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Die Fusionierung von Skigebieten schreitet weiter voran. Viele Betreiber versuchen auf diese Art, mehr Gäste anzulocken und so im Wettbewerb um die verbliebenen Besucher zu bestehen. Schneebedeckte Pisten und gut gefüllte Lifte mit Skifahrern, bei denen das Geld locker sitzt - das ist eine Wintersaison, wie sie sich Pistenbetreiber wünschen. Doch mit jedem neuen Winter rückt die Erfüllung dieses Wunsches weiter in die Ferne. Die Bahnbetreiber sehen sich einem zunehmenden wirtschaftlichen Druck ausgesetzt: Einerseits werden die Skigäste nicht mehr, ihre Zahl stagniert seit Jahren. Andererseits fällt der Schnee oft nur noch in höheren Lagen, der Klimawandel macht den Skigebieten zu schaffen. Also müssen sie höher hinauf und versuchen, sich zu großen Skischaukeln zusammenzuschließen, um attraktiver zu werden und im Wettbewerb um die verbleibenden Gäste zu bestehen. In Tirol beispielsweise könnte bald das größte Gletscherskigebiet Europas entstehen - sofern die Gutachten zur Umweltverträglichkeit grünes Licht geben. Eine riesige Skischaukel soll das Tiroler Pitztal in mehr als 3000 Metern Höhe mit dem benachbarten Sölden im Ötztal verbinden. 180 Pistenkilometer und absolute Schneesicherheit dank hoch gelegener Pisten - damit könnte das neue Skigebiet künftig werben. 120 Millionen Euro sind für das Projekt veranschlagt, das drei neue Seilbahnen und neue Pisten auf einer Fläche von 64 Hektar vorsieht. Zu den jüngsten Fusionen zählt außerdem die Skiarena Andermatt-Sedrun in der Schweiz, deren Gebiete mit insgesamt 120 Pistenkilometern über Lifte miteinander verbunden sind. Im Land Salzburg ist eine Liftverbindung zwischen dem Skigebiet Maiskogel bei Kaprun und den Gletscherbahnen am Kitzsteinhorn geplant; Im selben Bundesland soll eine Gondelbahn die Orte Wagrain und Kleinarl so verknüpfen, dass Skifahrer von Zauchensee über Flachauwinkl bis nach St. Johann fahren könnten. Schon in der Saison 2014 / 2015 fusionierten Warth-Schröcken und Lech-Zürs in Vorarlberg über den Auenfeldjet zu einem Areal. Zwei Jahre später legte man das Gebiet über eine weitere Seilbahn mit St. Anton zusammen - das daraus entstandene "Ski Arlberg" umfasst mehr als 300 Pistenkilometer. Es ist das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs. Detailansicht öffnen Après-Ski in St. Anton. Der Ort ist Teil von "Ski Arlberg", dem größten zusammenhängenden Skigebiet Österreichs. (Foto: Werner Dieterich / Mauritius) Kritik an den umfangreichen Expansionen kommt nicht nur von Naturschutzverbänden, sondern auch vom Deutschen Alpenverein (DAV). "Die PS beim Skifahren heißen PK - Pistenkilometer", sagt Rudolf Erlacher, Vizepräsident des DAV. Wer nur mit genügend Superlativen werben könne, der "imaginiert schon den Skirausch". Im Skitourismus herrsche ein "Kampf um die Poleposition", sagt der Vizepräsident, bei dem die Alpen zum "Experimentierraum" dafür würden, wie man den Tourismus über den gefährdeten Winter retten kann. "Die meinen, man könnte den Klimawandel einfach aussitzen", so Erlacher über die Skigebietsbetreiber. Nicht nur der DAV sieht die Entwicklungen im alpinen Raum kritisch, auch die Vereinskollegen aus Österreich und Südtirol schlagen Alarm. Mit einer internationalen Kampagne unter dem Motto #unserealpen wollen der DAV, der Alpenverein Südtirol und der Österreichische Alpenverein darauf aufmerksam machen, "wie einzigartig, vielfältig und wertvoll" die Alpen seien - aber auch, wie bedroht: "Der Ausbau der Skigebiete gefährdet den Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten", sagt Steffen Reich, Ressortleiter für Natur- und Umweltschutz beim DAV. Skipisten veränderten Biotope; Flutlicht, Beschneiung und Lärm verscheuchten sensible Wildtiere - ganz zu schweigen vom Landschaftsbild: "Waren Sie mal im August in Ischgl? Im Sommer sieht es dort potthässlich aus", findet Reich. Die große Kampagne der Alpenvereine ist auf zwei Jahre angelegt und soll auf analogen und digitalen Kanälen laufen. Dafür wurde eine Kampagnenzeitung publiziert, wurden Postkarten gedruckt und eine eigene Website erstellt. Außerdem verstärken die Vereine in den kommenden Wochen ihre Präsenz in den sozialen Medien. Die Botschaft lautet: Die Alpen gehören allen. Deswegen liegt es auch in der Verantwortung aller, sie zu schützen. Man stelle sich nicht komplett gegen das Skifahren, betont der DAV. Es gehe vielmehr um die zahlreichen Erweiterungen, deren Konsequenzen in der Summe groß seien: "Hier ein bisschen erweitert, da ein bisschen ausgebaut - und am Ende bleibt nichts von unserem grünen Herz übrig", sagt Pressesprecher Thomas Bucher. In Wien hat gerade ein Gericht den Bau einer weiteren Skischaukel verhindert Naturschützer Steffen Reich meint, schon jetzt ein zaghaftes Umdenken erkennen zu können: "Die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Touristen schwindet" - zumindest, wenn man mehr als die zwei Gemeinden befrage, die vom Ausbau profitierten. Reich stützt sich auf Zahlen: In einer repräsentativen Umfrage von 2017 sprachen sich 91 Prozent der bayerischen Bevölkerung für den Erhalt des Alpenplans in seiner bisherigen Form aus - und lehnten damit weitere Neuerschließungen ab. Auch die Tiroler stimmten in einer Umfrage einer lokalen Zeitung mit großer Mehrheit gegen einen Ausbau von Skigebieten. "Ein Weiter-so ist nicht gewünscht", resümiert Reich. Hinweis der Redaktion Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen. Rückenwind bekommen Alpenvereine und Naturschutzverbände jüngst auch von Seiten der Justiz und der Politik: Ende November hat das Bundesverwaltungsgericht in Wien in zweiter Instanz die geplante Skischaukel zwischen Kappl im Paznauntal und St. Anton im Skigebiet Arlberg gekippt. Dazwischen liegt das bisher unberührte Malfontal. Bei einer Fusion wäre das Hochtal für Skifahrer erschlossen worden. Das touristische Interesse rechtfertige keine so schwerwiegenden Eingriffe in die Natur, so begründete das Gericht die Entscheidung, die Genehmigung von 2015 wieder aufzuheben. Die bayerische Staatsregierung begrub im April dieses Jahres die Pläne für die lange und intensiv diskutierte Skischaukel am Riedberger Horn. Und auch der Neuentwurf des Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramms (TSSP), der nun beschlossen wurde, hält an den bisher geltenden Grundpfeilern fest: Keine Neuerschließungen; Zusammenschlüsse und Zubringer sollen nur dort möglich sein, "wo sie sinnvoll und ökologisch verträglich sind". Die Alpenvereine wollen sich auf den Teilerfolgen nicht ausruhen, denn: "Je schneller sich das Ganze entwickelt, desto kurzsichtiger werden die Reaktionen der Liftbetreiber", warnt DAV-Vizepräsident Rudolf Erlacher. "Das kann nicht gutgehen."
Die Fusionierung von Skigebieten schreitet weiter voran. Viele Betreiber versuchen auf diese Art, mehr Gäste anzulocken und so im Wettbewerb um die verbliebenen Besucher zu bestehen.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bergtourismus-im-rausch-der-superlative-1.4249785
Im Rausch der Superlative
00/12/2018
Der bei Touristen beliebte Weihnachtsmarkt von Straßburg war stark gesichert, aber das konnte den Täter nicht abhalten. ‹ › Straßburg, Dienstagabend: Sicherheitskräfte bringen eine Frau nach den Schüssen in der Nähe des Weihnachtsmarkts zum Rettungswagen. Bild: Abdesslam Mirdass/AFP ‹ › Nach der Tat patroulliert ein Polizist in der Nähe des Anschlagortes. Bild: Abdesslam Mirdass/AFP ‹ › Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reagierte bestürzt: "Die terroristische Bedrohung ist immer noch im Herzen des Lebens unserer Nation", sagte er. Bild: Etienne Laurent/AFP ‹ › Präsident Macron berief im Innenministerium eine Krisensitzung ein. Bild: Etienne Laurent/AFP ‹ › Eine Stadt in Angst: Viele Menschen in Straßburg warteten nach der Tat zunächst auf Entwarnung. Im Bild Besucher eines Basketballspiels. Bild: Jean-Francois Badias/AP ‹ › An der deutsch-französischen Grenze wie hier in Kehl führte die Polizei Kontrollen durch. Bild: Christoph Schmidt/AFP ‹ › Der Tag danach: Zahlreiche Einsatzkräfte in Straßburg fahndeten nach dem Täter. Bild: Thomas Lohnes/Getty Images ‹ › Viele Menschen gedachten der Opfer, legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Bild: Thomas Lohnes/Getty Images Wird geladen ... Die kleine rote Lok steht da, als streikten in Frankreich die Maroni-Lokführer: Kein Verkäufer, keine Kunden, keine Glut. Ein paar Meter weiter steht neben einem Mülleimer ein Plastiksack voll mit geschälten Kartoffeln, die heute niemand mehr zu Reibekuchen verarbeiten wird. Der Weihnachtsmarkt in der Straßburger Innenstadt blieb an diesem Mittwoch geschlossen. Am 11. Dezember, einem Dienstagabend, hatte Chérif C. am Rande des Weihnachtsmarktes das Feuer eröffnet, er tötete insgesamt fünf Menschen. Ein Dutzend weiterer Menschen wurde verletzt, manche von ihnen schwer. Mittwochabend befand sich der Täter immer noch auf der Flucht, die Polizei gab einen Fahndungsaufruf mit einem Foto heraus, in dem sie die Bevölkerung um Mithilfe bei der Suche nach dem 29-Jährigen bat. "Erneut hat der Terrorismus auf unserem Boden zugeschlagen", sagte der Pariser Antiterror-Staatsanwalt Rémy Heitz am Mittwoch in Straßburg. "Das macht uns auf dramatische Weise klar, dass die Bedrohung immer noch sehr reell ist." Die Terrormiliz IS, welche im Irak und in Syrien militärisch fast geschlagen ist, reklamiert die Morde eilends für sich und ernennt C. posthum zum "Soldaten". Vielleicht nicht ganz zu Unrecht: Auf einem USB-Stick des mutmaßlichen Attentäters finden die Ermittler später, kurz vor Weihnachten, dann ein Video mit einem Treueeid für den Islamischen Staat. Der Täter kommt der Täter aus Straßburg, war der Polizei wegen diverser Diebstähle und Gewaltdelikte "sehr bekannt" und hat schon mehrere Haftstrafen verbüßt. Erst am Morgen der Tat hatten Ermittler die Wohnung von C. wegen eines anderen Verfahrens durchsucht, es ging um den Vorwurf eines versuchten Tötungsdelikts. Dabei habe die Polizei eine Granate, ein Gewehr und vier Messer gefunden, sagte Heitz. Chérif C. selbst habe man jedoch nicht angetroffen. Seit Dienstagabend sucht die Polizei nun mit einem Großaufgebot nach dem mutmaßlichen Attentäter, auch Hubschrauber sind im Einsatz. In der Altstadt von Straßburg merkte man am Mittwochmittag allerdings kaum etwas davon. Nach der Tat war die Insel, auf der die mittelalterliche Altstadt liegt, bis in den frühen Morgen abgeriegelt. Aus Sicherheitsgründen blieb auch das Gebäude des Europäischen Parlaments geschlossen, in dem in dieser Woche die Abgeordneten tagen. Am Mittag ist jedoch nur noch die unmittelbare Umgebung des Tatorts gesperrt, ein Abschnitt der Rue des Orfèvres, eigentlich eher ein Gässchen, zu schmal für Autos. Schwer bewaffnete Polizisten bewachen den Zugang. Dort, wo eines der Opfer zu Boden ging, liegen Decken, mit denen Mitarbeiter umliegender Geschäfte zu helfen versuchten. Ein paar Meter weiter liegen Einweghandschuhe und ein leerer Infusionsbeutel. Erst zwei Tage nach den Morden stellen Spezialkräfte endlich den Gesuchten im Straßburger Stadtteil Neudorf und erschießen ihn auf offener Straße, als er sich nicht ergibt; so teilt es die Polizei mit. Der Weihnachtsmarkt von Straßburg ist einer der beliebtesten Europas, die Stadt wirbt mit dem Slogan, sie sei die "Hauptstadt von Weihnachten". Der Straßburger Markt ist nicht auf einen großen Platz konzentriert, sondern eher eine Ansammlung von kleineren Märkten, die sich über die Altstadt verteilen. In der Rue des Orfèvres selbst stehen keine Buden. Trotzdem ist die Gasse beliebt bei den Besuchern, weil die Geschäfte dort aufwendig geschmückt sind. Eine Patisserie zum Beispiel hat eine ganze Parade von Plüschtieren auf ihrem Sims untergebracht: Füchse, Hasen, Murmeltiere. Vor allem am Abend, wenn die Stadt weihnachtlich beleuchtet ist, bleiben viele Touristen dort stehen, um ein Foto zu machen. Genau an dieser Stelle begann Chérif C. seinen mörderischen Streifzug durch die Innenstadt, kurz bevor der Weihnachtsmarkt um 20 Uhr schließen sollte. Staatsanwalt Heitz zufolge schoss er mit einer Handfeuerwaffe um sich, aber auch mit einem Messer verletzte er Menschen. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei sei C. am Arm verwundet worden. Nach der Tat habe C. ein Taxi gekapert, das ihn in den südlich der Altstadt gelegenen Stadtteil Neudorf brachte. Der Straßburger Weihnachtsmarkt galt schon vor Dienstag als potenzielles Ziel für Terroristen. Im Jahr 2000 wurde ein Anschlag dort nur knapp verhindert. Darum durften während der Öffnungszeiten des Marktes Autos nur mit Sondergenehmigung auf die Insel. An allen Brücken waren auch am Mittwoch Checkpoints eingerichtet, bei denen Passanten ihre Taschen öffnen mussten; Touristen auch ihre Koffer. Außer der Polizei patrouillierten Soldaten der Antiterroreinheit "Operation Sentinelle", die seit 2015 besonders gefährdete Orte schützen soll. Auch die Rue des Orfèvres liegt innerhalb dieses Sicherheitsbereichs. Der Anschlag trifft Frankreich in einer äußerst angespannten Situation. Seit vier Wochen kommt es durch Proteste der Bewegung der sogenannten Gelbwesten zu Ausschreitungen im ganzen Land. Die Möglichkeit eines Terrorangriffs war durch diese Ereignisse zwar in den Hintergrund getreten, doch erst am 5. November hatte Innenminister Christophe Castaner betont, dass die "terroristische Bedrohung immer noch extrem präsent" sei. Noch am Dienstagabend machte sich Castaner auf den Weg nach Straßburg, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. 2018 wurde Frankreich bereits von zwei größeren Angriffen erschüttert. Im März tötete ein 25-Jähriger bei einem Autodiebstahl und einer anschließenden Geiselnahme in einem Supermarkt in den südfranzösischen Städten Carcassonne und Trèbes vier Menschen. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich. Auch einen Messerangriff in Paris im Mai, bei dem ein Mann erstochen wurde und vier Menschen verletzt wurden, reklamierte der IS für sich. Das Motiv des mutmaßlichen Täters von Straßburg blieb zunächst unklar. Er soll sich in Haft radikalisiert haben, sagte Heitz, und werde vom Inlandsgeheimdienst als Gefährder geführt. Er zitierte auch Zeugen der Tat, denen zufolge C. "Allahu Akbar" gerufen habe, Gott ist am größten. Es gibt auch Vermutungen, wonach es sich beim Anschlag um eine Verzweiflungstat nach der Wohnungsdurchsuchung am Morgen gehandelt haben könnte. Wie sich aus deutschen Polizeiakten ergibt, ist Chérif C. französischer Staatsbürger mit algerischen Wurzeln. Er hat eine schwierige Biografie, wie sie häufig vorkommt in ärmeren Vororten Straßburgs. C., 1989 geboren, ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen, die Schule hat er besucht, bis er 16 Jahre alt war. Dann folgte die Arbeitslosigkeit. Mit 19 Jahren wurde er in Frankreich wegen mehrerer Einbruchsdiebstähle zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er verließ seine Heimat Richtung Deutschland, trieb sich in der Bodensee-Region herum. Im Februar 2012 brach er einem Urteil des Amtsgerichts Singen zufolge nachts in eine Zahnarztpraxis ein, erbeutete Geld, Briefmarken, Zahngold im Wert von 8200 Euro. 2013 wurde er im nahe gelegenen Basel bei einem Einbruch erwischt und zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Zuletzt brach er im Januar 2016 im badischen Städtchen Engen in eine Apotheke ein, wieder brachte ihn das ins Gefängnis. Beute: 315 Euro. 2017 wurde er nach Frankreich abgeschoben. Mit einem solchen Lebensweg fällt Chérif C. genau in die Zielgruppe, aus der Islamisten gern Attentäter rekrutieren. Anhaltspunkte dafür, dass er tatsächlich mit Islamisten verkehrte, hatten aber zumindest die deutschen Sicherheitsbehörden über all diese Jahre nicht. Aus ihrer Sicht war er stets nur ein einfacher Einbrecher. Karoline Meta Beisel, Nadia Pantel und Ronen Steinke; Mitarbeit: Joachim Käppner
Der bei Touristen beliebte Weihnachtsmarkt von Straßburg war stark gesichert, aber das konnte den Täter nicht abhalten.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/terror-mord-vor-altstadt-idylle-1.4269839
Terror - Mord vor Altstadt-Idylle
00/12/2018
Gudrun Weikert führt Kunden aus der ganzen Welt in die Berge. Hier ist sie auf der anspruchsvollen Haute Route unterwegs, im Hintergrund das Matterhorn. Eben war sie noch in Nepal, jetzt sitzt sie mit einer Tasse Filterkaffee in einem Restaurant in München. Mit einer Freundin wollte Gudrun Weikert, 59, auf die 6814 Meter hohe Ama Dablam. Doch sie musste früher zurückkehren als geplant. Die Höhe und ein Infekt machten ihre Pläne zunichte.
Gudrun Weikert ist seit 30 Jahren Bergführerin. Ein Gespräch über gefährliche Routen, Frauen am Berg und wann sie Gäste vorzeitig nach Hause schickt.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bergfuehrerin-weikert-alpen-1.4249774
"Bergführerin Weikert:""Männer überschätzen sich eher"""
00/12/2018
Die schönsten Aufnahmen sind solche, bei denen der Fotograf das Unwesentliche weglässt. Kein Strommast ragt ins Bild, die Fluchtlinien lenken den Blick dank der richtigen Perspektive. Könner nehmen auf diese Weise sogar Reihenhausvorgärten so auf, dass sie wie wilde Dschungel oder weite Parklandschaften wirken. Bei berühmten Sehenswürdigkeiten konzentrieren sich Fotografen besonders aufs Wesentliche. Wer nicht selbst dort war, bekommt den Eindruck von Größe, Weite und einer einzigartigen, mitunter einsamen Lage. Fast immer trügt der Schein. Wir zeigen Sehenswürdigkeiten in all ihrer Pracht - und dann die ganze Wahrheit: Wie eine Fata Morgana tauchen die Pyramiden von Gizeh aus dem Wüstensand Ägyptens auf. Ringsum, so scheint es auf den meisten Fotos, erheben sich höchstens einige Dünen. Ein Irrtum.
Auf Fotos wirken berühmte Sehenswürdigkeiten meist wie ein singuläres Juwel. Der Schein trügt.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/sehenswuerdigkeiten-die-ganze-wahrheit-ueber-wahrzeichen-1.2554126
Sehenswürdigkeiten und Umgebung: Die ganze Wahrheit
00/12/2018
Die Unterwasserwelt der Riffe ist bedroht. Warum Korallen bleichen und Fische verschwinden und was das alles mit dem Tourismus zu tun hat, erläutert Meeresforscher Gert Wörheide. Bei der Klimakonferenz in Katowice ringt die Welt gerade darum, wie sich die globale Erwärmung begrenzen lässt - und wer dafür zu welchen Zugeständnissen bereit ist. Gleichzeitig steht der Höhepunkt der Fernreisesaison an: In den Weihnachtsferien raus aus dem nasskalten deutschen Winter und per Direktflug an den Sandstrand - doch dabei wird nicht nur die Anreise zum Umweltproblem. Gert Wörheide erforscht seit mehr als 30 Jahren Korallenriffe. Der Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie und Geobiologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist in der Karibik, im Indischen Ozean, im Roten Meer und in der Südsee getaucht - und nach wie vor fasziniert von der Vielfalt und Komplexität der Unterwasserwelt. Doch die ist in Gefahr. SZ: Herr Wörheide, viele Menschen werden in den kommenden Wochen ihre Koffer packen und in den Schnorchel- oder Tauchurlaub in tropische Länder fliegen. Der Pazifikstaat Palau will von 2020 an bestimmte Sonnenschutzmittel verbieten, um seine Korallenriffe zu schützen. Müssen die Urlauber jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich eincremen? Gert Wörheide: Grundsätzlich ist alles zu begrüßen, was den Schadstoffeintrag in die Meere minimiert. Viele Sonnenschutzmittel enthalten chemische Wirkstoffe wie Oxybenzon, die biologisch nicht abbaubar sind. Studien deuten darauf hin, dass sie die Korallenbleiche fördern. Es gibt Alternativprodukte, die als korallenunschädlich gekennzeichnet sind und die man beim Tauchen und Schnorcheln dann auch verwenden sollte. Aber ein Sonnenmilchverbot wird die Korallenriffe nicht retten. Es gibt da weitaus wichtigere und größere Probleme. Detailansicht öffnen Gert Wörheide, Direktor des Paläntologischen Museum (Foto: Florian Peljak) Wovon geht denn die größte Gefahr für die Korallenriffe aus? Die Zukunftsprognosen sind ja tatsächlich sehr düster. Global ist eines der größten Probleme derzeit der Anstieg der Meerestemperatur. Wenn das Oberflächenwasser nur ein, zwei Grad Celsius wärmer ist als der durchschnittliche Höchstwert in der Region, dann geraten die Algen, die in den Korallen die Photosynthese betreiben, unter Stress. Sie sondern freie Radikale ab und werden von der Koralle praktisch abgestoßen. Passiert das nur kurzfristig, dann können sich die Korallen davon wieder erholen. Halten die hohen Temperaturen mehrere Wochen an, dann gelingt das nicht mehr. Die Korallen sterben ab und bleichen, zum Teil sehr großflächig wie beispielsweise 2016 und 2017 am Great Barrier Reef in Australien. Ein weiteres Problem ist die Überfischung, verbunden mit dem Eintrag von Nährstoffen ins Wasser, vor allem von Dünger. Stellen Sie sich ein Riff vor, das schon geschädigt ist, zum Beispiel durch Korallenbleiche, in das Nährstoffe eingetragen werden und in dem es keine oder nur noch wenige pflanzenfressende Fische gibt. Innerhalb weniger Wochen ist das ganze Riff mit Algen überwachsen. Dann haben die Korallenlarven keine Chance mehr, sich anzusiedeln. Ich habe das selber auf den Malediven erlebt. Wir wollten mit Studenten zum Schorcheln gehen und alle Korallen in den flachen Bereichen des Riffs waren tot. Das bricht einem das Herz. Sind diese Schäden irreversibel? Nicht unbedingt. Studien haben gezeigt, dass ein Korallenriff nach einer Massenbleiche mindestens zehn bis 15 Jahre braucht, um sich vollständig zu regenerieren. Es gab zum Beispiel auf den Malediven 1998 eine sehr große Korallenbleiche, und die Riffe haben sich danach wieder erholt. Das Problem ist, dass die Frequenz der Warmwasser-Anomalien zunimmt. Wir beobachten sie mittlerweile alle sechs bis acht Jahre, mit fallender Tendenz. Dadurch fehlt den Korallen die Zeit, sich zu erholen. Viele Riffe liegen in beliebten Urlaubsregionen. Inwiefern stellt der Tourismus eine Belastung für dieses fragile Ökosystem dar? Lokal kann das ziemlich dramatische Auswirkungen haben. Ich kenne ein früher wunderschönes Riffdach im Roten Meer, das durch die Touristen, die darüber zum Schnorcheln und Tauchen ins Wasser gingen, innerhalb von fünf Jahren abgestorben ist. Wenn man mit Flossen über Korallen läuft, brechen sie ab. Und wenn das am Tag 20 Mal passiert, hat das langfristig natürlich negative Auswirkungen. Sollte man Strände beziehungsweise Riffe schließen, damit sich geschädigte Korallen erholen können? Das könnte eine Maßnahme sein und wird beispielsweise am Great Barrier Reef auch gemacht. Es gibt dort einzelne Riffe, die für jegliche Nutzung geschlossen sind, da darf man auch als Wissenschaftler nicht rein. Wir müssen noch funktionierende Korallenriffe unter besonderen Schutz stellen. An Stränden mit Hotels ist das allerdings schwierig: Wird das Hausriff geschlossen, bleiben die Gäste weg. Auf den Malediven oder am Roten Meer ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung. Den Zauber der Korallenwelt selbst erlebt zu haben, kann ja durchaus das Bewusstsein für dessen Schutzwürdigkeit schärfen. Aber können Touristen überhaupt einen sinnvollen Beitrag leisten? Ja, sie können sogar einiges tun. Beispielsweise sich vorab darüber informieren, ob das Hotel oder Resort einen ökologischen Ansatz verfolgt. Was passiert mit den Abwässern? Werden sie direkt ins Riff geleitet? Was passiert mit den Abfällen? Werden sie einfach ins Wasser geworfen, was an vielen Orten leider immer noch passiert? Wird auf Einweg-Plastik verzichtet? Urlauber können dann auf Basis dieser Informationen auch nach ökologischen Aspekten entscheiden, was gebucht wird. Einige Resorts beteiligen sich auch an Riffschutzmaßnahmen, an denen auch die Urlauber teilnehmen können, wie beispielsweise Reef Check. Solche Aktionen sind ebenfalls äußerst sinnvoll. Weltweit, auch in beliebten Tauchregionen wie Südostasien und in Ägypten, ist Plastik ein riesiges Problem. Ich kann auf den Plastikstrohhalm im Cocktail verzichten und Wasser aus einer eigenen Wasserflasche trinken, statt Einweg-Plastikflaschen zu kaufen; das ist ein Beitrag, den jeder leisten kann. Sich darauf herauszureden, dass es nur globale Lösungen gibt, ist zu einfach. Inwiefern bedroht der Plastikmüll in den Meeren denn die Riffe? Wenn sich eine Plastiktüte um eine Koralle wickelt, funktioniert die Photosynthese der Algen nicht mehr richtig und sie kann absterben, das ist einleuchtend. Welche Auswirkungen allerdings Mikroplastik hat, also Partikel, die kleiner sind als fünf Millimeter, wissen wir noch nicht in vollem Umfang, da beginnen die Forschungen erst. Aber wir beobachten schon jetzt, dass Seevögel verhungern, weil sie den Magen voller Plastik haben, das sie nicht verdauen können. Sonderlich gut klingt das alles nicht. Wagen Sie eine Zukunftsprognose? Fakt ist: Wir sind mitten in einem Aussterbeereignis, dem sechsten großen globalen Aussterbeereignis in der Erdgeschichte. Das betrifft nicht nur Riffe, sondern auch andere Organismen, man denke zum Beispiel an das Insektensterben. Solche Entwicklungen hat es in der Erdgeschichte immer schon gegeben: Beispielsweise verschwanden Riffe und entwickelten sich in anderer Form, angepasst an die veränderten Bedingungen, neu - aber das wird ein paar Millionen Jahre dauern. Unser Planet wird davon nicht zugrunde gehen, aber die sozioökonomischen Folgen werden gigantisch sein, insbesondere in Südostasien und im Pazifik. Ohne Riffe wären die Küstenregionen Wellen und Stürmen schutzlos ausgeliefert. Und von den Ressourcen dort aus den Riffen sind Hunderte Millionen Menschen wirtschaftlich abhängig.
Die Unterwasserwelt der Riffe ist bedroht. Warum Korallen bleichen und Fische verschwinden und was das alles mit dem Tourismus zu tun hat, erläutert Meeresforscher Gert Wörheide.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/meere-korallen-tauchen-tourismus-1.4225652
Schutz von Korallenriffen: Was Urlauber tun können
00/12/2018
Wenn sich die Tür zu seinem Restaurant Candlenut öffnet und eine winzige alte Frau ganz in Schwarz den Raum betritt, dann steht Malcolm Lee jedes Mal für einen kurzen Moment das Herz still vor Schreck. "Es gibt einen Menschen, den ich mehr fürchte als alle Restaurantkritiker zusammen", sagt er. "Meine Großmutter." Und obwohl er seit 2016 mit einem Michelinstern ausgezeichnet ist, bleibt die über 80-Jährige für ihn die höchste kulinarische Instanz überhaupt. Denn sie ist, wie in jeder Peranakan-Familie in Singapur, die Hüterin des Heiligen Grals der Familienrezepte. Die Großmutter merkt sofort, wenn der Enkel die Gewürzpaste anders dosiert Sie merkt sofort, wenn ihr Enkel auch nur eine der vielen Zutaten für die traditionelle malaysische Würzpaste mal anders dosiert hat: Rempah heißt die und basiert auf rotem Chili, Kurkuma, Galgant, Zitronengras und einem Dutzend weiterer Gewürze. Lee erinnert sich noch im Detail an die köstlichen Rempahs und Currys, die seine Mutter und Großmutter zubereitet haben, als er noch ein Kind war: "Der Duft zog mir beim Heimkommen schon in die Nase, sobald sich die Aufzugstüre in unserem Stockwerk öffnete." Es sind die Aromen seiner Kindheit, die er heute in seinem Restaurant heraufbeschwört. Zum Beispiel in "Mum's Chicken Curry", das immer auf der Karte steht: gebratenes Huhn in einer scharfen, mit Kartoffeln gebundenen Currysauce, hauchdünn geschnittene Streifen der Blätter von Kaffir-Limetten sorgen für Zitrusfrische. Detailansicht öffnen Speisen im Restaurants Candlenut. (Foto: Candlenut) "Wir sind das einzige Peranakan-Restaurant überhaupt, das mit einem Michelinstern ausgezeichnet ist", darauf ist der junge Küchenchef stolz. Was natürlich auch daran liegt, dass die Peranakan-Küche nur in Singapur existiert und erst in den vergangenen Jahren ein Revival erfuhr. "Peranakan" heißt "Mischling" auf Malaiisch, so bezeichnete man die Nachkommen jener chinesischen Einwanderer, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Händler in den geschäftigen Häfen von Singapur, Malakka und Penang angesiedelt und malaiische Frauen geheiratet hatten. Ihre Kultur, Sprache und Küche war und ist eine faszinierende Mischung aus chinesischen und malaysischen, bisweilen auch indischen oder europäischen Einflüssen. Singapur mit seinen heute 5,6 Millionen Einwohnern, seinem globalisierten Lebensstil und dem von Wolkenkratzern aus Stahl und Glas geprägten Stadtbild haftet von jeher das Klischee des "Melting Pot" an. Auf der Suche nach einer eigenen Identität entdeckte man jüngst die Peranakan wieder, die heute als eine Art Urzelle für die Vielvölkerstadt gelten. "Die Menschen möchten verstehen, wo sie herkommen", sagt Damien D'Silva. "Vor allem in einer so jungen Stadt wie Singapur. Wir sind hier alle Immigranten. Die Peranakan-Küche schenkt uns kulinarische Wurzeln." Auch D'Silva hat sich als Koch auf die traditionellen Rezepte seiner Familie spezialisiert, zurzeit tut er dies als Küchenchef in einem Hotelrestaurant namens Folklore. Wir treffen ihn aber in Katong, einem von Touristen weniger besuchten Viertel im Osten Singapurs. Hier, an der Joo Chiat Road, wuchs er auf, hier lernte er die Küchengeheimnisse seiner Peranakan-Großmutter kennen, wenn er im traditionellen Granitmörser die Chilis zerkleinern durfte, die sie für ihre Belacan, eine fermentierte Krabbenpaste, verwendete. Die Joo Chiat Road ist bis heute das Herz des Viertels, das für die wiedererstarkende Peranakan-Kultur steht. Hier haben viele der typischen "Shophouses" überdauert, deren Bewohner im Erdgeschoss einen Laden betrieben und im ersten Stock lebten. Als Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die koloniale Wirtschaft Singapurs zu boomen begann, machten viele der geschäftstüchtigen Peranakan-Familien ein kleines Vermögen. Sie erbauten die schmalen, zweistöckigen Häuschen, deren Fassaden oft mit üppigem Stuck und bunten Kacheln verziert sind und in Pastelltönen von rosa über gelb bis mintgrün gestrichen wurden; in den Vorgärten blühen weiße Frangipanibäume. "Die Häuser sehen von außen klein aus", sagt D'Silva, "aber sie sind sehr tief. Und ganz hinten war immer die Küche, das Herz jedes Peranakan-Haushalts." Früher war die Straße voller Garküchen, heute findet man diese mit Glück in Markthallen Ein beißend-würziger Duft steigt in die Nase, als D'Silva die Tür einer winzigen Garküche öffnet, über Holzkohle grillt ein alter Mann hier Otah-Otah, ein beliebtes Streetfood. Fisch oder Garnelen werden fein gehackt und mit Chili, Knoblauch, Zitronengras, Mehl, Ei und Kokosnusscreme zu einer Paste gerührt, die in ein Bananenblatt gefüllt und gegrillt wird, ein köstlicher Snack für umgerechnet 70 Cent. "Als ich in den Sechzigerjahren hier aufwuchs, war die Joo Chiat Road noch voller Straßenhändler, die rund um die Uhr Nudeln und Dumplings verkauften", sagt D'Silva. Die Singapurer Regierung verbannte die fliegenden Händler mit ihren Delikatessen aus Hygienegründen längst in sogenannte Hawker Centres. In solchen überdachten Markthallen findet man mit etwas Glück bis heute noch echte Peranakan-Küche, vor allem die farbenfrohen Desserts wie Tapioka-Küchlein mit Kokosnuss oder blau gefärbte Reisküchlein, wie sie bei Peranakan-Hochzeiten serviert wurden. Detailansicht öffnen Die Joo Chiat Road in Singapurs Katong-Viertel ist das Zentrum der Peranakan-Küche. (Foto: Mauritius Images/Josie Elias/Alamy) Auch hier in Katong wird die alte Kunst noch aufrechterhalten, zum Beispiel im Guan Hoe Soon, das damit wirbt, das älteste Peranakan-Restaurant der Stadt zu sein, gegründet 1953. Durch das Schaufenster kann man zusehen, wie alte Frauen mit flinken Fingern aus Klebreis kleine Klöße formen, die anschließend bunt gefärbt werden. "Früher nahm man für Grün Pandanblätter, für Blau getrocknete Bunga-Telang-Blüten und für Gelb Kurkuma", sagt D'Silva. "Heute wird viel mit Lebensmittelfarbe gearbeitet." Nicht so im Guan Hoe Soon, das garantiert der Duft von Reis und Pandanblättern, der bis auf die Straße dringt. Heute ist man in Singapur stolz auf das Peranakan-Erbe, doch bis vor zehn Jahren konnten die wenigsten Einwohner mit dem Begriff etwas anfangen. Die alte Kultur verdankt ihre Wiederentdeckung nicht zuletzt der beliebten TV-Soap "The Little Nyonya", die von 2008 bis 2012 ausgestrahlt wurde. Nyonya ist ein altes malaiisches Wort für eine Lady, eine Frau von gewissem sozialem Status, deshalb wird die Küche der Peranakan auch oft als Nyonya Cuisine bezeichnet. Über das Leben der Nyonyas können sich Besucher heute im Peranakan-Museum informieren. Das weiße Gebäude im neoklassizistischen Stil wurde 1912 als chinesische Schule erbaut, heute erwachen hier in Multimedia-Inszenierungen die alten Geschichten zum Leben. Zu den schönsten Exponaten zählen die Kamcheng, bunt bemalte Porzellanschüsseln mit Deckel, in denen die Nyonyas ihre kunstvollen Gerichte servierten. Direkt neben dem Museum liegt das True Blue Restaurant, dessen Eingang wie ein typisches Peranakan-Haus mit vielen Pflanzen und bunten Lampions geschmückt ist. Auch drinnen, im mit originalem Mobiliar ausgestatteten Gastraum, fühlt man sich wie auf einer Zeitreise. Auf den Tisch kommen hier Klassiker der Nyonya-Küche: Chab Chye, ein Gemüsegericht mit Kohl, Shiitake-Pilzen, Tofu und feinen Vermicelli in einer duftenden Brühe; oder Ayam Buah Keluak, mit Zitronengras und Kurkurma gedämpftes Huhn in einer Sauce aus schwarzen Buah-Keluak-Nüssen, die nur in der Peranakan-Küche verwendet werden. Dass hier alles nach den traditionellen Vorgaben auf den Tisch kommt, dafür sorgt in der Küche die Mutter des Besitzers - wer sonst. Die Köche veredeln das kulturelle Erbe mit delikaten Zutaten "Peranakan-Köche in Singapur haben ein großes Problem", sagt KF Seetoh, Street-Food-Experte und Gründer des beliebten Makansutra Food Guides: "Jeder Gast, der kommt, erzählt ihnen, dass das Beef Rendang oder Coconut Prawn Curry seiner Mutter, Großmutter oder Tante viel besser geschmeckt habe als das im Restaurant. Der Kampf gegen die Kindheitserinnerungen der Gäste ist nicht zu gewinnen." Deshalb versucht Malcolm Lee das auch gar nicht erst. Sein Weg im Candlenut ist ein anderer. Er will seinen Gästen zeigen, wie man die Aromen der Kindheit in einer zeitgemäßen Küche ganz neu entdecken kann. Seine Suppen und Currys serviert er in zeitgemäßer Keramik, seine Soßen sind nicht ganz so dick wie in den traditionellen Varianten, die Zutaten viel hochwertiger als in den Garküchen. Für sein Beef Rendang mit geraspelter Kokosnuss und Kurkumablättern verwendet er edles Wagyu Beef aus australischer Zucht. Und für das Yellow Coconut Crab Curry mit Ananas nimmt er statt der Garnelen der klassischen Version lieber delikateres Krabbenfleisch. Aber es ist ein Dessert aus den für die Peranakan-Küche so typischen Buah- Keluak-Nüssen, das seinen Küchenstil vielleicht am besten verkörpert: Die fein gehackten rohen Nüsse versetzt er mit edler französischer Bitterschokolade und bereitet daraus ein Eis zu mit einer unvergleichlich erdig-bitter-säuerlichen Aromatik, die entfernt an Kaffeebohnen erinnert. Serviert mit leicht salziger Karamellsauce, Schokoladencrumble und Chiliflocken ist es ein Hochgenuss, angesiedelt irgendwo zwischen überlieferter Nyonya-Küchenmagie und globalen Fine-Dining-Trends. "Malcoms Küche ist sehr progressiv", sagt KF Seetoh. "Aber das ist der richtige Weg. Du musst dein kulturelles Erbe nehmen und es weiterbringen - sonst wird die Peranakan-Küche aussterben." Reiseinformationen Anreise: Singapore Airlines fliegt täglich von München nach Singapur ab 596 Euro in der Economy Class, www.singaporeair.com Übernachten: Z.B. Goodwood Park Hotel, erbaut um 1900, großer Garten, www.goodwoodparkhotel.com Peranakan-Küche: Candlenut, zeitgemäß-kreative Peranakan-Küche mit Michelinstern im Trendviertel Dempsey Hill, www.comodempsey.sg; True Blue, traditionelle Peranakan-Küche in historischem Dekor, www.truebluecuisine.com; Blue Ginger, authentische Peranakan-Küche, unbedingt Sambal Terong Goreng probieren, www.theblueginger.com Peranakan-Kultur: www.peranakanmuseum.org.sg Weitere Informationen: www.visitsingapore.com
Junge Köche in Singapur besinnen sich auf die kulinarischen Traditionen der Stadt. Sie haben allerdings scharfe Kritiker.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/singapur-essen-restaurants-1.4239922
Singapur und die Restaurants der Peranakan
00/12/2018
"Ja, es dauert noch. Nein, ich weiß nicht wie lange ..." Ein Bahnstreik macht einen Montagmorgen nicht angenehmer, hier in Hanau. Erst wegen der Bahn den Job verloren, jetzt die Verlobung verpasst - zum Glück berichten nicht alle Leser von solch dramatischen Streikfolgen. Eine Auswahl. Mit der Bahn zu fahren, kann so schön sein - wenn sie fährt. Mal ist es zu kalt für sie, mal zu heiß, mal zu stürmisch. Und egal, ob das Wetter mitspielt oder nicht, wollen die Beschäftigten mehr Geld und nutzen ihr Streikrecht, das ihnen natürlich zusteht. Allerdings finden Pendler und punktuell Zugreisende, dass auch sie ein Recht haben, in die Arbeit oder ans Reiseziel zu kommen. Wie SZ-Leser und andere Bahnfahrer auf den Ausstand am Montag reagieren, sehen Sie in dieser Auswahl. Die gute Nachricht vorweg: Der Humor ist nicht (immer) auf der Strecke geblieben. Wobei das nicht allen leicht gefallen sein dürfte, etwa dieser Frau. Sie hatte den ZDF-Moderator Mitri Sirin um Hilfe gebeten, um einen Zug zu erreichen, der längst gestrichen war: Ihr hatte eine missglückte Bahnreise bereits einmal das Leben durcheinandergewürfelt. Das wird diesmal hoffentlich nicht der Fall sein - doch zur eigenen Hochzeit wird sie wohl nicht mehr mit der Bahn fahren. Frankfurt Airport Bahnsteig. Frau außer Atem, schweres Gepäck:”mein Zug nach Köln geht in 1er Min, können Sie bitte helfen ?”Ich: heute geht kein Zug nach Köln. Bahn streikt. Sie: oh nein. Beim letzten Streik wurde ich gekündigt, heute verpasse ich meine Verlobung! #BahnStreik — Mitri Sirin (@MitriSirin) 10. Dezember 2018 Wenn bei der Bahn nichts mehr geht, fragen Sie Ihre Freunde und Verwandten. SZ-Leser Tobias L. half sein Bruder großzügig in der Not: "Als ich heute morgen auf dem Weg zu meinem Kunden war, habe ich zunächst in der App überprüft, ob mein Zug fährt. Die zeigte an, dass in 20 Minuten eine Alternative fahren würde. Die Ernüchterung am Bahnhof: Auch dieser Zug fiel aus. Gott sei dank habe ich einen Bruder, der mir sein Auto (Euro 4 Diesel) auslieh für die rund 100 Kilometer bis zu meinem Kunden. An meine persönlichen Umweltschutzgesetze konnte ich mich so heute aber nicht halten." Besonders bitter wird der Zusammenbruch des Zugverkehrs, wenn man schon mehr als einen Tag Reisen hinter sich hat und sich kurz vorm Ziel wähnte. Dann hilft nur noch Schokolade - hofft jedenfalls die Deutsche Bahn. Eine Mitreisende erzählt, dass sie gerade aus den USA kommt und seit 30 Stunden unterwegs ist. Das Bordpersonal verweist auf das Fahrgastrechteformular und überreicht ein Stück Schokolade: „Lieblingsgast“. Das Schicksal ist eben manchmal bittersüss. #Bahn #Warnstreik pic.twitter.com/IbN0KmMhFj — Stefan Krabbes (@StefanKrabbes) 10. Dezember 2018 Allerdings gibt es auch Reisende wie SZ-Leser Werner H., die alles tun würden, um nicht in einen Bahnstreik zu geraten - sogar früher fahren als gedacht: "Da ich am Samstagabend mitbekommen habe, dass für heute ein Warnstreik der EVG vorgesehen ist, habe ich meine Fahrt von Ismaning nach Potsdam von Montagvormittag auf Sonntagnachmittag vorgezogen und sitze jetzt gemütlich in Potsdam. Offenbar haben auch andere ihre Fahrt vorgezogen, wie sich aus Gesprächen im ICE ergab. Eine Reisende zum Beispiel, die gestern eigentlich nur von München bis Nürnberg und heute früh von dort nach Rostock fahren wollte, ist gestern direkt nach Rostock gereist. Mir jedenfalls war nach meinen Erfahrungen bei den letzten Streiks klar, dass ich an so einem Tag nicht mit der Bahn fahren würde." Dass sie überhaupt nicht die Chance bekommen würde, irgendeinen Zug zu nehmen, damit hatte Leserin Karin N. nicht gerechnet: "Ich musste heute früh zum Flughafen, mit der S8 ab Hohenbrunn, und hatte mich auf die doppelte Fahrtzeit eingestellt. Aber dass gar keine S-Bahn zum Flughafen fahren sollte, finde ich doch sehr befremdlich, eigentlich unverschämt! Ich habe meinen Flug deshalb stornieren müssen. Die Taxikosten wären unverhältnismäßig gewesen (über 100 Euro) und das Staurisiko zu hoch. Da der reine Flugpreis nur 10,50 Euro beträgt - der Rest sind Steuern und Gebühren - ist der finanzielle Verlust zu verschmerzen. Der Ärger jedoch nicht." Pech im Unglück hatte SZ-Leser Günter M., der eigentlich noch vor Streikbeginn um fünf Uhr morgens unterwegs war. Trotzdem wurde er ausgebremst: "Wir wollten zu einer Trauerfeier nach Achim bei Bremen, die geplante Zugabfahrt war um 4.13 Uhr. Weil ja nachts zwischen 2 und 4.30 Uhr keine S-Bahn fährt, nahmen wir das Taxi zum Hauptbahnhof. Als wir unsere bezahlten Sitzplätze im ICE 888 eingenommen hatten, kam fünf Minuten vor der Abfahrt plötzlich die Durchsage: Dieser Zug fällt wegen des Streiks aus. Nachfragen nach der Rückerstattung des Tickets bei dem herumstehenden Zugpersonal war nicht möglich, weil diese nur unhöflich raunzten: Wären Sie gestern gefahren. Auch der Informationsschalter war schon um 4.20 Uhr wegen des Streiks nicht mehr besetzt. Verärgert haben wir die Heimreise angetreten. Offenbar müssen Bahnfahrer zur Sicherheit immer als Alternativen ein Auto oder ein Flugzeug bereithalten. Dieser Tag hat nur unnötige Kosten verursacht." Doch selbst wer es in einen der wenigen Züge geschafft hatte, konnte sich nicht recht freuen. Das schlimmste am #Bahnstreik heute morgen ist ja, dass in den übervollen Zügen jetzt jeder lauthals mit dem Büro telefoniert, um Zwischenstände durchzugeben... #PendlerrantTM — Tom Klein (@tmsklein) 10. Dezember 2018 Andere wiederum, wie Leser Mike G., warteten erst frierend, aber geduldig, dann ungeduldig und schließlich wütend auf versprochene Züge, die niemals eintrafen: "Ich pendle tagtäglich von Wuppertal nach Düsseldorf mit der Regionalbahn und habe heute von 7 bis 9.30 Uhr am Gleis gestanden. Das war selbstverständlich nicht gerade warm. Was ich nicht verstehe: Es wurde durchgesagt, dass es zu Ausfällen komme, aber vereinzelt Züge fahren würden - doch dem war nicht so. Was die Bahn mit den Reisenden gemacht hat, war unterste Schublade! Um 7.49 Uhr wurde noch verkündet, dass der RE 4 in Richtung Aachen heute in Düsseldorf endet, doch der Zug kam bis jetzt noch nicht. Es wurde sogar auf den Anzeigetafeln aufgelistet, welcher Zug kommen sollte und welcher nicht - dabei fuhr gar keiner. Heute hat man gesehen, dass die Bahn zu nichts in der Lage ist, wenn es Knall auf Knall kommt. Auch nicht dazu, die Reisenden zu informieren. Traurig aber wahr: Die Bahn kommt nicht zum Bahnhof!" Da bleibt genug Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie es eigentlich zu diesem Streik kam: #DeutscheBahn Wir erhöhen die Preise! Kunden: Warum?#Bahn: Treibstoffkosten und Löhne sind gestiegen. Mitarbeiter der #Bahn: Die Löhne sind nicht gestiegen! Aber wir können das ändern!#bahnstreik #EinFallfürPofalla — digitaler Gutmensch™ (@Tigerelch) 9. Dezember 2018 Nicht überall sind die Bahnfahrer, die doch noch ans Ziel kommen wollen, willkommen: Bester Kommentar von einem Kollegen zum #Bahnstreik: "Wieso müssen die ganzen Bahnfahrer jetzt mit dem Auto fahren? Ich fahr doch auch nicht mit der Bahn nur weil Stau ist." 😂👍 — WORDMAN! (Nänänänä) (@Ro_Post) 10. Dezember 2018 Und dann gibt es zu guter Letzt noch diejenigen, die als treue Kunden das Bahnfahren als Trainingscamp für Optimismus in beinahe jeder Lebenslage anerkennen: Man muss das auch mal positiv sehen: der Bahnstreik ist das erste seit Monaten, das bei der deutschen Bahn planmäßig verlaufen ist. Und sogar pünktlich!#DeutscheBahn #BahnStreik — Micky Beisenherz (@MickyBeisenherz) 10. Dezember 2018 Mit der richtigen Einstellung kann der Streik sogar für schöne Überraschungen gut sein: Meine Bahn sonst IMMER zu spät, so dass ich den Anschluss nicht kriege und immer 30 Minuten früher fahren muss, Streiktag des Jahres fährt sie perfekt, checkt auch keiner. — dickkopfsaurier (@pachycephalos) 10. Dezember 2018 Das kann Leser Thomas F. nur bestätigen: "Mein ICE von München nach Ingolstadt um 10.21 Uhr fiel (leider) aus, aber ich habe davor noch den ICE um 9.54 Uhr erwischt - und war damit am 'Chaos-Streiktag' eher in Ingolstadt als geplant. So kann's auch gehen."
Erst wegen der Bahn den Job verloren, jetzt die Verlobung verpasst - zum Glück berichten nicht alle Leser von solch dramatischen Streikfolgen. Eine Auswahl.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-streik-1.4246647
"Bahn-Warnstreik: ""Wenigstens beim Streik pünktlich"""
00/12/2018
Der Museumplein ist ein riesiger, etwas öder Platz in Amsterdam. Es gibt eine Wasserfläche, die im Winter zur Eisbahn mutiert, mehr nicht. Als Tourist freute man sich daher über den rot-weißen Schriftzug vor dem Rijksmuseum am Rande des Platzes. "I amsterdam" stand dort, mehr als zwei Meter hoch und 23 Meter breit, die perfekte Kulisse für ein Selfie vor historischem Hintergrund. Tausende Besucher setzten sich hier täglich in Szene, am beliebtesten war das "d". Man kam zum Posen und Lachen, das Ensemble war eine Ikone, beinahe wie der Eiffelturm oder Trevi-Brunnen. Aber es war auch ein Symbol des Massentourismus, der Amsterdam so zu schaffen macht. Deshalb musste es weg. Diese Woche ließ die Stadt die Buchstaben entfernen, auf Antrag der grün-linken Fraktion im Gemeinderat, die eine Mehrheit überzeugen konnte. "I amsterdam steht für Individualismus, während wir in dieser Stadt Solidarität und Vielfalt zeigen wollen", sagte Fraktionschefin Femke Roosma. "Außerdem reduziert dieser Slogan die Stadt auf eine Marketing-Geschichte." "I amsterdam" ist eine extrem erfolgreiche Kampagne, später kopiert von Städten wie Moskau ("Wow Moscow") oder Lyon ("Only Lyon"). Die Werbeagentur Kessels Kramer erfand sie 2004, mitsamt den großen Buchstaben. Damals machte sich die Stadt Sorgen um ihr Image, ihr verstaubter Spruch "Amsterdam hat's" lockte kaum noch jemanden an die Grachten. Umso besser funktionierte der neue: Die Touristen strömten herbei, auch wegen des Aufschwungs in Asien, und mehrten den Reichtum der Stadt. 2014 wurden die ersten Bedenken in den Medien geäußert. Die Kalverstraat in den Wallen hatte wegen Überfüllung gesperrt werden müssen, von "drukte", Gedränge, rund um die Grachten und Brücken war nun allenthalben die Rede. Dichtestress. 14 Millionen Besucher pro Jahr zählte man damals, und es tauchte die Frage auf, die sich auch Städte wie Venedig oder Barcelona stellten: Gibt es ein Zuviel an Popularität? 2016 gab Bürgermeister Eberhard van der Laan die offizielle Antwort: Ja, wir haben ein Problem mit dem Tourismus. Die Innenstadt hatte sich deutlich verändert, sie sah aus wie ein Festivalgelände. Ganze Häuser verwandelten sich in Airbnb-Unterkünfte, interessante Geschäfte in quietschbunte Nutella-, Waffel oder Goudashops. Anwohner fühlten sich belästigt durch saufende, grölende Horden. Der "kotzende Brite" auf Junggesellentour wurde zur Hassfigur. Und besonders erschreckend: Das war erst der Anfang. Amsterdam nähert sich der 20-Millionen-Besucher-Marke; für 2030 werden, wenn es so weitergeht, 30 Millionen prognostiziert. Die Stadt reagierte. Sie legte Airbnb immer härtere Beschränkungen auf, sie stoppte das berüchtigte Bierfietsen, bei dem Saufkumpane gemeinsam durch die Gassen radeln, sie verbannte Kreuzfahrtschiffe und Touri-Busse aus der Innenstadt, verbot den Bau neuer Hotels, schloss illegale Pensionen. Und manches mehr. Viel besser ist es seither nicht geworden mit dem Gedränge. Die neue Leerstelle vor dem Rijksmuseum wird daran wenig ändern. Die Aktion sei nur "ohnmächtige Symbolpolitik", schimpfte ein Kritiker. Andere fragten, ob es nicht dringendere Probleme gebe: die Kriminalität, die Wohnungsnot, die steigenden Lebenshaltungskosten, die viele zum Wegziehen zwingen. Doch Grünen-Politikerin Roosma geht es um Grundsätzliches. Man müsse sich lösen vom Image als "Stad waar alles kan", der Stadt, in der alles möglich (und erlaubt) ist. Toleranz und Liberalität seien zwar wichtig für Amsterdam, das schon im 17. Jahrhundert Menschen aus ganz Europa Zuflucht bot, die wegen ihres Glaubens oder ihrer Ansichten verfolgt wurden. Aber: "Freiheit kennt Grenzen. Die Freiheit des einen endet dort, wie die Freiheit des anderen beginnt", sagte Roosma jüngst in einer Diskussionsrunde. Man müsse über jene reden, die sich "zu viel Freiheit nehmen". Der ehemalige Stadtrat Frits Huffnagel schlägt vor, ein halbes Jahr lang konsequent alle Regelverstöße zu ahnden, etwa die Missachtung des in der Innenstadt eigentlich geltenden Alkoholverbots. Das werde sich schnell herumsprechen. Seine frühere Kollegin Carolien Gehrels denkt noch weiter. Man solle das Verhalten der Besucher über Preise steuern, etwa mittels einer schlauen Chipkarte: Wer ins Rotlichtviertel wolle, erhielte 25 Euro abgebucht, dafür gäbe es Nachlass für den Besuch im Stedelijk-Museum. Und die schönen Buchstaben? Fans werden Ersatz finden. Sie stehen auch am Flughafen Schiphol und anderen Stellen Amsterdams. Selbst das Ensemble vor dem Rijksmuseum wird nicht verschrottet, sondern geht nach einer Renovierung auf Tour durch die Stadt. Erste Station ist ein Studentenhotel. Am Ende war der groß angekündigte Abbau des Slogans vor allem wieder: Marketing.
