicht auf die Verschiedenheit des „Stoffes” kommt es an; zum Thema gehört alles, worin das gleiche Prinzip sich auswirkt. So ist es möglich, daß eine juristische Frage durch eine Bestimmung über die „Saaten” entschieden wird und ebenso umgekehrt. Solange die Lehre „in Bewegung” ist und sich nicht zur Satzung kristallisiert hat, gilt die innere Systematik der Grundsätze, die sich in die verschiedensten „Themen” einkleiden können, nicht aber die äußere des Materials.", | |
"Das talmudische Thema wird jeweils von einem prinzipiellen und nicht von einem stofflichen Gehalt bestimmt.", | |
"Allerdings gilt dies nur für die Einzelthemen. Die Gesamtheit der Lehre mußte noch einer anderen Systematik unterworfen werden, die durch ihren mündlichen Charakter bestimmt wurde. Jahrhunderte hindurch wurde der Talmud mündlich gelehrt und überliefert. Es gibt sogar eine Bestimmung, nach welcher einerseits die schriftliche Lehre nicht auswendig vorgetragen werden dürfe und andererseits die mündliche nicht niedergeschrieben werden durfte. (Wir wollen im Rahmen dieser Schrift keine Vermutungen über den Grund dieser Vorschrift anstellen. Wir verweisen hier auf das in dem Kapitel „Bibel und Talmud” über das mündliche Moment Gesagte; danach kann die mündliche Lehre gar nicht niedergeschrieben werden, weil die Niederschrift selbst erst durch eine weitere mündliche Lehre richtig gelesen werden könnte.) Von hier aus drohte der Lehre eine große Gefahr — das Vergessen. Die Aufgabe bestand darin, den Inhalt so zu systematisieren, daß er vor dieser Gefahr möglichst beschützt werde. So war man gezwungen, den Gesamtstoff nach mnemotechnischen Regeln aufzubauen, um so dem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen. Im Rahmen einer solchen mnemotechnischen Systematik kommt es nicht immer auf den „logischen Zusammenhang” an; es genügt das zufällige Nebeneinander der verschiedensten Themen, um gemeinsam oder aufeinanderfolgend dargestellt zu werden, wenn sie durch dieses Nebeneinander für das Gedächtnis leichter zu „merken” sind. Neben der streng logischen Systematik des Einzelthemas steht im Talmud die psychologische Systematik des Gesamtthemas.", | |
"Eine der wichtigsten Regeln, nach denen die „psychologische Systematik” verfährt, ist die Assoziation. Sie kann gedanklicher Art sein oder sich auf ein zeitliches Moment gründen, z. B. das bekannte „an jenem Tag”, an dem nämlich eine Anzahl von verschiedenen strittigen Fragen entschieden worden ist, die nun immer miteinander gelehrt werden. Oft ist es der Raum, der „gleiche” Ort, der die Assoziationsbasis bildet. Voneinander inhaltlich unabhängige Beschlüsse, die an einem bestimmten Ort gefaßt worden sind, werden „zusammengebündelt” gelehrt und so vor der Gefahr des Vergessens bewahrt. Auch ein Name kann das assoziative Nebeneinander bestimmen. Wenn z. B. im Laufe der Behandlung eines Themas die dazu gehörige Äußerung eines Gelehrten erwähnt wird, so kann der Talmud etwa fortfahren: „und noch hat der Betreffende gesagt …”, wobei es sich bereits urn eine ganz andere Frage handelt, die aber trotzdem angeführt wird, um das Gedächtnis auf die im „gleichen” Namen des Verfassers gegebene Assoziation aufmerksam zu machen.", | |
"Auf den mündlichen Charakter der Lehre gehen auch die häufigen Wiederholungen im Talmud zurück. Ergeben sich z. B. gewisse Konsequenzen aus einer bereits entschiedenen Frage für ein Problem in einem anderen Traktat oder auch nur Abschnitt, so muß die Entscheidung und oft auch die bereits abgeschlossene dazugehörige Diskussion wiederholt werden. Ein „<i>s</i>. S. so und so” ist in der mündlichen Lehre nicht möglich. Nur das geschriebene Wort kann auf sich selbst verweisen, das gesprochene muß sich wiederholen.", | |
"Eine ausführliche Darstellung des inneren Aufbaues des Talmuds ist hier nicht möglich. Zusammenfassend wollen wir nur feststellen: Der Talmud ist gesprochenes Wort und ist deshalb mit einem „Buch” nicht zu verwechseln. Die Systematik des gesprochenen Wortes ist eine wesentlich andere als die des geschriebenen. Ein Buch muß logisch aufgebaut sein; eine mündliche Überlieferung kann aber nur psychologisch geordnet werden oder sie geht verloren. Nur weil wir an die Systematik von „Büchern” gewöhnt sind, fällt es uns so schwer, die psychologische Systematik des gesprochenen Wortes im Talmud wiederzufinden.", | |
"Selbst nachdem das Niederschreibverbot durchbrochen und der Talmud schriftlich fixiert wurde, geschah es in einer Form, daß er seinen mündlichen Charakter beibehielt. Auch nach seiner Niederschrift ist der Talmud nicht zu einem Buch geworden (s. Abschnitt V). Er blieb mündliche Lehre. (Wie sehr dies stets gegenwärtig war, geht charakteristisch hervor aus der nur scheinbaren Äußerlichkeit, die in der gleichmäßigen Seitennumerierung in allen Talmudausgaben besteht. Auf einer beliebigen Seite eines beliebigen Traktates steht in allen Talmudausgaben der gleiche Abschnitt. Alle Ausgaben haben die gleiche Numerierung. Auch damit soll durch ein sozusagen visuelles Assoziationsmoment das Gedächnis gestützt werden.) Der erste, der dies begriff und die Konsequenzen daraus zog, war Maimonides. Die Bedeutung seiner halachischen Leistung besteht nicht in der gründlichen Zusammenstellung der im Gesamttalmud zerstreuten Vorschriften zu den einzelnen Themen, sondern darin, daß er die psychologische Systematik der mündlichen Lehre als erster in die logische Systematik des geschriebenen Wortes umbaute. Der Mischneh Tora des Maimonides ist das erste halachische „Buch” in der Geschichte der „Lehre”." | |
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}, | |
"IV The history of Talmudic development": { | |
"": [ | |
"<b>Die Entwicklungsgeschichte Des Talmuds</b>", | |
"Die uns vorliegende mündliche Lehre wird eingeteilt in Midrasch — Deutung (der Bibel), Mischna — Wiederholung der Lehre und G’mara — Vollendung bzw. Erklärung (der Mischna).", | |
"Der Midrasch geht immer von der Bibel aus, stets wird in ihm ein Wort, ein Satz oder eine Vorschrift usw. der Bibel gedeutet. Die Mischna ist die Wiederholung der Tora, in der Form, daß sie lehrt, wie die Gesetze der Tora zu verwirklichen sind. Die G’mara schließt sich immer an die Mischna an; sie erklärt und zeigt ihre Anwendungsmöglichkeiten. Die Erklärung ist unerläßlich, weil die Mischna in der Form eines Gesetzeskodexes im allgemeinen nur die Vorschriften enthält ohne ihre Begründung. Wie Midrasch erklärende Deutung der Bibel ist, so ist G’mara Erklärung und Deutung der Mischna.", | |
"Der abschließende Redakteur der sechs Ordnungen der Mischna war Rabbi J’huda Hanassi (um 200 n.). Er hat die gesamte mündliche Lehre seiner Zeit gesichtet, zweifelhafte Überlieferungen, Wiederholungen und ausführliche Erklärungen ausgeschieden und auf diese Weise den in der Mischna zusammengefaßten Traditionen größte Autorität verschafft. Allerdings wurde auch das Ausgeschiedene aufbewahrt in Form der „Boreita” — das „Draußengebliebene” (zerstreut im Talmud) und in der Sammlung „Tosefta” oder „Hinzufügungen”.", | |
