database_export / txt /Mishnah /Seder Moed /Mishnah Rosh Hashanah /English /Mischnajot mit deutscher Übersetzung und Erklärung. Berlin 1887-1933 [de].txt
noahsantacruz's picture
762a4d777b72bc1e3c4d8defa3fbbc6dab60189dba3366d6de57dc916ca50aee
88b4107 verified
raw
history blame
No virus
112 kB
Mishnah Rosh Hashanah
משנה ראש השנה
Mischnajot mit deutscher Übersetzung und Erklärung. Berlin 1887-1933 [de]
https://www.talmud.de/tlmd/die-deutsche-mischna-uebersetzung
Mishnah Rosh Hashanah
Chapter 1
Vier Jahresanfänge gibt es: Mit dem ersten Nisan beginnt das Regierungs-<sup class="footnote-marker">1</sup><i class="footnote"> Urkunden, in denen das Datum nach Regierungsjahren israelitischer Könige angegeben wird, beginnen mit dem ersten Tage des Monats Nisan ein neues Jahr, wenn auch die Thronbesteigung erst in den letzten Tagen des Adar erfolgt ist.</i> und das Festjahr<sup class="footnote-marker">2</sup><i class="footnote"> Die praktische Bedeutung des Festjahres ergibt sich aus dem Gesetz in 5. B. M. 23, 22, das nach der Überlieferung erst dann verletzt ist, wenn seit dem Gelübde die drei Feste Pesaḥ, Schabu‘ot und Sukkot vorübergegangen sind, ohne dass man es erfüllt hat. Gemäss der Ansicht eines Mischnalehrers müssen die Feste auch in dieser Reihenfolge verflossen sein. Wer also zwischen dem 15. Tischri und dem 14. Nisan ein Gelübde tut, übertritt das Verbot schon mit Ablauf des nächsten Hüttenfestes; wer aber später einen Gegenstand dem Heiligtum gelobt, übertritt es erst mit Ablauf des folgenden Hüttenfestes, weil eben das Festjahr mit Nisan beginnt, mithin Pesaḥ in der Reihe der Feste an der Spitze steht.</i>. Der erste Elul ist der Jahresanfang für den Zehnt vom Vieh<sup class="footnote-marker">3</sup><i class="footnote"> 3. B. M. 27, 32. Es kann also, da man vom Vieh des einen Jahrgangs nicht den Zehnt für Vieh eines andern Jahrgangs absondern darf, das vor Beginn des Elul zur Welt gekommene Vieh nicht mit dem später geworfenen zusammen verzehntet werden.</i>; Rabbi El‘azar und Rabbi Simon sagen: Der erste Tischri<sup class="footnote-marker">4</sup><i class="footnote"> s. B’chorot IX 5—6.</i>. Der erste Tischri bildet den Jahresanfang hinsichtlich der Zeitrechnung<sup class="footnote-marker">5</sup><i class="footnote"> Urkunden, die nach einer andern als der in Anm. 1 erwähnten Zeitrechnung (vgl. Giṭṭin VIII 5), insbesondere nach Regierungsjahren nichtjüdischer Landesherren ausgestellt sind, beginnen das neue Jahr mit dem ersten Tischri. Der Monatsname <span dir="rtl">תשרי</span> ist von <span dir="rtl">שרי</span> (beginnen) abzuleiten und bedeutet daher den Jahresanfang.</i>, der Brach- und Jobeljahre<sup class="footnote-marker">6</sup><i class="footnote"> 3. B. M. 25, 1—13. Die Einstellung jeglicher Feldarbeit im siebenten und die Freilassung der Knechte im Jobeljahre erfolgt am ersten Tischri.</i>, der Baumpflanzungen<sup class="footnote-marker">7</sup><i class="footnote"> Die Früchte, die der Baum in den ersten drei Jahren nach seiner Pflanzung (oder Umpflanzung) hervorbringt, sind verboten; die des vierten Jahres sind geweiht und müssen daher entweder in der heiligen Stadt verzehrt oder ausgelöst werden (<span dir="rtl">נטע רבעי</span>); erst die Früchte des fünften wie aller folgenden Jahre sind bedingungslos erlaubt (das. 19, 23—25). Wurde nun ein Baum am 15. Ab gepflanzt, so tritt er bereits mit dem nächsten Tischri, also schon nach 44 Tagen (14 Tage dauert die Wurzelfassung, und von da an muss noch mindestens ein Monat bis zum Beginn des neuen Jahres verstreichen) in sein zweites Jahr, mit dem folgenden Tischri in sein drittes und mit dem darauf folgenden in sein viertes. Die Früchte, die er im Sch’baṭ (s. Anm. 9) dieses Jahres ansetzt, gelten schon als solche des vierten Jahres (<span dir="rtl">נטע רבעי</span>), und die ein volles Jahr später (d. i. 3½ Jahre nach der Pflanzung) angesetzten sind bereits ohne weiteres gestattet. Ist er dagegen erst in der zweiten Hälfte des Ab oder im Elul gepflanzt worden, so sind die Früchte, die er volle drei Jahre hindurch bis zum ersten Tischri (nach einigen Autoren sogar bis zum 15. Sch’baṭ) des vierten Jahres ansetzt, für immer verboten. Erst die nach dieser Zeit angesetzten Früchte sind <span dir="rtl">נטע רבעי</span> und erst die nach Verlauf eines weitern vollen Jahres angesetzten bedingungslos erlaubt. Hat man ihn in der Zeit zwischen dem ersten Tischri und dem 15. Ab gepflanzt, sind seine Früchte nicht anders zu behandeln, als wenn er erst am 15. Ab gepflanzt worden wäre.</i> und der Gemüse<sup class="footnote-marker">8</sup><i class="footnote"> Das Wort „Gemüse“ (<span dir="rtl">ירקות</span>) steht hier im weitern Sinne und umfasst im Gegensatz zu den eben erwähnten Baumpflanzungen (<span dir="rtl">נטיעות</span>) alle Erzeugnisse des Feld- und Gartenbaues (die Sprache der Bibel dehnt den Begriff <span dir="rtl">ירק</span> sogar auf das Laub der Bäume aus — 2. B. M. 10, 15), die der Verzehntung unterliegen. Der erste Tischri hat für sie eine doppelte Bedeutung: Zunächst im Hinblick auf das Verbot, die vorgeschriebenen Abgaben (Priesterhebe, ersten und zweiten Zehnt) für die Ernte des einen Jahres aus den Erträgnissen eines andern zu leisten; sodann mit Rücksicht auf das Gesetz, nach welchem der zweite Zehnt in jedem dritten und sechsten Jahre eines siebenjährigen Zyklus an die Armen zu entrichten ist. Mithin dürfen landwirtschaftliche Produkte, die vor dem ersten Tischri geerntet wurden, nicht aus solchen, die man später vom Boden getrennt hat, und diese wieder nicht aus jenen verzehntet werden. Ebenso bildet der erste Tischri die Grenze zwischen dem zweiten und dritten oder dem fünften und sechsten Jahre, so dass der zweite Zehnt aus dem vorher Geernteten auszulösen oder in der heiligen Stadt zu verzehren ist, dagegen aus dem später Gewonnenen den Armen gegeben werden muss.</i>. Mit dem ersten Sch’baṭ beginnt für den Baum ein neues Jahr<sup class="footnote-marker">9</sup><i class="footnote"> Was der erste Tischri für den Feld- und Gartenbau (s. die vorige Anmerkung), das bedeutet der erste Sch’baṭ nach der Schule Schammais oder der fünfzehnte nach der Schule Hillels für den Obstbau: Die Früchte, die der Baum vorher angesetzt hat, dürfen nicht aus den später angesetzten und diese nicht aus jenen verzehntet werden; aus diesen muss der zweite Zehnt im dritten und sechsten Jahre den Armen gegeben, aus jenen entweder in Jerusalem verzehrt oder ausgelöst werden. Aber auch in Bezug auf das Gesetz in 3. B. M. 19, 23—25 ist der erste bezw. der fünfzehnte Sch’bat der Jahresanfang. Wenngleich der junge Baum, wie wir in Anm. 7 gesehen haben, stets am ersten Tischri in sein viertes Jahr tritt, sind doch die Früchte, die er von da ab bis zum Sch’baṭ ansetzt, für immer verboten, weil er diese vermutlich schon vor Tischri, also noch im dritten Jahre zu bilden begonnen hat. Ebenso müssen die im fünften Jahre vor dem Beginne bezw. der Mitte des Monats Sch’baṭ angesetzten Früchte noch ausgelöst oder in der heiligen Stadt verzehrt werden. Erst die in diesem Jahre später angesetzten Früchte sind ohne weiteres gestattet.</i> nach Ansicht der Schule Schammais; die Schule Hilles aber meint: Mit dem fünfzehnten.
In vier Jahresabschnitten wird die Welt gerichtet: Am Pesaḥ<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Die Mischna hat für die Feste andere Namen als die Bibel und das Gebetbuch. <span dir="rtl">חג המצות</span> heisst dort <span dir="rtl">פסח</span>, und als Abschluss dieses Festes wird <span dir="rtl">חג השבועות</span> mit <span dir="rtl">עצרת</span> bezeichnet. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Wochenfest nicht wie die anderen Feste an einen bestimmten Monatstag gebunden; es wird vielmehr 50 Tage nach Beginn des Pesaḥfestes gefeiert. Zweitens gilt <span dir="rtl">שבועות</span> als <span dir="rtl">זמן מתן תורתנו</span> und die Offenbarung am Horeb als Krönung der Befreiung aus Ägypten (<span dir="rtl">זמן חרותנו</span>). Den <span dir="rtl">יום תרועה</span> oder <span dir="rtl">יום הזכרון</span> nennt die Mischna <span dir="rtl">ראש השנה</span> und <span dir="rtl">חג הסכות</span> schlechthin <span dir="rtl">החג</span>.</i> in Bezug auf das Getreide, am Wochenfeste<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Die Mischna hat für die Feste andere Namen als die Bibel und das Gebetbuch. <span dir="rtl">חג המצות</span> heisst dort <span dir="rtl">פסח</span>, und als Abschluss dieses Festes wird <span dir="rtl">חג השבועות</span> mit <span dir="rtl">עצרת</span> bezeichnet. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Wochenfest nicht wie die anderen Feste an einen bestimmten Monatstag gebunden; es wird vielmehr 50 Tage nach Beginn des Pesaḥfestes gefeiert. Zweitens gilt <span dir="rtl">שבועות</span> als <span dir="rtl">זמן מתן תורתנו</span> und die Offenbarung am Horeb als Krönung der Befreiung aus Egypten (<span dir="rtl">זמן חרותנו</span>). Den <span dir="rtl">יום תרועה</span> oder <span dir="rtl">יום הזכרון</span> nennt die Mischna <span dir="rtl">ראש השנה</span> und <span dir="rtl">חג הסכות</span> schlechthin <span dir="rtl">החג</span>.</i> in Bezug auf die Baumfrüchte, am Neujahrstage<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Die Mischna hat für die Feste andere Namen als die Bibel und das Gebetbuch. <span dir="rtl">חג המצות</span> heisst dort <span dir="rtl">פסח</span>, und als Abschluss dieses Festes wird <span dir="rtl">חג השבועות</span> mit <span dir="rtl">עצרת</span> bezeichnet. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Wochenfest nicht wie die anderen Feste an einen bestimmten Monatstag gebunden; es wird vielmehr 50 Tage nach Beginn des Pesaḥfestes gefeiert. Zweitens gilt <span dir="rtl">שבועות</span> als <span dir="rtl">זמן מתן תורתנו</span> und die Offenbarung am Horeb als Krönung der Befreiung aus Ägypten (<span dir="rtl">זמן חרותנו</span>). Den <span dir="rtl">יום תרועה</span> oder <span dir="rtl">יום הזכרון</span> nennt die Mischna <span dir="rtl">ראש השנה</span> und <span dir="rtl">חג הסכות</span> schlechthin <span dir="rtl">החג</span>.</i> ziehen alle zur Welt Gekommenen wie bei einer Heerschau<sup class="footnote-marker">11</sup><i class="footnote"> Die Mischnaausgaben lesen sämtlich <span dir="rtl">כבני מרון</span>; die ed. pr. des Jeruschalmi hat <span dir="rtl">בבנו מרון</span> und so lesen auch einige Mischnahandschriften. In der Wiener Handschrift der Tosefta (s. ed. Z. S. 209, Z. 25) lautet der Satz: <span dir="rtl">עוברין לפניו נומרין</span>. Aus den drei Erklärungen, die der babyl. Talmud (18a g. Ende) zu unserer Stelle gibt, könnte man entnehmen, dass in der Mischna <span dir="rtl">כבנימרין</span> die überlieferte Aussprache war. Nach der ersten Erklärung (<span dir="rtl">כבני אמרנא</span>; Jerus.: <span dir="rtl">דירין</span> [<span dir="rtl">צ״ל כהלין</span>] <span dir="rtl">כהדין</span>) wäre dieses Wort aus <span dir="rtl">כבני אימרין</span> zusammengezogen und bedeutet daher die jungen Lämmer, die der Hirt, wenn er sie zählt (vgl. Jirm. 33, 13), durch eine schmale Öffnung aus dem Pferch lässt, damit sich keines seiner Aufmerksamkeit entziehe. Die zweite Erklärung (<span dir="rtl">כמעלות בית מרון</span>, vermutlich <span dir="rtl">כמעלות בית נמרין</span> zu lesen; Jerus.: <span dir="rtl">כהדא במגנימין</span>, viell <span dir="rtl">כהדא בית גימרין</span> oder <span dir="rtl">כהדא במת נימרין</span>?) hält <span dir="rtl">נימרין</span> für den Namen eines Ortes (<span dir="rtl">נמרה</span> oder <span dir="rtl">בית נמרה</span> im Stamme Gad, jetzt Nimıîn?) mit einem engen Hohlweg, den man nur einzeln passieren konnte. Die dritte Erklärung (<span dir="rtl">כחיילות של בית דוד</span>) sieht in <span dir="rtl">נימרין</span> das lat. numeri, welches in der römischen Kaiserzeit die Truppenteile bezeichnete; auch die Listen, in denen die Soldaten eingetragen waren, hiessen numeri.</i> an ihm vorüber, denn es heisst<sup class="footnote-marker">12</sup><i class="footnote"> Ps. 33, 15.</i>: „Der insgesamt ihr Herz gebildet<sup class="footnote-marker">13</sup><i class="footnote"> Der erste Tischri wird als Schöpfungstag des ersten Menschen angenommen. Vielleicht wird auch der Singular in <span dir="rtl">לבם</span> gedeutet: Die Herzen der Menschen insgesamt hat Gott in dem Herzen des Urvaters gebildet.</i>, der auf alle ihre Taten achtet“<sup class="footnote-marker">14</sup><i class="footnote"> Seinem Blicke entgeht keine menschliche Handlung. Daher das Bild <span dir="rtl">עוברין לפניו כבנימרין</span>.</i>, und am Hüttenfeste<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Die Mischna hat für die Feste andere Namen als die Bibel und das Gebetbuch. <span dir="rtl">חג המצות</span> heisst dort <span dir="rtl">פסח</span>, und als Abschluss dieses Festes wird <span dir="rtl">חג השבועות</span> mit <span dir="rtl">עצרת</span> bezeichnet. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Wochenfest nicht wie die anderen Feste an einen bestimmten Monatstag gebunden; es wird vielmehr 50 Tage nach Beginn des Pesaḥfestes gefeiert. Zweitens gilt <span dir="rtl">שבועות</span> als <span dir="rtl">זמן מתן תורתנו</span> und die Offenbarung am Horeb als Krönung der Befreiung aus Egypten (<span dir="rtl">זמן חרותנו</span>). Den <span dir="rtl">יום תרועה</span> oder <span dir="rtl">יום הזכרון</span> nennt die Mischna <span dir="rtl">ראש השנה</span> und <span dir="rtl">חג הסכות</span> schlechthin <span dir="rtl">החג</span>.</i> werden sie in Bezug auf das Wasser<sup class="footnote-marker">15</sup><i class="footnote"> die Regenmenge.</i> gerichtet.