Unzählige Fotos sind mit den "I amsterdam"-Buchstaben gemacht worden. Jetzt wurden sie abgebaut - als Maßnahme gegen den Massentourismus.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/amsterdam-tourismus-staedtereisen-1.4240602
Amsterdam baut beliebtes Fotomotiv ab
00/12/2018
Welche Rechte haben Bahnreisende? Welche Entschädigungen stehen ihnen beim Streik zu? Antworten auf die wichtigsten Fragen. Was tun, wenn der Zug nicht fährt? Fällt ein Zug wegen des Streiks aus oder verpasst der Reisende seinen Anschluss, kann er ohne Aufpreis auf einen beliebigen anderen Zug ausweichen - wenn wieder einer fährt. Bei Angeboten wie einem Sparpreis-Ticket wird die Zugbindung aufgehoben. Auf einen anderen Zug dürfen Bahnreisende auch umsteigen, wenn sie damit rechnen müssen, dass ihr Zug sein Ziel mit einer Verspätung von mehr als 20 Minuten erreichen wird. Nimmt der Fahrgast dann stattdessen einen teureren Zug, also zum Beispiel einen ICE anstelle eines Nahverkehrszugs, muss er zwar zunächst den Aufpreis entrichten, kann sich das Geld anschließend aber in einem DB-Reisezentrum erstatten lassen. Länder-Tickets, das Schöne-Wochenende-Ticket und das Quer-durchs-Land-Ticket sind davon ausgenommen. Und wenn ich gar nicht mehr reisen will? Wer vom Streik betroffen ist, kann sich sein Zugticket samt Sitzplatz-Reservierung in einem DB-Reisezentrum oder einem Reisebüro mit DB-Lizenz kostenlos erstatten lassen. Für Online-Tickets gibt es auf der Webseite der Bahn ein Antragsformular. Zahlt die Bahn eine Entschädigung für Verspätungen? Bei Verspätungen besteht ein rechtlicher Anspruch auf Entschädigung, unabhängig von der Ursache. Auch im Falle eines Streiks ist die Bahn dazu verpflichtet - im Gegensatz zu Airlines, die sich auf höhere Gewalt berufen können. Kommt ein Fahrgast mindestens eine Stunde zu spät am Ziel an, muss die Bahn ihm 25 Prozent des Fahrpreises erstatten. Bei zwei Stunden Verspätung sind es 50 Prozent. Der Aufpreis für den ICE-Sprinter wird schon ab 30 Minuten Verspätung zurückgezahlt. Wie entschädigt die Bahn Pendler mit Zeitkarten? Ab einer Verspätung von 60 Minuten bekommen Fahrgäste mit Zeitkarte eine pauschale Entschädigung pro Fahrt. Für Zeitkarten der zweiten Klasse im Fernverkehr gibt es fünf Euro, in der ersten Klasse 7,50 Euro. BahnCard-100-Besitzer bekommen in der zweiten Klasse zehn und in der ersten Klasse 15 Euro. Häufig sind bei Streiks auch die von der Deutschen Bahn betriebenen S-Bahnen betroffen. Doch im Nahverkehr können Bahnfahrer nicht mit nennenswerten Entschädigungen rechnen. Ab 60 Minuten Verspätung gibt es in der zweiten Klasse pauschal 1,50 Euro, in der ersten 2,25 Euro. Allerdings werden erst Beträge ab vier Euro ausgezahlt. Nahverkehrskunden erhalten also erst ab der zweiten beziehungsweise dritten Verspätung innerhalb der Gültigkeitsdauer des Zeit-Tickets Geld. Wie mache ich meine Entschädigung geltend? Mit dem Fahrgastrechte-Formular. Dieses Beschwerdeformular wird im Verspätungsfall häufig bereits vom Zugpersonal ausgeteilt. Es ist aber auch in den Servicezentren der Deutschen Bahn oder online erhältlich. In das Formular werden geplanter und tatsächlicher Reiseverlauf eingetragen. Originalfahrkarten, Kopien von Zeitkarten und andere Originalbelege müssen beigelegt werden. Wer sich durch die Formalien gekämpft hat, kann direkt am Bahnhof im Reisezentrum oder in der DB-Agentur seine Entschädigung bekommen. Andernfalls ist eine Entschädigung nur möglich, wenn Formular, Fahrkarte oder Kopie der Fahrkarte an das Servicecenter Fahrgastrechte in 60647 Frankfurt/Main geschickt werden. Entschädigungen muss die Bahn auf Wunsch bar auszahlen, ansonsten erfolgen diese als Gutschein oder per Überweisung. Ich habe nur ein Handy-Ticket - was muss ich tun? In diesem Fall muss der Reisende die Buchungsbestätigung, die er per E-Mail erhalten hat, ausdrucken und mit dem Fahrgastrechte-Formular nach Frankfurt schicken. Zahlt die Bahn ein Taxi oder ein Hotelzimmer? Zunächst einmal müssen Reisende schauen, ob die Bahn eine alternative Verbindung anbietet, zum Beispiel einen Schienenersatzverkehr. Ist dies der Fall, hat das Angebot der Bahn immer Vorrang. Gibt es keine von der Bahn organisierte Alternative, liegt die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0 und 5 Uhr und hat der Zug mindestens eine Stunde Verspätung, dann erstattet die Bahn Kosten für ein anderes Verkehrsmittel bis maximal 80 Euro. Dies gilt auch, wenn die letzte planmäßig Verbindung des Tages ausfällt und bis Mitternacht der Zielbahnhof anders nicht mehr erreicht werden kann. Wird eine Übernachtung nötig, muss die Bahn die Kosten für ein Hotelzimmer tragen. Diese Sonderkosten kann man sich nur beim Servicecenter Fahrgastrechte (siehe "Wie mache ich meine Entschädigung geltend?") erstatten lassen. Hierfür müssen neben Fahrkarte oder Kopie der Fahrkarte die Originalbelege für die entstandenen Kosten eingesendet werden. Doch auch wer außerhalb der genannten Zeit ein Taxi nutzt, kann versuchen, sich die Kosten erstatten zu lassen. In Einzelfällen zeigt sich das Servicecenter möglicherweise kulant. Und wenn ich wegen des Bahnstreiks meinen Flug verpasst habe? Wer keine Pauschalreise gebucht hatte oder wenigstens ein Rail&Fly-Ticket, bleibt wohl auf den Kosten sitzen. Denn die Bahn muss nur für das ausgefallene Zugticket entschädigen und nicht für den Flug. Bleibt den Passagieren nur, auf die Kulanz der Airlines beim Umbuchen zu hoffen.
Was Bahnkunden jetzt wissen müssen: die wichtigsten Fragen und Antworten.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-streik-rechte-entschaedigung-1.4246211
Bahn-Streik: Welche Rechte haben Reisende?
00/12/2018
Jahrzehntelang wurde Moonshine-Whiskey heimlich produziert. Das beschert den Nachfahren der Schwarzbrenner auch heute noch ein einträgliches Geschäft - und den Kunden einen Schnaps mit Apfelkuchen-Aroma. Ein Ort ist Pigeon Forge nicht. Eher ein sechsspuriger Highway, der sich durch ein breites Tal in den Appalachen wälzt. Zu beiden Seiten der Straße: Hotels, Vergnügungsparks, Souvenirläden, oder besser: Andenken-Supermärkte. Eine Nebenstraße führt über den Little Pigeon Forge River. Dahinter ein Einkaufszentrum mit Boutiquen, Spielzeugläden, noch ein paar Souvenirshops. Und der Schnapsladen der Brennerei Ole Smoky Moonshine. Schnapsläden in den USA sind gewöhnlich abschreckend: düster, vergittert, von außen nicht einsehbar - im Umgang mit Alkohol spiegelt sich die Prüderie des Landes. Aber dieser hier ist anders: Die Türen sind sperrangelweit geöffnet, die Fenster geben den Blick frei auf Regale gefüllt mit Hochprozentigem. Da steht der Klare neben hellblauem Blue Flame, der Kirschbrand neben einem blassroten Schnaps, der nach Apfelkuchen schmeckt. Nicht in Flaschen, sondern in versiegelten Einmachgläsern. So wurde während der Prohibition zwischen 1920 und 1933 Moonshine verkauft, schwarz gebrannter Whiskey. "Ihn reifen zu lassen, war zu gefährlich", sagt Will Perkins, "als illegales Produkt wollte man ihn so schnell wie möglich loswerden." Will Perkins ist Geschäftsführer von Ole Smoky Moonshine. Wie ein Geschäftsmann sieht er nicht aus in seinen speckigen Jeans und dem Holzfällerhemd, mit den schwarzen ungekämmten Haaren und dem Zehntagebart. Eigentlich ist Will Perkins Jurist. Vor ein paar Jahren hat ihn ein ehemaliger Studienkamerad gefragt, ob er nicht ins Whiskey-Geschäft einsteigen wolle. "Das war Joe Baker, der Gründer der Firma. Er kommt aus einer Familie von Schwarzbrennern und hatte dafür gekämpft, das Familiengeschäft zu legalisieren. Dafür mussten Gesetze geändert werden, denn die Vorschriften in Tennessee waren echt antiquiert." Der Hersteller findet: "Schnaps brennen ist ein gottgegebenes Recht." Und kompliziert. Die Gesetze des Staates stammten aus der Prohibition, als Herstellung und Vertrieb von Alkoholika verboten waren. Dabei blieb es in Tennessee, mit Ausnahmen für Jack Daniels und zwei weitere Whiskey-Hersteller. Erst seit einer Gesetzesnovelle 2009 ist es Gemeinden erlaubt, in ihrem Herrschaftsgebiet Brennereien anzusiedeln. Fünf Jahre später wurde beschlossen, dass einer Brennerei die Betriebsgenehmigung nur noch verweigert werden darf, wenn die Gemeinde "trocken" ist, Alkohol also gänzlich verbietet. Seitdem ist die Anzahl der Brennereien in Tennessee von drei auf 45 gestiegen. Ole Smoky ist eine Erfolgsgeschichte. Mit mehr als 40 Schnäpsen auf dem Markt, die unter dem Label Moonshine laufen. Und mit weltweitem Vertrieb. "Hat uns selbst überrascht", sagt Will Perkins. "Aber dass es einen Markt gibt, war uns klar. Besucher haben oft gefragt: Wo gibt's hier Moonshine?" Will gießt einen Klaren ein. Klassischer Moonshine: kräftig, man schmeckt den Mais. Dann die aromatisierten Whiskeys: Margarita, Arme Ritter, Apfelkuchen, nur 20 Prozent Alkohol und höllisch süß. Will Perkins grinst: "Nichts für kultivierte Scotch-Trinker." Gatlinburg gilt als Tor zu den Smoky Mountains. Und die Smoky Mountains sind mit elf Millionen Besuchern im Jahr der populärste Nationalpark der USA - weit vor Yellowstone und Grand Canyon. Dass in Gatlinburg Touristenmassen bespaßt werden, das sieht und hört man. Entlang der Hauptstraße reiht sich Kneipe an Kneipe. Dazwischen: natürlich Andenkenläden. Aus allen dröhnt laute Musik. Gatlinburg ist die Heimat von Sugarlands, wie Ole Smoky gegründet von ehemaligen Schwarzbrennern. Die Firma betreibt einen Laden, den Holler. Auf der Bühne davor spielt eine Band Bluegrass, die Musik der Appalachen. Holler heißt auf Deutsch Senke, so werden die für die Appalachen typischen engen Täler bezeichnet. Im Holler findet eine Whiskey-Probe statt. Für zehn Dollar gibt es zehn Schnäpse, für 15 die doppelte Menge. Nur in Stamperln zwar, trotzdem haben die Tester schon glasige Augen.
Jahrzehntelang wurde Moonshine-Whiskey heimlich produziert. Das beschert den Nachfahren der Schwarzbrenner auch heute noch ein einträgliches Geschäft - und den Kunden einen Schnaps mit Apfelkuchen-Aroma.
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USA: In den Whiskey-Brennereien von Tennessee
00/12/2018
Es wird teilweise teurer und teilweise schneller: Mit dem jährlichen Fahrplanwechsel stehen bei der Deutschen Bahn am 9. Dezember Veränderungen an. Ein Überblick. Was ist neu im Angebot? Mehr Sprinter zwischen München und Berlin Der Plan, Passagiere vom Flugzeug in den Zug zu bewegen, ging auf: Zum Fahrplanwechsel vor einem Jahr wurde die neue Schnellstrecke zwischen Berlin und München eröffnet, seitdem hat sich die Zahl der Passagiere auf dieser Strecke mehr als verdoppelt. 4,4 Millionen Fahrten wurden gezählt, viele Züge sind ausgebucht. Deshalb gibt es künftig fünf Sprinterzüge pro Tag und Richtung, zwei mehr als bisher. Die 623 Kilometer lange Strecke legen sie laut Plan in weniger als vier Stunden zurück, gehalten wird in Nürnberg, Erfurt und Halle (Saale). Die übrigen Direktverbindungen mit mehr Zwischenstopps brauchen, wenn sie pünktlich sind, rund viereinhalb Stunden. Von Sonntag an fährt zwischen München und Berlin dann auch der ICE 4, die neueste ICE-Generation. 3000 zusätzliche Sitzplätze pro Tag soll es dadurch auf der beliebten Strecke geben. Mehr ICE-4-Züge Nicht nur zwischen München und Berlin ist künftig das neueste ICE-Modell aus dem Fuhrpark der Deutschen Bahn unterwegs. Auch zwischen Hamburg, München und Stuttgart sowie auf den Strecken ins Ruhrgebiet sollen die neuen Züge fahren. Der ICE 4 bietet mehr Raum für Passagiere und Gepäck, auch Fahrräder können mitgenommen werden - allerdings nicht mehr als acht pro Zug. Mehr Direktverbindungen Wer nicht umsteigen muss, verpasst bei einer Verspätung immerhin keinen Anschluss. Mit dem Fahrplanwechsel werden einige Direktverbindungen neu eingerichtet, andere ausgebaut. So fahren zwischen Düsseldorf und Stuttgart künftig drei Direktzüge mehr, Gera wird IC-Bahnhof und bekommt eine direkte Verbindung nach Kassel und von Saarbrücken nach Berlin ist die künftige Direktverbindung 20 Minuten schneller. Neue Auslandsverbindungen Ein ICE verbindet Berlin und Wien jetzt direkt. Um 10.05 Uhr ist Abfahrt am Berliner Hauptbahnhof, um 17.45 Uhr ist der Zug in Wien. Bislang mussten Fahrgäste auf dieser Strecke mindestens einmal umsteigen. Auch einen Nachtzug gibt es ab Sonntag zwischen beiden Städten, allerdings nicht von der Deutschen Bahn, sondern von der österreichischen ÖBB. Neu im Fahrplan ist außerdem ein Eurocity von Berlin über Breslau nach Krakau. Zwischen Frankfurt/Main und Brüssel fahren die Züge nun im Zweistunden-Takt. Was ändert sich noch in den einzelnen Regionen und Bundesländern? Fahrgäste aus Niederbayern und der Oberpfalz haben es künftig einfacher, wenn sie mit der Bahn zum Münchner Flughafen wollen: Von Regensburg geht es über Landshut direkt in den Terminal-Bahnhof. Erstmals ist der Flughafen damit nicht nur mit der S-Bahn, sondern auch mit Regionalzügen erreichbar. Möglich macht es die neu gebaute Neufahrner Kurve. Das Projekt trägt den klingenden Namen Üfex, abgekürzt für Überregionaler Flughafen Express. An den bestehenden Verbindungen aus Ostbayern zum Münchner Hauptbahnhof ändert sich nichts, die Flughafen-Züge ergänzen den Fahrplan. Regionale Übersichten zu größeren Veränderungen bietet die Deutsche Bahn hier für Bayern, hier für den Norden (Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen), hier für Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, hier für Hessen, das Saarland und Rheinland-Pfalz, hier für Baden-Württemberg, hier für Nordrhein-Westfalen, hier für Mitteldeutschland (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt). Wird das Bahnfahren teurer? Einen Aufschlag von durchschnittlich 1,9 Prozent gibt es bei den Flexpreistickets, der teuersten Ticketkategorie ohne Zugbindung. Zeitkarten werden 2,9 Prozent teurer, ebenso die Bahncard 100, die künftig 4395 Euro in der zweiten und 7439 Euro in der ersten Klasse kostet. Fahrgäste, die ihr Ticket erst im Zug kaufen, zahlen künftig deutlich mehr, nämlich 19 Euro Aufschlag auf den Fahrpreis statt bislang 12,50 Euro. Bei den an bestimmte Züge gebundenen Billig-Tickets, Sparpreis und Super-Sparpreis genannt, ändert sich nichts, ebenso bei Reservierungen sowie bei der Bahncard 25 und der Bahncard 50. Wie viel genau für eine Strecke zu zahlen ist, macht die Bahn nach wie vor von der Auslastung der Züge abhängig. An einem Freitagnachmittag kann die Reise deutlich teurer sein als an einem Dienstagmittag. Und: Auf einigen Strecken fahren künftig nicht mehr ICs, sondern ICEs. Auch das hebt den Ticketpreis. Wie sieht es mit der Pünktlichkeit aus? Die selbstgesteckten Pünktlichkeitsvorgaben für 2018 wird die Deutsche Bahn weit verfehlen. 82 Prozent der Fernzüge wollte sie pünktlich ans Ziel bringen - genauer gesagt: mit weniger als sechs Minuten Verspätung. Im November allerdings war das nur bei 70 Prozent der Züge der Fall. Neben Problemen mit der Technik sorgte die Sperrung der wichtigen Schnellstrecke zwischen Frankfurt/Main und Köln nach einem Zugbrand für zusätzliche Verzögerungen. 2019 sollen unter anderem schnellere ICE-T-Züge einige alte ICs ersetzen und für mehr Pünktlichkeit sorgen, mittelfristig sind Milliarden-Investitionen geplant. Von Juni nächsten Jahres an gibt es allerdings umfangreiche Sanierungsarbeiten, die Schnellstrecke zwischen Hannover und Göttingen wird monatelang gesperrt - mit längeren Fahrtzeiten muss gerechnet werden.
Es wird teilweise teurer und teilweise schneller: Mit dem jährlichen Fahrplanwechsel stehen bei der Deutschen Bahn am 9. Dezember Veränderungen an. Ein Überblick.
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Bahn: Was sich mit dem Fahrplanwechsel ändert
00/12/2018
In den Zwanzigerjahren war Alkohol in den USA verboten. Heute wird die Zeit der Prohibition romantisch verklärt - in neu eingerichteten Speakeasy Bars. Als ein "großes soziales und wirtschaftliches Experiment, aus noblen Motiven unternommen", hat der US-Präsident Herbert Hoover die Prohibition bezeichnet. Dieses Verbot, Alkohol zu produzieren, zu transportieren und zu verkaufen, wurde unter seinem Vorvorvorgänger Woodrow Wilson trotz dessen Vetos 1920 wirksam, wieder abgeschafft hat es Hoovers Nachfolger Franklin D. Roosevelt 1933. Es hat 13 Jahre lang gedauert, bis nicht mehr zu verkennen war, dass dieses Experiment weitgehend gescheitert war. Denn Alkohol wurde in den USA weiterhin in riesigen Mengen produziert, transportiert, verkauft - und also auch getrunken. Die Qualität war aber oft minderwertig, Studien gehen von 20 000 Lähmungserkrankungen aus, weil dem Schnaps mitunter Trikresylphosphat beigemischt wurde - ein Zusatz für Hydraulikflüssigkeiten und Schmierstoffe. Die Kneipen, die von der Legalität in die Illegalität wechselten oder neu eröffneten, hießen bald Speakeasy Bars, Flüsterkneipen, weil sie tunlichst nicht auffallen sollten. Die Prohibition ist Geschichte - eine, die bis heute leidenschaftlich weitergeflüstert wird. Im Nachhinein habe die Prohibition eine "romantische Aura" angenommen, schreibt Maurizio Maestrelli in dem Buch "Streng geheim", in dem er gemeinsam mit Samuele Ambrosi die seiner Meinung nach besten Speakeasy Bars der Gegenwart vorstellt. Auffallend ist, dass es aktuell eine regelrechte Renaissance dieser Bars gibt: Viele der in dem Buch vorgestellten Etablissements haben im aktuellen Jahrzehnt eröffnet. Das Geheimnis, das sie um ihre Existenz machen, ist natürlich keine Notwendigkeit mehr, sondern ein Spiel. Dieser Spiel- und Stilwille drückt sich oft schon im Namen aus: In San Diego gibt es in Anspielung auf Hoovers Aussage eben "The Noble Experiment", der "Rains Law Room" in New York bezieht sich auf ein Anti-Alkohol-Gesetz, und "PDT", ebenfalls in New York, ist die Abkürzung für "Please don't tell" - verrat's nicht weiter. Es geht um Exklusivität, um Nostalgie und darum, die hektische Gegenwart auszublenden in einem stilvollen Ambiente bei ausgezeichneten Cocktails. Wenn es um die Qualität der Getränke und das Können der Barkeeper geht, fallen den beiden Autoren zwar immer nur die stets gleichen schwärmerischen Adjektive ein. Dennoch gelingt es dem Buch, einen neugierig zu machen auf diese charmanten Möglichkeiten des gepflegten Trinkens. Hinein kommt man in die meisten dieser Bars offenbar, wenn man es nur möchte - es handelt sich nicht um Clubs. Aber sie sind nicht einfach zu entdecken, manchmal benötigt man einen Code, einige der Speakeasy Bars sind getarnt, zum Beispiel als Buchhandlung. Zieht man dann im "Williams & Graham" in Denver das "Savoy Cocktail Book" ein wenig aus dem Regal, öffnet sich die Pforte ins eigentliche Lokal. Auch als Gast braucht man einen gewissen Spleen, um an den modernen Speakeasy Bars seinen Gefallen zu finden. Aber genau um diese Kundschaft geht es den Betreibern, die auch in ihrer Getränkeauswahl nach Extravaganz streben. Maurizio Maestrelli, Samuele Ambrosi: Streng geheim. Die coolsten Speakeasy Bars der Welt. Aus dem Italienischen von Michael Auwers und Anke Wagner-Wolff. Kunth Verlag, München 2018. 208 Seiten, 20 Euro.
In den Zwanzigerjahren war Alkohol in den USA verboten. Heute wird die Zeit der Prohibition romantisch verklärt - in neu eingerichteten Speakeasy Bars.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/reisebuch-mit-code-zum-cocktail-1.4239924
Reisebuch - Mit Code zum Cocktail
00/12/2018
Eine Anbieterin von Streetfood-Touren in Bangkok will Urlauber und Einheimische beim Essen zusammenbringen. Garküchen gehören für sie zur Kultur der Stadt. Achiraya Thamparipattra leitet gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Mint das Unternehmen Hivesters. Der Reiseveranstalter aus Bangkok bringt Urlauber und Einheimische zusammen - zum Beispiel zum Blätter-Flechten mit "Tante Mali" oder zum Pad-Thai-Kochen mit Frau Orapun, einer Straßenköchin im Viertel Nang Loeng, wo es den ältesten Essensmarkt Bangkoks gibt. Streetfood gehöre untrennbar zu Thailands Metropole, sagt Geschäftsführerin Achi - und sorgt sich um die Leute, die davon leben müssen. SZ: Wie viele Ihrer Gäste wollen Streetfood-Touren mitmachen? Thamparipattra: Etwa 60 Prozent der Leute, die bei uns anfragen, wollen in Bangkok irgendetwas mit Essen erleben. Selber kochen, sich führen lassen, Lokale entdecken. Also ist Essen nicht nur für die Thailänder eine wichtige Sache, sondern auch für die Besucher des Landes? Definitiv, Essen ist ein großer Teil unserer thailändischen Kultur. Es vermittelt unsere Lebensweise und wie wir aufwachsen. Abgesehen von der Küche meiner Mutter und Großmutter ist Streetfood das Beste für mich, sehr authentisch und lecker, und du kannst es rund um die Uhr hier in Bangkok finden. Man hat nie Hunger, wenn man in Thailand ist. Die Originalküche ist überraschend vielfältig. Aber oft auch sehr scharf. Du bekommst eben hier alle Zutaten frisch. Das kann man wirklich nicht vergleichen. Wie haben Ihre Gäste reagiert auf die Ankündigung der Stadtverwaltung, weniger Essensstände auf Bangkoks Straßen zu dulden? Alle haben uns danach gefragt! Das Thema berührt die Herzen der Menschen, weil es einen Teil unserer Kultur ausmacht. Und wir Reiseveranstalter sprechen auch darüber. Was passiert, wenn es verschwindet? Ohne Streetfood wäre Bangkok nicht denkbar. Wie ist die aktuelle Situation? Es gibt einige Gegenden, in denen die Straßenverkäufer nicht mehr verkaufen dürfen. Sie mussten in andere Bereiche wechseln, die möglicherweise nicht genauso viele Kunden anziehen, und dadurch verdienen sie weniger. Aber die Straßenstände kommen teilweise wieder zurück aufgrund des internationalen Aufschreis in den Medien. Sie sprechen von Supinya Junsuta , der Streetfood-Köchin, die einen Michelinstern bekommen hat. Ja, wir sind alle begeistert, und es ist ein großes Thema in Bangkok. Ihr Essen ist sehr gut. Streetfood hat ja nicht nur für Touristen eine Bedeutung. Viele Thailänder, die im teuren Bangkok leben, haben keine eigene Küche in ihrem Mini-Apartment. Ja, es bedeutet uns sehr viel. Viele von uns leben in einer Einzimmerwohnung. Einige haben keine eingebaute Küche. Wenn man da kocht, riecht alles nach Essen. Viele von uns können es sich nicht leisten, jeden Tag im Restaurant zu essen. Wenn du 300 Baht am Tag verdienst, und ein Gericht im Ausgehviertel Sukhumvit kostet 80, 100 Baht im Restaurant, kann das ein großes Problem sein. Ein erschwingliches und leckeres Straßenessen, das 30 bis 50 Baht pro Gericht kostet, hält uns am Leben. Die Köche trifft eine Vertreibung aber trotzdem noch mal härter als die Kunden. Die meisten Straßenverkäufer sind selbständig. Sie haben kein gesichertes Einkommen jeden Monat, also verlassen sie sich darauf, dass sie jeden Tag verkaufen können. Eine große Zahl sind Frauen, die für ihre Familien, Kinder und Großeltern sorgen müssen. Es ist schwer für sie, sich die Miete des Raumes für die Eröffnung eines Restaurants leisten zu können, da die Mieten in Bangkok sehr hoch sind. Die Stadtverwaltung hat das Zurückdrängen der Essensstände ja damit begründet, dass die Fußgängerwege vielerorts zu schmal seien. Und die Plastikabfälle die Kanalisation verstopfen. Haben Sie Verständnis für diese Argumente? Zum Teil. Mancherorts sind die Durchgänge wirklich sehr eng. Aber der Verkehr nimmt nun mal generell in der Stadt immer mehr zu. Wenn sie nicht verkaufen können, könnten viele Verkäufer arbeitslos werden. Das wäre nicht gut für das Land. Ich denke, wenn wir in der Lage sind, die Regeln für die Straßenverkäufer bezüglich Hygiene und Reinigung der Flächen festzulegen, würde das die Probleme lösen.
Eine Anbieterin von Streetfood-Touren in Bangkok will Urlauber und Einheimische beim Essen zusammenbringen. Garküchen gehören für sie zur Kultur der Stadt.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/bangkok-man-hat-nie-hunger-in-thailand-1.4239920
"""Man hat nie Hunger in Thailand"""
00/12/2018
Der Mensch ist ein widersprüchliches Wesen. Einerseits isst er gern, andererseits hassen es die meisten zu kochen. Was sie aber nicht davon abhält, Kochsendungen im Fernsehen anzuschauen. Gerne reisen die Fernsehköche um die Welt und zeigen uns, wie die Japaner ihre traditionellen Shoyus herstellen oder die Marokkaner ihre Tajine. Und auch für gewöhnliche Urlauber spielt das Essen auf Reisen eine immer größere Rolle. Allerdings scheint es dabei weniger um den Geschmack oder die Zubereitung zu gehen, sondern einzig ums Aussehen. Selfie war gestern, heute ist Foodstagram: Statt in Ruhe zu essen, wird das bestellte Gericht erst einmal so lange fotografiert und auf Instagram hochgeladen, bis es kalt ist. Unter Hashtags wie #foodporn oder #yummy sind jeweils mehr als 100 Millionen Essensbilder zu finden. Die Bandbreite reicht von der schnöden Pizza bis zu perfekt angerichteten Tellern aus teuren Restaurants. Während Kellner und Wirte bis vor Kurzem noch die Nase rümpften, wenn ihre Gäste ihr Essen knipsten, haben viele von ihnen erkannt, wie gut sich diese Fotosucht zu Werbezwecken nutzen lässt. Und so stehen in manchen Restaurants bestimmte Gerichte nur deshalb auf der Speisekarte, weil sie ein besonders gutes Bild ergeben. Dazu zählen "fliegende Nudeln" bei einem Berliner Vietnamesen, der ein unsichtbares Gestell hinter die schwebenden Teigwaren montiert hat. Doch es geht noch besser. Manche Restaurants bieten ihren Gästen sogar Instagram-Sets mit LED-Leuchte und kontraststeigernden Aufstecklinsen für die Handykamera an, damit sie den Burger geschäftsfördernd ins Internet stellen. Noch weiter geht ein Lokal in Israel. Zwei Gerichte haben spezielle Halterungen fürs Handy am Teller und ein Fotograf gibt Tipps. Man sollte allerdings schon gegessen haben, bevor man in solche Lokale geht.
Mit Genuss hat das nichts zu tun: Heute wird in Restaurants mehr fotografiert als gegessen. Bei Instagram werden Millionen Fotos von Gerichten hochgeladen. Die Wirte nutzen das für ihre Zwecke.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/ende-der-reise-knipsen-ist-das-neue-essen-1.4239926
Ende der Reise - Knipsen ist das neue Essen
00/12/2018
Wer nach dem berühmtesten Restaurant Bangkoks sucht, sollte sich von der langen Warteschlange nicht täuschen lassen. In der kriecht man nach links zu einem anderen Lokal, dem Thip Samai. Jeden Abend stellen sich hier Dutzende Thailänder für ein Pad Thai an, ihre Leibspeise aus Bandnudeln, Eiern und Fischsoße mit Tofu oder Garnelen. "Unsere Nachbarn sind sehr bekannt", sagt Yuwadee Junsuta, ein paar Meter vom Ende der Schlange entfernt. Die junge Frau kichert höflich, weil sie weiß, dass es kein berühmteres Restaurant in Thailand gibt als ihres: das Jay Fai, in dem sie Managerin ist.
Das "Jay Fai" in Bangkok ist das Straßenkind in der Feinschmeckerfamilie. Seit einem halben Jahrhundert kocht in der Garküche allein die 72-jährige Chefin ihr prämiertes Streetfood.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/bangkok-streetfood-jay-fai-1.4239918
Streetfood in Bangkok: Michelin im Wok
00/12/2018
Bei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten. "Größer, steiler, länger": Das Zillertal wirbt gerne mit Rekorden um Wintertouristen. Im "größten Skital der Welt" gibt es die "längste Talabfahrt Österreichs" - zehn Kilometer und 1930 Höhenmeter vom Übergangsjoch nach Zell am Ziller. Außerdem die "steilste Piste Österreichs" am "Actionberg" Penken mit 78 Prozent Gefälle. Auch im Angebot: "die modernste Seilbahn der Welt", 180 Lifte und 530 Pistenkilometer. Vom nervigsten Stau Österreichs, der sich an schönen Wintertagen vor dem Brettfalltunnel am Taleingang bildet, liest man in der Superlativ-Sammlung auf zillertal.at aber nichts. Ein weiteres Weltrekord-Projekt ist im Zillertal bereits in Planung: Eine "Peak-to-Peak-Bahn" soll ab der Saison 2020 mit dem "weltweit größten Bodenabstand von über 1000 Meter" vom Onkeljoch zur Wetterkreuzspitze führen. Die Seilbahn wird die Skigebiete Hochzillertal und Spieljoch verbinden. Weitere Zusammenschlüsse sind in Zell am See und Saalbach-Hinterglemm, am Arlberg und in Andermatt/Sedrun geplant, dabei entstehen Mega-Skigebiete mit vielen Hundert Pistenkilometern. Überall wird modernisiert, ausgebaut und in Schneekanonen investiert. Die Wintersportindustrie rüstet auf, dem Klimawandel zum Trotz. Kann man angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch guten Gewissens einen Skiurlaub in den Alpen planen? "Wenn man das gute Gewissen beim Skifahren damit definiert, dass man Naturschneepisten benutzt, dann kann man heute eigentlich nirgends mehr in den Alpen Skifahren", sagt Werner Bätzing, ehemaliger Professor für Kulturgeografie in Erlangen und einer der renommiertesten Alpenforscher. Denn fast alle Skigebiete produzieren Kunstschnee und haben große Speicherseen gebaut, um die Pisten sicherheitshalber künstlich zu beschneien, sobald es kalt genug dafür ist. Der größte CO₂-Verursacher im Wintertourismus? Das Auto. Dazu kommt noch die Anreise mit dem Auto in die Skigebiete - das verschlechtert die Klimabilanz deutlich. Etwa 85 Prozent des CO₂-Ausstoßes im Wintertourismus ist auf die Anreise zurückzuführen. Ralf Roth, Leiter des Instituts für Natursport und Ökologie an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat sich mit den Umweltfolgen des Wintersports eingehend beschäftigt und kommt zu einem differenzierten Bild. An einzelnen Brennpunkten wie dem Zillertal werde zwar massiv ausgebaut, aber seinen Angaben zufolge verbrauchen die Wintersportgebiete insgesamt mit ihren gesicherten Pistenräumen weniger als ein Prozent der Alpenfläche. Alpenforscher Bätzing hat den Flächenverbrauch durch Skigebiete analysiert und dabei herausgefunden, dass die Zahl der Skigebiete sinkt. Nach seinen Recherchen haben in den vergangenen 15 Jahren etwa 50 bis 60 kleine Skigebiete den Betrieb eingestellt, gleichzeitig bauen die großen Skigebiete ihre Position immer mehr aus, so Bätzing, "weil sie mit ihren permanenten Innovationen Trends setzen, die die Skifahrer dann schnell als selbstverständlich voraussetzen". Eine Gondel ohne Wlan und Popoheizung wirkt heutzutage schnell veraltet. Insgesamt stagniert die Zahl der Wintersportler - auf hohem Niveau: In Europa gibt es über 40 Millionen aktive Skifahrerinnen und Skifahrer, in Deutschland sind es etwa sieben Millionen. Dabei werden die Wintersportgäste "polysportiver", wie Sport-Professor Roth erläutert: "Kernsportart bleibt Ski alpin, positive Entwicklungen verzeichnen wir bei den nordischen Bewegungsformen: Skilanglauf, Tourengehen und Winterwandern." Und diese Sportarten lassen sich auch auf einigermaßen naturverträgliche Weise ausüben. Es liege eben auch in der Verantwortung der Destinationen und Bergbahnen, eine nachhaltige Entwicklung weiter voranzutreiben. Wo "nachhaltig" und "Wintersport" tatsächlich zusammenpasst Es gibt solche Orte, in denen nachhaltiger Wintersport möglich ist, aber es sind nicht unbedingt diejenigen, die "modernste Seilbahnen" und "steilste Pisten" anpreisen. Pfelders im Passeiertal zum Beispiel liegt abseits der größten Wintersportzentren, das Dorf ist autofrei und betreibt seine Lifte komplett mit Strom aus regenerativen Energiequellen, so wie mittlerweile 98 Prozent aller Skigebiete in Südtirol. Der Energiebedarf eines Wintersportlers im Skigebiet sei sowieso vergleichsweise gering, er liege bei 17 Kilowattstunden am Tag, rechnet Roth vor. Pfelders gehört zu den "Alpine Pearls", einem Zusammenschluss von 25 Orten, die sich zu umweltfreundlichem Wintertourismus verpflichtet haben. Sie bieten eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, nutzen regenerative Energien und lassen nur eine bestimmte Menge Skifahrer auf den Berg. In Wintersportindustriegebieten wie Ischgl oder Zermatt ist der wirtschaftliche Konkurrenzdruck so hoch, dass die Förderleistung der Bahnen immer weiter erhöht wird - die Giggijochbahn in Sölden etwa kann 4500 Menschen pro Stunde auf die Pisten transportieren. Kleine Skigebiete können und wollen da längst nicht mehr mithalten. Im Tiroler Dorf Mieming etwa hat man sich schon vor Jahren gegen den alpinen Skisport entschieden. Die Erneuerung der veralteten Skilifte auf dem Mieminger Plateau hätte Millionen gekostet. Also entschloss man sich, die Anlagen abzubauen - und auf alternativen Wintersport zu setzen. Die Sorgen der Hoteliers, dass dadurch der Wintertourismus zugrunde gehen könnte, haben sich nicht bestätigt. Längst kommen wieder mindestens genauso viele Besucher wie zu Zeiten des Skibetriebs. Es geht auch ohne "Actionberg".
Bei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/winter-ski-skifahren-umwelt-1.4234560
Wintersport: Mit gutem Gewissen Ski fahren - geht das?
00/12/2018
Stau auf der Autobahn verdirbt den Spaß und die Luft? So kommen Sie mit dem Zug in Skigebiete in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Für manche ist die Anreise mit der Bahn ins Skigebiet die entspannteste Art, ausgeruht auf die Piste zu kommen. Sie vermeiden die gefürchtete Autobahn-Verstopfung an Skiwochenenden und haben auch kein Promille-Problem nach dem Après-Ski. Ist die Anreise zum Berg mit der Bahn nun besonders komfortabel oder doch eher umständlich? Das hängt von Start und Ziel sowie der Notwendigkeit ab, unterwegs mit der gesamten Skiausrüstung umzusteigen. Und davon, wie der Transport am Ziel hin zu den Skigebieten organisiert ist: Wie häufig verkehren Skibusse? Und kosten sie zusätzlich? Ganz sicher ist aber: Die Bahnfahrt zum Wintersportort schont das Klima und die Nerven derjeniger, die nicht nach langen Stunden im Stau - sei es im Auto oder Fernbus - freizeitgestresst sein wollen. Nach Österreich Dabei könnten Skifahrer im Nachtzug tanzen (oder schlafen), sofern sie im Norden Deutschlands oder im Ruhrgebiet wohnen: Hier fährt der sogenannte Schnee-Express. Dieser ist zwar nicht günstiger als die Deutsche Bahn - je nördlicher der Einstiegsbahnhof, desto teurer, das kann sich mit allen Aufschlägen auf über 200 Euro summieren. Aber der Express fährt über Nacht mit eigenem Skiabteil am Freitagabend direkt zu 17 Bahnhöfen in Tirol sowie ins Salzburger Land, der Zug wird in Kufstein geteilt. Samstagnacht geht es wieder retour. Im Schnee-Express gibt es Sitz- und Liegewagen - und einen Après-Ski-Waggon. Bei der Deutschen Bahn müsste man zu diesen Abfahrtszeiten zum Beispiel von Hamburg nach Saalfelden mindestens einmal samt Skiern und Gepäck umsteigen - im schlechtesten Fall sogar bis zu sechs Mal. Eine weitere Alternative zum Durchfahren ist der Nachtreisezug ÖBB Nightjet, etwa von Hamburg über Hannover und München nach Innsbruck. Auf einigen Verbindungen kann man auch sein Auto oder Motorrad mitnehmen. Wer doch lieber tagsüber mit der Deutschen Bahn fährt, zahlt für die Reise nach Innsbruck mit dem Sparpreis Europa ab 39 Euro - Kinder unter 15 Jahren fahren kostenlos bei den Eltern oder Großeltern mit, sofern ihre Namen beim Kauf auf dem Ticket vermerkt wurden. Kürzere Verbindungen etwa von München nach St. Anton in Österreich sind noch günstiger ab 19 Euro buchbar. Sieben Mal am Tag fährt ein Eurocity von München nach Tirol. Im Zeitraum vom 29. Dezember 2018 bis zum 27. April 2019 wird jeden Samstag eine zusätzliche ÖBB-Railjet-Verbindung vom Münchner Hauptbahnhof bis an den Arlberg angeboten - zu Konditionen der Deutschen Bahn ab 19,90 Euro. Nicht nur Innsbruck, etwa auch Imst-Pitztal, das Ötztal oder Seefeld sind direkt mit Euro- und Intercity-Zügen zu erreichen. Wer länger als einen Tag im Skigebiet bleiben will und mit Koffer samt Skiausrüstung leicht überfordert ist, kann den Gepäckservice der Deutschen Bahn buchen - dann holt ein Kurier alles bequem zuhause ab. Nach Österreich kostet das knapp 30 Euro extra, nach Italien oder in die Schweiz 50 Euro; allerdings pro Gepäckstück und Richtung. Wer seine Skier also nicht selbst wieder heimschleppen will, muss nochmal so viel bezahlen. An einigen Tiroler Skigebieten wie St. Anton am Arlberg, Kitzbühel oder Wilder Kaiser-Brixental liegt der Bahnhof nah am Einstieg zu den Pisten. In Innsbruck gibt es einen kostenfreien Ski- und Langlaufbus vom Hauptbahnhof aus in die umliegenden Gebiete, zum Beispiel ins Axamer-Lizum. Auch die Pisten im Salzburger Land und in der Steiermark mit dem Verbund Ski amadé sind von München aus gut erreichbar: Wer etwa mit dem Railjet am Samstagmorgen um 6.24 Uhr am Hauptbahnhof startet, kommt dreieinhalb Stunden später in Schladming an. Hat man sich mit den Ski-Schaukeln zu weit entfernt, kommt man mit den Post-Skibussen am Nachmittag wieder zurück zum Bahnhof - mit gültigem Skipass ist die Mitfahrt kostenlos.
Stau auf der Autobahn verdirbt den Spaß und die Luft? So kommen Sie mit dem Zug in Skigebiete in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
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https://www.sueddeutsche.de/reise/bahn-zug-skifahren-ski-skigebiet-1.3357072
Zug ins Skigebiet - Mit der Bahn zum Skifahren
00/12/2018
Der Winter schien noch in weiter Ferne zu sein, da warf er seine Schatten bereits voraus. Und wie! Bei mehr als 20 Grad Celsius eröffneten die Bergbahnen Kitzbühel am 13. Oktober dieses Jahres die Skisaison mit zwei Abfahrtspisten an der nicht einmal bis auf 1900 Meter reichenden Resterhöhe. Die weißen Schneisen waren mithilfe von Altschnee aus dem Vorwinter, der den Sommer über zu diesem Zweck in riesigen Depots konserviert worden war, in die sonst braungrüne Landschaft planiert worden. Umweltschützer reagierten entsetzt, in den sozialen Medien debattierten die Follower und Fans und die Feinde des Skizirkus hitzig über den auf 1,6 Kilometer ausgewalzten Schnee von gestern, während Marketingexperten wahrscheinlich heute noch damit beschäftigt sind, den Werbewert der eher grotesk anmutenden Aktion zu berechnen. Dabei hatten die Kitzbüheler Wintermacher im Grunde nur eine Entwicklung auf die Spitze getrieben, die in Österreich - und hier vor allem in Tirol - seit Jahren im Gange ist. Diese Entwicklung hat etwas damit zu tun, dass den Skigebieten langsam die Gäste ausgehen. Mehrere Studien wie die jährlichen Erhebungen des Unternehmensberaters Laurent Vanat stellen längst einen Rückgang oder wenigstens eine Stagnation der Skifahrerzahlen in Mitteleuropa fest. Umso härter wird der Konkurrenzkampf um den Restbestand an gondelnden Gästen geführt. Modernisierung und Skigebietserweiterungen sind da eine Möglichkeit, um noch mehr Reize zu setzen. Nur sind den Schneisenschlägern und Pistenwalzern der Skiindustrie durch Raumordnungsprogramme und Umweltprüfungsverfahren Grenzen gesetzt; wenngleich diese oft nur widerwillig akzeptiert werden und stets vom Aufweichen bedroht sind. Zum Glück gibt es weitere Tricks, den Skibetrieb auch ohne Genehmigungen und Baumaßnahmen auszuweiten, räumlich und zeitlich, in alle Richtungen. Freeriden bedeutet de facto eine Ausweitung des Skigebietes Die räumliche Ausdehnung läuft im Jargon des Wintersports unter dem Begriff "Freeriden". Darunter wird im weiteren Sinne das Skifahren im nicht präparierten Gelände jenseits der Pistenbegrenzung verstanden. Das gab es früher schon, ist heute durch besseres Material und den größeren Ehrgeiz vieler Skifahrer jedoch besonders gefragt. Für alle, die mit dem Skifahren Geld verdienen wollen, ist dies eine sehr angenehme und daher auch durchaus aktiv vorangetriebene Entwicklung. Anders als beispielsweise der klassische Skitourengeher löst der Freerider nämlich ein Liftticket. Gleichzeitig braucht er außer teuren Sportgeräten eine noch teurere Sicherheitsausrüstung, um sich beim Ausritt ins möglicherweise lawinengefährdete Gelände der Verantwortung der Pistenbetreiber entziehen zu können. Im Grunde handelt es sich hierbei also gewissermaßen um eine informelle Skigebietserweiterung. Aufwendiger und herausfordernder ist die zeitliche Ausdehnung. Schon beim Ablauf eines Skitages gibt es kaum mehr Grenzen. Jedenfalls reicht der übliche Pistenbetrieb zwischen halb neun und halb fünf offenbar längst nicht mehr aus. Morgens lockt vor dem offiziellen Liftstart - natürlich gegen einen deftigen Aufpreis für sogenannte VIP-Gäste - ein Frühaufsteher-Paket namens "Early Bird", "Ski 'n' Brunch" oder "Skikeriki". Und wer nach Betriebsschluss immer noch nicht genug hat, darf sich am Ende des Skitages beim Vollmondskifahren, Flutlichtwedeln oder auch dem Fackellanglauf abarbeiten. Das oft naserümpfend beschriebene Après-Ski ist da nur noch ein kleiner Baustein im Sortiment der Skigebiete. Wirklich ans Eingemachte geht es beim Verlängern der Saison. Denn mittlerweile werden die Saisonzeiten trotz Schneemangels so stark ausgereizt, dass nur noch Insider wissen, wo und wann Anfang und Ende sind. Der Start wird - siehe Resterhöhe - auch dann nach vorne gelegt, wenn sich der Sommer noch längst nicht verabschiedet hat, und gerne trotz eines frühen Frühlings um jeden Preis in die Länge gezogen. Die Alpen werden nicht nur inszeniert, sondern optimiert, als ginge es darum, den letzten Cent aus ihnen herauszupressen. Jede Menge Attraktionen zum Einstand und Ausklang Dabei braucht es gerade zum Einstand und Ausklang des Winters vielerorts jede Menge Geschmacksverstärker, um den Appetit der Gäste aufs Skifahren anzuregen. So trat kürzlich beispielsweise Jason Derulo zum mittlerweile obligatorischen Saisoneröffnungskonzert auf der Idalp in Ischgl auf. Jason Derulo hat mit den Alpen zwar ungefähr so viel zu tun wie ein Alligator aus den Everglades, aber irgendwie ist das wieder ehrlich, weil das auch für die meisten Skifahrer in Ischgl gilt. Außerdem darf Ischgl beinahe so etwas wie ein Urheberrecht auf jene Konzertkultur beanspruchen, die sich in den Skigebieten jenseits der Stoßzeiten geradezu flächendeckend breitmacht: Wanda kommt am Samstag nach Obertauern, Saalbach verspricht nur eine Woche darauf ein Bergfestival mit Feine Sahne Fischfilet und Seiler und Speer, während der Hochzeiger mit Revolverheld lockt. Wer wie Galtür nicht ganz so viel Geld investiert, hat womöglich nur Radio Ramasuri im Programm. Der Liveact ist freilich nur ein Lockmittel. Es gibt Oktoberfeste und Sportartikel-Testtage zum Auftakt oder Full-Metal- und Electric-Mountain-Festivals zum Ausklang der Saison. In Mayrhofen verkürzt eine Sportveranstaltung namens "Rise and Fall" das Warten auf eine ohnehin Gewinn versprechende Weihnachtszeit, wogegen Saisonabschlussrennen wie der "Weiße Rausch" in St. Anton oder der "Weiße Ring" in Lech fast schon Nostalgiecharakter besitzen. Und wer einem Tanz der Pistenraupen zusehen möchte, kann im April in Sölden das Gletscherschauspiel namens Hannibal auf 3000 Metern besuchen. Was Kitzbühel betrifft, hat die Geschichte mit den Pisten im Grünen womöglich ein Nachspiel. Den Bergbahnen droht eine Strafe von maximal 14 600 Euro, weil die naturschutzrechtliche Bewilligung für das Schneedepot fehlte. Dafür wurden an der Resterhöhe 90 000 Fahrten innerhalb der ersten sechs Wochen gezählt.
Freeride-Zonen, Popstars und sogar ein Pistenraupen-Ballet: Angesichts sinkender Gästezahlen kämpfen Wintersportorte hart um ihr Publikum.
reise
https://www.sueddeutsche.de/reise/ski-freeride-kitzbuehel-ischgl-1.4228066
Ski - Wie Wintersportorte um ihr Publikum kämpfen
00/12/2018
Gleich nach der Sintflut soll in der fruchtbaren Ebene zu Füßen des Ararat der Weinanbau in Armenien begonnen haben. Doch jetzt drohen andere Pflanzen die Reben zu verdrängen. Der Laster ruckelt aus den Weinbergen hinab Richtung Dorf, den sandigen Weg entlang. Aus der Ferne kann Norik Makerjan nicht erkennen, wer im Wagen sitzt, die Laster sehen hier ja aus wie geklont. Hellblaues Fahrerhaus, weiße Schnauze. Die Armenier verdanken den unverwüstlichen "Gaz 53" den Sowjets, wie so vieles andere. Makerjan bedeutet dem Fahrer zu halten und, ach wie gut: Es ist einer der Nachbarn, die ihren Weinberg pflegen und gute, herzeigbare Trauben haben. Ein ganzer Schwung Frauen hat bei der Ernte geholfen, zwei sitzen mit im Fahrerhaus, zwei weitere auf der Ladefläche vor den getrockneten Trieben, die im Winter verfeuert werden und so dem Schaschlik einen besonderen Duft verleihen. Die Trauben sind fast alle dunkel. Areni-Trauben. Eine Rebsorte, so uralt wie die Besiedlung im Tal. In den Hochlagen kann es im Winter eisig werden. Die alten Rebstöcke halten das aus Schon vor rund 6000 Jahren, so schätzen Archäologen, wurde hier in der südarmenischen Provinz Wajoz Dsor Wein gekeltert. In einer Karsthöhle über dem Fluss Arpa, "Areni 1" oder "Vogelhöhle" genannt, fanden armenische und amerikanische Wissenschaftler im Zug der 2007 begonnenen, systematischen Erforschung der Höhle nicht nur den ältesten Lederschuh der Menschheit (zu sehen im Historischen Museum in Jerewan), sondern auch Tongefäße, in denen Wein aufbewahrt wurde. Die Radiocarbonmethode datiert die Amphoren auf einen Zeitraum zwischen 4100 und 4000 vor Christus. Neben Vorratsgefäßen wurden auch Reste einer Presse, Trinkbecher und eine Wanne zur Fermentierung entdeckt - der älteste bislang gefundene Weinkelter der Welt. Und offenbar auch ein Ritualplatz; in der Nähe der Weingefäße fanden sich zahlreiche Begräbnisstätten. Der Wächter, der auf Russisch und Armenisch durch die Höhle führt, spricht von Menschenopfern. Norik Makerjan wohnt rund 15 Kilometer entfernt im Dorf Gladzor. Sein Weinberg liegt etwas außerhalb, der Vater hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion 2000 Quadratmeter Grund bekommen, der Sohn baut dort heute zwei alte, autochthone Sorten an: Areni eben, jene Trauben, von denen auch in der Höhle Reste gefunden wurden. Und eine, die sie hier im Dorf Kharji nennen. Voskehat ist der gängigere Name. Deren helle, fast marmorfarbene Trauben verarbeitet der 51-Jährige zu Cognac. Aus den Areni-Trauben macht er Wein. Die jungen Triebe stützt er auf Zweige, die alten, armdicken Äste wachsen fast waagerecht dicht über der Erde. Eine Überlebensstrategie in den Hochlagen, wo es im Winter bis zu 25 Grad minus hat. "Der Schnee legt sich darüber, das schützt die Reben", sagt Makerjan. Viermal pro Jahr lässt er Wasser durch die Kanäle zwischen den Rebstöcken laufen, im Frühling wird zurückgeschnitten, einmal im Jahr spritzt er eine Kupferkalkbrühe gegen Pilzbefall. Pestizide braucht es nicht. Und als Dünger reicht der Mist seiner zwei Kühe. Bei der Ernte gehört Makerjan zu den Wagemutigeren im Dorf; Mitte Oktober, vor dem ersten Frost, holt er die Trauben. "Ich warte, so lange es geht." Noch die letzte Herbstsonne soll den Wein verfeinern, der perfekt ist, wenn er, wie Norik Makerjan sagt, "die Farbe von Blut" angenommen hat. Drei Tage kommt der Traubensaft in Plastikfässer, dann wird er filtriert und umgefüllt in eine Amphore - Karas heißt die in Armenien. Sie ähnelt den Quevris in Georgien. Man befüllt sie bis unter den hölzernen Deckel, damit keine Luft an die Flüssigkeit dringt. Deckel und Tongefäß werden mit Teig verbunden, dann verkorkt. Im November probiert Norik Makerjan zum ersten Mal den frischen, süßen Wein, "Madschar" nennt ihn der Weinbauer, der in seinem Garten Gäste zu Verkostungen empfängt. Neugierige Enten schauen vorbei, hinter ihm hängt ein altes Butterfass, es sieht aus wie eine langgestreckte Amphore, nur aus Holz. Als Junge hat Makerjan selbst noch gebuttert, aber jetzt sind andere Zeiten. In der Hauptstadt Jerewan hat sich eine neue Mittelschicht etabliert. Bauspekulanten reißen gerade - gegen den Widerstand vieler Einwohner - die alten Bürgerhäuser ab, alles soll glänzen und modern aussehen, und doch stehen die Hochhäuser im Zentrum fast alle leer. Nur die Stühle vor den neuen Restaurants und Cafés sind an den warmen Herbstabenden gut besetzt. Zwischen den beiden großen Brandy-Fabriken in Jerewan liegt die schwankende Brücke In Gladzor, Makerjans Dorf, hat noch kein Wohlstand Einzug gehalten. Fast jeder hier fährt noch einen alten Lada, und die selbstgebaute Weinpresse reicht man zur Erntezeit von Haus zu Haus. Dennoch ist das Leben einfacher geworden, auch dank der Touristen, die kommen, um sich im ältesten christlichen Staat der Welt die Klöster anzusehen, die überall im Land an den malerischsten Orten stehen: Chor Virap mit Blick auf den Ararat, Sewanawank über dem Sewansee, Norawank am Ende der Amaghu-Schlucht, nahe der Areni-Höhle. Die Gäste reisen von Kreuzstein zu Kreuzstein, zu Vulkankratern - und wollen armenische Speisen mit hausgemachtem Wein probieren. Oder Cognac. Zwei große Fabriken stehen in Jerewan - Ararat und Noy. Die Brücke, die sie verbindet, nennen die Einheimischen die schwankende. Wobei die Armenier ihren Cognac international als "Brandy" verkaufen müssen - die Franzosen haben das Recht am Namen. Die Führungen bei "Ararat" sind professioneller, die bei "Noy" interessanter, weil man in die Keller der alten Stadtfestung kommt, wo die Fässer lagern und es entsprechend duftet. Önologin Lusine Shakinyan hat gerade eine Runde russischer Militärangehöriger zu Gast in ihrem Kellerbereich. Sie lässt eine Flasche entkorken, der Wein, der hier auch hergestellt wird, ist eingedickt und süß - Jahrgang 1913, Vor-Weltkriegs-Wein.
Gleich nach der Sintflut soll in der fruchtbaren Ebene zu Füßen des Ararat der Weinanbau in Armenien begonnen haben. Doch jetzt drohen andere Pflanzen die Reben zu verdrängen.