"Während es nur eine Mischna gab, die in Palästina entstanden war, hat sich die G’mara in zwei Hauptströmen entfaltet — in Palästina und in Babylon. In Palästina wurde sie bereits um 300 n. abgeschlossen, dagegen entwickelte sie sich in Babylonien weiter und wurde erst im Jahre 500 nach einer gründlichen Redaktion für beendet erklärt. Die Mischna gemeinsam mit der in Palästina entstandenen G’mara wird der jerusalemitische Talmud genannt, während die gleichen Mischnaordnungen und der dazugehörige babylonische Zweig der G’mara den babylonischen Talmud bilden.", | |
"Es ist klar, daß mit diesen allgemein üblichen Angaben, die beliebig vermehrt werden können, eine Entwicklungsgeschichte des Talmuds noch nicht einmal angedeutet ist. Am klarsten wird man dies am Beispiel des Midraschs erkennen. Wir verfügen zwar über eine Anzahl von Midraschsammlungen, die zum Teil sogar bestimmten Autoren zugeschrieben werden; über das Alter des Midraschs selbst läßt sich schwer etwas Genaues aussagen. Nach Ansicht maßgebender Gelehrten ist der Midrasch in seinem Ursprung älter als die Mischna Aber, wann begann er? Eine Jahreszahl wird wohl nie zu nennen sein. Und wann ist er abgeschlossen worden? Niemals. Der Midrasch ist eine Methode und kann nicht eine geschichtliche Epoche der mündlichen Lehre bezeichnen. Jeder, der nach midraschischen Regeln die Bibel liest, vermehrt den midraschischen Stoff. Wir finden in der Mischna und in der G’mara Midrasch. Und selbst die homiletischen Auslegungen von Bibelstellen durch den jüngsten Rabbiner dürfen sich oft mit vollem Recht Midrasch nennen. Es gibt da keine Wesensverschiedenheit, sondern nur einen Autoritätsunterschied.", | |
"Ganz ähnlich verhält es sich mit Mischna und G’mara. Wenn es uns auch bekannt ist, daß Rabbi J’huda Hanassi die Mischna abschloß, so ist es ebenso sicher, daß er nicht mehr als irgendein anderer von seinen zeitgenössischen Kollegen als der Verfasser der Mischna bezeichnet werden kann. Er hat das vorhandene Material als letzter redigiert; die Mischna ist aber viel älter als ihr letzter Redakteur. Es ist ebenfalls mit Sicherheit anzunehmen, daß auch die Einteilung in die sechs Ordnungen nicht von Rabbi J’huda Hanassi stammt.", | |
"Der Talmud spricht verschiedentlich von einer Mischna des Rabbi Akiba (um 130) im Gegensatz zu einer „Mischna Rischonah” (erste Mischna). Wie alt ist diese „Erste Mischna”? Sicherlich hat es eine Ur-Mischna gegeben, die bedeutend älter war als z. B. die Gelehrten Hillel und Schammai (um 10 v.). Die Streitigkeiten unter den Mischna-Lehrern (Tanaim, Einzahl: Tanna) sind in ihrem Wesen nichts anderes als Meinungsverschiedenheiten über die Erklärung und Anwendung einer Mischna, die selbst schon so alt war, daß sie bereits einer Erklärung bedurfte. So sind selbst die ältesten Mischna-Lehrer nicht Autoren, sondern Interpreten einer Ur-Mischna.", | |
"Damit wird aber auch die Frage nach dem geschichtlichen Anfang der G’mara aufgeworfen. Sie kann nicht mit dem Abschluß der Mischna durch Rabbi J’huda Hanassi begonnen haben. Da G’mara in ihrem Wesen Erklärung und Erforschung der Anwendungsmöglichkeiten einer Mischna ist, so ist die Interpretation der Ur-Mischna durch die „Mischna-Lehrer” selbst schon G’mara. Das Mischna-Werk, wie es von Rabbi J’huda Hanassi auf uns überliefert wurde, besteht streng genommen aus einer Ur-Mischna und einer sie erklärenden G’mara. Schon in der „Mischna” ist G’mara enthalten. So ergibt sich also: der Midrasch ist älter als die midraschischen Sammlungen, die Mischna ist, älter als die Lehrer der Mischna und die „G’mara” — als Methode — älter als die G’mara.", | |
"Aus all dem folgt aber auch: ebenso problematisch wie die verschiedenen „Anfänge” sind auch die „Abschlüsse”. Der Midrasch als eine Methode kann immer wieder von neuem — auch in unserer Zeit — angewandt werden. Die Mischna des Rabbi J’huda Hanassi enthält bereits G’mara sie ist also „verspätet” abgeschlossen worden. Und da ferner G’mara Erklärung im weitesten Sinne des Wortes ist, kann man kaum begreifen, inwiefern ihr Abschluß im Jahre 500 organisch sich vollzog. Jede Erklärung der Mischna, sofern sie logisch richtig ist und der Lehre nicht widerspricht, ist, unabhängig davon, welcher Zeit sie entstammt, in ihrem Wesen G’mara." | |
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"1 The development of the Teachings": [ | |
"<b>1. Die Entfaltung der Lehre</b>", | |
"Wir können im Rahmen dieser Arbeit und bedingt durch den augenblicklichen Stand der wissenschaftlichen Talmudforschung nur die große Linie der Entwicklung und der sie bewegenden Kräfte andeuten.", | |
"Daß die Geschichte der mündlichen Lehre mit dem Bibellesen begann, darüber besteht für uns kein Zweifel (s. Abschnitt I, 1, 2). Schon das richtige Lesen ist mündliche Lehre, denn es setzt bereits die Erklärung des Textes voraus. Keine schriftliche Lehre ist ohne eine mündliche denkbar. Das geschriebene Wort ist starr und tot, es kann nur durch das gesprochene belebt werden. Das geschriebene Wort ist immer nur ein „Zeichen”; es bedarf einer „Deutung”. Das gesprochene Wort ist die äußere „Gestalt” eines Gedankens, es braucht nur „geschaut” zu werden. Die mündliche Lehre ist der Schlüssel zur schriftlichen. Die Notwendigkeit zu diesem Schlüssel lag ferner im Gesetzescharakter der Lehre begründet. Das Gesetz kann immer nur sagen, <i>was</i> gelten soll, nicht aber, <i>wie</i> es gelten soll. Die Ausführung des Gesetzes ist ein wesentlicher Teil der mündlichen Lehre (s. Abschnitt I, 2).", | |
"Da die Tora gelehrt und verwirklicht werden wollte, bedurfte sie stets der „mündlichen” Ergänzung. Als Moses zum erstenmal Bibel las und Bibel lehrte, fing die Geschichte der mündlichen Lehre an. Deshalb sagen die Weisen: „Moses empfing die Tora am Sinai und überlieferte sie …” Die Überlieferung des Textes von Meister auf Schüler ist die Lehre seines richtigen Lesens, Kommentar im weitesten Sinn des Wortes. Die „Überlieferung” ist „mündliche Lehre”. So wurde der Talmud ursprünglich genannt: „Massoret mehaawot — Überlieferung von den Vätern”. Was aber die Väter überliefern, ist für die Kinder „Kabbala — das Empfangene”. (Nicht zu verwechseln mit der späteren Bedeutung dieses Wortes, die im allgemeinen die jüdische Mystik bezeichnet.)", | |
"Wenn auch eine Überlieferung im Laufe der Generationen gewisse Erweiterungen und Umwandlungen erfährt, in ihrem Wesen geht sie immer auf den ersten Überlieferer zurück. Im Falle der mündlichen Lehre und in der Sprache des Talmuds also — auf Moses. Die „Überlieferung” hat immer nur einen Autor, und da dieser nicht genannt zu werden braucht (er ist ja bekannt), ist sie anonym. Der Kern des Talmuds, der anonyme Überlieferung ist, kann als Ur-Talmud bezeichnet werden und ist heute noch aus dem Gesamt-Talmud im weitesten Umfang herauszusondern.", | |
"Im Ur-Talmud gibt es keine Meinungsverschiedenheiten, keinen Streit der Gelehrten, sondern nur einheitliche Tradition. Eine Meinungsverschiedenheit über die „Tradition” konnte zunächst nicht auftauchen. Der Ur-Talmud wurde nicht allein in den Lehrhäusern überliefert, sondern, da Tora verwirklicht werden sollte, im alltäglichen Leben des Volkes. In allen Zweifelsfällen konnte also zunächst die Praxis der Gesetzesverwirklichung über die richtige Tradition befragt werden. Mit anderen Worten: die Tradition war in ihren Anfängen eindeutig und klar, da sie von einer gleichbleibenden Praxis begleitet wurde.", | |