Wegen folgender sechs Neumonde werden Boten ausgesandt<sup class="footnote-marker">16</sup><i class="footnote"> die allerorten den Tag verkünden sollen, an welchem die Behörden den Beginn des Monats festgesetzt haben.</i>: Wegen des Nisan mit Rücksicht auf Pesaḥ<sup class="footnote-marker">17</sup><i class="footnote"> Im Siwan war mit Rücksicht auf das Wochenfest eine Bekanntmachung nicht nötig, weil dieses nicht vom Neumondstage, sondern einzig und allein vom Pesaḥfeste abhängig ist (s. Anm. 10).</i>, wegen des Ab mit Rücksicht auf den Fasttag<sup class="footnote-marker">18</sup><i class="footnote"> am neunten dieses Monats, <span dir="rtl">תשעה באב</span>, dem Tage schwerer Trauer ob der Zerstörung des Heiligtums.</i>, wegen des Elul mit Rücksicht auf den Neujahrstag<sup class="footnote-marker">19</sup><i class="footnote"> Da die Bewohner der entfernteren Orte nicht so schnell erfahren konnten, an welchem Tage der erste Tischri festgesetzt wurde, feierten sie das Neujahrsfest sowohl am 30. als am 31. Elul. Hätte man ihnen aber den Beginn des Elul nicht mitgeteilt, so hätten sie vom 1. Ab 58 bis 60 Tage zählen und des Zweifels wegen das Neujahrsfest sogar drei Tage hintereinander feiern müssen.</i>, wegen des Tischri mit Rücksicht auf die Richtigstellung der Feste<sup class="footnote-marker">20</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">סכות ,יום הכפורים</span> und <span dir="rtl">שמיני עצרת</span>, die sie nun, nachdem sie den genauen Tag des Neujahrsfestes nachträglich erfahren hatten, nur je einen Tag zu feiern brauchten.</i>, wegen des Kislew mit Rücksicht auf Hanukka, wegen des Adar mit Rücksicht auf Purim. Und als das heilige Haus noch stand, zogen sie auch wegen des Ijar aus mit Rücksicht auf Pesaḥ ḳaṭan<sup class="footnote-marker">21</sup><i class="footnote"> das diejenigen feierten, die am 14. Nisan verhindert waren, das Pesaḥopfer darzubringen (4. B. M. 9, 10—12; P’saḥim IX 1—3). Da zur Zeit des zweiten Tempels der 9. Ab kein Fast- und Trauertag war, so wurden auch damals die Boten nur an sechs Neumonden ausgeschickt.</i>.
Wegen zweier Neumonde entweiht man den Schabbat<sup class="footnote-marker">22</sup><i class="footnote"> Wenn der neue Mond in einem dieser beiden besonders wichtigen Monate an einem Freitag gegen Abend wahrgenommen wurde, sollen die Zeugen trotz der Heiligkeit des Schabbat nach dem Sitze der zuständigen Behörde eilen, um dort über ihre Wahrnehmungen vernommen zu werden (s. Anm. 55). Sonst ist schon das Überschreiten des Schabbatbezirks (‘Erubin, Einl. Abs. 4) eine Entweihung des heiligen Tages. Für diesen Zweck aber sind auch schwerere Verletzungen des Ruhegesetzes gestattet (s. Mischna 9).</i>: Wegen des Nisan und wegen des Tischri, an denen die Boten<sup class="footnote-marker">16</sup><i class="footnote"> die allerorten den Tag verkünden sollen, an welchem die Behörden den Beginn des Monats festgesetzt haben.</i> nach Syrien aufbrechen<sup class="footnote-marker">23</sup><i class="footnote"> wenn es ein Werktag war. Den Schabbat durften die Boten nicht entweihen.</i>, und nach denen die Feste richtiggestellt werden<sup class="footnote-marker">24</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">פסח</span> und <span dir="rtl">שבועות</span> nach dem 1. Nisan (Anm. 17), die übrigen (Anm. 20) Dach dem 1. Tischri.</i>. Und als das heilige Haus noch stand, entweihte man ihn auch wegen der übrigen mit Rücksicht auf die Anordung des Opfers<sup class="footnote-marker">25</sup><i class="footnote"> damit das besondere Opfer des Neumondstages (4. B. M. 28, 11—15) zur rechten Zeit, in diesem Falle am Schabbat, dargebracht werde. Würden aber die Zeugen am Schabbat nicht reisen, so könnte der Neumondstag erst am Sonntag gefeiert werden.</i>.
Ob er bei Sonnenuntergang<sup class="footnote-marker">26</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">בעליל</span> wird in beiden Talmuden z. St. unter Hinweis auf Ps. 12, 7 dem Sinne nach durch <span dir="rtl">בגלוי</span> oder <span dir="rtl">בפיהסיא</span> erklärt. Die eigentliche Bedeutung des Wortes ist auch an jenem Orte, dem einzigen, an dem es in der Bibel vorkommt (<span dir="rtl">אמרות ה׳ אמרות טהרות כסף צרוף בעליל לארץ מזקק שבעתים</span>), ziemlich dunkel. Ich vermute, dass es ein aram. Lehnwort ist, welches dem hebr. <span dir="rtl">מבוא</span> (Eingang) entspricht. Ziemlich sicher hat es diesen Sinn in Tosefta Soṭa IX 1 (s. auch Jer. das. IX 2 u. Bab. das. 46a oben), wo es in Bezug auf 5. B. M. 21, 1—4 heisst: Wenn der Erschlagene am Eingange der Stadt (<span dir="rtl">בעליל לעיר</span> od. <span dir="rtl">בעליל העיר</span>) gefunden wird, muss man dennoch messen. In unserer Mischna steht es vielleicht als astronomischer Kunstausdruck für <span dir="rtl">השמש בוא</span> (<span dir="rtl">מיעל שמשא</span>) = Sonnenuntergang. In dem erwähnten Psalm könnte es wieder ein Kunstausdruck des Bergbaus sein und einen Schacht oder Stollen bezeichnen: „Rein wie Silber, das schon im Eingang zur Erde schlackenlos gefunden und dann noch siebenfach geläutert wurde. Zwar findet sich das Silber im Schosse der Erde nirgends in reinem Zustande; aber dem Dichter ist eine solche Annahme wohl gestattet, durch die das Bild desto wirkungsvoller hervortritt.</i> schon zu sehen oder nicht zu sehen war<sup class="footnote-marker">27</sup><i class="footnote"> Wenn die Mondsichel bei Sonnenuntergang schon sichtbar ist, muss sie von der Sonne bereits so weit entfernt sein, dass sie auch am Sitze des Gerichtshofes von jedermann wahrgenommen werden kann; ist sie dagegen erst bei zunehmender Dämmerung beobachtet worden, dann ist ihr Licht noch so schwach, dass die Zeugen annehmen dürfen, sie könnte der Aufmerksamkeit anderer Personen wohl entgangen sein.</i>, entweiht man seinetwegen den Schabbat<sup class="footnote-marker">28</sup><i class="footnote"> Vielleicht war am Orte der Behörde der westliche Himmel von Wolken bedeckt oder die Luft nicht durchsichtig genug.</i>; Rabbi Jose sagt: Wenn er bei Sonnenuntergang schon wahrgenommen wurde, entweiht man den Schabbat seinetwegen nicht<sup class="footnote-marker">29</sup><i class="footnote"> Da die Zeugen den Schabbat nur entweihen dürfen, wenn sie von dem Orte, an dem sie ihre Wahrnehmungen bekunden sollen, nicht weiter als eine Tagesreise entfernt sind (Mischna 9) ist nicht vorauszusetzen, dass die meteorologischen Verhältnisse dort weniger günstig sind als hier.</i>.
Es ereignete sich, dass mehr als vierzig Paare durchzogen<sup class="footnote-marker">30</sup><i class="footnote"> um über ihre Beobachtungen Zeugnis abzulegen.</i>, die Rabbi ‘Akiba in Lod<sup class="footnote-marker">31</sup><i class="footnote"> Stadt im Stamme Benjamin (Neh. 11, 35; 1 Chr. 8, 12), später Lydda, von den Römern Diospolis genannt, jetzt Ludd, einen Tagesmarsch nordwestlich von Jerusalem (Ma‘aser scheni V 2) auf der Strasse nach Japho gelegen.</i> zurückhielt<sup class="footnote-marker">32</sup><i class="footnote"> damit sie nicht unnötig den Schabbat entweihen. Es genügt ja ein Zeugenpaar.</i>. Da liess ihm Rabban Gamliel sagen: Wenn du die Menge zurückhältst, so gibst du ihnen vielleicht Veranlassung zu einem zukünftigen Ärgernis<sup class="footnote-marker">33</sup><i class="footnote"> Sie werden ein anderes Mal, wenn es vielleicht auf ihre Aussage ankommen wird, die beschwerliche Reise unterlassen in der Annahme, dass man ihrer nicht bedarf.</i>.
Wenn Vater und Sohn den neuen Mond gesehen haben, sollen beide hingehen<sup class="footnote-marker">34</sup><i class="footnote"> nach dem Orte der Zeugenvernehmung, obgleich sie als Verwandte nicht zusammen als Zeugen auftreten können.</i>. Nicht als ob sie einander ergänzen könnten<sup class="footnote-marker">35</sup><i class="footnote"> zu einem Zeugenpaar.</i>, sondern nur, damit sich, wenn der eine von ihnen zurückgewiesen wird<sup class="footnote-marker">36</sup><i class="footnote"> Die Grundbedeutung von <span dir="rtl">פסל</span> ist Behauen. Daher einerseits <span dir="rtl">פסל</span> und <span dir="rtl">פסיל</span> das ausgehauene Bild, andererseits <span dir="rtl">פסולת</span> das Weggehauene, der Abfall und <span dir="rtl">פסול</span> = abfällig, minderwertig, ungeeignet. Davon wieder <span dir="rtl">פסל</span> = für minderwertig erachten, als untauglich erklären.</i>, der andere einem dritten zugeselle<sup class="footnote-marker">37</sup><i class="footnote"> der weder bescholten noch mit ihm verwandt ist.</i>. Rabbi Simon sagt: Vater und Sohn wie auch alle anderen Verwandten eignen sich zur Zeugenschaft über den Neumond. Rabbi Jose berichtet: Es ereignete sich mit dem Arzte Tobija, dass er und sein Sohn und sein freigelassener Sklave den Neumond in Jerusalem beobachtet hatten und die Priester ihn und seinen Sohn annahmen<sup class="footnote-marker">38</sup><i class="footnote"> Sie teilten die Ansicht des Rabbi Simon.</i>, seinen Sklaven jedoch zurückwiesen<sup class="footnote-marker">39</sup><i class="footnote"> Die Priester legten grosses Gewicht auf reine Abstammung.</i>; als sie aber vor Gericht erschienen, nahm man ihn und seinen Sklaven an, während man den Sohn zurückwies<sup class="footnote-marker">40</sup><i class="footnote"> bloß wegen seiner Verwandtschaft mit dem andern Zeugen.</i>.
Folgendes sind die Untauglichen<sup class="footnote-marker">41</sup><i class="footnote"> die nach dem Gesetz der Tora zwar als Zeugen zuzulassen wären, von den Rabbinen aber als unglaubwürdig erklärt wurden.</i>: Wer dem Würfelspiel ergeben ist<sup class="footnote-marker">42</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">קוביא</span> ist das gr. ϰυβός = Würfel.</i>, wer auf Zinsen Geld verleiht, wer Tauben fliegen lässt<sup class="footnote-marker">43</sup><i class="footnote"> wer gewerbsmässig Wettflüge veranstaltet (Buchmacher).</i>, wer mit Früchten des „Siebenten Jahres“ Handel treibt<sup class="footnote-marker">44</sup><i class="footnote"> Die Früchte des „Siebenten Jahres“, des sogenannten Brachjahres sind herrenlos (3. B. M. 25, 1—7). Es ist verboten, mit ihnen Handel zu treiben (Sch’bî‘it VII 3).</i>, und Sklaven<sup class="footnote-marker">45</sup><i class="footnote"> solange sie nicht freigelassen sind.</i>. Die Regel ist: Zu jedem Zeugnis, für das eine Frau sich nicht eignet<sup class="footnote-marker">46</sup><i class="footnote"> Es entspricht nicht der Würde der Frauen, vor Gericht zu erscheinen (<span dir="rtl">כל כבודה בת מלך פנימה</span>; vgl. Sch’bu‘ot 30a). Darum wurde ihnen, um sie der Zeugnispflicht zu entheben, vom Gesetze die Zeugnisfähigkeit abgesprochen (vgl. Synh. 19a unten in Bezug auf den König). Nur in den wenigen, teils sehr dringenden, teils äusserst seltenen Fällen, in denen die Aussage eines Zeugen genügt, werden auch sie als Zeugen zugelassen.</i>, sind auch jene nicht geeignet.
Wer den neuen Mond gesehen hat und nicht gehen kann, wird auf einem Esel<sup class="footnote-marker">47</sup><i class="footnote"> obwohl es sonst rabbinisch verboten ist, am Schabbat auf einem Tiere zu reiten (Jom Tob V 2).</i>, selbst in einer Sänfte<sup class="footnote-marker">48</sup><i class="footnote"> die von Israeliten am Schabbat getragen wird, was sonst sogar eine strafbare Handlung ist (s. Jirm. 17, 21 f.).</i> befördert<sup class="footnote-marker">49</sup><i class="footnote"> wenn auch seine Aussage als Einzelzeugnis ohne die Übereinstimmung mit den Bekundungen eines zweiten Beobachters, der vielleicht gar nicht vorhanden ist, nicht den geringsten Wert hat.</i>. Wenn ihnen unheimlich ist<sup class="footnote-marker">50</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">צודה</span> nicht von <span dir="rtl">צדה</span> = nachstellen, sondern wie das aram. <span dir="rtl">צדי</span> = öde sein, bange sein, schauern; vgl. <span dir="rtl">צדי לון מקמי חיותא</span> (Jer. B’rachot I 1 Anf.) = sie haben Angst vor Raubtieren.</i>, dürfen sie Stöcke in der Hand mitnehmen<sup class="footnote-marker">51</sup><i class="footnote"> was ebenfalls eine Schabbatentweihung bedeutet. Vgl. Anm. 48.</i>. Ist es ein weiter Weg, nehmen sie Nahrungsmittel mit<sup class="footnote-marker">52</sup><i class="footnote"> auf eine kurze Reise aber nicht; denn am Orte der Verhandlung wartete ihrer eine sehr gastliche Aufnahme (s. weiter unten II 5).</i>; denn bei einer Entfernung von einem Tagundnachtmarsche darf man den Schabbat noch entweihen, um zu einer Bekundung über den Neumond auszuziehen<sup class="footnote-marker">53</sup><i class="footnote"> Bei grösserer Entfernung dagegen hat die Reise keinen Zweck; denn die Zeugen, die den neuen Mond am Freitag gegen Abend gesehen haben, können ja doch nicht den Ort des Gerichtshofes vor Ausgang des Schabbat erreichen; am Sonntag aber ist auch ohne ihre Bekundung Neumondstag, weil kein Monat mehr als 30 Tage haben kann. An Werktagen jedoch sollen die Zeugen auch aus grösserer Entfernung kommen, damit der etwa falsch angesetzte Monatsanfang nachträglich auf Grund ihrer Aussage berichtigt werde.</i>. Es heisst ja<sup class="footnote-marker">54</sup><i class="footnote"> 3. B. M. 23, 4.</i>: Dies sind die Feste des Ewigen, heilige Berufungen, die ihr zur rechten Zeit berufen sollt<sup class="footnote-marker">55</sup><i class="footnote"> Dieser Vers bezieht sich auf die fünf Feste, von denen dort die Rede ist. Daher darf nach Einstellung des Opferdienstes nur wegen der Neumonde des Nisan und des Tischri der Schabbat von den Zeugen entweiht werden (Mischna 4 u. Anm. 24). Solange das Heiligtum aber stand, wurde er des Neumondsopfers wegen auch sonst verletzt (daselbst u. Anm. 25). Das folgt aus 4. B. M. 18, 2, wo in Bezug auf alle öffentlichen Opfer, die an einen bestimmten Tag gebunden sind, die rechtzeitige Darbringung (<span dir="rtl">להקריב לי במועדו</span>) gefordert wird. <img src="images/Art_P344.jpg" alt="art" /></i>.