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Zur Weinprobe nach Armenien
00/12/2018
Bis weit ins nächste Jahr hinein ist die Wuppertaler Schwebebahn außer Betrieb. Enttäuscht darüber sind nicht nur viele Einwohner der Stadt. Es heißt: Wer ihren Fußballverein, den Wuppertaler SV, nicht kennt, dem verzeihen die Wuppertaler. Wer aber noch nie etwas von der Schwebebahn gehört hat, der erntet böse Blicke. Die Wuppertaler Schwebebahn ist älter als die Stadt selbst, sie ist ein Wahrzeichen im Bergischen Land, sie ist kurzgesagt: deutlich mehr als ein Verkehrsmittel. Und steht voraussichtlich noch bis zur Jahresmitte 2019 still. Grund dafür ist ein Zwischenfall Ende November, bei dem eine 350 Meter lange Stromschiene in die Tiefe stürzte und einen Cabrio-Fahrer nur knapp verfehlte. Zwei Züge wurden dabei beschädigt. Seitdem dauert die Ursachensuche durch Sachverständige an, weiterhin wird durch die Staatsanwaltschaft nur vermeldet: Der Zwischenbericht des Gutachters habe keine erkennbare Unfallursache ergeben, es gehe nun an die Feinuntersuchungen. In den vergangenen fünf Jahren handelt es sich bereits um den zweiten größeren Zwischenfall: Im Oktober 2013 war ebenfalls eine Stromschiene abgefallen und auf die Fahrbahn, auf Autos und in die Wupper gestürzt. Damals ruhte der Betrieb bis Ende November. Und auch mit Blick auf die gesamte Betriebszeit der Schwebebahn häufen sich die größeren Unfälle in der bislang zweiten Lebenshälfte der Schwebebahn: Im April 1999 ereignete sich bei dem Absturz eines Triebwagens der einzige Unfall mit Todesopfern, im Juni fuhr die Schwebebahn wieder. Und nun muss Stadtwerke-Sprecher Holger Stephan vermelden: "Die Arbeiten des Gutachters dauern an. Weil wir im Anschluss umfangreiche Sicherungsmaßnahmen wie etwa eine erneuerte Aufhängung planen, werden sich die Bauarbeiten bis in die Jahresmitte 2019 ziehen." Damit sei die Schwebebahn in ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte noch nie so lange ausgefallen, selbst geplante Maßnahmen zur Erneuerung der Gerüste legten den Betrieb höchstens sechs Wochen lang lahm. "Zum dritten Mal in ihrer Geschichte ist für mehrere Monate Stillstand", sagt Stephan. Normalerweise sind es bis zu 80 000 Fahrgäste pro Tag Dabei wurden über die vergangenen 20 Jahre hinweg bereits 500 Millionen Euro in die Erneuerung gesteckt. "Die ersten Bauteile sind mittlerweile auch eben 20 Jahre alt und damit nicht mehr neu", erklärt Stephan. In den Köpfen der Wuppertaler "fährt die Schwebebahn immer", sie interessieren sich wenig für die genauen Daten der bisherigen Stillstände. Der Faszination Schwebebahn kommt man nämlich ebenso mit schieren Zahlen nur ein stückweit näher: im Jahr 1901 eröffnet, 13,3 Kilometer lang, insgesamt 20 Stationen, täglich etwa 80 000 Passagiere. Vielmehr sind es die nostalgischen Erinnerungen, die den Mythos erhalten. Der Grundschulausflug vor 25 Jahren, die Fahrt zum Zoo oder Fußballspiel und natürlich Elefant Tuffi, der 1950 bei einer Werbe-Aktion aus der Schwebebahn in die Wupper stürzte. Martin Bang, Geschäftsführer der Wuppertal Marketing GmbH, spricht vom "Rückgrat der 350 000-Einwohner-Stadt", nicht nur im Nahverkehr, sondern auch im Tourismus. Der Stillstand treffe die Reisebranche in Wuppertal schwer, seit dem Zwischenfall in November bis Ende des Jahres habe man etwa 2000 Touristen für die Fahrt im historischen Kaiserwagen absagen müssen. Allein damit absolvieren jährlich 15 000 Gäste eine Tour, die Gesamtzahl der Schwebebahn-Touristen ist zwischen normalen Nahverkehrsnutzern schwer zu ermitteln. Enttäuschte Touristen trotz Ersatzverkehr "Die Gäste kommen aus ganz Deutschland und Holland", sagt Tourismus-Werber Bang. Er hat nun mit enttäuschten Gesichtern zu tun, wenn den Touristen im Info-Shop beigebracht werden muss, dass ihr Stadtbesuch ohne die eigentlich obligatorische Schwebebahnfahrt auskommen muss. Dass der Ersatzverkehr mit Bussen einigermaßen funktioniert, interessiert die Besucher ebenfalls weniger. Insgesamt sei die Kommunikation des Stillstandes schwierig: "Wenn ich nach Berlin fahre, erkundige ich mich vorher auch nicht, ob die Doppeldecker fahren", sagt Bang. Trotz abgefallener Stromschiene muss der Wuppertal-Besuch mit Schwebebahn nicht gänzlich ins Wasser fallen: Wer will, kann sich im Touristenshop eindecken und sich seinen eigenen Schwebebahn-Kosmos bauen. Dort gibt es im Schwebebahn-Design Frühstücksbrettchen, Autoaufkleber, Stifte und Magneten. Schwebebahn-Weihnachtsservietten und ein Holzbausatz sind ebenfalls zu haben. Nur eben die Fahrt mit der Bahn - die muss bis auf Weiteres ausfallen.
Bis weit ins nächste Jahr hinein ist die Wuppertaler Schwebebahn außer Betrieb. Enttäuscht darüber sind nicht nur viele Einwohner der Stadt.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/nahverkehr-ein-mythos-steht-still-1.4265653
Wuppertaler Schwebebahn steht still
00/12/2018
Nur wenn sich an der Verkehrspolitik radikal etwas ändert, werden auch die Staus wie hier auf dem mittleren Ring in München seltener werden. Autofahrer im Stau entnervt, Bahnfahrer von Verspätungen zermürbt - die Bürger in Deutschland sind zu Recht über die Verkehrspolitik erbost. Die Lage ist so verfahren, dass jetzt radikale Lösungen notwendig sind. In vielen Neujahrsansprachen wird nun wieder zu hören sein, die Deutschen sollten ihren Hang zur Nörgelei bändigen und sich auf das Wesentliche besinnen. Deutschland sei eines der wohlhabendsten Länder der Welt, nirgendwo funktioniere das Gemeinwesen besser. Man solle, bei aller Kritik, froh sein, in diesem Land leben zu können. Solche Appelle wirken nachvollziehbar in Zeiten, in denen die Populisten Ängste schüren. Jedoch hat sich gerade im Umgang mit der Migration gezeigt, dass es nichts bringt, Probleme, die der Staat seit Jahren nicht in den Griff bekommt, in wohlfeile Worte zu hüllen. Weniger Wut, Bürger, mehr Maß und Mitte bitte: Auf deutschen Bahnsteigen und Straßen jedenfalls wird die Durchsage eher das Gegenteil bewirken. Wenn in der Mangelwirtschaft der Bundeswehr kaum noch Flugzeuge fliegen und Panzer rollen, ist das ein bedenkliches Zeichen für das Gemeinwesen, betrifft aber nicht den Alltag der Menschen. Den maroden Zustand vieler Schulen, den Mangel an Ärztinnen, Pflegern, Lehrern mag man mit Fatalismus hinnehmen. Die jahrelangen Versäumnisse der Verkehrspolitik aber treiben mittlerweile Millionen Menschen jeden Tag buchstäblich an den Rand der Verzweiflung. Die Deutsche Bahn ist im Nah- wie im Fernverkehr wegen ihrer Pannen und Verspätungen oft nur noch mit Sarkasmus zu ertragen. Immer mehr Fahrgäste werden, wie Statistiken zeigen, handgreiflich gegen das Personal. Die Staus auf den Straßen werden immer länger, doch viele Berufspendler ziehen den Stress im Stau immer noch dem S-Bahn-Chaos vor. Und nun bricht das Jahr der Dieselfahrverbote an, eine historische Zäsur: Die Politik verliert die Kontrolle über die Straßen. Beginnend am 1. Januar in Stuttgart, werden nach und nach in deutschen Städten Dieselautos ausgesperrt. Die Gerichte geben den Takt der Verbote vor, weil die Regierungen jahrelang die Luftverschmutzung durch Dieselautos ignoriert haben, aus Rücksicht auf Autoindustrie und Autofahrer. Wann welcher Diesel wo noch fahren darf und wo nicht mehr, weiß niemand so genau, ebenso wenig, wie die Verbote zu kontrollieren wären. Regierung und Industrie wollen die Verbote ohnehin auf die Schnelle überflüssig machen, und manchmal hat man den Eindruck: Sie wollen sie unterlaufen. Niemandem wehtun löst keine Probleme Im Jahr 2018 wurde ausgiebig darüber debattiert, warum die Volksparteien so massiv an Zustimmung verlieren. Jenseits der Flüchtlingsfrage finden sich exemplarische Antworten auch in einer Verkehrspolitik, die niemandem wehtun will, kein Problem löst, damit die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet und die Bürger frustriert. Weder nimmt der Staat die Autokonzerne konsequent in Haftung für die Dieseldreckschleudern, die sie unters Volk gebracht haben, noch nimmt er den Anspruch der Stadtbewohner auf saubere Luft ernst. So untergräbt die Politik das Vertrauen in den Rechtsstaat. Es sei Zeit für "radikale Antworten" auf die Probleme in Deutschland, sagt Grünen-Chef Robert Habeck immer wieder. Er scheint damit einen Nerv zu treffen, seine Partei liegt in den Umfragen bei 20 Prozent. In der Verkehrspolitik trifft seine Analyse zweifellos zu. Es geht um die Lebensqualität in den Städten, den Schutz des Klimas, um Zehntausende Arbeitsplätze und auch um den Zusammenhalt in Deutschland. Der Streit um den Diesel spaltet die Gesellschaft. Die Kluft verläuft zwischen Arm und Reich, denn nur Menschen mit hohem Einkommen können sich nun einen sauberen Diesel leisten. Und sie verläuft zwischen Stadt und Land. Multimobile Städter mögen sich lustig machen über die Liebe vermeintlicher Provinzler zu ihrer Blechbüchse. Aber auf dem Land bedeutet das Auto immer noch Freiheit, und die individuelle Mobilität trägt viel bei zum Wohlstand in Deutschland. Fast eine Million Menschen sind direkt in der Branche beschäftigt. Umso wichtiger ist es, einen Konsens herzustellen über die Mobilität der Zukunft. Keine alternativen Antriebe, sondern weniger Autos Wenn nun manche Städte, um Fahrverbote zu vermeiden, schnell E-Autos anschaffen, dafür aber keine geeigneten deutschen Modelle finden - dann fasst das zusammen, was schiefgelaufen ist in den vergangenen Jahren. Auf Zukunftskongressen reden Automanager gern von vernetzter E-Mobilität, vor den eigenen Aktionären rühmen sie nach wie vor die SUVs, der Rendite wegen. Die Politik darf ihnen das nicht mehr durchgehen lassen. Und von einigen Lebenslügen der Verkehrspolitik sollte man sich schleunigst verabschieden. Zum Beispiel von dem Glauben, der Diesel könne wegen seines geringeren Verbrauchs das Klima retten. Dem Klima helfen nur elektrisch betriebene Fahrzeuge. Den Verkehrskollaps in den Städten wiederum werden auch E-Autos nicht lösen, ebenso wenig Carsharing, autonomes Fahren oder intelligente Verkehrsleitsysteme. In den Ballungsräumen sind schlicht zu viele Autos unterwegs. Deshalb muss die Politik mehr Menschen dazu bewegen, von der Straße auf die Schiene umzusteigen. Die aktuelle Krise der Deutschen Bahn mag deshalb sogar hilfreich sein, denn offensichtlich wird: Das Unternehmen braucht angesichts seiner veralteten Infrastruktur ein Investitionsprogramm historischen Ausmaßes. Um den Ausbau von U- und S-Bahn zu finanzieren, hat Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn gerade wieder eine Nahverkehrsabgabe ins Gespräch gebracht: Wer in den Kessel fährt, soll zwangsweise ein Ticket für den ÖPNV erwerben. Wie zu erwarten, schlägt Kuhn ein Sturm der Entrüstung entgegen. Aber wer möchte darauf wetten, dass die Abgabe nicht doch irgendwann kommt? In Stuttgart, dem Geburtsort des Automobils, nach dem Krieg autogerecht gebaut wie keine andere deutsche Stadt, hat sich lange Zeit auch niemand vorstellen können, dass ausgerechnet dort die ersten großflächigen Dieselfahrverbote in Kraft treten könnten.
Autofahrer im Stau entnervt, Bahnfahrer von Verspätungen zermürbt - die Bürger in Deutschland sind zu Recht über die Verkehrspolitik erbost. Die Lage ist so verfahren, dass jetzt radikale Lösungen notwendig sind.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/verkehrspolitik-stau-fahrverbote-1.4267980
Verkehrspolitik - Mobil machen
00/12/2018
Woran es liegt, dass bislang nur so wenige Elektroautos auf deutschen Straßen fahren? Die Autobranche findet eine klare Antwort: "Innovative Produkte allein genügen nicht, auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen", sagte Autoverbandspräsident Bernhard Mattes noch Anfang Dezember in Berlin. Vor allem die Ladeinfrastruktur müsse stärker ausgebaut werden. Die Autobranche, so schwang mit, baue ja schon neue Modelle. Nur könnten die eben zu selten geladen werden. Die Strombranche will solche Schuldzuweisungen nun nicht länger stehen lassen. Neue Zahlen des Branchenverbands BDEW, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, machen klar: E-Auto-Besitzer können in vielen Teilen Deutschlands immer mehr Ladestationen ansteuern. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft gibt es bundesweit inzwischen mehr als 16 100 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte, die im Ladesäulenregister des Verbands erfasst sind. Davon sind zwölf Prozent Schnellladestationen. Rein rechnerisch kommen bei den 160 000 Elektro- und Hybridautos zehn Autos auf jede Station. Damit ist die Quote sogar besser, als es deutsche E-Auto-Experten empfehlen. Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE), ein unabhängiges Expertengremium, empfiehlt etwa 12,5 Autos je Station, die EU-Kommission eine Quote von zehn zu eins. Dabei registriert die Strombranche ein schnelleres Wachstum. Denn Ende Juli lag die Statistik des Verbandes noch bei 13 500 Ladepunkten. Seither sind 2600 dazu gekommen - innerhalb von fünf Monaten also 20 Prozent. Erfasst werden in der Statistik Energieunternehmen, Parkhaus- und Parkplatzbetreiber, Supermärkte und Hotels. Nicht erfasst sind private Lademöglichkeiten. Angesichts solcher Zahlen wollen die Betreiber der Stationen wie Energieunternehmen oder Stadtwerke nicht länger den Kopf für die zögerliche Verbreitung hinhalten. "Die Energieunternehmen drücken beim Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter aufs Tempo", sagt Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung. "Und das obwohl bisher kaum E-Autos auf den Straßen rollen, sich der Betrieb der Ladesäulen bisher also kaum rentiert." In Thüringen, Hamburg und Berlin komme gerade einmal eine Handvoll E-Autos auf einen Ladepunkt. Den Schwarzen Peter reicht Kapferer weiter: "Die Verbreitung von E-Autos muss schneller vorangehen - sonst wird der Verkehrssektor die Klimaschutzziele 2030 um Lichtjahre verfehlen. Es fehlen nach wie vor Modelle, die in Preis und Leistung mit Verbrennern konkurrieren können."
E-Auto-Besitzer können in vielen Teilen Deutschlands immer mehr Orte ansteuern, um die Akkus ihrer Fahrzeuge aufzuladen. Die Quote ist besser, als Experten es empfehlen.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/elektroauto-ladestationen-deutschland-1.4268353
Immer mehr Ladestationen für Elektroautos
00/12/2018
Während die Konkurrenz noch tüftelt, hat BMW ein ausgereiftes E-Auto für die Stadt im Angebot. Doch in der Praxis zeigt sich: Beim Laden muss sich noch einiges tun. Gut möglich, dass sich die Konkurrenz lächelnd zurückgelehnt hat, als BMW im Jahr 2013 das erste kompakte Elektroauto, den i 3, auf den Markt gebracht hat. Die Reichweite war eher bescheiden, die Ladeinfrastruktur miserabel, die Dieselkrise noch weit entfernt. Heute lacht vermutlich keiner mehr. Denn während vor allem die deutsche Konkurrenz noch tüftelt und ihre neuen Elektroautos erst 2019 oder noch später auf den Markt bringt, hat BMW das, was andere gerne hätten: ein agiles, kompaktes E-Auto für die urbane Mobilität der Zukunft. Und die Münchner haben die Zeit genutzt, um das Auto konsequent weiterzuentwickeln. Das gilt weniger für die Optik. Das Design hat von Anfang an polarisiert, entweder man mag es oder man findet das Auto hässlich. Vor allem die Türlösung ist gewöhnungsbedürftig. Die hintere Tür klappt gegen die Fahrtrichtung auf, aber nur, wenn die vordere Tür bereits geöffnet ist, denn der Gurt für die Passagiere vorne sitzt im Rahmen der hinteren Tür. Ob der Verzicht auf eine B-Säule nun dazu diente, Gewicht zu sparen oder eine Spielerei der Designer war, sei dahingestellt. Die Alltagstauglichkeit wird damit eingeschränkt, denn die Passagiere im Fond können nur ein- oder aussteigen, wenn die Vordertüren geöffnet sind. Die meisten Käufer stört das offenbar nicht. "Der überwiegende Teil der Kunden will zeigen, dass man ein etwas anderes Auto fährt", sagt Robert Irlinger, der Leiter der Produktlinie BMW i. Beim Fahren macht das Auto richtig Spaß. Beim Laden eher weniger Doch wichtiger als die Optik ist, was die Ingenieure beim Herzstück jeden E-Autos geleistet haben: der Batterie. Ihre Kapazität wurde zuletzt deutlich erhöht. Der i 3 hat jetzt einen 42,2 Kilowattstunden (kWh) starken Akku an Bord, die Reichweite hat sich dadurch laut Irlinger um 35 Prozent erhöht. BMW verspricht jetzt eine alltagstaugliche Reichweite von etwa 260 Kilometern. Die hängt natürlich, wie bei jedem E-Auto, vom Fahrstil und von stromfressenden Nebenverbrauchern wie Heizung oder Klimaanlage ab. Zwar zeigt der Bordcomputer an, wie viel zusätzliches Potenzial zur Verfügung steht, wenn die Nebenverbraucher abgeschaltet werden. Die Reichweite springt dann kräftig nach oben. Aber im Winter die Heizung abzuschalten, um Kilometer zu schinden, ist vermutlich nur für hart gesottene Fahrer eine Option. Der SZ-Testwagen zeigte im winterlichen Fahrbetrieb mit 20 Grad Celsius im Innenraum eine maximale Reichweite von etwa 225 Kilometern an, bei moderater Fahrweise. Auch das reicht aber bei einem Auto, das nicht für Langstreckenfahrten auf der Autobahn, sondern für den urbanen Verkehr konzipiert ist, locker aus. Damit ist beim neuen i 3, zumindest für den städtischen Bereich, eines der drei zentralen Probleme gelöst, das Autofahrer davon abhält, auf ein E-Auto umzusteigen: die mangelhafte Reichweite. Das gilt aber nur, wenn auch das zweite Problem gelöst wird: die Ladeinfrastruktur. Ein mehrtägiger Selbstversuch in München und Umgebung mit dem i 3 fiel zwiespältig aus. Zwar ist hier die Zahl der Ladesäulen stark gewachsen, weil vor allem die Stadtwerke aufgerüstet haben. Das Navigationssystem des i 3 zeigt die Ladepunkte im Stadtgebiet zuverlässig an, die freien sind mit einem grünen Punkt markiert. Und selten sind es mehr als zwei, drei Kilometer bis zum nächsten grünen Punkt. Doch was nützt der grüne Punkt, wenn die Ladesäule dann entweder zugeparkt ist oder irgendeinen technischen Defekt hat? Mal wird die Ladekarte nicht erkannt, mal der Ladevorgang ständig wieder abgebrochen, mal ist der Steckeranschluss kaputt. Und mal liegt die Säule in einer öffentlichen Parkgarage, wo zusätzlich noch Parkgebühren anfallen. Den Vogel auf der Ladesäulen-Rallye schoss dabei BMW selber ab: Das Navi zeigte einen grünen Punkt auf dem Gelände einer großen BMW-Niederlassung im Münchener Norden an. Ein konkretes Hinweisschild gab es nicht, aber der Pförtner wies freundlicherweise den Weg. Und tatsächlich, irgendwo versteckt im Innenhof stand die Säule, und es war sogar eine 50-kW-Schnellladesäule, mit der sich der Akku in etwa 40 Minuten von null auf etwa 80 Prozent aufladen lässt. Leider war sie zugeparkt, aber das Ladekabel reichte glücklicherweise zwischen den Autos hindurch bis in die zweite Reihe. Doch die BMW-Ladesäule akzeptierte die BMW-Ladekarte nicht. Während man die Karte wiederholt mit sinkendem Optimismus vor den Scanner hielt, sinnierte man darüber, warum es die Politik bisher nicht geschafft hat, ein europaweit einheitliches, simples Bezahlsystem für Ladesäulen zu schaffen. So wie bei den Geldautomaten: Man führt seine Karte ein, tippt die Pin-Nummer ein, und wenn die Ladeverbindung wieder getrennt wird, zeigt die Säule den Betrag an, und die Summe wird vom Konto abgebucht. Könnte so einfach sein. Gerade im Stop-and-Go-Verkehr in der Stadt spielt der Kleinwagen seine Stärken aus Bleibt als drittes K.o.-Kriterium der Preis. Solange Elektroautos deutlich teurer sind als vergleichbare Verbrenner, sind sie für die meisten Kunden keine Alternative. Der i 3 kostet in der Standardversion 38 000 Euro, die Sportversion i 3s beginnt bei 41 600 Euro. Beim SZ-Testwagen summierten sich die diversen Extras auf einen Endpreis von 50 100 Euro. Das ist happig, allerdings lässt sich BMW seinen Premium-Anspruch auch bei allen anderen Modellen entsprechend bezahlen. Und der Preis relativiert sich wieder etwas, wenn man die Konkurrenz anschaut. Denn die günstigeren E-Autos die es auf dem Markt schon gibt, haben meist nur eine mickrige Reichweite. Und mit der Reichweite steigt dann auch sofort der Preis. Der neue elektrische Kia e-Niro, ein Crossover, der im Frühjahr auf den Markt kommt, kostet mit dem stärkeren 64-kWh-Akku ab 38 000 Euro, verspricht aber auch mehr als 400 Kilometer Reichweite. Der etwas kleinere neue e-Kona der Schwestermarke Hyundai beginnt bei 34 600 Euro. Der Opel e-Ampera, den man lange Zeit überhaupt nicht bestellen konnte und den man auf der Straße praktisch nicht sieht, beginnt bei 42 990 Euro. Und auch der VW ID Neo, der erst 2020 an den Start geht, wird mit Preisen jenseits der 30 000 Euro starten. Dabei zeigt der agile, wendige i 3, dass der Elektroantrieb gerade im Stadtverkehr mit den vielen Stop-and-go-Situationen ideal ist. Kein Turboloch, keine Gedenksekunde des Automatikgetriebes, kein hektisches Rauf- und Runterschalten bei Handschaltung. Sondern die volle Schubkraft vom ersten Moment an. Und wer vorausschauend fährt, kann auf das Bremspedal oft verzichten, er lässt den Elektromotor bremsen und gewinnt dabei Energie zurück. Der i 3 macht Spaß, man fährt flott und ist zugleich entspannt. Mehr Auto braucht im urbanen Umfeld eigentlich niemand. Eine zuverlässigere und transparentere Ladeinfrastruktur hingegen schon.
Während die Konkurrenz noch tüftelt, hat BMW ein ausgereiftes E-Auto für die Stadt im Angebot. Doch in der Praxis zeigt sich: Beim Laden muss sich noch einiges tun.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/bmw-i3-test-elektroauto-1.4265656
BMW i3 im Alltagstest
00/12/2018
Für die Wettbewerber ist Sportlichkeit zumeist eine Frage des Entweder-oder. Audi zieht erst bei den S- und RS-Modellen sämtliche fahrdynamischen Register, bei Mercedes steht der AMG-Schriftzug für Ware mit deutlich mehr Leistung unter der Haube. BMW praktiziert eine ähnliche Zweiteilung mit den vergleichsweise mild gewürzten M-Performance-Fahrzeugen und der kompromisslos auf Fahrspaß getrimmten M-Palette. Doch während anderswo die Basismodelle eher komfortbetont abgestimmt sind, spiegelt sich die an Agilität und Spritzigkeit orientierte Markenphilosophie der Münchner im gesamten Programm wider. Diese sorgsam gepflegte Sportlichkeit hat BMW auch dem neuen 3er in die Wiege gelegt. Die äußere Form mag brav und konservativ wirken, aber das Fahrerlebnis überzeugt. Einen Vergleich mit dem Audi A 4 und der C-Klasse von Mercedes kann man sich sparen, denn auch dieser 3er bereitet deutlich mehr Fahrspaß als der Rest der Mittelklasse-Meute. Schon die Limousine, die an Länge und Radstand zugelegt hat, erfüllt die nahezu komplette Bandbreite der Erwartungen. Der Viertürer ist bereits mit dem Standardfahrwerk ohne Dämpferverstellung und M-Paket ausreichend komfortabel und erstaunlich fahraktiv - und das, obwohl die Ingenieure der simplen Federbeinvorderachse die Treue hielten. An die leichtere und steifere Karosserie ist ein Fahrwerk angebunden, das selbst dort noch die Contenance bewahrt, wo andere Autos aufsetzen oder krachend bis zum Anschlag einfedern. Zu den wichtigsten vertrauensbildenden Maßnahmen gehören die akkurate und rückmeldungsfreudige Lenkung, das vorausschauend mitdenkende Automatik-Getriebe und die konditionsstarke Sportbremse. Die Motoren sind allesamt nach Euro6 d-Temp zertifiziert. Die Angst vor der Diesel-Keule ist damit weitgehend unbegründet, an den klaren Vorteilen des Ölbrenners in Bezug auf Drehmoment und Verbrauch kann ohnehin kein Gesetzgeber rütteln. Allerdings zahlt man für den 330d mit 265 PS inzwischen fast 5000 Euro mehr als für den 44 750 Euro teuren 330i, der mit seinem 258 PS starken Vierzylinder kaum schlechter geht und nach WLTP nur 5,8 Liter verbraucht. 2019 wird die Palette um drei spannende Varianten erweitert. Der 330e, ein Plug-in-Hybrid (PHEV) kann 50 Kilometer weit elektrisch fahren, der M 340i xDrive ist mit seinem 374 PS starken Sechszylinder ein rundum souveräner BMW der alten Schule, der nächste M3 soll auf 460 bis 550 PS hochgerüstet werden. Detailansicht öffnen Kaum Innovationen: Für das 8er Coupé wird es schwer, sich in der sportlichen Oberklasse gegen die Konkurrenz zu behaupten. (Foto: Daniel Kraus, BMW) In der sportlichen Oberklasse tut sich die Marke zumindest in Europa nach wie vor schwer, und daran dürfte auch der neue 8er nicht viel ändern. Ein echter Sportwagen auf dem Niveau des Porsche 911 war angekündigt; einen schweren Gran Turismo mit viel Leistung, extrovertiertem Blechkleid mit viel Bling und wenig Platz im Fond konnte man bei der Präsentation erleben. Obwohl schon der 6er hinter den Erwartungen zurückblieb, tritt auch der 8er wieder in einem Segment an, das längst zur Nische geschrumpft ist. Der 840 d kostet fast 20 000 Euro mehr als der alte 640 d, womit er preislich auf dem Niveau des 7er liegt - zwar mit Luftfederung und Allradlenkung, aber zum Start nicht einmal teilelektrifiziert und damit ohne Innovationsbonus. In diesen ohnehin engen Markt drängen 2019 nacheinander das 8er Cabrio, der etwa 650 PS starke M 8 und das Gran Coupé. Wenigstens darf man mittelfristig auf die PHEV-Technik des facegelifteten 745 e hoffen, der endlich den standesgemäßen Sechszylinder-Benziner aktiviert und mit einem Akku mit 20 Kilowattstunden samt 125 kW starker E-Maschine zusammenspannt. Der neue 8er ist kein Freund schmaler Landstraßen Voll ausgestattet wiegt der M 850i xDrive rund zwei Tonnen und kostet mindestens 125 700 Euro. Die Fahrleistungen sind beeindruckend (in 3,7 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer), aber der schwere Wagen ist kein Freund von schmalen Landstraßen, dem raschen Wechselspiel von Senken und Kuppen, engen Kurven und unebenem Geläuf mit brüchigen Banketten, Spurrinnen und plötzlich einseitig wegsackendem Belag. Auf der Autobahn ist der 530 PS starke BMW dagegen in seinem Element, er beschleunigt selbst jenseits von 160 Kilometer pro Stunde mit Nachdruck, das Fahrwerk läuft auf gut ausgebauten Passagen und in langen Kurven zur Höchstform auf, die Lenkung reagiert ebenso unaufgeregt wie präzise, und auf die Bremse ist in jeder Situation Verlass. Detailansicht öffnen Der neue Z4 kehrt vom Blechdach zurück zur Stoffmütze. Eine geschlossene Variante ist aktuell nicht geplant. (Foto: Bernhard Limberger, BMW) Und der neue Z 4? Obwohl BMW das Auto zusammen mit dem Hybrid-Spezialisten Toyota realisiert hat, fehlt auch dem neuen Roadster das grüne Etwas. Die dritte Auflage des Einstiegs-Sportlers kehrt reumütig zum Stoffverdeck zurück, das mehr Emotionen freisetzt, den Schwerpunkt absenkt und Gewicht sparen sollte, in diesem Fall aber minimal zulegt. Der Grund: der Wagen ist länger und breiter geworden, die erweiterte Komfort- und Sicherheitsausstattung schlägt ins Kontor, auch die größeren Räder und Bremsen hinterlassen auf der Waage ihre Spuren. Trotzdem ist man im Z 4 30 i (2,0 Liter, 258 PS) und vor allem im M 40 i (3,0 Liter, 340 PS) ausgesprochen flott unterwegs. Mit 4,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h verliert das ab 60 950 Euro verfügbare Topmodell nur zwei Zehntel auf den über 20 000 Euro teureren Porsche Boxster GTS, der sich schwer tut, dem Rivalen davonzuziehen. Der Z 4 mag es, mit unaufgeregten Lenkwinkeln auf Zug gefahren zu werden, ohne den Gang zu wechseln sauber im Fluss zu bleiben, schon ab 1600 Touren der maximalen Schubkraft von 500 Nm freien Lauf zu lassen. Mit Adaptivfahrwerk, Sportbremse und Sperrdifferenzial ist der M 40 i bestens gerüstet für schlechtes Wetter und anspruchsvolle Strecken. Bei Sonne und offenem Dach schlüpft der langnasige Roadster gerne in die Rolle des lässigen Gleiters, doch sobald es Ernst wird und der Fahrer alle Luken dicht macht, vermittelt der Z 4 sogar mehr Sportwagen-Feeling als der kräftigste 8er. Trotz leicht frontlastiger Gewichtsverteilung und noch längst nicht ausgereizter Motorleistung, kombiniert der Wagen kurvengieriges Handling mit erstaunlich viel Grip. Die Straßenlage hält bis ans Limit, was der erste Eindruck verspricht, die flinke Lenkung spielt dem Fahrer die Fahrbahn in die Hände, Schaltpaddel und Bremse entfalten auf kurvigen Straßen im Zusammenspiel eine imposante Fahrdynamik. Die artverwandten Bedienkonzepte der drei Neuankömmlinge erlebt der Kunde als ebenso facettenreiche wie unfertige Wanderbaustelle. Eine positive Überraschung ist die sprachgesteuerte Dialogfähigkeit von 3er und 8er. Eingaben wie "mir ist kalt", "wie weit noch zum Ziel?", "zeig mir den Durchschnittsverbrauch" oder "wo finde ich einen wirklich guten Italiener?" werden ohne Hänger beantwortet. Selbst in regionale Sprachfärbungen kann sich der Computer nach kurzer Anlernzeit hineindenken. Weil die Sprachbedienung so gut funktioniert, bewirkt die Redundanz der Displays, des iDrive Controllers und des Multifunktionslenkrads schon nach wenigen Kilometern einen Overkill-Effekt. Die Gestensteuerung ist ohnehin schon wieder passé, der Dreh-Drück-Steller ist dem mit fettigen Fehlversuchen übersäten Touchscreen überlegen, die Feinjustierung funktioniert mit den zwei Lenkradtasten am besten. Der 3er Gran Turismo wird den Modellwechsel nicht überleben, das nächste 4er Cabrio verabschiedet sich vom versenkbaren Hardtop, vom 4er Gran Coupé soll es künftig auch eine M-Variante geben. Ein 3er mit Dreizylinder ist dagegen nicht mehr geplant, denn die strengeren Abgasnormen bevorteilen größere Hubräume. Ein Z 4 als Coupé wäre eine feine Sache, aber BMW muss sparen, und eine zusätzliche Karosserievariante verdoppelt nicht automatisch das Volumen. Ob der 8er mehr sein wird als eine Eintagsfliege hängt auch vom künftig neu positionierten 7er ab, dessen vollelektrische Ausführung als i 7 eine ganz andere Marschrichtung einschlägt als das Grundmodell. Denkbar ist auch, dass BMW die i-Familie der Oberklasse mit dem angeblich bereits beschlossenen X 8 (Coupé) und einem möglichen X 9 (Luxus-SUV nur für China und Amerika) komplett neu erfindet.
Ehe im Jahr 2021 die große Elektro-Offensive startet, setzt BMW bei seinen neuen Modellen auf die klassischen Tugenden der Marke: Agilität, Sportlichkeit, Fahrdynamik - mit unterschiedlichem Erfolg.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/bmw-modelle-neuwagen-1.4256687
Neue BMW-Modelle - Nicht alles Kurvenwedler
00/12/2018
Drei neue Elektroauto-Modelle, die in ihrer Klasse bald zu den beliebtesten Fahrzeugen gehören dürften: der VW ID, der Honda Urban EV und der Porsche Taycan (im Uhrzeigersinn). Die Spannung steigt: Allein in den nächsten zwei Jahren kommen zahlreiche neue Elektroauto-Modelle auf den Markt, vom wendigen Kleinwagen bis hin zum SUV-Ungetüm, von asiatischen Herstellern für preisbewusste Käufer bis hin zu den deutschen Premium-Marken. Über mangelndes Angebot soll sich spätestens 2020 niemand mehr beschweren können. Allenfalls der Preis könnte ein Kaufhindernis bleiben. Wenn Volkswagen allerdings ab 2020 seinen ID für unter 30.000 Euro anbietet - was heute ein gut ausgestatteter VW Golf Diesel kostet -, könnte das die elektromobile Autowelt gehörig durcheinanderwirbeln und andere Hersteller bei der Preisgestaltung unter Druck setzen. Wenn sich dann bei den Käufern auch noch die Erkenntnis durchsetzt, dass manche Elektroautos aufgrund der deutlich geringeren Kosten für Treibstoff, Reparaturen und Wartung über ihre Lebensdauer hinweg günstiger sein können als Verbrenner, dann dürfte die seit Jahren erwartete Elektro-Revolution tatsächlich in die Gänge kommen. "Die Elektromobilität nimmt in vielen Ländern bereits erheblich an Fahrt auf. Dabei wird die Dynamik vor allem von regulatorischen Rahmenbedingungen und attraktiven Modellangeboten einiger Hersteller getrieben", sagt Stefan Bratzel von Center of Automotive Management (CAM). Jedoch sei erst im Jahr 2020 von einer höheren Dynamik auszugehen. "Ausschlaggebend sind die massiven Produktanstrengungen vieler Hersteller und das zu erwartende regulatorische Umfeld in zentralen Autoländern", so Bratzel. Für Deutschland und die EU erwartet der Autoexperte 2020 einen "exponentiellen Anstieg" des E-Auto-Absatzes, da die Hersteller die dann geltenden CO2-Limits erreichen müssen und Strafzahlungen verhindern wollen. Die EU hat festgelegt, dass Personenwagen im Flottendurchschnitt 2021 nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürfen. Zwischen 2021 und 2030 soll der Kohlendioxid-Ausstoß im Flottendurchschnitt der Hersteller um 37,5 Prozent sinken. Mit folgenden Fahrzeugen gehen die Autohersteller die Herausforderung an. Gedränge in der Kleinwagen-Klasse Wer weniger als 20.000 Euro für ein Elektroauto ausgeben will, muss sich mit einem Kleinwagen zufrieden geben - und noch etwas Geduld mitbringen. Volkswagen hatte ein erschwingliches Modell im vergangenen November angekündigt und damit für viel Wirbel in der E-Auto-Szene gesorgt, vermuteten viele doch einen weiteren Stromer der kommenden ID-Familie. Gemeint war, wie sich einige Tage später herausstellte, jedoch lediglich die Neuauflage des E-Up, die 2020 mit größerer Batterie auf die Straße kommen soll. Seit einer Preissenkung vor wenigen Wochen kostet auch der aktuelle Elektro-Up weniger als 20.000 Euro. Allerdings erst nach Abzug des Umweltbonus' in Höhe von 4000 Euro, der im Juni 2019 auslaufen soll. Gleiches gilt für die Elektro-Version des Smart, die ohne die Förderprämie für 22.000 Euro zu haben ist. Dank ihrer Zugehörigkeit zum VW-Konzern können auch Skoda und Seat bald Elektroautos mit E-Up-Technologie verkaufen. Den Citigo E soll es Ende 2019 mit 300 Kilometern Reichweite geben. Auf der gleichen Plattform wird der Seat eMii erwartet. Er wird in Spanien bereits in einem Carsharing-Projekt getestet und könnte bald bei den hiesigen Händlern stehen. Im Standard-Design seines Verbrenner-Bruders soll der Peugeot 208 im kommenden Jahr elektrifiziert werden. ‹ › Im Retro-Look in die Zukunft: der Honda Urban EV (Bild zeigt eine Konzeptstudie). Bild: Honda ‹ › Der VW E-Up soll demnächst ein Reichweiten-Update bekommen und weniger als 20.000 Euro kosten. Bild: Volkswagen ‹ › Den eMii von Seat könnten wir bald auch in Deutschland sehen. Bild: Volkswagen Wird geladen ... 2020 wird das Angebot in der Kleinwagen-Klasse noch größer. Dann wollen Opel mit dem Corsa E und Honda mit dem EV im Retro-Look des ersten Civic ebenfalls am wachsenden Markt teilhaben - im Schnitt hat sich die Zahl der weltweiten E-Auto-Verkäufe seit 2010 von Jahr zu Jahr annähernd verdoppelt. Für die Platzhirschen in dieser Klasse, den Smart von Daimler und den Renault Zoe, dürfte es mit der steigenden Konkurrenz schwierig werden, ihre Stellung zu halten. Wird der VW ID das Maß der Dinge? Die Kompakt- und Mittelklasse beherrschen momentan BMW i3, Hyundai Ioniq, Nissan Leaf und VW e-Golf. In diesem Segment zwischen 30.000 und 40.000 Euro dürfte sich in den kommenden zwei Jahren einiges ändern. Denn der ID von Volkswagen, den die Wolfsburger 2020 zum Kampfpreis von unter 30.000 Euro und mit bis zu 600 Kilometern Reichweite anbieten wollen, hat das Zeug dazu, es dem Käfer und dem Golf gleichzutun und eine neue Ära einzuleiten. ‹ › Mit dem ID (abgebildet ist eine Konzeptstudie) will Volkswagen eine neue Ära einleiten - wie einst mit dem Käfer oder dem Golf. Bild: Volkswagen ‹ › Fast eine halbe Million Interessenten weltweit haben ein Model 3 reserviert. Im Frühjahr 2019 wird es auch in Europa ausgeliefert. Bild: Tesla ‹ › Mit dem EQA will Mercedes-Benz ab 2020 in der Kompaktklasse punkten. Bild: Daimler Wird geladen ... Dann könnte es für das ebenfalls stark gehypte Tesla Model 3, den Massenstromer des Elektroauto-Pioniers aus den USA, schwierig werden, neue Kunden zu gewinnen. Nach Anlaufschwierigkeiten in der Produktion sollen die ersten Kunden in Deutschland zwar Februar 2019 ihr vorbestelltes Model 3 bekommen, allerdings werden die in Europa angebotenen Konfigurationen zunächst bei knapp 58.000 Euro starten. Das ist gut doppelt so teuer wie der neue VW, für den die Wolfsburger den Innenraum-Komfort eines Passat versprechen. 2019 nimmt Volkswagen Vorbestellungen für den ID entgegen. 2020 wollen weitere Hersteller in dieser Klasse punkten. BMW hat einen rein elektrischen Mini angekündigt, Mercedes arbeitet am EQA, Citroën will den C4 elektrifizieren. Limousinen lassen auf sich warten Seit 2012 ist das Tesla Model S die einzige rein elektrische Limousine im Segment der gehobenen Mittel- und Oberklasse. Und verkauft sich in den USA schon seit Jahren besser als die herkömmlich angetriebene deutsche Konkurrenz um Mercedes S-Klasse, Audi A8 und BMW 7er. Einen der oft beschworenen "Tesla-Killer" muss das Model S in seinem Revier der Premium-Limousinen auch in den nächsten Jahren nicht fürchten. Denn das Gran Coupé BMW i4, ein Mercedes EQS als möglicher Elektro-Ableger der S-Klasse oder der VW Vizzion, ein Elektroauto in Tradition des Phaeton, werden frühestens 2020 debütieren.
In den kommenden zwei Jahren gibt es gut drei Dutzend neue Modelle. Bringen sie der Elektromobilität den Durchbruch?
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/mobilitaet-das-sind-die-neuen-elektroautos-1.4253585
Neue Elektroautos bis 2020 - Das Angebot wächst
00/12/2018
Bei einer Verkehrsschau prüfen die Behörden die Verkehrssituation vor Ort. Dabei wird mitunter auch heftig diskutiert - etwa dann, wenn es um Tempo-30-Abschnitte geht. Feuerwehrkommandant Christoph Gasteiger hat Recht: Ein Blick in die Finkenstraße genügt und es ist sofort klar, wo das Problem liegt. Gasteiger erläutert es dennoch: "Mit unseren Einsatzfahrzeugen kommen wir hier nicht durch." In der engen Wohnstraße parken selbst am frühen Vormittag noch viele Autos, in den Abendstunden, sagt Gasteiger, sei es noch voller. "Das kann so auf keinen Fall bleiben." Das finden auch die anderen Teilnehmer der Verkehrsschau an diesem Donnerstag im 4000-Einwohner-Örtchen Moorenweis, knapp 40 Kilometer westlich von München. "Sicherheit hat Vorrang", sagt etwa Karl Stecher, der Vertreter des Straßenverkehrsamts des Landkreises Fürstenfeldbruck. Und auch Oliver Erhardt von der örtlichen Polizeiinspektion nickt. Hier muss ein Parkverbot her, zumindest auf einer Straßenseite. Sollte das die Situation nicht entspannen, müsse man über ein beidseitiges Verbot nachdenken. Das Problem ist nur: "Dann haben Sie die Autos in den anderen Straßen ringsum", gibt Bernd Emmrich vom ADAC Südbayern zu bedenken. Und in denen geht es ähnlich eng zu wie in der Finkenstraße. Auch Vertreter der Verkehrsteilnehmer dürfen mitreden Bei einer Verkehrsschau prüfen Vertreter der Straßenverkehrsbehörden, der Polizei, von Straßenmeisterei und Bauamt regelmäßig die Verkehrssituation. Mit dabei sind auch Vertreter der Verkehrsteilnehmer, also von Automobilklubs oder vom Radfahrerverband ADFC. Alle vier Jahre, auf Hauptverkehrsstraßen sogar alle zwei Jahre, fahren sie die Straßen ab. In kleinen Gemeinden ist der Turnus oft länger. Dabei haben solche Verkehrsschauen eine wichtige Funktion. Schließlich geht es bei jedem einzelnen Verkehrsschild, bei jedem Umbau einer Straße oder einer Kreuzung um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer. Und all das muss von den zuständigen Straßenverkehrsbehörden per "verkehrsrechtlicher Anordnung" festgelegt werden. Welche Anordnungen konkret getroffen werden - all das wird bei der Verkehrsschau besprochen. So auch in Moorenweis. An der Hauptdurchgangsstraße haben Anwohner eine Unterschriftenliste gesammelt. Sie fordern eine "Querungshilfe", wie das im Amtsdeutsch heißt, also einen Zebrastreifen oder eine Fußgängerampel, um die Geschäfte entlang der Straße besser erreichen zu können. Zuständig dafür ist der Landkreis. Dessen Vertreter macht gleich mal klar: "Wir brauchen keine Unterschriftenliste; uns genügt ein einzelner Antrag." Dann werde die Sache geprüft, eine Verkehrszählung angeordnet. Und bei entsprechend hohem Fußgängeraufkommen, werde dann eine Ampel angeordnet. "Von Zebrastreifen halten wir wenig", sagt der Mann vom Landratsamt, Karl Stecher. Der böte meist nur eine "scheinbare Sicherheit", Ampeln seien besser. Besonders bei Tempo-30-Zonen gibt es Konflikte Immer wieder wird bei solchen Verkehrsschauen auch intensiver diskutiert. So wünscht sich mancher Bürgermeister oder Gemeinderat einen Tempo-30-Abschnitt auf einer Hauptverkehrsstraße, um Belastungen der Anwohner zu mindern. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn nicht selten steht dem der Wunsch der Behörden nach einem flüssigen Verkehr entgegen. Nur an Altenheimen, Schulen oder Kindergärten zum Beispiel kann das Tempo ohne größere Diskussionen reduziert werden. Der ADAC vertritt zudem die Position, dass "häufige Wechsel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für die Verkehrsteilnehmer verwirrend sind und die Akzeptanz reduzieren". In Moorenweis indes sind sich alle recht schnell einig. Die Fußgängerampel wird geprüft, eine Bushaltestelle ein paar Meter versetzt und eine scharfe Kurve mit Warnzeichen versehen. Nur ein Ziel wird an diesem Donnerstag nicht erreicht, das Bürgermeister Joseph Schäffler zu Beginn bereits ausgegeben hatte. "Vielleicht lassen sich ja für jedes Schild, das wir neu aufstellen, zwei alte entfernen", hatte er vorgeschlagen. Und dabei breit gegrinst. Da wusste er bereits, dass das wohl nicht zu erreichen sein wird.
Bei einer Verkehrsschau prüfen die Behörden die Verkehrssituation vor Ort. Dabei wird mitunter auch heftig diskutiert - etwa dann, wenn es um Tempo-30-Abschnitte geht.
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Verkehrsschau Ortstermin
00/12/2018
Da ist die Sache mit den kleinen Kursbüchern. 1956 verbietet das Bundesverfassungsgericht die KPD. Die Kommunisten aber agieren weiter im Untergrund. Um ihre Schriften getarnt zu verbreiten, versehen sie sie mit unverfänglichen Umschlägen. Und was wäre unauffälliger als ein Fahrplan der Bundesbahn? In der Sonderschau "Geheimsache Bahn" im DB-Museum in Nürnberg ist so eine Tarnschrift zu sehen. Und daneben zum direkten Vergleich ein Original-Fahrplan-Büchlein der damaligen Bundesbahn. Ein Laie erkennt da kaum einen Unterschied. Den Mythen und Mysterien, den vielen Geheimnissen rund um die Eisenbahn geht die Ausstellung auf den Grund. Man wolle die Bahnhistorie "mal aus einer anderen, populäreren Sicht präsentieren", sagt Museumsdirektor Oliver Götze. Es gebe eine "Unmenge an Legenden zur Bahn". Und so haben die Kuratoren Benjamin Stieglmaier und Teresa Novy 30 Episoden zusammengetragen, die sie meist auch mit teils sehr anschaulichen Objekten belegen. Da werden Mörder gejagt, Spione enttarnt und Schmuggler gefasst. Eisenbahner berichten, wie sie zu DDR-Zeiten im Tender Zigaretten aus Polen über die Grenze schmuggelten. Und man erfährt, warum die Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft 1924 in zwei verschiedenen Zügen zu einem Freundschaftsspiel in die Niederlande reisten. Sie gehörten damals nämlich alle nur zwei - miteinander verfeindeten - Vereinen an, dem 1. FC Nürnberg und der SpVgg Fürth. Und beide Seiten wollten größtmögliche Distanz. Interessant findet Museumsleiter Götze auch, "wie viele Mythen aus der Nazi-Zeit sich bis heute gehalten haben", wie er sagt. Etwa die Geschichte der von einem Deutschen konstruierten Lok Saxonia . Die sollte eigentlich 1839 den Eröffnungszug auf der Strecke Dresden-Leipzig ziehen, zum Einsatz kamen dann aber zwei in England beschaffte Lokomotiven. Schuld daran sollen britische Saboteure gewesen sein, die die Bekohlung verzögerten und die Saxonia auf ein Nebengleis steuerten, wo sie mit einer anderen Lok kollidierte. Doch der Sabotage-Teil der Geschichte sei nicht belegt, sagt Götze. Der stamme vielmehr vom Sohn des Erfinders, der sie 1933 erzählte - und die gleichgeschaltete Presse der NS-Zeit verbreitete diese fleißig. Halt ohne Not Bevor ein Bahnhof irgendwo neu gebaut wird, gehen meist Jahre ins Land. Experten prüfen den Bedarf, Fahrplan-Tüftler überlegen, wie sich der zusätzliche Halt ins Gesamtgefüge der Bahn einbauen lässt. In Selm-Beifang, einem Ort im Ruhrgebiet, wurde dagegen in der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre ein Bahnhof errichtet, nicht etwa, weil die Bahn dort einen Bedarf erkannt hatte - sondern weil Bergleute immer wieder die Notbremse gezogen hatten. Denn die hatten sich geärgert, dass sie abends auf der Fahrt nach Hause zunächst mit dem Zug stets an ihrer Bergarbeitersiedlung vorbeifuhren, um dann von der nächstgelegenen Station aus nach Hause laufen zu müssen. In Selm-Beifang selbst gab es keinen Haltepunkt. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Das aber änderten die Bergarbeiter von sich aus: Sobald der Zug einen nahen Bahnübergang überquert hatte, zog einer der Arbeiter die Notbremse. Der Zug kam zum Stehen - und gut 50 Mann stiegen aus. Auch damals war das Betätigen der Notbremse ohne einen triftigen Grund zwar strafbar, doch die Polizei konnte nie einen Täter ermitteln. Nach zahlreichen Notbremsungen lenkte die Bahn schließlich ein und ließ in den Jahren 1946 bis 1948 einen Haltepunkt einrichten. Der bestand zunächst aus einfachen Bauhütten, erst später wurde ein richtiges Empfangsgebäude gebaut. Das steht heute noch, wird aber nicht mehr von der Bahn genutzt. Lenins Wagen Um die Lenin-Reise im April 1917 nach Petrograd ranken sich viele Geschichten. Deutschland steckte in einem Zwei-Fronten-Krieg - und hatte ein Interesse daran, den Gegner im Osten zu schwächen. Also ermöglichte es dem russischen Revolutionär eine Zugfahrt aus seinem Schweizer Exil nach Sassnitz auf Rügen. Von dort ging es weiter nach Russland. Ein Teil des Waggons, in dem Lenin reiste, wurde per Kreidestrich zu russischem Territorium erklärt. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Zur Erinnerung an die Reise wurde in den Siebzigerjahren in Sassnitz eine Gedenkstätte errichtet. Der Originalwagen, mit dem Lenin reiste, existierte da schon nicht mehr. Die DDR-Reichsbahn trieb einen Waggon ähnlicher Bauart auf, einen sechsachsigen Schnellzugwagen der ehemaligen Preußischen Staatsbahnen, der als Mannschaftswagen in einem Bauzug genutzt wurde. Arbeiter gestalteten ihn im Reichsbahnausbesserungswerk in Potsdam zum Museumswagen um - in Sassnitz aber wurde gerne so getan, wie wenn es der Originalwagen sei. Nach der Wende landete er im DB-Museum - und wurde auch dort in den Büchern lange als "Leninwagen" geführt, was den Verwirrungen über die Herkunft des Wagens zusätzliche Nahrung gab. Mittlerweile ist die Frage geklärt, der Wagen steht heute in einem Tagungszentrum der Bahn in Potsdam. Dampf in der DDR Die Ära der Dampfeisenbahn endete in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich: Während die Bundesbahn ihre letzten Dampfloks 1977 ausmusterte, bestückten bei der DDR-Reichsbahn noch bis weit in die Achtzigerjahre die Heizer die Feuerbüchsen mit Kohle. Dies zog Dampflok-Fans aus dem Westen an: Sie reisten nun bevorzugt in den Osten, um die alten Maschinen im Betrieb zu erleben und Fotos zu schießen. Die DDR, interessiert an westlichen Devisen, veranstaltete sogar Eisenbahnfeste und bewarb historische (Klein-)Bahnstrecken, um Westdeutsche ins Land zu holen. Zudem knüpften Modellbahner Kontakte über den Eisernen Vorhang hinweg. Detailansicht öffnen (Foto: Illustration: Marius Schreyer Design/Sonja Gagel) Den Verantwortlichen bei der Staatssicherheit war das allerdings suspekt. Sie vermuteten, dass sich US-Spione unter die Dampf- und Modellbahnenthusiasten gemischt hatten. Die Stasi ließ daher die Szene intensiv beobachten. Akten wurden angelegt, Spitzel angeworben. Unter strenger Beobachtung stand auch Burkhard Wollny. Der gebürtige Freiburger reiste zwischen 1975 und 1980 mehrmals mit Freunden in die DDR, um Fahrzeuge zu fotografieren. Nach dem Fall der Mauer tauchte in den Stasi-Archiven die Akte "Fotograf" auf: Sie umfasste mehr als 1200 Seiten mit Protokollen und Beobachtungsberichten über die harmlose Gruppe.
Schmuggler, Spione und ein toter Briefkasten auf der Zugtoilette: Das DB-Museum in Nürnberg widmet sich den Mythen und Legenden aus mehr als 180 Jahren Bahngeschichte.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/bahn-historie-wo-steckt-der-nazi-zug-voller-gold-1.4240970
Ausstellung - Geheimsache Eisenbahn
00/12/2018
Einen Verbrenner umbauen zu einem Elektroauto: Das klingt verlockend. Doch in der Praxis können sich einige Probleme auftun. Am Ende ist es immer ein Draufleg-Geschäft. Elon Musk trifft man beim Einkaufen normalerweise nur selten. Nicht so bei Roland Schüren. Der Bäckerei-Inhaber aus Nordrhein-Westfalen hat sich der Elektromobilität verschrieben, privat wie beruflich. Am Hauptsitz seiner Bäckerei, in Hilden, steht der Tesla-Gründer direkt neben der Verkaufstheke. Dass er aus Pappe ist, fällt da kaum ins Gewicht, denn Schüren geht es ums große Ganze: "Unsere Backwaren sind bio. Da soll auch die Auslieferung nicht dreckig sein." Schon mehrere Jahre beschäftigt sich der 52-Jährige mit nachhaltigen Produktionsmethoden. Aufs Dach der Backstube hat er eine Photovoltaik-Anlage gesetzt, die nicht nur den Betrieb mit Strom versorgt, sondern auch mehrere Ladesäulen, an denen sich Kunden bedienen können. Nur ein Problem plagte Schüren bis zum Schluss: "Wir haben 18 Filialen und Firmenkunden, die wir jeden Tag beliefern. Es gibt auf dem Markt aber keine elektrischen Lieferfahrzeuge, die groß genug für unsere Bedürfnisse sind." Um trotzdem emissionsfrei zu fahren, entschied sich Schüren für eine radikale, in Deutschland kaum praktizierte Methode: Er ließ seine Lieferfahrzeuge umbauen. Zwei Sprinter - früher mit Dieselmotor unterwegs - rollen nun elektrisch, genau wie ein restaurierter VW Bulli von 1975, der ebenfalls für Auslieferungen zum Einsatz kommt. Gerade am Anfang hätten sich die Mitarbeiter umstellen müssen: "Jedes Fahrzeug kommt am Tag auf 150 Kilometer", sagt Schüren. "Als wir im Winter eine spontane Tour gemacht haben, mussten wir in Wuppertal zwischenladen." Doch inzwischen hätten sich alle an die batteriegetriebenen Sprinter gewöhnt. Einfach war die Umrüstung nicht. In Deutschland gibt es nur wenige Firmen, die derartige Umbauten vornehmen. Die Nachfrage ist vergleichsweise gering, jedes Auto eine neue Herausforderung. All das macht die Arbeit langwierig und teuer, wobei Schüren einen staatlichen Zuschuss von 50 Prozent erhalten hat. "Der Umbau des Bullis ging nur peu à peu voran", erinnert sich der Bäcker. "Am Ende hat das Ganze etwa ein Jahr gedauert." Motor raus, Batterie rein: So einfach, wie die Umrüstung in der Theorie klingt, ist sie in der Praxis meist nicht. "Wenn man ein Auto unter Strom setzt, muss man wissen, was man tut", sagt Dennis Murschel. Der 46-jährige Karosseriebauer aus Renningen bei Stuttgart hat früher bei Mercedes gearbeitet. Lange war er in der Tuning-Szene aktiv; inzwischen konzentriert er sich auf den Umbau von Verbrennern zu Stromern. "Natürlich kann man eine Batterie festnageln, einen Controller dranschrauben und versuchen, damit loszufahren", sagt Murschel. "Aber das ist was für Hobbybastler." Seine Kunden legten Wert auf ein Auto, das hinterher auch funktioniert - und durch den TÜV kommt.