"Wie der Ur-Talmud zeitlich abzugrenzen ist, kann man heute nicht mehr feststellen. Eine Entwicklung ist an ihm nicht abzulesen, alles in ihm ist gleichaltrig. In der „Tradition” liegt in der Tat kein Moment der Entwicklung, sie wird nicht, sie ist da.", | |
"Wodurch gerät aber die zunächst in sich ruhende Tradition in Bewegung? Wie kommt es zu einer Entwicklung der Lehre? Durch zwei Tatsachen: Durch die ewige Wandlung des Lebens und durch die großen Katastrophen der jüdischen Geschichte. Die Wandlung des Lebens schafft neue Lebensverhältnisse; neue Fragen werden gestellt, auf die es keine „überlieferten” Antworten gibt. Die erste Schicht der „Überlieferung” umfaßt nur die Lebensverhältnisse, auf welche die Bibel selbst ausdrücklich Bezug nimmt. Die Antworten und Entscheidungen in einer gewandelten Zeit müssen aus der Gesamtheit der vorhandenen Lehre, aus Bibel und Ur-Mischna, erschlossen werden. Die „Lehre” weitet sich.", | |
"Eine ähnliche Erweiterung der Lehre kann auch durch große nationale Katastrophen bedingt sein, durch welche eine zunächst gleichbleibende und eindeutige Tradition an einer bestimmten Stelle abreißt. Durch Kriege, Hungersnot, Verbannung, durch die Zertrümmerung der normalen Lebensbasis der Nation zerbricht die Kontinuität der Gesetzesverwirklichung und der Lehr-Überlieferung. Durch solche Risse in der Kette der Überlieferung von Lehrer auf Schüler, Vater auf Sohn vergißt das Volk. Die Tradition büßt in vielen Punkten ihre Eindeutigkeit ein. Eine Befragung der geltenden Gesetzespraxis ist nicht möglich, da diese im allgemeinen Chaos selbst erschüttert wurde und zum Teil verloren ging. Das Vergessene muß also aus der noch vorhandenen Lehre rekonstruiert werden.", | |
"In beiden Fällen — sei es, daß durch die Wandlung der Lebensgrundlagen der Nation die Tradition sich verengt, sei es, daß durch ihre Zertrümmerung die Tradition abreißt — steht man vor der gleichen Aufgabe: das Unbekannte (bzw. Vergessene) aus dem Bekannten (bzw. Nichtvergessenen) zu erschließen. Diese Aufgabe kann nur das logisch-wissenschaftliche Denken erfüllen. So gesellt sich zu der Kabbala, der „überlieferten” mündlichen Lehre, als zweite tragende Kraft die S’wara (Meinung, der „gesunde Menschenverstand”), die „erschlossene” mündliche Lehre. Mit dem Eindringen der S’wara in den Bereich der Lehre beginnt die Entwicklungsgeschichte der Lehre. Darin liegt auch Ursprung der „Meinungsverschiedenheiten”. Über das gleiche Thema können viele Menschen viele „Meinungen” haben. Allerdings kann in diesem Zusammenhang kaum von einer Entwicklung im üblichen Sinn des Wortes die Rede sein. Die S’wara darf einer Kabbala nicht widersprechen (s. Abschnitt II, 3). Es darf keinen Gegensatz zwischen der überlieferten und der erschlossenen Lehre geben. Das Erschlossene ist im Überlieferten enthalten. Die S’wara hebt die Kabbala nicht auf, sie kann sie nur ergänzen. Die Lehre entfaltet sich. Die vorwärtstreibende Kraft dieser Entfaltung ist die S’wara. Sobald die Kabbala den Anforderungen des ewig wandelbaren Lebens nicht mehr genügte, machte sich die S’wara ans Werk, um das Grundsätzliche in der Lehre zu erfassen und es so in allen Lebenssituationen anwenden zu können. Das Postulat der Ewigkeit der Lehre widerspricht dem Begriff einer Entwicklung. Es ist aber gleichgültig, ob man dieses Postulat als Außenstehender anerkennt oder nicht. Es war eine Voraussetzung der mündlichen Lehre, deren Methode und Wesen von diesem Postulat bestimmt wurde. Unter der Voraussetzung der ewigen Gültigkeit der Lehre mußte jede S’wara, die einer Tradition widersprach, einen logischen Fehler enthalten; denn Aufgabe der S’wara war es nur, mit logischer Notwendigkeit die Konsequenzen der Lehre zu erschließen.", | |
"Die Kabbala als die eindeutig überlieferte Absicht des Gesetzgebers ergänzt die Bibel autoritativ, sie gilt und kann nicht widerlegt werden, ihre einzige Begründung ist die Tradition. So ist es, weil es so überliefert worden ist. Die S’wara dagegen entfaltet den gesamten immanenten Gehalt der Bibel mit logischer Notwendigkeit. Sie gilt nur, wenn sie nicht zu widerlegen ist, und kann zum Gesetz werden, wenn sie logisch zwingend ist. Sie kann daher nicht nur behaupten wie die Kabbala, sie muß beweisen. „So ist es” — genügt da nicht, es muß auch gesagt werden — „warum”. Daher die häufige Wendung im Talmud: „Ist es eine Kabbala, so wollen wir es akzeptieren; ist es aber eine S’wara, so gibt es Erwiderung darauf.”", | |
"Die sich an die Bibel auch zeitlich unmittelbar anschließende Kabbala, die eindeutige und klare autoritative Überlieferung ist als die Urform der Mischna zu betrachten; sie ist die Ur-Mischna, wobei es für das Wesen dieser Identität belanglos ist, wann die Bezeichnung „Mischna” zum erstenmal auftauchte. Die S’wara, die in einer späteren Zeit die Aufgabe hatte, die Lehre zu entfalten, verfügte über die beiden Quellen: Tora und Ur-Mischna. Indem sie diese Aufgabe erfüllend die erklärende Deutung der Tora begann, entstand der Midrasch, und sofern die S’wara der gleichen Aufgabe sich zuwendend von der Ur-Mischna ausging, ist die G’mara geworden. Da Midrasch und G’mara gleichen Ursprungs (der S’wara) sind, so ist es klar, daß sie sich nicht „wesentlich” voneinander unterscheiden. Der Midrasch erklärt und deutet — die Bibel; auch die G’mara erklärt und deutet — die Ur-Mischna. Der Unterschied zwischen ihnen ist stilistischer Art entsprechend der Stilverschiedenheit zwischen Bibel und Ur-Mischna.", | |
"Allerdings läßt sich über das Alter der angewandten S’wara, des Midraschs und der G’mara nichts Genaues aussagen. Da die Notwendigkeit für das Eindringen der S’wara in die Lehre durch die stetige Wandlung der Lebensverhältnisse der Nation bedingt war, so kann man auch hier — wie überall bei organisch bedingten Entwicklungslinien — einen „Anfang” nicht ausfindig machen. Nur rückblickend läßt es sich feststellen: es ist geworden. Aber auf Grund des Zusammenhanges, der zwischen angewandter S’wara und der Wandlung der Lebensgrundlagen (durch Entwicklung oder Katastrophen) besteht, kann das Entfaltungsgesetz aufgestellt werden: Die wichtigsten Wendepunkte der jüdischen Geschichte müssen auch Wendepunkte in der Geschichte der mündlichen Lehre sein. Den Epochen in der politischen Geschichte des Judentums, die z. B. gekennzeichnet sind durch die Stichwörter: 1. Vernichtung des ersten Tempels und Rückkehr aus Babylon; 2. die Makkabäer und die Entartung der Hasmonäer-Dynastie; 3. die Vernichtung des zweiten Tempels; 4. der Barkochba-Aufstand und die darauf folgenden Verfolgungen, entsprechen in der Geistesgeschichte die Namen: 1. Esra; 2. Hillel; 3. Rabbi Jochanan ben Sakkai; 4. Rabbi Akiba und die Generation seiner Schüler (Rabbi Meir usw.) bis Rabbi J’huda Hanassi. Das babylonische Exil und die schweren Pharisäer-Verfolgungen in der Zeit der allmählichen Entartung der Hasmonäer-Dynastie waren vor allem große Vergessensperioden. Esra bzw. Hillel haben in der Hauptsache die Lehre rekonstruiert.", | |