Chapter 2
Wenn man ihn nicht kennt, schickt man einen andern mit, um Zeugnis über ihn abzulegen<sup class="footnote-marker">1</sup><i class="footnote"> Mit anderen Worten: Wenn der Beobachter des neuen Mondes am Orte der Vernehmung unbekannt ist, gibt ihm der Gerichtshof seines Bezirkes selbst am Schabbat einen (nach dem Talmud zwei) Zeugen als Begleiter mit, um seine Unbescholtenheit zu bekunden. Ob <span dir="rtl">להעידו</span> für <span dir="rtl">להעיד עליו</span> oder für <span dir="rtl">לעשותו עד</span> steht, mag dahingestellt bleiben.</i>. Anfangs nahmen sie die Aussagen über den Neumond von jedermann entgegen. Infolge der Freveltaten der Ketzer<sup class="footnote-marker">2</sup><i class="footnote"> welche die Behörde durch falsches Zeugnis irrezuführen suchten.</i> verordnete man, sie nur von Bekannten<sup class="footnote-marker">3</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">מן המכירים</span> = <span dir="rtl">מאותם שמכירים</span>. Die Bekanntschaft ist ein Verhältnis, das auf Gegenseitigkeit beruht. Der deutsche Sprachgebrauch bezeichnet den, den wir kennen und der uns kennt, als Bekannten, der hebräische als <span dir="rtl">מכיר</span>.</i> anzunehmen.
Anfangs wurden Feuerzeichen angewendet<sup class="footnote-marker">4</sup><i class="footnote"> um der Bevölkerung auf schnellstem Wege den Beginn des neuen Monats mitzuteilen. Das Zeichen wurde nur gegeben, wenn der 30. Tag des alten Monats zum Neumondstage geweiht worden war. In diesem Falle liess die Behörde mit Anbruch der Nacht das Feuer auf den Bergen anzünden. War der Neumondstag ein Freitag, so durfte es allerdings erst nach Schabbatausgang, also in der Nacht zum 32. Tage des alten Monats, angezündet werden. Ein Irrtum konnte dadurch nicht hervorgerufen werden, weil in den Monaten, in denen man erst den 31. Tag zum Neumondstage gemacht hatte, überhaupt keine öffentliche Bekanntgabe erfolgte. Wenn daher nach Ausgang eines Schabbats die Feuerzeichen aufflammten, wusste jedermann, dass dieser Tag zum Monatsanfang geweiht worden, wenn es der dreissigste, der Freitag dagegen, wenn Schabbat schon der 31. Tag des alten Monats war. — Die Etymologie von <span dir="rtl">משיאין משואות</span> ist dunkel, wenn <span dir="rtl">משיאין</span> wirklich Anzünden und <span dir="rtl">משואות</span> Feuer zeichen bedeutet, was der bab. Talmud z. St. zunächst als selbstverständlich voraussetzt, um es dann durch den Hinweis auf <span dir="rtl">וישאם דוד</span> (2 Sam. 5, 21) zu begründen, das vom Targum in Uebereinstimmung mit <span dir="rtl">וישרפו באש ויאמר דויד</span> (1 Chr. 14, 12) durch <span dir="rtl">ואוקדינון דוד</span> wiedergegeben wird. An anderer Stelle freilich (‘Aboda zara 44a; s. auch Tosefta das. IV g. Ende, ed. Z. 465, 18f.) wird in diesen Bibelversen ein Widerspruch erblickt und <span dir="rtl">וישאם</span> in dem gewöhnlichen Sinne (davontragen) aufgefasst. In unserer Mischna könnte <span dir="rtl">משיאין</span> ebenfalls ganz allgemein Erheben und <span dir="rtl">משואה</span> das emporgestreckte Signal bedeuten. Indessen ist die Ansicht, dass in <span dir="rtl">משיאין</span> der Begriff des Anzündens liege, doch nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. In Ri. 20, 40 erklärt sich der Satz <span dir="rtl">והמשאת החלה לעלות מן העיר עמוד עשן</span> am ungezwungensten, wenn <span dir="rtl">משאת</span> die Feuersbrunst ist und <span dir="rtl">לעלות</span> für <span dir="rtl">להעלות</span> steht (vgl. <span dir="rtl">לשמע</span> für <span dir="rtl">להשמיע</span> Ps. 26, 7; <span dir="rtl">לשמד</span> für <span dir="rtl">להשמיד</span> Jes. 23, 11 u. a.). Auch in <span dir="rtl">משאת העשן מן העיר להעלותם</span> (Ri. 20, 38) gibt rauchendes Feuer einen bessern Sinn als Erhebung des Rauches. Zu vergleichen wäre <span dir="rtl">העלה</span>, worunter unsere alten Bibelerklärer überall, wo es in Verbindung mit <span dir="rtl">נר</span> vorkommt, nicht das Aufsetzen auf den Leuchter (in M’nsḥot 88b ist es eine Streitfrage, ob die Lämpchen überhaupt abgenommen werden konnten) wie die neueren Exegeten, sondern das Anzünden der Lampen verstanden haben. Die „Siebzig“ übersetzen es viermal (2. B. M. 27, 20 u. 30, 8; 3. B. M. 24, 2; 4. B. M. 8, 3) mit Anzünden (ἵνα ϰαίηται, ὅταν ἐξάπτῃ, ϰαῦσαι, ἐξῆψε) und zweimal (2. B. M. 25, 37 u. 4 B. M. 8, 2) mit Aufsetzen (ἐπιϑσεις u. ἐπιτιθῇς), während sie an drei Stellen (2. B. M. 27, 21 u. 4. B. M. 8, 3—4) sogar <span dir="rtl">יערך</span> mit Anzünden wiedergeben (ϰαύσει, ϰαύσουσιν, ϰαύσετε). Demnach wäre <span dir="rtl">והנה עלה כליל העיר השמימה</span> (Ri. 20, 40) = die ganze Stadt loderte zum Himmel empor, <span dir="rtl">שאו משאת</span> (Jirm. 6, 1) = zündet Feuerzeichen an, <span dir="rtl">להעלות חמה</span> (Ez. 24, 8) = Zorn zu entfachen. Ganz von selbst ergäbe sich daraus die Bezeichnung <span dir="rtl">עולה</span> für das Brandopfer, das nun seinen Namen davon hätte, dass es auf dem Altar in Feuer aufgeht (3. B. M. 6, 2: <span dir="rtl">היא העלה על מוקדה על המזבח כל הלילה</span> = das die ganze Nacht…brennt), während der auch auf andere Opfer angewandte Ausdruck <span dir="rtl">העלה</span> mit <span dir="rtl">הקטיר</span> (verbrennen) gleichbedeutend wäre. Wie sich aus dem Begriffe des Aufsteigens und Erhebens in <span dir="rtl">עלה</span> und <span dir="rtl">נשא</span> durch Übertragung auf die Flamme der des Brennens und Anzündens entwickelt hat, braucht nicht erst auseinandergesetzt zu werden.</i>. Infolge der Freveltaten der Samaritaner<sup class="footnote-marker">5</sup><i class="footnote"> die aus Bosheit zur unrechten Zeit die Feuerzeichen gaben.</i> verordnete man, dass Boten hinausziehen sollten<sup class="footnote-marker">6</sup><i class="footnote"> s. oben I 3.</i>.
Wie wurden die Feuerzeichen hergestellt? Man schaffte lange Zedernzweige<sup class="footnote-marker">7</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">כלונס</span> ist das gr. ϰλών (ϰλῶναξ?) = ein junger Zweig (von ϰλάω abbrechen).</i> herbei nebst Rohr, Oleasterholz und Werg vom Flachs, umwickelte alles mit einer Schnur und bestieg eine Bergspitze, wo man es in Brand setzte und solange hin und her, aufwärts und abwärts schwenkte, bis man den Kollegen auf der zweiten Bergspitze ebenso verfahren sah. Und so auch auf dem Gipfel des dritten Berges.
Und von welchen Orten wurden die Feuerzeichen gegeben? Vom Oelberge<sup class="footnote-marker">8</sup><i class="footnote"> Der Oelberg, in der Bibel <span dir="rtl">הר הזיתים</span> genannt, liegt im Osten der heiligen Stadt, dem Tempelberge gegenüber.</i> nach Sarteba<sup class="footnote-marker">9</sup><i class="footnote"> jetzt Surtubeh, einige Meilen östlich vom Ölberge.</i>, von Sarteba nach Agrippina, von Agriprina nach Ḥauran<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Dschebel Ḥauran, östlich von Bostra (Busra).</i>, von Ḥauran nach Bêt Baltïn<sup class="footnote-marker">11</sup><i class="footnote"> später Bêrâm, an der Grenze Babyloniens.</i>. In Bêt Baltîn rührte man sich nicht eher von der Stelle, schwenkte vielmehr hin und her und auf und ab, bis man die ganze Gola<sup class="footnote-marker">12</sup><i class="footnote"> eig. das Exil. Gemeint ist Babylonien und in erster Reihe die Stadt Pumbedita.</i> wie ein Flammenmeer vor sich sah<sup class="footnote-marker">13</sup><i class="footnote"> da die zahlreiche jüdische Bevölkerung an solchen Abenden auf den Dächern Freudenfeuer anzündete.</i>.
Ein grosser Hof war in Jerusalem, der Bêt Ja‘zêḳ genannt wurde. Dort versammelten sich alle Zeugen, und dort wurden sie vom Gerichtshof vernommen. Man bereitete ihnen grosse Mahlzeiten, damit sie einen Anreiz hätten zu kommen. Vormals durften sie sich den ganzen Tag von dort nicht entfernen<sup class="footnote-marker">14</sup><i class="footnote"> wenn es Schabbat war und sie aus einem andern Schabbatbezirke (‘Erubin, Eial. Abs. 4) gekommen waren (vgl. das. IV 1).</i>. Rabban Gamliel der Ältere verordnete, dass sie zweitausend Ellen nach jeder Richtung gehen dürften<sup class="footnote-marker">15</sup><i class="footnote"> s. das. IV 3.</i>. Und nicht diese allein, sondern auch die zur Geburtshilfe erschienene Hebamme sowie jeder, der herbeigeeilt ist, um Hilfe zu leisten bei Feuersgefahr, feindlichem Überfall, Wassersnot oder Einsturz, sie alle sind den Bewohnern der Ortschaft gleichzuachten und haben zweitausend Ellen nach jeder Richtung frei.
Wie verhört man die Zeugen? Das zuerst erschienene Paar wird zuerst vernommen, indem man zunächst den Ältern von beiden eintreten lässt und zu ihm spricht: Sage, wie du den Mond gesehen hast? Vor der Sonne oder hinter der Sonne<sup class="footnote-marker">16</sup><i class="footnote"> Beide Himmelskörper bewegen sich — die Sonne allerdings nur scheinbar — im Tierkreise von West nach Ost; während aber das Tagesgestirn kaum 1° täglich vorrückt, legt der Mond an jedem Tage rund 13° zurück. In der Konjunktion, dem wahren Molad, befindet sich der Mond zwischen Erde und Sonne. Nach Verlauf von 24 Stunden hat er jedoch bereits einen Vorsprung von 12°, und um diesen Betrag entfernt er sich nun täglich von der Sonne nach Osten hin, bis dieser Abstand sich in 15 Tagen auf 180°, also einen vollen Halbkreis beläuft. Nunmehr befindet sich die Erde zwischen der Sonne und dem Monde, und dieser nähert sich allmählich wieder von Westen her dem Tagesgestirn, bis er es am Ende des Monats erreicht und die Konjunktion aufs neue eintritt. Wenige Tage vor und nach dem Molad ist demnach die Entfernung zwischen beiden Himmelskörpern, die sogenannte Elongation, nicht bedeutend, beide stehen dann des Abends am westlichen Himmel über einander; nur dass sich vor der Konjunktion der Mond im Westen des Tagesgestirns und daher dem Gesichtskreise näher, also vor der Sonne befindet, während er nach der Konjunktion umgekehrt östlich vom Tagesgestirn, folglich weiter als dieses vom Horizont entfernt, mit anderen Worten: hinter der Sonne zu sehen ist <img src="images/Art_P347.jpg" alt="art" /></i> ? Nördlich von ihr oder südlich von ihr<sup class="footnote-marker">17</sup><i class="footnote"> Mondbahn und scheinbare Sonnenbahn (Erdbahn, Ekliptik) liegen zwar in demselben breiten Gürtel, den man als Tierkreis bezeichnet, aber nicht in der gleichen Ebene; sie schneiden sich vielmehr unter einem Winkel von rund 5° in zwei Punkten, den sogenannten Knoten, so dass die eine Hälfte der Mondbahn im Norden, die andere im Süden der Ekliptik liegt. Den senkrechten Abstand der einzelnen Punkte der Mondbahn von der Ekliptik nennt man die Breite. Diese ist naturgemäss in der Nähe der Knoten am geringsten und wächst mit der zunehmenden Entfernung bis zu 5°. Je nachdem sich nun der Mond in der nördlichen oder in der südlichen Hälfte seiner Bahn bewegt, hat er eine bald grössere und bald kleinere nördliche oder südliche Breite. Bei nördlicher Breite sieht ihn der Beobachter, der sein Gesicht dem westlichen Himmel zukehrt, rechts von der Sonne (<span dir="rtl">לצפונה</span>), bei südlicher Breite dagegen links von der Sonne (<span dir="rtl">לדרומה</span>). Befindet sich der Mond in einem der Knoten, so dass er überhaupt keine Breite hat, dann sieht man ihn nach der Konjunktion genau über der Sonne an ihrer Ostseite. Die Linie, die die beiden Knoten verbindet (der sogenannte Drache), dreht sich zwar fortwährend um den eigenen Mittelpunkt; aber diese Bewegung ist so gleichmässig, dass man den Ort der Knoten in der Ekliptik für jeden gegebenen Zeitpunkt leicht ermitteln und hernach den positiven oder negativen Wert der Breite, d. i. ihre Grösse sowie ihre nördliche oder südliche Lage, berechnen kann.</i> ? Wie hoch stand er<sup class="footnote-marker">18</sup><i class="footnote"> s. Anm. 29. — Selbstverständlich können die Zeugen die Höhe des Mondes über dem Gesichtskreise nur nach ungefährer Schätzung angeben. Der Gerichtshof aber kann sie mit der wünschenswerten Genauigkeit aus der Länge und Breite des Mondes in Verbindung mit der Neigung der Ekliptik zum Horizonte des Beobachtungsortes berechnen. Unter der Länge des Mondes versteht man seinen Abstand vom Frühlingspunkte des Tierkreises, dem Kopfe des Widders (<span dir="rtl">ראש טלה</span>). Sie ist auf Grund der Gesetze der Mondbewegung zunächst zu ermitteln, denn ohne diese Vorarbeit kann der Gerichtshof nicht einmal feststellen, wann die Konjunktion eingetreten ist. Die jeweilige Neigung der Ekliptik zum Gesichtskreise muss ebenfalls durch Rechnung gefunden werden; denn während die beiden Winkel, unter denen der Himmelsäquator einerseits die Ekliptik und andererseits den Horizont schneidet (Schiefe der Ekliptik und Äquatorhöhe, jene = 23½°, diese in Jerusalem = 58¼°), unveränderliche Grössen sind, ist der Winkel, den die Ekliptik mit dem Gesichtskreise bildet, infolge der scheinbaren Bewegung der Himmelskugel einem ständigen Wechsel unterworfen. Er misst z. B. in Jerusalem 81¾° (= 58¼ + 23½), wenn der Frühlingspunkt, dagegen nur 34¾° (=58¼ — 23½), wenn der Herbstpunkt auf dem westlichen Horizonte sich befindet. Zwischen diesen Grenzen ändert sich sein Wert im Laufe eines Sterntages mit jedem Augenblicke, kann aber für jeden beliebigen Punkt der Ekliptik aus deren Schiefe, der Polhöhe und dem Abstand des gegebenen Punktes vom Frühlings- oder Herbstpunkte berechnet werden.</i>, wohin neigte er<sup class="footnote-marker">19</sup><i class="footnote"> Diese Frage bezieht sich auf die Abendweite des untergehenden Mondes oder seine Entfernung vom Westpunkte des Gesichtskreises, sei es nach Norden, sei es nach Süden. Die Himmelskugel dreht sich in ihrer scheinbaren täglichen Bewegung um die Weltachse, die auf der Ebene des Himmelsäquators senkrecht steht. Die zahllosen Kreise, die man sich durch die beiden Pole der Weltachse und den Äquator gezogen denkt, nennt man Deklinationskreise, weil an ihnen die Abweichung (Deklination) der Himmelskörper vom Äquator gemessen wird. Alle Sterne von gleicher Abweichung haben dieselbe Abendweite. Befindet sich ein Himmelskörper im Äquator, so ist seine Deklination und also auch seine Abendweite gleich Null, er geht genau im Westpunkte unter. Je grösser aber seine Deklination, desto grösser seine Abendweite; er geht nördlich vom Westpunkte unter, wenn er an der nördlichen Halbkugel seinen Ort hat, dagegen südlich vom Westpunkte, wenn er südlich vom Äquator steht. Der Mond nun hat, wenn er nicht gerade durch den Frühlings- oder Herbstpunkt geht, also den Äquator kreuzt, je nach seiner Länge und Breite eine bald nördliche, bald südliche Abweichung, deren Lage und Grösse aus diesen beiden Elementen seiner Bahn leicht berechnet werden kann, da ja die Neigung des Äquators zur Ekliptik, wie bereits in der vorigen Anmerkung erwähnt wurde, einen feststehenden Wert hat (23½°). Noch leichter ist die Ermittlung der Abendweite des Mondes aus seiner Deklination. Beträgt jene weniger als drei Grad, so sieht der Beobachter den Mond kurz vor seinem Untergange über dem Westpunkte und seine Hörner (die Öffnung seiner Sichel) genau nach Osten gerichtet; ist die Abendweite jedoch grösser, so sieht man ihn bei nördlicher Abweichung mehr nördlich, bei südlicher dagegen mehr südlich. Im ersten Falle neigen seine Hörner nach Südosten, während sie im zweiten nach Nordosten blicken.</i> und wie breit war er<sup class="footnote-marker">20</sup><i class="footnote"> Auch diese Frage kann vom Zeugen nur nach Augenmass beantwortet werden. Die Breite der Mondsichel und die Stärke ihres Lichtes hängen von der Elongation oder dem Längenunterschied zwischen ihr und der Sonne wie auch vom Austrittsbogen oder dem Höhenunterschiede beider Himmelskörper ab. Je weiter sich der Mond nach Osten hin von der Sonne entfernt hat, desto breiter seine Sichel und desto heller sein Glanz; und je tiefer das Tagesgestirn unter den Horizont getaucht ist, desto erfolgreicher kann das schwache Licht des neuen Mondes gegen den mattern Schein der Abenddämmerung ankämpfen. Kennt man die Länge beider Himmelskörper, so kennt man auch ihre Elongation; hat man dazu noch die Breite des Mondes ermittelt, so lässt sich auch die Grösse des Austrittsbogens nach der in Anm. 18 gegebenen Anleitung feststellen.</i> ? Sagt er: Vor der Sonne, ist seine Aussage nichtig<sup class="footnote-marker">21</sup><i class="footnote"> Dann hat er nicht den neuen, sondern den alten Mond gesehen, der früher als die Sonne untergeht, also dem Horizonte näher steht als diese (s. Anm. 16). Oder er hat den Mond überhaupt nicht gesehen, sondern sich durch ein schwach leuchtendes Wölkchen am Abendhimmel täuschen lassen.</i>. Hierauf lässt man den zweiten eintreten und verhört ihn. Werden ihre Worte in Übereinstimmung gefunden, so ist ihr Zeugnis von Bestand. Man befragt die anderen Paare dann noch über einige Hauptpunkte; nicht als ob man ihrer bedürfte, sondern nur, damit sie nicht enttäuscht<sup class="footnote-marker">22</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">פחי נפש</span> = <span dir="rtl">מפח נפש</span> ist der Schmerz über eine getäuschte Hoffnung; vgl. <span dir="rtl">ותקותם מפח נפש</span> (Ijob 11, 20). Das Nomen <span dir="rtl">פחי</span> ist von einem sonst unbekannten, mit <span dir="rtl">פוח ,נפח</span> und <span dir="rtl">יפת</span> verwandten Verbum <span dir="rtl">פחה</span> wie <span dir="rtl">שבי</span> von <span dir="rtl">שבה</span> gebildet.</i> davongehen, vielmehr einen Anreiz haben wieder zu kommen.