Einen Verbrenner umbauen zu einem Elektroauto: Das klingt verlockend. Doch in der Praxis können sich einige Probleme auftun. Am Ende ist es immer ein Draufleg-Geschäft.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/kaefer-elektroauto-umbau-1.4256693
Tüftler baut Käfer zu Elektroauto um
00/12/2018
Im Winter lassen manche Autofahrer gerne mal den Motor laufen, damit sich der Innenraum aufwärmt. Doch das Laufenlassen schädigt nicht nur die Umwelt, es setzt auch dem Motor zu. Der Audi parkt an der Straße und der Motor läuft. Es sitzt kein Fahrer am Steuer, weit und breit ist niemand zu sehen. Dieselgeruch flutet die nahe Wohnsiedlung. Es ist ein kalter Wintertag, aber nicht so frostig, dass sich Eis auf den Scheiben der Autos gebildet hätte. Der Grund für den laufenden Motor ist allein die Bequemlichkeit des Besitzers: Er scheut die Kälte und bevorzugt es, direkt nach dem Frühstück in ein warmes Autos einzusteigen. Dieses Verhalten lässt sich nicht einfach als Unsitte abtun. Es zeigt eine Ignoranz auf vielen Ebenen. Die Botschaft lautet: Umweltschutz ist nur von Bedeutung, solange er nicht der eigenen Bequemlichkeit im Wege steht. Dabei sind die positiven Effekte des Motor-warmlaufen-Lassens bestenfalls überschaubar. Oder wie es ADAC-Sprecher Hans Pieper kurz in einem einzigen Satz zusammenfasst: "Es macht unnötigen Lärm, erhöht den Verschleiß und bringt zudem nicht viel." Das beginnt bei den technischen Risiken: "Ein Kaltstart bedeutet für den Motor eine Extrembelastung", erklärt Vincenzo Lucà vom TÜV Süd. Je länger das Auto nach dem Anlassen steht, umso schlechter ist es für das Triebwerk, da es bei geringen Drehzahlen langsamer warm wird. Das führt zu schnellerem Verschleiß, weil zum Beispiel das noch dickflüssige Öl nicht an alle Schmierstellen gelangt. Hinzu kommt der höhere Ausstoß von Abgasen, da der Spritverbrauch bei einem kalten Motor um ein Vielfaches größer ist. "Hochgerechnet würde ein Benzinmotor auf diese Weise 25 bis 30 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen", sagt TÜV-Sprecher Vincenzo Lucà. Einige Minuten nach dem Losfahren reguliert sich der Effekt. Trotzdem lassen sich einige Autofahrer im Winter nicht von dieser Methode abbringen. Das Argument, das immer fällt, lautet: Anders ließen sich die Scheiben nicht vom Eis befreien. Bereits nach 100 Metern sei die Sicht wieder verschleiert. Und bevor man selbst zum Sicherheitsrisiko würde, nähme man die Umweltverschmutzung lieber in Kauf. Doch das ist Unsinn. Es gibt effektivere Methoden, die Scheibe von Eis zu befreien. Die naheliegende ist, den Frost vor der Fahrt mit einem Kratzer oder mit Sprays auf Alkoholbasis zu entfernen. Wem das zu mühselig ist: Eine Folie auf der Frontscheibe am Vorabend verhindert das Vereisen der Scheibe. Beschlägt sie von innen, hilft die "Defrost"-Funktion der Belüftung. Das Gebläse auf volle Leistung, am besten mit Klimaanlage - schon verschwindet der störende Schleier. Zudem gibt es spezielle Fensterleder, mit der sich die Scheiben von innen reinigen lassen. Wer häufiger mit diesem Problem zu kämpfen hat: Eine Dose mit Holzkohle oder Kaffee entzieht der Luft die Feuchtigkeit. Bleiben nur noch die Bequemlichkeit der Autofahrer und die Sehnsucht nach ein bisschen Wärme. Dabei ist der Effekt auf die Heizung nur gering, wenn der Motor im Stand läuft. Ein Test des ADAC bei minus zehn Grad zeigte, dass die Luft aus dem Gebläse nach vier Minuten gerade einmal eine Temperatur von 13 Grad erreichte. Heimelig warm geht anders. Und selbst wenn: Den Motor im Stand zu diesem Zweck laufen zu lassen, ist schlichtweg verboten. Das besagt Paragraf 30 der Straßenverkehrsordnung: "Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen (...)" So kann der Rat an alle, die im Winter trotzdem ihr Auto warmlaufen lassen wollen, nur lauten: bleiben lassen. Der Umwelt und dem Auto zuliebe. Wem die Wärme im Winter wirklich so wichtig ist, rüstet eine Standheizung nach. Die sorgt für angenehme Temperaturen per Fernbedienung, ganz ohne den Motor zu starten. Der größte Vorteil ist: Um sie einzuschalten, muss man nicht einmal die Wohnung verlassen.
Im Winter lassen manche Autofahrer gerne mal den Motor laufen, damit sich der Innenraum aufwärmt. Doch das Laufenlassen schädigt nicht nur die Umwelt, es setzt auch dem Motor zu.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/technik-nach-dem-start-gleich-losstarten-1.4256689
Nach dem Start gleich losstarten
00/12/2018
Wer bei Nebel nicht auf die richtige Beleuchtung achtet, kann für andere Verkehrsteilnehmer fast unsichtbar sein. Täglich werden Autofahrer zum Sicherheitsrisiko. Sie wissen nicht, dass es bei schlechter Sicht oft nicht ausreicht, den Lichthebel auf "Automatik" zu stellen. An einem nebelig-trüben Morgen auf dem Weg zur Arbeit taucht plötzlich das Heck eines Autos auf. Völlig unbeleuchtet. "Was für ein Verrückter, warum hat der kein Licht an?", ist der erste Gedanke. Dabei hat der Vordermann wahrscheinlich nur das getan, was die viele Autofahrer tun: Sie verlassen sich auf ihre Lichtautomatik. Das kann bei Nebel richtig gefährlich werden. Seit August 2012 müssen alle neu zugelassenen Autos mit einem Tagfahrlicht ausgestattet sein. Dieses Licht ist immer automatisch eingeschaltet, sobald man den Motor startet. So sollen schnell herannahende Fahrzeuge erkennbar sein und Unfälle verhindert werden. Was viele nicht wissen: Das Tagfahrlicht umfasst nur die Fahrzeugfront. Die Heckleuchten bleiben unbeleuchtet. Fährt man also bei Nebel nur mit Tagfahrlicht, ist man für von hinten kommende Verkehrsteilnehmer fast unsichtbar. Die Lichtautomatik unterscheidet nur zwischen hell und dunkel Über das reine Tagfahrlicht hinaus haben mittlerweile viele Autos eine sogenannte Lichtautomatik. Ist sie aktiviert (meistens stellt man dafür einen Drehschalter links neben dem Lenkrad auf "A"), schaltet sich bei Bedarf automatisch das Abblendlicht ein. Das funktioniert annähernd perfekt, wenn es draußen deutliche Helligkeitsunterschiede gibt - zum Beispiel, wenn man in einen Tunnel fährt. Allerdings ist diese Technik bei Nebel nicht zuverlässig. Denn bei trüben Sichtverhältnissen reagieren die Sensoren oft nicht empfindlich genug und das Abblendlicht wird nicht automatisch aktiviert. Die Folge: Das Auto ist im Tagfahrlicht-Modus unterwegs und von hinten kaum zu erkennen. Zwar sind die Unfallzahlen auf deutschen Straßen insgesamt leicht rückgängig, dennoch ist schlechte Sicht durch Nebel für Autofahrer weiterhin gefährlich: Im Jahr 2017 passierten laut Statistischem Bundesamt auf Deutschlands Straßen 177 nebelbedingte Unfälle, dabei starben 22 Menschen, 95 wurden schwer verletzt. Was also tun, um im Nebel nicht ungewollt zum Sicherheitsrisiko zu werden? Am besten sollten Autofahrer bei schlechter Sicht durch Nebel oder starken Regen immer per Hand das Abblendlicht einschalten. Zusätzlich kann es bei Nebel sinnvoll sein, Nebelscheinwerfer zu aktivieren. Erlaubt ist das laut ADAC immer dann, "wenn Nebel, Schneefall oder Regen die Sichtweite deutlich reduzieren". Deutlich strenger sind die Vorgaben für Nebelschlussleuchten. Diese dürfen nur eingeschaltet werden, wenn die Sichtweite durch Nebel weniger als 50 Meter beträgt. Ist die Sicht besser, blenden sie von hinten herannahende Verkehrsteilnehmer.
Täglich werden Autofahrer zum Sicherheitsrisiko. Sie wissen nicht, dass es bei schlechter Sicht oft nicht ausreicht, den Lichthebel auf "Automatik" zu stellen.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/nebel-autofahren-licht-1.4260991
Lichtautomatik reicht bei Nebel oft nicht aus
00/12/2018
Die Reduzierung der Geschwindigkeit wäre ein billiger Beitrag für den Klimaschutz. Außerdem machen Raser auf den Autobahnen allen anderen einfach nur Angst. Wer das erste Mal in einem dieser hoch getunten Kolosse sitzt und auf mehr als 200 Stundenkilometer beschleunigt, der spürt den Kick, das Adrenalin. Der Zustand hält aber nur gut zwanzig Minuten an. Wie neurobiologische Forscher herausfanden, schaltet das Gehirn schnell um, weil es sonst zu viel Energie benötigt. 220 km/h sind dann Routine. Ganz normal. Vielleicht liegt hier der Grund, warum es jedes Mal zu einem Aufschrei kommt, wenn irgendjemand in der Republik die Wortkombination "Tempolimit auf Autobahnen" ausspricht. Die Autobahn empfinden manche als Ort der letzten Freiheit, hier darf man noch wild und ungestüm sein. Nicht zufällig besteht die große Mehrzahl der Tempolimit-Gegner aus Männern jüngeren und mittleren Alters. Dazu die schlichte Gewohnheit: 220 km/h - na und? Wie soll ich sonst auch all meine Termine schaffen? Das Rasen auf den Autobahnen gehört hier zum German way of life. Und bauen wir Deutsche nicht selbst diese wunderbaren Riesenflitzer? Die Umwelthilfe setzt durch, was die Politik ignoriert hat Für den Teil der Bevölkerung mit Motto "Freie Fahrt für freie Bürger" wird Jürgen Resch zunehmend zum Feindbild. Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die zuletzt mehrere Fahrverbote für ältere Diesel-Autos in Innenstädten gerichtlich durchsetzte. Die CDU forderte zuletzt auf ihrem Parteitag, die DUH solle keine Fördergelder mehr vom Bund erhalten. Außerdem solle ihre Gemeinnützigkeit überprüft werden. Dass die Umwelthilfe lediglich die Umsetzung von Gesetzen einfordert, die die Politik jahrelang ignoriert hat, hat die CDU offenbar übersehen. Und nun das: Resch will prüfen, mit der Forderung für ein Tempolimit auf Autobahnen (120) und Landstraßen (80) vor Gericht zu ziehen. Auslöser sind die neuen Vorgaben für den Klimaschutz. Bei niedrigeren Geschwindigkeiten verursachen Autos weniger CO₂-Ausstoß. Außerdem wäre das auch ein Anreiz für die Automobilindustrie, kleinere und leichtere Wagen zu bauen, was in der Fertigung wiederum Kohlendioxid einsparen würde. Dumm nur, dass deutsche Autobauer vor allem mit großen, schweren, PS-starken Wagen das meiste Geld verdienen. Das bringt Gewinne, Rendite für die Aktionäre, Boni für den Vorstand. Und die Möglichkeit, bei missliebigen Vorschlägen sogleich mit dem Abbau von Arbeitsplätzen zu drohen. Für die Unternehmen ist die Raserei auf den Autobahnen eine unbezahlbare PR, weltweit bekannt und bestaunt. Denn außer in Deutschland gibt es kaum ein Land ohne Tempolimit auf allen Straßen. Die Deutschen kennen das von Fahrten in die Nachbarländer. Stellt sich die Frage: Sind Österreicher, Schweizer, Franzosen, Italiener et cetera gegängelte Bürger inmitten einer ideologischen Verbotskultur? Fakt ist, dass ein Tempolimit auf Autobahnen für die Mehrheit der Bevölkerung Vorteile bringt. Die Zahl der schweren Unfälle reduziert sich (der Effekt gilt noch mehr für die sehr unfallreichen Landstraßen). Der Fluss des immer dichteren Verkehrs würde sich verbessern. Die Lärmbelastung geht stark zurück (weshalb etwa Österreich in seinen Alpentälern die Geschwindigkeitszulassung drastisch reduziert hat). Und natürlich geht auch der Schadstoffausstoß erheblich nach unten, unter anderem die Emissionen des klimaschädlichen Kohlendioxids. Laut Umweltbundesamt sinken sie bei 120 km/h Obergrenze für den gesamten Pkw-Verkehr auf Autobahnen um etwa neun Prozent. Tempolimit-Gegner wie der ADAC argumentieren, dass die Einsparung kaum ins Gewicht falle bezogen auf das gesamte CO₂-Problem Deutschlands. Doch diese Argumentation zieht nicht. Mit dem Finger auf andere zeigen, bringt uns nicht weiter So begründen auch die Kohlekraftwerksbetreiber, warum eine Abschaltung unverhältnismäßig sei. So fördert der Staat weiterhin den Flugverkehr, weil es eh wurscht ist. So argumentieren AfD und in Teilen die FDP, warum Deutschland eigentlich gar nichts tun müsse, weil das Land zu klein sei für einen spürbaren Effekt in der weltweiten Klimakrise. Dabei ist das riesige Klimaproblem nur zu lösen, wenn eben jeder Bereich seinen Teil beiträgt. Denn sonst deuten stets die einen mit dem Finger auf die anderen: Wenn die nichts tun müssen, dann wollen wir auch nicht. Ein Tempolimit auf Autobahnen ist ein leicht umsetzbares, sehr billiges Mosaiksteinchen, um den CO₂-Ausstoß in Deutschland zu verringern. Es ist auch deshalb längst überfällig. Und was die Freiheit betrifft: Diese herrscht höchstens für diejenigen, die mit mehr als 200 km/h über die linke Spur rasen. Wer hingegen mit 120 oder 130 km/h zum Beispiel einen Laster überholen möchte, der kennt das Gefühl, wenn von hinten so ein Riesengefährt heranrauscht, dessen Fahrer hektisch an der Lichthupe ruckelt. Das ist dann auch ein Kick. Allerdings kein schöner.
Die Reduzierung der Geschwindigkeit wäre ein billiger Beitrag für den Klimaschutz. Außerdem machen Raser auf den Autobahnen allen anderen einfach nur Angst.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/tempolimit-autobahn-deutschland-1.4259731
Verkehr - Warum ein Tempolimit auf der Autobahn nötig ist
00/12/2018
In Los Angeles gibt es eine Teststrecke für die Hyperloops von Elon Musk. Doch sind sie eine Antwort auf die Transportprobleme und den drohenden Verkehrskollaps der Zukunft? Man setzt sich in eine Kapsel und düst dann schwebend in Höchstgeschwindigkeit durch eine Vakuum-Röhre. Die Ursprungsidee des Hyperloops klingt wie aus einem Science-Fiction-Roman. Am Dienstag wurde in Los Angeles die erste Teststrecke eröffnet. Was auf dem ersten Blick wirkt wie ein Werbegag von Milliardär Elon Musk, könnte die Mobilität revolutionieren, sagt SZ-Korrespondent Jürgen Schmieder. Weitere Themen: Einwanderungsgesetz, EU-Kommission und Italien einig, EU verbietet Plastik-Wegwerfprodukte. So können Sie unseren Nachrichtenpodcast abonnieren "Auf den Punkt" ist der Nachrichtenpodcast der SZ mit den wichtigsten Themen des Tages. Der Podcast erscheint von Montag bis Freitag immer um 17 Uhr. Sie finden alle Folgen auf sz.de/nachrichtenpodcast. Verpassen Sie keine Folge und abonnieren Sie unser Audio-Angebot, etwa bei: iTunes Spotify Deezer oder in Ihrer Lieblings-Podcast-App. Sie haben Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie uns: podcast@sz.de.
In Los Angeles gibt es eine Teststrecke für die Hyperloops von Elon Musk. Doch sind sie eine Antwort auf die Transportprobleme und den drohenden Verkehrskollaps der Zukunft?
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/podcast-nachrichten-hyperloop-musk-los-angeles-1.4259317
"SZ-Podcast ""Auf den Punkt"" - Nachrichten vom 19.12.2018"
00/12/2018
Einige Neuerungen für Autofahrer im Jahr 2019 betreffen nur E-Autos, aber auch in der Kfz-Versicherung ändern sich für viele Menschen die Konditionen. Diesel müssen draußen bleiben, dafür braucht man nicht mehr zur Zulassungsstelle, um sein Fahrzeug anzumelden. Welche Änderungen Autofahrer im kommenden Jahr erwarten. Elektromobilität ist keine Nische mehr und die dreckige Luft in den Städten soll mit Fahrverboten bekämpft werden. Für Autofahrer wird sich im Laufe des kommenden Jahres einiges ändern. Je nachdem, welches Auto man fährt und wo man es nutzt, kann das bedeuten, dass man tiefer in die Tasche greifen muss oder aber steuerlich entlastet wird. Was Autofahrer 2019 erwartet - ein Überblick. Steuervorteile für Elektroautos als Dienstwagen Wer ein Elektroauto oder einen Plug-in-Hybrid als Dienstwagen und privat nutzt, profitiert ab dem 1. Januar 2019 von einem Steuervorteil. Statt einem Prozent muss der Arbeitnehmer dann nur 0,5 Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Diese Regelung ist zunächst bis Ende 2021 festgelegt. Neue Einstufung bei der Autoversicherung Etwa elf Millionen Autofahrer sind von Änderungen bei den Typ- und Regionalklassen in der Kfz-Versicherung betroffen. Dabei wird es für etwa die Hälfte der Betroffenen teurer, für die andere Hälfte sinken die Beiträge. (In welcher Typklasse sich Ihr Auto befindet, können Sie hier überprüfen.) Fahrverbote in deutschen Städten Vom 1. Januar an müssen im gesamten Stuttgarter Stadtgebiet auswärtige Diesel mit der Schadstoffklasse Euro 4 oder niedriger draußen bleiben. Ab 1. April gilt das Fahrverbot dann auch für Stuttgarter. Nicht davon betroffen sind Reisebusse, Taxis, Oldtimer mit entsprechendem Kennzeichen sowie Einsatz- und Hilfsfahrzeuge. Zudem gibt es die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen. Auch für weitere deutsche Städte gibt es Gerichtsurteile, nach denen im Laufe des kommenden Jahres Fahrverbote für ältere Diesel angewandt werden müssen. Maut im Ausland Wer in Österreich mautpflichtige Straßen benutzt, muss ab 2019 mehr bezahlen. Die Preise für eine Pkw-Jahresvignette steigen auf 89,20 Euro (plus 1,90 Euro), ein Pickerl für zwei Monate wird 60 Cent teurer (dann 26,80) und für zehn Tage zahlt man ebenfalls 60 Cent mehr (9,20 Euro). Auch in der Schweiz steigen die Maut-Gebühren leicht an: Die Jahresvignette kostet dann 75 Cent mehr als 2018 (36,50 Euro). Fahrgeräusche bei Elektroautos Das akustische Warnsystem AVAS (Acoustic Vehicle Alerting System) wird vom 1. Juli an für alle neuen Elektroautotypen zur Pflicht. Alle E-Autos und Plug-in-Hybride, die neu auf den Markt kommen, müssen dann bis zu einer Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde ein Warnsignal von sich geben. Das Warnsystem erzeugt diesen Ton automatisch und kann nicht manuell abgeschaltet werden. An- und Ummeldung über das Internet Im Laufe des Jahres soll es möglich werden, Fahrzeuge online an- und umzumelden. Auch das Umschreiben auf einen neuen Besitzer soll dann ohne Besuch auf der Zulassungsstelle funktionieren. Was man allerdings dafür braucht: einen Personalausweis mit aktivierter ID-Funktion. Neues Messverfahren zum Schadstoffausstoß Seit September dieses Jahres gilt bereits das sogenannte WLTP-Verfahren, das den Schadstoffausstoß und Verbrauch von Neuwagen misst. Allerdings läuft dieses Verfahren weiterhin auf einem Prüfstand. Ab September 2019 ist das RDE-Verfahren ausschlaggebend, bei dem mit einem portablen Messgerät der tatsächliche Schadstoffausstoß auf der Straße gemessen wird. Dadurch sollen die Messwerte realistischer sein als unter den bisher herrschenden Laborbedigungen.
Diesel müssen draußen bleiben, dafür braucht man nicht mehr zur Zulassungsstelle, um sein Fahrzeug anzumelden. Welche Änderungen Autofahrer im kommenden Jahr erwarten.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/autofahrer-aenderungen-2019-1.4257369
Das ändert sich für Autofahrer 2019
00/12/2018
Wer zu bequem ist, Eis zu kratzen, der startet sein Auto und wartet in der warmen Wohnung. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Fahrzeug. Der Audi parkt an der Straße und der Motor läuft. Es sitzt kein Fahrer am Steuer, weit und breit ist niemand zu sehen. Dieselgeruch flutet die Wohnsiedlung. Es ist ein kalter Wintertag, aber nicht so frostig, dass sich Eis auf den Scheiben der Autos gebildet hätte. Der Grund für den laufenden Motor ist allein die Bequemlichkeit des Besitzers: Er scheut die Kälte und will direkt nach dem Frühstück in ein warmes Autos einsteigen. Dieses Verhalten lässt sich nicht einfach als Unsitte abtun. Es zeigt eine Ignoranz auf vielen Ebenen. Die Botschaft lautet: Umweltschutz ist nur von Bedeutung, solange er nicht der eigenen Bequemlichkeit im Wege steht. Dabei sind die positiven Effekte des Motor-warmlaufen-lassens bestenfalls überschaubar. Oder wie es ADAC-Sprecher Hans Pieper für die Nachrichtenagentur dpa zusammenfasst: "Es macht unnötigen Lärm, erhöht den Verschleiß und bringt zudem nicht viel." Das beginnt bei den technischen Risiken: "Ein Kaltstart bedeutet für den Motor eine Extrembelastung", sagt Vincenzo Lucà vom TÜV Süd. Je länger das Auto danach steht, umso schlechter ist es für das Triebwerk, da es bei geringen Drehzahlen langsamer warm wird. Das führt zu schnellerem Verschleiß, weil zum Beispiel das noch dickflüssige Öl nicht an alle Schmierstellen gelangt. Hinzu kommt der höhere Ausstoß von Abgasen, da der Spritverbrauch bei einem kalten Motor um ein Vielfaches größer ist. "Hochgerechnet würde ein Benzinmotor auf diese Weise 25 bis 30 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen", sagt Vincenzo Lucà. Einige Minuten nach dem Losfahren reguliert sich der Effekt. So lässt sich die Scheibe enteisen Trotzdem lassen sich einige Autofahrer im Winter nicht von dieser Methode abbringen. Das Argument, das immer fällt ist: Anders ließen sich die Scheiben nicht vom Eis befreien. Bereits nach 100 Metern sei die Sicht wieder verschleiert. Und bevor man selbst zum Sicherheitsrisiko würde, nähme man die Umweltverschmutzung lieber in Kauf. Das ist Unsinn. Es gibt viele effektivere Methoden, die Scheibe von Eis zu befreien. Die naheliegendste ist, den Frost vor der Fahrt mit Kratzer oder mit Sprays auf Alkoholbasis zu entfernen. Wem das zu mühselig ist: Eine Folie auf der Frontscheibe am Vorabend verhindert das Vereisen der Scheibe. Beschlägt sie von innen, hilft die "Defrost"-Funktion der Belüftung. Das Gebläse auf volle Leistung, am besten mit Klimaanlange, schon verschwindet der Schleier. Zudem gibt es spezielle Fensterleder, mit der sich die Scheiben von innen reinigen lassen. Wer häufiger mit diesem Problem zu kämpfen hat: Eine Dose mit Holzkohle oder Kaffee entzieht der Luft die Feuchtigkeit. Den Motor warm laufen lassen ist verboten Bleiben nur noch die Bequemlichkeit der Autofahrer und die Sehnsucht nach ein bisschen Wärme. Dabei ist der Effekt auf die Heizung nur gering, wenn der Motor im Stand läuft. Ein Test des ADAC bei minus zehn Grad zeigte, dass die Luft aus dem Gebläse nach vier Minuten gerade einmal eine Temperatur von 13 Grad erreichte. Heimelig warm geht anders. Und selbst wenn: Den Motor im Stand zu diesem Zweck laufen zu lassen, ist schlichtweg verboten. Das besagt Paragraf 30 der Straßenverkehrsordnung: "Bei der Benutzung von Fahrzeugen sind unnötiger Lärm und vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen (...)" So kann der Rat an alle, die im Winter trotzdem ihr Auto warmlaufen lassen wollen, nur lauten: Lassen Sie es bleiben. Der Umwelt und dem Auto zuliebe. Wem die Wärme im Winter wirklich so wichtig ist, rüstet eine Standheizung nach. Die sorgt für angenehme Temperaturen per Fernbedienung, ganz ohne den Motor zu starten. Der größte Vorteil ist: Um sie einzuschalten, müssen Sie nicht einmal die Wohnung verlassen.
Wer zu bequem ist, Eis zu kratzen, der startet sein Auto und wartet in der warmen Wohnung. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch dem Fahrzeug.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/motor-warmlaufen-lassen-1.4252734
Auto warmlaufen im Winter: Lieber bleiben lassen
00/12/2018
Weil es in Tel Aviv keine U- oder S-Bahnen gibt, steigen viele Einwohner aufs Elektrofahrrad - und versuchen so, dem Stau zu entgehen. Doch das bringt nun neue Probleme mit sich. Dieser Blick ist kaum zu toppen: Wenn man den Hafen und die Altstadt von Jaffa hinter sich lässt, breitet sich der Sandstrand und dahinter die Skyline von Tel Aviv aus. Da fällt es kaum auf, dass es leicht bergauf geht. Es ist auch nur eine kleine Steigung, die man mit einem Elektrofahrrad (noch) leichter bewältigt. Vor allem, wenn es dampfend heiß ist. Die Hitzeperioden können sich von Mai bis Oktober erstrecken, wochenlang kühlt es auch in den Nächten nicht ab. Tel Aviv hat zwar nicht so viele Hügel und damit Steigungen wie Jerusalem, aber ganz flach ist das Gelände nicht. Gepaart mit der Schwüle wird das Radfahren rasch zum schweißtreibenden Unterfangen. Deshalb steigen viele auf Elektroräder und E-Scooter um. In Israel sind laut Verkehrsministerium etwa 250 000 E-Bikes unterwegs - das ist angeblich die weltweit höchste Zahl pro Einwohner. Sie stehen ganz selbstverständlich vor Restaurants, Bars und Büros, viele Radfahrer flanieren mit den entnehmbaren Akkus durch die Straßen oder nehmen sie mit an den Strand. Der Fahrrad-Boom hat aber auch negative Auswirkungen auf andere Verkehrsteilnehmer, vor allem auf Autofahrer und Fußgänger: Insbesondere in den Stoßzeiten, wenn Fahrzeuge mit vier Rädern kaum vorwärts kommen und im Stau stehen, flitzen die E-Biker recht ungestüm vorbei. Sie können von rechts und von links kommen, mit Geschwindigkeiten bis zu 40 Stundenkilometer. Viele nutzen auch Gehwege mit ihren Elektrobikes und -rollern, wo dann aufgeschreckte Passanten zur Seite springen. Auf den Rädern fahren auch schon mal Tiere mit Bisher gab es nur wenige Regeln, die vorschreiben, wie man sich mit diesen Gefährten im Straßenverkehr zu verhalten hat. Zumal die Räder nicht nur für die Fortbewegung eines Menschen genutzt werden. Häufig kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus, wer oder was da alles Platz findet: Neben zwei Kindern noch allerlei Gepäck und ein Hund. Das soll sich unter dem Eindruck der steigenden Zahl von Verkehrstoten nun ändern. In den ersten neun Monaten 2018 verunglückten bereits 18 Menschen auf E-Bikes oder E-Scootern. Das ist ein massiver Anstieg im Vergleich zu den beiden Vorjahren, da waren es jeweils zehn auf das gesamte Jahr gerechnet. Ein Hauptgrund ist, dass immer mehr batteriebetriebene Fahrräder und Roller unterwegs sind. Die größeren Geschäfte in Tel Aviv nennen Verkaufszahlen von tausend Stück pro Monat. Die Regierung hat daher Anfang Dezember beschlossen, dass vom 1. Januar für die Nutzung von E-Bikes ein Autoführerschein notwendig ist. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit, eine Prüfung für die neu eingeführte Klasse A3 zu absolvieren, die sich aus einem aus 30 Fragen bestehenden Theorietest zusammensetzt. Zu dieser Prüfung dürfen alle antreten, die älter als fünfzehneinhalb Jahre sind. Bisher hätten unter 16-Jährige kein E-Bike nutzen dürfen. Allerdings wurde diese Vorschrift von der Polizei bisher nur lax gehandhabt, was sich nun ändern soll. Seit kurzem können Räder in dieser Altersgruppe sogar beschlagnahmt werden.
Weil es in Tel Aviv keine U- oder S-Bahnen gibt, steigen viele Einwohner aufs Elektrofahrrad - und versuchen so, dem Stau zu entgehen. Doch das bringt nun neue Probleme mit sich.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/radfahren-tel-aviv-1.4247317
Radfahren in Tel Aviv - Mit E rollt es leichter
00/12/2018
Bremsen, anfahren, rollen, wieder bremsen. Aufpassen, dass man dem Vordermann nicht hinten drauf fährt. Stop-and-go-Verkehr ist lästig und unproduktiv. Aber bald fährt das Auto von alleine. Zeitung lesen, Mails checken, frühstücken - ganz legal: Das ist die Zukunft der selbstfahrenden Autos. Sie hört sich wahnsinnig praktisch an. Und glaubt man den Ankündigungen der Hersteller, kann es eigentlich nicht mehr lange dauern. Wie soll es auch anders sein, wenn Tesla sein System bereits seit Jahren "Autopilot" nennt. Doch die Wahrheit ist: Bis man wirklich das Steuer komplett aus der Hand geben kann, werden noch einige Jahre vergehen. Denn erst einmal müssen Mensch und Auto lernen, sich aufeinander abzustimmen. Und das ist gar nicht so einfach. Was man als Kunde heute in einem Auto kaufen kann, sind so genannte "Level-2-Systeme." Der Fahrer muss permanent den Verkehr und die Assistenzsysteme überwachen. Hände vom Lenkrad nehmen oder schnell eine Nachricht schreiben? Nicht erlaubt. Die nächste Entwicklungsstufe sind jedoch nicht Fahrzeuge, die komplett vom Start bis zum Ziel autonom unterwegs sind (Level 4), sondern nur in bestimmten Situationen den Fahrer ersetzen. Der Hersteller garantiert, dass sein System dann die Kontrolle übernimmt. Technisch ausgedrückt geht es um "Level-3-Systeme". Als erster Hersteller hat Audi verkündet, im 2017 vorgestellten A8 die Technik für einen Staupiloten verbaut zu haben, der es dem Fahrer ermöglicht, sich in bestimmten Situationen ganz dem selbstfahrenden Auto anzuvertrauen. Freigeschaltet ist die Funktion allerdings auch ein Jahr später noch nicht. Das liegt laut Audi ausschließlich daran, dass bestimmte international gültige Vorschriften noch nicht auf automatisierte Fahrzeuge angepasst wurden. Sprich: Es gibt aktuell keine Zulassung für derartige Level-3-Systeme. Abgesehen von Zertifizierungshürden müssen sich die Hersteller mit einem anderen Problem beschäftigen: Wenn das Auto nur bestimmte Situationen sicher beherrscht, muss es seinen Fahrer rechtzeitig darüber informieren, dass er wieder selbst ans Steuer muss. Maschine und Mensch müssen sich abstimmen. Und das ist komplizierter, als es scheint. Denn rechtliche Vorgaben, wie lange die Übernahmezeit sein muss, gibt es nicht. Das vom Bund mit 36,3 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt "Ko-Haf" (kooperatives hochautomatisiertes Fahren), an dem sowohl Autohersteller als auch Zulieferer und Universitäten beteiligt waren, liefert jetzt umfassende Daten darüber, welche Faktoren eine Rolle spielen, wenn Auto und Fahrer wechselseitig für die Sicherheit verantwortlich sind. Doch wie die Hersteller diese Erkenntnisse nutzen oder was der Gesetzgeber daraus für rechtliche Rahmenbedingungen ableitet, ist offen. Unter der Führung von Wissenschaftlern der TU München testeten über 1700 Menschen das autonome Fahren im Fahrsimulator und teilweise auch direkt im realen Autobahnverkehr. Das dort benutzte Auto war mit Systemen ausgestattet, die dem Fahrer signalisierten, dass er die Kontrolle komplett abgeben kann, teilweise war das Fahrzeug bis zu eineinhalb Stunden autonom unterwegs. Als Absicherung gab es einen Aufpasser, der immer vom Beifahrersitz aus hätte eingreifen können. Zwischendurch kam es immer wieder zu Situationen, in denen das Auto den Fahrer aufforderte, wieder selbst das Steuer zu übernehmen - damit erlebten die Probanden genau das, was der nächste Schritt hin zum selbstfahrenden Auto sein wird. Die Forscher wollten wissen: Was passiert, wenn ein Mensch am Steuer sitzt, aber nicht mehr auf den Verkehr achten muss? Und wie kann man sicherstellen, dass er wieder rechtzeitig das Kommando übernimmt, wenn die Technik an ihre Grenzen gerät. Und überhaupt: Wann ist eine Aufforderung "rechtzeitig"? Professor Klaus Bengler, Leiter des Instituts für Ergonomie an der TUM formuliert es so: "Gibt es positive oder negative Effekte auf die Übernahmezeit bei Tätigkeiten, die jetzt noch am Steuer verboten sind, wie zum Beispiel Essen oder auf mit dem Handy Nachrichten zu schreiben?" Und er schiebt sofort hinterher: "Die magische Sekundenzahl, die jeder hören will, die gibt es nicht." Jedes Blinzeln und jedes Ruckeln im Sitz wird künftig vom Auto registriert und interpretiert Die erste Erkenntnis aus den Versuchen ist wenig überraschend: Wenn der Fahrer nicht mehr auf den Verkehr achten muss und auch sonst keine andere fordernde Aufgabe hat, wird er nach einer gewissen Zeit unaufmerksam und träge. "Automationseffekt" nennen das die Fachleute. Dass man dem entgegenwirken kann, haben die Fahrversuche der Münchner Forscher ebenfalls gezeigt. "Tetris spielen" ist laut Jonas Radlmayr, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Versuche betreute, eine gute Möglichkeit, den Fahrer geistig so sinnvoll zu beschäftigen, dass er schnell wieder aufnahmefähig ist, wenn das Auto nicht mehr alleine steuern kann. Die Übernahmezeit verlängern würden dagegen alle Tätigkeiten, bei denen der Fahrer etwas in beiden Händen hält - keine gute Nachricht für alle, die sich im Stop-und-Go-Verkehr schon mit dem Kaffeebecher in der einen und der Zigarette in der anderen Hand sehen. Um überhaupt eine sinnvolle Übernahmezeit bestimmen zu können, braucht das Assistenzsystem möglichst viele Informationen über den aktuellen Zustand des Fahrers. Das bedeutet in der Praxis: Jedes Blinzeln und jedes Ruckeln im Sitz wird registriert und interpretiert. Das geht zum Beispiel mit Sensoren im Sitz, die unter anderem feststellen können, wenn sich der Fahrer in eine andere Richtung dreht. Hebt er vielleicht gerade etwas im Fußraum auf, könnte das bei einem plötzlich notwendigen Fahrmanöver deutlich kritischer als wenn er im bordeigenen Entertainmentsystem eine Mail liest. Das System muss also so intelligent sein, dass es weiß, was der Fahrer gerade macht - und dann die jeweils passende Übernahmezeit berechnen. Dass diese Zeitspanne nach den Untersuchungen in Ko-Haf außerdem davon abhängt, wie herausfordernd die Situation ist, die der Fahrer dann wieder selbst bewältigen muss, macht es zusätzlich kompliziert. "Die Krux ist, dass die jetzt schon vorhandenen Systeme in vielen Fällen gut funktionieren und dem Fahrer eine Sicherheit vermitteln, die es in der Realität noch nicht gibt", warnt Klaus Bengler. Die Unwissenheit der Autofahrer sei groß, was man denn nun schon nebenbei machen dürfe und was nicht. Aktuell lautet die Antwort: Nichts. Und das wird bis auf weiteres auch so bleiben.
Schon bald sollen Autos bestimmte Situationen autonom bewältigen. Die entscheidende Frage lautet dann: Was darf der Fahrer nebenbei machen? Die ernüchternde Antwort darauf: nichts.
auto
https://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-von-wegen-zeitung-lesen-1.4247321
Von wegen Zeitung lesen
00/12/2018
Über Jahrzehnte wurden Fußgänger von Stadtplanern buchstäblich an den Rand gedrängt, nach wie vor werden Gehsteige zugeparkt. Doch einige Kommunen wollen das ändern - wie das Beispiel Leipzig zeigt. Jeder Verkehrsteilnehmer ist auch Fußgänger, sagt Friedemann Goerl. Immer mal wieder jedenfalls, und sei es auf dem Weg zur Straßenbahn oder zum Auto. Dieser Umstand ist ein großer Vorteil für den 29-Jährigen, denn damit kann er für sich beanspruchen, in seinem Job alle 580 000 Leipziger zu vertreten. Seit elf Monaten ist Friedemann Goerl Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt und damit der erste seiner Art in Deutschland. Goerls Pionierarbeit fällt in eine Zeit, in der Verkehrsplanung in den Städten stetig komplizierter wird. Immer mehr Menschen ziehen in die Ballungszentren, wo der Platz aber nicht wächst oder durch Nachverdichtung sogar weniger wird. Die Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern nehmen zu und immer häufiger stellt sich die Frage: Für wen stellt man öffentlichen Raum zur Verfügung? Straßen und Parkplätze für Autos? Schienen und Busspuren für den öffentlichen Nahverkehr? Mehr und breitere Radwege? Und wo bleibt da eigentlich der Fußgänger? "Der fällt meist ein bisschen runter, wenn sich niemand um ihn kümmert", erklärt Goerl. Deshalb hat sich die Stadt Leipzig nach jahrelangen Debatten dazu entschlossen, Anfang 2018 die Stelle des Fußgänger-Beauftragten zu schaffen. Seitdem läuft jede Verkehrsplanung der Stadt über den Schreibtisch des jungen Geografen. Er passt auf, Bordsteine rund um Seniorenheime abzusenken als Hilfe für alte Menschen mit Rollatoren. Er verhindert, dass Fußgänger Umwege in Kauf nehmen müssen. Goerl achtet auf Barrierefreiheit. Einmal verhinderte er, dass der Gehweg zu einem Kindergarten vergessen wurde. Er erlebe dabei in der Verwaltung keine Fronten oder Gegenspieler, sondern eher die Reaktion: "Ach, das haben wir noch gar nicht so gesehen." Der Leipziger bestätigt damit eine der Hauptaussagen der Studie "Geht doch!", in der das Umweltbundesamt, abgekürzt: UBA, kürzlich die Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie festhielt. Der Fußverkehr werde nicht als gleichberechtigt wahrgenommen, steht darin. Er gelte "in Deutschland immer noch als unwichtig, unattraktiv und wenig zeitgemäß". Auf insgesamt fast 50 Seiten legen die Fachleute des UBA dar, wieso es sich lohne, den Fußverkehr vor allem in den Städten zu stärken und wie das umsetzbar wäre. Zu Fuß gehen sei gesund, heißt es da. Es fördere den Klimaschutz, Städte würden zu "Orten der Begegnung und des sozialen Miteinanders". Auch örtliche Geschäfte profitierten von mehr Fußverkehr. Senioren seien auf sichere Gehwege angewiesen, genauso wie Kinder. Angestrebt werde, den Anteil des Fußverkehrs von durchschnittlich 27 Prozent in den Städten auf 41 Prozent zu steigern. In ländlichen Kreisen von derzeit 24 Prozent auf 35 Prozent. Das geht allerdings nicht, ohne anderen Verkehrsteilnehmern Rechte und Räume zu kürzen. In den meisten Fällen dem Autofahrer. So schlägt das UBA vor, innerorts Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit zu verfügen, weil zu viele Fußgänger Opfer von Unfällen werden. Ampeln sollen so lange Grünphasen haben, dass alle ausreichend Zeit für die Querung der Kreuzung erhalten. Verkehrsplaner sollten von außen nach innen denken, also zuerst die Bedürfnisse der Fußgänger beachten, die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen empfiehlt eine Gehwegbreite von mindestens 2,5 Meter. Außerdem soll der Raum für Parkplätze verringert werden: Von derzeit etwa 4,5 Quadratmeter pro Einwohner auf drei Quadratmeter, perspektivisch sogar auf 1,5 Quadratmeter. "Die Studie hätte auch von uns sein können", sagt Roland Stimpel. Er ist Sprecher des Lobbyverbands Fuss e.V. und freut sich "außerordentlich, dass sich eine Bundesbehörde soweit aus dem Fenster lehnt". Denn für ihn sei der Zustand des Fußverkehrs im Land nach wie vor schlecht. Stimpels Verband kritisiert, dass die Straßenverkehrsordnung von dem Geist getragen werde, der Sinn des Verkehrs sei die effiziente Abwicklung des Autoverkehrs. "Die anderen Teilnehmer sind nebensächlich und haben vor allem die Aufgabe, die Straße schnell zu verlassen", beklagt er. Die Fußgänger-Vertreter fordern ein höheres Bußgeld, wenn Radfahrer auf Gehwegen fahren oder Autos dort parken. In Frankreich etwa koste das pauschal 135 Euro, weiß Stimpel. Doch in Deutschland seien weder der Bund noch die meisten Kommunen bereit, die Verkehrspolitik entsprechend zu ändern. "Es gibt selbst Oberbürgermeister der Grünen, die uns sagen: Der Parkdruck ist so hoch, dass wir weiterhin ein Auge zudrücken und es zulassen, dass Autos den Gehweg zuparken, obwohl es verboten ist", erzählt er. Wenn eine Kommune sich dennoch mal traut, Plätze und Straßen im Sinne der Fußgänger umzugestalten, droht mitunter heftiger Gegenwind. In Hannover beispielsweise war ein Gehweg, den viele Schulkinder nutzen, ständig von Autos zugeparkt. Als die Verwaltung Poller aufstellte, um das illegale Parken zu unterbinden, brodelte es zuletzt bei einer Sitzung des Bezirksrats: Zahlreiche Anwohner und Geschäftsleute beschwerten sich, es gebe nun zu wenig Parkraum für ihre Autos im Viertel. "So hart sind die Konflikte", sagt Stimpel, "der Verteilungskampf bricht aus." Er sehe aber, dass sich in den Innenstädten die Stimmung allmählich drehe. Die Bewohner dort seien mittlerweile weniger Auto-affin als früher. Im Verkehrsministerium stehen sie neuen Ansätzen eher skeptisch gegenüber Doch was sagt das traditionell eher autonahe Bundesverkehrsministerium zu den forschen Plänen des UBA? Auf Nachfrage der SZ erklärt das Haus von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der Fußverkehr habe eine "hohe Priorität", künftig werde es ein Referat mit dem Schwerpunkt Radverkehr und Fußverkehr geben. Die konkreten Anregungen allerdings stoßen auf Skepsis. Die Regelgeschwindigkeit innerorts auf Tempo 30 zu senken, sei "nicht sinnvoll", finden die Beamten, der Geschwindigkeitsvorteil auf Hauptstraßen sei wichtig. Die Bußgelder würden zwar demnächst geprüft, ob es dabei zu einer Änderung komme, müsse allerdings abgewartet werden. Und der wohl explosivsten Forderung des Umweltbundesamts weicht das Verkehrsministerium mehr oder weniger aus: Soll der Parkraum für Autos reduziert werden? Die Antwort aus dem Ministerium: "Ziel ist es, für alle Verkehrsmittel - einschließlich Fußgänger - gleichermaßen einen bestmöglichen Rahmen zu schaffen." In Leipzig geht derweil der Umbau weiter. Wenngleich langsamer als von einigen erhofft. Der Stadtteil Lindenau zum Beispiel ächzt unter dem Zustrom neuer Bewohner; am zentralen Verkehrsknotenpunkt, dem Lindenauer Markt, fand deshalb eine Zählung statt: Den nördlichen Bereich passierten in einer Stunde 1300 Fußgänger, 215 Radfahrer sowie 277 Autos. Dominiert wird der Platz aber nach wie vor von der Fahrbahn für die Autos. Der Stadtrat beschloss deshalb eine Umgestaltung, an dessen Ende der Autoverkehr auf Teilen ganz ausgeschlossen wird. "Die Konflikte sind natürlich da", berichtet der Fußverkehrs-Verantwortliche Friedemann Goerl. Aber wenn die Stadt dann das Straßenbild ändere, wenn Arbeiter Bäume pflanzten und so einen öffentlichen Raum schafften, wo Menschen gerne zu Fuß gehen und sich aufhalten, "dann stellt sich die Akzeptanz schnell ein".
Über Jahrzehnte wurden Fußgänger von Stadtplanern buchstäblich an den Rand gedrängt, nach wie vor werden Gehsteige zugeparkt. Doch einige Kommunen wollen das ändern - wie das Beispiel Leipzig zeigt.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/stadt-und-verkehrsplanung-platz-da-1.4247319
Stadt- und Verkehrsplanung - Platz da
00/12/2018
Bremsen, anfahren, rollen, wieder bremsen. Aufpassen, dass man dem Vordermann nicht auffährt. Stop-and-Go-Verkehr ist lästig und unproduktiv. Aber bald fährt das Auto von alleine. Zeitung lesen, Mails checken, frühstücken - ganz legal: Das ist die Zukunft der Insassen selbstfahrender Autos. Sie hört sich wahnsinnig praktisch an. Und glaubt man den Ankündigungen der Hersteller, kann es eigentlich nicht mehr lange dauern. Wie soll es auch anders sein, wenn Tesla sein System bereits seit Jahren "Autopilot" nennt? Doch die Wahrheit ist: Bis der Insasse wirklich das Steuer komplett aus der Hand geben kann, werden noch einige Jahre vergehen. Denn erst einmal müssen Mensch und Auto lernen, sich aufeinander abzustimmen. Was der Kunde heute kaufen kann, sind so genannte "Level-2-Systeme." Der Fahrer muss permanent den Verkehr und die Assistenzsysteme überwachen. Hände vom Lenkrad nehmen oder schnell eine Nachricht schreiben? Nicht erlaubt. Die nächste Entwicklungsstufe sind jedoch nicht Fahrzeuge, die komplett vom Start bis zum Ziel autonom unterwegs sind (Level 4), sondern in bestimmten Situationen den Fahrer ersetzen. Der Hersteller garantiert, dass sein System dann die Kontrolle übernimmt: "Level-3-Systeme". Als erster Hersteller hat Audi verkündet, im 2017 vorgestellten A8 die Technik für einen Staupiloten verbaut zu haben, der es dem Fahrer ermöglicht, sich in bestimmten Situationen ganz dem selbstfahrenden Auto anzuvertrauen. Freigeschaltet ist die Funktion allerdings auch ein Jahr später noch nicht. Das liegt laut Audi ausschließlich daran, dass bestimmte international gültige Vorschriften noch nicht auf automatisierte Fahrzeuge angepasst wurden. Sprich: Es gibt aktuell keine Zulassung für derartige Level-3-Systeme. Abgesehen von Zulassungsfragen müssen sich die Hersteller mit einem anderen Problem beschäftigen: Wenn das Auto nur bestimmte Situationen sicher beherrscht, muss es seinen Fahrer rechtzeitig darüber informieren, dass er wieder selbst ans Steuer muss. Maschine und Mensch müssen sich abstimmen. Und das ist komplizierter als es scheint. Denn rechtliche Vorgaben, wie lange die Übernahmezeit sein muss, gibt es nicht. Das vom Bund mit 36,3 Millionen Euro geförderte Forschungsprojekt "Ko-Haf" (kooperatives hochautomatisiertes Fahren), an dem sowohl Autohersteller als auch Zulieferer und Universitäten beteiligt waren, liefert jetzt umfassende Daten darüber, welche Faktoren eine Rolle spielen, wenn Auto und Fahrer wechselseitig für die Sicherheit verantwortlich sind. Doch wie die Hersteller diese Erkenntnisse nutzen oder was der Gesetzgeber daraus für rechtliche Rahmenbedingungen ableitet, ist offen. Was passiert, wenn Autos wirklich autonom fahren Unter der Führung von Wissenschaftlern der TU München testeten über 1700 Menschen das autonome Fahren im Fahrsimulator und teilweise auch direkt im realen Autobahnverkehr. Das dort benutzte Auto war mit Systemen ausgestattet, die dem Fahrer signalisierten, dass er die Kontrolle komplett abgeben kann, teilweise war das Fahrzeug bis zu eineinhalb Stunden autonom unterwegs. Als Absicherung gab es einen Aufpasser, der immer vom Beifahrersitz aus hätte eingreifen können. Zwischendurch kam es immer wieder zu Situationen, in denen das Auto den Fahrer aufforderte, selbst das Steuer zu übernehmen - damit erlebten die Probanden genau das, was der nächste Schritt hin zum selbstfahrenden Auto sein wird. Die Forscher wollten wissen: Was passiert, wenn ein Mensch am Steuer sitzt, aber nicht mehr auf den Verkehr achten muss? Und wie kann man sicherstellen, dass er wieder rechtzeitig das Kommando übernimmt, wenn die Technik an ihre Grenzen kommt? Und überhaupt: Wann ist eine Aufforderung rechtzeitig? Professor Klaus Bengler, Leiter des Instituts für Ergonomie an der TUM formuliert es so: "Gibt es positive oder negative Effekte auf die Übernahmezeit bei Tätigkeiten, die jetzt noch am Steuer verboten sind, wie zum Beispiel Essen oder mit dem Handy Nachrichten zu schreiben?" Und er schiebt sofort hinterher: "Die magische Sekundenzahl für alle denkbaren Sitationen, die gibt es nicht."
Schon bald sollen Autos bestimmte Situationen alleine bewältigen. Die entscheidende Frage lautet: Was darf der Fahrer nebenbei machen? Die ernüchternde Antwort: nicht viel.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-uebernahme-1.4249803
Autonomes Fahren - Von wegen Frühstücken und Zeitung lesen
00/12/2018
So richtig schön ist der VW Bulli, Sondermodell "Samba", nicht mehr anzuschauen. Eine der Türen sieht aus, als habe eine Horde Mäuse in einer blechernen Fressattacke versucht herauszufinden, ob Metall genauso lecker ist wie Käse. Die offensichtliche Antwort: ja. Der komplette Unterboden des Busses schimmert rostrot. Genauso wie die Radkappen oder das Gaspedal. Die Sitzbezüge sind zerschlissen, der Dachhimmel verdreckt und vergilbt. Der Motor läuft nicht mehr. Jeder, der dieses Auto sieht, dem würde nur ein Begriff dafür einfallen: Schrottkarre. Nicht so Lucas Kohlruss, der diesen Haufen Blech vor einigen Wochen an seinen neuen Besitzer vermittelte. Er sagt bloß: "Das ist der Heilige Gral." Kohlruss muss es wissen, er besitzt selbst acht VW-Busse. Sie tauchen in Werbespots auf, im Fernsehen, in Kinofilmen, er veranstaltet mit ihnen unter dem Firmennamen "Old Bulli Berlin" Stadtrundfahrten und Junggesellenabschiede in der Hauptstadt. Nebenbei sucht und verkauft er klassische VW Käfer und Transporter. Die findet er hauptsächlich in den USA, wo das Klima milder ist. In Deutschland setzen viel Regen, harte Winter und das Streusalz auf der Straße den Oldtimern zu. Einen T1 Samba im Originalzustand in Europa, hergestellt im eigenen Land, das gibt es eigentlich nicht mehr. Kein anderer Oldtimer hat mehr an Wert gewonnen Bis Kohlruss einen Anruf erhielt. Der Mann am Telefon behauptete, er besäße genau so ein Modell. Einen VW Bulli Samba, Baujahr 1965, mit den charakteristischen 21 Fenstern. Geparkt seit 30 Jahren in einer Scheune bei Hannover mit lückenlosen Papieren, im Originalzustand. Verbriefte 24 904 Kilometer. Selbst die Quittung der Abmeldung gibt es noch: 23. Februar 1987. Der Heilige Gral. Die Nachricht machte schnell die Runde. "Innerhalb von zwei Tagen wusste die ganze Bulli-Szene, dass es dieses Auto gibt", erklärt Kohlruss. VW-Busse der ersten Generation, die zwischen 1950 und 1967 hergestellt wurden, sind seit einigen Jahren die Oldtimer mit der höchsten Wertsteigerung. Gut erhaltene Fahrzeuge können bis zu 50 000 Euro kosten. Das Sondermodell Samba, das 1951 auf der IAA debütierte, ist besonders gesucht und deshalb noch einmal deutlich teurer. Es unterscheidet sich vom Standard-T1 durch die zweifarbige Lackierung, verchromte Radkappen, das Faltschiebedach und die kleinen Sichtfenster an der Dachkante. Das führte in den letzten Jahren sogar immer wieder dazu, dass einfallsreiche Betrüger den herkömmlichen T1 umbauten. "Die sägen das Dach ab, machen Fenster rein und verkofen ihn für das Doppelte", erklärt Experte Lucas Kohlruss in breitem Berlinerisch. Mittlerweile gibt es mehr Sambas auf dem Markt, als gebaut wurden. Taucht eines der seltenen Originale auf, zahlen Sammler 100 000 Euro und mehr. Dabei sind die Kosten für eine Restaurierung noch nicht mit eingerechnet. Schon als Kind träumte er vom eigenen Bulli Ganz so teuer wurde es für den neuen Besitzer des Sambas aus Hannover nicht. Kohlruss stellte den Kontakt zu Martin Dreher her, der das Wrack für einen mittleren fünfstelligen Betrag kaufte. Warum der VW Bus drei Jahrzehnte vor sich hin rottete, weiß er nicht. Vier Halter hatte der 44 PS starke T1, der zuerst in Braunschweig zugelassen wurde und Zeit seines Autolebens in Niedersachsen blieb. Der letzte Besitzer parkte den VW-Bus in einer Scheune und schenkte ihn irgendwann seinem Neffen, dem das Auto erst wieder einfiel, als er Geld für den Bau eines Hauses benötigte. Für Dreher ein echter Glücksfall. "Die Leidenschaft zum Bulli war schon von Kind auf da", sagt er. Sein Vater arbeitete 25 Jahre lang bei VW und leitete zuletzt das Volkswagen-Zentrum in Berlin. Schon früh war ihm klar, dass es unbedingt ein Bulli sein sollte, am besten ein Samba. Ein Auto, das ganze Generationen und Subkulturen geprägt hat. Hippies, Surfer, Musiker, die Anti-Atomkraftbewegung, sie alle fuhren Bulli. Und liebten das Auto für seine Vielseitigkeit und seinen unprätentiösen Auftritt. Auch der Krankentransportunternehmer Martin Dreher konnte sich dieser Faszination nicht entziehen. Im Moment ist er noch auf der Suche nach einer Werkstatt, die in der Lage ist, seinen Samba zu restaurieren. Dabei wird das Auto komplett zerlegt, aufbereitet und unter Verwendung von so vielen Originalteilen wie möglich wieder zusammengesetzt. Mindestens ein Jahr wird das dauern und zusätzlich zu den Anschaffungkosten noch einmal zehntausende Euro verschlingen. Wie viel genau, das zeigt sich laut Lucas Kohlruss erst im Laufe der Restauration. Danach soll der VW-Bus im gleichen Zustand sein, wie bei seiner Erstauslieferung 1965. Im Gegensatz zu seinem letzten Besitzer wird er die nächsten Jahrzehnte aber nicht in einer zugigen Scheune darben. "Fahren will ich das Auto natürlich auch", sagt Martin Dreher. Und fügt hinzu: "Aber nur bei schönem Wetter." Für einen weiteren Rostbefall ist der Samba seinem neuen Besitzer nämlich viel zu schade.