"Als dann nach der Zerstörung des jüdischen Staates durch Rom (70 n.) die eigentliche Diaspora begann, das Leben ohne Heimat und Tempel, war es Rabbi Jochanan ben Sakkai, der die ewige Lehre auf die völlig neuen Lebensverhältnisse anwandte; nicht die Lehre den Verhältnissen anpassend, wie es oft dargestellt wird, sondern, indem er die Konsequenzen aus der Lehre zog, das Leben selbst gestaltend. — Von ganz anderer Bedeutung war die Epoche, die mit Rabbi Akiba (um 100 n.) begann und mit Rabbi J’huda Hanassi (um 200 n.) abschloß. Auch die großen Meister dieser Epoche haben natürlich an der weiteren Entfaltung der Lehre mitgewirkt; aber ihre geschichtliche Aufgabe bestand in etwas anderem. Seit den grausamen Judenverfolgungen Trajans, die auch den verzweifelten und heldenhaften Krieg der Juden gegen Rom unter der Führung Barkochbas auslösten, befand sich das jüdische Zentrum in Palästina in permanenter Zersetzung. Die Gefahr des Vergessens war so groß wie nie zuvor. Daneben war auch die Auflösung jeder Lehrautorität zu befürchten, die bis dahin sich durch die nur selten unterbrochene und bald wieder geknüpfte Kette der lebendigen Überlieferung legitimieren konnte. Zweierlei mußte also geschehen: ", | |
"die Sammlung der mündlichen Lehre, ihre Abgrenzung und Ordnung nach einem einheitlichen System (früher gab es Ordnungen, jeder Meister lehrte nach eigener Methode), das sich in allen Schulen durchsetzen sollte, um auf diese Weise durch die einheitliche Lernmethode die Gefahr des Vergessens zu bannen. (Ob schon in dieser Epoche das Niederschriftverbot durchbrochen wurde, bildet es noch heute einen Streit der Gelehrten.) ", | |
"Dann aber mußte die gefährdete Lehrautorität gesichert werden. Dies geschah, indem man mit der ordnenden Sammlung der Lehre gleichzeitig eine strenge kritische Sichtung und Prüfung vornahm; so wurde Spreu vom Weizen geschieden. Die persönliche Lehrautorität der Meister wurde damit auf die Lehre selbst verlagert — sie wurde so zur objektiven Autorität der Lehre. Die Sammlung, endgültig redigiert durch Rabbi J’huda Hanassi und allgemein Mischna genannt, bildet keine entwicklungsgeschichtlich gewordene Lehr-Einheit — sie besteht ja aus der überlieferten Ur-Mischna und der auf sie bezüglichen Ur-G’mara der Mischnalehrer” beginnend spätestens mit Hillel und Schammai — sie ist eine Autoritäts-Einheit. Der Abschluß der Mischna ist kein entwicklungsgeschichtlicher Grenzpunkt, sondern eine mit bestimmter Zielsetzung erstrebte Autoritäts-Zäsur. Nach Abschluß der Mischna durfte es keinen Widerspruch zwischen ihr und der späteren Lehrentfaltung mehr geben. Dadurch erhielt allerdings die Gesamt-Mischna die Bedeutung einer Kabbala. Für die kommenden Geschlechter war etwa die Meinungsverschiedenheit zwischen Hillel und Schammai über die Erklärung einer Ur-Mischna ebenso autoritative Überlieferung, die eine Entscheidung „entweder — oder” erforderte und eine dritte Erklärungsmöglichkeit von vornherein als nicht autoritativ ausschaltete, wie für diese einst die Ur-Mischna selbst.", | |
"Darin besteht das von uns einleitend aufgestellte Problem der „Abschlüsse”. Organisch gewordene Abschlüsse gibt es in der Lehre überhaupt nicht. Im Wesen der Ewigkeit der Lehre liegt die Möglichkeit zu ihrer ewigen Entfaltung begründet, ebenso wie die ewige Wandelbarkeit des Lebens die Notwendigkeit dazu bestimmt. Und auch die Ansicht des jüngsten zeitgenössischen Talmudisten ist, sofern sie durch die Gesamtheit der Lehre bestätigt wird, ebenso als Talmud zu betrachten wie etwa die Meinung der ältesten Tradenten der Überlieferung. Die Ver-schiedenheit beruht nur auf dem Autoritätsunterschied. Auch nach dem „Abschluß” der Mischna um 200 entfaltet sich in der eigentlichen G’mara — in Babylon und in Palästina — die Lehre in der gleichen Weise weiter wie es im Zeitalter der Mischna-Lehrer und schon früher der Fall war. Ebenso wie einst die Tanaim die Ur-Mischna erklärten und ihre Anwendungsmöglichkeiten erforschten, so erklären und erforschen in den Jahrhunderten von 200 bis 300 in Palästina und von 200 bis 500 in Babylon die Meister, die sich jetzt allerdings Amoräer, d. i. Sprecher — Interpreten nennen, die durch die S’wara ihrer Vorgänger erweiterte Ur-Mischna. Das Verhältnis zwischen Mischna-Lehrer und Ur-Mischna ist das gleiche wie zwischen Amoräer und Mischna. Und auch der „Abschluß” der G’mara (durch Raw Aschi in Babylon) ist ebenso wie der der Mischna kein Endpunkt einer organischen Entwicklung, sondern eine durch die anormalen Lebensverhältnisse der Nation bedingte Autoritätszäsur. Wie in der Mischna die S’wara der Mischna-Lehrer so wurde in der G’mara die der Mischna-Interpreten für die kommenden Geschlechter zu Kabbala, und die aus ihr sich ergebende Halacha bestimmte autoritativ die weitere Entfaltung der Lehre.", | |
"Wir unterscheiden also verschiedene Schichten der Tradition: die Bibel und die eigentliche Überlieferung oder Ur-Mischna; die zu Kabbala gewordene S’wara der Mischna-Lehrer oder die erweiterte Ur-Mischna, genannt Mischna; und ferner die zur Kabbala gewordene S’wara der Amoräer oder die eigentliche G’mara. Dabei gilt das Gesetz: zunehmende zeitliche Entfernung von der ursprünglichen Überlieferungsepoche der Tora und der Ur-Mischna bedeutet Verminderung des Autoritätsgrades. Warum? — Weil es sich nicht um die Entwicklung eines Neuen handelt, sondern um die Entfaltung eines Alten, Ewigen, der Tora. Je näher man den Quellen der Lehre lebt, um so sicherer wird die S’wara bei der Entfaltung der Lehre die Absicht des Gesetzgebers treffen. Deshalb dürfen die Mischnah-Lehrer nicht im Widerspruch stehen zur Ur-Mischna, die Amoräer nicht zu den T’naim und die Generationen nach dem Abschluß der G’mara nicht zu den Amoräern.", | |
"So könnte man die Traditions- und Autoritätsreihe weiter fortsetzen bis in unsere Zeit; denn ewig ist die Lehre, ewig strömt sie durch die Jahrtausende, das Volk auf allen seinen Wegen durch alle Länder seiner tragischen Schicksale begleitend. Sie kann nicht abgeschlossen werden und beendet wird sie erst, wenn das Leben selbst beendet ist. Die „Abschlüsse” Mischna, G’mara, Maimonides, Schulchan Aruch usw. bedeuten nur die durch das geschichtliche Terrain bedingte Regulierung dieses mächtigen Stromes, auf daß er sich — trotz der Anomalie der jüdischen Geschichte — ausrichte nach den Urquellen seines Anfanges." | |
], | |
"2 The Commentaries": [ | |
"<b>2. Kommentare</b>", | |
"Der Autoritätsanspruch, der einzelnen Epochen in verschiedenen Grade zukommt, bringt es mit sich, daß der jüdische Gelehrte aller Zeiten vor die gleiche Aufgabe gestellt ist: die autoritative Überlieferung zu kommentieren. So kann die Entwicklungsgeschichte der mündlichen Lehre als eine Geschichte von Kommentaren bezeichnet werden. Die Ur-Mischna kommentiert die Bibel, die Mischna der Tanaim ist ein Kommentar zur Ur-Mischna, so wie G’mara selbst die Mischna erklärt usw In diesem steten Kommentieren aller Geschlechter, das letzten Endes nichts anderes sein will als Erklärung der Bibel, entfaltet sich die Lehre. Dies wird durch zwei Momente ermöglicht: erstens dadurch, daß jede Generation von einer anderen Lebensbasis aus kommentiert; und dann durch die tatsächliche unergründliche Tiefe der Lehre. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Momente ergibt sich dann, daß jede Generation ein neues Wort der Lehre vernehmen kann, welches aber trotzdem das uralte ewige Wort ist.", | |