Der Vorsitzende des Gerichtshofes spricht: M’ḳuddâsch (Geweiht!), und alles Volk stimmt nach ihm an: M’ḳuddâsch, M’ḳuddâsch. Ob er nun zur gehörigen Zeit wahrgenommen wurde<sup class="footnote-marker">23</sup><i class="footnote"> in der Nacht zum Dreissigsten des Monats.</i>, oder zur gehörigen Zeit nicht sichtbar war<sup class="footnote-marker">24</sup><i class="footnote"> sondern erst in der folgenden Nacht oder, wenn der Himmel bedeckt war, überhaupt nicht.</i>, er wird geweiht<sup class="footnote-marker">25</sup><i class="footnote"> durch den Ausruf: M’kuddasch (geweiht !).</i>. Rabbi El‘azar bar Sadok meint: Wenn er nicht zur gehörigen Zeit gesehen wurde, weiht man ihn nicht, da der Himmel ihn bereits geweiht hat<sup class="footnote-marker">26</sup><i class="footnote"> Da kein Monat mehr als 30 Tage haben kann, wird der einunddreissigste von selbst auch ohne die obrigkeitliche Genehmigung zum Beginn des neuen Monats.</i>.
Rabban Gamliel hatte Bilder von Mondgestalten auf einer Tafel<sup class="footnote-marker">27</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">טבלא</span> = lat. tabula.</i> an der Wand seines Söllers, die er den Laien<sup class="footnote-marker">28</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">הדיוט</span>, gr. ἰδιότης = der gemeine Mann, der in irgend einer Kunst oder Wissenschaft Unerfahrene, der Laie.</i> zeigte, indem er sprach: Hast du diesem Aehnliches gesehen? Oder diesem Aehnliches? Es ereignete sich, dass zwei kamen und sagten: Wir haben ihn<sup class="footnote-marker">29</sup><i class="footnote"> Hier wird nicht mehr an <span dir="rtl">לבנה</span>, sondern an <span dir="rtl">חדש</span> gedacht; daher das männliche Fürwort (<span dir="rtl">ראינוהו</span> = <span dir="rtl">ראינו את החדש</span>; vgl. oben I 7—9).</i> des Morgens im Osten und am Abend im Westen gesehen<sup class="footnote-marker">30</sup><i class="footnote"> Vorausgesetzt wird, dass die Zeugen am Dreissigsten kamen. Das braucht die Mischna nicht ausdrücklich zu berichten, weil der Gerichtshof am 31. Tage nicht erst das Erscheinen von Zeugen abwartete, sondern schon in aller Frühe diesen Tag ohne weiteres zum Ersten des folgenden Monats erklärte. Es ist auch möglich, dass <span dir="rtl">שחרית</span> hier das Morgengrauen und <span dir="rtl">ערבית</span> die Abenddämmerung bezeichnet. Wie dem auch sei, auf alle Fälle wollten die Zeugen die Mondsichel am Neunundzwanizgsten zweimal wahrgenommen haben, das erste Mal vor Sonnenaufgang, also westlich vom Tagesgestirn, das andere Mal nach Sonnenuntergang, also östlich vom Tagesgestirn. Demnach müsste zwischen beiden Beobachtungen die Konjunktion stattgefunden haben (s. Anm. 16).</i>. Rabbi Joḥanan ben Nuri behauptete, es wären falsche Zeugen<sup class="footnote-marker">31</sup><i class="footnote"> Es ist wohl möglich, dass man den Mond einige Tage vor der Konjunktion des Morgens vor Sonnenaufgang im Osten und abends vor Sonnenuntergang im Westen, oder einige Tage nach der Konjunktion des Morgens nach Sonnenaufgang im Osten und am Abend nach Sonnenuntergang im Westen sieht; aber es ist nicht möglich, dass man ihn an einem und demselben Tage vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang beobachte, denn wenn der Tag auch noch so lang ist und die Umstände noch so günstig sind, kann selbst das schärfste Auge bei tiefster Dunkelheit nicht in so kurzer Zwischenzeit den letzten Schimmer des alten und den ersten Schimmer des neuen Mondes wahrnehmen.</i>; als sie aber nach Jabne kamen, nahm Rabban Gamliel sie an<sup class="footnote-marker">32</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">יבנה</span> (2 Chr. 26, 6), identisch mit <span dir="rtl">יבנאל</span> (Jos. 15, 11), später Jamnia, jetzt Jebna, ist eine Hafenstadt zwischen Japho und Askalon und war nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer längere Zeit der Sitz des Synhedrion und die bedeutendste Pflegestätte jüdischer Wissenschaft. Der hier genannte Rabban Gamliel ist der Enkel des oben in Mischna 5 erwähnten. Er hatte durch Rechnung festgestellt, dass der neue Mond am vorangegangenen Abend schon sichtbar war, und nahm daher an, dass die Zeugen sich am Morgen geirrt und irgend ein Wölkchen für den Mond gehalten hatten.</i>. Ferner kamen zwei und sagten: Wir haben ihn zur gehörigen Zeit gesehen<sup class="footnote-marker">33</sup><i class="footnote"> in der Nacht zum 30. Elul.</i>, in der Schaltnacht<sup class="footnote-marker">34</sup><i class="footnote"> in der auf den Schalttag folgenden Nacht. Der Dreissigste wird Schalttag (<span dir="rtl">עבור</span>) genannt, weil er dem abgelaufenen Monat hinzugefügt wird, wenn ihn der Gerichtshof nicht zum Ersten des neuen Monats geweiht hat.</i> aber war er nicht sichtbar<sup class="footnote-marker">35</sup><i class="footnote"> Es kann zweifelhaft sein, ob die Worte <span dir="rtl">ובליל עבורו לא נראה</span> noch zur Aussage der Zeugen gehören, wie Maimuni es in seinem Mischnakommentar z. St. auffasst, oder schon dem Berichte des Tradenten zuzurechnen sind, wie der Verfasser des <span dir="rtl">תפארת ישראל</span> hier behauptet. Beide Erklärungen stossen auf Schwierigkeiten. Nach der letztern hätte der Bericht lauten sollen: Die Zeugen behaupteten, den neuen Mond zur rechten Zeit gesehen zu haben, Rabban Gamliel nahm sie an, in der folgenden Nacht war aber der Mond nicht sichtbar (<span dir="rtl">ועוד באו שנים ואמרו ראינוהו בזמנו וקבלן רבן גמליאל ובליל עבורו לא נראה</span>). Nach Maimunis Auffassung ist zunächst der Wechsel des Ausdrucks auffällig: das eine Mal <span dir="rtl">ראינוהו</span> (wir haben ihn gesehen), das andere Mal: <span dir="rtl">לא נראה</span> (er war nicht sichtbar), wozu dann noch das sachliche Bedenken tritt, dass die Zeugen, die den Mond in der Nacht zum 31. Elul nicht wahrgenommen zu haben erklärten, doch frühestens am nächsten Morgen vor dem Gerichtshof erschienen sein können (in der Nacht wurden keine Zeugen vernommen), und dieser dennoch den 1. Tischri auf den 30. Elul festsetzte, während er ihn nach Kap. III Mischna 1 selbst dann auf den folgenden Tag hätte verschieben müssen, wenn die Zeugen schon am 30. Elul erschienen wären, ihre Vernehmung aber sich so lange hingezogen hätte, dass die Neumondsweihe vor Anbruch der Nacht nicht mehr erfolgen konnte. Diese Schwierigkeiten sind indessen leicht zu lösen. Die Zeugen sagten mit Bedacht: „Wir haben den Mond in der Nacht zum 30. Elul gesehen, in der folgenden Nacht aber war er nicht sichtbar,“ weil sie damit ausdrücken wollten, dass sie ihn in der zweiten Nacht nicht etwa aus Unachtsamkeit oder infolge ungünstiger Witterung nicht sahen, sondern weil er trotz heitern Himmels und aufmerksamer Beobachtung nicht zu sehen war. Dass aber der Gerichtshof, nachdem bereits der Monatsanfang auf den 31. Elul festgesetzt war, diesen Beschluss wieder aufhob und nachträglich den 30. Elul zum 1. Tischri machte, ist nach Maimuni (<span dir="rtl">הלכות קדוש החדש</span> III 15—18) nicht nur gerechtfertigt (s. oben I Anm. 53), sondern in den Monaten Nisan und Tischri um der richtigen Ansetzung der Feiertage willen sogar geboten. Der Vorfall dürfte sich demnach in folgender Weise abgespielt haben: Rabban Gamliel hatte mit Hilfe der Neumondsberechnung festgestellt, dass der neue Mond in der Nacht zum 30. Elul sichtbar sein würde. Wie alle Jahre wurde auch diesmal in Erwartung der Zeugen, die im Laufe des Tages eintreffen konnten, das Neujahrsfest am 30. Elul gefeiert. Wären die erwarteten Zeugen erschienen, so hätte das Fest mit Eintritt der Nacht sein Ende erreicht. Da aber keine Zeugen gekommen waren, so wurde der folgende Tag zum ersten Tischri bestimmt und selbstverständlich auch als Neujahrstag gefeiert. Einige Tage später, jedenfalls noch vor dem Versöhnungstage, wie aus dem weitern Berichte sich ergibt, kamen zwei Zeugen aus der Ferne, die vor dem Gerichtshofe bekundeten, sie hätten den neuen Mond in der Nacht zum 30. Elul gesehen. Da sie aber weiter als eine Tagereise von Jabne entfernt wohnten, hätten sie erst nach Ausgang des Festes aufbrechen können (Kap. I Ende, Anm. 53), wären also in der zweiten Neujahrsnacht noch zu Hause gewesen, müssten aber bekennen, dass in dieser Nacht der Mond nicht sichtbar gewesen. Darauf veranlasste Rabban Gamliel seine Kollegen zu einer nachträglichen Berichtigung des Monatsanfangs, damit der Versöhnungstag und das Hüttenfest zur rechten Zeit gefeiert würden. <img src="images/Art_P348.jpg" alt="art" /></i>. Rabban Gamliel nahm sie an; Rabbi Dosa ben Harkinas erklärte dagegen: Es sind falsche Zeugen<sup class="footnote-marker">36</sup><i class="footnote"> Die Tatsache an sich, dass der Mond auch am zweiten Neujahrsabend, also in der Nacht zum 31. Elul noch nicht sichtbar war, schien ihm nicht auffällig. Wenn auch die Durchschnittsdauer des synodischen Monats rund 29½ Tage beträgt, so ist doch die Mondbahn so vielen Störungen unterworfen, dass von einer Konjunktion zur andern mitunter nur 29 und mitunter volle 30 Tage vergehen (<span dir="rtl">פעמים בא בארובה ופעמים בא בקצרה</span>). Dazu kommt, dass auch der Zeitraum, der zwischen der Konjunktion und dem ersten Auftauchen der schmalen Mondsichel verstreichen muss, erheblichen Schwankungen unterliegt. Das eine Mal genügt eine Elongation (s. Anm. 16 und 20) von 10° (20 Stunden), das andere Mal ist ein Längenunterschied von 21° (42 Stunden) erforderlich. Es ist also sehr wohl möglich, dass der neue Mond, der heute abend beobachtet wurde, das nächste Mal nach vollen 30 Tagen noch nicht sichtbar sein wird. Eine Stunde später wird man ihn vielleicht schon wahrnehmen können; aber dann ist er für unsern Horizont schon untergegangen und nur an westlicher gelegenen Orten zu beobachten. Dass er aber heute sich zeigt und morgen wieder unsichtbar macht, ist völlig ausgeschlossen.</i>. Wie können sie von einer Frau bekunden, dass sie geboren hat, wenn am folgenden Tage der Leib ihr an die Zähne reicht? Da sprach Rabbi Josua zu ihm: Mir leuchten deine Worte ein<sup class="footnote-marker">37</sup><i class="footnote"> Auch er war der Ansicht, dass die Zeugen sich am ersten Neujahrsabend getäuscht hätten und Rabban Gamliel in der Rechnung sich geirrt haben musste. Dieser aber war anderer Meinung. Da nach seiner Berechnung der neue Mond in der ersten Neujahrsnacht schon sichtbar war, in Wirklichkeit aber auch in der folgenden Nacht nicht wahrgenommen wurde, hätte er sich um mehr als 24 Stunden geirrt haben müssen. Ein solcher Rechenfehler ist in der Tat unwahrscheinlich. Er nahm daher lieber an, dass die meteorologischen Verhältnisse am zweiten Abend weniger günstig als am ersten waren, oder dass die Zeugen an jenem Abend, da es nicht mehr darauf ankam, mit geringerer Sorgfalt den Himmel beobachtet und aus demselben Grunde die Bewohner von Jabne und Umgegend dem Monde überhaupt keine Beachtung geschenkt hätten. Dass ihn aber ausser den Zeugen kein Mensch in der ersten Nacht gesehen, braucht nicht erst erklärt und begründet zu werden. Das kam wohl öfter vor und liegt in der Natur der Sache. Die Mondsichel ist da noch so schmal und ihr matter Schein so schwach, dass nur ein sehr scharfes Auge unter besonders günstigen Bedingungen sie wahrnehmen kann.</i>.