30 Jahre stand der Bulli, Sondermodell "Samba", vollkommen unberührt in einer Scheune bei Hannover. Ein Sensationsfund für VW-Fans. Der Schrotthaufen ist ein Vermögen wert.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/vw-bulli-samba-scheunenfund-1.4248051
VW Bulli Samba nach 30 Jahren entdeckt
00/12/2018
Vor 20 Jahren sah es auf dem weißblauen Planeten noch ganz anders aus. SUVs waren eine US-amerikanische Marotte, die mit Sportlichkeit nichts im Sinn hatte. Bei BMW drehte sich alles um die Modellreihen 3, 5 und 7, der Rest war Sternenstaub. Die Marke mit dem weißblauen Rundlogo war leicht zu erkennen: Das Cockpit Fahrer-orientiert, die Sitzposition tief, die Dächer flach und das Interieur fast komplett schwarz. Dann stellten die Münchner in den USA etwas Merkwürdiges vor: Ein 1,70 Meter hohes Auto, das über Schotter und Geröll brettern konnte. In Amerika war die Idee eines hochgebockten Sportwagens sofort populär. In Bayern wirkte "Boss", wie der X5 BMW-intern heißt, dagegen wie ein Ufo. Lang, lang ist´s her. Jetzt kämpfen solche Sternenkreuzer auch hierzulande um die Lufthoheit auf den Straßen. In Los Angeles hat BMW gerade die vierte Generation des Allradsportlers vorgestellt - und mit dem monströsen X7 noch einen draufgesetzt. Letztlich hat der Kunde immer Recht. Mehr als drei Millionen X-Modelle wurden bisher im US-Werk Spartanburg gebaut. BMW ist von der Limousinen- immer stärker zur X-Company geworden. Anders als bei ihrem Elektrovorreiter i3 hatten die Münchner als Hochdachpioniere den richtigen Riecher: Fast jede neue X-Baureihe war den Kernwettbewerbern zeitlich eine Nasenlänge voraus, die Absatzzahlen stiegen entsprechend. Nicht zuletzt auch wegen jener Coupés in Bergstiefeln, die BMW 2008 zuerst mit dem X6 lancierte. Was anfänglich als laszive Form von Luxus wirkte, verkaufte sich auch während der Weltwirtschaftskrise ausgesprochen gut. Luxus läuft. Und ein X4 wirkt heute so normal wie ein X2. Nicht weil diese Pseudo-Coupés unbedingt schön wären. Aber das Straßenbild hat sich in den letzten zehn Jahren komplett verändert. Und Limousinen sind nicht nur bei General Motors vom Aussterben bedroht. Selbst VW will zur SUV-Marke werden und bis 2025 jedes zweite Fahrzeug mit viel Bodenfreiheit verkaufen. Kein Wunder, Konzernchef Herbert Diess kommt schließlich von BMW. Er hat das Ruder im hohen Norden gerade noch rechtzeitig herumgeworfen: Der Familienklassiker Passat verkauft sich schlecht und das Werk Emden muss immer wieder Kurzarbeit anmelden. Demnächst sollen dort Elektroautos vom Band laufen. Ob die sich besser verkaufen? Oben Lounge-Atmosphäre, an den Füßen wird es eng Es ist die Macht des Faktischen, der sich auch der Testfahrer beugen muss. Fondpassagiere haben in den traditionellen BMW-Modellen nichts zu lachen, selbst in einem 7er sitzt man hinten schlechter als vorne (die Langversion einmal ausgenommen). In den großen X-Modellen herrscht dagegen luftige Lounge-Atmosphäre. Viel Fußraum gab es allerdings selbst im X5 bisher nicht - das ist der Fluch des hohen Bodens. Spötter bezeichnen den 1,80 Meter hohen BMW X7 als Wohnmobil mit Design-Ausstattung. Das Prestigemaß ist nicht mehr die lange Haube mit vielen Pferdestärken darunter, sondern die pure Kabinengröße. Weshalb die Erfolgsformel des BMW-Chefs Harald Krüger recht simpel ausfällt: "Unsere Offensive hat zwei Schwerpunkte: Luxus und X." 2018 ist das X-Jahr der Münchner: "Der neue X3, der coole X2, der athletische X4, der neue X5 und der X7 mit enormer Präsenz" (Krüger). Vielleicht sind das alles Dehnübungen für den Markenkern, der demnächst ja auch noch das hochautomatisierte Fahren verkraften muss. Wenn die Maschine lenkt, wird die Kabinengröße zum zentralen Verkaufsargument. Früher mussten BMWs als klassische Fahrerautos vor allem Spaß machen. Heute fühlen sich viele X-Modelle nach Unisex-Luxus an. Nicht schlecht, aber sie könnten auch aus Ingolstadt oder Stuttgart stammen. Die SUVs sind gerade in China beliebt, wo es keine Kindheitserinnerungen an deutsche Marken gibt. Alles wird zum Einheitslabel "Made in Germany". Der X2 fährt wie ein echter BMW Um so erstaunter ist man, wenn man in einen X2 steigt. Der Kleine ist nur wenig länger als ein Golf, liegt mit einer Dachhöhe von 1,53 Metern zwischen dem Kompakten und dem Golf Sportsvan - und fährt sich, oh Wunder, wie ein BMW früher fuhr. Kurven waren damals kein Hindernis für Schaukel-Sänften, sondern ein Anlass für die vielbemühte Freude am Fahren. Wie viele bezahlbare Autos gibt es noch, die bei schnellen Richtungswechseln ein präzises Gefühl für die Straße und die Haftgrenzen des Autos vermitteln? Wenn die Landschaft ohne Staupilot zügig vorbei fliegt, verzichtet man gerne auch mal auf das ganze Vernetzungs-Gedöns. Ein Anachronismus womöglich, denn in überfüllten Städten wird der Kampf um jeden Zentimeter Straße immer grimmiger. Was angesichts der Platznot zählt, ist der persönliche Freiraum. Also werden Autos für durchschnittlich 1,5 Passagiere immer größer, was die Verkehrslage konsequent verschlimmert. Eine zweite Entwicklung ist genauso staunenswert: Der SUV-Schwenk vom Diesel zum Benziner. Waren die hiesigen Allradkraxler früher meist unisono mit durchzugsstarken Ölbrennern ausgestattet, kämpfen immer öfter schmächtige Vierzylinder-Ottomotoren mit den überschüssigen Pfunden. Das hilft weder dem Spritverbrauch noch der Umwelt, wirkt aber als eingebaute Spaßbremse. Im mindestens 1800 Kilogramm schweren X4 xDrive30i fühlt sich der 185 kW (252 PS) starke Benziner seltsam untermotorisiert an. Dafür haben vier Erwachsene genügend Platz. Im direkten Vergleich wirkt der X2 winzig, für die Füße der Fondpassagiere bleibt lediglich ein Briefschlitz übrig. Das ist gute Tradition bei BMW. Hauptsache, der Fahrer saß möglichst nah am Dreh- und Schwerpunkt des Wagens. In der Redaktion gibt es, wie so oft, zwei Fraktionen: Für die Unaufgeregten ist der X4 der erste BMW überhaupt, in dem sie gerne längere Strecken unterwegs sind. Die anderen finden den kleinen Wilden authentischer - auch wenn er aussieht, als sei er aufs Dach gefallen. Dafür fahren die größeren X-Modelle als Benziner nicht unter acht Liter Durchschnittsverbrauch vom Hof. Es sei denn, man nimmt einen Plug-in-Hybriden, der noch einmal 200 Kilogramm mehr wiegt. Mit den Akkus der reinen Elektroautos geht diese Gewichtsspirale endgültig durch die Decke. Aber Hauptsache, die Decke hängt schön hoch.
BMW setzt voll auf den SUV-Trend. Die Freude am Fahren bleibt dabei auf der Strecke, wie sich bei X2 und X4 zeigt.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/autotest-bmw-x2-x4-1.4240977
BMW X2 gegen X4: Luxus plus X
00/12/2018
Radfahren ist für andere nicht nur dann gefährtlich, wenn das Zweirad gar keine Beleuchtung hat. Mit den Felgendynamos am Rad war früher alles klar: Radler sahen im Dunkeln nichts und wurden auch nicht gesehen. Mit modernen Leuchten wurde das anders - und unangenehm. Abends auf einer Brücke in einem Park. Unten fließt der Feierabendautoverkehr, oben laufen Jogger und rollen Fahrradfahrer aneinander vorbei. Ein Mann kommt entgegen, von seinem Fahrrad leuchtet einem eine Flutlichtanlage ins Gesicht und zwar so, dass die Lampe direkt in die Augen strahlt. Diese Lichtgestalt wird gewiss niemand übersehen - dafür sieht man nichts anderes mehr. Kurz bevor man an dem Leuchtmittel auf zwei Rädern vorbeirollt, taucht plötzlich ein kleines Kind auf, das ebenfalls auf einem Fahrrad unterwegs ist. Adrenalin flutet den Körper, fast wäre man mit dem Jungen kollidiert. Es war, dies zur Klärung des Beinaheunfalls, unmöglich, das Kind zu sehen: Die Lampe am Fahrrad des Vaters strahlte so grell und war so ungünstig eingestellt, dass der kleine Begleiter sozusagen im toten Winkel des Flutlichts fuhr. Früher, da war bestimmt nicht alles besser, aber aus Radfahrerperspektive gilt: Früher, da war auf jeden Fall alles dunkler. In der Epoche der Felgendynamos kam es auch vor, dass man im Winter in der Dunkelheit beinahe mit Radlern zusammenstieß - und zwar, weil sie kein Licht hatten und als finstere Phantome durch die Gegend rollten. Die Sache mit der Beleuchtung am Rad war allerdings auch ziemlich lästig. Der Dynamo raubte Kraft, weil er den Rollwiderstand erhöhte. Lag Schnee, rutschte das Ding ständig durch. Manchmal fraß sich das Rädchen in alte, poröse Reifen, wenn der Dynamo falsch eingestellt war. Und meistens ging das Licht sowieso nicht, weil ein Kabel irgendwo raushing, das Lämpchen durchgebrannt war oder sonst etwas nicht stimmte. Heute haben fast alle Radler Nabendynamos oder Stecklichter mit Akku, und die Hersteller überbieten einander in einer Art Lumen-Wettrüsten: Meine ist heller, meine ist greller! Wenn falsche Beleuchtung zur Blendfalle wird Leider ist die Neigung der Lampen sehr oft zu hoch eingestellt, sodass sich im Winter der Heimweg von der Arbeit in kurze Phasen des Blindflugs verwandelt. Immer wieder kneift man die Augen zusammen, wendet den Blick ab und rollt in gleißendes Flutlicht. Besonders gemein ist das, wenn es nieselt und sich auf den Brillengläsern Tropfen bilden. Die Wasserhäuflein streuen das Licht derart, dass wirklich gar nichts mehr zu sehen ist. Die Situation ist absurd: Immer seltener trifft man, zum Glück, auf Radler ohne Beleuchtung und sieht trotzdem immer häufiger gar nichts - eben weil alle so gute Lichter haben. Geblendet mault man dann die Flutlichtradler gelegentlich an und kassiert manchmal eine kleine Demütigung. Dann nämlich, wenn der andere Radler zurückschimpft, dass man ihn mit dem eigenen Licht ebenfalls blendet. Im Sattel hinter der Lampe am Lenker fehlt leider oft das Gefühl dafür, wie hoch die Lampe strahlen darf. Aber vielleicht ließe sich als Faustregel für alle festlegen: Nicht die ganze Straße ausleuchten, sondern sich auf die paar Meter vor dem Rad beschränken.
Mit den Felgendynamos am Rad war früher alles klar: Radler sahen im Dunkeln nichts und wurden auch nicht gesehen. Mit modernen Leuchten wurde das anders - und unangenehm.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/fahrrad-beleuchtung-1.4241239
Radfahrer und ihre Beleuchtung
00/12/2018
Wer sich einen neuen Diesel kauft, sollte sich genau informieren - denn nur mit der richtigen Abgasnorm hat man später keine Scherereien. Doch welche Fahrzeuge sind die, bei denen Interessenten keine Bedenken haben müssen? Saubere Diesel sind hierzulande noch so exotisch wie Supersportwagen oder Pickup-Trucks. Lediglich 60 000 Selbstzünder nach der neuesten Abgasnorm Euro-6d-temp waren dem Kraftfahrtbundesamt zufolge am 1. Juli in Deutschland zugelassen. Erst im September 2019 wird die neue Abgasnorm Vorschrift für ausnahmslos alle Diesel-Pkw. Mittlerweile seien gut zwei Drittel aller Diesel-Neuzulassungen solche Saubermänner, meldet der Autoverband VDA. Der ADAC zählt gut 450 verschiedene Modell- und Motorvarianten, allerdings werden verschiedenen Leistungsstufen desselben Motors mitgezählt. Meistens muss man froh sein, wenn man sein Wunschmodell mit einem Euro-6d-temp-Diesel findet, der auch lieferbar ist. Durch die Umstellung auf die neue WLTP-Norm kommt es immer noch zu Lieferengpässen bei einzelnen Marken besonders des Volkswagen-Konzerns. Im neuen Mercedes GLE, der viel Platz im Unterboden hat, erreichen die Vier- und Sechszylinderdiesel mit zwei SCR-Katalysatoren sogar schon die Abgasstufe Euro 6d, die ab 2020 gilt. Mercedes gibt einen durchschnittlichen Stickoxid-Ausstoß (NOx) von 20 Milligramm pro Kilometer an - gemessen im Alltagsverkehr und nicht im gleichmäßig warmen Prüflabor. Das Umweltbundesamt geht bei herkömmlichen Euro-6-Dieseln von einem durchschnittlichen NOx-Ausstoß von mehr als 500 Milligramm pro Kilometer im Realverkehr aus. Autokäufer sollten sich also genau informieren, bevor sie sich für einen Ölbrenner entscheiden. Denn mittelfristig könnten alle (relativ neuen) Diesel von Fahrverboten betroffen sein, die nicht die Abgasstufen Euro-6d oder 6d-temp erreichen. Dann drohen auch bei diesen jungen Fahrzeugen erhebliche Wertverluste. Bei Mercedes sind das momentan zum Beispiel noch die Modellreihen CLA, GLA und GLC, die erst bei der nächsten Modellpflege umgerüstet werden. Audi verzichtet bei der A1-Baureihe bereits auf Diesel. BMW und Mini wollen bis zum Jahresende 250 Varianten im Programm haben, die nach Euro 6d-temp zertifiziert sind. Eine regelmäßig aktualisierte Übersicht über alle neuen und sauberen Diesel führt der ADAC auf seiner Webseite.
Wer sich einen neuen Diesel kauft, sollte sich genau informieren - denn nur mit der richtigen Abgasnorm hat man später keine Scherereien. Doch welche Fahrzeuge sind die, bei denen Interessenten keine Bedenken haben müssen?
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https://www.sueddeutsche.de/auto/diesel-abgasnorm-autokauf-1.4240979
Welche Diesel haben die richtige Abgasnorm?
00/12/2018
Um ein Elektroauto daheim laden zu können, braucht man eine Ladestation fürs E-Auto. Diese "Wallboxen" werden etwa an der Garagen- oder Carportwand montiert und sind mit dem Stromnetz verbunden. Zumeist liefert der Händler, der das E-Auto verkauft, auch die Wallbox mit, erklärt der ADAC. Inzwischen gebe es aber auch andere Anbieter von solchen Ladestationen. Doch deren Wallboxen seien nicht immer empfehlenswert. Das zeigt ein ADAC-Test von zwölf Wallboxen zwischen 303 und 1903 Euro und Ladeleistungen zwischen 3,7 bis 22 Kilowatt (kW). Die Hälfte davon sei nicht empfehlenswert, so der Automobilklub: Drei sind "ausreichend" und drei fallen unter anderem wegen Sicherheitsmängeln wie Brandgefahr als "mangelhaft" durch, darunter das billigste Gerät, aber auch eines für 1378 Euro. Am besten schnitten die 11-kW-Box "ABL eMH1" für 865 Euro ab, die "Keba KeContact P30" für maximal 4,6 kW Ladeleistung für 762 Euro und die 22-kW-Box "Mennekes Amtron Xtra 22C2" - mit 1903 Euro die teuerste im Test. Alle drei sind "sehr gut". Die Installation der Boxen darf laut ADAC nur durch eine Elektrofachkraft erfolgen. Der Klub rät zu universellen 11-kW-Boxen. Diese seien ein guter Kompromiss aus Leistung und Kosten. Zudem könne eine 22-kW-Box nur mit ausdrücklicher Genehmigung des örtlichen Netzbetreibers angeschlossen werden.
Wer ein E-Auto kauft, braucht auch eine Ladestation. Doch ein Test des ADAC zeigt nun: So manches Angebot taugt nichts.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/elektromobilitaet-jede-zweite-ladestation-nicht-empfehlenswert-1.4241259
Jede zweite Ladestation nicht empfehlenswert
00/12/2018
Mehr Platz für Gehwege? Beim Kampf um Raum im Stadtverkehr geht es selten um Fußgänger. Doch es gibt Kommunen, die das ändern wollen. "Jeder Verkehrsteilnehmer ist auch Fußgänger", sagt Friedemann Goerl. Immer mal wieder jedenfalls, und sei es auf dem Weg zur Straßenbahn oder zum Auto. Dieser Umstand ist ein großer Vorteil für den 29-Jährigen, denn damit kann er für sich beanspruchen, in seinem Job alle 580 000 Leipziger zu vertreten. Seit elf Monaten ist Friedemann Goerl Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt und damit der erste seiner Art in Deutschland. Goerls Pionierarbeit fällt in eine Zeit, in der Verkehrsplanung in den Städten stetig komplizierter wird. Immer mehr Menschen ziehen in die Ballungszentren, wo der Platz aber nicht wächst oder durch Nachverdichtung sogar weniger wird. Die Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern nehmen zu und immer häufiger stellt sich die Frage: Für wen stellt man öffentlichen Raum zur Verfügung? Straßen und Parkplätze für Autos? Schienen und Busspuren für den öffentlichen Nahverkehr? Mehr und breitere Radwege? Und wo bleibt da eigentlich der Fußgänger? "Der fällt meist ein bisschen runter, wenn sich niemand um ihn kümmert", erklärt Goerl. Deshalb hat sich die Stadt Leipzig nach jahrelangen Debatten dazu entschlossen, Anfang 2018 die Stelle des Fußgänger-Beauftragten zu schaffen. Seitdem läuft jede Verkehrsplanung der Stadt über den Schreibtisch des jungen Geografen. Er passt auf, Bordsteine rund um Seniorenheime abzusenken als Hilfe für alte Menschen mit Rollatoren. Er verhindert, dass Fußgänger Umwege in Kauf nehmen müssen. Goerl achtet auf Barrierefreiheit. Einmal verhinderte er, dass der Gehweg zu einem Kindergarten vergessen wurde. Er erlebe dabei in der Verwaltung keine Fronten oder Gegenspieler, sondern eher die Reaktion: "Ach, das haben wir noch gar nicht so gesehen." Der Leipziger bestätigt damit eine der Hauptaussagen der Studie "Geht doch!", in der das Umweltbundesamt (UBA) kürzlich Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie festhielt. Der Fußverkehr werde nicht als gleichberechtigt wahrgenommen, steht darin. Er gelte "in Deutschland immer noch als unwichtig, unattraktiv und wenig zeitgemäß". Auf fast 50 Seiten legt das UBA dar, wieso es sich lohne, den Fußverkehr vor allem in den Städten zu stärken und wie das umsetzbar wäre. Zu Fuß gehen sei gesund, fördere den Klimaschutz, Städte würden zu "Orten der Begegnung und des sozialen Miteinanders". Örtliche Geschäfte profitierten von mehr Fußverkehr. Senioren seien auf sichere Gehwege angewiesen, genauso wie Kinder. Angestrebt werde, den Anteil des Fußverkehrs von durchschnittlich 27 Prozent in den Städten auf 41 Prozent zu steigern. In ländlichen Kreisen von derzeit 24 Prozent auf 35 Prozent. Das geht allerdings nicht, ohne anderen Verkehrsteilnehmern Rechte und Räume zu kürzen. In den meisten Fällen dem Autofahrer. So schlägt das UBA vor, innerorts Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit zu verfügen, weil zu viele Fußgänger Opfer von Unfällen werden. Ampeln sollen so lange Grünphasen haben, dass alle ausreichend Zeit für die Querung der Kreuzung erhalten. Verkehrsplaner sollten von außen nach innen denken, also zuerst die Bedürfnisse der Fußgänger beachten, die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen empfiehlt eine Gehwegbreite von mindestens 2,5 Meter. Außerdem soll der Raum für Parkplätze verringert werden: Von derzeit etwa 4,5 Quadratmeter pro Einwohner auf drei Quadratmeter, perspektivisch sogar auf 1,5 Quadratmeter. "Die Studie hätte auch von uns sein können", sagt Roland Stimpel. Er ist Sprecher des Lobbyverbands Fuss e.V. und freut sich "außerordentlich, dass sich eine Bundesbehörde soweit aus dem Fenster lehnt". Denn für ihn sei der Zustand des Fußverkehrs im Land nach wie vor schlecht. Höhere Bußgelder sollen abschrecken Stimpels Verband kritisiert, dass die Straßenverkehrsordnung von dem Geist getragen werde, der Sinn des Verkehrs sei die effiziente Abwicklung des Autoverkehrs. "Die anderen Teilnehmer sind nebensächlich und haben vor allem die Aufgabe, die Straße schnell zu verlassen", beklagt er. Die Fußgänger-Vertreter fordern ein höheres Bußgeld, wenn Radfahrer auf Gehwegen fahren oder Autos dort parken. In Frankreich etwa koste das pauschal 135 Euro, weiß Stimpel. Doch in Deutschland seien weder der Bund noch die meisten Kommunen bereit, die Verkehrspolitik entsprechend zu ändern. "Es gibt selbst Oberbürgermeister der Grünen, die uns sagen: Der Parkdruck ist so hoch, dass wir weiterhin ein Auge zudrücken und es zulassen, dass Autos den Gehweg zuparken, obwohl es verboten ist", erzählt er. Wenn eine Kommune sich traut, Plätze und Straßen umzugestalten, droht Gegenwind. In Hannover war ein Gehweg, den viele Schulkinder nutzen, ständig von Autos zugeparkt. Als die Verwaltung Poller aufstellte, um das illegale Parken zu unterbinden, brodelte es zuletzt bei einer Sitzung des Bezirksrats: Anwohner und Geschäftsleute beschwerten sich, es gebe nun zu wenig Parkraum für ihre Autos im Viertel. "So hart sind die Konflikte", sagt Stimpel, "der Verteilungskampf bricht aus." Er sehe aber, dass sich in den Innenstädten die Stimmung drehe. Die Bewohner dort seien weniger Auto-affin als früher. Doch was sagt das traditionell eher autonahe Bundesverkehrsministerium zu den forschen Plänen des UBA? Auf Nachfrage der SZ erklärt das Amt, der Fußverkehr habe "hohe Priorität", künftig werde es ein Referat mit dem Schwerpunkt Radverkehr und Fußverkehr geben. Die konkreten Anregungen allerdings stoßen auf Skepsis. In Lindenau müssen Autos wohl bald ganz draußen bleiben Die Regelgeschwindigkeit innerorts auf Tempo 30 zu senken, sei "nicht sinnvoll", der Geschwindigkeitsvorteil auf Hauptstraßen wichtig. Die Bußgelder würden zwar demnächst geprüft, ob es dabei zu einer Änderung komme, müsse allerdings abgewartet werden. Vor der wohl explosivsten Forderung des Umweltbundesamts weicht das Verkehrsministerium aus: Soll der Parkraum für Autos reduziert werden? Antwort: "Ziel ist es, für alle Verkehrsmittel - einschließlich Fußgänger - gleichermaßen einen bestmöglichen Rahmen zu schaffen." In Leipzig geht derweil der Umbau weiter. Wenngleich langsamer als von einigen erhofft. Der Stadtteil Lindenau ächzt unter dem Zustrom neuer Bewohner, am zentralen Verkehrsknotenpunkt, dem Lindenauer Markt, fand deshalb eine Zählung statt: Den nördlichen Bereich passierten in einer Stunde 1300 Fußgänger, 215 Radler und 277 Autos. Dominiert wird der Platz aber von der Straße. Der Stadtrat beschloss deshalb eine Umgestaltung, an dessen Ende der Autoverkehr auf Teilen ganz ausgeschlossen wird. "Die Konflikte sind natürlich da", berichtet der Fußverkehrsverantwortliche Friedemann Goerl. Aber wenn man das Straßenbild ändere, Bäume pflanze und einen öffentlichen Raum schaffe, wo Menschen gerne zu Fuß gehen und sich aufhalten, "dann stellt sich die Akzeptanz schnell ein".
Mehr Platz für Gehwege? Beim Kampf um Raum im Stadtverkehr geht es selten um Fußgänger. Doch es gibt Kommunen, die das ändern wollen.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/fussgaenger-autofahrer-radverkehr-1.4234890
Stadtverkehr - Wenn Autos den Fußgängern weichen sollen
00/12/2018
Beschleunigen und bremsen - ein Lokführer hat auf den ersten Blick einen vergleichsweise einfachen Job. Wer jetzt glaubt, mit den Zugsimulatoren im wahrsten Sinne ein leichtes Spiel zu haben, der irrt sich. Auch am PC muss man höllisch aufpassen, dass nicht eine Zwangsbremsung ausgelöst wird - etwa, weil man den Totmannknopf nicht gedrückt oder gar ein rotes Signal missachtet hat. Eine große Auswahl an Strecken und Zügen bietet der "Train Simulator": Virtuelle Lokführer können mit einem ICE nach München, einer Dampflok nach London oder einem Güterzug durch die Rocky Mountains fahren. Allerdings: Wie bei einer Modelleisenbahn gehen neue Züge und Strecken schnell ins Geld. Der Nachfolger "Train Sim World" ist zwar hübscher, die Erweiterungen sind aber teurer. Weniger Glanz, aber viel Anspruch bietet "Zusi", das auch in der Ausbildung eingesetzt wird. Kostenlos ist "Loksim3D", ein Freizeitprojekt von begeisterten Eisenbahnfreunden.
Ob Flugzeug, Lkw oder Bagger: Per Simulator lässt sich fast alles steuern. Und der digitale Fuhrpark wächst immer weiter.
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https://www.sueddeutsche.de/auto/simulator-flugzeug-zug-auto-truck-1.4234939
Simulatoren: Bitte einsteigen in Bus, Flugzeug und Co.
00/12/2018
An Großfesttagen versteigt sich in Italien so mancher in mittlere kulinarische Glaubenskriege. Gerade wird der italienische Schaumwein gefeiert. Das Geschäft boomt, sogar der Champagner aus Frankreich wurde abgehängt. Traditionen gibt's, die sind so gefestigt, dass sie alle Wirren und Moden der Zeit überstehen. In Italien, wo in diesem ausklingenden Jahr ja etliche ewig gewähnte Gewissheiten durcheinandergeraten sind, wenigstens politisch, überstehen vor allem die kulinarischen Gewohnheiten alle Attacken der Moderne. Sie werden von allen gepflegt, mit heiligem Furor und militant verteidigten regionalen Nuancen. An Großfesttagen wie diesen versteigen sich die Bewahrer in mittlere Glaubenskriege, assistiert von den Zeitungen, die seitenlang alte Rezepte drucken und sagen, was geht und was nun wirklich nicht geht. Auf ewig, das schon. Es fängt beim Kuchen an. Verhandelt wird mal wieder der Unterschied zwischen dem runden Mailänder Panettone, in dem reichlich kandierte Früchte und auch schon mal einige Schokoladenstücke stecken, und dem sternförmigen Pandoro aus Verona, der nur mit Puderzucker bestreut wird, dafür golden strahlt. Die Gesundheitsministerin, die Sizilianerin Giulia Grillo von den Cinque Stelle, befand unlängst recht ultimativ, der Pandoro habe "keine Seele", eine Seele habe nur der Panettone. Die Metaphysik im Kuchen - es entbrannte eine nationale Debatte, nicht ohne Ironie. Diskussionslos weitergereicht, von Generation zu Generation, wird die passende Mahlzeit zum Jahresende. An Silvester, und nicht selten auch am Neujahrstag, essen die Italiener "Cotechino". So heißt eine vorzügliche, schwartenfette und in Wasser gekochte Wurst, in der fast alles steckt, was das Schwein neben den wertvollen Stücken noch so hergibt, auch der Kopf. Damit das neue Jahr erfolgreich wird, essen die Italiener zum "Cotechino" Linsen, und zwar schon seit den Zeiten der alten Römer. Die fanden, die Linsen würden wie Münzen aussehen. Man lasse sie eine Nacht im Wasser ziehen, koche sie mit fein geschnittenen Karotten, Sellerie und Zwiebeln, gebe noch etwas Tomatensauce dazu, Salz, Pfeffer und Olivenöl: So geht Glück. Relativ neu, zumindest in seiner massiven Verbreitung, ist das Phänomen der "bollicine", wörtlich: Bläschen. Eigentlich gemeint aber ist: Perlen. Im Italienischen sind die "bollicine" ein Synonym für Sekt. Früher war es bekanntlich so, dass die Franzosen mit ihrem Champagner unangefochten über die Welt der Schaum- und Perlweine herrschten. Natürlich finden sie, dass sie das noch heute tun. Doch diese Welt trinkt mittlerweile mehr italienisches Geperle und Geprickel als Champagner: Prosecco aus dem Nordosten des Landes vor allem, Spumanti auch, trockene und süße. In diesem Jahr wurden mehr als 800 Millionen Flaschen "bollicine" verkauft, so viele wie noch nie. Mehr als die Hälfte geht ins Ausland, der Rest bleibt da. Auf jeden Italiener kommen fünf Flaschen Sekt im Jahr, das ist eine ganze Menge, das ist Stoff für eine langlebige Tradition. Die Zeitung La Repubblica erklärt den Boom mit dem Erfolg des Spritz, des Allerleute-Aperos, der mit Prosecco versetzt ist. Er löse eben ein "zärtliches Jucken" aus auf der Zunge. Eine schöne Leichtigkeit. Kühl serviert, zwischen vier und sechs Grad, zum Beispiel an Silvester. Ganz bestimmt sogar, für immer.
An Großfesttagen versteigt sich in Italien so mancher in mittlere kulinarische Glaubenskriege. Gerade wird der italienische Schaumwein gefeiert. Das Geschäft boomt, sogar der Champagner aus Frankreich wurde abgehängt.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/schaumwein-italien-champagner-1.4269309
Schaumwein aus Italien - Beliebter als Champagner
00/12/2018
Immer wieder scheitern wir daran, unser Leben ein bisschen besser zu machen. Woran liegt das? Besuch bei einem Seminar, wo man lernt, seine Gewohnheiten zu verändern. Beginnen wir mit einer Übung. Bitte einfach mal wie gewohnt die Arme vor der Brust verschränken. Welcher Unterarm liegt unten, welcher oben - der rechte, der linke? Okay, nun das Gleiche noch einmal, nur anders herum: Der Unterarm, der eben noch unten war, soll jetzt oben liegen. Das fühlt sich seltsam an, instabil, wie eine armgymnastische Zumutung? Genau so ist das, wenn man Gewohnheiten den Stecker zieht. Allein diese lachhafte Egalgewohnheit umzukrempeln dauert bei täglicher Übung im Schnitt zwei Wochen. Bitter genug. Und jetzt - erhöhen wir den Einsatz.
Immer wieder scheitern wir daran, unser Leben ein bisschen besser zu machen. Woran liegt das? Besuch bei einem Seminar, wo man lernt, seine Gewohnheiten zu verändern.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/gute-vorsaetze-sport-1.4269029
Neues Jahr, neues Glück: So gelingen gute Vorsätze
00/12/2018
Die Abneigung, die Düsseldorfer und Kölner seit jeher auf das Innigste verbindet, dokumentiert sich am süffigsten in den gegensätzlichen Biersorten, die in den beiden rheinischen Städten ausgeschenkt werden: helles Kölsch in Köln, dunkles Alt in Düsseldorf. Wenn Getränkevorlieben weltanschauliche Dimensionen annehmen, wird es schwer, sich näherzukommen. Deshalb ist der Versuch, ein Mischbier anzubieten, das aus Kölsch und Alt besteht, erstens als revolutionärer Akt zu sehen - und zweitens als unweigerlich zum Scheitern verurteilte vergebliche Liebesmüh, auch wenn der Name knallt wie ein Karnevalsböller: Költ. Dabei verbindet die beiden so unterschiedlichen Biersorten mehr, als man annehmen möchte. Das Bier, das auch in Krefeld, Mönchengladbach und Neuss gebraut wird, heißt Alt, weil es nach alter Brauart hergestellt wird. Der Gärprozess beim obergärigen Bier, bei dem die Hefe noch oben steigt, findet bei höheren Temperaturen statt. Das modernere untergärige Bier (Pilsener) ist auf aufwendige Kühlung angewiesen. Und nun folgt die Überraschung: Auch das helle Kölsch ist ein obergäriges Bier. Der scheinbar unüberwindbare farbliche Unterschied ist dem dunklen Malz zu verdanken, das die niederrheinischen Altbier-Brauer bevorzugen. Deshalb werden Geschichten von Blindverköstigungen kolportiert, bei denen die Tester nach dem dritten Glas Kölsch und Alt nicht mehr wussten, was nun eigentlich was ist. Ein Umstand, der Költ zum großen rheinischen Friedensbier machen könnte.
Das Mischbier aus Kölsch und Alt hat etwas herrlich Völkerverbindendes - jedenfalls aus Kölner und Düsseldorfer Sicht. Aber schmeckt es auch?
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https://www.sueddeutsche.de/stil/geschmackssache-koelt-1.4266679
Geschmackssache
00/12/2018
In dem sehr neunzigerjahrehaften Film "Zehn Dinge, die ich an Dir hasse" von 1999 gibt es einen Schlüsseldialog, der alles sagt. Nicht über den Film (eine Highschool, zwei Pärchen, Happy End), sondern über die späten Neunziger. Bianca erläutert ihrer Freundin Chastity, sie habe den Unterschied zwischen Mögen und Lieben begriffen. Sie möge ihre Sketchers, also das Paar Schuhe, das sie gerade gern trage. "Aber ich liebe meinen Prada Rucksack." Nichts leichter, als sich darüber heute an den Kopf zu fassen. Der Film ist aus dem Jahr vor der Epochenschwelle, aber gefühlt gehört die Szene tief ins 20. Jahrhundert. Konsum als Elementarerlebnis, diese zwitschernd vergnügte Inbrunst für Markenartikel: Bitte, wie weit weg ist das denn? Die erstaunliche Antwort lautet: gar nicht so weit. Logos sind mit Macht zurück in der Mode. Und ob sich das die superaufgeklärten und kritischen Konsumenten von heute eingestehen wollen oder nicht: Das verleiht Markenprodukten und den Unternehmen hinter den Symbolen eine Geltung wie lange nicht. Wer sich durch die Schauen für kommenden Frühling und Sommer klickt, dem springen die Schriftzüge und Großbuchstaben quasi ins Gesicht. Was diesen Herbst begann, legt 2019 bei Chanel über Balenciaga bis Gucci noch einmal flächendeckend zu: Logos sind überall. Gedruckt auf jedes erdenkliche Stück Textil, vom Kaschmirpulli bis zur Strumpfhose und - kleiner Gruß aus der Vergangenheit gefällig? - dem Elastikbund an Männerunterhosen. Die Autorin Dana Thomas vermutet dahinter in erster Linie ein nostalgisches Phänomen. Der Trend habe in dem Moment Fahrt aufgenommen, als Kreative in Musik und Mode die Zeit von den späten Achtzigern aufwärts als Inspirationsquelle nutzten, so die Kulturjournalistin. Nicht nur Duran Duran oder die Schulterpolster von damals fand man plötzlich spannend, sondern auch das offensive Zurschaustellen von Designer-Abzeichen. "Damit wurde die erste heftige Phase der Logomanie wiederentdeckt", sagt Thomas. Ein Rückgriff auf gesellschaftlich raue Jahre. In der Ära des Thatcherismus diente das richtige Markenzeichen als unverhülltes Signal der Überlegenheit an weniger Privilegierte: Meine Tasche ist mehr wert als deine - und ich bin es auch. Mode als Sozialdarwinismus. Detailansicht öffnen Eine Jacke von Valentino, der Name des Labels wurde komprimiert zu VLTN (Foto: Getty) Das Comeback der grellen "Look-at-me"-Ästhetik kommt nach Ansicht von Dana Thomas harmloser daher. "Heute ist die Herangehensweise nicht so aggressiv, sondern softer, beinahe humorvoll." Für den ironischen Beigeschmack haben Labels wie Vetements gesorgt mit ihrem DHL-Aufdruck. Die grafisch einfallslosen Buchstaben des Logistikkonzerns in Tatü-Tata-Rot und -Gelb auf Designerteilen, das hat die Grenze zwischen edel und trash verwischt. Seither wird der neuen Logomania oft der Begriff "guilt-free" zugeordnet: ein argloses Zupflastern von Produkten mit Firmensymbolen. Damit ist gemeint, dass Konsumenten ihren Markenfetischismus ausleben können, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, als wandelnde Reklameträger durch die Gegend zu laufen. Wieso eigentlich Werbung? Ist doch bloß eine modische Spielerei! Für die Marketingabteilungen der Designhäuser ist das natürlich eine fabelhafte Entwicklung. Es gibt subtilere Formen der Verkaufsstrategie als Blockbuchstaben, aber diese Welle reiten sie alle mit. Das "Prada"-Etikett prangt nächstes Frühjahr sogar auf dem schmalen Gummibündchen von Nylonkniestrümpfen. Chanel ist die Breite einer Brusttasche nicht genug, der Firmenname wird, zweigeteilt, links und rechts über dem Busen der Trägerin platziert. Die schöne Kaia Gerber war auf dem Laufsteg zusätzlich zur Bluse mit Buchstabenschmuck behängt. Und für Fendi hat Karl Lagerfeld schon beim Motto unverblümt die Direttissima gewählt: "Fendi Mania". Das Doppel-F ist auf alle Entwürfe verteilt. Embleme, wohin man schaut. Wie ein ansteckendes Fieber scheinen sie sämtliche Kollektionen des Modeuniversums zwischen New York und Shanghai befallen zu haben. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Dass Instagram und andere Verbreitungskanäle ihren Teil zum Hype um die Logos beitragen, liegt auf der Hand. Wenn Erfolg davon abhängt, wie geschickt man das Netz mit leicht verständlichen (Bild-)Nachrichten füttert, braucht ein Modekonzern nichts dringender als ein markantes Symbol. Mit anderen Worten: etwas Simples. Ein Ritter im Harnisch mit Lanze? Viel zu kleinteilig, weshalb sich Burberry unter dem neuen Designer Riccardo Tisci entschloss, seinen reitenden Edelmann als Markenzeichen auszurangieren. Stattdessen: Name der Marke in schwarzen Lettern. Plus der Zusatz: "London. England", vielleicht als Vorsichtsmaßnahme, falls die Hauptstadt nach dem Brexit im Rest der Welt geografisch nicht mehr korrekt zugeordnet werden kann. Auf die Enthüllung des ebenfalls neuen Monogramms (ein B!) folgte ein mittlerer Social-Media-Orkan. Detailansicht öffnen Bitte recht deutlich: Ohne Markenlogos geht in der Mode 2019 gar nichts. Hier zwei Modelle aus der Fendi-Mania-Kollektion. (Foto: FENDI) Auch Balmain hat kürzlich seinen charakteristischen Schriftzug modifiziert - nach achtzig Jahren - und zum Kürzel PB (Pierre Balmain) kondensiert. "Une petite révolution", befand das französische Onlinemagazin Puretrend. Und die Liste der mehr oder minder umstürzlerischen Vereinfachungen ließe sich fortsetzen. Es ist, als wende sich die Mode an eine Kundschaft mit Sehschwäche. Calvin Klein hat seine Buchstaben verdickt. Valentino heißt jetzt VLTN. So machen sich ehrwürdige Häuser fit für Snapchat und andere Kleinformate. Es soll in der Branche Leute geben, denen das ein bisschen, nun ja, kurzsichtig vorkommt. Andererseits kann der Luxussektor, das hat sich inzwischen nun wirklich herumgesprochen, nicht allein von betuchten Menschen ab vierzig leben. Und gerade bei der jungen Klientel steht das Explizite hoch im Kurs - ironisch gebrochen, versteht sich. Das Schlagwort von der Generation Streetwise zielt auf die unehrfürchtige Vermengung von Couture und Streetstyle. Und letzterer war schon immer geprägt von der exzessiven Verwendung bürgerlicher Statussymbole: Goldschmuck, Tenniskluft - und eben Markenembleme. Von Harlem-Rappern bis zur aktuellen Hip-Hop-Szene gehört die Großkotzigkeit riesiger Logos zum Inventar der Untergrund-Kultur. Daher schwimmen Sportswear-Firmen wie Fila oder Palace gerade weit oben. Und im Edelsegment haben bei Millennials und Generation Z diejenigen die Nase vorn, die mit cleveren Kooperationen ihre Nähe zur Straße signalisieren. Fendi zum Beispiel hat sich mit Supreme zusammengetan. Gucci umwarb Dapper Dan, eine schwarze Underground-Kultfigur, und beauftragte ihn mit einer kleinen Kollektion. Ach ja, und Designer Alessandro Michele hat natürlich auch zur rechten Zeit das gute alte Doppel-G-Logo wieder ausgegraben. Weil sich die italienische Marke außerdem als Vorkämpfer für Genderdiversität und Anti-Pelz-Bewegung zu inszenieren verstand, bedeutet ein Like für GG auch: Ich bin für eine bessere Welt. Das ist in Zeiten gut informierter Konsumenten natürlich ein millionenschweres Plus. Dass am Ende die Logomanie auch einfach etwas mit Überdruss zu tun hat, klingt zwar banal. Ist aber ziemlich naheliegend. Zuletzt war in der Mode immer alles sehr reduziert und schlicht. Nachhaltige Produktion, kein Blingbling, skandinavischer Purismus. Offenbar schlägt da gerade eine Stimmung um: Jetzt ist mal gut mit der klösterlichen Strenge, bitte endlich wieder richtig dick auftragen! Die amerikanische Autorin Connie Wang hat für diese Rebellion gegen das Etablierte, das So-macht-man-das ein schönes Bild gefunden. Modemenschen, schreibt sie, "wollen immer ihre Eltern erschrecken".
Die Mode hat die Großbuchstaben wiederentdeckt. Was manche mit Schrecken an die Neunzigerjahre erinnert, finden andere total ironisch.
stil
https://www.sueddeutsche.de/stil/trends-marke-logo-1.4266661
Süddeutsche.de
00/12/2018
Concealer ist die Rettung nach kurzen Nächten wie am Neujahrsmorgen. Er verzaubert das Spiegelbild und lässt Menschen strahlender und zumindest scheinbar wacher in den Tag starten. Allerdings nur, wenn man ihn richtig aufträgt. Wählt man den falschen Farbton, dann kann das Ergebnis eher an einen Pantomime-Spieler erinnern als an einen aufgeweckten Menschen mit frischem Teint. Der Concealer sollte eine halbe Nuance heller sein als der natürliche Hautton. Nur so können Flecken aufgehellt werden. Bei dunkleren Hauttypen sollte der Concealer Ton in Ton mit der Foundation sein. Hat man die perfekte Farbe gefunden, startet man am Augeninnenwinkel, trägt hier die Textur auf und klopft sie abwärts bis zum Nasenflügel hin mit den Fingerkuppen sanft ein. Das Einklopfen ist wichtig, denn erst die Wärme der Fingerspitzen lässt das Produkt ideal mit der Haut verschmelzen. Das sorgt für ein natürliches Ergebnis. Ebenfalls mit den Fingern oder auch alternativ mit einem Schwämmchen-Blender müssen nun die Übergänge abgesoftet werden. Danach trägt man den Concealer ab dem äußeren Drittel des Auges nach außen hin bis zur Schläfe und zu den Wangenknochen auf. Wieder erst tupfen, dann klopfen und verblenden. Flüssige Foundation wird vor dem Concealer aufgetragen. Nur bei Puder-Make-up verwendet man den Concealer zuerst. Übrigens tragen heute längst nicht mehr nur Frauen Concealer. Auch immer mehr Männer wollen von dem optischen Wachmacher profitieren. Der Münchner Visagist Luis Huber kennt sich bestens mit Concealern aus. Zusammen mit seinen beiden Mitarbeiterinnen hat er in seinem Make-up-Studio zehn verschiedene Produkte getestet.
Wie ein Zauberstab lässt Concealer Rötungen und Augenringe verschwinden. Welcher dabei den besten Job macht, hat ein Visagist getestet.
stil
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Weg ist der Fleck
00/12/2018
Wer ist die Schönste im ganzen Land? Das hat die Vogue mal wieder verraten, obgleich 2018 auch als Jahr im Gedächtnis bleiben wird, in dem alle Frauen bei der Golden-Globes-Verleihung Schwarz trugen - als Zeichen der Frauensolidarität. Egal, gewählt wurde die bestgekleidete Frau trotzdem. Neben Schauspielerin Tracee Ellis Ross und Sängerin Rihanna hat auch Meghan Markle abgeräumt - nach keinem anderen Menschen wurde auf Google so oft gesucht wie nach der Frau von Prinz Harry. Ebenfalls prämiert: Plus-Size Model Paloma Elsesser, die in einem Interview gerade ihren Wunsch an die Mode für das neue Jahr kundgetan hat: Mehr Mut, auch mal unbequem zu sein. Wenn man selbst nicht in die Berge fahren kann, müssen die Berge eben nach Hause kommen. Okay, vielleicht nicht gleich ein ganzes Gebirge, das ist schwer unterzubringen. Ein bisschen Alpenflair würde für den Anfang schon reichen. Zur Wintersaison hat die Südtiroler Naturkosmetikmarke Team Dr. Joseph gerade ihren ersten Raumduft entwickelt. "Inspire Room Fragrance" klingt nicht alpenländisch, riecht aber so: Rosengeranie, holziges Patschuli, erdige Zirbelkiefer - mit etwas Fantasie hat man den Ortler vor Augen. Die Verschlüsse des Flakons sind aus Eschenholz. Dafür ist selbst in der kleinsten Hütte Platz (38 Euro. teamdrjoseph.com).
Die Frau von Prinz Harry war 2018 die meistgesuchte Frau auf Google. Ebenfalls heiß begehrt: Rihanna und ein Plus-Size-Model.
stil
https://www.sueddeutsche.de/stil/kurz-gesichtet-herzogin-der-herzen-1.4266663
Kurz gesichtet - Herzogin der Herzen
00/12/2018
Top-Flop: Celine Detailansicht öffnen Die erste Celine-Show von Hedi Slimane. (Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP) Wie nennt man das noch mal, wenn etwas so eintritt wie erwartet, sich aber trotzdem alle aufregen, dass es nicht anders gekommen ist? Schizophrenie? Wunschdenken? Wahlen in Russland? Auf die Mode bezogen, könnte man vom "Slimane-Syndrom" sprechen. Dieser Designer tritt regelmäßig mit einer bestimmten Vision an (skinny, rockig, sexy), ungeachtet des Labels, das ihn gerade beschäftigt. So krempelte er erst Dior Homme um, dann Saint Laurent, dieses Jahr Celine, das jetzt erwartungsgemäß so aussieht wie vorher Saint Laurent. Die Kritiker ätzen wie gehabt, Fans trauern und treiben die Preise für "altes Céline" mit Frustkäufen in die Höhe. Und nun? Back to Business. Denn so sehr das "neue Celine" modisch und emanzipatorisch ein Fehlgriff sein mag - die ersten Fähnchen schwenken um. Die Schauspielerin Dakota Johnson trug eines der neuen Kleider, woraufhin viele zerknirscht zugaben, dass sie in dem Paillettenfummel ziemlich sexy aussah. Eine Moderedakteurin des New York Magazine schrieb eine Art Kammerspiel über die erotische Anziehungskraft der neuen Triomphe-Bag. 2019 wird es wahrscheinlich häufiger heißen, dass die Sachen soooo schlecht nicht aussehen. Zur Erinnerung: Saint Laurent wuchs unter Slimane um mehr als 100 Prozent. Geschichte wiederholt sich, Mode sowieso. Flop: Marc Jacobs Detailansicht öffnen Der Designer Marc Jacobs. (Foto: Angela Weiss/AFP) "Hallo, Gott" hieß vor acht Jahren ein Porträt in dieser Zeitung über den Designer Marc Jacobs. Wenn sein Name heute fällt, sagen Leute aus der Modebranche eher "Ach Gott". Jacobs war mal der ewige Überflieger, dann gingen er und Louis Vuitton 2014 getrennte Wege, angeblich auch, damit er sich auf sein eigenes Label samt angekündigtem Börsengang konzentrieren könne. Davon redet keiner mehr, von Jacobs selbst leider auch nicht mehr viel. Beziehungsweise doch, im Juni titelte die New York Times: "How Marc Jacobs fell out of fashion." Ein Modedesigner, der nicht mehr in Mode ist - geht es schlimmer? Tatsächlich blieben die Verkäufe unter den Erwartungen, mehr als ein Dutzend Geschäfte mussten schließen. Im November brachte der 55-Jährige eine Neuauflage seiner Grunge-Kollektion aus den Neunzigern auf den Markt. Und nachdem 2015 die erfolgreiche Zweitlinie Marc by Marc Jacobs eingestampft wurde, ist für 2019 das günstigere Label The Marc Jacobs angekündigt. Zwei Remakes: Mal sehen, ob das zur Wiederauferstehung von Gott reicht. Top: Givenchy Detailansicht öffnen Die werdende Herzogin von Sussex in einem Kleid von Givenchy Couture. (Foto: Getty) Am Morgen des 19. Mai 2018 erschien das Schicksal der britischen Designerin Clare Waight Keller noch seltsam ungewiss. Zwei Givenchy-Kollektionen hatte sie als Nachfolgerin von Riccardo Tisci bereits in Paris vorgeführt, doch das Urteil war nicht abschließend gesprochen. Die Kleider waren für gut, modern, elegant befunden worden, einen Hype aber hatten sie kaum ausgelöst. Bis das Haus, am 19. Mai um 13.21 Uhr, eine Mail über den ganz großen Verteiler jagte. Betreff: "Ms. Meghan Markle in Givenchy Haute Couture by Clare Waight Keller - THE ROYAL WEDDING." Und das war's dann für Mrs. Keller. Riesenberichterstattung, Ovationen, Auszeichnung als britische Designerin des Jahres. Die Laudatio hielt, abermals in Givenchy, die mittlerweile schwangere Herzogin von Sussex. Bingo. Und alle so: Haben wir nicht immer gesagt, dass das neue Givenchy göttlich ist? Flop: Vitamin F Detailansicht öffnen Die Model-Schwester Bella (links) und Gigi Hadid. (Foto: Getty) Exakt, das Model-Vitamin F alias Familie taucht hier als Flop auf, obwohl es wahrscheinlich niemals wirksamer war als in diesem Jahr. Aber eben auch nie so nervtötend. Nehmen wir eine durchschnittliche Fashion Show, gebucht werden um die 40 Models - alle irgendwie gleich groß, gleich dünn, gleich schön. 38 von ihnen kennt man nicht, das sind die, die den eigentlichen Job erledigen, nämlich Kleider über den Laufsteg bugsieren. Dann gibt es aber noch die eine, die die Show eröffnet, und die andere, die sie schließt. Sie sind beide so berühmt, dass sie ihre Garderobe in den Schatten stellen und sich in erster Linie selbst performen. Eigentlich müssten sie gar nicht mehr laufen, sondern einfach nur da sein. Im Jahr 2018 waren das fast immer dieselben zwei Handvoll Mädchen, und die meisten hatten das Vitamin F quasi in Überdosis. Da war Kaia Gerber, die Tochter von Cindy Crawford. Da war Bella Hadid, die Schwester von Gigi Hadid beziehungsweise auch anders herum. Und da war Kendall Jenner, die Schwester von Kylie Jenner und Halbschwester von Kim Kardashian und Halbschwägerin von Kanye West. Bei den Männern läuft Dylan Brosnan, Pierce junior. Das Modelbusiness ist also dynastisch geworden und damit so langweilig und vorhersehbar wie die britische Thronfolge. Nächstes Jahr wird Lila Grace Moss, die Tochter von Kate, ihren Durchbruch erleben. So viel ist sicher. Top: Neues China Detailansicht öffnen Zukunftsmarkt: Chinesen beim Einkaufen. (Foto: How Hwee Young/dpa) Wir möchten an dieser Stelle eindringlich dafür plädieren, dass auch im Fashionzirkus - so wie in Hollywood mit der goldenen Himbeere - ein Preis für die schlechteste Performance des Jahres vergeben wird. Die Igitt-Bag, der goldene Stinkstiefel, etwas in der Art. Dieses Jahr unangefochtener Favorit auf die Trophäe: Dolce & Gabbana. Nachdem den Italienern vorgeworfen wurde, sich mit diskriminierender Werbung und Posts über China lustig zu machen, lieferten sie ein so klägliches Entschuldigungsvideo ab, dass man ihnen zur Strafe lebenslang die Melodie von "Sorry seems to be the hardest word" von Blue featuring Elton John ins Ohr einpflanzen möchte. Mit dem Sänger zankte sich das Designer-Duo ja bekanntlich auch schon mal auf Instagram. Ein Gutes wird die Posse haben: Obwohl das Wachstum der Modebranche seit Jahren fast nur von Asien angeschoben wird, haben wenige Marken die chinesischen Kunden wirklich ernst genommen. Sie galten als willige "Allesfresser": große Logos, etwas Bling, ein chinesisches Alibi-Model als landestypische Garnierung - fertig war die Asia-Box. Der ewige Hochmut dürfte nach dem massiven Boykott von Dolce & Gabbana vorbei sein. Die chinesischen Konsumenten haben ein neues Selbstbewusstsein - zu Recht: 2019 soll die Volksrepublik die USA als größten Modemarkt der Welt ablösen. Was heißt "Sorry" noch mal schnell auf Mandarin? Top: Black Power Detailansicht öffnen Zwei, die sich bestens verstehen: der Designer Virgil Abloh (links) und Edward Enninful, Chefredakteur der britischen "Vogue". (Foto: Getty Images Entertainment/Getty) Die Mode ist eine kurzlebige Kunst, aber manche Dinge dauern auch hier eine halbe Ewigkeit. Die Dominanz weißer Protagonisten und ihrer Sicht auf die Welt in allen Bereichen - vor und hinter der Kamera, auf den Laufstegen, in den Kreativabteilungen - wurde über Jahrzehnte als Normalität akzeptiert. Wer daraus eine grundsätzliche Frage machte, war als Spaßbremse im falschen Business. Ob sich daran nun grundlegend etwas ändert, wird sich weisen. Aber Tatsache ist: 2018 war das Jahr von "Black Power" in der Mode. Allen voran legte Edward Enninful, ghanaisch-englischer Chef der britischen Vogue , in seinen ersten zwölf Monaten einen fulminanten Auftakt hin. Der 46-Jährige macht ernst mit einem neuen Blick auf die Mode. Weniger von der alten Formel "Weiß-dünn-westlich", mehr Offenheit: Im Mai hob er neun Mädchen auf den Titel, darunter Halima Aden mit Hijab und die üppig runde Paloma Elsesser. Die September-Nummer zierte dann Rihanna, die amerikanische Vogue punktete in ihrer Herbstausgabe dafür mit Beyoncé. In der Designer-Riege machte derweil Virgil Abloh als erster schwarzer Kreativchef bei Louis Vuitton Schlagzeilen. Und das Model der Stunde, allgegenwärtig und nicht auf den Mund gefallen? Adwoa Aboah, deren Familie aus dem britischen Adel und aus Ghana stammt. Die Devise für 2019: Weiter so! Flop: Übergriffige Kamerakünstler Detailansicht öffnen Rausgeflogen bei "Vogue": Starfotograf Mario Testino. (Foto: Jeff Spicer) Mario Testino arbeitet jetzt ja wieder. Wie die South China Morning Post am 17. Dezember meldete, sollen ihn ein paar südostasiatische Millennials für "private Foto-Sessions" angeheuert haben. Millennials, haha, Jungmilliardäre träfe es sicher besser. Obwohl ein echter Testino in diesem Jahr bestimmt günstiger zu haben war als 2017. Da war er noch Star-Fotograf bei Vogue und nahm auf der Fashion Week zwischen Grace Coddington und Anna Wintour Platz. Das ist für ihn erst mal vorbei, genauso wie für Bruce Weber und Patrick Demarchlier, ebenfalls Bildkünstler in Diensten der Vogue. Man fragt sich, wer außer Peter Lindbergh und Steven Meisel überhaupt noch übrig ist, der diesen superglossigen und dabei irgendwie pseudointimen Vogue-Look herstellen kann. Jedenfalls haben Scharen von Models allen drei Herren sexuelle Übergriffe vorgeworfen, worauf die internationale Hochglanzszene sie fallen ließ wie heiße Kartoffeln. Es war schließlich das "Me Too"-Jahr. Testino, Weber und Demarchelier bestreiten seither die Vorwürfe. Aber das tut Harvey Weinstein ja auch. Top: Dior Men Detailansicht öffnen Schluss mit Streetstyle: Kim Jones führte bei Dior Homme eine neue Eleganz ein. (Foto: Gamma-Rapho via Getty Images) Wegbereiter, ein gewichtiges Wort, aber Großspurigkeit war in der Modebranche noch nie ein Fehler. Folglich hat der British Fashion Council seinen in diesem Jahr neu ausgelobten Preis "Trailblazer Award" getauft. Das klingt nach einer Ehrung für ein altes Schlachtross, nach lebenslanger Pionierarbeit. Aber Kim Jones ist erst 39. Der Designer, ein sommersprossiger, pummeliger Londoner, darf sich nun also offiziell als Vorreiter der Männermode fühlen. Und zwar vollkommen zu Recht. Mit seiner ersten Show für Dior hat Jones eine der besten Männer-Kollektionen des Jahres abgeliefert. Er galt bisher als Fachmann für luxuriöse Streetwear, brauchte aber bei Dior nur wenige Monate Vorbereitungszeit, um mit seinem Debüt eine neue Marke zu setzen: ein sehr lässig cooles Dandytum in Porzellantönen, mit gemusterten Hemden, Taschen aus Wiener Geflecht und perfekt geschnittenen Hosen zu Bomberjacken mit Spitzenborte. Eine Spur Oscar-Wilde-Dekor im 21. Jahrhundert - lobenswert! Weil es in der Männermode ja auch mal gut ist mit straßenköterhaften Gangsta-Looks. Und, nicht zu vergessen, Jones meint es ernst mit Genderneutralität: Dior Men für Frühjahr 2019 ist aus Frauensicht eine Kollektion zum Wegschnappen. Zumindest die Jacke aus Spitze.