"Die volle Bedeutung der Lehre kann nur schichtweise gehoben werden. Jedem Geschlecht entspricht eine besondere Schicht, die vorher nicht freigelegt werden kann, weil sie nur aus einer ganz bestimmten Lebenssituation aus betrachtet überhaupt sichtbar ist. Der ewig veränderliche Zeitgeist macht den Menschen immer wieder auf neue Zusammenhänge aufmerksam, und die ebenfalls ewig wandelbare Lebensbasis des Menschen schafft immer wieder neue Beobachtungswinkel, wodurch immer wieder neue Tiefen der Lehre sichtbar werden. — Schon der einzelne Mensch kann es oft erfahren, wie Worte der Bibel, die ihm aus frühester Kindheit bekannt waren, in einem bestimmten Augenblick für ihn sich erneuern, an Bedeutung reicher werden. Eine neue Bedeutungsschicht wird so offenbar, aber nur deshalb, weil dieser Mensch durch zunehmende Reifung seines Lebens oder durch ein starkes Erlebnis sich gewandelt hat und nunmehr aus einer anderen Perspektive die Lehre liest. Dabei wird er stets das Empfinden haben: das Neue ist in Wirklichkeit nichts Neues, sondern der einzig richtige Sinn des uralten Wortes. Dieses Empfinden ist das alleinige Kriterium dafür, daß das Neue tatsächlich nichts anderes ist als eine von Urbeginn an im ewigen Wort der Lehre enthaltene Bedeutungsschicht. Alles Kommentieren kann nur dann die Entfaltung der Lehre weiter führen, wenn der Kommentator davon die Überzeugung haben kann: alles dies ist Moses am Sinai überliefert worden. Entscheidend ist dabei allein, daß Gott in dem „Wort” auch diese besondere Bedeutungsschicht geoffenbart hatte. Daß sie für uns erst in einer bestimmten Zahl faßbar geworden ist, ändert nichts an ihrem Offenbarungscharakter.", | |
"„Wende sie und wende sie; denn alles ist in ihr enthalten”, ist die Bedeutung dieses ununterbrochenen Kommentierens. Jeder Kommentar soll eine neue „Wendung” sein, wodurch neue „Gehalte” der Lehre sichtbar werden. Gott hat „alles” in die Lehre hineingetan, an uns liegt es, alles wieder aus ihr herauszuheben; deshalb ist das Kommentieren eine schöpferische Leistung, die für uns immer wieder neue Wahrheiten entdeckt.", | |
"Wenn also seit Abschluß des Talmuds die Tätigkeit der Talmudgelehrten im Kommentieren sich erschöpft, so hat damit nichts wesentlich Neues eingesetzt. Durch die Autoritätszäsur um 500 wurde die „Tradition” erweitert, das zu kommentierende Material bereichert; das Wesen des Kommentierens aber blieb das gleiche. Wie stets in der Geschichte der Lehre, geh es auch seit dem Abschluß des Talmuds um die gleichen Fragen: Was meint der Text? Was fordert die Lehre? — Und wie stets in der Geschichte der Lehre werden auch seit 500 jeweils neue Momente und Zusammenhänge sichtbar, wenn diese Fragen von neuem gestellt werden, aus einer neuen noch nicht dagewesenen menschlichen Existenz heraus. Deshalb bedeutet das Kommentieren auch noch in unseren Tagen die schöpferische Entfaltung der Lehre.", | |
"Auf die Frage nach dem Sinn des Textes geben die eigentlichen direkt auf den Text bezüglichen Kommentare die Antwort, z. B. die Erklärung des R. Salomo Jizchaki, abgekürzt Raschi, des bedeutendsten Talmudkommentators und Übersetzers aller Zeiten, ohne dessen Werk man den Talmud seit Jahrhunderten nicht mehr lesen kann. Raschis Kommentar wurde ergänzt durch die „Hinzufügungen” (Tossafot), die vor allem von seinen Schülern stammen. Die stets aktuellen Forderungen der Lehre dagegen versuchen zu klären ", | |
"1. die ausgedehnte Responsenliteratur, die zur ältesten nachtalmudischen Literaturgattung der mündlichen Lehre gehört, in der vor allem die ewig wiederkehrenden „neuen Fälle” behandelt werden und die von Generation zu Generation umfangreicher wird, so daß sie heute kaum noch zu übersehen ist, ", | |
"2. die Werke, die das halachische (also normative) Fazit aus Talmud und Responsenliteratur zusammenfassen, wie z. B. „Rif” von R. Jizchak Alfasi, das Mischne-Tora des Maimonides, Schulchan Aruch von R. Josef Karo.", | |
"Der Prozeß des „Kommentierens” ist nie beendet. Die Fragen nach dem Sinn des Textes und der Verpflichtung durch die Lehre im „Jetzt” werden immer von neuem gestellt, weil das Jetzt immer ein Neues ist, und die Antworten müssen immer wieder von neuem gegeben werden. So führen sie auch zu neuen Autoritätszäsuren. Zwischen zwei Zäsuren, die je eine Epoche umfassen, wird „diskutiert”; zwischen zwei Epochen, die durch je eine Zäsur voneinander geschieden werden, schlägt die Diskussion in den „Kommentar” um. So reiht sich Kommentar an Kommentar; alles aber legt sich um den gleichen ewigen Kern — die Tora. So wird Offenbarung durch das „Kommentieren” in der Zeit für uns „offenbar”." | |
], | |
"3 Authorities for the development of the Teachings": [ | |
"<b>3. Belege zur Entfaltung der Lehre</b>", | |
"<b>a) Midrasch</b>", | |
"„Wenn du meinem Volk, dem Armen neben dir, Geld leihst, sei nicht gegen ihn wie ein Schuldherr; legt ihm keinen Zins auf.”", | |
"Dazu der halachische Midrasch M’chilta (Exodus 22, 24, Kapitel 19):", | |
"„Wenn du meinem Volk Geld leihst”, R. Jischmael sagt: Jedes „Wenn” in der Tora (bedeutet) Freiwilligkeit außer diesem …, so sage hier: „Wenn du … Geld leihst” (bedeutet) Pflicht (du sollst Geld leihen dem Armen). Du sagst: Pflicht, vielleicht nicht so, sondern: Freiwilligkeit? — Wenn es heißt (Deut. 15, 8): „Du sollst ihm leihen”, dann ist daraus zu ersehen für unsere Stelle: Pflicht und nicht Freiwilligkeit.", | |
"Dagegen der aggadische Midrasch rabba (Kapitel 31):", | |
"„Wenn du meinem Volke Geld leihest.” In Verbindung mit Kohelet (5, 12): „Es ist ein böses Übel, das ich unter der Sonne sah: Reichtum, aufbewahrt von seinem Besitzer zu seinem Unglück; es geht unter solcher Reichtum durch bösen Unfall.” Heil dem Menschen, der in seiner Versuchung besteht, es gibt kein Geschöpf, welches Gott nicht versucht. Er versucht den Armen, ob er die Leiden ohne Murren auf sich zu nehmen vermag; den Reichen, wie es heißt: „Verfolgte Elende führe in dein Haus.” Besteht der Reiche in seiner Versuchung und ist wohltätig, siehe, so genießt er sein Geld in dieser Welt, und der Stamm verbleibt ihm in jener Welt, und der Ewige errettet ihn von dem Strafgericht der Hölle, wie es heißt (Ps. 41, 2): „Heil dem, der sich des Elenden annimmt! Am Tage des Unglücks rettet ihn der Ewige.” Besteht der Arme in seiner Versuchung und zeigt sich nicht widerspenstig, so empfängt er das Doppelte in jener Welt, wie es heißt (Ps. 18, 28): „Denn dem armen Volke hilfst du.” Von wem kannst du das lernen? Von Ijob, welcher in dieser Welt leiden mußte, aber Gott hat es ihm doppelt vergolten, wie es heißt (Ijob 42,10): „Und der Ewige vermehrte alles, was Ijob hatte, um das Doppelte.” Aber der Reiche, der ein böses Auge hat — er und sein Geld schwinden aus dieser Welt, wie es heißt (Koh. 5, 13): „Denn es geht unter der Reichtum durch bösen Zufall”, weil er ein böses Auge gegen die Almoseneinnehmer hatte …", | |
"<b>b) Mischna</b>", | |
"Mischna. (Ur-Mischna.) Jeder ist zum Erscheinen (im Tempel zu Jerusalem an den drei Wallfahrtsfesten des Jahres) verpflichtet, ausgenommen ein Tauber, ein Blöder, ein Minderjähriger … („G’mara” in der Mischna:) Wer ist ein Minderjähriger (diesbezüglich)? Jedes (Kind), das auf seines Vaters Schulter reitend nicht von Jerusalem auf den Tempelberg hinauf kann — so die Schule Schammajs; die Schule Hillels sagt, das nicht seines Vaters Hand halten und von Jerusalem auf den Tempelberg hinauf kann … (Die Schule Hillels und Schammajs, die erste Generation der Mischna-Lehrer, erklärt in der Art der G’mara in der Mischna einen Begriff der Ur-Mischna.) (Chagiga 1, 1)", | |