Rabban Gamliel liess ihm hierauf sagen<sup class="footnote-marker">38</sup><i class="footnote"> dem Rabbi Josua. Er kann es ihm auch geschrieben haben; denn <span dir="rtl">שלח</span> bezeichnet ebenso die briefliche Mitteilung wie die mündliche Bestellung durch einen Boten.</i>: Ich befehle dir<sup class="footnote-marker">39</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">גוזרני</span> ist aus <span dir="rtl">גוזר אני</span> zusammengezogen.</i>, dass du an dem Tage, auf den nach deiner Rechnung das Versöhnungsfest fällt<sup class="footnote-marker">40</sup><i class="footnote"> Das ist der elfte Tischri nach Rabban Gamliels Festsetzung.</i>, mit Stock und Geld<sup class="footnote-marker">41</sup><i class="footnote"> wie an einem Werktage.</i> zu mir kommst. Rabbi ‘Akiba ging hin<sup class="footnote-marker">42</sup><i class="footnote"> zu Rabbi Josua.</i> und fand ihn betrübt<sup class="footnote-marker">43</sup><i class="footnote"> in Gewissensnöten. <span dir="rtl">מצר</span>, Hif‘il von <span dir="rtl">צרר</span>, hier intransitiv wie in <span dir="rtl">אשה מצרה</span> (Jirm. 48, 41; 49, 22).</i>. Da sprach er zu ihm: Ich kann beweisen, dass alles, was Rabban Gamliel getan hat, Gesetzeskraft besitzt<sup class="footnote-marker">44</sup><i class="footnote"> Wörtlich: getan ist.</i>; denn es heisst<sup class="footnote-marker">45</sup><i class="footnote"> 3 B. M. 23, 4.</i>: Dies sind die Feste des Ewigen, heilige Berufungen, die ihr berufen sollt. Ob zur gehörigen Zeit, ob zu ungehöriger Zeit, ich kenne keine anderen Feste als diese<sup class="footnote-marker">46</sup><i class="footnote"> Wenn man will, kann man „ich“ auf Gott beziehen. Doch ist <span dir="rtl">אין לי</span> in solchen Ableitungen aus der heiligen Schrift eine ständige Redewendung, in der das Fürwort immer den Ausleger meint. Rabbi ‘Aḳiba, der das Wörtchen <span dir="rtl">אלה</span> betont, will aus diesem Verse offenbar beweisen, dass die Festsetzung des Neumondstages durch das berufene Gericht auch dann unumstösslich ist, wenn sie auf Irrtum beruht. Nun lautet zwar der letzte Satz vollständig: <span dir="rtl">אשר תקראו אתם במועדם</span> (die ihr zur rechten Zeit berufen sollt). Indessen kann diese Mahnung nur der Behörde gelten. Diese hat die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Feste zur gehörigen Zeit gefeiert werden. Das Volk hat sich ihrer Anordnung zu fügen, und es darf sich niemand, er mag noch so gelehrt sein, das Recht anmassen, ihre Entscheidung wegen angeblichen Irrtums anzufechten und die Feste nach eigenem Ermessen anzusetzen. Wohin sollte es auch führen, wenn jeder Fachmann die Befugnis hätte, auch nur für seine Person einen besondern Kalender aufzustellen? Immerhin ist es befremdlich, dass Rabbi ‘Aḳiba das Wort <span dir="rtl">במועדם</span> weglässt. Es ist doch nicht anzunehmen, dass die Mischna es unterschlagen hat, damit der oberflächliche Zuhörer daraus keine Waffe gegen ihn schmiede. Vielleicht liegt hier der sehr alte Fehler eines Abschreibers vor, dem der am Ende des vorigen Kapitels angeführte Vers noch im Sinne lag. Rabbi ‘Aḳiba aber stützte sich in Wahrheit auf Vers 2: <span dir="rtl"> מועדי ה׳ אשר תקראו אתם מקראי קדש אלה הם מועדי </span> (Die Feste des Ewigen, die ihr als heilige Berufungen verkündet, sie sind meine Feste), wo auf dem Wörtchen <span dir="rtl">אלה</span> in der Tat ein starker Nachdruck ruht, was in Vers 4 weniger der Fall ist.</i>. Als er<sup class="footnote-marker">47</sup><i class="footnote"> Rabbi Josua, den das Argument des Rabbi ‘Aḳiba nicht ganz beruhigen konnte. Er hatte ja nicht die Absicht, sich von der Feier des durch Rabban Gamliel festgesetzten Versöhnungstages auszuschliessen; er hätte nur auch noch den folgenden Tag gern gefeiert, was jener ihm verwehren wollte.</i> zu Rabbi Dosa ben Harkinas kam, sagte ihm dieser: Wenn wir dem Gerichtshofe Rabban Gamliels nachforschen wollten, müssten wir auch jedem einzelnen Gerichtshofe nachforschen, der von Mosches Tagen bis heute eingesetzt wurde<sup class="footnote-marker">48</sup><i class="footnote"> Mit anderen Worten: Da wir nicht imstande sind, die Entscheidungen vergangener Jahrhunderte einer Nachprüfung zu unterziehen, dürfen wir auch nicht an den Anordnungen der zeitgenössischen Behörde mäkeln. Das ist ein neues Argument, durch das sich Rabbi Josua völlig beruhigt fühlte. Während der jüngere Rabbi ‘Aḳiba, der dem verehrten Lehrer gegenüber nicht den geringsten Zweifel an Rabban Gamliels Irrtum wagt, den Satz aufstellt, dass dessen Festsetzungen, auch wenn sie auf falschen Voraussetzungen beruhen, im Kalenderwesen unbedingte Verbindlichkeit innewohnt, meint der ältere Rabbi Dosa ben Harkinas, der die Verwunderung über die Entscheidung des Gerichtshofes zuerst ausgesprochen, nunmehr in seiner Bescheidenheit: Wir dürfen nicht annehmen, dass Rabban Gamliel, bloß um seine Autorität zu wahren, hartnäckig und wider bessere Einsicht bei seinem Irrtum beharrt. Er glaubt sicherlich noch heute, dass er im Rechte ist, und wenn er dir schroff befiehlt, deinen eigenen Versöhnungstag zu entweihen, so geschieht es nur in der guten Absicht, Spaltungen in Israel zu verhüten. Wir aber dürfen uns nicht das Recht anmassen, seine Anordnungen unserer Nachprüfung zu unterziehen und ihre Rechtskraft anzutasten, wenn sie unsern Widerspruch herausfordern; denn auch wir sind nicht unfehlbar, und mit uns „wird die Weisheit nicht sterben“. Rabban Gamliel mag seine Gründe haben, wenn er auch zu stolz ist, sein Verfahren im Gerichtshofe zu rechtfertigen.</i>. Es steht geschrieben<sup class="footnote-marker">49</sup><i class="footnote"> 2. B. M. 24, 9.</i>: Mosche und Aharon, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels stiegen hinauf. Warum sind die Namen der Ältesten. nicht aufgeführt? Nur um zu lehren, dass jeweils die Drei, die als Gerichtshof über Israel eingesetzt sind, dem Gerichtshofe Mosches gleichstehen<sup class="footnote-marker">50</sup><i class="footnote"> Wenn sie auch hinter einem Mosche oder Aharon, einem Nadab oder Abihu weit, weit zurückstehen, so sind sie doch vielleicht einem der unbekannten siebzig Ältesten im Range gleich.</i>. Da nahm er seinen Stock und sein Geld in die Hand und begab sich nach Jabne zu Rabban Gamliel an dem Tage, auf den nach seiner Rechnung der Versöhnungstag fiel<sup class="footnote-marker">40</sup><i class="footnote"> Das ist der elfte Tischri nach Rabban Gamliels Festsetzung.</i>. Rabban Gamliel aber erhob sich und küsste ihn aufs Haupt, indem er zu ihm sprach: Willkommen, mein Lehrer und Schüler! Mein Lehrer an Weisheit, mein Schüler in Befolgung meiner Worte.
Chapter 3
<sup class="footnote-marker">*</sup><i class="footnote"> Es ist sehr auffallend, dass unser drittes Kapitel, welches vom Schofar handelt, mit einer Mischna beginnt, in der noch wie in den beiden vorangehenden Kapiteln von der Neumondsweihe die Rede ist. Eine Erklärung dieser seltsamen Anordnung bietet vielleicht der allmähliche Ausbau der Mischnasammlung, der schon früher einmal erwähnt wurde (s. S. 164). In einer ältern Bearbeitung schloss sich die erste Mischna des dritten wahrscheinlich unmittelbar an die siebente des zweiten Kapitels an (<span dir="rtl">ראש בית דין אומר מקודש וכל העם עונים אחריו מקודש מקודש. ראוהו בית דין וכל ישראל נחקרו העדים ולא הספיקו לומר מקודש ער שחשיכה הרי זה מעובר</span>). Der Bericht über das Verfahren des Rabban Gamliel bei der Zeugenvernehmung, seine merkwürdigen Entscheidungen und sein strenges Einschreiten gegen den Widerspruch der Kollegen (II 8—9) ist vermutlich erst von seinem Enkel Rabbi Juda dem Heiligen, der das grosse Werk zum Abschluss brachte, hinzugefügt und am richtigen Orte eingeschoben worden. Denn II 7 bildet nur den Schluss von II 6, wo die Zeugenverhöre beschrieben und die zu stellenden Fragen aufgezählt werden. Durch diese längere Einschaltung war aber der Zusammenhang zwischen <span dir="rtl">ראש בית דין אומר מקודש</span> und <span dir="rtl">ראוהו בית דין וכל ישראל</span> zerrissen, und der Ordner hatte nun die Wahl, den Lehrsatz von der Verschiebung des Neumondstages infolge versäumter Weihe entweder am Ende des zweiten Kapitels unvermittelt an die Erzählung von der Unterwerfung des Rabbi Josua zu knüpfen, oder ihn an die Spitze eines neuen Kapitels zu setzen, um hernach ebenso unvermittelt die Vorschriften über den Schofar folgen zu lassen. Er wählte den zweiten Ausweg, damit der herzerhebende Eindruck der schönen und ergreifenden Szene, in die der Bericht über den Konflikt zwischen Rabban Gamliel und Rabbi Josua durch die Seelengrösse beider Männer ausklingt, in ungeschwächter Wirkung zur Geltung komme.<br>Am Ende des Kapitels ist wiederum der Zusammenhang durch eine erbauliche Betrachtung unterbrochen, die an Mischna 7 anknüpft (s. weiter unten, Anm. 34), mit dem Schluss von Mischna 8 aber, der offenbar zu Mischna 7 gehört, in keinerlei Verbindung steht. Hier endigt jedoch die eingeschobene Betrachtung mit den Worten <span dir="rtl">ואם לאו היו נימוקין</span>, die als Kapitelschluss nicht geeignet schienen.</i> Hatten ihn der Gerichtshof und ganz Israel wahrgenommen, waren die Zeugen schon vernommen, aber man hat es nicht erreicht, Meḳuddasch zu sagen, ehe die Nacht hereinbrach, so ist es ein Schaltmonat<sup class="footnote-marker">1</sup><i class="footnote"> Wenn der zuständige Gerichtshof selbst den neuen Mond noch vor Anbruch der Nacht beobachtet hat, ist nach dem Talmud eine Zeugenvernehmung überflüssig; er kann vielmehr den entschwindenden Tag, wenn es der dreissigste des alten Monats ist, durch sein Meḳuddasch (II 7) ohne weiteres noch zum Neumondstage weihen. Nur wenn er ihn erst nach Eintritt der Dunkelheit wahrgenommen hat, so dass die Neumondsweihe nicht sofort erfolgen konnte, weil kein Gerichtshof des Nachts seines Amtes zu walten vermag, müssen am folgenden Morgen, wenn es nicht schon der 31. Tag des alten Monats ist (s. K. II, Anm. 29), die Beobachter als Zeugen verhört werden. Der Sinn der Mischna ist daher: Sei es, dass ihn der Gerichtshof selbst gesehen, aber erst zu später Abendzeit, sei es, dass andere Personen ihn schon in der letzten Nacht gesehen, ihre Vernehmung aber sich am Tage in die Länge zog, in beiden Fällen wird, wenn die Nacht hereinbrach, ehe das Wort der Weihe ausgesprochen werden konnte, erst der folgende Tag zum Monatsanfang gemacht, so dass der alte Monat 30 Tage hat und somit zu einem Schaltmonat (<span dir="rtl">מעובר</span>) wird.</i>. Hat ihn das Gericht allein gesehen<sup class="footnote-marker">2</sup><i class="footnote"> oder mindestens fünf Angehörige des grössern, aus 23 Mitgliedern bestehenden Gerichtshofes.</i>, sollen zwei hintreten und vor ihnen<sup class="footnote-marker">3</sup><i class="footnote"> vor den drei Kollegen, die für die Neumondsweihe zuständig sind.</i> Zeugnis ablegen<sup class="footnote-marker">4</sup><i class="footnote"> wenn sie ihn erst nach Eintritt der Dunkelheit wahrgenommen haben (s. Anm. 1).</i>, worauf man Meḳuddasch, Meḳuddasch ausrufe. Haben ihn nur drei beobachtet, und sie bilden den Gerichtshof<sup class="footnote-marker">5</sup><i class="footnote"> mit anderen Worten, es sind keine Zeugen vorhanden ausser den drei berufenen Richtern.</i>, sollen zwei<sup class="footnote-marker">6</sup><i class="footnote"> die Beisitzer.</i> aufstehen, ihren Sitz neben dem einen<sup class="footnote-marker">7</sup><i class="footnote"> dem Vorsitzenden.</i> ihren Genossen überlassen und vor ihnen Zeugnis ablegen<sup class="footnote-marker">4</sup><i class="footnote"> wenn sie ihn erst nach Eintritt der Dunkelheit wahrgenommen haben (s. Anm. 1).</i>, worauf man Meḳuddasch, Meḳuddasch ausrufe; denn kein Einzelner ist glaubwürdig durch sich selbst<sup class="footnote-marker">8</sup><i class="footnote"> durch seine Persönlichkeit, durch seinen sittlichen Charakter und seine geistigen Fähigkeiten. Seine Gewissenhaftigkeit, sein Scharfsinn und seine Gelehrsamkeit mögen über allen Zweifel erhaben sein und die besten Bürgschaften für eine richtige Urteilsfindung bieten, ohne die Mitwirkung der Beisitzer und den gegenseitigen Meinungsaustausch kann man doch weder zum Zeugenverhör des Vorsitzenden noch zu seiner Entscheidung das volle Vertrauen haben.</i>.