Was bewegte die Mode im Jahr 2018? Kehrtwende bei Celine, Neubeginn bei Dior Homme, übergriffige Fotografen - und natürlich diese Hochzeit! Die Tops und Flops im Überblick.
stil
https://www.sueddeutsche.de/stil/fashion-2018-ganz-schoen-was-los-1.4266659
Fashion 2018 - Ganz schön was los
00/12/2018
Bei den Frauen: Lady Gaga Instagram und Online-Shopping macht inzwischen jeder - klar, dass es bei der Wahl der Stilkönigin also nicht mehr um den Look allein gehen kann, oder? Einen Sinn für Ästhetik vortäuschen können mittlerweile selbst Bewohnerinnen der kulturellen Wüste, und so ist sogar avantgardistische Coolness à la Tilda Swinton seit Instagram nur noch eine leere Hülle (es sei denn natürlich, es steckt Tilda drin). Deswegen: Herzlichen Glückwunsch, Lady Gaga, unsere Ikone 2018! Der Hammerfilm "A Star is born", in dem sie größtenteils ungeschminkt neben Bradley Cooper sang, war dabei nur ihr zweitgrößter Stil-Triumph. Viel mehr beeindruckte sie uns vor einigen Monaten auf einer Award-Bühne, in einem voluminösen Herrenanzug. Der "Me Too"-Chor aus Hollywood ist in diesem Jahr ja um einiges leiser geworden. Es scheint, als prügelten die Damen sich hinter den Kulissen lieber wieder um die knappsten Kleider, die härtesten Fitnesstrainer und die unsichtbarsten Dermatologen. Oder, um hier mal aus der Dankesrede von Gaga zu zitieren: Kann ja wohl nicht sein, dass weibliche Stars wie Mitglieder eines gigantischen Beauty-Contests zur Belustigung des Publikums gegeneinander antreten. Was ja irgendwie auch für alle anderen weiblichen Erdenbürger zählt. Also habe sie sich für den Anzug entschieden, in dem traurigen Wissen, dass alles, was zähle, ihr Look sei. Und so machte sie uns vor, was guter Geschmack heute bedeutet: genau das auszunutzen. Mit jedem Zentimeter Stoff Haltung zu zeigen. Aber nicht alle Eitelkeit abzulegen, das wäre dann doch übertrieben. Schließlich war der Anzug ein gut durchdachtes Stück von Marc Jacobs. Julia Werner Bei den Männern: Robert Habeck Das bundesweite Auftauchen von Robert Habeck als Grünen-Vorsitzender im Januar fühlt sich ein bisschen so an, als ob unterm Schuljahr ein neuer Lehrer die Klasse übernimmt. Man konnte sich gar nicht rechtzeitig mit Spuckekugeln munitionieren, da hatte er mit seinem Charme und den aufgekrempelten Ärmeln schon alle überrumpelt. Der Schriftsteller und Philosoph Habeck gibt sich eigentlich auch seither wie ein netter Lehrer. Einer, bei dem man zwar nicht besonders viel fürs Abi lernt, aber eben fürs Leben. Zur lockeren Ausstrahlung trägt vermutlich sein nicht vorhandenes Jurastudium bei. Er wirkt neben altgedienten Politikern irgendwie immer gesünder, herzlicher und weniger frustriert. Und, nebenbei bemerkt, Habeck scheint seinen Körperschwerpunkt genau zu kennen, denn wenn er steht und winkt, ist er immer extrem gut ausgewuchtet. Er strahlt jedenfalls eine stabile Kuhwärme aus, die ihn über die Parteigrenzen vermittelbar macht. Das dürfte für seine weitere Karriere die entscheidende Eigenschaft sein, denn ein mehrheitsfähiger Grüner ist nicht jeden Tag im Schaufenster. Und Habeck weiß, welche Outfits seine guten Gene unterstreichen. Nie ist er mit Krawatte zu sehen, dafür in allen Variationen des smart casual: T-Shirt-Sakko, offener Kragen, halbteure Pullover. Damit grenzt er sich von Turnschuh-Joschka oder Alm-Anton ab, und zielt in die Normalo-Mitte. Seine Sachen passen ihm, seine Farben sind männlich-dezent, seine Körpersprache ist angenehm zurückhaltend. In einem Jahr voller starker Frauen und dilettierender Politik-Männer reicht das schon zum ersten Platz. Max Scharnigg
Ta-daaa: die Stil-Redaktion hat ihre modischen Gewinner des Jahres gekürt. Eine amerikanische Sängerin und ein deutscher Politiker dürfen sich diesmal freuen.
stil
https://www.sueddeutsche.de/stil/ladies-gentlemen-stilikonen-2018-1.4266665
Ladies & Gentlemen
00/12/2018
Früher schrieb man kitschige Sinnsprüche nur in Poesiealben. Heute verstopfen Aphorismen Twitter und Co. Was findet eine abgeklärte Netzgeneration an diesem Gesülze? Kein Geheimnis: Das Web ist ein Paradies für Sprücheklopfer. Jeden Tag werden hier von den aktiv Beteiligten kleine Ratschläge oder große Weisheiten verbreitet und Alltagsphilosophen versuchen sich an der Einordnung des Weltenlaufs. Für alles, was die Millionen meinungsfreudigen Menschen auf Twitter, Facebook und Co. nicht in Worte gefasst kriegen, gibt es Tafeln mit Sinnsprüchen oder eben englisch: Quotes. Die Aphorismen und Zitate, die in vielen Schriftarten auf bunten Tafeln präsentiert oder mit Fotos hinterlegt werden, fungieren als emotionale Sättigungsbeilage und ersetzen bei vielen Instagram-Accounts und Tumblr-Feeds streckenweise eigene Inhalte. Wenn einem nichts einfällt, bedient man sich eben am Buffet der Sinnsprüche, die sich aus Quote-Archiven ziehen lassen oder die man selbst zusammenbastelt. Im Grunde wie im Alltag: Wenn Menschen nicht wissen, was sie sagen sollen, flüchten sie sich in Phrasen - das klingt immer souverän, und man kommt ewig damit durch. Detailansicht öffnen Vor manchen Quotes sitzt man erst einmal und rätselt. (Foto: imago) Man mag den Abreißkalender mit Eichendorff-Sprüchen aus Omas Küche für das antiquierteste Ding der Welt halten, aber die "Motivational Quotes" die einem heute auf Schritt und Tritt im Netz begegnen, sind eigentlich nichts anderes. Jeden Tag ein guter Spruch, jeden Tag eine Durchhalteparole, jeden Tag ein vages Mantra. Oder eben Tausende, je nach persönlichem Netzumfeld. Erstaunlich sind an dieser Spruchtafelkultur mehrere Dinge. Zum Beispiel die oft bizarre Qualität der Zitate und Quotes. Denn neben den üblichen Oscar Wilde-/Sitting Bull-Floskeln, die auch schon im analogen Zeitalter kursierten, hat der enorme Bedarf im Web zu ziemlich niedrigen Schwellen bei der Frage geführt, was eigentlich wert ist, auf einer leuchtenden Tafel verewigt und hundertfach verlinkt zu werden. Tausende Variationen von Befindlichkeits-Banalitäten wie "You are loved, no matter how you feel!" gehören da eher schon zur akademischen Liga. Zitate aus Songs sind besonders beliebt, scheinen aber keine andere Qualität mehr haben zu müssen, als dass sie in einem Lied vorkommen. Vor manchen Quotes, die einem in die Feeds gespült werden, sitzt man jedenfalls rätselnd viel länger als die paar Pathos-Sekunden, die dafür veranschlagt sind. "Vergisst du, wo du herkommst, kommst du nicht, wo du hinwillst" etwa. Ein Spruch, der kürzlich groß auf der Startseite von Tumblr präsentiert wurde, und den deutschen Rapper Veysel als Urheber ausweist. Aber nicht mal gerappt kann man sich diese krude Syntax besonders sinnreich vorstellen. Noch schlimmer wird es meist, wenn sich die Nutzer an Übersetzungen versuchen oder ihre Gedanken zum Aphorismus erheben. "Du hast drei Möglichkeiten im Leben: aufgeben, nachgeben oder alles geben", plakatiert etwa User gedankenlyrik auf Tumblr. Tja, klingt irgendwie richtig? Aber wie genau? Auch die Facebook-Prophezeiung: "If I could travel for free, no one would ever see me again", montiert auf ein Wüstenfoto, wirft nach der ersten Begeisterung Fragen auf. Detailansicht öffnen Motivationssprüche wie diese ersetzen notfalls den Coach - tschakka! (Foto: imago) Anderes klingt so tief und philosophisch, dass man es sofort teilt, etwa die Feststellung: "We kill all the caterpillars and complain that there are no butterflies" (Wir töten die Raupen und beklagen uns, dass es keine Schmetterlinge mehr gibt), die derzeit rotiert. Das tönt pastoral, ohne dass jemand wohl sagen könnte, in welchem Zusammenhang es der australische Kinderbuchautor John Marsden einst geschrieben hat. Egal, like. Alles was gesamtkritisch die Weltlage betreffend ist, wird besonders gern als Quote weiterverbreitet. Google spuckt heute Hunderte Millionen Treffer für die Suche nach "Motivational Quotes" aus, es gibt riesige Archive mit starken Sätzen für jeden Anlass, fast wie in einem gigantischen Postkartendrehständer. Sprüche für Feministen, Manager und Verliebte, aber auch für Sportler und Tierfreunde oder verzagte Eltern. ("Ein Kind zu haben bedeutet immer, ein Stück seines Herzens außerhalb seines Körpers zu tragen") Viele der Sachen sind so kitschig, dass man sich fragt, wie eine abgeklärte Netzgeneration eigentlich auf so ein Gesülze Wert legen kann. Aber die Spruchtafeln sind eben Wohlfühl-Fugenkitt, sie passen überall dazwischen, fallen nicht ins Gewicht und treffen immer auf Bedarf, wenn auch nur mit der Präzision von Glückskeksen. "Stay close to people who feel like sunshine" (Suche die Nähe von Menschen, die strahlen wie die Sonne). Dazu ein Regenbogenfoto, Herrgott, wie wahr und schön. Daumen hoch!
Früher schrieb man kitschige Sinnsprüche nur in Poesiealben. Heute verstopfen Aphorismen Twitter und Co. Was findet eine abgeklärte Netzgeneration an diesem Gesülze?
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Aphorismen in Sozialen Medien
00/12/2018
Kling, Kästchen, kling! Mit einem Digitalradio kann man so viele Sender wie nie zuvor hören. Sieben Modelle im Test. Das Knistern in der Luft beim Radiohören werden künftige Generationen genauso wenig kennen wie das Knacken von Langspielplatten, denn auch Radiohören wird digital. 250 Radioprogramme sind inzwischen über das digitale Signal DAB+ zu empfangen, die Zahl der DAB-Geräte wächst derzeit exponentiell. Denn digitale Radios haben für Hörer echte Vorteile. So ist der Klang oft klarer und kommt ohne Übertragungsrauschen aus. Und außerdem können im DAB-Netz weitaus mehr Programme angeboten werden als es die beschränkte Zahl von UKW-Frequenzen ermöglicht. Die SZ-Tests im Überblick Diesen und alle weiteren SZ-Produkttests finden Sie hier. Schon jetzt sind eine Reihe von über DAB+ ausgestrahlten Nischensendern entstanden, die zum Teil ein großes Publikum haben, etwa Deutschlandfunk Nova, BR Heimat oder Detektor FM. Und umgekehrt verzichten erste Sender wie Deutschlandfunk, Klassik Radio und Radio FFH mancherorts bereits auf ihre UKW-Frequenzen. Um das Neujahrskonzert in schönster Qualität zu empfangen, könnte die Anschaffung eines DAB-fähigen Radios also angesagt sein. Nur, zu welchem soll man greifen? Es gibt Digitalradios, die zusätzlich Wlan-fähig sind, eine Bluetooth-Schnittstelle und USB-Anschlüsse haben und eher einer Musikanlage gleichen. Andere Radios beschränken sich auf die klassische Funktion: die Übertragung des linearen Live-Programms - nur eben (auch) über den digitalen Standard. Eben diese einfacheren Radios für Küche oder Badezimmer wurden in diesem Test miteinander verglichen.
Kling, Kästchen, kling! Mit einem Digitalradio kann man so viele Sender wie nie zuvor hören. Sieben Modelle im Test.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/test-digitalradio-dab-1.4259999
Test: Das ist das beste Digitalradio
00/12/2018
Einkaufen und die Ware kostenlos zurückschicken - mit diesem Service versuchen Onlinehändler, ihre Kunden zum Bestellen zu motivieren. Mit zweischneidigem Erfolg: Der Onlinehandel boomt, noch stärker aber boomt die Lust am Umtausch. Gerade nach Weihnachten befinden sich wieder jede Menge Elektrogeräte, Pullover oder Bücher auf dem Weg zum Anbieter. Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom ist die Retourenquote in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozent gestiegen. Demnach schicken die Deutschen etwa jede achte Bestellung zurück, junge Shopper unter 30 sogar fast jede fünfte. "Frauen tauschen öfter um, nämlich jeden siebten Einkauf, während Männer nur jeden zehnten Einkauf zurückgeben", sagt Julia Miosga, Leiterin des Bereichs Handel und Logistik bei Bitkom. Besonders häufig betrifft dieses Verhalten Modehändler: "Die Retourenquoten von Kleidung sind enorm hoch und steigen von Jahr zu Jahr", sagt Miosga. Jeder Zweite gibt an, Waren hin und wieder mit der Absicht zu bestellen, sie zurückzuschicken. Großhändler wie Zalando bestätigen, dass die Umtauschquote bis zu 50 Prozent beträgt und quasi zum Geschäftsmodell gehört. Zum einen, weil Kunden gleich mehrere Modelle in unterschiedlichen Größen ordern, um sich zuhause eine entsprechende Auswahl zu sichern. Zum anderen, weil Abendkleider oder Anzüge zu festlichen Anlässen häufig nur einen Abend getragen und anschließend zurückgeschickt werden. Bundesweit kommen so mehrere Hundert Millionen Pakete jährlich zusammen. Die Kosten trägt der Anbieter, für den sich das Geschäft dennoch lohnt. Und die Umwelt. Doch warum handeln Konsumenten so, obwohl sie damit Verschwendung zelebrieren, Billiglöhne unterstützen und dem Klima schaden? "Weil es kostenlos ist", sagt Wirtschaftspsychologe Felix Brodbeck, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Durch diesen suggerierten Vorteil entwickle der Kunde die Präferenz, lieber daheim zu shoppen. "Wer sich nicht für eine Farbe entscheiden kann - und auch nicht muss -, denkt in dem Moment nicht an den unterbezahlten Paketboten oder die Klimabilanz." Manchmal kommt es billiger, die Ware zu spenden Die verschmähte Kleidung wird größtenteils so aufbereitet, dass sie erneut zum Verkauf angeboten werden kann. Doch solche Maßnahmen kosten Zeit und Geld, mindestens zehn, mitunter bis zu 50 Euro pro Artikel. Manchmal kommt es billiger, die Ware zu spenden, etwa an Online-Händler wie Momox oder Rebuy, die daraus ein eigenes Geschäftsmodell gemacht haben. Oft sehen sich Händler gar gezwungen, Ware zu entsorgen - erst im Juni wurde bekannt, dass Amazon massenhaft retournierte Massenware vernichtet. Immer mehr Onlinehändler bemühen sich daher, zu gewährleisten, dass der Kunde von vornherein die passende Ware erhält: durch detailliertere Produktinformationen oder neue Vermessungstechnologien, die die individuellen Maße der Kunden ermitteln. Auch Virtual Reality soll künftig zum Einsatz kommen: "Etwa um auszuprobieren, wie ein Möbelstück im eigenen Wohnzimmer wirkt", sagt Miosga von Bitkom. Wirtschaftspsychologe Brodbeck kann sich gut vorstellen, dass sich das Problem in ein paar Jahren von selbst löst: "Dann stellt der Kunde plötzlich fest, dass ihm das Einkaufserlebnis fehlt. Und verlangt, wieder mit einem echten Menschen zu interagieren." Bis dahin wird Umtauschen wohl weiter zum Geschäftsmodell gehören.
Jede achte Internet-Bestellung wird zurückgeschickt. Weil es kostenlos ist. Oft wird die Ware dann vernichtet. Weil es billiger ist.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/online-shopping-retoure-1.4267643
Online-Shopping: Will ich, will ich nicht
00/12/2018
Berlin Die Idee dieses Bildes ist die Verbindung von zwei Berliner Motiven. Ich liebe Caspar David Friedrichs "Frau am Fenster" aus der Alten Nationalgalerie. Den Schiffsmast habe ich dann durch den Fernsehturm vom Alexanderplatz ersetzt, und die Ikone der Romantik damit ins Jetzt geholt. Und aus der Frau im steifen Kleid wird eine lässige Berlinerin. Nach Berlin sind wir nach elf Jahren New York 2008 gezogen, und mittlerweile würde ich auch sagen, dass die Stadt meine Heimat ist. Auch wenn man sich hier gerne mit Neuankömmlingen schwer tut. Mein Lieblingscartoon dazu stammt von Schilling & Blum: Zwei Hipster sitzen im Café. Sagt der eine: "Ich wohne erst seit einem Monat in Berlin, aber ich hasse schon alle, die nach mir gekommen sind."
Christoph Niemann gehört zu den gefragtesten Illustratoren der Welt. Im Gespräch erzählt er, wie seine Werke entstehen und was er an Instagram schätzt.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/niemann-illustration-ausstellung-1.4262376
Illustrator Christoph Niemann über seine Arbeit
00/12/2018
Warum stürzen sich Architekten und Designer so auf Frachtcontainer? Sie sind nicht umweltschonend und rosten vor sich hin, aber: Sie treffen den Nerv der Zeit. Zu Besuch in einer Berliner Manufaktur. Die Zimmer wirken wie Lofts. Lang gezogen, mit einer Front aus Glas, sodass drinnen alles voller Licht ist. Draußen dann Terrassen und Laubengänge aus Metall, die einen an die Feuerleitern von New Yorker Apartmenthäusern erinnern. Und doch ist das nicht Manhattan, sondern Berlin. Das kommunale Studentenwohnheim im Plänterwald wurde 2017 eröffnet, und seither werden die Betreiber mit Anfragen aus aller Welt überrannt. Das liegt nicht nur am Preis, 440 Euro für 25 Quadratmeter, alles inklusive. Sondern vor allem daran, dass man während des Studiums wohl kaum origineller unterkommen kann als hier. Denn das Wohnheim ist zu einem Teil aus Containern gebaut, Schiffscontainern, um genau zu sein. Diesen riesigen Boxen, mit denen Waren auf Frachtern um die Welt geschickt werden. Meistens sind sie zwölf Meter lang und knapp zweieinhalb Meter breit. Gefertigt aus Stahl, der dem Gebäude rauen Industriecharme verleiht und sich an der Witterung zu einem warmen Braunton verfärbt hat. Eine Rostlaube gewissermaßen, nur in stylish. Zwischen Architektur und Kunstinstallation Wenige Dinge sind bei Architekten und Innenausstattern derzeit so angesagt wie Schiffscontainer. Begonnen haben vor einigen Jahren die Leute der Schweizer Taschenfirma Freitag, die an einer Autobahnbrücke in Zürich einen ganzen Turm aus metallenen Frachtboxen aufstellen ließen. 26 Meter hoch, an den Seiten verglast und nachts beleuchtet, ist der Freitag Tower ein Wahrzeichen der Stadt. Wer unten durch die Verkaufsräume schlendert oder die Treppen hoch zur Aussichtsplattform steigt, befindet sich in einem Gebäude, bei dem man nicht sagen kann, ob es schon Architektur ist oder noch eine Kunstinstallation. Ein Bauwerk, das zugleich massiv und flüchtig ist, denn so schnell ein Turm aus Containern errichtet ist, so einfach kann er auch wieder abgetragen werden. Und erst das Material: Seecontainer sind immer gleich und überall erhältlich, ein Rohstoff, der nie ausgehen wird, solange sich die Menschheit ihre Konsumgüter über den gesamten Erdball schippern lässt. Sie sind das Symbol und Produkt einer globalisierten Welt, in der man global denkt und handelt. Mit Betonung auf Produkt, denn inzwischen stehen die Behältnisse oft selbst im Mittelpunkt. Sie werden zu Showrooms auf Messen recycelt oder zu Pop-up-Stores in Einkaufszentren. Man verwandelt sie in Bars oder Cafés, die man einen Sommer lang im Park oder bei einem Festival aufstellt. Im oberbayerischen Aresing hat ein Künstler im Gewerbegebiet einen Seecontainer zu einer Kapelle umgebaut, mit hohen Fenstern aus blauem Glas und einem Glockenturm aus Metall, eine ganz neue Art von Kirchenschiff. In Berlin entstand schon eine ganze Kunsthalle aus Schiffscontainern: ein dunkler Kubus, an dem man noch die Verriegelungen der Metalltüren erkennen konnte. Mit einer Veranstaltungshalle, Büros und einer Lounge darin, um zu arbeiten, zu feiern oder Kunst zu machen. Ein Ort, der selbst wie ein Container funktionierte, weil er immer mit etwas anderem gefüllt werden konnte. Berlin liegt zwar nicht am Meer und hat auch keinen nennenswerten Hafen, die Möglichkeiten, die Seecontainer bieten, hat man hier aber erkannt. In einer alten Industriehalle im Osten der Stadt zum Beispiel. Dort betreibt Nils Clausen eine Manufaktur für Schiffscontainer. Clausen, 52, ist eigentlich Architekt, und die längste Zeit seines Lebens hat er damit verbracht, Oldtimer-Boote zu sammeln und zu renovieren. Wenn man zu ihm will, muss man erst an alten Yachten oder einem ausrangierten Polizeiboot aus den Niederlanden vorbei. Von Clausens Leidenschaft für Boote war es dann nicht mehr weit zu den Schiffscontainern. Seit 2010 ist er im Geschäft, da wollte die Berliner Modemesse Bread and Butter ein Empfangsgebäude für das Tempelhofer Feld. Clausen nahm Container und baute daraus eine Mischung aus Turm und Treppe. Was finden die Leute eigentlich an dem Material? Er führt durch seine Halle. Es ist laut und riecht nach Metall, überall wird gehämmert und geschweißt. Clausen öffnet seinen Prototyp, den gebrauchten Container mit den vielen kleinen Fenstern in Metallrahmen, ursprünglich ein Pavillon für Tommy Hilfiger. Er bleibt vor einem Container stehen, der aussieht wie die Veranda eines amerikanischen Vorstadthauses, hell gestrichen und vorne offen. Ein Container für Raucher, wie er sehr oft von großen Firmen bestellt werde, sagt Clausen, während er über das Metall streicht. Detailansicht öffnen Schön kuschelig: Innenansicht des Studentendorfes. (Foto: Andreas Süß/HOWOGE) Was finden die Leute eigentlich an dem Material? Sehr umweltschonend ist es ja nicht, die Container werden in China produziert und mit Schiffen und Lastwagen nach Berlin verfrachtet, ein Großteil der Kosten geht für den Transport drauf. Dazu müssen die Container, selbst wenn sie gedämmt sind, entweder gekühlt oder geheizt werden. Clausen sagt, das Faszinierende sei die gewellte Außenhaut, "dazu das Bewegliche, das Gefühl, das kann schnell wieder weg sein". So oder so: Der Trend zum Container hat längst auch das private Wohnen erreicht. Wenn es darum geht, die Wohnungsnot in den Metropolen zu lindern, ist stapelbare Architektur oft das Mittel der Wahl, ob sie nun aus Schiffscontainern besteht oder anderen Modulen aus Metall, Kunststoff oder Holzfaserplatten. Container werden aufgestellt, um Flüchtlinge schnell unterbringen zu können oder Unterkünfte für Obdachlose zu schaffen. An einer Durchgangsstraße im Südosten Londons hat Richard Rogers, einer der bekanntesten britischen Architekten, aus knallbunten Containern eine Siedlung geschaffen, sozialen Wohnungsbau zum Stapeln. Tiny House statt Einfamilienhaus Und immer öfter wollen Leute in Containern wohnen, die eigentlich genügend Geld haben, erzählt Nils Clausen. Er entwirft gerade ein Penthouse aus nebeneinander gelegten Schiffscontainern, mit drei verglasten Seiten. Clausen schnappt sich die Bauklötzchen, die er immer auf einem Tisch liegen hat, um den Leuten zu zeigen, was er meint. Wie man die Container aneinanderreiht, wo man am besten Wände herausnimmt oder noch eine Terrasse aufsetzt, seine Arbeit bezeichnet er als "Upcycling". Neues Leben für alte Container. Clausen hat inzwischen so viel zu tun, dass er sich eine neue Produktionshalle am Rand von Berlin bauen wird. Sie wird ganz aus Seecontainern bestehen, sogar das Dach. Unlängst sei ein Mann auf ihn zugekommen, sagt Clausen, Mitte zwanzig, Start-up-Branche, und sagte: Ich hätte gerne je einen Wohncontainer in Kopenhagen, New York und Berlin. Rein rechtlich sei das gar nicht mal so kompliziert, für ein Gartenhaus etwa braucht man oft keine Baugenehmigung, und viele Kommunen seien wahrscheinlich offen für Dinge, die man auch wieder loswerden könne. Es gehe darum, wie man heute leben wolle, sagt Clausen. Die Schiffscontainer, die klein und kompakt, schnell auf- und wieder abgebaut sind, treffen den Nerv einer Generation, die überall unterwegs sein muss und sich auf nichts festlegen will. Die kein Einfamilienhaus bauen möchte, sondern am liebsten in jeder Stadt der Welt ein Tiny House hätte.
Warum stürzen sich Architekten und Designer so auf Frachtcontainer? Sie sind nicht umweltschonend und rosten vor sich hin, aber: Sie treffen den Nerv der Zeit. Zu Besuch in einer Berliner Manufaktur.
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Bautrend Schiffscontainer - Liebe zur Kiste
00/12/2018
Die Orange passt zu fast allem, eine besonders glückliche Partnerschaft aber geht sie mit Schokolade ein. Wer findet, er hatte im Advent schon genug Süßes, hat diese Orangentrinkschokolade noch nicht probiert. Weihnachtszeit ist Orangenzeit. Doch wenn wir ehrlich sind, dann trauen wir der beliebtesten Zitrusfrucht der Welt weniger zu, als ihre Popularität vermuten ließe. Natürlich ist sie ein hübscher Farbfleck auf bunten Tellern und ihr Saft erfrischend, doch die ganze Bandbreite ihrer Vorzüge - Süße, Säure, Fruchtigkeit, die zarten Bitternoten ihrer ätherischen Öle - offenbart sich erst, wenn man sie in der Küche kombiniert. Wobei es egal zu sein scheint, womit: Diese Frucht schmeißt sich gewinnbringend an alles ran, was der Kühlschrank hergibt. Nur ein Beispiel: Eine einzelne, ungeschälte, im Ganzen gekochte und pürierte Süßorange ergibt ein hocharomatisches Mus, das nicht nur die Basis für den legendären Mandel-Orangen-Kuchen von Claudia Roden (unbedingt googeln und ausprobieren!) bildet, sondern auch für den fantastischen Salat aus Safranhühnchen, Chili und Fenchel von Yotam Ottolenghi (dito). Eine ihrer glücklichsten Partnerschaften aber geht die Orange mit dunkler Schokolade ein. Und wer findet, er habe zuletzt genug Süßes gehabt, der hat vermutlich die heiße Orangenschokolade von Paul Ivić ("Vegetarische Winterküche") noch nie probiert. Dafür 125 g Zartbitterschokolade über dem heißen Wasserbad schmelzen. 125 ml Sahne und 60 ml Milch aufkochen, mit der Schokolade gut verrühren. Diese Ganache auf vier Tassen verteilen (etwa 4 bis 5 EL pro Tasse). Dann 240 ml Milch mit dem Abrieb einer Bio-Orange und dem Mark einer Vanilleschote aufkochen, je ein Viertel davon über die Ganache in jeder Tasse gießen, erneut verrühren und sofort servieren. Mit Zimtblüten in der Milch wird sie noch feiner. Und zur Not lässt sich die Menge auch auf eine große Tasse verteilen.
Die Orange passt zu fast allem, eine besonders glückliche Partnerschaft aber geht sie mit Schokolade ein. Wer findet, er hatte im Advent schon genug Süßes, hat diese Orangentrinkschokolade noch nicht probiert.
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Geschmackssache: Die Ranschmeißer-Orange
00/12/2018
Susanne Bisovsky zerlegt die festgezurrten Gewandregeln für Dirndlrock, Spenzer oder Bluse, um die Einzelteile zur freien Verfügung für Neues zu haben. Manchmal passen Ort und Werk fast zu schön zusammen, um wahr zu sein. Für eine Modeschöpferin in Wien mit einer Schwäche für verflossene Zeiten kann es keine bessere Adresse geben als den Brillantengrund. Allein dieser Name klingt magisch, eine alte Bezeichnung für den 7. Bezirk, in dem einst Tuchfabrikanten reich wurden. Susanne Bisovsky hat ihren Salon für "Haute Couture und Prêt-à-porter" in der Seidengasse 13. Es geht über Kopfsteinpflaster durch einen Torbogen. Im ersten Stock bittet die Designerin in ihr Atelier mit Kronleuchter. Ein sehr wienerischer Auftakt. Derlei bekommt Bisovsky öfter zu hören, sie lächelt nachsichtig. "Ach ja, Sie finden das typisch Wien?" Und klack, schon schnappt die Klischeefalle das erste Mal zu. Das kann in diesem Atelier schnell passieren. Kaum jemand spielt in der Mode so virtuos mit Stereotypen wie die Österreicherin. Das gilt für die Einrichtung der Räume in k. u. k. Manier (Hutschachteln, Fransenlampe) - bitte, da muss man doch Sigmund Freud oder die Walzersippe Strauss hinter der nächsten Tür vermuten. Und das gilt vor allem für ihre Entwürfe. Susanne Bisovsky macht Tracht, und in kein anderes Stück Textil wird seit Generationen so viel an Bedeutung interpretiert. Heimat. Beständigkeit. Alte Werte. Tracht ist das Modeklischee. Da macht es natürlich besonders viel Freude, die Erwartungen zu enttäuschen. Versatzstücke eines bestimmten Kleidungsstücks oder Stils in einen ungewohnten Look zu verwandeln, das nennen Modefachleute gerne hochtrabend Dekonstruktion. Und Susanne Bisovsky zerlegt die festgezurrten Gewandregeln für Dirndlrock, Spenzer oder Bluse, um die Einzelteile zur freien Verfügung für Neues zu haben. Ihre Trachtlerinnen sehen aus wie ein Mix aus tartarischer Windsbraut und Tirolerin. Oder wie mondäne Schwarzwaldmädel mit andalusischem Putz. Ihre luxuriösen Kreationen kommen an, die 50-Jährige ist viel beschäftigt. Eine Ausstellung im Weltmuseum Wien, Projekte mit dem Kristallkonzern Swarovski - die Geschäfte laufen. Detailansicht öffnen Dralle Dirndl mit Totenkopf wird man bei Susanne Bisovksy (hier im Bild) nicht finden. Dafür Akzente aus aller Welt. (Foto: Susanne Bisovsky) Sie beherrscht das Jonglieren mit Folklore-Elementen Als "Schaukasten" bezeichnet die Designerin beim Rundgang ihre Werkstatt, das trifft die Atmosphäre in den vier Meter hohen Räumen ganz gut. Bisovsky, in schwarzer Tunika und Filzturban à la Beauvoir, führt vorbei an Schatullen mit Knöpfen und alten Borten, an einem Dutzend ausladender Bauernhüte an der Wand. Neben bunten Schultertüchern hängt eine Reihe lodengrauer Wollröcke, nach alter Plissiertechnik in Falten gelegt. Das ist der Fundus, das textile Reservoir. "Meine Schätze", sagt Bisovsky und öffnet eine Schublade voller zerschlissener Perlenbeutel, die sie mit geübtem Griff entwirrt. Was sie am Ende aus alten Versatzstücken und neuen Stoffen zusammensetzt, hängt zur Anprobe auf Bügeln bereit: Taillierte Kleider, Schößchenjacken aus Spitze, ein Jackie-Kennedy-Mantel in perfekter A-Linie. Bisovskys Kollektionen heißen "Schöne Wienerin" oder "Dreimäderlhaus", aber volkstümlich im herkömmlichen Sinn ist keiner der Entwürfe. Vielmehr wird Tracht hier als Stilrepertoire begriffen und zitiert, so wie die Mode ja grundsätzlich ihre Anklänge an Epochen und Kulturen offenlegt - etwa durch das Nachahmen des Hippie-Looks oder das Einarbeiten japanischer Elemente. Die Modeschöpferin beherrscht das Jonglieren mit Folklore-Elementen virtuos. Harmonische Proportionen, viel bestickter Rosenstoff, ein Paar geknöpfte Stiefeletten hier, aufgenähte Häkeldeckchen dort: Das ist in einer ziemlich einmaligen Melange elegant, ironisch und kunstfertig zugleich. "A magical collection", schwärmte sogar die Großkritikerin Suzy Menkes. Seither kommt die Klientel auch aus New York oder Shanghai. Zu Hause in Wien schob die medienwirksame Maßanfertigung eines Abendkleids für die damalige Opernballchefin Desirée Treichl-Stürgkh den Umsatz an. Susanne Bisovsky hat ihre detailverliebte Handschrift schrittweise entwickelt. Nach der Ausbildung an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien holt sie der französische Designer Jean-Charles de Castelbajac nach Paris, später entwirft sie für den puristischen Helmut Lang und das Label Kathleen Madden. Aber die Faszination für Tracht, über die Kommilitonen "die Nase rümpfen, das galt damals als provinziell", lässt sie nicht los. Als Bisovsky 1999 ihr Label gründet, bringt sie also Erfahrung mit. Sie weiß, dass man als Newcomer nur in einer Nische überlebt. Sie ist versiert in Schnitttechnik. Und sie kann weglassen. "Das habe ich von Helmut Lang gelernt, im richtigen Moment aufhören." In ihrem Fall bedeutet das: dosierte Opulenz. Detailansicht öffnen Die Wiener Designerin mag es, das Exotische mit dem Traditionellen zu verbinden. (Foto: Bianca Hochenaue) Ihre Beute auf dem Flohmarkt: ein moldawischer Teppich, der später zum Rock wird Bei Haute Couture kann das bis zu 4500 Euro kosten. Abseits des Modebetriebs fühlt sich die Österreicherin am wohlsten, als eine Art Orchideenlabel. "Strange beauty" attestierte Suzy Menkes ihren Entwürfen, eine fremde, fremdartige Schönheit. Sie pfeift auf den Stakkato-Output der Modewochen, arbeitet lieber bestehende Modelle immer wieder um, variiert Stoffe und Besätze. Basics sind figurbetont geschnittene Röcke und Kleider. Taillenkurze Jacken, anliegende Oberteile, die in einer Kooperation mit der Porzellanmanufaktur Augarten auch mal mit klirrenden Keramikplättchen besetzt sein können. Wenn ihr bei Beutezügen auf Flohmärkten ein moldawischer Rosenkelim ins Auge fällt, hängt der irgendwann als Rock auf einem Bügel im Atelier. Wie man so etwas trägt? Zu Sneakers zum Beispiel, oder mit einem weißem T-Shirt. Ein Bisovsky-Teil funktioniert am besten als alleinstehende Extravaganz. "Von Kopf bis Fuß in meinen Sachen", sagt sie selbst, "das würd' ich nicht machen." Außer für Werbeshootings natürlich, und die märchenhaften Bilder haben im Netz ihren Teil beigetragen zur leisen, aber beharrlichen Karriere der Wienerin. Komplette Geschichten werden in den Fotostrecken erzählt, von verlassenen Datschen im Winter, bleichen Schneeköniginnen. Häkelstrümpfe zu High Heels, Berchtesgadener Strick zur spanischen Mantilla: Epochen- und Regionsgrenzen interessieren Bisovsky nicht. Ihr Begriff von Tracht fügt altehrwürdige Muster und Formen mit Bedacht zusammen - weit entfernt vom spaßig drallen Totenkopfdirndl und ähnlich missglückten Promenadenmischungen der Landhausmode. Detailansicht öffnen So kunstvoll geschmückt können Beine sein. (Foto: Jenny Koller) Von falschen Freunden ist Susanne Bisovsky übrigens verschont geblieben, "und darüber bin ich froh", sagt sie. Die eine oder andere Rechtsaußendame könnte in Zeiten der schwarz-blauen Regierung in Wien ja durchaus Interesse an einer Trachtendesignerin haben. Aber dieser Kundin wären die Modelle aus der Seidengasse garantiert zu wenig forsch und adrett. Hier umweht alles ein Hauch Melancholie und Weltflucht. Was wiederum ein typisches Merkmal folklorelastiger Mode ist, die in Wellen immer wieder aufkommt. Trachten als Gegenentwurf zur kalten, technisierten westlichen Gesellschaft: Das hat schon in den Siebzigern den Erfolg der berühmten "Collection Russe" von Yves Saint Laurent befeuert. Nach demselben Prinzip löste Chanel vor vier Jahren mit Karl Lagerfelds Salzburger Defilee Euphorie aus, als Models wie Cara Delevingne, Inbegriff des Großstadtmädchens, das Rosenresli gaben. So wie es aussieht, kann Susanne Bisovsky ihr Spiel mit Klischees noch eine Weile treiben. Die niederländische Trendforscherin Li Edelkoort hat soeben ein zunehmendes Interesse an Tracht prophezeit.
Designerin Susanne Bisovsky löst kunstvoll das Trachten-Klischee auf. Sie vereint in ihren Entwürfen Habsburger Opulenz mit andalusischen Akzenten.
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Wiener Dirndl-Virtuosin
00/12/2018
Wie Trüffel, Kaviar oder Austern heute war die südamerikanische Kartoffel vor 400 Jahren in Europa noch so selten und teuer, dass sie als aphrodisierend galt. In gewissem Sinne stimmte das sogar: Wo die Knolle später billig und allgegenwärtig geworden war, gab es wenig Mangelernährung, und die Bevölkerung wuchs enorm. Bei ihrer Verbreitung spielte der Kartoffelsalat von Anfang an eine Rolle. Schon 1597 beschreibt der englische Botaniker John Gerard in seinem Buch "The Herball" nicht nur als erster Europäer die Kartoffelpflanze, sondern auch wie man die Knollen zubereitet: mit Essig, Salz und Wein. Ein Benediktinerabt namens Caspar Plautz lieferte 1621 ein sehr ähnliches Rezept auf Latein, bei ihm kommen auch Öl und Pfeffer an den Salat. Doch warum gilt heute in Deutschland gerade Kartoffelsalat mit Würstchen als typisches Essen für den 24. Dezember? Die Frage lässt sich nicht klar beantworten, eine von Indizien gestützte Theorie muss reichen: Heiligabend gehört zur vorweihnachtlichen Fastenzeit - ob die am 24. Dezember mit Aufgang des ersten Sterns, um Mitternacht oder erst am 6. Januar endet, ist aber Interpretationssache. Im streng katholischen Polen jedenfalls gibt es an Heiligabend vegetarische Fastengerichte - zwölf verschiedene, für jeden Apostel eines. Dazu gehört auch ein Salat mit Mayonnaise, Gemüse und Kartoffeln. Würstchen hingegen passen eigentlich gar nicht in den Speiseplan an Fastentagen, und doch essen wir sie an Heiligabend. Es finden sich sogar Kartoffelsalat mit Seefisch oder Karpfen unter den traditionellen Festvarianten. Das erklärt sich vielleicht daraus, dass man selbst in sehr christlichen Gegenden die vorweihnachtliche Fastenzeit nie so streng einhielt wie die vor Ostern. Tiere, die man nicht durch den Winter füttern wollte kamen vor Weihnachten zum Schlachter. Dort fielen immer auch wenig haltbare Würste an und die wurden natürlich gegessen - Fastenzeit hin oder her. So passt die Kombination von Würstchen und Kartoffelsalat tatsächlich gut zu Heiligabend. Kein ganz einfaches Gericht Guter Kartoffelsalat macht mehr Arbeit, als man denkt, aber ein Argument für ihn ist, dass er sich gut vorbereiten lässt. Kein Wunder also, dass die Tradition bis heute beliebt ist - es bleibt ja genug zu tun in den letzten Stunden vor Weihnachten. Allerdings sollte man einen vorbereiteten Kartoffelsalat noch einmal sorgfältig abschmecken, kurz bevor er auf den Tisch kommt. Auch sollte der Salat nicht kalt serviert werden, das schadet dem Geschmack. Wenn möglich also die Schüssel rechtzeitig aus dem Kühlschrank holen und Zimmertemperatur annehmen lassen. Detailansicht öffnen Manche Restaurants erfüllen unterschiedliche Kartoffelsalatwünsche: Etwa der Burgerladen Cosmogrill in München. (Foto: Alessandra Schellnegger) Einzelne Rezeptvorlieben haben vor allem mit Ideologie und Erinnerungen zu tun. In Süddeutschland sind etwa Vorurteile gegen norddeutsche Kartoffelsalate mit Mayonnaise verbreitet. Zu mächtig lautet der Vorwurf. Dabei wirken vor allem fertige Mayonnaise-Kartoffelsalate aus dem Eimer pampfig. Ein bayerischer Kartoffelsalat aus der Fabrik ist auch nicht besser. Wenn man aber zu Hause die Kartoffelscheiben zuerst mit Brühe und etwas Essig sanft mariniert, sodass die Scheiben in Würzflüssigkeit ruhen, dann macht es später keinen Qualitätsunterschied, ob man den Salat mit Mayonnaise oder mit Öl verfeinert. Ob mit Brühe, (sauren) Gurken oder Apfel, ob mit oder ohne Senf, Speck, Feldsalat oder Endivien, ob mit harten Eiern oder sogar mit Sardellen - alle Kombinationen sind möglich, und alle passen zur Kartoffel. Hauptsache, der Salat wird gut gewürzt und am Ende liebevoll abgeschmeckt. Guter Kartoffelsalat ist aus guten Kartoffeln Wirklich entscheidend für das Aroma des Salates sind - wen wundert es - die Kartoffeln. Festkochende Sorten haben den Vorteil, dass sich ihre Scheiben in der Marinade nicht gleich auflösen. Auch lassen sie sich leichter schneiden als mehligkochende Sorten. Doch gibt es Liebhaber, die weniger festkochende Sorten bevorzugen, wie zum Beispiel die aromatische, halbfeste "Agria". Manche geben sogar einzelne mehligkochende Kartoffeln mit in den Kartoffelsalat, um die Marinade stärker zu binden. Gerade längliche, festkochende Kartoffelsorten haben oft ein schönes Kastanienaroma und dazu eine Form, aus der sich besonders gut gleichmäßige messerrückendicke, runde Scheiben schneiden lassen. Infrage kommen unter anderem die Sorten "Tannenzapfen" oder "Rosa Tannenzapfen", verschiedene Sorten österreichischer "Kipfler", französische "La Ratte" oder "Bamberger Hörnchen". Die traditionelle "Linda" und die neue Sorte "Allians" sind nicht ganz so schlank geformt, aber schön stabil und schmecken genauso gut. Ein weiterer wichtiger Trick: Wenn man zuerst klein gewürfelte Zwiebeln in eine Schüssel gibt, diese mit kochender Brühe übergießt und dann die Kartoffeln direkt in die Brühe schnippelt, wird das intensive Aroma roher Zwiebeln gemildert und die Kartoffelscheiben haben genug Zeit, um etwas Brühe aufzunehmen, ein Garant für besonders viel Geschmack.
An Heiligabend gibt es traditionell Karpfen - oder eben Würstchen und Kartoffelsalat. Aber wie geht ein richtig guter Kartoffelsalat?
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Essen & Trinken - Weihnachten ist ein Fest für die Kart
00/12/2018
Im Wiener Restaurant "Habibi & Hawara" werden Flüchtlinge zu Gastronomen ausgebildet. Das ist nicht nur ein lobenswertes Projekt, sondern vor allem ein lohnenswertes Lokal. Die gute Gemüseküche hier füllt eine Lücke in der Gastronomie der österreichischen Hauptstadt. Wenn es eine österreichische Antwort auf Yotam Ottolenghi in London gibt, dann ist es das Habibi & Hawara in Wien. Das Lokal wirkt zwar lange nicht so schick, und die Speisen sind nicht so elaboriert wie beim berühmten britischen Levante-Koch. Aber es ist populär, meist sogar rappelvoll, und es ist einer der wenigen Zufluchtsorte in Wien, an dem frische, gemüsereiche Küche unprätentiös auf den Tisch kommt. Wer in Österreich Lust auf knackige Salate und gut gewürzte vegetarische Gerichte hat, muss sich bis heute oft blöde Sprüche anhören ("Erdäpfelsalat zum Schnitzel ist gesund genug!"), und in den Beisln der Hauptstadt gehen Knödel, Nockerl oder Tascherl mit Käse und Spinat eh als Gemüse durch. Für das Habibi & Hawara ist es nicht unwichtig, dass seine Küche in Wien eine Lücke füllt. Denn es geht hier auch um ein Integrationsprojekt. Der Name bedeutet so viel wie "Freund & Freund". Habibi meint den arabischen Liebling, Hawara den Wiener Kumpel. Das Restaurant ist entstanden als Antwort auf die Flüchtlingskrise im Sommer 2015. Geflüchtete arbeiten gemeinsam mit Einheimischen. Ziel der Initiative von Martin Rohla und Katha Schinkinger ist die Ausbildung von Flüchtlingen zu Gastro-Unternehmern, die mittels eines Social-Franchise-Systems künftig auf eigenen Beinen stehen sollen. Es geht also um Nachhaltigkeit, und da ist es wichtig, dass die Küche viele anspricht. Allein um ein lobenswertes Projekt zu unterstützen, würde man hier ja auf Dauer nicht essen gehen. Detailansicht öffnen Auch die zentrale Lage schräg gegenüber der Börse im ersten Bezirk finden offenbar viele Gäste praktisch. Erst vor ein paar Monaten wurde das Restaurant um eine ehemalige Pizzeria erweitert. Ganz fertig renoviert ist noch nicht, aber das stört keinen. Die Einrichtung ist auch ohne Baustelle wild, auf den abgetretenen Böden liegen Orientteppiche, farbenfrohe Deko ist kombiniert mit gemütlich runtergewohntem Wiener Schick. Das Personal ist erwartungsgemäß Multikulti und die Stimmung für Wiener Verhältnisse fast schon übermütig fröhlich. Die Welthauptstadt des Grants zeigt sich hier von ihrer großzügigen Seite. Zu Mittag lockt ein Buffet (mit Desserts und Tee 15,90 Euro) - die Angestellten naher Büros und Kanzleien ebenso wie Touristen. Detailansicht öffnen Etwa 15 kalte Speisen, wie sie in Libanon oder Israel ganz normal wären, eröffnen hier vegetarische Horizonte. Die großteils saisonalen Gemüse - ob Kürbis oder Süßkartoffeln, Brokkoli oder kleine Champignons, Karfiol (Blumenkohl), Melanzani (Auberginen) oder Okraschoten - werden sortenrein im Ofen gebacken oder langsam weich geschmort und dann markant (aber nie zu üppig!) abgeschmeckt mit gerösteten Gewürzen wie Kreuzkümmel oder Koriander, mit Tahin oder Joghurt, Unmengen frischer Petersilie oder Minze sowie mit der Säure von Zitronen, Sumach oder Granatapfel. Die Vintage-Teller sind von ebenso vielfältiger Herkunft wie die Speisen und das Personal. Das syrische Tabouleh, Petersiliensalat mit etwas Bulgur, schmeckt hier so köstlich wie selten, weil kräftig zitrussauer. Um die frisch gebackenen ägyptischen Falafel "Tameya nach Aboudis Rezept" herrscht ein G'riss, verständlich, weil sie nicht zu dicht gepresst und knoblauchüberwürzt sind, sondern so knusprig, weich und harmonisch, dass man klammheimlich den für das gesamte Lokal gedachten, viel zu kleinen Falafelteller als Beute zum eigenen Tisch mitnehmen möchte, um dort ein Laibchen nach dem anderen wegzuknabbern, immer abwechselnd mit einem Klacks vom Hummus. Der hat hier nichts von der zusammengehauenen, sesampastenklebrigen Schwere wie in den üblichen Buden. An Warmem gibt es Lammköfte, Okra-Eintopf und andere wenig attraktiv aussehende, aber köstliche Schmorgerichte. Die Gefahr besteht, dass man bei den Vorspeisen hängen bleibt und sich dabei satt und glücklich isst. Die Desserts würden dagegen von mehr österreichischem Mehlspeisen-Know-how profitieren, sie sind im Vergleich zu den salzigen Speisen etwas eindimensional und trocken. Abends wird das Familienmenü tischweise geteilt, zum Fixpreis von 25,90 Euro pro Person serviert das auffallend höfliche Personal Etagèren, auf denen viele verschiedene und ähnliche Speisen wie zu Mittag gereicht werden. Wenn etwas besonders gut schmeckt, darf Nachschlag geordert werden. Und wenn auch der Hawara bei den Speisen - also der österreichische Einfluss in der Küche - bis zu den warmen Gerichten am Abend so gut wie unsichtbar war, dann ist er es bei einem Gericht umso mehr: Butterweich geschmortes Schulterscherzl kommt auf einem Bett aus dem gelobpreisten Hummus, darauf ausgelöste Kerne eines reifen Granatapfels. In einem Satz Unprätentiöses Nahost-Lokal, das erst auf den zweiten Blick als Sozialprojekt erkennbar wird, weil das Essen auch ohne dieses Wissen gut ist. Qualität: ●●●●○ Ambiente: ●●●○○ Service: ●●●●○ Preis/Leistung: ●●●●● Würde das ein Koch in einem Wiener Traditionsbeisl machen, so würde er mit nassen Fetzen aus der Stadt gejagt werden. Stünde das Scherzl in einem Weinbistro auf Käferbohnenpüree mit eingelegten Dirndln (Kornelkirschen) auf der Karte, dann würde man die Köchin feiern. Im Habibi & Hawara ist es die Essenz dessen, worum es bei der Weiterentwicklung einer Küche und einer Gesellschaft geht: das Integrieren neuer Einflüsse. So gesehen funktioniert die Integration im Habibi & Hawara vorzüglich. Kein Wunder also, dass hier so ausgelassen gefeiert wird.
Im Wiener Restaurant "Habibi & Hawara" werden Flüchtlinge zu Gastronomen ausgebildet. Das ist nicht nur ein lobenswertes Projekt, sondern vor allem ein lohnenswertes Lokal. Die gute Gemüseküche hier füllt eine Lücke in der Gastronomie der österreichischen Hauptstadt.
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Lokaltermin - Habibi & Hawara
00/12/2018
Luxuriöse Jesus-Latschen oder doch eher die elaborierte Version des Weihnachtspullovers? Unsere Modekolumnisten haben sie getestet. Für sie: Besinnliche Jesuslatschen Pakete verschickt, Gans abgeholt, den Ehemann zum Christbaumkauf gejagt und das letzte Schleifenripsband ergattert? Herzlichen Glückwunsch, einem fröhlichen Weihnachtsfest steht nun nichts mehr im Wege! Bis auf die schmerzenden Füße von der ganzen Rennerei. Schon im letzten Jahr empfahlen wir ja zum Weihnachts-Pulli flache Schuhe, damit der Weg vom Ofen zum Tisch pannenfrei abläuft. Dieses Jahr gehen wir noch einen Schritt weiter, denn auch der Festtagslook will dem Zeitgeist angepasst werden: Warum sollten wir am Heiligen Abend plötzlich elegante Sohlen tragen, wenn wir den Rest des Jahres hauptsächlich in Turnschuhen und sonstigem Schluffi-Schuhwerk verbracht haben? Hier ist die ultimative Lösung: die Weihnachtsschlappe aus kuscheligem Tartan-Tweed, garniert mit genau der richtigen Dosis Engelshaar und Perlen. Zwar ist sie von der Designerin Simone Rocha nicht offiziell als solche deklariert. Allerdings könnte man sie ja wohl problemlos als exzentrischen Schmuck an den Baum hängen (was übrigens immer ein gutes Kaufargument für Schuhe ist). Kombiniert wird die luxuriöse Jesuslatsche am besten mit entwaffnender Schlichtheit obenrum und frisch lackierten Fußnägeln in Lakritz. Aber da ja wahrscheinlich noch schnell Vanillekipferl gezaubert werden müssen, tun es bei Zeitmangel auch schöne schwarze Rippsocken.Zusammengefasst ist die moderne Pantoffelheldin also zwar völlig besinnungslos, wirkt aber trotzdem besinnlich. Frohe Weihnachten! Julia Werner Für ihn: Der verlängerte Weihnachtspullover Detailansicht öffnen Weihnachtspullover von The Elder Statesmen (Foto: The Elder Statement) Das Tragen von brutalistischen Weihnachtspullovern nach angelsächsischem Vorbild hat sich mittlerweile auch hier in einem Maße durchgesetzt, dass man es eigentlich schon wieder sein lassen kann. Ist Ironie erst mal zu Kult geronnen, lässt sie sich schließlich nur noch schwer genießen. Allerdings hat der Trend einen Vorteil - er enthebt einen von jeglichen Outfitsorgen an den Feiertagen, man schlüpft einfach in den "festive sweater", lässt sich belächeln und fertig. Vermutlich ist genau diese Männer-Bequemlichkeit auch der heimliche Motor hinter der Verbreitung der komischen Pullover. Außerdem haben sie durchaus noch eine praktische Funktion - eingetrocknete Cumberland-Saucenflecken fallen zwischen den Applikationen und grellen Designs kaum auf. Bei diesem weiterentwickelten Modell des kalifornischen Luxuslabels The Elder Statesmen dürften Flecken aber doch nerven. Denn erstens rangiert das Kaschmirteil in einer vierstelligen Preiszone, zweitens wurde das Stück sozusagen zur Ganzjahresverwendung aufbereitet - das Palmenmuster ist deshalb auf dem Rücken angebracht, während die Vorderseite schlicht schwarz geblieben ist. So lässt sich das Ding unter dem Sakko tragen, und keiner merkt, dass hinten die Palmenpost abgeht. Zweitens ist das eigentliche Motiv übersaisonal einsetzbar und in seiner X-Massigkeit derart gedimmt, dass sich der Träger damit locker auch bei anderen Familienfesten sehen lassen kann. Trotzdem nicht gerade ein Must-have. Max Scharnigg
Luxuriöse Jesus-Latschen oder doch eher die elaborierte Version des Weihnachtspullovers? Unsere Modekolumnisten haben sie getestet.
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Ladies & Gentlemen - Was trägt man unterm Baum?