"Mischna. (Ur-Mischna.) Niemand unterlasse die Fortpflanzung, es sei denn, daß er Kinder hat; („G’mara” in der Mischna zu: „daß er Kinder hat”:) Die Schule Schammaj sagt, zwei männliche, und die Schule Hillels sagt, ein männliches und ein weibliches, denn es heißt (Gen. 5, 2): „Mann und Weib hat er sie erschaffen.” (Jewamot 6, 6)", | |
"Mischna. (Bei der Darlegung der „Ordnung” des Vortrags der Haggada am Peßach heißt es, man sage in bestimmtem Zusammenhang die Worte:) … lasset uns vor ihm sprechen: „Preiset Gott” (Beginn des Lobliedes aus den Psalmen 113—118; dazu die „G’mara” in der Mischna:) Wie weit lese man? Die Schule Schammajs sagt, bis „Die Mutter der Kinder frohlocket” (Schluß des 113. Psalms); die Schule Hillels sagt, bis „Den Kiesel in einen Wasserquell” (Schluß von Psalm 114). (Dann weiter die Ur-Mischna:) Und man schließe mit der Erlösung. (Daran anknüpfend „G’mara”:) R. Tarphon sagt: „Der uns und unsere Vorfahren aus Mizrajim erlöst hat”, ohne weitere Schlußformel (die sonst bei Segenssprüchen üblich ist). R. Akiba sagt: „So möge der Herr, unser Gott und der Gott unserer Vorfahren, uns andere Feiertage und Feste, die uns entgegenkommen, in Frieden erreichen lassen; erfreut über den Bau deiner Stadt, jubelnd in deinem Dienste …” bis: „Gepriesen seist du, o Herr, der du Jisrael erlöst hast”. (P’ssachim 10, 5)", | |
"<b>c) G’mara</b>", | |
"a) Wörtliche Übersetzung:", | |
"Mischna. Waren an ihr Fehler und sie noch im Hause ihres Vaters der Vater braucht Beweis zu erbringen daß sie sich verlobte diese Fehler an ihr waren und sein Feld überschwemmt worden ist ist sie hineingegangen in den Bereich des Ehemannes der Ehemann braucht Beweis zu erbringen daß diese Fehler an ihr waren bevor sie sich verlobte und sein Kauf war ein irrtümlicher Kauf die Worte R. Meirs und die Weisen sagen wobei sind Worte gesagt worden bei Fehlern die im Verborgenen aber bei Fehlern im Offenbaren kann er nicht einwenden und wenn es ein Badehaus in jeder Stadt gibt kann er auch bei Fehlern die im Verborgenen nichts einwenden weil er sie durch seine Verwandte untersuchen läßt.", | |
"G’mara. Grund ist weil der Vater den Beweis erbringt erbringt der Vater den Beweis nicht ist der Ehemann beglaubt wer R. J’hoschua ist dies der gesagt hat nicht von ihrem Munde leben wir sag’ den Schluß ist sie hineingegangen in den Bereich des Ehemannes der Ehemann braucht den Beweis zu erbringen Grund ist weil der Ehemann den Beweis erbringt erbringt der Ehemann den Beweis nicht ist der Vater beglaubt kommt dies nach R. Gamliel der gesagt hat sie ist beglaubt sagte R. Eleasar zerbrich wer dies lehrte lehrte dies nicht … Raba sagte Anfang da wurden sie gefunden und da waren sie fragte ihn Abajje ist sie hineingegangen in den Bereich des Ehemannes der Ehemann braucht Beweis zu erbringen daß diese Fehler an ihr waren bevor sie sich verlobte und sein Kauf war ein irrtümlicher Kauf bevor sie sich verlobte ja nachdem sie sich verlobte nein und warum man sage da wurden sie gefunden und da waren sie weil man sagen kann es ist feststehend man trinkt aus einem Becher nur wenn man ihn untersucht hat und dieser sah und war einverstanden …", | |
"b) erklärende Übersetzung:", | |
"Mischna. Hatte sie Leibesfehler, als sie noch im Hause ihres Vaters weilte, so hat der Vater den Beweis zu erbringen (falls der Ehemann nach der Verlobung sie wegen der Fehler nicht heiraten und ihr auch nicht die Morgengabe auszahlen will), daß die Fehler an ihr entstanden sind, erst nachdem sie sich verlobte, und sein Feld (des Ehemannes) überschwemmt worden ist (es ist sein Mißgeschick), und ist sie bereits in die Gewalt des Ehemannes gekommen, so hat der Ehemann den Beweis zu erbringen, daß sie die Fehler hatte, noch bevor sie sich verlobte und „sein Kauf ein irrtümlicher war” — so R. Meir. Die Weisen sagen, dies gelte nur von verborgenen Leibesfehlern, bei sichtbaren aber könne er (der Ehemann) nichts einwenden, und ist ein Badehaus in der Stadt, könne er auch bei verborgenen Leibesfehlern nichts einwenden, weil er sie durch seine Verwandten untersuchen läßt.", | |
"G’mara. Nur wenn der Vater den Beweis erbringt (ist er glaubhaft), wenn aber der Vater den Beweis nicht bringt, ist der Ehemann glaubhaft, also nach (Ansicht) R. J’hoschua (s), welcher sagt (vgl. K’tubot 12b): „wir leben nicht von ihrer Behauptung”, ihre Behauptung ohne Beweis gilt nichts); dem widersprechend aber heißt es im Schlußsatze, daß, wenn sie bereits in die Gewalt des Ehemannes gekommen ist, der Ehemann den Beweis bringen müsse; (daraus geht hervor) nur wenn der Ehemann den Beweis bringt, wenn aber der Ehemann den Beweis nicht bringt, ist der Vater glaubhaft, also nach (Ansicht) R. Gamliel(s), welcher sagt (ebenda), sie sei glaubhaft (auch ohne Beweis)!? R. Eleasar erwiderte: Es ist zu teilen: wer das eine (den Anfangssatz) lehrte, lehrte das andere (den Schlußsatz) nicht … Raba erklärte: Im Anfangssatze sind sie (die Fehler) da (im Hause des Vaters) entdeckt worden, somit (sagen wir, sind sie) da entstanden, und ebenso im Schlußsatze da (im Hause des Ehemannes) entdeckt worden, somit da entstanden. Abajje wandte gegen ihn ein: „Ist sie bereits in die Gewalt des Ehemannes gekommen, so hat der Ehemann den Beweis zu erbringen, daß sie diese Fehler hatte, noch bevor sie sich verlobte und sein Kauf ein irrtümlicher war”, (so in der Mischna, daraus ist zu erschließen:) nur dann (gilt der Beweis des Ehemannes), wenn, bevor sie sich verlobte (die Fehler da waren), nicht aber, wenn, nachdem sie sich verlobte (obgleich sie sich noch im Hause ihres Vaters befand). Weshalb denn, man solle doch sagen: da sind sie entdeckt worden (im Hause des Vaters nach der Verlobung), somit sind sie da entstanden!? Dieser erwiderte: Wenn, nachdem sie sich verlobte (die Fehler nachzuweisen sind), sage man, es sei feststehend, niemand trinkt aus einem Becher, ohne ihn untersucht zu haben; er hat es somit gesehen und war einverstanden (mit den Fehlern). (K’tubot 75 a und b)" | |
] | |
}, | |
"V Style": [ | |
"<b>Der Stil</b>", | |
"Die begonnene systematisierende Sichtung der mündlichen Lehre in der Zeit des R. Akiba mußte allmählich zur Durchbrechung des Niederschreib-Verbots führen. Wann dies geschah, ist bis heute noch nicht endgültig geklärt worden. Nach Ansicht vieler Gelehrten wurde die Mischna bereits durch R. Jehuda Hanassi niedergeschrieben, während andere nicht minder bedeutende der Meinung sind, daß sie erst gemeinsam mit der G’mara schriftlich fixiert worden ist. Wie dem auch sei, so wurde sicherlich die Durchbrechung des Niederschreib-Verbots bedingt, wie so vieles im Laufe der Geschichte der mündlichen Lehre, durch die tragischen Schicksale des jüdischen Volkes, in deren Verlauf Meister und Schüler nicht mehr die nötige Muße und ein von Sorgen unbeschwertes Leben besaßen, um die Gesamtheit der mündlichen Überlieferung weiterhin auswendig zu lehren und zu lernen. Um für alle Zeiten der Gefahr des Vergessens zu begegnen, wurde die mündliche Lehre niedergeschrieben. Da es sich aber hierbei um die Übertretung einer strikten Vorschrift handelte, die man sich nur aus gegebener Notwendigkeit heraus im Interesse der Lehre selbst erlaubte, so hat man die Lehre nur so weit niedergeschrieben, als dies tatsächlich erforderlich war. Der Stil des Talmuds zeigt uns, daß man sich stets dessen bewußt war: die Lehre wird niedergeschrieben — nicht, um dem „Mündlichen” schriftlichen Ausdruck zu verleihen, sondern nur mit der Absicht, dafür Sorge zu tragen, daß es nicht vergessen werde. Der Charakter des Mündlichen sollte trotz der Niederschrift gewahrt bleiben. Dies wurde erreicht durch die Methode, das gesprochene Wort so niederzuschreiben, wie es tatsächlich ausgesprochen worden ist und durch die Niederschrift nichts daran zu ändern. Davon erhielt diese schriftliche Fixierung der Lehre ihre Eigenart.", | |