Alle Schofarot eignen sich<sup class="footnote-marker">9</sup><i class="footnote"> zur Erfüllung des Gebotes, das für den ersten Tischri das Schofarblasen vorschreibt (s. Anm. 16).</i>, ausgenommen der einer Kuh, weil dieser ein Horn ist<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Der Sprachgebrauch nennt das Rinderhorn niemals Schofar, sondern immer nur Ḳeren (Horn), während er auf die Hörner anderer Tiere auch die Bezeichnung Schofar überträgt, die sich in erster Reihe auf das Widderhorn bezieht.</i>. Rabbi Jose meint dagegen: Alle Schofarot werden ja Horn genannt<sup class="footnote-marker">11</sup><i class="footnote"> sogar der Schofar vom Widder.</i>, da es doch heisst: beim langgezogenen Tone des Widderhorns<sup class="footnote-marker">12</sup><i class="footnote"> Josua 6, 5. Dass das Widderhorn <span dir="rtl">קרן</span> genannt wird, folgt schon aus <span dir="rtl">והנה איל אחר נאחז בסבך בקרניו</span> (1. B. M. 22, 13); er will aber beweisen, dass zwischen <span dir="rtl">שופר</span> und <span dir="rtl">קרן</span> überhaupt kein Unterschied besteht, und das ergibt sich aus der angeführten Stelle, in der vom <span dir="rtl">קרן היובל</span> die Rede ist, während vorher und nachher stets von <span dir="rtl">שופרות היובלים</span> gesprochen wird (<span dir="rtl">והכהנים יתקעו בשופרות והיה במשך בקרן היובל בשמעכם את קול השופר</span>). Die Gegenansicht entkräftet dieses Argument mit dem Einwande, dass wohl jeder Schofar ein Horn, aber nicht jedes Horn ein Schofar ist.</i>.
Der Schofar des Neujahrstages war<sup class="footnote-marker">13</sup><i class="footnote"> dereinst im Heiligtume.</i> vom Steinbock, gestreckt, mit goldbelegter Mündung, zu beiden Seiten zwei Trompeten<sup class="footnote-marker">14</sup><i class="footnote"> Rechts und links vom Schofarbläser standen zwei Trompetenbläser.</i>. Der Schofar dehnte, die Trompeten kürzten den Ton<sup class="footnote-marker">15</sup><i class="footnote"> damit der Schofarton noch gehört werde, wenn die Trompeten schon verstummt sind.</i>, denn das Gebot des Tages verlangt den Schofar<sup class="footnote-marker">16</sup><i class="footnote"> Das Gebot, am Neujahrstage gerade den Schofar zu blasen, findet sich zwar nicht ausdrücklich in der Tora (sowohl in 3. B. M. 23, 24 als auch in 4. B. M. 29, 1 ist nur ganz allgemein von der <span dir="rtl">חרועה</span> die Rede, ohne dass hierbei des <span dir="rtl">שופר</span> Erwähnung geschieht), wird aber durch Vergleichung mit dem <span dir="rtl">תרועה שופר</span> des Jobeljahres aus 3. B. M. 25, 9 abgeleitet.</i>.
An den Fasttagen<sup class="footnote-marker">17</sup><i class="footnote"> die in jeder Notlage, insbesondere bei Regenmangel angeordnet wurden (s. Ta‘anijot I 6 bis III 8).</i> waren es Widderhörner<sup class="footnote-marker">18</sup><i class="footnote"> mit denen im Heiligtume geblasen wurde. Die Bezeichnung <span dir="rtl">זכרים</span> für <span dir="rtl">אילים</span> ist unter dem Einfluss der aramäischen Sprache entstanden, in welcher der Widder <span dir="rtl">דכרא</span> heisst.</i>, gekrümmt, mit Silberbelegter Mündung und zwei Trompeten in der Mitte<sup class="footnote-marker">19</sup><i class="footnote"> Die Schofarbläser standen zu beiden Seiten der zwei Trompetenbläser.</i>. Der Schofar kürzte, die Trompeten dehnten den Ton<sup class="footnote-marker">20</sup><i class="footnote"> damit die Trompeten noch erschallen, wenn der Schofarton schon verklungen ist.</i>, denn das Gebot des Tages verlangt Trompeten<sup class="footnote-marker">21</sup><i class="footnote"> 4. B. M. 10, 9.</i>.
Der Jobel<sup class="footnote-marker">22</sup><i class="footnote"> Der Versöhnungstag des fünfzigsten Jahres (3. B. M. 25, 9—10).</i> ist dem Jahresanfang hinsichtlich des Blasens und der Segenssprüche gleichgestellt<sup class="footnote-marker">23</sup><i class="footnote"> Auch an ihm wird wie am Neujahrstage (Mischna 3) auf einem Steinbockhorn geblasen; auch an ihm werden im Musafgebete die für das Neujahrsfest vorgeschriebenen (IV 5—6) und von Schofartönen begleiteten drei Einschaltungen <span dir="rtl">מלכיות זכרוגות ושופרות</span> hinzugefügt.</i>. Rabbi Juda meint: Am Jahresanfang bläst man auf Widderhörnern, an den Jobelot auf Steinbockhörnern.
Ist ein Schofar gespalten<sup class="footnote-marker">24</sup><i class="footnote"> der ganzen Länge nach.</i>, und man hat ihn zusammengefügt<sup class="footnote-marker">25</sup><i class="footnote"> im Feuer oder durch ein Klebemittel.</i>, ist er dennoch unbrauchbar<sup class="footnote-marker">26</sup><i class="footnote"> Ist er dagegen nur zum Teil gespalten gewesen und wieder gehörig zusammengefügt worden, kann man ihn verwenden. Ist er der Breite nach gespalten, so ist er nur dann unbrauchbar, wenn sich der Spalt am obern Teile über die Hälfte des Umfanges erstreckt. Ist der Spalt weiter unten, so dass bis zum Mundstück das vorgeschriebene Mass des Schofar unversehrt geblieben, so ist er selbstverständlich ebenso zu verwenden, wie wenn der untere Teil ganz abgebrochen wäre. Die vorschriftsmässige Grösse beträgt vier Daumenbreiten, damit der Schofar in der Hand des Bläsers zu beiden Seiten ein wenig hinausrage.</i>. Hat man Bruchstücke eines Schofar zusammengefügt, ist er unbrauchbar. Hatte er ein Loch, und man hat es verstopft, so ist er, wenn der Ton eine Störung<sup class="footnote-marker">27</sup><i class="footnote"> eine Veränderung.</i> erlitten hat, unbrauchbar; wenn nicht, ist er verwendbar.
Wenn jemand in eine Grube oder einen Keller<sup class="footnote-marker">28</sup><i class="footnote"> Zwischen <span dir="rtl">בור</span> und <span dir="rtl">דות</span> ist kein wesentlicher Unterschied; jenes ist ein gegrabener, dieses ein gemauerter Raum (<span dir="rtl">אחד הבור ואחד הדות בקרקע אלא שהבור בחפירה והדות בבניין </span> — Baraita in Baba batra 64a). Die Etymologie von <span dir="rtl">דות</span> ist dunkel. Einige Handschriften lesen <span dir="rtl">החדות</span> (so auch die Mischnaausgaben in Ahilut XI 8—9; vgl. Tosefta Pesaḥim I 3: <span dir="rtl">היציע והדות</span> mit Jer. das. I 1: <span dir="rtl">והחדות היציע</span>), das aus dem arab. <span dir="rtl">خد</span> (spalten, furchen, graben) abgeleitet werden könnte, wenn <span dir="rtl">רשב״ם</span> (in seinem Kommentar zu Baba batra daselbst) darin recht hat, dass <span dir="rtl">בור</span> eine in den Felsen oder harten Boden gehauene, <span dir="rtl">דות</span> dagegen oder richtiger <span dir="rtl">חדות</span> eine ausgemauerte oder zementierte Zisterne ist, beide aber in die Erde gegraben. Dann könnte <span dir="rtl">חדות</span> in <span dir="rtl">הדוח</span> verschrieben und aus diesem wieder, indem man <span dir="rtl">ה</span> als Artikel ansah, <span dir="rtl">רות</span> entstanden sein. Raschi hier (27a oben) und Maimonides in seinem Mischnakommentar hier wie dort halten jedoch <span dir="rtl">בור</span> für einen in die Erde gegrabenen und <span dir="rtl">דות</span> oder <span dir="rtl">חדות</span> für einen auf der Erde durch Mauerwerk errichteten Wasserbehälter. Gegen diese Auffassung, die auf den ersten Blick nicht nur in der Unterscheidung zwischen <span dir="rtl">חפירה</span> und <span dir="rtl">בניין</span> daselbst (nach <span dir="rtl">רשב״ם</span> müsste es heissen: <span dir="rtl">אחד הבור ואחד הדות בחפירה אלא שהדות בבניין והבור שלא בבניין</span>), sondern auch im Wortlaut der dortigen Mischna (IV 2): <span dir="rtl">לא את הבור ולא את הדות אף על פי שכתב לו עומקא ורומא</span> eine Stütze zu finden scheint, spricht das Wort <span dir="rtl">בקרקע</span> in der angeführten Baraita, das doch nicht zugleich in der Erde und auf der Erde bedeuten kann. Im Syrischen ist <span dir="rtl">חדותא</span> ein unterirdischer Raum zur Aufbewahrung von Getreidevorräten; in der Tosefta Baba M. VI 10 ist <span dir="rtl">דות</span> eine Art Weinkeller.</i> oder eine Tonne<sup class="footnote-marker">29</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">פיטס</span> ist das gr. πίϑος, ein grosses, bauchiges Tongefäss mit weiter Öffnung.</i> bläst, so hat man, wenn man den Schall eines Schofar vernommen, seiner Pflicht genügt<sup class="footnote-marker">30</sup><i class="footnote"> Man ist nicht verpflichtet, am Neujahrstage den Schofar selbst zu blasen; es genügt, die vorgeschriebenen Töne zu hören. — <span dir="rtl">יצא</span> ist aus <span dir="rtl">יצא ידי חובתו</span> abgekürzt.</i>; hat man aber nur den Schall eines Geräusches<sup class="footnote-marker">31</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">הברה</span> scheint auf den ersten Blick mit dem arab. <span dir="rtl">خبر</span> = Gerücht verwandt zu sein. Diesen Sinn hat das Wort allerdings in <span dir="rtl">לא ששמעו קול הברה</span> (Giṭṭin 89 a Mitte); hier aber bezeichnet es einen undeutlichen Ton, ein verworrenes Geräusch, und es ist nicht anzunehmen, dass diese Bedeutung sich aus jener entwickelt hat. Eher ist das Umgekehrte wahrscheinlich, dass nämlich der Ausdruck für Lärm und Geräusch auf den Begriff des Gerüchtes übertragen wurde (vgl. das lat. rumor, das fr. bruit und das engl. noise). Da nun <span dir="rtl">خبر</span> in erster Linie erzählen, berichten heisst, ist eine Verwandtschaft mit <span dir="rtl">הברה</span> wenig begründet.</i> gehört, ist man seiner Pflicht noch nicht enthoben. Ebenso<sup class="footnote-marker">32</sup><i class="footnote"> Die Übereinstimmung besteht darin, dass in beiden Fällen das blosse Hören nicht genügt, sei es, dass man zwar mit Andacht gelauscht, aber doch nur einen verworrenen Schall vernommen hat, sei es, dass man zwar klare Töne und Worte gehört, aber ihnen keine Beachtung geschenkt hat.</i> wenn jemand, der hinter der Synagoge vorübergeht oder dessen Haus in der Nähe der Synagoge sich befindet, den Ton des Schofar oder die Vorlesung der Rolle<sup class="footnote-marker">33</sup><i class="footnote"> Der Esterrolle am Purimfeste. Das Buch Ester wird schlechthin <span dir="rtl">מגלה</span>, die Rolle genannt.</i> hört: hat er seinen Sinn darauf gerichtet, so hat er seine Pflicht erfüllt; wenn nicht, so hat er sie nicht erfüllt. Obgleich jener gehört hat und dieser gehört hat; jener aber tat es mit Andacht, dieser dagegen ohne Aufmerksamkeit.
„Und es geschah, wenn Mosche seine Hand erhob, siegte Israel, und wenn Mosche seine Hand sinken liess, siegte ‘Amaleḳ“<sup class="footnote-marker">34</sup><i class="footnote"> Zitat aus 2. B. M. 17, 11 — in diesem Zusammenhange wegen der den Wert der Andacht betonenden Auslegung angeführt, die das Schriftwort hier erfährt.</i>. Können denn Mosches Hände den Kampf fördern oder den Kampf hemmen<sup class="footnote-marker">35</sup><i class="footnote"> In der Bibel heisst <span dir="rtl">עשה מלחמה</span> ganz allgemein: Krieg führen; hier aber bedeutet es, wie der Gegensatz <span dir="rtl">שבר מלחמה</span> zeigt, den Sieg erringen. Der Mischnalehrer nimmt <span dir="rtl">עשה</span> im Sinne von fördern und denkt bei dem Worte <span dir="rtl">מלחמה</span> nur an die Israeliten. Ihren Kampf fördern, bedeutet ihm den Sieg; ihren Kampf hemmen, bedeutet ihm die Niederlage. Es ist aber auch möglich, dass unter <span dir="rtl">מלחמה</span> vorzugsweise der siegreiche Krieg verstanden wurde, wie z. B. in dem mit <span dir="rtl">על הנסים</span> beginnenden Gebete, also <span dir="rtl">עשה מלחמה</span> = den Sieg herbeiführen, <span dir="rtl">שבר מלחמה</span> = den Sieg vereiteln. Vgl. <span dir="rtl">ולא לגבורים המלחמה</span> (Ḳohelet 9, 11) und <span dir="rtl">שמה שבר רשפי קשת מגן וחרב ומלחמה סלה</span> (Ps. 76, 4), wo es also nicht nötig ist, metonymisch an <span dir="rtl">כלי מלחמה</span> zu denken.</i> ? Das will vielmehr sagen, dass die Israeliten, solange sie nach<sup class="footnote-marker">36</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">כלפי</span> ist aus <span dir="rtl">כלאפי</span> zusammengezogen.</i> oben blickten und ihr Herz dem himmlischen Vater zu eigen gaben<sup class="footnote-marker">37</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">שעבד</span> ist Schaf‘el von <span dir="rtl">עבד</span> und bedeutet daher knechten, unterjochen, belasten, verpflichten.</i>, die Oberhand hatten, sonst aber unterlagen<sup class="footnote-marker">38</sup><i class="footnote"> Demnach ist Mosche hier als Vertreter, wohl gar als Verkörperung des Volkswillens aufgefasst.</i>. Ähnlich liest du<sup class="footnote-marker">39</sup><i class="footnote"> 4. B. M. 21, 8.</i>: „Mache dir eine Schlange und setze sie auf eine Stange, und es wird geschehen, dass jeder Gebissene, der sie ansieht, am Leben bleibt“. War es denn die Schlange<sup class="footnote-marker">40</sup><i class="footnote"> Gemeint ist die kupferne Schlange. Dann aber kann <span dir="rtl">ממית</span> nicht seine gewöhnliche Bedeutung haben, etwa wie <span dir="rtl">אין ערוד ממית אלא החטא ממית</span> (Berachot 33 a); denn diese künstliche Schlange brauchte nicht erst zu töten, sie brauchte nur dem Tode, der durch den Biss der giftigen Schlange drohte, nicht zu wehren. Vielmehr heisst <span dir="rtl">ממית</span> hier sterben lassen, <span dir="rtl">מחיה</span> gesund machen; mit anderen Worten: hatte denn die Schlange über Tod und Leben zu gebieten?</i>, die den Tod zuliess, oder war es etwa die Schlange, die Genesung schenkte? Vielmehr wenn die Israeliten nach oben blickten und ihr Herz dem himmlischen Vater zu eigen gaben, wurden sie geheilt; wenn nicht, siechten sie dahin<sup class="footnote-marker">41</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">נִמּקִּין</span> ist neuhebr. Nif‘al statt <span dir="rtl">נְמַקִּים</span>.</i>. Ein Tauber, ein Irrsinniger und ein Minderjähriger kann nicht die Gemeinde ihrer Pflicht entledigen<sup class="footnote-marker">42</sup><i class="footnote"> Da sie selbst nicht verpflichtet sind, am Neujahrstage die Schofartöne zu hören, so haben auch, wenn einer von ihnen den Schofar bläst, die Zuhörer damit noch nicht ihrer Pflicht genügt. Gewöhnlich wurde der Schofar in der Synagoge nach dem Morgengebete geblasen (IV 7); darum steht hier <span dir="rtl">חרבים</span>, die Gemeinde. Es versteht sich aber von selbst, dass auch ein Einzelner, der die Schofartöne von einem dieser Unzurechnungsfähigen hörte, seine Pflicht noch nicht erfüllt hat.</i>. Die Regel ist: Wer in einer Sache nicht selbst verpflichtet ist, kann auch die Gemeinde ihrer Pflicht nicht entledigen.