00/12/2018
Die Filme der Men in Black-Reihe weisen gleich mehrer filmikonische Requisiten auf - die Blitzdings-Geräte und die dazugehörigen Schutzbrillen etwa. Und natürlich die namensgebenden Anzüge der Agenten, in denen sie so elegant Jagd auf Aliens machen. Für den nächsten Teil der MiB-Reihe, der 2019 in die Kinos kommen soll, bestätigte nun der Londoner Modedesigner Paul Smith seine Zusammenarbeit mit Sony Pictures. Smith liefert also die maßgeschneiderte Anzüge für die Hauptfiguren sowie für weitere Rollen. Die Anzüge seien natürlich schwarz, aber durchaus auch mit den bekannt bunten Paul-Smith-Details versehen. Als Hauptdarsteller werden in dem Film unter anderem Chris Hemsworth, Emma Thompson und Liam Neeson zu sehen sein. Detailansicht öffnen (Foto: PR) Dior erweitert seine wuchtige Buchserie über die Designer des Pariser Couturehauses - jetzt ist Gianfranco Ferré an der Reihe. Der Italiener übernahm 1989 für sieben Jahre die kreative Leitung bei Dior, als erster Nicht-Franzose - was damals noch ein Aufreger war. Die Branche fragte sich, ob das gutgehen könne, und es ging gut. Ferré hatte - anders als seine Vorgänger Yves Saint Laurent und Marc Bohan - nie mit Christian Dior zusammengearbeitet, teilte mit dem Gründer aber die Leidenschaft für Opern und, so heißt es, für die Farbe Rot. Dem studierten Architekten gelang es, mit seinen glamourösen Entwürfen aus Lamé oder bemaltem Leder Dior nach Jahren stilvoller Ideenlosigkeit zu verjüngen. Und er verhalf der Marke zur lang ersehnten It-Bag, wie sie andere Labels bereits vorweisen konnten. 1995 entwarf er für Prinzessin Diana die "Lady Dior", inzwischen ein Klassiker, der gerade von Künstlerinnen für eine Sonderedition neu gestaltet wird ("Dior by Gianfranco Ferré", erschienen bei Assouline zum Liebhaberpreis von 180 Euro, assouline.com). Detailansicht öffnen (Foto: PR) Die Wiener Schuh-Manufaktur Ludwig Reiter setzt eigentlich stets auf Understatement und zurückhaltende Herrenmode. Für eine limitierte Edition geht es bei Reiter jetzt aber ziemlich bunt zu - dafür sorgt eine Kollaboration mit dem Künstler Conor Mccreedy. Der in der Schweiz lebende Südafrikaner hat 200 Paar Sneakers mit seiner Signature-Farbe "Mcreedyblue" so verziert, dass sie aussehen wie seine eigenen Schuhe nach einem Tag an der Staffelei: voller Flecken und Farbspritzer nämlich. Jedes Paar ist anders verkleckst und ein Unikat, das deshalb auch mit Echtheitszertifikat des 31-jährigen Künstlers kommt - und wahrscheinlich gleich in die Vitrine wandert. Jedenfalls sollte man, falls sie doch benutzt werden, diese Schuhe nur sehr vorsichtig putzen. Detailansicht öffnen "Der vielleicht letzte Pullover der Welt": Das ist natürlich übertrieben, aber schön griffig formuliert - und wenn's einer guten Sache nützt, sind Zuspitzungen erlaubt. Der Schweizer Ableger des World Wildlife Fund for Nature (WWF) wirbt mit dem alarmierenden Spruch für einen Pulli des Zürcher Designers Julian Zigerli. Der Erlös aus dem Verkauf des buntgescheckten Modells kommt WWF-Initiativen gegen die Folgen des Klimawandels zugute, vor allem in der Arktis. "Damit das ewige Eis auch ewig bleibt", heißt es auf der Webseite der Umweltorganisation zu Zigerlis Projekt "The Last Sweater". Und weiter: "Wenn wir jetzt nicht entschieden gegen den Klimawandel vorgehen, ist bald Schluss mit dem Kuschelklima." Julian Zigerli, 34, hat den Pulli aus Bio-Merinowolle passend zum Thema mit schmelzenden Smileys und SOS-Eisbären versehen (215 Euro, erhältlich unter shop.wwf.ch). Die Mode tut sich doch erstaunlich schwer mit ethnischer Korrektheit, ein Lapsus jagt den nächsten. Da war der indianische Federschmuck bei der Victoria's-Secret-Show, da waren die als Geisha geschminkte Karlie Kloss in einer Modestrecke der Vogue und ein Koranvers auf einem Chanel-Body. Im November beleidigten Domenico Dolce und Stefano Gabbana ganz China, als sie in einem Promotion-Video ein chinesisches Model Spaghetti mit Stäbchen essen ließen und sich dann nicht mal ordentlich entschuldigten. Nun hat auch Prada seinen kleinen Skandal: Im Schaufenster der Boutique in SoHo landeten zwei sündteure schwarze Nippesfiguren mit roten Wulstlippen, die von Betrachtern als rassistisch empfunden wurden. Der Konzern versicherte, dass es sich nicht um "blackfacing" handele - und nahm die Figuren aus dem Sortiment.
Die neuen Anzüge für MiB kommen von Paul Smith, während Prada gerade eher Probleme mit schwarzen Männern hat. Wiener Herrenschuhe sind jetzt blau, und ein Schweizer macht Weltenretter-Pullover.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/kurz-gesichtet-men-in-black-schuhe-in-blau-und-gute-pullover-1.4259990
Kurz gesichtet - Men in Black, Schuhe in Blau und gute Pullover
00/12/2018
Wer anfängt, sich mit dem merkwürdigen Schuhtrend, nämlich dem Tragen von Clogs und anderen klobigen Holzschuhen zu befassen, der landet schnell bei dem Wort Sabot. So heißen Holzschuhe in Frankreich. Dior zum Beispiel bezeichnet sein aktuelles Modell "Diorquake", einen Clog mit handbesticktem Hippie-Patchwork und Riemen an der Verse, als Sabot. Die Schlauen unter den Leserinnen und Lesern wissen es längst: Sabot steckt in einem anderen französischen Wort: Sabotage. Die ist ein laut dahertrampelnder, widerständiger Akt auf Holzsohlen. Oder war es einmal. Im19. Jahrhundert taucht das Verb saboter erstmals in französischen Wörterbüchern auf. Damals bedeutet es "Holzschuhe herstellen", aber auch "laut herumlaufen" (auf den Holzsohlen, und damit den Betrieb stören). Da ist es zur Sabotage nicht mehr weit. Die Frage lautet nun hier aber: Was genau sabotiert man heute, wenn man in 1290 Euro teuren "Diorquakes" herumläuft und laut "klonk klonk" macht? Geht es um eine nostalgische Luxusbesinnung auf die Jugendrevolte, die im Namen steckt? "Diorquake" bezieht sich ja auf den "Youthquake", das Jugendbeben der Sechzigerjahre, das in Miniröcken daherkam, aber eben auch in Vintage-Wallewallekleidern und Clogs. Allerdings gibt es momentan auch sehr viele andere, teils gar nicht so hippie-boheme-mäßig aussehende Clogmodelle, von Marni, Chloé und Gucci. Manche von ihnen sind viel minimalistischer gestaltet. Oder sie haben Nieten, die wie lange punkige Stachel aussehen. Die Holzsohle lässt die Trägerin ein wenig archaisch aussehen, als käme sie gerade vom Acker Es gibt keinen einheitlichen Clogstil gerade. Aber sehr viele Clogs. Man muss darum wohl grundsätzlicher darüber nachdenken: Will man mit Holzsohlen vielleicht den Imperativ sabotieren, dass man heute am besten auf leisen Sohlen unterwegs ist? Der Sneaker, zu Deutsch: der Schleicher, war in den vergangenen Jahren jedenfalls das dominante Schuhwerk. Die Mode hatte ihn erst als vulgär verschmäht, dann wurden Sneakers immer luxuriöser, teurer, wulstiger, hässlicher - und gerade dadurch modisch. Der Streetwear-Trend war für die Entwicklung wichtig, ebenso der Einfluss der Hip-Hop-Kultur. Jetzt ist die Entwicklung an ihr logisches Ende gekommen. Oder was könnte extremer und zugleich unsportlicher aussehen als die 700 Euro teuren "Triple-S"-Sneaker von Balenciaga, die geformt sind wie eine Hochzeitstorte, und die beim Gehen gar nicht mehr schleichen, sondern laut quietschen? Irgendwie muss es anders weitergehen, und da kommt die Holzsohle gerade recht - als ästhetisches Gegenprogramm, als Neustart am Fuß. Die Holzsohle lässt die Trägerin ein wenig archaisch aussehen, als käme sie gerade vom Acker, nicht vom Workout. Derb und bodenständig. Weil der Clog aber auch eine dicke Sohle hat, streckt er die Silhouette. Ähnlich wie der Pump. Aber viel weniger sexualisiert. "Klonk klonk" statt "klacker klacker". Das ist in Zeiten von "#Me Too" vielleicht auch ein politisches, ein feministisches Signal? Frauen, die jetzt Clogs tragen - oder Sabots, Klompen, Klotzen oder Zoggeli (es gibt so viele verschiedene, jeweils regionalspezifische Namen für mehr oder weniger dasselbe Prinzip) - wollen vielleicht auch etwas verweigern. Sie wollen nicht aussehen, als läge ihnen sehr viel daran, dauerfit und dauersexy auszusehen. Vielleicht ist der Clog auch ein Karriere-Sabotage-Schuh. Entweder man hat den Job eh nicht nötig (1290 Euro!). Oder man macht gerade Pause und entdeckt andere Werte für sich. Back to the roots, oder: back to the woods. Detailansicht öffnen Der Urvater der Clogs: Die hölzernen holländische Schuhe haben in den Niederlanden den lautmalerischen Namen "Klompen". (Foto: iStockphoto) In den USA heißen die neuen Clogsträgerinnen längst "The Clogerati". Es sind Frauen wie Lauren Mechling, eine junge Vogue-Kolumnistin und Harvard-Absolventin. Sie schrieb Anfang 2018 im New Yorker eine unterhaltsame Geschichte: "The Life-Changing Magic of Clogs". In ihr berichtet Mechling, wie sie plötzlich arbeitslos ist - und sich erst einmal bei dem angesagten New Yorker Label No.6 Clogs kaufen geht. Mit ihnen entdeckt Mechling ein ganz neues Leben, das zwar durchaus noch am Stromnetz und am WiFi hängt. Ansonsten ist es dem Selbstverständnis nach viel natur- und erdverbundener: mit Alpaka-Wollpullis, Kochbüchern von Yotam Ottolenghi, Indierock-Alben von St. Vincent und viel tüchtiger Selbstpflege. Glatt könnte man das "Clog Life" für das amerikanische Pendant zum dänischen Hygge-Lifestyle halten. Zu dem passen Clogs ja auch sehr gut. Allerdings - und hier kommen wir ab von der holzig-hyggeligen Heimeligkeit - kommen gerade auch Clogs in Mode, die nicht aus Holz sind. Sondern aus Polyurethan, wie der A630 von Birkenstock. Er ist ein Klassiker der Krankenpfleger-Garderobe. An praktischer Hässlichkeit kaum zu überbieten, sieht er aus wie ein Gummiboot mit verrutschtem Spoiler hinten. Dass ausgerechnet dieser Schuh derzeit oft auf Street-Style-Fotos zu sehen ist, liegt daran, dass 032c - das Berliner Label, an dem gerade kein Vorbeikommen ist - ihn zusammen mit Birkenstock uminterpretiert hat. Mit Camouflage-Muster drinnen und einem kuscheligen Lammfell, das man an kalten Tagen einlegen kann. Das macht ihn nicht hübscher. Wie so häufig bei 032c scheint es um die Beschäftigung mit der Frage zu gehen, was so deutsch aussieht, dass es schon wieder cool sein könnte. Ein Clog für Mann und Frau aus Kunststoff, der beim Auftreten dann auch gar nicht mehr so laut "klonk klonk" macht wie Holzclogs. Ist das nun geschummelt oder eine geniale Verquickung des Clogtrends mit dem Sneakertrend? Ein Schritt voraus oder nicht - das Modejahr 2019 wird es zeigen.
Der Sneaker bekommt Konkurrenz: Angesagte Labels haben den Clog, einen klobigen Holzschuh mit fetter Sohle, für ihre Streetwear-Kollektionen entdeckt. Ein feministisches Signal?
stil
https://www.sueddeutsche.de/stil/mode-clog-streetwear-1.4259997
Mode: Ist der Clog ein feministisches Signal?
00/12/2018
In Franken hat Hans Huss die Waldmast wiederentdeckt. Seine Schweine leben vor allem von Eicheln, ihr Fleisch ist besonders delikat. Und mit ihnen wächst auch der Artenreichtum im Wald. Die Mußestunden von Eichelschweinen sind eng durchgetaktet: Aufwachen, ausgiebig frühstücken und ab zum Mittagessen in den Wald. "Dort fressen sie sich mit Eicheln satt. Dann legen sie sich dicht an dicht zur Mittagsruhe hier in den Wald. Die kann schon mal von 13 bis 15 Uhr gehen", erklärt Hans Huss zufrieden. Anschließend lassen die Schweine den Tag gemütlich ausklingen, bevor sie sich zur Nachtruhe eng aneinander gekuschelt wieder zum Schlafen legen. Der Tagesablauf trägt maßgeblich dazu bei, dass die Qualität ihres Fleisches später einzigartig sein wird: Freiheit, Bewegung, die Gemeinschaft, das Fehlen von Stress und Enge. Einzigartig in Deutschland ist derzeit auch das Mastkonzept von Hans Huss. Der 49-Jährige ist Geschäftsführer der Eichelschwein GmbH; der Firmensitz liegt in Freising bei München, aber wer die Schweine sehen will, muss Huss in Unterfranken treffen, in einem Wald in der Nähe von Kitzingen. Dort leben die Tiere fast wie Wildschweine, nur dass sie eben nicht wild sind. Es ist ein kühler Herbsttag, die Sonne steht noch tief, die etwa 200 Tiere werfen im Morgenlicht lange Schatten, der aufgewirbelte Staub leuchtet orange. Bis auf das Grunzen, Schmatzen und Quieken ist es still. Nach und nach beginnen die Schweine, sich in Gruppen von gut 20 Tieren zusammenzufinden und langsam zwischen den Bäumen zu verschwinden. Im Sommer, wenn die Eicheln zu fallen beginnen, kommen sie hierher, die ältesten sind dann zehn Monate alt. Sie fressen sich rund und gesund, und eben vor Weihnachten werden die letzten geschlachtet. Dann steht das riesige Gehege für acht Monate leer. Früher war es normal, seine Tiere in den Wald zu treiben Eichelschweine gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Am bekanntesten sind die spanischen, aus denen der würzige Jamón Ibérico de Bellota gemacht wird. Hauchzart aufgeschnitten schmeckt er am besten auf geröstetem Brot mit etwas Olivenöl. Im Grunde verwundert es, dass in Deutschland nur Huss die extensive Waldmast betreibt, denn früher wurden Schweine immer in die Wälder getrieben. Früher, das war vor der industriellen Massentierhaltung. Im Frühjahr trieb man die Schweine in die Flussauen. Nasser Boden macht ihnen nichts aus, Rindern oder Schafen aber schon. Im Sommer wechselte man. Dann kamen die Wiederkäuer in die nun trockenen Auen und die Schweine in die Wälder. Dort waren sie weit genug entfernt von den Gemüseäckern und -gärten, die sie sonst kahl gefressen hätten. Durch die Eicheln wurden sie dick und ihr Fleisch würzig, zugleich hielten sie den Wald in Ordnung. "Das hier ist ein sogenannter Eichenmittelwald", erklärt Huss. "Hier stehen alle paar Meter große Eichen, und die überragen alle anderen Bäume, die Hainbuchen etwa. Die Eichen in solchen Wäldern gaben früher das Futter für die Schweine, und wenn sie alt wurden, fällte man sie und nutzte sie als Bauholz. Die kleinen Hainbuchen wurden zu Brennholz verarbeitet", sagt Huss. So sei alles optimal genutzt worden. Auf die Idee mit den fränkischen Eichelschweinen kam Huss schon vor gut 20 Jahren, als er noch an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf studierte. Mit einem Professor für Waldbau saß er eines Tages beim Schweinebraten in der Mensa, und der schmeckte, wie Schweinebraten in der Mensa eben oft schmeckt - labberig, langweilig, zäh. Da geriet der Professor ins Schwärmen, erzählte vom delikaten Schweinefleisch, das er in Kroatien gegessen habe, von der Eichelmast der Tiere und dass Huss als angehender Agraringenieur davon doch wissen müsse. Der hatte aber noch nie etwas derartiges gehört. Huss begann zu recherchieren und schrieb schließlich seine Diplomarbeit über die Eichelmast und wie man sie wiederbeleben könnte.
In Franken hat Hans Huss die Waldmast wiederentdeckt. Seine Schweine leben vor allem von Eicheln, ihr Fleisch ist besonders delikat. Und mit ihnen wächst auch der Artenreichtum im Wald.
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Waldmast - Die köstliche Freiheit der Eichelschweine
00/12/2018
Eine Straße in der ghanaischen Hauptstadt Accra, gesäumt von Werbeplakaten für Hautbleichmittel. In Ghana sind solche Produkte wegen gefährlicher Nebenwirkungen seit 2016 verboten, wie in vielen anderen afrikanischen Ländern auch. Dennoch boomt das Geschäft, hinter dem ein zweifelhaftes Schönheitsideal steht. Der Jahresumsatz mit legalen Produkten wird weltweit auf zwölf Milliarden Dollar geschätzt, insgesamt sollen es mehr als 40 Milliarden Dollar sein. Auf dem Markt mischen Konzerne wie Garnier und Nivea mit ihren riesigen Werbebudgets mit.
Einige der Produkte enthalten Steoride, Blei oder Quecksilber. Sie können zu schweren Gesundheitsschäden führen.
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Bleichcremes: Ruanda verbietet schädliche Hautaufheller
00/12/2018
An Weihnachten sind Enten und Gänse ein beliebtes Festmahl. Aber mit welcher Geflügelschere lassen sie sich am besten bearbeiten? Sieben Modell im Test. Nicht mehr lang, dann weihnachtet es wieder. Höchste Zeit also, sich mit der Frage zu befassen, was an den Feiertagen auf den Tisch kommen soll. Raclette, Würstchen mit Kartoffelsalat oder doch lieber die Gans vom Biometzger? Wer das Geflügelmenü bevorzugt, steht dann gleich vor der nächsten Entscheidung. Welche Schere soll es sein? Nicht zu teuer, aber bitte auch kein Modell, das beim ersten Einsatz gleich kaputt geht. Die SZ-Tests im Überblick Diesen und alle weiteren SZ-Produkttests finden Sie hier. Vor dieser Entscheidung stand auch Thilo Kleehammer schon mal. Nur in einem anderen Kontext. Kleehammer, weißes Hemd, grüne Schürze, ist Franchise-Nehmer der Wienerwald-Filiale in München Laim. Er verkauft jeden Tag mehr als einhundert Hendl. Die Geflügelschere ist sein Freund, wenn sie tut, was er von ihr verlangt. "Ich schwöre auf ein Modell aus der Schweiz", sagt er, während hinter ihm zehn Hendl bei 250 Grad im Ofen schwitzen. "Genau wie bei Uhren und Skiern kann man sich da immer auf die Qualität verlassen." Was er von einer guten Geflügelschere erwartet? Für Kleehammer ist besonders wichtig, dass sie es auch mit etwas dickeren Knochen aufnehmen kann. "Was ich gar nicht mag, sind Scheren, die sich beim Schneiden verhaken oder schließen und sich dann nicht mehr öffnen lassen." Das koste alles Zeit. Auch die Optik ist ihm nicht ganz unwichtig. Beim Test sieht er zwei Modelle, die er eher in die Kategorie Gartenschere einordnet. Und auch beim Preis gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den getesteten Produkten. Das billigste Modell kostet knapp zehn, das teuerste fast 90 Euro. Zu Weihnachten bekommt Thilo Kleehammer jedes Jahr eine frische Gans von seinem Lieferanten. Die isst er dann an Heiligabend zusammen mit seiner Familie. "Ich bereite sie ganz klassisch zu. Gefüllt mit Maronen, Äpfeln, Beifuß, Salz, Pfeffer, ein bisschen Paprika, mehr nicht", sagt er. "Dann vier bis fünf Stunden in den Ofen und langsam immer wieder mit dem eigenen Fett übergießen. Ein Traum!"
An Weihnachten sind Enten und Gänse ein beliebtes Festmahl. Aber mit welcher Geflügelschere lassen sie sich am besten bearbeiten? Sieben Modell im Test.
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Geflügelscheren im Test - Gans einfach zerlegt
00/12/2018
Die lange Arbeiterhose wurde zum Symbol der Französischen Revolution. Jetzt tragen die Demonstranten gelbe Westen. Auf den Laufstegen sah man die Warnfarben schon zuvor. Über eine Verbindung von Mode und Protest. Sie ist gelb, sie ist hässlich, sie passt zu nichts - aber sie kann Leben retten." So lautete der Plakatslogan, mit dem Karl Lagerfeld 2008 in Frankreich für neongelbe Warnwesten warb. Ein netter Witz, aber sicher kein modischer Vorschlag. Die Westen waren gerade Pflicht geworden. In jedem Auto in Frankreich musste von nun an eine mitgeführt werden. Ein überziehbares Warnschild für den Fall, dass man liegen bleibt oder sonst ein Ernstfall auf der Straße auftritt. Und ausgerechnet Lagerfeld, der selbst nur mit Chauffeur unterwegs ist, sollte damals den Franzosen die Verordnung schmackhaft machen, mit Augenzwinkern hinter der Sonnenbrille, versteht sich. Auf dem Foto trug er selbst so eine Weste. Die gelben Westen, die "Gilets jaunes", sind nun seit einigen Wochen das Erkennungszeichen derer, die in den Straßen Frankreichs protestieren, randalieren, politische Mitsprache für sich reklamieren, Präsident Macron zur Rechenschaft ziehen wollen und - ja, was wollen sie eigentlich, was genau? Die Kommentatoren und Analysten scheinen ihre Schwierigkeiten damit zu haben, die Gleichzeitigkeit von konkreten politischen Zielen (wie etwa der Verhinderung der höheren Ökosteuer auf Kraftstoff) mit dem Bildersturm auf die Symbole der Republik (wie den Triumphbogen) auf einen Nenner zu bringen mit dem sich entladenden Macron-Hass, ausgeraubten Apple-Stores und den Parolen aus beiden Spektren, rechts und links. "Eine Art Überschussbevölkerung, die der neoliberale Staat zu lange ungestraft ignoriert hat" sei hier unterwegs, mutmaßt der Berliner Philosoph Armen Avanessian, während Nils Minkmar auf Spiegel Online "eine fundamentale Dimension der Verzweiflung" erkennt. Welches Kleidungsstück schreit deutlicher: "Hallo! Hier! Nicht übersehen! Gefahr!"? Als gesichert darf derzeit wohl gelten, dass fast 70 Prozent der Franzosen grundsätzlich Sympathien für die Gilets jaunes hegen und dass die Bewegung, wenn man sie so nennen und damit ja vereinheitlichen will, eine Symbolik gefunden hat, die sprechender kaum sein könnte. Welches Kleidungsstück schreit deutlicher "Hallo! Hier! Nicht übersehen! Gefahr!" als so eine neongelbe Reflektor-Weste? Wer sie überzieht, kommuniziert aus der Position des Schwächeren heraus - als jemand, der Hilfe braucht und auf den Rücksicht zu nehmen ist. Wobei sich die Schwäche in der Masse auch zum Symbol der Stärke wenden kann, wie in Frankreich gerade zu sehen ist. Detailansicht öffnen Warnjacke von Calvin Klein. (Foto: Victor Virgile/Getty) Die Warnweste für Autofahrer geht historisch natürlich zurück auf das sogenannte High-visibility clothing, die Hoch-Sichtbarkeits-Kleidung, wie sie seit Mitte der 60er-Jahre für Bauarbeiter, Flughafenpersonal und andere Menschen in körperlich riskanten Berufen zunehmend zur Pflicht geworden ist. Was diese Menschen eint, ist, dass sie in ihren jeweiligen Professionen bereit sind, für wenig Bezahlung Körper und Gesundheit in Gefahr zu bringen. Plackerei. Hoher Verschleiß. Draußen sein bei jedem Wetter, in Wind und Nebel. Arbeiter-Schutzkleidung war in den vergangenen Jahren schon auf den Laufstegen zu sehen Stehen die Franzosen, die nun in dieser proletarischen Signal-Uniform auf die Straße gehen, historisch in einer Linie mit den Sansculottes, jenen Arbeitern und Arbeiterinnen "ohne Kniebundhosen" (sans culottes), die 1789 zu Partisanen der Französische Revolution wurden, weil sie von den miesen Lebensbedingungen unter dem Ancien Régime die Schnauze voll hatten? Es scheint so. Die Revolution geht in Frankreich einher mit dem stolzen Tragen eines ganz bestimmten Arbeitskleidungsstücks. Damals war es die lange Arbeiterhose, die sich von den kurzen Kniebundhosen, welche von Adel und Klerus getragen wurden, deutlich unterschied. Mit den langen Hosen zeigten die Sansculottes: Jetzt kommen wir, das Volk. Heute zeigen die "Gilets jaunes" mit ihren Westen vielleicht erst mal nichts anderes, als dass sie das Gefühl eint, liegen geblieben und von der Politik übersehen worden zu sein. Jetzt kann sie keiner mehr übersehen. Signalfarbe! Reflektorstreifen! Im Auge desjenigen, der gerne auch mal mit modischem Blick auf die Welt schaut, können sich dabei verstörende Doppelbelichtungen ergeben. Denn Elemente aus der Arbeiter-Schutzkleidung waren in den vergangenen zwei bis drei Jahren schon massig auf den Laufstegen zu sehen, lange vor den "Gilets jaunes". Moschino zeigte 2016 Damenkostüme à la Chanel aus Neongelb, Neonorange und Reflektorstreifen. Bei Vetements und Balenciaga tauchten sie auf. Der Stylist Marc Goehring, bekannt durch seine Arbeit bei dem sämtliche Coolness-Rankings anführenden Berliner Magazin 032c, trug im Sommer bei der Männermodewoche in Paris eine Reflektor-Arbeiterweste und wurde dafür von den Straßenfotografen geliebt. In der aktuellen Calvin-Klein-Kollektion von Raf Simons sind neongelb eingefasste Reflektorstreifen auf Pilotenanzüge appliziert, genauso auf Pelzmäntel. High und low, crash und cash. Proletarische Energie und Erotik bringen einen besonderen Kitzel in die Mode Hat die Mode die Pariser Straßenszenerien vom November und Dezember 2018 schon antizipiert? Das würde zu der einschlägigen Passage aus dem "Passagenwerk" des Philosophen Walter Benjamin passen, der an Mode durchaus interessiert war und ihr attestierte, in ihr kündigten sich kommende Revolutionen schon an. Und doch ist wahrscheinlicher, dass der aktuelle Reflektor-Neon-Trend in der Mode mehr mit dem anhaltendem Rekurs auf die Neunzigerjahre zu tun hat. Der brachte schon die Welle an wulstigen Ugly-Sneakers. In den Neunzigern trug man die ganz ähnlich, auf extrafetten Sohlen. Und auf Techno-Raves waren die Bauarbeiterwesten beliebt, oder ihre teureren Clubwear-Interpretationen von heute fast vergessenen Labels wie Daniel Poole oder Sabotage. Detailansicht öffnen Kündigt Mode immer schon die kommenden Revolutionen an? Warnjacke von Vetements. (Foto: Victor Virgile/Getty) Abgesehen davon pflegt die Mode ganz grundsätzlich ein nicht gerade gleichberechtigtes, sondern eher voyeuristisches Verhältnis zu den Uniformen der körperlich gefährlich schaffenden Bevölkerung, genannt Workwear. Holzfällerhemden, Jeans, Bomberjacken, zuletzt die Dachdeckerhosen mit zwei Reißverschlüssen im Schritt, wie bei dem Berliner Label GmbH: Die Anzapfung proletarischer Arbeitskraft, um nicht zu sagen deren Energie und Erotik, bringt in die hohe Mode immer einen besonderen Kitzel mit hinein. Das alles könnte man jedenfalls im Hinterkopf behalten, wenn es nun hier und da schon heißt, dass die "Gilets jaunes" die Mode beeinflussen werden und sich dies spätestens im Januar bei den Schauen in Paris zeigen werde. Aber die Gelbwesten sind wie beschrieben eigentlich längst in Mode, und sollte sich der Trend sogar verstärken, wäre die Frage, ob das wirklich an den Gilets jaunes liegt. Und falls ja: Wäre das dann eine dekadente Aneignung der Unruhen auf den Straßen, oder eine aufrichtige Hommage an deren politischen Ziele, welche auch immer das sein mögen? Kurz: Es wäre alles in etwa so verwirrend wie die Bilder, die derzeit aus Paris zu sehen sind.
Die lange Arbeiterhose wurde zum Symbol der Französischen Revolution. Jetzt tragen die Demonstranten gelbe Westen. Auf den Laufstegen sah man die Warnfarben schon zuvor. Über eine Verbindung von Mode und Protest.
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Mode und Protest in Frankreich - Wilde Westen
00/12/2018
Sie war schon immer Statussymbol, stand für ein behagliches Leben, für Luxus und Glamour. Gerade entdecken Innendesigner die Badewanne aufs Neue und spielen dabei mit Formen und Materialien. Die Menschheit lässt sich grob unterteilen in Badende und Duschende. Die einen schwören auf die schnelle Erfrischung unter der Brause, die anderen gönnen sich regelmäßig ein Vollbad. Duschern widerstrebt die Vorstellung, beim Baden in der eigenen Suppe zu dümpeln, Badern fehlt beim Duschen der Wellnessgedanke. Werner Aisslinger ist ein Wannenfan: "Baden ist wie Joggen - eine halbe Stunde kann man immer in den Alltag einbauen, und der Effekt ist groß." Wenn es zeitlich hinhaut, badet er jeden zweiten Tag, im Winter gerne täglich. Dabei geht es ihm nicht nur um die Körperpflege, das Vollbad hat für ihn fast etwas Spirituelles: "Nach einem anstrengenden Tag ist das für mich wie Meditation." Aisslinger zählt zu den erfolgreichsten deutschen Industriedesignern, Möbelhersteller wie Vitra, Rolf Benz oder Interlübke setzen auf die Produktentwürfe des gebürtigen Schwaben, der in Berlin lebt und dort auch das hippe 25hours-Hotel gestaltet hat. Für den Ausstatter Kaldewei hat er zusammen mit seiner Kollegin Tina Bunyaprasit Wannen entworfen, die durch ihre Formen und Farben aus der monochrom weißen Badezimmerwelt herausstechen. Das freistehende Modell "Tricolore" ist in zwei Farben emailliert, die dritte Farbe kommt durch ein tragendes Gestell mit vier Füßen ins Spiel. Beim Modell "Grid" scheint die Wanne in einer rötlichen Gitterstruktur zu schweben, die auch als Halterung für Accessoires, Handtücher oder Pflanzkübel dient. Aisslingers "Cowork Bath" - ein Entwurf für eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne - ist ein Hybridmodell: eine Badewanne im Arbeitsumfeld, die "Wellbeing mit Coworking symbiotisch zusammenbringt." Die Badewanne als Kunstobjekt in einem trendigen Coworking-Loft? Da stellt sich die Frage, wie man entspannt baden soll, während andere um einen herum arbeiten - und umgekehrt. Kaum jemand wird sich so eine praxisferne Designstudie ins Büro einbauen lassen, aber sie zeigt ganz gut die Entwicklung der Badewanne vom rustikalen Waschzuber zum Heiligen Gral des Badezimmerdesigns. Der britische Designer Jasper Morrison hat gesagt, dass es die größte Kunst für einen Produktdesigner sei, eine Badewanne zu entwerfen. Morrison gilt als einer der einflussreichsten Designer der Welt, Arbeiten von ihm sind im Museum of Modern Art in New York zu sehen - aber seine Wanne für den Hersteller Ideal Standard wirkt so unspektakulär, als hätte man sie beim Baumarkt gekauft: weiß, glatt, außen rechteckig, innen oval, ergonomisch sinnvoll geformt. Detailansicht öffnen "Tricolore"-Wanne von Kaldewei (Designer: Werner Aisslinger). (Foto: Kaldewei/Studio Aisslinger) Vom Waschtrog aus grob gehobeltem Holz über Morrisons Idealwanne bis zum digitalisierten Cowork Bath ist es ein weiter Weg. Als es in den Häusern noch kein fließendes Wasser gab, wuschen sich die Menschen in einem Zuber aus Holz oder Metall, das Wasser wurde auf dem Herd erhitzt und mit Eimern eingegossen. Die älteste Badewanne haben Archäologen auf Kreta ausgegraben, sie ist mehr als 4000 Jahre alt und ähnelt den heutigen Wannen, bloß hatten die bemitleidenswerten Kreter damals kein warmes Wasser. Detailansicht öffnen "Blue Moon" von Duravit ist eine runde Sache. (Foto: Duravit) Die wahre Badewannenkultur begann 1500 vor Christus bei den Ägyptern, die erstmals fließendes heißes Wasser benutzten. Perfektioniert wurde das heiße Bad dann von den Römern. Napoleon, der nie ohne seine kupferne Reisebadewanne in den Krieg zog, empfing seine Offiziere gerne unter Volldampf. Um 1900 dominierte die Porzellanwanne das englische Badezimmer - am besten auf majestätischen Löwenfüßen. In der amerikanischen Nasszelle, die ihren Ursprung im Hotel hat, wurde die Wanne dann aus Platzgründen minimalisiert und praktisch in eine Ecke eingemauert. Dass die Badewanne aber auch ein Statussymbol ist, Sinnbild für ein behagliches Luxusleben, zeigte die Reaktion auf die 31 Millionen Euro teure Residenz des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst. Es war weniger die Privatkapelle oder der edle Konferenzbereich, der die Öffentlichkeit erregte, sondern die etwas zu hochwertige Badewanne (Kosten: 4000 Euro inklusive Montage). Der Bischof trat dann Anfang 2014 auch reumütig zurück, um die Schaumschlägerei zu beenden. Nun rückt die Wanne wieder ins Zentrum. In den vergangenen Jahren haben sich Möbelindustrie und Wohnmagazine einen Raum nach dem anderen vorgeknöpft: Esszimmer, Küche und Wohnzimmer wurden zu einem Raum verschmolzen, nun kommt das Bad dran. Es gibt viel zu tun. "Eigentlich ist das der intimste Raum, aber trotzdem werden bei uns dort die härtesten Materialien verbaut - Stahl, Emaille, Fliesen", sagt Werner Aisslinger, "für die menschliche Haut ist das nicht ideal." Doch das ändert sich nun, Badewannen werden mit Holz und Textilien verkleidet. Innenarchitekten propagieren die Verschmelzung von Schlaf- und Badezimmer, platzieren Wannen direkt an Panoramafenster, planen luxuriöse Wellness-Bäder mit offenem Kamin. Detailansicht öffnen Die Wanne aus der Kollektion "Unico" von Rexa Design bietet viel Ablageplatz. (Foto: Rexa Design) Der deutsche Hersteller Bette kleidet das Modell "Lux Oval Couture" in wasserbeständigen Stoff ein. Das "Egg" von Rexa ist eine Kreuzung aus Regal und eiförmiger Wanne. Der italienische Designer Nevio Tellatin hat für die Marke Antonio Lupi das Modell "Biblio" entworfen, eine Kreuzung aus Bücherschrank und Badewanne. Als wäre die Berieselung mit Wasser nicht genug, hält die Digitalisierung Einzug in die Wannenwelt: Hersteller bauen Unterwasser-Lautsprecher, LED-Displays und anderen Schnickschnack ein. Villeroy & Boch hat das Modell "Squaro Prestige Crystal Editions" entwickelt, eine mit Swarovski-Kristallen besetzte Sonderanfertigung des chinesischen Designers Steve Leung. Jeder einzelne der fast 5000 Kristalle wird präzise geschliffen und von Hand appliziert. 40 Liter vs. 120 Liter Wasserverbrauch Der Berliner Designer Jochen Schmiddem sagt, die meisten dieser spektakulären Wannen seien nur Showobjekte: "Wofür braucht man so ein Ding überhaupt? Erst mal ist das nur ein Gefäß, in das man Wasser füllt." Sein Designstudio hat in den vergangenen 25 Jahren weit über 100 Wannen für Hersteller wie Bette, Duravit und Duscholux entworfen, dabei hat Schmiddem nie den Blick des Durchschnittskonsumenten verloren. "Man kann solche Gimmicks in Badezimmer einbauen", sagt er, "aber in der Praxis ist das uninteressant, denn putzen kann man das meist schlecht." Aus ökologischen Gesichtspunkten seien riesige Wannen für mehrere Personen sowieso verwerflich: "Da werden Ressourcen vergeigt noch und noch." Stimmt schon: Bei einem Vollbad werden etwa 120 Liter Wasser verbraucht, bei einer dreiminütigen Dusche dagegen nur etwa 40 Liter. Duschen spart Geld, Zeit und Kosten für Wasser und Energie. So wie Jasper Morrison setzt Jochen Schmiddem eher auf Understatement, er geht immer zuerst von der Funktion aus, nicht von der Form. Gibt es genug Platz für eine Wanne im Badezimmer? Passt sie ergonomisch gleichermaßen für Frauen und Männer? Im Produktdesign sei die Badewanne ein "wunderschönes Thema, das man aber knallhart angehen muss - ergonomisch, ökonomisch, ökologisch." Gerade bei Badewannen setzt Jochen Schmiddem auf zeitloses, schlichtes Design und beste Qualität: "Das muss schließlich für 20, 30 Jahre halten." Das Modell "Blue Moon", das er für Duravit entworfen hat, ist eine kreisrunde Wanne mit 1,40 Meter Durchmesser und Holzelementen am Rand, sie erinnert an einen Bootssteg oder einen Whirlpool und ist auch mit Sprudeldüsen zu haben. Detailansicht öffnen Das Modell "Dressage" mit Walnuss-Verkleidung von Graff. (Foto: Graff) Beide Baddesigner sind sich einig, dass sie auf zu viel Technik gut verzichten können. Smart-Home-Geräte im Badezimmer sollen Gesundheitsdaten, Nachrichten, E-Mails und soziale Netzwerke auch bei der Körperpflege verfügbar machen. "Brauche ich persönlich nicht!", meint Werner Aisslinger. Jochen Schmiddem zündet im Bad gerne ganz altmodisch eine Kerze an. Aus seiner Badewanne schaut er auf einen Kamin, in dem im Winter oft ein Holzfeuer knistert: "Da können Sie noch so oft duschen, gegen so ein Vollbad ist das gar nichts."
Sie war schon immer Statussymbol, stand für ein behagliches Leben, für Luxus und Glamour. Gerade entdecken Innendesigner die Badewanne aufs Neue und spielen dabei mit Formen und Materialien.
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Comeback der Badewanne - Schaum mal!
00/12/2018
Die Jacke für die entscheidenden Momente Wenn die richtige Frau auf die richtige Jacke trifft, laufen die Dinge definitiv besser als sonst. Diese Jacke wurde vor ein paar Monaten noch von einer Influencerin mit Hoodie drunter und Gürtel drüber getragen - und letzte Woche beim Parteitag der CDU, von Annegret Kramp-Karrenbauer. Jede Frau, die schon mal auf einer Bühne gestanden hat, egal ob vor großem Publikum (Bundestag, Rock am Ring) oder kleinem (Ehemann), weiß: In alles entscheidenden Situationen sind traurig hängende Viskose-Fetzen und Polyesterjacken mit Sparfuchs-Schnitt die Killer ihrer Botschaft. Denn was man nach jeder leidenschaftlichen Geste wieder in Form zupfen muss, das bremst. Schlauerweise legte AKK also für ihren großen Auftritt den politikerinnentypischen Hang zu Apricotfarbenem und Elastischem ab und die Chefinnenjacke an: einen perfekt sitzenden Doppelreiher der deutschen Designerin Dorothee Schumacher. Mit definierten Schultern und betontem Rückgrat kann Frau eben gute Reden halten - denn wer sich um die Oberfläche keine Gedanken machen muss, kann sich ganz auf die Inhalte konzentrieren. Die Rock-Schuh-Kombination zum Blazer hätte virtuoser ausfallen können, was aber unser Lob nicht schmälern soll: Wir wollen in Zukunft vor allem keine abfälligen Kommentare über Brioni-Kanzler oder Dorothee-Schumacher-Kanzlerinnen mehr hören, denn, auch wenn Deutschland sich mit diesem Fakt immer noch schwertut: Gute Mode macht viel mehr als nur Spaß. Sie macht was her. Und den Kopf frei. Julia Werner Die Krawatte, über die niemand mehr lacht Ein wichtiger Postenwechsel war lange vor dem letzten CDU-Parteitag vollzogen, er betraf die lustige Krawatte. Die wurde nämlich schon vor einigen Jahren und recht erfolgreich vom lustigen Herrenstrumpf abgelöst. Die Funktion ist dabei nahezu die gleiche geblieben, nämlich biederen Herrschaften aus dem mittleren Management die Chance zu geben, so was wie einen lockeren Auftritt hinzulegen - bei gleichzeitiger Wahrung des ordentlichen Anzugs. Friedrich Merz wurde diese Neuausrichtung der Schlips/Strumpf-Verhältnisse in seiner Auszeit aber offenbar nicht mitgeteilt, oder er war zu beschäftigt, sich in die obere Mittelschicht vorzuarbeiten. Jedenfalls trug er am entscheidenden Parteitag letzte Woche eine lustige Krawatte, die ihren Teil zum abgekämpften Gesamteindruck des Kandidaten beitrug. Es handelte es sich um ein Modell von Salvatore Ferragamo mit vielen Pinguinen und Eisschollen, das derzeit preisreduziert zu haben ist (kein Kausalzusammenhang). Die zur Schau gestellte Pinguin-Eisschollen-Thematik lässt einige Assoziationen zu: kaltes Wasser und wacklige Grundlagen zum Beispiel oder auch eine etwas weiter gefasste Referenz an den Klimawandel und Vorahnung des Untergangs. Viel wahrscheinlicher als irgendeine Botschaft ist aber, dass Merz einfach nur eine von vielen lustigen Krawatten aus seinem Schrank genommen und pfeifend umgebunden hat. Im sicheren Glauben, dass mit seiner Wahl die 90er-Jahre und damit die kindischen Krawatten ein Revival feiern werden. Danke fürs Abwenden, AKK. Max Scharnigg
Während AKK beim CDU-Parteitag auf die Designerin Dorothee Schumacher setzte, band sich Friedrich Merz eine Pinguin-Krawatte um.
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Ladies & Gentleman - Macht und Mode
00/12/2018
Detailansicht öffnen (Foto: PR) Nach den psychedelischen Sixties wurde die Farbpalette im folgenden Jahrzehnt weicher: Braun, Cremeweiß, warme Rottöne, das waren bevorzugte Nuancen für Cordsofas oder Plateausandalen. Heute geht ohne ein bisschen Retro-Anstrich gar nichts, auch eine neue Serie des Füllfeder-Herstellers Kaweco beruft sich auf den Stil der Siebzigerjahre. Das Modell "70's Soul" ist in Weiß und Orange gehalten, die messingfarbenen Zierelemente sollen dem damals allgegenwärtigen "Harvest Gold"-Ton entsprechen. Das Nürnberger Traditionsunternehmen, 1883 in Nordbaden als "Heidelberger Federhalterfabrik" gegründet, bietet die Sonderedition in drei Varianten an: als Tintenfüller, Rollerball und Kugelschreiber (kaweco-pen.com). Detailansicht öffnen (Foto: PR) 2019 werden die Haare kurz - letzte Gelegenheit für opulente Festfrisuren an den Feiertagen. Das Comeback des Pixie-Cut stutzt dann alles auf fünf Zentimeter zurück. Der fransige Kurzhaarschnitt mit freigelegten Ohren und angedeuteten Koteletten ist nach koboldhaften Fabelwesen benannt. In den Clans der Delevingnes oder Jenners gilt der knabenhafte Look schon länger als Nonplusultra. Kunststück, ein Modelgesicht braucht keine Weichzeichner-Locken oder ähnliche kaschierende Tricks - siehe Jean Seberg, die ewig schöne Königin des Pixie. Bei den Schauen für kommenden Sommer waren auf den Laufstegen dermaßen viele Doppelgängerinnen zu sehen - im Bild Maike Inga für "Sacai" -, dass sich der Trend auch auf der Straße bemerkbar machen dürfte. Der Winter ist für eine radikal neue Frisur keine schlechte Zeit. Mit Mütze fühlt man sich in Momenten des Zweifelns weniger nackt. Die Mode hat das Essen entdeckt. Nicht in dem Sinne, dass in der Branche jetzt irre Mengen von Pizza, Vitello Tonnato und Schaschlik verputzt würden. Aber in den vergangenen Jahren haben immer mehr Modemarken festgestellt, dass sich der eine Genuss prima mit dem anderen verbinden lässt: Prada hat ein eigenes Restaurant, Gucci natürlich auch, Burberry ebenso. Denn wer zum Essen kommt, braucht hinterher vielleicht noch etwas Süßes aus der Accessoire-Abteilung? Auch Arket, Ableger von H&M, integrierte von Anfang an ein Café in den größeren Läden. Der Chefkoch dort heißt Martin Berg und ist ein früher Vertreter des New Nordic Food Movement, das sich vor allem auf regionale und saisonale Produkte beschränkt. Seine Rezepte für Fruchtsalat mit Kräutern oder gebratenen Grünkohl mit Miso kamen so gut an, dass jetzt zum einjährigen Bestehen ein Kochbuch erschienen ist. "Cookbook for spring, summer, autumn & winter" lautet der Titel schlicht. Serviert wird, was zur Jahreszeit passt. Auch das ist eine Parallele zur Mode (arket.com). Detailansicht öffnen (Foto: PR) Belgien trifft Irland - das ist offenbar eine fruchtbare Kombination. Der Lifestyle-Marke Max Benjamin aus Enniskerry ist es jedenfalls gelungen, auf dem unübersichtlich großen Markt der Duftkerzen Aufmerksamkeit zu erregen. Die Firmengründer, die Geschwister Mark, David und Orla Van den Bergh, haben belgische Großeltern, und deren Einrichtungsstil ist die Duftkerzenserie "Ilum" nachempfunden: Die geometrischen Muster der Porzellanbehälter sind inspiriert von Tapisserien, Schnitzereien und Fliesen im Haus der Familie in Antwerpen. Das klingt nach einer herrschaftlichen Umgebung, entsprechend rangiert Ilum preislich in der gehobenen Klasse (ab 99 Euro aufwärts). Erhältlich als handgegossene Kerze oder Raumdiffuser, in verschiedenen Größen und sechs Parfumvarianten. Darunter "Cologne Retro" mit Zitrusnoten und "Or Égyptien", ein orientalischer Duft aus Jasmin und Karamel (maxbenjamin.de). Das kommende Jahr wird anregend, lebensbejahend, behaglich, gesellig. Nein, diese Vorschau ist nicht ein Best-of aus Horoskopen, die zum Jahresende in jedem Magazin zu finden sind. Sondern sie stammt vom einflussreichen US-Farbunternehmen Pantone höchstpersönlich. In jedem Winter küren die Experten die Farbe des nächsten Jahres. 2019 wird das "16-1546" sein - oder etwas konkreter: Living Coral, ein Korallenrot mit goldenen Untertönen. Vom Frühling an werden also jede Menge Kleider, Pullis, Lippenstifte und Nagellacke in diesem Ton leuchten. Die Farbe soll schließlich "zu ungezwungenen Aktivitäten ermuntern", so der Konzern, und "ein Symbol für unseren natürlichen Wunsch nach Optimismus" sein. Gute Hoffnung - davon kann man sich vor allem für das echte Vorbild nicht genug wünschen. Denn die Koralle ist vom Aussterben akut bedroht.
Der fransige Kurzhaarschnitt mit freigelegten Ohren begeistert die Designer - ebenso wie die Farbe "Living Coral". Das Korallenrot mit den goldenen Untertönen ist die Farbe des Jahres 2019.
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Stilnews - Comeback des Pixie-Cut
00/12/2018
In Berlin dreht man bei der Neuerfindung der Gourmetszene jeden Tag ein bisschen mehr auf. Zu den aktuelleren Ideen zählt "Kneipen-Dining". Soll heißen: In Neukölln will Tisk Speisekneipe die feine Küche mit dem Charme einer Pinte vermählen. Sehr löblich, findet Harriet Köhler. Leider weiß das Lokal nicht nur die guten Seiten beider Lager miteinander zu verbinden. Es ist der Menschheit ja durchaus schon gelungen, scheinbar Unvereinbares halbwegs erfolgreich zusammen zu bringen: Bier und Limo beim Radler zum Beispiel. Folklore und Fashion in der "Trachtenmode". Schwarz und Grün in den Kiwi-Koalitionen Hessens und Baden-Württembergs. Und nun das: "Kneipen-Dining". So nennen Martin Müller und Kristof Mulack ihr Unterfangen, Altberlin und Haute Cuisine in einer Neuköllner "Speisekneipe" unter einen Hut zu bringen. Die Betreiber bringen Erfahrung mit, Müller war Sous-Chef in Tim Raues Restaurant "La Soupe Populaire", Mulack hatte früher einen Supperclub und ist außerdem Gewinner der Koch-Castingshow "The Taste". "Tisk Speisekneipe" heißt der Versuch, den Gourmetsektor weiter zu entkrampfen und zugleich die gute alte Kneipe wieder etwas aufzuwerten, was ganz grundsätzlich ja erst mal löblich ist. Fangen wir deshalb auch mit dem Lobenswerten an, den Tapas und Tellern vornweg: Der Gurkensalat zum Beispiel, der hier - man legt es klar auf Kultigkeit an - "Jurkensalat" heißt: Ausgestochene Stücke aus der Gurke in einer quicklebendigen Emulsion aus Apfel, Gurke, Joghurt und Jalapeño-Tabasco - das überzeugt auf der Zunge und ist auch noch so minimalistisch-schön angerichtet, dass es ohne weiteres aus einer Sterneküche kommen könnte (6 Euro). Auch das "Bio-Senfei", das auf einem Bett aus wunderbar aromatischem Kartoffelpüree und feinem, säuerlichem Senfschaum schwebt, schmeckt so schlicht wie fantastisch: Es wird von ein paar anfrittierten Blumenkohlröschen begleitet, ist mit etwas Petersilienöl bekleckert und mit ein paar Kräutern und Sellerieblättern vitalisiert (10,50 Euro). Tiptop sind auch die kross panierten, im Inneren zartcremigen Blutwurstkroketten, die ein kräftiges, süßsäuerliches Apfelmus kontrastiert, von dem es allerdings gern ein bisschen mehr hätte sein dürfen (6 Euro). Detailansicht öffnen Der "Kopfsalat" hingegen überzeugt uns nicht auf ganzer Linie: Die Schnittfläche eines halbierten Romanasalatkopfs ist mit einer Creme aus eingelegten Zitronen, Kapern und Petersilie bedeckt - das ist unpraktisch beim Essen (die Sauce verteilt sich schlecht), etwas zu salzig - und dann knirscht es hier und da verdächtig zwischen den Zähnen. Ebenfalls nicht ganz gelungen ist die Soljanka, ein Klassiker aus Sowjetzeiten, der seinen Wumms im Original durch reichlich Wurstreste erhält. Im Tisk hingegen ist die Suppe vegetarisch, dafür aber so brutal mit Essig und Schärfe aufgerüstet, dass der Rachen um Gnade fleht (8 Euro). Auch "Brot & Butter" gehen deutlich besser: Die hausgemachten Haferflockenbrötchen erinnern in ihrer Kompaktheit an Aufbackware aus dem Bioladen - und warum man ein so perfektes Produkt wie kühle Butter erwärmen und dann aufschlagen muss, bleibt sowieso eines der ungelösten Rätsel der gehobenen Gastronomie (3,50 Euro). Was uns den ganzen Abend über irritierte, war die penetrante Frittenbudenfahne, die aus der offenen Küche drang und sich streng über die Speisen legte. Doch dann kam der Hauptgang, und wir verstanden. Der signature dish im Tisk ist nämlich der "Broiler im Janzen" (für zwei Personen, 35 Euro), bei dem die Küche es offenbar für originell hielt, auf allen Haute-Cuisine-Schnickschnack plötzlich wieder zu verzichten und den (zugegeben saftigen und wohlschmeckenden) Vogel ganz einfach mit Kneipengarnitur zu servieren. Erst hält man's noch für Ironie, aber dann kommt als "Mischjemüse" ganz ernsthaft eine nach Maggi schmeckende Sauce auf den Tisch, in der Karottenscheiben und TK-Erbsen schwimmen. Und auch die dazu servierten "Demeter Pommes" sind so fad und freudlos wie die traurige Tiefkühlware, die man auch in vielen Fast-Food-Läden serviert. "Vor allem wollen wir zeigen, dass ein Berliner Geschmack tatsächlich existiert", hat Kristof Mulack mal in einem Interview gesagt. Puh, nicht nötig: Dieses Berlin kannten wir. In einem Satz Eine Kneipe mit feinem Essen ist ein super Konzept, das man bei "Tisk" aber noch ein wenig ehrgeiziger und höflicher umsetzen sollte. Qualität: ●●●○○ Ambiente: ●●●○○ Service: ●●●○○ Preis/Leistung: ●●●○○ Und dann ist da dieser Service. Nichts gegen Lockerheit im Dienst am Gast, aber wenn ein Kellner nicht einmal nachfragt, wenn er um einen Eiswürfel gebeten wird, um den viel zu warm servierten Spätburgunder auf Trinktemperatur herunterzukühlen, sondern einfach nur trotzig pariert, dann wünscht man sich doch ein paar Höflichkeitsformen zurück. Und, ach so, noch so ein Thema: Die Weinkarte ist zwar umfangreich, enthält aber kaum mehr als einfachste Basisqualitäten, die noch dazu recht selbstbewusst kalkuliert sind - das passt genauso wenig zum Konzept wie die Tatsache, dass aus den Boxen zwar ziemlich lauter Hiphop dröhnt, die Küche aber (und das in Neukölln!) bereits um halb elf schließt. Irgendwie bleiben die Gegensätzlichkeiten im Tisk unversöhnt nebeneinander stehen. Und auch unser Urteil ist am Ende zwiespältig. Die Ansätze sind gut, das Können ist da, aber es wirkt so, als fehle ein Quäntchen Ehrgeiz, um das Konzept wirklich aufs anvisierte Niveau zu bringen - von dem aus man sich dann gerne ein paar Lässigkeiten erlauben dürfte.
In Berlin-Neukölln versucht sich ein Lokal am Konzept "Kneipen-Dining". Dabei will man die feine Küche mit dem Charme der Eckkneipe verbinden.
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Lokaltermin - Tisk
00/12/2018
Ein Rezept für kandierte Walnüsse von US-Köchin Alice Waters: Das Ergebnis ist goldbraun, dezent süß, knusprig und nur wenig klebrig. Es ist ein bisschen paradox, dass ausgerechnet im Advent die absolute Hochsaison für Walnüsse beginnt; schließlich verliert zumindest die europäische Ernte im Dezember bereits stark an Frische und die Nüsse beginnen auszutrocknen. Ein echtes Problem ist das aber nicht, schließlich gibt es genügend Rezepte, die Walnüsse im Rekordtempo loszuwerden. Ein besonders einfaches und dazu weihnachtliches kommt von der amerikanischen Köchin Alice Waters, die Walnüsse erst kandiert und sie dann kurz im Ofen backt. Das Ergebnis ist goldbraun, dezent süß, knusprig und nur wenig klebrig. Dafür den Ofen auf 160 Grad vorheizen (Ober- und Unterhitze). In einem kleinen Topf 60 ml Wasser mit 100 g Zucker und 85 g Honig verrühren und bei mittlerer Hitze aufkochen lassen. 200 g Walnusshälften hineingeben und für 1 Minute gut rühren. Dann den Topf vom Herd nehmen, die Nüsse noch 3 Minuten durchziehen, in einem Durchschlag abtropfen lassen und auf einem mit Backpapier ausgelegtem Blech verteilen. Am Ende die Nüsse 10 bis 15 Minuten backen und währenddessen zwei, drei Mal mit einem Holzspatel hin und herschieben, damit sie nicht ankleben. Das schöne an diesen kandierten Walnüssen ist ihr großes Einsatzgebiet. Sie schmecken als Snack vor dem Fernseher, zum Adventskaffee, aber auch zur Käseplatte, auf sautierten Äpfeln, Zimteis oder zu griechischem Joghurt. Besonders furchtlose Köche in amerikanischen Chinarestaurants servieren kandierte Walnüsse übrigens auch zu frittierten Garnelen in Honig-Zitronen-Mayonnaise. Schmeckt auch gut, ist aber zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache.
Ein Rezept für kandierte Walnüsse von US-Köchin Alice Waters: Das Ergebnis ist goldbraun, dezent süß, knusprig und nur wenig klebrig.
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Wandlungsfähige Walnuss
00/12/2018
Bis heute erinnere ich mich an unsere erste Begegnung. Ich machte ein Selfie von uns beiden, wie wir nach Hause radelten, jung, hip und aufregend fühlte es sich an. Der erste Frühling war von der Lust auf das Unbekannte geprägt. Zunächst. Denn man kann es nicht anders sagen: Unser Verhältnis gleicht einer Langzeitbeziehung. Wir haben alle Stadien, die man miteinander erlebt, ­durchgemacht. Auf den Frühling folgte ein beschwingter Sommer. Ich war verliebt in meine Gemüsekiste, schon sonntags freute ich mich, sie mittwochs abzuholen, voller Tomaten und Kresseschälchen, Kartoffeln und Zucchini. Doch wie es manchmal ist mit Beziehungen: Lange sollte die Freude nicht währen. Mit dem Herbst zeigten sich erste Nervigkeiten (wieder Kürbis?), und der Winter enthüllte ihre Macken in vollem Ausmaß: Statt Tomaten schleppte ich einen Rucksack voll Kohl nach Hause. Abwechslung hieß: mal Spitzkohl, dann Chinakohl, Weißkohl oder Rotkohl. Nun gibt es Gemüsekisten, die sind die "Friends with benefits"-Konstrukte ihrer Art, für Bindungsängstliche. Man kann im Winter Mango dazubestellen, Pastinaken ausschließen, und jede Woche eine Milch dazu. Bei meiner Kiste vom Kartoffelkombinat - der Name lässt es erahnen, es handelt sich um den Ernteanteil in einer solidarischen Landwirtschaft - entspricht das Verhältnis mehr einer Vernunftehe, die man richtig findet und durch die die Welt besser wird. Dafür geht man Kompromisse ein. Man kauft Genossenschaftsanteile, die nicht kurzfristig abzugeben sind. Und die Macken des anderen, in diesem Fall der Kiste, muss man akzeptieren. Manche kennt man vorher: weder Mango noch Milch. Anderen Macken begegnet man später: Mal Kürbisse, so klein, dass sie nur zum Befüllen mit viel Käse taugen, mal Perlgraupen, die zu gesund sind, um zu schmecken. Bei mir kam im ersten Winter etwas hinzu, was mich ernsthaft an der Beziehung zweifeln ließ. Faustgroß, süßsauer und mit der Spezialfähigkeit, auf schwarzer Kleidung Flecken zu machen: Rote Bete. Bisher war mir die nur als eklige Begleitung der Karottenstifte in "gemischten Salaten" drittklassiger Landlokale begegnet, nun wurde sie mein wöchentliches Ärgernis. Ich muss gestehen: Ich bin manchmal fremdgegangen im Supermarkt (Mango ...) und habe gelegentlich andere für zuständig erklärt ("Mutti, holst du sie mal ab?"). In schwachen Momenten habe ich über eine Trennung nachgedacht. Aber immer nur bis Mittwoch. Denn wie in einer guten Beziehung hat sich über das Verknalltsein hinaus mehr entwickelt. Seit der Kiste weiß ich erst, dass Zucchini einen Eigengeschmack haben. Für Perlgraupen gibt es wunderbare Ottolenghi-Rezepte. Und, wer hätte es gedacht, für den heimischen Bedarf fürs Risotto reicht die Rote Bete längst nicht mehr. Und umgekehrt: Auch die Kiste gibt sich Mühe. Und in arg harten Wochen gegen März gibt es sogar Tomatensugo. Das ist bei einer großen Einkochaktion entstanden, andere, fleißigere Genossenschaftsmitglieder waren beteiligt. Nächstes Jahr werde ich mitmachen - das läuft dann wohl unter Paartherapie. Lea Hampel überlegt schon, in die nächste Genossenschaft einzusteigen, die von ihrem Biomarkt. Weil sogar ihre Finanzberaterin das für eine gute Idee hält und sie dann auch noch Rabatt auf ihre Tofuwürstchen bekommt.