"Gesprochenes und geschriebenes Wort sind in ihrem Wesen voneinander verschiedene Ausdrucksformen des Gedankens, Empfindens usw. Der gleiche Gedanke erfordert eine andere Darstellung, wenn er ausgesprochen und wieder eine andere, wenn er „ausgeschrieben” wird. Gesprochenes und geschriebenes Wort sind voneinander unabhängig, beide beziehen sich immer unmittelbar auf den inneren Gehalt, den es auszudrücken gilt. Wurde nun bei der Durchbrechung des Niederschreibverbots das gesprochene Wort ohne jede Umwandlung niedergeschrieben, so bedeutet dies: nicht die schriftliche Ausdrucksform für den Lehrinhalt wurde damit geschaffen, sondern nur die schriftliche Notiz für die mündliche Ausdrucks-form. Die Niederschrift ist nicht das geschriebene Wort der Lehre, sondern das niedergeschriebene „gesprochene Wort”. Nicht die Lehre fand hier einen ihr angemessenen und damit wesenhaft verbundenen schriftlichen Niederschlag, sondern ihre mündliche Ausdrucksform eine technische Fixierung. So wurde die Niederschrift das, was sie werden sollte — ein mnemotechnisches Hilfsmittel, welches ein Vergessen unmöglich machen sollte; die Lehre aber blieb, was sie war — mündliche Lehre. Der talmudische Stil ist der Stil des gesprochenen und nicht der des geschriebenen Wortes.", | |
"Diese Niederschrift des gesprochenen Wortes ist allerdings vor allem durch zwei „Mängel” gekennzeichnet. Das gesprochene Wort ist in seinem Wesen knapper als das geschriebene, deshalb, weil es nicht alles selbst zu sagen braucht. Es wird immer in einer ganz konkreten Situation gesprochen, die selbst „mitspricht” und den Wortinhalt bereichert. In der Situation des Gesprächs kann schon eine leichte Bewegung, von der ein Wort begleitet wird, einen ganzen Satz bedeuten. Und in der Unterhaltung der Gelehrten in den Talmudhochschulen konnte die Frage „warum?” oder „woher weiß man es?”, von bestimmten Menschen im bestimmten Augenblick gesprochen, so inhaltsreich sein, daß sie schriftlich dargelegt weitläufiger Darlegungen bedürfte. Durch die Niederschrift des gesprochenen Wortes wird sein situationserfüllter Bedeutungsreichtum nicht festgehalten. Das Wort verarmt, bzw. es wird zu eng für seinen ursprünglichen Sinngehalt, es wird zum „Stichwort”. — Weiterhin kann durch die eigenartige Niederschrift der mündlichen Lehre ein anderes wesenhaftes Merkmal des gesprochenen Wortes nicht zum Ausdruck gebracht werden, nämlich seine Betonung. Das gleiche Wort kann verschiedenes besagen; je nachdem, in was für einem Tonfall es ausgesprochen wird, kann es ironisch und ernst gemeint sein, Frage oder Antwort bedeuten, Hoffnung oder Resignation, Verwunderung und Zweifel ausdrücken. Was der Redner mit einer Geste, einem bestimmten Tonfall sagen kann, muß der Schriftsteller oft in langen Abhandlungen darlegen. Niedergeschrieben wurde nur das Wort, nicht aber sein Rhythmus, sein Ton. Das ohne Ton und ohne seine „Melodie” schriftlich festgehaltene gesprochene Wort ist aber auch nur Stichwort für den Sprecher. Durch diese beiden „Mängel” wurde aber das Niederschreib-Verbot auf geniale Weise durchbrochen: die mündliche Lehre wurde schriftlich niedergelegt, und doch wurde die Lehre nicht niedergeschrieben. Das niedergeschriebene gesprochene Wort war das Stichwort für das Gedächtnis.", | |
"Dies bedeutet aber: ein Gedächtnis muß immer vorhanden sein, d. h. der Talmud mußte auch nach seiner Niederschrift mündlich gelehrt, von Meistern auf Schüler überliefert werden. Das Stichwort mußte wieder in gesprochenes Wort aufgelöst werden. Wie der Knoten im Taschentuch nur den an etwas erinnert, der ihn geknüpft hat, so konnte die mnemotechnische Niederschrift der mündlichen Ausdrucksform der Lehre nur von denjenigen wieder in gesprochenes Wort verwandelt werden, die durch sie an etwas erinnert wurden, also durch die Menschen, die die Lehre wie die Generationen vor ihrer Niederschrift in den Lehrhäusern von ihren Meistern empfingen und die sie dann an Hand der schriftlichen Fixierung nur zu wiederholen brauchten. Daran hat sich im Grunde genommen bis heute nichts geändert. Die „Knotensprache” der Niederschrift kann nur von dem gedeutet werden, den sie an bereits Gelerntes „erinnert”. Die eigentliche Bedeutung der grundlegenden Talmudkommentare, die zum großen Teil auf Überlieferung beruhen, besteht darin, daß sie versuchen, in der mündlichen Ausdrucksform der Lehre den Lehrinhalt zu ergründen. Die Auflösung der Niederschrift in gesprochenes Wort jedoch bleibt weiterhin Aufgabe des Lernenden. Vor allem diese Zurückverwandlung der „Notiz” in das „Wort” ist „mündliche Lehre” geblieben.", | |
"Der Talmud kann nicht „gelesen” werden, man muß ihn „sprechen”. Daher auch die bezeichnenden Wendungen des Kommentars Raschi zu bestimmten Sätzen: „Bitmija”, d. h. „dies ist zu sprechen im Tonfall der Frage”, oder: „B’nichuta”, was bedeutet: „dies ist zu sprechen im Tonfall der ‚Ruhe‛ (z. B. der Antwort, einer Bestätigung usw.)”. Der traditionelle Singsang, mit dem der Talmud gelernt wird, der Niggun des Lernens ist der ursprünglichste Talmudkommentar; er ist die Umwandlung des niedergeschriebenen gesprochenen Wortes in das lebendige Wort der mündlichen Lehre. (Eine Interpunktion kennt der Talmud nicht, weil sie auch das Sprechen nicht kennt. Der Niggun des Lernens ist gleichzeitig eine „akustische Interpunktion”.) Man kann also sagen: C’est le ton qui fait le Talmud." | |
], | |
"VI Copies and manuscripts": [ | |
"<b>Drucke Und Manuskripte</b>", | |
"Infolge der Stellung der Kirche zum Talmud konnte es zu einer Drucklegung erst verhältnismäßig spät kommen. Zunächst wurden nur einzelne Traktate gedruckt: in Italien bei Soncin und in Lissabon. Der gesamte Talmud konnte im Druck erscheinen erst nachdem Papst Leo X. im Verlauf des Kampfes zwischen den Dominikanern und Reuchlin die Drucklegung gewünscht hatte. Die „editio princeps” wurde verlegt von Daniel Bomberg, einem christlichen Druckereibesitzer aus Antwerpen in Venedig von 1520—1523. Werke von Maimonides, Nachmanides, der Aruch usw. waren schon früher erschienen.", | |
"Neben dem Bombergschen Druck wurde für alle späteren Ausgaben der Druck von Justinian (Venedig um 1550) von größter Bedeutung. In den späteren Ausgaben wurde die Paginierung des Justinianischen Druckes beibehalten. So findet man heute in allen Talmud-Ausgaben die gleiche Numerierung der Seiten.", | |
"Von 1578—1581 erschien die zensurierte Ausgabe von Basel. Zum Vorbild aller weiteren Drucke wurde mit ihren Hinzufügungen und Textkorrekturen die Ausgabe von Frankfurt am Main von 1720—1722.", | |