Chapter 4
Wenn der Feiertag des Jahresanfangs auf den Schabbat fiel, blies man<sup class="footnote-marker">1</sup><i class="footnote"> den Schofar.</i> an heiliger Stätte<sup class="footnote-marker">2</sup><i class="footnote"> nicht nur im Tempel, sondern — wie aus der folgenden Mischna ersichtlich — in ganz Jerusalem; allerdings nur bis Mittag, solange das Synhedrion auf dem Tempelberge seine Sitzungen hielt.</i>, aber nicht in der Provinz. Nachdem das heilige Haus zerstört worden<sup class="footnote-marker">3</sup><i class="footnote"> durch die Römer.</i>, führte Rabban Joḥanan ben Zakkai ein, dass man an jedem Orte blase, an dem sich ein Gerichtshof befindet. Rabbi Eli‘ezer<sup class="footnote-marker">4</sup><i class="footnote"> ein Schüler von Rabban Joḥanan ben Zakkai (Abot II, 8).</i> sagte, Rabban Joḥanan ben Zakkai hätte diese Einrichtung nur für Jabne<sup class="footnote-marker">5</sup><i class="footnote"> s. Kap. II Anm. 31.</i> allein getroffen; man entgegnete ihm aber: Es ist gleich, ob Jabne oder irgend ein anderer Sitz eines Gerichtshofes<sup class="footnote-marker">6</sup><i class="footnote"> Nach dem bab. Talmud z. St. sind hier drei verschiedene Ansichten vertreten. Nach der ersten hat Rabban Joḥanan ben Zakkai die Einrichtung für jede Stadt getroffen, in der sich ein Synhedrion von dreiundzwanzig autorisierten Richtern (s. Raschi) auch nur vorübergehend aufhält; nach Rabbi Eli‘ezer nur für den Ort, an dem sich, wie damals zu Jabne, das grosse Synhedrion befindet; nach der letzten Ansicht nur für solche Städte, in denen ein Synhedrion von dreiundzwanzig Mitgliedern seinen ständigen Sitz hat. Darin aber herrscht Übereinstimmung, dass am Schabbat der Schofar nur vor dem Gerichtshofe geblasen wurde.</i>.
Und auch insofern hatte Jerusalem einen Vorzug vor Jabne<sup class="footnote-marker">7</sup><i class="footnote"> Der eine Vorzug, dass man am Neujahrsschabbat vormittags in ganz Jerusalem und nicht bloss, wie später in Jabne, vor dem Synhedrion den Schofar blasen durfte, ist schon in der vorigen Mischna dadurch angedeutet, dass die Einrichtung des Rabban Joḥanan ben Zakkai auf die Anwesenheit eines Gerichtshofes Gewicht legt, während der erste Satz der Mischna eines solchen keine Erwähnung tut. Ein anderer Vorzug bestand darin, dass es auch in den Nachbarorten, die im Schabbatbezirk (‘Erubin, Einl. Abs 4) der heiligen Stadt lagen und durch keinen brückenlosen Fluss von ihr getrennt waren, gestattet war, den Schofar am Neujahrsschabbat vormittags zu blasen, wenn man von dort aus Jerusalem sehen und die herüberschallenden Schofartöne vernehmen konnte.</i>, dass in jeder Ortschaft, in der man es sah und hörte und nahe war und die Möglichkeit hinzugelangen hatte<sup class="footnote-marker">8</sup><i class="footnote"> Keine dieser vier Bedingungen schliesst die andere in sich. Es können sogar drei von ihnen erfüllt sein und die vierte Voraussetzung doch nicht zutreffen. Liegt ein benachbarter und zugänglicher Ort im Tale, so kann man die Schofartöne aus Jerusalem hören, ohne die rings von Bergen umgebene Stadt (Ps. 125, 2) zu sehen; liegt er auf der Höhe eines Berges, so kann man umgekehrt die Stadt von dort aus sehen, ohne ihre Schofartöne zu hören. Man kann ferner von einem Orte, dessen Bewohner Jerusalem sehen und seine Schofartöne hören, ohne Hindernisse hingelangen, er liegt aber jenseits der Schabbatgrenze; umgekehrt kann ein solcher Ort innerhalb des Schabbatbezirkes sich befinden, und man kann dennoch nicht in die Stadt gelangen, weil man von ihr durch einen Fluss getrennt ist, über den keine Brücke führt.</i>, geblasen wurde, während man in Jabne nur im Gerichtshofe allein blies.
Anfangs wurde der Feststrauss<sup class="footnote-marker">9</sup><i class="footnote"> des Hüttenfestes (3. B. M. 23, 40) Über <span dir="rtl">לולב</span> als Bezeichnung für den ganzen Feststrauss siehe oben, Sukka Kap. III, Anm. 25.</i> im Heiligtume<sup class="footnote-marker">10</sup><i class="footnote"> Hier ist es zweifelhaft, ob unter <span dir="rtl">מקדש</span> nur das heilige Haus oder auch die heilige Stadt zu verstehen ist.</i> sieben Tage und in der Provinz nur einen Tag<sup class="footnote-marker">11</sup><i class="footnote"> am ersten Tage des Festes, gemäss der Satzung: <span dir="rtl">ולקחתם לכם ביום הראשון</span> (das.). Dass man ihn an heiliger Stätte alle sieben Tage des Hüttenfestes zur Hand nahm, beruht auf dem Schlusssatz (das.): <span dir="rtl">ושמחתם לפני ה׳ אלהיכם שבעת ימים</span>.</i> genommen. Nach der Zerstörung des heiligen Hauses<sup class="footnote-marker">3</sup><i class="footnote"> durch die Römer.</i> ordnete Rabban Joḥanan ben Zakkai an, dass der Feststrauss in der Provinz sieben Tage zur Erinnerung an das Heiligtum genommen werde und dass der ganze Tag der Schwingung<sup class="footnote-marker">12</sup><i class="footnote"> der 16. Nisan, an welchem das Erstlingsopfer vom Getreide im Heiligtum geschwungen wurde (3. B. M. 23, 10—11).</i> dem Verbote unterliege<sup class="footnote-marker">13</sup><i class="footnote"> das den Genuss des neuen Getreides bis zur Darbringung der Erstlingsgabe untersagt (das. 14); s. Sukka III, Anm. 46.</i>.
Anfangs nahm man die Zeugenaussage über den Neumond den ganzen Tag entgegen<sup class="footnote-marker">14</sup><i class="footnote"> Wenn am Dreissigsten eines Monats die Zeugen, die den neuen Mond wahrgenommen hatten, noch so spät vor dem zuständigen Gerichtshof erschienen, wurden sie doch verhört, und wenn ihre Aussagen als unanfechtbar sich erwiesen und die Nacht noch nicht hereingebrochen war, wurde dieser Tag zum Ersten des folgenden Monats geweiht.</i>. Einst verzögerte sich<sup class="footnote-marker">15</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">נשתהו</span>, Nitpa‘el von <span dir="rtl">שהה</span> (aram. <span dir="rtl">שהא</span>, arab. <span dir="rtl">سها</span> = zögern, nachlässig sein), unterscheidet sich vielleicht darin vom Ḳal, dass dieser eine beabsichtigte Verzögerung (vgl. Berachot V 1), jener eine unfreiwillige (die Zeugen wurden aufgehalten) bezeichnet.</i> die Ankunft der Zeugen, wodurch sich die Leviten hinsichtlich des Gesanges<sup class="footnote-marker">16</sup><i class="footnote"> Die Leviten sangen bei jedem öffentlichen Weinopfer einen Psalm (Tamid VII 3—4).</i> eines Verstosses schuldig machten<sup class="footnote-marker">17</sup><i class="footnote"> Auf Grund der Neumondsrechnung konnte man die Zeugen an diesem Tage erwarten; vielleicht hatte man gar schon erfahren, dass welche unterwegs waren, worauf der Ausdruck <span dir="rtl">נשתהו</span> deutet. Es wurde aber spät und später, und sie waren immer noch nicht erschienen. Zweieinhalb Stunden nach Mittag sollte das Abendopfer geschlachtet werden (Pesaḥim V 1). Vorher aber musste man, wenn es ein Neumondstag war, dessen Musaf (4. B. M. 28, 11—15) darbringen. Die Entscheidung darüber, ob es ein Neumondstag war, hing aber vom Zeugenverhör ab. Man wartete also und wartete, bis es endlich so spät wurde, dass man gerade noch Zeit hatte, das Abendopfer mit seinem Mehl- und Weinopfer vor Anbruch der Nacht zu vollziehen, aber nicht mehr den vorgeschriebenen Psalm zu singen [<span dir="rtl">כן נראה לי פרוש משנתנו לפי דעת ר״מ ז״ל בהלכות קדוש החדש ג׳ ה׳ ועיין לח״מ ותיו״ט </span>].</i>; daher führte man ein, dass man sie nur bis zum Spätnachmittag<sup class="footnote-marker">18</sup><i class="footnote"> dem für das Abendopfer festgesetzten Zeitpunkt. Über die Bedeutung des Wortes <span dir="rtl">מנחה</span> siehe Pesaḥim V, Anm. 2.</i> entgegennehme. Wenn nun die Zeugen erst nach Beginn des Spätnachmittags kamen<sup class="footnote-marker">19</sup><i class="footnote"> also nicht mehr vernommen wurden.</i>, hielt man diesen Tag heilig<sup class="footnote-marker">20</sup><i class="footnote"> Man feierte ihn weiter als Neumondstag oder, wenn es der 30. Elul war, als Neujahrstag, indem man sich auch nachmittags jeder an diesen Tagen untersagten Handlung enthielt.</i> und auch den folgenden<sup class="footnote-marker">21</sup><i class="footnote"> den Einunddreissigsten, den eigentlichen Neumonds- bezw. Neujahrstag.</i> heilig. Nach der Zerstörung des heiligen Hauses verordnete Rabban Joḥanan ben Zakkai, dass man die Zeugenaussage über den Neumond den ganzen Tag entgegennehme<sup class="footnote-marker">22</sup><i class="footnote"> da ja der Opferdienst nun eingestellt war.</i>. Rabbi Josua ben Ḳorḥa sagte: Auch folgende Einrichtung hat Rabban Joḥanan ben Zakkai getroffen: Wo immer das Oberhaupt des Gerichtshofes sich befindet<sup class="footnote-marker">23</sup><i class="footnote"> wenn auch der Vorsitzende, der das Wort der Weihe zu sprechen hatte (oben Kap. II M. 7) aus irgend einem Grunde verhindert ist, am Orte der Verhandlung zu erscheinen.</i>, die Zeugen begeben sich doch nur nach dem Orte der Zusammenkunft<sup class="footnote-marker">24</sup><i class="footnote"> an dem der zuständige Gerichtshof seinen Sitz hat.</i>.
Was die Ordnung der Benediktionen betrifft<sup class="footnote-marker">25</sup><i class="footnote"> von denen oben Kap. III M. 5 (s. Anm. 23 das.) die Rede war.</i>, so spricht man die Gebete über die Väter, die Wundertaten, die Heiligkeit Gottes<sup class="footnote-marker">26</sup><i class="footnote"> Von den drei Segenssprüchen, die das tägliche Gebet im engern Sinne, die eigentliche <span dir="rtl">תפלה</span> einleiten, wird der erste mit <span dir="rtl">אבות</span> bezeichnet, weil der Allgütige in ihm als Gott unserer Väter angerufen wird, der zweite mit <span dir="rtl">גבורות</span>, weil in ihm die Allmacht Gottes und seine Wundertaten gefeiert werden, der dritte mit <span dir="rtl">קדושת השם</span>, weil in ihm Gottes Heiligkeit betont wird.</i>, und verbindet mit ihnen<sup class="footnote-marker">27</sup><i class="footnote"> Die Einschaltung findet im dritten Segensspruche, in <span dir="rtl">קדושת השם</span> statt; es wäre daher <span dir="rtl">עמה</span> richtiger. Da aber diese drei Segenssprüche als Einleitung in mancher Beziehung eine Einheit bilden, so lässt sich auch der Plural <span dir="rtl">עמהן</span> rechtfertigen.</i> das Huldigungsgebet<sup class="footnote-marker">28</sup><i class="footnote"> Es besteht aus zehn Bibelstellen, in denen dem Weltenschöpfer als König (<span dir="rtl">מלך</span>) gehuldigt wird. Voran geht eine erhebende Betrachtung über den Monotheismus und seine unüberwindliche, völkerbezwingende Macht, während den Schluss ein inniges Gebet für den Sieg der reinen Gotteserkenntnis bildet. Diese Einschaltung soll mit <span dir="rtl">קדושת השם</span> und nicht, wie Rabbi ‘Aḳiba will, mit <span dir="rtl">קדושת היום</span> verbunden werden, weil sie ihrem ganzen Inhalte nach sich besser dem Segensspruche eingliedert, der der Heiligkeit Gottes, als demjenigen, der der Heiligkeit des Tages gewidmet ist.</i>, ohne zu blasen<sup class="footnote-marker">29</sup><i class="footnote"> Entsprechend den drei Einschaltungen, die das Neujahrsgebet auszeichnen, soll nur dreimal der Schofar geblasen werden und zwar nach drei aufeinanderfolgenden Segenssprüchen; deshalb soll hier noch nicht geblasen werden, sondern erst nach dem folgenden Segensspruche, dem sich die zwei letzten Einschaltungen als besondere Segenssprüche anschliessen.</i>; hierauf die Gebete über die Heiligkeit des Tages<sup class="footnote-marker">30</sup><i class="footnote"> Das ist die allen Festtagen gemeinsame Benediktion, die mittlere der sieben Segenssprüche, aus denen die T’filla des Schabbats und der Feiertage besteht. Sie preist die Heiligkeit des Tages und heisst darum <span dir="rtl">קדושת היום</span>.</i>, wobei man bläst, über die Vorsehung<sup class="footnote-marker">31</sup><i class="footnote"> Diese Einschaltung, die im Gegensatz zur ersten (<span dir="rtl">מלכיוח</span>) einen Segensspruch für sich bildet, besteht ebenfalls aus zehn Bibelstellen, einem ergreifenden Vorwort und einem Schlussgebet. Im Vorwort wird eindringlich auf Gottes Weltregierung hingewiesen, auf seine Allwissenheit, seine Gerechtigkeit und seine Güte. In den Bibelversen, in denen immer das Wort <span dir="rtl">זכר</span> (daher der Name <span dir="rtl">זכרונות</span>) in irgend einer Form wiederkehrt, wird die liebevolle Fürsorge hervorgehoben, mit der die göttliche Vorsehung der Menschen gedenkt und ihrer sich annimmt. Im Schlussgebete wird die Gnade Gottes für die sündige Menschheit, die schuldbeladen vor seinem Richterthron erscheint, inbrünstig erfleht.</i>, wobei man wiederum bläst, über den Schofar<sup class="footnote-marker">32</sup><i class="footnote"> Auch diese Einschaltung bildet einen besondern Segensspruch. Sie beginnt mit einem stimmungsvollen Bilde der Offenbarung am Sinai, reiht an dieses zehn (elf) Bibelstellen über die Bedeutung des Schofar und schliesst mit dem Gebete um Rückkehr in die alte Heimat.</i>, wobei man ebenfalls bläst; zuletzt das Gebet über den Opferdienst, das Dankgebet, den Priestersegen<sup class="footnote-marker">33</sup><i class="footnote"> Von den drei Benediktionen, die den Schluss der täglichen T’filla bilden, ist die erste ein Gebet um Wiederherstellung des Opferdienstes (<span dir="rtl">עבודה</span>) in der heiligen Stadt, die zweite ein Dankgebet (<span dir="rtl">הודאה</span>) für all die Wohltaten, die wir in jedem Augenblicke unseres Lebens aus Gottes Hand empfangen, die dritte (<span dir="rtl">ברכת כהנים</span> oder <span dir="rtl">שלום</span>) ein mit dem Priestersegen (<span dir="rtl">נהנים ברכת</span>) beginnendes Gebet um Frieden (<span dir="rtl">שלום</span>).</i>. So die Worte des Rabbi Joḥanan ben Nuri; Rabbi ‘Aḳiba aber sagte zu ihm: Wenn man beim Huldigungsgebet nicht bläst, wozu trägt man es vor<sup class="footnote-marker">34</sup><i class="footnote"> Nach seiner Ansicht haben die drei Einschaltungen nur den Zweck, auf die folgenden Schofartöne vorzubereiten, ihre Bedeutung zu erklären und das Gemüt des Zuhörers für ihre Wirkung empfänglich zu machen <img src="images/Art_P353.jpg" alt="art" /> Wenn daher auch zugestanden werden muss, dass das Huldigungsgebet zu <span dir="rtl">קדושת השם</span>, besser passt, soll es doch der <span dir="rtl">קדושת היום</span> eingefügt werden, weil nach Schluss dieser Benediktion, wie ja auch Rabbi Joḥanan ben Nuri anordnet, der Schofar geblasen wird.</i> ? Man spricht vielmehr die Gebete über die Väter, die Wundertaten und die Heiligkeit Gottes, verbindet dann das Huldigungsgebet mit dem über die Heiligkeit des Tages und bläst, spricht das Gebet über die Vorsehung und bläst, über den Scholar und bläst, wonach man mit dem Gebete über den Opferdienst, dem Dankgebete und dem Priestersegen schliesst.