Was Rote Bete und rote Herzchen miteinander zu tun haben? Nichts, dachte unsere Autorin. Bis sie einer Landwirtschaftsgenossenschaft beitrat.
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Plan W: Verliebt in meine Gemüsekiste
00/12/2018
"Mit jedem Schluck Zweigelt ist man der österreichischen Identität ganz nahe" sagt der Wiener Historiker Robert Streibel. Da könnte etwas dran sein. Keine Rotweinsorte wird, flächenmäßig gesehen, in Österreich so viel angebaut. Wer auch nur einmal einen Wochenendtrip nach Wien oder Ferien in der Steiermark gemacht hat, kennt den Zweigelt. Zusammen mit dem Grünen Veltliner ist der fruchtige Rotwein ein Muss im Heurigen - dem österreichischen Pendant zum Biergarten. Und jetzt soll der Zweigelt nicht mehr der Zweigelt sein. Das Wort Zweigelt ist nicht etwa eine knuffige Dialekt-Abwandlung des Wortes Zweig. Nein, der Name bezieht sich auf Friedrich "Fritz" Zweigelt, einem österreichischen Botaniker, der im Jahr 1922 den Rotwein durch die Kreuzung der Rebsorten St. Laurent und Blaufränkisch geschaffen hatte - und ein glühender Anhänger der Nationalsozialisten war. Schon 1933, fünf Jahre, bevor sich die Österreicher von den Nazis haben anschließen lassen, trat Zweigelt in die NSDAP ein. Ihm wird nachgesagt, ein gewissenloser Karrierist gewesen zu sein, der die nationalsozialistische Ideologie auch in seiner Weinbauschule verbreitete. Nach 1945 wurde Zweigelt für sechs Monate wegen Volksverhetzung eingesperrt. Danach war alles vergessen. Um diesen Mann nicht noch länger ein Denkmal in Flaschenform zu setzen, hat eine Wiener Künstlergruppe, das "Institut ohne Eigenschaften", die Aktion "Abgezweigelt" gestartet. Der Rotwein brauche einen neuen Namen: "Blauer Montag", so der - nicht ganz ernstgemeinte - Vorschlag der Aktivisten. Angelehnt an jenen Montag, an dem man lieber im Bett liegen bleibt, weil Arbeiten mit Kater eben nicht sehr leiwand ist. Blauer Montag würde wegen der violetten Farbe des Weines gut passen. Aber der Name "Rotburger" wäre auch eine wahrscheinliche Alternative, meint Wilhelm Klinger, Geschäftsführer des Unternehmens "Österreich Wein Marketing", einer Servicegesellschaft der österreichischen Weinwirtschaft. So habe der Wein zunächst geheißen, sagte Klinger der Wiener Zeitung. Friedrich Zweigelt hatte ihn selbst so getauft. Erst 1975, mehr als zehn Jahre nach seinem Tod, erhielt der Wein seinen heutigen Namen - im Zuge der Qualitätsweinrebensorten-Verordnung - die ihren Platz in der Geschichte wohl auch nur wegen der Rotburger-Zweigelt-Causa behalten darf. Für den Wein-Historiker ist vor allem die Debatte um Zweigelts Erbe wichtig Dass Zweigelts Nazi-Karriere damals kein Thema war, verwundert nicht. Bis in die späten Achtzigerjahre, als der Skandal um die nationalsozialistischen Verstrickungen des damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim die Republik (und den Rest der Welt) beschäftigte, konnte sich in Österreich der Opfermythos halten. Das kleine Land sah sich nur zu gern lediglich als Opfer des übermächtigen Deutschen Reiches. Eine Aufarbeitung des nationalsozialistischen Erbes war weit entfernt. Sie ist auch heute noch nicht abgeschlossen, findet Historiker Robert Streibel. In seinem Buch "Der Wein des Vergessens" hat er die Nazi-Vergangenheit österreichischer Winzer zum Thema gemacht. Was den Zweigelt angeht, unterstützt er die Aktion der Künstler. Ob man der Marke dabei schadet, ist Streibel egal: "Sicherlich werden einige die Diskussion als schädlich empfinden. Aber wie lange will man warten, bis man mit der Aufarbeitung beginnt?" Für Streibel ist vor allem die Debatte wichtig. Sollten sich die Österreicher am Ende einig sein, dass der Wein weiterhin Zweigelt heißen dürfe, sei das auch in Ordnung. Für Streibel wäre eine Umbenennung "ein mittleres Erdbeben", eine nachvollziehbare Einschätzung, man stelle sich nur mal vor, die Bayern müsste ihren Obatzd'n aus politischen Gründen plötzlich in "orangefarbener Kümmelkäse" umtaufen.
Österreichs populärster Wein ist nach einem Nazi benannt. Eine Künstlergruppe will jetzt eine Diskussion darüber anfachen.
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Österreich: Umstrittener Zweigelt
00/12/2018
Nüsse knacken gehört zur Adventszeit wie Nikolaus und Mandarinen. Aber womit kriegt man Walnuss, Haselnuss und Co. am besten auf? Zehn Produkte im Test. "Äpfel, Nuss und Mandelkern essen fromme Kinder gern", weiß Knecht Ruprecht im Gedicht von Theodor Storm. Ohne Nüsse geht es nicht in der Weihnachtszeit, und das soll es auch nicht, denn Nüsse sind gesund. Spätestens der Nikolaus hat in dieser Woche einen Sack davon gebracht, und damit startet die alljährliche Suche nach dem Nussknacker, der seit dem letzten Winter in irgendeiner Schublade verstaubt. Die SZ-Tests im Überblick Diesen und alle weiteren SZ-Produkttests finden Sie hier. Wer ihn nicht findet, kann zwei Walnüsse ganz gut in der hohlen Hand knacken. Oder man kauft einen neuen Knacker. Nur welchen? Bei wenigen Werkzeugen gibt es so viele Varianten: Man kann Nüsse mit dem Fallbeil zerhacken oder mit Zwingen, Zangen oder Quetschen aufbrechen. Ob ein Nussknacker gut funktioniert, hängt aber vor allem von der Nuss selbst ab. Gezüchtete Walnüsse aus Kalifornien zum Beispiel haben eine dünnere Schale als manche Nuss aus dem heimischen Garten. Bei Haselnüssen gibt es verschiedene Formen und Größen. Im Supermarkt findet man zumeist runde Exemplare. Die wohlschmeckende, längliche Lange Zeller Haselnuss etwa stellt manchen Knacker vor Herausforderungen. Für alle Nüsse aber gilt: Das Knacken lohnt sich. Außerhalb ihrer Schale verlieren die Früchte schnell an Aroma, vor allem, wenn sie offen in der Auslage liegen oder in Papier verpackt sind. Besser hält sich der feine Geschmack in der Plastikpackung. Nie aber schmeckt die Nuss so gut, wie wenn man sie selbst knackt.
Nüsse knacken gehört zur Adventszeit wie Nikolaus und Mandarinen. Aber womit kriegt man Walnuss, Haselnuss und Co. am besten auf? Zehn Produkte im Test.
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Test - Das ist der beste Nussknacker
00/12/2018
Sie machen ein schlankes Bein, weil sie selbst klobig sind. Vor allem aber sind sie warm und bequem: 50 Jahre nach ihrer Erfindung sind Moon Boots wieder mal angesagt. Als Jane Fonda 1968 in dem Film "Barbarella" durch das All turnt, trägt sie Silberstiefel mit oberschenkelhohem Schaft. Sie sehen höllisch unbequem aus, ebenso das weiße Pendant aus Lackleder - aber so war das eben im Space Age. Futuristische Mode hatte nichts mit wohlfühlen zu tun. Für die Mission Zukunft stecken Designer wie Paco Rabanne oder André Courrèges Frauen in enge Kettenhemdchen oder PVC-Kleider. 1969 dann die Erlösung, in Italien wird der Moon Boot erfunden. Ein bunter, sehr bequemer Schuh. Seitdem bedeutet modetechnisch ein Flug in die Galaxie vor allem: warme Füße. Der Moon Boot ist so ziemlich das einzige Überbleibsel aus den Chemiefaser-versessenen Sechzigern, das bis heute überlebt hat. Wenn man von diversen Anläufen absieht, den Plastikmantel wiederzubeleben (seinerzeit schlüpfte sogar Princess Anne in eine grellpinke Regenhülle, jüngster Reanimationsversuch: ein Modell von Marine Serre für schlappe 750 Euro). In den Schneestiefeln haben Generationen von Skifahrern ihre steifgefrorenen Füße aufgetaut. Nach der Anspannung auf der Piste signalisiert der Moon Boot schon optisch: loslassen. Zehen gelockert, schlurfender Gang - die rundlichen Treter leiten über in den gemütlichen Teil des Wintersports. Detailansicht öffnen Volle Packung: der Original Moon Boot von Tecnica in Metallic. (Foto: PR) Zum 50. Jahrestag der Mondlandung 2019 will der Hersteller Tecnica nun vom Schub der Apollo 11-Nostalgie profitieren. In München wurde eine flauschbesetzte Jubiläumskollektion vorgestellt, mit zeitgemäßen Sneakeranleihen, neongrün bis leuchtend orange - eine Hommage an die psychedelischen Farbvorlieben der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Und auf der Männermodemesse Pitti Uomo in Florenz soll im Januar mit einer Installation an die Achse Cape Canaveral-Giavera del Montello erinnert werden. In aller Bescheidenheit natürlich, aber der Raketenstart in Florida im Juli 1969 war ja für den Schuhmacherbetrieb in dem kleinen italienischen Ort bei Treviso der Auslöser für die Erfindung des Stiefels. Es gibt sogar ein Paar handsignierte Moon Boots mit der Unterschrift des Astronauten Buzz Aldrin. Dass der ausgepolsterte Schuh seit einigen Saisons wieder auf den Laufstegen auftaucht, ist in erster Linie der Retromanie geschuldet. Die Mode legt ja von Hippie bis Rave alle Stilrichtungen munter wieder auf, und die Faszination für das Astrale hatte vor allem Chanel mit einer Raumschiff-Kollektion befeuert. Von Calvin Klein bis Margiela gab es zuletzt Endzeit-Schuhe zu sehen, die aussahen, als müsste sich die Menschheit für eine Auswanderung auf den Mars wappnen. Saint Laurent steuerte die fellige Yak-Variante bei, das Prinzip bleibt dasselbe: Klobiges am Fuß macht schlanke Beine. Dieser Effekt hatte natürlich schon den Erfolg des Ur-Moon-Boot ausgemacht, vor allem bei Frauen. Männer wirken in den Polarpuschen ja immer leicht karnevalesk. Selbst in "Moonraker" trug James Bond daher sicherheitshalber nur dezent wattierte Kurzstiefeletten. Detailansicht öffnen Nicht unbedingt tragbar, aber ein Hingucker: Moon Boots von Jeremy Scott (Foto: Randy_Brooke) Bei der Tecnica Group in Venetien kann man die neue Aufmerksamkeit für den Klassiker gut gebrauchen. Die Mondschuhe sind zwar überall auf der Welt bekannt und waren auch nie weg, wobei Spezialanfertigungen in Echtpelz oder von Louis Vuitton schon eher etwas für eine Nischenkundschaft sind. Aber der Familienbetrieb hat sich mit Zukäufen übernommen und brauchte einen Investor, um auf die Füße zu kommen. Da schadet es nicht, wenn das Vorzeigeprodukt wieder stärker gefragt ist. Der allgemeine Trend zu unförmigen Schuhen tut ein Übriges, auch die Lobeshymnen für Ryan Gosling in dem Mondfahrer-Film "First Man" dürften den Italienern zumindest indirekt nützen. Die Winterstiefel machen nur einen Teil des Geschäfts bei Tecnica aus. Auch die Wanderschuhmarke Lowa und die Skianbieter Blizzard und Nordica gehören zum Portfolio der 1960 gegründeten Firma. Alberto Zanatta, Sohn des Gründers, führt inzwischen die Geschäfte und ließ kürzlich wissen: "Wir haben Vollgas gegeben und Fehler gemacht." Mit zu vielen Markeneinkäufen, vom Modelabel Think Pink bis zum Snowboardhersteller Nitro hatte sich die Holding verzettelt. Inzwischen ist das Unternehmen wieder verschlankt. Senior Giancarlo Zanatta, leidenschaftlicher Skifahrer wie der Sohn, hatte bei der Apollo 11-Landung der Abdruck von Neil Armstrongs Schuh fasziniert. Das Rillenmuster im Mondstaub ist längst ein ikonisches Bild. Das Foto hatte Zanatta vor Augen, als er den Winterstiefel mit ähnlichem Profil erfand - wann das genau war, lässt Tecnica in seiner Firmengeschichte im Unklaren. Etwas Mythos muss sein bei außerirdischen Themen. Viel Freude hatten die Zanattas jedenfalls an den Entwürfen von Jeremy Scott, der im Februar in New York Moon Boots in einer beinlangen Overknee-Version zeigte. Untragbar natürlich, außer für Barbarella.
Sie machen ein schlankes Bein, weil sie selbst klobig sind. Vor allem aber sind sie warm und bequem: 50 Jahre nach ihrer Erfindung sind Moon Boots wieder mal angesagt.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/mode-moonboots-winterstiefel-1.4240636
Comeback der Moon Boots
00/12/2018
Sylvan Müller hat in der Foodfotografie einen völlig neuen Stil geprägt. Das Geheimnis des Schweizers: Am Essen interessiert ihn vor allem der Mensch. Käse, ganz richtig - es liegt durchaus nahe, diese Geschichte mit Käse beginnen zu lassen. Es geht, erstens, um einen Schweizer. Dazu um gutes Essen. Und darum, mit Bildern von gutem Essen Geld zu verdienen. Der "Chääs" muss dem Betrachter quasi auf der Zunge zergehen, obwohl er gar keinen im Mund hat. Das funktioniert im Foodstyling nach ein paar simplen Tricks. Flaumiger Ziegenkäse auf zerbeultem Blechteller, und dem Großstädter wird warm ums Herz - die stallwarme Variante. Die Verknüpfung Silbermesser-Blauschimmel-Nüsse hingegen signalisiert kulinarische Noblesse. Oder goldgelbe Schmelzfäden im Close-up: Yummie, sofortiger Speichelfluss. Sylvan Müller interessiert keines dieser Spielchen. Er hat Käse vollkommen anders und neu fotografiert. Eine Frau in fleckigen Arbeitshosen, Melkschemel unterm Arm, verschlossener Blick: Das ist sein Bild von "Bitto storico", einem Hartkäse aus dem Veltlin. Das eigentliche Produkt spielt eine Nebenrolle. Man möchte den Käse trotzdem sofort probieren, weil er gar nicht anders sein kann als echt, würzig, einmalig. Genau so wie die Frau, die ihn herstellt. Das Buch, aus dem das Foto stammt, wurde ein Bestseller und setzte neue Maßstäbe. Sylvan Müller ist einer der erfolgreichsten Food-Fotografen im deutschsprachigen Raum. Wer ihn treffen will, muss nicht auf die Alm. Zürich genügt, der 45-Jährige hat sein Atelier in Luzern, aber ein Termin in der nahen Großstadt passt besser in den Kalender. Und doch, als Treffpunkt darf es ruhig etwas schick Urbanes sein. "Das kulinarische Erbe der Alpen" heißt der Band (AT Verlag), mit dem Müller Furore gemacht hat: eine Erkundungstour am Berg, zu Landschaften und Lebensmitteln. In der "Markthalle im Viadukt" verkehren eher Feinschmecker aus dem Flachland. Müller trägt Loafers und Lederjacke. Der Chronist des unverfälschten Geschmacks ist kein kantiger Eigenbrötler, auch wenn man sich das so vorstellt. "Mich interessiert die Verletzlichkeit", sagt er, "darin zeigt sich die Schönheit von Menschen." "Ich bin da mehr reingerutscht", sagt er im leichten Singsang und macht eine Armbewegung, die alles um den Bistrotisch herum zu umfassen scheint: die Regale mit Delikatessen, die ausgefeilten Zutatenlisten der schlendernden Kunden. Kurz, das Kochen und Essen, wie es viele heute betreiben - mit höchster Konzentration. Hineingerutscht, das ist für einen wie Sylvan Müller eine überraschende Aussage. Er fotografiert für Magazine perfekt arrangierte Stillleben aus Gemüse, Fleisch, Fisch. Er trägt eine Tasche voll schwerer Bildbände, die ihn bekannt gemacht haben. Das Alpenerbe, ein Trip durch Japans Küchen, "Leaf to Root" über den jüngsten Trend der Gemüseküche. Und da soll das Kulinarische nicht im Zentrum seiner Arbeit stehen? Detailansicht öffnen Müller verzichtet rigoros auf Kunstlicht, das gibt den Schwarzweiß-Porträts etwas Plastisches. Hier die Käserin Antonella Manni. (Foto: Sylvan Mueller) Das tat es nicht immer, und vermutlich hängt mit Sylvan Müllers erstem Leben als Reportagefotograf genau die Tiefe und Ernsthaftigkeit zusammen, für die man seine Food-Arbeiten bewundert. Wobei es an Begeisterung (und Selbstbewusstsein) von Anfang an nicht fehlte. "Ich kann das jetzt", habe er als 16-Jähriger nach ersten fotografischen Versuchen zu Hause verkündet - er grinst bei der Erinnerung an so viel Großspurigkeit. Die Eltern rieten dann doch zu einer Ausbildung. Und früh geriet er über einen väterlichen Freund, einen freien Regisseur, an sein Lieblingsthema: Menschen. Markante Typen, Gesichter, in denen sich Wut, Trauer oder Glück spiegeln. "Mich interessiert die Verletzlichkeit", sagt er, "darin zeigt sich die Schönheit von Menschen." Für das Luzerner Theater fotografiert er die Schauspieler nach dem Schlussapplaus, in Kostüm und Maske, aber vor Erschöpfung wie entblößt. Er bereist nach der Wende die Braunkohlereviere um Bitterfeld. Seine Fotoserie über junge Psychiatriepatienten in Tschernobyl ist beklemmend, ohne voyeuristisch zu wirken. Einfühlsam würde man die Aufnahmen nennen, wären diese Kinder nicht so von aller Welt verlassen, dass einem das Wort zu schön vorkommt. Essen verbindet, eine gemeinsame Mahlzeit hebt Grenzen auf "Es gibt in meinem Leben einige Brüche. Sie sind wichtig für mich und meine Arbeit", sagt Sylvan Müller. Ein paar Monate hat er in einem Weinberg gearbeitet anstatt hinter der Kamera. Und auf die Reportagen folgte mehrere Jahre lang reine Werbefotografie mit schicken Studios in der Schweiz und New York und mit ziemlich guten Honoraren. Bis ihm das alles zu glatt war. "Mir hat etwas Entscheidendes gefehlt. Ich wollte wieder Geschichten erzählen." Detailansicht öffnen Müllers Fotos bedienen die Sehnsucht einer weltweiten Wohlstandsschicht nach dem Urwüchsigen: Hier sein Porträt des Kochs Johann Reisinger. (Foto: Sylvan Mueller) Geschichten über das Essen berühren und verbinden die Leute wie kaum etwas anderes. Wildfremde geraten so miteinander ins Gespräch. Eine gemeinsame Mahlzeit hebt Grenzen auf, Gerüche wecken Kindheitserinnerungen. Nahrungsmittel transportieren Emotionen. "Dieser Aspekt hat mich am Essen immer schon fasziniert", sagt Müller. Heute ist daraus eine Art Markenzeichen (und ein gutes Geschäft) geworden: Bilder von Menschen und ihrer Leidenschaft für Essbares. Männer oder Frauen, die kochen, jäten und schlachten, räuchern oder schälen. Die in Tokio auf dem Fischmarkt einkaufen oder in einem alpinen Hochtal alte Rübensorten anbauen. Das trifft natürlich haargenau den Zeitgeist, die Suche einer weltweiten Wohlstandsschicht nach dem Urwüchsigen. Je ausgefeilter unsere Koch- und Essgewohnheiten werden, samt detaillierter Pläne zur Allergievermeidung, umso mehr soll das einzelne Produkt rein und unschuldig sein. Der Hype um authentische Nahrung verbindet die Sehnsucht nach Elementarem und das allgegenwärtige Connaisseurtum zu einem täglich konsumierbaren Statussymbol. "Im Grunde finde ich es suspekt, wenn Essen zur Ersatzreligion wird", sagt Sylvan Müller. "Aber mir ist klar, dass ich selbst Teil dieser Bewegung bin." Umso wichtiger sind ihm Signale der Distanz. Er möchte nichts beschönigen, sondern "Geschichten zu Ende erzählen". So werden den Freunden der Alpenküche Bilder von Schlachtungen auf der Alm oder einem ausgeweideten Murmeltier nicht erspart. Oder er erlaubt sich ironische Brechungen, wie sie im Buch "Leaf to Root" über die sicher sehr vernünftige restelose Gemüseküche eingestreut sind - Schnecken, die über Blattwerk kriechen, aufgemalte Kreideknollen neben echten roten Beten. Die Botschaft: Bitte keine Dogmatik. Oft hat er Stunden auf den einen Moment für das Foto gewartet Trotzdem ist das Charakteristische an Sylvan Müllers Bildern diese gewisse Strenge. Der Schweizer verzichtet rigoros auf Kunstlicht, das gibt den Schwarzweiß-Porträts etwas Plastisches. Aus der alpinen Serie ist vor allem das Foto eines Hirten aus dem Aostatal bekannt geworden, mit Zicklein auf dem Arm. Blick zum Betrachter, dunkle Holzwand im Hintergrund. Sonst nichts. Auch die Rezeptbildstrecken wirken nüchtern konzentriert wie bei Versuchsanordnungen. Almbutter, frisches Brot, eine Schale Salz. Oder: Rübenkompott, ein Klecks Rahm. Schluss. Die Kunst heißt: weglassen. Das ist meilenweit entfernt von der Cheesecake-Wohligkeit der angloamerikanischen Foodstyling-Schule. "Donna-Hay-Licht" nennt Müller diese Art von sanftem Schein, mit dem die australische Köchin berühmt wurde. Inzwischen ist es sein Stil, der großflächig kopiert wird. Detailansicht öffnen Das Wesentliche im Blick: Sylvan Müller hat den reduzierten Stil in der Foodfotografie mitgeprägt. (Foto: Sylvan Mueller) Natürlich heißt die Kunst auch: abwarten. Sich Zeit lassen. Für den mit Dominik Flammer herausgegebenen Band "Das kulinarische Erbe der Alpen" ist Müller drei Jahre lang durchs Gebirge gereist. Von Savoyen bis Slowenien, zu Imkern, Maronibauern, Schweinehaltern. Oft hat er Stunden oder Tage gewartet, bis der richtige Moment für das Foto kam - häufig passierte das gerade dann, wenn die Leute viel Arbeit und eigentlich keinen Nerv für ihn hatten. "Dann verstellen sich die Menschen nicht." Sylvan Müller glaubt, dass er nur mit diesem Einsatz eine Bildqualität erreichen kann, die sein Metier überleben lässt, trotz Blogs und Instagram. Eigentlich, sagt er, "ist das ja ein unmögliches Arbeitsgebiet geworden, in dem ich tätig bin. Heute macht jeder auf der Welt Food-Fotografie." Aber nicht jeder betreibt diesen Aufwand. Abgesehen davon hat er auf seiner langen Reise den Bitto Storico von Antonella Manni kennengelernt. Nicht einfach ein Käse, sagt Müller. Eine Offenbarung.
Sylvan Müller hat in der Foodfotografie einen völlig neuen Stil geprägt. Das Geheimnis des Schweizers: Am Essen interessiert ihn vor allem der Mensch.
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Der Essenzialist
00/12/2018
Detailansicht öffnen (Foto: oh) Der Name Rohi ist vielleicht nicht jedem ein Begriff, trotzdem dürfte fast jeder schon mal in Kontakt mit einem Produkt des Familienunternehmens aus dem Münchner Umland gewesen sein. Denn von den Webstühlen der Firma kommen nicht nur Bezüge für Designmöbel, sondern vor allem für viele Flugzeugsitze, die zum Beispiel in der Lufthansa Premium Economy oder bei Singapur Airlines verbaut sind. In der Berliner Staatsoper Unter den Linden oder auf der MS Europa 2 kamen ebenfalls Stoffe aus Geretsried zum Einsatz. Zum 85. Geburtstag präsentieren sich die Wollspezialisten in dritter Generation aber auch mit einer nachhaltigen Idee für den Wohnbereich. Unter dem Namen 13Rugs ist in den letzten Jahren bei Rohi zusätzlich ein kleines Teppichlabel entstanden, mit ungewöhnlichen Designs und Unikatcharakter - was an dem unkonventionellen Herstellungsprozess liegt. Für die Teppiche werden nämlich die Webekanten verwendet, die als Reste bei der Stoffproduktion anfallen. Textildesignerin Lara Wernert entwickelt aus diesen Resten in einem mehrstufigen Filzverfahren dann Kunstwerke für den Boden (13rugs.com). Detailansicht öffnen (Foto: oh) Hotels kennen sich aus mit Reisenden - und mit ihrem Gepäck. Dort steht es erst an der Rezeption herum, wird dann gegebenenfalls vom Pagen aufs Zimmer gebracht - und verbringt nach dem Check-out häufig noch ein paar Stunden in der Aufbewahrung. Offensichtlich finden die Betreiber der Members Club- und Hotelkette Soho House, wo alles immer extra schön und cool gestaltet ist, dass beim Gepäckdesign auch noch einiges machbar wäre. Also haben sie gemeinsam mit der in Berlin gegründeten Marke Horizn Studios jetzt zwei eigene Koffermodelle herausgebracht. Die limitierte Edition aus dunkelblauem Polycarbon hat außen eine wasserfeste Tasche für Laptops und ist innen im Nadelstreifendesign gestaltet. Wie bei Horizn Studios üblich, verfügen die Koffer über eine eingebaute "Powerbank" für Smartphones und Tablets. Dann müssen Reisende nicht ständig an der Rezeption nach einem Aufladekabel fragen. Erhältlich im Soho House Berlin sowie London-Shoreditch oder unter horizn-studios.com. Der "British Fashion Council" ehrt Miuccia Prada. Bei einer Zeremonie in der Royal Albert Hall erhält die italienische Designerin kommende Woche den Outstanding Achievement Award für ihre "herausragenden Verdienste" in der Mode. Die Jury des Fashion Council, einer einflussreichen Branchenorganisation, rühmt in ihrer Begründung Miuccia Pradas Vielseitigkeit. Die 69-Jährige habe über Jahrzehnte besonderes Gespür für den Zeitgeist bewiesen, mit ihren Kollektionen, aber auch in Architektur und Kunst. Prada stieg 1978 in die von ihrem Großvater gegründete Lederwarenfirma ein, elf Jahre später lancierte sie die erste Prêt-à-porter-Linie. Heute gehört das Mailänder Unternehmen zu den einflussreichsten Modelabels. Detailansicht öffnen (Foto: oh) Virgil Abloh ist der Designer der Stunde. Der New Yorker Autodidakt verantwortet seit diesem Jahr nicht nur die Herrenkollektion von Louis Vuitton, sondern bekam von der Branche vor allem für sein eigenes Label Off-White in kürzester Zeit die Deutungshoheit über den Modezeitgeist zugesprochen. Deshalb dürfte es einiges Aufsehen erregen, was Abloh jetzt zusammen mit dem Münchner Onlinehändler Mytheresa präsentiert: eine Kapselkollektion, die sich an eine besondere Zielgruppe richtet - Skifahrer. Vom 11. Dezember an gibt's Puffer Jacket, Skihose und Co. in Pink von Off-White. Wer sagt schließlich, dass der Weg zum Lift kein Laufsteg sein kann Eine gute Tat vor Weihnachten: Chanel hat angekündigt, kein exotisches Leder mehr zu verarbeiten. Künftig will das französische Couture-Haus auf Produkte aus der Haut von Schlangen, Echsen oder Krokodilen verzichten. Es werde immer schwieriger, Exotenleder mit zertifizierter Herkunft zu erhalten, heißt es zur Begründung. Chanel macht mit den Luxus-Accessoires gute Geschäfte - so kostet die klassische Flap Bag aus Pythonleder fast doppelt so viel wie das Kalbsledermodell. Der Schritt kam auch für Brancheninsider überraschend, Handel mit seltener Tierhaut wird in der Öffentlichkeit weniger aufmerksam verfolgt als etwa die Verarbeitung von Fell. Gucci hatte mit dem Verzicht auf echten Pelz eine regelrechte Welle an Nachahmern ausgelöst. Möglicherweise gibt es diesen Effekt auch nach der Entscheidung von Chanel, die Tierschutzorganisationen wie Peta begrüßten.
Die Wollspezialisten von Rohi entwerfen nachhaltige Teppiche. Horizn Studios entwarf Koffer und von Virgil Abloh gibt es jetzt eine Skisport-Kollektion.
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Kurz gesichtet - Schön warm
00/12/2018
Frauen kleiden sich für Frauen: Beyoncé Letzten Sonntag sangen die Superstars Beyoncé und Ed Sheeran gemeinsam zu Ehren Nelson Mandelas ihren Song "Perfect Duet", und sofort ging im Netz eine Genderdebatte los: Was man da sehen würde, wären die Erwartungen, die ein weiblicher Star zu erfüllen hat, im Gegensatz zum männlichen, der in Loser-Manier in Jeans, T-Shirt und Klampfe auf die Bühne schlurfen darf. Jetzt sind allerdings die Erwartungen an Frauen meistens von Frauen selbstgemacht, wie man am Hang zu absurden Schönheitsidealen sehen kann: Sicher hat sich kein Mann jemals eine Frau mit regungslosem Ballongesicht gewünscht, und ganz sicher erwartet das Patriarchat nicht von den Damen, dass sie sich einem Anal-Bleaching unterziehen (ja, mit so was wird gerade Geld verdient). Um Erwartungen geht es hier aber trotzdem, und zwar an die von Frauen an den Mann. Fast immer tut sich beim Ausgehen ein Style-Gap auf: Sie putzt sich raus wie Cher, während er das Spiel zu Ende schaut, sich durch die Haare fährt und fertig ist für einen fulminanten Abend. Wie sehr wünschte man sich in diesen Momenten einen Italiener mit Grundkenntnissen über Doppelreiher-Jacketts an seiner Seite! Allerdings hat der Italiener diese ja nicht aus Männer-Stylemagazinen, sondern einfach in den Genen. Sollten Frauen also ihren Look zugunsten eines nordisch kühlen Begleiters downgraden? Auf keinen Fall: Er trägt zwar keine Lackschuhe, aber dafür einen stoischen Ausdruck angesichts des Zirkusponys an seiner Seite. Er ist also irgendwie doch ein wahrer Gentleman. Julia Werner Männer ziehen sich an wie Jungs: Ed Sheeran "Every hetereosexual couple's level of effort", so kommentierte ein Twitternutzer dieses Foto von Beyoncé und Ed Sheeran. Bedeutet so viel wie: Paradebeispiel dafür, wie modische Sorgfalt bei einem Durchschnittspaar verteilt ist. Da ist leider etwas Wahres dran. Der in einer Beziehung häuslich gewordene Mann lässt zu gerne alle Eitelkeiten fahren. Das endet bei jenen alten Ehepaaren im Theater, bei denen sie frisch erblondet glitzert, während er in Lederweste und Flanellhemd abhängt. Auch wenn optische Diskrepanz nicht inhaltliche Entfernung bedeuten muss, es zeugt schon von mangelndem Interesse, wenn man die Partnerin stilistisch allein lässt. Oft ist es gar keine Absicht - viele Männer haben nie gelernt, sich für den Anlass passend zu kleiden, oder fühlten sich immer von ihren Frauen dazu gegängelt. Besser wäre ein prägendes Vorbild, aber wer hatte schon einen eleganten Vater? Natürlich kann man sich selbst dazu erziehen, aber das bedeutet eben ein bisschen Mühe und die ein oder andere Investition (weitaus weniger als bei den Damen). Bequemer ist es, Mode als lächerlich zu verachten und sich durch die Veranstaltungen zu rüpeln, bei denen so etwas wie eine gute Garderobe gefragt wäre. Mit seinen ewigen Jeans und T-Shirts stellt Ed Sheeran das Frühstadium dieses Volksleidens dar. In dem Outfit gehen Jungs mit zehn zum Spielen, machen damit ihren Schulabschluss und präsentieren sich so auch mit Mitte 40 noch der Öffentlichkeit. Triste Botschaft: Eigentlich sollten wir erwachsen werden, aber halt kein Bock. Max Scharnigg
Während Ed Sheeran in Jeans und T-Shirt auf die Bühne schlurft, hüllt sich Beyoncé beim gemeinsamen Auftritt in ein kompliziertes Outfit.
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Gemeinsam auftreten
00/12/2018
Als Student verliebte sich Andreas Kronthaler, Modedesigner aus Tirol, in Vivienne Westwood. Heute ist er mit der "Queen of Punk" verheiratet - und der Creative Director ihrer Firma. Die Rollen sind klar verteilt. Der Name seiner Frau ist 15 000 Euro wert. "Wer ist seit 1992 mit einem österreichischen Designer verheiratet?" fragte ein Moderator Anfang des Jahres bei der österreichischen Ausgabe von "Wer wird Millionär?". Die Antwortmöglichkeiten: Vivienne Westwood, Jean-Paul Gaultier, Jil Sander oder Stella McCartney. Der Kandidat zögert; befragt das Publikum, tippt auf Antwort A, Vivienne Westwood. Richtig, nächste Runde! Wie der Name des österreichischen Designers lautet, spielt keine Rolle. Er spielt fast nie eine Rolle. Seit 30 Jahren nicht. So lange ist Andreas Kronthaler inzwischen mit Vivienne Westwood zusammen. Er, der Österreicher aus dem Zillertal, und sie, die britische Modegöttin aus London. Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt Kronthaler, wenn man ihn nach dem Anfang fragt. In den Achtzigern lernten sie sich in Wien kennen. Er war Student, sie Gastprofessorin. Er 22, sie 47, ihre Söhne so alt wie er. Fünf Jahre später war Kronthaler Vivienne Westwoods zweiter Ehemann. Und das ist er in erster Linie auch heute noch. Wie eine First Lady begleitet der 52-Jährige seine Frau zu öffentlichen Events, legt bei Diskussionsrunden die Hand auf ihre Schulter, während sie erzählt oder sitzt mit ihr beim Teekränzchen mit den Royals. Kronthaler, 52, sieht aus, als gehöre er auf einen Berg. Groß gebaut, Bart, Hemdknöpfe geöffnet, Kreuz auf der Brust. Er steht aber in der Küchenkoje des Vivienne-Westwood-Studios in der Elcho Street in London und isst Schokoladenkuchen. Das Studio ist unprätentiös, kein Pomp, kein Schnickschnack. An der Wand pinnen Modezeichnungen, auf dem Arbeitstisch zieht schwarzer Tee. Seine Pressesprecherin will, dass er Englisch spricht, damit sie ihn versteht. Es spricht österreichisches Sing-Sang-Englisch. "Love" klingt nach "Laff", "does it" nach "dooze it". Immer wieder wechselt er die Sprache, etwa dann, wenn er von daheim, von Tirol, spricht. Seit drei Jahren baut er dort einen alten Bauernhof um. Er hat ihn von seiner Mutter geerbt. "Ich wollte zu Hause einen Platz haben, der mir gehört." Die meiste Zeit aber ist er in London, bei Vivienne. Kronthaler ist inzwischen Creative Director der Firma seiner Frau. Seit zwei Jahren zeigt er seine Kollektionen unter dem Label "Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood". Es sei Zeit geworden, in ihre Fußstapfen zu treten, sagt Kronthaler. "Meine Frau ist mittlerweile 77 und hat auch noch andere Interessen als Mode." Sie ist trotzdem stets präsent, im Gespräch ebenso wie in seiner Mode. Seine letzte Herbstkollektion etwa war eine Hommage an Vivienne, "ein Liebesbrief", sagt er. Kronthaler macht keinen Hehl daraus, dass seine Frau der Fixstern in seinem Leben ist. "Es gibt in einer Beziehung die eine Seite: Sex. Aber es gibt auch noch etwas anderes. Sie ist meine Seelenverwandte." Detailansicht öffnen Entwurf von Andreas Kronthaler für Vivienne Westwood: ein Look von den Pariser Schauen für Frühjahr/Sommer 2019. (Foto: Getty) So viel Zugewandtheit scheint selbst Vivienne Westwood manchmal nicht ganz geheuer zu sein. Ihr Ehemann würde nur ungern alleine schlafen und Angst haben, alleine zu fliegen, verriet sie einmal in einem Interview mit dem Guardian. Manchmal bedränge er sie auch wie ein Kind. "Die ganze Zeit heißt es ,Vivienne? Vivienne?'" Die Gegensätze könnten kaum größer sein Sie Stilikone, er der Jüngling - die Rollen scheinen nach Jahrzehnten der Ehe klar verteilt zu sein. Trotzdem, und das ist vielleicht das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Ehe, sind sie noch ein Paar. Eines, das wie kein anderes der Beweis zu sein scheint für eine uralte Liebesweisheit: Gegensätze ziehen sich an. Während sie in den Siebzigerjahren mit ihrem damaligen Ehemann Malcom McLaren, dem Manager der Punkband Sex Pistols, Sadomaso-Kleidung schneiderte und Punk-Mode erfand, wuchs er in einem österreichischen Tal mit ein paar Tausend Einwohnern auf und nähte seinen Puppen Kleider. Seine Mutter war Antiquitätenhändlerin, sein Vater Kunstschmied. "Ich wusste, da gibt es irgendetwas außerhalb dieser Berge. Ich bin gegangen, so schnell ich konnte", erzählt Kronthaler. Mit 14 zog er nach Graz ins Internat, machte Abitur und eine Ausbildung zum Goldschmied. Er studierte erst Industriedesign, dann Mode in Wien. Eine seiner Gastprofessorinnen war Vivienne Westwood oder wie Kronthaler sagt: "die bestangezogenste Frau, die ich je gesehen hatte". Westwood erkannte sein Talent. Seine Arbeiten waren damals von der Renaissance inspiriert und so geschneidert, dass die Kleider auf verschiedene Arten getragen werden konnten. Sie nahm ihn mit nach London. Er sollte dort weiter an diesem Stil arbeiten. "Es war alles sehr aufregend", sagt Kronthaler. Detailansicht öffnen Entwurf von Andreas Kronthaler für Vivienne Westwood: ein Look von den Pariser Schauen für Frühjahr/Sommer 2019. (Foto: Getty) Der junge Liebhaber schlief anfangs im Studio, arbeitete hart, bewies sich. Als er das erste Mal in Viviennes Boutique ging, fand er die Klamotten irre. Er dachte sich: Das kannst du dir nicht kaufen, die Kleider sind nicht schön genug. Das war ein Schlüsselerlebnis. "Ich sah, dass ich einen Teil dazu beitragen könnte, und das habe ich einfach in die Hand genommen", sagte er in einem Interview. Bereits seine ersten Arbeiten wurden Teil der Kollektion. Er blieb in London und prägt seither den Stil des Labels mit. Unter den Augen seiner Frau begann er, Mode zu machen. Seine Kreationen sind schrill, bunt, exzentrisch. Nur eines sind sie nicht: politisch. Das ist wohl der größte Unterschied zwischen ihm und seiner Frau. Provokation und Aktivismus sind ihr Repertoire. Westwood demonstrierte bereits auf einem Panzer gegen die umstrittene Fracking-Methode zur Erdöl- und Gasgewinnung, tauchte ohne Höschen bei der Queen auf und ließ sich vor ein paar Jahren einmal eine Glatze rasieren, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Außerdem soll sie regelmäßig den Wikileaks-Gründer Julian Assange in seinem Exil, der ecuadorianischen Botschaft in London, besuchen. Kronthaler hingegen ist "not particular political". "Ich mache mir schon Gedanken, aber ich äußere sie nicht so extrem wie Vivienne. Ich halte mich da lieber raus." Von vielen Themen verstehe er auch einfach nicht genug. Er interessiert sich für andere Dinge. Religion fasziniert ihn zum Beispiel, auch wenn er lange Zeit mit seiner eigenen katholischen Herkunft haderte. Überhaupt scheint es, als habe er lange gebraucht, sich selbst zu finden. Und der große Altersunterschied? "Nie ein Problem" Fragt man Andreas Kronthaler, ob es ihn denn nie stört, immer nur der "Ehemann von" oder in der Klatschpresse auch gerne der "Toyboy" von Vivienne Westwood genannt zu werden, schüttelt er den Kopf. "Sie war immer schon meine Stilikone. Sie ist für mich das Ultimative." Und als würde er die nächste Frage schon vorausahnen, fügt er hinzu: "Auch unser Altersunterschied war nie ein Problem." Alter war nie eine Kategorie in ihrer jahrzehntelangen Beziehung. Bis jetzt, zumindest. Denn an einer Sache merkt er den Altersunterschied dann doch: "Sie springt morgens nicht mehr so fit aus dem Bett wie früher." Allerdings begreift sich Andreas Kronthaler auch hier wieder als Erweiterung seiner Frau. "Wir sind alt geworden", sagt er. Dabei hat er als Kronprinz des Modelabels seine Zeit noch vor sich.
Als Student verliebte sich Andreas Kronthaler, Modedesigner aus Tirol, in Vivienne Westwood. Heute ist er mit der "Queen of Punk" verheiratet - und der Creative Director ihrer Firma. Die Rollen sind klar verteilt.
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Mode & Liebe - Oh Vivienne!
00/12/2018
Die letzten Zuckungen des Bikini-Wahns auf hochglanzpolierten Motorhauben sind vorbei: Der neue Pirelli-Kalender zeigt Frauen als Menschen mit Hoffnungen und Träumen. Es war ein seltsames Ding mit Gun-Shows, Autos, Reifen und Zigaretten. Irgendwann hatten sich die Werbeagenturen der Vor-Mad-Men-Zeit, vor allem die US-amerikanischen, darauf verständigt, dass Produkte aller Branchen, die im entferntesten Sinn mit Feuer und Rauch zu tun haben, mit halbnackten Frauen zu bewerben sind, die ihr 30. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Sexistische Werbung findet in den Bild-Fantasien aus Rauch, Rausch, Metall und Gummi ihren Ursprung. Man weiß immer noch nicht warum. Doch die vielleicht letzten Zuckungen dieses Bikini-Wahns räkeln sich bis heute auf den hochglanzpolierten Motorhauben der Autosalons der westlichen Welt. Früher galt der Jahreskalender der italienischen Reifenfirma "Pirelli" als der Goldpaillettenstandard dieser Form von Produktaufbereitung. Das ist längst nicht mehr so. Inzwischen erzählen internationale Fotokünstler sensationell inszenierte Geschichten. Für das Jahr 2019 hat der schottische Fotograf Albert Watson unter anderem das Model Gigi Hadid, die Schauspielerinnen Laetitia Casta, Julia Garner (unser Bild: © Albert Watson, Pirelli Kalender 2019) und die Primaballerina Misty Copeland gewinnen können, im je somnambulen Ambiente einfach nur ganz bei sich zu sein. Die traumhafte Inszenierung von Nicht-Inszeniertheit scheint in Watsons unwirklichen Wirklichkeiten perfekt gelungen zu sein. "Es ist angesichts der Me-Too-Bewegung nicht mehr zeitgemäß", so der Fotograf, "halbnackte Bikini-Mädchen am Strand zu arrangieren." Der Pirelli-Kalender 2019 hat davon profitiert.
Die letzten Zuckungen des Bikini-Wahns auf hochglanzpolierten Motorhauben sind vorbei: Der neue Pirelli-Kalender zeigt Frauen als Menschen mit Hoffnungen und Träumen.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/pirelli-kalender-2019-frauen-wie-im-traum-1.4242183
Pirelli-Kalender 2019 - Frauen ganz bei sich
00/12/2018
Was passiert, wenn in einem ganzen Land Eltern lieber Söhne bekommen und millionenfach weibliche Föten abtreiben? Es gibt weniger Frauen, und wovon es einen Mangel gibt, dessen Wert steigt. Das klingt unangemessen nüchtern, fast so, als gehe es hier nicht um Menschen, sondern um Waren. Aber so ist das in China, wo es nach 35 Jahren der Ein-Kind-Politik mindestens 30 Millionen mehr Männer als Frauen gibt. Um ihr Leben nicht alleine in einem Junggesellendorf zu fristen, sind die Männer bereit, hohe Mitgiften zu zahlen - längst werden Summen erreicht, die das Jahreseinkommen der Bräutigamsfamilien um ein Vielfaches übersteigen. Nicht nur Goldschmuck, sondern ein Haus, ein Auto und 150 000 Yuan (ungefähr 19 000 Euro) sind inzwischen Standardforderungen der Brautfamilien. Das trifft vor allem Männer in ländlichen Gebieten, denn viele Frauen zieht es in die Städte, und das verschärft die Angebot-und-Nachfrage-Problematik gewissermaßen zusätzlich. Um sich das leisten zu können, verschulden sich die Familien oft lebenslang. In der Provinz Shandong soll es Dörfer geben, in denen das Brautgeld im wörtlichen Sinne abgewogen wird: 100 000 Yuan in 100er-Scheinen wiegen etwa 1,6 Kilogramm. Auch gibt es dort den Brauch, "alles in Rot und Grün" zu zahlen, also mit Hundert- und mit Fünfzig-Yuan-Scheinen. Das Problem ist, wie immer, wenn die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt: Obwohl viele Bewohner diese Entwicklungen selbst nicht gutheißen, sind sie machtlos. Es gibt ja immer jemand anderen, der bereit ist, noch mehr zu zahlen. Seit 2016 gibt es die Ein-Kind-Politik nicht mehr, jetzt dürfen alle Chinesen zwei Kinder haben Um die ausufernden Mitgiften einzudämmen und die "vulgäre Praxis" zu beenden, fordert das Ministerium für zivile Angelegenheiten eine Trendwende. Auf chinesische Weise: Die Menschen sollten lieber "Xi Jinpings Gedankengut" folgen, Hochzeitsfeiern sollten sozialistische und traditionelle chinesische Werte wie Fleiß und Sparsamkeit widerspiegeln. Schluss mit Extravaganz und Verschwendung. Detailansicht öffnen Für die Hochzeit von China nach England fliegen? Warum nicht. Ein Paar auf der Westminster Bridge in London. (Foto: REUTERS) Da Vernunftappelle aber selten ausreichen, wurden mancherorts bereits Regeln beschlossen, um Brautpreise zu deckeln. Im Kreis Taiqian in der Provinz Henan ist nicht nur der Wert der Hochzeitsgeschenke auf 60 000 Yuan (7700 Euro) limitiert. Beschränkt ist auch die Zahl der Gäste: maximal zehn Tische oder 200 Leute. Die Brautfamilien dürfen keine Häuser und Autos mehr fordern und die Familien der Bräutigame dürfen keine Schulden aufnehmen, um die Hochzeit zu bezahlen. Doch solange die Angst der Männer vor dem Alleinsein groß ist, dürfte es schwierig werden, die Hochzeitsbräuche zu ändern. Funktionäre fordern daher, dass lokale Behörden für alternative Veranstaltungen wie Massenhochzeiten werben sollten. Seit 2016 gibt es die Ein-Kind-Politik nicht mehr, jetzt dürfen alle Chinesen zwei Kinder haben. Die neue Musterfamilie hat eine Tochter und einen Sohn. Bis diese im heiratsfähigen Alter sind, dauert es allerdings noch. Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise den Fünf-Yuan-Schein als grünfarbigen Schein genannt. Richtig ist jedoch, dass der 50-Yuan-Schein grün ist.
Peking schreitet gegen ausufernde Mitgiften ein. Manche Bräutigamsfamilien verschulden sich lebenslang, um die Forderungen zu erfüllen. Das Problem ist: Es gibt zu wenig Frauen.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/china-hochzeiten-mitgiften-1.4238916
"Hochzeiten in China: Ende der ""vulgären Praxis"""
00/12/2018
Hunde tollen am liebsten frei in der Gegend herum. Das geht nicht immer, und für diesen Fall gibt es Leinen. Welche ist die beste? Neun Modelle im Test. Am liebsten würden Hunde wahrscheinlich immer frei herumlaufen wollen, aber manchmal müssen sie an die Leine. Schließlich gibt es in Deutschland einen kommunalen Leinenzwang, der das Wann und Wo und Wie auf öffentlichen Wegen in geschlossenen Ortschaften regelt. Die Regelungen sind allerdings recht kompliziert und in jedem Bundesland anders. Stellt sich dann nur noch die Frage nach der richtigen Leine. Wobei das Thema in etwa so vielfältig ist wie die Verordnungen. Natürlich kommt es bei der Auswahl auf den Hund und die Vorlieben des Halters, das Material und den Verwendungszweck an. Die SZ-Tests im Überblick Diesen und alle weiteren SZ-Produkttests finden Sie hier. Die bekannteste und am meisten verbreitete Art ist die Führleine, oft aus Nylon, Neopren oder Leder. "Die Länge lässt sich meist verstellen und so ist sie fürs Gassigehen in der Stadt genauso geeignet wie für einen Spaziergang auf dem Land," erklärt Hundetrainerin Beatrice Rosenthal. Beliebt für den Auslauf im Grünen ist die Schleppleine, die sich durch ihre Länge auszeichnet. Der Hund kann sich in einem Radius von etwa zehn Metern frei bewegen und der Halter hat ihn trotzdem unter Kontrolle. Neben den häufigsten Leinenarten testete die Expertin über zwei Wochen lang, unter anderem auf einer Wandertour in Südtirol, auch je eine Flexi-, Kurz- und Joggingleine. Hunde an der Leine gibt es länger als man denkt. Sie wurden, das belegen archäologische Funde in Saudi-Arabien, bereits vor mehr als 9000 Jahren angeleint.
Hunde tollen am liebsten frei in der Gegend herum. Das geht nicht immer, und für diesen Fall gibt es Leinen. Welche ist die beste? Neun Modelle im Test.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/test-hundeleine-leine-1.4237788
Hundeleine-Test - Das ist die beste Leine
00/12/2018
In Deutschland gibt es ihn bisher vor allem an den größeren Flughäfen, wo ihn chinesische Touristen kaufen: der hochprozentige Schnaps Baijiu. Ein tödliches Gebräu. Nur deshalb nicht als Flugbenzin im Einsatz, weil es sich zu leicht entzündet. Sicherheitsberater Henry Kissinger warnte Richard Nixon nicht ohne Grund, als der Präsident 1972 das erste Mal nach China reiste. Die Chinesen schenkten dem Präsidenten ein, was man neuen Freunden in China eben ausschenkt: Baijiu. In Deutschland nahezu unbekannt, ist Chinas Nationalgetränk der meistgetrunkene Schnaps der Welt. Wörtlich übersetzt "weißer Alkohol", umfasst der Schnaps eine Vielzahl von Getreidespirituosen, die meist aus Sorghum, Reis oder Weizen hergestellt werden.
Explosiv und höllisch stark: Das chinesische Nationalgetränk Baijiu hat im Ausland einen schlimmen Ruf. Nun bringen wagemutige Gastronomen den Schnaps nach Deutschland.
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https://www.sueddeutsche.de/stil/baijiu-schnaps-china-deutschland-1.4235641
Chinesischer Schnaps Baijiu - Flüssige Rasierklingen
00/12/2018
Der Weihnachtsbaum vor dem Reichstag ist eine Fichte aus der Nähe von Altenau im Harz. 62 Jahre alt, fünf Tonnen schwer, 24 Meter hoch. Sie wurzelte ihr Leben lang geschützt im Kellwassertal und überstand auch die Krisen dieses Jahres gut. Weder der Januarsturm Friederike noch die Sommerdürre beschädigten ihre Schönheit. Als die Mitarbeiter des Forstamts Clausthal die Fichte fällten, hielt sie ein Autokran und legte sie später behutsam auf einem Tieflader ab. Und nun steht sie also im Lichterschmuck vor dem Berliner Parlament und kündet von der Kraft der Christfest-Kultur. Der Weihnachtsbaum ist eine deutsche Erfindung. Vom 16. Jahrhundert an verbreitete er sich von den Zunfthäusern aus über städtische Familien in der ganzen Welt. Heute kann man darüber streiten, ob der Weihnachtsbaum eher ein Symbol des Adventskommerzes oder der besinnlichen Weihnachtsfeiertage ist. Aber beliebt ist er, das ist klar, vor allem in Deutschland. Nirgends ist der Pro-Kopf-Weihnachtsbaum-Verbrauch so hoch wie hier. Nach Angaben des Bundesverbandes der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger setzt die Branche zwischen 23 und 25 Millionen Bäume pro Jahr ab. Und Geschäftsführer Martin Rometsch meldet, das Angebot an Nordmanntannen und anderen beliebten Zimmernadelhölzern sei auch dieses Jahr wieder üppig: "Es gibt keine Knappheit." Das Land protzt fast mit seinen Weihnachtsbäumen. In vielen Städten stehen geschmückte Riesenbäume wie Botschafter ihrer Herkunftswälder. Thüringens Forstministerin Birgit Keller (Linke) freute sich vergangene Woche ganz offiziell darüber, dass eine etwa 80-jährige Fichte aus Floh-Seligenthal im Kreis Schmalkalden-Meiningen den begehrten Platz vor dem Brandenburger Tor besetzen darf. Es ist, als wäre die Trockenheit dieses Sommers an der Branche folgenlos vorübergegangen. Rometsch sagt sogar, der heiße Sommer habe manchen Bäumen in den 2500 Anbaubetrieben gutgetan, weil weniger Feuchtigkeit auch weniger Pilzbefall bedeute. "Die Insekten waren auch zurückhaltend." Dürre als Erfolgsfaktor? Natürlich nicht. Die Betriebe mussten mehr wässern, vor allem die kleineren Jungpflanzen aus der Baumschule mit ihren dünnen Wurzeln. Wer das nicht tat, hatte schwere Ausfälle. "Die Setzlinge sind in einzelnen Betrieben zu bis zu 100 Prozent vertrocknet", sagt Rometsch. Detailansicht öffnen Die Fichte aus dem Kellwassertal steht jetzt vor dem Reichstag in Berlin. (Foto: dpa) In den niedersächsischen Landesforsten, der Heimat der Reichstagsfichte, gibt es hingegen keine Klagen wegen der Dürre - zumindest nicht, wenn es ums Weihnachtsgeschäft geht. "Für uns sind Weihnachtsbäume Nischenprodukte", erklärt Sprecher Mathias Aßmann. Die Förster sind vor allem mit der Holzproduktion beschäftigt. Sie lassen Nadelbäume lange Zeit dicht nebeneinander wachsen, damit diese im Schatten ihrer Kronen die unteren Äste abwerfen. So entsteht astreines Holz. Hübsche Christbäume sind im Wald meist junge Zufallsgewächse, die ohnehin wegmüssten. Oder alte Bäume, die immer viel Licht hatten und deshalb ihr volles Nadelkleid behielten. Wie die Reichstagsfichte aus dem Kellwassertal, die über Jahrzehnte still gedieh, bis das Weihnachtsgeschäft sie rief.
Die Deutschen lieben ihre Weihnachtsbäume. Aber hat der heiße Sommer den Tannen und Fichten geschadet?
stil
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Weihnachtsbaum: Wie grün sind deine Blätter
00/12/2018