"Außer unzähligen Einzeltraktaten sind bekannte Ausgaben des gesamten Talmuds verlegt worden in Lemberg, Konstantinopel, Saloniki, Krakau, Amsterdam, Frankfurt a. d. Oder, Berlin, Sulzbach, Dierenfurt, Sitomir, Wien, Wilna usw.", | |
"Während wir so über viele Talmuddrucke verfügen, sind nur vereinzelte Talmud-Manuskripte auf uns gekommen. Die einzige komplette Talmud-Handschrift befindet sich in München; daneben gibt es nur größere oder kleinere Fragmente. R. N. Rabinowicz zählt in seinem „Dikduke Szofrim” (Bd. 1, 4, 8, 9, 11) nur 39 fragmentarische Manuskriptsammlungen auf. Zu den bekanntesten gehören die Sammlungen der Bodleiana in Oxford, des Vatikan, des British Museum, die Sammlung in München, ein Fragment in Petersburg aus dem Jahre 1112 und schließlich, das wahrscheinlich älteste, ein Fragment von beträchtlicher Länge in Cambridge." | |
], | |
"VII What is written in the Talmud?": { | |
"": [], | |
"1 Man; his life, his work, his day of rest": [], | |
"2 Fellow man": [], | |
"3 Man and wife": [], | |
"4 Society and community": [], | |
"5 Jurisprudence": [], | |
"6 Indemnification": { | |
"a) Lost and found": [], | |
"b) Loans": [], | |
"c) Unproven claims": [] | |
}, | |
"7 Employees and employers": [], | |
"8 Charity": [] | |
}, | |
"VIII What is not written in the Talmud? Jew and Gentile": { | |
"": [], | |
"1 \"You are called man\"": [], | |
"2 The discriminatory laws": [], | |
"3 Quotations": [], | |
"4 Xenophobia?": [] | |
}, | |
"Appendix": { | |
"Table I; Historical dates in the development of the Teachings": [], | |
"Table II; Structure of the Babylonian Talmud": [] | |
} | |
}, | |
"schema": { | |
"heTitle": "תלמוד מהו?", | |
"enTitle": "What is the Talmud", | |
"key": "What is the Talmud", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "הקדמת העורך", | |
"enTitle": "Editor's Foreword" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "דבר המוציא לאור, מהדורת 1963", | |
"enTitle": "Publisher's Foreword" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "הקדמה", | |
"enTitle": "Introduction" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "א. תלמוד מהו?", | |
"enTitle": "I What is the Talmud?", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "תורה ותלמוד", | |
"enTitle": "1 Bible and Talmud" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "התלמוד וחיי האומה", | |
"enTitle": "2 The Talmud and the life of the nation" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "התלמוד והמדע", | |
"enTitle": "3 The Talmud and science" | |
} | |
] | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "ב. מתודיקת התלמוד", | |
"enTitle": "II Methodology of the Talmud", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "", | |
"enTitle": "" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "מסקנות לוגיות", | |
"enTitle": "1 Logical inferences" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "כללי הפרשנות", | |
"enTitle": "2 Exegetical rules" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "סברא - עקרון ההיגיון", | |
"enTitle": "3 \"S'vara\" the principle of \"common sense\"" | |
} | |
] | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "נושאי ענין, תכנים, מבנה", | |
"enTitle": "III Subject matter, content, structure", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "ששת סדרי התורות", | |
"enTitle": "1 The six Orders of the Teachings" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "אגדה והלכה", | |
"enTitle": "2 Aggadah and Halachah" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "המבנה הפסיכולוגי של התורה שבעל-פה", | |
"enTitle": "3 The psychological structure of the Oral Teachings" | |
} | |
] | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "היסטורית התפתחותו של התלמוד", | |
"enTitle": "IV The history of Talmudic development", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "", | |
"enTitle": "" | |
}, | |
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"heTitle": "התפתחות התורות", | |
"enTitle": "1 The development of the Teachings" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "המפרשים", | |
"enTitle": "2 The Commentaries" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "הסמכויות בהתפתחות התורות", | |
"enTitle": "3 Authorities for the development of the Teachings" | |
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}, | |
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"heTitle": "סגנון", | |
"enTitle": "V Style" | |
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"heTitle": "עותקים וכתבי יד", | |
"enTitle": "VI Copies and manuscripts" | |
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"heTitle": "ז. מה כתוב בתלמוד?", | |
"enTitle": "VII What is written in the Talmud?", | |
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"heTitle": "", | |
"enTitle": "" | |
}, | |
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"heTitle": "האדם - חייו, עמלו, מנוחתו", | |
"enTitle": "1 Man; his life, his work, his day of rest" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "הזולת", | |
"enTitle": "2 Fellow man" | |
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{ | |
"heTitle": "הוא והיא", | |
"enTitle": "3 Man and wife" | |
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{ | |
"heTitle": "חברה וקהילה", | |
"enTitle": "4 Society and community" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "משפט", | |
"enTitle": "5 Jurisprudence" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "עשיית צדק", | |
"enTitle": "6 Indemnification", | |
"nodes": [ | |
{ | |
"heTitle": "מציאה", | |
"enTitle": "a) Lost and found" | |
}, | |
{ | |
"heTitle": "הלוואות", | |
"enTitle": "b) Loans" | |
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{ | |
"heTitle": "טענות לא מוכחות", | |
"enTitle": "c) Unproven claims" | |
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] | |
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"heTitle": "פועלים ומעסיקים", | |
"enTitle": "7 Employees and employers" | |
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"heTitle": "צדקה", | |
"enTitle": "8 Charity" | |
} | |
] | |
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"heTitle": "מה איננו כתוב בתלמוד - היהודי והלא-יהודי", | |
"enTitle": "VIII What is not written in the Talmud? Jew and Gentile", | |
"nodes": [ | |
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"heTitle": "", | |
"enTitle": "" | |
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"heTitle": "\"אתם קרויים אדם\"", | |
"enTitle": "1 \"You are called man\"" | |
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"heTitle": "חוקים המפלים", | |
"enTitle": "2 The discriminatory laws" | |
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"heTitle": "ציטוטים", | |
"enTitle": "3 Quotations" | |
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"heTitle": "שנאת זרים?", | |
"enTitle": "4 Xenophobia?" | |
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{ | |
"heTitle": "נספח", | |
"enTitle": "Appendix", | |
"nodes": [ | |
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"heTitle": "כרונולוגיה של התפתחות התורות", | |
"enTitle": "Table I; Historical dates in the development of the Teachings" | |
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"heTitle": "מבנה התלמוד הבבלי", | |
"enTitle": "Table II; Structure of the Babylonian Talmud" | |
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