Man trägt nicht weniger als zehn Huldigungsverse, zehn Vorsehungsverse, zehn Schofarverse vor<sup class="footnote-marker">35</sup><i class="footnote"> je vier aus der Tora, je drei aus den Hagiographen (Psalmen) und je drei aus den Propheten.</i>. Rabbi Joḥanan ben Nuri meint: Wenn man je drei von allen gesagt hat<sup class="footnote-marker">36</sup><i class="footnote"> je einen aus der Tora, je einen aus den Hagiographen und je einen aus den Propheten.</i>, so hat man der Pflicht genügt. Man führt keinen Vorsehungs- Huldigungs- oder Schofarvers an, der von einem Strafgericht handelt<sup class="footnote-marker">37</sup><i class="footnote"> zum Beispiel Jeḥezḳêl 20, 33; Ps. 78, 39; Hosea 5, 8; Jirm. 4, 19.</i>. Man beginnt mit der Tora und schliesst mit den Propheten<sup class="footnote-marker">38</sup><i class="footnote"> weil diese eindrucksvoller als die Psalmverse sind.</i>; Rabbi Jose meint: Wenn man mit der Tora geschlossen hat, so hat man der Pflicht genügt<sup class="footnote-marker">39</sup><i class="footnote"> Da Rabbi Jose in einer Baraita die Ansicht vertritt, es sei besser, mit einem Verse der Tora zu schliessen (<span dir="rtl">המשלים בתורה הרי זה משונה</span>), erklärt der bab. Talmud unsere Mischna so, als wollte Rabbi Jose sagen: Man schliesse mit einer Stelle aus der Tora; hat man jedoch mit einem Prophetenverse geschlossen, so hat man seine Pflicht erfüllt (<span dir="rtl">משלים בתורה ואם השלים בנביא יצא</span>). Eine Textänderung soll das nicht sein, sondern nur eine Auslegung (<span dir="rtl">הכי קאמר</span>). Aehnlich der Jeruschalmi: <span dir="rtl"> כיני אומר צריך להשלים בתורה מחניתא רבי יוסי</span>. In Wahrheit besteht auch zwischen Baraita und Mischna kein Widerspruch. Dort meint R. Jose, dass es sich empfiehlt, die vier Verse aus der Tora (Anm. 35) nicht hintereinander vorzutragen, sondern zunächst nur drei und zwar an erster Stelle, den vierten dagegen am Schlusse nach den Prophetenstellen; hier aber meint er, dass es nicht schadet, wenn man alle vier Verse der Tora zuletzt gesagt hat, und selbstverständlich erst recht nicht, wenn man sie an die erste Stelle gesetzt und daher mit den Propheten geschlossen hat. [In ähnlicher Weise verfährt der bab. Talmud mit den Worten <span dir="rtl">שתחלה ניסה נפילה</span> (Soṭa VIII 6), indem er erklärt: <span dir="rtl">אימא מפני שתחלת נפילה ניסה</span>. Auch hier keine Textänderung (<span dir="rtl">תני</span>), sondern eine Interpretation. Dem ganzen Zusammenhange nach kann die Mischna nur meinen, dass der erste, der im Kampfe die Flucht ergreift, die Niederlage herbeiführt. Mit anderen Worten: Der Beginn der Flucht ist die Niederlage. Freilich ist das eine etwas übertriebene Redewendung, die der Talmud auf das richtige Mass zurückführt, indem er ihr den Sinn unterlegt: Der Beginn der Flucht ist der Anfang der Niederlage.]</i>.
Tritt man<sup class="footnote-marker">40</sup><i class="footnote"> als Vorbeter.</i> vor die Lade<sup class="footnote-marker">41</sup><i class="footnote"> in der die Torarollen aufbewahrt werden.</i>, so lässt am Neujahrsfeiertage der zweite<sup class="footnote-marker">42</sup><i class="footnote"> der das Musafgebet vorträgt. Ursprünglich wurde der Schofar beim Morgengebet geblasen, bis einmal in aufgeregter Zeit römische Soldaten, die den Schall des Schofar für ein Signal zum Aufstand gegen das verhasste Joch der Fremdherrschaft hielten, in die Synagoge drangen und da ein Blutbad anrichteten. Da führte man ein dass den Schofar erst zu Musaf geblasen werden soll, wenn sich die misstrauischen Späher durch den ganzen Verlauf der Morgenandacht und der Toravorlesung bereits von dem friedlichen Charakter der Gebetsversammlung überzeugt haben konnten.</i> blasen, zur Zeit des Hallel<sup class="footnote-marker">43</sup><i class="footnote"> an den vier fröhlichen Festen. Am Neujahrs- und Versöhnungstage wird Hallel (Psalm 113—118 nicht gesagt.</i> dagegen der erste<sup class="footnote-marker">44</sup><i class="footnote"> der das Morgengebet vorträgt.</i> das Hallel lesen.
Wegen des Neujahrsschofar<sup class="footnote-marker">45</sup><i class="footnote"> um am Neujahrstage in den Besitz eines Schofar zu gelangen.</i> darf man weder die Schabbatgrenze<sup class="footnote-marker">46</sup><i class="footnote"> s. ‘Erubin, Einl. Abs. 4.</i> überschreiten, noch einen Steinhaufen lichten<sup class="footnote-marker">47</sup><i class="footnote"> Über <span dir="rtl">פקח</span> vgl. Pesaḥim, Kap. VIII, Anm. 38.</i>, weder auf einen Baum steigen, noch auf Vieh reiten, noch auf dem Wasser schwimmen<sup class="footnote-marker">48</sup><i class="footnote"> s. Jom Ṭob V 2, Anm. 9—11. Alle fünf hier angeführten Verbote sind nur rabbinische Satzung. Dennoch darf man sie nicht übertreten, um das biblische Gebot des Schofarblasens erfüllen zu können.</i>; auch darf man ihn nicht zurecht schneiden, sei es in einer das Ruhegebot verletzenden, sei es in einer gegen ein Verbot verstossenden Weise<sup class="footnote-marker">49</sup><i class="footnote"> Mit dem Worte <span dir="rtl">שבות</span> werden die rabbinischen Schabbatverbote bezeichnet, weil sie auf dem Ruhegebot der Tora fussen; unter <span dir="rtl">לא תעשה</span> versteht man ein biblisches Verbot. Von der Tora ist das Beschneiden des Schofar dann untersagt, wenn er sonst nicht gebrauchsfähig wäre; geschieht es aber nur zur Verzierung oder zur Verstärkung des Tones, so steht dem bloss eine rabbinische Satzung entgegen.</i>. Will aber jemand Wasser oder Wein hineingiessen, mag er es tun<sup class="footnote-marker">50</sup><i class="footnote"> obgleich dadurch der Ton verbessert wird.</i>. Man wehrt den Kindern nicht, wenn sie blasen, beschäftigt sich vielmehr mit ihnen<sup class="footnote-marker">51</sup><i class="footnote"> trotz der Heiligkeit des Tages, an dem sonst jede Art Musik von den Rabbinen untersagt ist (Jom Ṭob V 2, Anm. 14).</i>, bis sie es lernen. Ein so Beschäftigter<sup class="footnote-marker">52</sup><i class="footnote"> der also nur zum Zwecke des Unterrichts bläst, geschweige denn zur Übung oder gar nur zum Zeitvertreib.</i> genügt damit noch nicht seiner Pflicht<sup class="footnote-marker">53</sup><i class="footnote"> solange er nicht mit der Absicht, das Gebot zu erfüllen, geblasen hat.</i>; auch wer einem so Beschäftigten zuhört, hat damit seine Pflicht noch nicht erfüllt<sup class="footnote-marker">54</sup><i class="footnote"> wenn auch der Zuhörer selbst die Absicht der Pflichterfüllung hat.</i>.
Die Ordnung der Schofartöne erfordert dreimal je drei<sup class="footnote-marker">55</sup><i class="footnote"> und zwar jedesmal ein schmetternder Ton (<span dir="rtl">תרועה</span>) zwischen zwei gedehnten (<span dir="rtl">תקיעה</span>). In dieser Reihenfolge werden die drei Töne dreimal wiederholt.</i>. Das Zeitmass der gedehnten Töne entspricht dem von drei schmetternden<sup class="footnote-marker">56</sup><i class="footnote"> Da der gedehnten Töne sechs, der schmetternden nur drei sind, so hat jede <span dir="rtl">תקיעה</span> das Zeitmass einer halben <span dir="rtl">תרועה</span>. Es wäre nun freilich einfacher gewesen, <span dir="rtl">שיעור תקיעה כחצי תרועה </span> zu sagen; die Mischna will aber mit den Worten <span dir="rtl">שיעור תקיעות כשלש תרועות</span> zugleich den Grund dieser Bestimmung andeuten: Obgleich die Zahl der <span dir="rtl">תקיעות</span> doppelt so gross wie die der <span dir="rtl">תרועות</span> ist, soll doch das Zeitmass der gesamten Töne hier wie dort dasselbe sein. Übrigens haben die Handschriften und die erste Ausgabe der Mischna (Neapel 5250) ebenso wie die beiden Talmude die Lesart <span dir="rtl">שיעור תקיעה</span>.</i>, das Zeitmass eines schmetternden dem von drei Klagetönen<sup class="footnote-marker">57</sup><i class="footnote"> Es ist zweifelhaft, ob unter dem Klageton (<span dir="rtl">יבבה</span>) ein Stöhnen oder ein Wimmern zu verstehen ist. Darum wurde schon in talmudischer Zeit der noch heute bestehende Brauch herrschend, statt der vorgeschriebenen neun Töne deren dreissig zu blasen: Dreimal <span dir="rtl">תקיעה שברים תרועה תקיעה</span>, dreimal <span dir="rtl">תקיעה שברים תקיעה </span> und dreimal <span dir="rtl">תקיעה תרועה תקיעה</span>. Mit <span dir="rtl">שברים</span> bezeichnen wir das gebrochene Stöhnen, mit <span dir="rtl">תרועה</span> das anhaltende Wimmern.</i>. Hat man den ersten Ton geblasen und beim zweiten ein doppeltes Zeitmass eingehalten<sup class="footnote-marker">58</sup><i class="footnote"> Wie bereits oben (Anm. 55) erwähnt wurde, beginnt jede Tonreihe mit einer <span dir="rtl">תקיעה</span> und schliesst mit einer <span dir="rtl">תקיעה</span>, so dass wiederholt zwei gedehnte Töne aufeinander folgen. Es hat nun jemand die zweite <span dir="rtl">תקיעה</span> der ersten Reihe, ohne abzusetzen, doppelt so lang gedehnt als die vorangegangene erste, damit sie zugleich auch als erste <span dir="rtl">תקיעה</span> der zweiten Reihe gelte.</i>, so gilt er doch nur für einen<sup class="footnote-marker">59</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">אין בידו אלא אוזת</span>, wörtlich = er ist nur im Besitze einer <span dir="rtl">תקיעה</span>, d. h. sie wird ihm doch nur als Schlusston der ersten Reihe angerechnet.</i>. Hat jemand die Segenssprüche<sup class="footnote-marker">60</sup><i class="footnote"> das Musafgebet des Neujahrsfestes.</i> vollendet, und dann erst gelangt ein Schofar in seine Hände<sup class="footnote-marker">61</sup><i class="footnote"> <span dir="rtl">נתמנה</span>, Nitpa‘el von <span dir="rtl">מנה</span> (vgl. Jona 2, 1 u. ö.; Schebî‘ît VII 4) eig. zu Teil werden, sich treffen, sich darbieten.</i>, so bläst er einen gedehnten, einen schmettern den und wieder einen gedehnten Ton dreimal<sup class="footnote-marker">62</sup><i class="footnote"> und hat damit seiner Pflicht genügt, wenn er auch nicht im Anschluss an die Benediktionen den Schofar geblasen hat, wie es in Mischna 5 gewünscht wird.</i>. Wie der Gemeindevertreter<sup class="footnote-marker">63</sup><i class="footnote"> der von der Gemeinde beauftragte Vorbeter.</i> verpflichtet ist<sup class="footnote-marker">64</sup><i class="footnote"> das tägliche Gebet zu sprechen.</i>, so ist auch jeder einzelne verpflichtet<sup class="footnote-marker">65</sup><i class="footnote"> denn der Vorbeter trägt die Gebete nur für diejenigen laut vor, die selbst nicht beten können.</i>. Rabban Gamliel meint, der Gemeindevertreter enthebe die Gesamtheit ihrer Pflicht<sup class="footnote-marker">66</sup><i class="footnote"> Es muss befremden, dass diese Streitfrage so plötzlich, ohne jeden Zusammenhang mit dem Vorhergehenden, hier auftaucht. Es scheint aber eine Umstellung vorgenommen worden zu sein. Die logische Ordnung des Kapitels verlangt, dass auf die Einrichtungen des Rabban Joḥanan ben Zakkai (Mischna 1—4), deren erste sich auf das Schofarblasen bezieht, zunächst die in Mischna 7, 8 und 9 a enthaltenen Bestimmungen über denselben Gegenstand und dann erst die Vorschriften über das Neujahrsgebet (Mischna 5—6) folgen, an die sich der Schluss des Kapitels (Mischna 9 b) sehr gut anschliessen würde. In diesem Falle hätte man jedoch zu dem Irrtum verleitet werden können, die Meinungsverschiedenheit zwischen Rabban Gamliel und seinen Freunden beschränke sich auf das Neujahrsgebet mit seinen drei langen Einschaltungen, die auch den Gebildeten nicht geläufig waren. In Wahrheit aber gehen ihre Ansichten ebenso hinsichtlich der Gebete des ganzen Jahres auseinander. Darum wurde unsere Streitfrage von den Bestimmungen über das Neujahrsgebet dadurch getrennt, dass diese in M. 5—6 den Vorschriften über den Schofar voran gesetzt wurden.</i>.